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German Pages 501 [504] Year 1971
JANUA LINGUARUM STUDIA MEMORIAE NICOLAI VAN WIJK DEDICATA edetida curai C. H. V A N
SCHOONEVELD
Indiana University
Series Minor,
118
PROBLEME DER SPRACHWISSENSCHAFT Beiträge zur Linguistik
1971
MOUTON THE H A G U E • P A R I S
Copyright 1971 by VEB Verlag Enzyklopädie Leipzig. Lizenzausgabe • Mouton & Co. N . V., Publishers, The Hague. No part of this book may be translated or reproduced in any form, by print, photoprint, microfilm, or any other means, without written permission from the publishers.
Printed in the German Democratic Republic.
Vorwort
Der vorliegende Band enthält sprachwissenschaftliche Beiträge aus den — inzwischen längst vergriffenen — Jahrgängen 1964—1967 der Zeitschrift „Deutsch als Fremdsprache". Mit seiner Aufnahme in das Verlagsprogramm folgen wir einer Anregung der Redaktion und des Beirates dieser Zeitschrift, die auch die Auswahl der Beiträge getroffen haben. Die einzelnen Artikel mußten formal — um dem Sammelband ein einheitliches Gesicht zu geben — einander etwas angeglichen werden. Fortsetzungsartikel aus mehreren Nummern der Zeitschrift wurden zusammengefaßt. Der Leser kann sich anhand des Quellenverzeichnisses im Anhang des Buches leicht darüber orientieren, welchen Heften die Beiträge entnommen sind. Es ist klar, daß der Wiederabdruck von Beiträgen, von denen einige immerhin schon vor vier oder fünf Jahren erschienen, mit einem gewissen Risiko verbunden ist, denn sie können nur das enthalten, was bis zu dieser Zeit als wissenschaftlich gesichert galt. Seitdem sind die Erkenntnisse der Linguistik rasch fortgeschritten. Manches ist heute bereits präziser formulierbar, anderes hat neuen Problemen weichen müssen. Wenn wir uns trotzdem zur erneuten Veröffentlichung entschlossen haben, so deshalb, weil wir meinen, daß die hier vorgelegten Artikel dem sprachwissenschaftlich Interessierten auch heute noch wertvolle Anregungen für die eigene Arbeit geben können. Der Verlag
Inhalt
Übersichtsbeiträge Rudolf Große, Entwicklungstendenzen in der deutschen Sprache der Gegenwart 9 Wolfdietrich Härtung, Gedanken zum Stand und zur Perspektive der Grammatikforschung 27 Gerhard Heibig, Die methodische Konzeption der Sprachbeschreibung bei Charles C. Fries 36 Gerhard Heibig, Die Transformationslehre bei Harris und Chomsky 56 Gerhard Heibig, Zur Entwicklung der strukturellen Linguistik in der Sowjetunion 96
Beiträge zur Syntax Werner Neumann, Eine Hierarchie syntaktischer Einheiten 125 Elena W. Gulyga, Autosemantie und Synsemantie in der Hypotaxe 154 Gali N. Eichbaum, Zur Einteilung der Nebensätze 170 Gerhard Heibig, Die Bedeutung syntaktischer Modelle für den Fremdsprachenunterricht 180 Karl-Ernst Sommerfeldt, Zu einigen Entwicklungstendenzen im Satzbau der deutschen Sprache 208 Wolfgang Schenkel, Zur erweiterten Attribuierung im nominalen Bereich 217 Wolfdietrich Härtung, Die Negation in der deutschen Gegenwartssprache 241
Beiträge zum Verb Walter Flämig, Zur Funktion des Verbs: Tempus und Temporalität — Modus und Modalität — Aktionsart und Aktionalität 253 Klaus Welke, Das System der Modalverben im Deutschen 290 Klaus Welke, Dienen Modalverben der Umschreibung des Konjunktivs? 298 Erich Spitz, Die morphologische Klassifizierung der deutschen Verben 305 Gerhard Heibig, Der Begriff der Valenz als Mittel der strukturellen Sprachbeschreibung und des Fremdsprachenunterrichts 316 Gerhard Heibig, Untersuchungen zur Valenz und Distribution deutscher Verben 336 6
Boris A. Abramow, Zum Begriff der zentripetalen und zentrifugalen Potenzen 361 Erika S. Rachmankulowa, Strukturelle Untersuchungen zum deutschen Verb im Satzmodell 381 Beiträge zur Wortbildung Wolfgang Fleischer, Entwicklungstendenzen der nominalen Wortbildung 391 Wolfgang Fleischer, Grundzüge der Wortbildung des Verbs in der deutschen Sprache der Gegenwart 408 Maria D. Stepanova, Die Zusammensetzung und die „innere Valenz" des Wortes 433 Beiträge zur Fachsprache Lubomir Drozd, Die Fachsprache als Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts 439 Werner Reinhardt, Eigentümlichkeiten der Fachsprachen und ihre Berücksichtigung im Deutschunterricht für Ausländer 452 gduard Benes, Syntaktische Besonderheiten der deutschen wissenschaftlichen Fachsprache 461 Beiträge zur Stilistik Elise Riesel, Lexikalische Auflockerung als Stilmittel und als sprachliche Umnormung 477 Elise Riesel, Stilistische Bedeutung und stilistischer Ausdruckswert des Wortes als paradigmatische und syntagmatische Kategorie 486 Anhang Quellenverzeichnis 499 Autorenverzeichnis 501
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Übersichtsbeiträge
RUDOLF GROSSE
Entwicklungstendenzen in der deutschen Sprache der Gegenwart*
1. Immer wieder kommt es vor, daß ein Ausländer, der sonst die deutsche Sprache ausgezeichnet beherrscht, ab und zu Wörter und Wendungen gebraucht, die uns Deutschen altertümlich und bezopft vorkommen, so wenn man in der Weise des 18./19. Jahrhunderts nach dem Hotel gefragt wird: Wo sind Sie abgestiegen?1 oder wenn sich der Gesprächspartner freundlich erkundigt: Wie geht es Ihrem Knaben? Uns wird es nicht besser ergehen, wenn wir im Ausland eine fremde Sprache so gut als möglich anzuwenden bemüht sind. Ist es nicht zu vermeiden, daß der Fremdsprachenunterricht zwei Schritte hinter der Entwicklung der lebendig gesprochenen Sprache herhinkt? Wir wollen diese Frage hier nicht beantworten, wollen vielmehr nach den Ursachen fragen, die im Gegenstand selbst, in dem Phänomen Sprache begründet sind, und wollen die Richtung anzeigen, in der sich einige Erscheinungen in der Gegenwart entwickeln, nicht ohne nach den Gesetzmäßigkeiten zu suchen, die sie bestimmen. Heraklits „panta rhei" gilt, wir wissen es aus der Sprachgeschichte, auch für das Leben der Sprache. Doch wenn man in dem Flusse mitschwimmt, wird man sich dessen nicht bewußt; die Veränderung im gegenwärtigen Deutsch erkennen wir erst im Vergleich mit vergangenen Zeiten, wenn wir versuchen, uns aus dem Strom herauszuheben, und zurückblicken. Das hat zwei Gründe. Die Sprache entwickelt sich evolutiv; denn sie gehört nicht zu den Erscheinungsformen des Überbaus. Wohl gibt es Zeiten, in denen sich Verschiebungen und Wandlungen in einer Sprache häufen, in denen der Strom schneller fließt und sich Strudel und Seitenläufe bilden. Es sind Zeiten, in denen gesellschaftliche Umwälzungen vor sich gehen. Revolutionen gibt es in einer Sprache nicht. Im Leben der Sprachgemeinschaften könnte man allenfalls den Sprachwechsel dazu rechnen, den Übergang von einer Sprache zur anderen, sofern ihn eine ganze Gruppe vollzieht, ein Stamm oder eine Völkerschaft. Die intralinguistische Betrachtung jedoch, die eine Sprache als l a n g u e und ihre Aktualisierung als p a r o l e untersucht, * Nach einem Vortrag, gehalten am 12. 7.1963 vor den im Ausland tätigen Deutschlektoren der D D R .
9
kann keine umwälzenden Veränderungen feststellen. Das System der Sprache verträgt sie nicht. Damit erkennen wir die zweite Ursache, die uns den Blick für gegenwärtige Wandlungen in der Muttersprache verschließt. Es ist ihr Systemcharakter. Alle Elemente eines Sprachgebildes stehen in einem Netz von Relationen; eine Veränderung an einer Stelle zieht Folgen nach sich an den benachbarten und auch an entfernteren Stellen. Da aber die Sprache als Kommunikationsmittel ständig intakt und verwendungsfähig sein muß, sind immer nur unscheinbare, unauffällige Verschiebungen möglich. In der Regel treten zunächst fakultative Varianten auf; ehe sie für das System relevant werden, haben sich die neuen Beziehungen eingespielt. In dieser Abfolge zeigen sich Unterschiede zwischen den Generationen, so fragwürdig auch dieser Begriff für die soziologische Erörterung erscheinen mag, weil doch die Jahrgänge nicht schubweise ins sprachliche Leben eintreten, sondern kontinuierlich und, von den Kriegsjahren abgesehen, in annähernd gleicher Zahlenstärke. Trotzdem ist es jedoch eine Tatsache, daß sich die Älteren immer wieder über gewisse Ansichten und Äußerungen der Jüngeren verwundern, nicht nur und gar nicht in erster Linie in deren Redeweisen, sondern eher in Kleidung, Haartrachten, Tänzen, Geselligkeiten, aber doch ab und an in einer sprachlichen Wendung. Wie wir in Leipzig uns fragen, warum unsere Kinder Ich genau! anstelle von Ich auch! ausrufen, so mögen unsere Großeltern bei dem manchmal im Sinne von vielleicht' aufgehorcht haben (Haben Sie manchmal eine Uhr bei sich?). Diese Verwendungsweisen der beiden Wörter sind bisher Bedeutungs- und Bezeichnungsvarianten geblieben. Es wäre aber denkbar, daß sie usuell werden. In der Aufnahme und im Anerkennen solcher (und natürlich auch außersprachlicher) Erscheinungen gibt es eine Gruppenbildung; ob sich der einzelne der älteren oder der jüngeren Generation, den Konservativen oder den Modernen beigesellt, hängt von den Lebensumständen, von Mentalität und Erziehung ab. Für die Sprachbetrachtung ist zudem zu berücksichtigen, daß es im Bau einer Sprache offene und geschlossene Systeme oder Teilsysteme gibt. Es wird heute allgemein die Ansicht vertreten, daß das phonematische System das festere sei, das am gründlichsten in sich geschlossene. Mit zunehmender Offenheit folgen das morphologische, das syntaktische und schließlich das lexikalische System, für das ja bisweilen der Systemcharakter ganz bezweifelt wird. So ist von vornherein zu erwarten, daß von einem Überblick über die Veränderungen im gegenwärtigen Deutsch die wenigsten bei den Lauten und Formen entdeckt werden können, die meisten im Satzbau und im Wortschatz.
2. 2.1. In der L a u t u n g wird man vor allem auf die Artikulation des [r] aufmerksam machen müssen. Neben das Zungenspitzen-!/] ist schon seit 10
längerer Zeit das Zäpfchen-[i?] getreten; man spricht vom 17. Jh. und meint mit Ascoli, daß das uvulare [JR] auf französischen Einfluß zurückgehe. Das ist zu bezweifeln; Tatsache ist aber, daß es in den Mundarten, etwa im Thüringischen, vor unseren Augen und Ohren im Vordringen begriffen ist 2 ; und die Exploratoren melden dabei auch Generationsunterschiede. Der Siebs erkennt seit der Entscheidung des Beraterausschusses von 1933 das Zäpfchen-[7?] als gleichberechtigt an, empfiehlt jedoch (wohl vor allem für Berufssprecher) das Zungen-[r], weil es die Artikulation nach vorn verlegt und darum stimmhygienisch den Vorzug verdiene. Die Entwicklung ist aber über diesen Stand der Gleichberechtigung hinaus fortgeschritten, und die Mehrzahl der Angehörigen der deutschen Sprachgemeinschaft beurteilt heute das Zungen-fr] als auffällige Besonderheit, nicht als unschön, aber doch als außergewöhnlich. Darüber hinaus ist wohl überhaupt das stark gerollte [r] (mit mehrfachem Anschlag) im Rückgang, weniger im Anlaut, unverkennbar aber in postvokalischer Stellung, besonders in unbetonter Silbe; deutlicher also noch bei rinnen, rennen, rollen, auch bei bringen, brennen, Brunnen, weniger in Kirsche, Kerze, Karte, noch weitergehend nach langem Vokal: schmiert, fährt, Bart; stark reduziert, wenn nicht vokalisiert im Auslaut: dir, Tür, Tor-, und vor allem in der Endung -er: Vater, Schuster, Drücker,3 Die Entwicklung geht, das sehen wir in den Mundarten und landschaftlichen Umgangssprachen, über den stimmhaften Reibelaut [y] zum Murmelvokal [a], [a], [o] und bis zum völligen Schwund. In hyperkorrekter Weise wird besonders im Norddeutschen der stimmlose gutturale Reibelaut [x] eingefügt: [waxtin], [kaxU], was natürlich zu verwerfen ist. Gewöhnlich ist der vorangehende Vokal noch von dem ehemaligen [r] affiziert und sei es nur durch Doppelgipfligkeit [bäät] ,Bart', [böön] ,Born'. Solange aber das [r] noch nachwirkt, solange nicht Bart und Bad, Born und Bonn zusammenfallen, sind alle diese [r]-Nachfolger nur stellungsbedingte Varianten des /r/; das System, in dem das jrj allerdings zusammen mit dem /// eine periphere Stellung einnimmt, wird noch nicht angetastet. Trotzdem sind diese Erscheinungen für den Unterricht von Bedeutung; es bleibt abzuwarten, wieviel die Sprecherziehung hier regulieren kann. 2.2. Mundart und Umgangssprache unterdrücken das e in den Nebensilben -en, -el (-em meist abgeschwächt zu -eri). Je nach der vorangehenden Konsonanz kommt es zu unterschiedlicher Koartikulation und Assimilation : reden > [re. dn] mit faukaler Öffnung (Dentalverschluß bleibt), geben > [ge:bn] > [ge.bm] > [ge:m\; legen > [le:gn] > [le:gn] > [le:n]. Gepflegte Sprache wird es nie soweit kommen lassen; aber selbst in hochsprachlichen Texten werden doch erste Schritte auf diesem Wege registriert, und wir empfinden die übermäßige Artikulationsintensität in solchen Silben [le:gän, re:dän] als auffällig, bisweilen gar als unangenehm. Ein Wörterbuch der Hochlautung muß sich heute fragen, wie weit es der Neigung zur Synkope in diesen Nebensilben Rechnung tragen muß 4 . Das System wird auch in diesem Falle nicht angegriffen, denn das [a], sofern es nicht ohnehin als 11
Variante des /e/ aufzufassen ist, ist in anderer Stellung noch reichlich frequentiert. 2.3. Bei einer anderen Lautentwicklung wird das Lautsystem stärker betroffen. Ein sowjetischer Aspirant berichtete uns, daß an seinem Institut jetzt gelehrt werde, der deutsche ich-Laut [p] müsse etwas breiter ausgesprochen werden, ähnlich dem russischen tif (in ufu = Kohlsuppe). Es liegt auf der Hand, wo diese Ansicht ihren Ursprung hat: In den sächsischen Städten 5 neigt sich das [p] dem [/] zu (wie auch sonst in mitteldeutschen Gebieten, z. B. um Frankfurt am Main und um Köln, in Anfängen auch in Berlin). Da fällt dann dich und Tisch in [di(] zusammen, Löcher und Löscher, Männchen und Menschen werden nicht mehr auseinandergehalten. Da schreibt nicht nur ein Maler auf sein Warnschild Frisch gestrischen, da finden sich die Fehler auch in den Diktatheften. Und weil es sich um eine in der Kindheit eingefahrene Artikulationsgewohnheit handelt, können sich auch Rundfunkkommentatoren nicht immer ganz davon befreien. Hier kommt es zu einer Neutralisation der Opposition /p/=#///; sofern man [p] als kombinatorische Variante von jchl betrachtet, bleibt allerdings der distinktive Gegensatz von/cA/=t=/ic/i/ mit dem Paar ¡xj4= //¡{machet Masche) bestehen. In der obersächsischen Mundart waren [p] und [x] schon vorher durch unterschiedliche Stellungspotenzen zu selbständigen Phonemen geworden, und [p] stand isoliert, was den Vorgang beschleunigt haben könnte. 2.4. Wenn man nach der gemeinsamen Grundtendenz dieser lautlichen Entwicklung fragt: Es ist die Artikulationsschwächung; Ökonomie könnte man es nennen. Der geringere Aufwand hat den gleichen Kommunikationseffekt.
3. 3.1. Beim F o r m e n b e s t a n d sei zunächst auf die allgemeinen Tendenzen in der Substantiv-Deklination verwiesen. Von der sowjetischen Germanistik 6 haben wir gelernt, daß für das Nhd. Kasus und Numerus als unabhängige Kategorien zu betrachten sind. Seit dem Ahd. hat sich darin ein entscheidender Wandel vollzogen: Die germ.-ide. Ordnung nach Deklinationsklassen, für die das stammbildende Element ausschlaggebend war (a, 6, i, u, n), ist abgelöst worden durch ein wenig differenziertes Kasus-System und die eindeutige Singular-Plural-Opposition, für die verschiedene Möglichkeiten ausgenützt worden sind, die sich im Verlauf der Sprachgeschichte seit dem Mhd. ergeben haben. Dabei gibt es Redundanz: Umlaut + e, Umlaut + er. 12
Andererseits bleibt der Plural auch unbezeichnet: Typ Wagen (mundartlich Wägen). Singular stark • Mann, Buch usw. 6. Verb kauft, sieht, nahm u. a.
II. Satz 1.NP + V P 2. T + N + VP 3. T + N + Verb + NP 4. der + N + Verb + NP 5. der + Mann + Verb + NP 6. der -f- Mann + kauft + NP 7. der + Mann 4- kauft + T + N 8. der + Mann + kauft + das + N 9. der + Mann + kauft + das -f- Buch
66
III. Schließlich kann die Struktur in folgendem PS-Stammbaum dargestellt werden:
^ Verb I Mann
1I
kauft
VP
\
NP
T1
1
das
Buch
I
N
I
Bei der Ableitung II darf in jeder Zeile nur ein einziges Element neu geschrieben werden; die letzte Ableitung heißt terminale Ableitung, die letzte Zeile terminale Kette. 61 Zwei Ableitungen sind äquivalent, wenn sie sich auf dasselbe Stammbaumdiagramm zurückführen lassen. Konstruktionelle Homonymie liegt vor, wenn einem Satz mehrere nicht-äquivalente Ableitungen zugeordnet werden können. 62 Zusätzlich zu diesen Phrasenstrukturregeln muß die phonetische Struktur in einer Morphophonemik angegeben werden (etwa: nehmen + Vergangenheit nahm). Aber auch dieses Phrasenstrukturmodell ist nicht voll adäquat, schon deshalb nicht, weil es zu komplex ist. 63 Die Inadäquatheit des PS-Modells zeigt sich bereits bei der Darstellung der Konjunktion, der Koordination gleichartiger Satzglieder, die für die Äußerung Männer, Frauen und Kinder nach dem üblichen PS-Stammbaum wie folgt dargestellt werden müßte : •NPMänner
Frauen und Kinder Frauen
Kinder
Da die erscheinende Unterordnung schon rein intuitiv den Sachverhalt nicht richtig widerspiegelt, entwickelt Chomsky eine K o n j u n k t i o n s t r a n s f o r m a t i o n 6 4 : Wenn in den beiden Sätzen Z + X + W und Z + Y + W X und Y Konstituenten des gleichen Typs sind, ist ein neuer Satz möglich in der Form Z — X + and + Y — W: 1. The scene — of the movie — was in Chicago. 2. The scene — of the play — was in Chicago. 3. The scene — of the movie and of the play — was in Chicago.
Aber nicht: 1. The scene — of the movie — war in Chicago. 2. The scene — that I wrote — was in Chicago. 3. *The scene — of the movie and that I wrote — waj in Chicago.
5*
67
Zwischen solchen eindeutigen Fällen gibt es freilich Übergänge, zumal dann, wenn die Konjunktion die Konstituentengrenzen überschreitet.65 Bei unserem letzten Beispiel handelte es sich immerhin noch um Konstituenten, wenn auch nicht um solche gleichen Typs. Erst recht wird die Konjunktion ungrammatisch, wenn die Konstituentengrenzen verletzt werden: 1. The — liner sailed down the — river. 2. The — tugboat chugged up the — river. 3. "The — liner sailed down the + and + tugboat chugged up the — river.
Chomsky formalisiert die Regel für die Konjunktionstransformation: Wenn S. und S 2 grammatische Sätze sind und sich nur dadurch unterscheiden, daß X in Sx und Y in S 2 (als Konstituenten gleichen Typs) erscheinen, dann ist S 3 ein Satz, der entsteht, indem X in Si ersetzt wird durch X and Y. 6 5 LS- = Z + X + W 2. S 2 = Z + Y + W 3. S 3 = Z + (X + and + Y) + W Eine solche Regel kann in die PS-Grammatik nicht eingebaut werden; überdies ist die Konjunktionstransformation ein geeignetes Kriterium, Konstituenten als solche zu erkennen. 67 Schwierig innerhalb der PS-Grammatik ist zweitens auch die Darstellung der Hilfsverben, die nach Chomsky wie folgt beschrieben werden müssen 68 : 1. Verb 2. V 3. Aux 4. M
- - Aux + V — hit, take etc. — C(M) (have -f- en) (be -f- ing) (be + en) — will, can, shall, must S im Kontext NP im Sing. 0 im Kontext sonst Vergangenheit 6. Af soü stehen für alle Affixe (Vergangenheit, S, 0 , en, ing), v soll stehen für alle M, V, have, be (d. h. für alle Nicht-Affixe). Af+v—v4-Af# 7. + wird ersetzt durch # außer im Kontext v — Af.
(
Daraus kann folgende Ableitung entwickelt werden: 1. the + man 2. the + man (nach i) 3. the + man (nach 2) 4. the 4- man (nach 3)
68
-f- Verb -f- the book -r Aux + V -f- the + book + Aux 4- read 4- the -j- book + C + have
en +- be -f ing + read + the + book
5. the + man + S + have + en + be + ing + read -f the + book (nach 5) 6. the + man + have + S # be + en # read + ing # the + book (dreimal nach 6) 7. # the # man # have + S # be + en # read + ing # the # book (nach 7)
Durch Anwendung morphophonemischer Regeln ergibt sich der Satz The man has been reading the book. Das Symbol # wird verstanden als Wortgrenze, das Element C wird in 5 je nach den kontextuellen Beschränkungen in drei Morpheme expandiert. Die vorgeführte Ableitung enthält bereits mehrere Transformationen, die wie folgt formalisiert werden können 69 : 1. Numerustransformation: Strukturanalyse: X - C - Y i S im Kontext NP im Sing. Strukturwechsel: C -> | 0 in anderen Kontexten l Vergangenheit in beliebigen Kontexten 2. Auxiliartransformation: Strukturanalyse: X — Af — v — Y (dabei ist Af ein C, en oder ing, v ein M, V, have oder be) Strukturwechsel: X t - X 2 - X 3 - X 4 Xx - X 3 - X 2 # - X 4 3. Wortgrenzentransformation: Strukturanalyse: X - Y (dabei ist X =1= v, Y * Af) Strukturwechsel: X j - X 2 X j - # X2 Solche Regeln führen zu einer Vereinfachung der Grammatik im Gegensatz zur IC-Analyse. Auxiliarphrasen enthalten oft diskontinuierliche Konstituenten, die innerhalb der PS-Grammatik nur sehr schwer darstellbar sind und zu Überlappungen führen, vor allem — auf Grund des Rahmenbaues — im Deutschen (etwa: Ich habe ihn nach seiner Krankheit gestern wieder gesehen).10 Als drittes Beispiel für die Inadäquatheit der PS-Konzeption nennt Chomsky die Aktiv-Passiv-Beziehung, die bei der IC-Analyse zu einer uneleganten Duplikation führt (Uneleganz bedeutet in der generativen Grammatik soviel wie fehlende „simplicity") 71 . Mit Hilfe einer P a s s i v t r a n s f o r m a t i o n können beide Formen im Zusammenhang miteinander dargestellt werden: Wenn Sx ein grammatischer Satz ist von der Form NP t — Aux — V — NP 2 , dann ist auch S2 von der Form NP 2 — Aux + be + en — V — by + NPX ein grammatischer Satz: John — C — admire — sincerity admire — by + John).12
-> sincerity — C + be + en —
Die Darstellung dieser Erscheinungen verlangt eine neue Konzeption der linguistischen Struktur, die Chomsky „grammatische Transformation" nennt: Eine grammatische Transformation operiert mit einer gegebenen 69
Konstituentenstruktur und verwandelt diese in eine neue Kette mit einer abgeleiteten Konstituentenstruktur. 73 Eine Transformation ist definiert durch die Strukturanalyse der Ausgangskette und den Strukturwechsel, den sie bewirkt. 74 Chomsky unterscheidet zwischen o b l i g a t o r i s c h e n und f a k u l t a t i v e n („optional") Transformationen 75 : Die Numerus- oder die Auxiliartransformation m u ß angewendet werden, weil ohne sie kein grammatischer Satz entsteht. Die Passivtransformation dagegen ist nicht obligatorisch; denn ein grammatischer Satz entsteht auch, wenn sie nicht angewendet wird. Wir erhalten den Kern einer Sprache, wenn wir auf die terminalen Ketten der PS-Grammatik nur obligatorische Transformationen anwenden. Der Transformationsteil entsteht, wenn wir Transformationen auf Kernsätze oder vorherige Transformationen anwenden. Auf diese Weise wird jeder Satz der Sprache entweder zum Kern gehören oder vom Kern durch Transformationen abgeleitet werden können. 76 Im Unterschied zu Harris setzen also die Kernsätze bei Chomsky bereits Transformationen voraus, und zwar notwendige. Kernsätze sind bei Chomsky folglich nicht untransformierte Ketten des Formationsteiles (wie bei Harris), sondern sind Sätze, die durch PS-Regeln (Formationsregeln) u n d durch obligatorische Transformationen ableitbar sind. Die Grammatik hat nach Chomsky einen dreifachen Aufbau: In ihren drei „Repräsentationsebenen" umschließt sie Phrasenstrukturregeln, Transformationsregeln und morphophonemische Regeln (die die Morphem- in Phonemsequenzen umsetzen). 77 Die Transformationen können dabei — auch im Unterschied zu Harris — die Ketten verändern, können Morpheme hinzufügen oder weglassen.78 Die Transformationen leiten die Äußerungen letztlich von Kernsätzen ab. Mit Hilfe der Transformationsebene wird die Grammatik wesentlich vereinfacht, da wir Phrasenstrukturen nur noch von Kernsätzen zu entwickeln brauchen. Wie jede wissenschaftliche Theorie, so fußt auch die Grammatik auf einer beschränkten Menge von Beobachtungen. Sie setzt diese Beobachtungen in Beziehung zueinander und konstruiert allgemeine Gesetze zunächst in Form von Hypothesen. Auf Grund dieser Gesetze ist sie in der Lage, neue Phänomene vorherzusagen, eine unbeschränkte Anzahl von Sätzen über die beschränkten Beobachtungen hinaus zu erzeugen.79 Systematischer Maßstab für dieses Regelwerk ist immer die „simplicity" des Systems.80 3.3. Chomsky entwickelt eine Anzahl weiterer Transformationen im Englischen mit dem Ziel, die Anzahl der Kernsätze zu beschränken. Eine fakultative N e g a t i o n s t r a n s f o r m a t i o n wird wie folgt formalisiert 81 : Strukturanalyse: NP NP NP NP 70
-
C C C C
+ + +
V M have be -
Strukturwechsel: X t - X2 - X 3 X t - X 2 + not - X 3 {they — 0 + can — come -> they — 0 + can + n't — come) Diese einfache Regel — die im Grunde nur die Negationspartikel nach dem zweiten Segment einfügt — kompliziert sich aber, wenn kein Auxiliarkomplex vorkommt und folglich auch keine Auxiliartransformation durchgeführt werden kann, wenn das Element Af + v nicht vorhanden ist und deshalb nicht zu v + Af # transformiert werden kann, wenn also kein Modalverb als Träger des Verbalaffixes vorhanden ist: John — S — come
John — S + not — come
In solchen Fällen muß eine obligatorische rfo-Transformation ( # Af -> do + Af) 82 eingeführt werden; d.h.: Das Morphem do wird eingeführt als Träger eines bisher trägerlosen Affixes. Erst die Negations- und die doTransformation zusammen ergeben den grammatischen Satz John does not come. Damit ist die Negation auf transformationellem Wege im Englischen ziemlich leicht darzustellen. Im Deutschen dagegen ergeben sich bei der Stellung der Satznegation große Schwierigkeiten, die von der Grammatik bisher nicht befriedigend erklärt sind 83 : 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Ich liege nicht im Bett. Ich erhole mich an der Ostsee nicht. Er besucht mich heute nicht. Er besucht mich nicht bald. Er besucht mich nicht gern. Er besucht mich hoffentlich nicht. Er kommt wegen Krankheit nicht. 1 Er bestellt mich nicht zur Aussprache. J
1
beides Ortsbestimmungen beides Zeitbestimmungen beides Modalbestimmungen beides Kausalbestimmungen
Es kommt darauf an, zur Erklärung dieser Fälle bestimmte Regularitäten zu finden, da es sich um eine wesentliche Fehlerquelle im Deutschunterricht für Ausländer handelt. Weiterhin entwickelt Chomsky einige N o m i n a l i s i e r u n g s t r a n s f o r m a t i o n e n , etwa T — N — /i — Adj T + Adj + N 8 4 {The boy
is
tall
->• the
tall
boy)
Da die Transformation in dieser Richtung durchgeführt wird, vereinfacht sie die Grammatik, indem sie alle Adjektiv-Substantiv-Verbindungen aus dem Kern ausschließt. Allerdings müssen folgende Fälle unterschieden werden: 1. The child is sleeping. («- The child sleeps) 2. The book is interesting. (*- *The book interests.)
Beide Fälle unterscheiden sich auch in der Steigerung durch very, für die 71
Chomsky eine besondere Regel (Adj -* very + Adj) 8 5 in die PS-Grammatik einschließen will: 1. *The child is very sleeping. 2. The book is very interesting.
Deshalb wird nur interesting, nicht sleeping in die Liste der Adjektive aufgenommen. Auch im Deutschen ergeben sich auf Grund solcher Proben verschiedene strukturelle Klassen der Adjektive: solche, die nur prädikativ verwendet werden können, die nicht gesteigert werden können usw. 86 Das verschiedene Verhalten von sleeping und interesting spiegelt sich in einem verschiedenen Resultat; da nur seem + Adj möglich ist, gibt es zwar the book seems interesting, nicht aber the child seems sleeping.87 Auf diese Weise werden zunächst intuitiv getroffene Entscheidungen über Grammatikalität oder Ungrammatikalität durch die Transformationsgrammatik auf ihren strukturellen Ursprung zurückgeführt: Von den anfangs genannten 6 Beispielsätzen Chomskys erweisen sich 3 und 4 als grammatisch, 5 und 6 als ungrammatisch (die Frage unterliegt ähnlichen transformationeilen Gesetzlichkeiten wie die Negation 88 ). Ein sprachliches Verhalten, das in der PSGrammatik unmotivierbar erscheint, wird vom Gesichtspunkt der Transformationsgrammatik einfach und systematisch.89 Schließlich entwickelt Chomsky einige W o r t s t e l l u n g s t r a n s f o r m a t i o nen, ausgehend von folgenden Beispielen90: 1. 2. 3. 4.
The police brought in the criminal. The police brought the criminal in. The police brought him in. *The police brought in him.
Um 2 zu erlauben, fixiert er eine fakultative Transformation T ^ , mit der Strukturanalyse X — V t — P — NP (Satz 1) und dem Strukturwechsel zu X — Vi — NP — P (Satz 2). Um aber 3 zu erklären und 4 auszuschließen, muß die gleiche Transformation für obligatorisch erklärt werden, wenn die Nominalphrase (das Objekt) ein Pronomen ist: T„ P mit der Strukturanalyse X — Vj — P — Pron und dem Strukturwechsel zu X — V t — Pron — P. Die Passivtransformation muß vor diesen beiden Transformationen angewendet werden, damit die richtigen Passivformen generiert werden: 1. The criminal — was brought in — by the police. 2. He — was brought in — by the police.
Im Zusammenhang mit den Transformationen ergeben sich einige Probleme. Bei der Passivtransformation etwa muß geklärt werden, ob die Notwendigkeit besteht, die beiden Nominalphrasen zu vertauschen. Bestünde sie nicht, wäre NP t — Aux — V — NP 2 zu transformieren in NP t — Aux + be + en — V — by + NP 2 (John loves Mary -* John is loved by Mary). Diese Transformation muß aber auf Grund folgender Tatsachen abgelehnt werden 91 : 1. 2. 3. 4.
72
John admires sincerity. Sincerity is admired by John. *Sincerity admires John. *John is admired by sincerity.
1 und 2 sind grammatisch, 3 und 4 ungrammatisch, oder besser: 1 und 2 sind mehr grammatisch als 3 und 4, und diese wieder sind mehr grammatisch als etwa Sincerity admires eat. Es muß eine Stufenfolge der Grammatikalität entwickelt werden: Schon eine Grammatik, die in der Lage ist, Abstrakta von Eigennamen zu unterscheiden, kann den Unterschied zwischen 1 und 2 einerseits und 3 und 4 andererseits charakterisieren. Die Frage, warum das Aktiv und nicht das Passiv als Kernsatz und Ausgangsstruktur dient, beantwortet Chomsky völlig asemantisch, indem er die Unmöglichkeit des entgegengesetzten Weges zeigt 92 : 1. The wine was drunk by the guests. 2. John was drunk by midnight.
Beide Sätze wären — als Kernsätze aufgefaßt — strukturell nicht zu unterscheiden; aber eine Transformation von 2 ins Aktiv ergibt einen ungrammatischen Satz. Wir müssen folglich die Aktivsätze als Kern auffassen, wenn wir die einfachste Grammatik konstruieren wollen. Wie die Passivtransformation, so sind alle Transformationen Chomskys — im Unterschied zu Harris — unumkehrbar in dem Sinne, daß sie in einer Richtung leichter durchführbar sind. 93 Diese Unumkehrbarkeit ist also keine faktische, sondern eine operationeile im Sinne L. Hjelmslevs. Die Rolle der Transformationen in der Grammatik zeigt Chomsky an weiteren Beispielen: 1. John knew the boy studying in the library. 2. John found the boy studying in the library.
Im intuitiven Verständnis erscheinen diese Sätze als verschieden strukturiert, aber die PS-Grammatik kann ihnen keine verschiedene Struktur zuweisen (beide: N P — Verb — NP — ing + Verb). Unter der Passivtransformation jedoch verhalten sich beide Sätze verschieden: 1. 2. 3. 4.
The boy studying in the library was known (by John). The boy studying in the library was found (by John). The boy was found studying in the library (by John). *The boy was known studying in the library (by John).
Der aktive Satz 2 ermöglicht zwei Formen des Passivs, je nach der Analyse des Aktivs als John — found — the boy studying in the library (-> 2) oder als John — found studying in the library — the boy (->• 3). Der aktive Satz 1 dagegen kann nur als NP — V — N P interpretiert werden, da der Passivsatz 4 ungrammatisch ist. Erst mit Hilfe der Transformation erfahren wir auch exakt, daß ein Satz wie John came home nicht gedeutet werden kann als N P — V — NP, was wir freilich intuitiv-semantisch wissen, was aber erst mit Hilfe der Transformation formal expliziert wird. Da die entsprechende Passivtransformation den ungrammatischen Satz Home was come by John erzeugt, kann home nicht als Nominalphrase, sondern muß als Adverb interpretiert werden. In der Tat kann in manchen Fällen die Konstituentenstruktur erst durch Transformation festgelegt werden. 94 73
An dieser Stelle wird freilich eine gewisse Uneinheitlichkeit im methodischen Vorgehen Chomskys sichtbar. Auf der einen Seite definiert er Transformationen in Termini der Phrasenstruktur, auf der anderen Seite benutzt er zuweilen die Transformationen zur Zuschreibung der Phrasenstruktur. Chomsky ist sich dieses Widerspruchs durchaus bewußt geworden, nimmt ihn aber in Kauf um der „simplicity", des höchsten Zieles der Grammatik willen.95 3.4. Die erklärende Kraft der generativen Grammatik besteht darin, daß sie in der Lage sein muß, konstruktioneile Homonymien zu erklären; diese liegen vor, wenn eine Phonemsequenz auf einer Ebene in mehr als einer Art analysiert werden kann. Diese Fähigkeit muß als Kriterium für die Adäquatheit einer Grammatik angesehen werden. 96 Freilich gibt es Fälle, in denen bereits die PS-Grammatik die konstruktioneile Homonymie erklären kann. Dem Satz They are flying planes etwa können bereits dort zwei verschiedene P-Marker zugeschrieben werden 97 : Satz
NP
they
VP
are
flying
planes
flying
planes
Satz
they
are
Die Zweideutigkeit des Satzes I found the boy studying in the library konnte jedoch ohne transformationeile Kriterien nicht gezeigt werden; in jedem Falle geht er zurück auf die beiden Kernsätze I found the boy und The boy is studying in the library. Die Homonymie ergibt sich also nicht aus den Ausgangssätzen, sondern aus einer verschiedenen Anwendung von Transformationen. 98 74
Eine konstruktioneile Homonymie liegt auch vor in folgender Äußerung 1, die interpretiert werden kann wie 2 oder wie 3 9 9 : 1. The shooting of the hunters 2. The growling of the lions 3. The raising of the flowers
Die PS-Grammatik muß allen drei Äußerungen die gleiche Struktur zuweisen: the — V + ing — of + NP. Aber transformationeil werden 2 und 3 auf verschiedene Weise erklärt 100 : 2. NP - C - V (the lions growl) -»• the - V + ing - of + NP 3. NP t - C - V - NP 2 (John raises flowers) -» the — V + ing - of + NP 2 Die Äußerung 1 ist zweideutig, da sie die beiden verschiedenen transformationellen Ursprünge (den von 2 und den von 3) zuläßt. Die Äußerungen 2 und 3 aber sind nicht zweideutig, da they growl lions und flowers raise ungrammatisch sind. Hinter diesen Problemen verbirgt sich die alte Problematik des Genitivus subjectivus und objectivus, bei deren Unterscheidung freilich auch in der traditionellen Grammatik intuitive Transformationen mitgewirkt haben. Aber diese Intuitionen — die vorwiegend semantischen Ursprungs sind — werden jetzt formalisiert, und wir glauben, daß diese transformationelle Methode gerade für die Kasussyntax auch des Deutschen wertvolle Ergebnisse zeitigen kann, auch über die Unterscheidung der traditionellen Typen hinaus: die Beratung des Gesetzes X berät das Gesetz die Beratung des Parlaments -* das Parlament berät Karls Sicherheit -* Karl ist sicher die Kunst des Schreibens -*• das Schreiben ist eine Kunst der Vater des Kindes -* das Kind hat einen Vater usw.
3.5. Am Ende seines Buches „Syntactic Structures" wende t sich Chomsky dem vieldiskutierten Problem „Syntax und Semantik" zu. 101 Die Tatsache, daß manche zweideutigen Sätze auf der Transformationsebene eine verschiedene Darstellung erfahren, rechtfertigt eine unabhängige Beschreibung der Sprache in Begriffen der Transformationsstruktur. Um einen Satz zu verstehen, muß man den Kernsatz (genauer: die den Kernsätzen zugrunde liegenden terminalen Ketten) und die Transformationsgeschichte des gegebenen Satzes aus den Kernsätzen kennen. Der Prozeß des inhaltlichen Verstehens reduziert sich also auf die Erklärung der Kernsätze, aus denen sich die wirklichen Sätze durch Transformationen herleiten. Diese Theorie will Chomsky verstanden wissen als völlig formal und asemantisch. 102 Es sei viel unnötige Kraft verschwendet worden auf die — eo ipso falsch gestellte — Frage, ob man eine Grammatik ohne Bezug auf „meaning" konstruieren könne. Diese Frage schließt schon die falsche Voraussetzung ein, daß man eine Grammatik mit Bezug auf „meaning" 75
konstruieren könne. Die Frage, ob man eine Grammatik o h n e Bezug auf „meaning" aufbauen könne, steht nach Chomsky auf der gleichen Ebene mit der Frage, ob man eine Grammatik aufbauen könne ohne Bezug auf die Haarfarbe der Sprechenden. 103 Auf der anderen Seite ist es nicht zu leugnen, daß Intuitionen über die sprachliche Form für den Beschreibenden wertvoll sind; das Hauptziel der grammatischen Theorie ist es ja gerade, die obskuren Intuitionen zu ersetzen durch eine rigoros-objektive Methode. Dazu können aber Intuitionen über „meaning" nicht beitragen. Chomsky stellt noch einmal die wichtigsten Argumente derer zusammen, die Grammatik von „meaning" abhängig machen wollen 104 : 1. Zwei Äußerungen sind phonetisch verschieden, wenn — und nur wenn — sie in der Bedeutung differieren. 2. Morpheme sind die kleinsten bedeutungtragenden Einheiten. 3. Grammatische Sätze sind diejenigen, die semantische Bedeutung haben. 4. Die grammatische Beziehung Subjekt — Verb entspricht einer allgemeinen „strukturellen Bedeutung" („structural meaning") von Handlungsträger — Handlung („actor " — „action"). 5. Die grammatische Beziehung Verb — Objekt entspricht einer allgemeinen „strukturellen Bedeutung" von Handlung — Ziel der Handlung („action" — „goal"). 6. Ein aktiver und ein entsprechender passiver Satz sind synonym. Chomsky versucht, diese 6 Thesen zu widerlegen.105 1 ist leicht zu widerlegen durch die Existenz von Synonymen und Homonymen, 2 durch die Existenz solcher Morpheme wie do (Do you comel) oder to (/ want to go), 3 ist bereits eingangs widerlegt worden. Bei der Widerlegung von 4 bis 6 allerdings hat Chomsky offensichtliche Schwierigkeiten. Als Gegenargument gegen 4 nennt er Sätze wie Er empfing einen Brief oder Der Kampf hörte auf, die zeigen sollen, daß die grammatische Beziehung Subjekt — Verb keineswegs immer die strukturelle Bedeutung actor — action ausdrückt, „if meaning is taken seriously as a concept independent of grammar". 106 Hier zeigt sich ein Mißverständnis des Begriffes „structural meaning", der j a gerade n i c h t unabhängig von der Grammatik konzipiert worden ist — sowohl bei Ch. C. Fries für das Englische als auch bei H. Glinz für das Deutsche. In den von Chomsky genannten Fällen besteht zwar keine semantische Beziehung actor — action, wohl aber eine strukturelle Beziehung dieser Art. Anders ausgedrückt: Die von H. Glinz und Ch. C. Fries erarbeiteten „structural meanings" dürfen nicht semantisch mißverstanden werden (wie übrigens z. T. auch in der „funktionalen Grammatik"). Dasselbe gilt für die These 5, die Chomsky widerlegen will mit Sätzen wie Ich mißachte seine Inkompetenz oder Ich verpaßte den Zug, die nach Chomsky durchaus keine strukturelle Bedeutung Handlung — Ziel ausdrücken. 107 Gewiß drücken sie im semantischen Sinne kein Ziel aus, wohl aber — rein strukturell — das Ziel, auf das sich die im Verb ausgedrückte Handlung richtet. Man muß ganz 76
offensichtlich einen doppelten Zielbegriff unterscheiden, wie etwa beim Schießen: Das Ziel des Schießens ist einmal die Zielscheibe, es ist andererseits •die militärische Ertüchtigung. Das erste Ziel ist dem Schießen gleichsam immanent, das zweite nicht: Ich will mit dem Schießen etwas erreichen. Dem ersten Zielbegriff entspricht das immanent-sprachlich-strukturelle Ziel, dem zweiten Zielbegriff das semantische Ziel, das — wie namentlich H. Brinkmann gezeigt hat - im Deutschen nicht durch den Akkusativ, sondern durch den Dativ wiedergegeben wird. In einem Satz Ich erkläre dem Freund die These ist der Akkusativ strukturelles Ziel der Handlung (im Sinne von H. Glinz oder Ch. C. Fries), der Dativ semantisches Ziel (im Sinne von H. Brinkmann), das der Mensch durch seine Handlung erreichen will. Abgesehen von diesen Detailfragen ist Chomskys grundsätzliche Argumentation zu den genannten Thesen zwar paradox, aber doch wohl richtig. Ihre Verteidiger werfen ihren Gegnern vor, daß sie „meaning" mißachten. In Wahrheit — so meint Chomsky — ist es gerade umgekehrt: Wer eine Variante der genannten Thesen akzeptiert, versteht unter „meaning" jede Antwort auf sprachliche Impulse (im Sinne von L. Bloomfield), so daß der so weit gefaßte Begriff des „meaning" völlig bedeutungslos und uninteressant wird. Wer dagegen etwas von „meaning" hält, muß diese Deutung von „meaning" und die genannten Thesen ablehnen. 108 Diese Argumentation läßt für uns nur eine Interpretation zu: Die außersprachlich-behavioristische Fassung des Meaning-Begriffes durch L. Bloomfield, die „meaning" aus dem internen Bereich der Sprache verdrängt und aus der berühmten ReizReaktions-Formel erklärt, ist der letzte Grund für die Bedeutungsfeindlichkeit der Strukturalisten sowohl der distributionellen als auch der transformationeilen Schule. Natürlich will Chomsky nicht leugnen, daß gewisse Beziehungen zwischen den formalen und den semantischen Zügen einer Sprache existieren. Die genannten Thesen nennt er sogar „very nearly true". 109 Aber weil die Korrespondenzen nicht exakt genug sind, schlußfolgert Chomsky, daß „meaning" relativ nutzlos für eine grammatische Beschreibung ist. 110 Er betont ausdrücklich, daß man — im Sinne von R. Jakobson — nach der Erforschung der formalen Mittel deren semantische Funktionen betrachten müsse, daß man aber keineswegs semantische Begriffe benutzen dürfe, um die Objekte der Grammatik zu determinieren. 111 Die Grammatik wird vielmehr asemantisch bestimmt von der Phrasenstruktur und der Transformationsstruktur und erhält zusätzlich morphophonemische Regeln, die die Morphemketten in Phonemketten verwandeln. 112 Chomskys Grammatik soll als asemantisch-strukturelle Neuformulierung des Teiles von „meaning" verstanden werden, der sich mit den „structural meanings" beschäftigt. Damit wird der Begriff „meaning" vermieden, der ja — wie Chomsky meint — ohnehin zum Auffangbegriff für alles das in der Sprache geworden ist, worüber wir wenig wissen. Es ist nach Chomsky fragwürdig, den grammatischen Kategorien „structural meanings" zuzusprechen, weil das eine systematische Verwendung der grammatischen Mittel, gleichsam eine 1:1Entsprechung von Form und Funktion voraussetzt. 113 77
3.6. Zusammenfassend kann zur Entwicklung der Transformationsgrammatik, wie sie sich in Chomskys „Syntactic Structures" niederschlägt, folgendes gesagt werden: 3.6.1.Die generative Grammatik Chomskys ist keine bloße Kollektion von Tatsachen, sondern geht über ein solches vorwissenschaftliches Stadium hinaus wie im Grunde jede Wissenschaft, die abstrakte Theorien einführen und ihre verallgemeinernde und vorhersagende Kraft an den Tatsachen beweisen muß. Chomsky hat selbst betont 114 , daß seine generative Grammatik mehr ist als ein bloß distributionelles Verzeichnis von Phonemen, Morphemen usw., daß sie vielmehr ein System von expliziten Regeln darstellt, die jeder Phonemfolge einer gegebenen Sprache (nicht nur den zusammengetragenen Beispielen aus einem Text) eine strukturelle Beschreibung auf verschiedenen Ebenen zuweisen, die ein Maximum an Information vor allem über die Grammatikalität eines Satzes und über die Abweichungen von dieser Grammatikalität garantiert. 3.6.2.Die generative Grammatik steht damit im Gegensatz zu den taxonomisch-distributiven Grammatiken, die nur Tatsachen katalogisieren. Sie ist eine rigorose Explizierung unserer Intuitionen über die Sprache in einem axiomatischen System, das in der Lage sein muß, nicht nur bestimmte Sätze eines gegebenen Textes zu interpretieren, sondern alle Sätze einer Sprache zu generieren einschließlich derer, die bisher nicht geäußert worden sind, aber geäußert werden können. Die generative Grammatik ist eine einfache Maschine, die alle und nur die grammatischen Sätze einer Sprache generiert. Sie beschreibt nicht die schon gegebenen Sprech- oder Schreibereignisse (wie das die traditionelle Philologie mit gegebenen Texten und die modernen Deskriptivisten mit Tonbandaufnahmen tun), sondern sie beschreibt die intuitiven Auffassungen der Sprecher über die Form von grammatisch richtigen Sätzen, die jenen Sprech- und Schreibereignissen überhaupt erst zugrunde liegen. Eine Sammlung möglichst vieler „belegter" Stellen — oft sogar als Hauptbestandteil linguistischer Arbeiten — kann dazu nur wenig beitragen, da die Bereitstellung von solchen Sammlungen im Grunde nichts erklärt, keine Zusammenhänge einsichtig macht und keinerlei Feststellungen über Grammatikalität oder bestimmte Regularitäten enthält. 115 Es ist ein Irrtum, wenn man glaubt, eine wissenschaftliche Theorie in den Tatsachen selbst finden zu können. Bloßes Sammeln von Tatsachen bringt kein Licht in sie und kann erst recht keine neuen Tatsachen vorhersagen; aber gerade darauf kommt es der generativen Grammatik an. 116 3.6.3.Damit kann die Rolle von „Syntactic Structures" in der Entwicklung des amerikanischen Strukturalismus bestimmt werden. R. Lees 117 hat betont, daß der Hauptbeitrag des Bloomfieldschen Strukturalismus darin besteht, vage semantische Definitionen durch präzise formale Definitionen — namentlich der Wortklassen — ersetzt zu haben. Aber diese erste Stufe (die 78
wir etwa bei Ch. C. Fries ausgebildet finden) genügte bald nicht mehr, weil mit dem bloßen Segmentieren und Klassifizieren nicht viel gewonnen war. Gleichsam auf zweiter Stufe bildete sich die IC-Analyse heraus, die aber ihrerseits zur Erklärung bestimmter Homonymien nicht ausreichte. So entwickelte sich — auf dritter Stufe — neben der Formations- eine Transformationsgrammatik. Auf diese Weise ist die Transformationsgrammatik Chomskys eine notwendige Folge des Bloomfieldschen Strukturalismus. Sie ist aber zugleich auch dessen Aufhebung. Davon zeugt nicht nur die Absage an die katalogisierenden distributionellen Methoden, sondern auch der offensichtliche Gegensatz zwischen amerikanischen Strukturalisten und Transformationalisten. 118 Auf die Spitze getrieben hat diesen Gegensatz neuerdings J. J. Katz 119 , indem er ein Tabu des amerikanischen Strukturalismus beseitigt und den von L. Bloomfield aus der Sprachbeschreibung ausgeschlossenen Mentalismus nicht nur rehabilitiert, sondern sogar als leistungsfähiger ansieht als den Bloomfieldschen Physikalismus, der sich in den taxonomischen Grammatiken niedergeschlagen hatte. 3.6.4.Chomsky stellt folgende Bedingungen an seine Grammatik 120 : Die erste Bedingung ist die der „simplicity", d. h. die Benutzung eines Minimums an Symbolen zur Erklärung eines Maximums an sprachlichen Fakten. Die zweite Bedingung besteht in der generativen Kraft: Eine Grammatik kann nur dann eine wirkliche Beschreibung genannt werden, wenn sie automatisch alle grammatischen Sätze einer Sprache und nur diese generiert. Drittens schließlich muß die Grammatik unser intuitives Verständnis sprachlicher Erscheinungen formalisieren, also beispielsweise zweideutigen Sätzen verschiedene Beschreibungen zuweisen. 3.6.5.Das wesentliche Ergebnis von „Syntactic Structures" ist die Entdeckung einer neuen Ebene der linguistischen Struktur. 121 Diese neue Ebene ist die Transformationsebene, auf der manche Probleme lösbar sind, die auf der Phrasenstrukturebene nicht zu lösen sind. Dadurch brauchen die Phrasenstrukturregeln nur noch auf ein Zentrum von wenigen Kernsätzen angewandt zu werden, aus denen mit Hilfe von Transformationen alle anderen Sätze mit abgeleiteten Konstituentenstrukturen entwickelt werden. Freilich ist die Transformationsebene nicht völlig neu; denn einmal knüpft Chomsky an Harris an und zum anderen hat es — wenn auch in intuitiver Form — Transformationen bereits in der traditionellen Grammatik gegeben. Aber die von Chomsky entwickelten Transformationen sind ein systematisches, formalisiertes Regelwerk und stehen unter einem geschlossenen generativen Aspekt. 3.6.6.Dabei muß ein verbreiteter Irrtum zurückgewiesen werden: Transformationsgrammatik und generative Grammatik sind nicht dasselbe. 122 Chomsky hat gezeigt, daß das Transformationsmodell nur eine Möglichkeit 79
der generativen Grammatik (neben dem kommunikationstheoretischen und dem PS-Modell) darstellt, daß seine generative Grammatik nicht nur Transformationsregeln, sondern auch PS-Regeln und morphophonemische Regeln umfaßt. Wenn die generative Grammatik auf der einen Seite mehr ist als die Transformationsgrammatik, so ist sie auf der anderen Seite zugleich auch weniger; denn Transformationen sind entwickelt worden auch außerhalb der generativen Grammatik, und der Transformationsbegriff ist somit durch das System der generativen Grammatik auch in bestimmter Weise begrenzt worden. Außer den Transformationen bei Harris und R. Lees sind auch die Verschiebe- und Weglaßprobe bei H. Glinz als bescheidene Transformationen anzusprechen; überdies sind „Testtransformationen" (G. F. Meier) auch außerhalb der generativen Grammatik ein wertvolles Mittel zur Erkenntnis sprachlicher Regularitäten und deshalb nicht zuletzt auch für den Fremdsprachenunterricht geeignet. 3.6.7. Etwas genauer muß hingewiesen werden auf den Unterschied im Transformationsbegriff bei Harris und Chomsky 123 , zumal manche Linguisten den Transformationsbegriff gebrauchen, ohne ihn genauer festzulegen. Für Harris ist die Transformation eine Äquivalenzbeziehung zwischen zwei Sätzen mit gleichen syntaktischen Umgebungen; diese Transformationen sind meist umkehrbar. Chomskys Transformationen dagegen sind abstrakte Regeln innerhalb der generativen Grammatik, mit deren Hilfe alle grammatischen Sätze einer Sprache generiert werden können; sie sind deshalb auch nicht umkehrbar. Daraus folgt, daß bei Chomsky — im Unterschied zu Harris — bereits Transformationen (obligatorischer Art) in den Kernsätzen enthalten sind. Bei Harris dagegen sind die Transformationen Äquivalenzbeziehungen zwischen bereits vorhandenen, gleichsam fertigen Sätzen der Sprache, zwischen den Endketten des Formationsteils, die es nicht zulassen, Elemente hinzuzufügen oder wegzulassen, die also den gleichen Bestand von Kookkurrenzen haben. Wenn aber Chomsky etwa von einer Numerustransformation spricht (ohne die es keinen wirklichen Satz in der Sprache gibt), erhebt sich unwillkürlich die Frage, ob es überhaupt Kernsätze ohne obligatorische Transformationen gibt, ob der Begriff Kernsatz überhaupt noch einen exakten Sinn hat. 124 Jedenfalls sind bei Chomsky Transformationen nicht immer Beziehungen zwischen fertigen Sätzen bzw. Endketten (das sind sie manchmal auch, etwa bei Passiv- oder Konjunktionstransformationen), sondern manchmal auch zwischen dem strukturierten Baumaterial und den aus ihm generierten Morphemsequenzen, die durch die Anwendung morphophonemischer Regeln erst zu Sätzen werden (etwa bei der Numerus- oder bei der Jo-Transformation). Aus diesem nichtdistributiven, generativen Ausgangspunkt Chomskys ergibt sich eine gewisse Auflockerung des Transformationsbegriffs. Wieder stärker an Harris scheint sich der Transformationsbegriff von R. Lees anzunähern, der offensichtlich auch unter Kernsätzen Endketten des Formationsteils versteht und nicht davon spricht, daß Kernsätze obligatorische Transformationen durchlaufen haben müssen. 12S 80
3.6.8. Unter den von Harris und Chomsky entwickelten Transformationen können praktisch verschiedene Typen unterschieden werden 1 2 6 : 1. obligatorische und fakultative Transformationen (diese Unterscheidung ist für Chomskys Konzeption nötig, für Harris nicht); 2. Transformationen, bei denen die Struktur und die Umgebungen erhalten bleiben (Passivtransformation), und solche, bei denen Elemente hinzugefügt oder weggelassen werden (Negationstransformation); 3. Transformationen, die innerhalb einer Struktur vorgenommen werden, und solche, bei denen aus zwei Strukturen eine n e u e entsteht (Konjunktionstransformation); 4. Transformationen ohne (Passivtransformation) und mit Wortartwechsel (alle Nominalisierungstransformationen). 3.6.9. Schließlich gibt es in der Transformationsgrammatik noch einige nicht völlig geklärte Fragen. Manche Strukturen werden als parallel empfunden, so daß es nicht eindeutig ist, welche als Ursprung und welche als Ziel anzusehen ist. Spricht man in der generativen Grammatik von unumkehrbaren Transformationen, werden einige Transformationen ausgeschlossen (etwa Adverbialisierungs- oder Vergleichstransformation), die für die Analyse fruchtbar sind. Nicht einhellig geklärt ist in diesem Stadium der generativen Grammatik auch die Frage, inwieweit durch Transformationen die Bedeutung verändert werden kann (nicht bei der Passiv-, wohl aber bei der Verneinungs- oder Fragetransformation). 3.6.10. Überhaupt muß noch etwas gesagt werden zum Meaning-Begriff, den Chomsky völlig aus der grammatischen Beschreibung ausschließen will. Er ist im Recht insofern, als der Meaning-Begriff tatsächlich vieldeutig geworden und damit zur linguistischen Analyse wenig geeignet ist. Er ist aber im Unrecht insofern, als damit zwar ein mehrdeutiger Begriff beseitigt wird, nicht aber die verschiedenen Sachverhalte, die von diesem Begriff widergespiegelt werden: Hinter dem Meaning-Begriff verbergen sich sehr verschiedene Sachverhalte (innersprachlicher Inhalt im Sinne L. Weisgerbers, außersprachliche Referenz, differenzielle Bedeutung, Informantenantwort, Distribution im Sinne von Harris u. a.), denen nicht damit gedient ist, daß man sie aus der Betrachtung ausschließt. Dasselbe wie für den Meaning-Begriff gilt auch für den Begriff der „Funktion", für den wenig gewonnen ist, wenn man ihn — wie es L. Weisgerber vorschlägt 127 — aus der linguistischen Beschreibung ausschließt, weil er zu vieldeutig ist. Es kommt vielmehr darauf an, die von ihm bezeichneten Sachverhalte genau zu differenzieren und auf diese Weise der Beschreibung nutzbar zu machen. 3.6.11. Da das Transformationsmodell in der Strukturbeschreibung dem PS-Modell verhaftet bleibt, hält es auch am traditionellen Binaritätsgedanken fest. Die beiden Teile, in die der Satz segmentiert wird, nennt die generative Grammatik zwar nicht mehr Subjekt und Prädikat, sondern Nominalphrase und Verbalphrase; hinter ihnen verbirgt sich aber — wenn 6
Probi, der Sprachwissenschaft
81
auch nicht funktional, so doch kategorial — im Grunde dasselbe. Diese These von der Binarität des Satzes darf aber nicht als völlig gesichert gelten, zumal angesichts neuerer Konzeptionen der Relationslogik (etwa a R b c) und der Abhängigkeitsgrammatik, die den Satz vom Verb her aufbauen und die verschiedenen Größen als Mitspieler (oder Argumente) ansehen, die die strukturell möglichen Plätze um das Verb (dem logischen Funktor) besetzen. 3.6.12. Ebenso überwunden ist der Binaritätsgedanke in der generativen Transformationsgrammatik der Schule Schaumjans, deren Modell sich — beruhend allein auf Dominationsbeziehungen — wie folgt darstellt 128 : [(D1 < A) < N] < (V > D 2 ) Das Verb V ist das absolut dominierende Glied des Satzes; das Substantiv N ist dem Verb untergeordnet, aber noch immer ein dominierendes Glied ersten Ranges. Dagegen ist das Adjektiv A, das dem Substantiv untergeordnet ist, nur ein dominierendes Glied zweiten Ranges. Ein Adverb kann als D t dem Adjektiv untergeordnet sein oder als D 2 mit dem Verb zusammen als dominierend für den ganzen Satz gelten. Deutsches Beispiel: Der sehr begabte Schüler lernt fleißig. 4. 4.1. Zum Schluß muß noch eine Weiterentwicklung des Transformationsbegriffes in der generativen Grammatik skizziert werden, wie sie Chomsky vor allem in seiner noch ungedruckten Arbeit über „ C a t e g o r i e s and R e l a t i o n s in S y n t a c t i c T h e o r y " 1 2 9 vorgenommen hat. Die syntaktische Komponente der Grammatik wird jetzt spezifiziert in eine Tiefenstruktur — als Grundlage für die semantische Interpretation — und in eine Oberflächenstruktur — als Grundlage für die phonologische Interpretation. 130 Chomsky wirft der strukturell-taxonomischen Grammatik vor, daß sie die Oberflächen- und Tiefenstruktur der Sprache gleichsetzt.131 Damit wird die Differenzierung Hocketts zwischen „deep grammar" und „surface grammar" 1 3 2 für die generative Grammatik fruchtbar gemacht. Diese neue Unterscheidung deckt sich nicht mit der alten Unterscheidung zwischen Phrasenstruktur- und Transformationsgrammatik, sondern überschneidet sich mit ihr. Auf Grund dieser Unterscheidung bestimmt jetzt Chomsky — und mit ihm P. Postal/J. J. Katz 133 — die Rolle der Transformationen neu: Während die IC-Analyse nur der Oberflächenstruktur gerecht wird, leiten die Transformationen die Oberflächenstruktur aus der Tiefenstruktur ab. 1 3 4 Dabei wird die Tiefenstruktur mit Hilfe von „base phrase markers" beschrieben; aus diesen werden mit Hilfe von Transformationen die abgeleiteten P-Marker gewonnen. Die „base phrase markers" sind die Basis der Grammatik und konstituieren die Tiefenstruktur. Jedem Satz liegen eine Reihe solcher Basis-P-Marker zugrunde, aus denen mit Hilfe von Transformationen die Oberflächenstruktur der Sätze generiert wird. 135 Unter den 82
Sätzen, die nur einen einzigen Basis-P-Marker haben, gibt es eine Teilmenge, die nur ein Minimum an Transformationen für ihre Generierung fordert. Diese Teilmenge sind die Kernsätze, die aber — wie Chomsky jetzt selbst eingesteht — rein intuitiv abgegrenzt werden. Damit verliert der Begriff des Kernsatzes die beherrschende Rolle. Wesentlich dagegen wird — neben der ersten Unterscheidung zwischen Oberflächen- und Tiefenstruktur — die zweite Unterscheidung zwischen Satz und P-Marker (jedem Satz werden in der Tiefenstruktur mehrere Basis-P-Marker zugeordnet) und damit verbunden die neue Rolle der Transformationen in der generativen Grammatik. Nach diesen Unterscheidungen prüft Chomsky den Informationswert der traditionellen Grammatik, den er für recht hoch ansieht, da sie folgende Informationen enthält: 136 1. kategoriale Information (Aufgliederung eines Satzes in NP, VP, V usw., wie die alten Glieder von der PS-Grammatik neu interpretiert worden sind); 2. funktionale Interpretation (ein Glied fungiert als Subjekt von, als Objekt von ...); 3. semantische Interpretation (abstrakt, zählbar, belebt usw.). Interessant ist dabei der Begriff der grammatischen Funktion, der bisher von der generativen Grammatik ausgeklammert wurde. Funktionen dürfen nicht verwechselt werden mit den grammatischen Kategorien (die die Relation ,istein'repräsentieren 137 );sie sind (Subjekt von, Objekt von) grundsätzlich Relationen der Tiefenstruktur: Im Satz A wurde von B überredet zu gehen wäre also B Subjekt von überreden, A Objekt von überreden und Subjekt von gehen.138 Wesentlich ist, 1. daß diese Funktionen gleichsam semantischen und keinen strukturellen Oberflächencharakter tragen (im Gegensatz zu Ch. C. Fries, H. Glinz u. a.); 2. daß diese Funktionen immer Relationen sind; deshalb muß — vor allem bei verwickeiteren Beziehungen — immer angegeben werden „Subjekt von", „Objekt v o n " usw. Damit erscheint das traditionelle „logische Subjekt" bei Chomsky als Subjekt der Basisstruktur (auf das es Chomsky allein ankommt), das traditionelle „grammatische Subjekt" als Subjekt der Oberflächenstruktur (auf das es H. Glinz und Ch. C. Fries allein ankommt). Allerdings — so scheint es uns — ist die Problematik des grammatischen und logischen Subjekts damit wohl noch nicht völlig gelöst. Wohl kann ich einen Satz wie Der Hund wird geschlagen (Hund = grammatisches Subjekt) transformationeil zurückführen auf X schlägt den Hund (Hund — logisches Objekt, d. h. Objekt der Tiefenstruktur), nicht aber einen Satz wie Es gelingt dem Freund {Freund — grammatisches Objekt = logisches Subjekt, vgl. He succeeds, Il réussit), bei dem es mit dem gleichen Wort kaum eine entsprechende Transformation im Deutschen gibt. 6»
Die Tatsache, daß die Tiefenstruktur (mit den grammatischen Funktionen) von der Oberflächenstruktur verschieden ist, ist für Chomsky die primäre Motivation und Rechtfertigung für die neue Theorie der Transformationsgrammatik. 139 Die funktionale Information hält Chomsky dabei für redundant, da sie bereits in der kategorialen Information der Basis-P-Marker enthalten ist und aus dem kategorialen Stammbaum (der Tiefenstruktur) ersehen werden kann. 140 4.2. Als Beispiel für die neue Rolle der Transformationen soll der Satz The man who persuaded John to be examined by a specialist was fired vorgeführt werden 141 ; der drei Basis-P-Marker enthält:
NP
Predicate Phrase
past
V
I
fire
NP
D
Manner
N
by
/\
passive
the 5 man Das heißt: The man (who ...) was fired by ... NP (als Subjekt von fire) ist nicht ausgedrückt; S ist ein potentieller Satz, der an der angegebenen Stelle substituiert werden muß.
A Das heißt: The man persuaded John (of...) A bedeutet ein unspezifiziertes Element (hier: John), das später ohnehin durch Transformation weggelassen wird. 84
Predicate Phrase
D
N
a
specialist
nom.
V
NP
examine
N
Manner passive
by
John Das heißt: A specialist examined John. nom. charakterisiert den Zeit- bzw. Modalbezug, hier die Nominalform des Inf. Pass, (be examined). Die Transformationsgeschichte des gesamten Satzes wird in Form eines „Transformation-Markers" (T-Marker im Unterschied zum P-Marker!) festgehalten 142 :
Dieser T-Marker enthält sämtliche Schritte, die bei der Generierung der Oberflächenstruktur des Gesamtsatzes aus der Tiefenstruktur der drei Basissätze (besser: Basis-P-Marker) gegangen werden müssen: 1. Auf den P-Marker 3 ist die Passivtransformation (Tp) anzuwenden. 2. Das gewonnene Resultat ist durch Substitutions- bzw. Einbettungstransformation (T e ) in den P-Marker 2, und zwar für S einzubetten. Wir erhalten: The man persuaded John of John being examined by a
specialist.
3. Im gewonnenen Resultat muß das wiederholte John eliminiert werden durch TD (Eliminierungstransformation bzw. „DeletingTransformation"). 4. Im gewonnenen Satz wird of A nom ersetzt durch to (Tt0). Wir erhalten folgenden Satz: The man persuaded John to be examined by a
specialist.
5. Dieser Satz wird eingebettet in die Position von S in den P-Marker 1 (TE).
6. Eine Relativtransformation TR ersetzt the man durch who, so daß an dieser Stelle entsteht: fired the man who persuaded John to be examined by a specialist
(by
passive).
7. Auf diesen Satz wird die Passivtransformation Tp angewendet. 8. Schließlich wird das Agens eliminiert (TAD). 85
Im Unterschied zu „Syntactic Structures" hält Chomsky jetzt die Phrasenstrukturgrammatik als Grundlage für die Transformationsgrammatik nicht mehr für geeignet. 143 Die Grammatik soll vielmehr jetzt drei Komponenten enthalten 144 : 1. Verzweigungsregeln: S NP + Aux + VP ... 2. Subkategorisierungsregeln: N -»• [+ N, + Count, ± Common ...] 3. Lexikon: sincerity -* [+ N, — Count, + Abstract ...] Im Unterschied zur taxonomischen PS-Grammatik werden komplexe Symbole eingeführt. Eine Grammatik mit solchen komplexen Symbolen ist eine Art Transformationsgrammatik, keine Version der PS-Grammatik mehr. 145 Eine grammatische Transformation wird nun verstanden als Regel, die auf die gesamten P-Marker angewandt wird, nicht nur auf bestimmte Ketten. 146 Chomsky hält es jetzt für einen Irrtum, daß man früher angenommen hatte, die Basis der Transformationsgrammatik solle sich auf ein System von PS-Regeln beschränken. 147 Die Basis der Grammatik ist nicht länger identisch mit der PS-Grammatik, sondern enthält bereits die genannten Kategorisierungsregeln (Verzweigungsregeln und Subkategorisierungsregeln) sowie ein Lexikon. Sowohl mit den komplexen Subkategorisierungssymbolen als auch mit dem Lexikon sind bestimmte Prinzipien der PSGrammatik durchbrochen, die eine besondere Behandlung des Lexikons verlangt. Innerhalb der Subkategorisierungsregeln unterscheidet Chomsky zwei Arten 1 4 8 : 1. strenge Subkategorisierungsregeln (die für jedes Wort die syntaktisch-kategoriale Umgebung festlegen, etwa — Adj, — that, — S„); 2. Selektionsregeln (die für jedes Wort die Umgebung in Begriffen wie —belebt, —abstrakt, —zählbar festlegen). Die strengen Subkategorisierungsregeln arbeiten mit kategorialen Symbolen (NP, VP u. a.), die Selektionsregeln legen die syntaktischen Merkmale fest, drücken also Distributions- oder Kookkurrenzbeschränkungen im Sinne von Harris aus. Beispiele für die strengen Subkategorisierungsregeln: look [+ V + Präp. Phrase, + Adj, + like Präd.-Nomen] (d. h.: He looks at the book, he looks sad, he looks like my friend) believe [+ V + NP, + that S] (d. h.: He believes him, he believes that he comes.) Wir halten die Einführung solcher Subkategorisierungsregeln auch für den Fremdsprachenunterricht für sehr wesentlich, da auch im Deutschen gerade auf diesem Gebiet dem Ausländer viele Fehler unterlaufen. Dabei ist es von keiner primären Bedeutung — für die linguistische Beschreibung und 86
erst recht für methodische Zwecke der Fremdsprachenvermittlung —, ob diese Selektionsregeln der Syntax eingegliedert werden — wie bei Chomsky — oder ob sie der Semantik zugesprochen werden. 149 4.3. In unserem vorgeführten Beispiel war die Tiefenstruktur (d. h. die Basis des Satzes) in den drei P-Markern und dem T-Marker gegeben; die Oberflächenstruktur ist der abgeleitete P-Marker, der als Resultat aller im T-Marker enthaltenen Operationen entsteht. 150 Der einzige semantische Gehalt der Transformationen ist es, die P-Marker zu verbinden. Transformationen dürfen deshalb keine bedeutungtragenden Elemente einführen oder weglassen151; das wird jetzt klarer ausgesprochen als früher. Die syntaktische Komponente der Grammatik besteht für Chomsky jetzt aus einer Basis, die die Tiefenstruktur generiert, und einem Transformationsteil, der diese Tiefenstruktur in Oberflächenstrukturen verwandelt. 152 Die Tiefenstruktur muß semantisch, die Oberflächenstruktur phonologisch interpretiert werden. Die gesamte Grammatik enthält somit eine syntaktische, eine semantische und eine phonologische Komponente. 153 Davon sind die semantische und die phonologische Komponente nur interpretativ, nicht generierend. 154 Die Tiefenstrukturen werden von Chomsky definiert als „structures generated by the base component" 155 . Die Tiefenstrukturen drücken den semantischen Inhalt eines Satzes aus, die Oberflächenstrukturen bestimmen die Form des Satzes. 156 Damit dürfte der wesentlichste Unterschied zur früheren Fassung des Transformationsbegriffes genannt sein: Während früher die Transformationen generativ waren (d. h. aus einer beschränkten Anzahl von Kernsätzen alle Sätze ableiten sollten), sind sie jetzt nur noch interpretativ: Sie interpretieren die Oberflächenstrukturen, indem sie diese auf Tiefenstrukturen zurückführen; sie verwandeln die abstrakte Tiefenstruktur in die konkrete Oberflächenstruktur. 157 Sie sind damit nicht eigentlich ein Schöpfer, sondern eher ein Filter, durch den nur bestimmte P-Marker als Tiefenstrukturen sichtbar gemacht werden. 158 4.4. Wesentlich sind schließlich Chomskys Ausführungen zu den verschiedenen Graden der Grammatikalität. 159 Chomsky unterscheidet — entsprechend den in die syntaktische Komponente neu eingebauten Regeln — beim Normalsatz Sincerity may frighten the boy drei Stufen der Verletzung der Grammatikalität 160 : 1. Verletzung der grammatischen Kategorie: Sincerity may vir tue the boy.
(das Verb ist durch ein Nicht-Verb ersetzt); 2. Verletzung der strengen Subkategorisierungsregeln: Sincerity may ellapse
the boy.
Sincerity may admire
the boy.
(das transitive Verb ist durch ein intransitives ersetzt); 3. Verletzung der Selektionsregeln: (das transitive Verb ist durch ein anderes transitives Verb ersetzt, das aber kein abstraktes Subjekt zuläßt). 87
Die Abweichung von der Grammatikalität ist bei 1 am größten, bei 2 weniger groß, bei 3 noch geringer. Immerhin bleibt auch die Verletzung der Selektionsregeln ein Verstoß gegen die Grammatikalität: In einem Satz Er ist so traurig wie das Buch, das er gelesen hat ist die Oberflächenstruktur nicht „well-formed", da das Adjektiv nicht in völlig identischen Umgebungen vorkommt (einmal in der Umgebung + belebt, das andere Mal in der Umgebung —belebt). 161 Darum erscheint es Chomsky besser, die Selektionsregeln nicht in die semantische, sondern in die syntaktische Komponente einzubeziehen. 162 Aber abgesehen von dieser Zuordnung, ist die Unterscheidung verschiedener Stufen der Grammatikalität auch methodisch außerordentlich fruchtbar, wenn man etwa an Diskussionen um Fehlerbewertungsmaßstäbe denkt, an die ewig fließende Grenze zwischen grammatischen Fehlern und solchen der Wortwahl. Solche Entscheidungen können nur auf dem Boden fundierter linguistischer Überlegungen getroffen werden; andernfalls sinken Diskussionen darüber zu einem hoffnungslosen intuitiv-praktizistischen Erfahrungsgeschwätz hinab, werden uninteressant und bleiben fruchtlos. 4.5. Wir dürfen den wesentlichen Gehalt dieser jüngeren Entwicklung von Chomskys Transformationstheorie zusammenfassen und in die Entwicklung der linguistischen Methodologie hineinstellen: 1. Das Wesen der Transformationen wird neu festgelegt durch die Unterscheidung von O b e r f l ä c h e n - und T i e f e n s t r u k t u r . Da die Transformationen die Oberflächenstruktur aus der Tiefenstrukturherleiten, machen sie, im Unterschied zu Harris und auch zu „Syntactic Structures", semantische Gegebenheiten sichtbar. 1 6 3 2. Damit wird der Unterschied zu den strukturell-distributiven Grammatiken (etwa in der Art von Harris) sehr deutlich. Während jene analytisch-induktiv verfahren, d. h. ein System nach bestimmten Regeln aus einem Text induzieren, arbeitet die generative Grammatik Chomskys eher s y n t h e t i s c h - d e d u k t i v 1 6 4 : Das System wird nicht aus einem Text induziert, die Texte werden vielmehr aus dem System deduziert. Die generative Grammatik wird nicht kontrolliert durch Texte, sondern durch ihre Ergebnisse, durch ihre Adäquatheit. Der Satz ist nicht nur das Objekt, sondern zugleich auch das Ergebnis der generativen Grammatik. Die Adäquatheit der Beschreibung wird zum entscheidenden Kriterium der Grammatik. 3. Für diese A d ä q u a t h e i t hat Chomsky an anderer Stelle 165 eine Stufenfolge entwickelt und zwischen Beobachtungs-, Beschreibungs- und erklärender Adäquatheit unterschieden. 166 Dabei entspricht der Unterschied zwischen Beobachtungs- und Beschreibungsadäquatheit etwa dem von Hocketts Oberflächen- und Tiefengrammatik. Die erklärende Adäquatheit als höchste Stufe soll ein Kriterium für die Beurteilung und Auswahl von Grammatiken liefern. 88
4. Mit dieser Reihenfolge der Adäquatheit ist zugleich eine bestimmte W e r t u n g verbunden: Chomsky meint, daß sich die strukturelle Distributionsgrammatik auf der niedersten Stufe der Beobachtungsadäquatheit befindet, daß aber die traditionelle Grammatik die Stufe der beschreibenden Adäquatheit erreicht. Damit wird eine deutliche Rückwendung der modernen generativen Grammatik zur traditionellen Linguistik und ein Gegensatz zum deskriptiven Strukturalismus sichtbar. Chomsky begreift seine generative Transformationsgrammatik jetzt gleichsam als Selbstaufhebung der strukturellen Linguistik der deskriptiven Schule. 5. Der konkrete A u s g a n g s p u n k t für diese Kontroverse war die Deutung zweier Genitive durch den traditionellen Grammatiker O. Jespersen (the doctor's house — the doctor's arrival).167 O. Jespersen hatte diese beiden Genitive verschieden gedeutet, war aber von dem Strukturalisten E. Nida dafür angegriffen worden, da die beiden Genitive strukturell — d. h. in der Oberflächenstruktur — gleich seien. Chomsky ergreift jetzt die Partei Jespersens gegen Nida, da Jespersens Analyse mehr Information enthalte. 6. Ein Ausdruck dieser Kontroverse ist ein verschiedener F u n k tionsbegriff: Die Strukturalisten im engeren Sinne (vor allem Harris und Ch. C. Fries) verstehen unter der Funktion eines Elements seine Position (d. h. seine Distribution und Umgebung in der Oberflächenstruktur); für Chomsky dagegen ist die Funktion eine Relation in der Tiefenstruktur. 7. Die Bedeutung der Transformationen ist an anderer Stelle von S. K. Schaumjan 1 6 8 umrissen worden: Wie jede abstrakte Wissenschaft, so hat auch die Linguistik eine dichotomische Struktur und besteht aus einer Stufe der Beobachtung und einer Stufe der theoretischen Konstrukta. 1 6 9 Mit Hilfe der letzteren, d. h. mit Hilfe der Transformationen können bestimmte Dinge erkannt werden, die auf der Stufe der direkten Beobachtung nicht zugänglich sind. So können etwa der subjektive und objektive Genitiv im Deutschen — obwohl sie intuitiv als etwas Verschiedenes empfunden werden — erst auf dem Wege transformationeller Konstrukta als etwas Verschiedenes begriffen werden. Die Transformationen enthalten selbst nichts Semantisches, aber sie dienen dazu, „die auf der Beobachtungsstufe gegebenen semantischen Identitäten und Unterschiede sowie auch andere direkt beobachtete Beziehungen" zu erklären. 1 7 0 Auf diese Weise schließt die Transformationsgrammatik die semantische Substanz in sich ein, begreift sie jedoch auf objektiv-formale Weise. 8. In diesem Sinne halten wir die Transformationen — unabhängig von jedem „System" — für einen geeigneten Schlüssel, bestimmte strukturelle und semantische Eigenheiten auf kontrollierbare, nicht-intuitive Weise sichtbar zu machen. Dadurch können — so scheint uns — innersprachliche Eigenheiten festgestellt werden, 89
bevor die Entscheidung in die kontextuelle Semantik, d. h. in den außerlinguistisch-noematischen Bereich verlagert wird; einen solchen zweiten Schritt — den G. F. Meier in seiner Erwiderung auf S. K. Schaumjan in seinem Schlußwort zum Erfurter Symposion „Zeichen und System der Sprache" für allein erfolgversprechend hielt 171 — sollte man nicht vor dem ersten tun.
Anmerkungen 1 Zu dieser amerikanischen Variante ausführlich A. Neubert, Semantischer Positivismus in den USA, Halle (Saale) 1962, und A. Neubert, Kulturanthropologische Metalinguistik und semantischer Positivismus, in: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 3 + 4/1962. A. Neubert hat auf deutliche Parallelen zwischen B. L. Whorf und L. Weisgerber hingewiesen, die nicht nur in der Überbewertung der Rolle der Sprache in der Gesellschaft bestehen, sondern auch - damit verbunden - in einer Ausweitung der Sprachwissenschaft zur Sprachphilosophie und Sprachpolitik. 2 Zur deutschen Variante vgl. u. a. G. Heibig, Die Sprachauffassung L. Weisgerbers, in: Der Deutschunterricht, Stuttgart, 3/1961 und 1/1963. 3 Etwa K. Hansen, Wege und Ziele des Strukturalismus, in: Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik 4/1958; H. H. Christmann, Strukturelle Sprachwissenschaft, in: Romanistisches Jahrbuch 9 / 1 9 5 8 ; I O . fl. AnpecaH, HTO Taieoe CTPYKTYPHAA JIKHI-BHCTHKa? In: Bonpocbi x3biK03HaHHii 3 / 1 9 6 1 ; A. A. Pe R 1 R 3 0 R 2 R 2 0 (ebicoKan zopa
zopow ) -> zopa 6bua
7. R 3 0 R 2 0
-> [6bu]
R 1 R 3 0 R 4 R 2 0 (ebicoKuü pocm
8. R 3 0 R 2 0 -»• R 4 R 3 0 R X R 2 0
(xopouiuü oôed
eblCOKÜR ) ebicoK pocmoM)
-*• xopoiuo
nooöedan).
Entsprechend entstehen komplexere Transforme bei dreigliedrigen Operanden. Dabei wird — wie bei jedem Modell — die reale Sprache idealisiert; nicht alle durch den Generator erzeugten Transforme können in einer bestimmten konkreten Sprache interpretiert werden. 130 8*
115
Überhaupt kommt es darauf an, den Transformationsgenerator empirisch, d. h. mit den Begriffen der konkreten Sprache zu interpretieren. Dabei ergibt sich eine starke Spezifizierung der entsprechenden abstrakten Kategorien: So kann das Symbol R 4 R 2 0 in der russischen Sprache aufgespalten werden in ein Substantiv im Genitiv, Dativ usw., in ein Substantiv mit verschiedenen Präpositionen oder in ein von einem Substantiv abgeleitetes Adverb. 1 3 1 Es gibt sehr verschiedene Beziehungen zwischen den abstrakten R-Symbolen und den grammatischen Objekten der konkreten Sprache. Jede ideale Transformation des Modells spaltet sich in eine Reihe von realen Transformationen in der konkreten Sprache auf; dabei ergeben sich aus den realen Transformationen automatisch bestimmte semantische Kategorien der Substantive, Yerben, Adjektive und Adverbien, die grammatischen Kategorien werden semantisch zu Subklassen aufgespalten. 132 Die Berechnung der Transformationen ist untrennbar mit dem applikativen Modell verbunden. Wörter, Phrasen und Transformationsfelder sind nichts als verschiedene Kombinationen derselben grundlegenden Objekte, der Rektoren. Deshalb ist das applikative Modell eine Algebra der Rektoren. 1 3 3 Während die Transformationen bei Harris definiert waren als Beziehung zwischen zwei Strukturen mit identischen lexikalischen Morphemen und identischen syntaktischen Umgebungen, kommt es Schaumjan auf eine Berechnung der Transformationen an. Aus diesem Grunde führt er den Begriff der Transformationsreihe ein, versteht die Transformation selbst als elementares Glied einer solchen Transformationsreihe und spricht von einem Transformationsfeld als Menge der Transforme, die durch die Transformationsreihen generiert werden. 134 Erst auf dieser Basis ist das erste Problem der Berechnung der Transformationen und das zweite Problem der Interpretation dieser Berechnung auf der Grundlage konkreter Sprachen lösbar. 1 3 5 Auf diese Weise stellt die Applikation ein logisches Analogon zur linguistischen Methode der unmittelbaren Konstituenten dar, vermeidet aber die Nachteile der IC-Analyse, vor allem ihre Beschränkung auf lineare Beziehungen. 136 Schaumjan vergleicht die Stellung der Transformationen in seinem Modell und die in der bisherigen Transformationsgrammatik mit der Situation in der Phonologie: Wie sich mit Trubetzkoy und Jakobson die Phonologie aus einer Theorie der Phoneme in eine Theorie der phonologischen Oppositionen verwandelt hat, so verwandelt sich die Transformationsgrammatik in seinem Modell aus einer Theorie der Transformationen (die als primäre Operationen isoliert voneinander zusammengestellt und zu keinem System zusammengefügt wurden, das eine Berechnung hätte ermöglichen können) in eine Theorie der Transformationsreihen, die jetzt als primärer Begriff erscheinen, aus dem die Transformationen erst verstanden werden. 137 Das applikative Modell — meint Schaumjan — überwindet die atomistische Betrachtung der Transformationen und führt nicht mehr zu einem Verzeichnis isolierter Transformationen, sondern zur Berechnung von Transformationen innerhalb von Transformationsreihen. Damit erweisen sich die Transformationen auch als effektives Mittel für die Erforschung semantischer Beziehungen. 116
Anmerkungen 1 Zum Überblick über die Entwicklung des Strukturalismus vgl. die Literaturnachweise bei G. Heibig: Glinz' Weg von der strukturellen Beschreibung zur inhaltbezogenen Grammatik, in: Deutsch als Fremdsprache, Leipzig, 2/1964, S. 12, Anm. 1 und die Übersicht bei G. Heibig, Die Transformationslehre bei Harris und Chomsky (1), in: Deutsch als Fremdsprache, Leipzig, 1/1966, S. 1, in diesem Sammelband S. 56ff. 2 In: Deutsch als Fremdsprache, Leipzig, 2/1964,4/1965,1/1966,2/1966, in diesem Sammelband S. 36ff. und 56ff. 3 Zu diesen Diskussionen in der Sowjetunion vgl. Cioäro-, MocKBa 1962, S. 98 ff. 5 Vgl. dazu etwa C. K. ülayMJiH, O npo6jieMHOH 3anncKe „TeopeTHHecrae Bonpocbi H3biK03HaHHsr", in: M3BecTHJi AKafleMHH HayK CCCP — OTflejieHHe jTHTepaTypw H H3buca. TOM XIX — Bbin. I, MocKBa 19ö0, S. 71 ff; E. B. TopHyHr, O xapaKTepe a3biKOBOií CTpyKTypbi, in: Bonpocw H3biK03Hannii 1/1959, S. 34. 6 So T. n . JIoMTeB, CoBpeMeHHoe H3biK03HaHne H C T p y K T y p n a n j i H H r B H C T H K a , in: TeopeTmecKHe irpoÖJieMbi coßpeMeHHoro coßeTCKoro H3WK03HaHH5i, MocKBa 1964, S. 152. 7 So C. K. ülayMHH, O cymHocTH CTpyKTypHOft JIHHTBHCTHKH, in: Bonpocw MWKO3HaHHH 5/1956, S. 44; C. K. IIIayMHH, O npoÖJieMHoft 3anncfce „TeopeTiraecKHe Bonpocw H 3 M K 0 3 H a H H a " , in: I Í 3 B e c T H » AKafleMHH H a y K CCCP-OTflejieHHe JiHTepaTypw H H3biKa. TOM XIX — Bwn. I, MocKBa 1960, S. 73; vgl. auch R. Rüzicka, Über den Standort des Strukturalismus in der modernen Sprachwissenschaft, in: Lehre — Forschung — Praxis, hrsg. von G. Harig und M. Steinmetz, Leipzig 1963, S. 274, 280.
8 Vgl. O. C. AxMaHOBa, S K C T p a j I H H r B H C T P F i e C K H e H B H y T p H J l H H T B H C T I W e C K H e ( J i a K T O p b l B $yHK0H0HHp0BaHHH h pa3BHTHH »3WKa, in: TeopeTHHecKHe npoÓJieMbi coßpeMeHHoro coBeTCKoro H3biK03HaHHH, MocKBa 1964, S. 69f. 9 So A. Tpayp, CTpyKTypajiH3M H MapKCHCTCKaa JiHHrBHCTHKa, in: Bonpocw HIUKO3HaHH« 1/1958. 10 Dazu und zum folgenden C. K. IIIayMHH, opMajiH3aipiH rpaMMamleCKOä CHHOHHMHH, inî BoiipOChl H3bIK03HaHHa 5/1965, S. 31 f.
123
Beiträge zur Syntax
WERNER NEUMANN
Eine Hierarchie syntaktischer Einheiten Der Verfasser ist an der Erarbeitung einer für praktische Zwecke gedachten Grammatik der deutschen Gegenwartssprache beteiligt, die das Institut für deutsche Sprache und Literatur* der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin unter seine Planvorhaben aufgenommen hat. Die folgenden Überlegungen geben Aufschluß über einen Teil theoretischer und methodischer Vorfragen, die der Stand der Wissenschaftsentwicklung den Autoren auferlegt. Sie werden und können sich im fertigen Buch nur zerstreut und modifiziert widerspiegeln, doch bilden sie zunächst mit den Hintergrund, vor dem angemessene Formen der Anlage und Darstellung einer Elementargrammatik gefunden werden müssen. Sie bewegen sich vor allem um die Frage, welche sprachlichen Einheiten bei einer Beschreibung des grammatischen Systems berücksichtigt werden sollen.
1. 1.1. Viele Darstellungen der Grammatik des Deutschen nehmen die Einheiten, von denen sie handeln, seien es Satz, Satzglied, Wort, Wortart oder Morphem, entweder einfach als empirisch gegeben hin oder definieren sie eklektisch nach uneinheitlichen, nicht systematisch miteinander zusammenhängenden Gesichtspunkten. Ansätze, die Grammatik der Sprache als einen durch seine Funktion zusammengehaltenen einheitlichen Mechanismus zu begreifen, dessen Teile durch gegenseitige Abhängigkeiten und Wechselbeziehungen miteinander verbunden sind und nur mit Bezug aufeinander bestimmt und beschrieben werden können, sind noch relativ selten.1 Wo sie sich finden, erfolgen sie z. T. nur halb bewußt, erscheinen dann wie spontaner Intuition erwachsen2 oder sind nicht konsequent zu Ende geführt. 3 Die Einmengung subjektivistischer Anschauungen vermindert oft ihren Wert.4 Dieser hier behauptete grundsätzliche Mangel entspringt einerseits positivistischer Abstinenz gegenüber theoretischen Überlegungen schlechthin und andererseits einer in der herkömmlichen Philologie verbreiteten intuitionistischen Erkenntnishaltung,5 die nur zu mangelhafter Klarheit oder zu •heute: Zentralinstitut für Sprachwissenschaft
125
irrigen Auffassungen über das Funktionieren des Sprachsystems und seiner Elemente sowie über die in ihm bestehenden Relationen zu führen vermag. Darstellungen der Grammatik, denen kein folgerichtig durchdachtes und angemessenes Modell der Sprachstruktur zugrunde liegt, tendieren notwendigerweise zu einer bloßen Aufzählung aufgehäuften Wissens über die Verwendung von Einzelformen und — bzw. oder — zu rein spekulativen Angaben über das (vermeintliche) Wesen der Kategorien, denen diese angehören.6 1.2. Wir halten es für eine dringliche Aufgabe der gegenwärtigen und zukünftigen Forschung, Struktur und Funktion des grammatischen Systems im Zusammenhang zu zeigen. Dazu ist es erforderlich, Bestand und gegenseitige Verflechtung der Einheiten der Grammatik unter einheitlichen Gesichtspunkten abzuleiten und zu bestimmen. Diese Aufgabe stimmt überein mit Erfordernissen und Tendenzen der allgemeinen Wissenschaftsentwicklung in der Neuzeit. Das Streben nach exakter Klassifizierung der beobachteten Erscheinungen und Zusammenhänge sowie nach definitorischer Festlegung der verwendeten Begriffe ist heute nicht mehr nur für die Naturwissenschaften charakteristisch. Die systematische Ableitung der Begriffe, die die Besonderheiten des behandelten Gegenstandes abbilden, ist auch für die Gesellschaftswissenschaften eine elementare Voraussetzung für das theoretische Verständnis der beobachteten Einzelheiten. Damit wächst in allen Disziplinen die Bedeutung der Theorie und der Methodologie. Neue Erkenntnisse werden nicht mehr nur durch die Sammlung neuer Fakten, sondern auch und vor allem durch ihre Verknüpfung, durch die Verallgemeinerung von Besonderheiten und die Aufdeckung von Relationen zwischen ihnen gewonnen. In der Linguistik waren die Konstruktionen der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft und die verschiedenen Versuche, angemessene Formen der sprachlichen Strukturanalyse und -beschreibung zu finden, die bisher hervorstechendsten Manifestationen dieser Entwicklungsrichtung. Sie machten die Linguistik gegenüber der Philosophie, der Philologie und der Sprachlehre zu einer selbständigen Wissenschaft. 1.3. Da die Bestrebungen der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft und der strukturellen Linguistik, sprachliche Einzeltatsachen zu systematisieren, in verschiedenen Richtungen verliefen, gerieten sie für lange Zeit in einen fast unüberwindlichen Antagonismus zueinander. In einer etwas vereinfachenden Zuspitzung — die besonders dem Umstand, daß zahlreiche Strukturalisten ausgewiesene Sprachhistoriker waren und ihre neuen Gesichtspunkte z. T. an sprachgeschichtlichen Materialien und Vorgängen exemplifizierten, nicht ganz genügt — kann man den Gegensatz etwa so beschreiben, daß der Strukturalismus die von ihm betonten Systembeziehungen aus den historischen Zusammenhängen, die historische Sprachwissenschaft aber ihre Entwicklungshypothesen aus dem Systemzusammenhang der stets als Ganzheiten existierenden Sprachzustände herauslöste. 126
Noch heute wird die unleugbare Historizität der sprachlichen Formen mitunter als Ausflucht vor der Forderung benutzt, das Systematische in der Formenvielfalt eines Sprachzustandes herauszuarbeiten. Mit der Berufung auf sie versucht man Kompromisse gegenüber den elementaren Postulaten zu begründen, daß erstens die Sprache im Grundsätzlichen systematisch aufgebaut ist — wenn auch in charakteristischer Weise historisch-schichthaft angelegt und nicht in allen Ansätzen folgerichtig durchgeführt, 7 daß zweitens gegebenenfalls Erscheinungen, die auf einer bestimmten Ebene unsystematisch erscheinen, unter den Gesichtspunkten einer übergeordneten Ebene systematisch geordnet und beschrieben werden können und daß drittens Unsystematisches in der Sprache erst dann anerkannt werden soll, wenn keine Einordnung der strittigen Erscheinungen in systematische Zusammenhänge mehr möglich ist. 1.4. Wäre die Sprache nicht als Ganzes ein hochentwickeltes System, das durch das gemeinsame Funktionieren seiner Elemente fundiert und durch deren Beziehung aufeinander zusammengehalten wird, so gäbe es keine nach Inhalt und Umfang so differenzierte und ausgedehnte Kommunikation, wie sie in der menschlichen Gesellschaft, insbesondere in den industriellen Produktionsweisen der Gegenwart, vor sich geht. Die immense Leistungsfähigkeit der natürlichen und gerade der natürlichen Sprachen beruht auf ihrem Systemcharakter. Die Kombinierbarkeit, Substituierbarkeit und Permutierbarkeit einer begrenzten Zahl von Kategorien und Elementen mit gemeinsamen Klassenmerkmalen gewährleisten die praktisch unbegrenzte Abwandlungsfähigkeit ihrem Umfang nach überschaubarer Lautfolgen (der Sätze), die in der Kommunikation als Träger qualitativ verschiedener Informationen ausgetauscht werden. Auf diese Weise vermag ein begrenztes Korpus von Zeichen und Kombinationsregeln das tendenziell unbegrenzte Korpus der in der gesellschaftlichen Praxis der Menschen auftretenden Bewußtseinsinhalte zu bezeichnen und diese mitteilbar und austauschbar zu machen.8 Die in der Struktur des Systems gegebenen Möglichkeiten machen die Sprache zu einem Instrument, Redefolgen hervorzubringen, die einerseits den ständig wechselnden und überaus vielgestaltigen Anforderungen und Absichten der Kommunikation angepaßt sind, andererseits aber auch dem menschlichen Apperzeptionsvermögen entsprechen. Die grammatische Beschreibung muß die Struktur dieses Systems widerspiegeln. Dem System ist die Dialektik immanent. Die linguistische Analyse, wenn sie ins einzelne geht, enthüllt in großer Zahl Widersprüche zwischen Struktur und Funktion von Elementen und Konstruktionen sowie zwischen paradigmatischer und syntagmatischer Bindung der Formen, die aus der Geschichtlichkeit und — das ist weit genauer — aus der von der Seite der Funktion ausgehenden Dynamik des Systems resultieren. Es wäre jedoch widersinnig, mit Berufung auf die Dialektik den Zusammenhang und die Einheit eines Ganzen leugnen zu wollen.9 Die berüchtigte „Ausnahme" negiert die Regel nicht; sie bestätigt ihr Vorhandensein. 127
2. Die grammatische Analyse des Systems muß eine Reihe von Voraussetzungen beachten, die sich aus der Natur des Gegenstandes Sprache ergeben. 2.1. Die Sprache (language) ist eine in der Gesellschaft erworbene und sich dort manifestierende Fähigkeit des Menschen, 10 mit Hilfe von Lautzeichen Bewußtseinsinhalte zu fixieren und auszutauschen. Die gegenseitige Zuordnung von Lautzeichen und Bewußtseinsinhalten sowie die Regeln der Verbindbarkeit der Zeichen sind von Einzelsprache zu Einzelsprache (langue) verschieden. In jedem Fall liegen ihnen bedingt-reflektorische Verbindungen in der Großhirnrinde des Menschen zugrunde. Jede Sprache ist als Ganzes ein im Gehirn des Menschen bestehendes System bedingt-reflektorischer Verbindungen zwischen relevanten Form-, Stellungs- und Abhängigkeitsmerkmalen von Lautzeichen und verallgemeinerten charakteristischen Merkmalen der Gegenstände (Sachverhalte, Relationen) der Wirklichkeit und des Denkens, die in den Bewußtseinsinhalten vereinigt sind. Auf Grund seiner gesellschaftlichen Entstehung und Funktion existiert dieses System überindividuell gültig und erscheint der Beobachtung als ein System von Normen für die Form und die Verwendung von (Klassen von) Lautzeichen. 2.2. Das System der bedingt-reflektorischen Verbindungen erschließt sich dem analysierenden Grammatiker nicht unmittelbar. Weder die Gesamtheit der virtuell bestehenden Verbindungen noch ihr neurophysiologisches Substrat in Form der bestehenden Neuronenschaltungen sind seiner Beobachtung direkt zugänglich. Er trifft bei seinen Untersuchungen der Sprachstruktur rein empirisch zuerst auf die in der Kommunikation ausgetauschten Laut-(Schrift-)Folgen, die Rede (den Text). Gegeben sind ihm Rede-(Text-) Stücke, von denen er aus der Beobachtung ihrer Wirkung weiß, daß sie gedankliche Informationen übertragen. Aus der Analyse ihrer Verwendung und Struktur hat er das ihnen zugrunde liegende System der Sprache zu ermitteln. Sein Forschungsziel ist die Struktur des Instruments, das den Übertragungsprozeß ermöglicht. Deshalb wäre es verfehlt, eine grammatische Untersuchung bei den ausgetauschten Bewußtseinsinhalten oder den in ihnen abgebildeten Sachverhalten zu beginnen. Die Gliederung der Bewußtseinsinhalte folgt eigenen Gesetzen. Sie ist nach ihrem Inhalt durch den Prozeß der Auseinandersetzung der menschlichen Gesellschaft mit ihrer Umwelt einschließlich der eigenen Produktions- und Lebensweise und nach ihrer Form durch die Eigenschaften des an die natürliche und gesellschaftliche Umwelt adaptierten menschlichen Apperzeptionsapparates bestimmt. Zwischen der Gliederung der Bewußtseinsinhalte und der Struktur der Redefolgen herrscht keine einfache Kongruenz. Ein elementarer Beweis dafür folgt aus der Tatsache, daß grundsätzlich gleiche Bewußtseinsinhalte in verschiedenen Sprachen mit ganz anderen formalen Mitteln, d. h. mit ganz anderer Verteilung der Inhaltsmerkmale auf die Redefolgen ausgedrückt werden. Die Struktur jeder 128
Einzelsprache ist zwar eine Modellierung allgemeiner Denkformen mit besonderen Mitteln, aber durchaus kein genaues Abbild davon, geschweige denn eine Nachbildung der Inhalte des Denkens und Empfindens. Innerhalb ein und derselben Sprache besteht der grundlegende dialektische Widerspruch, daß die Struktur historisch überliefert und mehr oder weniger konservativ, das Korpus der Bewußtseinsinhalte aber, das durch die Funktionen der Sprachzeichen fixiert und in mitteilbare Einheiten zerlegt werden muß, in jedem Moment vom aktuellen Stand und von der Entwicklung der gesellschaftlichen Praxis abhängig und somit außerordentlich beweglich ist. Die Gliederung der Wirklichkeit wird in unserem Zusammenhang überhaupt nur relevant, insofern sie erkannt, d. h. in Bewußtseinsinhalte übergegangen ist. 2.3.1. So muß der Ansatz der grammatischen Analyse notwendigerweise bei der Struktur des Kommunikationsmittels erfolgen. Die Redefolgen sind daraufhin zu untersuchen, auf Grund welcher Eigenschaften und auf welche Weise sie die ihnen zugeordneten Bewußtseinsinhalte im Kommunikationsprozeß übermitteln. Die Beobachtung, daß in längeren Rede-(Text-)Abschnitten bestimmte gleichlautende Stücke oder gleiche Stimmbewegungen wiederkehren, führt zu der Hypothese, daß sich die mögliche Vielgestaltigkeit der Redefolgen daraus ergibt, daß sie geordnete Kombinationen aus kleineren Elementen sind. Da die Rede aber in concreto als zeitliches Kontinuum und simultane Ganzheit physikalischer Phänomene dahinfließt, müssen die angenommenen Elemente durch geeignete Untersuchungsverfahren sicher festgestellt und ausgegrenzt werden. Der Grammatiker steht vor der Aufgabe der Segmentation und analytischen Auflösung des Redestromes. 2.3.2. Es ist klar, daß die Zerlegung des Redestromes eine auf der Struktur des Sprachsystems beruhende Ordnung und Gliederung treffen muß, die den hervorgebrachten Redefolgen zugrunde liegt. Eine willkürliche Zertrennung, selbst wenn die daraus gewonnenen Segmente auf den ersten Blick z. T. sinnvoll zu sein scheinen, führte am Ende, weil sie den relationellen Aufbau des Ganzen nicht erfaßte, zu einer Interpretation der Ausgangsgröße, die syntaktisch und bzw. oder semantisch sinnlos wäre. Wir demonstrieren das an einem konstruierten, aber sehr wohl möglichen Beispiel: Das Schicksal beider Waisenkinder war entschieden -> *Das H schick // sal-bei //der waisen (homomorph mit weisen) // kinder // waren // tschieden.
Ob eine solche Zertrennung nicht schon auf Grund der Verletzung suprasegmentaler Intonationsverläufe und Lautmerkmale überhaupt unmöglich wäre, lassen wir dahingestellt. Die Segmentation muß also nach sprachimmanenten Kriterien erfolgen. Als sinnvoll ausgrenzbar erweist sich nur das, was innerhalb der untersuchten 9
Probi, der Sprachwissenschaft
129
Redefolge eine funktionale Einheit bildet, das will sagen, ein integrierender Bestandteil bei ihrem Aufbau ist bzw. einen Bezugspunkt in der ihr zugrunde liegenden sprachimmanenten Beziehungsstruktur besetzt. So ist das scheinbar formalistische Verfahren der Segmentation und Auflösung der Rede von vornherein auf die Erkenntnis funktionaler Zusammenhänge gerichtet. 2.3.3. Es geht bei der Segmentation um die Feststellung der in der Rede unter gleichen syntaktischen Bedingungen (in gleichen Kontexten) wiederkehrenden, ohne Verletzung der sprachlichen Normen umstellbaren, ersetzbaren oder austauschbaren und somit als funktionale Einheit identifizierbaren und als integrierendes Element bestimmbaren Abschnitte und Lautmerkmale, die im Kommunikationsprozeß als Träger semantischer Merkmale zu dienen in der Lage sind. Methodisch am reinsten und strengsten lassen sie sich durch den Vergleich einer sehr großen Menge ähnlicher, aber partiell — eben am auszugrenzenden Stück — verschiedener Äußerungen ermitteln, z. B.: (a) Das Schicksal
beider
Waisen
Findel
kinder knaben
war ist
ent ver
schieden.
Das Los (b) Das Schicksal beider Waisenkinder 1 Das Schicksal > war entschieden. Es ) (c) Entschieden / war / das Schicksal beider Waisenkinder. (d) Das Schick 1 sal Die 1 Müh
0 I
Zweifellos beruht auch die Aneignung der Sprachstruktur in der Ontogenese des Individuums mit auf solchen Vergleichen gehörter Redefolgen. Aber sehr bald beginnt das kindliche Individuum auch mit der selbsttätigen Erprobung der Möglichkeiten, die ihm die bereits erworbenen Systemansätze bieten, indem es spontan die Richtigkeit, besser Zweckmäßigkeit, selbstgebildeter Lautfolgen an ihrem Effekt in der Kommunikation mit der Umwelt überprüft. Der Prozeß der Aneignung wird damit verkürzt und erleichtert. Auch der Linguist kann von dem strengen Standpunkt rein registrierender Beobachtung abweichen und die Analyse durch bewußt angewandte Verfahren der Umbildung von Redefolgen beschleunigen, indem er erprobt, welche Segmente sich unter sonst gleichen syntaktischen Bedingungen als permutierbar, substituierbar, eliminierbar oder kommutierbar erweisen bzw. wo die Grenzen für die Segmente gelegt werden müssen, die in einer dieser Weisen manipulierbar sein sollen, ohne daß die Sprachrichtigkeit, d. h. das System gesellschaftlicher Normen, verletzt wird. Die Linguistik gewinnt dadurch Züge einer experimentellen Wissenschaft. 130
2.3.4.Vergleich wie auch Tests liefern Segmente von ganz verschiedenem syntaktischem Status. Wir fanden z. B. die Folge Das Schicksal beider Waisenkinder oben unter (a) durch eine Folge anderer Elemente ersetzt, unter (d) sahen wir, daß auch innerhalb eines der unter (a) hervorgetretenen Elemente noch Kommutationen möglich sind, und (b) zeigte uns, daß die ganze Folge auch durch ein einziges Element, es, ersetzbar ist. Somit ergeben sich für den Grammatiker zunächst zwei Aufgaben: 1. die Klassifizierung der ausgrenzbaren Segmente auf Grund ihrer offenbar verschiedenen Stellung in der syntaktischen Struktur, 2. im Zusammenhang damit die Festlegung und die Anordnung der Prozeduren, die zu ihrer Ermittlung führen sollen. Auf diese Probleme kommen wir unter 3.flf.eingehender zurück. 2.3.5. Mit den Elementen einer konkreten Redefolge hat der Linguist Einzelformen vor sich. Sie erweisen sich jedoch nur deshalb als aussonderbar, weil sie allgemeine Eigenschaften repräsentieren, die ihnen auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer Funktionsklasse der Sprachstruktur zukommen. Durch die Klassifizierung der in der R e d e auftretenden Einzelformen nach den Gemeinsamkeiten ihrer Stellung und Verwendbarkeit in Kontexten erschließt sich der Linguist den Zugang zu der Struktur der Sprache. 1 1 Durch die Einordnung in ein Inventar unter gleichen syntaktischen Bedingungen austauschbarer Einheiten, in ein Paradigma, 12 werden die Elemente der Rede auch als Repräsentationen von Elementen und Klassen der Sprachstruktur gesichert. Durch ihre Konfrontation mit den anderen Elementen des Paradigmas werden ihre individuellen Funktionen abgegrenzt. (Vgl. auch 2.4.1.ff.) Rede und Sprache bilden eine dialektische Einheit. Beide sind, ohne identisch zu sein, untrennbar miteinander verbunden. Die Rede basiert auf dem Vorhandensein von Sprache; die Sprache als ein in potentia bestehendes System von Verbindungen zwischen verallgemeinerten Lautzeichen und den an diese geknüpften Verallgemeinerungen des Denkens hat ein reales Dasein und eine gesellschaftliche Wirksamkeit nur in der Rede. 13 Rede ist ohne Sprache keine Rede, und Sprache ist ohne Rede nicht wirklich. 2.4.1. Nach der analytischen Feststellung der Struktureinheiten der Sprache obliegt dem Grammatiker deren funktionale Interpretation. Er muß wiederum von den Verwendungen der Elemente in der Rede ausgehen, doch stößt er jetzt zu Bedingungen vor, die außerhalb der lautlichen Seite der Sprache liegen. Ein Vergleich der Sätze Er schickte das Buch 'schnell Er schickte das Buch 'gestern Er schickte das Buch 'fort
erlaubt uns, schnell, gestern und fort in eine Klasse zusammenzufassen. Es sind, wie die traditionelle Schulgrammatik sagt, adverbiale Bestimmungen. 9*
131
Ihre unterschiedliche Umstellbarkeit Er schickte schnell das 'Buch Er schickte gestern das 'Buch
gegenüber
*Er schickte fort das 'Buch
zwingt uns zu einer Subklassifizierung unter den Klassenelementen. Fort ist von schnell und gestern durch Stellungsbeschränkungen abgehoben. Weitere Beispiele Er schickte das Buch
gegenüber
*Er schickte
r I I l
r zur'ück I her'auf 1 hier'her l in die Biblio'thek
zurück herauf hierher in die Bibliothek
\ das 'Buch I I )
zeigen uns, daß diese Beschränkungen nicht nur fort betreffen, sondern auch eine Reihe weiterer Elemente, zurück, herauf, hierher, in die Bibliothek usw. Auch mit voraus und hinterher hat fort die Beschränkungen unter bestimmten Bedingungen gemein: *Er schickte
I voraus l hinterher
1 das 'Buch j
Eine andere Gruppe von Beispielen Er ging gestern
gegenüber
*Er ging
'fort 'wieder 'schneller \ fort wieder schneller
]
'gestern
erweist, daß in anderen Kontexten auch gestern Stellungsbeschränkungen unterliegt. Aus den Beispielen Er lief vorgestern 'hier Er läuft heute 'wieder Er läuft morgen 'schneller
gegenüber
*Er lief hier 'vorgestern *Er läuft wieder 'heute *Er läuft schneller 'morgen
geht hervor, daß es diese Beschränkungen mit einer Reihe weiterer Elemente wie vorgestern, heute, morgen usw. teilt. 2.4.2.Der Grammatiker hat zu fragen, ob diese Reihen von Elementen mit charakteristischen Stellungsbeschränkungen weitere gemeinsame Eigen132
Schäften besitzen, die eventuell eine Erklärung für ihr Verhalten bieten könnten. Dabei erweist sich, daß die zunächst durch rein formale Prozeduren abgeleiteten und umrissenen Subklassen der Adverbialien Gemeinsamkeiten zeigen, die außerhalb der Lautseite der Sprache liegen: fort ... hinterher sind dadurch ausgezeichnet, daß sie im gegebenen Kontext eine Richtung der-im Satz dargestellten Handlung bezeichnen. In der Eigenschaft als Richtungsbestimmungen und nur in dieser Eigenschaft haben voraus und hinterher mit ort auch gemeinsam, daß sie zu semantischen Isolierungen mit dem Verbalstamm neigen, wie die folgenden scheinbar semantisch widersprüchlichen Beispiele zeigen: Er schickte das Buch
i zu spät vor'aus I im selben Augenblick hinterher
Unmittelbar greifbar ist die semantische Isolierung bei wiederschicken im Sinne von zurückschicken, Er schickte das Buch 'wieder
gegenüber *Er schickte wieder das 'Buch,
wo wieder die Richtungsbedeutung bewahrt hat. Die Reihe gestern, vorgestern, heute, morgen usw. hat als gemeinsames Merkmal die Beziehung auf Zeitverhältnisse. Die angegebenen semantischen Merkmale lassen sich bei der Formulierung syntaktischer Regeln, die die Form von Sätzen festlegen, verwenden: Sofern nicht besondere kommunikative Bedingungen (etwa die Absicht der starken Hervorhebung anderer Elemente) vorliegen, besetzen Richtungsbestimmungen das Satzende; Zeitbestimmungen, sofern sie nicht emphatisiert sind oder Gradangaben enthalten, die einen besonderen Mitteilungswert zur Folge haben, nehmen ihren Platz vor Modal- und Ortsbestimmungen. Durchkreuzungen dieser Regeln kommen besonders dann vor, wenn die Semantik des Verbalstammes ihrerseits eine bestimmte Art von Adverbialien nahelegt: Sie verbrachten auf dem Bahnhof zwei Stunden neben Sie verbrachten zwei Stunden auf dem Bahnhof
2.4.3. Mit der Angabe der Merkmale „Richtungsbestimmung" oder „Zeitbestimmung" verläßt der Grammatiker den Weg der formalen Analyse und geht zur funktionalen Interpretation der gefundenen Elemente und Klassen über. Indem er die gefundenen Einheiten in sprachliche und außersprachliche Kontexte einpaßt und ihre Beziehung auf Gegenstände, Sachverhalte und Relationen der Wirklichkeit und des Denkens prüft, öffnet er sich einen Zugang zu ihren allgemeinen semantischen Eigenschaften. Daß es im einzelnen verschiedene Arten und Stufen der Semantizität gibt, sei hier nur angedeutet. Die Wortklasse Substantiv hat eine qualitativ andere Semantik als ihre Subklassen Eigennamen oder Stoffbezeichnungen, das Satzglied Adverbiale eine andere als seine Spezifikationen Richtungs-, Orts-, Zeit-, Kausal- oder Modalbestimmung. 133
2.4.4. Die funktionale Interpretation muß, wenn sie ins einzelne geht, auch sogenannte Transformationsbeziehungen 14 berücksichtigen. Deren Darstellung gestattet eine relativ genaue Beschreibung semantischer Eigenschaften von syntaktischen Konstruktionen, die anders nur einer intuitiven Erfassung zugänglich sind und nicht systematisch ermittelt werden können. Die planmäßige Analyse von Transformationsbeziehungen kann als ein methodisches Verfahren zur Annäherung an die semantischen Besonderheiten syntaktisch gleich organisierter, aber funktional verschiedener Ausdrücke dienen. (a) der blonde Arbeiter (b) der alte Arbeiter (b) (c) der gute Arbeiter
(a') (b') • *Ich klopfe. -* *Ich klopfe meinem Freund. -»• *Ich klopfe auf die Schulter.
Weiterhin gerät durch diese Einbeziehung auch der adverbialen Bestimmungen in die Zahl der strukturell notwendigen Satzglieder die Grenze zwischen den traditionellen Objekten und Adverbialbestimmungen ins Fließen. Sicher kann man sie — wie es J. Erben tut — weitgehend aufheben. Bedenklich ist es aber, wenn man sie beibehält und — wie P. Grebe — im Satz Ich klopfe meinem Freund auf die Schulter das hervorgehobene Satzglied als „Raumergänzung", im Satz Karl legte seinem Freunde die Hand auf die Schulter das hervorgehobene Satzglied als „Präpositionalobjekt" auffaßt. Trotz der größtmöglichen Vollständigkeit erscheint uns Grebes Übersicht — gerade weil sie bisweilen nicht scharf genug ist — noch nicht die rechte Lösung für die Praxis zu sein, wo es auf streng formalisierbare Strukturen und Modelle ankommt. In ähnlicher Weise wie P. Grebe gehen auch H. G r i e s b a c h und D. S c h u l z in ihrer Aufgliederung des Satzes praktisch vom finiten Verb aus und trennen zwischen unbedingt notwendigen „Prädikatsergänzungen" und nicht notwendigen, sondern weglaßbaren „freien Angaben" 1 6 . Zu den „Prädikatsergänzungen" gehören unter anderem die strukturell notwendigen Adverbialbestimmungen sämtlicher Arten: Mein Freund wohnt in einem Hotel. Das Fest dauerte bis zum Morgen. Vogel fliegt schnell. Das Feuer entstand durch Leichtsinn.
320
Der
Zu den „freien Angaben" gehören die nicht notwendigen Adverbialbestimmungen sämtlicher Arten : Ich will in Berlin einen Freund besuchen. Wir blieben wegen Wetters zu Hause u. a.
des
schlechten
Dazu gehört auch der freie Dativ. Damit ist der Kreis der Linguisten, die mit dem Begriff der Valenz arbeiten, noch keineswegs erschöpft. Was L. Tesnière und H. Brinkmann als Valenz bezeichnen und J. Erben Wertigkeit nennt, erscheint bei W. A d m o n i als „Fügungspotenz" 1 7 . Von diesen Fügungspotenzen sind einige „obligatorisch, d. h. ohne an ihnen teilzunehmen, kann der Redeteil überhaupt im Satz nicht erscheinen. Die anderen sind fakultativ, d. h. der Redeteil kann sie auch entbehren". Während sich Bühlers „Leerstellen" nur auf die obligatorischen Valenzen beziehen, versteht W. Admoni unter den Leerstellen obligatorische und fakultative Fügungspotenzen. Er trifft damit eine fruchtbare Unterscheidung, die auch für den Fremdsprachenunterricht von großem Nutzen sein kann. Auch H o c k e t t gebraucht den Begriff und den Terminus der „valence" 1 8 ; auch für ihn können Valenzen „unsaturated" sein. Bei H. G l i n z erscheint — wenn auch nicht an zentraler Stelle — zwar nicht der Terminus, wohl aber der Begriff der Valenz : Das Verb verlangt nach ihm „einen Ausgangspunkt und Zielpunkte"; die dazu dienenden „Beziehungsmarken" werden zu „Dienern des Verbs; sie versehen die durch das Verb geschaffenen Systemplätze" 19 . In ähnlicher Weise sieht J. K u r y t o w i c z das Prädikat als „membre constitutif (central)" des Satzes, weil es allein „présente la même valeur syntaxique qu'une proposition complète"; das Subjekt dagegen und alle anderen Satzteile erscheinen als „complémentaire" 2 0 . W. S c h m i d t schließlich trennt eine syntaktische — quantitative — Wertigkeit (im Sinne von Erben) von einer semantischen — qualitativen — Valenz; diese macht „die in einer aktuellen Wortbedeutung gesetzten Bedingungen zur Verbindung des Wortes mit Kontextpartnern" aus, bedeutet „die lexikalisch-semantischen Bedingungen, unter denen allein eine aktuelle Wortbedeutung in der Rede aktualisiert werden kann" 2 1 . Diese Unterscheidung ist sehr fruchtbar; denn ohne Zweifel setzt die syntaktische Wertigkeit immer die semantische Valenz voraus. Auf keinen Fall dürfen aber die Grenzen zwischen der strukturellen und der semantischen Ebene verwischt werden. W. Schmidt selbst entgeht dieser Gefahr wohl nicht ganz, wenn er etwa für den Satz Er schlägt ihn des öfteren feststellt, „daß das Verb neben dem Subjekt noch mindestens ein oder zwei Sinnergänzungen benötigt, um seine eigentliche Bedeutung zu realisieren, es ist syntaktisch zwei- oder dreiwertig" 2 2 . Das Verb schlagen in dieser Bedeutung ist aber — in unserem rein s t r u k t u r e l l e n Sinne — grundsätzlich zwei-, niemals dreiwertig: Die Temporalbestimmung kann ohne weiteres weggelassen werden, sie ist also kein notwendiges Satzglied (was W. Schmidt auch durch die Einklammerung in seinem Schema zum Ausdruck bringen möchte). Gestehe ich ihr in diesem Satz eine Valenz zu, muß ich ihr in jedem anderen Satz eine solche einräumen; damit aber ist eine strengere Modellierung ausgeschlossen. 21
Probi, der Sprachwissenschaft
321
3. Dieser kritische Überblick über die verschiedenen Konzeptionen des Valenzbegriffes zeigt, daß der Begriff der Valenz in der wissenschaftlichen Sprachbeschreibung noch sehr unterschiedlich verstanden wird und noch nicht ausreichend geklärt ist. Das richtet sich nicht gegen den Begriff der Valenz selbst, sondern nur gegen seine Deutung. Für einen klaren, d. h. strukturellen und weitgehend formalisierbaren Valenzbegriff, der auch in der Fremdsprachenmethodik seinen Platz einnehmen kann, scheinen uns drei Voraussetzungen nötig: 3.1. Zunächst muß der Satz vom Verb her begriffen werden. Das ist keineswegs selbstverständlich, sondern steht oft im Gegensatz zum Mitteilungswert und auch zur traditionellen Satzanalyse. Grundsätzlich bieten sich drei Möglichkeiten an: 1. Die Analyse des Satzes geht aus von der Subjekt-Prädikat-Beziehung, die als satzgründend, als Satzkern angesehen wird. Diese Beziehung (der reine einfache Satz) liegt der Schulgrammatik noch heute zugrunde, geht zurück auf die aristotelischen logischen Kategorien des Hypokeimenon und Kategoroumenon und ist von K. F. Becker auch in der Grammatik heimisch gemacht worden. 23 Nachdrücklich vertreten wird die Lehre vom Satzkern, in dem Subjekt und Prädikat nicht viel Eigenwert besitzen, heute noch von H. Becker. 24 Da Subjekt und Prädikat einander weder b e i - noch untergeordnet, sondern zugeordnet sind, handelt es sich bei der Subjekt-Prädikat-Beziehung tatsächlich um eine wesentliche Satzgründung im l o g i s c h - g r a m m a t i s c h e n Sinne; damit ist freilich noch nichts gesagt über den kommunikativ-inhaltlichen Wert der einzelnen Glieder oder über ihre strukturellen Beziehungen zueinander. 2. Im k o m m u n i k a t i v - g r a m m a t i s c h e n Sinne ist in einem Satz oft nicht Subjekt oder Prädikat das Wesentliche. In dem Satz Heute habe ich einen guten Gulasch gegessen steckt der logischgrammatische Satzkern in der Subjekt-Prädikat-Beziehung Ich habe gegessen, der eigentliche Mitteilungswert dagegen ist enthalten in der Adverbialbestimmung heute und dem Objekt einen guten Gulasch. Dieser Mitteilungswert ist mit den Mitteln der traditionellen Grammatik logischer Provenienz nicht zu fassen; H. Glinz spricht deshalb etwas pointiert von einer erforderlichen „Gegengrammatik" 2 5 . Wege zur Beschreibung dieses Mitteilungswertes haben vor allem E. Drach vom „Sinnwort" (der dominierenden Vorstellung) her 2 6 und K. Boost durch seine Auffassung des Satzes als Spannungsfeld zwischen einem bekannten „Thema" und einem unbekannten, neuen „Rhema" gewiesen. 27 3. Im s t r u k t u r e l l - g r a m m a t i s c h e n Sinne 28 darf man nicht von einem Sinnwort (das im Grunde durch jedes Satzglied repräsentiert
322
werden kann) ausgehen, auch nicht von der logischen SubjektPrädikat-Beziehung, auch nicht vom Prädikat (das als Satzglied ohnehin durch H. Glinz 29 und J. Erben 3 0 zerstört worden ist), sondern muß seinen Ausgang vom finiten Verb als Festpunkt des Satzes nehmen. Es ist eine notwendige Folge dieser Konzeption, daß das Subjekt seine Vorrangstellung gegenüber den anderen Mitspielern einbüßt, die — durch die Valenz des Verbs bedingt — die freien Leerstellen um das Verb besetzen. Wenn ich in dem Satz Paris ist die Hauptstadt Frankreichs das traditionelle Prädikat im Sinne von H. Glinz oder J. Erben auflöse in Verb und Gleichgröße (Ergänzungsbestimmung), erhält der Satz seine strukturelle — nicht zu übersehende — Dreiteiligkeit; es bedarf nur noch eines Schrittes, um Grundgröße und Gleichgröße (die beiden Ergänzungsbestimmungen) auszutauschen: Die Hauptstadt
Frankreichs ist Paris.
Die nicht nur logische, sondern auch strukturelle Gleichstellung von traditionellem Subjekt und Prädikativum wird damit sichtbar. Die strukturelle Gleichstellung aller Mitspieler zeigt auch die Gegenüberstellung folgender Beispiele: Das bedeutet einen Erfolg — Das ist ein Erfolg — Das stellt einen Erfolg dar; Ich friere — Mich friert; Es gibt für ihn einen guten Freund — Ein guter Freund . ist da — Er hat einen guten Freund; Ich helfe dir — Ich unterstütze dich; Ich frage dich — Ich antworte dir u. a.
Die Auffassung, im Verb das strukturelle Zentrum des Satzes zu sehen, ist freilich auch nicht so neu, wie sie scheint: Schon T. K a l e p k y interpretiert den Satz Pater filio librum dat nicht als „einen Vater, der ,Träger', einen Sohn, der ,Zielpunkt', ein Buch, das ,Erleider' usw. des Verlaufs des Gebens ist", sondern als „ein Geben, das sich am Vater, am Sohn, am Buch usw., aber an jedem anders auswirkt" 3 1 . Bei O. J e s p e r s e n nehmen zwar Subjekt und Objekt die gleiche („primary") Rangstufe ein, sind aber dem Verb übergeordnet, da dieses nur die zweite („secondary") Rangstufe innehat. 32 Deutlicher wird die Zentrierung des Satzes im Verb dann bei H. G l i n z , der im finiten Verb als „Leitglied" die feste Achse des Satzes gewinnt 33 , bei H. B r i n k m a n n , der einen Satz- und Inhaltswert des Verbs unterscheidet und den (strukturellen) Satzwert in gleicher Weise der finiten Verbform zuschreibt 34 , und erst recht bei L. T e s n i e r e , bei dem das Verb an der Spitze der strukturellen Hierarchie steht 3 5 : donne
votre 21*
a cousin
un livre
nièce
charmante
magnifique
mon
malheureux
323
G a n z ähnlich ist offenbar auch der „Stellenplan" des Satzes bei J . Erben angelegt 3 6 : vermachte
Satzglieder Besitzer
der 80 jährige
Grundstück
Hauses
Erben
1. Grades
2. Grades
das
3. Grades
fast dieses eleganten sehr
4. Grades
Auch hier steht — wie bei H. Glinz und L. Tesniere — das Verb an der Spitze der hierarchischen Pyramide, auch hier haben die Mitspieler den gleichen syntaktischen Status. J. Erben scheint also auch die Sonderstellung des Subjekts überwunden zu haben, indem er es als Ergänzungsbestimmung neben die anderen Ergänzungsbestimmungen einreiht. Er betont auch ausdrücklich, daß sich die Ziffern in E , , E 2 usw. „nur auf die Anzahl der hinzutretenden Ergänzungsbestimmungen, nicht auf Rang oder Wortfolge" beziehen. 37 Auffällig bleibt, daß bei der Aufstellung der Grundmodelle E , stets links von V, daß E 2 , E 3 usw. aber stets rechts von V angeordnet sind. Dabei taucht die Frage auf, worauf diese Numerierung beruht, ob nicht doch Wortfolge oder Rang (Subjekt, Objekt usw.) dabei mitspielen. Theoretisch verneint J. Erben beides, praktisch aber bedeutet E, bei ihm immer das Subjekt. Das wird deutlicher, wenn er über die Wortstellung spricht, E[ geradezu als „Agens" erklärt und folgendermaßen analysiert 3 8 :
Den Ehern
schreibt
Fritz
Briefe.
Damit wird deutlich, daß J. Erbens Bezifferung doch einen gewissen Rang meint. Er gesteht dem Subjekt eine Sonderstellung zu, allerdings auf der Basis der Gleichwertigkeit aller Mitspieler als „Ergänzungsbestimmungen". In der Tat hat das Subjekt j a eine strukturelle Sonderstellung insofern, als es das Substantiv im Nominativ ist, das mit dem finiten Verb kongruiert. Aber diese strukturelle Sonderstellung darf nicht semantisch (etwa als Agens, Handlungsträger usw.) interpretiert werden, wenn man sich den Blick auf die Valenz des Verbs und für die strukturelle Analyse des Satzes vom Verb her nicht verstellen will.
324
3.2. Die schwierigste Frage, die der Valenzbegriff impliziert, ist die, was alles als Sättigung des Verbs anzusehen ist, welche Glieder also als Mitspieler des Verbs aufzufassen sind. Die allgemeinste Antwort auf diese Frage ist einfach: Zur Füllung der Leerstellen gehören alle sinnotwendigen Glieder des Satzes und nur diese. Allein w a s sinnotwendig ist und wie diese Sinnotwendigkeit entwickelt wird, darüber gehen die Meinungen in der linguistischen Beschreibung noch auseinander. Zunächst hat H. Renicke versucht, ein „syntaktisches Minimum" zu ermitteln, das die „minimal notwendigen syntaktischen Grundelemente" enthält. 3 9 Zwar sieht auch er im Verb „die Zentralgröße des Satzes", „die Primärgröße unserer Sprache" 4 0 , aber bei seinen minimalsyntaktischen Gliedern handelt es sich um kommunikationsnotwendige, nicht um strukturell notwendige Glieder. So ist für ihn ein Satz wie Sie hörten hinter der Biegung einen ... Ruf minimalsyntaktisch, weil ihm auch die Lokalbestimmung für die Mitteilung wesentlich erscheint 41 ; so schließt er sogar Attribute in das syntaktische Minimum ein. 42 Da es sich um ein semantischkommunikatives Satzminimum handelt, führt es im Hinblick auf eine strukturelle Modellierung nicht weiter und kann die Frage der strukturellen Notwendigkeit eines Gliedes für den Satz nicht lösen, auf die es aber für die Klärung des Valenzbegriffes ankommt. H. Renicke trennt nicht zwischen der semantischen Bedeutungssphäre und der syntaktischen Notwendigkeit. Da er den syntaktischen Beziehungen lexikalische Maßstäbe unterlegt, liegt sein „syntaktisches Minimum" abseits unsereres Weges. Einen wesentlichen Schritt weiter führt uns die „ A b s t r i c h m e t h o d e " , wie sie von L. W e i s g e r b e r genannt und von P. G r e b e zur Grundlage der Entwicklung seiner Grundformen deutscher Sätze benutzt worden ist. Man will versuchen, beliebige deutsche Sätze „auf ein Mindestmaß zu reduzieren"; es bleiben „beim Abstreichen alles Entbehrlichen teils zweigliedrige, teils dreigliedrige Sätze als für die Bewahrung des Satzcharakters unentbehrlicher Restbestand" 4 3 . P. Grebe betont, daß man sich bei der Bestimmung der notwendigen Glieder in einem Satz mit Hilfe der Abstrichmethode nicht auf die Glieder beschränken darf, „die für den grammatischen Bestand unbedingt erforderlich sind", weil man dann in den meisten Fällen beim „Kernsatz" oder „Satzkern" der älteren Grammatik ankommt; gerade diese „formalistische Theorie von dem Kernsatz und seinen Erweiterungen" will aber P. Grebe überwinden helfen. 44 Sicher ist diese Gefahr, die P. Grebe sieht, begründet; sicher kann das strukturell notwendige Satzgerüst mit Hilfe der traditionellen, aus der Logik importierten Grammatik nicht ermittelt werden. Aber andererseits erscheint seine Abstrichmethode als zu weitherzig; wir hatten das auch an seinen Resultaten kritisch vermerkt. Daß sie Zweifelsfälle offenläßt, gesteht P. Grebe selbst. Die Methode, die zu genaueren und exakter meßbaren Resultaten führt, ist die, die wir mit H. Glinz W e g l a ß p r o b e 4 5 oder mit der Transformationsgrammatik E l i m i n i e r u n g s t r a n s f o r m a t i o n 4 6 nennen. Wir eliminieren ein Satzglied und beobachten, ob der verbleibende Satzrest noch grammatisch oder bereits ungrammatisch ist; ist er noch grammatisch, dann ist 325
das eliminierte Satzglied strukturell nicht notwendig; ist er aber ungrammatisch, dann ist das eliminierte Satzglied strukturell für den Bestand des Satzes notwendig. Beispiele: 1. Er wohnt in Berlin. -*• *Er wohnt. 2. Ich besuche ihn in Berlin. -*• Ich besuche ihn. *Ich besuche in Berlin. —>• *Ich besuche. 3. Ich werfe ihm den Ball in das Wasser. -*• Ich werfe den Bali in das Wasser. -* *Ich werfe ihm in das Wasser. -*• *Ich werfe ihm den Ball. 4. Ich lege das Buch auf den Tisch. -*• *Ich lege das Buch. ->• *Ich lege auf den Tisch. -f *Ich lege. 5. Er sprach zu den Kindern über seine Reise. -*• Er sprach. -*• Er sprach zu den Kindern. ->• Er sprach über seine Reise.
In diesen Beispielen haben wir die Objekte und Adverbialbestimmungen, die strukturell für den Bestand des Satzes notwendig sind, d. h., deren Eliminierung einen ungrammatischen Satz ergibt, hervorgehoben. Beispiel 3 richtet sich gegen Erbens Beispiel Er schleudert ihm den Handschuh ins Gesicht, mit dem er die Existenz vierwertiger Verben nachweisen will. Es könnte eingewendet werden, daß das Verb werfen auch zweiwertig (Ich werfe den Ball) oder gar einwertig (Ich werfe) verwendet werden kann. In diesen Fällen müssen die anderen Valenzen aber stets mitgedacht werden; sie ergeben sich aus dem Kontext. Die Kontextbestimmung muß also in den Valenzbegriff einkalkuliert werden. Während springen notwendig zweiwertig ist (also vom Kontext her eine Richtung oder einen Ort als notwendig voraussetzt, wenn diese nicht explizit ausgedrückt sind), ist essen oder trinken nicht notwendig zweiwertig. Unser Beispiel 4 bestätigt die vierte Variante von Erbens dreiwertigen Verben (Mädchen stellen Blumen auf den Tisch.). Gegen die Dreiwertigkeit von legen spricht auch nicht der Satz Die Henne legt Eier. Nicht nur hier, sondern in vielen Fällen haben Verben, die in der Bedeutung mehr oder weniger deutlich geschieden sind, mehrere Wertigkeiten. Obwohl die syntaktische Valenz letztlich von der Bedeutung der Verben abhängt (viele Verben des ,Gebens' oder ,Mitteilens' sind dreiwertig auf Grund ihrer bestimmten Bedeutung), soll und kann sie helfen, die aktuelle Bedeutung der Verben zu differenzieren und aufzuschlüsseln. Unser Beispiel 5 richtet sich gegen P. Grebes Beispiel 5 b Der Forschungsreisende sprach zu den Schulkindern über seine Afrikareise. Uns scheint, daß mit Hilfe der strengeren Weglaßprobe bzw. Eliminierungstransformation solche Erweiterungen wie bei 326
P. Grebe und J. Erben ausgeschlossen werden können, daß die Lehre von der Valenz auf diese Weise jene Formalisierung und Einheitlichkeit erreichen kann, die sie für praktische Verwertbarkeit braucht. 3.3. Das dritte Hauptproblem, das sich für eine präzise Fassung des Valenzbegriffes ergibt, ist die Frage, was als strukturell notwendiges Satzglied anzusehen ist, inwiefern Objekte und Adverbialbestimmungen der traditionellen Grammatik diesen Rang einnehmen. Unsere Beispiele lassen keinen Zweifel offen, daß nicht nur Objekte und Subjekte, sondern auch einige Adverbialbestimmungen strukturell notwendig sind. Diese Erkenntnis teilen wir mit J. Erben, P. Grebe und D. Schulz/H. Griesbach; sie steht aber im Gegensatz zur Fassung des Valenzbegriffes bei L. Tesniere und H. Brinkmann. Dabei erhebt sich freilich sogleich die Frage, ob die neue strukturelle Einteilung in notwendige und nicht notwendige Satzglieder (die mitten durch die alten Adverbialbestimmungen hindurchgeht) die alte, traditionelle Einteilung in Objekte und Adverbialbestimmungen ersetzen kann oder soll. So schlägt etwaW. H ä r t u n g vor, statt zwischen präpositionaler Adverbialbestimmung und Präpositionalobjekt besser zu scheiden „zwischen potentieller und obligatorischer Präpositionalgruppe" 47 . Auf diese Weise würden viele der traditionellen Präpositionalobjekte, die strukturell nicht notwendig sind, mit zu den Adverbialbestimmungen gerechnet. Es deutet sich in der Tat eine Möglichkeit an, der bisherigen groben traditionellen semantischen Unterscheidung zwischen Präpositionalobjekt und Adverbialbestimmung eine eindeutigere, von der strukturellen Vollständigkeit des Satzes abgeleitete Scheidung entgegenzustellen. In ähnlicher Weise faßt auch J. E r b e n die bisherigen Objekte und notwendigen Adverbialbestimmungen als Ergänzungsbestimmungen („primäre Satzglieder") zusammen, zu denen auch die Subjekte und Prädikativa gehören. 48 Auch W. S c h m i d t will die alte Einteilung beseitigen, die für ihn „in der Regel von formalen Gesichtspunkten" ausgeht, und unter Objekten „alle sinnotwendigen Ergänzungen des Verbs" verstehen, die „mit dem Verb eine semantische Einheit" bilden. Adverbialbestimmungen wären dann die nicht sinnotwendigen „Ergänzungen zur Aussage des Satzkerns", „fakultative Sinnergänzungen als Erläuterungen zur Aussage des aus Subjekt und Prädikat bestehenden Satzkerns", die „sich nur locker mit dem Prädikat verbinden" 4 9 . Damit wären die alten Begriffe Objekt und Adverbialbestimmung ohne Rest mit einem neuen Inhalt versehen; nur wären sie nicht — wie W. Schmidt meint — aus einer formalen Sphäre in die Sinnsphäre übergeführt, sondern eher umgekehrt aus der semantischen in die strukturelle; denn die Paradoxie der „formalen" Schulgrammatik besteht ja eben darin, daß sie nicht streng formal, sondern in ihrem Wesen eher semantisch und logisch (manchmal auch formal), im ganzen aber uneinheitlich ist. Wir halten es nicht für günstig, alle notwendigen Satzglieder einfach als Objekte, alle nicht notwendigen dagegen als Adverbialbestimmungen zu 327
bezeichnen. Ohne Zweifel sind bei der Schaffung der deutschen Schulgrammatik, bei K. F. Becker und seinen Nachfolgern, Objekt und Adverbialbestimmung so geschieden gewesen, daß das Objekt die n o t w e n d i g e Ergänzung, die Adverbiale dagegen die f r e i e Bestimmung war. 50 Aber im Laufe der Zeit sind die beiden Begriffe stark semantisiert worden: 1. Ich warte auf den Freund. (Objekt des Wartens) 2. Ich warte auf dem Bahnhof. (Ort des Wartens) Da die Begriffe von der traditionellen Grammatik her doch zu stark semantisch vorbelastet sind, scheint uns ein Rückweg zu K. F. Becker kaum möglich. Nach W. Schmidt müßte ich aber in dem Satz Ich lege das Buch auf den Tisch die notwendige Richtungsangabe als Objekt bezeichnen, was dann logisch nicht zuträfe. Was W. Schmidt anstrebt — die Annäherung an die Inhaltsebene — wird damit kaum erreicht. Uns scheint es vielmehr nötig, die alte semantische Einteilung der traditionellen Grammatik in Objekte und Adverbialbestimmungen nicht einfach durch eine neue strukturelle Einteilung in notwendige und nicht notwendige Satzglieder zu e r s e t z e n , sondern beide Einteilungen als Phänomene verschiedener Eben zunächst streng zu s c h e i d e n , dann aber in ihren Beziehungen zueinander zu beobachten. Uns wird dieser Schritt insofern leicht gemacht, als die Objekte ja ohnehin im Stellenplan des Verbs ihren festen Platz haben, als der Riß nur durch die Adverbialbestimmungen geht. Es würde sich dabei folgende strukturelle Rangordnung ergeben, innerhalb derer die einzelnen Glieder mit dem traditionellen Namen benannt sind:
I I Subjekt Prädikativum Attribute zu Gliedern 1. Ranges
I 04
Verb I I I 03 02
I präp. O
(oblig. oder fakult.) freier Dativ
Strukturelles Zentrum I des Satzes adv. Be, Stimmung . • er Kan es (notwendig) '' 8
adv. Bestimmungen (nicht notwendig)
~
w
'
Kan
8es
Attribute zu Gliedern 2. Ranges
3. Ranges
Attribute zu Gliedern 3. Ranges
4. Ranges
Diese strukturell-hierarchische Anordnung der Satzglieder unterscheidet sich von der Anordnung bei H. Glinz (in primäre Glieder und sekundäre Binnenglieder) und bei J. Erben (in Ergänzungsbestimmungen und Bestimmungsglieder) — die sich etwa entsprechen — vor allem darin, daß die Attribute zu Gliedern ersten Ranges (als Glieder zweiten Ranges) auf einer Ebene erscheinen mit den anderen nicht notwendigen Gliedern, vor allem mit den nicht notwendigen Adverbialbestimmungen, während die Grenze bei H. Glinz und J. Erben gerade zwischen diesen Gliedern verläuft. Unsere Anordnung rechtfertigt sich nicht nur dadurch, daß beide Glieder ohne Gefahr für die Grammatikalität des Satzes eliminiert werden können, 328
sondern auch dadurch, daß ihr Abstand vom strukturellen Zentrum des Satzes gleich weit ist. Deshalb sind Attribute zu Gliedern ersten Ranges und nicht notwendige Adverbialbestimmungen auch manchmal substituierbar: 1. 2. 3. 4.
Der kranke Mann lag im Bett. Weil der Mann krank war, lag er im Bett. Wegen seiner Krankheit lag der Mann im Bett. Der Mann lag krank im Bett.
Das hervorgehobene Glied erscheint in Satz 1 als Attribut, in Satz 2 als Adverbialsatz, in Satz 3 als Adverbialbestimmung und in Satz 4 als prädikatives Attribut im traditionellen Sinne; in jedem Falle aber ist es nicht notwendig. Diese vorgeschlagene Ordnung entspricht durchaus auch der logischen Interpretation der Satzglieder, bei der Objekte und notwendige Adverbialbestimmungen als Relationsglieder eines aktualen Satzes, Attribute, nicht notwendige Adverbialbestimmungen und Nebensätze dagegen meist als Prädikate in einem nur potentiellen Bestimmungssatz erscheinen. (Vgl. dazu näher F. Schmidt, Logik der Syntax, Berlin 1962, S. 60ff., 63ff., 72ff., 76, 82 u. a.) Die Benennung der Glieder spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle; die notwendigen Adverbialbestimmungen entsprechen den „Umstandsergänzungen" bei P. Grebe und den „Prädikatsergänzungen" bei D. Schulz/ H. Griesbach, die nichtnotwendigen Adverbialbestimmungen den „freien Umstandsangaben" bei P. Grebe und den „freien Angaben" bei D. Schulz/ H. Griesbach. Im Begriff der „Ergänzungen" sind dann auch die Objekte, im Begriff der „freien Angaben" ist dann auch der freie Dativ eingeschlossen. Mitspieler, die die Valenzen des Verbs ausfüllen, sind von ihnen nur die Glieder ersten Ranges, nur die „Ergänzungen". Es empfiehlt sich, bei den Objekten (und in beschränktem Umfang auch bei den Subjekten und Prädikativa) von obligatorischen und fakultativen Valenzen zu sprechen: Ich esse — Ich esse Fleisch; Ich danke — Ich danke dir; Ich klage ihn an — Ich klage ihn des Diebstahls an; Ich warte — Ich warte auf ihn; Mich friert — Es friert mich.
In beiden Fällen handelt es sich aber um Valenzen, d. h. um Glieder, deren Zahl und Art im Stellenplan des Satzes festgelegt ist, die deshalb zahlenmäßig beschränkt sind. Im Unterschied dazu sprechen wir von notwendigen und nicht notwendigen Adverbialbestimmungen, von denen die letzteren nicht zu den Valenzen gehören, da sie beliebig hinzugefügt oder weggelassen werden können. Dadurch gewinnen auch die Begriffe „obligatorisch" und „fakultativ" einen fest umrissenen Sinn, den sie bisher in der linguistischen Beschreibung nicht hatten, da sie in gleicher Weise auch auf die anders geartete Unterscheidung der beiden Gruppen der Adverbialbestimmungen angewandt wurden. Auf jeden Fall erscheint es nicht gerechtfertigt, zwischen Objekten und Adverbialbestimmungen auch im strukturellen Sinne der Füllung der Leerstellen um das Verb zu unterscheiden. Das klingt noch bei M. B i e r w i s c h an, bei dem sich die Adverbialbestimmung vom Objekt dadurch unter329
scheidet, daß sie „in jedem Satz, unabhängig von der Klassenzugehörigkeit des Verbs, auftreten kann" 5 1 . Außerdem können bei ihm die verschiedenen Adverbialbestimmungen durch Nebensätze substituiert werden, was nur bei einigen Akkusativobjekten möglich sei. Das ist sicher richtig für die nicht notwendigen Adverbialbestimmungen, wird aber den notwendigen Adverbialbestimmungen nicht gerecht. Es gibt zwar keine Objekte als Glieder zweiten Ranges, d. h., die Zahl der Objekte im Satz ist durch die Valenz des Verbs streng determiniert; wohl aber gibt es a u c h Adverbialbestimmungen als Glieder ersten Ranges, d. h., nicht jede Adverbialbestimmung ist unbeschränkt substituierbar und vermehrbar. Auch M. Bierwischs Feststellung, daß die adverbialen Segmente des Satzes ,,in beschränktem Maße außerhalb des sogenannten Satzrahmens an das Ende des Satzes gestellt werden, was sie von allen Objekten unterscheidet" 52 , gilt nur für die Adverbialbestimmungen zweiten, nicht für die ersten Ranges. Das läßt sich an Hand von einigen Transformationen leicht zeigen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Du hast das Buch am Vormittag dorthin gelegt. Du hast das Buch dorthin am Vormittag gelegt. Du hast das Buch dorthin gelegt am Vormittag. *Du hast das Buch am Vormittag gelegt dorthin. Du hast das Buch dorthin gelegt. *Du hast das Buch am Vormittag gelegt. *Du hast am Vormittag dorthin gelegt das Buch.
Wir haben eine Adverbialbestimmung zweiten Ranges (am Vormittag ist strukturell nicht notwendig, vgl. Beispiel 5) und eine Adverbialbestimmung ersten Ranges (dorthin ist strukturell notwendig, vgl. Beispiel 6) gewählt. Beide verhalten sich in der Wortstellung verschieden. Als normaler Satz muß der Satz 1 gelten: Es fällt auf, daß die notwendige Adverbialbestimmung hinter der nicht notwendigen steht, und zwar deshalb, weil sie enger mit dem Verb verbunden ist. Eine Sprengung des Rahmens ist nur möglich bei am Vormittag, nicht aber bei dorthin. Der Satz 4 ist ungrammatisch, während die Sätze 2 und 3 zwischen voller Grammatikalität und voller Ungrammatikalität stehen; solche Zwischenstufen gibt es in der lebendigen Sprache, sie werden auch von N. Chomsky durchaus anerkannt. 5 3 Das Beispiel 7 zeigt, daß auch ein Objekt nicht außerhalb des Rahmens stehen kann, daß sich das Objekt also genauso verhält wie eine notwendige Adverbialbestimmung — beides sind ja Satzglieder ersten Ranges —, aber anders als die nicht notwendige Adverbialbestimmung. Schließlich ist es möglich — über die Eliminierungs- und Wortstellungstransformation (Verschiebeprobe nach H. Glinz 54 ) hinaus —, an Hand von Negationstransformationen den Rang der Adverbialbestimmung und ihre Zugehörigkeit zum Verb zu entscheiden: 1. Ich lege das Buch nicht dorthin. 2. Ich treffe ihn dort nicht.
Aber: 3. "Ich lege das Buch dorthin 4. Ich treffe ihn nicht dort.
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nicht.
Satz 3 ist nicht möglich, wohl aber Satz 4, wenn auch aus der Satznegation 2 eine Satzgliednegation geworden ist. Die Satzverneinung nicht steht bei der strukturell notwendigen Adverbialbestimmung (Beispiel 1) vor dieser, bei der strukturell nicht notwendigen Adverbialbestimmung (Beispiel 2) nach dieser; das erklärt sich durch die engere Zugehörigkeit der notwendigen Bestimmung zum Verb. Die strukturell notwendige Adverbialbestimmung wird in diesem Fall ähnlich behandelt wie Teile trennbar zusammengesetzter Verben (Er kommt heute nicht an), wie Infinitive und Partizipien (Er wird morgen nicht kommen, Er ist heute nicht gekommen) und bildet wie diese eine Art Zielpol im verbalen Rahmen des deutschen Satzes. Im Fremdsprachenunterricht dürfte die Scheidung zwischen notwendiger und nicht notwendiger Adverbialbestimmung ein neues Licht auf die bisher kaum ausreichend geklärte Stellung der Satznegation nicht — eine weitere häufige Fehlerquelle im Deutschunterricht für Ausländer — werfen.
4. Der Valenzbegriff — obwohl in der Forschung noch uneinheitlich und nicht genügend geklärt — erweist sich als fruchtbares Mittel der theoretischen Sprachbeschreibung unter den Voraussetzungen, daß die semantische Sonderstellung des Subjekts aufgegeben wird, daß mit strengen Methoden (darum scheint eine Verbindung des aus der französischen strukturellen Linguistik stammenden Valenzbegriffes mit Transformationsmethoden erforderlich, wie sie in der strukturellen Linguistik der USA entwickelt worden sind und heute auch in der Sowjetunion weit verbreitet sind) zwischen strukturell notwendigen und nicht notwendigen Satzgliedern geschieden wird und daß zu den Mitspielern nicht nur Subjekte und Objekte, sondern auch bestimmte Adverbialbestimmungen gerechnet werden. Aber der Valenzbegriff — genügend formalisiert — ist nicht nur fruchtbar für die wissenschaftliche Sprachbeschreibung, sondern auch — das zeigen Erfahrungen im Deutschunterricht für Ausländer — im Fremdsprachenunterricht. Wir kehren damit zu unserem praktischen Ausgangspunkt zurück und empfehlen, die übliche Einführung von Verben in Vokabularien mit dem ungenügenden Hinweis tr. (transitiv) oder itr. (intransitiv) in Zukunft zu ersetzen bzw. zu ergänzen durch die Angabe der Valenzzahl, etwa besuchen2 geben3 fragen 1(2) liegenz rauchen l(2)
regnen0 werfen3 kennen2 schlafen, finden2
essen n2y arbeitenj wohnen2 bellen t bringen2(3)
Mit dieser Festlegung der bloßen Quantität der Mitspieler ist selbstverständlich das Problem der Valenz nicht erschöpft; es umfaßt im Grunde vier Arbeitsetappen: 1. Zunächst muß theoretisch ein formalisierbarer Valenzbegriff geschaffen werden, der sich für eine strenge linguistische Beschrei331
bung eignet und auch pädagogisch nutzbar gemacht werden kann; dazu sollte unser Aufsatz einen kleinen Beitrag leisten. 2. Danach muß für jedes Verb im Deutschen die q u a n t i t a t i v e Anzahl der Valenzen festgelegt werden; es entstünde ein Verzeichnis der Verben, das etwa waschen2, sterben x usw. enthielte. Bereits dieses Verzeichnis geht über die übliche Beschreibung hinaus, weil es fakultative und obligatorische Mitspieler trennt und folglich einen Satz wie Ich besuche als ungrammatisch ausschließt. 3. Für den richtigen Gebrauch genügt aber nicht die Festlegung der quantitativen Zahl der Valenzen; darüber hinaus muß auch die q u a l i t a t i v e Art der Valenzen bestimmt werden. So ist für legen3 etwa notwendig ein Subjekt, ein Objekt und eine Richtungsbestimmung, für waschen2 S n und S a (d. h. Substantiv im Nominativ und Akkusativ). Dieser Schritt spiegelt sich z. T. in den größeren Wörterbüchern, wenn sie Angaben enthalten wie jemandem etwas geben u. ä. Dieser Schritt muß im Sinne der strengeren Konsequenz aber auch die Subjekte und die notwendigen Angaben enthalten (etwa legen3 -* S, O, Loc). Aber diese Angaben setzen die Festlegung der Quantität der Mitspieler voraus; vernachlässigt man diese Voraussetzung, würde eine Eintragung etwas essen die häufige Verwendung des Verbs ohne Objekt ausschließen. 4. Darüber hinaus ist ein weiterer Schritt notwendig, denn die Verben lassen nicht jedes Subjekt, Objekt usw. zu; diese Mitspieler unterliegen oft bestimmten syntaktischen Selektionsbeschränkungen (vgl. dazu neuerdings auch N. Chomsky, Categories and Relations in Syntactic Theory, MIT 1964, in: Materialien zum II. Internationalen Symposion „Zeichen und System der Sprache" 1964 in Magdeburg). Diese syntaktischen Restriktionen könnten etwa in folgender Weise angegeben werden: waschen2 (S n , S a ) Sn belebtes Wesen Sa 1 . 0 (dann Bedeutung 0 = Wäsche), 2. belebtes Wesen, Person, Kind (wird reflexiv, wenn S„ = S a ) 3. Sache Auf Grund dieser Angaben könnten folgende Sätze vom Ausländer richtig generiert werden: Die Mutter wäscht — Die Mutter wäscht das Kind — Die Mutter wäscht sich — Die Mutter wäscht das Geschirr.
Ein Satz wie Die Mutter wäscht ihm das Gesicht würde bereits auf den Stufen 2 und 3 die Einführung einer dritten, fakultativen Valenz notwendig machen (waschen ; S n , S a ,(S d )), die dann auf Stufe 4 zu spezifizieren wäre (etwa: S d -> Person; wenn S d vorhanden, dann S a Person oder Sache, niemals -* 0 ; S d -» Reflexivum, wenn S n = S d ).
Die Art der Notation spielt dabei zunächst eine untergeordnete Rolle; wesentlich ist allein, daß aus einem solchen syntaktischen Distributionslexikon die syntaktische (sowohl die strukturellquantitative als auch die semantisch-qualitative) Verwendung zu erschließen ist. Dabei bedeuten die nicht in Klammern stehenden Zahlen obligatorische Valenzen: besuchen muß zwei Mitspieler, muß ein Subjekt und ein Objekt haben, wenn ein grammatischer Satz entstehen soll. Die in Klammern stehenden Zahlen bedeuten fakultative Valenzen: essen muß also eine Valenz, d. h. ein Subjekt haben (Ich esse), kann aber darüber hinaus fakultativ eine zweite Valenz, d. h. ein Objekt haben (Ich esse Fleisch), ohne daß der Satz mit nur einer Valenz ungrammatisch wäre. Unter diesen in Klammern angegebenen fakultativen Valenzen sind nicht zu verstehen freie, nicht notwendige Angaben, die — als Satzglieder zweiten Ranges — generell nach Belieben hinzugefügt oder weggelassen werden können. Manche Verben {geben, bringen •u. a.) haben eine dreifache Wertigkeit, obwohl sie auch scheinbar zweiwertig vorkommen (Ich gebe das Buch, Ich bringe das Geld)-, aber in diesen Fällen ist die dritte Valenz stets mitgedacht und ergibt sich aus dem Kontext. Freilich setzt eine systematische Arbeit mit der Valenz des Verbs eine genauere Untersuchung des gesamten Verbalsystems voraus. Wenn das einmal geleistet ist, wird die anfangs genannte Schwierigkeit, Leerstellen beim Verb richtig auszufüllen, im Deutschunterricht für Ausländer erheblich vermindert. Ohne Zweifel wird der Valenzbegriff auch in eine künftige, noch zu leistende strukturelle Beschreibung des Deutschen als Fremdsprache eingehen müssen.
Anmerkungen 1 Vgl. etwa W. Admoni, Die Struktur des Satzes, in : Das Ringen um eine neue deutsche Grammatik, hrsg. von H . Moser, Darmstadt 1962, S. 382f.; H. Renicke, Grundlagen der neuhochdeutschen Grammatik, Berlin 1961, S. 75. 2 O. Behaghel, Deutsche Syntax, Bd. II, Heidelberg 1924, S. 113 ff. 3 J. Ch. A. Heyse, Deutsche Grammatik, Hannover/Leipzig 1908, S. 296f. 4 K. Bühler, Sprachtheorie, Jena 1934, S. 173. 5 L. Tesnière, Esquisse d'une syntaxe structurale, Paris 1953, S. 4ff.; L. Tesnière, Eléments de syntaxe structurale, Paris 1959, S. 103ff. 6 L. Tesnière, Esquisse d'une syntaxe structurale, Paris 1953, S. 5 und Eléments de syntaxe structurale, Paris 1959, S. 109. 7 L. Tesnière, Eléments de syntaxe structurale, Paris 1959, S. 238f. 8 H. Brinkmann, Die deutsche Sprache, Düsseldorf 1962, S. 223 f. 9 H . Brinkmann, a. a. O., S. 465. 10 H. Brinkmann, a. a. O., S. 464. 333
11 H. Brinkmann, a. a. O., S. 224. 12 J. Erben, Abriß der deutschen Grammatik, Berlin 1958, S. 165f. 13 Duden, Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, hrsg. von P. Grebe, Mannheim 1959, S. 436ff., 466ff. 14 a. a. O., S. 434ff. 15 a. a. O., S. 470. 16 D. Schulz/H. Griesbach, Grammatik der deutschen Sprache, München 1962, S. 312ff. 17 W. Admoni, Der deutsche Sprachbau, Leningrad 1960, S. 72ff. 18 Ch. Hockett, A Course in Modern Linguistics, New York 1959, S. 248ff. 19 H. Glinz, Die innere Form des Deutschen, Bern 1961, S. 408. 20 J. Kurytowicz, Linguistique et théorie du signe, in: Journal de Psychologie normale et pathologique 2/1949, S. 176. 21 W. Schmidt, Lexikalische und aktuelle Bedeutung, Berlin 1963, S. 45f. 22 W. Schmidt, a. a. O., S. 59. 23 Vgl. K. F. Becker, Organism der Sprache als Einleitung zur deutschen Grammatik, Bd. 1, Frankfurt (Main) 1827, S. 158ff.; vgl. dazu auch H. Glinz, Geschichte und Kritik der Lehre von den Satzgliedern in der deutschen Sprache, Bern 1947, S. 46ff. 24 Vgl. H. Becker, Hauptprobleme der deutschen Satzlehre, 1. Teil, Lehrbriefe für das Fernstudium der Oberstufenlehrer, Potsdam 1956, S. 47. 25 H. Glinz, Die innere Form des Deutschen, Bern 1961, S. 2; H. Glinz, Grammatik und Sprache, in: Wirkendes Wort, Düsseldorf, 3/1959, S. 138. 26 E. Drach, Grundgedanken der deutschen Satzlehre, Frankfurt (Main) 1937, etwa S. 14. 27 K. Boost, Neue Untersuchungen zum Wesen und zur Struktur des deutschen Satzes, Berlin 1955, etwa S. 30, 32f. 28 Zu der Unterscheidung von logisch-grammatischen, kommunikativ-grammatischen und strukturell-grammatischen Kategorien vgl. W. Admoni, Der deutsche Sprachbau, Leningrad 1960, S. lOff. ; W. Schmidt, Grundlagen und Prinzipien des funktionalen Grammatikunterrichts, in: Deutschunterricht, Berlin, 11 + 12/1963, S. 652ff.; M. Pfütze, Moderne Syntax in der Schule? Ergebnisse funktionaler Syntaxforschung und ihre Anwendung im Deutschunterricht, in: Deutschunterricht, Berlin, 8 + 9/1963, S.437f.; M. Pfütze, Einführung in die Sprachlehre, Teil II: Der Satz, Lehrbriefe für das Fernstudium der Lehrer, Potsdam 1963, S. 74ff. 29 Vgl. H. Glinz, Wortarten und Satzglieder im Deutschen, in: Der Deutschunterricht, Stuttgart, 3/1957, S. 13ff. 30 Vgl. J. Erben, Abriß der deutschen Grammatik, Berlin 1958, S. 186. 31 Th. Kalepky, Neuaufbau der Grammatik, Leipzig/Berlin 1928, S. 74f. 32 O. Jespersen, Die grammatischen Rangstufen, in: Englische Studien, 60. Bd., 1925/26, S. 302 ff. 33 Vgl. H. Glinz, Die innere Form des Deutschen, Bern 1961, S. 96f. 34 Vgl. H. Brinkmann, Die deutsche Sprache, Düsseldorf 1962, S. 213ff.; vgl. dazu auch H. Brinkmann, Der Austausch zwischen den Wortarten im Deutschen, in: Die Wissenschaft von deutscher Sprache und Dichtung, Festschrift für F. Maurer, Stuttgart 1963, S. 9. 35 L. Tesnière, Esquisse d'une syntaxe structurale, Paris 1953, S. 4. 36 J. Erben, Abriß der deutschen Grammatik, Berlin 1958, S. 188. 37 J. Erben, a. a. O., S. 165. 38 J. Erben, a. a. O., S. 169. 39 H. Renicke, Grundlegung der neuhochdeutschen Grammatik, Berlin 1961, S. 99. 40 H. Renicke, a. a. O., S. 73. 41 H. Renicke, a. a. O., S. 110. 42 H. Renicke, a. a. O., S. 115. 43 Vgl. L. Weisgerber, Vom Weltbild der deutschen Sprache, 2. Halbband, Düsseldorf 1954, S. 178. 44 Vgl. Duden, Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, hrsg. von P. Grebe, Mannheim 1959, S. 434ff. 45 Vgl. H. Glinz, Die innere Form des Deutschen, Bern 1961, S. 93 f.
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46 Die Transformationsgrammatik ist in ihren Grundlagen ausgearbeitet worden von Z. S. Harris (Co-occurrence and Transformation in Linguistic Structure, in: Language 33,3/1957, S. 324ff.) und N. Chomsky (Syntactic Structures, 's Gravenhage 1957). Wir müssen es uns hier versagen, auf die Unterschiede des Begriffes der Transformation bei Z. S. Harris und N. Chomsky hinzuweisen (vgl. dazu P. B. J I H 3 , HTO Taxoe TpaHC(J)opMauHn? In: Bonpocw H3bnco3HaHHH 3/1961, S. 76). 47 W. Härtung, Die Passivtransformation im Deutschen, in: Studia Grammatica I, Berlin 1962, S. 101. 48 Vgl. J. Erben, Abriß der deutschen Grammatik, Berlin 1958, S. 186f. 49 W. Schmidt, Lexikalische und aktuelle Bedeutung, Berlin 1963, S. 93 ff. 50 Vgl. dazu H. Glinz, Der deutsche Satz, Düsseldorf 1957, S. 51 f. 51 M. Bierwisch, Grammatik des deutschen Verbs, als: Studia Grammatica II, Berlin 1963, S. 50. 52 M. Bierwisch, a. a. O., S. 50. 53 Vgl. N. Chomsky, Some Methodological Remarks on Generative Grammar, in: Word 17/1962, Nr. 2, S. 236. 54 Vgl. H. Glinz, Die innere Form des Deutschen, Bern 1961, S. 85ff.
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GERHARD HELBIG
Untersuchungen zur Valenz und Distribution deutscher Verben*
Dieser Beitrag ist ein Bericht über das Forschungsvorhaben der Abteilung Deutsche Sprache am Institut für Fremdsprachen in Leipzig und ein Versuch, erste Resultate vorzulegen. Er knüpft an die Arbeit „Der Begriff der Valenz als Mittel der strukturellen Sprachbeschreibung und des Fremdsprachenunterrichts" 1 an, deren Kenntnis hier vorausgesetzt werden muß. Er klärt in einem ersten Teil zusätzliche theoretische Fragen und beginnt im zweiten Teil mit einer Liste von Verben, die vom Kollektiv der Deutschlektoren in Leipzig 2 gemeinsam erarbeitet worden ist.
1. 1.1. Unsere Arbeiten stehen unter dem Thema „Untersuchungen zur Valenz und Distribution deutscher Verben". Obwohl dieses Thema sich erst während der Arbeit — aus der Arbeit selbst — herausgeschält hat, erscheinen uns einige B e g r i f f s b e s t i m m u n g e n nötig. Was wir unter V a l e n z verstehen, ist in dem angegebenen Aufsatz genau umschrieben und braucht hier nicht wiederholt zu werden; dieser Aufsatz zeigt die Wurzeln des Begriffes, seine unterschiedliche Verwendung in der bisherigen Grammatik (vor allem bei L. Tesniere, H. Brinkmann, J . Erben, P. Grebe u. a.) und versucht eine eigene Fixierung. Unter D i s t r i b u t i o n eines sprachlichen Elements verstehen wir — im Anschluß an Z. S. Harris — „die Summe aller Umgebungen, in denen es vork o m m t . " 3 Diese Umgebungen („environments") eines Elements A wieder werden bestimmt als bestehender Satz von Kookkurenzen, d. h. von anderen Elementen, „mit denen A vorkommt und eine Äußerung ergibt." 4 In der Distributionsanalyse der strukturellen Grammatik werden die sprachlichen Einheiten nicht mehr auf Grund ihrer Bedeutung, sondern auf Grund ihrer Umgebungen, ihrer Positionen, ihres Vorkommens, ihrer Verteilung, ihres Kontextes klassifiziert. Die Distribution eines Elements erscheint damit als Summe aller Kontexte, in denen es auftauchen kann — im Gegensatz zu jenen, in denen es nicht auftauchen kann. 5 Z. S. Harris hat statt von Distri* Es handelt sich bei diesem Artikel um einen Vortrag, der am 14. Januar 1966 auf dem Lehrgang der Deutschlektoren für Ausländer in Gaußig gehalten wurde.
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butionsbeziehungen auch von Kookurrenzbeziehungen gesprochen. 6 In diesem Sinne kommt es uns auf das Vorkommen von Mitspielern deutscher Verben an: also auf ihre Distribution, auf ihre Umgebungen, auf ihre Kookurrenzbeziehungen. 7 1.2. Der A u s g a n g s p u n k t für unsere Überlegungen war die Tatsache, daß namentlich fortgeschrittenen Ausländern zahlreiche Fehler in der Valenz und Distribution der Verben unterlaufen, die mit den herkömmlichen Begriffen der Transitivität und Intransitivität von Verben nicht hinreichend beschrieben und ausgemerzt werden können. Etwa: * Ich erblicke ihn kommen -- *Er fragte den Weg — * Er konnte so nicht machen — *Er besucht jeden Mittwoch usw.
Es läßt sich theoretisch leicht zeigen, daß es einerseits transitive Verben gibt, die kein Passiv bilden können — also im engen, traditionellen Sinne des Wortes eigentlich gar nicht trans-itiv sind — (Ich bekomme den Brief, aber * Der Brief wird von mir bekommen), daß aber andererseits intransitive Verben bisweilen durchaus mit einem Akkusativ — des Inhalts bzw. des inneren Objekts — vorkommen können (Er stirbt einen schweren Tod). Darüber hinaus führt im Fremdsprachenunterricht der Begriff der Transitivität sogar manchmal zur Verwirrung: So erkennt etwa ein englischer Sprecher in Sätzen wie „I see him" — „/ help him" — ,,/ remember him" durchaus keinen Unterschied, obwohl wir in der deutschen Übersetzung (Ich sehe ihn — Ich helfe ihm — Ich erinnere mich seiner) nur im ersten Falle von Transitivität sprechen können. 8 Wir sehen dabei ab von Versuchen — bei W. Pfleiderer 9 , M. Regula 10 und H. Renicke 11 —, den Begriff der Transitivität vom Semantischen her über den Akkusativ hinaus auch auf die anderen Kasus- und Präpositionalobjekte auszudehnen. Eine Lösung der genannten Schwierigkeiten sehen wir vielmehr von der Valenz her. Dabei erscheint es freilich notwendig, sich nicht nur auf die quantitative Festlegung der Valenzzahlen zu beschränken, sondern darüber hinaus auch diese Valenzen qualitativ festzulegen, und zwar sowohl durch die syntaktische als auch die semantische Umgebung der zu interpretierenden Verben. Daraus ergibt sich — außer der theoretischen Grundlegung — ein Dreischritt in der praktischen Arbeit, wie er an anderer Stelle 12 bereits angedeutet wurde und wie er in folgendem noch näher umschrieben werden muß. 1.3. Zunächst jedoch muß noch einmal auf die V o r a u s s e t z u n g unserer Beschreibung hingewiesen werden: daß nämlich — im Gegensatz zur traditionellen Grammatik und auch oft zum kommunikativen Mitteilungsgehalt — das finite Verb als struktureller Kern des Satzes angesehen werden muß. 1 3 In diesem Sinne faßt auch H. Glinz — völlig strukturell und asemantisch — die finite Verbform als Leitglied des Satzes 14 , in ähnlichem Sinne bezeichnet auch M. Regula — der ansonsten gerade um semantischsachliche Beziehungen bemüht ist — das Verb strukturell als „Richtwort", da es sehr verschiedene Sachverhalte — Tätigkeiten, Vorgänge, Zustände, 22
Probi, der Sprachwissenschaft
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Eigenschaften und schließlich auch die bloße Existenz — aussagen kann. 1 5 Diese Zentrierung des Satzes im finiten Verb — gleichgültig, ob man es Leitglied, Richtwort oder anders nennt — bedeutet die Aufhebung der Binarität des Satzes, wie sie in der traditionellen Grammatik ihren Ausdruck in der Subjekt-Prädikat-Struktur (entsprechend der traditionellen Logik mit Subjekt und Prädikat) fand, wie sie heute noch bei H. Becker 16 und W. Schmidt 17 in abgewandelter Form (Subjekt und Prädikat als Satzkern) 18 vertreten wird und wie sie in der modernen Phrasenstruktur- und Transformationsgrammatik amerikanischer Prägung (in einer Neuformulierung als Nominal- und Verbalphrase) ihren Ausdruck findet. Diese Binarität ist aufgegeben nicht nur in der Abhängigkeitsgrammatik 19 — in der der Valenzbegriff seine Heimat hat —, sondern auch in der modernen Relationslogik 20 und im generativ-applikativen Modell S. K. Schaumjans 2 1 , das allein auf Beziehungen der Domination gegründet ist. Rein sprachlich ist es eine offenkundige Tatsache, daß nicht jeder Satz aus diesen beiden Teilen und nur aus ihnen besteht, daß vielmehr oft die Anwendung von Manipulationen nötig ist, um den Satz diesem Schema gefügig zu machen. 22 Auf Grund dieser Sachlage ist W. Schmidts polemische Behauptung, die Beseitigung der Sonderstellung des Subjekts sei „strukturalistisch" und ein Ausdruck für die Vernachlässigung der Sprachinhalte 23 , zumindest nicht voll zutreffend. 24 Im Zusammenhang damit muß ein anderes Argument der funktionalen Grammatik gegen die strukturelle Zentrierung des Satzes im Leitglied zurückgewiesen werden. Es stützt sich auf die Sonderstellung des Subjekts (im Verhältnis zu den anderen Mitspielern des Verbs) 25 und begründet die Notwendigkeit einer sprachlichen Zweigliedrigkeit des Satzes (in Subjekt und Prädikat) meist aus der realen Zweigliedrigkeit, daraus, daß es in Wirklichkeit keine Tätigkeit und keinen Zustand ohne entsprechenden Träger gibt, daß immer nur etwas geschehen kann. 2 6 Aber diese Schlußfolgerung darf nicht ohne weiteres gezogen werden, da die Sach- und die Sprachebene sich nicht ohne weiteres entsprechen, da es keine direkte Entsprechung von Wirklichkeit und Sprachstruktur, von Handlungsträger (oder gar Täter) und Handlung einerseits und Subjekt und Prädikat andererseits gibt. 27 Gegen die Annahme einer solchen Entsprechung spricht schon die Existenz passivischer Sätze. Eine solche Gleichsetzung ist das Kennzeichen „sachbezogener" Sprachbetrachtung, wie sie L. Weisgerber ablehnt 2 8 und auch W. Schmidt selbst als nicht ausreichend ansieht. 29 Diese unmittelbare Gleichsetzung versperrt nicht nur den Blick auf die Valenzen, sondern auch die Einsicht in die Sprachstruktur, in die inneren Gesetzmäßigkeiten der Sprache überhaupt. Sie wurde aber — offensichtlich als Folge der Thesen J. W. Stalins zur Sprachwissenschaft 30 — oft vorgenommen, da man an einen unmittelbaren Widerspiegelungscharakter der Sprache glaubte. Inzwischen hat sich aber gerade dies als falsch herausgestellt; namentlich Meier hat gezeigt, daß nicht das sprachliche Zeichen, auch nicht seine Bedeutung, sondern der Begriff die objektive Realität direkt widerspiegelt. 31 338
Im Gegensatz zu dieser traditionellen Binarität gehen wir vom Verb aus, das wir als Träger bestimmter Valenzen und Umgebungen ansehen. Ähnliche Listen von Verben mit ihren Valenzen sind neuerdings auch von anderer Seite angeregt und gefordert worden. 3 2 1.4. Davon ausgehend, ergeben sich 3 S t u f e n für die praktische Arbeit einer Festlegung der Valenzen und Umgebungen von deutschen Verben: 1.4.1. Auf Stufe I wird für jedes Verb die q u a n t i t a t i v e Anzahl der Valenzen festgelegt. Es entsteht ein Verzeichnis von Verben in der Art erwarten2, rauben2m usw. Dieses Verzeichnis enthält nur Zahlen. Es enthält die obligatorischen Valenzen (ohne Klammern) und die fakultativen Valenzen (in Klammern); es enthält aber nicht die nichtnotwendigen bzw. freien Glieder, die beliebig hinzugefügt und weggelassen werden können (Ich erwarte ihn am Bahnhof). Unter solchen Valenzen werden dabei verstanden — in Abweichung z. T. von L. Tesniere und H. Brinkmann 3 3 — alle Glieder, die vom Stellenplan des Verbs her bestimmt und deshalb in der Zahl beschränkt sind, unabhängig von ihrem Satzgliedwert in der traditionellen Grammatik. Ihnen entsprechen in der herkömmlichen Grammatik Subjekt, Objekt, Prädikativum und die strukturell notwendige Adverbialbestimmung. 1.4.2. Für den richtigen Gebrauch genügt aber nicht das Wissen um die bloße Zahl der Valenzen; diese Valenzen müssen vielmehr auch q u a l i t a t i v festgelegt werden. Das geschieht auf Stufe II durch die Festlegung der s y n t a k t i s c h e n U m g e b u n g e n in streng formalen Begriffen. So wird etwa das auf Stufe I gewonnene geben3 auf Stufe II spezifiziert zu geben3 = S„, S a , Sd legen3 = S n , S a , pS usw. Solche Regeln, die die syntaktischen Umgebungen von Verben festlegen, sind von N. Chomsky neuerdings als „strenge Subkategorisierungsregeln" in seine generative Grammatik eingebaut worden. 3 4 Es muß betont werden, daß diese syntaktischen Umgebungen in streng formalen Begriffen — also nicht etwa in Begriffen der traditionellen Satzgliedlehre, wie sie von H. Glinz in ihrer methodologischen Überholtheit 35 und von L. Weisgerber in ihrer unangemessenen Sachbezogenheit hinreichend charakterisiert worden ist 3 6 — angegeben werden. Eine Feststellung von nichtformalem Typ wäre etwa folgende: „Ein Verb, das einen Wunsch ausdrückt, verlangt ein Objekt." Eine solche Feststellung kann höchstens eine zusätzliche Erklärung, aber nicht Teil einer formalen Theorie sein. Sie muß erst in formale Termini übersetzt werden, d. h. in eine Reihe von Stufen, die die Erzeugung tatsächlicher Kombinationen von Formen mit Hilfe von Listen und Regeln erlauben. 37 Eine solche formale Beschreibung muß auf dem Wege der empirischen Beobachtung prüfbar sein, sie muß als „wahr" oder „falsch" erwiesen werden können. 22*
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Als solche syntaktischen Umgebungen auf Stufe II können auch noch nicht Loc, Mod u. a. angesetzt werden — wie in dem ersten Beitrag vorgeschlagen wurde 3 8 ; solche Festlegungen gehören vielmehr erst zur Stufe III, zur Stufe der semantischen Umgebungen. Zur Stufe II gehören als Begriffe S„, S d , S g , Sa (Substantiv im Nominativ, Dativ, Genitiv, Akkusativ), pS (Substantiv mit Präposition), NS (Nebensatz), Inf (Infinitiv), Part (Partizip), Refl (Reflexivum), Adj (Adjektiv), pAdj (Adjektiv mit Präposition). 1.4.3. Die auf Stufe I nur quantitativ festgelegten und auf Stufe II nur hinsichtlich ihrer Form determinierten Mitspieler müssen auf einer Stufe III semantisch fixiert werden. Diese Stufe III legt also die s e m a n t i s c h e n U m g e b u n g e n der betreffenden Verben fest, spezifiziert die syntaktischen Umgebungen durch Angabe ihres semantischen Gehalts. Das entspricht genau dem, was N. Chomsky „Selektionsregeln" nennt und von den „strengen Subkategorisierungsregeln" unterscheidet; beide zusammen bilden für ihn Subkategorisierungsregeln, werden in seine generative Grammatik eingebaut und liefern auch Kriterien für verschiedene Grade der Grammatikalität. 39 N. Chomskys „strenge Subkategorisierungsregeln" erscheinen bei uns als syntaktische Umgebungen (Stufe TI), seine „Selektionsregeln" als semantische Umgebungen (Stufe III). 40 Dabei ergeben sich allerdings einige Schwierigkeiten, da namentlich auf dieser Ebene der Begriffsapparat noch nicht genügend ausgebaut ist. Wir orientieren uns dabei in erster Linie an Begriffen, die N. Chomsky selbst vorgeschlagen hat, mit denen wir die syntaktischen Mitspieler der Verben semantisch festzulegen versuchen. Als solche Begriffe werden von uns verwendet: Hum ( = menschlich), + Anim ( = belebt), — Anim (unbelebt), Abstr ( = abstrakt), Act ( = Handlung, Actio), Abstr (als Hum) ( = abstrakt, aber auf Menschen bezogen wie etwa Staat, Institut, Leitung), Ind ( = individuell), Loc ( = Ort), Dir ( = Richtung), Temp ( = Zeit), Mod ( = Art und Weise), Caus ( = Grund), notfalls versehen mit + und — ( ± Anim). Es erhob sich am Anfang zunächst die Frage, ob dieser Begriffsapparat ausreicht oder etwa das Begriffssystem G. F. Meiers — das er für diese „noematische" Ebene entwickelt hat 4 1 — zur Ergänzung notwendig wäre. Nach den ersten Bestimmungen hat sich jedoch herausgestellt, daß es praktikabler ist, aus Gründen der methodischen Einfachheit — darunter verstehen wir die Möglichkeit, möglichst viele sprachliche Erscheinungen mit möglichst wenig Begriffen zu beschreiben — auf das recht diffizile Begriffssystem G. F. Meiers in unserem Zusammenhang zu verzichten. 1.4.4. Mit den Stufen I — III, auf denen jedes Verb interpretiert werden muß, sind zugleich auch die t h e o r e t i s c h e n W u r z e l n genannt, aus denen unsere Arbeit gespeist wird: die Abhängigkeitsgrammatik (vor allem in Gestalt L. Tesnieres), die die Grundlagen für eine systematische Arbeit mit dem Valenzbegriff geschaffen hat, die strukturelle Grammatik (Z. S. Harris), die mit dem Distributionsbegriff eine exakte Beschreibung anstrebt, und die
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generative Grammatik (N. Chomsky), die in ihrer neuen Entwicklungsphase 42 strenge Subkategorisierungsregeln und Selektionsregeln einführt und damit den Distributionsbegriff auf eine neue, höhere Stufe hebt. 1.5. Bei der praktischen Lösung der genannten Aufgaben ergeben sich einige S c h w i e r i g k e i t e n , über deren Überwindung kurz gesprochen werden muß. Zunächst erscheint uns die Bestimmung der strukturell notwendigen Satzglieder problematisch; sie erscheint uns nur eindeutig lösbar, wenn man folgenden Unterschied beachtet: 1. zwischen notwendigen und nicht notwendigen Bestimmungen einerseits, von denen nur die ersten zu den Valenzen gehören, nicht aber die zweiten, die zahlenmäßig unbegrenzt sind und in jedem Satz nahezu beliebig weggelassen oder hinzugefügt werden können; 2. zwischen obligatorischen und fakultativen Valenzen andererseits, die beide im Stellenplan des Verbs enthalten sind, also zahlenmäßig genau bestimmt und beschränkt sind und deshalb auch auf Stufe I unserer Beschreibungen anzugeben sind. In einem Satz Ich esse Fleisch wird der Akkusativ als fakultative 2. Valenz angesehen (neben dem obligatorischen Nominativ), da der Akkusativ zu den vom Verb her festgesetzten Stellen gehört; in einem Satz Ich esse morgen mit dem Freund Fleisch aber werden das Adverb und die Präpositionalphrase nicht zu den fakultativen Valenzen, sondern zu den freien Bestimmungen gerechnet, die zu jedem Satz nahezu unbeschränkt hinzugefügt oder auch weggelassen werden können und deshalb bei uns nicht aufgenommen werden. Zu einer solchen doppelten Scheidung werden wir genötigt, weil wir — im Gegensatz zu L. Tesniere und H. Brinkmann — nicht nur Subjekte und Objekte, sondern auch Adverbialbestimmungen und Prädikative im traditionellen Sinne in die Valenzen einbeziehen und weil wir andererseits — im Unterschied zu P. Grebe und J. Erben — wirklich nur die vom Stellenplan des Verbs her geforderten Glieder als Valenzen auffassen; nur so erscheint uns eine strenge Modellierung möglich. Eine ähnliche strukturelle Hierarchie und Abgrenzung von 3 syntaktischen Plänen (oder Ebenen) ist — übrigens ohne den Begriff der Valenz — von I. Poldauf entwickelt worden. 4 3 Unter seinem ersten syntaktischen Plan versteht er die strukturell notwendigen Satzglieder, unter dem zweiten die strukturell nicht notwendigen Satzglieder und unter dem dritten gewisse Elemente, die eine Beziehung des Sprechers zur Aussage enthalten (Modalitätsausdrücke, Einschübe, bestimmte Arten des freien Dativs usw.). In diesem Sinne gehören unsere notwendigen Satzglieder zur ersten, unsere nicht-notwendigen Satzglieder zur zweiten syntaktischen Ebene. Diese notwendigen Glieder nennen wir ein „strukturelles Minimum" 4 4 — im Gegensatz zu H. Renickes „syntaktischem Minimum" 4 5 , das in Wirklichkeit gar nicht syntaktisch, sondern semantisch ist. Auf Grund dieser Unterscheidung ergibt sich eine neue Gruppierung, die nicht der traditionellen Scheidung von Objekten und Adverbialbestim341
mungen entspricht. Um den Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen traditionellem Präpositionalobjekt und Adverbialbestimmung zu entgehen, hat W. Härtung bereits vorgeschlagen, zwischen potentieller und obligatorischer Präpositionalgruppe zu unterscheiden. 46 Aber die Trennung von der strukturellen Notwendigkeit her betrifft nicht nur die präpositionalen, sondern auch die reinen Kasus. So erhält der freie Dativ bei diesem Aufbau des Satzes seinen Platz nicht unter den Gliedern ersten Ranges, sondern neben den nichtnotwendigen Adverbialbestimmungen: Es ist dabei nicht wesentlich, ob er noch als „Objekt" bezeichnet wird; auf jeden Fall ist er durch seinen strukturellen Rang von den „Objekten" (als Gliedern der 1. Ebene) im engeren Sinne geschieden. Es mag dahingestellt bleiben, ob der Begriff des „Objekts" überhaupt anders (auf semantischer Ebene) abgrenzbar ist. 47 Auf jeden Fall ist es notwendig, bestimmte notwendige Präpositionalphrasen als Glieder der 1. syntaktischen Ebene in die Betrachtungen der Valenzen mit einzubeziehen. Dennoch trifft die von S. Latzel 48 an H. Brinkmann geübte Kritik, H. Brinkmann lasse „die sogenannten Präpositionalobjekte nicht als volle Stellenwerte gelten", nicht den Kern der Sache; denn bei den notwendigen Präpositionalgliedern handelt es sich keineswegs immer um Präpositionalobjekte, sondern oft auch um Adverbialbestimmungen im traditionellen Sinne. Dieses Mißverständnis S. Latzeis zeigt sich auch in seinen Beispielen Ich erwarte meinen Fremd — Ich warte auf meinen Freund, denen er, offensichtlich auf Grund semantischer Äquivalenz, Zweistelligkeit zusprechen will. In Wirklichkeit ist nur erwarten obligatorisch zweiwertig, warten aber einwertig (die Präpositionalgruppe muß als fakultative Valenz angesprochen werden), aber nicht deshalb — wie H. Brinkmann wohl annehmen würde —, weil hinter warten eine Präposition steht, sondern vielmehr deshalb, weil das Präpositionalobjekt hinter warten eliminierbar ist, ohne daß der strukturelle Bestand des Satzes gefährdet wird. 1.6. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich durch die Einbeziehung des Kontextbezuges in die Valenzbestimmung, weil dadurch die Gefahr der fließenden Grenzen heraufbeschworen wird, die natürlich dann eine strenge Formalisierung und Modellierung ausschließen würden. Unter Kontext verstehen wir dabei den Satzkontext (d. h. die Umgebung innerhalb des Satzes), nicht den Rede- oder Situationskontext. Bei genauerer Betrachtung dürften sich jedoch 2 Fälle deutlich unterscheiden lassen. 1. Im Falle essen 1(2> kann der Akkusativ nur als fakultative Valenz angesprochen werden, da bei seiner Weglassung verschiedene Objekte möglich sind; die Selektion eines bestimmten Akkusativobjekts ergibt sich aus dem Kontext nicht. 2. Von Fällen dieser Art müssen andere getrennt werden, bei denen im jeweiligen Kontext bzw. sogar unabhängig von ihm sich eine eindeutige Möglichkeit als notwendig herausstellt. In solchen Fällen wäre der betreffende Mitspieler als notwendige Valenz zu betrach342
ten, die zwar weggelassen werden kann (die auf Stufe II -»• 0 werden kann), die aber unabhängig vom Kontext stets mitgedacht wird. In diesem Sinne wäre sitzen immer zweiwertig (denn Er sitzt ist semantisch äquivalent mit Er sitzt im Gefängnis), sich benehmen auch zweiwertig (denn Er benimmt sich ist semantisch äquivalent mit Er benimmt sich gut). Dasselbe gilt für das Verb geben: Wir setzen geben3 an auch für den Fall Er gibt die Karten, weil immer S d mitgedacht wird (etwa: den Spielern). Ebenso umfaßt legen2 den Satz Die Henne legt, denn S, ist dabei stets unabhängig vom Kontext eindeutig fixiert ( = Eier). Diese zweite Frage — die in einzelnen Fällen eine Entscheidung zwischen obligatorischer und fakultativer Valenz fordert — kompliziert sich aber noch mehr, wenn wir folgende 3 Sätze im Auge haben 4 9 : a) sich benehmert2 (Er benimmt sich.) b) bitten2l3) (Er bittet um Geduld.) c) reden li2) oder sprechen U2) (Er spricht.)
Gemeinsam ist a, b und c die Tatsache, daß jeweils eine Valenz nicht ausgedrückt zu werden braucht (bei a die 2., bei b die 3., bei c die 2.). Der Unterschied ist aber folgender: Bei a ist die 2. Valenz stets mitgedacht; sie ist auch außerhalb des Kontextes und unabhängig vom Kontext stets eindeutig fixiert (Er benimmt sich = Er benimmt sich gut). Bei b ist die 3. Valenz auch mitgedacht; sie ist aber unabhängig vom Kontext n i c h t eindeutig; ihre Eindeutigkeit ergibt sich erst durch den Kontext und ist vom Kontext abhängig (Ich bitte um Geduld = Ich bitte Sie, die Studenten, das Publikum um Geduld). Immerhin wird eine solche Eindeutigkeit durch den Kontext erreicht. Gerade das unterscheidet c von b, denn bei c wird die 2. (fakultative) Valenz auch durch den Kontext nicht eindeutig. Sie braucht auch gar nicht eindeutig zu werden, weil sie (d. h. das betreifende Objekt) in diesem Zusammenhang als unwesentlich und belanglos erscheint (etwa: Der Präsident spricht — Das Kind ißt), weil von ihr im Kommunikationsakt abgesehen wird. Damit steht b offensichtlich zwischen a und c, und es erhebt sich die Frage, wie wir diese Fälle am praktikabelsten in unseren Mechanismus einbauen. Das hängt von unserem Standort ab: 1. Wenn wir das „Denken", d. h. den hinter den Formen stehenden Sprachinhalt stärker einkalkulieren, muß ich a und b einerseits von c andererseits trennen; denn bei a und b denke ich etwas Bestimmtes mit (und drücke es nur nicht formal aus), während das bei c nicht der Fall ist. Ich müßte also die in Frage stehende Valenz bei a und b als obligatorisch, bei c als fakultativ ansprechen. 2. Wenn wir aber das Denken und den Sprachinhalt weniger in Rechnung stellen und unseren Mechanismus vielmehr auf die sprachlichen Formen (auf das Bezeichnende und nicht auf das Bezeichnete im Sinne de Saussures) richten, muß ich a einerseits von b und c andererseits trennen; dann könnte ich nur im Falle a 343
von einer obligatorischen und müßte in den Fällen b und c von einer fakultativen Valenz sprechen. Eine solche Entscheidung wäre kontextfreier als eine Entscheidung nach Möglichkeit 1. Praktisch reduziert sich das Problem auf den Fall b, denn a und c wären nach beiden Möglichkeiten gleich zu bestimmen: sich benehmen2 und redenU2y sind also eindeutig. Lediglich für b ergibt sich nach Möglichkeit 1 die Interpretation bitten^, nach Möglichkeit 2 die Interpretation bitten2i3>. Nachdem wir zuerst zur 1. Möglichkeit neigten (wohl auch unter dem Banne gewisser traditioneller und inhaltbezogener oder funktionaler Vorstellungen), erscheint uns heute die Möglichkeit 2 — zumindest für die deutsche Sprache als Fremdsprache — als günstiger, weil sie sich auf die formalen Strukturen beschränkt und kontextuelle Bezüge weithin ausschließt. 1.7. Als bisher ungeklärt erweist sich auch die Frage, ob ein prädikatives Adjektiv als eigene Valenz anzusehen ist. Diese Frage wird von L. Tesniere und H. Brinkmann (die ja auch die Adverbialbestimmungen von der Valenz ausschließen) verneint, von P. Grebe und J. Erben aber bejaht. Die Entscheidung in dieser Frage hängt natürlich von der Einschätzung des traditionellen Prädikatsbegriffes ab. Wenn wir — wie J. Erben und H. Glinz — diesen aus der traditionellen Logik übernommenen Prädikatsbegriff in der Grammatik für fragwürdig ansehen (und wir müssen es schon aus dem Grunde, weil er unzulässig erweitert wird, wie etwa in dem Falle Der Film und uns statt dessen auf die finite Verbform als gelangt zur Aufführung) Leit- oder Richtglied des Satzes orientieren, sehen wir uns vor die Notwendigkeit gestellt, auch dem prädikativen Adjektiv eine Valenz zuzuschreiben. Diese Notwendigkeit ergibt sich auch aus zwei anderen Gründen, die an folgenden Beispielen gezeigt werden können: 1. Der Großvater ist Katholik. — Der Großvater ist katholisch. 2. Er wird krank. — Krank wird er.
Einmal (1) wird die Einbeziehung des Adjektivs als Valenz notwendig, weil sonst ein Bruch entstünde zwischen dem substantivischen und adjektivischen Prädikatsnomen, die oftmals nahezu synonym sind. Damit wird auch der Einwand W. Schmidts gegen die neue Gliederung des Prädikats von H. Glinz (in Leitglied und selbständige „Gleichgröße"), damit werde eine scharfe Trennung zwischen substantivischem und adjektivischem Prädikatsnomen geschaffen 50 , hinfällig. Zum anderen (2) aber werden wir durch eine Verschiebeprobe im Sinne von H. Glinz 51 legitimiert, auch das prädikative Adjektiv als selbständiges Glied (d. h. als Valenz) anzusetzen. Damit ist aber das Problem noch nicht völlig gelöst, schließt doch die Anerkennung des prädikativen Adjektivs als Valenz weitere Konsequenzen in sich ein, die sich an folgender Reihenfolge der Beispiele ablesen lassen: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
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Paris ist die Hauptstadt Frankreichs. Die Hauptstadt Frankreichs ist Paris. Die Wäsche ist trocken. — Die Wäsche wird trocken. Die Wäsche ist getrocknet. Die Wäsche wird getrocknet. Die Wäsche wird trocknen.
Die Beispiele 1 und 2 zeigen die Unzweckmäßigkeit der Annahme des Prädikats im traditionellen Sinne; die Austauschbarkeit der beiden Nominative weist auf ihre Gleichstellung als Mitspieler. Aus den Beispielen 1 und 2 ergibt sich aber — wegen der semantischen Äquivalenz — das Beispiel 3, d. h. die schon erörterte Einschließung des prädikativen Adjektivs in die Valenzen. Aus 3 aber ergeben sich weiter die Fälle 4, 5 und 6, bei denen man zunächst zögern mag, das Partizip oder den Infinitiv als Valenz aufzufassen. Dieses intuitive Zögern stützt sich auf 2 Tatbestände: 1. In der herkömmlichen Grammatik werden die genannten Formen als zusammengesetzte Formen des Verbs verstanden: 4 als Zustandspassiv, 5 als Handlungspassiv, 6 als Futur. Das gleiche würde für alle zusammengesetzten Zeitformen im Deutschen gelten. 2. Das Subjekt erscheint in allen drei Fällen als Mitspieler zum Hilfsverb und zur gleichen Zeit als Mitspieler zum Vollverb; damit scheint sich die These der traditionellen Grammatik zu bestätigen, daß beide (finites Verb und infinite Form) doch irgendwie zusammengehören, daß sie eben so etwas wie „Hilfsverb" und „Vollverb" sind und zusammen ein „Prädikat" bilden. Wenn wir uns trotz dieser 2 Tatbestände aus Gründen der Konsequenz dafür entscheiden, auch in den Fällen 4, 5, 6 von einem finiten Verb und 2 Valenzen zu sprechen, so geschieht das aus 3 Gründen: 1. Die Verschiebeprobe vonH. Glinz erfordert nicht nur für das Substantiv und Adjektiv in den Fällen 1, 2 und 3, sondern auch für das Partizip und den Infinitiv in den Fällen 4, 5 und 6 das Zugeständnis eines eigenen Platzes; denn alle können sie allein vor das finite Verb treten. 2. Der vorhin genannte Einwand 2 (das gleiche Subjekt als Mitspieler sowohl für das finite Verb als auch für die infinite Verbform) trifft in gleicher Weise auch für die Modalverben zu. In Fällen wie Er muß sprechen, Er lehrt ihn das Sprechen, Er lernt sprechen kann aber (sowohl für das Vollverb als auch für das Substantiv, die absichtlich hier — wegen ihrer semantischen Äquivalenz — nebeneinandergestellt werden) kein Zweifel bestehen, daß sprechen (oder das Sprechen) selbst eine Valenz des finiten Verbs (des Hilfsverbs, der Verben lassen, lehren, helfen, lernen u. a.) darstellt, daß es — im Sinne der modernen Logik — Argument des finiten Verbs ist, das seinerseits als Funktor oder Operator über 2 {muß: er, sprechen; lernt: er, sprechen) oder über 3 Argumente {lehrt: er, ihn, das Sprechen) auftritt. 5 2 Eben weil es eine i n f i n i t e Form ist, kann sie das Subjekt nicht in direkter Weise als Mitspieler zu sich nehmen; das vermag nur die f i n i t e Form. Das zeigt sich nicht nur logisch, sondern auch sprachlich: Wir haben keine Kongruenz des infiniten Verbs mit dem Subjekt. Was für die Modalverben gilt, gilt in gleicher Weise für die Fälle 4, 5, 6. 345
3. Was schließlich die zusammengesetzten Verbalformen anlangt, so gehen sie auf ein Schema zurück, das nach dem Muster des Lateinischen entwickelt worden ist und auch im Deutschen ein System von 6 Tempora annimmt. L. Weisgerber hat aber bereits mit Recht gezeigt 53 , daß dieses fremde Schema im Deutschen durchaus nicht der Sprachwirklichkeit entspricht. In der Tat können rein formal im Deutschen als selbständige Zeiten nur das Präsens und das Imperfekt angesprochen werden. Deshalb sieht L. Weisgerber keinen Grund, warum im Deutschen ausgerechnet 6 Zeiten — wie im Lateinischen — angesetzt werden sollen. 1.8. Bei unserer Bestimmung von Verben nach ihrer Valenz und Distribution verbleiben wir zunächst auf s t r u k t u r e l l e r Ebene und suchen noch nicht nach einer direkten Entsprechung auf semantischer Ebene. So will W. Schmidt hinter der syntaktischen Wertigkeit immer eine semantische Valenz sehen, die die semantischen Bedingungen für die strukturellen Mitspieler im Satz enthält. 54 Im ähnlichen Sinne spricht P. Mrazek von einer „Intention" des Verbs, die sich äußerlich in der Valenz niederschlägt. 55 Es besteht kein Zweifel daran, daß eine solche direkte Beziehung in vielen Fällen besteht, daß die Valenzbeziehungen im allgemeinen ein formaler Reflex semantischer Gegebenheiten sind: So ist es sicher nicht zufallig, daß die meisten Verben des Gebens und Mitteilens in unserer Sprachfamilie dreiwertig sind, weil sie inhaltlich einen Geber (Mitteiler), etwas Gegebenes (Mitgeteiltes) und einen Empfänger (des Gebens oder Mitteilens) voraussetzen, weil sie ein Agens, ein Objekt und ein Ziel im semantischen Sinne fordern. Aber uns scheint, daß gerade an den Valenzbeziehungen vielfach die semantischen Beziehungen strukturell greifbar und formal beschreibbar werden. Oft wird sogar durch die Z a h l der anzusetzenden Valenzen eine semantische Abgrenzung erreicht: So unterscheiden wir etwa legen2 (Die Henne legt Eier, Sie legt die Wäsche) und legen3 (Er legt das Buch auf den Tisch) nicht nur formal durch die Zahl der Valenzen, sondern damit zugleich semantisch in ihrem Inhalt. Welcher Art dieser Inhalt im einzelnen ist, das festzustellen geht über unser Anliegen hinaus. Dennoch hüten wir uns vor der Annahme einer direkten Entsprechung von Struktur und Inhalt; diese Annahme gilt uns nur als Hypothese, die — wie einige Beobachtungen zeigen — durchaus nicht für alle Fälle zutrifft. Einerseits hat etwa haltenx die verschiedenen Bedeutungen von haltmachen (Der Wagen hält) und ganz bleiben (Das Seil hält), ohne daß es strukturell — nach der Valenz oder nach den Umgebungen — differenziert werden könnte. Anderseits unterscheiden sich nahezu synonyme Verben (etwa sagen — reden — sprechen; hindern — verhindern; eilen — sich beeilen) durchaus und gerade in ihren Valenzen und Umgebungen; gerade diese Fälle sind es, die zwar dem Deutschen auf Grund seines Sprachgefühls klar sind, die aber dem Ausländer auch noch bei guten Kenntnissen und Fertigkeiten große Schwierigkeiten bereiten. 346
Auch J. D. Apresjan geht von der Hypothese aus, daß zwischen den syntaktischen Kennzeichen (der Valenz und der Umgebung) und bestimmten semantischen Kennzeichen eine regelmäßige Entsprechung besteht, daß man aus dem verschiedenen syntaktischen Verhalten auf bestimmte semantische Unterschiede schließen kann. 5 6 Der Weg, der von der syntaktischen Ebene zur Semantik (nicht nur der Umgebungen des Verbs, die wir ja schon in unserer III. Stufe einfangen, sondern zur Semantik des Verbs selber) führt, wäre etwa folgender: Nach einer hinreichend großen Zahl von interpretierten Verben müßten mit Hilfe einer Matrize die Verben zusammengestellt werden, die sowohl in der Zahl der Valenzen als auch in der syntaktischen (und wohl auch semantischen) Umgebung das gleiche Bild ergeben: v4 v5 ••• v2 V3 Sn
S. Sd S.
+
+
+
+
pS p = an pS p = in S„ = Hum S„ = Abstr
Dabei bedeuten V 1 ; V 2 usw. die einzelnen Verben, S n , S a , S„ usw. die entsprechenden syntaktischen Umgebungen, Hum, Abstr usw. die entsprechenden semantischen Umgebungen. Das Zeichen + sagt aus, daß die Bedingungen erfüllt; das Zeichen —, daß die Bedingungen nicht erfüllt sind. Wenn das Bild bei mehreren Verben gleich ist, ergibt sich eine semantische Gruppe von Verben, eine Gruppe von Verben, deren Bedeutung mit Hilfe formaler Mittel abgegrenzt und umschrieben werden kann. Wir können sogar noch einen Schritt weitergehen. Die Verben, deren syntaktische Kennzeichen gleich sind, bilden eine semantische Gruppe. Diese Gruppe teilt sich wieder auf Grund der semantischen Umgebungen in semantische Untergruppen. So vielversprechend dieser Weg zunächst scheint, so ist er doch ziemlich aufwendig und für den Fremdsprachenunterricht selbst sicher auch nicht direkt nutzbar. Selbst daran, ob er für die linguistische Beschreibung sinnvoll ist, könnte man zweifeln. Die Resultate, die J. D. Apresjan für das Russische (unter Ausschluß der semantischen Umgebungen) gewonnen hat, bestärken diese Zweifel: Er hat 476 Verben untersucht, 33 Kennzeichen (in unserem Sinne: Umgebungen) dazu benutzt, hat aber 361 semantische Klassen erhalten, weil allein 323 Verben eine Klasse für sich bilden. 57 Damit wird natürlich der Wert einer solchen semantischen Gruppierung wieder in Frage gestellt. Für die Belange des Deutschunterrichts für Ausländer wird es vorerst darauf ankommen, die einzelnen Verben formal und exakt zu erfassen, ohne daß sogleich Parallelen auf semantischer Ebene oder semantische Gruppen gesucht werden. 347
1.9. Bei der Aufstellung unserer Liste von Verben mit ihrer Valenz und! Distribution geht es uns um keine Häufigkeitsuntersuchungen. Wir werden unseren Blick nicht auf das Problem richten, welches die häufigsten Verben des Deutschen sind, die wir zu bestimmen haben; dabei orientieren wir uns. zu gegebener Zeit an den geläufigen Häufigkeitswörterbüchern oder auch woanders. Zunächst beginnen wir jedoch mit den Verben, deren Valenzen und Umgebungen dem Ausländer die größten Schwierigkeiten bereiten, d. h. mit den Verben, die vielfach gerade in dieser Beziehung von Ausländern falsch verwendet werden. In diesem Sinne erwächst unser Anliegen direkt aus dem Deutschunterricht für Ausländer. Wir verzichten auch auf Häufigkeitsuntersuchungen anderer Art, darauf, daß wir nämlich — ohne theoretische Klärung — die Umgebungen der Verben aus vielen belegten Stellen zählen und d a n a c h zu einer Unterscheidung über Valenz und Distribution kommen. So etwa verfährt J. D. Apresjan in einer Arbeit über die starke und schwache Rektion. 58 Seine „starke Rektion" entspricht etwa unseren obligatorischen Valenzen, seine „schwache Rektion" etwa unseren fakultativen Valenzen und freien Bestimmungen. In diesem Sinne hatte bereits A. M. Peschkowski die starke Rektion des Verbs — im Gegensatz zur schwachen — durch den notwendigen Zusammenhang des Verbs mit seinen abhängigen Gliedern bestimmt. 59 Aber J. D. Apresjan vernachlässigt diese theoretische Untersuchung 60 , sucht zuerst rein quantitativ in vielen Belegen die Mitspieler des Verbs zusammen (je fakultativer für ihn ein Mitspieler ist, mit desto geringerer Wahrscheinlichkeit kommt er vor, desto geringer ist die Rektionskraft des Verbs) und sucht gleichsam a posteriori nach einer Grenze zwischen starker und schwacher Rektion. Eine absolute Grenze kann er natürlich a posteriori gar nicht finden, da etwa Glieder wie am 22. Februar (oder die adverbialen Akkusative) in jedem Satz vorkommen können und deshalb auch immer mitgezählt werden. Eben weil J. D. Apresjan rein quantitativ-statistisch vorgeht und qualitative Unterschiede vernachlässigt, weil er das Vorkommen von Umgebungen der Verben unterschiedslos nur registriert, bedarf es am Ende schwieriger mathematischer Prozeduren, um eine solche — zumindest relative — Grenze schließlich doch noch zu eruieren. Er findet diese relative Grenze mit Hilfe des Koeffizienten G(Di/Vj) = j ^ j - , bei dem G die Rektionskraft des Verbs, Vj die Zahl des Vorkommens des betreffenden Verbs überhaupt und Di die Zahl des Vorkommens des betreffenden Verbs mit dem entsprechenden Fall (d. h. in der entsprechenden Umgebung) bedeutet. 61 Das Resultat dieser Prozeduren — bei denen sich J. D. Apresjan für das Russische als Vorarbeit auf das Häufigkeitswörterbuch E. A. Steinfeldts 62 stützen kann, das nicht nur die Häufigkeit des Vorkommens der Verben, sondern auch schon die Häufigkeit des Vorkommens der abhängigen Glieder angibt — ist zunächst ein Rektionskoeffizient von 0 348
ansteigend in kontinuierlicher Entwicklung bis 1. D a diese rein quantitative Zählung keinen entscheidenden Einschnitt zeigt (nach dem man starke und schwache Rektion bzw. notwendige und freie Glieder trennen könnte), bedarf es zur Festigung dieser Grenze weiterer mathematischer Operationen. Es ist bezeichnend, daß Apresjans Ergebnisse am Ende dem intuitiven Urteil entsprechen, daß sie also — bei entsprechender theoretisch-qualitativer Klärung — in den meisten Fällen auch ohne diese mathematischen Operationen hätten gefunden werden können. Das soll nicht besagen, daß wir notwendig auf das Sammeln von Belegen verzichten. Wir werden solche Belege sammeln müssen bei strittigen Fällen, aber n a c h der theoretischen Klärung und nicht mit dem Zweck, a l l e Untergeordneten des Verbs, „den Bestand" im Sinne von J. D. Apresjan, zu registrieren (gleichgültig, ob notwendig oder nicht), sondern vielmehr mit qualitativem Aspekt, um etwa festzustellen, warum ein scheinbar obligatorischer Mitspieler (auf Grund des Kontextes) fehlt oder fehlen kann. Grundsätzlich aber ist unser Bemühen mehr auf Modellbildung als auf Sammlung von Belegen ausgerichtet. 1.1. Rewsin hat in der linguistischen Modellierung geradezu das Wesen der strukturellen Linguistik — im Gegensatz zur traditionellen Sprachwissenschaft — erblickt. 6 3 Umgekehrt ist die Grammatik nichts anderes als eine modellhafte Anweisung zur Herstellung von richtigen Sätzen. Unter Modellierung versteht 1.1. Rewsin dabei eine Methode, mit deren Hilfe auf Grund von konkreten Merkmalen allgemeine und abstrakte Hypothesen über die Struktur der Sprache formuliert werden können, die dann an anderen Tatsachen verifiziert werden müssen. 6 4 Ähnlich versteht S. K . Schaumjan das linguistische Modell als formales Analogon zu seinem Original (d. h. zur konkreten Sprache), dem es adäquat sein muß. 6 5 In diesem Sinne — so hat S. K . Schaumjan gezeigt — ist die Linguistik heute nicht mehr wie in der datensammelnden traditionellen Sprachwissenschaft eine rein induktive Wissenschaft, sondern — als strukturelle Linguistik — eine empirisch-deduktive Wissenschaft. 6 6 Damit glauben wir nicht nur dem praktischen Bedürfnis des Deutschunterrichts für Ausländer am besten zu dienen, damit wissen wir uns auch in Übereinstimmung mit bestimmten Tendenzen der Linguistik selbst. In diesem Sinne hat die generative Grammatik vor einer Reduzierung der Linguistik auf eine möglichst reichhaltige Sammlung von „belegten" Stellen gewarnt, da diese — und wenn sie noch so vollständig sind — zur Erklärung sprachlicher Regularitäten wenig beitragen können. 6 7 In ähnlicher Weise — nur von ganz anderer Position her — strebt P. Hartmann nach Modellbildungen in der Sprachwissenschaft, die es den Linguisten erlauben, „von einer Wissenschaft mit möglichst vollständiger Faktenaufzählung bzw. Beispielsammlung wegzukommen" 6 8 . Schließlich hat auch G . F . Meier betont, daß umfangreiche Materialsammlungen niemals der einzige Zweck der marxistischen Sprachwissenschaft sein können. 6 9 Auch N. Chomsky hat im Zusammenhang mit seinen Adäquatheitsebenen noch einmal die Frage der Vollständigkeit der Daten in der Grammatik gestellt. 7 0 Die Frage der Vollständigkeit in dem Sinne, daß alle Daten in 349
der grammatischen Beschreibung erfaßt werden, kann nach N. Chomsky gegenwärtig überhaupt nicht gestellt werden. Der Unterschied ist nur der, daß in der traditionellen Grammatik die Lücken schwer zu erkennen sind — weil die Regeln zu vage sind und linguistische Intuitionen einkalkuliert werden —, daß aber in der generativen Grammatik diese Lücken sogleich expliziert werden. Jedermann, der aktiv an einer linguistischen Beschreibung arbeitet, wird immer zahlreiche Beispiele finden, die entweder außerhalb des Bereiches der bisher entwickelten Regeln liegen oder von diesen Regeln nicht konkret erfaßt sind. Vollständigkeit im Erfassen der Daten erscheint N. Chomsky deshalb kein ernsthaftes Ziel im gegenwärtigen Stadium der linguistischen Beschreibung. Die Sammlung zahlreicher Beispiele — so argumentiert N. Chomsky — ist weder schwierig noch interessant; weit schwieriger, interessanter und wichtiger ist es, Regeln zu finden, die diese Beispiele erklären. 1.10. Damit sind wir eigentlich schon beim Zweck unseres Vorhabens, die häufigsten deutschen Verben mit ihren Valenzen und Umgebungen in Listen zusammenzustellen. Solche Listen sollen einen Regelmechanismus darstellen, nach dem man die richtigen Sätze der deutschen Sprache erzeugen kann — und nur sie. Jeder Satz, der in dieser Beziehung in der Sprache als falsch gilt, muß durch den Regelmechanismus ausgeschlossen werden können. Damit verfolgen wir genau den Zweck, den die generative Grammatik der Grammatik überhaupt zuschreibt. So ist die Grammatik für N. Chomsky ein Mittel, das alle grammatischen Sätze einer Sprache — und nur sie — generiert.71 Die Erzeugung von Nicht-Sätzen der betreffenden Sprache muß durch den von der Grammatik konstruierten Regelmechanismus ausgeschlossen werden. 72 Auf diese Weise ist die generative Grammatik im Grunde nichts anderes als eine exakte Spezifizierung des Begriffes „grammatischrichtiger Satz der Sprache L." 7 3 Dabei ist „grammatisch" in einem weiteren Sinne verstanden als in der traditionellen Grammatik, er umschließt — sowohl in der jüngeren Entwicklung der generativen Grammatik als auch bei uns — semantische Umgebungen, die die Kompetenzen der traditionellen Grammatik überschreiten würden. Auf diese Weise schließt die Grammatik (wie übrigens auch die anderen Wissenschaften — vgl. etwa in der Medizin die Trennungslinie zwischen „normal" und „pathologisch", die eine ähnliche Willkür in sich birgt) ein gewisses Maß an Idealisierung ein, die einfach darin besteht, daß die Grammatik ohne eine Trennung in abweichende und nicht-abweichende Sätze nicht auskommt. Diese Abweichungen können grammatisch oder semantisch sein. Deshalb ist es — im Unterschied zu N. Chomsky — wohl besser, von abweichenden und nicht-abweichenden Sätzen statt von grammatischen und nicht-grammatischen Sätzen zu sprechen. Dadurch ist es möglich, die Frage, ob die semantischen Umgebungen (die Selektionsregeln im Sinne von N. Chomsky) der Grammatik zuzurechnen seien (wie N. Chomsky vorschlägt) oder der Semantik zugehören (wie bei J. J. Katz), offenzulassen, eine Frage, die bestimmt für die Fremdsprachenmethodik 350
und wahrscheinlich auch für die linguistische Beschreibung von sekundärem Rang ist. N. Chomsky selbst spricht statt von Abweichung und von NichtAbweichung von Grammatikalität und Ungrammatikalität, und er kann das tun, weil er diese Selektionsregeln in die Grammatik einbaut. Wenn man solche Sätze als Abweichungen bezeichnet, ist man schon auf dem besten Wege, zu erklären, wie und warum sie abweichen. Ohne eine solche Trennung in abweichende und nicht-abweichende Sätze kommt keine Grammatik aus, wenn sie wirklich ein System sprachlicher Regelmäßigkeiten ist. Eine Grenze zu ziehen wird natürlich besonders schwerfallen bei einmaligen und metaphorischen Äußerungen der Dichtersprache, in denen oft ein Satz erscheint, der ansonsten als Abweichung zu bezeichnen wäre. Aber diese Fälle in die regelmäßigen Fälle einzureihen hieße die Grenze zwischen Abweichungen und Nicht-Abweichungen flüssig machen und schließlich aufheben. Wenn man aber auf diese Grenze verzichtet, wäre die Grammatik kein System sprachlicher Regelmäßigkeiten mehr, sondern enthielte dann alle Sätze, die in der betreffenden Sprache je gesprochen und geschrieben worden sind. Das Resultat wäre dann eine Ein-Satz-Grammatik, eine Grammatik, die nur den einen Satz enthielte: „Jede Folge deutscher Wörter ist ein deutscher Satz." Dieser eine Satz wäre entsprechend für alle anderen Sprachen gültig, was offensichtlich linguistisch sinnlos ist. Auf diese notwendige Konsequenz des Verzichts auf die Grenze zwischen Abweichungen und Nicht-Abweichungen hat namentlich H. Putnam hingewiesen. 74 Mit der Schaffung eines solchen Regelmechanismus, der es dem Ausländer erlaubt, im Hinblick auf die Umgebungen der Verben nur richtige Sätze zu erzeugen, ist der Hauptzweck unserer Arbeit gekennzeichnet. Ein solcher Regelmechanismus ist in der Tat notwendig, besonders für Ausländer, da beim Gebrauch des Deutschen als Muttersprache — auf Grund des Sprachgefühls — solche Fehler sehr selten sind. In diesem Sinne ist unser Anliegen nicht nur unmittelbar aus dem Deutschunterricht für Ausländer erwachsen, sondern ist auch für diesen Unterricht bestimmt und wirkt auf ihn zurück. Diese Rückwirkung auf den Fremdsprachenunterricht soll sich nicht auf die Schaffung eines solchen Regelmechanismus beschränken, sondern soll sich darüber hinaus in indirekter Weise in Lehrmaterialien und im Unterricht selbst niederschlagen. Allerdings wird man diesen theoretischen Regelmechanismus als notwendige Voraussetzung ansehen müssen, um praktizistische Kurzschlüsse zu vermeiden. Vor solchen praktizistischen Kurzschlüssen hat namentlich auch Ch. C. Fries 75 gewarnt, indem er immer wieder nachdrücklich betont hat, daß das Wesen auch seiner Pattern-Praxis und seines „oral approach" nicht die größere zur Verfügung stehende Zeit ist, nicht die kleineren Gruppen und nicht einmal die Betonung der mündlichen Praxis, sondern allein die wissenschaftliche Strukturbeschreibung der betreffenden Sprache, auf deren Grundlage die methodischen Prinzipien erwachsen und die entsprechenden Lehrmaterialien geschaffen werden müssen. Alles andere sind nach Ch. C. Fries „externals of procedure" (auch die oral practice und der Einsatz der Tech351
nik), und wenn man das Neue der Fremdsprachenmethodik allein nach diesen Äußerlichkeiten beurteilt, ignoriert man ihr eigentliches Wesen, das in der Strukturbeschreibung als theoretischer Basis besteht. So ist es beispielsweise kein Geheimnis, daß nicht nur die ausländischen Studenten, sondern auch die Deutschlektoren einen weiten Bogen machen um solche Übungen wie zu reden—sagen —sprechen16, bei denen in verschiedene Kontexte jeweils das richtige Verb eingesetzt werden muß. Gewiß ist ein Lektor in der Lage, sich auf Grund seines Sprachgefühls für das richtige Verb zu entscheiden. Aber damit ist noch nicht viel gewonnen, denn einmal ist er in den meisten Fällen nicht in der Lage, seine Intuitionen zu formalisieren (gerade das will unser Regelmechanismus im besonderen und die generative Grammatik im allgemeinen 77 ), und andererseits fehlt dem Ausländer das für die richtige Entscheidung notwendige Sprachgefühl. Gerade bei solchen Übungen, bei denen bedeutungsähnliche oder -gleiche Verben (die sich allein durch die Umgebungen unterscheiden) einzusetzen sind — und auch weit über diese Übungen hinaus —, wird ein solcher Regelmechanismus gute Dienste leisten. Erfahrungen im Fortgeschrittenenunterricht zeigen, daß gerade hier im mündlichen und schriftlichen Ausdruck — auch bei Ausländern mit gutem und sehr gutem grammatischem und lexikalischem Wissen — noch vielfach Fehler auftreten: hindern — verhindern — behindern, eilen — sich beeilen, sich entschließen — beschließen, hungern — verhungern — aushungern, trauen — sich getrauen — sich zutrauen — anvertrauen, fragen — befragen — erfragen, kennen — wissen, unterhalten, kochen, bestehen, sorgen, gehören — angehören — gehören zu u. a.
Diese Liste ist beliebig fortsetzbar. Da die Unterschiede dieser und ähnlicher Verben nicht allein auf dem semantischen Gebiete, sondern wesentlich auf dem der Umgebungen liegen, wird man zunächst für die betreffenden Verben einen solchen Regelmechanismus entwickeln müssen. Von ihm führt ein Weg über Lehrmaterialien in die unmittelbare Praxis. Wenn wir gegenwärtig mit den „Übungen für Fortgeschrittene" zwar die praktischen Lehrmaterialien haben, aber noch keinen theoretischen Apparat, so ist das kein Ideal, sondern aus den dringlichsten Bedürfnissen des Unterrichts erwachsen. Wir sollten uns aber davor hüten, aus dieser Not eine Tugend zu machen.
2. In einem zweiten Teil sollen einige praktische Beispiele vorgeführt werden. Wir haben uns absichtlich schwierige Verben ausgesucht, um auf diese Weise zu prüfen, ob auch diese auf unserem Wege beschreibbar sind (vgl. vor allem das Beispiel halten). Viele andere Verben sind leichter zu beschreiben, da sie oftmals überhaupt keine Selektionsbeschränkungen auf Stufe III zeigen. 352
bewundern I. bewundern2 II. bewundern2 S n , Sa III. S n -> H u m (Ich bewundere meinen Freund.) S« -* 1. H u m (Ich bewundere meinen Freund.) 2. + A n i m (Ich bewundere den Hund.) 3. — Anim (Ich bewundere die Wohnung.) 4. Abstr (Ich bewundere seine Fähigkeiten.) legen I. legen3 (1. Variante) II. legen3 -> S n , S a , pS/Adv III. S n 1. H u m (Ich lege das Buch auf den Tisch.) 2. + A n i m (Der Hund legt das Paket in die Ecke.) S a -y 1. H u m (Die Mutter legt das Kind ins Bett.) 2. + A n i m (Wir legen den Hund ins Körbchen.) 3. —Anim (Wir legen das Buch auf den Tisch.) 4. Abstr (Wir legen Wert auf diese Feststellung.) p = in, auf, unter, über, neben, hinter, vor, an, zwischen pS 1. H u m (Wir legen Wert auf den Freund.) 2. + A n i m (Wir legen Wert auf den Hund.) 3. —Anim (Wir legen Wert auf das Buch.) 4. —Anim (Dir) (Wir legen das Buch auf den Tisch.) 5. Abstr (Wir legen Wert auf die Feststellung.) 6. Act (Wir legen Wert auf das Denken.) Adv ->• Dir (Wir legen Wert darauf. Wir legen das Buch dorthin.) I. legen2 (2. Variante) II. legen2 S n , S„ III. S„ -» 1. H u m (Die Mutter legt die Wäsche.) 2. + A n i m (Die Henne legt ein Ei.) S a -> 1. —Anim (Die Henne legt ein Ei.) 2. 0 (Die Henne legt.) Bemerkungen: 1. Die beiden Varianten unterscheiden sich nicht nur in der Bedeutung, sondern auch strukturell (bereits auf Stufe I). Innerhalb der 1. Variante ist noch einmal zwischen konkreter (Ich lege das Buch auf den Tisch) und abstrakter Bedeutung (Ich lege Wert auf diese Feststellung) zu unterscheiden: Sie unterscheiden sich auf Stufe III in Sa (bei konkreter Bedeutung ->• Hum, +Anim, — Anim, bei übertragener Bedeutung -*• Abstr), in p (bei übertragener Bedeutung = auf, manchmal = an, bei konkreter Bedeutung alle genannten lokalen Präpositionen) und in pS (bei konkreter Bedeutung ->• —Anim (Dir), bei übertragener Bedeutung keine Selektionsbeschränkungen). 2. Adv bei Variante 1 ist bei konkreter Bedeutung = dorthin, bei übertragener Bedeutung = darauf. 3. Im Falle Die Henne legt handelt es sich nur scheinbar um Einwertigkeit; in Wirklichkeit ist der 2. Mitspieler stets eindeutig — unabhängig vom Kontext — mitgedacht ( = Die Henne legt Eier). 23
Probi, der Sprachwissenschaft
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ändern I. ändern2 II. ändern2 -* S n , Sa III. Sn -* 1. Hum (Der Schneider ändert den Anzug.) 2. +Anim (Der Hund ändert seine Gewohnheiten.) 3. —Anim (Das Schiff ändert den Kurs.) 4. Abstr (Der Erfolg ändert den Künstler.) Sa -» 1. Hum (Er ändert den Freund.) 2. —Anim (Er ändert den Anzug.) 3. Abstr (Er ändert seine Meinung.) Zusätzlich gilt: Wenn Sa = Sn (gleichgültig, ob beide Hum, +Anim, —Anim oder Abstr sind), dann Sa = Refl (Er ändert sich). rauben I. rauben2(3) II. rauben2(V, -> S„, S„ (Sd) III. S„ 1. Hum (Ich raube ihm das Geld.) 2. +Anim (Das Tier raubt die Jungen.) 3. Abstr (Die Krankheit raubt ihm Zeit.) 4. Act (Das Schlafen raubt ihm Zeit.) Sa —• 1. Hum (Der neue Wohnort raubt ihm den Freund.) 2. +Anim (Er raubt ihm den Hund.) 3. —Anim (Er raubt ihm das Geld.) 4. Abstr (Die Krankheit raubt ihm die Zeit.) Sd ->• 1. Hum (Die Krankheit raubt ihm die Zeit.) 2. +Anim (Die Menschen rauben dem Hund die Jungen.) 3. Abstr (als Hum) (Er raubte dem Staat viele Gelder.) Bemerkungen: 1. Die Rolle des Dativs als semantischer Zielpunkt, als „Sinngebung des Geschehens" (H. Brinkmann) wird aus der semantischen Umgebung deutlich. 2. Auf Grund dieser verschiedenen Rolle der Kasus liegt auch keine echte Zweiseitigkeit, schon gar nicht Dreiseitigkeit vor. 3. Unterschieden werden müssen die beiden Interpretationsmöglichkeiten des Satzes Ich raube ihm das Geld: a) ihm = ,für ihn' (er ist Nutznießer!): keine Valenz, sondern freier Dativ; b) ihm = ,von ihm weg' (er ist der Geschädigte!): fakultative Valenz. 4. S d ist dann notwendig, wenn S a = Abstr (Ich raube das Geld, aber *Er raubt den Schlaf). In diesem Falle ist rauben3 anzusetzen.
berauben I. berauben^3) II. berauben2(3) III. Sn —• 1. 2. 3. 4. 354
-> S n , S a , (S„) Hum (Ich beraube ihn des Geldes.) +Anim (Das Tier beraubt ihn der Lebensmittel.) Abstr (Die Krankheit beraubt ihn der Zeit.) Act (Das Schlafen beraubt ihn der Zeit.)
Sa Sg -»•
1. Hum (Die Krankheit beraubt ihn dieser Möglichkeit.) 2. +Anim (Die Menschen berauben den Hund der Jungen.} 3. Abstr (als Hum) (Er beraubt den Staat des Geldes.) 1. Hum (Der neue Wohnort beraubt ihn des Freundes.) 2. +Anim (Er beraubt ihn des Hundes.) 3. — Anim (Er beraubt ihn des Geldes.) 4. Abstr (Er beraubt ihn der Zeit.)
Bemerkung: Zwischen rauben und berauben liegt — bei gleichem semantischem Gehalt — folgende syntaktische Gliederungsverschiebung vor: Sn ->- Sn> (Sd) -» S a , Sa -»- (Sg).
halten I. haltenx (1. Variante) II. haltenx -> S„ III. Sn 1. Hum (Der Direktor hält.) 2. +Anim (Das Pferd hält.) 3. —Anim (Der Wagen, der Stoff hält.) Zusätzlich gilt: 1. Wenn S„ -> Hum oder +Anim, dann = ,haltmachen'; 2. Wenn Sn -> —Anim, dann entweder a) = »haltmachen' oder b) = ,ganz bleiben'. I. haltenli3> (2. Variante) II. halten2(3) - S„, S a /pS, (Sd) III. Sn -> 1. Hum (Ich halte den Handschuh.) 2. Abstr (als Hum) (Das Institut hält sein Versprechen.) Sa —• 1. Hum (Ich halte das Kind.) 2. +Anim (Ich halte den Hund.) 3. —Anim (Ich halte das Buch.) 4. Abstr (Ich halte das Versprechen.) Sd 1. Hum (Er hält ihm die Treue.) 2. +Anim (Er hält dem Hund die Treue.) 3. Abstr (als Hum) (Er hält dem Staat die Treue.) p = auf, an, zu Wenn p = auf, pS -* 1. Hum (Er hält auf seinen Freund.) 2. +Anim (Er hält auf seinen Hund.) 3. —Anim (Er hält auf seine Bücher.) 4. Abstr (Er hält auf sein Ansehen.) Wenn p = an, pS Reil (Ich halte an mich.) Wenn p = zu, pS -» 1. Hum (Ich halte zu meinem Freund.) 2. +Anim (Ich halte zu meinem Hund.) 3. Abstr (Ich halte zu meinem Wort.) 23*
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Zusätzlich gilt: 1. Wenn Sa -> Hum, +Anim oder — Anim, dann sind zwei Bedeutungen möglich: a) = festhalten' (Ich halte das Kind, das Buch), b) = ,haben' (Er hält zwei Frauen, zwei Pferde, zwei Autos). 2. Wenn Sa Abstr, dann sind ebenfalls zwei Bedeutungen möglich: a) = ,einhalten' (Ich halte das Versprechen), b) = veranstalten' (Ich halte das Referat). 3. Bei pS werden die Bedeutungen wieder von der Distribution her spezifiziert: a) wenn p = auf, dann = ,achthaben', b) wenn p = an, dann = ,sich beherrschen', c) wenn p = zu, dann = ,auf einer bestimmten Seite stehen'. I. halten3 (3. Variante) II. halten3 S n , S a , Adj/Part/pS/pAdj III. S n -> 1. Hum (Ich halte ihn für einen Arzt.) 2. +Anim (Der Hund hält mich für seinen Herrn.) 3. Abstr (als Hum) (Der Staat hält ihn für einen hervorragenden Wissenschaftler.) S» -* keine Kontextbeschränkungen Adj Mod (Ich halte das Essen warm.) Part -»• Mod (Ich halte das Haus verschlossen.) p = für pS -+ 1. Hum (Ich halte ihn für einen Arzt.) 2. +Anim (Ich halte das für einen Hund.) 3. —Anim (Ich halte das für Margarine.) p = für pAdj -> Mod (Ich halte ihn für tot.) Zusätzlich gilt: Adj und pAdj differenzieren die Bedeutungen von halten: a) Wenn Adj, dann = ,in einem Zustand erhalten'; b) wenn pAdj, dann = einschätzen als' (wie im Falle pS). Bemerkungen: 1. Das Beispiel halten — das wohl zu den schwierigsten, weil polysemsten Verben gehört — zeigt, daß auch die schwierigsten Verben formal von der Valenz und Distribution her beschrieben werden können. Es zeigt weiter, daß keine absolute Parallelität zwischen Bedeutung und Valenz besteht. Es zeigt, daß zwar die Umgebungsanalyse viel zur Bedeutungsanalyse und -Schichtung beiträgt, daß aber trotz der Bestimmung auf allen drei Stufen noch Homonymien übrigbleiben (vgl. haltenwenn S„ —Anim; halten2, wenn S a ->- Abstr). 2. Adv gehört hier nicht zu den Valenzen, da beliebig weglaßbar und hinzufügbar, und zwar bei allen Varianten (Das Auto hält vor dem Haus. Ich halte ihn an der Hand). 3. Schwieriger ist die Entscheidung für S d , wo wahrscheinlich zwei Fälle unterschieden werden müssen: a) Sd ist keine Valenz, wenn ein Teil des Ganzen gemeint ist (Ich halte ihm die Hand). Erkennbar wird das durch eine mögliche Transformation, die die tatsächliche Zweiwertigkeit sichtbar macht (Ich halte seine Hand). Dabei sollen feine inhaltliche Unterschiede (H. Brinkmann!) keineswegs geleugnet werden, b) S d gilt als fakultative Valenz bei halten2, wenn inhaltlich der Empfänger gemeint ist (Er hält seinem Freund die Treue). Hier ist auch keine Transformierbarkeit in den Genitiv bzw. das Possessivum gegeben.
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Anmerkungen 1 G. Heibig, Der Begriff der Valenz als Mittel der strukturellen Sprachbeschreibung und des Fremdsprachenunterrichts, in: Deutsch als Fremdsprache, Leipzig, 1/1965, in diesem Sammelband S. 316. 2 An dieser Arbeit waren beteiligt: S. Colditz, H. Georgi, Ch. Leska, W. Schenkel und A. Schimanski. 3 Z. S. Harris, Methods in Structural Linguistics, Chicago 1951, S. 15f. Z. S. Harris, Distributional Structure, in: Word 10/1954, S. 146. 4 Z. S. Harris, a. a. O., S. 146; vgl. dazu auch Ch. F. Hockett, Two Models of Grammatical Description, in: Word 10/1954, S. 215. 5 Ähnlich H. A. Gleason, Jr., An Introduction to Descriptive Linguistics, New York 1955, S. 56. 6 Vgl. Z.S.Harris, Co-occurrence and Transformation in Linguistic Structure, in: Language 3/1957. 7 Auf besondere Schwierigkeiten des Distributionsbegriffes kann hier nicht eingegangen werden; vgl. dazu P. Diderichsen, The Importance of Distribution Versus Other Criteria in Linguistic Analysis, in ¡Proceedings of the Eighth International Congress of Linguists, Oslo 1958, S. 166ff. 8 Vgl. dazu H. L. Kufner, The Grammatical Structures of English and German, Chicago 1962, S. 43. 9 Vgl. W. Pfleiderer, Der deutsche Satz, in: F. Rahn, Neue Satzlehre, Frankfurt 1940, S. 24f., 46f., 51 ff. 10 Vgl. M. Regula, Grundlegung und Grundprobleme der Syntax, Heidelberg 1951, S. 115. 11 Vgl. H. Renicke, Grundlegung der neuhochdeutschen Grammatik, Berlin 1961, S. 84ff., 92f. 12 Vgl. G. Heibig, Der Begriff der Valenz als Mittel der strukturellen Sprachbeschreibung und des Fremdsprachenunterrichts, in: Deutsch als Fremdsprache, Leipzig, 1/1965, S. 21, in diesem Sammelband S. 331 ff. 13 Vgl. dazu auch den Diskussionsbeitrag von E. Buyssens auf dem IX. Internationalen Linguistenkongreß, in : Proceedings of the Ninth International Congress of Linguists (Cambridge/Mass. 1962). The Hague 1964, S. 704f. 14 Vgl. H. Glinz, Die innere Form des Deutschen, Bern 1962, S. 96f. 15 Vgl. M. Regula, Grundlegung und Grundprobleme der Syntax, Heidelberg 1951, S. 74; vgl. auch M. Regula, Syntactica, in: Indogermanische Forschungen 1/65, 1960, S. 9. 16 Vgl. H. Becker, Hauptprobleme der deutschen Satzlehre, 1. Teil, Lehrbriefe für das Fernstudium der Oberstufenlehrer, Potsdam 1956, S. 47. 17 Vgl. W. Schmidt, Grundfragen der deutschen Grammatik, Berlin 1965, S. 65, 127fï., 190 f. 18 Auch H. Becker entwickelt innerhalb seiner Neuen Sprachlehre jetzt ein — rein syntaktisches — „Platzmodell", das in erster Linie die Tatsache meint, „daß für bestimmte Formen freie Plätze im Satzplan bestehen" (H. Becker, Neue Sprachlehre, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe 1/1965, S. 165). Aber es erscheint zweifelhaft, ob àuf Grund seiner „Dreisatzteillehre" (in der Subjekt, Prädikat und Prädikativum zu einem „Satzkern" zusammengeschlossen sind) eine strengere Modellierung möglich ist. 19 Vgl. etwa L. Tesnière, Esquisse d'une syntaxe structurale, Paris 1953; L. Tesnière, Eléments de syntaxe structurale, Paris 1959. 20 Vgl. etwa G. Klaus, Einführung in die formale Logik, Berlin 1959; in entsprechender linguistischer Applikation F. Schmidt, Logik der Syntax, Berlin 1962. 21 Vgl. C. K. niayMHH/n. A. CoöoueBa, AnrumKaTHBHasi nopoxflaiomait Moaêjn. h HcmcjieHHe TpaHC^opMauHfi B pyccKOM suHKe, MocKBa 1963, S. 12ff., 16ff. Vgl. dazu auch IT. A. CoöoueBa, OnwT HCHHCJICHIW TPAHC^opMaimft Ha ocHose TeopHH C. K. IIIayMHHa o nopoKAemm KjiaccOB CJIOB B npouecce nopoxwemu rpaMMaTHKH, in: IIpoöJieMM CTpyinypHofi JIHHTBHCTHKH, MocKBa 1963, S. 233. 357
22 Vgl. dazu auch A. W. Groot, Subject-Predicate-Analysis, in: Lingua VI, 3/1957, S. 304ff. 23 Vgl. W. Schmidt, Grundfragen der deutschen Grammatik, Berlin 1965, S. 127f. 24 In manchen Richtungen des Strukturalismus wird geradezu die Binarität (nicht nur des Satzes, sondern aller sprachlichen Einheiten) zum letzten Prinzip erklärt, etwa im „syntagmatischen Strukturalismus" von R. F. Mikuä (vgl. R. F. Mikuä, Die klassische Grammatik und der syntagmatische Strukturalismus, in: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 1 + 2/1962). 25 Vgl. W. Schmidt, Grundfragen der deutschen Grammatik, Berlin 1965, S. 127f. 26 So etwa G. Schreinert, Zur Behandlung der Syntax in der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule, in: Deutschunterricht, Berlin, 4 4- 5/1960, S. 218f. Selbst W. Admoni scheint eine solche Parallelität von Sprachstruktur und Wirklichkeit anzunehmen; vgl. W. Admoni, Der deutsche Sprachbau, Leningrad 1960, S. 212. 27 Dazu kritisch bereits K. Welke, Zum Problem des Satzkerns, in: Deutschunterricht, Berlin, 2/1964, S. 163f. 28 Vgl. L. Weisgerber, Vom Weltbild der deutschen Sprache, 1. Halbband: Die inhaltbezogene Grammatik, Düsseldorf 1953, S. 105ff., 198ff. 29 Vgl. W.Schmidt, Grundfragen der deutschen Grammatik, Berlin 1965, S. 18; vgl. dazu auch W. Neumann, Wege und Irrwege der inhaltbezogenen Grammatik, in: Weimarer Beiträge, 1/1961, S. 134. 30 Vgl. dazu vor allem B. B. B H H O R P A N O B , O NPEOFLOJIEHHH NOCJIEFLCTBHFI KYJITTA JLHHHOCTH B C O B e T C K O M H3bIK03HaHHH, S. 25ff. Vgl. auch B. A. Cepe6peHHHKOB, O JIHKBHflailllH nocjieflCTBHft KyjibTa JTHHÜOCTH CranHHa B H3BIK03HAHHH, S. 110. (Beide in: TeopeTiwecKHe npoÖJieMbt coBpenteHHoro coBeTcicoro «3WK03HaHH«, MocKBa 1964). 31 Vgl. dazu auch etwa G. F. Meier, Was versteht man unter marxistischer Sprachwissenschaft? In: Studientexte zur Allgemeinen Sprachwissenschaft, Heft 1 (hrsg. vom Pädagogischen Institut Leipzig), Leipzig 1965, S. lOf. Vgl. dazu auch: Zeichen und System der Sprache. Veröffentlichungen des 1. Internationalen Symposions „Zeichen und System der Sprache" vom 28. 9.—2.10. 59 in Erfurt. Berlin 1961/62. (Vor allem Schlußwort von G. F. Meier.) 32 Vgl. etwa W. Härtung, Die zusammengesetzten Sätze des Deutschen, als: Studia Grammatica IV, Berlin 1964, S. 30f. Vgl. JI. H . 3acopmia, TpaHCopMainw KaK MCTOÄ jiHHrBHCTHiecKoro SKcnepHMeHTa B CHHTaKCHce, in: Axa^eMH« HayK CCCP. TpaHc4>0pMaiiH0HHbiä M E T O « B CTpyKTypHOft .TIHHrBHCTHKe, MocKBa 1964, S. llOf. Vgl. IO. p,. AnpecjiH, O nomrriwx H MeToaax CTpyKTypHOft JieKCHKOJionoi, in: r i p o 6NEMBI CTPYKTYPHOFT JIHBFBHCTHKH, M o c K B a 1 9 6 2 , S . 1 4 1 f f .
33 Vgl. dazu H. Brinkmann, Die deutsche Sprache, Düsseldorf 1962, S. 223ff., 464f. Auf dem an sich schon unscharfen Valenzbegriff H. Brinkmanns baut W. Schmidt auf (Grundfragen der deutschen Grammatik, Berlin 1965, S. 197ff.). Er geht allerdings noch hinter H. Brinkmann zurück, wenn er H. Brinkmanns nullstellige Verben (also auch Es regnet) — offenbar unter dem Zwange der Binarität — als einstellig bezeichnen möchte, „da das unpersönliche ,es' die Stelle eines Subjekts vertritt". 34 Vgl. N.Chomsky, Categories and Relations in Syntactic Theory, MIT 1964, in: Materialien zum II. Internationalen Symposion „Zeichen und System der Sprache" 1964 in Magdeburg, S. 27f., 38f., 55. 35 Vgl. H. Glinz, Geschichte und Kritik der Lehre von den Satzgliedern in der deutschen Grammatik, Bern 1947. 36 Vgl. L. Weisgerber, Vom Weltbild der deutschen Sprache, 1. Halbband: Die inhaltbezogene Grammatik, Düsseldorf 1953, S. 241 ff. 37 Zu diesem Beispiel vgl. E. Bach, An Introduction to Transformational Grammars, New York/Chicago/San Francisco 1964, S. 10. 38 Vgl. G. Heibig, Der Begriff der Valenz als Mittel der strukturellen Sprachbeschreibung und des Fremdsprachenunterrichts, in: Deutsch als Fremdsprache, Leipzig, 1/1965, S. 21, in diesem Sammeiband S. 331. 39 Vgl. N. Chomsky, Categories and Relations in Syntactic Theory, MIT 1964, in: Materialien zum II. Internationalen Symposion „Zeichen und System der Sprache" 1964 in Magdeburg, S. 27f., 38f., 55, 90ff.
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40 Im Gegensatz zu seinen früheren Arbeiten legt N. Chomsky heute großen Wert darauf, daß solche Regeln in die Grammatik eingebaut werden. Man könne eine Grammatik nicht reduzieren auf Dinge wie Flexion, Rektion usw., ebensowenig wie man sie auf die phonetischen Strukturen reduzieren könne (vgl. dazu N. Chomsky, The Logical Basis of Linguistic Theory, in: Proceedings of the Ninth International Congress of Linguists (Cambridge/Mass. 1962), The Hague 1964, S. 914, Anm. 2; vgl. auch N . Chomsky, Current Issues in Linguistic Theory, The Hague 1964, S. 7f., Anm. 1). Darum gibt es jetzt in N. Chomskys generativer Grammatik neben der syntaktischen und phonologischen Komponente auch eine semantische Komponente. Uns erscheint es von keiner wesentlichen Bedeutung für die linguistische Beschreibung und erst recht für Zwecke der Fremdsprachenmethodik zu sein, ob diese notwendigen Subkategorisierungsregeln der Syntax eingegliedert werden (wie bei N. Chomsky) oder ob sie der Semantik zugesprochen werden (so etwa J. J. Katz, The Semantic Component of a Linguistic Description, MIT 1964, in: Materialien zum II. Internationalen Symposion „Zeichen und System der Sprache" 1964 in Magdeburg). 41 Vgl. die beiden Referate G. F. Meiers auf dem II. Internationalen Symposion „Zeichen und System der Sprache" 1964 in Magdeburg; vgl. auch G. F. Meier, Semantische Analyse und Noematik, in: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 6/1964; vgl. auch G. F. Meier, Ein Beispiel der Monosemierung durch noematische Textanalyse, in: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 1/1965. 42 Diese neue Entwicklungsphase der generativen Grammatik N. Chomskys beginnt etwa mit seinem Referat „The Logical Basis of Linguistic Theory" auf dem 9. Internationalen Linguistenkongreß 1962 in Cambridge/Mass, in: Proceedings of the Ninth International Congress of Linguists, The Hague 1964. 43 Vgl. I. Poldauf, The Third Syntactical Plan, in: Travaux Linguistiques de Prague 1, Prague 1964, S. 241 ff. 44 Vgl. auch E. A. HBaHiHKOBa, O CTpyKTypHofl (¡mKyjibTaTHBHOCTH h CTpyKTypHoä oö-bsnaTejibHOCTK B cdHTaKciice, in: Bonpocw sni>iK03HaHHH 5/1965, S. 85. 45 Vgl. H. Renicke, Grundlegung der neuhochdeutschen Grammatik, Berlin 1961, S. 99. 46 Vgl. W. Härtung, Die Passivtransformation im Deutschen, in: Studia Grammatica I, Berlin 1965, S. 101. 47 Von dieser Warte aus erscheint uns W. Schmidts Charakteristik des „freien Dativs" als „nicht notwendiges Objekt" (Grundfragen der deutschen Grammatik, Berlin 1965, S. 152) als eine contradictio in adjecto. 48 S. Latzel, Gedanken über die deutsche Sprache, in: Deutschunterricht für Ausländer 1/1964, S. 7f. 49 Diese Diskussion geht zurück auf einen wertvollen Hinweis von W. Schenkel. 50 Vgl. W. Schmidt, Grundfragen der deutschen Grammatik, Berlin 1965, S. 131. 51 Vgl. H. Glinz, Die innere Form des Deutschen, Bern 1962, S. 85ff. 52 Zu den Relationsurteilen und der entsprechenden Begriffsbildung vgl. G. Klaus, Einführung in die formale Logik, Berlin 1959, S. 40f., 242ff., 248; F. Schmidt, Logik der Syntax, Berlin 1962, S. 108; J. M. Bochenski, Über syntaktische Kategorien, in: Logisch-philosophische Studien, Freiburg/München 1959, S. 81. J. M. Bochenski, Grundriß der Logistik, Paderborn 1954, S. 16. R. Carnap, Die logische Syntax der Sprache, Wien 1934, S. 12. 53 Vgl. L. Weisgerber, Vom Weltbild der deutschen Sprache, 1. Halbband: Die inhaltbezogene Grammatik, Düsseldorf 1953, S. 217ff. 54 Vgl. W. Schmidt, Lexikalische und aktuelle Bedeutung, Berlin 1963, S. 45f. 55 Vgl. P. Mpa3eK, CHHTaKcmecKa« ÄHCTPHÖYINM raarojioB H HX KJiaccoB , in: Bonpocw n3biK03HaHiw 3/1964, S. 50ff. 56 Vgl. KD. JX. Anpecm, Oni.IT oimcamw SHaieHHÖ rjiarojioB no HX cHHTaiccHHecKHM npH3HaicaM (ranaM ynpaBJieiuui), in: Bonpocti H3biK03HaHM 5/1965, S. 51 ff. 57 Vgl. K). fl. Anpecjw, a. a. O., S. 57. 58 K). p,. Anpecjra, O CHJM>HOM H cjia6oM ynpaBJieHHH, in: Bonpocw «3biK03HaHmi 3/1964, S. 32ff.
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Ähnlich wie J. D. Apresjan (keine Scheidung von obligatorischen und fakultativen Valenzen, Trennung zwischen regulärer [ = starker, obligatorischer] und irregulärer [ = schwacher, fakultativer] Rektion) auch H. K). IÜBeflOBa, /leTepMHHHpyiomHÄ o6mkt H fleTepMHHHpyiomee o6cTo«Tera.H0CTi> KaK caMocToaTentHtie pacnpocTpaHHTejiH
npeflnoaceinw, in: Bonpocbl H3biK03HaHHfl 6/1964, S. 78ff. 59 Vgl. A. M. rieniKOBCKHfi, PyccKHÄ CHHTaKCHC B HayiHOM ocBemeHHH, MocKBa 1938, S. 269. 60 Vgl. dazu kürzlich auch E. A. HBaHHiucoBa, O crpyKTypHofi (JiajcyjibTaTHBHocTH H C T p y K T y p H o f i 0 6 t n 3 a T e n b H 0 C T H B C K H T a K c n c e , in: Bonpocbl «3biK03HaHH$i 5/1965, e t w a S. 8 7 ff.
61 Vgl. dazu auch IO. fl. Anpecjm, OnbiT onHcaHiw 3HaieHHii rnarojioB no HX cHHTaxcH•TECKHM NPH3HAXAM (THIKIM ynpaBjieHH«), in: Bonpocw H3BIK03HAHHA 5/1965, S. 52. 62 Vgl. 3 . A. IIlTeHHijjejibflT, MacTOTHbifi cnoBapb coßpeMeHHoro pyccKoro JiHTepaTypHoro H3wxa, TaiuiHH 1963. 63 Vgl. H. H. PeB3HH, CTpyKTypHaa JIHHRBHCTHKA H C^HHCTBO H3biK03HaHH», in: Bonpocw Ä3bIK03HaHHH 3/1965, S. 46. 64 Vgl. H. H. PeB3HH, MoflejiH H3biKa, MocKBa 1962, S. 8 ff. 65 Vgl. C. K. niayMHH, njioco(J)CKHe Hflen B. H. JleHHHa h pa3BHrae coßpeMeHHoro fl3biK03HaHHH, AxaHeMH« HayK CCCP — HHCTHTyT CjiaBflHOBeaeHH», KpaTKHe coo6meHH», MocKBa 1961, S. 72f. 66 Vgl. C. K. UlayMHH, CTpyKTypnaa JiHHrBHCTHKa, MocKBa 1965, S. 46f. 67 Vgl. etwa M. Bierwisch, Grammatik des deutschen Verbs, als: Studia Grammatica II, Berlin 1963, S. 9ff. 68 P. Hartmann, Modellbildungen in der Sprachwissenschaft, in: Studium Generale 6/1965, S. 378. 69 Vgl. G. F. Meier, Was versteht man unter marxistischer Sprachwissenschaft? In: Hochschulwesen 1/1959, S. 32f. 70 Vgl. N . Chomsky, Current Issues in Linguistic Theory,The Hague 1964, S. 53f. 71 Vgl. N. Chomsky, Syntactic Structures, The Hague 1964, S. 13f. Etwas abgewandelt N. Chomsky, Current Issues in Linguistic Theory, The Hague 1964, S. 9. Vgl. auch E. Bach, An Introduction to Transformational Grammars, New York/ Chicago/San Francisco 1964, S. 5f, 175. 72 Vgl. dazu N. Chomsky/G. A. Miller, Introduction to the Formal Analysis of Natural Languages, in: Handbook of Mathematical Psychology, Bd. II, New York/London 1963, S. 277. Vgl. auch N. Chomsky, Current Issues in Linguistic Theory, The Hague 1964, S. 9. 73 Vgl. M. Bierwisch, Grammatik des deutschen Verbs, als: Studia Grammatica II, Berlin 1963, S. 6. Vgl. auch W. Härtung, Die zusammengesetzten Sätze des Deutschen, als: Studia Grammatica IV, Berlin 1964, S. 1. 74 Vgl. H. Putnam, Zu einigen Problemen der theoretischen Grundlegung der Grammatik, in: Sprache im technischen Zeitalter 14/1965, S. lllOff. 75 Vgl. Ch. C. Fries, Teaching and Learning English as a Foreign Language, Ann Arbor 1945, etwa S. 7. Vgl. auch Ch. C. Fries, The Chicago Investigation, in: Language Learning 3/1949, S. 89 ff, vor allem S. 90, 93. 76 Hrsg. v. J. Buscha, Übungen für Fortgeschrittene (Materialien des Deutschunterrichts für Ausländer — Karl-Marx-Universität Leipzig 1964), S. 11, Übung 32; ähnlich in der erweiterten Ausgabe von 1965 als Übung 79 (Seite 40f.). 77 Vgl. dazu auch M. Bierwisch, Grammatik des deutschen Verbs, als: Studia Grammatica II, Berlin 1963, S. 5.
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BORIS A. ABRAMOW
Zum Begriff der zentripetalen und zentrifugalen Potenzen Die Gesetzmäßigkeiten der Wortverknüpfung sind seit jeher der Gegenstand der linguistischen Forschungen. Besonders beachtenswerte Erkenntnisse sind aber unter Verwendung der Begriffe „Valenz" und „Fügungspotenz" gewonnen worden, wenn auch diese Begriffe von einzelnen Sprachwissenschaftlern — entsprechend ihren methodologischen Prinzipien — recht unterschiedlich gefaßt und verwendet werden. Es ist kaum zweckmäßig, auf viele Unterschiede einzugehen, die bei der Betrachtung von bestehenden Ansichten feststellbar wären. Hier seien deshalb nur die wichtigsten herausgehoben, die den inhaltlichen Umfang dieser Begriffe einerseits und die Bereiche ihrer Verwendung andererseits betreffen. Nicht selten wird die Valenz als Eigenschaft aller in der gegebenen Sprache vorkommenden Wortarten betrachtet. Diese Ansicht liegt beispielsweise — zwar mit gewissen Variationen — den Konzeptionen von S. D. Katznelson 1 , T. P. Lomtew 2 , B. M. Lejkina 3 , I. A. Meltschuk 4 , W. Schmidt 5 u. a. zugrunde. Einen ähnlichen Inhalt hat der Begriff „Fügungspotenz" bei W. G. Admoni 6 . Kaum weniger verbreitet ist die engere Auffassung der Valenz als einer Eigenschaft, die nur der Wortart Verbum innewohnt. Sie wird — ebenfalls mit Variationen — z. B. von L. Tesniere 7 , J. Erben 8 , H. Brinkmann 9 und G. Heibig 10 vertreten. Schließlich wird der Begriff „Valenz" von manchen Vertretern der sowjetischen angewandten Linguistik auf alle sprachlichen Elemente angewendet und dabei als „potentielle Verknüpfbarkeit von gleichartigen Sprachelementen" definiert. 11 Deshalb spricht man jetzt nicht nur von syntaktischen und semantischen, sondern auch von phonologischen, morphologischen und anderen Valenzarten. 12 Da die Gesetzmäßigkeiten der Wortverknüpfung bei syntaktischen Studien (Satzanalyse, Aufstellung von Satzmodellen usw.) stets in gebührendem Maße zu berücksichtigen sind, werden dabei begreiflicherweise immer mehr solche Termini wie „Valenz", „Fügungspotenz", „Verknüpfbarkeit" von Sprachwissenschaftlern verwendet, die verschiedenen linguistischen Schulen angehören, wie es z. B. bei W. G. Admoni 1 3 , I. A. Meltschuk 14 , S. J. Fitialow 15 , L. Tesniere 16 , J. Erben 1 7 u. a. der Fall ist. Dieselben Gesetzmäßigkeiten liegen auch den Kriterien zugrunde, die man seit einiger Zeit immer öfter und konsequenter zu verwenden versucht sowohl für eine präzisere Behandlung der Wortarten und ihrer Wortformen 361
— erinnert sei hierbei z. B. an W. G. Admonis Ansicht, daß die Fügungspotenzen „das ganze Wesen des betreffenden Redeteils bestimmen"18 — als auch für die Aufstellung von Wortklassen innerhalb einzelner Wortarten 19 oder auch bei der Beschreibung von Einzelwörtern hinsichtlich ihrer Valenz (Distribution) wie es z. B. G. Heibig 20 mit den deutschen Verben unternommen hat. Der Wertigkeits- (Valenz-) Begriff wird auch bei der Analyse der Kontextbedingungen verwendet, die zur Aktualisierung einzelner Bedeutungsvarianten der polysemantischen Wörter oder zum Aufheben der Homonymie erforderlich sind. 21 Im Grunde genommen handelt es sich also stets um die zwischen sprachlichen Einheiten und ihren syntaktischen Umgebungen bestehenden Beziehungen, die je nach der gestellten Aufgabe unter dieser oder jener Blickrichtung auf der grammatischen oder auf der lexikalisch-semantischen Ebene betrachtet werden. Da dies ein Gebiet ist, wo sich Wortschatz, Morphologie und Syntax aufs innigste berühren, scheint die Kenntnis der Gesetzmäßigkeiten, die dabei zutage treten, von einer nicht zu überschätzenden Bedeutung zu sein sowohl für die Theorie als auch für die angewandte Linguistik, nicht zuletzt aus verständlichen Gründen auch für die Praxis des Sprachunterrichts. Mit der Betrachtung dieser Gesetzmäßigkeiten — vornehmlich in bezug auf das Verbum finitum — wollen wir uns weiter unten beschäftigen. In Redeakten werden Wörter entsprechend ihren grammatischen und semantischen Eigenschaften verwendet. Es ist folglich das Zusammenspiel dieser Eigenschaften, das die Fähigkeit der Wörter gestaltet, bestimmte Funktionen in Sätzen auszuüben .und sich dabei auf gesetzmäßige Weise mit anderen Wörtern zu verknüpfen. Demnach sollten jedem Wort gewisse syntaktische Potenzen zur Verfügung stehen, d. h. Verwendungsmöglichkeiten, die durch Gesetze der Wortverknüpfung bedingt sind. Bei der Betrachtung der syntaktischen Potenzen ist es notwendig, nicht nur ihre Arten und deren Verteilung auf die Wörter (den paradigmatischen Aspekt), sondern auch die Realisationsbedingungen der einzelnen Potenzen (den syntagmatischen Aspekt) festzustellen. Des weiteren wird vom paradigmatischen Aspekt der syntaktischen Potenzen gehandelt.
1. Jeder Satz läßt sich als Realisation von syntaktischen Potenzen der in ihm verwendeten Wörter auffassen. Dabei dürfen wir auch von der Vorstellung ausgehen, daß er hierarchisch organisiert ist und dementsprechend ein strukturelles Zentrum („noe ud des noe uds" bei L. Tesniere 22 ; den „strukturellen Gipfel" bei I. A. Meltschuk 23 ) besitzt, das durch ein grammatisch unabhängiges Wort eingenommen wird. 24 Das Gesagte läßt sich an der 362
graphischen Darstellung des Satzes Diese tönende Stimme aus dem Süden störte heute als erste die dumpfe Stille des Hofes ... (H. Mann) wie folgt veranschaulichen: storte
L Stimme diese
tönende
,
I 1
heute aus dem Süden
I ;j
die Stille dumpfe
des Hofes
I
als erste
Infolge der hierarchischen Organisation des Satzes stehen die Wörter, gleichviel, welche grammatischen und semantischen Eigenschaften sie auch besitzen, in einem ungleichen Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Es ist •das Verhältnis des übergeordneten Partners in einer Wortverknüpfung zu dem untergeordneten. Diese Tatsache läßt sich als Zusammenwirken von Potenzen zweierlei Art ausdeuten, die sich prinzipiell voneinander unterscheiden.25 Die Potenzen, die die Fähigkeit der Wörter, sich an ein übergeordnetes Wort anzuschließen, zum Ausdruck bringen, dürften wohl z e n t r i p e t a l genannt werden, da sie sich als auf das strukturelle Zentrum des Satzes gerichtet denken lassen (im Bild durch die Voll-Linienpfeile