Temporalsemantik: Beiträge zur Linguistik der Zeitreferenz 3484302011, 9783484302013

Die Buchreihe Linguistische Arbeiten hat mit über 500 Bänden zur linguistischen Theoriebildung der letzten Jahrzehnte in

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German Pages 384 Year 1988

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Table of contents :
Vorwort
Dimensionen der Deixis im System der deutschen Tempora
Temporale Deixis
Spatio-temporal and perceptual-deictic relations in modern Hebrew
Präsensperfekt und Präteritum im Deutschen
Tense and temporal composition in Dutch
Temporal adverbials in the two track theory of time
Ansätze zu einer integralen semantischen Theorie von Tempus, Aspekt und Aktionsarten
Zeitverlaufsstrukturen von Sätzen
Aspectual asymmetry and quantification
English tenses, auxiliaries and verbs
Temporale Ausdrucksmittel in der Zweitsprache Deutsch
Der Ausdruck der Temporalität in deutschen Xenolekten
Der Ausdruck temporaler Relationen in Lernersprachen
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Temporalsemantik: Beiträge zur Linguistik der Zeitreferenz
 3484302011, 9783484302013

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Linguistische Arbeiten

201

Herausgegeben von Hans Altmann, Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner

Temporalsemantik Beiträge zur Linguistik der Zeitreferenez Herausgegeben von Veronika Ehrich und Heinz Vater

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1988

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Temporalsemantik : Beitr. zur Linguistik d. Zeitreferenz / hrsg. von Veronika Ehrich u. Heinz Vater. - Tübingen : Niemeyer, 1988. (Linguistische Arbeiten ; 201) NE: Ehrich, Veronika [Hrsg.]; GT ISBN 3-484-30201-1

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1988 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt.

I n h a l t Veronika Ehrich/Heinz Vater: Vorwort

VII

Anna Fuchs: Dimensionen der Deixis im System der deutschen Tempora

1

Gisa Rauh: Temporale Deixis

26

Yishai Tobin: Spatio-temporal and perceptual-deictic

relations in modern Hebreu..52

Joachim Ballweg: Präsensperfekt

und Präteritum im Deutschen

81

Theo Janssen: Tense and temporal composition in Dutch

96

Leonor Oversteegen: Temporal adverbials in the tuo track theory of time

129

Sebastian Löbner: Ansätze zu einer integralen semantischen Theorie von Tempus, Aspekt und Aktionsarten

163

Anita Steube: Zeitverlaufsstrukturen

von Sätzen

192

Henk Verkuyl: Aspectual asymmetry and quantification

220

Bob Rigter: English tenses, auxiliaries and verbs

260

Norbert Dittmar/Heinz Kuhberg: Temporale Ausdrucksmittel in der Zweitsprache Deutsch

308

Jörg Roche: Der Ausdruck der Temporalität in deutschen Xenolekten

330

Christiane von Stutterheim: Der Ausdruck temporaler Relationen in Lernersprachen

343

Vorwort

Die Beiträge dieses Sammelbandes gehen zurück auf Vorträge, die in der Arbeitsgruppe "Tempussemantik" auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft vom 26. bis 28. Februar 1986 gehalten wurden. In den Vorträgen - von denen einige hier nicht abgedruckt sind, weil sie bereits an anderer Stelle veröffentlicht wurden - kamen verschiedene Themenkreise und verschiedene Ansätze zur Behandlung temporaler Ausdrucksmittel zur Sprache. Neben der Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand spielte die Erarbeitung eigener Theorien eine große Rolle, so daß wir es für angebracht hielten, diese Fülle neuer Ideen und Ergebnisse nicht nur den Teilnehmern der Arbeitsgruppe, sondern einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Der Beschluß, die Tagungsbeiträge in einem Sammelband zu veröffentlichen, wurde schon bei Beendigung der Heidelberger Tagung gefaßt, konnte jedoch wegen organisatorisch-technischer Schwierigkeiten nicht sofort in die Tat umgesetzt werden. Wir denken aber, daß die vorgelegten Beiträge zur TemporalSemantik auch jetzt, zwei Jahre nach der Heidelberger Tagung, noch keineswegs veraltet sind und den Lesern Anregungen und interessante Einblicke bieten können. Wir sind uns dessen bewußt, daß der Titel "Temporalsemantik" zu eng ist und auch die im Untertitel angesprochene "Linguistik der Zeitreferenz" nur einen recht vagen Eindruck von dem vermitteln kann, worum es in den einzelnen Beiträgen geht. Aus naheliegenden Gründen haben wir aber auf einen barocken Titel wie "Zur Syntax, Semantik, Pragmatik, Psycho- und Soziolinguistik temporaler Ausdrucksmittel" verzichtet. Es geht in diesem Band vor allem um die Semantik, aber auch um die Syntax temporaler Verweismittel. Im Mittelpunkt der Diskussion steht das Zusammenwirken von Tempus und Temporaladverbien, Aktionsart und Aspekt. Jede Analyse der temporalen Referenz setzt eine allgemeine Theorie der

sprachlichen Deixis voraus: der Bezug auf Zeitintervalle ist nicht absolut, sondern relational und betrifft die Zuordnung von Ereignissen relativ zueinander (anaphorische Referenz) und relativ zum Äußerungsakt (deiktische Referenz). Dem Bezug auf Zeitintervalle liegt ein abstraktes Ordnungsschema zugrunde, das sich nicht auf physikalisch-metrische Begriffe reduzieren läßt. Die Ingredienzien eines solchen Ordnungsschemas sind daher nicht einfach vorauszusetzen, sondern müssen im Zusammenhang mit der Rekonstruktion der sprachlichen Zeitbegriffe entfaltet werden. Fuchs, Rauh und Tobin versuchen dies in ihren Beiträgen für das Deutsche, das Englische und das Hebräische. Der zeitlichen Lokalisierung von Ereignissen wird grammatisch durch die Tempusmorphologie am Verb, lexikalisch durch Temporaladverbien und -adverbiale Ausdruck gegeben. Dabei können grammatische und lexikalische Ausdrucksmittel konvergierende Effekte haben wie in ( i ) , wo das Adverb ebenso wie das Tempus den Bezug auf Vergangenes herstellt. Es gibt aber auch Fälle, in denen die temporale Referenz einer Äußerung entweder nur aus dem Tempus ( i i , i i i ) oder nur aus dem Adverb ( i v ) zu entnehmen ist: (i)

Gestern war ich im Kino

( i i ) Heute hatte ich frei ( i i i ) Heute habe ich frei ( i v ) Morgen habe ich frei

'Vergangenheit' 'Gegenwart' 'Zukunft'

Das komplexe Zusammenspiel von Tempus und Adverbien ist für das Deutsche ausführlich von Wunderlich (1970) behandelt worden, für das Englische u.a. von Smith (1978, 1981). In dem hier vorliegenden Band befaßt sich für das Niederländische der Beitrag von Oversteegen mit der Interaktion von Tempus und Adverbien. In der logisch orientierten Tempusliteratur wird das Zusammenspiel von Tempus und Adverbien vor allem unter dem Stichwort 'Skopus 1 und 'Skopusambiguität' von Tempusoperatoren und Temporaladverbien diskutiert (vgl. dazu Cresswell 1973, Dowty 1979, Bäuerle 1979). Von den hier abgedruckten Beiträgen steht der von J. Ballweg in dieser Tradition.

Neue Aktualität gewinnt die logische Tempusanalyse im Zusammenhang mit der Entwicklung der Diskurssemantik (Kamp 1981 und Heim 1982, 1983 ). Ausgehend von der Aufzeigung formal-semantischer Übereinstimmungen zwischen nominaler und temporaler Anaphorik (Partee 1973,1984) werden temporale Relationen als Beziehungen zwischen freien Ereignisvariablen in eine Diskursrepräsentation eingeführt (cf. Kamp 1979, Hinrichs 1981, 1986). Eine wesentliche Rolle spielt in diesen Analysen Reichenbachs Konzept der Bezugszeit (reference time). Dem Reichenbach-Schema der Tempusanalyse ist in diesem Band vor allem der Beitrag von Janssen verpflichtet. Ereignisse stehen nicht nur in temporalen Beziehungen zueinander, sie haben auch inhärente temporale Eigenschaften. Diese betreffen vor allem die Dauer und die Abgeschlossenheit von Ereignissen. Wie ein Ereignis sich darstellt, als dauerhaft oder zeitlich punktuell, als abgeschlossen oder zeitlich offen, ist eine Sache der Perspektive. Lexikalisch wird die jeweils eingenommene oder einzunehmende Perspektive durch die Aktionsarten, grammatisch durch den Aspekt ausgedrückt. Dabei geben die Aktionsarten die gefrorene oder konventionalisierte Perspektive wieder, Aspekt realisiert die aktuelle Perspektive (Comrie 1976, Smith 1986). Tempus ist morphologisch gesehen eine Operation am Verb, die lexikalisch kodierten Aktionsarteneigenschaften der Verben spielen daher für die semantische Deutung der temporalisierten Verbformen eine nicht unwesentliche Rolle und tragen zur Variabilität des Interpretationspotentials der Tempusformen bei: Im Deutschen etwa hat das Präsens resultativer Verben eine natürliche Zukunftsinterpretation (wie in v), die das Präsens nicht-resultativer Verben ( v i ) nicht nahelegt. V g l . : (v) (vi)

Chomsky kommt nach Köln Es regnet

Dem Zusammenhang von Aktionsart und Tempusbedeutung geht in diesem Band der Aufsatz von Löbner nach. Daß es sich bei den Aktionsarten nicht eigentlich oder jedenfalls nicht ausschließlich um einen 'lexikalischen

IX

Aspekt 1 handelt, hat Verkuyl überzeugend schon 1972 gezeigt. Aktionsarteneigenschaften sind Eigenschaften nicht der Verblexeme, sondern der Verbalphrase, sie sind abhängig vor allem von der Struktur der nominalen Verbkomplemente, so machen etwa Direktionalkomplemente aus nicht-terminativen Verben (wie schwimmen) terminative VPs (wie über den See schwimmen). An diesem Punkt kommt die kompositionelle Semantik und damit indirekt die Syntax ins Spiel: es muß nämlich eine formale Prozedur definiert werden, die angibt, wie sich die Aktionsartenlesart einer VP aus der Kombination ihrer Konstituenten ergibt. Die Beiträge von Verkuyl und von Steube in diesem Band sind dem Versuch gewidmet, die Aktionsarten kompositioneil zu rekonstruieren. Mit der Syntax der temporalen Ausdrucksmittel befaßt sich auch Rigter, wenn auch weniger unter dem Gesichtspunkt der Aspektbedeutung als unter dem der Kombinatorik von finiten und infiniten Verbformen. Gemeinsam ist diesen Versuchen die Orientierung am Format der GB-Syntax. Die Autoren des Bandes vertreten mehrheitlich eine formorientierte Perspektive, sie gehen aus von dem in einer Sprache vorhandenen Inventar temporaler Ausdrücke und versuchen, die Semantik und/oder Syntax dieser Ausdrücke systematisch zu analysieren, unabhängig von dem Gebrauch dieser Ausdrücke in der aktuellen Rede. Man kann aber auch den umgekehrten, konzeptorientierten, Weg gehen, d . h . sich zunächst nach den Eigenschaften nicht-sprachlicher Zeitbegriffe fragen und dann untersuchen, wie diesen Begriffen in der aktuellen Rede Ausdruck verliehen wird. Der konzeptorientierte Ansatz ist insbesondere dann sinnvoll, wenn man wie in LZ-Lernersprachen einerseits das Vorhandensein eines voll ausgebauten Systems von Zeitbegriffen annehmen muß, für dessen Ausdruck andererseits nur ein reduziertes Inventar sprachlicher Formen in der Zielsprache zur Verfügung steht. Der konzeptorientierte Ansatz wird in diesem Band mit dem Blick auf reduzierte Sprachvarietäten (Lernersprachen und Xenolekte) von Röche und von v.Stutterheim vertreten. Dittmar/Kuhberg, die sich ebenfalls mit Lernersprachen befassen, vertreten dagegen einen formorientierten Ansatz auch in der Erwerbstheorie. Die Einbeziehung psycholinguistischer Arbeiten in einen Semantik-Sammelband mag zunächst etwas w i l l k ü r l i c h erscheinen. Wir sind

aber überzeugt davon, daß der Blick auf reduzierte Sprache uns h i l f t , das Grundgerüst sprachlicher Zeitreferenz unabhängig von einem ausgebauten Formeninventar freizulegen. Nun zu den Beiträgen im einzelnen. Wir haben die Artikel in vier Themenschwerpunkte gegliedert: Die Aufsätze der ersten Gruppe rekonstruieren die Semantik der temporalen Ausdrücke im Rahmen einer Theorie der Deixis. Anna Fuchs beschreibt in ihrem Beitrag das System der Tempusoppositionen im Deutschen. Sie weist dem Präsens eine Sonderstellung zu als formal wie funktional unmarkierter Grundterm des Systems. Die markierten Terme sind durch einen oder mehrere von drei morphologischen Grundkomponenten gekennzeichnet: eine Komponente mit zeitrelationaler Bedeutung, wie sie sich im Perfekt und Plusquamperfekt findet, eine mit primär aspektueller Bedeutung, die u.a. das Präteritum charakterisiert, schließlich eine mit modaler Bedeutung (das Futur analysiert Fuchs in Übereinstimmung mit neuerer Literatur als modal). Nicht nur die zeitrelationale, sondern auch die aspektuelle und die modale Funktion sind nach Auffassung von Fuchs deiktischer Natur: Sie erweitert entsprechend das klassische Deixis-Modell um die Dimensionen des Relevanz- und des Affirmationsbezugs; erstere betrifft die Relation zwischen dem Prädizierten und seinem thematischen Bezugspunkt ("discourse topic"), letztere die Verbürgung des Prädizierten durch den Sprecher. Gisa Rauh beschreibt in ihrem Beitrag eingehend die temporale Dimension eines allgemeinen deiktischen Systems, das sie bereits in früheren Arbeiten vorgestellt hatte. Alle deiktischen Dimensionen sind egozentrisch bestimmt und nach demselben Schema gegliedert. Sie können über die Merkmale "Kodierungsort", "in Verbindung mit dem Kodierungsort" und "nicht in Verbindung mit dem Kodierungsort" beschrieben werden, wobei der Kodierungsort der Orientierungspunkt einer Dimension ist. Der temporale Orientierungspunkt ist normalerweise die Sprechzeit. Daneben spielen auch anaphorische Merkmale wie "vorher" und "nachher" eine Rolle. Die Verfasserin dehnt ihre Analyse auch auf spezifische Verwendungsweisen der Tempora (wie präsens historicum und Temporaladverbien) aus. Yishai Tobin geht in seinem Beitrag davon aus, daß die Tempora nicht

XI

ausschließlich Zeitverhältnisse wiedergeben, sondern auch andere pragmatische Relationen. Er postuliert fürs Hebräische ein Tempussystem, das auf zwei miteinander verbundenen Systemen beruht. Das erste verbindet die Tempusmorphologie mit den deiktischen Konzepten Zeit und Raum: Ein Ereignis bzw. eine Handlung oder ein Zustand wird im Hier und Jetzt des Sprechakts plaziert, wobei der Sprecher etwas als "proximate" (nah) oder "remote" (fern) kennzeichnet. Das zweite System verbindet die Tempusmorphologie mit der Erfahrung des Sprechers, wobei die Opposition "experienced" vs. "non-experienced" relevant ist. Dieser Ansatz wird auf die Analyse dreier hebräischer Texte, die im Anhang in englischer Übersetzung wiedergegeben sind, angewendet. Um die Analyse der Tempusbedeutung in einem logikbasierten Rekonstruktionsformat geht es in der folgenden Gruppe von Beiträgen. Joachim Ballweg schlägt in seinem Aufsatz eine kompositionelle Analyse der komplexen Tempora des Deutschen (Perfekt und Plusquamperfekt) vor, die er als zusammengesetzt aus der Bedeutung des "Obertempus" (Präsens bzw. Präteritum) und des Infinitivs Perfekt auffaßt. Für die wahrheitsfunktionelle Bewertung liefert das Obertempus eine erste Bezugszeit, die ihrerseits als Orientierungszeit dient für das Perfekt, dessen Interpretation eine zweite Bezugszeit einführt, an der der tempuslose Satzrest interpretiert wird. Theo Janssen legt eine an Reichenbach (1947) orientierte kompositionelle Analyse des niederländischen Tempussystems vor. Den Strukturunterschieden entsprechen semantische Unterschiede: Finite Verben (im Präsens oder Präteritum) etablieren eine deiktische Beziehung zwischen zwei Zeitintervallen, der Ereigniszeit t und der Orientierungszeit t . In komplexen Formen wie Perfekt und o Plusquamperfekt ist jeweils dem Finitum und dem Partizip eine eigene Ereigniszeit (t bzw. t ) zugeordnet; zwischen diesen besteht eine y anaphorische Beziehung, außerdem stehen sie zu t in deiktischem Bezug. o Durch diese Revision von Reichenbachs Schema gelingt es Janssen, Skopusambiguitäten zu erfassen, die beim Bezug von Adverbien auf Tempora Zustandekommen: Um drei Uhr war Hans aufgebrochen hat zwei Lesarten: a) der Aufbruch findet um drei Uhr statt (Modifizierung von t ) oder b) der

Xll

Aufbruch war um drei Uhr schon geschehen Modifizierung von t ). y Leonoor Oversteegen legt ihrer Analyse niederländischer Temporaladverbiale die von einigen Philosophen gemachte Annahme zugrunde, daß die Bezüge von Zeitausdrücken an zwei verschiedenen Achsen ("tracks") orientiert sind: der S-Achse, die für die deiktischen Bezüge verantwortlich ist, und der -Achse, die nicht-deiktischen Phänomenen (wie Aktionsart und Uhrzeit) Rechnung trägt. Die Verfasserin ordnet die von ihr untersuchten Adverbiale in einer Vierteilung aufgrund der Merkmale +/- anaphoric und +/- deictic jeweils der S- oder -Achse zu und bestimmt deren Interaktion mit Tempora und Aktionsarten. In der dritten Gruppe von Beiträgen geht es um den Zusammenhang zwischen Tempus, Aktionsart und Aspekt. Sebastian Löbner expliziert das Zusammenspiel von Tempus, Aspekt und Aktionsart in einer semantischen Dreistufentheorie mit der Hierarchisierung "(Tempus (Aspekt (Aktionsart)))". In Übereinstimmung mit Galton 1984 werden Zustände als Eigenschaften von Zeitphasen und Ereignisse als zeitlich lokalisierbare Individuen aufgefaßt. Der Verfasser unterscheidet zwei Tempora, Präteritum und Präsens, mit den Bedeutungen "Vergangen" (PAST) und "Nicht-Vergangen" (PAST), sowie zwei Aspekte, Perfekt und Progressive. Die Tempusoperatoren PAST und PAST lokalisieren Zeiten relativ zu einem Bezugspunkt t* (z.B. dem Sprechzeitpunkt). Bei Zustandssätzen (Es war kalt) wird die Zeit t e bezüglich t* lokalisiert; Ereignissätze (Kasparow gewann) etablieren als indirekten Zeitparameter die Zeit, wo das Ereignis e statfindet, und die dann ihrerseits in Bezug auf t* zu lokalisieren ist. Anita Steube geht syntaktisch-kompositionell vor und bezieht in die Analyse der Aktionsart die Nominalphrasenquantifikation ein. Sie versucht, alle relevanten Informationen in ein umfassendes Repräsentationsschema zu integrieren, in dem Informationen der Logischen Form ( L F ) auf eine Ebene der Semantischen Repräsentation (SemR) überführt und dann konzeptuell repräsentiert werden. In SemR werden Ausdrücke unterschiedlichen Komplexitätsgrades in ein lambda-kategoriales Format übersetzt, das Individuen-, Situations- und Zeitvariable umfaßt. Die lambda-kategorialen Ausdrücke werden konzeptuell interpretiert als Namen

Xlll

für Ereignis-, Aktions-, Aktivitäts- und Zustandsdenotate. Auch Henk Verkuyl geht es um die semantische und syntaktische Analyse des Aspekts. Aufbauend auf früheren Arbeiten zeigt er, daß die Trennung von grammatischem und lexikalischem Aspekt problematisch ist und daß terminative (zeitlich geschlossene) und nicht-terminative (zeitlich offene) Lesart von den Quantifikationseigenschaften der Verbkomplemente abhängt. In einer auf der GB-Syntax basierten kompositionellen Analyse der Aspektbedeutung zeigt der Autor in einem formal expliziten Rahmen, daß Objekt-NPs mit spezifizierter Quantität aus nicht-terminativen Verben terminative VPs machen und Subjekt-NPs mit nicht-spezifizierter Quantität aus terminativen Verben nicht-terminative Sätze. Bob Rigter rekonstruiert die Bedeutung der englischen Tempora in einer leicht modifizierten Version des Reichenbach-Schemas, wobei er "domain tense" (absolutes Tempus) und "domain shift tense" (relatives Tempus) als zwei unterschiedliche Tempuskategorien einführt. Wie Verkuyl baut Rigter seine semantische Analyse auf der GB-Syntax auf: Auxiliarverben sind als lexikalische Köpfe (heads) von INFL kategorisiert. Bloßes Tempus ist ein lexikalisch leerer Kopf von INFL. Die ECP-Beschränkung (Nicht-Zulässigkeit leerer Köpfe) wird durch die Verschmelzung von INFL mit AGR umgangen. Der Verfasser geht strikt kompositionell vor: P (Gegenwart), T (Ereigniszeit) und F (Fokusepisode) von Verben (VP-Köpfen) und INFL werden auf der nächsthöheren Projektionsstufe Comp miteinander kombiniert. In der letzten Gruppe von Beiträgen geht es um den Ausdruck von Temporalität in reduzierten Sprachvarietäten, nämlich Textproduktionen von Zweitsprachenlernern (Dittmar/Kuhberg, v.Stutterheim) und Xenolektsprechern (Röche). Dittmar/Kuhberg vergleichen den Erwerb temporaler Formkategorien bei zwei elfjährigen Kindern (mit Polnisch und Türkisch als Ausgangssprachen). Dabei zeigen sich erstaunliche Parallelen in den Erwerbssequenzen. Da die Ausgangssprachen in ihren temporalen Ausdrucksmitteln recht verschieden sind, muß die Struktur der Zielsprache die entscheidende Determinante sein. Röche beschäftigt sich mit dem Gebrauch temporaler Ausdrucksmittel von

Deutschen, die in der Kommunikation mit Ausländern, vor allem Gastarbeitern, ihre Sprache zum "Xenolekt" reduzieren. Er zeigt, daß die Reduktionen, z . B . der Wegfall der Flexionsmorphologie, nicht nach dem Zufallsprinzip erfolgen, sondern eine eigene Systematik aufweisen, wobei Prinzipien der Diskursorganisation eine Rolle spielen. Christiane von Stutterheim untersucht, wie verschiedene temporale Konzepte in der reduzierten Sprache erwachsener Zweitsprachen lerner ausgedrückt werden. Der Gebrauch temporaler Ausdrucksmittel wird hier weitgehend durch inhärente Eigenschaften des Diskursaufbaus gesteuert, wobei dem Konzept der "referentiellen Bewegung" besondere Bedeutung zukommt. Wir danken den Beiträgern für die Mühe bei der "Transformation" der Vortragsmanuskripte in druckfertige Endfassungen. Inge Tarim hat die Diagramme angefertigt. Die Druckvorlage wurde am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen hergestellt: Yves W. Fuchs hat das Gesamtmanuskript geschrieben; Martin Denk und Regina Oerder (Universität Köln) haben uns bei der Endredaktion geholfen. Wir danken allen für ihre Sorgfalt und Umsicht.

Veronika Ehrich

Heinz Vater

XV

L i t e r a t u r

Bäuerle, R.,1979.

Temporale Deixis, temporale

Frage.

Gehalt deklarativer und interrogativer Sätze. Cresswell, M . J . , 1 9 7 3 . Comrie,B., 1976.

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Springer, 376-417. —, 1981. A Theory of Groenendijk,J./Stokhoff,M.

from

Truth

Different

and

(eds).

Points

Semantic Formal

of

View.

Berlin:

Representation.

Methods

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the

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In: of

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XVI

English. Linguistics and Philosophy 2. 43-100. — , 1981 Semantic and Syntactic Constraints on Temporal Interpretation. In: Tedescni,P.J./Zaenen,A. (eds). Syntax and Semantics 14, Tense and Aspect. New York, London: Academic Press. 213-237. — , 1986. A Speaker-Based Approach to Aspect. In: Linguistics and Philosophy. 97-115. V e r k u y l . H . J . , 1972. On the Compositional Nature of the Aspects. (Foundations of Language Supplementary Series. Vol 15). Dordrecht: Reidel. Wunderlich,D., 1970. Tempus und Zeitreferenz im Deutschen. München: Hueber.

xvi

Dimensionen der Deixis im System der deutschen "Tempora"

Anna Fuchs

1. Einleitung Die deutschen Tempora sind formal wie funktioneil nicht in gleichem Maß positiv charakterisiert: das System enthält einen der Form wie der Funktion nach merkmallosen Term, das sog. Präsens, dem alle übrigen Tempora als merkmalhafte, ein- oder mehrfach markierte Formen gegenüberstehen. Die markierten Terme, die 'positiven 1 Tempora, werden m i t h i l f e von drei morphemischen Grundkomponenten gebildet, der Perfekt-, der Präteritumund der Futur-Komponente. Nur zwei von diesen haben einen konstanten (allerdings systematisch kontextrelativen) Zeitsignalisierungswert. Es sind dies Perfekt und Präteritum, die beide im konventionellen Sinn auf Vergangenheit verweisen. Tatsächlich aber wird 'Vergangenheit 1 hier unter ganz verschiedenen Blickwinkeln ins Spiel gebracht, einmal in zeitrelationaler, einmal in aspektueller Ausrichtung. Die Bedeutung der Futur-Komponente schießlich ist weder zeitrelationaler noch aspektueller, sondern modaler Art. Diese Verschiedenheit der Funktionskategorien spiegelt sich in der Form jede der drei Grundkomponenten gehört einem anderen formalen Bildungstyp an - und in der ungleichen Kombinationsfähigkeit der Komponenten. Trotz der Heterogenität des Systems (auf die vielfach hingewiesen worden ist) ist eine Zusammenfassung unter einem einheitlichen funktionellen Gesichtspunkt möglich. Die Tempora werden heute ziemlich einhellig dem Bereich der Deixis zugeordnet. Dabei ist allerdings nur von zeitlicher Deixis die Rede. Aber auch modale und - entgegen der communis opinio aspektuelle Bedeutungen sind deiktischer Natur. Die Gemeinsamkeit aller drei Funktionskategorien liegt in ihrer Aufgabe der Herstellung spezi-

fischer kontextueller Bezüge in den Dimensionen, die für die pragmatische Interpretation von Prädikationen ausschlaggebend sind: Zeit-, Relevanzund Affirmationsbezug.

2.

Deixistheoretische Grundlagen

2.1 Zur Erweiterung des Modells der Deixis Die Einbeziehung von Aspekt und Modus in ein integriertes Modell der deiktischen Bezüge der Prädikation erfordert einige Erweiterungen über die landläufige Konzeption der Deixis hinaus, zu denen in der neueren Literatur der Grund gelegt ist. Drei wichtige Entwicklungslinien zeichnen sich in der Literatur zur Deixis ab: eine Dynamisierung der Auffassung von den Funktionen, eine erhebliche Erweiterung des Inventars der als deiktisch zu betrachtenden Einheiten und schließlich die Notwendigkeit der Etablierung weiterer Bezugsdimensionen über die klassische Trias Person, Ort und Zeit hinaus. Zum ersten Punkt: Untersuchungen zur Verwendung deiktischer Ausdrücke im Diskurs bis hin zu höflichkeitsbedingten Perspektivemanipulationen und erzähltechnischen Nutzungen haben das Moment der Wählbarkeit der Bezugspunkte stark in den Vordergrund treten lassen. Neben den durch die Sprechsituation gegebenen können im Diskurs ständig neue Bezugspunkte etabliert werden, so daß an einem gegebenen Punkt der Mitteilung unter Umständen eine Hierarchie von Bezugsebenen besteht. (Vielleicht sollte man systematisch gesehen die deiktische Bezugspunktrelativität nicht über die Koordinaten der Sprechsituation definieren, sondern diese nur als ausgezeichneten Anwendungsfall behandeln). Das Inventar deiktischer Ausdrücke ist über die klassische Konzeption hinaus erweitert worden um Modus und gelegentlich Aspekt, um Bewegungsund 'Transfer'-Verben wie kommen/gehen, bringen/holen, geben/nehmen; Dimensions- und andere 'relative' Adjektive (groß/klein, eng/weit, kalt/warm) mit ihrer Orientierung am Betrachterstandpunkt und Normen verschiedener Art (Proportions-, Tauglichkeitsnorm u s w . ) ; die wertenden, epistemischen und deontischen Ausdrücke (schön, übertrieben, wahrscheinlich, es dürfte so sein, du darfst gehen...) mit ihrem Bezug auf eine wertende ( u s w . ) Person oder Instanz. Auch für den Bereich der

Intonation und der 'thematischen' Beziehungen, wie sie sich in der Satzgliedstellung ausdrücken, und für den der Diathese ist deiktischer Charakter postuliert worden. Weitere Beispiele ließen sich hinzufügen. Auf die Notwendigkeit der Anerkennung von Bezugsdimensionen außer Person, Ort und Zeit weisen die erwähnten Normbezüge in Adjektiven (vgl. auch Clark 1974 zu deiktischen Bezügen auf soziale Normen), und wenn z.B. Intonation, Satzgliedstellung und Diathese unter den Begriff der Deixis fallen sollen, ist auch hier ein Hinausgehen über die überkommenen Bezugsdimensionen unvermeidlich. Prädikationen nun bedürfen, um pragmatisch interpretierbar zu sein, nicht nur in zeitlicher Hinsicht einer Situierung: auch ihre (relative) _ g Affirmativität ist nicht bezugspunktfrei verrechenbar, und vor allem bedarf es eines Relevanzbezugspunkts. Affirmativitäts- und Relevanzbezug sind ebenso wie der Zeitbezug deiktischer Natur: sie teilen das definierende Charakteristikum der 'klassisch' deiktischen Person-, Zeit- und Ortsbezüge, unabdingbare Voraussetzung für die pragmatische Interpretation einer Klasse von Ausdrücken zu sein, und teilen ebenfalls den Charakter der Verschiebbarkeit ("shifting") mit ihnen. Sie sind also mit in das System der deiktischen Bezugsdimensionen aufzunehmen.

2.2.

Deiktische Bezüge und Bezugspunkte der Prädikation

Die zentrale Rolle des Relevanzbezugs für die Organisation der Mitteilungen ist spätestens seit Grice und der Erzählforschung Labovscher Prägung geläufig. Im Bereich der Grammatik, bei der Beschreibung grundlegender Funktionen wie der des Akzents und des Verbalaspekts, ist Relevanz ein seit langem eingebürgerter Begriff (verschiedene Strukturierungssysteme wie Aspekt, Akzent, Wortstellung regeln die Relevanzbezüge der Aussage bzw. ihrer Konstituenten nach verschiedenen Parametern). Für die pragmatische Interpretierbarkeit der Prädikation ist von den oben genannten drei Arten des deiktischen Bezugs der Relevanzbezug der unabdingbarste. Eine Prädikation mag Zeitindifferentes aussagen wie eine naturwissenschaftliche Gesetzesaussage oder ein charakterisierender Satz des Typs (1) Claudia singt gern;

der Affirmativitätscharakter mag unbestimmt sein wie bei einer hypothetischen Setzung ( w e n n . . . ) . Die pragmatische Interpretierbarkeit aber ist erst aufgehoben, wenn sich keine kontextuell gegebene oder mögliche Fragestellung oder Sachverhaltskonstellation ausmachen läßt, für die die Prädikation (wenigstens vorgeblich) von Belang ist (weshalb, wie es in Beschreibungen indirekten Sprechens oft ausgeführt worden ist, der Hörer bei nicht unmittelbar ersichtlichem Relevanzbezug Interpolations- und Folgerungsstrategien anwendet, um doch auf Umwegen einen solchen Bezug zu ermitteln). Der Begriff des Bezugssachverhalts, mit dem sich eine Prädikation in Verbindung bringen lassen muß, hat Entsprechungen in textanalytischen Begriffen wie "Textthema", "discourse topic". Besonders entspricht ihm der Begriff des discourse topic in der Formulierung von Keenan/Schieffelin 1976, die deutlich herausstellen, daß das 'Diskursthema' in Form eines Satzes formulierbar sein muß und sich aus einer am jeweiligen Punkt der Mitteilung anstehenden oder möglichen Fragestellung ("question of immediate concern") ergibt (Keenan/Schieffelin 1976:337ff).(Mit der geläufigen Ausdrucksweise "Thema dieses Textabschnitts ist das Schachspiel/die Mode..." ist also kein discourse topic 9 bezeichnet). Auch die mit der Prädikation meist gegebene (relative) Äffirmativität bedarf des Bezugspunkts: nicht immer affirmiert der Sprecher das Ausgesagte im eigenen Namen, die bürgende Instanz muß ermittelt werden (der Kontext kann etwa explizite oder weniger explizite Hinweise darauf enthalten, daß die Rede eines anderen wiedergegeben wird, der somit z.B. 10 für die wiedergegebene Behauptung einsteht). Auch Art und Grad der Äffirmativität sind zu ermitteln: der Kontext kann Vorbehalte ( w e n n . . . ) und Einschränkungen ( v i e l l e i c h t . . . ) zum Ausdruck bringen. Mit ' Ä f f i r mativität' ist eine für den sprachlichen Interaktionsablauf wie für die Grammatik zentrale Kategorie angesprochen; erinnert sei nur an die Auswirkungen des Wahrheitspostulats (vgl. wiederum Grice) und an den ausgedehnten Bereich des Modalitätsausdrucks. Eine Prädikation kann zeitindifferent aussagen (s.o.) oder aber auf einen bestimmten Zeitpunkt oder -räum bezogen sein. Als zeitlicher Bezugspunkt im zweiten Fall dient, wie bekannt, die Zeit der Sprechsituation oder die einer kontextuell gegebenen/möglichen Bezugssituation. Die Aussage kann allgemein auf diese Zeit bezogen sein oder in einer bestimmten Art, als

Aussage eines ihr voraufgehenden Vorgangs/Zustands. (Die Wichtigkeit der zeitlichen Dimension der Deixis braucht hier nicht näher begründet zu werden). Welche Bezüge und Bezugsarten für die Interpretation einer Äußerung anzunehmen sind, kann gänzlich Sache des Kontexts ( i . w . S . ) sein. Wenn die Prädikation keinerlei Kennzeichnung des Aspekts, des Modus oder des Tempus im engen Sinn enthält, wie beim deutschen Präsens ( I n d i k a t i v ) , ist dies notgedrungen der Fall. Aspekt, Modus und Tempus im engen Sinn stellen grammatikalisierte Teilfestlegungen des Bezugs/der Bezugsart dar, Einschränkungen von deren Kontextrelativität: Aspekt in der Dimension des Relevanzbezugs, Modus in der des Bezugs der Affirmativität, Tempus ( i . e . S . ) in der des zeitlichen Bezugs.

3.

Zur Analyse des deutschen "Tempus"systems

3.1. Die Komponente Perfekt Eine Teilfestlegung des Bezugs in zeitrelationaler Hinsicht signalisiert die Komponente, die das Perfekt von der markierungslosen Form, dem Präsens, unterscheidet (und entsprechend das Plusquamperfekt vom Präteritum u s w . ) . Der bezeichnete Vorgang (/Zustand) wird ausdrücklich als zum jeweiligen zeitlichen Bezugspunkt abgeschlossen dargestellt, während die unmarkierte Form in dieser Hinsicht keine Festlegung trifft. Von dieser Festlegung abgesehen bleibt die zeitliche Situierung so kontextrelativ wie beim Präsens: fokussiert der Kontext z.B. einen relativ zum Sprechzeitpunkt zukünftigen Zeitpunkt (morgen ^Jj. einer Woche), so ist die Abgeschlossenheitsbedeutung auf diesen zu verrechnen. (2) Morgen in einer Woche bin ich schon abgereist. Der zeitliche Bezugspunkt kann durch die morphematische Umgebung in der Verbalform eingegrenzt sein, so durch die £räteritum-Komponente in einer Plusquamperfektform. Prinzipiell uneingeschränkt läßt Perfekt, anders als Präteritum, die Kontextrelativität des Relevanzbezugs, und eben diese uneingeschränkte Kontextrelativität, unmittelbare Bezogenheit auf den jeweils im Vorder-

grund stehenden Bezugssachverhalt, führt zum Eindruck der "unmittelbaren Relevanz", wie sie dem Perfekt immer wieder zugeschrieben worden ist. Diese Charakterisierung ist zur Abgrenzung gegenüber der Bedeutung des Präteritum heuristisch und didaktisch nützlich; systematisch gesehen aber trifft s i e eine n e g a t i v e Eigenschaft d e r Komponente, d i e Nichteinschränkung der Kontextrelativität des Relevanzbezugs, die das Perfekt mit dem Präsens wie mit dem Futur teilt. Prinzipiell uneingeschränkt bleibt die Kontextrelativität auch in der Dimension der Affirmativität (womit einzelne Interferenzen nicht ausgeschlossen sein sollen). Im formalen Bildungstyp unterscheidet sich die Perfekt-Komponente von beiden anderen (Präteritum, Futur). Eine genaue Analyse der Beziehungen dieses Bildungstyps zu den übrigen Formen des Verbalsystems wäre auch zur 12 näheren Bestimmung der Funktion aufschlußreich. Die Perfekt-Komponente unterscheidet sich des weiteren in der paradigmatischen Distribution von den übrigen: sie hat die am weitestgehende Kombinationsfähigkeit, da sie sich nicht nur mit Präteritum und Futur verbindet, sondern sogar rekursiv anwendbar ist, in den sog. Doppelumschreibungen entsprechend Beispiel (3) und ( 4 ) , und auch außerhalb des Systems der finiten Formen vorkommt (stellen/gestellt haben). (3) Herta geht aus der Wohnung und schließt aus Gewohnheit von außen ab, obwohl Claudia noch drin ist. Als sie nach einer halben Stunde wiederkommt, begrüßt sie Claudia mit den Worten: Ich hab dich eingeschlossen gehabt! (4) Mit größerer Entschiedenheit freilich hatte das schon der Verfasser von gesagt gehabt. (Hugo Friedrich, Epochen der italienischen Lyrik, Frankfurt/M. 1964, S.653).

3.2. Die Komponente Präteritum Wohl die meisten der notorischen Beschreibungsprobleme hinsichtlich der Vergangenheitstempora resultieren aus dem komplexen Charakter der Komponente Präteritum; sie trifft nämlich eine Festlegung in der Dimension des Relevanzbezugs, der eine Festlegung in der zeitrelationalen Dimension untergeordnet ist, und aus dieser Unterordnung resultiert eine ganz

andere Ausrichtung des in ihrer Bedeutung enthaltenen Vorzeitigkeitsfaktors als beim Perfekt. Tatsächlich ist die Bedeutung des Präteritum in Hinsicht auf die das Perfekt kennzeichnende 'Abgeschlossenheits'bedeutung sogar negativ spezifiziert. Es ist deshalb systematisch gesehen eine Verzerrung, wenn man Perfekt und Präteritum als beide 'Vergangenheit bezeichnend' zusammenfaßt und dann nach der differentia specifica zwischen ihren Bedeutungen sucht. Präteritum signalisiert eine Verlagerung des Relevanzbezugs weg vom unmittelbar anstehenden 'Belang 1 : der mitgeteilte Sachverhalt ist zunächst unter dem Gesichtspunkt seiner Relevanz für eine vergangene Sachverhaltskonstellation zu interpretieren. Es ist dies eine der grundlegenden universellen Aspektbedeutungen; ein Spezifikum ihrer Ausprägung im Deutschen ist es, daß nur für die Verlagerung in eine jeweils vorzeitige Konstellation eine eigene Form existiert, nicht auch für den Nachzeitigkeitsbereich; eine einzelsprachspezifische, wenn auch häufige Koppelung prinzipiell dissoziierbarer Merkmale (vergleichbar etwa der Koppelung von Länge und relativer Geschlossenheit im deutschen Vokalsystem). Wie auch bei den anderen Komponenten ist die durch Präteritum bewirkte Bezugsfestlegung nur partiell; der Relevanzbezug wird unmittelbar auf die Hintergrundkonstellation des prädizierten Sachverhalts hin orientiert, es bleibt aber ein Verhältnis mittelbarer Relevanz für eine 'äußere' Bezugskonstellation bestehen, und im Blick auf dieses Verhältnis schränkt die 16 Komponente die Kontextrelativität des Bezugs nicht ein. Die zeitrelationale Bezugsfestlegung auf Vorzeitigkeit ist der Relevanzverlagerung untergeordnet; signalisiert wird (bezugszeitrelative) Vorzeitigkeit der Bezugskonstellation. Im Verhältnis zu dieser Bezugskonstellation aber signalisiert eine Präteritumform (bzw. die Komponente an sich) gerade n i c h t Vorzeitigkeit oder Abgeschlossenheit, wie aus der Parallelität der Opposition Präteritum-Plusquamperfekt zu der zwischen Präsens und Perfekt deutlich wird. Das Präteritum kann deshalb, analog zum Präsens, auf im Rahmen der Bezugskonstellation Zukünftiges referieren wie in den vielbesprochenen Verwendungen des Typs morgen ging sein Flugzeug, übrigens nicht nur in der "erlebten Rede" der Literatur: (6) (Jemand erzählt, wie er sich - auf dem Weg zur Fähre nach Sardinien - unterwegs viel zu lange zu Besichtigungen hinreißen ließ). Morgen abend ging erst das Schiff, es war nicht mehr sehr weit, ich

dachte, das schaffst du ganz gemütlich... Auch das "subjektive" Präteritum (7) Die Allee...zog s i c h . . . b i s auf die Höhe eines der Weserberge, die Bad Pyrmont umgaben (zitiert aus Latzel 1977:141) erklärt sich durch die systematische Entsprechung zwischen Präteritum und Präsens: umgaben trifft aus der verlagerten Bezugskonstellation heraus eine so allgemeingültige Feststellung wie umgeben es bei nichtverschobenem Bezug täte; die Frage der Abgeschlossenheit im Verhältnis zur 'äußeren' Bezugskonstellation, etwa der mit der Sprechsituation gegebenen, stellt sich nicht. Als vorzeitig ist durch die Komponente systematisch nur die Bezugskonstellation festgelegt, nicht das Ereignis (auch wenn in der Mehrzahl der Fälle aus der Interaktion mit Kontextfaktoren zugleich die Interpretation 'abgeschlossenes, vergangenes Ereignis' resultiert). Prinzipiell uneingeschränkt dürfte Präteritum die Kontextrelativität des Bezugs in der Dimension der Affirmativität lassen (was einzelne Interferenzen nicht ausschließen soll). Die Funktion der Relevanzverlagerung, wie sie die Komponente primär auszeichnet, ist im Gesamtbereich der Deixis nicht isoliert: explizite Signalisierung einer Bezugspunktverlagerung ist hier ja ein typisches unterscheidendes Merkmal, etwa in Oppositionen wie morgen/am Tag danach, in fünf Minuten/nach fünf Minuten, hier/da. Es ist also mit dem Begriff Anaphora (in diesem Fall im Blick auf Bezugssachverhalte, nicht Bezugszeiten/-orte usw.) die Möglichkeit eines systematischen Explikats für die herkömmlichen Bedeutungsbestimmungen des Typs "Innensicht der Ereignisse" gegeben. Es muß aber deutlich sein, daß die ('anaphorische 1 ) Verlagerung durch Gesichtspunkte der Relevanz, nicht durch solche der zeitlichen Relationierung geregelt wird. Jede Analyse des Funktionsunterschieds zwischen Perfekt und Präteritum muß notwendig andere Faktoren als die der Signalisierung von Zeitrelationen ins Spiel bringen. Das tut auch der Reichenbachsche Ansatz: die Charakterisierung des Unterschieds zwischen Perfekt und Präteritum in Begriffen unterschiedlicher Bezugszeiten läßt die Frage offen, wie die Wahl zwischen diesen geregelt ist, und hier rekurriert Reichenbach, wenn auch informell, auf die herkömm-

liehe Begrifflichkeit des Blickwinkels: C o m p a r i n g t h i s [ein K e a t s - Z i t a t m i t P e r f e k t - ( u n d P r ä s e n s - ) f o r m e n ] w i t h the above q u o t a t i o n s [ i m P r ä t e r i t u m bzw. P l u s q u a m p e r f e k t ] , we notice t h a t here o b v i o u s l y t h e past e v e n t s a r e seen, n o t f r o m a r e f e r e n c e p o i n t s i t u a t e d also in the p a s t , but f r o m a p o i n t of r e f e r e n c e w h i c h c o i n c i d e s w i t h the p o i n t of speech. This is the reason that the words of Keats are not of a n a r r a t i v e t y p e but a f f e c t us w i t h the i m m e d i a c y of a d i r e c t report to the reader. (Reichenbach, 1947:289, Hervorhebung von m i r . )

Es bleibt viel Detailarbeit zu leisten, um die Bedingungen und Zwecke der Relevanzverlagerung für Prädikationen im einzelnen zu fassen und begrifflich zu fixieren. Weitgehend ungeklärt sind die oft beobachteten Interaktionen der Aspektwahl mit den anderen Relevanzorientierungssystemen wie Satzgliedstellung, Akzentuierung, Diathese (aber die Reduktion all dieser Subsysteme aufs P r i n z i p der Relevanzorientierung deutet auf eine Möglichkeit systematischer Erklärung); genauer als bisher zu erfassen bleibt das Verhältnis zwischen Aspekt und lexikalischem Inhaltstyp der Prädikation. Wegweisend fürs Deutsche scheinen mir in diesen Fragen die detaillierten Beobachtungen Latzels (1974 und 1977) zur "Dominanz" von Perfekt oder aber Präteritum je nach dem Typ des Verblexems, dem.inhaltlichen Verhältnis zu den Aktanten, der Satzgliedstellung, der kontextuellen Erwartbarkeit des prädizierten Inhalts usw. (den Schlußfolgerungen aus ihnen und Latzels Grundvoraussetzungen über das Verhältnis der beiden Tempora stimme ich allerdings nur teilweise z u . ) Diese Beobachtungen weisen frappierende Übereinstimmungen mit Feststellungen in der wohl eingehendsten Untersuchung der Textverwendungen der russischen Aspekte, Forsyth 1970, 18 auf. Erst nach genauer Klärung dieser Zusammenhänge dürfte sich angemessen beantworten lassen, warum auch unter Bedingungen anscheinend unmittelbarer Relevanz etwa bei Hilfsverben bevorzugt das Präteritum 'statt' des Perfekts verwendet wird: (8) A: B: (9) A: B:

Deine Haare sind ja ganz naß! Der Peter hat mir einen Becher Wasser übergegossen. Deine Haare sind ja ganz naß! Ich war unter der Dusche.

Dem Bildungstyp nach zeichnet sich

die

Präteritum-Komponente gegenüber

den anderen als die einzige mit synthetischer Formenbildung aus.

3.3.

Die Komponente Futur

Die Komponente Futur gehört einem wiederum anderen Bildungstyp an (finites Element plus I n f i n i t i v ) . Ihre Funktion ist die einer Teilfestlegung in der Dimension der Affirmativität: einer Festlegung der Art der Affir19 mativität, nicht ihres personellen Bezugspunkts. Es handelt sich, im Sinn dieser Affirmationsbezogenheit, also um eine Bedeutung modalen Typs, wie sich Konstruktionen mit der Futur-Komponente auch dem Formtyp nach 20 eng an Modalverbkonstruktionen anschließen. Die Klassifikation der Futur-Bedeutung als modalen Typs ist umstritten. Unbestreitbar scheint mir allerdings, daß die Komponente nicht die Signalisierung der Zukünftigkeit zur Grundfunktion haben kann. Futurformen können in den meisten ihrer Verwendungen durch Präsensformen ersetzt werden, ohne daß sich die zeitliche Interpretation ändert (man darf nur den Kontext nicht verkürzen); sie können trotz Zukunftsbezugs ausgeschlossen sein, andererseits auch auf 'Gegenwärtiges' oder Allgemeingültiges referieren, (10) A: Was macht denn der Peter für ein Gesicht? B: Der wird sich über deine Antwort ärgern ( 1 1 ) Bei Bezug auf Gegenwärtiges wird man eine Futurform als Ausdruck einer Vermutung interpretieren, und auch da, wo sie Zukünftiges bezeichnen, bringen sie gegenüber dem Präsens einen zusätzlichen, nur eben nicht zeitrelationalen, Bedeutungsfaktor ins Spiel - der oft deshalb übersehen wird, weil man nach zu 'handgreiflichen 1 Unterschieden sucht. Die Annahme modaler Bedeutung wird deshalb durch Einwände gegen einzelne Versuche ihrer Charakterisierung nicht widerlegt, etwa durch die einleuchtende Kritik an der Paraphrasierung durch Ausdrücke wie vermutlich, wahrscheinlich (Matzel/Ulvestad 1982:303) oder am einfachen Abheben auf die Ereigniswahrscheinlichkeit, das, wie Matzel/Ulvestad gut zeigen, zu genau gegensätzlichen Charakterisierungen bei verschiedenen Autoren geführt hat ("unsichere Aussage" vs. "volle Sicherheit", ibid. 303f.).

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Ich kann die Bedeutung der Komponente im folgenden lediglich umreißen, soweit es nötig ist, um sie in den Gesamtzusammenhang einzuordnen. Der spezifische Bedeutungsbeitrag der Futur-Komponente, wie modaler Bedeutungen überhaupt, sollte weniger in der Darstellungs- als in der Ausdrucksebene gesucht werden, im Bereich der sozial bindenden, rollenetablierenden und -stabilisierenden Einstellungsbekundungen (Benveniste 1966 [1958]:264f.; Halliday 1970:335, Vater 1975:106f.). T h r o u g h m o d a l i t y , t h e s p e a k e r . . . i n t r ü d e s , a n d t a k e s up a p o s i t i o n . Modality thus derives f r o m . . . t h e 'interpersonal' f u n c t i o n of language, l a n g u a g e as e x p r e s s i o n of r o l e . (Halliday ibid.)

Innerhalb dieses Bereichs und besonders im Vergleich zu den übrigen "epistemischen" Modalverben nun zeichnet sich die Bedeutung des Futurs durch eine fast reine Redeinstanzreflexivität aus, es thematisiert die Beziehung zwischen der ausgedrückten Affirmation und dem ihren Gegenstand bildenden Sachverhalt. Futuraussagen affirmieren bekanntlich immer einen Sachverhalt, der eigentlich nicht affirmierbar ist, sei es, daß er im Zukunftsbereich liegt (und sich nicht rein formal ergibt wie etwa das Datum des morgigen Tages), sei es, daß aus anderen Gründen ausreichende Evidenz 21 zur Übernahme des Bürgschaftsrisikos fehlt. Die Futur-Komponente stellt ('expressiv') eben diese Relation der 'Affirmation trotz gegebener Unsicherheit' in den Vordergrund. Diese Grundbedeutung realisiert sich je nach dem Verwendungskontext in mehr oder weniger stark differierenden Varianten; vor allem kann je nach dem Redezusammenhang stärker das personorientierte Element des Affirmierens, der Verbürgung aufgrund der persönlichen Schlußfolgerungskompetenz des Sprechers, in den Vordergrund treten - so in den sog. inferentiellen oder epistemischen Verwendungen oder aber mehr das der vorausgesetzten Nicht-Selbstverständlichkeit. Futur ist die am reinsten redeinstanzreflexive der "Modalisierungen" (oder "epistemischen" Modifizierungen) des Prädikats-, an Abstraktheit, Reduzierbarkeit auf redeinstanzgebundene Relationierungsfunktionen etwa mit "Modalpartikeln" wie ja_ vergleichbar (ich sagte ja schon...). Daraus erklärt sich, daß es von diesen Modalisierungen am ehesten als Bezeichnung "reiner Vorhersage" verwendet (und als "Signalisierung der Zukünftigkeit" mißdeutet) werden kann; es rechtfertigt sich daraus auch die herkömmliche Einordnung des Futurs ins System der Tempora, dessen übrige

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Bedeutungskomponenten ja ebenfalls auf Inbeziehungsetzungen des Prädizierten mit Grundfaktoren der Redeinstanz reduzierbar sind. Futur scheint prinzipiell weder in der Dimension des Relevanzbezugs noch in der zeitrelationalen eine Einschränkung der Kontextrelativität des Bezugs zu bewirken. Regional begrenzt treten Futurformen auch in erzählender Verwendung auf, 24 in der Umgebung von Präteritalformen. Nicht näher eingehen konnte ich auf stilregisterbedingte Futurverwendungen. Soweit es sich nicht um normativ induzierte Hyperkorrektheiten handelt, scheint mir deren stilistischer Effekt im übrigen aber ebenfalls über die Grundbedeutung vermittelt zu sein.

3.4.

Das Präsens

Von funktioneller Merkmallosigkeit des deutschen Präsens haben viele Autoren gesprochen (genannt seien hier Glinz 1966, Ludwig 1972, Lucko 1982); merkwürdigerweise fehlt der Hinweis auf die das Argument stützende formale Unmarkiertheit (so aber, mit Bezug aufs Russische bzw. aufs Englische, wo die Verhältnisse in diesem Punkt entsprechend liegen, 2 Jakobson 1971 [1932] und Twaddell 1963 ). Präsensformen enthalten ausschließlich den Stamm und die diathesegebundenen Kennzeichnungen (Personalsuffixe und ggf. Passivmarkierung), die ja Teil des prädikativen Nexus sind; entsprechend erschöpft sich ihre Eigenfunktion in der Herstellung dieses Nexus in seiner jeweiligen Ausrichtung auf die Aktanten (Diathese). Der durch den Nexus etablierte Sachverhalt wird einfach benannt, alle weiteren Festlegungen erfolgen kontextuell, ob explizit oder über den Rekurs aufs geteilte Wissen: durch positive Setzung des Prädizierten im Gegensatz zur hypothetischen ( w e n n . . . ) , durch die Übernahme der Bürgschaft im Gegensatz zu ihrer Verlagerung (Peter hat gesagt, daß der Vortrag ausfällt), durch Eingrenzung des Zeitbezugs (gestern erhalte ich Ihre M i t t e i l u n g . . . ; wir fahren jedes Jahr nach I s l a n d ) , usw. Die Tatsache der zeitlichen Indifferenz im besonderen wird unterstrichen durch die Verwendung in Gesetzestexten, wissenschaftlichen Abhandlungen, Inhaltsangaben, in Zeitungsüberschriften sowohl mit Bezug auf Abgeschlossenes wie auf Zukünftiges.

12

Verschiedentlich wird dem Präsens aus seiner Opposition zu den Vergangenheitstempora heraus die Funktion der Signalisierung der Nicht-Abgeschlossenheit zugeschrieben (siehe Glinz 1966, Heringer 1983, Vater 1983), und dieser Ansatz besitzt einige Plausibilität. Tatsächlich hat die Kennzeichnung der Abgeschlossenheit ein starkes Maß Obligatorik, es scheint, als ließen sich die Bedingungen, unter denen sie wie in Erzählungen, biographischen Berichten, Zeitungsüberschriften usw. entbehrlich ist, spezifizieren; Nichtkennzeichnung unter allen anderen Bedingungen wäre also zwangsläufig als Zeichen für Nicht-Abgeschlossenheit zu deuten. Teile ich meiner gerade das Haus verlassenden Tochter mit (12) Es hat geregnet, wird sie das nicht unbedingt zur Suche nach dem Regenschirm anders als die Mitteilung

veranlassen,

(13) Es regnet. Verwendungen wie das Erzählpräsens oder die in (14) Sehr geehrte Damen und Herren! Ich erhalte gestern eine Mahnung über ausstehende Beiträge in Höhe von... dienen deutlich rhetorischen Wirkungen und ließen sich deshalb legitim 26 als 'Transpositionen' auffassen. Man wird dennoch sagen müssen, daß es sich hier um, wenn auch zentrale, Gebrauchs- und Interpretationscharakteristika handelt, nicht um ein relevantes Bedeutungsmerkmal im strengen Sinn. Neben systematischen Erwägungen (man müßte der Form entsprechend z.B. auch eine aus der Opposition zum Irrealis resultierende 'Realitäts'bedeutung zuschreiben) und der Tatsache, daß nicht alle vergangenheitsbezogenen Verwendungen aus rhetorischer Absicht resultieren (Zeitungsüberschriften, tabellarische Aufzählungen historischer Ereignisse, Beispiele wie ( 1 5 ) , spricht dafür auch die häufig offenkundige Irrelevanz der Frage zeitlicher Situierung in den Verwendungskontexten des Präsens, von der wissenschaftlichen Ab27 handlung bis zu Beispielen wie (15) bis (17):

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(15) Ein Brief von Peter! Was schreibt er denn? (16) (Zorniger Ausruf beim Aufgeben der wiederholten Bemühungen, den Motor anzulassen:) Es geht einfach nicht! (17) ( E i n etwa vierjähriges Mädchen hat sich im Bus angeregt mit einer unbekannten älteren Dame unterhalten. Nach einer Gesprächspause nachdenklich:) Du sprechst so schön!

3.5. Zur Systematik Die 'positiven', markierten Tempora enthalten je eine oder mehrere der drei Grundkomponenten. Um deren Kombinatorik zu charakterisieren, ist aber die Frage nach Möglichkeit oder Unmöglichkeit des gemeinsamen Auftretens nicht ausreichend; die Verbindungen der Komponenten untereinander sind nicht einfach summativen Charakters, sondern 'gerichtet'. So ist beim Plusquamperfekt, der pragmatischen Funktion nach, die Prateritum-Komponente als die primäre Festlegung aufzufassen, Perfekt als 28 die sekundäre. Bei Berücksichtigung dieser Gerichtetheit läßt sich das Paradigma der Tempora als eine Systematik progressiver Bezugsfestlegungen gegenüber der unmarkierten Form auffassen, wobei jede Komponente einzeln verwendbar ist, aber nicht jede als sekundäre Festlegung (so kann Präteritum keiner anderen untergeordnet werden). Wegen einiger ungeklärter Punkte verzichte ich hier auf den Versuch einer Dar29 Stellung.

4.

Zur Syntagmatik der deiktischen Bezugsfestlegungen

Von der im letzten Abschnitt berührten Frage der paradigmatischen Kombinationen von Bezugsfestlegungen ist die der syntagmatischen Kombinationen zu unterscheiden. Hier eröffnen sich zusätzliche Spielräume. Ich will das Prinzip an einem Beispiel aus dem Bereich der lokalen Deixis illustrieren, das ich Klein (1978:27) entnehme: (18) ... kam Caesar nach Rom. Hier hatte sich eine starke Fraktion um Pompeius gebildet. (19) ... kam Caesar nach Rom. Dort hatte sich eine starke Fraktion um Pompeius gebildet.

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Im ersten Satz wird ein verlagerter Bezugspunkt etabliert, Rom. Die folgenden, auf ihn bezogenen Formen können nun den Abstand zum konstanten 'äußeren' Bezugspunkt (etwa dem Äußerungsort) explizit signalisieren (dort) oder aber die Bezugsverlagerung 'übernehmen 1 , ohne sie eigens auszudrücken. Die Möglichkeit der Wahl gibt die Möglichkeit unterschiedlicher Wirkungen: Unterlassung der Abstandsmarkierung hat den Effekt größerer Unmittelbarkeit der Versetzung. Analoges findet sich im Bereich der Tempora. Wenn etwa im Rahmen einer Erzählung mehreren aufeinanderfolgenden Prädikationen (Gliedern der mitgeteilten Ereigniskette) verlagerte Relevanz zukommt, kann das immer wieder explizit markiert werden, jede im Präteritum stehen, oder aber die Kennzeichnung der Verlagerung kann unterbleiben, nachdem diese einmal etabliert ist, es wird ' i m Präsens e r z ä h l t ' . Wieder ergibt sich aus der Unterlassung der Abstandsmarkierung eine Wirkung unmittelbarerer Versetzung, wie sie für diese Verwendung des Präsens ja immer wieder konstatiert wird (nur daß man sie gern auf eine inhärente Gegenwartsbedeutung der Form zurückführt). Analog wird die verschiedentlich erwähnte (regional begrenzte) erzählende Verwendung des Futurs zu erklären sein, die der charakterisierten Wirkung noch dessen spezifische Expressivitätsnuance hinzufügt ( " i c h sag euch...!").

5.

Die 'Setzung1 von Bezugspunkten durch deiktisehe Zeichen

Die Bedeutung eines deiktischen Zeichens ist dadurch definiert, daß es eine bestimmte Art der Orientierung auf einen vorausgesetzten Bezugspunkt bewirkt. Die Art des vorausgesetzten Bezugspunkts und das Voraussetzen dieses Punktes ist Teil seiner Bedeutung, und wenn man die gängige Beschreibungsrichtung einmal umkehrt, heißt das, daß das deiktische Zeichen seinen Bezugspunkt setzt. Selbst das so kardinale ich ist ja keineswegs einfach dazu da, "den jeweiligen Sprecher zu bezeichnen", jedenfalls nicht in einem schematischen Sinn: wer spricht, weiß der Hörer ja, und wenn er es nicht weiß, nützt auch ich nicht; in diesem Sinn also kann es nicht um Bezeichnung des Sprechenden gehen. "Ich" setzt eine personelle Position - eine der beiden kardinalen -, auf die hin und von der aus Bezüge orientiert werden

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31

können: mich, ^u mrr, voii mir, ich. Analoges gilt für du, hier. Wenn nun z . B . ich auch überwiegend mit Bezug auf den gerade Sprechenden verwendet wird (die Sache kompliziert sich bereits bei der "direkten" Redewiedergabe, wo neben dem aktuellen ein 'gesetzter' Sprecher ins Spiel kommt), so kann sich seine bezugsetzende Funktion doch auch anders zeigen: sehr häufig ist ich im Sinn von man bei der Illustration allgemeiner Regeln: (20) Ein im Perfekt mitgeteilter Vorgang ist in Außenperspektive gesehen. Um eine Innenperspektive der damaligen Situation zu etablieren, benutze ich Präteritum oder Plusquamperfekt. Dabei relativiert nun das Plusquamperfekt... Dies ich ist 'frei adressierbar 1 ('whom it may concern').

Ähnlich du in

(21) (Beim Erzählen über eine vergangene Zwangslage:) Da weißt du nicht mehr, wem clu gerecht werden sollst... Im Bereich der Tempora begegnet frei adressierbarer Bezug beim sog. gnomischen Perfekt ( 2 2 ) und Futur (Bsp. 1 1 ) : (22) Ein Unglück ist schnell geschehen. ( " I n einer jeweiligen Situation sieht man sich schnell damit konfrontiert, daß ein Unglück geschehen ist"). Die Eigenschaft deiktischer Zeichen, Bezugspunkte ' a k t i v ' zu setzen, ermöglicht "sprachliche Fiktionen" eigener Art. Die literarischen Struktureinheiten "Erzähler", "Erzählsituation", "lyrisches Ich" sind in ihrem strukturellen Minimum - durch deiktische Bezugspunktimplikationen konstituiert. Aber auch im Alltag sind solche Fiktionen häufig, besonders zu Zwecken der Höflichkeit. Brown & Levinson (1978:123ff., 209ff.) belegen "point-of-view operations" als eine der universellen Höflichkeitsstrategien, im Blick auf Tempus, Aspekt und andere deiktische Zeichen. Sie unterscheiden Verfahren der Distanzverminderung und solche der Schaffung höflicher Distanz. Der zweiten Art zuzurechnen sind Beispiele wie

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(23) (Betont zuvorkommende Verkäuferin zur Kundin, die etwas Gekauftes umtauschen möchte:) Den Kassenzettel hatten Sie dabei? (24) (Dozent zur H i l f s k r a f t , um sich zu vergewissern, daß ein Recherchierauftrag erledigt ist;) Nach den Büchern hatten Sie gefragt? Hier wird ein zurückliegender Relevanzzusammenhang fingiert, um den unmittelbaren ("für einen Umtausch brauchen Sie den Kassenzettel"; "haben Sie meinen Auftrag erledigt?") nicht zu deutlich hervortreten zu lassen; schon idiomatisiert ist das in Wendungen wie ich wollte Sie fragen... 33 oder gar ich hatte Sie fragen wollen... Im folgenden Beispiel ist der Relevanzbezug durch die Verwendung einer Präteritumform statt des zu direkten Perfekt umorientiert: (25) (Wohlerzogene junge Frau zu älterer Dame, die ihr eine Begebenheit zum zweiten Mal ausführlich schildert, an einer Stelle möglicher Hörerintervention:) Ja! Das erzählten Sie... Oft in der Literatur erwähnt ist das Verfahren des Typs (26) (Kellner beim Auftragen der Speisen:) Wer bekam die Suppe? wo die Relevanz-Umorientierung redereflexiv ist. Der Kellner hat zwar das Detail vergessen, wer genau die Suppe zu bekommen hat, aber er erinnert sich gut an das wichtige Ereignis der Bestellung der Speisen, auf das er durch den Präteritumgebrauch zurückverweist. Vgl. auch (27) (Im Vorzimmer einer Arztpraxis. Die Pharmazeutik-Vertreterin will sich einen guten Abgang verschaffen und fragt die Praxishelferin:) Und was macht das Kind? n 1 Junge w a r ' s , nicht? Schon das Kind unterstellt Vertrautheit. "Eigentlich" erinnert sich die Sprecherin an alles genau, man hat sich ja über das Kind unterhalten. (Tatsächlich war es dann allerdings ein Mädchen, und die Sprecherin hatte sich auch im Alter grob verschätzt.) Die redereflexive Umorientierung wird relativ selten mit "Fiktions"charakter verwendet. Sie dient nicht nur Höflichkeitszwecken, sondern oft

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der wirkungsvollen Ausdrucksverknappung: (28) Was gab's nächsten Dienstag in der Oper? (29) War's morgen aiich regnerisch? Das Plusquamperfekt 'setzt' einen vergangenen Bezugspunkt - unter Relevanzverlagerung, d . h . mit der Anweisung 'such nach der Bedeutung dieser Tatsache für die vergangene Konstellation, auf die ich mich beziehe' und teilt einen vor diesem Bezugspunkt abgeschlossenen Sachverhalt mit. Diese doppelte Inbeziehungsetzung erlaubt ebenfalls stark verknappende, "raffende" Formulierungen: (30) (Mein Sohn kommt ins Zimmer, in dem ich seit einigen Tagen intensiv schreibend sitze, um zu schauen, wie es vorangeht. Ich drehe mich zu ihm um und sage ohne weitere E i n l e i t u n g : ) Eine halbe Seite, die mich über eine Stunde gekostet hat, hatte ich zerknüllt in den Papierkorb geworfen! Die Perfektform in dem Relativsatz konstatiert einfach ein Faktum, mit der Plusquamperfektform dagegen ist die Situation projiziert, in der ich schließlich den Verbleib des gesuchten Manuskriptteils feststellte. Faktisch liegt dabei das im Plusquamperfekt Mitgeteilte zeitlich später als das im Perfekt Ausgedrückte.

6.

Schluß

Das System der "Tempora" dient nicht dazu, die zeitliche Beziehung zwischen dem mitgeteilten Sachverhalt und der Sprechsituation zu kennzeichnen, wie es die Handbücher wollen - zu oft muß diese Beziehung schon bekannt sein, damit die Tempusform richtig interpretiert werden k a n n , zu oft auch bildet nicht die Sprechsituation den Bezugspunkt. Die Grundkomponenten und ihre paradigmatischen und syntagmatisehen Verbindungen gestatten vielfältige Inbeziehungsetzungen zwischen Sachverhalten, Zeitpunkten, Belangen und Sprechenden.

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Anmerkungen 1.

Zur formal-funktionellen Heterogenität des Systems siehe etwa Ludwig 1972, Bartsch 1980, Lucko 1982. Zum modalen Charakter des Futurs Vater 1975.

2.

Von der möglichen begrifflichen Unterscheidung zwischen Deixis und Anaphora sei hier abgesehen.

3.

Modus bestimmt schon Jakobson (1971 [1957]) als deiktisch, dagegen ausdrücklich nicht. Letzteres ist zur Lehrmeinung Aspekttheorie geworden (repräsentativ etwa Comrie 1976:5, 1977:705); anders aber Benveniste 1966 [1956]:255, Heger Rafferty 1982:65f, siehe Fuchs i . V .

4.

In diesem Sinn wäre allerdings auch der Konjunktiv in das System einzubeziehen, vgi. unten S.13 und Anm. 20. - Ich verstehe "Kontext" in einem sehr weiten Sinn, unter Einschluß aller als Teil des gemeinsamen Wissens vorausgesetzten Faktoren von der unmittelbaren morphematischen Umgebung bis hin zur 'Weltkenntnis 1 .

5.

Siehe etwa Fillmore 1976, Brown & Levinson 1978:123-127, Klein 1978, Rauh 1978 (besonders K a p . I I I ) .

6.

Fillmore 1972, Leisi 19714:84-88,101-105, 1976. Zu Aspekt und Modus vgl. Anm.3.

7.

Siehe Benveniste (wie in Anm.3) und das Referat in Rauh 1983:30-42. Durch diese Erweiterungen beschränkt sich die Art der Entsprechung zwischen dem Inhaltstyp des deiktischen Ausdrucks und dem der Bezugsdimension nicht mehr auf einfache Gleichheit wie im herkömmlichen Modell, wo etwa die jeweilige personelle Konstellation als Bezugsdimension nur für personbezeichnende Ausdrücke fungiert.

8.

Es ist im folgenden von den Kontextbezügen die Rede, die für die Prädikation spezifisch sind, ihr nicht im Rahmen eines anderen Bezugssystems wie etwa dem der Akzentuierung zukommen; nicht betrachtet wird auch die 'vermittelte', zunächst prädikationsinterne deiktische Relationierung mittels der Diathese. - Der Terminus Prädikation soll prinzipiell auch alle Aktanten miteinbeziehen; es wird aber von der einzelnen Verwendung abhängen, in welchem Maß sie in den Wirkungsbereich der hier untersuchten verbalen Kategorien fallen.

9.

Die folgende Überlegung von Grice scheint mir deutlich zu machen, daß sein Relevanzbegriff ebenfalls auf Bezüge der hier umrissenen Art zielt: "Though the maxim itself [die "maxim of relation", AF] is terse, its formulation conceals a number of problems that exercise me a good deal: questions about what different k i n d s and f o c u s e s of r e l e v a n c e there m a y be, h o w these s h i f t in the course of talk exchange, how to allow for the fact that s u b j e c t s o f c o n v e r s a t i o n are legimately c h a n g e d , and so on." (Grice 1975:46, Sperrungen von m i r . )

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Aspekt in der Lyons 1963,

Bierwisch 1970, Fillmore

10.

Durch die Formulierung "relative Affirmativität" möchte ich den Begriff möglichst offen halten, so daß sich auch Fragen und modalisierte Prädikationen einbeziehen lassen.

11.

Die Auffassung der Tempus-, Aspekt- und Modusmarkierungen als Einschränkungen der Kontextrelativität einer unmarkierten Form steht in der Tradition des Jakobsonschen Ansatzes (besonders Jakobson 1971 [1932]); sie liegt auch der Analyse des deutschen Tempussystems von Ludwig 1972 zugrunde. Für eine klassische Anwendung aufs Englische siehe Twaddell 1963 . - Die Formulierung "Tempus im engen Sinn" ist ein Notbehelf, im weiteren Verlauf gebrauche ich den Terminus wieder im herkömmlichen Sinn. - Prinzipiell sind in allen drei Dimensionen einerseits die Lokalisierung des Bezugspunkts, andererseits die Art des Bezugs zu bestimmen; da aber die Art des Relevanzbezugs (Ereignismitteilung vs. Situationscharakterisierung) im Deutschen jedenfalls nicht durch ein eigenes Morphem kodiert wird wie etwa im Englischen und Russischen (vgl. Fuchs i . V . ) , habe ich diesen Punkt nicht eigens aufgeführt. Siehe aber Anm. 18.

12.

Siehe die neueren 'kompositioneilen 1 Ansätze, etwa Fabricius-Hansen 1986 und die Beiträge von Ballweg und Janssen in diesem Band, weiter die Analyse in Begriffen verschiedener "Perspektiven" in der Inhaltsbezogenen Grammatik (etwa Bartsch 1980) sowie Benveniste 1966 [1952].

13.

Zu den vor allem, aber nicht n u r , im mündlichen Gebrauch sehr häufigen "Doppelumschreibungen" - keineswegs dialektale Interferenzen, und nicht Ersatz für Plusquamperfektformen, sondern in systematischer Opposition zu ihnen stehend - siehe Hauser-Suida/ Hoppe-Beugel 1972, Kap.4 (der Terminus "Doppelumschreibung" ist dieser Arbeit entlehnt) und Benveniste 1966 [1959] passim.

14.

Vergleiche die Kritik Fourquets an diesem [1965]:158f); interessant auch Ludwig 1972:63f.

Verfahren

(1970

15. Der Aspektoppositionstyp Relevanzverlagerung ist in Comrie 1976 unter dem Titel "Perfect" gefaßt und von dem der Perfekt!vität, wie er etwa dem Aspekt des Russischen und dem englischen Progressive zugrundeliegt, unterschieden (dabei ist aber mit "Perfect" gerade das negativ charakterisierte Oppositionsglied namengebend geworden, siehe oben S . 5 , 6 ) . Relevanzverlagerung wird offenbar schon im Englischen auch im Nachzeitigkeitsbereich ausgedrückt, der Opposition zwischen Present Perfect und Past scheint die zwischem dem "immediate future" going ;to und den Formen mit will parallel (siehe etwa Joos 1964). Sicher handelt es sich auch1 bei dem, was unter Bezeichnungen wie "remote future" für 'exotische Sprachen beschrieben wird, um Relevanzverlagerung im Nachzeitigkeitsbereich (die Adäquatheit der Beschreibung von Tempusoppositionen in Begriffen von "degrees of remoteness" beurteilt auch Comrie 1985 im einschlägigen Kapitel 4 sehr vorsichtig). Für eine Fallbeschreibung siehe Fuchs 1970, Kap.1.3. 16.

Das läßt sich gut an der Verwendung des Präteritum in kontextuell eingebetteten Erzählungen verdeutlichen, etwa einer Erzählung zur Abwehr eines Vorwurfs wegen einer Verspätung. Die Prädikationen, die die Erzählung im engen Sinn konstituieren,

20

(5) . . . d a klingelte es und draußen stand mein Nachbar Schmidt und fragte... haben einzeln genommen für die 'äußere' Bezugskonstellation "Entschuldigung" nur mittelbare Relevanz, ihr Modifikationspotential richtet sich primär auf die Konstellation(en) auf der Ebene des Erzählten; unmittelbare Relevanz für die äußere Bezugskonstellation, als interaktiver ' Z u g ' in ihr, hat die Erzählung als ganze. Die Erzählung des gleichen Ablaufs könnte aber auch einen anderen äußeren Relevanzbezugspunkt haben, etwa im Rahmen einer Unterhaltung über nachbarschaftliche Verhältnisse, die Präteritum-Komponente bewirkt hierin keine Festlegung. Zur Analyse der Relevanzverhältnisse in kontextuell eingebetteten Erzählungen siehe etwa Labov 1972, Labov/ Fanshel, 1977 Kap.3, Gülich 1980. 17.

Tempora mit der Präteritum-Komponente werden des öfteren als anaphorisch bezeichnet, siehe neuerlich LoCascio 1986. - Der Begriff darf nicht gepreßt werden, etwa so als habe einer Präteritum-Form notwendig ein Vergangenheitsadverbial oder ein Perfekt vorauszugehen.

18. Beobachtungen zur Rolle der kontextuellen Erwartbarkeit auch bei Fabricius-Hansen 1986:94. - Die Aspektopposition des Russischen gehört zwar einem anderen Grundtyp an als die des Deutschen, es handelt sich um einen Unterschied der Relevanzart ( v g l . A n m . 1 1 ) : dieser könnte aber - als covert category im Sinn von Whorf 1956 [1937]:88ff. - auch im Deutschen wirksam sein. 19. V g l . oben S.1 - Eine Einschränkung der Kontextrelativität im Blick auf die Wahl des Bezugspunkts, Verlagerung der personellen Zuschreibbarkeit der Affirmation weg vom Sprecher, signalisiert der Konjunktiv der 'mittelbaren Aussage 1 , d . h . vor allem der indirekten Rede. 20.

Siehe Vater 1975. Zu Unterschieden in den Formbildungsmöglichkeiten ibid. 129f; Überlegungen zur Beziehung der Futur-Komponente zum System der Modalverben auch in Fabricius-Hansen 1986:147ff.

21.

Der - auch universell in weitem Maße - modale Charakter des Futurs läßt sich aber nicht schon aus der inhärenten Unsicherheit des Zukünftigen ableiten, wie es verschiedentlich geschieht: sonst wären auch Präsensaussagen über Zukünftiges modal.

22.

Anders gesagt, mehr das Element der Affirmation oder mehr das der systematisch in der Futur-Bedeutung enthaltenen Präsupposition. ( D i e oben erwähnten widersprüchlichen Charakterisierungen in Begriffen des Sicherheitsgrads sind offensichtlich teils auf die Präsupposition, teils auf den Affirmativitätscharakter gerichtet). - Beim Versuch der Präzisierung der hier skizzierten Beschreibung der Grundbedeutung sollten die eingehenden Textanalysen in Gelhaus 1975 (besonders im Blick auf die zukunftsbezogenen Verwendungen) und (trotz Divergenz im Prinzipiellen) die Beobachtungen in der auch methodisch originellen Untersuchung von Ulvestad 1984 herangezogen werden, die beide den spezifischen Expressivitätscharakter sehr deutlich werden lassen.

21

23. Hingewiesen sei hier noch auf interessante systematische Parallelen zum (vorzeitigkeitsbezogenen) "Inferential" oder "Evidential" des Türkischen und anderer Sprachen. Vgl. Comrie 1976:108ff., Slobin 4 Aksu 1982. 24.

Zum erzählenden Futur siehe Vater 1975:124f, Thomas 1981.

25.

Die Merkmallosigkeit dieser höchst gebrauchshäufigen Form widerspricht der oft geäußerten Ansicht, jede Prädikation erfordere eine Tempusmarkierung. Weitgehend - aber nur weitgehend - obligatorisch scheint im Deutschen lediglich Vorzeitigkeitskennzeichnung, s.u. Zum Begriff des prädikativen Nexus Jespersen 1968[1924]:114ff.

26.

Zu dieser Einschränkung der Anwendbarkeit des Begriffs der Transposition siehe das Zitat in der folgenden Anm.

27. Es bestätigt sich - entgegen häufigen FehlInterpretationen seiner Markiertheitstheorie - Jakobsons präzise Formulierung: "Falls die Kategorie I das Vorhandensein von A ankündigt, so kündigt die Kategorie II das Vorhandensein von A nicht an, d . h . sie besagt nicht, ob A anwesend ist oder nicht. Die allgemeine Bedeutung der merkmallosen Kategorie II im Vergleich zu der merkmalhaltigen Kategorie I beschränkt sich auf den Mangel der -Signalisierung'." Jakobson fährt fort: "Falls in einem gewissen Kontext die Kategorie II das Nichtvorhandensein von A ankündigt, so ist es bloß eine der Anwendungen der gegebenen Kategorie: die Bedeutung wird hier durch die Situation bedingt, und wenn es sogar die geläufigste Funktion dieser Kategorie ist, darf dennoch der Forscher nicht die statistisch vorherrschende Bedeutung der Kategorie mit ihrer allgemeinen Bedeutung gleichsetzen. Eine solche Identifizierung führt zum Mißbrauch d e s Begriffes T r a n s p o s i t i o n (Heraushebung i m Original). 28. Der Relevanzbezug richtet sich stets auf eine 'verlagerte' Konstellation, die dadurch charakterisiert wird, daß der Vorgang in ihr abgeschlossen vorlag. 29. Die Darstellung der Systematik sollte die Möglichkeit rekursiver Anwendung der Perfekt-Komponente einbeziehen (s.o. S.6) und wegen mancher systematischer Affinitäten zwischen der Präterrtum-Komponente und dem Bereich des Konjunktivs auch diesen. 30. Die Verwendung der Präsensform in der Erzählung ist, wie Quasthoff 1980 gezeigt hat, eingegrenzter als die des Präteritum: verallgemeinernde Hintergrundinformationen können in einer Präteritumerzählung in diesem Tempus gegeben werden, aber in einer Präsenserzählung nicht entsprechend im Präsens. - Die Kennzeichnung der Verlagerung des Bezugspunkts, die Erzählen im Präsens erlaubt, kann recht implizit bleiben: (31) (lOjähriger Junge kommt zur Mutter in die Küche:) Du, der Ralf ist verrückt. Ich geh zum Bus, da kommt er von hinten... 31.

Zur Flexibilität von hier vgl.

22

Klein 1978.

32.

Zur "sprachlichen Fiktion" siehe Jakobson 1971(1960): 87ff. ( b z w . die ungekürzte russische Version im gleichen Band S.63ff., wo unter diesem Gesichtspunkt auch von der Aspektverwendung - in einem Gedicht Puschkins - die Rede ist).

33.

Vgl.

34.

Der fehlende Kontext zu (29) wurde mir bislang mit einer Ausnahme von jedem, den ich fragte, auf Anhieb präzise ergänzt.

35.

Zur "Raffungs"funktion des Plusquamperfekts vgl. Eroms 1983, der mit Recht betont, daß auch bei sog. absoluter Verwendung stets, in meinen Begriffen, die Relevanzverlagerung mitgesetzt ist: "Eine primäre Vergangenheitsebene ist stets auszumachen. Das Plusquamperfekt tritt immer vermittelt auf. Dem Plusquamperfekt sind deshalb auch keine anderen Bedeutungsmerkmale zuzuordnen als bei sog. relativem Gebrauch" (ibid. S.66).

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25

Temporale Deixis

Gisa Rauh

Abstract Temporal Deixis is often described as a dimension which shares with other deictic dimensions nothing but the general property of being deictic. In this essay the hypothesis is proposed that, in addition, temporal deixis and other deictic dimensions display an analogous internal structuring and that, furthermore, the use of temporal deictic expressions is governed by the same rules that govern the use of other deictic expressions. In support of this hypothesis, in section 1 eight statements concerning deixis in general are presented which are specified in relation to the temporal deictic dimension in section 2, and shown to be adequate with respect to tenses and other temporal deictic expressions in sections 3 and 4 respectively. Section 5 presents a brief summary.

0. Einleitung Im Zusammenhang mit dem wachsenden Interesse an pragmatischen Fragestellungen seit den späten sechziger Jahren hat die Beschäftigung mit der Deixis, die nach den Tagen Bühlers (1934) mehr oder weniger ruhte, neue Impulse erhalten. Während Bühler allerdings in der Tradition von Brugmann (1904) die Beschreibung E I N E S deiktischen Systems, seines 'Zeig3 4 feldes' , anstrebte, das durch verschiedene Dimensionen wie die personale, die lokale und die temporale konkretisiert werden kann , konzentrieren sich neuere Arbeiten zur Deixis im wesentlichen auf die 6 Beschreibung E I N E R Dimension oder, wenn mehrere Dimensionen beschrieben

26

7

werden, auf deren Beschreibung unabhängig voneinander. Dabei geht die Möglichkeit eines Vergleichs und damit eines Auffindens von grundsätzlich dimensionsübergreifenden Gemeinsamkeiten verloren, oder sie wird zumindest schwierig. Nur in wenigen Arbeiten werden Analogien in der 6 Strukturierung der verschiedenen Dimensionen festgestellt , noch geringer ist die Anzahl derer, die aus festgestellten Analogien das Postulat eines 9 einheitlichen, zugrunde liegenden Systems ableiten. Ich habe mich in der Vergangenheit ausgiebig mit dem Gebiet der Deixis 10 beschäftigt und mich vor allem um eine Systematisierung von Einzelbeobachtungen im Hinblick auf die Entwicklung einer deiktisehen Theorie bemüht, deren Grundlagen in Rauh (1983b bzw. 1984a) vorgestellt werden. Dort wird die Annahme eines einheitlichen, zugrunde liegenden Systems für alle deiktischen Dimensionen postuliert und begründet. Im Sinne dieser Auffassung stellt die temporale Deixis, die hier das Thema sein soll, innerhalb des größeren Rahmens der Deixis allgemein einen in bestimmter Weise beschreibbaren Teilbereich dar. Sie findet ihren sprachlichen Ausdruck vor allem in den Tempora und in temporalen Adverbien, aber auch in Adjektiven, z.B. in Ableitungen wie in ihr früherer/gegenwärtiger/ zukünftiger Mann, in Nomina wie z.B. engl. past, present oder future und Präpositionen wie z.B. engl. ago. Ich möchte im folgenden zunächst meine grundlegenden Hypothesen zur Deixis allgemein vorstellen und anschließend darlegen, in welcher Weise ich die temporale Deixis in diesen Rahmen eingebettet sehe. Meine Hypothesen sollen dann durch eine Beschreibung von Tempora sowie einigen temporalen Adverbien, Adjektiven, Nomina bzw. Nominalphrasen und Präpositionen bzw. Präpositionalphrasen veranschaulicht und gestützt werden. Da ich an anderer Stelle eine ausführliche Beschreibung von Tempora vorgelegt habe (Rauh 1983c bzw. 1984/85 und 1982/83), werden die Ausführungen zu den Tempora im folgenden mehr dem Präsentieren von Resultaten ähneln. Der weitergehend interessierte Leser sei deshalb auf die genannten Arbeiten verwiesen. Ein Gleiches gilt für die angeführten Hypothesen zur Deixis allgemein, die hier lediglich aufgelistet werden. Motivation und Begründung finden sich in Rauh (1983b bzw. 1984a). Es sei vorweg angemerkt, daß die ausgewählten Beispiele der englischen Sprache entnommen sind.

27

1. Hypothesen zur Deixis allgemein Das deiktische Inventar einer Sprache bringt, so kann man zunächst vereinfachend sagen, die Sprecherbezogenheit sprachlicher Äußerungen zum Ausdruck. Durch deiktische Ausdrücke wird in der kanonischen Sprech11 situation ein Bezug hergestellt zum Sprecher, zu dem Ort und der Zeit seiner Äußerungen, aber auch z.B. zur Modalität seiner Äußerungen, zu seinem sozialen Status, zu seiner thematischen Gewichtung. Deiktische Ausdrücke ordnen damit auf den Sprecher und seine Situation - das 13 Orientierungszentrum 1 - bezogene Dimensionen, die ich als 'deiktische Dimensionen' bezeichnet habe (Rauh 1983b:30ff. bzw. 1984a:49ff.) und zu denen die personale, die lokale, die temporale, die modale, die thematische und andere zu rechnen sind. Meine erste Hypothese lautet, daß potentiell jede Dimension, innerhalb derer ein Sprecher qua Sprache etwas zu sich oder zu einem Aspekt einer Situation in Beziehung setzt, eine deiktische Dimension werden kann. Eine deiktische Dimension zeichnet sich dadurch aus, daß sie durch ein bestimmtes Ordnungsschema gegliedert ist, das ich als die 'deiktische Determination 1 bezeichnet habe. Die zweite Hypothese lautet entsprechend, daß alle deiktischen Dimensionen nach demselben Ordnungsschema gegliedert sind, und zwar gilt diese Hypothese für alle Sprachen. Ich führe die deiktische Determination auf kognitiv repräsentierte Kategorien zurück, die als 'deiktische Kategorien' bezeichnet werden können, und rechtfertige auf dieser Grundlage den Universalitätsanspruch. Der Universalitätsanspruch führt nicht zu der Hypothese, daß alle Sprachen die kognitiv repräsentierten Kategorien in gleicher Weise sprachlich zum Ausdruck bringen, wohl aber zu der Feststellung, daß das Potential dazu - auf kognitiver Ebene - gegeben wäre. Die dritte Hypothese besagt, daß die deiktische Determination egozentrisch-lokalistisch ist, mit anderen Worten, die kognitiv repräsentierten deiktischen Kategorien sind egozentrisch-lokalistisch bestimmt. Damit ist zweierlei ausgesagt. Zum einen, daß jede Kategorie einen Bezug herstellt zu einem Aspekt des 'ego', also in der kanonischen Sprechsituation des Sprechers, und daß dies zum anderen nach dem Muster der Differenzierung innerhalb der lokaldeiktischen Dimension erfolgt. Es gilt also, daß die lokaldeiktische Dimension als grundlegend betrachtet wird, als die Dimension, die in unmittelbarer Beziehung zu den kognitiv

28

repräsentierten Kategorien steht. Nach der vierten Hypothese können die deiktischen Kategorien zunächst über drei Merkmale beschrieben werden, die deiktisch differenzierte Bereiche bezeichnen und die im Hinblick auf die lokale Dimension als Bereich (a) 'Kodierungsort 1 , Bereich (b) ' i n Verbindung mit dem Kodierungsort' und Bereich (c) 'nicht in Verbindung mit dem Kodierungsort' zu charakterisieren sind. Unabhängig von der lokalen Dimension gilt, daß (a) identisch ist mit dem jeweiligen Orientierungspunkt einer Dimension, (b) mit dem Orientierungspunkt in direkter Verbindung steht und (c) keine Verbindung zum Orientierungspunkt hat. Die Bereiche ( a + b ) und (c) können weiter differenziert werden, z . B . (a+b) in der lokalen Dimension durch die Berücksichtigung der Position des Adressaten sowie sowohl (a+b) als auch (c) durch Grade der Entfernung vom Kodierungsort. Durch die Möglichkeit der Subklassifikation ergeben sich insgesamt sechs deiktische Kategorien, nämlich: 1. 2. 3. 4. 5. 6.

identisch mit dem jeweiligen Orientierungspunkt ( = a ) in direkter Verbindung zum Orientierungspunkt (=b) im Bereich (a+b) näher bestimmt im Bereich (a+b) nicht näher bestimmt im Bereich (c) näher bestimmt im Bereich (c) nicht näher bestimmt .

Deiktische Kategorien werden durch das deiktische Inventar einer Sprache zum Ausdruck gebracht, aber nicht alle müssen durch deiktisches Inventar repräsentiert sein, und zwischen ihnen und deiktischen Ausdrücken besteht nicht notwendig eine eindeutige Beziehung. Für die lexikalische Bedeutung oder die Intension deiktischer Ausdrücke gilt, und dies ist meine fünfte Hypothese, daß sie erstens über die deiktische Determination beschreibbar ist und daß zweitens in der Regel semantische Merkmale vorliegen, z . B . solche, die die Dimension charakterisieren, wie [personal], [lokal], [temporal] etc. oder auch solche, die dimensionsspezifische Eigenschaften repräsentieren, wie z . B . [vorher], [nachher] oder [1 Tag] innerhalb der temporalen Dimension, worauf später noch zurückzukommen ist. Artikel und Demonstrative sind ausschließlich über die deiktische Determination zu beschreiben. In diesen Fällen kommen keine semantischen Merkmale hinzu.

29

Die auffälligste Verwendung deiktischer Ausdrücke findet in der kanonischen Sprechsituation statt. Sie verweisen hier auf Personen, Räume, Zeiten, Modalitäten, soziale Beziehungen etc., wobei das Orientierungszentrum für die Interpretation der deiktisehen Ausdrücke durch den Sprecher und die verschiedenen Gesichtspunkte seiner Situation gegeben ist. Die Referenten der deiktischen Ausdrücke befinden sich in seinem Umfeld. Da einige deiktische Ausdrücke bei dieser Art ihrer Verwendung durch sichtbare oder hörbare (Stimmquelle) Gesten begleitet werden können, wird hier mit Bühler (1934 (1965:105)) von der demonstratio ad oculus et ad aures gesprochen. Dies ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit, deiktische Ausdrücke zu verwenden. Entscheidend für andere Arten ihrer Verwendung ist die Tatsache, daß das Orientierungszentrum, das für die Interpretation zentrale Bedeutung hat, in unterschiedlicher 18 Weise versetzt werden kann. Die sechste Hypothese lautet entsprechend: Deiktische Ausdrücke können auf ein anderes Orientierungszentrum als das des Sprechers bezogen sein. Dabei gilt, und dies ist meine siebte Hypothese, daß dem Setzen von Orientierungszentren potentiell keine Grenzen auferlegt sind. Auch trifft zu, und damit ist die achte Hypothese formuliert, daß deiktische Ausdrücke in einem einfachen Satz auf mehr als ein Orientierungszentrum bezogen sein können, wodurch ein scheinbarer Konflikt entsteht. Wir werden auf dieses Phänomen zurückkommen.

2.

Die temporale deiktische Dimension

Aus diesen allgemeindeiktischen Überlegungen lassen sich für die temporale Deixis folgende Vorhersagen ableiten: Bei der temporalen Deixis handelt es sich um eine deiktische Dimension, die durch die deiktische Determination beschrieben werden kann. Das bedeutet, daß temporaldeiktische Bereiche über egozentrisch-lokal istische Kriterien differenziert werden. Sprachlich wird die temporale deiktische Dimension durch Tempora sowie durch temporale Adverbien, Adjektive, Nomina und Präpositionen u.a. zum Ausdruck gebracht. Die lexikalische Bedeutung oder Intension von Tempora sowie von temporalen Adverbien, Adjektiven, Nomina und Präpositionen u.a. ist erstens über die deiktische Determination und zweitens über semantische Merkmale zu beschreiben. Temporaldeiktische Ausdrücke werden in der kanonischen Sprechsituation in bezug auf den

30

temporalen Orientierungspunkt verwendet, der mit der Sprechzeit gegeben ist. Bei gesetzten Orientierungszentren können temporaldeiktische Ausdrücke an anderen temporalen Orientierungspunkten orientiert sein, die 19 entsprechend als Kodierungszeit von Äußerungen zählen. Es besteht die Möglichkeit, daß temporaldeiktische Ausdrücke in einem einfachen Satz an zwei verschiedenen Orientierungszentren orientiert sind. Diese Vorhersagen über die temporale deiktische Dimension möchte ich im folgenden anhand einer Beschreibung zunächst von Tempora und dann von einigen temporaldeiktischen Adverbien, Adjektiven, Nomina bzw. Nominalphrasen und Präpositionen bzw. Präpositionalphrasen im Englischen veranschaulichen.

3. Tempora Unter Berücksichtigung der oben aufgestellten Hypothesen für die Deixis allgemein und deren Übertragung auf die temporale Deixis läßt sich für die Tempora feststellen, daß sie Zeiträume bezeichnen, die egozentrischlokalistisch differenziert werden. Dabei sind zunächst drei Kriterien relevant, nämlich erstens 'identisch mit dem temporalen Orientierungsp u n k t ' , zweitens 'mit dem temporalen Orientierungspunkt in Verbindung stehend 1 und drittens 'nicht mit dem temporalen Orientierungspunkt in Verbindung stehend'. In der kanonischen Sprechsituation ist der temporale Orientierungspunkt mit der Sprechzeit gegeben. Die folgenden Beispiele zeigen, daß z.B. das Präsens performativer Äußerungen durch das erste Kriterium zu beschreiben ist, ( 1 ) I request that she go alone. daß das Perfekt sowie die nahe Zukunft des going to durch das zweite Kriterium zu beschreiben sind, (2) Bill has lived there for two years. (3) His brother is going to leave tomorrow. und das Präteritum sowie das Futur I durch das dritte Kriterium:

31

(4) John left. (5) I ' l l stop smoking. Daß in der Tat für die Beschreibung des Perfekts und der nahen Zukunft des going to das Kriterium ' i n Verbindung mit dem temporalen Orientierungspunkt' relevant ist und für die Beschreibung des Präteritum und des Futur I das Kriterium 'nicht in Verbindung mit dem temporalen Orientierungspunkt', zeigt die Grammatikalität bzw. Ungrammatikalität der folgenden Sätze: (6) a. Peter has lived here up to now. b.*Peter lived here up to now. (7) a.*Peter has lived here up to last week, b. Peter lived here up to last week. (8) a. From now on I ' m going to work hard. b.*From now on I ' l l work hard. (9) a.*Starting next week I'm going to stop smoking, b. Starting next week I ' l l stop smoking . Wann immer eine Temporalangabe neben dem Tempus erscheint, die Kontinuität mit dem temporalen Orientierungspunkt bezeichnet, ist die Verwendung von Perfekt und going to möglich sowie die von Präteritum und Futur I unmöglich. Im Kontext von temporalen Zeitangaben, die Diskontinuität bezeichnen, sind die Verhältnisse umgekehrt. Neben dem Präsens, das durch das Merkmal [identisch mit dem temporalen Orientierungspunkt] beschrieben ist, werden in der kanonischen Sprechsituation andere Präsensformen identifiziert, die durch die Merkmale [im Bereich (a+b) (= Orientierungspunkt + in direkter Relation zum Orientierungspunkt) näher bestimmt] bzw. [... nicht näher bestimmt] zu beschreiben sind. Beispiele sind mit den folgenden Sätzen gegeben: (10) Peter writes that he has bought a car. ( 1 1 ) You smoke too much.

32

Neben Merkmalen der deiktischen Determination sind die Tempora durch semantische Merkmale zu beschreiben, wobei zum einen das dimensionsspezifische Merkmal [temporal] eine Rolle spielt, zum anderen die Merkmale [vorher] bzw. [nachher] beteiligt sind, nämlich einerseits im Falle von Präteritum und Perfekt und andererseits im Falle von Futur I und going to.

22

Die Verwendung von Tempora im Zusammenhang mit gesetzten Orientierungszentren, also nicht in der kanonischen Sprechsituation, ist, z.B. bei Zitaten wörtlicher Rede zu identifizieren: (12) a. I wondered why Bill said: b. Mary asked: ' ( Did

request that she go alone.'

you see "Hamlet" on TV? 1

Die Tempora in den Zitaten wörtlicher Rede sind hier jeweils nicht an dem temporalen Orientierungspunkt der aktuellen Sprechsituation orientiert, sondern an dem des mit dem zitierten Sprecher gesetzten Orientierungszentrums. An einem gesetzten Orientierungszentrum orientiert ist auch ein Präsens, 23 dessen Verwendungsart unter der Bezeichnung 'historisches Präsens' in die Literatur eingegangen ist. Durch das Setzen eines vom Sprecher, oder, bei fiktionalen Texten, vom Erzähler zu unterscheidenden 24 Orientierungszentrums wird der Effekt der Aktualisierung oder der lebendigen Darstellung erzielt, der in der Literatur in bezug auf das historische Präsens hervorgehoben wird: (13) a. Mrs. Dent had kindly taken her hand, and given her a kiss [...] And then they had called her to a sofa where she now sat [ . . . ] b. At last coffee is brought in [ . . . ] . I sit in the shade [ . . . ] ; the window half hides me. Again the arch yawns: they come. [ . . . ] He comes in at last. [ . . . ] c. No sooner did I see that his attention was riveted on them and that I might gaze without being observed, then my eyes were

33

drawn unvoluntarily to his face. (C. Bronte, Jane Eyre:175f) (14) a. Remembering the embalmed head, at first I almost thought that this black manikin was a real baby preserved in some similar manner [ . . . ] I concluded that it must be nothing but a wooden idol, which indeed it proved to be. b. For now the savage goes up to the empty fireplace, and removing the papered fireboard, sets up this little hunchbacked image [...] c. The chimney jambs and all the brides inside were very sooty, so that I thought this fire-place made a very appropriate little shrine or chapel for his congo idol. (Melville, Moby Dick:41) Die Sätze unter (13b) und ( 1 4 b ) enthalten jeweils Formen des historischen Präsens in präteritalem Kontext. Es gilt, daß die präsentischen Formen auf die Kodierungszeit und damit das gesetzte Orientierungszentrum der jeweiligen Figuren bezogen sind, während die präteritalen Formen Bezug nehmen auf das Orientierungszentrum des jeweiligen Erzählers bzw. der Erzählerin. Die gleiche Orientierung an einem gesetzten und von dem des Erzählers verschiedenen Orientierungszentrum gilt für die Verwendung von Tempora innerhalb des sogenannten 'inneren Monologes' und verschiedener Varianten davon: (15) a. On the doorstep he felt in his hip pocket for the latchkey. b. Not there. In the trousers I left off. Must get it. Potato I have. Creaky wardrobe. No use disturbing her. She turned over sleepily that time. c. He pulled the halldoor to after him very quietly [ . . . ] d. Looked shut. All right till I come back anyhow. (Joyce, Ulysses:59)

34

(16) a. I wish I could fight it again, b. he thought. c. Knowing what I know now and having what we have now. But they'd have it too and the essential problem is just the same, except who hold's the air. d. And all this time he had been watching the bow of the Ä . . . Ü boat. (Hemingway, Across the River and Into the Trees: 37f] (17) a. Yes, I feel now that I was right when I adhered to principle and law Ä . . . Ü . God directed me to the correct choice. I thank His providence for the guidance! b. Having brought my eventide musings to this point, I rose, went to my door, and looked at the sunset of the harvestday. (C. Bronte, Jane Eyre:360ff) Während die Präterita in ( 1 5 a ) , ( 1 5 b ) , (16b) und ( 1 7 b ) sowie das Plusquamperfekt in (16d) auf das Orientierungszentrum des jeweiligen Erzählers bzw. der Erzählerin bezogen sind, gilt dies nicht für die übrigen Sätze, die Formen des inneren Monologes repräsentieren. Die Tempora sind in diesen Fällen an den temporalen Orientierungspunkten der gesetzten Orientierungszentren der Figuren orientiert. Daß deiktische Ausdrücke in einem einfachen Satz auf verschiedene Orientierungszentren bezogen sein können, ist besonders a u f f ä l l i g im Falle des sogenannten 'epischen' Präteritum, dem man aufgrund seiner Kombinationen mit nicht-vergangenheitsbezogenen Adverbien die Funktion der Vergangen27 heitsaussage abgesprochen hat. Ein Konflikt zwischen Tempus und temporaldeiktischem Adverb wie in den folgenden Beispielen (18) I joined tomorrow. (Conrad, ' Y o u t h ' : 1 1 6 ) (19) There they were now, safe. (Buck, Madame Liang:8) wurde entsprechend so erklärt, daß das Tempus, das vor allem in Erzähltexten solche Kombinationen eingeht, als Erzähltempus neutral sei und daß

35

die Zeitbestimmung allein durch das temporale Adverb bestimmt werde. Passagen wie die folgende machen dagegen deutlich, daß sowohl das Tempus als auch das temporale Adverb in diesen Kombinationen ihre ihnen auch in anderen Kontexten eigene Bedeutung beibehalten, daß sie jedoch an unterschiedlichen Orientierungszentren orientiert sind: (20) a. Suddenly, as if the movement of his hand had released it, the load of her accumulated impressions of him tilted up, and down poured in a ponderous avalanche all she felt about him. [ . . . ] . She felt herself transfixed by the intensity of her perception; it was his severity; his goodness. b. I respect you c. (she addressed him silently in person) d. in every atom; you are not vain [ . . . ] e. But simultaneously, she remembered how he had brought a valet all the way up here [...] f. How then did it work out, all this? How did one judge people, [...] g. Standing now, apparently transfixed, by the pear tree, impressions poured in upon her of those two men, [ . . . ] . h. You have greatness, i. she continued, j . but Mr. Ramsey has none of it. [ . . . ] k. All of this danced up and down [ . . . ] in L i l y ' s m i n d , [ . . . ] . (Woolf, To the Lighthouse:39ff) In den Äußerungen unter (20a, c, i und k) sind alle deiktischen Ausdrücke auf das Orientierungszentrum des Erzählers bezogen, in (20b, d, h, und j ) auf das der Figur Lily. Die Äußerungen unter (20e, f und g) repräsentieren die Redeform der erlebten Rede. Der Kontext macht deutlich, daß hier die deiktischen Ausdrücke auf unterschiedliche Orientierungszentren bezogen sind, nämlich die Pronomina she und her sowie das Präteritum auf das Orientierungszentrum des Erzählers, die Pronomina he_ und one sowie die Adverbien here und now auf das der Figur. Der in (20g) auftretende Konflikt zwischen Präteritum und now ist damit auf deiktischer Grundlage als eine komplexe deiktische Struktur erklärt. Dies mag genügen, an ausgewählten Beispielen gezeigt zu haben, wie die

36

Beschreibung der temporalen Deixis und hier zunächst der Tempora sich in den Rahmen der Deixis allgemein einfügt. Die folgende Übersicht faßt die Beschreibung der deiktischen und semantischen Eigenschaften der Tempora im Englischen zusammen: 1.

Präsens (performative Verwendung): punkt] und [temporal]

2.

a. Perfekt: [in direkter Verbindung [temporal] und [vorher] b. going to: [in direkter Verbindung [temporal] und [nachher]

3.

Präsens (definitives): [temporal]

4.

Präsens (indefinites): [temporal]

[identisch mit dem Orientierungs-

[Im Bereich

zum Orientierungspunkt] und zum Orientierungspunkt] und (a+b) näher

[im Bereich (a+b) nicht

bestimmt]

und

näher bestimmt] und

5. u. 6. a. Präteritum: [im Bereich (c) näher bestimmt oder nicht näher bestimmt] und [temporal] und [vorher] b. Futur I : [im Bereich (c) näher bestimmt oder nicht näher bestimmt] und [temporal] und [nachher] Es steht schließlich noch die Beschreibung einiger weiterer temporaldeiktischer Ausdrücke aus, die deutlich macht, daß deren lexikalische Bedeutung oder Intension wie die der Tempora zum einen über die deiktische Determination und zum anderen über semantische Merkmale erfaßt wird. Es wird nicht der Anspruch erhoben, daß die folgenden Ausführungen alle temporaldeiktischen Ausdrücke des Englischen berücksichtigen, da die Betrachtung lediglich exemplarisch sein soll.

4.

Weitere temporaldeiktische Ausdrucke

Befassen wir uns zunächst mit dem Adverb now.

37

Die

Verwendung

von now in

folgendem Kontext (21) Pull the handle ... now!

28

zeigt, daß es als deiktische Kategorie durch das Merkmal [identisch mit dem Orientierungspunkt] zu beschreiben ist. Die Verwendung von now in den folgenden Sätzen, (22) (23) (24) (25)

We finished the book right now. Peter now writes that he will come in August. The train is going to start now. You now smoke too much.

in denen Bezug genommen wird auf vorzeitige ( ( 2 2 ) und ( 2 3 ) ) , nachzeitige (24) und gleichzeitige (25) Zeitverhältnisse (die jedoch nicht durch das Zeitadverb, sondern durch die Tempora zum Ausdruck gebracht werden!), macht deutlich, daß now außerdem die deiktische Kategorie repräsentiert, die durch das Merkmal [im Bereich (a+b) nicht näher bestimmt] charakterisiert ist. Diese Eigenschaft von now kann als Voraussetzung für die Bildung der Form nowadays betrachtet werden, die durch die gleiche deiktische Kategorie zu beschreiben ist. Obwohl presently in den Sätzen (22)-(24) nicht anstelle von now eingesetzt werden kann ( c f . dazu weiter unten), läßt sich für das Adjektiv present, wie z.B. in his present ideology, und das Nomen present, wie z.B. in ( 2 6 ) , (26) You should always concentrate on living in the present. feststellen, daß diese wie now das Merkmal [im Bereich (a+b) nicht näher bestimmt] aufweisen. Die Ausdrücke henceforth, from now on, since, still, ^o far und until now bezeichnen jeweils Zeiträume, die mit dem zeitlichen Orientierungspunkt in Verbindung stehen, wobei dieser im Falle von henceforth und still deiktischer Natur sein kann, aber nicht sein muß. Während henceforth und die entsprechende analytische Form from now on Nachzeitigkeit ausdrücken, kennzeichnen since, so _far, still und until now Vorzeitigkeit. Bei since handelt es sich darüber hinaus um eine transitive Präposition, die ein

38

Komplement verlangt, das den Zeitpunkt bezeichnet, von dem aus gesehen sich der durch since ausgedrückte Zeitraum bis zum temporalen deiktischen Orientierungspunkt erstreckt: (27)

Thenceforth ~ \L From

f now on J

they are going to attend courses regularly.

(28) John has not been to New York

T so far. < until now. > l^since last AugustJ

(29) The boys are still at school. Da henceforth, from now on, ^o far, until now, since und still Zeiträume bezeichnen, die jeweils bis an den temporalen Orientierungspunkt heranreichen, repräsentieren sie in dem Fall, da es sich hierbei um den zeitdeiktischen Orientierungspunkt handelt, die deiktische Kategorie [in direkter Verbindung zum Orientierungspunkt]. Als zusätzliche semantische Merkmale sind für henceforth und from now on [nachher] und für so far, until now, since und still [vorher] anzugeben. Die Ausdrücke recently, lately, soon und presently unterscheiden sich von Ausdrücken wie ago oder later (on) und in_ ja while durch einen geringeren Grad der zeiträumlichen Entfernung zum temporalen Orientierungspunkt. Durch die Verwendung von recently, lately, soon oder presently zeigt der Kodierer an, daß er die genannten Zeiträume als in den Zeitraum eingelagert betrachtet, der mit seiner Kodierungszeit in Verbindung steht, während ago, later (on) und in a while auf Zeiträume verweisen, die außerhalb desselben liegen. Entsprechend sind recently, lately, soon und presently als Repräsentanten der deiktischen Kategorie [im Bereich (a+b) näher bestimmt] zu betrachten, wohingegen ago, later (on) und in a while die deiktische Kategorie [im Bereich (c) näher bestimmt] zum Ausdruck bringen. Während recently, lately und ago neben ihrer deiktischen Determination das semantische Merkmal [vorher] aufweisen, 29 sind soon, presently, later (on) und in a while statt dessen durch [nachher] markiert. Für recently und lately, presently und soon sowie

39

für later (on) und in a while gilt, daß sie jeweils bedeutungsgleich und also in gegebenen Kontexten ohne Bedeutungsveränderung gegeneinander austauschbar sind: (30) Jim has only (recently! 1 lately J

begun to learn Spanish.

(31) The train is going to leave I presently. soon. (32) Mary w i l l help you J i n a while. l later (on). Das mit recently morphologisch verwandte Adjektiv recent, wie z.B. in her recent visit, ist deiktisch-semantisch wie recently zu beschreiben. Dies t r i f f t auf das Paar lately vs. late ( z . B . his late wife) nicht zu. Allerdings ist £f late wie lately zu beschreiben. Die folgenden temporaldeiktischen Ausdrücke zeichnen sich dadurch aus, daß zu ihrer Semantik das Merkmal [1 Tag] gehört: yesterday, today und tomorrow. Während yesterday und tomorrow Zeiträume bezeichnen, die nicht in Verbindung mit dem temporalen Orientierungspunkt stehen, wird dieser eingeschlossen von dem durch today ausgedrückten Zeitraum. Entsprechend werden yesterday und tomorrow durch das deiktische Merkmal [im Bereich (c) näher bestimmt] beschrieben und today durch [im Bereich (a+b) näher bestimmt]. Yesterday und tomorrow sind zusätzlich durch [vorher] bzw. [nachher] markiert. Andere temporaldeiktische Ausdrücke enthalten die Bezeichnung von Tageseinheiten als Teil ihrer Semantik, nämlich tonight, this morning und this afternoon. Wie today repräsentieren diese die deiktische Kategorie [im Bereich (a+b) näher bestimmt]. Als semantisches Merkmal kommt die Angabe der jeweiligen Tageszeit hinzu, etwa in folgender Form: [Tageszeit 1] für this morning, [Tageszeit 2] für this afternoon, und [Tageszeit 3] für tonight. Eine Markierung durch [vorher] oder [nachher] liegt nicht vor, da die Bezeichnung der Tageszeit unabhängig von der temporalen Orientierungszeit insofern ist, als alle drei Ausdrücke morgens, mittags oder abends in gleicher Weise verwendet werden können. Die Vorzeitigkeit

40

in (33) und die Nachzeitigkeit in (34) werden jeweils durch die nicht durch die adverbialen Bestimmungen zum Ausdruck gebracht: (33)

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(3

The relevant tools of analysis are represented under (35). (35) Tools of analysis

a a set of states of affairs { Ε , Ε ' , . , . Ε }; b a set of intervals of time T; c a set of relations: the relation of overlap, the relation of strict precedence (x strictly precedes y, represented as: xx); d a function mapping states of affairs onto an interval of time. In scheme (34) Ε represents a state of affairs Ε situated at an interval t of time t; t represents an interval of time overlapping with the origin i (cf. B hler 1934), especially the time of speech (cf. Kratzer 1978; Fabricius-Hansen 1986:41-46); t and t represent an interval strictly o before and strictly after the time of the origin respectively; χ is a variable over: o. An Ε-type event is expressed by the finite verb form, an Ε'-type is expressed by the first non-finite verb form: the past participle vertrokken ( 2 ) , ( 6 . a ) , ( 6 . b ) , the i n f i n i t i v e vertrekken ( 3 ) , ( 7 . a ) , the i n f i n i t i v e zijn ( 4 ) , ( 8 . a ) , and Ε ' ' - t y p e is expressed by the second non-finite verb form: the past participle η vertrokken ( 4 , 8 . a ) . In all the composite cases the time of Ε is n+1 referred to in assigning the time of Ε as anterior or posterior to that time. See section 4 . 1 . for an explanation of the gaps of 9 and 12. It must be emphasised that the characterisation of the respective verbal expressions should not be considered as specifying their temporal meaning. They display nothing but a possible referential temporal interpretation. This caveat concerns three distinct points. Firstly, the time of the origin is at issue. A present tense expression like vertrekt can be used not only as specified in scheme ( 3 4 ) , but also as a 'historical' present, in which case the origin is a past time in focus. Mutatis mutandis the same can be said as a matter of fact with regard to the expressions is vertrokken and zal vertrekken. They can be used as a ' h i s t o r i c a l ' anterior present (/perfect) and as a ' h i s t o r i c a l ' posterior present respectively, because in a narrative context the time of the event interpretively associated with the f i n i t e verbs is and zal

116

can be a time in the past, too (cf.: Janssen 1983:45-47). Nevertheless, although not totally surprisingly, the past time of the event denotatively assignable to the finite verbs vertrekt , is and zal cannot be specified even in this 'historical' usage by the free relative adverb toen , witness the following sentences. (36) ?Toen Piet vertrekt, besluit Marie te blijven. ( l i t . : At that time in the past at which Piet is leaving, Marie decides to stay) (37) ?Toen Jan vertrokken is, besluit Marie te blijven. ( l i t . : At that time in the past at which Jan has left, Marie decides to stay) (38) ?Toen Klaas zal vertrekken, besluit Marie te blijven. ( l i t . : At that time in the past at which Klaas w i l l leave, Marie decides to stay) Secondly, verbal expressions can often have both a habitual and an iterative usage. Such expressions, which are characteristic of verbs showing a certain bias to be applied terminatively, could be interpreted as denoting a, perhaps discontinuous, state; the time of the origin is related to the time of the conceived state. Since the habitual and the iterative usage are not reserved for the present only, but are applied in the past, the future and all the derived temporal compositions, these applications are rather an issue of 4fctionsart-interpretation than a matter of tense. In Dutch neither the habitual nor the iterative usage is grammatically coded as such in a strictly distinctive way. The third point regards the relation between the times of the finite and non-finite verbs within one verbal group. In each verbal group in scheme (34) the times of the participating verbs are specified as different: the time of the finite verb and the time of the non-finite verb are not the same and in the case of two non-finite verbs there are different times too. But in principle ( c f . : Janssen 1983:69, 1985, 1986) the times of each of these pairs of expressions could also be interpreted as (partly) the same, as overlapping. With respect to this point a verbal group with the auxiliary zullen will be treated in some detail in the

17

following section.

4.

The individual contribution of each verb

Two of the issues presented under (4) as major problems have been treated in the foregoing: ( 4 ) a , the question whether a one-to-one correspondence might be assumed between the verbs of a verbal group and R or E, and ( 4 ) b , the role of the specifying functions of adverbials relative to R and E. The two other issues, (4)c, the status of combinations with shall/will, and ( 4 ) d , threefold verbal groups like would have left, have been left undiscussed so far. To stress both the relevance of each verb and the interpretive character of my approach, I would like to treat in the following pages not only these points but also some verbal groups which can be conceived as compositions of simultaneous events. The three issues of this section are presented in (39). (39) a In scheme (34) the verbal group with the modal finite verb zal ( ' s h a l l / w i l l ' ) is systematically interpreted as a group with a posterior relation thus not as a group with a deictic future element in it. Cf. (4)c. b There is a natural place for the expression zou zijn vertrokken ('would have l e f t ' ) without any need for essentially additional tools of analysis. Cf. ( 4 ) d . c Verbal groups interpreted as anterior and posterior compositions of events can generally also be interpreted as compositions of simultaneous events. These themes w i l l be elaborated in the following subsections.

4.1. Zal

Reichenbach argued the double status of shall and will with the help of sentences (40) and ( 4 1 ) , taking the view that the adverbial specifies the time of reference.

118

(40) Now I shall go. ( 4 1 ) I shall go tomorrow.

NOU specifying R according to Reichenbach yields: R.S-E. Tomorrow specifying R according to Reichenbach yields: S-R,E.

On this view both που and tomorrow specify the time of R. Thus in the case of που R is considered to be simultaneous with S; in the case of tomorrow R is considered to be simultaneous with E. But as I have argued it is not necessary to assume a special relation between the temporal adverbial and the time of reference. Rather a relation has to be assumed between the adverbial and one of the verbs involved, be it the finite or the non-finite verb. So now can be considered as specifying the time of shall while tomorrow can be seen as specifying the time of go. In either of these sentences shall can be analysed as present and not only as a present tense form. Such being the case it can be explained why the a. sentences of (42) and (43) seem to be anomalous, as Reichenbach mentions. (42) a ? ( I shall take your b (I shall take your (43) a ?(We shall hear the b (We shall hear the

photograph) when you will come, photograph) when you come. record) when we shall have dined, record) when we have dined.

In (42) and (43) the free relative adverb when has to be interpreted as denoting a future time. Being a relative adverb it specifies nothing but the time of the finite verb, just as the corresponding free relative adverb does in Dutch. However the modality expressed by will and shall is rooted in the time of speech and not in any future time. If one can say that at some time in the future it will be plausible to hold that later on an event w i l l be the case, the plausibility is of course already given at the time of speaking. So for what reason could will or shall be applied other than as simultaneous with the time of speech, considering the maxim of quantity prescribing that one should make one's contribution as informative as is required? Thus the finite verbs shall and will, interpretable only as denoting a modal event at the present time (cf.: Vater 1975, with regard to the German modal auxiliary werden), and the free relative adverb when denoting a future interval of time are incompatible. However the finite verbs come and have in the b. sentences can

119

be interpreted as denoting a future event and can be combined as such with when in its future interpretation imposed by the main sentence. The following sentences show that the possibilities of the Dutch modal auxiliary zal in the constituent clause are highly comparable with the English verbs shall and will; the sentences ( 4 4 ) and (45) can have a habitual reading, but it is the possible future reading that is relevant here. (44)

Wanneer Piet vertrekt, (besluit Marie te b l i j v e n . ) 'When Piet leaves, Marie w i l l decide to stay.'

(45)

Wanneer Jan vertrokken is, (besluit Marie te b 1l i j v e n . ) 'When Jan has left, Marie w i l l decide to stay.

(46) a ?Wanneer Klaas zal vertrekken, (besluit Marie te b l i j v e n . ) b ?Wanneer Klaas zal vertrekken, (zal Marie besluiten te blijven.) 'When Klaas w i l l leave, Marie w i l l decide to stay.' (47) a ?Wanneer Wim zal z i j n vertrokken, (besluit Marie te b l i j v e n . ) b ?Wanneer Wim zal zijn vertrokken, (zal Marie besluiten te blijven.) 'When Wim w i l l have left, Marie w i l l decide to stay. 1 The counterparts of sentences (44) and (45) are the a. and b. sentences of (46) and (47) with the auxiliary zal in the constituent clause and also in the main clause respectively. But the ζαΐ-sentences are all flawed. This should explain why items 9. and 12. are not entered in scheme (34).

4.2.

Threefold verbal groups

In the case of the composite expressions zou zijn vertrokken/would have left and zal zijn vertrokken/will have left the close relationship between anaphora and deixis comes to light clearly. Firstly, the time of the non-finite verb zijn/have is in these expressions related anaphorically to the time of the finite verb; where a form of zijn/have

120

figures as a finite verb, for example in the case of sentence (43)b or ( 4 5 ) , the time of such a form is linked deictically to the time of the origin. Secondly, both in the anaphoric and in the deictic case, the time denotatively associated with zijn/have can be linked to the orientation time either as posterior to the orientation time or as overlapping with it. In sentence (43)b or (45) and in item ( 6 ) b of scheme (34) the time of the finite verb is/has is oriented to the time of the origin and is posterior to this time, whereas in sentence (28) and in item ( 6 ) a of scheme (34) the time of the finite verb is(/has) is certainly oriented to the time of the origin too, but overlaps with this time. With regard to the orientation time of the non-finite verb zijn/have compare the following sentences: both of them can have not only a posterior reading but also an other one in which the time of the finite verb zou and zal overlaps with the orientation time. (48)

Wim zou gistermorgen om acht uur vertrokken z i j n . a 'Wim was supposed to have left yesterday morning at eight.' b 'Wim was supposed yesterday morning at eight to have left.'

(49)

Wim zal vertrokken z i j n . a Wim zal morgenochtend om acht uur vertrokken zijn. 'Wim will have left tomorrow morning at eight.' b Wim zal gistermorgen om acht uur vertrokken z i j n . 'Wim w i l l have left yesterday morning at eight.'

The following diagrams illustrate in either case the two relevant readings: in the a. readings the time of zijn is posterior to the time of the finite verb zou/zal; in the b. readings the time of zijn overlaps, is simultaneous, with the time of the finite verb zou/zal ( c f . : Smith 1976:577, with regard to the English auxiliary will); in the latter reading of sentence (48) the adverbial gistermorgen om acht uur can specify either the time of vertrokken or both of zou and of zijn> only the first possibility being represented in the diagram.

121

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a:

THINK(x,ac l )

Due to restrictions of space, some details of (57) can only be briefly touched upon. Letters at the beginning of the alphabet are used to designate propositions. Letters at the end designate discourse addresses. An a is used to designate the first proposition entered in the highest domain. Following propositional increments in the highest domain would be b, c, d, etc.. The first proposition entered in an embedded domain created by a is aa. The second ab, etc. The representation of y and z in both domains brings out that y and z are items that do not only exist in the world of Pete's thoughts, but also in the primary domain, i.e. in the world of the speaker's thoughts. For further details concerning this last point, see Rigter 1986b and Seuren's 1985 discussion of 'prejection'.

2.4.

The chronology of bare tenses

Let us return to the phrasemarkers in (52) and (56). In the phrasemarker in (52), the IP head is a bare past tense, i.e. it is an item which is morphologically 0, which has a feature [+PAST], and a chronological specification [t c p > p ] , while it has absorbed the [P condition, and which removes >F from the chronological specification of the past-tense form in (93).

294

2.8.

Perfective IP heads

Perfective IP heads are the tensed forms of the auxiliary HAVE, listed in (94),(95). (94)

HAVE/HAS,

I : [— VP]

[+PART] [rep p c > t]

(95)

HAD,

I : [—VP]

[+PART] [t c p > F c > t]

Just as in the case of DO/DOES, the choice between HAVE/HAS is determined by internal person and number details of the AGR feature which is copied on to, or absorbed by, this IP head. The [+PART] feature is comparable to the [-PAST] and [+PAST] features on the bare tenses, in the sense that it plays a role in the selection of the morphology of the subcategorized VP head, in which it induces the participial form. The perfective IP heads in (94),(95) construct an F and a time interval t, which is partially contained in and partially precedes F. This is indicated by the symbol c >. Because the perfective IP heads in ( 9 4 ) , ( 9 5 ) subcategorize a VP head, which invariably has a [τ c τ] specification, they always construct a chronology in which the relation between F and T is as follows: ... f < = > t c τ. This leads to an ambiguous relation between F and T. One possibility is that T is coextensive with t. When this is the case, it entails that T is partially contained in and partially precedes F (i.e F o r ) . We find this in 1 instances of the 'continuative perfect , as in (96). A necessary condition for an interpretation of T as coextensive with t is the presence of an adverbial adjunct indicating duration. (96) I have worked here for three years (97) I have lost my pen Another possibility is that the T which is contained in t is not coextensive with t, as in the 'resultative perfect 1 in (97). In that case the T

295

is always interpreted as lying in the segment of t that lies in the past of F ( i . e F > T ) . The reason why in such cases the T cannot be interpreted as f u l l y contained in F would appear to be that such an interpretation would make the chronology ...Fo t must be regarded as a composite in which the element > is obligatory and the element c can be activated by addition of a duration adverbial. The domain-shift variant of the IP heads in (94),(95) can be derived by @-i @ application of the lexical rule which is triggered by the P >P condition, and which removes >F from the chronological specification of HAD in (95). The resulting domain-shift variant of HAD has the chronological specification [t c pc> t]. An example in which this domain-shift variant is used is provided in (98), which constructs the chronology in ( 9 9 ) , which, in the absence of a duration adverbial, entails the neo-Reichenbachian chronology in (100). (98)

I knew that Jessie had done it

(99)

t c p > F c T c p c >t cτ a a a aa aa

(100) t c p > F c j c p > τ a a a aa aa

2.9.

Non-finite perfective HAVE

The construction of a P and F is the prerogative of IP heads. Non-finite HAVE is a VP head, and thus does not construct a P or an F. Apart from a back-shifting effect on the T of the VP which it subcategorizes, non-finite perfective HAVE has no semantic content. The lexical specification of this HAVE is provided in (101). (101)

HAVE , [+PART]

V : [—VP]

[t c > t]

296

An example of the use of this HAVE is found in (102), the chronology in (103) (for specification of MAY, cf.

which constructs (84)).

(102) Jessie may have done it

(103) T C P

a

< t1 > t

cT

a

The deictic arrow in (103) anchors the present P of the discourse domain a m in the present of the model M into which m is embedded. The symbols t stand for 'a time interval 1 , but since t is not one of the variables defined in ( 4 0 ) , the t symbols must be removed from the formula before we arrive at the neo-Reichenbachian domain chronology constructed by (102). Since (103) contains two t symbols separated by c >, each of these t symbols stands for a different time interval. Presently, we shall see that there are two ways in which t' in (103) can be removed. In the absence of a duration adverbial, the symbol c > is to be read as >, since, as we saw in 2.8., the c in the composite symbol c > can only be activated by a duration adverbial (cf. Jessie may have done it for years). The symbol t C T

a

a

In words, (105) means that the P is deictically anchored in the present of the model M into which the discourse domain is mapped, and that P is a identical with a certain time interval t which is posterior to another time interval t which includes T . Thus (105) entails the Reichenbachian a chronology in (106).

(106) Tcp

a

> T

a

Now let us turn to (104). In (104) t' is at the turning-point of a 'reversing chronology'. It connects P and the time interval containing T in such a manner that, going from P to Τ , we first go forward in a a a

297

time, and then back again. A t which is the turning point of a reversing chronology is licensed when it can be identified with an inference-driven F, if such a focal episode can be anaphorically supplied, or if the sentence contains a time adverbial that refers to this turning point. Thus addition of by five o'clock to (102) can license the chronology in (104), which then yields the Reichenbachian chronology in (107). (107)

TCP < F > T a a a

The F in (107) is inference-driven. For an extensive discussion of synα tax-driven and inference-driven F construction, see Rigter 1986a. See also note 7.

2.10.

Forms of BE as IP heads and as VP heads

An interesting feature of the paradigm of BE is that its items, whether they be IP heads or VP heads, have a T in their chronological specification. This is why BE can link up with categories that lack a chronological specification, the result being that the subcategorized AP, NP or PP can be used as the predicate of a tensed clause. The items of the BE paradigm can also link up with progressive and passive VP heads. When this happens, the T of the progressive or passive VP head is included in the T of the BE item, due to application of the rule in (54). A generalization that covers all the subcategorized items in (108) is that none of them is open to (or, in the case of the subcategorized VPs, any longer open to) the induction of various types of verb morphology by c-commanding IP heads - e.g. tenses, modals, finite perfective HAVE - or by non-finite perfective HAVE. (108)

AM/ARE/IS , [T c p F c T]

I : [—AP/NP/PP/VP

Prog

/VP

Pass

]

The choice between AM/ARE/IS is determined by internal person and number details of the AGR feature which is copied on to, or absorbed by, this IP head. Apart from its chronological specification, a member of the BE paradigm is semantically empty.

298

(109)

AREN'T [t c p c p c T]

[1 sg: *] and serves as an overt IP head to carry n't, but in addition it creates the [... c T] which is necessary to construct the domain chronology which is required to assign a (negative) truth value to the tenseless proposition iLL(John) for a time interval T in the focal episode F which is located in the present P of the discourse domain. The fact that this single IP head is is available to perform all these modal functions bars the usage of dummy DO combined with infinitival BE, which would spread these functions over the IP head and the VP head. The ungrammatically of (115) is evidence of the fact that the dummy IP DO is only used in cases in which no other and more efficient 9 means are available to perform these functions.

300

(114) I s n ' t John ill? (115) 'Doesn't John be ill? Similarily, in (116) Aas overtly manifests [AGR—>] and serves as an IP head to carry n ' t , but in addition it places the T in the past of the F. The availability of the single IP head has to perform all these functions simultaneously makes it unnecessary to use dummy DO combined with infinitival HAVE, in which these functions would be divided over the IP head and the VP head. (116) Hasn't Jessie left? (117) *Doesn't Jessie have left?

2.12. Summary and conclusions In modern English, finite auxiliaries are IP heads, whereas non-finite auxiliaries and main verbs are VP heads. All main verbs have the same chronological specification, i.e. [t c τ]. There are two non-finite auxiliaries in modern English, viz. BE and HAVE. Non-finite forms of BE have the same chronological specification as main verbs. The only non-finite VP head with an exceptional chronological specification is perfective HAVE, which has [to t], and which is used solely for the construction of anteriority relations in domain chronologies. The category of IP heads in modern English consists of overt IP heads, viz. the finite auxiliaries, and of morphologically 0 IP heads, the bare tenses. Since the bare tenses are morphologically 0, they do not manifest themselves overtly under the IP. Their manifestation results from induction of present-tense or past-tense morphology on the subcategorized VP head. With only three exceptions, the induction of the present-tense morphology of all English VP heads is effected by the regular application of rules. The only exceptions are third-person-singular forms has, does and says. The irregularity of has and does as main verbs is due to their common origin with the corresponding IP head. Note also that there are uses of HAVE that waver between IP head status and VP head status (cf. Have you a daughter?/Do you have a daughter?). For the irregularity of I have no explanation. I have left the existence of irregular

301

past-tense forms and participles of a limited but fairly large number of main verbs undiscussed, assuming that it is irrelevant to the arguments in this article. This assumption is based on the observation that the division between irregular and regular main verbs is not isomorphic with a categorial distinction. The third-person-singular present form of all overt IP heads is irregular. The irregularity/regularity of the third-person-singular present form of IP heads and VP heads, respectively, is isomorphic with the syntactic distinction between these two sets. In the theory presented in this article, the morphological irregularity of overt IP heads is attributed to the fact that overt IP heads have an inherent tense specification, and are therefore not subject to the application of regular rules for the induction of tense morphology. The morphological, semantic and syntactic idiosyncrasies of IP heads can be squared with learnability criteria if it is assumed that the members of this very limited class of high-frequency items are entered in the lexicon in their surface-morphological form, and each have their own idiosyncratic chronological specification and their own compatibility restrictions (if any) on the results of [AGR] copying or absorption. By adopting and extending Weerman's 1986 proposal of [AGR] absorption, I have related subject-auxiliary inversion in English to V2 phenomena in languages such as Dutch, Frisian, German and Scandinavian. Weerman assumes that AGR is base-generated in the CP, that the highest CP determines the illocutionary status of the sentence, and that English, contrary to unambiguous V2 languages, allows absorption of [AGR] by the IP under certain conditions. My proposal is that interrogative illocutions are marked by an [AGR] feature that assigns Nominative Case to the right (i.e. by [ A G R — > ] ) , whereas declarative illocutions are associated with an unmarked [AGR] feature which assigns Nominative Case to the left (i.e. [F from the chronological specification of the [+PAST] domain tense. This three-tense approach accounts for even the most complicated cases of the sequence-of-tenses phenomenon. The grammar of overt IP heads yields further evidence for the three-tenses approach: present-tense modals can be used in clauses where a [-PAST] domain tense can also be used. Epistemic/deontic past-tense modals cannot be used where we would use a [+PAST] domain tense, but they are used precisely in those positions where we can also use a domain-shift tense. As regards the expression of futurity in English, I have argued, as I did in earlier work, that WILL is not a futurity indicator, but an epistemic modal expressing strong likelihood of the truth of the proposition constructed by the subcategorized VP, no matter whether the time T for which the truth of this proposition is evaluated is located in the past, the present, or the future. The grammar of supportive DO is an idiosyncratic feature of the grammar of modern English. I have demonstrated that one of the principles determining the use or non-use of supportive DO/DOES/DID as an IP head is that in modern English clauses with an interrogative illocution and with an overt NP in the position that receives Nominative Case, the marked direction of Nominative Case assignment must be overtly indicated. For further discussion see Rigter 1987. I have supplied a representative sample of the chronological specifications of overt IP heads, and of the idiosyncratic restrictions that some of these items show as regards compatibility with [] features. Finally, I have provided the chronological specifications of the non-finite forms of the auxiliaries HAVE and BE, and I have shown why these auxiliaries do not co-occur with supportive DO.

304

Notes * The research on which this article is based was part of the Leiden University research project 'Wordorder and Syntagmatic and Paradigmatic Structure', financed by the Dutch Ministry of Education. Thanks are due to Frits Beukema and Martina Noteboom, to the editors and to an anonymous reviewer for their comments on an earlier version. The responsibility for this version is entirely mine. 1.

Sentences such as You have a son have two interrogative variants: a. Have you a son? and b. Do you have a son? Speakers who use a. classify the finite have as an IP head. Those who use b. classify this have as a main verb. I have not included phrasal expressions such as had better, had rather, had sooner, would rather, on the provisional assumption that only the first part of these phrases is an IP head.

2.

There are three exceptions, says, does and Aas. The irregularity of has and does as main verbs is due to their corresponding IP heads. I have no explanation for says.

3.

The direction of Case assignment in Ä T ). In this example we go from P to a future time t, and from there we go back to the time T of the departure. The adverbial tomorrow gives rise to an inference-driven F at the time t. If, for lack of an adverbial, anaphoric or other contextual information, no inference-driven F is constructed, we cannot get a reversing-chronology reading of The child will have left, and the only chronology that can then be constructed is P a > T _ . 8. It may seem as if examples such as Ronald expected that Jessie will read this, in which we do not find sequence of tenses, are counterexamples to the domain-shift theory presented here. This is not the case, however. The prepositional content of the subclause in such examples is 'prejected 1 into the primary domain (cf. Seuren 1985). This means that both the proposition of the headclause and the proposition of the subclause are truth-conditionally evaluated in the primary domain. Hence there is no domain shift, and therefore there is no domain-shift tense either. For extensive discussion see Rigter 1982,1986a. 9. 10.

I leave modalized imperatives of the type Do be silent In such constructions, DO is a Ä-tenseÜ IP head.

undiscussed.

The deadline on the production of this volume precluded revision of the syntax presented in this article so as to acccommodate inversion in headclauses that show negative topicalization. See Rigter 1987

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307

In:

Heny,

auxiliaries and

University of University of

Temporale Ausdrucksmittel in der Zweitsprache Deutsch Ein Vergleich der Lernervarietäten zweier elfjähriger Kinder mit den Ausgangssprachen Polnisch und Türkisch anhand von Longitudinaldaten

Norbert Dittmar/Heinz Kuhberg

1.

Einleitung

Im folgenden soll über die Ergebnisse longitudinaler Beobachtungen zum Erwerb temporaler Ausdrucksmittel im Deutschen als Zweitsprache durch ein elfjähriges polnisches Mädchen und einen elfjährigen türkischen Jungen berichtet werden (vgl. Kuhberg 1986). Kinder erwerben nach Clark & Clark 1977:506 zeitliche Verhältnisse relativ zu dem "hie et nunc": " . . . T h e y stick very closely to their actual order of o c c u r r e n c e . - They describe the f i r s t event f i r s t , t h e second event second, a n d s o o n " (1977:506).

Für Kinder gilt das Prinzip der 'natürlichen Reihenfolge': Unter normalen Umständen kommt Ereignis A vor Ereignis B. Zum Erwerb ergibt sich folgende Sequenz: The boy jumped. The dog barked. (two sentences) The boy jumped and the dog barked. (coordination) The boy jumped before the dog barked, (subordination with before) The dog barked after the boy jumped, (subordination with a f t e r ) (Clark & Clark 1977:240). Dreijährige Kinder brachten zwei Ereignisse A und B zu mehr als B0% in die richtige zeitliche Reihenfolge unter Beachtung des Prinzips der 'natürlichen Reihenfolge 1 und seiner entsprechenden verbalen Kodierung. Andererseits werden Sätze wie die folgenden: (a) "The boy jumped the fence before he patted the dog." "After the boy jumped the fence, he patted the dog." (507)

308

von Kindern des gleichen Alters nur in einem relativ geringen Prozentsatz von Fällen zeitlich korrekt eingeordnet. Die These von der 'natürlichen Reihenfolge' der Abbildung von Ereignissen in Erzählungen gilt nach von Stutterheim 1986 auch für den Zweitspracherwerb von Erwachsenen, der am Beispiel von Erzählungen türkischer Gastarbeiter in Berlin untersucht wurde (vgl. auch den Beitrag in diesem Band). Von Stutterheim unterstreicht die Tatsache, daß Erwachsene über voll ausgebildete temporale Konzepte verfügen, und, anders als Kinder, Kontext- und Diskursbeschreibungen als Ausgleich für fehlende sprachliche Mittel in der Zweitsprache nutzen. Pragmatische Faktoren wie Rahmensetzungen, Markierungen von Rahmenwechseln, Markierungen zeitlicher Verhältnisse bei temporaler Ambiguität, Bevorzugung lexikalischer Mittel vor morphologischen Markierungen etc. belegen, daß erwachsene Zweitsprachlerner die voll erworbenen und zur Verfügung stehenden kognitiven Prinzipien, verbunden mit entsprechendem Weltwissen, anders nutzen als zeitliche Verhältnisse erwerbende Kinder, die mit den sprachlichen Mitteln auch die kognitiven Dimensionen zeitlicher Relationen erwerben. Mit Recht hat Bamberg 1986 darauf hingewiesen, daß Kinder zunächst einmal morphologische und rudimentäre syntaktische Markierungen zeitlicher Verschiebung erwerben, bevor sie die komplexeren Verhältnisse der Einbettung der zeitlichen Vor- und Nachordnung von Ereignissen und des Ausdrucks der Gleichzeitigkeit erlernen. In diesem Sinne stellt sich die Markierung temporaler Verhältnisse bei Kindern vor allem als ein Problem der Morphologie und der Syntax des Verbs dar. Der Erwerb temporaler Ausdrucksmittel des Deutschen als Zweitsprache durch Kinder wurde bisher nicht untersucht. Der Ausbau des temporalen Ausdrucksystems eines elfjährigen polnischen Mädchens und eines elfjährigen türkischen Jungen über einen Zeitraum von ca. 1 1/2 Jahren (beginnend mit dem Zeitpunkt der ersten Kontakte dieser Kinder mit dem Deutschen) wurde untersucht, um zwei aus der bisherigen Forschung isolierbaren Hypothesen anhand von Longitudinaldaten nachzugehen: 1.

Der Erwerb temporaler Ausdrucksmittel im Deutschen als Zweitsprache orientiert sich vorherrschend an den temporalen Sequenzen, in denen Kinder zeitliche Relationen in der Erstsprache erwerben.

309

2.

Der Erwerb zeitlicher Verhältnisse von elfjährigen Kindern in der Zweitsprache Deutsch gleicht eher den Prinzipien und Strategien der Erlernung von Temporalität in der Zweitsprache durch Erwachsene.

Wie im folgenden ausführlich dargestellt werden soll, erweist sich weder die eine noch die andere Hypothese als zutreffend. Die folgenden Beobachtungen sollen klären, in welchem Verhältnis morphologischer Ausbau und Rückgriff auf semantische und pragmatische Prinzipien bei der Erlernung temporaler Verhältnisse des Deutschen als Zweitsprache durch zwei elfjährige Kinder zueinander stehen.

Oaten Tabelle 1 gibt eine Übersicht über die Anlage unserer Untersuchung* und die sozialen und sprachlichen Daten, die ihr zugrundeliegen. T a b e l l e 1 Hintergrundinformation

Informanten

Art der Daten

Nadir

Barbara

Herkunft Einreise nach Berlin Wohnsitz Erstsprache Alter bei Beginn der Aufnahme

Malatya (Osttürkei) Januar 1982 Neuköln (Berlin) Türkisch 11

Slupsk (Nordpolen) Juni 1982 Neuköln (Berlin) Polnisch 11

18 Monate 1.3.82 31.12.82: monatlich 1.1.83 - 31.10.83: zweiwöchentlich Ausländerklasse

12 Monate

BeobachtungsIntervalle

Einstufung in der deutschen Schule

* Grundlage dieses Aufsatzes ist (vgl. Kuhberg 1986).

die

310

1.9.82 - 31.12.82:

wöchentlich 1.1.83. - 31.9.83: zweiwöchentlich deutsche Regelklasse

Dissertation von Heinz Kuhberg,

Infor -manten

Hintergrund information Art der Daten

Nadir

Elizitierte Diskurstypen

freie Konversation, Bildergeschichten (Leporellos Spiele) ("Memory", "Mensch ärgere dich nicht", "Monopoly" u . a . ) 40-50 Minuten

durchschnittliche Dauer

Barbara

Familiensituation

Vater "Gastarbeiter" Eltern arbeiten beide Mutter Hausfrau drei Brüder ältere Geschwister

Kontakt

nur in der Schule

Freunde in der Nachbarschaft

Die Aufnahmen wurden vollständig transkribiert. Dabei wurde ein orthographisches System verwendet, daß die Äußerungen zielsprachenorientiert wiedergibt und nur besondere Merkmale zur Intonation, Aussprache, Situation, Abbruch der Kommunikation, Unterbrechung und Selbstkorrekturen markiert.

3. Methodischer Ansatz Unser Ansatz zur Beschreibung der Daten kann im Sinne von Seils 1985:135ff. als lexikalisch-funktional gelten. Die Syntax von Äußerungen wird einerseits als durch die lexikalischen Bedeutungen stark determiniert betrachtet, andererseits wird sie durch die funktionale semantische und pragmatische Rolle der Wörter in Äußerungen reflektiert (van Oosten 1985). Grundlegend für den lexikalisch-funktionalen Ansatz ist das folgende Charakteristikum: " W h i l e t h e l e x i c o n and C - s t r u c t u r e ( c o n s t i t u e n t - s t r u c t u r e ) a r e t h e loci of crosslinguistic variation, the level of F - s t r u c t u r e (funct i o n - s t r u c t u r e ) is i n t e n d e d t o b e f a i r l y stable, i n t h e sense t h a t s y n o n y m o u s c o n s t r u c t i o n s in d i f f e r e n t languages might have radically d i f f e r e n t C-structure representations though very similar F-structures; in g e n e r a l t h e r e is no o n e - t o - o n e c o r r e s p o n d e n c e between c o n s t i t u e n t s of a C - s t r u c t u r e and c o n s t i t u e n t s of the c o r r e s p o n d i n g F - s t r u c t u r e " . (Sells 1985:137).

311

In diesem Punkte besteht eine gute Entsprechung zu dem psycholinguistisch relevanten konzeptorientierten Ansatz (Cromer 1968, Slobin 1973, Miller & Johnson-Laird 1976 und E. Clark 1983), der von der Annahme ausgeht, daß kognitive Wahrnehmungsmuster die linguistische Bindung sprachlicher Mittel im Prozeß des Spracherwerbs steuern. Während sich der lexikalisch-funktionale Ansatz an einer syntaktisch fundierten Beschreibung in enger Verbindung zu Semantik und Pragmatik orientiert, werden im konzeptorientierten Paradigma sprachliche Formen als Ausdruckssysteme bestimmter Inhalte verstanden und anhand konzeptueller Kategorien systematisiert; eine linguistische Hierarchie der sprachlichen Ausdrucksmittel nach z.B. syntaktischen oder anderen Kriterien der Komplexität wird nicht vorgenommen. Beide Ansätze ergänzen sich: Der lexikalisch-funktionale Ansatz verlangt eine nähere syntaktische Beschreibung von Lerneräußerungen. Der konzeptorientierte Ansatz besitzt ein gutes Erklärungspotential: Die Erwerbsfolgen sprachlicher Mittel können in Abhängigkeit von bestimmten Konzepten spezifiziert werden. Es bleibt dahingestellt, in welchem Maße der im Bereich der Erstspracherwerbsforschung entwickelte konzeptorientierte Ansatz problemlos auf den Zweitspracherwerb übertragen werden kann (vgl. von Stutterheim 1986). Sicher ist der Zweitspracherwerb in erheblichem Maße kognitiv geprägt, andererseits dürften formale Strukturen der Ausgangs- und Zielsprache, wie sie sich in der Organisation des Lexikons, der Syntax und der Diskurs organisierenden Mittel niederschlagen, einen erheblichen E i n f l u ß auf die Reihenfolgen im Erwerb zweiter Sprachen haben. Welcher Stellenwert formalen, funktionalen und kognitiven Strukturen im Zweitspracherwerb zukommt, läßt sich sinnvoll durch Untersuchungen herausfinden, die sprachvergleichend vorgehen. In diesem Sinne soll im folgenden der Erwerb des Deutschen durch zwei Kinder beschrieben werden, die das Deutsche auf der Basis von zwei verschiedenen Ausgangssprachen, dem Türkischen und dem Polnischen, erwerben. Sprachvergleichende Studien dieser Art eröffnen die Möglichkeit, universelle und ausgangssprachenspezifische Beschränkungen im Lernprozeß zu isolieren. Einer der Gründe, Türkisch und Polnisch als Ausgangssprachen zu wählen, ist die Tatsache, daß das Türkische und das Polnische über die Kategorie des Aspekts im Temporalitätssystem verfügen, die allerdings sehr verschieden kodiert ist. Das Deutsche dagegen verfügt nicht Über eine systematisch kodierte

312

Kategorie "Aspekt". (Hierüber besteht jedoch keine Einigkeit unter Linguisten, die sich mit dem Deutschen befassen). Im übrigen stehen unsere Beschreibungen in der Tradition der Theorie der Lernervarietäten ("interlanguage approach"), die mit einer integrativen Beschreibung verschiedener lexikalischer, grammatischer und pragmatischer Ausdruckssysteme und ihrer funktionalen Verteilung in einem System einer Lernervarietät zum Zeitpunkt t. kompatibel ist und die Dynamik der Formund Funktionsverschiebung im Erwerbsprozeß angemessen erfassen läßt.

4. Temporalität im Deutschen - Grundlagen fUr die empirische Auswertung Das Deutsche hat lexikalische und tempusgrammatische Ausdrucksmittel für Temporalität. Diese müssen an Diskurstypen und die konzeptspezifischen Rahmen, die sie pragmatisch setzen, angepaßt werden. Die neuere Forschung zur Zeitstruktur von Erzählungen weist nach, daß explizite Rahmensetzungen von grammatischen und lexikalischen Realisierungen in der Zweitsprache entlasten, da die zeitliche Folie so eindeutig kognitiv 'gesetzt' ist, daß Vagheit und Mehrdeutigkeit durch kontextspezifisches Hintergrundwissen aufgelöst werden (Hopper 1979, von Stutterheim 1986, Johnstone 1987 und Wald 1987). Es ist offenbar nicht z u f ä l l i g , daß die diskurspragmatischen Aspekte der Temporalität in erster Linie am Beispiel von Erzählungen von Erwachsenen thematisiert wurden. Rahmensetzungen und ihr Wechselspiel mit Rahmenbrüchen ist bei Erwachsenen offenbar wesentlich ausgeprägter organisiert als bei Kindern. Unser Datenmaterial gibt wenig zu Rahmensetzungen, Rahmenbrüchen und diskurspragmatischen Besonderheiten von Erzählungen her. Dies mag an der Elizitierung von Geschichten anhand von Bildmaterial liegen, aber auch bei 'freien' Erzählungen, die wir elizitieren konnten, stellten sich keine besonderen pragmatischen Organisationsformen heraus. Was Rahmensetzungen, Rahmenbrüche und diskurspragmatische Ordnungsstrukturen angeht, so gibt unser Datenmaterial keine auffälligen Besonderheiten her. Vieles spricht dafür, daß Erzählungen von Kindern und Erwachsenen ziemlich verschieden sind. Unser longitudinales Datenmaterial gibt besonders gute Einsichten in die Entwicklung temporaler Ausdrucksmittel in den Bereichen Lexikon und Grammatik. Diesen gilt daher im folgenden unser vorrangiges Interesse. Für die Analyse der Daten unterscheiden wir drei Arten von Ausdrucks-

313

mitteln: 1. lexikalische, 2. grammatische und 3. diskurspragmatische. Im folgenden werden die Kategorien unserer Auswertung zusammengefaßt: T a b e l l e 2 I . LEXIKALISCHE MITTEL

1. Mittel der Verankerung - relativ (deiktisch) (gestern, letzten Sonntag) - absolut (kalendarisch) (Montag, Mai, Neujahr, Ostern, um 2 Uhr) 2. Mittel für Durativität (zehn Tage, für 2 Wochen, lange, seit, bis) 3. Mittel für Iterativität

(fünfmal)

4. Mittel der temporalen Relationierung - Vorzeitigkeit (nachdem, vorher) - Gleichzeitigkeit (während) - Nachzeitigkeit (dann, nach, 2 Tage später) 5. Mittel für Aktionalität (Aktionsarten) -

inchoativ (aufbrechen, losrennen, anfahren, erröten, erblühen) kontinuativ (weiter + V, noch, fortgehen) resultativ (abschließen, verglühen, ankommen, erledigen) mutativ (werden, schwachuerden, immer kleiner etc. )

6. Perfektive Ausdrücke (schon, aus, fertig, Ende, vorbei, vorüber) I I . GRAMMATISCHE MITTEL

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. III.

Partizip II Auxiliar + Partizip II (Perfekt) Unmarkierte Formen markierte Formen, deren Funktion im Lernersystem kontextspezifisch zu bestimmen ist Präteritum Futur Plusquamperfekt Passivformen (Vorgangs-, Zustands- und Rezipientenpassiv)

DISKURSPRAGMATISCHE MITTEL Da diese Mittel sehr verschiedene Formen und Funktionen umfassen können (vgl. von Stutterheim 1986), sollen hier nur einige Prinzipien genannt werden, deren Anwendung in Kuhberg 1986 ausführlicher kommentiert wird. Relevant sind u . a . (a) das Prinzip der Linearität (Verknüpfung der Ereignisse durch und dann), (b) das Prinzip der natürlichen Abfolge (Peter geht ins Bett und schläft ein - Umkehrung nicht möglich), (c) pragmatisch bedingte Tempuswahl, die mit foregrounding und backgrounding und Kommunikationsverben ( z . B . sagen) zusammenhängen. (Beispiele für (c)):

314

"Wenn ich hier war, dann hat meine Mutter gesagt: ich Schiff fahren", und dann ich hab gesagt "nein" (lacht); ich hab gesagt "ich möchte nicht"; meine Mutter sagt "ich w i l l " , aber meine Onkel und und ich habe gesagt "Aber ich will nicht" (lacht) (d) implizite Markierungen von zeitlichen Verschiebungen durch lokale Angaben (meine Dorf Malatya gehen, Malatya Zug nehmen und ueg, Berlin kommen und hier wohnen). Mit Hilfe dieses Kategorienschemas sollen im folgenden die Stadien erfaßt werden, die das elementare und das ausgebaute Register von Ausdrucksmitteln der Temporalität in den Lernervarietäten von Nadir und Barbara kennzeichnen. Auf die sprachlichen Ausprägungen von Temporalität im Polnischen und Türkischen im Kontrast zum Deutschen kann im Rahmen dieses Aufsatzes nicht weiter eingegangen werden (siehe hierzu Kuhberg 1986:58-84).

5.

Sequenzen im Erwerb der Temporalität durch Nadir und Barbara

Im folgenden fassen wir die Stadien der Erlernung temporaler Ausdrucksmittel im Deutschen durch Nadir und Barbara zusammen. Idealtypisch verläuft der Erwerbsprozeß in vier Phasen, deren Merkmale für jeden Lerner gesondert aufgeführt und durch Belege illustriert werden sollen.

5.1 Nadir. 5.1.1

Phase I ( A 1 - 5 ) L e x i k a l i s c h u n d i m p l i z i t

grammatisch

Folgende Merkmale charakterisieren diese Phase: 1.

Lexikalische Mittel und implizite Informationen stellen den Zeitbezug her (pragmatische Mittel für d e i k t i s c h e Verankerung: gleich, klein, groß, noch nicht; absolute Verankerung: fünf Uhr, sechs Jahre, Mittwoch, August; Iterativität: viel, immer, manchmal, wieder; P e r f e k t i v i t ä t : in der vierten Aufnahme kommen vor: schon, aus, Ende; z e i t l i c h e R e l o t i o n i e r u n g : ab Aufnahme eins: dann und und dann). Tempusgrammatische Markierungen fehlen vollständig.

2.

Verben werden invariant nur in einer Form benutzt (diese Form kann, muß aber nicht dem Infinitiv deutscher Verben entsprechen: ist nur eine einzige Form im Korpus belegt, wird davon ausgegangen, daß diese im Lernersystem "invariant" benutzt wird).

315

Zeitreferenzen werden meistens in Form von Temporaladverbien durch den Interviewer vorgegeben und von Nadir dann lediglich übernommen; einfache Formen der deiktischen und absoluten Verankerung von Ereignissen kommen vor (siehe oben unter 1). Die Aspektmarkierung ist der Tempusmarkierung vorgeschaltet ausdrücke: schon, aus, Ende).

(Aspekt-

Die zeitliche Relation zweier Ereignisse wird durch Intonation markiert: Heben der Stimme am Ende der ersten Äußerung und im Anschluß der zweiten Äußerung. Die Relation V o r z e i t i g k e i t - N a c h zeitigkeit drückt Nadir durch Intonation im Zusammenhang mit der natürlichen Reihenfolge aus. ich klein t ich Fußball spielen, ich groß t ich Ball so machen (imitiert werfen) ich sechs Jahre t machen erst. In den ersten Aufnahmen kann Nachzeitigkeit nur durch dann und Perfektivität nur durch fertig, Ende, aus markiert werden. Im übrigen gilt das Prinzip der natürlichen Reihenfolge. Die Verbform kaputtgemacht wird wiederholt angewandt; sie markiert einen resultativen Zustand und scheint als lexikalischer Ausdruck holistisch erlernt zu sein.

5.1.2

Phase II (A 6-10):

Grammatikalisierend

Es tauchen eine Reihe von Verben mit der Endung "-t" a u f , in kommt, fliegt, spielt, kauft, macht. Diese Formen werden für unterschiedliche Formen und Numeri benutzt. Obwohl diese Verben häufig vorkommen, ist alternierend zu der Form mit terminalem -t nur kaufte belegt. Hier deutet sich zumindest eine Unterscheidung an. In Aufnahme 9 erscheint erstmalig die Vergangenheitsform der Kopula war (3x). Ab Aufnahme 8 tauchen Partizip II des Verbs und Auxiliar (gebildet mit haben oder sein) auf (habe gesagt, gesehen, gewonnen, gefunden). Parallel zu diesen ersten Perfektbildungen gibt es Konstruktionen mit der Kopula sein, die sehr abweichend gebildet sind und die im Unterschied zu

316

den Formen Aux. + Partizip II den imperfektiven Aspekt markieren (ist kommen, bin hier gehen, bin so schwimmen gehen, bist lernen, ich war telefoniert, er war trinken). Von Stutterheim 1986 führt diese Bildungen auf Interferenzen zur türkischen Aspektmarkierung zurück. Die angeführten Beispiele scheinen diese Erklärung zu belegen. Neben diesen grammatischen Veränderungen zeigen sich lexikalische Fortschritte. Mit Aufnahme 6 werden zum ersten Mal durative Ausdrücke (ganze Nacht, sechs Wochen, zwei Jahre] verwendet, der Bestand an Mitteln für Iterativität wird ausgebaut (jeden Tag}. Die Möglichkeiten der zeitlichen Sequenzierung von Ereignissen wird durch den korrelativen Ausdruck erst... und dann erweitert. Ab Aufnahme 6 tritt erstmalig inchoative Aktionalität auf (Kombinationen mit los, z.B. Auto los (= Auto fährt los). 5.1.3

Phase I I I

( A 11-15):

Lexikalisch und grammatisch erweiternd

Lexikalisch-grammatische Erweiterungen vollziehen sich vor allem in den Bereichen der Vor-, Gleich- und Nachzeitigkeit sowie im Rahmen der Aktionalität (mutative Bedeutung). Die Äußerungen Nadirs werden komplexer; diesem Prozeß entspricht auch eine lexikalische Diversifikation. Resultative Aktionalität tritt in Aufnahme 12 zum ersten Male auf (aufhören, abgetrocknet). Vorzeitigkeit (vor + NP, wenn) und Gleichzeitigkeit ( a l s ) treten in Aufnahme 14 und 15 erstmalig in Erscheinung. Bei wenn und als liegt oft eine Übergeneralisierung vor. Als Mittel für den Ausdruck von Nachzeitigkeit wird erstmalig auch nach + NP angewandt. Die Markierung zeitlicher Folgebeziehungen durch Intonation ist in dieser Phase verschwunden. Die Funktionen, die vorher zum Ausgleich durch Intonation markiert wurden, können offenbar jetzt tempusgrammatisch markiert werden (z.B. in A 15: Venn man alles gemacht hat, dann gibt Lehrer seine Fahrzeugnis). In Aufnahme 15 taucht zum ersten Mal die Aktionsart M u t a t i v i t ä t auf (wird schmutzig, es geht immer langsamer, Hut wird kaputt). Die Perfektbildungen werden offenbar je nach Verbtyp verschieden beherrscht, sagen und sehen werden im Perfekt korrekt gebildet. Für kommen, gehen und fahren finden sich Formen wie Z.B. ich hab gekommt neben gekommen bist. In dieser Phase kann auch der Tempuswechsel bereits markiert werden: Venn man Führerschein gemacht hat, er kauft Auto.

317

5.1.4 Phase IV (A 16-22): Z i e l s p r a c h n a h

In dieser Schlußphase des Erwerbsprozesses werden die lexikalisch-grammatischen Konzepte und die sprachlichen Mittel für Bedeutungsnuancierungen verstärkt ausgebaut. Die Ausdrucksmittel für die Aktionsarten können nun differenziert genutzt werden. Mutative Konstruktionen wie z.B. wird traurig, uird kaputt etc. und inchoative Verben wie losfahren, ertrinken sind typisch für diese Phase. Zeitangaben werden auch lexikalisch differenziert (ganz früh, immer noch, nie in meinem Leben). Die aktionalen Präfixverben werden differenziert angewandt (abtrocknen, einschlafen etc.). Modalverben und verba dicendi werden nun im Präteritum benutzt; damit werden offenbar Formen übernommen, die auch in der Zielsprache meistens im Präteritum gebraucht werden. Die Übergeneralisierungen des Auxiliars haben gehen zurück, wobei der aspektuelle Gebrauch der Kopula in Verbindung mit Verben allerdings nicht vollständig verschwindet; aspektfunktionale Konstruktionen wie ist er steht sind eher Ausnahmen. Auch die Verknüpfung von Ereignissen nimmt komplexere Gestalt an: Geschehnisse werden durch aber, deswegen, und weil ( u . a . ) neben- und untergeordnet. In dieser letzten Phase wird auch das stilistische Mittel der zeitlichen Reliefgebung mit Hilfe von verba dicendi angewandt. So kann das stilistische Register der Vordergrund- und Hintergrundperspektive in Erzählungen genutzt werden. Nadirs temporales Repertoire hat sich damit der Zielsprache in wesentlichen Punkten stark angenähert.

5.2 Barbara Parallel zu Nadir soll im folgenden die Erlernung temporaler Ausdrucksmittel durch Barbara (Ausgangssprache Polnisch) dargestellt werden. 5.2.1

Phase I ( A 1-5):

L e x i k a l i s c h und i m p l i z i t p r a g m a t i s c h

Die erste Phase der Entwicklung ist durch lexikalische Mittel und pragmatische Implikationen (Weltwissen, Kontextwissen) gekennzeichnet. Tempusgrammatische Formen stehen noch nicht zur Verfügung. Das einzige Vorkommen gesehen ist eines der grammatischen Formmuster, die ohne Para-

318

digmenbildung und Dekompositionswissen erlernt wurden. Die Phase ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet: 1. Ausdrucksmittel der Verankerung. Eine r e l a t i v e (deiktische) Verankerung finden wir bei den Ausdrücken gleich, heute, zwei Woche (= vor zwei Wochen), klein und noch nicht, während die absolute Verankerung wie bei Nadir durch Zeit-, Tages- und Monatsangaben realisiert wird. Bereits hier ist auffällig, daß Zeitangaben grundsätzlich von B. durch um + Numeral + N realisiert werden (z.B. um fünf Uhr in Aufnahme A5). 2.

Während D u r a t i v i t ä t gar nicht vertreten ist, spielen i t e r a t i v i t ä t und P e r f e k t ivität eine große Rolle. Für Iterativität stehen wieder, nochmal und immer zur Verfügung. Perfektivität ist belegt durch Ausdrücke wie z.B. fertig und Ende. Interessant ist in diesem Stadium auch der Versuch, mutative Bedeutung auszudrücken. Mit dem Satz und dann der Schneeball muß großes will Barbara ausdrücken "Der Schneeball wird groß". In anderem Zusammenhang benutzt sie für Mutativität kommt gleich zwölf Jahre im Sinne von "wird zwölf Jahre". Die Mittel der Nachzeitigkeit (Vorzeitigkeit und Nachzeitigkeit können in diesem Stadium noch nicht ausgedrückt werden) bestehen im wesentlichen aus dann, und dann, und erst ... dann. Im Unterschied zu Nadir tauchen jedoch schon in dieser Phase die Präposition nach (nach Oktober, nach Schule] und das anaphorische danach auf.

3.

Tempusgrammatische E n t w i c k l u n g : Die Form gesehen wird fünfmal vergangenheitsreferentiell eingesetzt und scheint in der Entwicklung eine "Vorreiterrolle" zu übernehmen ('listenartiges Erlernen 1 von Verbformen). Am Anfang tauchen auch Verben wie gemacht, runtermachen, zugemacht und kaputtgemacht auf. Es handelt sich hier wohl wieder um stereotyp erlernte grammatische Formmuster. Diese dominieren bis einschließlich A 5, werden dann jedoch sukzessiv in das grammatische Paradigma integriert. Die Tempusmarkierung der zunächst invarianten Formen erfolgt einzelverbspezifisch unterschiedlich: Die Verben sagen, kommen und machen werden im Gegensatz zu den restlichen Verben personenmarkiert. Im Falle der Markierungen in was kostet das? und setz dich handelt es sich wieder um prag-

319

matisch relevante, holistisch erlernte Muster. Wichtigstes pragmatisches Mittel der zeitlichen S e q u e n z i e r u n g ist das Prinzip der natürlichen Abfolge (dann, und dann). Die Gleichzeitigkeitsrelation kann noch nicht markiert werden; allerdings wird ein Ausgleich durch Intonation erreicht: Andreas alleine t Ei kochen (= Wenn Andreas alleine ist, kocht er ein E i ) . Die Phase I ähnelt dem ersten Stadium Nadirs sehr. Barbara scheint jedoch bereits in dieser Phase über eine entwickeltere Lernervarietät zu verfügen.

5.2.2

Phase I I

(A 6-10):

Grammatikalisierend

In der zweiten Phase bildet sich die grammatische Systemkomponente heraus. Das Perfekt (mit A u x i l i a r ) wird gebildet. In A 9 tritt zum ersten Mal das Präteritum der Kopula (war) auf. Das auffälligste Novum im lexikalischen Bereich ist die Verwendung der untergeordneten Konjunktion wenn in konditionaler, iterativer und vorzeitigkeitsrelationaler Funktion. Venn wird allerdings noch übergeneralisiert. Venn kann mit immer zum iterativen immer uenn kombiniert werden (A 8). Folgende Charakteristika finden wir im einzelnen: 1.

Die temporalen Ausdrücke werden lexikalisch weiter ausgebaut durch vorgestern, zu spät, einmal ... einmal (alternierend), alles schon weg und ist Schluß. Auch Gradpartikel spielen in dieser zweiten Phase eine Rolle. Statt nicht mehr verwendet Barbara nicht noch. Ihre schlechte Finanzlage im Monopoly-Spiel (sie verfügt praktisch über kein Geld mehr) kommentiert sie mehrmals durch ich habe schon nicht Geld, ich habe schon kein Geld und ich habe schon Geld - ist Ende; damit soll das Resultat markiert werden. Die Verwendung von kommen anstelle von werden ist eine Strategie, die in der Forschung wiederholt belegt wurde (vgl. Dittmar 1982).

2.

T e m p u s g r a m m a t i k . Die invariante Verbform wird mehr und mehr durch variable Formen ersetzt. Tempusgrammatisch ist die Verwendung des Perfekts in der Phase dominierender Lernzuwachs. In A 8 und A 9

320

werden eine Reihe von Tempusformen produziert, wobei die Mehrheit korrekt in der ersten und dritten Person gebildet ist; trotzdem gibt es abweichende Verbindungen des meistens korrekt gebildeten Auxiliars mit der infiniten Verbform hat angeziehen, hat mitbringen, hat blitzen. Markierte und unmarkierte Verben stehen nebeneinander. Für die Verben bleiben, kommen und gehen wird die Perfektbildung unvollständig vorgenommen. Ab A 9 tritt die Kopula war in Konkurrenz zu dem Auxiliar haben auf. Die meisten Bildungen mit war sind abweichend: war telefoniert, war gemacht, war trinken. Wichtigster Fehler in dieser Phase ist die Verbindung der vergangenheitsmarkierenden Kopula mit Bewegungsverben. Wir finden auch z.T. eigentümliche Formen der Wortstellung. Zwar gehört das nicht zum Tempusbereich, steht aber im Zusammenhang mit der Entwicklung der Lernerin. Sätze wie Die Hund hat Junge geschmeißen runter verlangen nach Erklärungen; auf der einen Seite kommt das Prinzip "stelle semantisch Zusammengehöriges zusammen" zur Anwendung, auf der anderen Seite ist der trennbare Verbteil (Präfix runter) offensichtlich segmentiert. Möglicherweise handelt es sich um das syntaktische Prinzip "stelle den Verbzusatz ans Ende". Mit dem Erwerb der Konjunktion wenn hören die intonatorisch markierten Bedingungsfolgen zwischen zwei Äußerungen auf.

5.2.3

Phase I I I

(A 1 1 - 1 5 ) :

L e x i k a l i s c h und grammatisch e r w e i t e r e n d

In dieser Phase hat der Entwicklungsprozeß folgende Auffälligkeiten: 1. Die sprachlichen Mittel für den Ausdruck der D u r a t i v i t ö t , der i t e r a t i v i t ä t und der i n c h o a t i v e n A k t i o n a l i t ä t werden stark ausgebaut. Angaben Wie ganze Ferien immer, nicht lange, bis zu Ende, ganze stunde und ganze Montag gehen erheblich über das bisherige Repertoire der chronometrischen Angaben vom Typ zehn Minuten hinaus. Bis zu Ende zeigt dabei, daß die Lernerin bereits Dauer und Grenze des Zielzeitpunktes zum Ausdruck bringen kann. Des weiteren ist die Benutzung des Verbs anfangen bemerkenswert. Hier hatte die Lernerin bisher immer die Ersatzkonstruktion ist erster, bin erster oder bist

321

erster gewählt. Auf gezielte Nachfrage stellte sich heraus, daß sie das polnische Verb zaczynac (anfangen) ausdrücken wollte. Wir finden allerdings noch recht unsichere Formen: um acht Uhr dreißig anfangen wir, ich fange hier (das Präfix an- fehlt) und hier geht los. Auch im Gebrauch der Präpositionen sind Fortschritte festzustellen (in

Ferien, vor Weihnachten).

Der Ausdruck der N a c h z e i t i g k e i t durch

Adverbien wird ausgebaut. Wir finden das Adverb nachher und die Konstruktion eine stunde später, was zu dem Ausbau temporaler Graduierungen beiträgt. Die Konjunktion wenn wird übergeneralisiert: sie wird benutzt anstelle von als und während (Gleichzeitigkeit), kurioserweise auch für weil. Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Verwendung von wenn und dann im übergeneralisierten Sinne als Ersatz für die kausalen Ausdrucksmittel weil und deshalb. Hier handelt es sich offenbar um eine Konzeptübertragung. In tempusgrammatischer Hinsicht finden wir die Realisierungen wollte, hatte, sagte, meinte und dachte vor. Bei den Modalverben dürfen und können unterbleiben die Markierungen noch. Mit Ausnahme von wollen werden die Modalverben noch meistens mit infiniter Form realisiert.

5.2.4 Phase IV (A 16-20):

Zielsprachnah

Markante Tendenzen dieser letzten Entwicklungsstufe sind die folgenden: 1.

Vorhandene Zeitkonzepte werden durch neue Ausdrücke sprachlich realisiert (früh, früher, zuerst, zuletzt, nicht dauernd, heute am Anfang, am Montag erst, immer weiter, und immer so weiter, eine Stunde Verspätung, schon wieder, und und immer noch).

2.

Im Zuge weiterer Aufstockungen im L -Verblexikon wird vor allem das Konzept der r e s u l t a t i v e n A k t i o n a l i t ä t ausgebaut (Präfixverben wie aufessen, austrinken, ausrechnen, ausschlüpfen und auslassen. Aufhören wird häufig angewandt).

3.

Große Fortschritte sind im konzeptuellen Bereich der M u t a t i v i t ä t zu verzeichnen. In A 16 wird das Verb werden angewandt. Wir finden Sätze wie wird's immer größer und immer + Komparativ.

322

Weitere Verben können präterital markiert mußte(n), sollte und wollte, A 19, A 20).

werden

(konnte ('n),

Die Perfektmorphologie entwickelt sich so gut, daß ab A 19 Konformität mit der Zielsprache festzustellen ist. Das L -Tempussystem wird durch funktionsadäquate Konstruktionen des 2 Zustands- und Vorgangspassivs um wichtige Elemente erweitert ( z . B . bin noch nicht angezogen, ist geschlossen, werden abgeholt und uird gebraten und gegessen}. In diesen letzten Aufnahmen finden wir das Plusquamperfekt realisiert in waren gegangen, waren verreist.

6. Interferenz 6.1. Nadir Offensichtlich dauert es ziemlich lange, bis Nadir die Kopula erwirbt, Sätze wie: Eier kaputt, Türkei warm, ich groß, Achmet Türkei überwiegen eindeutig in den ersten Phasen. Man kann dies natürlich auf das Nichtvorhandensein der Kopula im Türkischen zurückführen. Trotzdem bleibt fraglich, ob es sich hier um Interferenz oder um eine Universale im Lernprozeß handelt. Im lexikalischen Bereich fällt die semantische Übergeneralisierung von gehen und wissen nach den L -Vorbildern gitmek und bilmek a u f . Hier haben Wir Viele Belege ( z . B .

2 Auto gehen, Fahrrad gehen,

weiß

Deutsch).

Weitere Schwierigkeiten zeigen sich bei der Verwendung von er/sie, da das Türkische hier nur ein Pronomen kennt. In den Aufnahmen 9-14 ist dies dokumentiert. Eine Konzeptübertragung scheint im Falle des türkischen Aspekts vorzuliegen, der im Deutschen nicht grammatisch kodiert ist, sondern durch verschiedene lexikalische Mittel ausgedrückt wird (vgl. von Stutterheim 1986:56ff. und 1 1 6 f f . ) . Wir haben viele Belege für eine Übertragung des türkischen Aspektkonzepts auf das Deutsche in folgenden Beispielen: (1)

ist kaputtmachen (verschüttet Kaffee)

(2) (3)

mein Vater ist hier kommen Wasser (Erklärung) ist schwimmen hier (Bildkommentar)

(4)

ich bin hier gehen (demonstriert es auf dem Tisch)

(5) (6)

ich bin so schwimmen gehen (Erklärung) du bist nicht nochmal machen (imitiert Befehl)

323

(7)

nein, aber du bist lernen (soll jemanden anderem Schach beibringen)

(8) (9)

Auto ist drei Tage geht zur Türkei (Reiseschilderung) und er ist geht raus (Bildbeschreibung)

(10) ein Junge ist weint (Schweißtropfen auf dem B i l d ) ( 1 1 ) sie sieht, warum sie weint ist

(Bildkommentar)

(12) ist er steht (Bildkommentar) Diese auffälligen Konstruktionen, die mit der Kopula gebildet werden, unterscheiden sich systematisch von solchen, in denen die Kopula A u x i l i a r bei der Perfektbildung ist. Wir betrachten diese Variation als einen Beleg für den Aspektcharakter dieser Konstruktionen in der Lernersprache Nadirs.

6.2 Barbara Die Lernerin scheint an den Gebrauchsnormen der Zielsprache orientiert zu sein. Interferenzen können ohne Spekulation nicht festgestellt werden. Im Unterschied zu Nadir ist Barbara in einer deutschen Regelklasse und in deutsche Kindergruppen gut integriert. Wir müssen hier annehmen, daß der Lerninput eine wichtige Rolle spielt.

7.

Exemplarischer Vergleich der L -Lerner Nadir und Barbara 2

Wir haben vier Phasen im Erwerb des Deutschen durch die beiden Probanden; wenn wir die beiden Lerner gegenüberstellen, ergibt sich folgendes Bild:

NADIR BARBARA PHASE I: L e x i k a l i s c h und i m p l i z i t - p r a g m a t i s c h 6 Beobachtungsmonate (A 1-6) 1 Beobachtungsmonat PHASE I I :

Grammatikalisierend

Beobachtungsmonate 7-12 (A 7-14) PHASE I I I :

(A 1-4)

Beobachtungsmonate 2+3 (A 5-10)

L e x i k a l i s c h u n d grammatisch e r w e i t e r n d

Beobachtungsmonate 17+18 (A 22+23)

324

Beobachtungsmonate 11+12 (A 19+20)

Es ist eine zentrale Aussage dieser Studie, daß trotz der so unterschiedlichen Ausgangssprachen und Lernerbedingungen der beiden Kinder in der Substanz auffällige Gemeinsamkeiten in ihrer lernersprachlichen Entwicklung zu finden sind. Zunächst fassen wir die Gemeinsamkeiten zusammen (vgl. hierzu die mittlere Spalte in der tabellarischen Übersicht): 1.

Übereinstimmende Entwicklung hinsichtlich der drei Ausdruckssysteme und ihrer Funktionsverschiebungen innerhalb des lernersprachlichen Gesamtsystems;

2.

wesentliche Übereinstimmung bei der Erwerbsreihenfolge der Zeitkonzepte innerhalb der lexikalischen Ausdruckssysteme (interkonzeptuell);

3. wesentliche interkonzeptuelle Erwerbsparallelen hinsichtlich der einzelnen lexikalischen Items (allgemeinere Zeitausdrücke vor spezifischeren) ; 4.

semantische Besonderheiten der beiden Lernervarietäten fangsphase (semantische Übergenera lisierungen);

5.

wesentliche Übereinstimmungen im Rahmen der tempusgrammatischen Entwicklung, sowohl hinsichtlich der Ausdifferenzierung des Formeninventars als auch hinsichtlich des "Zeitplans" dieser Ausdifferenzierung (lernergrammatische Erwerbsreihenfolge);

6.

auffällige Übereinstimmungen hinsichtlich der Fehlertypen, der morphologischen Übergeneral i sierung des A u x i l i a r s haben bei der Perfektbildung sowie des Abbaus der Formfehler und der Übergeneral isierung des Auxiliars in stark fortgeschrittenen Entwicklungsphasen;

7.

besonders ausgeprägte Fähigkeit beider Lerner zum angemessenen grammatischen Tempuswechsel in komplexen Äußerungssequenzen nach der Ausdifferenzierung des lernersprachlichen Tempussystems (besonders gut in perfektiv-vorzeitigkeitsrelationalen Äußerungssequenzen belegt);

8.

Pragmatische Besonderheiten der Lernersysteme im Anfangsstadium (hohes Maß an Kontextabhängigkeit, Prinzipien der minimalen Referenz, Lokalangaben Türkei bzw. Polen mehrmals zugleich als implizite lokale Träger der Vergangenheitsinformation);

325

in der An-

9.

steigende Intonation als spezielles pragmatisches Mittel in zeitrelationalen Äußerungssequenzen vor(!) dem Erwerb der untergeordneten temporalen Konjunktionen.

Zwischen beiden Lernern gibt es auch eine Reihe von U n t e r s c h i e d e n . Im Vergleich zu den großen Gemeinsamkeiten der Lernerphasen und ihrer Merkmale sind diese Unterschiede jedoch eher untergeordneter Bedeutung und betreffen mehr Details der lernersprachlichen Entwicklung. Die wichtigsten Unterschiede sind die folgenden (vgl. die rechte und die linke Spalte in der tabellarischen Übersicht): 1. Deutlich verzögerter Erwerb der Funktionswörter (vor allem der positionen) bei Nadir (Hypothese: L - E i n f l u ß ) ; 2.

deutlich verzögerter Erwerb der Kopula im Präsens these: in L gibt es keine Kopula);

3.

Sonderkonstruktionen vom Typ bin gehen, ist weint oder auch ist geht raus in Nadirs Korpus (insbesondere bis A 14), höchst wahrscheinlich zur Markierung des imperfektiven Aspekts (L -Einfluß);

4.

größere morphologische Variation bei Nadir, speziell in der Übergangsphase der Perfektregularisierung bei Barbara wohl wegen der günstigeren Lernbedingungen weniger "chaotisches" Bild, "glattere" Entwicklung);

5.

im Gegensatz zu Nadir bei Barbara in realzukunftsreferentiellen Aussagen, keine Verwendung des Futurtempus trotz obligatorischer Markierung im Polnischen (= L ) (evtl. starke sprachliche Anpassung Barbaras und L -Umgebung aufgrund häufiger und sprechintensiver Kontakte mit L -Standardsprechern); 2 semantische Übergeneralisierungen und Funktionserweiterungen zum Teil bei unterschiedlichen Lexemen und Kompositionselementen: los, weg und alles für ganze Verben bei Nadir, kommen (auch für werden in A 2 und A 9) und müssen bei Barbara (Übereinstimmungen der Funktionserweiterungen im Falle der Lexeme bzw. Wortbildungselemente fertig ( f ü r aufhören und/oder hat aufgehört), weiter für einige, nicht genau bestimmbare Verben und - im lokalen Bereich - runter für verschiedene Bewegungsverben;

6.

326

bei

Prä-

Nadir (Hypo-

7.

semantische Übergeneralisierung von gehen als Bewegungsverb bei Nadir (L - E i n f l u ß ) , von uenn für als, während und auch kausales weil in den Aufnahmen 11, 12 und 13 sowie von dann für deshalb in den Aufnahmen 12 Und 13 bei Barbara ( f e h l e r h a f t e K o n z e p t ü b e r t r a g u n g ) .

8.

keine Sonderkonstruktionen bei Barbara als etwaige Folge der ausgangssprachlichen Aspektmarkierung (evtl. weiteres Indiz für ihre starke sprachliche Anpassung an die L -Umgebung).

8.

Ausblick

Wie lassen sich nun die eingangs in Kapitel 1 aufgestellten Thesen im Lichte dieser Ergebnisse bewerten? In einem relativ kurzen Zeitraum (ca. 18 Monate) haben die beiden elfjährigen Kinder temporale Ausdrucksmittel des Deutschen erlernt, die von Kindern in der Erstsprache über mehrere Jahre erworben werden. Insofern die Zeitkonzepte der Kinder kognitiv bereits ausgebildet sind (die "kritische Periode" des Erstspracherwerbs wird bei fünf Jahren angesetzt), geht es vor allem um die Aneignung der sprachlichen Strukturen in der Zweitsprache Deutsch. Es besteht also ein psychologischer Unterschied zum Erstspracherwerb. Andererseits haben aber die Daten auch deutlich gemacht, daß die Kinder zeitliche Strukturen des Deutschen schneller, morphologisch angemessener, syntaktisch differenzierter, semantisch und pragmatisch jedoch weniger funktional/vielseitig erlernen als erwachsene Zweitsprachlerner (vgl. Dittmar & Apitzsch 1986, von Stutterheim 1986). Wir wollen daher abschließend die These formulieren, daß der Zweitspracherwerb vorpubertärer Kinder unterschiedlich zum Erstspracherwerb von Kindern und zum Zweitspracherwerb von Erwachsenen verläuft. Im Sinne der "input-driven approaches" (Slobin 1986, Weissenborn & Schriefers 1987) scheinen der Zugang zur Zweitsprache (Typ der Beschulung, freundschaftliche Kontakte im Wohnbereich), Lernprinzipien und Eigenschaften der Ausgangssprache eine zentrale Rolle zu spielen. Die Aufgabe der Zweitspracherwerbstheorie und weiterer empirischer Untersuchungen zum L -Erwerb von Kindern wird es sein, die in dieser Studie vorgelegten Ergebnisse in einem angemesseneren Erklärungsrahmen für die Zweitspracherwerbsforschung nutzbar zu machen.

327

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329

Der Ausdruck der Temporalität in deutschen Xenolekten

Jörg Röche

Einleitung Wenn Sprecher mit Ausländern kommunizieren, von denen sie annehmen oder wissen, daß sie die Zielsprache nicht oder nur schlecht beherrschen, versuchen sie oft, ihr 'normales' Sprachverhalten so zu verändern, daß sie glauben, für die Adressaten verständlich zu werden. Zweifellos gibt es eine Fülle weiterer Möglichkeiten, mit Ausländern (nicht) zu kommunizieren, doch sind die genannten Veränderungen unserer Sprache, die im folgenden unter der Bezeichnung 'Xenolekt 1 gefaßt werden sollen, besonders interessant. Freiwillig verzichten wir, der vermeintlich besseren Verständlichkeit wegen, auf ein reiches Inventar sprachlicher Ausdrucksmittel, die wir in unserer Sprache gerade wegen der besseren Verständlichkeit zur Verfügung haben. Erstaunlich erscheint darüber hinaus, daß die Kommunikation auch unter den stärksten 'Reduktionen' offensichtlich gar nicht zu leiden braucht, sondern dadurch erst zustande zu kommen scheint. Am Beispiel des Ausdrucks der Temporalität soll hier demonstriert werden, wie Xenolektsprecher auch ohne die ihnen verfügbaren sprachlichen Mittel der muttersprachlichen Kommunikation Äußerungen produzieren und welche anderen Mittel sie einsetzen, um Verständlichkeit zu gewährleisten. Immer wieder wird in der 'foreigner talk'-Literatur auf den chaotischen und chaotisierenden Charakter xenolektaler Äußerungen hingewiesen. Ganz im Gegensatz dazu wird hier aber gezeigt werden, daß sowohl die Verwendung anderer als bezugssprachlicher Ausdrucksformen als auch die hohe Frequenz elliptischer Erscheinungen auf Regularitäten und Prinzipien zurückgeführt werden können, die sehr wohl eine konsistente Systematik

330

erkennen lassen.

Die Bedeutung authentischen Datenmaterials Eine Untersuchung von Xenolekten ist auf die direkte Beobachtung sprachlicher Interaktion angewiesen. Indirekte Beobachtungen an Texten des 1 'sekundären foreigner t a l k , zum Beispiel an literarischen Varianten oder an Nachahmungen von Lernervarietäten, haben jeweils nur wenige und nicht immer repräsentative Aspekte von Xenolekten zu Tage gefördert und die ohnehin nicht sehr umfangreiche Forschung nicht selten in die Irre geleitet. Es kann hier aber darauf verzichtet werden, in Einzelheiten weiter auf die forschungsmethodischen Probleme einzugehen. Diese sind in Röche 1986 eingehend dargestellt. Es soll lediglich umrissen werden, auf welches Datenmaterial sich die folgenden Beobachtungen stützen. Zugrunde gelegt wurden circa 120 kürzere und längere Gespräche zwischen deutschen Informanten aus dem Rhein-Main-Neckar-Gebiet und verschiedenen ausländischen Adressaten aus unterschiedlichen Herkunftsländern, vorwiegend aber türkischen und italienischen Gastarbeitern. Zur Absicherung einer adäquaten bezugssprachlichen Norm wurden darüber hinaus Kontrollgespräche auch mit deutschen Adressaten aufgezeichnet. Beobachtet wurde mittels zunächst versteckter Aufzeichnungen in den Bereichen, die als typisch für Kontakte zwischen Deutschen und Gastarbeitern angesehen werden können, nämlich in verschiedenen Verkaufs- und Auskunftssituationen, am Arbeitsplatz und im öffentlichen und privaten Bereich (Behörden , 'Kaffee-Gespräche').

Strukturelle Eigenschaften xenolektaler Äußerungen Die strukturellen Eigenschaften der Äußerungen der Informanten lassen sich vier Äußerungskategorien zuordnen, die in unterschiedlicher Frequenz in der Regel bei allen Sprechern vorkommen: die bezugssprachliche Äußerungsstufe und drei Veränderungsstufen. Es handelt sich bei Xenolekten also weder um ganz individuell-zufällige Erscheinungen noch um ein stereotypisiertes oder fossilisiertes Register, wie häufig vermutet wird (vgl. Bodeman/Ostow 1975). Zu unterscheiden sind a-, b-, c- und d-Äuße-

331

rungen. Unter a-Äußerungen sind der individuellen Sprachlage in muttersprachlicher Kommunikation entsprechende Äußerungen zu verstehen. Diese bezugssprachlichen Äußerungen weisen also keine xenolekttypisehen Charakteristika auf. b-Äußerungen sind hauptsächlich phonetisch veränderte, ansonsten aber ebenfalls bezugssprachliche Äußerungen. Sie zeigen Wechsel vom Dialekt zur Standardsprache - oder Annäherungen davon - und Verlangsamungen der Sprechgeschwindigkeit, wie sie unter anderem in einer 'abgehackten 1 Sprechweise deutlich werden. Als c-Äußerungen werden gegenüber der Bezugssprache durch Nicht-Realisierungen einzelner Elemente wie Artikel, Pronomen und Kopula veränderte Äußerungen bezeichnet. Einige der auftretenden Charakteristika sind im folgenden aufgelistet. Beispiele für die Nicht-Realisierung - des Artikels: 'wir harn (einen) andere glaube 1 - der Präposition: 'aber will ich (nach) holland fahrn 1 - der Kopula: 'das (ist) euer glaube 1 Beispiele für - morphologische Generalisierungen (Neutralisierungen der Flexion in einer häufig xenolekttypisehen Realisierung, wie die Verwendung des Infinitivs anstatt entsprechender Flexionsmorphologie oder die Verwendung von 'das' statt der flektierten pronominalen Varianten etc.): 'das 1 (der) is nachtschischt arbeit' ('Der arbeitet in der Nachtschicht' ). - lexikalisch-semantische Simplifizierungen: 'aber ich hätt noch ++ gesicht kaputtgemacht (zerkratzt) 1 . d-Äußerungen schließlich sind Äußerungen, in denen in der Regel die gesamte Flexion ausfällt und nur noch die lexikalischen Elemente realisiert werden, die inhaltstragend sind oder bestimmte, nicht-substituierte Funktionen (wie Negation oder Graduierung) ausdrücken. Sie sind zumeist durch deutliche Pausen voneinander getrennt, aber auch innerhalb dieser Äußerungen können überlange Pausen auftreten. Es dominieren asyndetische

332

Verbindungen. Gefüge werden selten realisiert und sind dann in der Regel ebenfalls uneingeleitet. Im übrigen können die Einzelmerkmale der Veränderungsstufen b und c hier in Verbindung mit anderen Merkmalen in einer neuen Systematik oder zusätzlich erscheinen. Die xenolekttypisehen Äußerungsstrukturen der Stufe d ziehen wegen der Beobachtungsmöglichkeit von extremen Erscheinungen verständlicherweise das besondere Interesse auf sich. Die gesamte Äußerungstufensystematik soll nun an einem längeren Textbeispiel demonstriert werden. (1) Der Autounfall (t = türkischer Adressat) 1 meine audo is kaputt ++

2 donnersdach Unfall gemacht + 3 4 5 6 7 9 10 11 12 13 14 15 16

donnersdach hab iseh en Unfall gemacht t wo? zwischen äh BREITENBRUNN und KRUMBACH + wild vorne druff als + alles kaputt + Werkstatt ++ isch isch war + jetz schon zu hause + war schon z_u hause ++ fuftsäjn minudde ++ t aber du schnell fahren vielleicht egal ne? bin isch +_ überhaupt nisch + bin nisch schnell gfahrn egal ob isch schnell fahr oder langsam egal ++ isch hab _+ gebremst war naß +

17 audo weg +

18 19 20 21

grabe runnär + vurne alles drin t du polizei melden ne? ja polizei geraelt

22 t polizei komme?

23 ja -H- blutprobe + 24 gut* 25 niks+

333

26 drei flasche bier trinke + spätschischt 27 machs gut bis moje gell? 28 t ja In diesem Text sind a-Äußerungen unterstrichen, c-Äußerungen kursiv und d-Äußerungen fett gedruckt wiedergegeben. Man könnte natürlich auch den Standpunkt vertreten, es handele sich hierbei um 'gebrochenes Deutsch 1 und um reduzierte, kommunikativ unzulängliche Äußerungsstrukturen. Eine solche Vorklassifizierung verstellt jedoch den Blick auf die eigene Grammatikalität und den kommunikativen Erfolg solcher Äußerungen, die sowohl von ausländischen Adressaten als auch von deutschen Zuhörern in der Regel völlig adäquat interpretiert werden. Sowohl ein Vergleich verschiedener Äußerungen des gleichen Sprechers als auch ein Vergleich mit Äußerungen verschiedener anderer Informanten zeigen zwar individuelle Präferenzen in der Anwendung bestimmter Strategien und Veränderungen, doch belegen sie gleichzeitig eine erstaunliche intra- und interpersonale Übereinstimmung in den Äußerungsstrukturen. So kann davon ausgegangen werden, daß die beobachteten Veränderungen weder willkürlich noch zufällig vorgenommen werden. Das soll nun beim Ausdruck der Temporalität deutlich werden, wobei der d-Äußerungstyp im Mittelpunkt steht.

Die Ausdrucksmittel der Temporalität Im Standarddeutschen geschieht der Ausdruck temporaler Referenz vor allem -

mittels der Tempusmorphologie (Tempusendungen, Bildung komplexer Tempora durch Hilfsverben und/oder Vokalveränderungen/Ablaute)

-

durch Temporaladverbiale (reine Adverbien, Präpositionalphrasen, Temporalsätze und

-

in Diskursprinzipien ( z . B .

Abfolgebeziehungen).

o

Die entscheidende Feststellung, die hier zu treffen ist, betrifft die Tempusmarkierungen am Verb. Sie gehören in der Bezugssprache zu den

334

obligatorischen Markierungen einer Äußerung. In deutschen Xenolekten variiert ihre Realisierung mit der Veränderungsstufe: In c-Äußerungen stimmen sie mit den Bezugsnormen überein, so daß Restriktionen gegenüber dem bezugssprachlichen Inventar nicht erkennbar sind. In d-Äußerungen können dagegen nur zwei temporale Verb-Markierungen identifiziert werden: eine neutralisierte und eine vergangenheitsmarkierte Form. Die neutralisierte Form ist als I n f i n i t i v oder als generalisierte xenolektische Variante realisiert (zum Beispiel arbeit anstatt arbeiten) und kann für alle Tempora der Bezugssprache Verwendung finden. Die vergangenheitsmarkierte Variante ist als Partizip Perfekt realisiert, gegebenenfalls auch in xenolektischer Form (zum Beispiel gearbeit). Ihre Verwendung dient der Disambiguierung oder Hervorhebung der Referenz auf Vergangenes zur Vermeidung möglicher Mißverständnisse bei konkurrierenden Situierungsmöglichkeiten. Als explizite Referenzmarkierungen zu einer Ereigniszeit fungieren ansonsten vorwiegend Adverbiale. Darüber hinaus bestehen zwei weitere, sehr produktive Wege der Referenzmarkierung. Der eine verzichtet ganz auf eine explizite Markierung, wenn die temporale Situierung bereits hinreichend kontextualisiert zu sein scheint. Eine solche Situierung kann zum Beispiel zu einem früheren Zeitpunkt von einem der Gesprächspartner explizit eingeführt worden sein oder sich implizit aus ihrem bisherigen Wissen ergeben. Die Regeln der Nicht-Realisierung überschreiten die der regulären Ellipsen im Deutschen bei weitem. Der zweite Weg betrifft das, was man 'vermittelte 1 Referenzmarkierung nennen könnte, ein Phänomen, das in traditionellen Grammatiken unter anderem bei den quasi-lokalen Adverbialen beobachtet wurde. Unter 'Vermittlung' ist dabei die implizite Koppelung temporaler, lokaler, personaler oder sonstiger thematischer Information an e i n e n Referenzträger zu verstehen. Dieser kann zum Beispiel eine Ortsangabe, eine Person oder ein Gegenstand einer Handlung sein, dessen gekoppelte Situierung zu einem früheren Zeitpunkt vor oder in dem Gespräch vorgenommen wurde. Er dient damit zugleich der Herstellung textueller Kohärenz. So kann also 'Messer und Schere' in dem folgenden Textausschnitt (3) auf ein bestimmtes Ereignis referieren, ohne daß dieses jeweils neu explizit temporal zu situieren wäre. Der Informant erzählt, wie er von einem türkischen Kollegen mit Messer und Schere bedroht wurde. In der ersten Version seiner Erzählung (2) führt er explizit die Ereigniszeit (vor längerer zeit/nachtschiseht) und

335

den Haupthandelnden (der kleine türkischmann) sowie den Handlungsgegenstand 'messer und schere 1 ein. (2) ' i c h habe vor längerer Zeit ich hap betriebsrat geholt +++ der kleine türkischmann dahinten das + kennst en? + mit dam isch in nachtschischt arbeit + der nachtschischt ++ messer und schere am ( . . . ) ++ kam hier angezogen + mit messer un mit schere ...' Nach einer längeren Unterbrechung durch eine andere Erzählung und durch Fragen des türkischen Adressaten wird das Thema wieder aufgenommen. In dieser zweiten Fassung ist das entscheidende Element messer mit schere, durch das auf die zuvor explizit eingeführte und mit den Handlungsgegenständen Messer und Schere gekoppelte Ereigniszeit referiert wird. (3) 'fräjste (fragste) ma klein türkischfrau die kann dir sagen ++ messer mit schere +++ was w i l l s t du? +++

er messer wieder einstecken

schere wieder weglegen + . . . ' Eine an die Darstellung des Inventars der Markierung anschließende Frage betrifft die Reichweite der Situierung. In der Regel wird die temporale wie auch die lokale Situierung und die übrige rahmende Information in der Vorgabeposition einer Äußerung oder einer Äußerungssequenz gegeben. Daran anschließend erfolgt dann die Anordnung der einzelnen Ereignisschritte, die unter diese Situierung und Rahmung fallen. Die Reichweite einer Situierung erstreckt sich in Äußerungssequenzen dabei bis zu ihrer expliziten Aufhebung durch eine neue Situierung beziehungsweise durch einen offensichtlichen Themawechsel. Andere, in diesem Sinne redundante

336

Markierungen, die die weitere Geltung einer Situierung angeben würden, tauchen zwar gelegentlich a u f , soweit bisher erkennbar ist, dienen sie aber dann der Disambiguierung in Texten mit konkurrierenden Situierungsmöglichkeiten. Durch diese Beobachtungen wird ein Prinzip bestätigt, das auch in den Bereichen lokaler und personaler Referenz seine Parallelen hat. Es besagt ganz allgemein, daß eine Referenzmarkierung in einem bestimmten thematischen Rahmen ihre Geltung solange beibehält, bis sie explizit aufgehoben wird. Sie braucht daher weder bestätigt noch wiederholt zu werden. Auch in der Bezugssprache kann davon extensiv Gebrauch gemacht werden. Es handelt sich also keinesfalls um ein xenolekttypisches Prinzip. In den xenolektalen d-Äußerungen ist es allerdings konstitutiv und so elementar, daß es als 'Standardprinzip 1 bezeichnet werden kann. Ähnlich wie in anderen als 'simplifiziert' bezeichneten Varietäten, zum Beispiel solchen, in denen zielsprachliche Ausdrucksmittel tatsächlich fehlen oder nicht zugänglich sind, wie im Erst- und Zweitspracherwerb oder in bestimmten Formen der Aphasie, ziehen sich Xenolektsprecher also auf viel Nicht-Expliziertes, aber bereits Kontextualisiertes oder Erschließbares, zurück. Sie drücken daher auch nicht explizit aus, in welcher Abfolge eine Reihe von Ereignissen aufeinander bezogen ist. Ihre Anordnung folgt hier jeweils dem 'Prinzip der natürlichen Abfolge' ( vergleiche Klein 1984), dem zweiten konstitutiven und elementaren Prinzip der Herstellung temporaler Referenz in Xenolekten, wie es auch an mehreren Stellen der Erzählung 'Der Autounfair zu erkennen ist. Lediglich Abweichungen von diesem Prinzip der chronologischen Abbildung von Ereignissen sind ausdrücklich zu markieren. Gleichzeitig ist dort auch zu erkennen, daß der türkische Adressat dieses Prinzip selbst beherrscht oder zumindest kennt. Denn er wird zum Mitspieler, der in kooperativer Weise mithilft, die Erzählung zu entwickeln. Der kommunikative Erfolg scheint also durch die xenolektalen Äußerungsstrukturen nicht beeinträchtigt zu sein. Zur Verdeutlichung der bisher dargestellten elementaren Regularitäten des Ausdrucks der Temporalität in Xenolekten soll nun am plastischen Beispiel der Erzählung 'Der Autounfall' auf die Strukturierung eines komplexen Textes eingegangen werden.

337

Textstrukturierung am Beispiel 'Der Autounfall1 Die erste Sequenz dieser Erzählung (Beispiel (1) oben), markiert in mehreren Teilen die Rahmung der Erzählung. Die Äußerung in Zeile 1 gibt einen allgemeinen 'abstract 1 an. In Zeile 2 ist die temporale Situierung des Ereignisses zuerst in komprimierter und anschließend in bezugssprachlicher Form gegeben (Zeile 3). Abgeschlossen wird diese Rahmung durch 4 die lokale Situierung des Ereignisses (Zeile 5). Die folgende, in d-Äußerungen realisierte Ereigniskette, die unter diese Rahmung fällt, weist keinerlei weitere temporale Markierung auf. Die Äußerungen in den Zeilen 9 und 10 fallen aus der Ereigniskette heraus. Bei ihnen handelt es sich um eine Bewertung des möglichen Nicht-Eintretens des Ereignisses. Den der Nachfrage des türkischen Adressaten folgenden Bewertungen des Unfalles in den Zeilen 12 bis 14 schließt der deutsche Informant in den Zeilen 15 und 16 zwei rahmende Informationen an. Die folgende Ereigniskette des Unfallgeschehens kommt weitestgehend ohne explizite Markierungen der Temporalität aus. Die partizipiale Form 'gemelt' in Zeile 21, die auf das vom Informanten nicht ganz klar situierbare Ereignis ( ' d u polizei m e l d e n ' ) referiert, kann als Verdeutlichung dieser Referenz gelten. Wie aus den vorangehenden und folgenden Äußerungen zu erkennen ist, ist eine solche Verdeutlichung nicht für jedes Ereignis notwendig. In der drittletzten Äußerung dieses Textausschnitts ist eine Spezifizierung der Referenz und damit die Markierung der Abweichung vom P r i n z i p der natürlichen Abfolge aber nötig, um Mißverständnisse zu vermeiden. Die von der natürlichen Abfolge abweichende Situierung 'spätschicht' wird hier nachgeliefert, um das Ereignis '3 flasche bier trinke' aus der Chronologie der Ereignisfolge auszuschließen: Der Informant befand sich tatsächlich auf dem Heimweg von der Spätschicht, als der Unfall geschah. Er hat das Bier nicht nach dem Unfall getrunken. Die dialektale Äußerung in Zeile 27 schließt das Gespräch - durch äußere Umstände bedingt - ab. Nachdem die wichtigsten expliziten und impliziten xenolektalen Ausdrucksmittel temporaler Referenz vorgestellt worden sind, muß nun untersucht werden, was für die a u f f ä l l i g e Variation der verschiedenen Äußerungstypen in Xenolekten verantwortlich ist. Das Typische an Xenolekten ist ja gerade, daß sie nicht auf einer bestimmten Veränderungsstufe fossilisierte Äußerungen produzieren, sondern

338

daß der Grad der Veränderung, wie zum Beispiel der Grad der morphologischen 'Reduktion', stark variiert und daher durchaus auch bezugssprachliche Äußerungen Verwendung finden.

Variation und Redeintention In der Erzählung 'Der Autounfall' fällt das zweifellos in der einleitenden Rahmung in den Zeilen 1 bis 5 sowie in den Äußerungen in den Zeilen 9 und 10 und in den Zeilen 12 bis 16 sowie in der schließenden Sequenz in Zeile 27 deutlich ins Auge. Doch stehen bezugssprachliche und veränderte Äußerungen weder in freier Variation noch übernehmen bezugssprachliche Äußerungen eine Lückenbüßerfunktion für etwas in d-Äußerungen Nicht-Ausdrückbares. Als entscheidendes Kriterium bei der Abstimmung von kommunikativer Zielsetzung und Äußerungsstufe kann die Bewertung von Mitteilungsgehalt und antizipierter Mitteilungsrelevanz für den Adressaten angenommen werden. Dabei spielt auch keine Rolle, ob Themen aus einem dem Adressaten vermeintlich zugänglichen Bereich mit dem entsprechenden Hintergrundwissen davon betroffen sind, da bei einer etwaigen Abweichung hiervon Klärungssequenzen in komprimierter Form eingesetzt würden (Verankerungs-, Vertiefungs- und Verdichtungsstrategien). Auch das vom Informanten antizipierte Verstehensvermögen des Adressaten, das natürlich bei der Bestimmung des Grades der Veränderung eine wichtige Rolle spielt, kann hier nicht als ausschlaggebend fiir die unterschiedliche Realisierung gemacht werden. Es könnte die Sprunghaftigkeit wechselnder Bewertungen nicht erfassen. Auszuschließen sind darüber hinaus bestimmte Imitationseffekte, die, wie sich herausgestellt hat, die Veränderungssystematik zwar kurzfristig überlagern können, aber sie in keinem nachzuweisenden Fall nachhaltig beeinflussen. Das Grundgerüst der von der Redeintention bestimmten xenolektalen Variation schält sich in seinen unterschiedlichen Niveaus immer wieder heraus: Die Abfolge der Ereignisse als der Mitteilungskern einer Erzählung zeigt stets die stärksten Veränderungen, in den besprochenen Textsequenzen also d-Äußerungen. Diese zeigen also auch die beschriebenen xenolekttypisehen, unterspezifizierten Ausdrucksmöglichkeiten der Temporalität. Ebenso Erklärungen in Auskunftssituationen, beispielsweise Erklärungen der Funktionsweise einer Waschmaschine oder eines Videosystems. Klärungsversuche in Vertiefungen,

339

Verankerungen und Verdichtungen, wie sie in Zeile 2 zu finden sind, werden ebenfalls stärker verändert als deren Ausgangsäußerung. Einleitungen oder Abstract-Rahmungen von Erzählsequenzen sowie in eine Erzählung eingelagerte Evaluationen und Kommentare sind dagegen bezugssprachlich, also in der ganzen Fülle des bezugssprachlichen Systems realisiert. Sie werden kommunikativ anders, nämlich weniger vom Mitteilungswert bestimmt, bewertet als erstere. Zu beachten ist dabei, daß Xenolektsprecher aus sprachökonomischen Gründen nur dort komprimierend verändern, wo es ihnen zur Vermeidung oder Behebung kommunikativer Störungen unbedingt notwendig erscheint.

Schluß Xenolektsprecher verbalisieren in den starken Xenolektvarietäten nur die elementaren Konzepte, deren grammatische Beziehungen zueinander implizit gegeben sind oder erschlossen werden können (auch wenn sie, wie beim Ausdruck der Temporalität im Deutschen, bezugssprachlich obligatorisch s i n d ) . Einige Facetten eines Ganzen genügen dabei, um einen ausreichenden Kontext aufzubauen oder zu aktivieren. Im Falle der Temporalität betrifft das in erster Linie die Etablierung bzw. Aktivierung des temporalen Rahmens in der zumeist stichwortartigen Situierung. Die Variation in der Realisierung der bezugssprachlichen Äußerungsstufe und der drei Veränderungsstufen wird nicht durch Mangelerscheinungen der Xenolektstrukturen verursacht, sie ist von der Redeintention bestimmt. So ergibt sich in einem Gesprächstext eine geradezu plastische Schichtung unterschiedlicher pragmatischer Niveaus, die sich an der Form der Äußerungen unmittelbar ablesen läßt. Es entsteht hier die paradoxe Situation, daß Xenolektsprecher, die ja das vollständige Ausdrucksinventar zur Verfügung haben, in der Kommunikation mit Ausländern - und hier gerade an den Mitteilungsschwerpunkten, wo Genauigkeit für die Sicherung der Verständigung und das Gelingen der Kommunikation zu erwarten wäre auf die Exaktheit des sprachlichen Ausdrucks zu Gunsten einer Aufgabenentlastung für den Adressaten und, wie zu ergänzen ist, auch für sich selbst verzichten. Das Gelingen der Kommunikation wird durch den Mangel an Explizitheit in der Regel nicht behindert, sondern häufig erst ermöglicht.

340

Anmerkungen 1.

Es ist dabei insbesondere zu beachten, daß solche Texte gänzlich andere kommunikative Funktionen erfüllen als natürliche Gespräche und sich dies auch in den strukturellen Eigenschaften der Äußerung niederschlägt. So kann in den genannten Textarten unter anderem eine erheblich höhere Frequenz von Funktionselementen (Funktionswörter, Flexionsmorphologie), eine veränderte Syntax und gegebenenfalls eine unrealistische Intonation beobachtet werden, als dies in authentischen Xenolekten der Fall ist. Darüber hinaus muß auch viel stärker als bisher beachtet werden, daß Informanten im Bewußtsein einer A u f zeichnung ihrer Sprache ganz andere Zielsetzungen verfolgen, nämlich die des Lösens der experimentell gestellten Aufgaben, als in 'natürlichen' Situationen. Durch diese Einschränkung erscheinen nur versteckte Beobachtungsmethoden als verläßliche Datenlieferanten. Die verschiedenen Forschungsansätze bis 1981 sind im übrigen in einer sehr ausführlichen Übersicht in Hinnenkamp 1982 zusammengetragen. Es muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß sich die Arbeiten zum 'foreigner t a l k ' hauptsächlich an einer Charakterisierung seiner Grammatik über Defizienzbeschreibungen orientieren. In Röche 1986 werden die Grenzen, fehlleitenden Artefakte und Epiphänomene solcher Verfahren deutlich gemacht, und es wird zum ersten Mal der Versuch unternommen, die Xenolektgrammatik in ihrer eigenen Systematik als produktives verfahren zu erfassen.

2.

Die in Frage stehenden Elemente sind jeweils durch Klammerung, (wenn es sich um erschlossene Elemente handelt), oder durch Unterstreichung hervorgehoben. In allen Textbeispielen wird versucht, die gesprochene Sprache in standardsprachlicher Orthographie möglichst genau wiederzugeben. Zusätzlich eingeführt sind lediglich ' + ' , ' + + ' und ' + + + ' als Pausenzeichen unterschiedlicher Dauer (1 bis 3 Sekunden).

3.

Auf die umfangreiche Literatur zu den Tempora des Deutschen kann hier nicht annährend eingegangen werden (vgl. Rauh 1983). Es sei jedoch besonders auf den mit dem hier gestellten Thema eng verwandten Arbeitsbereich der Zweitspracherwerbsforschung verwiesen. Hierzu besonders Klein 1983 und von Stutterheim 1986.

4.

Auf die dialektalen Besonderheiten des Hessischen kann hier nicht weiter eingegangen werden. Für die Leser, die damit nicht so gut vertraut sind, sei nur kurz darauf hingewiesen, daß der Informant ein relativ starker Dialektsprecher ist. Auf xenolekttypische Besonderheiten des Textes, die vom Dialekt unabhängig sind (wie zum Beispiel ' m e i n e ' ) wird gegebenenfalls ausdrücklich hingewiesen.

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Der Ausdruck temporaler Relationen in Lernersprachen

Christiane von Stutterheim

1. Einleitung In Texten werden komplexe Vorstellungen von Sachverhalten in eine lineare Abfolge von Äußerungen umgesetzt. Eine der Aufgaben, die der Sprecher dabei lösen muß, besteht darin, die einzelnen TeilInformationen zu einer kohärenten Struktur zu verbinden. Eines der wichtigsten hierzu verwendeten Strukturprinzipien stützt sich auf die zeitlichen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Komponenten der Gesamtvorstellung. So entstehen temporal organisierte Diskurse, wie z.B. Erzählungen, Berichte und Vorgangsbeschreibungen. Über den Ausdruck zeitlicher Konzepte in Texten gibt es eine Reihe von Untersuchungen: Hopper 1982, Kamp/Rohrer 1983, Labov/Waletzky 1967, Smith 1980, um nur einige zu nennen. Von ihnen unterscheidet sich die folgende in zweierlei Hinsicht. 1. Es wird das Zusammenspiel lexikalischer und grammatischer Ausdrucksmittel mit Prinzipien der impliziten Bedeutungsvermittlung betrachtet. 2. Der Ausdruck temporaler Konzepte wird anhand lernersprachlicher Texte untersucht. Ist ein Text temporal organisiert, so enthalten die einzelnen Äußerungen Angaben darüber, in welcher zeitlichen Relation der berichtete Sachverhalt zur vorausgehenden Information steht und möglicherweise auch, welche zeitliche Relation zum Sprechzeitpunkt gegeben ist. Fehlt eine solche temporale Angabe, so erschließt der Hörer die zeitliche Zuordnung auf Grund seines Weltwissens, bzw. seines einschlägigen Vorwissens. Dabei folgt er in seiner Interpretation im unmarkierten Fall dem "Prinzip 2 3 der chronologischen Abbildung". Dies besagt, daß Sachverhalte, die in aufeinanderfolgenden Äußerungen dargestellt werden, als chronologisch aufeinanderfolgend interpretiert werden. Man kann davon ausgehen, daß -

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mit den genannten Einschränkungen (vgl. Anm.1) - Texttypen, in denen Zeitkategorien strukturierend wirken, weitaus häufiger sind als andere, in denen z.B. räumliche oder logische Zusammenhänge vorrangig kohärenzstiftend sind. Wir nehmen an, daß auf Grund der Bedeutung des Zeitkonzepts für den Diskursaufbau unter den Aufgaben, die der erwachsene Lerner zu bewältigen hat, die Darstellung zeitlicher Relationen eine besondere Rolle spielt. Es ist für den Lerner wichtig, frühzeitig die temporalen Relationen im Diskurs ausdrücken zu können. Die Frage ist n u n , wie geht ein Sprecher, dem nur sehr begrenzte sprachliche Mittel zur Verfügung stehen, vor, um die notwendigen Informationen über die temporalen Relationen zwischen Sachverhalten zu vermitteln. Wir gehen davon aus, daß sich hier Prinzipien zeigen, die auch in der Standardsprache wirksam sind, in der sie allerdings als Grundlage für den Einsatz grammatischer und lexikalischer Ausdrucksformen eine besondere Rolle spielen. Im folgenden greifen wir einen Teilbereich aus einer größeren empirischen Untersuchung zum Zeitausdruck in der Zweitsprache heraus (vgl. v.Stutterheim 1986). Die Informanten waren türkische Arbeiter in West Berlin, die Deutsch ungesteuert erworben hatten und zum Zeitpunkt der Erhebung auf unterschiedlichem Niveau beherrschten. Die Analysen stützen sich im wesentlichen auf spontane Gesprächsdaten. Es ist hier nicht möglich, den theoretischen Rahmen der Analyse ausführlich darzulegen. Die folgenden Überlegungen zu den Themen "Zweitspracherwerb" und "Temporal itat" geben daher nur eine grobe Skizze einiger grundlegender theoretischer Konzepte.

2.

Theoretischer Rahmen

2.1. Zweitspracherwerb Im Gegensatz zu den noch bis vor kurzem vorherrschenden formbezogenen Untersuchungen zum Zweitspracherwerb ist der Ansatz, der dieser Analyse zu Grunde liegt, konzeptorientiert. Das Verhältnis von Ausdruck und Bedeutung in temporalen Angaben wird im Hinblick darauf untersucht, welcher Mittel sich die Lerner bedienen, um ein ihnen bekanntes Konzept

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mit den ihnen verfügbaren Mitteln auszudrücken. Dieser Ansatz versucht zwei Probleme zu lösen, die sich in früheren Untersuchungen zum Zeitausdruck in der Zweitsprache ergaben. -

Formbezogene Analysen bemessen in der Regel den Erwerbsverlauf nach dem Grad der Abweichung von der jeweiligen Zielsprache. Dies unterstellt eine gradlinige Annäherung an die Zielsprache im Verlauf des Spracherwerbs. Diese Annahme entspricht nicht dem realen Erwerbsverlauf.

-

Die Betrachtung einzelner Formen, wie zum Beispiel Tempus- und Aspektmarkierungen, erlaubt nur sehr bedingt Einblicke in Gründe für die einzelnen Erwerbsschritte. Da keine für den Lerner spezifischen eigengesetzlichen Verwendungsweisen von zielsprachlichen Formen erfaßt werden, kann der Weg vom ersten Auftreten einer Form bis zur Beherrschung der entsprechenden Regel nicht nachgezeichnet werden. Dieser Weg ist entscheidend bestimmt durch die Interaktion verschiedener Ausdruckssysteme (Syntax, Lexikon, Diskursprinzipien) einer Lernersprache. Auch diese Zusammenhänge werden in Form-orientierten Analysen nicht berücksichtigt.

Die konzeptbezogene Analyse geht den umgekehrten Weg, vom Begriff zur sprachlichen Form. Sie ist damit als Fortsetzung funktionaler Ansätze zu verstehen, die in den letzten Jahren Eingang in die Zweitspracherwerbsforschung gefunden haben. Diese Betrachtungsweise entspricht in gewisser Hinsicht dem Vorgehen des Lerners im ungesteuerten Zweitspracherwerb. Der erwachsenen Lerner bringt eine ausgebildete konzeptuelle Struktur in den Erwerbsprozeß ein, die - so die Annahme - wichtige Kriterien für den Spracherwerb liefert. Verdeutlichen wird dies am Beispiel der Temporalität. Der Begriff "Temporalität" bezieht sich im weitesten Sinne auf temporale Eigenschaften von Sachverhalten sowie auf zeitliche Relationen zwischen Sachverhalten. Alle Sprachen haben sprachliche Mittel zum Ausdruck temporaler Subkategorien ausgebildet, wobei Art und Grad der Differenzierung temporaler Konzepte von Sprache zu Sprache verschieden sind. Es geht hier nicht darum, wie diese Konzepte im einzelnen zu bestimmen sind ( v g l . hierzu 2 . 2 . ) , sondern um die generelle Annahme, daß die

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begriffliche Struktur des Zeitkonzepts, über das ein Erwachsener auf der Grundlage seiner Muttersprache verfügt, für ihn einen "Leitfaden" dafür angibt, in welcher Abfolge er temporale Ausdrucksmittel in der Zweitsprache erwirbt und in welcher Weise er diese Mittel im Diskurs einsetzt.

2.2.

Temporalität

Grundsätzlich lassen sich drei Möglichkeiten unterscheiden, wie Sachver8 halte zu zeitlichen Kategorien in Beziehung gesetzt werden können. 1.

Temporale Eigenschaften erscheinen als inhärente Merkmale von Sach9 verhalten. Die beiden wesentlichen Kategorien, die für die Bestimmung der inhärenten Eigenschaften maßgeblich sind, sind Begrenzung und Dauer. Begriffe wie "punktuell", "durativ", "terminativ", "resultativ" lassen sich mit den Merkmalen [+/- Dauer] und [+/- Grenze] beschreiben (wobei im Hinblick auf letzteres zwischen rechter und linker Grenze zu unterscheiden ist). Hinzu kommen Unterschiede, die sich auf die Art des Geschehens beziehen, ob es z.B. gleichförmig verläuft oder ob Veränderung stattfindet (kursiv versus mutativ), ob das Geschehen unterbrochen verläuft oder ob es aus wiederholten Geschehnissen zusammengesetzt ist (kontinuativ versus iterativ). Letztere sind für die Frage der temporalen Relationen im Diskurs von geringer Bedeutung. Wie im folgenden an den Texten deutlich werden wird, sind die Merkmale [Dauer] und [Grenze] für den Aufbau temporaler Kohärenzstrukturen entscheidend. Inhärente temporale Eigenschaften ergeben sich nicht nur für einzelne lexikalische Ausdrücke (z.B. Verben), sondern auch für Gruppen von Ausdrücken sowie für ganze Äußerungseinheiten.

2.

Von einem Betrachterstandpunkt aus wird eine zeitliche Perspektive in Bezug auf Sachverhalte eingeführt, wobei gilt: "the speaker is not concerned with the structure of the situation in the real world." (King, p.131) Diese in der Literatur als "Aspekt" bezeichnete Kategorie (vgl. u.a. Comrie 1976, Hopper 1982) ordnet Sachverhalte zeitlich einem vom Sprecher gewählten Referenzpunkt zu. Ein und derselbe Sachverhalt

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kann daher in Abhängigkeit von der gewählten Perspektive unterschiedliche aspektuelle Eigenschaften enthalten. Grundsätzlich lassen sich zwei Möglichkeiten zeitlicher Perspektivierung unterscheiden. Der Sachverhalt kann in Bezug auf den Referenzpunkt als abgeschlossen (perfektiv) oder als im Verlauf befindlich (imperfektiv) dargestellt werden. Im ersten Fall wird eine rechte zeitliche Grenze eingeführt ("wohnen" - "gewohnt") [+Gr], der imperfektive Aspekt dagegen schließt eine zeitliche Begrenzung aus. Dort, wo es sich um in der Realität begrenzte Sachverhalte handelt, blendet dieser Aspekt die Grenzen aus ("gestern kochte er das Mittagessen [+Gr], dann..." und "er kochte gerade das Mittagessen t-Gr], als..."). Für die Darstellung interner zeitlicher Relationen zwischen Sachverhalten im Diskurs kommt dieser Kategorie entscheidende Bedeutung zu. Auf das Zusammenspiel von inhärenten temporalen Eigenschaften und aspektueller Kategorien werden wir anhand der Textbeispiele eingehen. 3.

Zeitliche Eigenschaften von Sachverhalten können anhand einer abstrakten Zeitstruktur festgelegt werden. Diese Struktur ist in Abstraktion von den konkreten Geschehensverläufen gewonnen und in der Vorstellung der Zeitachse objektiviert. Das Bild einer aus der Vergangenheit in die Zukunft gerichteten Zeitachse erfaßt drei wesentliche Eigenschaften unseres Zeitkonzepts: die Linearität, die Sequentialität und die Direktionalität. Damit sind die begrifflichen Voraussetzungen gegeben, um Zeitrelationen zwischen Sachverhalten zu bestimmen. Durch die Setzung von Orientierungspunkten auf der Zeitachse wird das Zeitkontinuum aufgebrochen. Das "Jetzt" des Sprechers liefert den "primären" Orientierungspunkt, der die Zeitachse in Vergangenheit und Zukunft aufgliedert. Daneben gibt es konventionell festgelegte Orientierungspunkte, wie z.B. Christi Geburt, die Verankerungen von kalendarischen Systemen ermöglichen. Mit Hilfe von Orientierungspunkten sowie einer Zeitmetrik lassen sich Sachverhalten zeitliche Positionen zuordnen.

Diese grundlegenden temporalen Konzepte werden in den Sprachen unterschiedlich behandelt. Sie besitzen unterschiedliches Gewicht, je

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nachdem, welche Ausdrucksmittel einer Sprache für die jeweiligen Kategorien zur Verfügung stehen. So verlangt zum Beispiel eine Sprache eine obligatorische grammatische Markierung für ein Konzept, das in einer 10 anderen Sprache nur im Bedarfsfall lexikalisch ausgedrückt wird. Ein solcher Unterschied besteht zwischen dem Türkischen und dem Deutschen im Falle der Aspektmarkierung. Das Türkische verlangt obligatorisch eine aspektuelle Markierung am Verb, die temporale Zuordnung von Sachverhalten im Diskurs kann allein durch den Verbalaspekt markiert werden.

z.B. (1) Pencerinin önünde duru-yor-du (imperfekt. Aspekt). bir ^ey söylemeden ar'ildim. (aspektuell unmarkiert) Sie stand vor dem Fenster. Ohne etwas zu sagen ging ich weg. Im Deutschen ist der Zusammenhang entweder aus dem aktionalen Eigenschaften der dargestellten Sachverhalte erschließbar (vgl. Beispiel 1), oder eine subordinierende Konjunktion oder ein Zeitadverbial trägt diese Information. Damit soll nicht gesagt werden, daß deutsche Tempora nicht auch Aspekteigenschaften besitzen. Hier geht es jedoch um die systematische Unterscheidung zwischen imperfektivem und perfektivem Aspekt auf verschiedenen Zeitstufen. Diese Unterscheidung findet sich im deutschen Tempussystem nicht (vgl. im Unterschied dazu das Französische, in Kamp/Rohrer 1983). Eine konzept-bezogene Analyse von Erwerbsprozessen geht davon aus, daß die beim Erwachsenen ausgebildeten konzeptuellen Strukturen Erwerbsverlauf und Gebrauch der Zweitsprache beeinflussen. Der Einfluß sprachspezifischer Kodierungsformen in der Muttersprache auf die Zweitsprache ist damit nicht notwendig verbunden. Um die Rolle der Ausgangssprache bestimmen zu können, müßte eine vergleichende Analyse des Deutschen und Türkischen angestellt werden und es müßten Sprecher mit anderer Ausgangssprache zum Vergleich herangezogen 12 werden. Dies kann hier nicht geleistet werden. Im folgenden werden wir uns daher zur Frage der Interferenz auf Hinweise beschränken.

348

3.

Ausdruck der Zeitrelationen im Diskurs

3.1. Zeitliche Zuordnung Welches sind die wesentlichen Informationen, die der Sprecher geben muß, um für den Hörer die zeitliche Anordnung der berichteten Sachverhalte transparent zu machen? Eine Möglichkeit bestünde darin, Sachverhalt für Sachverhalt zeitlich zu verankern. Jede Äußerung müßte dann eine Angabe zur temporalen Einordnung enthalten. Die interne Zuordnung der Sachverhalte ließe sich daraus erschließen. In der Standardsprache ist diese Form der Darstellung ein Stilmittel, das für Texttypen wie Lebenslaufe und Reportagen charakteristisch ist. In den elementaren Lernersprachen finden sich Beispiele dieser Strategie auch in erzählenden Texten. Auf der Grundlage des Kalendersystems oder auch persönlicher Lebensdaten, die die Funktion kalendarischer Angaben übernehmen können, wird im Diskurs Sachverhalt für Sachverhalt unabhängig von einander eingeordnet.

z.B. (2) "1969 Deutschland komme Juli 72 Türkei heirate Dezember 1972 meine Frau komme..." Abgesehen davon, daß dieses Verfahren relativ aufwendig ist, versagt es dort, wo die zeitliche Einordnung der Ereignisse im einzelnen nicht bekannt ist. Der Sprecher muß daher neben der zeitlichen Verankerung auch zeitliche Relationen zwischen den Sachverhalten ausdrücklich kennzeichnen. Die beiden Skizzen zeigen die unterschiedlichen Vorgehensweisen zur Darstellung temporaler Verhältnisse im Diskurs.

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(3) (a)

(b)

•I-

1

Verankerung von x und x , die Relation wird erschlossen

relationale Zuordnung von über , Einordnung von auf der l 2 Zeitachse kann erschlossen werden.

Bei der relationalen Zuordnung lassen sich grundsätzlich zwei Arten der internen temporalen Zuordnung unterscheiden, die vom Sprecher kenntlich gemacht werden müssen. Die Zeitreferenz der Äußerung kann sich entweder durch eine Verschiebung auf der Zeitachse ergeben ("nach"- und "vor"-Relation) oder sie ergibt sich durch eine Erhaltung der Zeitreferenz aus (Gleichzeitigkeitsrelation, bzw. Überlappung). Unter Anwendung dieser Kategorien lassen sich temporale Strukturen in Diskursen als "referentielle Bewegungen" beschreiben. Dies besagt, daß Zeitreferenzen, die Äußerung für Äußerung (explizit oder implizit) gegeben werden, miteinander verkettet sind. Dabei sind zwei Arten von Verkettung möglich. Eine Äußerung kann entweder einen Referenzrahmen ( R f ) oder einen Referenzpunkt (Rp) für die Folgeäußerung liefern. Im ersten Fall bleibt die Zeitreferenz vollständig oder in Teilen erhalten. (4) Er stand am Fenster. -Gr Seine Blicke wanderten die Straße auf und ab. Er stand am Fenster. -Gr Wortlos verließ sie den Raum.

Rf Erhaltung

Rf partielle Erhaltung

Im zweiten Fall wird die Zeitreferenz weitergeschoben, es findet Bewegung in der Zeit statt.

350

(5) Sie verließ das Zimmer. +Gr Auf dem Flur blickte sie in den Spielgel.

Rp Verschiebung

Welcher der beiden Typen im einzelnen wirksam wird, hängt nicht nur von den temporalen Eigenschaften der dargestellten Sachverhalte, sondern auch von der Gesamtstruktur eines Textes ab. Handelt es sich um narrative Texte, in denen Ereignisfolgen berichtet werden, so verläuft die referentielle Bewegung als Verschiebung von Referenzpunkten. Wird ein unbegrenzter Zustand eingeführt, so erhält dieser jeweils den zuletzt eingeführten Referenzpunkt. (6) Sie betrat das Zimmer. +Gr Es war stockdunkel. -Gr Beunruhigt verließ sie den Raum wieder.

Rp Erhaltung Verschiebung

In deskriptiven Texten (z.B. Situations- und Objektbeschreibungen) ist die Zeitstruktur durch die Erhaltung eines zu Beginn gegebenen Referenzrahmens gekennzeichnet. Ereignisse werden als innerhalb dieses Zeitintervalls liegend eingeordnet. (7) Der Lebensunterhalt war sehr teuer. -Gr Einmal kam ein Verwandter mit einem großen Geschenk. +Gr Sie konnte sich so etwas nicht leisten.

Rf partielle Erhaltung Erhaltung

Hier wird das singuläre Geschehen in der zweiten Äußerung durch die vorausgehende und folgende Äußerung, die beide auf Zustände referieren, nicht als Referenzpunkt wirksam, sondern wird dem durch die erste Äußerung aufgerufenen Referenzrahmen zugeordnet. Das "Verlassen" einer temporalen Struktur im Diskurs, z.B. durch bewertende Kommentare oder generische Aussagen, greift nicht in den Verlauf der referentiellen Bewegung ein. Solche Äußerungen enthalten eine eigene Zeitreferenz, die aber für die referentielle Bewegung ohne Konsequenzen bleibt. Über diese Äußerungen hinaus bleibt die zuletzt als Bestandteil der Referenzstruktur gegebene Zeitreferenz gültig. Durch welche Mittel ein "Ausstieg" bzw. eine "Wiederaufnahme" gekennzeichnet werden, soll hier nicht untersucht werden. Wir beschränken uns im folgenden auf die

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Betrachtung der beiden Grundtypen zeitlicher Verknüpfung, Verschiebung und Erhaltung. Damit schließen wir auch die Fälle aus, bei denen temporale Strukturen mehrere Ebenen der Zuordnung beinhalten, z.B. die Erhaltung eines übergeordneten Referenzrahmens und die gleichzeitige Verschiebung der Ereigniszeit. Die wichtigste Rolle für die referentielle Verschiebung kommt der Kategorie der zeitlichen Begrenzung zu (vgl. die Beispiele ( 4 ) - ( 7 ) oben). Weist ein Sachverhalt eine zeitliche Begrenzung a u f , die, im Bilde der Zeitachse gesprochen, einen Endpunkt, eine rechte Grenze des Zustandes oder Ereignisses bedeutet, so kann diese zum Referenzpunkt für die folgende Äußerung werden. Handelt es sich in einer Äußerung jedoch um eine "nach rechts hin offene" Zeitreferenz, so kann keine Verschiebung stattfinden. Die Äußerung wird zum Referenzrahmen für die folgende oder sie erhält die Zeitreferenz einer vorhergehenden Äußerung. Wie der Sprecher vorgeht, um die Informationen zu geben, die für die Interpretation der referentiellen Bewegung notwendig sind, soll nun an Texten untersucht werden.

3.2.

Referentielle Bewegung in Texten von Zweitsprachensprechern

Die Datengrundlage bilden Erzählungen von Sprechern mit unterschiedlicher Sprachkompetenz im Deutschen, beginnend mit sehr elementaren Lernersprachen. Um zu verdeutlichen, was darunter zu verstehen ist, ist in Tabelle 1 das vollständige Inventar von Zeitausdrücken eines Sprechers zusammengestellt (Gesamtkorpus 2000 Wörter). Dieser Sprecher war zum Zeitpunkt der Aufnahme 30 Jahre alt und lebte seit 11 Jahren in Deutschland. Dieses Inventar ist in verschiedener Hinsicht typisch für früh fossilierte Lernersprachen. Es umfaßt Kalenderangaben und deiktiscne Adverbien zur temporalen Einordnung, einge Ausdrücke zur differenzierten Darstellung der Folgerelation, aber kein Adverb zum Ausdruck der Vorzeitigkeitsrelation.

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Tab. 1: Vollständiges Inventar temporaler Ausdrücke eines Lerners temporale Verankerung diese + Kalender jetzt ein Tag Bezugszeiten Kalender jeden früh abends mittags immer temporale Relation* (und) dann nachher sofort noch wieder nochmal erstmal

(92x) (1x) (6x) (1x) (6x)

Ende fertig * Wir geben zu diesen Audsrücken die Vorkommenshäufigkeit, da sich hier anders als bei den übrigen Zeitangaben - große Unterschiede zeigen. Die unter Aspekt aufgeführten Wörter werden im Diskurs verwendet, um eine zeitliche Begrenzung zu setzen, die nicht bereits inhärent gegeben ist (siehe unten).

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(8) "und dann meine soldat fertig ende ich wieder zurück meine Vater..." (9) "aber Seh. sprechen ende Vezir viel lachen..." Tempusformen hat dieser Sprecher nicht erworben. Zusammenfassend läßt sich sagen: ein sprachliches System dieser Art deckt einige wichtige Aufgaben temporaler Organisation im Diskurs ab. Sachverhalte können eingeordnet und die referentielle Verschiebung kann entsprechend der realen Chronologie - explizit markiert werden. Ohne weitere Ausdrucksmittel wäre damit jedoch ein sehr enger Rahmen gesetzt (Einordnung und Folge), und es stellt sich nun die Frage, welche Mittel darüberhinaus Sprecher zum Ausdruck komplexerer zeitlicher Relationen einsetzen. Ein von allen Sprechern auf dieser Stufe beschrittener Weg ist der Rückgriff auf gemeinsames Wissen der Gesprächspartner. Sind zum Beispiel zeitliche Zuordnungen von Sachverhalten bereits auf Grund gemeinsamer Erfahrungen oder früher ausgetauschter Informationen dem Hörer bekannt, so wird dieses Wissen bei der erneuten Nennung des Sachverhalts (oder eines Ausschnitts) mit aufgerufen. Da es hier jedoch um die Frage geht, wie die Lerner zeitliche Zuordnungsrelationen im Diskurs transparent machen, werden im folgenden nur Fälle betrachtet, in denen der Hörer tatsächlich erfahren muß, in welcher zeitlichen Beziehung die berichteten Sachverhalte zueinander stehen. Eine Möglichkeit, die temporalen Beziehungen zu vermitteln, besteht d a r i n , sich auf die inhärenten zeitlichen Eigenschaften eines Sachverhaltes zu stützen (vgl. die Kategorie 1 unter 2 . 2 . ) . Betrachten wir hierzu zwei Beispiele.

(10) (10.1) (10.2) (10.3) (10.4)

Junge Fahrrad Straße gehen viel Auto viel kommt Fahrrad Unfall Auto Schuld

(10.5) Kollege Telephon anrufen ( 1 0 . 6 ) Polizei komm

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Rp.x

) Rp-X \ Rp 3 y

(11)

(11.1) (11.2) (11.3) (11.4) (11.5) (11.6) (11.7) (11.8) (11.9)

Fenster gucken hier so Balkon Balkon Türkei und dann U n f a l l Krankenhaus Operation / an zwei Monate Krankenhaus und dann Operation bißchen gut, nicht tot

Die temporale Struktur der ersten kleinen Erzählung ist erschließbar, obwohl keinerlei Zeitangaben darin vorkommen). Die inhärenten temporalen Eigenschaften der einzelnen Tel l Informationen liefern den Schlüssel zur angemessenen Deutung. In den Äußerungen (10.2) und ( 1 0 . 4 ) werden Zustände beschrieben, für die keine zeitliche Begrenzung eingeführt ist. Sie bewirken eine Erhaltung des vorhergehenden Referenzpunktes, eine Verschiebung wird nur durch die Ereignisse in ( 1 0 . 3 ) , (10.5) und ( 1 0 . 6 ) vollzogen (vgl. Beispiel 6). In der zweiten Erzählung verläßt sich der Sprecher zunächst auf die inhärenten temporalen Eigenschaften der berichteten Ereignisse sowie auf allgemeines Wissen über Häuser, U n f ä l l e , Krankenhäuser etc. ( 1 1 . 1 ) bis (11.6). Dementsprechend nimmt man an, daß das Ereignis in ( 1 1 . 6 ) unmittelbar auf das Ereignis in ( 1 1 . 5 ) gefolgt ist. In ( 1 1 . 7 ) korrigiert sich der Sprecher, indem er eine explizite Zeitangabe h i n z u f ü g t . Ohne diese Angabe wäre vom Hörer eine falsche Zeitstruktur des Geschehensverlaufs erschlossen werden. Die Strategie, temporale Strukturen auf der Grundlage aktionaler Merkmale der berichteten Sachverhalte aufzubauen, steht dem Lerner von Anfang an zur Verfügung. Wie das Beispiel eben gezeigt hat, ergeben sich dabei allerdings ernsthafte Beschränkungen, die den Erwerb weiterer sprachlicher Ausdrucksmittel zur Zeitreferenz vorantreiben. -

Sachverhalte, die in sich unbestimmt sind im Hinblick auf die gorie der Grenze, können so nicht eingeordnet werden.

-

Möchte ein Sprecher Sachverhalte entgegen ihren inhärenten Eigenschaften in die temporale Struktur einfügen, zum Beispiel ein begrenztes Ereignis nicht als Referenzpunkt wirksam werden lassen, so muß er dies kenntlich machen.

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Kate-

Für diesen Zweck entwickeln Lerner bereits in einem frühen Lernprozesses sprachliche Audsrucksformen: (12)

I lernen bin ich 5 Jahre

Stadium des

gleichzeitig

II keine verdien (13)

I viel arbeiten ich bin jetzt II nicht mehr deutsch lernen

(14a)

I ich bin Deutschland arbeiten

gleichzeitig

gleichzeitig

II bißchen Geld sparen (14b)

I ein Jahr privat arbeiten

Folgerelation

II und dann Berlin Forsten Diese Sprecher verwenden eine analytische Verbform, um die aspektuelle 16 Kategorie "imperfekt" zu markieren. Die Kopula bin wird dann mit dem Verb kombiniert, wenn eine Äußerung als Referenzrahmen für die Folgeäußerung interpretiert werden soll. Die beiden Beispiele (14a) und ( 1 4 b ) , die von einem Sprecher geäußert wurden, zeigen, wie er die Opposition zwischen "ich bin + Infinitiv" und "Infinitiv" einsetzt, um unterschiedliche temporale Beziehungen auszudrücken. Sprecher, die diese Form des Verbalaspekts ausgebildet haben, verwenden sie nicht durchgängig in allen entsprechenden Kontexten, sondern vorwiegend dort, wo eine an sich begrenzte oder im Hinblick auf ihre zeitliche Begrenzung unbestimmte Äußerung als Referenzrahmen dienen soll. In diesen Fällen könnten die inhärenten temporalen Eigenschaften den Hörer zu falschen Inferenzen veranlassen. Dieser Befund legt die Annahme nahe, daß es sich hier um das Produkt eines Übertragungsprozesses aus der Muttersprache handelt. Der Aspekt stellt eine obligatorische grammatische Kategorie im Türkischen dar. Dies könnte die Grundlage dafür sein, daß die Sprecher sich Ausdrucksmittel für diese konzeptuelle Kategorie in der Zweitsprache schaffen. Vergleiche mit italienischen Lernern des Deutschen bestätigen die Annahme einer Transferstrategie. Diese Sprecher haben keinen Verbalaspekt entwickelt. Andererseits belegen Untersuchungen von Pidginsprachen den generellen

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Vorrang von aspektuellen Markierungen vor Tempusmarkierungen. ( V g l . Bickerton/Odo 1976, Givon 1982). Diese Ergebnisse werden dahingehend interpretiert, daß Gründe für die frühe Ausbildung von Aspektsystemen in universalen Prinzipien zu suchen seien. Die Klärung dieser Frage - die sich im übrigen auch für andere sprachliche Bereiche stellt - muß weiteren, sprachvergleichenden Untersuchungen überlassen bleiben. Eine alternative oder auch komplementäre Möglichkeit, temporale Zuordnungsverhältnisse auszudrücken, besteht d a r i n , einen perfektiven Aspekt zu markieren. Durch den perfektiven Aspekt wird eine zeitliche Grenze eingeführt, die Äußerung liefert damit einen Referenzpunkt für die Folgeäußerung. Die formale Opposition zwischen einer perfektiv markierten Verbform und der unmarkierten Form ermöglicht dem Sprecher bis zu einem gewissen Grade eine von den inhärenten temporalen Merkmalen unabhängige Gestaltung der referentiellen Bewegung. Die folgenden Beispiele zeigen, daß der Gebrauch des Partizip Perfekt diskursgesteuert ist. Die Form wird dort verwendet, wo ein Referenzpunkt für die Folgeäußerung etabliert werden soll. Stellt eine Äußerung den Abschluß einer Episode dar, wird also kein weiteres Ereignis zeitlich angebunden, so gebraucht der Sprecher den I n f i n i t i v ( v g l . die Beispiele (16) und ( 1 7 ) ) . Es handelt sich hier um zwei Sprecher, die eine systematische Markierung (Partizip Perfekt) des perfektiven Aspekts vornehmen. Es werden nicht selektiv nur diejenigen Verben markiert, deren inhärente temporale Eigenschaften die intendierte Zeitrelation nicht zu erschließen erlauben ( z . B . essen, fahren), sondern regelhaft alle Prädikate, die Referenzpunkte liefern sollen. (15) damals bin ik auf kleine Dorf gefahren das nicht viel Auto da ik hab da volle Pulle 80 oder 100 fahren ik hab da gesehen... In den folgenden Beispielen stammen die Äußerungen (a) und (b) jeweils von dem selben Sprecher und beziehen sich auf denselben Sachverhalt. (16a) Arzt gekommen alles fertig gemacht und dann küß Hände...

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(16b) Große Feier gemacht und nachher Arzt kommen (17a) Arme Mann gut gegessen und dann Geld gegeben und d a n n . . . (17b) Wesir Spaß gemacht und dann arme Mann richtig essen Die Funktion, die hier durch das Partizip Perfekt erfüllt wird, wird in elementaren Lernersprachen etwas weniger elegant durch lexikalische Ausdrücke wie fertig Ende ( v g l . Tab.1) abgedeckt. Diese Beobachtungen zeigen, daß die Kategorien der temporalen Zuordnung am Ausgangspunkt der Entwicklung eines grammatischen Systems zur Zeitreferenz stehen. Sie bestätigen damit die zu Beginn dargestellte Annahme, daß es sich dabei um konzeptuelle Kategorien handelt, denen eine entscheidende Funktion für den Aufbau kohärenter Diskurse zukommt. Neben den lexikalischen und grammatischen Ausdrucksmitteln findet sich in den Lernersprachen ein weiterer Träger zeitrelationaler Information. Die Anordnung der Äußerungen wird zum Mittel, um zeitliche Zusammenhänge darzustellen. Solche Diskursorganisationsprinzipien gelten nicht nur in Lernersprachen. Wie oben bereits angesprochen, gilt in der Standardsprache im unmarkierten F a l l , was für den Lerner ein Grundprinzip ist: die Abfolge der Äußerungen spiegelt die Chronologie der Ereignisse wider. Nur auf dieser Grundlage können die inhärenten temporalen Eigenschaften zum Kriterium der Referenzverschiebung werden. Aufbauend auf diesem P r i n z i p der chronologischen Abbildung haben die Lerner weitere Diskursorganisationsprinzipien entwickelt, in denen sie die Abweichung von dem Grundprinzip zum Bedeutungsträger temporaler Information machen. Es handelt sich dabei um Klammerkonstruktionen, bei denen eine Äußerung nach einer oder mehreren weiteren Äußerungen manchmal in leichter Abwandlung noch einmal wiederholt wird nach dem Muster ( A ) , ( B , C , . . . ) ( A 1 ) . Die Wiederholung bricht das Prinzip der chronologischen Abbildung und verlangt daher eine Interpretation, bei der die Elemente innerhalb der Klammer als zeitlich zugeordnet verstanden werden. Die Verschiebung des Referenzpunktes von Äußerung zu Äußerung wird durch die Wiederholung unterbrochen, es bleibt die Referenzzeit von (A) für ( B , C . . . ) gültig. Ob das Zuordnungsverhältnis das der Gleichzeitigkeit (zwei Zustände, wie in

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Beispiel ( 1 9 ) ) oder der Überlappung (Ereignis und gleichzeitig gegebener Zustand, wie in Beispiel (18)) ist, läßt sich aus den inhärenten temporalen Eigenschaften der dargestellten Sachverhalte erschließen. Diese Darstellungsform ermöglicht die Einführung zeitlicher Reliefstrukturen ohne den Gebrauch subordinierter Temporalausdrücke. Dabei wird die Zusammengehörigkeit einer verklammerten Äußerungsgruppe häufig durch Subjektellipse unterstützt. (In den folgenden Beispielen ist der Rahmen jeweils mit A - A' gekennzeichnet.) (18) "...er machen und dann Werkstatt Meister sofort Polizei gehen ich nicht hören ich Hotel schlafen Polizei gehen" (19) "ich arbeite alles lernen Werkzeug, Chef sagen jetzt ich arbeite alles"

A A1 A A1

Das gleiche Prinzip - die Klammerbildung - wird von Lernern auch auf Äußerungsebene eingesetzt. In diesem Fall wird eine Äußerung aufgespalten und eine zweite Äußerung eingeschoben. Auch hier können die Äußerungen nicht nach dem Prinzip der chronologischen Abfolge interpretiert werden. Die eingebettete Äußerung wird als zeitlich zugeordnet verstanden. Die Klammer auf Äußerungsebene ersetzt für den Lerner zunächst die sprachlichen Mittel temporaler Subordination. (20) Meine Frau diese Jahre och - Urlaub zurück - och anfang hier arbeiten (21) Dann Firma - viel Leute komm - Firma nich gut (22) Ich habe erstmal, wenn ich wollte Deutschland kommen, erstmal in meine Stadt Arbeitsamt gegangen In Beispiel (22) hat der Sprecher zwar schon die subordinierende Konjunktion erworben, ordnet seine Äußerungen aber noch nach dem "Klammerprinzip". Diese Klammerkonstruktion könnte auf strukturellen Transfer aus dem Türkischen zurückzuführen sein. Dort kann durch Nachstellen bereits

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genannter oder präsupponierter Informationen in postverbaler Position ein zeitlicher oder logischer Rahmen für eine Äußerung geschaffen werden. Auch für diese Erklärung sind jedoch die gleichen Bedenken angebracht, wie sie oben zur Aspektübertragung angeführt wurden.

4. Schlußbemerkung Fassen wir abschließend zusammen, was sich aus den Analysen über den Ausdruck temporaler Konzepte in Lernersprachen ergeben hat. 1.

Bereits auf einem sehr niedrigen Niveau der Sprachbeherrschung finden sich längere temporal organisierte Textpassagen. Die Interpretation dieser Texte ist trotz fehlender expliziter Zeitmarkierungen möglich, weil sich die Sprecher in den Fällen, in denen eine Verschiebung der Zeitreferenz vorliegt, strikt an das Prinzip der chronologischen Abbildung halten und die Unterscheidung zwischen Erhaltung und Verschiebung der Zeitreferenz aus den inhärenten temporalen Eigenschaften der dargegestellten Sachverhalte zu erschließen ist. Diese Vorgehensweise findet sich nicht nur bei Lernern. Sie nutzen hier lediglich Prinzipien, die auch in der Standardsprache den unmarkierten Fall in temporal organisierten Texten darstellen.

2.

Anordnungsprinzipien und implizite Zeitreferenz beschränken die Darstellungsmöglichkeiten vor allem in einem wesentlichen Punkt: Sie erlauben keine Perspektivierung (vgl. 2 . 2 . ) der temporal verketteten Sachverhalte. Die ersten grammatischen Zeitformen in den Lernersprachen dienen dieser Funktion. Sie sind diskurs-motiviert, denn sie markieren Zeitrelationen zwischen zwei Sachverhalten. Die Lerner haben unterschiedliche Systeme ausgebildet. Entweder wird ein imperfektiver Aspekt als markiert anderen Formen gegenübergestellt, oder ein perfektiver Aspekt steht in Opposition zu einer aspektneutralen Form.

3.

Auch bei fortgeschrittenen Lernern ergibt sich die Verständlichkeit temporaler Kohärenz in Texten aus dem Zusammenspiel lexikalischer und grammatischer Ausdrucksmittel mit Anordnungsprinzipien und Formen impliziter Zeitreferenz.

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Dieses Zusammenspiel kann nur erfaßt werden, indem die konzeptuellen Kategorien an den Ausgangspunkt der Analyse gestellt werden. Für die Untersuchungsmethode bedeutet dies, daß nicht nach der Bedeutung isolierter Tempusformen oder Zeitadverbien gefragt wird, sondern zunächst alle Mittel zum Ausdruck temporaler Organisation in Texten (eingeschlossene Formen der impliziten Referenz) zusammengestellt werden. Erst auf dieser Grundlage lassen sich dann Funktionen der einzelnen Formen bestimmen. Diese Betrachtungsweise könnte auch Einblicke in Bedeutung und Funktion zeitreferentieller Ausdrucksmittel in voll entwickelten Sprachen geben. Auch dort sind Prinzipien der impliziten Bedeutungskonstitution wirksam. Im Unterschied zu den Lernersprachen treten sie jedoch auf Grund ausgestalteter Syntax und Morphologie weniger klar in Erscheinung.

Anmerkungen 1. Ob es sich dabei um ein universales Prinzip handelt, ob dem Zeitkonzept in allen Kulturen diese herausragende Rolle zukommt, oder ob es sich um kulturspezifische Formen der Wirklichkeitsverarbeitung handelt, soll hier nicht diskutiert werden. Alle Aussagen, die im folgenden über Zeitkonzepte gemacht werden, beanspruchen nur in Bezug auf die hier behandelten Sprachen - das Türkische und das Deutsche Gültigkeit. Vgl. hierzu Untersuchungen zur temporalen Referenz in Erzählungen und zur Projektion räumlicher und logischer Strukturen auf zeitliche Strukturen in Wegbeschreibungen und Argumentationen: Klein 1983, Labov/Waletzky 1967, Linde/Labov 1975, Ullmer-Ehrich 1979, Weinrich 1964. 2.

V g l . zum P r i n z i p der chronologischen Abbildung, Labov/Waletzky 1967.

3.

Der Terminus "Sachverhalt" wird im folgenden als hinsichtlich zeitlicher Eigenschaften neutraler Begriff für "Ereignisse", "Prozesse" und "Zustände" verwendet.

4.

Diese Fragestellung macht deutlich, daß es in der vorliegenden Untersuchung um den Gebrauch und weniger um Fragen des Erwerbs einer Zweitsprache geht. Mit Fragen des Erwerbs von Zeitausdrücken beschäftigt sich der Beitrag von Kuberg/Dittmar in diesem Band.

5.

Die Daten wurden mit dem Ziel erhoben, möglichst umfangreiches Material zum Ausdruck temporaler Konzepte zu gewinnen. Als beste Quelle hierfür erwiesen sich längere Erzählpassagen, in denen der Informant von eigenen Erlebnissen berichtete. Daneben wurden aber auch Elizitierungstechniken verwandt, wie Nacherzählungen, Übersetzungen und Rückübersetzungen eigener Äußerungen.

361

6.

Vgl.

z.B.

Andersen, 1981,1984, HPD 1975.

7.

Dittmar 1982, Huebner 1983, Klein 1984, Perdue 1984, Pfaff 1986.

8.

Vgl. neben vielen anderen Bach 1981, Bäuerle 1979, Bull 1960, Comrie 1976 und 1985, H . G . Klein 1974.

9.

Ich verwende nicht den Begriff "Aktionsart", der sich im wesentlichen mit dem hier beschriebenen Konzept deckt, da "Aktionsarten" den Verben zugeschrieben werden (vgl. Grundzüge 1981, H.G. Klein 1974, Vendler 1957). Hier geht es jedoch um ein temporales Konzept, das nicht an eine bestimmte sprachliche Form gebunden ist. Es kann zum Beispiel auch verblosen Äußerungen inhärent sein.

10. Die unterschiedlichen Systeme, die Sprachen zum Zeitausdruck ausgebildet haben, lassen erwarten, daß auch die Darstellung der Sachverhalte im Diskurs unterschiedlichen Bedingungen unterliegt. Man kann zwar im Prinzip dieselben Informationen in den verschiedenen Sprachen geben, aber man muß diese Informationen unterschiedlich "aufbereiten", d . h . anordnen, gliedern etc. 11. V g l . Johanson 1971, für eine Zusammenfassung der Türkischen v. Stutterheim 1986. 12.

Zeitausdrücke im

Nur so kann vermieden werden, daß man durch scheinbar eindeutige Phänomene zu vorschnellen Erklärungen verleitet wird. Denn das, was als Übertragung aus der Muttersprache erscheint, könnte auch auf universale Prinzipien zurückzuführen sein, die sich in der Ausgangssprache sowie in der Lernersprache geltend machen (vgl. Perdue 1984).

13. V g l . hierzu die Arbeiten von Kamp/Rohrer 1983, C. Smith allerdings wesentlich an Tempusformen orientiert sind.

1980,

die

14. Alle die in den Beispielen dargestellen Zuordnungsrelationen lassen sich durch explizite, z.B. adverbiale Zeitangaben verändern. ( V g l . hierzu Kamp/Rohrer 1983, S.258). 15. Wir haben hier das allgemeine Prinzip der referentiellen Bewegung für die Zeitreferenz dargestellt. Im konkreten Fall kann der Verlauf komplizierter ausfallen. Beispielsweise kann eine zeitliche Begrenzung für eine Äußerung A erst durch c"ie Folgeäußerung B eingeführt werden (das Adverb dann stellt ein solches Mittel dar). 16. Eine ausführliche Diskussion dieser Formen findet sich in v. Stutterheim 1986. Auch andere Untersuchungen belegen diese Verbalform, vgl. z.B. Kuhberg/Dittmar in diesem Band. 17.

Für diese Funktion können auch Ausdrücke eingesetzt werden, die aus anderen konzeptuellen Bereichen stammen und eine übertragene zeitliche Bedeutung erhalten. Es sind dies vor allem Quantoren wie alles, bißchen oder Modalausdrücke wie nur, die die aspektuellen Eigenschaften einer Äußerung mit bestimmen.

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