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German Pages 270 Year 2009
Schriften zur Rechtstheorie Heft 247
Private Normenordnungen als Transnationales Recht? Von Nils Christian Ipsen
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
NILS CHRISTIAN IPSEN
Private Normenordnungen als Transnationales Recht?
Schriften zur Rechtstheorie Heft 247
Private Normenordnungen als Transnationales Recht? Von Nils Christian Ipsen
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Wintersemester 2008 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 978-3-428-12977-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Untersuchung über „Private Normenordnungen als Transnationales Recht?“ ist im Wintersemester 2008 von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen worden. Im Wesentlichen war die Arbeit im Februar 2008 abgeschlossen. Literatur und Rechtsprechung, die nach diesem Zeitpunkt erschienen ist, habe ich nur in Einzelfällen berücksichtigt. Allerdings darf auch im Übrigen nicht erwartet werden, dass die angeführten Veröffentlichungen den Literaturstand vollständig wiedergeben. Für jedes der untersuchten und dargestellten Gebiete – insbesondere für das titelgebende „Transnationale Recht“ – existiert bereits eine kaum zu übersehende Vielfalt an Literatur, die eine Beschränkung zur Wahrung der Übersichtlichkeit notwendig machte. Wenn der in bestimmten Bereichen vorgebildete Leser einzelne Nuancierungen vermisst, hoffe ich auf Nachsicht für mein Bemühen, mich auf die wesentlichen Aspekte zu konzentrieren und eine zu starke Zerfaserung der Untersuchung zu vermeiden. An dieser Stelle möchte ich insbesondere meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Gunnar-Folke Schuppert, danken, der mich auf dieses spannende Thema „angesetzt“ hat. Ich konnte mich jederzeit unkompliziert an ihn wenden, während er mir gleichzeitig allen Feiraum ließ, um eigenen Ideen nachzugehen. Danken möchten ich auch Herrn Prof. Dr. Bardo Fassbender für die Erstellung des Zweitgutachtens und Herrn Dr. Florian R. Simon für die Aufnahme dieser Untersuchung in sein Verlagsprogramm. Großer Dank gilt meiner Freundin und meinen Eltern. Sie haben mich in der gesamten Zeit unterstützt und mich zum Ende hin ermutigt, die Arbeit auch abzuschließen.
Berlin, im Herbst 2008
N. C. I.
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
Erster Teil
1
Begriff und theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts 1. Kapitel Einordnung in den Gesamtzusammenhang: Die Bedeutungen des Begriffs des transnationalen Rechts 1. Abschnitt: Unterschiedliche Bedeutungsgehalte des Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24 24
I.
Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
II.
Verwendung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
2. Abschnitt: Erscheinungsformen des transnationalen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
I.
Transnationalisiertes staatliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
II.
Grenzüberschreitend wirkendes staatliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
III. Regionale Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
IV. Kosmopolitisches Recht, ideelle internationale Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
V.
Expertenrecht und Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
VI. Autonome Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
VII. Zwischenbilanz und Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes . . . . . . . . .
33
2. Kapitel Rechtstheoretische Grundlagen der aktuellen Diskussion 1. Abschnitt: Rechtspluralismus als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35 36
2. Abschnitt: „Globale Bukowina“ – Teubners Ansatz zur theoretischen Bewältigung des globalen Rechtspluralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 I.
Ausgangspunkt „Systemtheorie“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
II.
Globaler Rechtspluralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
III. Rechtsentstehung durch Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
IV. Spätere Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
V.
44
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
Inhaltsverzeichnis
3. Abschnitt: Der „pragmatische“ Ansatz von Berger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
4. Abschnitt: Exkurs: Transnationales Recht als Gegenstand der Global Governance-Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
5. Abschnitt: Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Diskussion über transnationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
3. Kapitel Exkurs: Empirische Untersuchungen privater Normenordnungen
51
1. Abschnitt: Mikrogesellschaften als Gegenstand empirischer Untersuchungen . . . . . . .
52
2. Abschnitt: Reputation als Durchsetzungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
I.
Sicherstellung der Informationsweitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
II.
Wirksamkeit der Ausschlussdrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
III. Unterstützung durch ein soziales Netzwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
3. Abschnitt: Entstehungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
4. Abschnitt: Übertragbarkeit auf die transnationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
I.
Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
II.
Ergänzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
Zweiter Teil
2
Die Entstehung privater Normenordnungen am Beispiel der lex mercatoria, der lex informatica und der lex sportiva 1. Kapitel Die lex mercatoria 1. Abschnitt: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
II.
Historischer Hintergrund der lex mercatoria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 66 66
1. Die mittelalterliche lex mercatoria als universelles nicht-hoheitliches Handelsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
2. Zweifel an der Existenz eines universellen Handelsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
3. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
Die lex mercatoria in der rechtswissenschaftlichen Diskussion der Gegenwart . .
75
1. Schmitthoffs deskriptiver Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
2. Goldmanns normativer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
3. Entwicklung der Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
Inhaltsverzeichnis 2. Abschnitt: Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 80
I.
Allgemeine Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
II.
Gewohnheitsrecht und Handelsbräuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
III. Standardverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
IV. Privatkodifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
V.
Schiedsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
VI. Listenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
3. Abschnitt: Einbeziehung und praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
I.
II.
Einbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
1. Ausdrückliche Wahl einer privaten Normenordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
2. Unterlassene Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
a) Fehlende Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
b) Ermächtigung des Schiedsrichters zur Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
3. Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
Praktische Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
1. Umfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
2. Vertragspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
3. Schiedspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
a) Untersuchung von Dasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
b) Untersuchung von Dezalay/Garth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
4. Abschnitt: Streitschlichtungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
5. Abschnitt: Materieller Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
I.
Unbestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
II.
Bedeutung des Grundsatzes von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
III. Fehlende Anationalität der Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
6. Abschnitt: Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I.
Staatliche Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
II.
Eigenständige Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
7. Abschnitt: Staatlicher Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 8. Abschnitt: Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
12
Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel Die lex informatica
104
1. Abschnitt: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I.
Struktur des Internets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Domainnamensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
II.
Steuerung und Regulierung im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Theorien der Internet Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3. Konkretes Problem: Verwaltung des DNS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
III. ICANN und die UDRP als konkretes Beispiel für die lex informatica . . . . . . . . . 115 1. Organisation von ICANN 2.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Unterschiede zu ICANN 1.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3. Verbindung zur US-Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Abschnitt: Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3. Abschnitt: Einbeziehung und praktische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4. Abschnitt: Streitschlichtungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 5. Abschnitt: Materieller Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 I.
Ordentlicher Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
II.
Fallrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Import von Rechtsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4. Ausdehnung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 5. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
III. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 6. Abschnitt: Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 7. Abschnitt: Staatlicher Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 8. Abschnitt: Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
3. Kapitel Die lex sportiva
129
1. Abschnitt: Gesellschaftliche Bedeutung des internationalen Sports . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Abschnitt: Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3. Abschnitt: Einbeziehung des Regelwerks und praktische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . 131
Inhaltsverzeichnis
13
4. Abschnitt: Streitschlichtungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 I.
Zuständigkeit des Court of Arbitration for Sport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
II.
Entwicklung des CAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
III. Aufbau des CAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 IV. Verfahren des CAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5. Abschnitt: Materieller Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 I.
Kontrolle von Schiedsrichterentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
II.
Stellung der Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Grundsatz: Autonomie der internationalen Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2. Vorrangstellung der internationalen Sportverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
III. Schutz der Athletenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Anforderungen an die Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Eindeutige Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Regelinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 c) Transparenz und objektive Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. Prozessuale Fairness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3. Einzelfallgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Angemessene Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 IV. Dopingverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 V.
Stellung des CAS im System der Ordnung des internationalen Sports . . . . . . . . . 147
VI. Regelharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 6. Abschnitt: Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 7. Abschnitt: Staatlicher Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 I.
Beeinflussung durch die Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Politische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
II.
Beeinflussung durch Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
III. Sonderfall: Beeinflussung durch die Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 8. Abschnitt: Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
14
Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel Vergleich der Erscheinungsformen
157
1. Abschnitt: Gemeinsamkeiten und Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 I.
Zweck der privaten Normenordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
II.
Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
III. Einbeziehung und praktische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 IV. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 V.
Materieller Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
VI. Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 VII. Staatlicher Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Abschnitt: Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Dritter Teil
3
Transnationale Normenordnungen – autonome Alternative oder verwobene Ergänzung zum staatlichen Recht? 1. Kapitel Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
164
1. Abschnitt: Entwicklungsmöglichkeiten der lex mercatoria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I.
Vermeintliches Potential und ernüchternde Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Unterstützung ohne erkennbare Erfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Widersprüchlichkeit der Entwicklungsprognosen zur lex mercatoria . . . . . . . . 167 a) Zweifelhafte Nutzen einer Reform der Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . 167 b) Probleme der Kodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 c) Schlussfolgerung – Die Grenzen des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Fragwürdige Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Probleme einer einzigen universellen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 aa) Fehlender Wettbewerb unter den Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 172 bb) Folgeprobleme für die Abgrenzung von nationalem und internationalem Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Bedarf an und Möglichkeit von praxisnahen Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
II.
Alternative Konzeptionalisierung: Lex mercatoria als Methode . . . . . . . . . . . . . . 177
III. Bilanz: Die lex mercatoria als (nützliche) Illusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Abschnitt: Änderungen im Verhältnis von Staat und transnationalen Normenordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 I.
Vergesetzlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
Inhaltsverzeichnis
15
1. Staatliche Regulierung des Internets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Dopinggesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II.
Prekäres Verhältnis zwischen staatlichem Recht und transnationalen Normenordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Rom I – Gefährdung der automatischen Durchsetzung der lex mercatoria . . . . 186 2. Fall Hondo – Gefährdung des strict liability-Grundsatzes in der Dopingbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3. Konflikte zwischen staatlichen und privaten Normenordnungen – Beispiel „Turin 2006“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
3. Abschnitt: Exkurs: Virtual Reality – Neue Welten und alte Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . 190 I.
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
II.
„Recht“ in den virtuellen Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
III. Recht zwischen den „Welten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Dingliche Einordnung von virtuellen Gegenständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 2. Verhältnis der Spieler untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 a) Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Verhältnis zwischen Spieler und Betreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 IV. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 4. Abschnitt: Zwischenbilanz – Die Zukunft transnationaler Normenordnungen . . . . . . . . 204 I.
Bedeutung eines institutionellen Hintergrundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
II.
Überwachte Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
III. Grenzen privater Normenordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
2. Kapitel Das Verhältnis von Staat und transnationalen Normenordnungen
207
1. Abschnitt: Staat als Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 I.
Materieller Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
II.
Formelle Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
2. Abschnitt: Staat als Profiteur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 I.
Zusätzliche Regelungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
II.
Private Normenordnungen als Platzhalter für staatliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . 211
3. Abschnitt: Staat als Garant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 I.
Garantenstellung als Erfüllung berechtigter Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
II.
Erfüllung der Erwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
4. Abschnitt: Die Bedeutung des Staates und seine Vorrangstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
16
Inhaltsverzeichnis 3. Kapitel Versuch einer rechtstheoretischen Einordnung der transnationalen Normenordnungen
223
1. Abschnitt: Die (bisher) vergebliche Suche nach einem autonomen Weltrecht . . . . . . . . 223 I.
Entstehung der Normenordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
II.
Notwendigkeit von Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
III. Notwendigkeit eines Programms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2. Abschnitt: Integration transnationaler Normenordnungen in das staatliche Recht . . . . 231 I.
Integrationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Inklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 3. Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
II.
Die Voraussetzungen für die staatliche Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 1. Wirksamkeit der Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2. Beachtung der Rechtsstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
Schluss: Transnationales Recht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Anhang (CENTRAL-Liste) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis AcP ADNDRC AK-GG Ann.Surv.Int’l&Comp.L. Arch.phil.dr. Az. BB Bd. Begr. BGB BGBl. BGH BGHZ Bt.-Drs. B. U. L. Rev. BVerfG BVerfGE Cal. CAS CcTLD CEN CENELEC CENTRAL Chi. J. Int’l L. Chi.-Kent L. Rev. CPR DCC DIN DNS DOSB DZWir EB EC EGBGB EGV EKV ERA ESLJ EU EuG EuGH
Archiv für die civilistische Praxis Asian Domain Name Dispute Resolution Centre Kommentar zum GG, Reihe Alternativkommentare Annual Survey of International and Comparative Law Archives de la Philosophie de Droit Aktenzeichen Der Betriebs-Berater Band Begründer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundestags-Drucksache Boston University Law Review Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts California Court of Arbitration for Sport Country Code Top Level Domain Comité Européen de Normalisation Comité Européen de Normalisation Electrotechnique Center for Transnational Law Chicago Journal of International Law Chicago-Kent Law Review Center for Public Resources Diamonds Dealer Club Deutsches Institut für Normung Domainnamensystem Deutscher Olympischer Sportbund Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Executive Board Euro Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Europäischer Gemeinschaftsvertrag Exportkreditversicherungen Einheitliche Richtlinien für Dokumentenakkreditive der ICC Entertainment and Sport Law Journal Europäische Union Europäischer Gerichtshof erster Instanz Europäischer Gerichtshof
18 EULA EuZW EWG F. 2d FEI FINA FIS FISA FS F. Supp. GAC GG GRUR GTLD Harv. J. L. Tech. Harv. L. Rev. HGB Hrsg. IAAF IAHC IANA IAS ICANN ICAS ICC IETF IGH insb. Intern. Int’l J. Sem. L. IOC IP IPR IPRax IPRG ISLJ ISO ITU JbJZRWiss J. Int’l Arb. J. Legal Stud. JuS JW JZ K&R LG MCE Mich. Int’l L.
Abkürzungsverzeichnis End User Licence Agreements Zeitschrift für Europäisches Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Federal Reporter, Second Series Fédération Équestre Internationale Fédération Internationale de Natation Amateur Fédération Internationale de Ski Fédération Internationale des Sociétés d’Aviron Festschrift Federal Supplement Governmental Advisory Comittee Grundgesetz Zeitschrift für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Generic Top Level Domain Harvard Journal of Law & Technology Harvard Law Review Handelsgesetzbuch Herausgeber International Amateur Athletic Federation International Ad Hoc Comittee Internet Assigned Numbers Authority International Accounting Standards Internet Corporation for Assigned Names and Numbers International Council of Arbitration for Sport International Chamber of Commerce Internet Engineering Talk Force Internationaler Gerichtshof insbesondere Internationales International Journal for the Semiotics of Law International Olympic Committee Internet Protocol Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Internationales Privatrechtsgesetz International Sports Law Journal International Organization for Standardization International Telephone Union Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler Journal of International Arbitration The Journal of Legal Studies Juristische Schulung Juristische Woche Juristenzeitung Kommunikation & Recht Landgericht Memphis Cotton Exchange Michigan International Law
Abkürzungsverzeichnis Mich. L. Rev. MMR MoU NAF NGO NJW NOK N. Y. L. Sch. L. Rev. NZG o. ä. OC OECD OG OHIO ST. L. J. OLG RabelsZ RFC RIW RJ RUDRP SavZ/Germ. SchiedsVZ SLD SpuRt SRS Stan. L. Rev. StGB TCP Texas L. Rev. TLD TLDB u. a. U. Chi. L. Rev. UCI UDRP UNCITRAL UNIDROIT UNO USA vgl. VVDStRL WADA Wayne L. Rev. Willamette L. Rev. WIPO WTO ZaöRV
19
Michigan Law Review MultiMedia und Recht Memorandum of Understanding National Arbitration Forum Non-governmental Organization Neue Juristische Wochenschrift Nationales Olympisches Komitee New York Law School Law Review Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht oder ähnliches Olympic Charta Organization for Economic Cooperation and Development Olympic Games Ohio State Law Journal Oberlandesgericht Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Request for Comments Recht der Internationalen Wirtschaft Rechtshistorisches Journal Rules for the Uniform Domain Name Resolution Policy Zeitschrift der Savigny-Stiftung, Germanistische Abteilung Zeitschrift für Schiedsverfahren Second Level Domain Sport und Recht Shared Registry System Stanford Law Review Strafgesetzbuch Transmission Control Protocol Texas Law Review Top Level Domain Transnational Law Database und andere University of Chicago Law Review Union Cycliste Internationale Uniform Domain Name Resolution Policy United Nations Commission on International Trade Law International Institute for the Unification of Private Law United Nations Organization United States of America vergleiche Veröffentlichung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer World Anti Doping Agency Wayne Law Review Willamette Law Review World Intellectual Property Organization World Trade Organization Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
20 z. B. ZfR zit. ZPG ZPO ZvglRWiss
Abkürzungsverzeichnis zum Beispiel Zeitschrift für Rechtssoziologie zitiert Zivilprozessgesetz Zivilprozessordnung Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
Einleitung Einleitung Der Begriff des transnationalen Rechts wurde geprägt für „all law which regulates actions or events that transcend national frontiers“1. Da die grenzüberschreitenden Auswirkungen von Handlungen und Ereignissen zunehmend nicht mehr den Ausnahme-, sondern den Regelfall bilden, findet dieser Begriff immer breitere Verwendung. Allerdings hat sich bisher keine präzise Definition des transnationalen Rechts durchsetzen können. Vielmehr wird eine Vielzahl von neuen Erscheinungen im Zuge der fortschreitenden Globalisierung darunter subsumiert. Unter den möglichen Bedeutungen des Begriffs sticht eine Definition durch ihre besondere Radikalität hervor. Demnach sollen private Normenordnungen, die in bestimmten gesellschaftlichen Teilbereichen universell beachtet werden, eine neue Art von Recht darstellen2. Neben das nationale und internationale Recht träte das transnationale Recht als dritte Kategorie des Rechts3. Diese Art von Recht entstünde als einzige ohne staatliche Beteiligung. Insbesondere soll das transnationale Recht – anders als sonstige private Normen – nicht mehr der staatlichen Anerkennung bedürfen, um als Recht zu gelten4. Vielmehr soll dieses „private“ Recht aus sich selbst heraus gelten und auf einer Stufe mit dem „staatlichen“ Recht stehen, so dass die staatliche Anerkennung nicht mehr konstitutiv ist5. Zusätzlich zu dem Reiz des „Tabubruchs mit dem traditionellen staatsfixierten juristischen Denkens“6 rechtfertigt sich das Forschungsinteresse an einem transnationalen Recht als dritte Art von Recht sowohl aus juristischer als auch aus interdisziplinärer Sicht. Aus Sicht des Juristen und Rechtstheoretikers stellt sich die Frage, wie sich die Globalisierung auf das Recht auswirken kann. Da sich die Rolle des Staates im Zuge der Globalisierung ändern soll, wäre es angesichts der engen Verknüpfung von Staat und Recht folgerichtig, wenn sich auch das Recht als solches verändern würde7. So wird davon ausgegangen, dass die Globalisierung eine Eigenproblematik für das Recht selbst erzeugt, die in einer Veränderung der 1
Jessup, Transnational Law, S. 2. Teubner, RJ (1996), S. 255, 257; ders., ‚Globale Bukowina‘, S. 3; Fischer-Lescarno/Teubner, Regimekollsionen, S. 43 f.; Calliess, RabelsZ 68 (2004), S. 244, 254 f. 3 Das supranationale Recht spielt bei dieser Kategorisierung keine eigenständige Rolle. Wahrscheinlich weil es als eine Mischform aus nationalem und internationalem Recht angesehen wird. Vgl. zu dieser Sicht Calliess, Verbrauchervertäge, S. 219. 4 Diese sieht Kirchhoff, Private Rechtsetzung, S. 134, als Voraussetzung für privat gesetztes Recht. 5 Teubner, RJ 15 (1996), S. 255, 279. 6 Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 267. 7 Ruffert, Globalisierung als Herausforderung, S. 19. 2
Einleitung
22
dominanten Rechtsbildungsprozesse zum Ausdruck kommt8. Die Frage ist also, ob die gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen derart tiefgreifend sind, dass sie die Entstehung einer neuen Art von Recht zur Folge haben können und vielleicht sogar haben müssen. Ist es tatsächlich so, dass „grenzüberschreitende Abläufe wirtschaftlicher, ökologischer, kultureller oder gesellschaftlicher Art, grenzüberschreitende Gefahren und Kommunikationsprozesse dem Staat das Substrat seiner Regelungsgewalt entziehen, ohne die formale Fortexistenz dieser Regelungsgewalt anzutasten“9? Es liegt im interdisziplinären Interesse, die Möglichkeiten eines transnationalen Rechts zu bestimmen. Denn unter dem Oberbegriff der „Global Governance“ werden gegenwärtig fächerübergreifend Möglichkeiten ausgelotet, wie eine „new world order“10 aussehen könnte, die die staatszentrierte – sogenannte „westfälische“ – Weltordnung ablöst. Ein „privates“ Recht, welches jenseits der Nationalstaaten gälte, könnte ein entscheidender Baustein dieser Ordnung sein11. Gleichzeitig würde sich der Verlust des „Rechtsmonopols“ auf die Konzeption des Nationalstaates nachhaltig auswirken12. Es würde den Eindruck, dass der Staat auf der globalen Bühne nur noch ein und nicht mehr der Akteur ist, weiter verfestigen. Die rechtstheoretische Frage nach der Existenz eines transnationalen Rechts hat somit bedeutende staatstheoretische Konsequenzen, die man im Auge behalten sollte13. Diese Untersuchung vermag die Frage nach der Existenz eines transnationalen Rechts nicht allgemeingültig beantworten. Schließlich ist das Recht keine naturwissenschaftlich beweisbare Tatsache, sondern ein gesellschaftliches Phänomen. Auch fehlt es bereits an einer allgemeingültigen Definition von Recht. Am Ende der Untersuchung soll jedoch eine nachvollziehbare Bewertung stehen, inwieweit es sinnvoll ist, angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen eine neue – dritte – Art von Recht anzunehmen und den „Tabubruch“ zu vollziehen. Dafür sollen im ersten Teil dieser Arbeit der Begriff und die theoretischen Grundlagen des transnationalen Rechts erläutert werden. Auch wenn sich diese Untersuchung auf ein bestimmtes Verständnis des Begriffs des transnationalen Rechts beschränkt, so soll der Gesamtzusammenhang, in dem dieser Begriff genutzt wird und geworden ist, nicht außer Acht gelassen werden. Die rechtstheoretischen Grundlagen des transnationalen Rechts sind insofern von Bedeutung, als der Bruch mit traditionellen Rechtskonzepten besonders begründungsbedürftig
8
Teubner, Lib. am. Simitis, S. 437. So Ruffert, Globalisierung als Herausforderung, S. 19. 10 Dieser Begriff findet sich insbesondere bei Slaughter, The new world order. 11 Zangl/Zürn, Make Law, Not War, S. 12. 12 Michaels, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 1209, 1235 ff. 13 Zu der Bedeutung dieser Veränderung gerade für das öffentliche Recht vgl. Ruffert, Globalisierung als Herausforderung, S. 22. 9
Einleitung
23
ist14. Schließlich soll es sich beim transnationalen Recht um den Sonderfall handeln, dass rechtstheoretische Weichenstellungen direkte praktische Auswirkungen haben können15. Gleichzeitig bilden die rechtstheoretischen Grundlagen den Hintergrund für die Untersuchung von drei Beispielen von Normenordnungen, die regelmäßig als transnationales Recht qualifiziert werden, im Zweiten Teil der Arbeit. Bei diesen Beispielen handelt es sich um die sogenannte lex mercatoria, lex informatica und lex sportiva, die vorgeblich bestimmte gesellschaftliche Teilbereiche universell einheitlich regulieren. Zwar wird, wie bereits die ähnlichen Bezeichnungen nahelegen, bei der Untersuchung einer einzelnen Normenordnung häufig auf die anderen verwiesen; doch sind einheitliche Gesamtanalysen selten16. Aber nur durch einen ausführlichen Vergleich kann deutlich werden, ob hinreichende Gemeinsamkeiten vorhanden sind, um sie als Beispiele für ein transnationales Recht anführen zu können, oder ob einzelne Autoren nur punktuell vorhandene Ähnlichkeiten überbewerten und völlig verschiedene Erscheinungen und Erwägungen unter einem einheitlichen Namen zusammenfassen, damit der Eindruck eines homogenen Ganzen entsteht17. Außerdem ist eine solche tatsächliche Bestandsaufnahme Voraussetzung für die Beurteilung der Schlüssigkeit der rechtstheoretischen Grundlagen; denn in der Diskussion um das transnationale Recht werden die tatsächlichen Gegebenheiten nicht immer in ausreichendem Maß beachtet18. Die abschließende Bewertung der transnationalen Normenordnungen erfolgt im Dritten Teil. Dabei wird zunächst bestimmten Entwicklungslinien und -möglichkeiten nachgegangen, denn häufig werden diese Normenordnungen als „Recht im Werden“ beschrieben, so dass eine Beurteilung allein auf Grundlage des gegenwärtigen Entwicklungsstandes unvollständig bleiben könnte. Auf Grundlage der gefundenen Ergebnisse wird zunächst das Verhältnis des Staates zu diesen Normenordnungen dargestellt, da – wie bereits ausgeführt – die Auswirkungen für das Konzept vom Nationalstaat beachtet werden müssen. Abschließend soll die Stichhaltigkeit der rechtstheoretischen Grundlagen anhand der gezogenen Schlussfolgerungen beurteilt und eine rechtstheoretische Einordnung der transnationalen Normenordnungen vorgenommen werden.
14
Hiebaum, RJ 19 (2000), S. 451 ff. Teubner, RJ 15 (1996), S. 255, 264. 16 Eine Ausnahme bilden die Beiträge in: Zangl/Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung – Baustein für Global Governance?, die allerdings auf die besondere Fragestellung des Verrechtlichungsgrades bezogen sind. 17 So die Kritik von v. Bar, IPR, S. 92. 18 Vgl. die Feststellung von Gessner, ZfR 23 (2002), S. 277, 289, Anm. 10, wonach gerade in Deutschland die Diskussion mit hohem theoretischen Aufwand aber geringem empirischen Anspruch geführt wird. 15
Erster Teil
1.
Begriff und theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts 1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts 1. Kapitel
Einordnung in den Gesamtzusammenhang: Die Bedeutungen des Begriffs des transnationalen Rechts 1. Kap.: Bedeutungen des Begriffs des transnationalen Rechts
Zunächst stellt sich die Frage, was mit dem Begriff des transnationalen Rechts beschrieben werden soll. Während sowohl für das internationale wie auch das supranationale Recht bereits die Verwendung der Präpositionen („zwischen“ bzw. „über“) konkrete Vorstellungen über den Bedeutungsinhalt weckt, lässt sich der Präposition „trans“ keine ähnlich eindeutige Bedeutung zuordnen. Je nach Kontext kann „trans“ Folgendes bedeuten: „über, hinüber, darüber hinaus, jenseits, durch, hindurch, über … hinweg“ etc.1 Es ist also entscheidend, genauer zu definieren, wie die Präposition im juristischen Kontext gebraucht wird und auf welcher Ebene das mit ihr bezeichnete Recht – sofern es sich um solches handelt – anzusiedeln ist.
1. Abschnitt
Unterschiedliche Bedeutungsgehalte des Begriffs I. Ursprung Eingeführt wurde der Begriff des transnationalen Rechts durch Philip Jessup als Titel seiner gleichnamigen Aufsatzsammlung aus dem Jahr 19562. Er versteht unter diesem Begriff „all law which regulates actions or events that transcend national frontiers. Both public and private international law are included, as are other rules which do not wholly fit into such standard categories“.3
Die Abgrenzung erfolgt jedoch nicht anhand besonderer transnationaler Quellen oder Geltungsansprüche, sondern allein aufgrund des grenzüberschreitenden 1 2 3
Vgl. Callies, Verbraucherverträge, S. 214. Jessup, Transnational Law. Jessup, Transnational Law, S. 2.
1. Kap.: Bedeutungen des Begriffs des transnationalen Rechts
25
Charakters des Sachverhaltes. Dadurch erscheint die von dem Begriff umfasste Rechtsmasse sehr vielfältig. Auch werden traditionelle Unterteilungen überwunden; völkerrechtliche Verträge fallen ebenso unter diesen Begriff wie private Handelsbräuche mit internationalem Charakter. Die Kehrseite ist die Unbestimmtheit dieser Rechtsmasse. Letztlich werden fast alle existierenden Normen (zumindest potentiell) erfasst4.
II. Verwendung in Deutschland Der Begriff des transnationalen Rechts wurde in Deutschland bisher nicht einheitlich verwendet. Georg Erler nutzte den Begriff 1960 für das Gemeinschaftsrecht, welches direkte Wirkung in den Mitgliedsstaaten entfaltet5. Er wollte dabei den Begriff „supranationales Recht“ vermeiden, um die Gleichordnung von europäischem und nationalem Recht auszudrücken. Inzwischen ist aber der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts allgemein anerkannt, so dass diesbezüglich von „supranationalem“ Recht gesprochen wird. Die Bezeichnung „transnational“ ist hier überflüssig und vermag auch nicht die Besonderheiten des Gemeinschaftsrechts auszudrücken6. Daneben wird der Begriff „transnationales Recht“ für das Recht verwendet, welches durch die Auslandskontakte von Selbstverwaltungskörperschaften entsteht7. Schließlich hätten diese keine Völkerrechtssubjektivtät, so dass diese Beziehungen nicht dem klassischen Völkerrecht zugeordnet werden könnten. Dieses transnationale Recht soll zwar unter und neben dem Völkerrecht stehen, völkerrechtlichen Regelungen können jedoch entsprechend angewandt werden8. Diese Kennzeichnung wird jedoch teilweise abgelehnt unter Hinweis auf die geringe praktische Bedeutung und die notwendige Nähe von Verwaltungsrechtsordnungen zum staatlichen Recht9. In jüngerer Zeit spielt der Begriff des transnationalen Rechts in der öffentlichrechtlichen Diskussion in erster Linie unter dem Stichwort des transnationalen Verwaltungsaktes eine Rolle10. Dabei soll ein staatlicher Verwaltungsakt grenzüberschreitende Sachverhalte regeln. Die Folge ist, dass die Voraussetzungen administrativen Handelns auch durch fremde Rechtsordnungen (mit) festgelegt wer-
4
Vgl. dazu Callies, Verbraucherverträge, S. 215. Erler, VVDStRL 1960, S. 7, 22. 6 So bereits die Kritik von Ophüls, FS Carl Heymann Verlag, S. 519, 547, Anm. 91. 7 Zuleeg, AK-GG, Art. 32 Rn. 25. 8 Zuleeg, AK-GG, Art. 32 Rn. 25. 9 Rennert, FS Böckenförde, S. 199, 212, Anm. 52. 10 Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924, 935; Oppermann, FS Grewe, S. 521; Magiera, NJW 1985, S. 1739; Ruffert, DV 34 (2001), S. 453 ff.; Neßler, NVwZ 1995, S. 864 ff. Burbaum, Rechtsschutz, S. 32 f. 5
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1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
den11. Dabei wird nicht an die indirekten Folgen, die deutsche Verwaltungsakte auch im Ausland haben können (z. B. Entscheidungen aufgrund des Außenhandelsgesetzes) gedacht, sondern an die direkte Geltung ausländischer Verwaltungsakte im Inland12. Es findet damit eine Entterritorialisierung statt; die Staaten verlieren die Kontrolle über ihren eigenen Rechtsraum. Die Geltung eines ausländischen Verwaltungsakts ist aber nur innerhalb der Europäischen Union möglich, wobei die transnationale Wirkung aufgrund einer allgemeinen Geltungserstreckung durch Rechtssatz entsteht, also entweder durch eine Verordnung, ein mitgliedstaatliches Umsetzungsgesetz oder eine ausnahmsweise unmittelbar wirkende Richtlinie13. Folglich sollten die damit zusammenhängenden Probleme im Rahmen des Europarechts diskutiert werden. Es handelt sich zwar nicht direkt um supranationales Recht, da die Mitgliedsstaaten gleich geordnet sind, doch bleibt es untrennbar mit der europäischen Zwecksetzung – der Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes – verbunden. Demgemäß wird auch die Eigenständigkeit der Rechtsfigur des transnationalen Verwaltungsaktes bestritten, weil der betreffende Hoheitsakt keine inhärente grenzüberschreitende Wirkung habe, sondern diese erst durch die korrespondierende Anerkennungsnormen des anderen Staates erlange14. In jedem Fall bleibt die Grundlage dieses Rechts eindeutig staatlich. Nicht die Rechtsentstehung jenseits des Staates soll durch den Begriff des Transnationalen beschrieben werden, sondern lediglich die Ausdehnung der Rechtskraft administrativer Akte bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. Besonders ausführlich hat sich Langen mit dem transnationalen Recht in seiner gleichnamigen Monographie auseinandergesetzt15. Er entwickelt unter diesem Begriff eine Methode der funktionellen Rechtsvergleichung, die zu einem international einheitlichen Wirtschaftsrecht führen soll. Ihm schwebte zwar ein eigenständiger Rechtskörper vor, doch handelt es sich bei diesem Begriffsverständnis des transnationalen Rechts nicht um ein „neues“ Recht, sondern um ein Zusammenfassen von Normen aus staatlichen Rechtsordnungen. Dieser kurze – unvollständige – Überblick zeigt bereits, auf welch vielfältige Weise der Begriff verwendet wird. Er dient insbesondere als Chiffre für neu wahrgenommene Rechtsentwicklungen, ausgelöst durch grenzüberschreitende Kontakte. Es droht die Gefahr, dass „der Begriff ‚transnational‘ durch die inflationäre Anwendung auf eine Vielzahl unterschiedlicher Sachverhalte oder Konzepte im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Rechts- oder Wirtschaftsbeziehungen zu einem konturlosen Schlagwort verkommt“16.
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Baldus, Transnationales Polizeirecht, S. 49, Anm. 10. Burbaum, Rechtsschutz, S. 32 f. 13 Schmidt-Aßmann, DVBl. 1993, S. 924, 935. 14 Kadelbach, Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 36 ff, 328 f.; Becker, DVBl. 2001, S. 855, 861. 15 Langen, Transnationales Recht. 16 Stein, Lex Mercatoria, S. 2. 12
1. Kap.: Bedeutungen des Begriffs des transnationalen Rechts
27
2. Abschnitt
Erscheinungsformen des transnationalen Rechts Damit dieser Begriff trotz der unterschiedlichen Verwendungen Konturen erhält, soll versucht werden, die verschiedenen Formen des transnationalen Rechts bestimmten Kategorien zu zuordnen17. Die Kategorisierung kann weder vollständig noch in jedem Fall eindeutig sein; sie ermöglicht es jedoch, das große Feld des transnationalen Rechts überschaubarer zu gestalten. Dabei soll auf die beiden wesentlichen Bestandteile des transnationalen Rechts im Sinne von Jessup, nämlich das „klassische“ Völkerrecht und das „klassische“ Internationale Privatrecht, nicht weiter eingegangen werden, weil sie allgemein anerkannte Rechtskategorien darstellen und eindeutig dem internationalen bzw. nationalen Recht zuzuordnen sind. Gegenstand der Untersuchung sollen vielmehr die von Jessup sogenannten „other rules which do not fit in such standard categories“ sein, auf die sich der Überblick deswegen beschränkt.
I. Transnationalisiertes staatliches Recht In Folge der Globalisierung scheinen Staaten bei der Rechtsetzung immer stärker unter äußeren Druck geraten. Dieser Druck wird von Internationalen Organisationen, Nicht-Regierungsorganisationen (Non-governmental Organizations, NGO), transnationalen Unternehmen oder großen Law Firms ausgeübt18. Nicht darunter fällt dagegen die Verpflichtung, völkerrechtliche Verträge umzusetzen. Es handelt sich vielmehr um einen informellen Einfluss, der ähnliche Strukturen aufweist wie das Lobbying. Das Besondere dabei ist unter anderem, dass die Rechtsetzung gerade aus dem Ausland – sozusagen transnational – beeinflusst wird. Diese rechtlichen Regelungen sind nicht mehr hauptsächlich von innerstaatlichem Interesse, sondern werden zunehmend als Standortfaktor dem internationalen Vergleich unterworfen. Dadurch entsteht ein Wettbewerb der nationalen Rechtsordnungen, der langfristig zu ihrer Homogenisierung (nach dem Vorbild der USA) führen könnte19. So wurden die Standards der Rechnungslegung für große Konzerne den internationalen (oder US-amerikanischen) Regelungen angepasst. Damit wurde ein weittragender Prinzipienwechsel vollzogen. Während das deutsche Recht ursprünglich in erster Linie dem Prinzip des Gläubigerschutzes und der Vorsicht folgte, stehen nun die Anlegerinteressen und die „fair representation“ im Vordergrund. Beim neuen Gesetz über Öffentlich-Private Partnerschaften waren Vertreter großer 17 Vgl. die Kategorisierungen des Rechtspluralismuses von Günther/Randeria, Recht, Kultur und Gesellschaft, S. 87. 18 Schuppert, Staatswissenschaft, S. 870 ff.; Günther/Randeria, Recht, Kultur und Gesellschaft, S. 52 ff. 19 Callies, Verbraucherverträge, S. 216.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
law firms bereits an der Ausarbeitung des Entwurfs beteiligt. Die internationalen Kanzleien konnten hierbei auf Erfahrungen aus dem (meist angloamerikanischen) Ausland zurückgreifen. Aufgrund dieses Informationsvorsprungs konnten sie wesentlichen Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren nehmen20. Aus rechtstheoretischer Sicht bietet diese Kategorie des transnationalen Rechts jedoch wenig neuen Stoff für Untersuchungen; schließlich wird das ordentliche Gesetzgebungsverfahren eingehalten. Da dieses prinzipiell offen ist, erscheint eine Beteiligung der Öffentlichkeit – auch in Gestalt betroffener Kreise – als grundsätzlich wünschenswert. Folglich bestehen an der Gültigkeit der Gesetze keine Zweifel21. Es ist somit Aufgabe anderer Teildisziplinen herauszuarbeiten, wie weit solcher Einfluss zulässig sein soll.
II. Grenzüberschreitend wirkendes staatliches Recht Während beim transnationalisierten Recht der Blick in erster Linie auf der Entstehung von staatlichem Recht und dessen transnationaler Beeinflussung liegt, ist Kennzeichen dieser Kategorie die grenzüberschreitende Wirkung von Rechtsnormen. In den letzten Jahren ist aufgrund der immer enger werdenden Verflechtungen der Staaten deutlich geworden, dass Normen oder andere Rechtsakte auch jenseits des eigentlichen staatlichen Territoriums sich auswirken können. Ein gutes Beispiel ist die erwähnte Diskussion um den transnationalen Verwaltungsakt22. Aus Sicht des betroffenen Staates stellt sich die Frage nach der Legitimation von Rechtsakten mit derartigen grenzüberschreitenden Wirkungen. Trotzdem bilden auch diese Rechtsakte qualitativ keine Neuerung; sie werden vielmehr in herkömmlichen Verfahren erlassen. Aufgrund von geänderten Umständen entfalten sie lediglich eine größere Wirkung als bisher. Fraglich ist somit, ob der rechtsetzende Staat auf diese geänderten Umstände reagieren muss oder überhaupt kann.
III. Regionale Integration Bei der regionalen Integration fügen sich Staaten in eine supranationale Organisation ein und verzichten auf einen Teil ihrer Souveränität, um grenzüberschreitende Probleme besser bewältigen zu können. Paradebeispiel für diese Entwicklung ist die Europäische Union. Innerhalb der Union ist die Integration so weit vorangeschritten, dass das europäische Gemeinschaftsrecht Vorrang gegenüber dem jeweiligen nationalen Recht hat und unmittelbar für Bürger der Mitglieds-
20 21 22
Vgl. Die Zeit, vom 6.10.2005, S. 25 f. Ähnlich Gessner, ZfR 23 (2002), S. 277, 291. Vgl. Erster Teil 1. Kapitel 1. Abschnitt II.
1. Kap.: Bedeutungen des Begriffs des transnationalen Rechts
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staaten gilt. Zur Beschreibung dieses Phänomens wurde die Kategorie des supranationalen Rechts gebildet23. Das Hauptaugenmerk liegt zurzeit auf der Entwicklung der WTO. Zwar ist sie als völkerrechtliche Organisation konzipiert, aufgrund der Befugnis zur verbindlichen Streitschlichtung gegenüber ihren Mitgliedern besitzt sie jedoch einen gewissen Grad an Autonomie24. Vom Prinzip her ähnlich wie ehemals die EU gewinnt die WTO dadurch eine gewisse Unabhängigkeit von ihren konstituierenden Mitgliedern, den Staaten. Sie könnte sich somit eigenständig weiterentwickeln25. Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, dass diese Entwicklung ein mit der EU vergleichbares Ergebnis zeitigt, so dass man von supranationalem Recht sprechen könnte, doch scheint die Einordnung als Gebilde des internationalen Rechts die besondere Autonomie nicht hinreichend zu berücksichtigen. Um diese auszudrücken, kann im Zusammenhang mit der WTO von transnationalem Recht gesprochen.
IV. Kosmopolitisches Recht, ideelle internationale Standards Unter den Begriff der kosmopolitischen Rechte fallen in erster Linie Menschenund Umweltschutzrechte. Regeln in diesen Bereichen werden international zunächst meist als „soft law“ beschlossen26. Anschließend wird insbesondere moralischer Druck (und zwar in erster Linie von NGOs, aber auch von anderen Staaten) ausgeübt, um eine rechtliche Verbindlichkeit zu erreichen. Es entwickelt sich eine Art (oder Vorform) kosmopolitischer Rechtskultur, gestützt auf die Überzeugung, dass manche Angelegenheiten alle Menschen betreffen27. Die Souveränität der Staaten wird dadurch eingeschränkt, weil sie nicht mehr allein für das in ihrem Territorium geltende Recht verantwortlich sind. Stattdessen bildet sich eine Art allgemeines Völkerinteresse heraus, welches losgelöst von einzelstaatlichen Normierungen ent- und besteht. Es entwickelt sich dadurch eine schwer umkehrbare Tendenz zu einer gewohnheitsrechtlichen Pflicht der Staaten, die Menschenrechte gegenüber den eigenen Staatsangehörigen zu gewährleisten28. Diesem Bereich gilt das besondere Interesse in der Diskussion des transnationalen Rechts29. Hier stellt das transnationale Recht eine Erweiterung des Völkerrechts dar, welches aufgrund der Bedingungen der Völkerrechtssubjektivität weitgehend blind ist für die Bedeutung privater Akteure auf der internationalen 23 24 25 26 27 28 29
Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, S. 90. Jackson, Effektivität und Wirksamkeit des Streitbeilegungsverfahrens der WTO, S. 99 ff. Michaels, RabelsZ 69 (2005), S. 525, 540. Heintschel von Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, S. 251. Günther/Randeria, Recht, Kultur und Gesellschaft, S. 44 ff. K. Ipsen, Völkerrecht, S. 815. Zumbansen, Journal 5 (2004), S. 1499 ff.; Fischer-Lescarno, ZfR 23 (2002), S. 217 ff.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
Bühne. Zwar wird zunehmend über eine Ausdehnung der Völkerrechtssubjektivität auf NGOs30 und sogar auf transnationale Unternehmen diskutiert31, doch ist es fraglich, ob diese Diskussion mit den gegenwärtigen Entwicklungen Schritt hält, weil Unternehmen schon gegenwärtig als Streitbeteiligte zum Beispiel im WTO-Streitschlichtungsverfahren zugelassen werden32. Aber auch die – nur zum Teil auf staatlichen Druck erfolgte – eigenverantwortliche Setzung von Verhaltensstandards transnationaler Unternehmen ließe sich in diesen Bereich einordnen. In diesen „corporate codes of conduct“ verpflichten sich weltweit agierende Unternehmen bestimmte – in der Regel arbeitsrechtliche oder umweltrechtliche – Standards einzuhalten, ohne dazu aufgrund von nationalen Gesetzen gezwungen zu sein33. Schließlich kann in diesen Bereich neben den Entstehungsarten von speziellen Ausformungen der ideellen Standards auch die Wirkungsmöglichkeiten von allgemeinen Menschenrechten in einer nationalen Rechtsordnung eingeordnet werden34. Dies kann zum einen auf einem institutionalisierten Wege erfolgen wie durch Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Hier stellt sich die Frage, welche Bedeutung diese Urteile für nationale Gerichte haben und wie diese Gerichte damit methodisch umgehen müssen35. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass sich nationale Gerichte direkt auf Menschenrechte berufen, um damit wahrgenommene Unzulänglichkeiten des eigenen Rechtssystems auszugleichen36. Hier stellt sich die spannende Frage, was transnationales Recht für Staaten mit weniger entwickelter Rechtsstaatlichkeit bedeuten kann.
V. Expertenrecht und Standards Von großer Bedeutung sind die Standards setzenden Organisationen. Insbesondere im Bereich der globalen Wirtschaft gibt es eine Reihe von halbstaatlichen oder privat besetzten Kommissionen, deren Aufgabe es ist, bestimmte Standards zu erarbeiten, um den internationalen Handel zu erleichtern. Dabei kann zwischen verschiedenen Ausformungen unterschieden werden. Eine bedeutende Rolle spielen die technischen Standards, die eine weltweite Verbreitung von technischen Innovationen überhaupt erst ermöglichen. In Deutschland
30
Vgl. Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, S. 92 m. w. N. Vgl. zur Diskussion aber im Ergebnis ablehned Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, S. 108 ff. m. w. N. 32 Epping, in: K. Ipsen, Völkerrecht, S. 111. 33 Ausführlicher Schuppert, Staatswissenschaft, S. 884 ff. 34 Vgl. Zumbansen, Transnational Law, S. 738, 746. 35 Vgl. BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3409. 36 Z. B. Filàrtiga v. Pena-Irala, 630 F. 2d 876 (1980), im Internet abrufbar unter: http:// homepage.ntlworld.com/jksonc/docs/filartiga-630F2d876.html. 31
1. Kap.: Bedeutungen des Begriffs des transnationalen Rechts
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werden diese Standards in erster Linie von dem auf das Gemeinwohl verpflichteten „Deutschen Institut für Normung e. V.“ (DIN) gesetzt. Auf europäischer Ebene wird diese Aufgabe durch das „Comité Européen de Normalisation“ (CEN) und das „Comité Européen de Normalisation Electrotechnique“ (CENELEC), deren Normierungen die nationalen Normierungsgremien binden, wahrgenommen. Das internationale Äquivalent zum DIN ist die „International Organization for Standardization“ (ISO), die die nationalen Normierungsinstitute zusammenführt. Daneben sind in Deutschland besonders die Regeln zur Rechnungslegung in den Blick geraten. In diesem Bereich handelt es sich nicht um „bloße“ technische Entscheidungen, sondern es werden implizit politische Entscheidungen über die Teleologie der Standards und ihre wirtschaftlichen Fernwirkung getroffen37, z. B. in Fragen der Gewichtung des Gläubigerinteresses im Verhältnis zum Aktionärsinteresse. Durch § 315a HGB werden börsennotierte Unternehmen dazu verpflichtet, ihre Konzernabschlüsse nach den International Accounting Standards (IAS) zu erstellen, welche vom International Accounting Standards Board erlassen werden. Damit wird zum Teil die Entwicklung staatlicher (bzw. gemeinschaftsrechtlicher) Rechnungslegungsnormen aufgegeben. Stattdessen wird in einem wirtschaftspolitisch wichtigen Bereich auf privat entwickelte Standards verwiesen, die mit rechtsnormgleicher Geltung ausgestattet werden. Daneben gibt es auch halbstaatliche Expertennormen wie z. B. die Regeln des Basler Ausschusses für Bankenregulierung38. Dieser Ausschuss ist zwar nicht privatrechtlich organisiert; gleichzeitig fehlt eine eindeutige völkerrechtliche Verankerung. Mitglieder sind die Notenbankgouverneure und die Finanzaufsichtsbehörden der sog. „G 10 Staaten“. Wiewohl diese Personen keine Privatleute sind, sind sie meist rechtlich oder zumindest faktisch unabhängig und damit jeder demokratischen Kontrolle entzogen. Die Empfehlungen dieses Ausschusses werden in erster Linie durch weitere Expertenrunden rezipiert, während die parlamentarischen Beschlüsse aufgrund der Unabänderbarkeit der finanzpolitischen Formeln nur symbolischen Charakter haben39. Häufig werden technische Normen im Auftrag staatlicher Einrichtungen formuliert. In diesen Fällen handelt es sich um staatliche Delegation. Demgemäß können sie ihre faktische Zwangswirkung für die Marktakteure grundsätzlich auf eine Entscheidung des Gesetzgebers zurückführen40. Schwieriger ist die Einordnung von technischen Normen, die ohne expliziten staatlichen Auftrag entwickelt worden sind. Diese werden nicht aus formalen Gründen oder wegen möglicher Sanktionen akzeptiert, sondern auf Grund ih37
Schuppert/Bumke, Verfassungsrechtliche Grenzen, S. 72, 77. Vgl. zu den resultierenden theoretischen Probelem Ruffert, Globalisierung als Herausforderung, S. 34 f. 39 Köndgen, AcP 206 (2006), S. 477, 494. 40 Röthel, JZ 2007, S. 755, 758. 38
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1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
rer sachlichen Qualität, die durch die Expertise ihrer Verfasser gewährleistet sein soll41. Damit kann diese Art der technischen Normen ein Beispiel für das schwierige Feld des „hardening of soft law“ liefern42. Denn auch wenn sie zum Ende des Prozesses von staatlicher Seite angenommen werden, wie z. B. der codex alimentarius von der WTO übernommen worden ist, stellt sich die Frage nach präziser Zuordnung der politischen Verantwortung für diese Regelungen, weil Setzung und Durchsetzung sowohl sozial als auch temporal entkoppelt sind43.
VI. Autonome Rechtsordnungen Insbesondere im deutschsprachigen Raum wird unter dem Begriff des transnationalen Rechts zunehmend das Auftreten von autonomen – privat gesetzten – Rechtsordnungen verstanden44. Demnach bilden sich auf globaler Ebene in verschiedenen Teilbereichen eigene Normenordnungen heraus, die vom Staat unabhängig sind. Zu dieser Entwicklung soll es kommen, weil ein Weltstaat fehlt, der bestimmte Bereiche einheitlich regeln kann45. Eine solche Einheitlichkeit kann jedoch in bestimmten Bereichen unverzichtbar sein. Da der Weg über völkerrechtliche Verträge zu langwierig und wenig erfolgversprechend erscheint, werden stattdessen Normenordnungen von den Beteiligten entwickelt, die Mechanismen enthalten, um Normstreitigkeiten zu entscheiden und diese Entscheidungen durchzusetzen. Prominentestes Beispiel ist die lex mercatoria, die eine Art einheitliches globales Handelsrecht darstellen soll, welches Probleme des Internationalen Privatrechts vermeidet. Als weitere Beispiele werden regelmäßig die Regelungen des internationalen Sports (lex sportiva) sowie die Regulierung des Internets (lex informatica oder digitalis) genannt. Diese Systeme sollen parallel zum staatlichen Recht existieren und in ihrer Geltung nicht von dessen Anerkennung abhängig sein, weil sie gerade in den transnationalen Räumen auftreten, in denen kein nationaler Staat eine genuine Rechtsetzungskompetenz beanspruchen kann46. Dieses Phänomen wird als eigenständige dritte Rechtskategorie gesehen, die als transnationales Recht gleichberechtigt neben das nationale und internationale Recht treten soll.
41
Kerwer, Governance 18 (2005), S. 611, 617 f. Vgl. Schuppert, Staatswissenschaften, S. 910. 43 Kerwer, Governance 18 (2005), S. 611, 623. Weitere Ausführungen dazu bei Köndgen, AcP 206 (2006), S. 490 ff. 44 Vgl. Teubner RJ 15 (1996), S. 255 ff., Zumbansen, RabelsZ 67 (2003), S. 637 ff., Calliess, Verbrauchervertäge, S. 219; Zangl/Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung – Baustein für Global Governance. 45 Calliess, Verbraucherverträge, S. 185. 46 Anschaulich ist dies insbesondere für die lex informatica, da häufig diskutiert wird, ob der cyberspace einen eigenen Raum darstellt. 42
1. Kap.: Bedeutungen des Begriffs des transnationalen Rechts
33
Dieses transnationale Recht wird von Calliess wie folgt beschrieben: „(1) Es ist auf (a) allgemeine Rechtsprinzipien sowie (b) deren Kondensation und Konfirmation in zivilgesellschaftlicher Praxis (Übung) begründet, (2) seine Anwendung, Interpretation und Fortbildung obliegt – jedenfalls vornehmlich – privaten Anbietern alternativer Streitschlichtungsmechanismen, und (3) sein Zwangscharakter beruht auf der rechtsförmig organisierten Anordnung und Vollziehung sozialökonomischer Sanktionen. Schließlich findet (4) eine Kodifikation transnationalen Rechts – wenn überhaupt – in Form allgemeiner Prinzipien- und Regelkatalogen, standardisierten Vertragsformularen oder Verhaltenskodizes statt, die von privaten Normierungsinstitutionen aufgestellt werden.“47
VII. Zwischenbilanz und Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes Schon bei dieser groben und nicht notwendig vollständigen Einteilung zeigt sich, wie viele Facetten das transnationale Recht besitzt. Es wird zum Teil als Chiffre für Entwicklungen verwandt, deren Richtung noch nicht endgültig abschätzbar ist (vgl. Regionale Integration). Aufgrund einer funktionalen Perspektive, die auf alle grenzüberschreitenden Sachverhalte und das Verhalten privater transnationaler Akteure gerichtet ist, wird der traditionelle Begriff des internationalen Rechts erweitert (Kosmopolitisches Recht, internationale Standards) bzw. die zunehmende internationale Verflechtung der Nationalstaaten aufgezeigt (transnationalisiertes und grenzüberschreitend wirkendes staatliches Recht). Überdies kann der Begriff kulturkritisch benutzt werden, wenn nachgewiesen wird, dass bestimmte Prinzipien globale Geltung beanspruchen, aber nicht multinational legitimiert sind, sondern auf der extraterritorialen Anwendung von „westlichem“ Recht beruhen (Kosmopolitisches Recht, internationale Standards)48. Schließlich wird von dem Begriff auch ein „post-nationales“ Konzept umfasst, welches mit der engen Bindung von Staat und Recht bricht und die punktuelle Emergenz von Rechtssystemen jenseits des Nationalstaats annimmt bzw. beobachtet (Autonome Rechtsordnungen). Eine Arbeit über das transnationale Recht im weiteren Sinne müsste also ein wahres opus magnum werden oder liefe Gefahr, oberflächlich zu bleiben. Angesichts der geringen Zahl der Vorarbeiten ist es demnach sinnvoll, einzelne Aspekte eingehender zu untersuchen, um in einem weiteren Schritt die so erreichten Ergebnisse miteinander zu vergleichen, zu ordnen und dann – falls möglich – eine Meta-Theorie des transnationalen Rechts zu entwickeln. Untersucht werden soll deswegen – wie bereits angedeutet – der Bereich, der gegenwärtig in der rechtstheoretischen Diskussion im deutschsprachigen Raum mit dem Begriff „Transnationales Recht“ (wenn man so will, im engeren Sinne49) 47 48 49
Calliess, Verbrauchervertäge, S. 219. Calliess, Verbraucherverträge, S. 216. Vgl. Calliess, Verbraucherverträge, S. 216.
1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
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bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um die privat gesetzten Normensysteme, die aus eigenem Anspruch als Recht gelten sollen. Eine Konzentration auf diesen Bereich des transnationalen Rechts erscheint sinnvoll, weil in ihm eine besonders ambitionierte Entwicklung der Rechtstheorie zum Ausdruck kommt. Während sich andere dargestellte Kategorien noch in die bestehenden rechtlichen Prozesse mit Hilfe einiger Modifikation einpassen ließen, wird durch die Idee der autonomen selbstregulierenden Rechtssysteme ein eigenständiger Prozess begründet. Der Staat, der traditionell eine besonders enge Verbindung zum Recht aufweist, wird nicht nur vom Hauptakteur zu einem Akteur unter mehreren „degradiert“, sondern soll für den Prozess der Rechtsentstehung dieser autonomen transnationalen Rechtssysteme weitgehend irrelevant werden. Es verwundert kaum, dass deswegen die Diskussion über die lex mercatoria als Beispiel für ein solches „Rechts“system als einer der „letzten Fragen des Staatsgefühls“ gesehen wird50. Die Möglichkeit der privaten Rechtsetzung wäre zwar keine neue Erkenntnis, doch wird für den Staat bislang noch ein Rechtsanerkennungsmonopol reklamiert51. Fällt dieses jedoch weg, so liegt ein seltener Fall vor, in dem eine Rechtstheorie praktische Auswirkungen auf die Fallentscheidung hat52. Wenn es nämlich möglich wäre, die Geltung der privaten Normenordnungen rechtstheoretisch zu begründen, könnten diese statt des staatlichen Rechts als Entscheidungsgrundlage genutzt werden. Diese Arbeit soll vor allem auf die folgenden Fragen Antwort geben: – In welchem Umfang und in welcher Qualität gibt es transnationale Normenordnungen, die jenseits des Staates entstanden sind und weiterhin bestehen? – Können diese Normenordnungen – unter Berücksichtigung ihres Entwicklungspotentials – als eine neue Kategorie des Rechts bezeichnet werden? Eine Beschäftigung mit diesen Fragen ist jedoch nur sinnvoll, wenn man keine der beiden von vornherein verneint. Dass es Normenordnungen jenseits des Staates gibt, dürfte der überwiegenden Mehrzahl der Juristen noch unmittelbar einleuchten. Bei der zweiten Frage scheiden sich dagegen die Geister. Für ausgewiesene Positivisten ist diese Vorstellung von privatem Recht so absurd, dass sich mit ihr jede Beschäftigung von selbst verbietet. Mit einer solchen – rechtstheoretisch gut begründbaren – Zurückweisung täte man aber allen Juristen Unrecht, die sich ausgiebig mit diesem Problem beschäftigt haben, und müsste sich die Kritik gefallen lassen, an „veralteten Dogmen“ festzuhalten und neue Entwicklungen nicht angemessen zu berücksichtigen, kurz ein „Traditionalist“ anstatt eines „Transnationalisten“ zu sein53. 50
So bereits 1929 Großmann-Doerth, JW 1929, S. 3447, 3448. F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 136. 52 Teubner, RJ 15 (1996), S. 255, 264. 53 So die Zuspitzung von Berger, The New Law Merchant, S. 1 und Zumbansen, RabelsZ 67 (2003), S. 637, 644. 51
2. Kap.: Rechtstheoretische Grundlagen der aktuellen Diskussion
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Anzumerken bleibt noch, dass es sich beim „transnationalen Recht“ grundsätzlich um eine Erscheinungsform handelt, die besonderen Anspruch auf Universalität erhebt. Wie aber bereits deutlich gemacht wurde, soll Deutschland als Ausgangspunkt der Untersuchung genommen werden, so dass die Ergebnisse in erster Linie für die deutsche Rechtsordnung Gültigkeit haben. Beispiele werden jedoch in Einzelfällen auch aus anderen „westlichen“ Staaten zur Verdeutlichung hinzugezogen. Es ist zu vermuten, dass aufgrund des gemeinsamen geschichtlichen, kulturellen, politischen und rechtlichen Hintergrundes die Ergebnisse auch für diese Länder von Bedeutung sind. Allerdings findet die Untersuchung in jedem Fall vor dem Hintergrund eines funktionierenden und ausdifferenzierten Rechtssystems statt. An einem solchen mangelt es in manchen Schwellen- und Entwicklungsländern, so dass dort private Regulierungen auf andere Weise wirken und wirken können54. Deshalb sollten die Ergebnisse nur mit äußerster Vorsicht auf Staaten mit anderem historischen Hintergrund übertragen werden.
2. Kapitel
Rechtstheoretische Grundlagen der aktuellen Diskussion 2. Kap.: Rechtstheoretische Grundlagen der aktuellen Diskussion
Zu den privat-autonomen Rechtssystemen im Allgemeinen und zu der lex mercatoria im Besonderen haben sich inzwischen eine Vielzahl von Theorien zur Geltungsbegründung entwickelt. Zu Beginn der Debatte über die „neue“ lex mercatoria waren französische Juristen derartig tonangebend, dass diese – insbesondere in England – als „Hirngespinst einiger Sorbonne-Professoren“ geschmäht wurde1. Einen umfassenden Überblick über die damalige theoretische Diskussion bis in die kleinsten Verästelungen bietet De Ly2, auf den verwiesen werden kann. Die gängigen Begründungen sehen sich jedoch gewichtigen Einwänden ausgesetzt. So wird bereits die Existenz einer hinter der lex mercatoria stehenden „société internationale des vendeurs et acheteurs“3 bezweifelt4, die im Übrigen der lex mercatoria lediglich zu einer sozialen und nicht juristischen Geltung verhelfen könnte5. Auch der Rückgriff auf die Vertragsautonomie als Grundpfeiler der lex mercatoria muss letztlich dazu führen, „pacta sunt servanda“ als naturrechtliches Prinzip anzuerkennen. Eigentlich bindet nämlich – jedenfalls aus der rechtlichen Perspektive – nicht der Vertrag selbst, sondern eine Rechtsordnung bindet an den Vertrag6. Das 54
Vgl. zu dieser Wirkung McMillan/Woodruff, 98 Mich. L. Rev. (2000), S. 2421 ff. Vgl. dazu Teubner, RJ 15 (1996), S. 255, 266. 2 De Ly, International Business Law, S. 207 ff. 3 Diese Idee geht auf Kahn, La vente commerciale internationale, S. 17, zurück. 4 v.Bar, IPR, S. 88. 5 Zu den drei verschiedenen Geltungsformen, siehe Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 139 ff. 6 Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 240. 1
1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
36
klassische Gewohnheitsrecht hat schließlich den Nachteil, sich nur langsam zu entwickeln, obwohl doch das transnationale Recht gerade der weltweiten Beschleunigung durch die Globalisierung Rechnung tragen soll. In Deutschland hat die theoretische Diskussion 1996 einen wesentlichen Impuls durch den Artikel „Globale Bukowina“7 und den daran anschließenden Sammelband „Global law without a state“8 von Günter Teubner erhalten. In diesem Beitrag unterstellt der Verfasser den eben genannten theoretischen Argumenten zunächst eine „gedankliche Armut, [die] nur von der konzeptionellen Dürftigkeit ihrer Widersacher erreicht wird“9. Er belässt es jedoch nicht bei dieser Kritik, sondern entwickelt eine eigene Theorie, die deutlich komplexer ist10 und auf der von ihm maßgeblich entwickelten autopoietischen Rechtstheorie11 aufbaut. Sein Ansatz wurde – insbesondere in den Schriften seiner (ehemaligen) Mitarbeiter – mehrfach aufgegriffen12, so dass er auch den Ausgangspunkt der folgenden Untersuchung bilden soll.
1. Abschnitt
Rechtspluralismus als Ausgangspunkt Bevor die einzelnen Ansätze vorgestellt werden, sei auf den gemeinsamen Ausgangspunkt der gesamten Diskussion, nämlich den Rechtspluralismus13, hingewiesen. Theorien, die neue Entwicklungen jenseits des Nationalstaates als Recht erfassen wollen, müssen notwendig davon ausgehen, dass Recht nicht an nur einer Stelle entsteht. Dabei bedeutet Rechtspluralismus zunächst nur, dass nicht ausschließlich eine Institution, z. B. ein absoluter Monarch, Recht setzen kann. In Deutschland besteht demgemäß ein staatlicher Rechtspluralismus. Nicht nur der Deutsche Bundestag, sondern auch die Landtage sind befugt, Recht zu setzen. Dies stellt kein Problem dar, da die einzelnen Zuständigkeiten durch das Grundgesetz abgegrenzt werden. 7
Teubner, RJ 15 (1996), S. 255 ff., in englisch erscheinen als ders. ‚Globale Bukowina‘, S. 3 ff. 8 Teubner (Hrsg.), Global Law without a state. 9 Teubner, RJ 15 (1996), S. 255, 265. 10 Ausweislich eines abgedruckten Anwortsbrief im RJ, lehnte RabelsZ den Druck des Artikels „Globale Bukowina“ unter Hinweis auf die Komplexität und Unverständlichkeit insbesondere für ausländische Leser ab. Vgl. Teubner, RJ 15 (1996), S. 255, 283. 11 Teubner, Recht als autopoietisches System. 12 Vgl. Zumbansen, RabelsZ 67 (2003), S. 637, 675 ff.; ders., Transnational Law, S. 738, 741; Calliess, Verbraucherverträge, S. 279; ders. ZfR 23 (2002), S. 185 ff.; ders., RabelsZ 68, 2004, S. 244 ff. Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 42 ff. Siehe aber auch Lieckweg, Das Recht der Weltgesellschaft. 13 Einen Überblick zum gegenwärtigen Forschungsstand insbesondere auf dem Gebiet der Rechtsanthropologie bietet F. v. Benda-Beckmann, 27 J. Legal Pluralism & Unofficial L. (2002), S. 37 ff.
2. Kap.: Rechtstheoretische Grundlagen der aktuellen Diskussion
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Als wichtiger Wegbereiter für die darüber hinausgehende Idee des Rechtspluralismus wird der Rechtssoziologe Eugen Ehrlich angesehen14. Dieser untersuchte die Gewohnheiten der Landbevölkerung in der österreichischen k. u. k. Monarchie. Dabei stellte er fest, dass ihr Verhalten nur zu einem sehr geringen Teil durch die offiziellen Gesetze, sondern in erster Linie durch überliefertes Gewohnheitsrecht geprägt wurde. Er unterscheidet in der Folge zwischen „geschriebenem“ und „gelebtem“ Recht15. Ähnlich wie in der Kolonialzeit handelte es sich dabei um einen staatszentrierten Pluralismus. Zwar wurde das Verhalten der Bevölkerung nur zu einem geringen Teil direkt durch staatliches Recht bestimmt, in einem Konfliktfall setzte sich aber das staatliche Recht durch. Deswegen werden diese Ordnungen auch nur als semi-autonom bezeichnet16. Das staatliche Recht bildete also eine Art Regenschirm, unter dessen Schutz sich diese Normenordnungen entwickeln konnten17. Der Rechtspluralismus der Gegenwart soll noch einen Schritt darüber hinaus gehen18. Dieser neue Rechtspluralismus soll nicht in dem Sinne legalistisch sein, dass er das Problem von neuen Normenordnungen in der Anerkennung durch das staatliche Recht sieht; er soll nicht hierarchisch sein, weil er versucht, rechtliche Ebenen mit gesellschaftlichen Ebenen zu identifizieren; und er soll nicht institutionalistisch sein, indem er vermeidet, den sozialen Ort des Rechtspluralismus in formal strukturierte Institutionen hineinzulegen. Stattdessen ist der Blick des neuen Rechtspluralismus auf die dynamischen Wechselwirkungen einer Vielzahl von Normenordnungen innerhalb eines gesellschaftlichen Feldes gerichtet19. Wenn tatsächlich das transnationale Recht als dritte Art von Recht existieren soll, so muss dieses dem staatlichen Recht gleich geordnet sein und in der Folge als autonom angesehen werden.
2. Abschnitt
„Globale Bukowina“ – Teubners Ansatz zur theoretischen Bewältigung des globalen Rechtspluralismus Erklärtes Ziel von Teubner ist es, den Glaubenskrieg um die lex mercatoria zu einem friedlichen Ende zu führen, indem er den Blick von den theoretischen Spekulationen weg- und auf die Tatsachen hinlenkt20. Wie bereits angedeutet geht er dabei von der Systemtheorie und der autopoietischen Rechtstheorie aus. 14
Auf dessen Werk sich Teubner bereits mit dem Titel „Globale Bukowina“ ausdrücklich bezieht, vgl. Teubner, RJ 15 (1996), S. 255. 15 Ehrlich, Grundlegung, S. 390. 16 Vgl. F. v. Benda-Beckmann, 27 J. Legal Pluralism & Unofficial L. (2002), S. 37, 59. 17 Michaels, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 1209, 1221. 18 Teubner, Lib. Am. Esser, S.191, 198. 19 Teubner, Lib. Am. Esser, S.191, 198 20 Teubner, RJ 15 (1996), S. 255, 268.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
I. Ausgangspunkt „Systemtheorie“ Die Theorie der autopoietischen Systeme beruht auf der Systemtheorie Luhmanns. Danach wird die Gesellschaft als ein alle Kommunikationen umfassendes soziales System verstanden. Folglich kann es außerhalb dieses Systems – also in dessen Umwelt – keine Kommunikationen, sondern nur Ereignisse anderer Art geben21. Da die Gesellschaft alle Kommunikationen umfasst, ist eine Kommunikation mit der Umwelt ausgeschlossen, da andernfalls bereits eine Gesellschaft konstituiert wäre, die Umwelt mithin nicht mehr Umwelt wäre. Somit ist das System operativ geschlossen. Was allerdings möglich ist und zwangsläufig erfolgt, ist eine Kommunikation über die Umwelt, so dass das System zwar operativ geschlossen, aber informationell offen ist22. Das Recht soll ein Subsystem der Gesellschaft sein, welches sich neben anderen Subsystemen wie Politik, Wirtschaft etc. aufgrund der speziellen Funktionen, die es in der Gesellschaft erfüllt, ausdifferenziert hat23. Die Hauptfunktion des Rechts ist es demnach, die Verhaltenserwartungen zu stabilisieren und damit Erwartungssicherheit zu ermöglichen, indem es die Erwartungen in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht generalisiert24. Daneben soll das Recht für die anderen Funktionssysteme der Gesellschaft Leistungen erbringen, insbesondere der Verhaltenssteuerung und der Konfliktlösung25. Funktion und Leistung unterscheiden sich vor allem in der Reichweite ihrer funktionalen Äquivalente. Verhalten kann auch durch positive Anreize gesteuert, Konflikte können auf vielfältige Weise geregelt werden. Dagegen gibt es für die Absicherung des normativen Erwartens kaum Alternativen26. Die Abgrenzung gegenüber den anderen Subsystemen soll jedoch nicht nur durch die Funktionen, sondern auch durch die Art der Kommunikation erfolgen. Die spezifische Kommunikationsart der verschiedenen Subsysteme wird als Code bezeichnet. Nur Funktion und Code zusammengenommen bewirken, dass die rechtsspezifischen Operationen sich deutlich von anderen Kommunikationen abgrenzen lassen27. Rechtskommunikation unterscheidet sich von Kommunikationen anderer Art durch ihren Bezug auf den binären Code „Recht/Unrecht“. Damit kann sich jede Kommunikation dem Rechtssystem selbst zuordnen, indem sie sich am Rechtscode orientiert, also etwas als Recht (oder Unrecht) behauptet und damit einen Anspruch auf rechtliche Geltung erhebt28. Anhand dieses Codes vollzieht sich die operative Schließung des Rechts, da – wie bereits für die Gesellschaft ins21 22 23 24 25 26 27 28
Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 178 ff. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 42 ff. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 33 ff, 55 ff. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 131. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 156 ff. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 157. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 165. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 66 ff.
2. Kap.: Rechtstheoretische Grundlagen der aktuellen Diskussion
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gesamt ausgeführt – es keine rechtliche Kommunikation außerhalb des Rechtssystems geben kann. Diese operative Geschlossenheit wird durch den Begriff „Autopoiese“ (Selbstbildung) ausdrückt. Damit ist gemeint, dass kein rechtlich relevantes Ereignis seine Normativität aus der Umwelt beziehen kann, sondern nur durch die Anknüpfung an andere Rechtskommunikationen29. Jede Rechtsoperation verweist demnach rekursiv auf eine andere. Dieser Verweis wird über Strukturen (Normen, Regeln, Texte) vermittelt, die ihre beobachtbare Realität jedoch wiederum nur in den Rechtskommunikationen haben können30. Schließlich fokussiert die Systemtheorie Kommunikationen und nicht Strukturen. Innerhalb dieser Kommunikationen werden die Strukturen dann kondensiert und konfirmiert (z. B. erinnert und vergessen, angewandt und bestätigt, interpretiert und uminterpretiert). Damit stehen Struktur und Operation, also z. B. Rechtsnorm und Urteil, in einem zirkulären Verweisungszusammenhang und produzieren sich in diesem Sinn gegenseitig31, womit sich das System als Ganzes gesehen selbst produziert. Dabei wird mit Autopoiesis nicht ausgedrückt, dass sich das Recht von der Gesellschaft total abschließt, sondern sie ist die Voraussetzung eines ausdifferenzierten Rechtssystems, welches sich nur anhand des Codes Recht/ Unrecht von nicht-rechtlichen Kommunikationen abgrenzen kann. Die Alternative zur operativen Geschlossenheit wäre also nicht ein offenes System, sondern gar kein Rechtssystem. Problematisch an dieser Konzeption ist, dass Kommunikation in ihrer Einheit aus Mitteilungshandlung, Information und Verstehen nicht direkt beobachtet werden kann32. Sie kann nur erschlossen werden durch die Beobachtung daran anknüpfender Handlungen. Deswegen soll das Rechtssystem zur Reduzierung der Komplexität verkürzt als Handlungssystem beschrieben werden33. Das Rechtssystem in einem engeren Sinne besteht daher aus Rechtsakten, wobei ein Rechtsakt jede Handlung ist, die Rechtsfolgen auslöst und damit die Rechtslage ändert34. Damit sind neben Gesetzen auch Urteile, Verträge, Satzungen, Testamente etc. Rechtsakte. Innerhalb des Rechtssystems (hier wieder verstanden als die Menge aller am Rechtscode orientierten Kommunikationen) bildet sich so ein engerer Bereich rechtlich verbindlichen Entscheidens zur Feststellung und Änderung des Rechts heraus. Dieses organisierte Entscheidungssystem des Rechts beruht auf der Reflexivität des Normierens (Normieren des Normierens), also ähnlich wie Harts „secondary rules“35 auf Kompetenz-, Organisations- und Verfahrensnormen. De29 30 31 32 33 34 35
Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 98 ff. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 212. Teubner, Recht als autopoietisches System, S. 54 ff. Luhmann, Soziale Systeme, S. 228. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 74 f. Luhmann, Rechtstheorie 1983, S. 129, 135 f. Hart, Der Begriff des Rechts, S. 135 ff.
40
1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
ren Beachtung führt dazu, dass eine Entscheidung selbst normative Kraft hat, also ein Rechtsakt ist36. Sobald ein organisiertes Entscheidungssystem im Recht institutionalisiert ist, kann nur noch in diesem festgelegt werden, was in einem offiziellen Sinne Recht ist. Dadurch wird das System normativ geschlossen. Rechtskommunikationen können das Recht nur noch ändern, wenn sie als Rechtsakte anerkannt sind37. Dieses Rechtssystem im engeren Sinne differenziert sich im Laufe der Zeit in Zentrum und Peripherie38. Im Zentrum stehen die Gerichte, die aufgrund des Justizverweigerungsverbots jeden Fall entscheiden müssen39. So werden die Normen ständig kondensiert und konfirmiert. Festzuhalten bleibt, dass sich das Recht als autopoietisches System im Sinne eines normativ geschlossenen Systems etabliert, wenn ein organisiertes Entscheidungssystem im Recht eingeführt ist, welches verbindlich über die Anerkennung von Recht entscheidet. Seit dem Niedergang des Naturrechts stellt sich jedoch für das Recht die Frage nach seiner Legitimation. Diese Legitimation kann nur noch über Konsens vermittelt werden. Da die im Zentrum des Rechtssystems stehenden Gerichte keinen Konsens schaffen können, ist das Rechtssystem auf einen Konsensimport angewiesen. Dieser erfolgt an der Peripherie, wo es Berührungspunkte mit der gesellschaftlichen Umwelt gibt40. Wie bereits ausgeführt, ist das Recht operativ geschlossen, so dass eine operative Kopplung an andere Subsysteme ausgeschlossen ist. Eine politische Kommunikation kann zwar kausal für die Rechtsänderung werden, sie kann jedoch nicht unmittelbar das Recht ändern41. Stattdessen bietet das Recht seiner gesellschaftlichen Umwelt die Möglichkeit, selbst verbindliche Rechtsakte vorzunehmen, wobei das Recht präzise definiert, unter welchen Voraussetzungen eine solche Handlung rechtsverbindlich ist. Diese Verbindung wird als strukturelle (im Gegensatz zur operativen) Kopplung bezeichnet. So kann die Politik durch den Erlass von verfassungsgemäßen Gesetzen Rechtsakte setzen, während die Wirtschaft durch rechtmäßige Verträge Rechtsakte vornehmen kann. Beide, das demokratisch beschlossene Gesetz und der frei ausgehandelte Vertrag, erscheinen als selbstgesetzt, so dass sie das Recht durch Konsens legitimieren. Der Grundgedanke der strukturellen Kopplung ist, dass die Einflüsse der Umwelt auf ein System beschränkt werden, so dass ein System nicht das andere dominiert, aber gleichzeitig erleichtert werden, damit der notwendige Austausch zwischen den Systemen stattfinden kann42.
36 37 38 39 40 41 42
Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 145 ff. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 86 ff., 143 ff. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 297 ff. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 320 ff. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 323. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 94. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 440 ff.
2. Kap.: Rechtstheoretische Grundlagen der aktuellen Diskussion
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II. Globaler Rechtspluralismus Im Zuge der Globalisierung stellt sich die Frage, wie das Recht einer Weltgesellschaft entstehen kann, ohne dass sich ein Äquivalent zum Nationalstaat auf globaler Ebene entwickelt. Teubner möchte diese Frage beantworten, indem er den Rechtspluralismus im Sinne von Ehrlich systhemtheoretisch reformuliert. Den Ausgangspunkt bildet seine Beobachtung, dass sich die Wirtschaft und andere gesellschaftliche Teilsysteme (z. B. Wissenschaft, Sport) global ausdifferenzieren und die segmentäre Differenzierung entlang territorialer Grenzen zunehmend schwindet. Die Systeme der Politik und des Rechts bleiben dagegen an den Nationalstaat gebunden. Durch diese Ungleichzeitigkeit im Prozess der Globalisierung entsteht eine Art rechtliches Vakuum. Auch „politische“ Theorien des Rechts sollen unbrauchbar zur Beschreibung und Interpretation dieser Entwicklungen sein43, da „die strukturelle Kopplung des politischen Systems und des Rechtssystems über Verfassungen auf der Ebene der Weltgesellschaft keine Entsprechung hat“44. Mangels eines Weltstaats muss dieses Vakuum durch private Ordnungsleistungen und gesellschaftliche Selbstorganisation gefüllt werden, es entsteht ein globaler gesellschaftlicher Rechtspluralismus. Demnach entwickelt sich das neue globale Recht „von den gesellschaftlichen Peripherien, also von den Kontaktzonen zu anderen Sozialsystemen, her und nicht im Zentrum nationalstaatlicher oder internationaler Institutionen“45. Diese Idee führt Teubner am Beispiel der lex mercatoria aus, wobei diese Ausführungen als Folie für andere Bereiche dienen sollen. Hierin sieht er einen zweifachen Tabubruch mit dem traditionellen staatsfixierten juristischen Denken46. Erstens sollen private Verfügungen (also insbesondere Verträge) als Rechtsquelle angesehen werden. Zweitens beansprucht die dadurch entstehende lex mercatoria Geltung auch jenseits der Nationalstaaten. Um die Frage nach Recht und Nicht-Recht auf globaler Ebene, also jenseits des organisierten Entscheidungssystems des (nationalen) Rechts, zu beantworten, will Teubner nunmehr als Ausgangspunkt die Selbstbeschreibung des Rechts nehmen47. Er will mit seiner Rechtstheorie nicht aus dieser Theorie selbst heraus die Grenzen des Rechts festlegen, sondern dieses dem autonomen System des Rechts selbst überlassen und es dabei lediglich beobachten; er nennt dies im Anschluss an Luhmann „Beobachtung zweiter Ordnung“48. Die Reichweite des Rechts soll nicht mehr dogmatisch, sondern empirisch bestimmt werden. Damit will Teubner den „Glaubenskrieg“ um die lex mercatoria beenden49. Legt man diesen Maßstab 43
Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 260. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 582. 45 Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 261. 46 Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 267. 47 Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 267 f. 48 Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 268; vgl. Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 76 f. 49 Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 268. 44
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1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
an und fragt, wo die konkrete Normenproduktion stattfindet, so soll man zu dem Schluss gelangen, dass sie sowohl in der Politik als auch vor den Gerichten, aber auch – und gerade – in ökonomischen und anderen sozialen Prozessen, in einem anationalen Kontext stattfindet. Dadurch sieht sich Teubner in seiner Vermutung bestätigt, dass es einer pluralistischen Theorie bedarf, damit alle drei Prozesse als gleichberechtigt anerkannt werden. Wie bereits ausgeführt, bedeutet für die Systemtheorie „Recht“ nicht ein Regelwerk mit Normen, sondern die gesamte Kommunikation, die auf den binären Code „Recht/Unrecht“ bezogen ist. Dieses betont Teubner nochmals und führt diesen Gedanken derart weiter, dass solches Recht nicht der klassischen Sanktion bedarf, sondern bloß irgendeiner Art der (symbolischen) Unterstützung, die zur Regelbefolgung zu motivieren vermag50. Die „soziale Kontrolle“, die nach anderen Auffassungen des Rechtspluralismus das „Rechtliche“ ersetzen solle, sei hingegen zu weit, da sie jede Form sozialer Machtausübung einbeziehe und nicht auf den binären Recht/Unrecht-Code beschränkt sei51. Auch die von Teubner zugestandene extreme Unbestimmtheit der normativen Substanz stellt für ihn kein Problem dar. Wenn nicht im Regelwerk das Wesen einer Rechtsordnung liegt, sondern im Kommunikationsprozess, der das Geltungssymbol gemäß dem binären Rechtscode prozessiert52, bedarf es auch keiner eindeutig festgelegten normativen Substanz.
III. Rechtsentstehung durch Vertrag Nachdem Teubner die Emergenz einer neuen Rechtsart beobachtet hat, arbeitet er die Entstehung theoretisch auf. Problematisch ist bei der Geltungsbegründung des globalen Rechts die dafür notwendige Selbstvalidierung von Verträgen. Grundsätzlich sind sich selbst in Kraft setzende Verträge ein Paradox – vergleichbar dem lügenden Kreter53 – und werden deswegen als undenkbar angesehen. Dieses Paradox der vertraglichen Selbstbezüglichkeit möchte Teubner „entfalten“54 und sieht in der Praxis der globalen Verträge drei Methoden der Entparadoxierung – nämlich die Hierarchisierung, Temporalisierung und Externalisierung. Diese Methoden stützen sich gegenseitig und ermöglichen dem globalen Recht der Peripherie, ohne Inanspruchnahme staatlicher Hilfe, sein eigenes Zentrum zu errichten. Als Beispiel nennt er die sogenannte „closed circuit arbitration“, bei der die durch einen Vertrag geschaffene Institution über die Gültigkeit desselben Vertrages entscheidet55. 50 51 52 53 54 55
Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 270 f., 281 f. Teubner, Lib. Am. Esser, S.191, 200. Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 282. Ein Beispiel aus der Antike, in dem ein Kreter feststellt: „Alle Kreter lügen“. Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 273. Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 275.
2. Kap.: Rechtstheoretische Grundlagen der aktuellen Diskussion
43
Selbstregulierende Verträge sollen nicht nur Primärregeln im Sinne Harts56 enthalten, die das zukünftige Verhalten der Parteien regeln, sondern auch Sekundärregeln für die Identifizierung, Interpretation und Konfliktslösungsprozeduren der Primärregeln. Dadurch wird eine interne Hierarchie geschaffen, indem Normen (Primärregeln) und Meta-Normen (Sekundärregeln) getrennt werden. Das Paradox der Selbst-Inkraftsetzung existiert zwar weiter, ist aber entfaltet. Des Weiteren wird das Paradox durch diese Verträge temporalisiert, indem der Vertrag in einen kontinuierlichen Prozess von Rechtsakten eingepasst wird. Jeder Vertrag hat somit eine retrospektive Komponente, weil er auf eine bereits bestehende Menge standardisierter Regeln aufbaut, sowie eine prospektive, weil er auf zukünftige Konfliktlösungen verweist. Der wichtigste Punkt soll die Externalisierung sein, indem die Beurteilung der Geltungsbedingungen und die Lösung zukünftiger Konflikte externen, nicht-vertraglichen Institutionen zugewiesen wird, die aber dennoch insofern „vertraglich“ sind, als sie bloße interne Produkte des Vertrags selbst sind57. Solche Institutionen sind in erster Linie Schiedsgerichte. In der zirkulären Beziehung zwischen Vertrag und Schiedsgericht können dann „reflexive Mechanismen“ als Basis eines autonomen Rechtssystems entdeckt werden58. Eine weitere Externalisierung ist die vertragliche Konstituierung von quasi-legislativen Institutionen wie der Internationalen Handelskammer in Paris. Dann bildet sich sogar ein institutionelles Dreieck, welches zugleich als nicht-vertragliche Grundlage dient59. Die Externalisierung via reflexiver Mechanismen ist von besonderer Bedeutung, weil dadurch nicht nur die vertragliche Selbstvalidierung deparadoxiert wird, sondern zugleich eine interaktive Dynamik zwischen „nicht-offizieller“ und „offizieller“ Version des globalen Rechts erzeugt wird60. Es wird dadurch zwischen organisierter und spontaner Rechtsproduktion unterschieden, was funktional äquivalent mit der Unterscheidung von staatlich-gerichtlichem Vertragsrecht und privatautonomer Vertragsordnung ist. Das „nicht-offizielle“ Recht des einzelnen Vertrages wird durch das „offizielle“ Recht der Schiedsgerichte kontrolliert.
IV. Spätere Konkretisierung In späteren Schriften betont Teubner ausdrücklich, dass nicht allein die Beurteilung von Verhalten anhand des binären Codes Recht/Unrecht ausreicht, um von Recht zu sprechen. Vielmehr soll die Institutionalisierung von Prozessen sekundärer Normierung das entscheidende Merkmal sein. Erst wenn Einrichtungen 56 57 58 59 60
Hart, Der Begriff des Rechts, S. 118. Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 275. Stein, Lex Mercatoria, S. 164 ff. Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 275. Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 276.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
geschaffen sind, die die Beobachtungen erster Ordnung nach dem Code „Recht/ Unrecht“ systematisch einer Beobachtung zweiter Ordnung nach dem Rechtscode unterziehen, darf von der Existenz eines autonomen Rechts gesprochen werden61. Das neue Recht erwächst nicht aus langfristigen Abläufen diffuser Kommunikation, sondern ist Produkt der funktionalen Differenzierung. Es entsteht nicht aufgrund informeller Verhaltenskoordination, sondern kraft positiver Setzung in organisierten Entscheidungsprozessen in gesellschaftlichen Teilsystemen. Damit ist es kein neues “spontanes Recht“ á la Hayek62. Die Besonderheit soll vielmehr darin bestehen, dass es nicht auf staatlicher Entscheidung beruht, sondern auf mehr oder weniger durchorganisierten gesellschaftlichen Prozessen63. Mit der Betonung letztgenannter Aspekte verschieben sich die Schwerpunkte der Theorie Teubners. Nachdem zunächst die Selbstvalidierung des Vertrages und dessen Etablierung als gleich geordnete Rechtsquelle im Mittelpunkt der Überlegungen stand, richtet sich der Fokus nunmehr verstärkt auf die institutionalisierte Normensetzung. Dies ist nicht notwendig ein Bruch, denn die Existenz eines institutionellen Dreiecks aus Vertrag, Schiedsgericht und quasi-legislativer Organisation war Bestandteil der Externalisierung des Begründungsparadoxons des neuen Rechts. Doch bedeutet es einen Unterschied, ob man bei der Normentstehung in erster Linie eine Vielzahl von zumeist gering koordinierten Verträgen ins Auge fasst oder sich auf Institutionen konzentriert. In letzterem Fall ist die Normenerzeugung – wie Teubner selber ausführt64 – äußerst organisiert.
V. Zusammenfassung Der Begriff des globalen Rechtspluralismus beruht auf zwei Annahmen65. Die erste betrifft die Rechtsquellenlehre. Da es keine globale Rechtsordnung gibt, die als Geltungsquelle für globale Verträge in Frage kommt, muss der Vertrag selbst als Geltungsquelle anerkannt werden und zwar auf gleicher Stufe mit Richterrecht und Gesetzgebung. Die zweite betrifft die Legitimität des Rechts. „Erkennungsregeln“ müssen nicht notwendig von einer unabhängigen öffentlichen Rechtsordnung produziert und dann auf private Verträge angewandt werden. Stattdessen soll es in diesem Bereich eine „selbst-legitimierende“ Situation geben, „vergleichbar nur mit authentischen Revolutionen, in denen ebenfalls die Gewalt der ersten Unterscheidung rechtsschöpferisch wirkt“66.
61 62 63 64 65 66
Fischer-Lescarno/Teubner, Regimekollsionen, S. 43. Hayek, Rules and Order, S. 72 ff. Teubner, Lib. am. Simitis, S. 437, 440. Teubner, Lib. am. Simitis, S. 437, 440 f. Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 278. Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 278.
2. Kap.: Rechtstheoretische Grundlagen der aktuellen Diskussion
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Als Beispiele für diese Theorie des transnationalen Rechts werden die lex mercatoria und die lex digitalis (die in dieser Arbeit als lex informatica bezeichnet wird) genannt67. Beiden sollen den Bedingungen der technischen Definition als Rechtsquelle genügen, weil sie über eigenständige Rechtsbildungsmechanismen verfügen. Zusätzlich enthalten sie auch eigene sekundäre Normierungen, die den Geltungsanspruch der verschiedenen Quellen für das jeweilige Rechtsregime normieren68. Für die lex mercatoria scheint Teubner für diese sekundäre Normierung, die im vorherigen Unterabschnitt dargestellte Theorie des selbstvalidierenden Vertrages im Sinn zu haben.
3. Abschnitt
Der „pragmatische“ Ansatz von Berger Ein „pragmatischer Weg“69 wird insbesondere von Berger für das transnationale Wirtschaftsrecht beschritten, indem nicht mehr die Frage der theoretischen Geltung in den Mittelpunkt gestellt wird, sondern die Frage nach dem materiellen Inhalt der lex mercatoria70. Dadurch soll der regelmäßig erhobene Einwand, die lex mercatoria sei inhaltsleer, entkräftet werden. Theoretisch liegt diesem Ansatz ein funktionelles Verständnis von Recht zu Grunde. Es soll in erster Linie entscheidend sein, dass eine Normenordnung die Funktionen des Rechts erfüllt, um als Recht gelten zu können. Diese Überlegung lässt sich somit auch auf Normenordnungen in anderen Bereichen übertragen. Berger geht in seinen Überlegungen zum transnationalen Wirtschaftsrecht davon aus, dass der enge Positivismus durch einen Rechtspluralismus ersetzt werden muss. Demgemäß soll die Selbstorganisation der Gesellschaft nicht mehr etwas bloß Faktisches ohne eigene rechtliche Bedeutung sein71. Wenn bestimmte Vertragsklauseln wiederholte Verwendung in einem Bereich – Berger denkt dabei an den internationalen Handel und damit an die lex mercatoria – finden und ein besonderes Vertrauen in die Einhaltung dieser Klauseln entstanden ist, so kann dies eine solche Verdichtung von rechtlichen Prinzipien und Regeln bewirken, dass von einem transnationalen Rechtssystem gesprochen werden muss72. Insoweit entspricht der Ansatz der Idee des Gewohnheitsrechts. Die so ermittelten Rechtsgrundsätze und -normen sollen durch die Grundvorstellungen der societas mercatorum zu der lex mercatoria ergänzt werden73. Dabei sollen in besonderem Maße die Rechtsprechung der internationalen Schiedsgerichte sowie deren wissenschaft67 68 69 70 71 72 73
Fischer-Lescarno/Teubner, Regimekollsionen, S. 43. Fischer-Lescarno/Teubner, Regimekollsionen, S. 43. Dasser, Lex mercatoria, S. 46; Michaels, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 1209, 1225. Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 191 ff. Berger, The new law merchant, S. 1, 18. Berger, ZvglRWiss 101 (2002), S. 12. Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 48 f.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
liche Aufarbeitung berücksichtigt werden, um die wirtschaftlichen Realitäten im internationalen Bereich wahrheitsgetreu abbilden zu können74. Es sollen jedoch nicht nur einzelne Normen entstehen, sondern eine ganze Rechtsordnung. Die in der Praxis entstandenen Normen sollen durch Normen ergänzt werden, die auf dem Wege der funktionalen Rechtsvergleichung im Sinne Langens75 ermittelt werden. Ziel ist es, den Bedürfnissen des betreffenden Lebens- und Problembereichs angemessenere Normen zu finden. Dies umfasst sowohl allgemeine Rechtsgrundsätze, wie auch „besseres“ Recht76. Gleichzeitig soll dadurch die Legitimität dieser Normen garantiert sein, da sie Wertvorstellungen nationaler Gesetzgeber, gefiltert durch die besonderen Bedürfnisse des internationalen Handels, enthalten77. Eine eigenständige normative Begründung für dieses so entstandene „Recht“ liefert Berger nicht. Er geht vielmehr pragmatisch davon aus, dass ein solches Recht grundsätzlich als Ausfluss der Privatautonomie rechts- und quellentheoretisch möglich ist. Zudem soll es bereits praktisch wirksam sein und die gleichen Funktionen wie staatliches Recht erfüllen können. Deswegen soll es sich um einen typischen Fall von „law in action“ handeln, welches nicht dem „law in books“ entspricht, aber von größerer sozialer Bedeutung ist. Untermauert wird diese pragmatische Herangehensweise aus Sicht von Berger durch die Ergebnisse einer von ihm durchgeführten Umfrage zum transnationalen Wirtschaftsrecht78. Demnach sind viele Praktiker gegenüber der lex mercatoria aus pragmatischen und nicht aus dogmatischen Gründen zurückhaltend79. Nicht die Unsicherheit über ihre rechtstheoretischen Einordnung, sondern die Unsicherheit über ihren tatsächlichen Inhalt verhindert eine breitere Akzeptanz in der Praxis. Es ist somit folgerichtig, dass Berger es bei den dargestellten theoretischen Überlegungen zur Möglichkeit von transnationalem Recht belässt, weil aus seiner Sicht das entscheidende Erfolgskriterium die soziale Wirksamkeit ist. Diese soziale Wirksamkeit des transnationalen Wirtschaftsrechts will Berger fördern, indem er mit Hilfe des CENTRAL-Institutes den zentralen Einwand – die mangelnde inhaltliche Bestimmbarkeit – durch die Bildung einer Liste, die die Normen der lex mercatoria abbildet80, entkräftet. Motivation für diesen Wechsel vom unabhängigen Beobachter der Entstehung einer transnationalen Normenordnung zum aktiven Förderer, der über geeignete „Marketingstrategien“ nachdenkt81, sind die empfundenen Unzulänglichkeiten des Internationalen Privatrechts. Diese 74
Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 194 f. Langen, Transnationales Recht, vgl. zu den einzelnen Schritten: Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 43 ff. 76 Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 40 f. 77 Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 47. 78 Berger, ZvglRWiss 101 (02), S. 12. 79 Berger, ZvglRWiss 101 (02), S. 12, 35. 80 S. Anhang. 81 Berger, ZvglRWiss 101 (02), S. 12, 37. 75
2. Kap.: Rechtstheoretische Grundlagen der aktuellen Diskussion
47
sollen nur durch eine universelle, autonome Rechtsordnung, also eine lex mercatoria, gelöst werden können. Es geht Berger also nicht allein darum, die soziale Wirklichkeit und damit das „law in action“ korrekt zu erfassen, sondern gerade auch darum, ein „besseres“, ein für den internationalen Handel adäquateres Recht zu schaffen82. Dies wird deutlich, wenn er den Geltungsgrund der lex mercatoria mit dem Satz: „Veritas non auctoritas facit legem“ illustriert83. Neben die soziale Wirksamkeit tritt somit ein moralischer oder naturrechtlicher Geltungsgrund. Es soll ein „bestes“ Handelsrecht geben, welches durch Beobachtung der Handelsgewohnheiten und -bräuche sowie die funktionelle Rechtsvergleichung erkannt werden kann. Denn auch wenn nicht direkt – wie sonst für das Naturrecht üblich – bestimmte Ideale, wie z. B. Gerechtigkeit, verwirklicht werden sollen, liegt doch ein utilitaristischer Ansatz zugrunde, wonach der Nutzen einiger auch den Gesamtnutzen der Gesellschaft mehrt. Ziel ist die Förderung des internationalen Handels, wovon mittelbar alle profitierten sollen. Folglich kann Berger auch konkrete Erwartungen an dieses transnationale Handelsrecht formulieren. Es soll (1) universell in seinem Charakter sein, (2) flexibel und dynamisch wachsen, (3) informell und schnell entstehen und (4) auf Handelsbräuchen und -praktiken aufbauen84. Zu diesem moralischen Geltungsanspruch passt auch das funktionale Rechtsverständnis, welches Berger zugrunde legt85. Bei der funktionalen Betrachtung des Rechts von dem Standpunkt eines neutralen Beobachters lassen sich nach Hart rechtliche und moralische Normen nicht unterscheiden86. Dies gilt insbesondere, wenn auf formale Durchsetzungsmechanismen verzichtet werden soll und stattdessen das Vertrauen in „Schwarze Listen“ o.ä. gesetzt wird. Wegen dieser zusätzlichen „moralischen“ Abstützung sollen gegenwärtige Defizite in der sozialen Wirksamkeit die prinzipielle Geltung eines transnationalen Handelsrecht nicht grundsätzlich in Frage stellen können. So kann die Geltung zunächst – im Hinblick auf die soziale Wirksamkeit – „kontrafaktisch behauptet“ werden87 und die – aus Sicht der lex mercatoria Befürworter eher negativen – Ergebnisse der erwähnten Umfrage, dass die lex mercatoria kaum Verwendung findet88, müssen nicht zur Beendigung der diesbezüglichen Forschungen führen, sondern können sogar Anlass für eine Ausweitung bieten. Beruhte die Geltung der lex mercatoria ausschließlich auf ihrer sozialen Wirksamkeit, so wäre dies ein unauflösbarer Widerspruch. 82
Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 49 f.; vgl. auch die Nachweise von ähnlichen Interesselagen anderer Befürworter bei De Ly, Lex Mercatoria, S. 159, 167 f. 83 Berger, New Law Merchant, S. 21. 84 Berger, The New Law Merchant, S. 20 f. 85 Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 99 f. 86 Hart, Der Begriff des Rechts, S. 27 ff. 87 Calliess, Verbraucherverträge, S. 283. 88 Berger, ZvglRWiss 101 (2002), S. 12, 35.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
Doch bleibt die soziale Wirksamkeit der entscheidenden Beweis für die Richtigkeit der getroffenen Annahmen. Es wäre schwierig zu erklären, warum eine Rechtsordnung, die den besonderen Bedürfnissen des internationalen Handels entsprechen soll, von diesem nicht angenommen wird. Ansonsten handelte es sich nicht um „law in action“, sondern nur um „law in books“, womit das gesamte gedankliche Gerüst unweigerlich zusammenbräche. Die naturrechtliche Geltungsbegründung erklärt nur die Motivation der Beteiligten und kann aus ihrer Sicht helfen, die Geltung für die Entwicklungsphase der betroffenen Normenordnungen zu überbrücken. Ebenso wie bei Teubner ist diese soziale Wirksamkeit ein brauchbarer Maßstab für diesen Ansatz.
4. Abschnitt
Exkurs: Transnationales Recht als Gegenstand der Global Governance-Debatte Auch in der Global Governance-Debatte spielt die Idee des transnationalen Rechts insbesondere unter der Überschrift „governance without the state“89 eine zunehmend bedeutsame Rolle. Es wird jedoch nicht das Ziel verfolgt, eine rechtstheoretisch fundierte Aussage über die Rechtsqualität von Normen oder Normenordnungen zu treffen. Trotzdem soll dieser Ansatz dargestellt werden, weil dadurch u. a. die interdisziplinäre Bedeutung der Diskussion über das transnationale Recht illustriert wird. In der Global Governance-Debatte wird ein in erster Linie deskriptiver Ansatz gewählt. Es geht dabei um die Identifizierung von Strukturen, die denen des staatlichen Rechts ähneln. Eine Entwicklung hin zu diesen Strukturen wird als „Verrechtlichung“ bezeichnet90. Allerdings muss dieser Begriff mit einer gewissen Vorsicht verwandt werden, wurde und wird er doch in der Rechtswissenschaft auch dazu genutzt, das Eingreifen des Staates in einen Gesellschaftsbereich zu bezeichnen, der noch nicht rechtlich normiert war91. Da er in diesem Bereich jedoch inzwischen eingeführt ist, soll der Begriff auch in dieser Arbeit in dem Sinne benutzt werden, dass damit die Abbildung rechtsstaatlicher Strukturen bezeichnet wird. Der Prozess, in dem ein Staat mittels Recht einen bis dahin unregulierten Bereich reguliert, soll dagegen als „Vergesetzlichung“ bezeichnet werden. Die Vertreter dieses Ansatzes gehen davon aus, dass ein overlapping consensus der wichtigsten Rechtstheorien besteht, wie Recht bzw. Verrechtlichung identifiziert werden kann92. Zum einen müssen in Anlehnung an Hart sekundäre Re89 Zu diesem Ansatz vgl. die Beiträge in Czempiel/Rosenau (Hrsg.), Governance without Government: Order and Change in World Politics. 90 Zangl/Zürn, Make Law, Not War, S. 12, 16 ff. 91 Adolphsen, JbJZRWiss 2003, S. 281, 284 m. w. N. 92 Zangl/Zürn, Make Law, Not War, S. 12, 21 ff.
2. Kap.: Rechtstheoretische Grundlagen der aktuellen Diskussion
49
geln institutionell definiert sein; es muss also zwischen primären und sekundären Regeln unterschieden werden. Zum anderen müssen in Anlehnung an Habermas grundlegende Prinzipien der Verfahrensgerechtigkeit berücksichtigt werden. Konkret bedeutet das, dass sich Verrechtlichung in drei Bereichen zeigt: In der gerichtlichen Rechtsprechung, die ein breites Klagerecht, richterliche Unabhängigkeit und eine obligatorische Gerichtsbarkeit vorsehen sollte; in der institutionalisierten Rechtsdurchsetzung, die die Autorisierung durch ein unabhängiges Sanktionsorgan sowie die Vollstreckung durch ein übergeordnetes Sanktionsorgan vorsehen sollte; schließlich in einer deliberativen Rechtsetzung, die sich durch ein ordnungsgemäßes Verfahren und die Beteiligungsmöglichkeit aller Adressaten oder zumindest durch Transparenz auszeichnet93. Dieser Ansatz ermöglicht es, die Frage nach Recht oder Nicht-Recht nicht nur mittels der Alternativen Ja/Nein zu beantworten, sondern einen Grad der Verrechtlichung in verschiedenen Feldern zu benennen und somit ein differenziertes Bild anzubieten. Allerdings wird nicht ausdrücklich die Frage gestellt, was passiert, wenn ein Bereich einen hohen Verrechtlichungsgrad aufweist; insbesondere, ob die entsprechende Normenordnung in diesem Fall aus sich heraus als Recht zu betrachten ist. Damit hat dieser Ansatz zwar rechtstheoretische Wurzeln, soll aber nicht zur rechtstheoretischen Diskussion beitragen94. Vielmehr soll die Bestimmung des Verrechtlichungsgrades bei der Analyse von Entwicklungen im Bereich von Global Governance hilfreich sein. Die Frage, ob transnationale Normenordnungen als Recht betrachtet werden müssen, soll somit nicht durch diesen Ansatz beantwortet werden. Allerdings erleichtert eine große strukturelle Ähnlichkeit einer Normenordnung mit bestehendem Recht – also ein hoher Verrechtlichungsgrad – die Anerkenntnis dieser Normen als Recht. Wenn eine Normenordnung – mit Ausnahme der staatlichen Setzung – die typischen Merkmale einer Rechtsordnung aufweist, so könnte dies ein starkes Argument dafür sein, sie auch als Recht anzuerkennen95. Der Ansatz liefert aber keine neue eigenständige normative Begründung für die Geltung von transnationalem Recht.
5. Abschnitt
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Diskussion über transnationales Recht Eine augenfällige Gemeinsamkeit aller Ansätze ist die zentrale Bedeutung der sozialen Wirksamkeit der transnationalen Systeme. Teubner möchte die Frage nach der lex mercatoria – und damit nach dem transnationalen Recht – empirisch be93 94 95
Zangl/Zürn, Make Law, Not War, S. 12, 21. Zangl/Zürn, Make Law, Not War, S. 12, 21. Vgl. zu diesem Ansatz Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 27.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
antworten, indem die Kommunikation beobachtet wird. Berger konzentriert seine Überlegungen in erster Linie auf die Normen, die in der Praxis wirksam sind. Auch Zangl und Zürn haben einen Anforderungskatalog entwickelt, mit dessen Hilfe sie den tatsächlichen Verrechtlichungsgrad bestimmen können. Diese Betonung der sozialen Wirksamkeit ist kaum verwunderlich. Zum einen ist es schwierig, einen unwidersprochenen theoretischen Geltungsgrund jenseits der staatlichen Setzung zu finden, zum anderen können überhaupt nur solche Normensysteme die Aufmerksamkeit der Rechtswissenschaft erlangen, denen eine wahrnehmbare Wirksamkeit zu eigen ist, da eine formelle Geltung ausfällt. Es zeigen sich aber Unterschiede hinsichtlich des Standpunkts des Beobachters. Grundsätzlich lassen sich der interne und der externe Standpunkt unterscheiden96. Teubner stellt in erster Linie auf den Standpunkt des internen Teilnehmers ab. Entscheidend soll sein, was dieser aufgrund des binären Codes selbst als Recht wahrnimmt bzw. – da sich nur dies beobachten lässt – was in der Kommunikation als Recht bezeichnet wird. Berger nimmt dagegen den Standpunkt des neutralen externen Beobachters ein, für den es darauf ankommt, dass die Normen die gleiche Funktion wie staatliches Recht erfüllen können. Es stellt sich natürlich – gerade im Anschluss an Harts Rechtstheorie – die Frage, ob die Einnahme nur eines dieser beiden Standpunkte ausreichen kann, um theoretische Zweifel an dem Rechtscharakter dieser Normenordnungen auszuräumen. Auch Zangl und Zürn beobachten die Normenordnungen von einem externen Standpunkt aus. Ihnen geht es jedoch nicht um die funktionelle Äquivalenz, sondern um die Struktur des Beobachteten. Es wird von ihnen nicht explizit behauptet, dass ein hoher Verrechtlichungsgrad eine Normenordnung zu „Recht“ macht, sondern nur, dass auf diese Weise Normenordnungen miteinander verglichen werden können, um zu bestimmen, ob eine Verrechtlichung ein Baustein für global governance sein kann. Entscheidend ist somit, dass die soziale Wirklichkeit verschiedener Normenordnungen untersucht wird, wie dies im zweiten Teil geschehen soll. Mangelnde Wirksamkeit kann zwar vorübergehend überwunden werden, dauerhaft dient die Wirksamkeit aber als Beweis für die dargestellten Ansätze. Erst wenn diese erste Frage positiv beantwortet ist, kann sinnvoll über die Frage nachgedacht werden, ob transnationale Normenordnungen auch als Recht konzeptionalisiert werden können. Dieses bleibt die entscheidende Frage, weil von der sozialen Wirksamkeit oder der sozialen Geltung einer Normenordnung nicht ohne weiteres auf ihre juristische Geltung geschlossen werden kann97. Bei der Untersuchung ist zu beachten, dass die soziale Wirksamkeit von Normen nur als Hinweis auf transnationale Normenordnungen angesehen werden können, wenn sie nicht bereits aus anderen Gründen gelten. Das bedeutet, dass nur tatsächlich anationale bzw. nicht-staatliche Normen einen klaren Hinweis auf die 96 97
Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, S. 47 ff. Vgl. zu diesem Problem bei der lex mercatoria: Michaels, RabelsZ 62 (1998) S. 580, 615.
3. Kap.: Exkurs: Empirische Untersuchungen privater Normenordnungen
51
soziale Wirksamkeit von transnationalen Normenordnungen geben können. Bilden Normen dagegen lediglich einen common core ab, so können sie ebenso gut aufgrund der nationalen Rechtsordnungen gelten; ihre Beachtung hat dementsprechend geringe Beweiskraft für die Existenz eines transnationalen Rechts. Eine solche transnationale Norm wäre vielmehr überflüssig, weil es im Ergebnis keinen Unterschied macht, ob diese transnationale Norm oder eine Norm (beliebiger) staatlicher Herkunft angewandt würde98. Aufgabe dieser common core Normen kann damit lediglich das Vervollständigen einer transnationalen Normenordnung sein. Die Frage ist also, inwieweit transnationale Normenordnungen existieren, die Normen enthalten, die allgemein beachtet werden und damit sozial wirksam sind, ohne dass sich deren Befolgung bereits aus den nationalen Rechtsordnungen ergibt.
3. Kapitel
Exkurs: Empirische Untersuchungen privater Normenordnungen 3. Kap.: Exkurs: Empirische Untersuchungen privater Normenordnungen
Damit die Entstehung von privaten Normenordnungen im Allgemeinen besser erfasst werden kann, lohnt sich ein Blick auf entsprechende Untersuchungen auf anderer Ebene. US-amerikanische Juristen haben in den letzten 10 Jahren unter dem Stichwort private ordering eine lebhafte Diskussion über die Entstehung von privaten Normensystemen in Mikrogesellschaften geführt. In einer Reihe detaillierter Fallstudien wurde beschrieben, wie sich eine eigenständige Normenordnung herausbildet, welche an die Stelle eines staatlichen Rechtssystems tritt. Beispiele waren der US-amerikanische Baumwollhandel1, die jüdischen Diamantenhändler in New York2 und die Farmer in Shasta County3. Damit fanden die Untersuchungen in einem anderen Rahmen als die Diskussion um ein transnationales Recht statt. Der Fokus war lokal und nicht global. Trotzdem kann vermutet werden, dass sich bestimmte Erkenntnisse zwischen den Ebenen übertragen lassen. Methodisch wurde in der Weise vorgegangen, dass unterschiedliche Felder unabhängig voneinander – oder zumindest nicht erkennbar als Teil einer umfassenden Studie – untersucht wurden. Auf dieser empirischen Grundlage wurde nach Gemeinsamkeiten gesucht, aus denen erste Ansätze zu einer positiven Theorie über das Auftreten solcher Normenordnungen entwickelt wurden4. Dabei bildete 98
v. Bar, IPR, S. 92; Michaels, RabelsZ 62 (1998), S. 580, 597; vgl. auch Bachmann, Private Ordnung, S. 38. 1 Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724. 2 Bernstein 21 J. Legal Stud. (1992), S. 115; Richmann, Jewish Diamond Merchants. 3 Ellickson, Order Without Law. Eine Überblick über die Untersuchungen bietet Richmann, 104 Columbia L. Rev. (2004), S. 2328, 2333 ff. 4 Richmann, 104 Columbia L. Rev. (2004), S. 2328 ff.; Levit, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 1193 ff.
1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
52
den Hintergrund oft die ökonomische Analyse des Rechts und die damit verbundene Frage, wie sich effektive Normen am besten entwickeln können. Die begriffliche Einordnung dieses Phänomens als Recht steht folglich weniger im Mittelpunkt als die tatsächliche Effektivität der Verhaltensnormen und die dadurch vollzogene Umgehung des staatlichen Rechtssystems5. Die empirischen Erkenntnisse dieser Untersuchungen können als Vergleichsmaßstab bei den Untersuchungen von transnationalen Normenordnungen dienen, insbesondere, da unlängst eine Übertragung dieser Ansätze auf Erscheinungen im internationalen Wirtschaftsrecht erfolgt ist6. Bestenfalls lassen sich mit Hilfe dieser Ansätze auch bestehende Lücken und/oder Entwicklungsmöglichkeiten in den untersuchten Bereichen präziser bestimmen.
1. Abschnitt
Mikrogesellschaften als Gegenstand empirischer Untersuchungen Die untersuchten privaten Normenordnungen lassen sich durch zwei Unterscheidungen strukturieren. Zunächst wird unterschieden, ob sie sich in einem rechtsfreien Raum oder als Alternative zu einer bereits bestehenden Rechtsordnung entwickeln7. Bei der ersten Gruppe fehlt es entweder komplett an anwendbaren Normen oder die auf dem Papier bestehenden Normen sind mangels effektiver Staatsgewalt nicht durchsetzbar. Als Beispiele werden dafür die mittelalterliche lex mercatoria bzw. private Normensysteme in Nationen mit unterentwickelter Staatsgewalt genannt. Auch kriminelle Ordnungsstrukturen – wie z. B. die der Mafia – lassen sich darunter einordnen8. Deren Ansprüche werden aufgrund ihrer Illegalität zwar von staatlichen Gerichten nicht anerkannt, trotzdem aber effektiv durchgesetzt. Für die zweite Gruppe gilt, dass staatliche Durchsetzungsmechanismen zwar vorhanden sind, diese aber nicht als ausreichend wahrgenommen werden. Das kann zum einen daran liegen, dass die vom Staat durchgesetzten Normen als inadäquat oder ineffektiv empfunden werden, zum anderen daran, dass auch staatliche Durchsetzungsgarantien an ihre Grenze stoßen, so dass es ergänzender sozialer Durchsetzungsmechanismen bedarf. Trotzdem bleibt die staatliche Durchsetzungsmöglichkeit im Hintergrund immer vorhanden. Ein Rückgriff auf diese ist also im Notfall immer möglich. Diese privaten Ordnungen bilden sich sozusagen im „Schatten des staatlichen Rechts“9. Ein Beispiel dafür ist die New Yorker Diamantenindustrie. Da Diamanten sehr wertvoll, aber auch leicht zu entwenden und 5 6 7 8 9
Diese Indifferenz bemängeln z. B. Fischer-Lescarno/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 42. Levit, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 1193 ff. Richmann, 104 Columbia L. Rev. (2004), S. 2328, 2335. Vgl. zu dieser „dunklen Seite“: Milhaupt/West, The Dark Side of Private Ordering. Richmann, 104 Columbia L. Rev. (2004), S. 2328, 2331.
3. Kap.: Exkurs: Empirische Untersuchungen privater Normenordnungen
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weiter zu veräußern sind, der Anreiz zum Regelbruch also außergewöhnlich hoch ist, bedarf es einer besonderen sozialen Einbindung der Verarbeiter, um eine effektive Verarbeitung auf Vertrauensbasis zu ermöglichen10. Zusätzlich kann zwischen „spontanen“ und „institutionalisierten“ Ordnungen unterschieden werden11. Bei Ersten fehlt es an jeglichen Institutionen. Ein Beispiel ist die Gemeinschaft der Rancher in Shasta County, bei denen Verletzungen der Besitzrechte durch grasendes Vieh nicht nach gesetzlichen Vorschriften, sondern nach überkommenen Bräuchen geahndet werden12. Gleichzeitig fehlt es jedoch an einer irgendwie gearteten Institution, die Regeln und Regelverstöße autoritativ feststellt. Der gesamte Prozess läuft ausschließlich informell ab. Bei sogenannten institutionalisierten privaten Ordnungen stellt dagegen ein Schiedsgericht normalerweise eine Regelverletzung fest und bestimmt die Sanktion13. Die Durchsetzung erfolgt innerhalb der Organisation zum Beispiel durch Ausschlussdrohung. Hinzu kommt, dass häufig auch die Regelsetzung durch eine besondere Institution erfolgt. Diese institutionalisierten Ordnungen erinnern also von der Struktur her an staatliche Rechtsordnungen und dürften – um mit Zangl und Zürn zu sprechen – einen hohen Verrechtlichungsgrad aufweisen.
2. Abschnitt
Reputation als Durchsetzungsinstrument Privaten Normenordnungen ist es gemeinsam, dass sie prinzipiell nicht die Möglichkeit haben, auf zwangsbewehrte Durchsetzungsmechanismen als ultima ratio zurückzugreifen. Stattdessen bildet die Reputation einen Eckpunkt dieser Systeme. Durch sie muss die Befolgung der Regeln sichergestellt werden. Damit dieses gelingt, bedarf es besonderer Voraussetzungen.
I. Sicherstellung der Informationsweitergabe Zunächst muss die Weitergabe von Informationen und die Veröffentlichung der Reputation des Einzelnen sichergestellt sein14. Dies kann in sehr kleinen Gruppen, wie z. B. den benachbarten Ranchern in Shasta County, informell erfolgen. Größere Gruppen benötigen dagegen in der Regel besondere Institutionen, die diesen Service anbieten. So bietet der New Yorker Diamond Dealers Club (DDC), in10
Richmann, Jewish Diamond Merchants. Richmann, 104 Columbia L. Rev. (2004), S. 2328, 2339 Fn. 33; McMillan/Woodruff, 98 Mich. L. Rev. (2000), S. 2421, 2424; Gessner, ZfR 23 (2002), S. 277, 284 ff. 12 Ellickson, Order without Law, S. 141 ff. 13 Vgl. Richmann, Jewish Diamond Merchants S. 19 ff; Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724, 1738. 14 McMillan/Woodruff, 98 Mich. L. Rev. (2000), S. 2421, 2427. 11
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1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
nerhalb dessen ein Großteil des weltweiten Diamantenhandels stattfindet15, nicht nur einen sicheren Handelsplatz, sondern dient auch als Handelskammer. Dem entsprechend setzt der DDC die Regeln des Diamantenhandels und bietet ein zwingendes privates Schiedsgericht an. Zusätzlich übernimmt er auf verschiedene Weise die Aufgabe, den Informationsaustausch über die Reputation der einzelnen Händler zu ermöglichen, um so die Befolgung der eigenen Schiedssprüche sicherzustellen. Zunächst vereinfacht ein gemeinsamer Handelsplatz bereits den Informationsaustausch16. Zusätzlich werden an einer Wand des Handelsraums Fotos von Besuchern und Neulingen an der Börse mit Hinweisen auf ihre Reputation und ihre persönlichen Referenzen aushängt. Ebenso werden – in einer Form, die an die berüchtigten „Wanted“ Poster im „Wilden Westen“ erinnert – Bilder derjenigen aushängt, die ihre Schulden nicht bezahlt haben17. Es ist dadurch für jeden Händler vergleichsweise einfach, sich über die Reputation eines potentiellen Handelspartners zu informieren. Ähnlich verhält es sich im Bereich des US-amerikanischen Baumwollhandels. Dieser findet im Wesentlichen an der Memphis Cotton Exchange (MCE) statt. Historisch bedingt, hatten die Mitglieder der MCE traditionell ihre Büros in einer Straße in Memphis, so dass auch hier ein gemeinsamer Handelsplatz einen schnellen Informationsaustausch ermöglichte18.
II. Wirksamkeit der Ausschlussdrohung An den erkennbaren Verlust der Reputation sind aber nicht nur individuelle Folgen, die abhängig von den wirtschaftlichen Erwägungen der einzelnen Händler bleiben, geknüpft, sondern auch kollektive, nämlich insbesondere die Gefahr eines Ausschluss aus der Vereinigung19. Eine solche Ausschlussdrohung muss jedoch wirksam sein, damit sie zur Befolgung der Entscheidungen motivieren kann. Das bedeutet, dass der Ausschluss aus der Vereinigung oder von dem Handelsplatz spürbare wirtschaftliche Folgen für den Betroffenen haben muss. In den beiden genannten Beispielen zeigt sich, dass beide Organisationen ein Quasi-Monopol in ihrem Bereich besitzen. So finden ca. die Hälfte der jährlichen weltweiten Verkäufe von Diamanten im Wert von 60 Mrd. $ in den USA statt, wovon wiederum 95 % von den New Yorker Händlern der 47th Straße durchgeführt wird20. Ist 15
Bernstein, 21 J. Legal Stud. (1992), S. 115, 120. Richmann, Jewish Diamond Merchants, S. 21. 17 Richmann, Jewish Diamond Merchants, S. 22. 18 Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724, 1749 f.; 1752. 19 Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724, 1737; bei jüdischen Diamentenhändlern kann sogar ein Ausschluss aus der religiösen Gemeinschaft drohen, vgl. Richmann, Jewish Diamond Merchants, S. 36. 20 Richmann, Jewish Diamond Merchants, S. 19 m. w. N. 16
3. Kap.: Exkurs: Empirische Untersuchungen privater Normenordnungen
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man kein Mitglied des DDC, so kann man nur in sehr geringem Umfang am Diamantenhandel teilnehmen. Dies bedeutet, dass die Mitgliedschaft im DDC jedem Händler große Vorteile bringt, weil er einen exklusiven Zugriff (in dem Sinne, dass nur eine überschaubare Zahl von Konkurrenten zugelassen ist) auf einen bedeutenden Teil des weltweiten Diamantenhandels hat. Wirtschaftlich ist es kaum sinnvoll, eine solche Stellung aufzugeben21. Ähnlich verhält es sich im US-amerikanischen Baumwollhandel. Hier werden 75 % des US-amerikanischen und 35 % des internationalen Baumwollhandels von den 90 Mitgliedsfirmen der MCE bestritten22. Ein Ausschluss aus derselben verringert also die Partizipationsmöglichkeiten am Baumwollhandel und führt nachweislich zu Umsatzeinbußen23. Aus diesen Beispielen lässt sich schließen, dass die Ausschlussdrohung dann wirksam ist, wenn große Teile eines Handels zentral organisiert sind. In diesen Fällen gibt es kaum wirtschaftliche Alternativen zum Handel an diesem zentralen Marktplatz und gemäß den Regeln dieses Marktplatzes. Mögliche Umsatzeinbußen bei Rückzug von diesem Marktplatz müssen derart spürbar sein, dass die Bereitschaft besteht, eventuelle Vermögensschäden aufgrund von Sanktionen hinzunehmen, um die dauerhafte Zugehörigkeit zu sichern.
III. Unterstützung durch ein soziales Netzwerk Dieses Modell stößt an seine Grenzen, wenn ein Teilnehmer kein Interesse mehr an einer dauerhaften Zugehörigkeit hat. Dies kann daran liegen, dass ein Händler sich zur Ruhe setzen will und keinen Nachfolger hat oder dass der mögliche Gewinn aufgrund einer einmaligen Regelverletzung im Vergleich zum Regelverdienst derart hoch ist, dass die Ausschlussdrohung nicht mehr wirksam ist. Spieltheoretiker bezeichnen dies als end game situation. Eine Möglichkeit wäre es, in diesen Fällen wieder auf staatliche Sanktionen zurückzugreifen, sofern diese zur Verfügung stehen. Aber auch wenn prinzipiell ein staatliches Rechtssystem im Hintergrund bereitsteht, so haben sich die privaten Normenordnungen doch gerade entwickelt bzw. erhalten, weil dieses als unzureichend wahrgenommen worden ist, sei es aufgrund mangelnder Qualität der Regeln, sei es aufgrund unzureichender Durchsetzungsmechanismen24. In den hard cases müsste aber wieder auf die staatliche Rechtsordnung zurückgegriffen werden. Aus Sicht der privaten Normenordnung ist dies eine unbefriedigende Lösung, da dadurch ihre Existenzberechtigung Zweifeln ausgesetzt ist.
21 22 23 24
Bernstein, 21 J. Legal Stud. (1992), S. 115, 120. Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724, 1726. Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724, 1738. Vgl. Richmann, Jewish Diamond Merchants, S. 20.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
Die untersuchten Normenordnungen sind jedoch in der Regel nicht auf einen solchen Rückgriff angewiesen. Stattdessen werden sie durch soziale Netzwerke zwischen den Teilnehmern gestützt. Diese sozialen Netzwerke sichern – jedenfalls im Allgemeinen – die Regelbefolgung der Akteure auch in den end game situations bzw. verhindern, dass solche überhaupt erst entstehen. Im Falle der New Yorker Diamantenhändler unterscheidet Richmann zwei Arten von Akteuren25. Zum einen gibt es die Langzeitspieler, die zumeist als Käufer oder Verkäufer auftreten und dabei einen einträglichen Gewinn erzielen. Sie treten in der Regel als Teil eines Familiengeschäfts auf. Zum anderen gibt es die von Richmann genannten „mit Diamanten besetzten Mittellosen“. Diese verarbeiten die Diamanten weiter (schleifen etc.), verdienen dabei jedoch nur wenig, obwohl sie regelmäßig wertvolle Diamanten in ihrem Besitz haben. Diese Klasse besteht zu einem hohen Prozentsatz aus ultra-orthodoxen Juden. Bei der ersten Gruppe tritt in der Regel keine end game situation auf26. Zunächst verdienen sie relativ gut mit dem Diamantenhandel, so dass der Anreiz eines einmalig großen Gewinns gegenüber vielen kleineren, aber beachtlichen Gewinnen nicht besonders groß ist. Zusätzlich sind im Diamantenhandel, wie bereits angedeutet, personelle Referenzen beim Markteintritt von besonderer Bedeutung. Da es sich in der Regel um Familienbetriebe handelt, fällt das Fehlverhalten eines Einzelnen auf seine gesamte Familie und insbesondere auf seine Nachkommen zurück. Es besteht also ein hoher Anreiz, sich auch kurz vor dem Rückzug aus dem Geschäft als vertrauenswürdig zu erweisen, weil so die eigenen Nachfolger von dieser aufgebauten Reputation profitieren können. Anders sieht es hingegen bei den Verarbeitern aus27. Aufgrund ihres geringen Verdienstes und der Leichtigkeit, mit der sie – infolge der informellen Geschäftsvereinbarungen – einen Diamantendiebstahl durchführen könnten, ist der Anreiz, Absprachen zu brechen, außerordentlich hoch. Außerdem wollen die ultra-orthodoxen Juden weder dauerhaft im Geschäft bleiben, noch wünschen sie sich eine Übernahme durch ihre Nachkommen. Vielmehr ist ihr Ideal ein lebenslanges Studium der Thora28. Dieses könnte theoretisch durch einen Regelbruch ermöglicht werden. Jedoch sind sie als ultra-orthodoxe Juden auch in besonderer Weise ihrer religiösen Gemeinde verbunden29. Eine Flucht wäre aber mit der Aufgabe dieser Gemeinschaft verbunden. Zusätzlich legt die Gemeinde Wert darauf, dass sich ihre Mitglieder in der Öffentlichkeit adäquat benehmen. Verstöße werden durch eine Art religiöser Schiedsgerichte unter Vorsitz eines Rabbiners geahndet30. Diese Verbindung geht im Fall des Diamantenhandels so weit, dass diese Schiedsgerichte 25 26 27 28 29 30
Richmann, Jewish Diamond Merchants, S. 24. Vgl. Richmann, Jewish Diamond Merchants, S. 30 ff. Richmann, Jewish Diamond Merchants, S. 33. Richmann, Jewish Diamond Merchants, S. 33. Richmann, Jewish Diamond Merchants, S. 35. Richmann, Jewish Diamond Merchants, S. 36.
3. Kap.: Exkurs: Empirische Untersuchungen privater Normenordnungen
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direkt von Diamantenhändlern angerufen werden können. Dem Wortbrüchigen drohen die Aberkennung religiöser Ehren, ein zeitlich begrenzter Ausschluss von Feierlichkeiten der Gemeinde und im äußersten Notfall der Ausschluss aus der Gemeinde31. Die Befolgung der weltlichen Regeln wird durch eine Verflechtung mit den Regeln der religiösen Gemeinschaft erreicht. Dadurch hat ein Regelbruch für den einzelnen Gläubigen derart weitreichende Konsequenzen, dass er trotz des an sich hohen Anreizes unwahrscheinlich wird. Aufgrund dieser Unterstützung durch eine soziales Netzwerk ist die private Normenordnung nach Meinung Richmanns dem staatlichen Rechtssystem überlegen. Sie stellt einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil und damit einen Hauptgrund für den hohen Anteil von jüdischen Diamantenhändlern dar32. Auch bei den amerikanischen Baumwollhändlern lässt sich erkennen, dass sie in ein soziales Netzwerk eingebunden sind, das dem geschäftlichen entspricht33 und über den Zeitraum der Geschäftstätigkeit hinaus bestehen bleibt34. Damit hat jeder geschäftliche Regelbruch auch unmittelbare soziale Konsequenzen. Bernstein argumentiert, dass dies notwendig sei, um den Anreiz für eine ordnungsgemäße Geschäftsführung zu erhöhen und die gesamte private Normenordnung vor dem Zusammenbruch zu bewahren35.
IV. Zwischenergebnis Für die untersuchten Fälle lässt sich somit verallgemeinern, dass es einer Institution bedarf, die die Regeln schafft und für ihre Verbindlichkeit sorgt. Dies kann dadurch erfolgen, dass die lukrative Mitgliedschaft in dieser Institution an die Akzeptanz des Regelwerk geknüpft ist. Dabei ist die Mitgliedschaft umso lukrativer, je zentraler die Position der Institution auf dem Markt ist. Die Wirksamkeit dieser Regeln in Härtefällen oder end game situations kann jedoch nur garantiert werden, wenn ein entsprechendes soziales Netzwerk die institutionellen Regeln unterstützt. Dies muss so beschaffen sein, dass der Regelbruch von Seiten eines Akteurs sich in der Gesamtbetrachtung nicht lohnt, selbst wenn er dadurch einen einmalig hohen wirtschaftlichen Profit erreicht.
31 32 33 34 35
Richmann, Jewish Diamond Merchants, S. 37. Richmann, Jewish Diamond Merchants, S. 10, 23 f. Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724, 1748 ff. Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724, 1770 f. Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724, 1754 ff.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
3. Abschnitt
Entstehungsvoraussetzungen In einem funktionierendem System bedingen sich Normenordnung und Netzwerk wechselseitig. Während das soziale Netzwerk die Befolgung der Normenordnung sicherstellt, wird durch die Existenz einer Normenordnung sichergestellt, dass Konflikte entschieden werden können, ohne dass es des Eingreifens eines Dritten (des Staats) bedarf, der diese Konflikte eventuell nur unzureichend lösen und damit die Existenz des sozialen Netzwerkes wiederum gefährden könnte. Wie aber kommt es zu der Entwicklung von privater Normenordnung und sozialem Netzwerk und ihrer engen Verbindung36? Der kritische Punkt bei der Entwicklung einer Normenordnung ist die Sicherstellung der Regelbefolgung37. Für den durchschnittlichen Betroffenen lohnt es sich nur, Regeln zu befolgen, wenn er davon ausgehen kann, dass alle (oder zumindest fast alle) Beteiligten dies ebenso tun. Der Händler erfüllt nur den Vertrag, weil er damit rechnen kann, dass sein Gegenüber sich ebenso verhält. Manche Sportler dürften nur zum Verzicht auf Doping zu bewegen sein, wenn sichergestellt ist, dass auch ihre Gegner nicht dopen38. In einigen Fällen ist die Sicherstellung kaum ein Problem. Wenn nämlich alle Akteure den Regeln aus eigenem Antrieb folgen, ohne dass es der Drohung einer zwangsbewehrten Durchsetzung oder ähnlichem bedarf, weil sie von den Regeln überzeugt sind. Daneben gibt es Regeln, bei denen den Beteiligten der konkrete Regelinhalt gleichgültig ist, es aber wichtig ist, dass sich alle an die gleichen Regeln halten. Das Paradebeispiel ist das Rechtsfahrgebot im Straßenverkehr; auch die meisten Standardisierungsbemühungen gehören grundsätzlich in diesen Bereich39. Es handelt sich also lediglich um eine Koordinierung von Verhalten. Hier kommt es für den Regelsetzer darauf an, eine kritische Masse zur Befolgung seiner Regeln zu motivieren. Ist dies einmal gelungen, so haben alle Beteiligten für die Zukunft ein
36 Vgl. nur die institutionalisierten Beziehungen zwischen der Schiedsgerichtsbarkeit des DDC und den religiösen Gemeinden der ultra-orthodoxen Juden. 37 Aviram, Paradox of Spontaneous Formation, S. 13. 38 Im Sommer 2007 wurde diese Aussage – bedauerlicherweise – durch verschiedene Profiradsportler ausgiebig bestätigt. Da – aufgrund unzureichender Durchsetzung der Verbote – anscheinend das gesamte Feld dopte, war der Einzelne in der Regel nicht bereit, auf verbotene Substanzen zu verzichten und entwickelte auch diesbezüglich höchstens ein geringes Unrechtsbewusstsein. 39 Dabei soll jedoch nicht unterschlagen werden, dass diese Standardisierung oft entscheidende politische Weichenstellungen beinhalten. So ging mit dem Wechsel der Prinzipien der Rechnungslegung zur besseren internationalen Vergleichbarkeit ein beachtlicher Prinzipienwechsel vom Gläubiger- zum Aktionärsschutz mit einher.
3. Kap.: Exkurs: Empirische Untersuchungen privater Normenordnungen
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starkes Eigeninteresse, sich an die Regeln zu halten, so dass es weiterer Durchsetzungsmechanismen nur noch sehr eingeschränkt bedarf. Schließlich existieren aber auch Regeln, die den Einzelinteressen vieler Beteiligter zuwiderlaufen, auch wenn sie in einer Gesamtbetrachtung sinnvoll erscheinen. Hierzu gehört das Verbot, sich unerlaubte Vorteile durch eine Regelverletzung zu schaffen. Hierfür sind fortwährende Durchsetzungsgarantien notwendig, um das Verhalten der Akteure entsprechend steuern zu können. Man kann also Regeln nach ihren Durchsetzungskosten unterscheiden. Während bei der ersten Gruppe diese gegen Null gehen, sind sie bei letzterer relativ hoch, da es aus Sicht des Einzelnen ein Regelbruch sinnvoll wäre, sofern er nicht mit Sanktionen rechnen müsste40. Von einer echten Regulierung lässt sich erst auf der dritten Stufe sprechen, auf den vorangegangenen Stufen handelt es sich um Koordination. Hier stellt sich die Frage, ob Normenordnungen von Beginn an effiziente Regulierungen – also Regeln, die Einzelinteressen widersprechen – herausbilden können. Bei staatlichen Rechtssystemen ist dies im Normalfall kein Problem, steht doch ein Machtapparat im Hintergrund, der die Durchsetzung notfalls gegen den Willen des Einzelnen erzwingen kann. Bei privaten Normenordnungen kann auf dergleichen hingegen nicht zurückgegriffen werden. Vielmehr sehen sich diese bei ihrer Entstehung mit einem „Huhn und Ei“-Paradox konfrontiert41. Um effizient zu funktionieren (Streit zu schlichten, Erwartungssicherheit zu garantieren, Verhalten zu steuern), muss die Mitwirkung der Mitglieder sichergestellt werden. Die Mitglieder werden jedoch in der Regel nur mitwirken, wenn ihnen die Normenordnung Vorteile verschafft. Vorteile kann aber eine private Normenordnung nur verschaffen, wenn sie effektiv funktioniert. Private Normensysteme ohne bereits bestehende Funktionalität könnten demnach in der Regel nicht effektiv arbeiten und damit gar nicht anfangen zu existieren42. In den vorangegangenen Abschnitten wurde aber auf funktionierende private Normensysteme Bezug genommen; es muss also möglich sein, mit diesem Paradox umzugehen. Dabei sollen an dieser Stelle nicht die rechtstheoretischen Bemühungen interessieren, Paradoxa aufzulösen oder zu entfalten43, sondern wie sie bei der Entstehung von privaten Normensystemen praktisch überwunden werden konnten.
40 Diese Übersicht über die verschiedenen Durchsetzungskosten von Normen ist vereinfacht. Detailliert kann sie mit spieltheoretischen Konfliktmodellen je nach konkreter Interessenlage dargestellt werden. Vgl. dazu Aviram, Paradox of Spontaneous Formation, S. 16 ff. 41 Aviram, Paradox of Spontaneous Formation, S. 13. 42 Aviram, Paradox of Spontaneous Formation, S. 5. 43 Teubner, RJ (1996), S. 255, 274; Teubner, FS Zöllner, S. 565, 567.
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1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
Eine Lösung wird von Aviram präsentiert. Demnach können sich paralegale Normensysteme nicht „spontan“, sozusagen aus dem Nichts herausbilden, sondern müssen auf einer bereits existierenden institutionellen Infrastruktur (wobei der Begriff in diesem Zusammenhang sehr weit gefasst ist und soziale Netzwerke mit umfasst) aufbauen44. Die erste Stufe auf dem Weg zu der Ausbildung einer privaten Normenordnung wäre demnach die Entstehung eines sozialen (oder eventuell religiösen) Netzwerkes. Man kann davon ausgehen, dass sich ein solches relativ einfach bilden kann. Der Großteil der Menschen ist interessiert an sozialen Kontakten, in der Regel besonders mit Gleichgesinnten. Die Durchsetzungskosten für eventuell notwendige Regeln wären sehr gering. Ein solches Netzwerk kann, wenn es eng genug ist, Funktionen erfüllen, die Voraussetzung für den Erfolg einer privaten Normenordnung sind, wie z. B. die Informationsweitergabe, damit sich jeder Beteiligte ein Bild von der Reputation der anderen machen kann. Zusätzlich steht ein Sanktionsmechanismus zur Verfügung, indem schlimmstenfalls mit Ausschluss gedroht wird45. Verletzungen der privaten Normenordnung können so besonders während der Anfangszeit im sozialen System geahndet werden, wodurch die Normenordnung entlastet wird. Dies kann der entscheidende Anschub sein, damit eine Normenordnung zu funktionieren beginnt. Ebenso können Institutionen, die zunächst ausschließlich die koordinative Aufgaben wahrgenommen haben, aufgrund ihres dazu aufgebauten administrativen Unterbaus und in Folge ihres dadurch erworbenen Vertrauens, erfolgreich regulative Aufgaben wahrnehmen. Avirams These lautet demgemäß, dass Netzwerke zunächst nur Funktionen mit niedrigen Durchsetzungskosten erfüllen können. Sind diese gesichert, können sie sich weiterentwickeln und auf der bestehenden Grundlage auch Funktionen mit hohen Durchsetzungskosten erfüllen, weil effektive Durchsetzungsmechanismen bereits vorhanden sind. Wenn ein Bedarf an Regulierung besteht, so bilden sich die bestehende Netzwerke weiter, um die notwendige Regulierung zu leisten46. Die Folge ist aber auch, dass demnach Voraussetzung für das Entstehen einer privaten Normenordnung, die anfängliche Existenz einer homogenen Gruppe, einer closeknit-Gemeinschaft ist, da insbesondere in einer Gruppe mit ähnlichen Überzeugungen Normen mit den zunächst notwendigen niedrigen Durchsetzungskosten entstehen können.
44
Aviram, Paradox of Spontaneous Formation, S. 22. Für die fein abgestuften Sanktionen in den ultra-orthodoken jüdischen Gemeinden siehe Richman, Jewish Diamond Merchants, S. 35 f. 46 Aviram, The Paradox of Spontaneous Formation, S. 22 f. 45
3. Kap.: Exkurs: Empirische Untersuchungen privater Normenordnungen
61
4. Abschnitt
Übertragbarkeit auf die transnationale Ebene Die vorgestellten Untersuchungen beschränken sich meist auf Mikrogesellschaften mit einem starken lokalen Bezug. Sie können aber auch auf die transnationale Ebene ausgedehnt werden. Da inzwischen aufgrund der Fortschritte bei der Kommunikation Entfernungen eine geringe Rolle spielen, ist es naheliegend, dass solche close-knit-Gemeinschaften nicht nur lokal entstehen können. Gerade wenn man davon ausgeht, dass sich die Gesellschaft global zunehmend funktionell differenziert47, eröffnen sich weitere Möglichkeiten für derartige private Ordnungen.
I. Beispiele Levit hat in einer ersten Untersuchung in der Tat im internationalen Wirtschaftsrecht vergleichbare Strukturen ausgemacht. Dafür hat sie die Regelwerke zur internationalen Kreditsicherung, nämlich die ICC Regeln zum Dokumentenakkreditiv (ERA 500), die Regeln der Berner Union zur Exportkreditversicherung sowie die Übereinkunft der Exportkreditversicherer über staatlich unterstützte Exportkredite, genauer untersucht48. Die ERA 500 ist in erster Linie ein technisches Dokument, welches Detailfragen wie Sorgfaltsanforderungen oder Zurechnung von Verschulden regelt. Diese Regeln werden von der ICC in Paris ungefähr alle 10 Jahre neu veröffentlicht, so dass sie die neuesten Entwicklungen der Praxis widerspiegeln. Sie enthalten allerdings nicht nur kodifiziertes Gewohnheitsrecht, da sich die ICC nicht auf die Sammlung von Regelungen beschränkt, sondern auch eigenständige Fortbildungen unternimmt49. Jedenfalls werden sie in fast allen internationalen Dokumentenakkreditiven als anwendbares Recht gewählt. Auch stützen sich viele Gerichte auf die ERA 500, insbesondere in den USA, obwohl dort Art. 5 Uniform Commercial Code ausdrücklich die Dokumentenakkreditive regelt50. Die Berner Union ist ein informeller Zusammenschluss der großen Exportkreditversicherungen (EKV) – sowohl öffentlicher als auch privater – sowie Investitonsversicherer hauptsächlich aus den OECD Staaten. Als Voraussetzung für die Aufnahme in die Union muss ein Versicherer drei Jahre im Geschäft sein und ein jährlicher Mittelzufluss von mindestens 5.000.000 $ oder ein Portofolio von mindestens 450.000.000 $ an versicherten Risiken haben51. Ziel der Union ist es, die Entwicklung ordentlicher Prinzipien der Exportkreditversicherung voranzutrei47 48 49 50 51
Vgl. den Ansatz von Teubner; Erster Teil 2. Kapitel 2. Abschnitt. Levit, 30 Yale J. Int’l L. (2005), S. 125 ff. De Ly, International Business Law, S. 175 ff; Hölker, Rolle der lex mercatoria, S. 63. Levit, 30 Yale J. Int’l L. (2005), S. 125, 140 f. Levit, 30 Yale J. Int’l L. (2005), S. 125, 149.
62
1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
ben, den Informationsaustausch für den Aufbau einer ordentlichen Versicherungspraxis zu gewährleisten sowie für die Herstellung und Beibehaltung von Disziplin im Bereich des Kreditwesens für den internationalen Handel zu sorgen. Dazu hat sie Regeln in Form eines General Understandings erlassen. Allerdings gilt die ungeschriebene Regel der Vertraulichkeit, d. h. die Berner Union veröffentlicht ihre General Understandings nicht, auch wenn ihre Existenz bestätigt wird52. Die notwendige Verbindlichkeit der Regeln soll dabei in erster Linie aus dem engen persönlichen Kontakt und der Nähe zu etablierten Geschäftspraktiken resultieren53. Die Vergabe von Krediten durch staatliche EKV kann – insbesondere, wenn damit bestimmte politische Ziele verfolgt werden – zu Marktstörungen führen. Deswegen haben nach der Ölkrise Vertreter der EKV und betroffene Handelsminister bestimmte Regeln zur Vergabe dieser Kredite beschlossen. Die getroffene Verabredung wurde zunächst als „Gentlemen’s Agreement“ beschrieben. Es wurde aber trotz (oder gerade wegen54) dieser Informalität befolgt. Inzwischen hat die WTO Bezug auf das agreement genommen und der Ministerrat der EU hat es offiziell angenommen, so dass es in die Völkerrechtshierarchie eingepasst wurde55. Levit macht bei allen Beispielen eine ähnliche Struktur aus. Die Regeln werden von Mitgliedern einer homogenen Gruppe gesetzt, die sich untereinander kennen. Bestimmend sind meistens private Akteure. Wenn es sich um staatliche Akteure handelt, sind dies nicht Diplomaten, sondern Praktiker aus dem betroffenen wirtschaftlichen Bereich. Die Gruppen sind klein (75, 54 bzw. 24 Mitglieder). Sie sind homogen sowohl im Hinblick auf ihren beruflichen Hintergrund als auch hinsichtlich ihrer politischen Ansichten (freier Handel auf einem level playing field)56. Dementsprechend teilen sie eine eigene professionelle Sprache, die die Verständigung über komplizierte Probleme erleichtert57. Auf dieser Grundlage werden die materiellen Regeln aus der Praxis entwickelt, um einen internationalen Gleichlauf derselben zu garantieren. Dadurch bestimmt die Praxis die Regeln, die die Praxis steuern sollen58. Es wurde jedes Mal eine institutionelle Heimat gegründet oder benutzt. Einerseits wirkt dies als eine Art Zentrifugalkraft für eine geographisch diffuse Regelsetzungsgruppe. Andererseits entsteht dadurch die Gefahr, dass sich alles zuneh52 Entsprechende Nachforschungen wurden von Levit unternommen, vgl. Levit, 30 Yale J. Int’l L. (2005), S. 123, 151. 53 Levit, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 156. 54 Vgl. die Überlegungen zur Wirkungsweise von soft law in Schuppert, Staatswissenschaft, S. 908 ff. 55 Levit, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 165. 56 Levit, 30 Yale J. Int’l L. (2005), S. 125, 167 f. 57 Levit nimmt an, dass diese Homogenität eine Voraussetzung für die erfolgreiche Regelbildung ist. Daraus schließt sie, dass in Fragen, in denen eine solche Homogenität nicht zu erreichen ist (z. B. im Umweltrecht oder Menschenrechtsschutz), private Regelungen wahrscheinlich keinen Erfolg haben können. Vgl. Levit, 30 Yale J. Int’l L. (2005), S. 125, 168. 58 Levit, 30 Yale J. Int’l L. (2005), S. 125, 169.
3. Kap.: Exkurs: Empirische Untersuchungen privater Normenordnungen
63
mend formalisiert und deswegen unter anderem das notwendige Tempo nicht mehr gehalten werden kann, so dass sich die Gruppe dadurch selbst überflüssig macht59. Levit schließt aus ihren Beobachtungen, dass die bisherigen Ansätze der Rechtsentstehung im transnationalen Bereich erweitert werden müssen. Insbesondere soll die private Rechtsentstehung nicht mehr auf die lokalen close-knit-Gemeinschaften beschränkt bleiben, da sich vergleichbar eng verbundene Gemeinschaften auch global bilden können60. Allerdings möchte sie den Ansatz des private ordering auch dahingehend erweitern, dass nach dem dauerhaften Verhalten des Staates gegenüber diesen Normenordnungen gefragt wird. Aus ihrer Sicht stellen diese privaten Rechtsordnungen nämlich lediglich ein Übergangsstadium dar, bevor sie sich der Staat aneignet61. Gleichzeitig weist sie auf die Grenzen dieser Normenordnungen hin. Da es sich um exklusive Clubs handelt, sind ihre Regeln zumeist in einer Weise formuliert, dass sie für Außenstehende schwer zu verstehen sind bzw. werden sogar geheim gehalten62. Dadurch regulieren sich diese Clubs zum Teil lediglich selbst. Bei einer solchen Form der Selbstregulierung wird aber teilweise der Rechtscharakter bestritten63.
II. Ergänzungen Die Charakterisierung der untersuchten Normenordnungen als Rechtsordnungen64 durch Levit hat zunächst eine geringe Aussagekraft, da es auch hier davon abhängt, welche Anforderungen an den Rechtsbegriff gestellt werden. Deswegen sollen die untersuchten Ordnungen weiter unter dem Begriff der privaten Normenordnung diskutiert werden. Entscheidend ist jedoch das Ergebnis, dass private Normenordnungen nicht auf den lokalen Raum begrenzt bleiben müssen, auch wenn sie sich dort aufgrund kultureller Gemeinsamkeiten besonders leicht bilden. Voraussetzung ist lediglich, dass sie aus einer relativ homogenen Gruppe heraus entstehen. In einigen Punkten können die Beobachtungen von Levit noch präzisiert werden. So haben die ICC Regeln zum Dokumentenakkreditiv in erster Linie koordinativen Charakter. Demgemäß bedarf es zur Durchsetzung weniger ausgeprägte Mechanismen. Diese wären auch nur begrenzt vorhanden, da die Regeln zwar von einer kleinen Gruppe erlassen werden, diese aber stellvertretend für eine Vielzahl 59
Levit, 30 Yale J. Int’l L. (2005), S. 125, 170 f. Levit, 30 Yale J. Int’l L. (2005), S. 125, 183 ff. 61 Levit, 30 Yale J. Int’l L. (2005), S. 125, 188. 62 Levit, 30 Yale J. Int’l L. (2005), S. 125, 196. 63 Synder, 64 Ohio St. L. J. (2003), S. 371, 385 ff. 64 Vgl. bereits die Überschrift: „A cosmopolitan view of bottom-up transnational lawmaking“. 60
64
1. Teil: Theoretische Grundlagen des transnationalen Rechts
von Kaufleuten tätig ist, die in diesem Bereich tätig sind. Jenen außen stehenden Kaufleuten fehlt also die enge Verbindung, die sie zur Befolgung regulativer Regeln motivieren könnte. Koordinative Regeln können sich dagegen leichter durchsetzen, weil ein Regelbruch nicht notwendig einen Vorteil für den Regelbrecher, sondern in erster Linie Verwirrung schafft. Sie sind somit ein Angebot an die Geschäftspartner, ihren Vertrag hinsichtlich unklarer Bestimmungen mit geringem Aufwand zu konkretisieren. Die Regeln für die Exportkredite sind dagegen verbindlich für die Beteiligten. Dies wird dadurch ausgeglichen, dass die Beteiligten auch an ihrer Entstehung beteiligt sind. Es handelt sich also ähnlich wie bei den anderen untersuchten private orders um eine Selbstregulierung. Bei der Beschreibung der Berner Union im vorherigen Abschnitt zeigt sich die nach Aviram typische Entwicklung. Zunächst war sie in erster Linie ein Club, dessen Mitgliedschaft wirtschaftliche und soziale Vorteile bringen konnte. Auf dieser Basis wurden Regeln entwickelt, deren Durchsetzung von dem Club garantiert werden konnten. Bei der Übereinkunft der EKV waren schließlich staatliche Vertreter wesentlich beteiligt. Die Selbstregulierung kann somit eine Möglichkeit gewesen sein, eine entsprechende staatliche Regulierung zu vermeiden. Für diese Überlegung spricht, dass die vereinbarten Regeln inzwischen von staatlichen oder völkerrechtlichen Institutionen übernommen worden sind, es also einen staatlichen Regulierungsbedarf gab. Eine drohende Vergesetzlichung kann also der entscheidende Anschub für die Übereinkunft der EKV gewesen sein, die Normenordnung zu befolgen. Insgesamt scheint die Untersuchungen von Levit die rechtstheoretischen Ansätze in diesem Gebiet zu unterstützen65. Es können sich global Gemeinschaften bilden, die sich aus der Praxis hergeleitete Regeln geben und diese institutionell durchsetzen. Zu beachten ist allerdings, dass es sich um sehr kleine Gruppen handelt, die nur punktuelle Regelungen treffen. Eine umfassende Regelung für das gesamte globale Handelsrecht ist nicht zu erkennen. Des Weiteren sind die Regeln überaus detailliert und entstehen nicht im eigentlichen Sinne „spontan“ sondern durch institutionelle Setzung. Schließlich sind diese Normenordnungen nicht ausschließlich durch private Akteure geschaffen worden. Vielmehr sind auch staatliche Vertreter Mitglieder dieser exklusiven Zirkel66. Man könnte sie mithin als hybride Normenordnungen bezeichnen.
65 66
Vgl. Erster Teil 2. Kapitel 2. und 3. Abschnitt. Darauf weist Levit, 30 Yale J. Int’l L. (2005), S. 125, 188, ausdrücklich hin.
Zweiter Teil
2.
Die Entstehung privater Normenordnungen am Beispiel der lex mercatoria, der lex informatica und der lex sportiva 2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen Die Bereiche des internationalen Handels, des Internets und des internationalen Sports werden regelmäßig als Beispiele für das transnationale Recht genannt1. Für alle drei Bereiche werden – quasi als Ritterschlag – lateinische Bezeichnungen verwendet. Wir sprechen deshalb von der lex mercatoria, der lex informatica bzw. digitalis und der lex sportiva2. Ihnen ist gemeinsam, dass sie zum einen typischerweise nationale Grenzen überschreiten müssen, somit transnational sind. Zum anderen werden bei den staatlichen Regulierungen dieser Bereiche von einigen Beteiligten Mängel empfunden, sei es das Fehlen, sei es die vermeintlich geringe Qualität der rechtlichen Normierung. Damit eignen sie sich besonders als Nährboden für eine neue private transnationale Rechtsordnung3. Indem drei verschiedene Bereiche berücksichtigt werden, soll überdies die Untersuchung der Gefahr entgehen, dass Ergebnisse, die nur einem Bereich entnommen sind, verallgemeinert und vorschnell mit transnationalem Recht gleichgesetzt werden.
1. Kapitel
Die lex mercatoria Die lex mercatoria gilt als das Paradebeispiel für private Normensysteme im transnationalen Recht. Manche Vertreter der Idee des transnationalen Rechts haben nur die lex mercatoria im Blick1, andere messen ihr Beispielcharakter bei2.
1
Zangl/Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung als Baustein; Bachmann, Private Ordnung, S. 37; Röthel, JZ 2007, S. 755, 762. 2 Allerdings handelt es sich bei dem Begriff sportiva um einen Neologismus; das Wort existierte im Lateinischen nicht. Dort wurde von ludus (Spiel) gesprochen, was aber den heutigen Sport nicht mehr adäquat beschreibt. 3 Vgl. Erster Teil 3. Kapitel 1. Abschnitt. 1 Berger, „Schleichende“ Kodifizierung. 2 Teubner, RJ 15 (1996), S. 255, 256.
2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
66
1. Abschnitt
Einführung Um die lex mercatoria ist in den letzten Jahrzehnten ein derart intensiver Streit geführt worden, dass sich bereits vor 20 Jahren Mustill halb im Scherz dafür entschuldigte, der extensiven Literatur noch weitere hinzuzufügen3. Seitdem ist die Literatur unaufhörlich gewachsen, so dass hier nicht einmal der Versuch unternommen werden soll, diese darzustellen4. Es kann vielmehr insoweit auf die umfangreichen Darstellungen von De Ly5 und Dasser6 verwiesen werden und an dieser Stelle lediglich ein Überblick über die Diskussion gegeben werden.
I. Historischer Hintergrund der lex mercatoria Bereits die verbreitete Nutzung des lateinischen Begriffs deutet darauf hin, dass die Idee der lex mercatoria zu einer Zeit entstanden ist, in der Latein noch die Sprache der Wissenschaft war. So versäumt auch kaum ein Befürworter der lex mercatoria, auf ihre historischen Grundlagen hinzuweisen7. Die Annahme, dass das kaufmännische Recht damals eine europaweit einheitliche Wirtschaftsrechtsordnung bildete und dadurch den enormen Aufschwung des europäischen Handels förderte, ist – bzw. war zumindest bis vor kurzem – weit verbreitet8.
1. Die mittelalterliche lex mercatoria als universelles nicht-hoheitliches Handelsrecht Die erste Erwähnung fand die lex mercatoria 1290 in England in einer Sammlung damaliger Handelssitten und -bräuche. In unregelmäßigen Abständen lässt der Gebrauch dieses Begriffs nachweisen, bis er schließlich 1622 von Malynes als Synonym für ein althergebrachtes Handelsrecht verwandt wird9. Für die Ent-
3
Mustill, Lib. am. Wilberforce, S. 149. So kommt auch Weise, Lex mercatoria, S. 46, Fn. 96 zum Schluss, dass die herangezogene Literatur nicht vollständig sein kann. 5 De Ly, International Business Law, S. 207 ff. 6 Dasser, Lex mercatoria, insbesondere S. 180 ff. 7 Goldmann, Lex mercatoria, S. 3, sieht sie als „ehrwürdige alte Lady“, die bereits zweimal verschwand, nur um wieder aufzutauchen. Auch Schmitthoff, A New Law Merchant, S. 20, 21, stellt explizit historische Bezüge her. 8 Berman, Law and Revolution, S. 333 ff.; Meyer, Bona fides und lex mercatoria, S. 56 ff; Calliess, Verbraucherverträge, S. 197, jeweils mit weiteren Nachweisen. 9 Malynes, Consuetudo, vel, Lex mercatoria: Or the Ancient Law Merchant, Vorwort, zitiert nach: Donahue Jr., 5 Chi. J. Int’l L. (2004) S. 21. 4
1. Kap.: Die lex mercatoria
67
stehung der lex mercatoria wurde von Historikern folgendes Szenario beschrieben10: Im 11. und 12. Jahrhundert kam es zu einer raschen Ausdehnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und einer Zunahme der Anzahl und Größe der Städte. Dadurch entstand eine neue Klasse von Berufskaufleute, die überregional tätig waren. Zwar wurde auch vorher Handel getrieben, doch war dieser meist lokal konzentriert. Regionaler oder gar überregionaler Handel war die Ausnahme, reisende Kaufleute waren selten und bildeten eine eigene gesellschaftliche Gruppe, die als Stand prägender für das Bewusstsein war als die Nationalität. Diese neue Kaufmannsklasse bedurfte allerdings neuer Instrumente, um ihren Handel auszudehnen. Weder die herrschenden Fürsten noch die Vertreter des kanonischen Rechts oder die Gelehrten des römischen Rechts machten sich daran, ein entsprechendes Recht zu entwickeln. Mithin schufen sich die Kaufleute selbst einen neuen Rechtskorpus: die lex mercatoria bzw. das law merchant11. Dieses neue System des Handelsrechts entwickelte sich zunächst lokal aus den üblichen Handelsbräuchen, die dann unter Führung der italienischen Städte zunehmend systematisiert wurden. Im späten 11. Jahrhundert wurden Rechte und Pflichten einheitlicher und allgemeiner, so dass die lex mercatoria zu einem universell anerkannten Recht wurde12. Prägend waren für diese: die Entstehung jenseits der politischen Autoritäten, ihr Charakter als zusammenhängende Rechtsordnung und ihr Ursprung im Hohen Mittelalter. Die Durchsetzung soll durch Boykotte oder ähnliche Instrumente erfolgt sein und wurde autonom von der Kaufmannschaft organisiert. Prozessual wurde den Bedürfnissen der Kaufleute Rechnung getragen, indem die Rechtsprechung in der Regel von Kaufleuten – zum Teil sogar von Landsleuten der streitenden Parteien –, die als Richter fungierten, wahrgenommen wurde. Die Verfahren liefen schnell und informell ab, da die Kaufleute für gewöhnlich bald weiterziehen mussten. Die Billigkeit war bei den Entscheidungen wichtiger als die Formalitäten des „ordentlichen“ Gerichtsverfahrens13. Materiell haben sich viele spezifische Eigenschaften des Handelsrecht entwickelt, ohne die ein weiteres Florieren des Warenaustausches kaum möglich gewesen wäre. Stellvertretend sollen nur die Entwicklung von neuen Kreditinstrumenten, die wesentlich auf dem Grundsatz des guten Glauben aufbauten, und die Schaffung neuer Gesellschaftsformen, die ohne die Figur der juristischen Person nicht denkbar wären14, genannt werden. 10 Stellvertretend für die zahlreichen historischen Untersuchungen orientiert sich diese Darstellung an Berman, Law and Revolution, S. 333 ff. 11 Berman, Law and Revolution, S. 333 ff. 12 Malynes, Consuetudo, vel, Lex mercatoria: Or the Ancient Law Merchant, Vorwort, zitiert nach: Donahue Jr., 5 Chi. J. Int’l L. (2004) S. 21. 13 Schmitthoff, RabelsZ 28 (1964), S. 47, 49. 14 Vgl. Bärmann, FS Mann, S. 547, 556 ff.
68
2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
Berman zeigt anhand von Beispielen aus dem materiellen Recht, dass die strukturelle Kohärenz der Grundsätze, Begriffe, Vorschriften und Verfahren sich in erster Linie aus der Kohärenz der Kaufmannsgemeinschaft herleitete, deren Recht es war15. Die societas mercatorum war also eine Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit. Die öffentlichen Autoritäten sollen zwar auch einen gewissen Einfluss auf die Weiterentwicklung gehabt haben, jedoch erst nachdem die Kaufleute im Wesentlichen ihre Handelsbräuche bereits formuliert und generalisiert hatten16. Demnach wurde von öffentlicher Seite nur bereits Bestehendes kodifiziert. Auf diese Weise verschwand die mittelalterliche lex mercatoria jedoch schließlich im Zuge der umfangreichen Kodifikationen auf dem Festland bzw. wurde durch das Common Law aufgesaugt17. Zur theoretischen Unterstützung dieses „romantischen“ Blicks18 auf die Entstehung des Handelsrechts wurden auch damals bereits historische Belege für dieses Handelsrecht angeführt. Demnach sollen die Ursprünge der lex mercatoria in einem Kaufvertrag zwischen Abraham und den Hethitern, beschrieben in Genesis Kapitel 23, liegen19. Zusammengefasst soll die lex mercatoria des Mittelalters aus dem Alltagsgeschäft der Händler spontan entstanden sein. Sie wurde angewandt und fortgebildet durch Gerichte, die mit Kaufleuten und nicht mit Juristen besetzt waren, und war somit in besonderem Maße auf Bedürfnisse jener zugeschnitten, während den öffentlichen Autoritäten in der Regel nur die Feststellung vorhandener Tatsachen blieb20. Vor diesem Hintergrund wirken alle gegenwärtigen Beschreibungen der lex mercatoria wenig originell.
15
Berman, Law and Revolution, S. 341. Vgl. Malynes, Consuetudo, vel, Lex mercatoria: Or the Ancient Law Merchant, Vorwort: „… a Customary Law approved by the Authority of all Kingdoms and Commonwealths, and not a Law established by the Sovereignty of any Prince, either in the first foundation or, by continuance of time”, zitiert nach: Donahue Jr., 5 Chi. J. Int’l L. (2004) S. 21, 22. 17 Vgl. Schmitthoff, RabelsZ 28 (1964), S. 47, 49; Bärmann, FS Mann, S. 547, 557. 18 Angelehnt an die Arbeit von Bewes, The Romance of Law Merchant, 1923, zitiert nach: Donahue Jr., 5 Chi. J. Int’l L. (2004), S. 21. 19 Malynes, Consuetudo, vel, Lex mercatoria: Or the Ancient Law Merchant, S. 2, zitiert nach: Donahue Jr., 5 Chi. J. Int’l L. (2004) S. 21, 22. Auch wenn diese Beobachtung überraschend klingt, sei hinzugefügt, dass sich auf eben dieses Werk fast alle historischen Untersuchungen zur lex mercatoria stützen. 20 Vgl. die Zusammenfassung bei Berman/Kaufmann, 19 Harv. Int’l L. J. (1978), S. 221, 225: „Its [the law merchants] special characteristics were that 1) it was transnational; 2) its principal source was mercantile custom; 3) it was administered not by professional judges but by merchants themselves; 4) its procedures were speedy and informal; and 5) it stressed equity, in the medieval sense of fairness, as an overriding principle.“ Diese Beschreibung könnte allerdings auch für die Schiedsgerichtsbarkeit unabhängig von einer lex mercatoria gelten. 16
1. Kap.: Die lex mercatoria
69
2. Zweifel an der Existenz eines universellen Handelsrechts Nachdem diese historische Sicht jahrzehntelang, wenn nicht jahrhundertelang, als „herrschend“ gegolten hat, nehmen neuerdings die Stimmen derer zu, die Zweifel an den gezogenen Schlüssen haben und diese Sicht eines unabhängigen mittelalterlichen Handelsrechts als tendenziös oder zumindest ungenau bezeichnen21. Diese Kritiker sehen sich der schwierigen Aufgabe gegenüber, die Nichtexistenz einer Sache (sprich der lex mercatoria) zu beweisen, obwohl der Begriff in historischen Dokumenten auftaucht22. Allerdings sind die meisten der mit Vorliebe zitierten Belege für die Existenz der mittelalterlichen lex mercatoria – als da wären: Ausspruch des englischen Kanzlers im Jahre 147323, die „Consuetudo vel lex mercatoria“ von Malynes aus dem Jahr 162224 und die Feststellung von Blackstone aus dem Jahre 180925 – im Hinblick auf die angenommene Blütezeit der lex mercatoria im 11., 12. und frühen 13. Jahrhundert26 keine Primärquellen, sondern nur Sekundärquellen. Dabei wird die lex mercatoria nicht in jeder (Sekundär-)Quelle, in der man ihre Nennung – sofern es sie tatsächlich gegeben hat – erwarten könnte, erwähnt. So lässt sich dieser Begriff in einem frühen umfassenden Werk zum Handelsrecht – „De mercatura seu mercatore tractatus“ von Benvenuto Stracca aus dem Jahr 155327 – aus Italien, wo sich gerade viele der neuen Handelsinstrumente, die der lex mercatoria zugeschrieben werden, entwickelten, nicht finden28. Ebenso gibt es zwar einige Rechtssammlungen zum Seefahrtsrecht, wie das Llibre del Consolat de mar, aber keine vergleichbaren Sammlung zur lex mercatoria, obwohl in dieser Zeit zahlreiche Bräuche kodifiziert wurden29. 21 Donahue Jr., 5 Chi. J. Int’l L. (2004), S. 21, 23; Kadens, 5 Chi. J. Int’l L. (2004), S. 39; Scherner, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 148, 156 sieht zwar Eigenständigkeiten des damaligen Handelsrechts, die aber nur mit Billigung der politischen Gewalt entstehen konnten; Jansen/ Michaels RabelsZ 71 (2007), S. 345, 366 ff; Cordes, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 168. 22 Donahue Jr., 5 Chi. J. Int’l L. (2004), S. 21, 27. 23 „… nach dem Naturrecht des Kanzlergerichts … das einige als Handelsrecht bezeichnen, welches das universale Recht der Welt ist“ zit. bei: Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 93. 24 „Ich habe diesem Buch den alten Titel „Lex Mercatoria“ gegeben …, weil es sich um das von der Autorität aller Königreiche und Gemeinwesen anerkannte Recht handelt und nicht um ein durch Souveränität irgendeines Fürsten geschaffenes Recht“, zit. nach: Donahue Jr., 5 Chi. J. Int’l L. (2004) S. 21. 22. 25 „Die Handelsgeschäfte werden von einem eigenen Recht namens Law Merchant oder lex mercatoria geregelt, das alle Länder übereinstimmend anerkennen“, zit. nach Berger, The New Law Merchant, S. 1, 4. 26 Berman, Recht und Revolution, S. 549. 27 Benvenuto Stracca, De mercatura seu mercatore tractatus (Venedig 1553), zit. nach: Donahue Jr., 5 Chi. J. Int’l L. (2004) S. 21, 27. 28 Vgl. ausführlich dazu Donahue Jr., 5 Chi. J. Int’l L. (2004), S. 21, 27 ff. Er erwägt zwar, ob Stracca die lex mercatoria aus rechtspolitischen Gründen absichtlich ignoriert hat, hält dieses aber aufgrund der Zielsetzung des Werkes und des historischen Zusammenhanges für unwahrscheinlich. 29 Donahue Jr., 5 Chi. J. Int’l L. (2004), S. 21, 28.
70
2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
Inzwischen sind auch Primärquellen im Hinblick auf die mittelalterliche lex mercatoria analysiert worden. So hat z. B. Sachs ausführlich die sogenannten „Rollen von St. Ives“ untersucht30. Diese Rollen sind die jährlichen Aufzeichnungen des Messegerichts von St. Ives, einer Stadt im Südwesten von England. Es sind insgesamt 14 Rollen aus der Zeit zwischen 1270 und 1324 erhalten, also aus der Zeit, in der die lex mercatoria bzw. das law merchant voll entwickelt gewesen sein soll. St. Ives war damals einer der wichtigsten Messeplätze Englands31 und die Rollen gelten als die besten und vollständigsten Aufzeichnungen eines Messegerichts vor der Pest. Es ist also nachvollziehbar, wenn Sachs in diesen Rollen Hinweise auf das mittelalterliche law merchant erwartet32. Tatsächlich findet er 11 Fälle, in denen secundum legem mercatoriam entschieden wird33. Mittels dieses Begriffs wird auf insgesamt sieben unterschiedliche Prinzipien Bezug genommen: Die Zuordnung von Gütern (Anzahl der erforderlichen Eidhelfer; die Frage, ob diese Zuordnung Bedienstete statt des Herren vornehmen dürfen, und die Frist, nach der Waren verkauft werden dürfen, um eine Schuld zu befriedigen); der Abschluss eines Kaufs durch Zahlung von „ehrlichem Geld“; die Notwendigkeit eines Pfandes in einem Rechtsstreit; die Notwendigkeit, das Jahr zu spezifizieren, indem eine Verletzung eingetreten ist; die Zulässigkeit eines besiegelten Schuldscheins; der Anspruch des Königs auf betrügerisch angebotenes Süßholz; das Recht eines dritten Metzgers, beim Verkauf von Fisch und Fleisch zu intervenieren34. Allein mit Hilfe dieser Prinzipien lässt sich jedoch kein noch so primitiver Handel regulieren. Vielmehr bedarf es immer noch des common law, um einen Rahmen zu gewährleisten, von dem die lex mercatoria abweichen kann. Dementsprechend wird in der frühesten bekannten Erwähnung der lex mercatoria im „Little Red Book“ der Stadt Bristol von 1280 das Common Law zunächst als Mutter der lex mercatoria bezeichnet35. Die lex mercatoria hat demnach nur punktuelle Abweichungen enthalten36. Zusätzlich sind die genannten Prinzipien jedoch über den untersuchten Zeitraum nicht notwendig stabil. In zwei Fällen – und zwar in den Jahren 1291 und 1311 – reichten zwei Eidhelfer aus, um Eigentumsansprüche zu begründen. In einem anderen Fall von 1270 sollen secundum legem mercatoriam fünf Eidhelfer erforderlich sein, während manchen Kaufleuten dieses Privileg – weniger als die üblichen zwölf Eidhelfer zu präsentieren – in dem Jahr 1293 nicht gewährt
30 31 32 33 34 35 36
Sachs, From St. Ives to Cyberspace. Vgl. die Nachweise bei Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 6. Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 8. Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 39. Nachweis der Fälle bei Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 39 f. Cordes, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 168, 174 f. Donahue Jr., 5 Chi. J. Int’l L. (2004), S. 21.
1. Kap.: Die lex mercatoria
71
wurde37. Der Inhalt der vermeintlichen lex mercatoria variierte also bereits lokal. Diese Variation kann angesichts der Jahreszahlen auch nicht mit einer Weiterentwicklung des Rechts erklärt werden. Regional unterschieden sich manche Bräuche noch stärker. Während in manchen Städten ein gutgläubiger Erwerb von gestohlenen Gütern möglich war, mussten in anderen Städten gestohlene Güter in jedem Fall zurückgegeben werden38. Wenn schon lokal und regional solche Verschiedenheiten bestehen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass materielle Prinzipien universell geteilt worden sind. Sobald also nach prägenden Einzelheiten gefragt wird, die universell gegolten haben, führt die Suche zu keinem Ergebnis39. Dass sich die von Berman aufgeführten Innovationen im Recht bildeten, zeigt zwar den Einfluss der Kaufleute auf die Rechtsentwicklung, rechtfertigt jedoch für sich allein nicht die Behauptung, dass eine eigene Rechtsordnung bestand. Auch die Sicherungsübereignung konnte sich im deutschen Recht contra legem entwickeln, ohne dass deswegen von einer eigenständigen Rechtsordnung gesprochen wurde. Mangels der eindeutigen Bestimmbarkeit von universellen materiellen Rechtsprinzipien wird auf die Übereinstimmung von prozessualen Prinzipien hingewiesen. So sind die im „Red Book“ von Bristol in direkter Gegenüberstellung genannten drei Unterschiede der lex mercatoria prozessualer Natur40. Gewisse Grundprinzipien dürften allgemein geteilt worden sein, schließlich bestanden überall ähnliche Probleme. So mussten Verfahren schnell und fair durchgeführt, Handelsgewohnheiten berücksichtigt werden und auch ausländische Händler durften, trotz der damaligen personalen Rechte, nicht schutzlos gestellt werden. Auf eine prozessuale lex mercatoria lassen sich also Hinweise finden. Damit bleibt aber die Frage, ob sich diese prozessuale Ausprägung unabhängig von hoheitlichem Einfluss entwickelt hat. Dies wird unterstellt mit dem Hinweis auf die regelmäßige Berufung von Kaufleuten als Richter in Handelssachen41. Es wird somit angenommen, dass die Kaufleute auf diese Weise selbst ihr Recht – unabhängig von den hoheitlichen Autoritäten – gesprochen, weiterentwickelt und durchgesetzt haben. Dem steht entgegen, dass es bei lokalen Gerichten üblich war, dass Bürger, also juristische Laien, mit zu Gericht saßen42. Insbesondere war es gebräuchlich, Experten in die Jury zu berufen. So hat Sachs Hinweise auf Juries, bestehend aus verheirateten Frauen (um eine Schwangerschaft festzustellen) oder
37 38 39
Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 62. Nachweise bei Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 79. Cordes, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 168, 173; Jansen/Michaels RabelsZ 71 (2007), S. 345,
371. 40 41 42
Cordes, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 168, 176. Schmitthoff, RabelsZ 28 (1964), S. 47, 49. Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 27.
72
2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
Fischhändlern (zur Bestimmung von Nahrungsqualität), gefunden, ohne dass diese als autonome Gruppen mit eigener Rechtsordnung angesehen werden43. Darüber hinaus wurde auch der lokalen hoheitlichen Gewalt – im Falle von St. Ives dem Abt – vom König das Recht verliehen, ein Messegericht abzuhalten, dem auch ein Vertreter des Abts vorsaß und ggf. direkt eingriff44. Eine ebenso zentrale Rolle spielte der Landesherr bei der Durchsetzung der Urteile. Ihm stand unter anderem das Monopol der Warenbeschlagnahme zu45, während die allgemeine Verantwortlichkeit der Händler für einen säumigen Schuldner aus ihrer Heimatgemeinde – ein Instrument mittels dessen die Händler selbständig in der Lage gewesen wären, ihre Ansprüche durchzusetzen46 – in England seit 1275 verboten war47. Schließlich wurden in Kontinentaleuropa den Kaufleuten Privilegien in erster Linie hoheitlich gewährt48. Dabei ist nicht erkennbar, dass ein Herrscher sich verpflichtet fühlte, diese Privilegien zu gewähren. Vielmehr erschien es wirtschaftlich sinnvoll, den Kaufleuten einen schnellen und an ihren Interessen orientierten Streitentscheidungsmechanismus bereitzustellen sowie sicheres Geleit zu den Messen zu gewähren, um so die Attraktivität des eigenen Handelsplatzes zu erhöhen49. Demnach konnten sich die Handelsgerichte und damit das vermeintlich eigenständige Recht der Kaufleute nicht unabhängig von der politischen Gewalt entwickeln50. Die Frage bleibt, worauf sich jemand berief, wenn er secundum legem mercatoriam beurteilt werden wollte. Mangels eines erkennbaren materiellen Gehalts dürfte er dabei nicht einen Satz bestimmter Normen vor Augen gehabt haben, sondern könnte auch lediglich mittels einer gebräuchlichen Terminologie zum Ausdruck bringen wollen, dass er fair und entsprechend den Handelsbräuchen beurteilt werden wollte51. Diese These wird durch den Umstand bestätigt, dass der lateinische Begriff lex im mittelalterlichen England nicht ausschließlich ein spezifisches Gesetz bezeichnete, sondern sowohl alles Recht oder alle Gesetze – geschrieben und ungeschrieben – umfassen konnte, also auch zur allgemeinen Kennzeichnung der Rechtmäßigkeit genutzt worden ist52. Secundum legem mercatoriam muss deshalb nicht heißen, dass „nach dem Kaufmannsrecht“ geurteilt werden muss, son-
43
Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 30. Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 14, 33. 45 Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 18. 46 Greif, 5 Chi. J. Int’l L. (2004), S. 109 ff. 47 Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 23. 48 Cordes, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 168, 178 ff. 49 Kadens, 5 Chi. J. Int’l L. (2004), S. 39, 48. Vgl. die ähnliche gegenwärtige Situation beim transnationalisierten Recht. 50 Dies betont Scherner, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 148, 157. 51 Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 80. 52 Hudson, The Formation of the Englisch Common Law, S. 3. 44
1. Kap.: Die lex mercatoria
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dern kann auch bedeuten, dass „nach kaufmännischem Recht“53 geurteilt werden sollte, worin auch immer dessen konkreter materielle Inhalt bestand. Die Untersuchungen von Sachs werfen einen erheblichen Schatten auf die vermeintliche Existenz einer mittelalterlichen lex mercatoria. Es scheint zwar, dass in kaufmännischen Streitigkeiten den lokalen Handelsbräuchen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde und dass diese Handelsbräuche sich ähnelten. Des Weiteren ist wahrscheinlich, dass unter der Überschrift lex mercatoria auf diese Handelsbräuche Bezug genommen wurde. Der Beweis, dass jeder (oder auch nur einer), der forderte, seine Angelegenheit solle secundum legem mercatoriam beurteilt werden, sich dabei auf eine universelle autonome Rechtsordnung bezog, kann dagegen nicht erbracht werden. Es sprechen vielmehr einige Anhaltspunkte gegen diese Annahme54. Auch Cordes kommt zu dem Ergebnis, dass begriffsgeschichtlich die lex mercatoria kein universeller, sondern ein englischer Rechtsbegriff ist und im 13. Jahrhundert lediglich prozessrechtliche Privilegien bezeichnet55. Man fragt sich angesichts dieser Ergebnisse, wie sich die Idee einer mittelalterlichen lex mercatoria als so überlebensfähig erweisen und sogar Grundlage von fächerübergreifenden Studien werden konnte, obwohl ihre Existenz doch offenbar nicht ausreichend durch Primärquellen belegt ist. Von den Kritikern einer mittelalterlichen lex mercatoria werden hierzu Erklärungen angeboten, die hier kurz wiedergegeben werden sollen56, weil sie exemplarisch zeigen, wie ein Rechtsbegriff „missbraucht“ werden kann. Erstens scheinen manche Historiker – zumindest stillschweigend – von der gängigen These auszugehen, dass der Handel eines einheitlichen Rechtsrahmen bedarf. Aus diesem theoretischen Bedarf eines besonderen universellen Rechts hätten sie auf die praktische Existenz eines solchen Rechts geschlossen. Sie setzen also eine Theorie als absolut richtig voraus und beginnen ihre Untersuchungen beim Ergebnis, anstatt zunächst die Fakten möglichst unvoreingenommen zu ermitteln, um sie anschließend zu erklären (und eventuell zu dem Ergebnis zu kommen, dass der rechtliche Rahmen weit weniger wichtig ist oder zumindest war, schließlich funktionierte der globale Handel sehr erfolgreich ohne Einheitsrecht)57. Dadurch entsteht die Gefahr, dass die Tatsachen – wenn sie im Widerspruch zu dem „feststehenden“ Ergebnis stehen – nicht klar analysiert werden. Denn einen Rechtskorpus im Sinne von Berman soll man nur entdecken können, wenn man bei der Aufnahme der Bilder genügend Weichzeichner verwendet58. Einer solchen ge53
Dieser Begriff wird auch von Cordes, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 168 verwendet. Vgl. Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 86, Hudson, The Formation of the Englisch Common Law, S. 3. 55 Cordes, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 168, 177. 56 Vgl. ausführlich Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 90 ff. 57 Vgl. Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 90. 58 Cordes, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 168, 184. 54
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
radezu legislativen Funktion – denn hierdurch wird in gewissem Sinne nachträglich Recht geschaffen – sollten sich Historiker jedoch enthalten59. Zweitens liegen Hinweise vor, dass die Idee einer autonomen lex mercatoria verschiedentlich zur Unterstützung rechtspolitischer Positionen ge- bzw. missbraucht wurde60. Im England der frühen Neuzeit hing von der rechtstheoretischen Einordnung des Handelsrechts die Zuständigkeit der Gerichte ab, sodass diese Einordnung unmittelbare Auswirkung auf die Prozesse hatte. Sah man die lex mercatoria als eine Art Naturrecht, welches autonom vom jeweiligen Landesrecht war bzw. diesem sogar übergeordnet war, so mussten auch besondere Gerichte, die von Civil Law Juristen besetzt waren, zuständig sein. Wurde hingegen stärker die Universalität aufgegriffen, wonach die lex mercatoria Recht in jedem Land ist, kann diese auch Teil des nationalen Rechts sein. Damit wären die Common Law Gerichte zuständig gewesen61. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde die lex mercatoria im Sinne einer materiellen Rechtsordnung als „Kampfbegriff“ gegen das für Kaufleute vermeintlich schlechter geeignete Common Law verwandt62. Die Common Law Gerichte setzten sich jedoch schließlich durch. Dieser Prozess wird oft als Integration der lex mercatoria in das Common Law beschrieben. Bemerkenswert ist, dass zu dieser Zeit die Beschäftigung mit der lex mercatoria nach fast jahrhundertelanger Ruhe sprunghaft zunimmt, obwohl sie bereits im Untergang begriffen war63. Vor dem Hintergrund einer solchen Auseinandersetzung muss man sich fragen, ob manche Zitate aus dieser Zeit, auf die sich – wie bereits gezeigt – eine Reihe von Historikern beziehen, tatsächlich deskriptiv sind. Drittens wird die Langlebigkeit der lex mercatoria auch darauf zurückgeführt, dass einige Historiker sich nicht der Mühe des Studiums der Primärquellen auszusetzen, sondern ausschließlich – wie beschrieben eventuell tendenziöse – Sekundärquellen herangezogen haben64. Auf diese Weise hat der Begriff der lex mercatoria ein Eigenleben entwickelt, welches dazu führt, dass sie als historisches Faktum angesehen wird. Aber allein aus der Existenz eines Begriffs kann nicht auf die tatsächliche Existenz des Bezeichneten geschlossen werden.
59 Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 90 unter Verweis auf Bertrand Russell, On the Notion of Cause (Über die Idee des Grundes), in: Mysticism and Logic and other Essays 180, 180. 60 Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 10; Scherner, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 148, 160 ff; Cordes, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 168, 175. 61 Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 94 ff. 62 Cordes, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 168, 172. 63 Scherner, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 148, 160. 64 Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 99.
1. Kap.: Die lex mercatoria
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3. Zwischenbilanz Die Frage, ob es im Mittelalter eine universelle und autonome lex mercatoria gab, muss in dieser Untersuchung nicht beantwortet werden. Es ist allerdings deutlich geworden, dass die Existenz dieser lex mercatoria zumindest zweifelhaft ist. Angesichts dieser Unsicherheit verbietet sich jedes historische Argument zur Unterstützung der lex mercatoria oder anderem transnationalem Recht65. Selbst wenn man die Existenz einer mittelalterlichen lex mercatoria voraussetzte, so müsste man sich gleichwohl vor voreiligen Übertragungen hüten. Anders als im Mittelalter gibt es ein internationales Privatrecht, welches dem internationalen Handel einen rechtlichen Rahmen bietet. Auch wenn man dieses System im Vergleich zu einem globalen Einheitsrecht für mangelhaft hält, so kann man seine Existenz nicht leugnen. Eine transnationale Rechtsordnung müsste sich also im Bereich der internationalen Wirtschaft gegen ein bereits bestehendes System durchsetzen. Des Weiteren ließe die Annahme der Existenz einer mittelalterlichen lex mercatoria keine Schlüsse für die Gegenwart zu. Denn das hohe Alter dieses Rechtsinstituts könnte auch gerade gegen eine Wiederbelebung sprechen, weil die damalige Abschaffung aus guten Gründen erfolgt sein könnte66. Insgesamt kann es für eine neue lex mercatoria nicht darauf ankommen, ob es schon im Mittelalter eine solche gegeben hat67. Allerdings sollte man in Erinnerung behalten, dass – nach den Ergebnissen der neueren Untersuchungen – die mittelalterliche lex mercatoria ihre Existenz nicht notwendig ihrer tatsächlichen Bedeutung, sondern vielmehr einer Mischung aus vorgefertigten Erwartungen, rechtspolitischen Anliegen und ungenauem Quellenstudium, verdankt. Möglicherweise ist die lex mercatoria in unserer Zeit aus ähnlichen Gründen „wiedergekehrt“.
II. Die lex mercatoria in der rechtswissenschaftlichen Diskussion der Gegenwart Die Idee der „modernen“ lex mercatoria wurde zu Beginn der 60er Jahre entwickelt (oder nach anderer Ansicht lediglich wiederbelebt). Sie ist eng mit den Namen Schmitthoff und Goldmann verbunden. Gleichzeitig stehen diese beiden Namen noch heute für zwei unterschiedliche Konzepte der lex mercatoria68. Durch diese unterschiedlichen Konzepte wird und wurde die Diskussion über die lex mercatoria noch zusätzlich erschwert. Die Frage, ob es die eine lex mercatoria gibt, ist eigentlich kaum zu beantworten, ermöglicht noch nicht einmal notwendig eine 65 Ebenso Sachs, From St. Ives to Cyberspace, S. 108. Vgl. aber die Parallelen, die insbesondere auch für das Internet gezogen werden von Reidenberg, 76 Texas L. Rev. (1998), S. 553. 66 Cordes, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 168, 172. 67 Cordes, SavZ/Germ. 118 (2001), S. 168, 180. 68 De Ly, FS Sandrock, S. 179, 181; Hölker, Rolle der lex mercatoria, S. 81.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
Diskussion über denselben Gegenstand69. Es muss vielmehr danach gefragt werden, ob es eine lex mercatoria im Sinne von Schmitthoff bzw. Goldmann gibt. Selbst diese grundsätzliche Unterscheidung könnte noch als zu oberflächlich erscheinen, wenn man die konzeptionellen Verästelungen bedenkt, die im Laufe der über 40-jährigen Debatte aufgetreten sind70. Für diese Untersuchung, die sich nicht auf die lex mercatoria beschränkt, sondern sie als eine von mehreren Erscheinungen betrachtet, ist diese Unterscheidung jedoch ausreichend.
1. Schmitthoffs deskriptiver Ansatz Schmitthoff lenkte in einem Aufsatz von 196171, der in Deutschland 1964 erschien72, die Aufmerksamkeit auf Regeln im internationalen Handel, die außerhalb der nationalen Rechtsordnungen entstehen. Er nutzte den Begriff der lex mercatoria in einer empirisch-analytischen Weise und verstand unter der lex mercatoria die Gesamtheit des Normenmaterials der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, die als Einheit die Tendenz zur Abkoppelung von dem Binnenwirtschaftsrecht und zur Entwicklung einer uniformen Rechtsordnung hat. Das auf seinen Überlegungen aufbauende Konzept der lex mercatoria sieht diese als ihrem Gegenstand nach autonom an, weil transnationale Sachverhalte geregelt werden. Daraus wird auf ihre inhaltliche Autonomie geschlossen, weil innerhalb dieses Rahmens eigenständige Lösungen entwickelt werden. Jedoch sind mit diesem Konzept keine rechtsquellentheoretischen Ambitionen verbunden, vielmehr bleibt die lex mercatoria Recht von staatlichen Gnaden. Sie beruht nämlich auf der rechtlich gewährten Willensautonomie und wird staatlich toleriert, indem auf ihr beruhende Schiedssprüche durchgesetzt werden73. Schmitthoff spricht zwar die aus seiner Sicht wichtige Frage der Autonomie der lex mercatoria gegenüber dem staatlichen Recht an, hat jedoch „erhebliche theoretische Bedenken“ bei diesem Ansatz74. Bei dieser Ansicht steht in erster Linie die Konfliktvermeidung im Mittelpunkt. Folglich besteht eine besondere Sympathie für „klassische“ Umsetzungsmodelle wie Angleichung des materiellen Rechts durch die Staaten, Modellgesetze und Staatsverträge75. Gleichzeitig wird aber schon jetzt gefordert, dass insbesondere die staatliche Rechtsprechung auf den internationalen Charakter und die damit verbundene eigenständige Regelbildung Rücksicht nimmt.
69 70 71 72 73 74 75
Mertens, Lex Mercatoria, S. 31, 35. Sehr ausführlich nachgezeichnet von De Ly, International Business Law, S. 217 ff. Schmitthoff, Current Law and Social Problems 2 (1961), S. 129 ff. Schmitthoff, RabelsZ 28 (1964) S. 47 ff. Schmitthoff, RabelsZ 28 (1964), S. 47, 61 und 68 ff. Schmitthoff, RabelsZ 28 (1964) S. 47, 71. De Ly, Lex Mercatoria, S. 159, 161.
1. Kap.: Die lex mercatoria
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2. Goldmanns normativer Ansatz 1964 veröffentlichte Goldmann76 einen Beitrag zur lex mercatoria. Er vertrat dabei ein über Schmitthoff hinausgehendes Konzept. Zunächst stellte er die zunehmende selbständige Organisation des grenzüberschreitenden Handels fest und bezeichnete diese Besonderheiten mit dem Begriff lex mercatoria. Nach einigen Zwischenschritten beschrieb er die lex mercatoria schließlich als ein transnationales Rechtssystem mit eigenen Quellen und Regeln, das unabhängig und verschieden von staatlichem und internationalem Recht ist und Anspruch auf Vollständigkeit erhebt77. Die lex mercatoria gilt aus eigener Kraft und nicht aufgrund staatlicher Duldung. Goldmann begründet die Rechtsqualität der Regeln der lex mercatoria funktional. Aus der Beobachtung, dass bestimmte Regeln im internationalen Handel tatsächlich beachtet werden, schließt er, dass sich die Beteiligten an diese ebenso gebunden fühlen wie an nationale Rechtsnormen78. Eine weitere Herausarbeitung der Geltungsgrundlagen der lex mercatoria ist Gegenstand zahlreicher Arbeiten gewesen79. Weite Verbreitung hat insbesondere der Ansatz von Kahn gefunden, wonach die Rechtsüberzeugungen der societas mercatorum entscheidend für die lex mercatoria sind80. Vereinfacht lässt sich sagen, dass die lex mercatoria aufgrund einer Mischung aus abstraktem Naturrecht, also den allgemeinen Rechtsprinzipien (der westlichen Welt), und konkreten Handelsbräuchen und -gewohnheiten, die durch den Willen einer societas mercatorum begründet werden, gelten soll81. In der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit soll allein der internationale Charakter eines Vertrages zu einer Anwendbarkeit der lex mercatoria führen, da dies bereits der gängige Praxis entspräche82. Damit kann und soll die Schiedsgerichtsbarkeit für die Funktionsfähigkeit und die Weiterentwicklung der lex mercatoria zu einer anationalen Rechtsordnung sorgen. Neben dem theoretischen Interesse war die Theorie von Goldmann zu der Zeit auch von praktischer Bedeutung. Im Zuge der Dekolonisierung hatte eine Reihe neu entstandener Staaten Streitigkeiten mit westlichen privaten Investoren, die insbesondere Bodenschätze in den jeweiligen Ländern förderten. Es herrschte Unsicherheit über das anwendbare Recht für diese sogenannten state contracts in den daraus resultierenden Schiedsverfahren83. Für die neuen Staaten erschien es 76 77 78 79 80 81 82 83
Goldmann, 13 Arch.phil.dr. (1964), S. 177 ff. Goldmann, Lex mercatoria, S. 22. Goldmann, Lex mercatoria, S. 8 ff. Eine Übersicht bietet De Ly, International Business Law, S. 207 ff. Kahn, La vente commerciale internationale, S. 6 f. Calliess, Verbraucherverträge, S. 279 f. Goldmann, The Applicable Law, S. 113, 118. Dezalay/Garth, Dealing in Virtue, S. 83 ff.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
undenkbar, das Recht ihrer bisherigen Kolonialmacht, welches oft das Heimatrecht der Investoren war, weiter anzuwenden. Die Investoren wehrten sich dagegen, nach dem neuen – meist islamischen – Recht der neu entstandenen Staaten beurteilt zu werden. Zum einen galt das Recht als zu wirtschaftsfern und zu wenig entwickelt, um zur Streitschlichtung in Wirtschaftsfällen zu taugen, zum anderen bestand die Befürchtung, dass die neuen Staaten ihre Gesetze einfach zu ihren Gunsten änderten. Als Ausweg kam die Idee eines überstaatlichen, globalen Rechts zum richtigen Zeitpunkt und fiel bei den Schiedsrichtern auf fruchtbaren Boden84. Dabei ist bezeichnend, dass gerade Goldmann einer der großen Schiedsrichter war85. Zu dieser Zeit bestand somit eine enge Verbindung zwischen der praktischen Anwendung und der theoretischen Entwicklung.
3. Entwicklung der Diskussion Nicht nur um die rechtliche Natur, sondern auch um die bloße Existenz der lex mercatoria wurde seitdem lautstark gerungen. Da es sich um eine der „letzten Fragen des Staatsgefühls“86 handeln soll, vertreten die Parteien ihre Ansichten mit allen rhetorischen Mitteln. Nach mancher Beobachtung stehen sich insbesondere die sogenannten Transnationalisten (die auf die tatsächliche Entstehung einer privat gebildeten neuen Rechtsordnung hinweisen) und Traditionalisten (die – falls sie überhaupt ein neues Rechtssystem erkennen können – auf die wichtige Rolle des Staates bei dessen Durchsetzung hinweisen) gegenüber87. Gegenwärtig scheint der „Schlachtenlärm“ etwas abzuflauen, und es lässt sich eine gewisse Erschöpfung feststellen. In dieser „Stille“ wird zunehmend die allgemeine Akzeptanz der lex mercatoria für Wissenschaft und Praxis behauptet88. Begründet wird dies mit der Unterstützung durch die UNIDROIT-Prinzipien und die Liberalisierung der Gesetze zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, wodurch der Gebrauch der lex mercatoria ermöglicht wurde89. Verschiedene Entwicklungen (Vorschläge der ILA Konferenz in Kairo, Möglichkeit „Regeln des Rechts“ und nicht notwendig nationales Recht als Grundlage für Schiedsentscheidungen zu nehmen, die UNIDROIT und Lando-Prinzipien) schaffen ein freundlicheres Klima für die Anwendung der lex mercatoria90.
84 So wird unterstellt, dass die lex mercatoria zum Teil dazu diente, den westlichen Unternehmen ihren Einfluss und Profit aus den Geschäftsbeziehungen gegenüber den ex-kolonialen Regierungen zu sichern. Siehe Dezalay/Garth, Dealing in Virtue, S. 109. 85 Vgl. Dezalay/Garth, Dealing in Virtue, S. 39 f. 86 So bereits Großmann-Doerth, JW 1929, S. 3447. 87 Berger, The New Law Merchant, S. 1; Zumbansen, 67 RabelsZ (2003), S. 637, 644. 88 De Ly, Lex Mercatoria, S. 159, 162. 89 De Ly, Lex Mercatoria: S. 159, 163. 90 De Ly, Lex Mercatoria, S. 159, 164 f.
1. Kap.: Die lex mercatoria
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So tritt neben die Frage nach ihrer theoretischen Existenzberechtigung, die weiterhin intensiv diskutiert wird91, zunehmend der Versuch, jenseits dieser Grabenkämpfe den Inhalt der lex mercatoria pragmatisch abzubilden92. Ob diese Entwicklungen allerdings schon die Akzeptanz der lex mercatoria beweisen, erscheint nicht zweifelsfrei, stehen doch mit den Prinzipiensammlungen andere Formen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Jedenfalls der deskriptive Ansatz von Schmitthoff, wonach sich die Regelungen des internationalen Handel nicht durch die nationalen Regeln des Internationalen Privatrechts lückenlos darstellen lassen, sondern auch andere Regelungen berücksichtigt werden müssen, dürfte allgemein akzeptiert sein93. Allerdings dürfte die Bezeichnung dieses Phänomens als lex mercatoria nicht ungeteilte Zustimmung finden, weil mit diesem Begriff auch – oder gerade – der deutlich weitergehende normative Ansatz eines autonomen globalen Handelsrecht verbunden ist. Ob eine autonome lex mercatoria – die ein Beispiel für das transnationale Recht ist – jedoch allgemein akzeptiert wird, muss bezweifelt werden. So hat keiner der zahlreichen Kritiker seinen Standpunkt explizit aufgegeben94. Auch kommen neuere Untersuchungen weiterhin zu dem Schluss, dass zumindest gegenwärtig die lex mercatoria noch nicht „reif“ für eine autonome Rechtsanwendung ist95. Schließlich sehen sich selbst die Befürworter genötigt zuzugeben, dass die Existenz der lex mercatoria gegenwärtig noch „kontrafaktisch“ behauptet werden muss, um einen Prozess in Gang zu setzen, durch den die lex mercatoria zu einer Rechtsordnung wird96, bzw. sehen eine geeignete „Marketingstratgie“ für die lex mercatoria als Erfolgsvoraussetzung97. Die Feststellung, die lex mercatoria sei allgemein akzeptiert, stellt vor diesem Hintergrund also weniger eine akkurate Beschreibungen der Wirklichkeit als vielmehr eine self-fulfilling prophecy dar. Die Frage, ob eine lex mercatoria existiert, die (1) universell in ihrem Charakter, (2) flexibel und dynamisch wachsend, (3) informell und schnell ist und (4) auf Handelsbräuchen und -praktiken aufbaut98 und somit ein Beispiel und gleichzeitig Beweis für das transnationale Recht sein kann, bedarf folglich noch immer der Beantwortung. 91
Vgl. nur Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 260 und die Erwiderungen von Lurger, RJ 16 (97) und Hiebaum, RJ 19 (2000), S. 451 ff. 92 Stein, Lex mercatoria, S. 9; Berger, ZVglRWiss 94 (1995), S. 217, 236. 93 De Ly, Lex Mercatoria, S. 159, 180. 94 Die Gegenmeinung wird weiterhin vehement z. B. von v. Bar, IPR, S. 75 ff., vertreten, der die lex mercatoria als „rechtsquellentheoretisch falsch, begrifflich verschwommen und rechtspolitisch verfehlt“ bezeichnet. Allgemein wird der lex mercatoria lediglich subsidiäre Geltung zugestanden. Die h. M. scheint anzunehmen, dass sie das anwendbare staatliche Recht höchstens ergänzen könne. Vgl. nur Magnus in: Staudinger, BGB, Art. 27 EGBGB, Rn. 49 m. w. N. 95 Ritlewski, SchiedsVZ 07, S. 130, 139. 96 Calliess, Verbraucherverträge, S. 283. 97 Berger, ZvglRWiss 101 (02), S. 12, 37. 98 Berger, The New Law Merchant, S. 20 f.
2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
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2. Abschnitt
Quellen Will man über den Inhalt der lex mercatoria sprechen, muss zunächst geklärt werden, was sie beinhaltet bzw. aus welchen Quellen sie sich speist. Dabei ist es gerade das Besondere an einer dritten Art von Recht, dass dieses nicht mehr auf traditionelle Rechtsquellen beschränkt sein soll99. Gerade für die lex mercatoria werden eine Vielzahl von Quellen angeführt, was zu der Unübersichtlichkeit der Diskussion beiträgt, weil nicht in jedem Fall deutlich wird, worüber gerade diskutiert wird100. Goldmann beschrieb z. B. die lex mercatoria wie folgt: „… die lex mercatoria ist nämlich eine Gesamtheit von Grundsätzen, Einrichtungen und Regeln, geschöpft aus all den Quellen, die zunehmend die rechtlichen Strukturen und das rechtliche Funktionieren der Strukturen gespeist haben und zu speisen fortfahren, die der Gesamtheit der Operateure des internationalen Handels eigentümlich sind.“101
Im Laufe der Diskussion haben sich jedoch bestimmte Arten von Quellen herausgebildet, auf die regelmäßig Bezug genommen wird. Dadurch wird die unbestimmte Beschreibung von Goldmann konkretisiert. Anzumerken ist allerdings, dass sich nicht alle Quellenarten in das Konzept einer privaten autonomen lex mercatoria ohne weiteres einfügen lassen. So sind Normen staatlichen Ursprungs, also insbesondere völkerrechtliche Regelungen oder Einheitsgesetze, naturgemäß nicht zu einer autonomen anationalen lex mercatoria zu rechnen. Diese Normen können in erster Linie Anregungen für die lex mercatoria sein, ebenso wie die praxisnahen Normen der lex mercatoria Anregungen für das staatliche Recht sein und von diesem entsprechend rezipiert werden können. Eine „Aufnahme“ von staatlichen Normen setzt jedoch voraus, dass sie durch die Praxis und Schiedsgerichtsbarkeit angewandt werden102. Ebenso soll es sich mit universell ähnlichen Normen in den nationalen Rechtsordnungen verhalten. Nach der Feststellung der Ähnlichkeit bedarf es noch eines zweiten – wertenden – Schrittes, der diese Normen in ein autonomes Weltwirtschaftsrecht integriert103.
I. Allgemeine Rechtsprinzipien Die allgemeinen Rechtsprinzipien sollen eine Art Gerüst für die Entscheidungen darstellen. Eine Definition dieser allgemeinen Rechtsprinzipien ist nicht ohne weiteres möglich; in erster Linie handelt es sich um intuitiv einleuch99 100 101 102 103
Teubner, RJ 15 (1996), S. 255, 278. Hölker Rolle der lex mercatoria, S. 58. Goldmann, zitiert nach von Breitenstein, FS Sandrock, S. 111, 117. Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 34. Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 33 f.
1. Kap.: Die lex mercatoria
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tende Grundprinzipien, die sich in einer Vielzahl von Rechtsordnungen finden lassen104. Aufgrund ihrer Allgemeinheit bedürfen sie jedoch noch der Konkretisierung105, denn allein aus ihnen lässt sich keine Rechtsordnung entnehmen. Kennzeichen einer Rechtsordnung ist es vielmehr, dass die Gerichte grundsätzlich davon entlastet sind, auf allgemeine Rechtsprinzipien zurückgreifen zu müssen106. Damit besteht ein qualitativer Unterschied für die Rechtsanwendung darin, ob dem Gericht eine Rechtsordnung oder ein Gemisch aus allgemeinen Rechtsgrundsätze vorgegeben ist. Allgemeine Rechtsprinzipien liefern zwar wichtige Anhaltspunkte für eine Entscheidung, ohne Konkretisierung sind Fallentscheidungen jedoch nur schwer vorhersehbar. Deswegen beinhaltet die Bezugnahme auf allgemeine Rechtsgrundsätze stets die Aufforderung, diese zu konkretisieren und damit auf Grundlage allgemein anerkannter Grundsätze fortzubilden107. Problematisch ist dabei, dass die Schiedsrichter relativ ungebunden sind.
II. Gewohnheitsrecht und Handelsbräuche Die lex mercatoria als eine Art Gewohnheitsrecht der internationalen Kaufleute zu sehen, erscheint als weitere Möglichkeit108. Jedoch ist für die Herausbildung von Gewohnheitsrecht eine gewisse Dauer der gleichförmigen Übung erforderlich. Dieses widerspricht aber dem Charakter der lex mercatoria als schnelle und flexible Form der Rechtsentstehung bzw. -anpassung. Die lex mercatoria kann somit zwar punktuell durch Gewohnheitsrecht ergänzt werden, sie jedoch insgesamt als solches zu sehen, würde den Ergebnissen der bisherigen Diskussion nicht gerecht werden. Darüber hinaus kommen Untersuchungen auch zu dem Ergebnis, dass im internationalen Handelsrecht nur wenige gewohnheitsrechtliche Normen existieren109. Auf die Handelsbräuche wird immer wieder als eine der Hauptquellen für die lex mercatoria hingewiesen110. Hier besteht zunächst das Problem, dass es keine international gültige Definition des Handelsbrauchs gibt111. Dieses Problem könnte jedoch lösbar sein. Es bleibt allerdings die Frage, warum etwas im internationalen 104
Dasser, Lex mercatoria, S. 107. Dasser, Lex mercatoria, S. 107; De Ly, International Business Law, S. 283. Zum Unterschied zwischen Rechtsprinzip und -regel Berger, ZVglRWiss 94 (1995), S. 217, 231 ff. 106 v. Hoffman, FS Kegel, S. 215, 222 m. w. N., Larenz, Methodenlehre S. 457 f.; Esser, Grundsatz und Norm, S. 6 ff. 107 De Ly, International Business Law, S. 194 f.; Hölker, Rolle der lex mercatoria, S. 75. 108 Vgl. die Überlegungen bei De Ly, International Business Law, S. 279. 109 De Ly, International Business Law, S. 134 ff., 279. 110 Dasser, Lex mercatoria, S. 94. 111 v. Bar, IPR, S. 78; De Ly, International Business Law, S. 135 ff., S. 278. 105
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Handel Recht sein soll, was im nationalen Handel definitiv kein Recht ist. Darüber hinaus sind Handelsbräuche – allerdings unterhalb der Schwelle des Rechts – auch in den meisten Rechtsordnungen von den Gerichten zu beachten112. Allein deswegen bedürfte es noch keiner neuen Rechtstheorie.
III. Standardverträge Als mögliche Rechtsquelle werden regelmäßig die Standardverträge, Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Formulare bestimmter Branchen genannt, die eine solche weitgehende Verbreitung gefunden haben, dass man sie als objektives Recht ansehen könnte. Prominente Beispiele sind zum einen die Standardverträge der Londoner Grain and Feed Trade Association (GAFTA)113 oder die bereits beschriebenen ERA 500. Besonders häufig werden in diesem Zusammenhang auch die von der ICC herausgegebenen International Commercial Terms (INCOTERMS) erwähnt, die eine branchen- und länderübergreifende Auslegung von Vertragsklauseln enthalten114. Grundsätzlich sind Standardverträge jedoch kein objektives Recht115. Ihre rechtliche Geltung beziehen sie aus einer Rechtsordnung. Nur deren dispositive Bestimmungen können durch solche Verträge eigenständig geregelt werden. Wenn die Parteien einen bestimmten Standardvertrag nicht benutzen wollen, ist es nicht ersichtlich, welche Institution sie dazu zwingen könnte. Damit ist die Art und Weise unklar, wie und wann ein Standardvertrag in objektives Recht umschlagen kann116. Auch sind solche Standardverträge meist branchenspezifisch. Innerhalb einer Branche gibt es wiederum verschiedene Verträge, die sich z. B. in der gewünschten Risikoverteilung unterscheiden. Diese Relativität der Vertragsbestimmungen passt damit nicht zu der Prämisse, dass es sich bei der lex mercatoria um eine universelle Rechtsordnung handeln soll.
IV. Privatkodifikationen Die Anzahl der Bemühungen von Wissenschaftlern in Anlehnung an die USamerikanischen restatements, allgemeine Prinzipien des grenzüberschreitenden Vertragsrechts zu formulieren, haben in der letzten Zeit zugenommen. Diese Bemühungen, die hier unter dem Oberbegriff „Privatkodifikationen“ zusammengefasst werden sollen, haben zwar zum Teil verschiedene Methoden; Gegenstände, 112
Z. B. § 346 HGB. Vgl. Dasser, Lex mercatoria, S. 78; De Ly, International Business Law, S. 187. 114 Vgl. zur Bedeutung Dasser, Lex mercatoria, S. 88; De Ly, International Business Law, S. 172 ff,; Hörster S. 64. 115 De Ly, International Business Law, S. 171, 279. 116 Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 35; Mustill, Lib. am. Wilberforce, S. 149, 159. 113
1. Kap.: Die lex mercatoria
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Gebiete und Zielsetzungen gleichen sich jedoch darin, dass Wissenschaftler ohne verbindlichen staatlichen Auftrag ein System von Normen entwickelt haben, das bei grenzüberschreitenden Vertragsbeziehungen zur Anwendung kommen kann bzw. soll117. Die wichtigsten Privatkodifikationen sind die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts118 und die Principles of European Contract Law der Lando-Kommission119. Diese Privatkodifikationen haben gegenwärtig unterschiedliche Funktionen120. Zunächst haben sie eine aktuell deskriptive Funktion, indem sie eine Art common core der beteiligten Rechtsordnungen beschreiben. Des Weiteren sollen sie eine potentiell präskriptive Funktion erfüllen, indem sie als Modellgesetz für die Gesetzgeber dienen. Dies wird besonders deutlich bei den Bemühungen um ein einheitliches europäisches Vertragsrecht. Aufgrund des hohen wissenschaftlichen Ansehens der Autoren haben sie darüber hinaus jedoch zum Teil bereits eine aktuell präskriptive Funktion. Insbesondere die UNIDROIT Prinzipien werden in Schiedsverfahren als anwendbare Rechtsordnung gewählt121. Die präskriptive Funktion setzt eine gewisse Einheitlichkeit des geschaffenen Rechtssystems voraus. Dies kann aufgrund der Verschiedenheit der Rechtsordnungen nicht allein durch die common core Methode gesichert werden. Aus diesem Grund werden die Autoren an einigen Stellen selbst als eine Art Gesetzgeber tätig, wenn sie sich zwischen verschiedenen Alternativen entscheiden müssen. Die Artikel der Privatkodifikation werden zumeist noch umfänglich kommentiert und zum Teil mittels Beispielfälle weiter veranschaulicht. Nur dieses Zusammenspiel ergibt ein vollständiges Bild von den getroffenen Regelungen122. Beide Prinzipiensammlungen erklären sich für anwendbar, wenn die Parteien die lex mercatoria als Vertragsstatut gewählt haben123. Dem ist jedoch nicht zu folgen124. Denn die Parteien hätten, wenn sie die Prinzipien gewollt hätten, auch diese wäh117 Zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Ansätze Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 150. 118 Eine kurze Einführung zu UNIDROIT und der Prinzipiensammlung findet man bei Berger, Schleichende Kodifizierung, S. 139 ff.; eine ausführliche Darstellung bei Bonell, International Restatement. 119 Vgl. allgemein dazu v. Bar/Zimmermann, Grundregeln; Lando, RabelsZ 56 (1992), S. 261, 268. 120 Zu diesen unterschiedlichen Funktionen Michaels, RabelsZ 62 (98), S. 580, 584 ff. 121 Ausführliche Nachweise bei Bonell, Unif. L. Rev. 1997, S. 34, 40 ff. 122 Vgl. Bonell, International Restatement, S. 41 ff. 123 European Principles, Article 1.101 Abs. 3: „These Principles may be applied (a) when the parties have agreed that their contract is to be governed by ‚general principles of law‘ the ‚lex mercatoria‘ or the like.“ UNIDROIT Principles, Preamble Abs. 3: „They may be applied, when the parties have agreed that their contract be governed by ‚general principles of law‘ the ‚lex mercatoria‘ or the like by ‚general principles of law‘ the ‚lex mercatoria‘ or the like.“ 124 So v. Bar IPR, S. 81, der selbst maßgeblich an der Erarbeitung der Principles of European Contract Law beteiligt ist.
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len können. Haben sie diese Wahl unterlassen, so können die Prinzipien nicht für die Parteien auf einem Umweg wieder verbindlich werden. Bei der Bestimmung des Inhalts der lex mercatoria kommt den Privatkodifikationen jedoch Bedeutung zu. Allerdings soll auch hier notwendig sein, dass sie sich zusätzlich im Kontext der Wirtschafts- und Schiedspraxis bewähren125.
V. Schiedsentscheidungen Bei der Schaffung eines autonomen transnationalen Handelsrecht wird der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit eine zentrale Stellung eingeräumt, insbesondere weil fast 90 % aller grenzüberschreitenden Verträge eine Schiedsklausel enthalten126, so dass der Großteil der Streitigkeiten vor diesen Institutionen ausgetragen wird. Dementsprechend ist dort das „law in action“ am besten zu beobachten. Schon im nationalen Recht kommt der Rechtsprechung eine entscheidende Bedeutung für die Rechtsentwicklung zu, die weiter zunimmt127. Im transnationalen Bereich ist diese Bedeutung noch größer, da es keine allgemein gültigen Kodifikationen gibt und die Praxis von besonderer Bedeutung sein soll. Dieser Bedeutung der Schiedsgerichte für die Normenbildung der lex mercatoria stehen allerdings Hindernisse im Weg. Zum einen sind Schiedsentscheidungen der Idee nach vertraulich, so dass eine öffentliche Rezeption der Entscheidungsgründe nicht stattfinden kann128. Dieses Problem wird zwar geringer, weil zunehmend mehr Entscheidungen veröffentlicht werden129. Allerdings wird immer noch nur ein ausgewählter Teil veröffentlicht. Die Analyse der veröffentlichten Entscheidungen wird überdies dadurch erschwert, dass sie zur Wahrung der Vertraulichkeit nur unvollständig wiedergegeben werden können130. Dadurch wird es schwierig abzuschätzen, inwieweit auf Besonderheiten des Einzelfalls – was für die Schiedsgerichtsbarkeit typisch ist – Rücksicht genommen worden ist131. Zum anderen ist die Schiedsgerichtsszene sehr heterogen. Es gibt keine Berufungsmöglichkeiten oder andere hierarchische Strukturen, so dass die für nationale Rechtssysteme typische Möglichkeit zur Schaffung von Rechtssicherheit durch höchstrichterliche Urteile entfällt132. Einige Theoretiker der lex mercato125
Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 66. Berger, RIW 1994, S. 12; ders. „Schleichende“ Kodifizierung, S. 67. 127 Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 92 ff. 128 De Ly, International Business Law, S. 203. 129 Einen Überblick über die diesbezüglichen Fortschritte bieten Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 60 f.; Hölker, Rolle der lex mercatoria, S. 77 f. 130 Zur geringen Brauchbarkeit solcher Entscheidungen Dasser, Lex mercatoria, S. 122; Mustill, Lib. am. Wilberforce, S. 149, 179. 131 Dasser, Lex mercatoria, S. 123. 132 De Ly, International Business Law, S. 203; Hölker, Rolle der lex mercatoria, S. 76. 126
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ria sehen darin keinen wesentlichen Mangel. Sie setzen an die Stelle der vertikalen Hierarchie die Idee einer horizontalen gegenseitigen Beachtung. Die Schiedsgerichte zitieren sich inzwischen häufiger gegenseitig, ohne dazu verpflichtet zu sein133. Eine einheitliche Linie soll vor allem dadurch entstehen, dass die Entscheidungen von Schiedsrichtern mit hoher Reputation beachtet werden. Diese Entscheidungen sind zwar keine stare decises, können aber als Orientierungspunkte dienen134. Ob diese Art der horizontalen Beachtung auch in Streitfällen funktionieren kann oder ob jeder Schiedsrichter nur die Autoritäten zitiert, die seiner Meinung sind, bedürfte genauerer Untersuchung. Eine selektive Zitierung wäre jedenfalls legitim, weil der Schiedsrichter im Gegensatz zum Richter nicht auch der Allgemeinheit, sondern ausschließlich den Parteien verpflichtet ist135. Problematisch erscheint dagegen, dass diese Art von persuasive authority von einem Außenstehenden, wie es letztlich jeder nicht spezialisierte Anwalt sein dürfte, schwer zu bestimmen ist. Der Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit wäre dann ein geschlossener Club, zu dem nur Spezialisten Zutritt haben136. Zusätzlich sind die Schiedsgerichte zumeist branchen- und regionenspezifisch ausgerichtet137. Es muss deswegen unterschieden werden, welche Teile der Entscheidung regionen- bzw. branchenspezifisch sind und welche aufgrund ihrer universellen Geltung als Teil der lex mercatoria gelten können. Ebenso wie der normale Anwalt ist deswegen auch der einzelne Schiedsrichter im Regelfall überfordert, wenn er seine Entscheidung in ein kohärentes System der lex mercatoria – bestehend aus der Gesamtheit der Entscheidungen einer heterogenen Schiedsgerichtsbarkeit – einpassen will138. Die Aufgabe von Dworkins „Richter Herkules“139 erscheint dagegen angesichts der nationalen Begrenzung und vorgegebenen Hierarchisierung noch überschaubar. Es bedarf also in besonderem Maße einer Aufarbeitung durch die Wissenschaft, damit die Idee einer lex mercatoria überhaupt handhabbar wird.
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Stein, Lex mercatoria, S. 165 m. w. N. Es wird allerdings von Dasser, Lex mercatoria, S. 124 zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Schiedsentscheidung dann nicht mehr Überzeugungskraft haben muss als ein guter Zeitschriftenartikel. 135 Mustill, Lib. am. Wilberforce, S. 149: „Commercial abitration exist for one purpose only: to serve the commercial man.“; Hölker, Rolle der lex mercatoria, S. 7. 136 So werden die Anfänge der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit von Dezalay/Garth, Dealing in Virtue, S. 18, beschrieben. 137 Einen Eindruck von der Vielfalt der Schiedsgerichten in ihrem jeweiligen Kontext vermittelt die Studie von Dezalay/Garth, Dealing in Virtue, S. 18. 138 Berger, Schleichende Kodifizierung, S. 137. 139 Dworkin, Bürgerrechte, S. 182; ders., Law’s Empire, S. 239 ff. 134
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
VI. Listenbildung Die erwähnte wissenschaftliche Aufarbeitung der Schiedspraxis hat sich insbesondere das Center for Transnational Law (CENTRAL) zum Ziel gesetzt. Damit die lex mercatoria für die Praxis brauchbar ist, sollen ihre Regeln in einer Liste von Normen wiedergegeben werden. Die CENTRAL-Liste ist dabei nicht der erste, aber der umfänglichste Versuch, den Inhalt der lex mercatoria in einer Liste wiederzugeben140. Auf den ersten Blick entspricht diese Idee den oben beschriebenen Privatkodifikationen. Sie unterscheidet sich aber in zwei Punkten. Zum einen wird nicht nur die funktionelle Rechtsvergleichung angewandt, sondern dem Fallrecht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dadurch soll der Praxisbezug gestärkt und die „analytische Kälte“ der Prinzipiensammlungen vermieden werden141. Zum anderen soll die Liste offen sein und bleiben. Das heißt, die Listenbildung ist nie abgeschlossen. In einem ständigen Fluss sollen neue Regeln aufgenommen und veraltete abgestoßen werden. So soll der Dynamik des sich ständig verändernden internationalen Handelsrechts Rechnung getragen werden142. Diese Liste kann somit als Grundlage zur Diskussion über den Inhalt der lex mercatoria dienen. Der Frage, ob es überhaupt noch Regeln der lex mercatoria außerhalb von Listen geben kann, soll hier nicht weiter nachgegangen werden143. Es dürfte Einigkeit bestehen, dass diese Listen den Kern der lex mercatoria wiedergeben. Insbesondere den kontinental-europäischen Juristen, die an die Arbeit mit kodifizierten Rechtsnormen gewohnt sind, wird dadurch die Arbeit mit der lex mercatoria erleichtert. Sieht man diese Listenbildung als Voraussetzung für die einfache Anwendbarkeit der lex mercatoria in der Schiedspraxis, so gewinnt die Wissenschaft im Verhältnis zur Praxis an Bedeutung, weil sie notwendig hieran beteiligt ist. Denn auch wenn der Anspruch besteht, die Praxis nur wiederzugeben, ist es bei der Komplexität des Gegenstands unvermeidlich, dass eigene Wertungen der Wissenschaftler in die Listenbildung einfließen.
140 Zu einem früheren – nicht ernst gemeinten – Versuch vgl. Mustill, Lib. am. Wilberforce, S. 149, 174. 141 Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 194. Aber zu dieser Anforderung an nationale Gerichte und transnationalen Schiedsgerichte, die einschlägige Rechtsnorm aus dem „kommunikativen Chaos zu ermitteln, siehe Fischer-Lescarno/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 71. 142 Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 200 ff. 143 Zumbansen, 67 RabelsZ (2003), S. 637, 646.
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3. Abschnitt
Einbeziehung und praktische Relevanz I. Einbeziehung Das Schiedsrecht wird durch das 10. Buch der ZPO geregelt. Als Vorlage dieser Regelungen diente das New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958144. Bei der Frage nach Möglichkeiten, die lex mercatoria als Vertragsstatut einzubeziehen, muss demnach zwischen der ausdrücklichen Wahl dieser und einer fehlenden Wahl unterschieden werden. Ist explizit eine andere Rechts- oder Normenordnung gewählt, so besteht in keinem Fall die Möglichkeit, die lex mercatoria anzuwenden.
1. Ausdrückliche Wahl einer privaten Normenordnung Nach § 1051 Abs. 1 ZPO hat das Schiedsgericht den Streit nach den vereinbarten „Rechtsvorschriften“ (im Modellgesetz: „Rules of law“) zu entscheiden. Dieser Begriff soll weiter als der Begriff des „Rechts“ sein und neben den nationalen Rechtsordnungen auch Modellgesetze sowie andere Privatkodifikationen einschließlich der lex mercatoria mit umfassen145. Das hat aber für sich genommen nur einen begrenzten Aussagewert. Denn ein Schiedsrichter kann gemäß § 1051 Abs. 3 S. 1 ZPO auch zu einer Billigkeitsentscheidung ermächtigt werden, bei der er – ohne Rückgriff auf irgendeine Form von Normenordnung – ex aequo et bono entscheidet146. Eine Entscheidung auf Grundlage einer mehr oder weniger konkretisierten Normenordnungen sollte deswegen erst recht möglich sein147. Ebenso ist davon auszugehen, dass ein Schiedsrichter eine private Normenordnung anwenden kann, wenn die Parteien eine Billigkeitsentscheidung vereinbart haben. Da er dabei nach seiner eigenen Überzeugung entscheiden darf, ist er auch frei, auf eine Normenordnung zu verweisen, so dass ein solcher Verweis nicht der Gültigkeit des Schiedsspruchs entgegenstehen darf148. Aus Sicht der deutschen Rechtsordnung kann also ein Schiedsgericht einen Streit nach einer privaten Normenordnung entscheiden, sofern diese von den Par144
In der Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit dem 29. September 1961. Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 76; Redfern/Hunter, Law and Practice, S. 90; Dasser, Lex mercatoria, S. 347. 146 Auch wenn Berger nachweist, dass tatsächlich oft zur autoritären Absicherung zusätzlich auf eine ratio scripta verwiesen wird, siehe Berger, Internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, S. 398 ff. 147 Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, § 1051 Rn. 1; Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, S. 627; Ritlewski, SchiedsVZ 2007, S. 130, 134. 148 Geimer, in: Zöller, ZPO, § 1051 Rn. 8. 145
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
teien gemäß § 1051 Abs. 1 ZPO ausdrücklich gewählt oder gemäß § 1051 Abs. 3 ZPO eine Billigkeitsentscheidung vereinbart worden ist149. Dies entspricht zum einen der internationalen Schiedspraxis, zum anderen haben auch deutsche Gerichte Schiedssprüche auf dieser Grundlage anerkannt150.
2. Unterlassene Rechtswahl Bei der unterlassenen Rechtswahl sind zwei Möglichkeiten zu unterschieden. Zum einen kann eine Rechtswahl komplett unterblieben sein, zum anderen kann der Schiedsrichter von den Parteien zu einer Rechtswahl ermächtigt worden sein, aber nicht ausdrücklich zu einer Billigkeitsentscheidung.
a) Fehlende Rechtswahl Ist eine Rechtswahl in der Schiedsabrede unterblieben, so muss der Schiedsrichter gemäß § 1051 Abs. 2 ZPO das „Recht des Staates“ anwenden, mit dem die engste Verbindung besteht. Da ein deutsches Schiedsgericht gemäß § 1025 Abs. 1 ZPO die Vorschriften der ZPO als zwingendes Recht zu beachten hat, kann aufgrund dieser präzisen Formulierung keine private Normenordnung – unabhängig von ihrem möglichem Rechtscharakter – zur Anwendung gelangen. Man kann dies zwar de lege ferenda bedauern, weil in solchen Fällen der Einsatz einer universellen anationale Rechtsordnung als eine Art Kompromiss besonders sinnvoll erscheint und die Möglichkeit der Wahl durch ein Schiedsgericht die Entwicklung wesentlich beschleunigen könnte151. Auch ist in anderen Rechtsordnungen – z. B. in Frankreich und der Schweiz – in solchen Fällen die Anwendung einer privaten Normenordnung möglich152. De lege lata würde die Wahl einer privaten Normenordnung durch einen Schiedsrichter in diesen Fällen entweder gegen den ordre public verstoßen153 oder in jedem Fall als Verfahrensfehler zur Aufhebbarkeit des Schiedsspruchs gemäß § 1051 Abs. 2 ZPO führen154.
b) Ermächtigung des Schiedsrichters zur Rechtswahl Denkbar ist jedoch auch, dass der Schiedsrichter durch die Parteien zur freien Rechtswahl ermächtigt ist, aber nicht ausdrücklich zu einer Billigkeitsentschei149
Vgl. die Nachweise bei Hausmann, in: Reitmann/Martiny, Intern. Vertragsrecht, Rz. 3525. LG Hamburg BB 1999, Beil. 4 S. 19, 21. 151 Mustill, Lib. am. Wilberforce, S. 149, 164. 152 Vgl. Haas, Anerkennung und Vollstreckung, S. 96; Ritlewski, SchiedsVZ 2007, S. 130, 135. Frankreich: Art. 1496 ZPG; die Niederlande: Art. 1054 ZPG; die Schweiz: Art. 187 IPRG. 153 So Haas, Anerkennung und Vollstreckung, S. 97. 154 Ritlewski, SchiedsVZ 2007, S. 130, 135. 150
1. Kap.: Die lex mercatoria
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dung. Eine vergleichbare Situation ergibt sich, wenn die Parteien nur eine Verfahrensordnung gewählt haben (z. B. die Regeln des ICC), die für den Fall einer fehlenden Rechtswahl den Schiedsrichter ermächtigt, eine solche Rechtswahl zu treffen155. In diesen Fällen ist nicht ohne weiteres eindeutig, dass Schiedsrichter private Normenordnung wählen können. Denn diese müssen sich nunmehr als Rechtsregeln qualifizieren lassen, weil der Umweg über die Billigkeitsentscheidung mangels ausdrücklicher Ermächtigung gemäß § 1051 Abs. 3 ZPO verwehrt ist. Die Wahl einer privaten Normenordnung als Entscheidungsgrundlage durch den Schiedsrichter wird also nur von dem (deutschen) Staat toleriert, wenn dadurch die Entscheidung nicht zu einer Billigkeitsentscheidung wird156. Es stellt sich an dieser Stelle somit die Frage, ob es sich bei privaten Normen um Rechtsnormen handelt. Folgt man dem in § 1051 ZPO zugrundeliegende Dualismus zwischen Billigkeits- und Rechtsentscheidung, darf eine Entscheidung auf Grundlage einer privaten Normenordnung keine Billigkeitsentscheidung sein, ansonsten wäre eine solche Entscheidung aufhebbar. Prägendes Merkmal einer Billigkeitsentscheidung ist, dass ohne Bezugnahme auf eine existierende Normenordnung entschieden werden kann und eine strikte Orientierung an der Einzelfallgerechtigkeit erfolgt157. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine Billigkeitsentscheidung verneint werden kann, wenn der Schiedsrichter auf eine Normenordnung mit einem bestimmbaren materiellen Normenbestand Bezug nehmen kann. Denn in diesem Fall gilt die Normenordnung, wie z. B. die lex mercatoria, abstrakt und bedarf der Auslegung und Anwendung auf den Einzelfall158. Ob die Entscheidung auf Grundlage einer solchen Normenordnung – unter Zugrundelegung des Dualismus Rechts- und Billigkeitsentscheidung in § 1051 Abs. 1 bzw. Abs. 3 ZPO – allein aus diesem Grund bereits nicht aufhebbar ist, kann allerdings zweifelhaft sein. Durch diese lediglich negative Abgrenzung von einer Billigkeitsentscheidung würde die Frage nach der Geltung und Legitimität einer Normenordnung als Rechtsordnung umgangen werden. Festzuhalten bleibt deswegen, dass ein Schiedsrichter – sofern er dazu ermächtigt ist – eine private Normenordnung nur als Entscheidungsgrundlage wählen darf, wenn diese zumindest über eine derart gefestigte materielle Normenstruktur verfügt, dass er sie „anwenden“ kann, anstatt sie selbst zu „erschaffen“. Die weitere Frage nach ihrem Rechtscharakter soll zunächst dahingestellt bleiben. Aber selbst wenn ein Schiedsrichter in derartigen Fällen die lex mercatoria anwenden darf, so ist dazu nicht aufgrund eines rechtstheoretischen bestimmten Rechtscharakter verpflichtet159. 155
So z. B. Art. 17 II ICC-Rules of Arbitration: „… in the absence of, the Arbitral Tribunal shall apply the rules of law which it determines to be appropriate“. 156 So der BGH in einem obiter dictum, vgl. BGHZ 96, S. 40, 46; ausführlich zu den Voraussetzungen Ritlewski, SchiedsVZ 2007, S. 130, 136. 157 Ritlewski, SchiedsVZ 2007, S. 130, 136 f. 158 Hausmann, in: Reithmann/Martiny, Intern. Vertragsrecht, Rn. 3523; Ritlewski, SchiedsVZ 2007, S. 130, 137. 159 Mertens, Lex Mercatoria, S. 31, 37.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
3. Folgen Es ist möglich, dass Schiedssprüche auf Grundlage der lex mercatoria ergehen und von staatlichen Gerichten anerkannt werden. Allerdings muss diese in irgendeiner Form gewählt werden. Dabei steht die lex mercatoria in ständiger Konkurrenz mit anderen staatlichen und privaten Normenordnungen, so dass kein fester Anwendungsbereich ausgemacht werden kann, der ausschließlich durch sie reguliert wird. Weder werden alle (oder bestimmte Bereiche der) internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten auf Grundlage der lex mercatoria entschieden noch entscheidet irgendein internationales Schiedsgericht ausschließlich nach den Regeln derselben. Denkbar ist zwar, dass in manchen Branchen Teile der lex mercatoria als zwingend einbezogen werden, jedoch nicht die lex mercatoria in ihrer Gesamtheit.
II. Praktische Relevanz Es ist schwierig, die Bedeutung der lex mercatoria für die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit sicher zu bestimmen, weil ein Großteil der Verträge und Schiedssprüche vertraulich bleiben. Einen ersten Einstieg können die zu diesem Thema durchgeführten Umfragen bieten. Im Übrigen kann man jedoch nur über Fälle sprechen, in denen die lex mercatoria sichtbar geworden ist. Alle weitere Vermutungen verbieten sich.
1. Umfragen Eine Umfrage zur Anwendung der lex mercatoria hat das CENTRAL-Institut durchgeführt, ohne allerdings den Anspruch zu erheben, dass sie repräsentativ sei160. Hierbei kam man zu dem Ergebnis, dass viele Praktiker schon mit transnationalem Wirtschaftsrecht in Berührung gekommen sind. Allerdings bleibt der Begriff des transnationalen Rechts problematisch, auch wenn er in der Umfrage definiert wurde161. So konnte auch nur eine Minderheit von einer konkreten Anwendung der lex mercatoria berichten. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine andere – ebenso wenig repräsentative – Umfrage aus dem Jahre 1995. Hier waren den weltweit befragten Praktikern nicht nur keine Verträge bekannt, in denen die lex mercatoria als Rechtsstatut gewählt worden wäre, sondern sie rieten nachdrücklich von einer solchen Wahl ab162. Nach der CENTRAL-Studie wird dagegen die Idee einer transnationalen lex mercatoria begrüßt; diesbezügliche Vorbehalte sind weniger dogmatischen als vielmehr 160 161 162
Ein ausführlicher Bericht dazu findet sich bei Berger, ZvglRWiss 101 (2002), S. 12. Vgl. Erster Teil 1. Kapitel. Selden, 2 Ann. Surv. Int’l & Comp. L. (1995), S. 111, 113.
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pragmatischen Ursprungs. So wird die fehlende Kenntnis von Inhalt und Umfang dieser neuen Rechtsordnung als Hauptgrund für den Nichtgebrauch genannt163.
2. Vertragspraxis Aussagen über die Vertragspraxis zu treffen, ist fast unmöglich. Verträge erfahren meist nur Aufmerksamkeit, wenn es bei ihrer Durchführung Probleme gibt. Der Rest bleibt im Dunkeln, so dass nicht sicher festgestellt werden kann, ob bei Verträgen, die kein nationales Recht wählen, besonders häufig oder nur selten Probleme auftreten. Es ist allerdings nicht unmittelbar einleuchtend, warum es gerade bei ungewisser rechtlicher Einordnung mangels nationaler Rechtswahl weniger Streitfälle geben soll. Es erscheint somit unwahrscheinlich, dass die lex mercatoria in der Vertragspraxis eine Rolle spielt, die über ihre wahrnehmbare Rolle in der Schiedspraxis hinausgeht. Untersuchungen haben jedenfalls zu dem Ergebnis geführt, dass ein expliziter Hinweis auf die lex mercatoria gar nicht oder nur in Einzelfällen zu finden ist, während in 66 % – 75 % der Verträge ein staatliches Recht gewählt wird164. Es gibt also in der Vertragspraxis kaum direkte Hinweise auf die lex mercatoria, solange man nicht den Verweis auf allgemeine Rechtsprinzipien als Verweis auf die lex mercatoria interpretierte, was allerdings insofern inkonsequent wäre, da die lex mercatoria diesen gegenüber schließlich ein „Mehr“ sein soll.
3. Schiedspraxis Besser als die Vertragspraxis lassen sich die Schiedssprüche auf Hinweise auf die lex mercatoria untersuchen. Zwar besteht auch hier grundsätzlich das Problem, dass ein Großteil der Schiedssprüche vertraulich behandelt wird, doch werden die Schiedssprüche zunehmend – zumindest auszugsweise – veröffentlicht. Demgemäß ist die Schiedspraxis verschiedentlich im Hinblick auf die lex mercatoria untersucht worden165.
a) Untersuchung von Dasser Die praktische Bedeutung der lex mercatoria in der Schiedspraxis wurde 1989 von Dasser in seiner Dissertation ausführlich untersucht166. Diese Studie hat er 163
Berger, ZvglRWiss 101 (2002), S. 12, 35 f. Vgl. De Ly, International Business Law, S. 267. 165 Neben den im Folgenden dargestellten Untersuchungen vgl. auch De Ly, International Business Law, S. 262 ff. 166 Dasser, Lex mercatoria, S. 167 ff. 164
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
1999 noch einmal aktualisiert167. Er zählt 35 Schiedssprüche, die ausschließlich auf anationalen Rechtsordnungen, die in einem weiten Sinne – einschließlich allgemeinen Rechtsprinzipien etc. – irgendwie unter den Begriff der lex mercatoria subsumiert werden können, basieren168. Hinzu kommen ca. 20 Entscheidungen, die sich auf anationales Recht inklusive allgemeiner Rechtsprinzipien in Verbindung mit nationalen Rechtsordnungen stützen. Wenn man dagegen strengere Kriterien anlegt und zu der lex mercatoria nur solche Prinzipien zählt, die einen kaufmännischen Bezug haben, also auf internationalen Handelsbräuchen oder ähnlichem beruhen, blieben nur zehn Sprüche übrig. Interessant ist dabei auch die genauere Analyse, in welchem Zusammenhang die lex mercatoria oder allgemeine Rechtsprinzipien verwendet worden sind169: Erstens handelt es sich bei einem Viertel dieser Fälle um sogenannte state contracts, also Verträge zwischen (in der Regel Entwicklungs-) Staaten und multinationalen Unternehmen170. Die Frage ist, ob und inwieweit sich diese Fälle einer lex mercatoria zuordnen lassen. Dies wird in der Regel angenommen. So lassen sich in der CENTRAL-Liste Prinzipien finden, die gerade auf solche state contracts zugeschnitten sind (Prinzipien IV.2.3 und XII.1). Auch Goldmann bezieht sich fast ausschließlich auf solche Fälle171, insbesondere auf den Abu Dhabi Fall, in dem der englische Schiedsrichter von einem modernen Naturrecht sprach, um englisches statt arabisches Recht anwenden zu können172. Diese Verträge sind also nicht nur quantitativ von Bedeutung, sondern stehen auch am Anfang der Entwicklung der „neuen“ lex mercatoria. Doch passen diese Fälle nicht ohne weiteres in das Konzept der lex mercatoria. Sie haben spezielle Charakteristika, weil sie oft deutlich völkerrechtlich beeinflusst sind, so dass sie außerhalb der Reichweite des Internationalen Privatrechts liegen173. Typischerweise steht nämlich auf der einen Seite ein Staat. Aber auch im Hintergrund des Unternehmens auf der anderen Seite wacht ein Staat, der notfalls bereit sein kann, gegen den Vertragsstaat Wirtschaftssanktionen zu verhängen. Es besteht also ein starker Bezug zum Völkerrecht. Somit ist der praktische Nutzen für den alltäglichen privaten Geschäftsbetrieb gering174. Sieht man über diesen völkerrechtlichen Hintergrund jedoch hinweg, so müssten die Staaten – und zwar insbesondere die Entwicklungsstaaten – als Vertragspartner im internationalen Handel direkten Einfluss auf die Entstehung der lex 167
Dasser, Critical comments, S. 189, 193 f. Dasser, Critical comments, S. 189, 192. 169 Zu dem folgenden Dasser, Critical Comments, S. 189, 195 ff. 170 Dasser, Critical Comments, S. 189, 195. Vgl. zu dem Begriff des states contract die Erläuterung im Zweiten Teil 1. Kapitel 1. Abschnitt II. 2. 171 Vgl. Goldmann, 13 Arch.phil.dr. (1964), S. 177 ff. 172 Dasser, Lex Mercatoria, S. 180 ff.; ders., Critical Comments, S. 189, 195. 173 Dasser, Critical Comments, S. 189, 195. 174 Mustill, Lib. am. Wilberforce, S. 149, 173. 168
1. Kap.: Die lex mercatoria
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mercatoria haben. Schließlich soll diese aus der Rechtsüberzeugung der am internationalen Handel Beteiligten entstehen. Bedenkt man den Anteil der state contracts-Fälle an den Entscheidungen mit Bezug auf die lex mercatoria, hätten die (Entwicklungs-)Staaten sogar einen beachtlichen Einfluss auf deren Entwicklung. Dann wäre die lex mercatoria jedoch nicht mehr ausschließlich privat gesetzt und frei von jeglichem staatlichem Einfluss; vielmehr würde sie sich in Richtung eines völkervertraglichen Handelsrechts bewegen. Des weiteren ist zu vermuten, dass wenn man die Überzeugungen der beteiligten Staaten ernst nähme, eine weniger liberale und privatautonome lex mercatoria herauskäme, als den Befürwortern zur Unterstützung des internationalen Handels vorschwebt. Es ist also fraglich, inwieweit man die Regeln für state contracts als Teil eines autonomen privaten Handelsrecht sehen kann. Ohne diese state contracts blieben allerdings noch weniger Nachweise der lex mercatoria. Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass die state contract-Fälle schon allein auf Grund ihrer Zahl von besonderer Bedeutung für die Entwicklung der lex mercatoria waren, zumindest um den Begriff in der Schiedsgerichtsbarkeit zu etablieren. Bei ihnen bestand ein besonderes Bedürfnis nach (teilweiser) Befreiung von nationalem Recht, und die dafür entwickelte Idee der Entnationalisierung sickerte schließlich bis zu den privaten Verträgen durch175. Zweitens waren die Schiedsrichter in sechs Fällen ermächtigt, als amiables compositeurs, also nach Billigkeit, zu entscheiden. Jeder Bezug auf die lex mercatoria hat in diesen Fällen geringen Aussagewert für ihren angenommenen Rechtscharakter, da jede denkbare Regel der Entscheidung zugrunde gelegt werden kann176. Drittens beziehen sich einige Entscheidungen (insbesondere naturgemäß die state contracts) auf völkerrechtliche Regeln, also auf allgemeine Prinzipien, die von völkerrechtlichen Tribunalen anerkannt wurden. Auch dieses hat wenig mit alltäglichen privaten Handelsgeschäften gemeinsam177. Viertens haben die Parteien in nur 7 Entscheidungen ausdrücklich und ausschließlich etwas mit der lex mercatoria Vergleichbares – wie die allgemeinen Rechtsprinzipien – gewählt178. Wobei hier fraglich ist, ob es sich dabei nicht nur um den kleinsten gemeinsamen Nenner handelt und weniger um ein ambitioniertes Konzept der lex mercatoria. Eine ausdrückliche Wahl der lex mercatoria durch die Parteien hat nicht stattgefunden. Die lex mercatoria kommt nur zur Anwendung, wenn die Rechtswahl offen gelassen wurde und der Schiedsrichter so eine anationale Rechtsordnung bevorzugen konnte. Somit geht der eigentliche Impuls von
175 176 177 178
Dasser, Lex mercatoria, S. 163. Dasser, Critical Comments, S. 189, 195 f. Dasser, Critical Comments, S. 189, 196. Dasser, Critical Comments, S. 189, 196.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
den Schiedsrichtern, die in der Regel gelernte Juristen sind, und nicht von Kaufleuten aus179. Fünftens erscheinen manche Entscheidungen so seltsam, dass es sich eher um Einzelfälle handeln dürfte. Auch werden meist nicht Regeln, die von den Kaufleuten gemacht wurden, angewandt, sondern allgemeine Rechtsprinzipien, die aus einer Mischung aus nationalen Rechtsordnungen und dem subjektiven Gerechtigkeitsgefühl des Schiedsrichters bestehen180. Die Tendenz der von Dasser genannten Zahlen wird zum Teil bestätigt181. Allerdings ist zu überlegen, ob Schiedsrichter den Begriff „lex mercatoria“ meiden, damit bei der staatlichen Durchsetzung keine unnötigen Schwierigkeiten entstehen. Wenn dem so sein sollte, dass man zum gleichen Ergebnis auch auf anderem Wege kommen kann, fragt man sich allerdings, wozu ein solch kontroverses Konzept notwendig ist.
b) Untersuchung von Dezalay/Garth In einer rechtssoziologische Studie über die internationale Schiedsgerichtsgemeinschaft sind Dezalay und Garth 1995 zu dem Ergebnis gelangt, dass die lex mercatoria eine Erfindung der „großen alten Professoren aus Frankreich und der Schweiz“ ist182. Diese allein konnten aufgrund ihrer großen Autorität eine Entscheidung auf die lex mercatoria stützen. Alle anderen mussten ihre Entscheidungen sorgfältig begründen, um nicht Gefahr zu laufen, dass diese als willkürlich angesehen wurden183. Auch war bei ihnen ein Schiedsspruch mehr Kompromissfindung und weniger Streitentscheidung gewesen184. Dieser alten Generation stand zum Zeitpunkt der Untersuchung eine Generation junger Technokraten gegenüber, die durch die angloamerikanischen Rechtskultur geprägt sind. Diesen sei die lex mercatoria zu vage und akademisch. Da die Technokraten aber zunehmend die Überhand gewönnen, verlöre die lex mercatoria an Bedeutung185. Die jüngeren Praktiker wiesen fast einstimmig die Idee einer lex mercatoria zurück, die ihrer Meinung nach den Akademikern erlaube, die saubere Analyse der Fakten des anwendbaren Rechts und sogar der Vertragsbestimmungen zu vermeiden186. Es kann davon ausgegangen werden, dass dieser Trend in den letzten zehn Jahren angedauert hat, bieten doch die internationalen Kanzleien 179
Dasser, Critical Comments, S. 189, 196. Dasser, Critical Comments, S. 189, 196. 181 Mustill, Lib. am. Wilberforce, S. 149, 179, der 1987 nicht mehr als 25 Schiedssprüche zählte. 182 Dezalay/Garth, Dealing in Virtue, S. 39 und S. 85 ff. 183 Dezalay/Garth, Dealing in Virtue, S. 39. 184 Dezalay/Garth, Dealing in Virtue, S. 40. 185 Dezalay/Garth, Dealing in Virtue, S. 91, zitieren einen führenden europäischen Schiedsrichter mit den Worten: „the time of lex mercatoria is ending“. 186 Dezalay/Garth, Dealing in Virtue, S. 41. 180
1. Kap.: Die lex mercatoria
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wie selbstverständlich die Unterstützung bei Schiedsverfahren als Untergruppe der Streitschlichtung an. Aus dieser Untersuchung lässt sich schließen, dass die Bedeutung der lex mercatoria in der Schiedspraxis ab- und nicht zunimmt. Sie war an einen bestimmten Personenkreis – von Dezalay/Garth als die grand old men bezeichnet – gebunden und teilt deswegen deren Schicksal. Ebenso wie diese Professoren kraft ihrer besonderen Stellung die lex mercatoria gleichsam „ins Leben rufen“ konnten, schwinden mit dem Einflussverlust dieser Kreise auch die Überlebenschancen der lex mercatoria. Sie wäre demnach nur eine Übergangserscheinung.
4. Zwischenergebnis Nimmt man diese beiden Studien zusammen, so hat die lex mercatoria für die internationale Schiedspraxis – zumindest quantitativ – eine geringe Bedeutung, die zusätzlich noch abnimmt. Von einem rechtssoziologischen Standpunkt ist es somit schwierig, empirische Beweise für die Anwendung der lex mercatoria in der Schiedspraxis zu finden187. Es ist in keinem Fall so, dass regelmäßig auf die lex mercatoria als gesamte Normenordnung Bezug genommen wird, vielmehr werden einzelne Normen zusammengefügt. Handelt es sich also bei der lex mercatoria wirklich nur um „blips on the radar screen“, die als „an entire planet“ verkauft werden188? Jedenfalls ist dieser Planet – ob existent oder nicht – inzwischen ausführlich beschrieben worden, so dass sich abschätzen lässt, ob zumindest diese Beschreibungen unseren Vorstellungen von einem Planeten genügen.
4. Abschnitt
Streitschlichtungsverfahren Wie bereits angedeutet, wird die lex mercatoria nicht ausschließlich von einer Institution angewandt. Demgemäß gibt es kein festes Verfahren für die lex mercatoria. Es sind mit ihrer Anwendung jedoch die Erwartungen verbunden, dass das Verfahren schnell und informell durchgeführt wird. Dies ist ein allgemeines Kennzeichen der Schiedsgerichtsbarkeit, die dafür nicht notwendig auf die lex mercatoria angewiesen ist. Es lässt sich allerdings in Anlehnung an die Ergebnisse von Dasser feststellen, dass die lex mercatoria in erster Linie vom ICC angewandt wird189. Dementspre187 188 189
De Ly, International Business Law, S. 266; ders., Lex Mercatoria, S. 159, 167, 172. Craig/Park/Paulson, ICC-Arbitration, Part IV, § 35.01, S. 606. Dasser, Critical comments, 189, 192.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
chend sind die ICC-Prozessregeln von besonderer Bedeutung für die lex mercatoria. Auf eine ausführliche Darstellung wird jedoch verzichtet, weil diese Prozessregeln allgemein für alle Schiedsverfahren gelten können und nicht nur speziell für die lex mercatoria.
5. Abschnitt
Materieller Gehalt Da es bei der lex mercatoria an einer umfassenden Kodifikation fehlt und sie sich statt dessen „schleichend“ selbständig kodifizieren soll190, macht eine Unterscheidung zwischen geschriebenen Tatbeständen und schiedsrichterlicher Weiterentwicklung keinen Sinn. Vielmehr sollen gerade die Schiedsgerichte im Mittelpunkt der Weiterentwicklung stehen, die Kodifizierung, anders als im staatlichen Recht, kann – als Sammlung bereits bestehender Regeln und Normen – nur nachgelagert sein. Für die Untersuchung des Inhalts der lex mercatoria soll aus den oben dargelegten Gründen die CENTRAL-Liste genutzt werden. Diese enthält zurzeit 86 Regeln191, die über das reine Vertragsrecht hinausgehen. So enthält sie auch Vorschriften zum internationalen Privatrecht (Kapitel XV) und Bestimmungen zur Enteignungsentschädigung (Kapitel XII). Damit ist sie umfangreicher und ergiebiger als andere Beschreibungen der lex mercatoria192 und folglich die beste Wiedergabe des Inhalts oder zumindest des Kerns der lex mercatoria. Ein weiterer Vorteil der Transnational Law Data Base sind die umfangreichen Nachweise zur Herkunft der Regeln. Dadurch wird deutlich, ob eine Regel eine weitgehende Übereinstimmung von nationalen Rechtsordnungen ausdrückt, regelmäßig in Schiedssprüchen angewandt wird und damit als eine Art case law gelten kann oder in der juristischen Literatur als universelles Rechtsprinzip angesehen wird. Schließlich haben die Verfasser der CENTRAL-Liste den Anspruch, die Liste ständig dynamisch weiterzuentwickeln. Durch einen Vergleich zwischen der ersten monographischen Veröffentlichung der Prinzipien durch Berger193 und dem gegenwärtigen Stand lassen sich erste Aussagen über die der lex mercatoria innewohnende Dynamik treffen. Für einen vollständigen Überblick über den jeweils aktuellen Stand kann auf die Internetdatenbank194 verwiesen werden. Eine knappe Übersicht über die Prinzipien ist im Anhang angefügt. Im Folgenden sollen nur Auffälligkeiten dieser Liste zum Zeitpunkt dieser Untersuchung beschrieben werden. 190 191 192 193 194
Berger, „Schleichende“ Kodifikation, S. 191 ff., der dabei dankeswerterweise assistiert. Stand: 29. Januar 2008. Z. B. die 20 Prinzipien von Mustill, Lib. am. Wilberforce, S. 149, 174 ff. Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 217 ff. http://www.tldb.net.
1. Kap.: Die lex mercatoria
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I. Unbestimmtheit Auffällig ist zunächst, dass die in der Liste enthaltenden Regeln weit weniger ausdifferenziert sind als zum Beispiel das deutsche (Handels-)Vertragsrecht. Dies ist sicher zu einem guten Teil dadurch begründet, dass es sich bei der lex mercatoria um eine Rechtsordnung „in den Kinderschuhen“ handelt. Trotzdem kommt eine Bestandsaufnahme nicht daran vorbei, dass die gegenwärtige Regelungsdichte geringer ist als in nationalen Rechtsordnungen. Schwierig ist es zu bewerten, inwieweit diese geringe Ausdifferenzierung dem frühen Entwicklungsstadium geschuldet ist oder ob die geringe Normierung gerade ein Kennzeichen des globalen Handelsrechts ist. Eine Vielzahl der Regeln sind relativ unbestimmt gehalten und bedürfen der weiteren Konkretisierung im Rahmen einer Fallentscheidung. Beispielhaft ist dafür die Regel IV.8.1 zur Verjährung. Dort wird lediglich festgelegt, dass es eine solche gibt, um diesbezügliche Diskussionen zu vermeiden195. Zu der eigentlich entscheidenden Frage, wann ein Anspruch verjährt ist, lässt sich dagegen keine einheitliche Praxis feststellen. Dies überrascht nicht weiter, gibt es doch in der deutschen Rechtsordnung eine Fülle von verschiedenen Verjährungsfristen je nach Art des Anspruchs. Trotz der vermeintlichen Regelung durch Regel IV.8.1 wäre der Schiedsrichter in einem diesbezüglichem Fall wieder auf sich allein gestellt und müsste – mangels eindeutiger Regeln – Anleihen im nationalen Recht nehmen oder nach Treu und Glauben entscheiden. Aber auch andere – als Regel formulierte – Prinzipien stellen den Anwender trotz der Interpretationshilfen vor Probleme. So ergeben sich auch in nationalen Rechtsordnungen häufig Fragen, die mit dem Wortlaut der Norm nicht beantwortet werden können. Als Hilfe bei der Suche nach dieser Antwort können die umfangreichen Verweise in der TLDB dienen. Es ist jedoch unklar, wie mit sich widersprechenden Auslegungen in den Nachweisen zu verfahren ist. Im deutschen Recht gibt es notwendig einen Punkt, an dem die Auslegung verbindlich festgelegt wird, sei es durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshof oder eine Klarstellung des Gesetzgebers. Im transnationalen Recht stehen eine Vielzahl von Quellen – allgemeine Rechtsprinzipien (der nationale Rechtsordnungen), Privatkodifikationen, Lehrmeinungen, Schiedspraxis – relativ unvermittelt nebeneinander. Zwar gilt der Primat der Praxis, aber auch nicht so eindeutig wie bei einer stare decisis. Die Gewichtung der verschiedenen Quellen bleibt indessen unklar. Dadurch wird die lex mercatoria wie gewünscht offen und flexibel, sie büßt aber an Eindeutigkeit ein. Letztlich entscheidet der Schiedsrichter relativ ungebunden, was nach seinem Ermessen die adäquate Auslegung ist. Außerdem enthält die Liste gegenwärtig lediglich grundlegende Normen des Vertragsrecht wie Stellvertretung, Vertragspflichten und Schadensersatzregelun195
Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 206.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
gen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wieso z. B. die lex mercatoria im Gegensatz zu nationalen Copyrightgesetzen in der Lage sein soll, Lösungen zum Schutz von komplexer Computersoftware bereitzuhalten196. Gegenwärtig sähe die Lösung derart aus, dass der Schiedsrichter, nur gebunden durch eine Handvoll – offener – Normen, darüber weitgehend frei entscheiden könnte. Während im nationalen Recht die Entscheidung in einen eventuell nicht exakt passenden Rahmen notfalls mit Hilfe einer Analogie integriert werden muss, ist der Schiedsrichter bei der lex mercatoria nur an abstrakte Rechtsprinzipien gebunden. Dadurch könnte zwar die Qualität der Entscheidung steigen, allerdings wären die Entscheidungen schwieriger vorhersehbar. Den Schiedsrichtern müsste im Übrigen ein hohes Maß an Vertrauen entgegen gebracht werden.
II. Bedeutung des Grundsatzes von Treu und Glauben Oberster Grundsatz der lex mercatoria soll nach verbreiteter Meinung das Prinzip pacta sunt servanda sein197. Dieser Grundsatz liegt allerdings auch dem deutschen Vertragsrecht zu Grunde. Ein Vertragsrecht ohne diesen Grundsatz verdiente seinen Namen nicht. Juristisch interessant wird es erst, wenn es um die Ausnahmen von diesem Grundsatz geht198. Die Betonung des Grundsatzes pacta sunt servanda im Zusammenhang mit der lex mercatoria müsste also so zu verstehen sein, dass es im Vergleich zum nationalen Recht weniger Ausnahmen gibt. So ist auch gegenwärtig im deutschen Recht die Tendenz zu erkennen, diesen Grundsatz durch die Gewährung von Widerrufsrechten und ähnlichem zu durchbrechen199. Diese Durchbrechungen sind allerdings von einem demokratisch legitimierten Gesetzgeber beschlossen worden und betreffen zumeist Bereiche wie das Verbraucherrecht, in denen die gerade für das Handelsrecht typische Symmetrie der Vertragsparteien fehlt. Aber auch im Rahmen der lex mercatoria erfährt der Grundsatz pacta sunt servanda eine Einschränkung durch das Prinzip von „Treu und Glauben“ (Regel I.1; 11 nachgewiesene Bezugnahmen in Schiedssprüchen). Das geht so weit, dass in einem Schiedsspruch festgestellt wurde, dass der Grundsatz der lex mercatoria lautet: pacta sunt servanda bona fide200. Auch in der CENTRAL-Liste findet sich das Prinzip von „Treu und Glauben“ an erster Stelle. Darüber hinaus erscheinen viele Regeln als Ausformungen dieses Prinzips. Gerade die oft zitierten und diskutierten Vorschriften wie „Wegfall der Geschäftsgrund196 Daran macht Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 14, die Notwendigkeit einer lex mercatoria unter anderem fest. 197 Exemplarisch Stein, Lex mercatoria, S. 208, die diesem Grundsatz scheinbar eine überpositive Geltung zuerkennt. 198 So auch De Ly, International Business Law, S. 282. 199 Z. B. durch die Verbraucherschutzvorschriften im BGB. 200 ICC Award Nr. 5953 Clunet 1990, S. 1056 ff.
1. Kap.: Die lex mercatoria
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lage“ (VIII.1; 11 Nachweise), „Höhere Gewalt“ (VI.3; 18 Nachweise), „Verbot des widersprüchlichen Verhaltens“ (I.7; 11 Nachweise) und „Pflicht zur Kooperation“ (IV.5.8; 8 Nachweise) haben alle ihren Ursprung in jenem Prinzip201. In der Schiedspraxis scheinen allgemeine Rechtsprinzipien, funktionale Rechtsvergleichung und die lex mercatoria häufig dazu genutzt zu werden, das Prinzip von Treu und Glauben zu konkretisieren. Diese Beobachtung passt zu der Annahme, dass Treu und Glauben wesentliche Bausteine des internationalen Handelsverkehrs sind. Sie passt weniger zu der Annahme, dass der Grundsatz pacta sunt servanda (IV.1.2, 14 Nachweise) und damit die Privatautonomie allein im Zentrum der lex mercatoria steht, denn diese wird gerade durch Treu und Glauben eingeschränkt. Wesentliche Teile der lex mercatoria sind also durch Formalisierung des Prinzips von „Treu und Glauben“ entstanden. Dieses ist ein durchaus typischer Bestandteil einer Rechtsordnung, wie z. B. der § 242 BGB zeigt. Trotzdem handelt es sich – zumindest der Theorie nach – dabei um ein Korrektiv für den Ausnahmefall202. Innerhalb der lex mercatoria scheint es dagegen gerade im Zentrum des gesamten Systems zu stehen203. Anzumerken bleibt noch, dass die Regelung zur Enteignung (XII.1; 19 Hinweise) am öftesten nachweisbar in den Schiedssprüchen ist. Es zeigt sich auch hier die bereits festgestellt Bedeutung der state contracts für die lex mercatoria, unabhängig von den dadurch ausgelösten theoretischen Unstimmigkeiten204.
III. Fehlende Anationalität der Normen In der CENTRAL-Liste lässt sich keine Regel finden, bei der ein Verweis auf eine nationale Rechtsordnung fehlt. Damit standen die nationalen Rechtsordnungen Pate für die Formulierung von lex mercatoria Regeln. Durch die Liste kann somit nicht gezeigt werden, dass die lex mercatoria anational und unabhängig vom 201 Vgl. exemplarisch: Für die Störung der Geschäftsgrundlage Palandt/Grüneberg, § 313, Rn. 1 „… als gesetzliche Ausformung des Gedankens von Treu und Glauben …“; für die Einordnung des Verbots des widersprüchlichen Verhaltens unter § 242 BGB Palandt/Heinrichs, § 242, Rn. 55; die Pflicht zur Kooperation folgt auch aus § 242 BGB, vgl. Palandt/Heinrichs, § 242, Rn. 24 ff. Auch hinsichtlich der höheren Gewalt wird von der normalen Haftungsverteilung eine Ausnahme gemacht, da es unbillig erscheint einen für außergewöhnliche Ereignisse haften zu lassen. 202 Gegen diese Theorie spricht die Beobachtung, dass § 242 BGB in Urteilen zunehmend häufiger zitiert wird und einzelne Aspekt wie der Wegfall der Geschäftsgrundlage oder die culpa in contrahendo inzwischen kodifiziert sind. 203 So auch Meyer, Bona fides und lex mercatoria, S. 91 f., der darin allerdings gerade einen Beleg für den Rechtscharakter sieht, da er dem aristolischen Rechtsbegriff folgend die Billigkeit als Teil des Rechts sieht. 204 Vgl. Zweiter Teil 1. Kapitel 3. Abschnitt II. 3. a).
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
nationalen Recht ist, sondern zunächst einmal das Gegenteil; nämlich, dass sie in den staatlichen Rechtsordnungen stark verwurzelt ist205 Die Anationalität der lex mercatoria könnte somit nur darin liegen, dass einige Normen aus den nationalen Rechtsordnungen nicht übernommen werden. So könnte z. B. festgestellt werden, dass bestimmte Schutzvorschriften fehlen, was durchaus in der Intention ihrer Befürworter liegt206. Dann wäre allerdings die lex mercatoria weniger ein ambitioniertes neues Rechtskonzept, sondern nationales Recht – befreit störenden Normen.
6. Abschnitt
Durchsetzung Bei den Untersuchungen der privaten Normenordnungen in Mikrogesellschaften hat sich gezeigt, dass die Durchsetzung ein entscheidendes Hindernis für Wirksamkeit einer Normenordnung darstellen kann, welches häufig durch besondere Reputationsmechanismen überwunden wird207. Die jeweiligen Möglichkeiten zur Durchsetzung einer Normenordnung sind deshalb von großem Interesse.
I. Staatliche Durchsetzung Die Durchsetzung von Entscheidungen der internationalen Schiedsgerichtshöfe wird grundsätzlich durch die staatlichen Rechtsordnungen garantiert, sofern sie sich innerhalb der gesetzlich festgelegten Grenzen bewegt. Eine Kontrolle der Entscheidungen kann zwar im Rahmen des ordre public-Vorbehalts stattfinden; die Wahl der lex mercatoria als solche verstößt hiergegen jedenfalls nicht208. Auch anerkannte ausländische Rechtsordnungen müssen sich in diesem Rahmen bewegen. Aufgrund der liberalen Schiedsgesetze der meisten westlichen Staaten findet jedoch nur eine geringe materielle Kontrolle statt. Folglich kann man sagen, dass eine gewisse Autonomie der lex mercatoria gegenüber dem Staat aufgrund der automatischen Durchsetzung gewährleistet ist209. Dieser Automatismus kann allerdings vom Gesetzgeber wieder aufgehoben werden.
205
Fassberg, 5 Chi. J. Int’l L. (2004), S. 67, 80. So spricht Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 13, von einem besonderem Bedürfnis des internationalen Handels nach umfänglicher Privatautonomie und der Hinderlichkeit von Verbraucherschutzvorschriften bzw. dem Ausgleich gestörter Vertragsparität. 207 Vgl. Erster Teil 3. Kapitel 2. Abschnitt. 208 Vgl. Zweiter Teil 1. Kapitel 3. Abschnitt I. 1. 209 Schroeder, JbJZRWiss 2002, S. 257, 272. 206
1. Kap.: Die lex mercatoria
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II. Eigenständige Durchsetzung Fraglich ist, ob die lex mercatoria auch über eigene Durchsetzungsmechanismen verfügt, die notfalls unabhängig von einer nationalen Rechtsordnung funktionieren. Dies wird mit dem Hinweis auf die Selbstüberwachung der Normbefolgung durch private Schiedsgerichte, „schwarze Listen“, Entzug von Mitgliedschaftsrechten, Verfall von Kautionen oder sonstigen Gefahren der kommerziellen Rufschädigung bejaht210. Diese informellen „sozialen“ Sanktionsmechanismen der Gemeinschaft der Kaufleute müssen deshalb in den Mittelpunkt der rechtstheoretischen Überlegungen rücken211. Informelle Durchsetzungsmechanismen werden jedoch in erster Linie vermutet. Konkrete Untersuchungen über Existenz und Umfang fehlen bisher. Die Untersuchungen zu den Mikrogesellschaften legen nahe, dass es für informelle Durchsetzungsmechanismen einen irgendwie gearteten engeren Zusammenhang zwischen den Akteuren geben muss, damit eine Durchsetzung mittels drohendem Reputationsverlust überhaupt möglich ist212. Theoretisch müsste eine universelle Gemeinschaft der Kaufleute bestehen, die den Informationsaustausch ermöglicht. Dem widerspricht zunächst die prinzipielle Vertraulichkeit der Schiedssprüche, die einen solchen Informationsaustausch verhindern. Auch gab es vielleicht zu Beginn der sechziger Jahre Hinweise auf die Entstehung einer societas mercatorum. Unter dem Eindruck der „Globalisierung“ der Wirtschaft und des Handels, dem damit verbundenen Aufstieg von neuen Akteuren und des wachsenden Volumens des Welthandels vermag eine solche Annahme jedoch kaum zu überzeugen. Insbesondere die wachsende Rolle der Dritten Welt führt zu fundamentalen Interessengegensätzen213. Eine societas mercatorum erscheint höchstens branchen- und/ oder regionenspezifisch als wahrscheinlich. Und nur innerhalb dieser branchenspezifischen Vereinigungen können wahrscheinlich diese informellen Durchsetzungsmechanismen funktionieren. Dies widerspricht jedoch dem universellen Anspruch der lex mercatoria. Denn warum sollten sich alle Branchen in dieselbe Richtung entwickeln? Auch erweist sich diese Art von informellen Aktionen in der Regel nur bei geschlossenen oder korporativ organisierten Märkten als wirksam214. Gegen diese Bedenken wird jedoch darauf hingewiesen, dass es in 90 % der Fälle keiner staatlichen Durchsetzung bedarf, informelle Garantien also durchaus wirksam sind215. 210
Goldmann, 13 Arch.phil.dr. (1964), S. 177, 191 f. Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 27. 212 Erster Teil 3. Kapitel 2. Abschnitt I. 213 Die Verhandlungen zur Doha-Runde der WTO legen dafür ein beredtes Zeugnis ab. Vgl. zu Auffassungsunterschieden bezüglich der Internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, Blessing, 9 J. Int’l Arb. (1992), S. 79, 82 ff. 214 Rensmann, Anationale Schiedssprüche, S. 115 m. w. N.; Calliess, Verbraucherverträge, S. 255. 215 Stein, Lex Mercatoria, S. 84, m. w. N. in Fn. 88. 211
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
Es ist allerdings noch nicht ausreichend geklärt, ob dieser hohe Grad der Befolgung tatsächlich ausschließlich oder zumindest zum größten Teil auf diesen Garantien beruht. So steht im Hintergrund immer die Drohung der staatlichen Durchsetzung, gegen die nochmals vorzugehen nur geringe Chancen birgt216. Außerdem hat sich das Wesen der Schiedsgerichtsbarkeit in den letzten Jahren geändert217. Während früher Schiedssprüche häufig einen Kompromiss darstellten, dessen Befolgung für beide Seiten erträglich war, unterscheiden sich Schiedsverfahren inzwischen nicht mehr wesentlich von gerichtlichen Verfahren. Gleichzeitig können die Schiedssprüche nicht mehr von der Autorität der grand old men218 zehren. Beides macht eine freiwillige Befolgung weniger wahrscheinlich, was sich u. a. in einer vermehrten Anfechtung der Schiedssprüche ausdrückt219.
7. Abschnitt
Staatlicher Einfluss Wie im vorangegangenen Abschnitt gesehen, bedarf die lex mercatoria des staatlichen Rechts, um ihre Durchsetzbarkeit sicherzustellen. Diese Durchsetzung ist zwar inzwischen automatisiert, die Normen bzw. die darauf basierenden Entscheidungen müssen sich aber im Rahmen des staatlichen ordre public halten, damit nicht die Aufhebbarkeit des Schiedsspruchs riskiert wird. Auch in dem New Yorker UN-Übereinkommen vom 10. Juni 1958 wird die Beachtung von Mindeststandards hinsichtlich der Fairness des Verfahrens zur Voraussetzung der staatlichen Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen gemacht. Die lex mercatoria wird also durch das nationale bzw. internationale Recht indirekt beeinflusst. Mit anderen Worten, sie ist eingerahmt durch das staatliche Recht, wie z. B. die nationalen Schiedsgesetze oder das UN-Übereinkommen220. Allerdings bezieht sich diese automatisierte Durchsetzung nicht allein auf die lex mercatoria, vielmehr werden alle Entscheidungen internationaler Schiedsgerichte, ob sie nun auf ausländischen Rechtsordnungen oder der lex mercatoria beruhen, unter dem Vorbehalt des ordre public anerkannt221. Eine Bewegung hin zu liberalen Schiedsgesetzen bedeutet also nicht notwendig eine Bewegung hin zur lex mercatoria. Liberalen Gesetze ermöglichen zwar die Entstehung der lex mercatoria, sie verursachen ihre Entstehung aber nicht zwingend. 216
Dasser, Lex mercatoria, S. 352; v. Hoffmann, IPRax 1986, S. 337; Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 160, 168. 217 Sehr umfangreich dargestellt in der bereits erwähnten Studie von Dezalay/Garth, Dealing in Virtue, insbesondere S. 40 f. 218 Siehe Zweiter Teil 1. Kapitel 3. Abschnitt II. 3. b). 219 De Ly, International Business Law, S. 84 m. w. N.; Hölker, Rolle der lex mercatoria, S. 133. 220 So im Ergebnis auch Calliess, Transnationales Handelsvertragsrecht, S. 160, 176 f. 221 Mustill, Lib. am. Wilberforce, S. 149, 153.
1. Kap.: Die lex mercatoria
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Eine weitere Beeinflussung der lex mercatoria durch den Staat kann über den Abschluss von völkerrechtlichen Vereinbarungen oder den Beschluss von Einheitsgesetzen erfolgen. Diese können Gebiete neu oder sogar anders regeln als in der lex mercatoria vorgesehen. Dadurch sähe sich die lex mercatoria neuer „Konkurrenz“ ausgesetzt oder verlöre sogar ihren Sinn, insoweit eine Rechtsangleichung bereits auf legislatorischem Weg erreicht wurde.
8. Abschnitt
Zwischenbilanz Die lex mercatoria erfüllt die in sie gesetzten Erwartungen gegenwärtig nicht. Ihre nachweisbare Bedeutung für die internationale Vertragspraxis ist derart gering, dass man sich Mühe geben muss, Hinweise auf sie zu entdecken. Bei den Normen, die ihr insbesondere durch die CENTRAL-Liste zugeordnet werden und die jedenfalls einen gewissen Niederschlag in Schiedssprüchen gefunden haben, handelt es sich zumeist um Ausprägungen des Prinzips von Treu und Glauben, also um Gesichtspunkte der Billigkeit. Es mag zwar sein, dass ein solches System von Billigkeitsentscheidung sich notwendig zu einer Rechtsordnung weiterentwickelt222, doch ist dieser Punkt gegenwärtig nicht erreicht. Auch bedarf es für die Anwendung des Prinzips von Treu und Glauben in Schiedsprozesses keiner besonderen Rechtsordnung samt lateinischer Bezeichnung; stattdessen bedürfte es einer umfassender Begründung, dieses Prinzip unbeachtet zu lassen223. Auch werden die Schiedsrichter gerade nicht wie durch eine Rechtsordnung davon entlastet, auf allgemeine Rechtssätze zurückzugreifen224, vielmehr ist dieser Rückgriff zentral für die Anwendung. Ein erfahrener Schiedsrichter kann mit Sicherheit auf Grundlage der gegenwärtigen lex mercatoria eine allgemein akzeptierte Entscheidung treffen. Doch kann ihm dies auch ohne einen solchen Rekurs gelingen. Der Praktiker kann hingegen sein Verhalten im Vorfeld nicht an der lex mercatoria orientieren, da sie dafür zu unbestimmt ist. Damit erfüllt sie nur einer Teil der Aufgaben und Funktionen einer Rechtsordnung, so dass man an der üblicherweise angenommenen225 funktionellen Äquivalenz der lex mercatoria im Vergleich zu staatlichen Rechtsordnungen zweifeln kann. Hinzu kommt, dass bisher keine autonome Normenentstehung nachgewiesen worden ist. Die Normen der lex mercatoria sind alle staatlichen Ursprungs. Es fehlt insoweit an Besonderheiten, so dass bereits das rechtssoziologische Interesse an diesem Normengebilde verneint wird226. Ebenso wenig sind eigenständige Nor222 223 224 225 226
Calliess, ZfR 26 (2005), S. 35, 47. Dasser, Critical Comments, S. 189, 190. v. Hoffman, FS Kegel, S. 215, 222 m. w. N. Vgl. Erster Teil 2. Kapitel 3. Abschnitt. Gessner, ZfR 23 (2002), S. 277, 281.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
mendurchsetzungsmechanismen erkennbar. Auch hier bedarf es der Unterstützung der Staaten. Vor diesem Hintergrund fragt sich, welche Eigenschaft der lex mercatoria die behauptete Autonomie begründen soll.
2. Kapitel
Die lex informatica Das Internet wird von einigen Autoren als eigener Raum begriffen. Folgerichtig erscheint die Geltung von staatlichem Recht als begründungsbedürftig, da darin eine – unzulässige – Ausdehnung staatlicher Souveränität gesehen wird1. Zu den Zweifeln, ob der Staat das Internet überhaupt regulieren darf, treten auch Bedenken, ob er es überhaupt regulieren kann. Aus diesen Gründen könnte das Internet einen idealen Nährboden für private Normenordnungen bieten.
1. Abschnitt
Einführung Obwohl das Internet aus dem täglichen Leben kaum noch wegzudenken ist, bestehen über dessen Aufbau zumeist nur vage Vorstellungen. Deswegen sollen zunächst einige Charakteristika und Entwicklungen angesprochen werden2, die zur Verständlichkeit der eigentlichen Untersuchung beitragen und gleichzeitig den größeren Rahmen, nämlich die Frage nach der lex informatica als Teil der Internet governance, aufzeigen sollen.
I. Struktur des Internets 1. Allgemein Das Internet ist ein völlig neuartiges Medium, welches mehrere spezielle Merkmale aufweist, die kaum mit bisher Bekanntem zu vergleichen sind. Aus diesem Grund ist es schwierig, bestehende Regelungsinstrumente auf das Internet zu übertragen. Im Folgenden sollen einige dieser besonderen Merkmale ohne Anspruch auf Vollständigkeit dargestellt werden, um einen Eindruck von der Problematik der Internetregulierung zu schaffen. Zunächst hebt das Internet gewissermaßen den Raum auf. Das heißt, es macht grundsätzlich keinen Unterschied, ob man mit jemanden in Berlin, New York oder 1
Johnson/Post, 48 Stan. L. Rev. (1996) 1367, 1369 f. Für eine ausführliche Darstellung der Entwicklung des Internets und des Domainnamensystems siehe Voegli, Domainnamensystem, S. 5 ff. 2
2. Kap.: Die lex informatica
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Ulan Bator kommuniziert. Kommunikation kann in Echtzeit stattfinden. Im Gegensatz zur herkömmlichen Telekommunikation ist die Kommunikation im Internet aber nicht notwendig auf eine Person (oder eine Mehrzahl Personen) gerichtet, sondern offen. Das heißt, jede eigene Handlung im Internet kann im Prinzip – also als rein technische Möglichkeit – von jedem Internetnutzer weltweit gleichzeitig wahrgenommen werden. Diese „Aufhebung des Raumes“ relativiert staatliche Grenzen. Dies führt dazu, dass unterschiedliche Kulturen und damit auch unterschiedliche Rechtssysteme – sozusagen ungebremst durch territoriale Grenzen – aufeinanderprallen. In dem berühmten Yahoo Fall verpflichtete z. B. das Tribunal de Grande Instance de Paris die Yahoo Inc., den Zugang zu Versteigerungen für französische Nutzer zu sperren3. Das Unternehmen berief sich im Gegenzug vor einem kalifornischen Gericht auf die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsfreiheit4. Zusätzlich zur Aufhebung der „realen Räumlichkeit“ wird eine Art neuer – virtueller – Raum geschaffen, der sogenannte Cyberspace5. Dabei hat jeder Internetnutzer – jedenfalls theoretisch – weitaus mehr Möglichkeiten, auf die Gestaltung des virtuellen Raums Einfluss zu nehmen, als er auf die Gestaltung der „realen Welt“ jemals haben könnte. Einer der führenden Wissenschaftler auf dem Feld der Internet Governance, Lawrence Lessig, eröffnet sein Buch über die Gesetze des Cyberspace6 zur Verdeutlichung mit folgendem Beispiel: Ein Hund frisst schöne, aber hoch giftige Blumen im Nachbargarten und stirbt daran. In der „realen Welt“ wären folgende Vermeidungsmöglichkeiten für die Zukunft denkbar: Verbot an die Nachbarin, diese Sorte Blumen zu züchten, Verbot an den Nachbarn, seinen Hund frei herumlaufen zu lassen, Gebot einen Zaun zwischen den Grundstücken zu errichten etc. Alle Möglichkeiten haben für den einen von beiden oder beide Nachteile. Im Cyberspace gibt es jedoch zusätzliche Präventionsmöglichkeiten. Es kann festgelegt werden, dass die Blumen nicht giftig sein sollen, dass sie nur außerhalb des Grundstückes giftig sein sollen etc. Mit anderen Worten, es ist nicht nur möglich, „juristische“ Gesetze zu erlassen, sondern man kann sozusagen „Naturgesetze“ ändern. Dies ist kaum verwunderlich, handelt es sich doch gerade beim Cyberspace nicht um einen „natürlichen“, sondern einen von Menschen geschaffenen „virtuellen“ Raum. Die praktischen Folgen sind weit weniger absurd, als sie im Beispiel „Hund frisst Blume“ erscheinen. Es ist nicht unbedingt notwendig, innerhalb des In3 T. G. I. Paris 20.11.2000, Ordonnance de Référé, UEJF, La Ligue Contre Le Racisme et L’Antisemtisme v. Yahoo!, Inc., No. 00/05308 (in der englischen Übersetzung im Internet abrufbar unter: www.cdt.org/speech/international/001120yahoofrance.pdf). 4 Yahoo!, Inc. v. La Ligue Contre Le Racisme et L’Antisemtisme, 145 f. Supp. 2d 1168, 1171 (N. D. Cal. 2001); La Ligue Contre Le Racisme et L’Antisemtisme v. Yahoo!, Inc. 169 f. Supp 2d. 1181, 1192 (N. D. Cal. 2001). Zu den resultierenden Problemen: Teubner, ZaöRV 63 (2003), S. 1 ff. 5 Johnson/Post, 48 Stan. L. Rev. (1996) 1367. 6 Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace, S. 29.
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ternets mit Verboten zu arbeiten und die dadurch entstehenden Nachteile – wie z. B. Durchsetzungsprobleme – in Kauf zu nehmen, sondern es erscheint möglich, durch eine Änderung der „Naturgesetze“ oder besser der Architektur des Internets bestimmte Konflikte zu vermeiden. Die Architektur des Internets wird wiederum durch den sogenannten „Code“7 bestimmt, der damit ein zentrales Instrument der Internetregulierung darstellt. So lässt sich z. B. die Verbreitung von Nazisymbolen über das Internet durch die Installation von entsprechenden Filtern in den Ländern, in denen dies verboten ist, vermeiden. Es wäre unmöglich, diese Website von Deutschland aus anzuwählen. Dass ein solches Vorgehen wieder andere Probleme nach sich ziehen kann und dass diese Art von Konfliktvermeidung nicht immer wünschenswert sein muss (z. B. wenn die Informationsfreiheit im eigenen Land von einer Regierung umfassend eingeschränkt wird), sei nur am Rande festgestellt. Der entscheidende Punkt ist, dass es im Internet besondere Möglichkeiten der Verhaltenssteuerung gibt, indem – von wem auch immer – derart auf die Architektur eingewirkt wird, dass der Einzelne gar keine Verhaltensalternativen mehr hat8. Setzt man diese Möglichkeiten voraus, so stellt sich von selbst die Frage, wer für die bestehende Internetarchitektur verantwortlich ist. Diese Frage ist nicht ohne weiteres zu beantworten, wenn man die Entwicklungsgeschichte des Internets bedenkt. Es wurde hauptsächlich in den USA von Wissenschaftlern entwickelt und zunächst an Universitäten genutzt9. Die US-Regierung stieß diese Entwicklung zwar an und unterstützte sie maßgeblich, war aber nicht direkt involviert10. Ihren immer noch bestehenden beherrschenden Einfluss sicherte sie sich jedoch durch Koorperationsverträge. Trotz dieser indirekten Beteiligung der US-Regierung konnten Wissenschaftler das Internet eigenständig entwickeln. Dies trug mit dazu bei, dass das Internet grundsätzlich für jeden offen ist und eine gewisse Anonymität gewahrt werden kann. Dies ermöglicht eine besondere Gleichheit in der Kommunikation. Zu diesem egalitären Charakter des Internets passt die Dezentralität des Internets. Das Internet beruht auf der Idee, verschiedene Rechner spinnennetzartig zu verknüpfen, so dass es keine Hauptleitung gibt und das Netzwerk auch bei der Zerstörung einzelner Verbindungen funktionstüchtig bleibt. Neue Netze können
7 Der eine Code existiert in dieser simplen Form nicht, vielmehr besitzt der Code des Internets viele Ebenen und Formen, die hier aber – um die folgenden Ausführungen anschaulicher zu halten – vernachlässigt werden sollen. Vgl. ausführlich Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace, S. 182 ff. 8 Zu den Möglichkeiten und Gefahren, die sich das der besonderen Bedeutung des Codes im Internet ergeben, ausführlich Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace. 9 Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace, S. 57; ausführlich: Leib/Werle, Bedeutung der Wissenschaftsorganisationen. 10 Weinberg, 50 Duke L. J. (2000), S. 187, 192.
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problemlos integriert werden, da das Internet im Kern aus einem offenen, rechtlich nicht geschützten technischen Standard besteht, der definiert, wie Computer miteinander kommunizieren11. Es bildete sich also ein „Netz der Netze“. Dieser technische Standard ist das sogenannte TCP/IP Protokoll: Das TCP (Transmission Control Protocol) wandelt die Nachrichten in viele kleine Datenpakete um. Das IP (Internet Protocol) regelt die Adressierung. Wenn man – um das Geschriebene anschaulicher zu machen – das Internet mit einem Stromnetz vergleicht12, so wird durch die Protokolle bestimmt, wie die Steckkontakte beschaffen sein müssen und wie der Strom fließt. Hat man den richtigen Stecker, kann man sich an jedem Punkt an das Stromnetz anschließen und mit Hilfe eines Mehrfachsteckers ein neues – eigenes – kleines Stromnetz bilden. Jedenfalls werden die zu übermittelnden Daten aufgespalten, auf verschiedenen Wegen zum Ziel geschickt und dort erst wieder zusammengesetzt. Zwar gibt es sogenannte Backbone-Leitungen, die vergleichbar mit Autobahnen bestimmte regionale Knotenpunkte schnell ansteuern, doch auch ihr Ausfall würde die Leistungsfähigkeit nicht nachhaltig beeinträchtigten. Neben diesem technischen Vorteil der Dezentralität, ergibt sich auch ein operativer Vorteil. Aufgrund des Fehlens eines Steuerungszentrums bleibt der Aufwand der Netzwerkadministration gering. Nicht dem Netzwerkbetreiber, sondern den Nutzern obliegt die Kontrolle des Datenflusses. Es ist somit schwierig einen eindeutigen „Architekten“ des Internets auszumachen.
2. Domainnamensystem Von besonderer Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Internets ist die Lokalisierung der am Netzwerk angeschlossenen Computer. Diese erfolgt durch die sogenannte IP-Nummer, eine 32-Bit lange Nummer wie z. B. 017.010.019.080. Um die Benutzerfreundlichkeit des Internets zu steigern, wurde das Domainnamensystem (DNS) entwickelt, wodurch jeder IP-Nummer ein leichter zu merkender Namen zugeordnet wird – der Domainname. Domainnamen bezeichnen damit die logische Adresse eines Internet-Hostcomputers wie z. B. www.huberlin.de. Der Aufbau des Namensystems entspricht einem umgekehrten Baum, ist streng hierarchisch gegliedert und geht von einer unbenannten Wurzel (root) aus. Die höchste Stufe bildet das rechts stehende Kürzel, die Top Level Domain (TLD), in diesem Beispiel „.de“. Die bestehenden TLDs können dabei in zwei Gruppen aufgeteilt werden. Die generic Top Level Domains (gTLD) wie „.com“ oder „.net“ sind einem internationalen Kreis zugänglich. Hinzu kommen die country code Top Level Domains (ccTLD), die – wie „.de“ – jeweils einem bestimmten 11 12
Voegli, Domainnamensystem, S. 14. So Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace, S. 184.
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Staat zugeordnet sind. Allerdings kann auch hier nicht sichergestellt werden, dass nur Bürger dieses Staates die entsprechenden TLDs nutzen13. Diese TLDs werden wiederum unterteilt in Second Level Domains (SDS), wie im Beispiel „hu-berlin“, welche die nächste Hierarchieebene darstellen. Damit die Identifizierung eines Computers sichergestellt ist, darf jeder Name in der TLD nur einmal als SLD vergeben werden. Dies führt dazu, dass aussagekräftige Domainnamen nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen. Um sicherzustellen, dass jeder Domainname nur einmal in einer TLD vergeben wird, muss nach derzeitigem Stand der Technik eine zentrale Registerdatenbank von einer Registry betrieben werden14. Eine Mittlerfunktion zwischen der Registry und den Endnutzern nehmen die Registrars ein. Dieses sind Internet Service Provider, wie z. B. die Deutsche Telekom, die die Registrierungsanträge der Nutzer annehmen und an die Registry weiterleiten. Anders als auf der Registry-Ebene kann es mehrere Registranten für eine TLD geben, indem diese sich über das Shared Registry System (SRS) koordinieren.
II. Steuerung und Regulierung im Internet Wie bereits ausgeführt, wurde bei der Gestaltung des Internet zu einem großen Teil egalitäres Ideengut umgesetzt. Darüber hinaus nahm die US-Regierung eine sehr liberale Haltung bezüglich der konkreten Ausgestaltung an, während die meisten anderen Staaten, insbesondere die europäischen, diese Entwicklung zunächst ignorierten. Mangels einer zentralen Steuerungsebene sind die bekannten Regulierungsmechanismen zum Teil ungeeignet für dieses neue Medium.
1. Ausgangspunkt Notwendig war die Regulierung zunächst nur in technischen Fragen der einheitlichen Standardsetzung, damit die Kommunikation zwischen den einzelnen Netzwerken und Computern möglichst reibungslos ablief. Es bedurfte lediglich einer Koordination mit vergleichsweise niedrigen Durchsetzungskosten, die zusätzlich durch die enge Verbundenheit der damalige Internet Community erleichtert wurde15. Demgemäß konnte die Standardsetzung in einer Art offenem Diskurs vorgenommen werden. Federführend war dabei die Internet Engineering Task Force (IETF), die aufgrund ihrer technischen Autorität bis Mitte der 90er Jahre am
13 Ein bekanntes Beispiel ist die TLD von Tuvalu, die sich aufgrund des Kürzel „.tv“ besonderer Beliebtheit in Medienkreisen erfreut. 14 Leib, ICANN und der Konflikt um die Internet-Ressourcen, S. 66. 15 Radin/Wagner 73 Chi. – Kent L. Rev. (1998), S. 1295, 1310.
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ehesten als allgemein anerkannte Entscheidungsinstanz gelten konnte16. Bei dieser handelte es sich um eine private Organisation, die grundsätzlich offen war und durch Konsens und eine spezifische Professionskultur zusammengehalten wurde. Sehr stark vereinfacht lief das Verfahren folgendermaßen ab17: Neue Standards wurden im Internet als Vorschlag unter der Bezeichnung „Request for Comment“ (RFC) vorgestellt. Es stand demgemäß jedem frei, sich dazu zu äußern. Zeichnete sich eine Art rough consensus, also mehr als eine einfache Mehrheit, aber weniger als eine komplette Übereinstimmung ab, so wurde der neue technische Standard angenommen. Die Feststellung dieses rough consensus oblag besonders angesehenen Mitglieder der Internet-Gemeinde. Dieses Verfahren funktionierte insbesondere in der Zeit, in der das Internet in erster Linie von Wissenschaftlern, also einer weitgehend homogenen Gruppe benutzt wurde18. Dies führte zu einem steigenden Selbstbewusstsein der Beteiligten und einer deutlichen Zurückweisung jeglicher staatlichen oder anderer externen Regulierungsversuche19. Zusätzlich konnten – wie bereits gezeigt – Konflikte durch eine entsprechende Programmierung des Codes vermieden werden. Aus dieser Zeit stammt dementsprechend die Idee, das Internet ließe sich durch die „Netiquette“ oder ähnlich spontan entstehende Regeln regulieren20. Die bestehenden Regeln waren von Außen nämlich kaum wahrnehmbar. Zum einen bedurfte es aufgrund der großen Homogenität und der begrenzten Größe der Nutzergruppe keines formellen Regelkatalogs, zum anderen war ein Teil der Regulierungen im Code „versteckt“. Folglich kann diese – erste21 – Phase, in der hauptsächlich technische Koordination notwendig war, wegen des fehlenden staatlichen Einflusses als Cyberanarchy beschrieben22. Der Staat sollte und konnte – jedenfalls nach verbreiteter Meinung – das Internet nicht regulieren23. In Folge der Entwicklung des WorldWideWeb, die dem Internet erstmals eine graphische Oberfläche verschaffte, wurde die Nutzung des Internets vereinfacht und dadurch erweitert. Das Internet wurde zu einem kommerziell genutzten Massenmedium, so dass dort stattfindende Kommunikationen oder Transaktionen nicht als losgelöst von jeglichen rechtlichen Konsequenzen gesehen werden konnten24. 16
Hofmann, Internet Governance, S. 277, 282; Voegli, Domainnamensystem, S. 18. Ausführlich: Froomkin, 116 Harv. L. Rev. (2003) S. 749, 794. 18 So auch die Einschätzung von Voegli, Domainnamensystem, S. 86. Dazu, dass allgemein eine solchen close-knit group eine erfolgreiche Selbstregulierung durchaus wahrscheinlich macht vgl. Erster Teil 3. Kapitel 2. Abschnitt. 19 Exemplarisch die stets zitierte Declaration of the Independence of Cyberspace von Barlow (www.eff.org/~barlow/Declaration-Final.html): „Governments of the Industrial World, you weary giants of flesh and steel (…). On behalf of the future, I ask you of the past to leave us alone. You are not welcome among us. You have no sovereignty where wie gather.“ 20 Zur „Netiquette“ vgl. Lemley, 73 Chi.-Kent. L. Rev. (1998), 1257, 1268 ff. 21 Hofmann, Internet Governance, S. 277, 279. 22 Vgl. den Titel von Goldsmith, 65 U. Chi. L. Rev. (1998) 1199. 23 Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace, S. 55. 24 Goldsmith, 65 U. Chi. L. Rev. (1998) 1199, 1201. 17
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Es traten in der Folge Regulierungsprobleme auf, denn nach der Zurückweisung der Regierungen war nicht deutlich, wer an deren Stelle eventuell notwendige Regulierungen vornehmen sollte25.
2. Theorien der Internet Governance Seitdem deutlich wurde, dass auch das Internet einer gewissen Regulierung bedarf, kreisen die Theorien um die Frage, wie eine adäquate Form der Internet Governance, also wie eine institutionelle Koordination innerhalb des Internets und dessen gleichzeitige Regulierung aussehen könnte. Aus den oben geschilderten Gründen traten für eine traditionelle staatliche Rechtsetzung schwierige Probleme auf. Aufgrund der territorialen Ungebundenheit müsste jeder Internetnutzer fast jede Rechtsordnung beachten, da ein besonderer Sachbezug zu einer Rechtsordnung zumindest theoretisch denkbar ist. Dies wird als negativer spill overEffekt bezeichnet26. Allerdings kann man bestimmten Rechtsordnungen auch mit geringen Kosten ausweichen. Darüber hinaus ist auch die Durchsetzung infolge der verbreiteten Anonymität im Netz erschwert. Hinzu kam die weit verbreitete Abneigung vieler Internetnutzer gegen staatliche Eingriffe, so dass die Idee der Selbstregulierung nahelag27. Es entstand eine Debatte um eine adäquate Regulierung des Internets. Als exemplarisch kann die wissenschaftliche Kontroverse zwischen David Johnson und David Post auf der einen Seite und Jack Goldsmith auf der anderen Seite gesehen werden. Johnson/Post betonen die Aufhebung des Raums im Internet, und die dadurch entstehenden Probleme für die an sich territorial gebundenen Rechtsordnung Aktivitäten im Cyberspace zu erfassen28. Auf dieser Grundlage lehnen sie eine staatliche Regulierung des Internets aus drei Gründen als nicht legitim ab: Erstens, weil sich staatliche Normen dann auch außerhalb des Staatsgebiets auswirken könnten; zweitens, weil dadurch die Regulierung anderer Staaten beeinflusst werden kann, und drittens, weil der Benutzer des Internets mangels erkennbarer territorialer Grenzen nicht weiß, in welchem Staatsgebiet sein Handeln Auswirkungen hat und er deshalb sein Verhalten nicht den entsprechenden Regeln anpassen kann29. Stattdessen konzipierten sie das Internet als eigenständiges Territorium, in dem auch eigene Regeln gelten sollten. Sie zogen also eine Grenze zwischen realer und virtueller Welt30. Im Cyberspace sollten sich die notwendigen Regeln von selbst ent25
Leib, Verrechtlichung im Internet, S. 198, 199. Goldsmith, 65 U. Chi. L. Rev. (1998) 1199, 1200, Johnson/Post, 48 Stan. L. Rev. (1996) 1367, 1371. 27 Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace, S. 379. 28 Johnson/Post, 48 Stan. L. Rev. (1996) 1367, 1372 ff.; ähnlich Roßnagel, MMR 2002, S. 67, 68. 29 Johnson/Post, 48 Stan. L. Rev. (1996) 1367, 1376 ff. 30 Johnson/Post, 48 Stan. L. Rev. (1996) 1367, 1378. 26
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wickeln31. Ihr diesbezüglicher Optimismus gründete sich auf die Entwicklungen bei der Verteilung von Domainnamen und der Entstehung der sogenannte „Netiquette“, die in erster Linie Benimmregeln für den E-Mail Verkehr und Chatraumbesuch enthält. Zusätzlich untermauerten sie ihre Annahme von der prinzipiellen Möglichkeit der Entwicklung eines derartigen privaten Normensystems durch einen Verweis auf die mittelalterliche lex mercatoria. Jedenfalls sollten die im Internet geltenden Regeln von der „Internet Community“ selbst erstellt werden, was gleichzeitig auch zur allgemeinen Beachtung der Regeln führen würde. Dies sei der einzige Weg, um den Erfordernissen des Cyberspace gerecht zu werden32. Die Idee der Selbstregulierung im Internet wurde von Joel Reidenberg aufgegriffen, wobei auch er die mittelalterliche lex mercatoria als Ausgangspunkt nahm und den Begriff lex informatica prägte33. Die Parallele liegt insofern nahe, weil – zumindest nach der traditionellen Lesart34 – im Mittelalter ein rechtliches Vakuum durch die private Regulierung der Betroffenen ohne hoheitliche Hilfe erfolgte, mithin eine vergleichbare Problematik wie bei der Internetregulierung bestand35. Reidenberg knüpft jedoch nicht an die – zumindest in Europa – herrschende Sicht der lex mercatoria als autonomes Rechtssystem an, sondern unterscheidet die lex informatica gerade von einer rein rechtlichen Regulierung. Er sieht in der lex informatica eher eine Möglichkeit, das Internet einheitlich zu steuern, die neben oder an die Stelle des staatlichen Rechts tritt, wenn dieses aufgrund der Besonderheiten des Internets nur problematisch durchgesetzt werden kann36. Als Hauptprobleme sieht Reidenberg die Überwachung des Inhalts von Internetseiten (z. B. Pornographie etc.), die Sicherung der persönlichen Daten der Nutzer sowie den Urheberschutz. Er schlägt zur Lösung dieser Probleme, die sich aus der speziellen Struktur des Internets ergeben, Möglichkeiten vor, die diese Struktur wiederum ausnutzen. In erster Linie empfiehlt Reidenberg die Nutzung von Filtern. Verbunden mit Rating Agenturen, welche den Inhalt oder die Sicherheit verschiedener websites bewerten, kann bestimmt werden, welche Seiten zugänglich sein sollen und zwar sowohl vom Staat als auch von einem privaten host provider37. Reidenberg fasst diese internetspezifischen Steuerungsmöglichkeiten unter dem Begriff lex informatica zusammen. Reidenberg sieht diese als ein aliud zum Recht, auch wenn es natürlich Parallelen und Überschneidungen gibt, da letztlich beides Regulierungsinstrumente sind38. Ähnlich wie bei Lessigs Code wird durch die Beeinflussung der Architektur be31 32 33 34 35 36 37 38
Johnson/Post, 48 Stan. L. Rev. (1996) 1367, 1387 ff. Johnson/Post, 48 Stan. L. Rev. (1996), S. 1367, 1371. Reidenberg, 76 Texas L. Rev. (1998) S. 553. Vgl. dazu Zweiter Teil 1. Kapitel 1. Abschnitt I. Hadfield, Privatizing Commercial Law, S. 21. Reidenberg, 76 Texas L. Rev. (1998) S. 553, 565 ff. Reidenberg, 76 Texas L. Rev. (1998) S. 553, 571 ff. Zu den Unterschieden: Reidenberg, 76 Texas L. Rev. (1998) S. 553, 566.
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stimmt, welche Werte im Internet gelten. Die Menschen müssen sich entsprechend verhalten, ohne dass sie überhaupt die Möglichkeit zum „Codebruch“ und damit zum Rechtsbruch hätten. Auch wenn der Code nicht Recht sein soll, so ersetzt er doch dieses, was zugespitzt zu der Aussage führen kann: „Code is Law“39. Gegen die Sicht, dass das Internet nicht staatlich zu regulieren ist, wendet sich Jack Goldsmith entschieden40. Er wirft den „Regulierungsskeptikern“, insbesondere Johnson und Post, vor, dass ihre Konzeption des Internationalen Privatrechts, für das der territoriale Bezug die entscheidende Rolle spielt, veraltet sei. So sei es inzwischen nicht ungewöhnlich, dass mehrere Rechtsordnungen als Entscheidungsgrundlagen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten in Frage kommen, so dass kein striktes Prinzip der Territorialität mehr gelte. Vielmehr dürfe grundsätzlich jedes staatliche Recht angewandt werden, wenn es eine gewisse Verbindung zu dem Sachverhalt habe und die Anwendung nicht unfair oder willkürlich sei. Infolgedessen legten die Regulierungsskeptiker an Internetregulierungen einen unrealistischen Maßstab an und kämen deswegen zu dem Schluss, dass keine Regulierung möglich sei41. Daneben weist er darauf hin, dass es möglich sei, das Internet intern so zu organisieren, dass sich jeder Nutzer in Bereichen bewegt, deren Normen er auf irgendeine Weise zugestimmt hat. Auf diese Weise hätte jeder Nutzer sich ein mögliches Rechtssystem selbst aussucht und dadurch legitimiert. Gleichzeitig könnten aber auch Handlungen im Internet Rechte von Personen verletzen, die diesen Regeln nicht zugestimmt haben. Letztendlich werden nämlich alle Handlungen von Menschen vorgenommen, die sich in der reellen Welt bewegen, so dass ihre Handlungen auch dort Auswirkungen zeigen könnten42. Als Beispiele nennt Goldsmith Preisabreden, Beleidigungen, Pornographie usw., die auch wenn sie „nur“ im Internet aufträten, die Opfer sehr real schädigen könnten. Schließlich weist er darauf hin, dass es für den Staat durchaus Möglichkeiten gibt, das Internet zu regulieren43. So könne auch dieser sich der beschriebenen Filter bedienen oder das Internet indirekt regulieren, indem er die Service Provider in Anspruch nimmt44. So sind manche Länder – wie China und Singapur – erfolgreich darin, unliebsame Inhalte des Internets zu blockieren, zum Teil mit Unterstützung der Service Provider. Auch ist es nicht notwendig richtig, dass solche Maßnahmen mit dem Widerstand der Nutzer zu rechnen hätten. Eltern, Geschäftsleute oder Offizielle, für die alle das Internet ein wichtiges Medium darstellt, ste39
Vgl. Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace, S. 48. Goldsmith, 65 U. Chi. L. Rev. (1998), S. 1199 ff.; auch Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace, S. 55 ff. macht deutlich, dass die Frage der Regulierbarkeit von der Architektur des Internets abhängt und es dabei mehrere Möglichkeiten gäbe. 41 Goldsmith,, 65 U. Chi. L. Rev. (1998), S. 1199, 1205 ff. 42 Goldsmith, 65 U. Chi. L. Rev. (1998), S. 1199, 1215 f. 43 Goldsmith, 65 U. Chi. L. Rev. (1998), S. 1199, 1222 ff.; vgl. zu den Möglichkeiten Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace, S. 99 ff. 44 Z. B. Yahoo in Frankreich, vgl. den Ausgangsfall. 40
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hen solchen Regulierungen aufgeschlossen gegenüber, um auf diese Weise ihre Kinder zu schützen, Spam-Mails oder Gesetzesverstöße zu vermeiden45. Die Internetgemeinschaft ist eben keine close-knit-Gemeinschaft mehr, die jede staatliche Einmischung ablehnt46. Letztlich sind nach Goldsmith die entstehenden Fragen zwar derart kompliziert, dass kaum eine generelle Theorie über die Verortung von Streitigkeiten, die das Internet betreffen, aufgestellt werden kann, sondern im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände entscheiden werden muss. Dies gilt aber zunehmend auch für das Internationale Privatrecht im Allgemeinen. Lösungen lassen sich in beiden Fällen finden, ohne dass ein eigenes Cyberlaw notwendig wäre47. Auch träfen die von den Regulierungsskeptikern vorgebrachten normativen Bedenken – insbesondere aufgrund der denkbaren negativen spill-over Effekte – in ähnlicher Weise für das Internationale Privatrecht im Allgemeinen zu oder seien vermeidbar. Gerichtliche und gesetzliche Entscheidungen hätten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten immer extraterritoriale Auswirkungen48. Es bestehen für Goldsmith auch keine normativen Bedenken gegen eine staatliche Regulierung des Internets49. Er kommt zu dem Schluss, dass es keinen Unterschied zwischen grenzüberschreitenden Transaktionen in der reellen Welt und im Cyberspace gibt, mithin auch kein normativer Grund für eine besondere rechtliche Regelung desselben vorliegt50. Probleme bestehen in beiden Bereichen, doch sei es möglich, diese mit traditionellen Mitteln des Internationalen Privatrechts zu lösen. Man kann zusätzlich festhalten, dass es für den Staat angesichts der Architektur des Netzes zwar schwierig sein kann, das Verhalten der Menschen im Internet direkt zu regulieren; denn das Internet erleichtert es Menschen z. B. Grenzen – virtuell – zu überschreiten. Allerdings hat der Staat zusätzlich die Möglichkeit, die Architektur des Netzes direkt zu beeinflussen und dadurch das Verhalten seiner Staatsbürger zu regulieren51. Insgesamt kann diese Form der Regulierung aus Sicht des Staates deutlich effektiver sein, da – wie bereits ausgeführt – die Möglichkeit zum „Codebruch“ nicht besteht. Auch muss sich der Code, bzw. das durch diesen erzwungene Verhalten, am Recht messen lassen. Folglich gilt nicht nur „Code is law“, sondern auch „Law trumps over code“52. Der Code kann nicht nur als Ersatz für das Recht, sondern auch als ein neues Instrument zur Durchsetzung des Rechts gesehen werden. Es ändern sich also nur die Mittel, nicht der Zweck. 45
Goldsmith, 65 U. Chi. L. Rev. (1998), S. 1199, 1229. Radin/Wagner 73 Chi. – Kent L. Rev. (1998), S. 1295, 1310. 47 Goldsmith, 65 U. Chi. L. Rev. (1998), S. 1199, 1233 ff; ebenso Mankowski, AfP 1999, S. 93 ff. 48 Goldsmith, 65 U. Chi. L. Rev. (1998), S. 1199, 1239. 49 Goldsmith, 65 U. Chi. L. Rev. (1998), S. 1199, 1244. 50 Goldsmith, 65 U. Chi. L. Rev. (1998), S. 1199, 1250. 51 Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace, S. 88. 52 Vgl. Mayer, ZfR 23 (2002), S. 93, 109. 46
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In Erwiderung zu Goldsmith hat Post noch einmal Stellung zum Problem der Internetregulierung genommen53. Er verweist darauf, dass es durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Transaktionen in der realen und in der virtuellen Welt gibt, dass aber auch entscheidende Unterschiede bestehen und es deswegen darauf ankommt, welche Fragen man stellt. Er sieht einen entscheidenden Unterschied in der Menge der stattfindenden Transaktionen. Es handelt sich also weniger um qualitativ, sondern um quantitativ Neues54. Während früher Handlungen nur ausnahmsweise grenzüberschreitende Auswirkungen hatten, so dass sie unproblematisch als Einzelfälle behandelt werden konnten, sind die Grenzüberschreitungen wegen der Raumkomprimierung inzwischen der Regelfall geworden. Aus Sicht von Post wird deswegen ein neues System benötigt, um mit dieser Vervielfältigung der Probleme fertig zu werden55. In Einzelfällen könnten Rechtsordnungen es aushalten, dass Regeln in Bereichen Auswirkungen haben, in denen sie der dort lebenden Bevölkerung in keiner Weise zugerechnet werden können. Etwas anderes gilt, wenn dieses zum Regelfall wird. Deswegen müssten die überkommenen Rechtsprinzipien an diese neue Realität angepasst werden. Eine derartige Anpassung erscheint jedoch weit weniger „revolutionär“ als die ursprüngliche Ansicht, dass das Internet nur durch ein eigenes, privat geschaffenes Cyberlaw reguliert werden kann.
3. Konkretes Problem: Verwaltung des DNS Die Diskussion über eine adäquate Regulierung des Internets konnte zunächst noch allgemein geführt werden. Im Bereich der Domainnamenverwaltung, die zunächst durch die Internet Assigned Numbers Authority (IANA) und damit im Wesentlichen von Jon Postel betrieben wurde, konnte das Regulierungsdefizit schließlich Mitte der 90er Jahre konkret wahrgenommen werden56. Wie bereits ausgeführt, wurde durch das Domainnamensystem (DNS) der 12-stelligen numerischen Adresse einer Website eine Zeichenfolge als Merkhilfe zugeordnet. Die Vergabe der Zeichenfolgen erfolgte nach dem „first come, first serve“ Prinzip57; Besitzansprüche an Namen wurden explizit ausgeschlossen58. Durch das WWW wurden die Domainnamen zunehmend als „locator“ für Inhalte eingesetzt und erhielten dadurch einen symbolischen Wert59. Es entwickelte sich eine rasch ansteigende Nachfrage nach aussagekräftigen Domainnamen, so 53
Post, 17 Berkeley Tech. L. J. (2002), S. 1365 ff. So auch Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace, S. 336. 55 Post, 17 Berkeley Tech. L. J. (2002), S. 1365, 56 Voegli, Domainnamensystem, S. 36. 57 Leib, Verrechtlichung im Internet, S. 198, 202. 58 Postel: „Concerns about ‚rights‘ and ‚ownership‘ of domains are inappropriate. (…). The registarion of a domain name does not have any Trademark status.“ 59 Hofmann, Internet Governance, S. 277, 284. 54
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dass sich diese innerhalb kürzester Zeit zu einem knappen Gut entwickelten, für das hohe Preise erzielt werden konnten60. Rechtsstreitigkeiten waren ab 1994 die Folge. War die Verteilung der numerischen Adresse unstrittig, da es sich um ein de facto unbegrenztes Gut handelt, wurde die Verteilung der Domainnamen als nunmehr begrenztes Gut eine politische Frage, bei der es nicht mehr nur um Koordination, sondern um Regulierung ging61. Insbesondere stellte sich die Frage nach dem Schutz von Markenrechten. Gleichsam über Nacht standen sich nunmehr verschiedene wirtschaftliche Interessen gegenüber. Diese reichten von der Forderung nach einem umfassenden Schutz der Markennamen bis zur vollständigen Liberalisierung des Namensraums. Der wachsende Druck zur Neuregelung des DNS lief jedoch ins Leere, da es keine institutionelle Adresse für diesen gab. Zwar hielten die bisherigen Verwalter an ihrer Konzeption fest, jedoch konnten sie aufgrund der Erweiterung des Internets nicht mehr für die gesamte Internet-Gemeinde sprechen, sondern vertraten ein Partikularinteresse. Insbesondere erodierte der Status der IETF als anerkannte Entscheidungsgewalt62. Bei der Frage nach der Ausfüllung dieses Macht- und Regulierungsdefizits bestand nur in der Ablehnung des Staates Einigkeit. Trotzdem entschied sich die US-Regierung 1997 in das Verfahren der Neuordnung einzugreifen, nachdem ein erster Regulierungsversuch, demzufolge Standardisierungsorganisationen und Markenrechtsorganisationen als International Ad Hoc Committee (IAHC) das DNS verwalten sollten, fehlgeschlagen war63. Allerdings wurde der verbreiteten Ablehnung gegenüber staatlicher Intervention Rechnung getragen, indem die US-Regierung ankündigte, sich aus der Domainverwaltung zurückzuziehen und stattdessen einer privaten – allerdings nach kalifornischem Recht gegründeten – Organisation die Aufsicht zu überlassen. Auf diese Weise wurde schließlich 1998 die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) geschaffen.
III. ICANN und die UDRP als konkretes Beispiel für die lex informatica Im Zentrum der Diskussion um ein privates transnationales Recht, welches sich im Internet entwickelt, steht die Uniform Domain Name Resolution Policy (UDRP). Gerade diese wird in Deutschland unter dem Stichwort lex informatica64 60
Mueller, Ruling the Root, S. 58; Voegli, Domainnamensystem, S. 44. Leib, ICANN und der Konflikt um die Internet-Resource, S. 52 ff.; Voegli, Domainnamensystem, S. 45 f. 62 Hofmann, Internet Governance, S. 277, 285. 63 Vgl. zu den einzelnen Schritten: Voegli, Domainnamensystem, S. 48 ff. 64 Leib, Verrechtlichung im Internet, S. 198, 202; Zangl/Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung als Baustein. 61
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bzw. lex digitalis65 zusammengefasst. Sie soll beispielhaft für den Versuch stehen, im Internet jenseits des staatlichen Rechts Konfliktfälle zu lösen. Anlass für die Entwicklung der UDRP bildeten die Streitigkeiten zwischen Markenrechtsinhabern und Personen, die sich ohne besonderen Bezug den Markennamen als Domainnamen gesichert hatten. Möglich war dies wegen der bereits beschriebenen liberalen Haltung der IANA, die die Domainnamen nach dem „first come, first serve“ Prinzip verteilte. Es bildeten sich Praktiken heraus, bei denen sich Einzelne gezielt Markennamen als Domainnamen sicherten, um sie gegen eine Art „Lösegeld“ an andere Interessenten weiterzugeben. Dies wird mit dem Begriff Cybersquatting bezeichnet66. Die rechtliche Lösung dieser Streitigkeiten erwies sich sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene als kompliziert. Dies lag zum einen daran, dass verschiedene Parteien mit unterschiedlicher Nationalität an diesen Prozessen beteiligt waren. Zum anderen entstand ein Widerspruch zwischen der grundsätzlichen territorialen Begrenzung geistigen Eigentums und der globalen Sichtbarkeit von Domainnamen. Eine Übertragung der Grundsätze für Markenrechtsstreitigkeiten auf die Domainnamen war also nicht ohne weiteres möglich. Als Folge entstand nach längeren Verhandlungen die UDRP. Da die UDRP die Verwaltung der Domainnamen betrifft, fällt sie in die Zuständigkeit von ICANN. Diese bildet also den institutionellen Hintergrund und ist für die Durchsetzung verantwortlich. Bei ICANN handelt es sich um eine gemeinnützige Organisation, deren Rechts- und Handlungsfähigkeit aus § 5140 California Corporation Code folgt. Aufgabe von ICANN ist es gemäß Art. I Sec. 1 ICANN-Bylaws, die Verwaltung des globalen Adressierungssystems des Internets zu koordinieren und die Stabilität und Sicherheit des Systems zu gewährleisten. Zwar ist die Organisation erst wenige Jahre alt, wurde jedoch 2003 bereits reformiert, nachdem der damalige ICANN-Präsident Lynn 2002 verkündet hatte, dass ICANN in der ursprünglichen Form gescheitert sei und es wesentlicher Änderung in Aufbau und Arbeitsweise bedürfe, damit ICANN noch die ihr anvertrauten Aufgaben erfüllen könnte67.
65
Teubner/Karavas, www.CompanyNameSucks.com, S. 249 ff. Voegli, Domainnamensystem, S. 147. 67 Lynn, President’s Report: ICANN – The Case for Reform, 24. Februar 2002: www. icann.org/general/lynn-reform-proposal-24feb02.htm. S. auch Hofmann, Internet Governance, S. 277, 292. 66
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1. Organisation von ICANN 2.0 68 Das höchste Organ von ICANN ist das Board of Directors, das über die endgültige Entscheidungsbefugnis verfügt. Es setzt sich aus fünfzehn stimmberechtigten, sechs nicht stimmberechtigten (sogenannte liasons) Mitgliedern zusammen (Art. VI ICANN-Bylaws). Acht der Direktoren werden von einem Nominierungskomitee vorgeschlagen, welches die Interessengruppen der globalen Internetgemeinschaft repräsentieren soll (Art. VII ICANN-Bylaws), jeweils zwei Direktoren werden von den drei Supporting Organizations bestimmt. Der Präsident schließlich wird von den Mitgliedern des Direktoriums gewählt. Die liasons werden von den Advisory Committees bestimmt. Ausdrücklich ausgeschlossen von einem Direktorenposten sind Mitglieder einer nationalen Regierung oder einer internationalen Organisation (Art. VI, Sec. 4, No. 2 ICANN Bylaws). Daneben bestehen drei Supporting Organizations. Diese sind für die PolicyEntwicklung innerhalb der drei Hauptaufgabenbereiche zuständig: der InternetAdressverwaltung (IP-Nummern), der Verwaltung der Länderdomänen und der Verwaltung der generischen Domänen. Schließlich sieht die Satzung noch die Advisory Committees vor, die dem Direktorium beratend zur Seite stehen. Eine herausgehobene Stellung hat das Governmental Advisory Committee (GAC) inne. Es wirkt beratend mit, wenn Angelegenheiten das nationale Interesse berühren könnten (Art. XI Sec. 2 ICANN-Bylaws).
2. Unterschiede zu ICANN 1.0 69 Die auffälligste Änderung im Vergleich zu der ursprünglichen Struktur von ICANN ist die Änderung des Wahlverfahrens. Insbesondere fällt die Wahl von den sogenannten At-Large-Direktoren ersatzlos weg. Ursprünglich wurden neun Direktoren von den Internetnutzern direkt online gewählt, damit auch nicht organisierte Nutzer vertreten waren. Die einzige Wahl 2000 schuf jedoch zahlreiche Probleme, so dass auf eine Wiederholung verzichtet wurde70. Daneben wurde die Stellung des GAC gestärkt. Es muss von dem Direktorium in bestimmten Fragen einbezogen werden und gibt sozusagen „qualifizierte“ Rat-
68
Die reformierte ICANN wird in Abgrenzung zur ersten als ICANN 2.0 bezeichnet. Vgl. ausführlich: Voegli, Domainnamensystem, S. 64 ff. 69 Vgl. wiederum ausführlich: Voegli, Domainnamensystem, S. 70. 70 Palfrey, 17 Harv. J. L. Tech. (2004), S. 409 ff. So war die Welt in unterschiedliche Regionen aufgeteilt, in denen jeweils eine stark unterschiedliche Anzahl von Stimmen zu einem Sieg ausreichte. Während der nordamerikanische Kandidat 1.738 Stimmen brauchte und der europäische Kandidat sogar 5.984 Stimmen bekam, reichten dem afrikanischen Kandidaten 67 Stimmen zum Sieg. Vgl. die Statistik unter: icannchannel.de/stats2000.htm.
118
2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
schläge, die nur begründet und unter Inkaufnahme weiterer Verhandlungen zurückgewiesen werden können.
3. Verbindung zur US-Regierung Die Autorität der ICANN beruht zu einem großen Teil auf Verträgen mit der US-Regierung71. Zentraler Bestandteil des Verhältnisses ist ein Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem US-Handelsministerium und ICANN72. In diesem wird in Abschnitt I B festgelegt, dass die DNS-Verwaltung erst endgültig an den privaten Sektor übergeben wird, wenn das US-Handelsministerium zur Auffassung kommt, dass dieser die Verantwortung übernehmen kann. Lange Zeit war dieser Punkt aus Sicht des US-Handelsministeriums nicht erreicht, weil die gesetzten Ziele nicht erfüllt wurden. Aus diesem Grund war ICANN auch wiederholt Gegenstand von Anhörungen des US-Kongress73. Im September 2006 hat die US-Regierung nunmehr mit ICANN ein „Joint Project Agreement“ unterzeichnet, wonach ICANN 2009 in die Unabhängigkeit entlassen werden soll. Bis dahin gilt theoretisch, dass wenn ICANN vom US-Handelsministerium die Anerkennung entzogen werden würde, das Ministerium alle Rechte und Pflichten auf eine Nachfolgeorganisation übertragen könnte. Bei einer vollständigen Aufhebung des MoU gingen sogar alle Verträge des ICANN direkt auf das US-Handelsministerium über. Auch wenn das Handelsministerium sich nicht in das operative Geschäft von ICANN einmischen kann, so kann es doch ICANN innerhalb kürzester Zeit die Verantwortung für die DNS-Verwaltung entziehen. Es ist also fraglich, inwiefern ICANN als private eigenständige Gesellschaft tatsächlich ausreichend charakterisiert ist oder ob nicht die Einordnung als eine Art Beliehener der tatsächlichen Stellung eher gerecht würde. Andererseits käme dadurch nicht ausreichend zum Ausdruck, dass die wesentlichen Entwicklungen des Internets jenseits des Staates erfolgt sind. Zudem bliebe offen, woher die Befugnisse der US-Regierung stammten, mit denen sie ICANN beleihen könnte.
2. Abschnitt
Quellen Die UDRP wird regelmäßig als das Beispiel für die private Internetregulierung genannt. Sie wurde von ICANN am 24.10.1999 verabschiedet. Bei der Entwicklung der UDRP war jedoch die World Intellectual Property Organization (WIPO) federführend. Bei dieser handelt es sich um eine internationale Organisation mit 71 72 73
Hofmann, Internet Governance, S. 277, 290 f. http://www.icann.org/general/icann-muo-25nov98.htm. Nachweise bei Mayer, ZfR 23 (2002), S. 93, 108.
2. Kap.: Die lex informatica
119
179 Mitgliedsstaaten, die dem System der United Nations Organization (UNO) angehört und sich mit dem internationalen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums befasst. Ziel dieser Organisation ist es in erster Linie, den Informationsaustausch bezüglich des Schutzes von geistigem Eigentum zwischen den Nationen zu gewährleisten sowie die Harmonisierung der Schutzvorschriften auf verschiedenen Wegen zu fördern74. Sie wurde im Fall der UDRP auf Antrag der USA tätig und initiierte daraufhin einen mehrstufigen und breit gefächerten Beratungsprozess, um alle Betroffenen möglichst umfassend einzubinden. Am Ende des Prozesses wurde der Final Report75 der ICANN übermittelt, welche ihn nach weiteren Beratungen weitgehend unverändert angenommen hat76. Ziel des Prozesses war nach Aussagen der WIPO nicht das Verhältnis zwischen Markenrechten und Domainnamen umfassend zu regeln, sondern den kleinsten gemeinsamen Nenner allgemein akzeptierter Prinzipien des Markenrechtsschutzes zu finden77. Mit anderen Worten, es wurde ein common core des Markenrechtsschutzes gesucht. Bei dieser Regulierung hatte somit zwar eine private Organisation das letzte Wort, sie war jedoch an der Ausarbeitung nicht direkt beteiligt. Bei der Ausarbeitung wurden vielmehr die gleichen Mechanismen genutzt wie bei der Vorbereitung von staatlichem Recht durch die WIPO. ICANN tritt also eher an die Stelle eines Staates, als dass eine private Dynamik innerhalb des Rechtssetzungsprozesses ihren Niederschlag gefunden hätte.
3. Abschnitt
Einbeziehung und praktische Bedeutung Die Einbeziehung der UDRP erfolgt vertraglich. Alle Registrars – also die Stellen, die die Registrierungsanträge der Nutzer für einen Domainnamen annehmen – müssen bei ICANN akkreditiert sein. Voraussetzung dafür ist, dass der Registrar sich verpflichtet, die UDRP als Bestandteil jeder abgeschlossenen Registrierungsvereinbarung aufzunehmen (Sec. 3.8 Registrar Accreditation Agreement78). So ist gesichert, dass sich jeder Nutzer eines Domainnamens der UDRP unterworfen hat. Der Nutzer schließt Verträge über die Registrierung des gewünschten Domain74 General Information, World Intellectual Property Organization, im Internet abrufbar unter: http://www.wipo.int/about-wipo/en/gib.htm. 75 WIPO, Final Report of the WIPO Internet Domain Name Process, 30.4.1999, im Internet abrufbar unter: http://wipo2.wipo.int/process1/report/index.html. 76 Vgl. ausführlich zu diesem Verfahren Froomkin, Semi-Private International Rulemaking, S. 8 ff.; Voegli, Domainnamensystem, S. 151 ff, insb. S. 154. 77 WIPO, 2nd WIPO Internet Domain Name Process, 3.9.2001, S. 35; http://wipo2.wipo.int/ process2/report/pdf/report.pdf. 78 Im Internet abrufbar unter: http://www.icann.org/registrars/ra-agreement-17may01.htm.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
namens sowohl mit dem Internet Server Provider (Registrar) als auch mit der Registry. Bei letzterem tritt der Internet Server Provider als Stellvertreter des Registranten auf79. Im Gegensatz zu ordentlichen Schiedsverfahren, in denen die Schiedsklausel zwischen den beiden Parteien ausgehandelt wird, muss der Registrant die URDP in beiden Verträgen akzeptieren80. Auch kann sich der Registrar gegenüber dem Registranten auf keinerlei Verhandlungen einlassen, sonst würde er gegenüber ICANN vertragsbrüchig. Die Einbeziehung der UDRP erfolgt somit asymmetrisch und nur formell vertraglich. Faktisch stellte sie sich als Regelsetzung und nicht als Regelvereinbarung dar.
4. Abschnitt
Streitschlichtungsverfahren Das Verfahren wird vor einem von ICANN akkreditierten Dispute Resolution Provider durchgeführt. Zurzeit gibt es vier Provider: die WIPO, das National Arbitration Forum (NAF), das Center for Public Resources (CPR) und das Asian Domain Name Dispute Resolution Centre (ADNDRC)81. Ein weiterer Provider eResolutions musste 2002 den Dienst einstellen82. Jeder Inhaber eines Markenrechts oder eines vergleichbaren Rechts kann einen Antrag auf Übertragung des strittigen Domainnamens vor einem dieser Dispute Resolution Provider stellen83. Jeder dieser Provider muss zwar nach der UDRP entscheiden, kann aber eigene Regeln bezüglich Kosten und Verfahrensablauf aufstellen. Das Verfahren beginnt durch den Antrag des Markenrechtsinhabers, in dem er auch bestimmt, ob ein Single Panel oder Three Member Panel entscheiden soll (§ 3 (b) (iv) Rules for UDRP, RUDRP). Der Dispute Resolution Provider muss das Vorliegen einer Beschwerde innerhalb von drei Tagen dem betroffenen Registranten mitteilen. Dieser hat grundsätzlich 20 Tage Zeit, um auf die Beschwerde zu reagieren. Unterlässt er dies, so wird gemäß § 14 RUDRP – vergleichbar mit dem deutschen Säumnisverfahren – nach vorliegendem Sachverhalt und Schlüssigkeit entschieden.
79
Voegli, Domainnamensystem, S. 198 f., Leib, Verrechtlichung im Internet, S. 198, 204. Vgl. ausführlich zu den Unterschieden zum traditionellen Schiedsverfahren Voegli, Domainnamensystem, S. 184 ff. 81 ICANN, Approved Providers für Uniform Domain Name Dispute Resolution Policy, im Internet abrufbar unter: http://www.icann.org/udrp/approved-providers.htm. 82 Vgl. Voegli, Domainnamensystem, S. 159. 83 ICANN, Uniform Domain Name Dispute Resolution Policy, Section 2, im Internet abrufbar unter: http://www.icann.org/udrp/. 80
2. Kap.: Die lex informatica
121
Die Entscheidung über die Domainnamen-Streitigkeit soll innerhalb von 14 Tagen nach Besetzung des Schiedsgerichts erfolgen (§ 15 (b) RUDRP). Die Kosten müssen grundsätzlich vom Antragsteller getragen werden, es sei denn, der Antragsgegner hätte ein Three Member Panel verlangt, für welches er dann 50 % der Verfahrenskosten tragen muss84. Sollte das Panel zu dem Schluss kommen, dass der Domainname gelöscht oder übertragen werden soll, so wird mit der Durchführung dieser Entscheidung noch 10 Werktage gewartet. Mit dieser Frist wird dem Registranten Gelegenheit gegeben, Klage vor einem staatlichen Gericht zu erheben. Zwar ist die Klageerhebung prinzipiell immer möglich (§ 4 (k) RUDRP), doch befindet sich nach der Übertragung des Domainnamen der ursprüngliche Inhaber in einer schlechteren Position. Der Domainnameninhaber hat auf das Streitschlichtungsverfahren somit deutlich weniger Einfluss als eine Partei auf ein ordentliches Schiedsverfahren hätte. Wie bereits erwähnt, muss er die UDRP akzeptieren. Darüber hinaus entscheidet allein der Markenrechtsinhaber, ob er ein ordentliches Gericht oder einen Dispute Resolution Provider – und wenn zweites der Fall ist, welchen er – anruft.
5. Abschnitt
Materieller Gehalt Wie bereits erwähnt wurde nur der unstrittige common core des Markenrechtsschutzes in der UDRP aufgenommen. Demgemäß ist die UDRP auf die abusive registration von Domainnamen beschränkt.
I. Ordentlicher Tatbestand Der Tatbestand der abusive registration wird in § 4 a UDRP an Hand folgender Kriterien definiert: 1. der umstrittene Domainname muss identisch oder verwechslungsfähig ähnlich mit einem Namens- oder Markenrecht des Antragsteller sein, 2. der Domaininhaber darf kein Recht oder berechtigtes Interesse an dem Domainnamen haben, 3. es müssen schließlich Anhaltspunkte dafür sprechen, dass der Inhaber bezüglich des Domainnamens bösgläubig gehandelt hat. Zur Handhabung dieses Kriteriums werden in § 4 b UDRP nicht abschließende Regelbeispiele aufgezählt: 84 Ausführlicher zu dem Verfahren mit Nachweisen hinsichtlich der Regeln der unterschiedlichen Dispute Resolution Provider: Voegli, Domainnamensystem, S. 162 f.
122
2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
a) wenn Hinweise vorliegen, die darauf schließen lassen, dass der Inhaber den Domainnamen gewinnbringend weiterverkaufen will, oder b) wenn der Domainname mit dem Ziel registriert wurde, die Eintragung durch den Markenrechtsinhaber zu verhindern, oder c) wenn durch die Registrierung in erster Linie die Geschäftstätigkeit eines Wettbewerbers gestört werden soll, oder d) wenn durch die Benutzung des Domainnamen eine Verwechslung mit dem Markenrechtsinhaber angestrebt ist. Im Gegenzug kann der Registrant den Vorwurf der bösgläubigen Registrierung zurückweisen, indem er legitime Interessen an der Nutzung des Domainnamen glaubhaft vorbringt. Für diesen Fall werden in § 5 UDRP wiederum nicht abschließende Regelbeispiele aufgeführt: a) wenn eine gewerbliche Nutzung oder Vorbereitung zur Nutzung vor Beginn des Streitverfahrens erfolgte, oder b) wenn der Domaininhaber unter diesem Namen allgemein bekannt war, ohne ein Markenrecht innezuhaben, oder c) wenn er legitim nicht-gewerblich gebraucht wird bzw. bei gewerblichem Gebrauch ohne die Absicht, aus möglichen Verwechslungen einen Vorteil zu ziehen, benutzt wird.
II. Fallrecht Im Mittelpunkt der Theorien zu transnationalem, privat gesetztem Recht stehen die Entscheidungen der Schiedsgerichte, die einen wesentlichen Anteil an der Weiterentwicklung dieses Rechts haben sollen85. Fraglich ist also, inwieweit Panel-Entscheidungen bisher Einfluss auf die Entwicklung der UDRP gehabt haben. Die Voraussetzungen dafür sind, gerade im Vergleich zur lex mercatoria, besonders günstig, da alle Entscheidungen im Internet veröffentlicht werden86.
1. Interpretation Nach erklärter Absicht des Final Report der WIPO sollte sich die UDRP auf die eindeutigen Fälle des Cybersquatting beschränken87. Aber bereits durch die Ver85
Vgl. Erster Teil 2. Kapitel 5. Abschnitt. http://www.icann.org/udrp/udrpdec.htm. Zu der Bedeutung der Veröffentlichung für die Entwicklung einer privaten Normenordnung vgl. Calliess, Verbraucherverträge, S. 258. 87 WIPO, Final Report of the WIPO Internet Domain Name Process, 30.4.2001, S. im Internet abrufbar unter: http://wipo2.wipo.int/process2/report/pdf/report.pdf. 86
2. Kap.: Die lex informatica
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wendung des unbestimmten Begriffs „identical or confusingly similar“ als Tatbestandsvoraussetzung wird ein weiter Interpretationsspielraum eröffnet. So legt ein Teil der panels diesen Begriff objektiv aus und sieht eine „Ähnlichkeit“ gegeben, wenn ein Markenname unabhängig von zusätzlichen Worten oder Zeichen in einen Domainnamen integriert ist88. Andere panels bevorzugen dagegen eine subjektive Sicht und fragen nach der Wahrscheinlichkeit einer Verwechslung der Herkunft der Webseite89. Zum Teil wird die Verwechslungsgefahr auch anhand eines sehr differenzierten Tests (sogenannter Sleekcraft Test), den der United Court of Appeals for the Ninth Circuit in dem Fall AMF, Inc. v. Sleekcraft Boats (559 F. 2d 341, 9th Cir. 1979) entwickelt hat, unter Berücksichtigung von acht verschiedenen Faktoren bestimmt90. Sichtbar werden diese unterschiedlichen Ansichten bei den sogenannten „marksucks“-Fällen, bei denen der Domainname aus einem Markenamen mit dem Anhang „-sucks“ besteht. Vom Standpunkt einer objektiven Auslegung soll, z. B. im Fall Bloomberg91, eine Verwechslungsgefahr bereits bestehen, wenn Suchmaschinen bei der Eingabe „Bloomberg“ auch auf die Seite „bloombergsucks.com“ hinweisen. Vertreter der subjektiven Auslegung führen dagegen an, dass der Gebrauch des Wortes „suck“ eindeutig Distanz zum Markenrechtsbesitzer herstellt und somit keine Verwechslungsgefahr gegeben ist92. Andere panels kommen jedoch anhand der subjektiven Auslegungsmethode zu dem Schluss, dass nicht alle Internetnutzer englischsprachig seien und damit nicht sofort den missbilligenden Inhalt des Zusatzes erkennen können, so dass eine Verwechslungsgefahr bestünde93. Eine eindeutige Haltung zu dieser Frage kann nicht festgestellt werden, so dass eine gewisse Unsicherheit in diesem Bereich bleibt. Ebenso kontrovers diskutiert wird die Frage, ob der „bad faith use“ ein Tätigwerden erfordert94.
88 Z. B. Brittania Building Society v. Britannia Fraud Prevention, WIPO Case No. D20010505; Wal-Mart Stores v. MacLeod, d/b/a For Sale, WIPO Case No. 200–0662; Gateway, Inc. v. Pixelera.com, WIPO Case No. D2000-0109; State Farm Mutual Insurance Company v. J&B, Inc., NAF Case No. FA94804. 89 Dohaney, Divergence in the UDRP and the Need for Appellate Review (2002), S. 4. 90 Voegli, Die Regulierung des DNS durch ICANN, S. 174. 91 Bloomberg L. P. v. Seacaucus Group, NAF Case No. FA 97077. 92 Lockheed Martin Corp. V. Dan Parisi, WIPO Case No. 2000-1015; Asda Group Limited v. Mr. Paul Kilogour, WIPO Case No. D 2002-0857; McLane Company, Inc. v. Fred Craig, WIPO Case No. D2000-1455. 93 Bayer Aktiengesellschaft v. Dangos & Partners, WIPO Case No. D2002-1115; Koninklijke Philips Electronics N. V. v. In Seo Kim, WIPO Case No. D2001-1195; Vivendi Universal v. Mr. Jay David Sallen and GO 247.COM, Inc. WIPO Case D2001-1121. 94 Vgl. zu den divergierenden Panel-Entscheidungen Voegli, Domainnamensystem, S. 177 f.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
2. Import von Rechtsprinzipien Eine andere Kontroverse besteht bezüglich der Bedeutung des Grundsatzes des free speech. Umstritten ist dabei, inwieweit die Meinungsfreiheit, ohne dass sie in der UDRP ausdrücklich erwähnt wird, bei der Beurteilung der Frage berücksichtigt werden muss, ob eine bösgläubige Registrierung vorliegt bzw. ob ein legitimes Interesse des Domainnameninhabers besteht95. Zum Teil wird die Registrierung eines Markennamens als Domainnamen zur Kritikäußerung als legitimes Interesse, gedeckt durch das Recht auf freie Meinungsäußerung, gesehen96. Zum Teil wird der Anwendungsbereich des Rechts zur freien Meinungsäußerung enger gezogen unter dem Hinweis, dass es zur Kritik keines Domainnamen bedürfe, der mit dem Markennamen identisch sei97.
3. Beweislast Nicht nur bei Fragen des materiellen Rechts, sondern auch bei Verfahrensvorschriften besteht nicht immer Einigkeit zwischen den panels. Augenfällig wird das bei den Anforderungen, die an die Beweisführung der Parteien und die Beweislast gestellt werden. So ist nicht eindeutig geklärt, welche Anforderungen an die Beweislast des Beschwerdeführers hinsichtlich der fehlenden Legitimation des Beschwerdegegners gestellt werden sollen, insbesondere in Fällen, in denen eine Entgegnung unterbleibt. Das führt dazu, dass die panels unterschiedliche Anforderungen an die Beweislast stellen98.
4. Ausdehnung des Anwendungsbereichs In einigen Entscheidungen wurde versucht, den Anwendungsbereich auszuweiten. So hat ein panel das Namensrecht der Stadt Barcelona für schützenswert gehalten und eine Übertragung des Domainnamen angeordnet, obwohl die UDRP-Regeln keinen ausdrücklichen Schutz geographischer Gebietsbezeichnungen vorsehen, indem es annahm, dass die Domain Barcelona.com den Marken der Stadt Barcelona zum Verwechseln ähnlich99. Ein US-Berufungsgericht entschied dagegen, dass sowohl nach US-Recht als auch nach spanischem Recht solche 95
Voegli, Domainnamensystem, S. 176. Bridgestone Firestone, Inc., Bridgestone/Firestone Research, Inc and Bridgestone Corporation v. Jack Myers, WIPO Case No. D2000-0190. 97 The New York Times Company v. Naw York Internet Services, WIPO Case No. D2000-1072; Estée Lauder, Inc. v. Estelauder.com, Estelauder.net and Jeff Hanna, WIPO Case No. D20000869. 98 Voegli, Domainnamensystem, S. 178; Kur, UDRP – A Study, S. 64 f. 99 Excelentisimo Ayuntamiento de Barcelona v.Barcelona.com Inc., WIPO Case No. D20000505. 96
2. Kap.: Die lex informatica
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Namen nicht schützenswert sind und verneinte ein legitimes Interesse der Stadt Barcelona an diesem Domainnamen100. Auch wenn diese Entscheidung nicht den Todesstoß für die UDRP bedeutet, so wird doch deutlich, dass UDRP-Entscheidungen, die auf dem amerikanischen Recht fremden Prinzipien beruhen, durch amerikanische Gerichte nicht anerkannt werden101.
5. Zwischenbilanz Das Fallrecht ist zwar gut dokumentiert, ein Trend zu einer einheitlichen Weiterentwicklung ist jedoch kaum auszumachen. So wurden zwar von einzelnen panels bestimmte Begriffe weit über den ursprünglich vorgesehenen Rahmen hinaus ausgelegt102, aber – wie soeben gezeigt – gerade nicht von allen. Eine einheitliche Weiterentwicklung scheint – selbst bei günstigen Voraussetzungen wie der Veröffentlichung aller Entscheidungen – ohne Hierarchie schwierig zu sein. Das kann zunächst daran liegen, dass es mehrere Dispute Resolution Provider gibt, die Studien zufolge in unterschiedlichem Maß die Beschwerdeführer begünstigen sollen103. Wenn sich solch ein Trend ausmachen ließe104, so wäre eine einheitliche Weiterentwicklung fast unmöglich. Hinzu kommt die Parallelität zu den staatlichen Gerichtsverfahren. Da ein staatliches Gericht die Fälle materiell neu entscheiden kann und nicht – wie bei „echten“ Schiedsgerichtsentscheidungen – auf eine Überprüfung der formalen Bedingungen und der Vereinbarkeit mit zwingendem Recht beschränkt ist, könnte die aufgrund dieser Weiterentwicklung unterlegene Partei den Fall mit guten Aussichten vor ein staatliches Gericht bringen. In diesem Fall wäre dann die UDRP-Streitentscheidung für die Parteien von geringem Wert, wenn sich quasi automatisch ein staatliches Gerichtsverfahren daran anschlösse. Dynamische Entwicklungen in diesem Bereich, die sich vom staatlich vorgegebenem Recht entfernen, sind somit kaum zu erwarten.
100 Barcelona.com, Inc v. Excelentisimo Ayuntamiento de Barcelona, 330 F.3d 617 (4th Cir. 2003). 101 Calliess, Verbraucherverträge, S. 278 ff. mit einer ausführlicheren Darstellung dieses Falles. 102 Dies betont Calliess, Verbraucherverträge, S. 274 und sieht es als Beweis für den „Normenhunger“ des sich entwickelnden Rechtssystems. 103 Geist, Fair.com?; ders. Fundamentally Fair.com?; Mueller, Rough Justice; eine Übersicht über die Ergebnisse bietet Voegli, Domainnamensystem, S. 164 ff.; Leib, Verrechtlichung im Internet, S. 198, 207. 104 Kritisch hierzu Calliess, Verbraucherverträge, S. 270.
126
2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
III. Rechtsfolgen Die Entscheidungsmöglichkeiten sind sachlich beschränkt. Nach § 3 UDRP sind drei Rechtsfolgen möglich: – der strittige Domainname muss an den Antragsteller übertragen werden, – der strittige Domainname muss gelöscht werden, – der Antrag wird abgewiesen, der Antragsgegner behält den Domainnamen. Zusätzliche Geldbußen oder Schadensersatzverpflichtungen dürfen nicht ausgesprochen werden.
6. Abschnitt
Durchsetzung Die Durchsetzung der Entscheidung eines panels gestaltet sich unproblematisch. Da alle registrars bei ICANN akkreditiert sein müssen, sind sie verpflichtet, notwendige Änderungen bei der Zuordnung einzutragen. Sie allein haben den Zugriff auf diese Zuordnungen und können deswegen Übertragungen unproblematisch vornehmen. Die Entscheidung hat somit unmittelbar gestaltende Wirkung. Auch ohne staatliche Unterstützung ist sie höchst wirksam und zuverlässig105.
7. Abschnitt
Staatlicher Einfluss Alle Streitigkeiten über Domainnamen können von beiden Parteien jederzeit vor ein staatliches Gericht gebracht werden. Der asymmetrischen Einbeziehung der UDRP wird also dadurch Rechnung getragen, dass sie anders als Schiedsvereinbarungen nicht ausschließlich gelten106. Deswegen ist die Überprüfung von Entscheidungen eines panels durch staatliche Gerichte nicht beschränkt auf Verstöße gegen den ordre public. Vielmehr wird der Sachverhalt vom Gericht formal zum ersten Mal entschieden. Das Gericht muss somit nicht von einem eventuell vorausgegangenen Streitverfahren Kenntnis nehmen. So stellte ein US-Gericht im Fall 105
Leib, Verrechtlichung im Internet, S. 198, 207. So die Ansicht eines US-Gerichts, welches in dem Fall Parisi v. NetLearning, Inc. (139 F. Supp. 2d 745 (E. D. Va. 2001) entschied, dass der Federal Arbitration Act keine Anwendung auf UDRP-Entscheidungen fände, da ausdrücklich paralleles Vorgehen vor staatlichen Gerichten zugelassen sei, so dass es sich bei einem UDRP-Verfahren nicht um ein traditionelles Schiedsverfahren handele. 106
2. Kap.: Die lex informatica
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Weber Stephen Products Co. v. Armitage Hardware and Building Supply, Inc.107 ausdrücklich klar, dass es nicht an die Entscheidung des UDRP-Panels gebunden sei, wenn die Prozesse gleichzeitig angestrengt würden. Nicht eingegangen wurde dagegen auf die Frage, wie es sich mit vorangegangenen Entscheidungen verhält108. Eine zumindest implizite Haltung zu dieser Frage kam dagegen in dem Fall Referee Enterprises, Inc. v. Planet Ref, Inc.109 zum Ausdruck. In diesem Fall ging das Gericht mit keinem Wort auf die vorherige panel-Entscheidung ein. In dem Fall Sallen v. Corinthias stellte ein US-amerikanisches Berufungsgericht jedoch klar, dass die panel-Entscheidungen durch nationale Gerichte anhand der nationalen Gesetze – in diesem Fall dem U. S. Anti-Cybersquatting Consumer Protection Act – neu entschieden werden können110. Demgemäß gehen die Offiziellen von ICANN davon aus, dass ein Kernelement der UDRP-Regeln darin besteht, dass diese von staatlichen Gerichten verdrängt werden können111. Während ordentliche Schiedsgerichtsentscheidungen in gewisser Weise in das staatliche Rechtssystem eingebunden sind, weil sie der staatlichen Durchsetzung bedürfen, stehen die Entscheidungen nach der UDRP dementsprechend außerhalb des staatlichen Rechtssystems. Aber auch, wenn die panel-Entscheidungen aus Sicht des staatlichen Rechts an sich ein nullum sind, werden sie nur selten – in Deutschland bisher überhaupt noch nicht – durch Anrufung staatlicher Gerichte angegriffen112.
8. Abschnitt
Zwischenbilanz Die ursprüngliche Normsetzung ist de facto in einem internationalen Verfahren, welches sich über mehrere Monate hinzog, erfolgt. Der Unterschied zur Entstehung von Völkerrecht besteht darin, dass die UDRP anschließend nicht von einem Staat, sondern einer privaten Organisation akzeptiert worden ist. Allerdings sind die UDRP-Regeln auch nicht – im Gegensatz zu staatlichem Recht – allgemein verbindlich geworden, sondern müssen in die Verträge über die Registrierung von Domainnamen inkorporiert werden. Hinzu kommt, dass die UDRP lediglich den kleinsten gemeinsamen Nenner aller nationalen Rechtsordnungen im 107 Weber Stephen Products Co. v. Armitage Hardware and Building Supply, Inc., 54 U. S. P. Q. 2d 1766 (N. D. Ill. 2000). 108 Voegli, Domainnamensystem, S. 193. 109 Enterprises, Inc. v. Planet Ref, Inc., No. 00-C-1391 (E:D: Wis. Jan. 24, 2001), http://www. loundy.com/CASES/Referee_Ent_v_Planet_Ref.html. 110 Jay D. Sallen J. D. S. Enterprises v. Corinthians Licenciamentos, U. S. Court of Appeal (1st Cir.); No. 01-1197. 111 Lehmkuhl, ZfR 23 (2002), S. 61, 73. 112 Es wurden bisher lediglich ca. 1 % der Panelentscheidungen angefochten. Vgl. die Nachweise unter http://www.udrplaw.net.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
Bereich des Markenrechtsschutzes ausdrückt. Es kann also weder davon die Rede sein, dass die UDRP autonom entstanden ist, noch dass es sich um einen spontanen Auswuchs der Praxis handelt. Nur die universelle Beachtung ist durch die notwendig hierarchische Struktur des DNS gewährleistet. Die UDRP enthält letztlich eine Anspruchsnorm zur Vermeidung von Cybersquatting. Man kann somit kaum von einer Normenordnung, sondern nur von einer punktuellen Regelung sprechen. Dagegen ist eingewandt worden, dass die URDP-Definition des Cybersquatting hochkomplexe Rechtsfragen involviert, die von den panels zwar unter Rückgriff auf „allgemeine Rechtsgrundsätze“, aber letztlich in autonomer Auslegung der URDP entschieden werden113. Auch bleibe der Ausgangspunkt der Konflikt zwischen Markennamen und Domainnamen. Über die autonome Interpretation des Begriffs des Markenrechts sowie der gegenläufigen Rechte und berechtigten Interessen als mögliche Rechtfertigungsgründe eröffne sich dem System „nahezu das gesamte rechtliche Imperium der rechtlichen Abwägung“114. Es verhält sich jedoch genau umgekehrt. Nicht die UDRP entwickelt sich zu einem eigenen System. An der Norm als solcher hat sich kaum etwas geändert, die Ausweitungen sind gering, es bleibt eine punktuelle Regelung. Aufgrund von Unsicherheiten bei der Anwendung musste diese Norm jedoch interpretiert werden. Dazu sind bestehende Rechtsordnungen, insbesondere die US-amerikanische Verfassung als Auslegungshilfe bzw. als Auslegungsbegrenzung hinzugezogen worden. Die Norm wurde also in ein System eingefügt. Die Prinzipien, mit denen sie interpretiert wurde – wie z. B. die freedom of speech – stammen aus staatlichen Rechtsordnungen. Wenn § 4 UDRP mit Hilfe dieser Prinzipien ausgelegt wird, fingiert man, dass § 4 UDRP ein Teil dieser Rechtsordnung ist. Die Norm selbst enthält aber weiterhin nur eine punktuelle Regel und bildet nicht selbst ein System. Auch werden nunmehr nicht alle Fälle mit Bezug zum Domainnamenrecht nach den UDRP-Regeln von den akkreditierten Schiedsgerichten entschieden. Vielmehr wird in Rechtsprechungsübersichten festgestellt, dass auch wenn der BGH inzwischen seltener Fälle zum Domainrecht entscheiden muss, die Instanzgerichte unverändert häufig mit marken- und namensrechtlichen Domainstreitigkeiten befasst sind115. Schließlich gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten mit Hilfe des deutschen Rechts gegen das Cybersquatting vorzugehen116 Es kann also nicht davon die Rede sein, dass die UDRP-Regeln in diesem Bereich allein entscheidend sind.
113 114 115 116
Callies, Verbraucherverträge, S. 272 ff. Calliess, Verbraucherverträge, S. 274. Härting/Reinholz, K & R 2006, S. 429. Vgl. die ausführliche Darstellung bei Voegli, Domainnamensystem, S. 209 ff.
3. Kap.: Die lex sportiva
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3. Kapitel
Die lex sportiva Der Sport ist lange Zeit relativ unbehelligt von staatlichen Rechtsordnungen geblieben. Das hat dazu geführt, dass der Bereich des Sports zwischenzeitlich als „rechtsfreier Raum“ gesehen wurde, indem zumindest alle Spielregeln der staatlichen Kontrolle entzogen seien1. Da der Sport aber einen hohen Regulierungsbedarf hat, die Regeln geradezu stilbildendes Merkmal sind2, entstanden eine Vielzahl von privaten Normenordnungen. Zusätzlich kristallisiert sich mit der Olympischen Charta eine Art Meta-Normenordnung für eine Vielzahl der Sportarten heraus. Die Vermutung, dass dieses Gebilde zusammengenommen eine lex sportiva bilden kann, liegt somit nahe.
1. Abschnitt
Gesellschaftliche Bedeutung des internationalen Sports Im Gegensatz zum Ursprung des modernen Sports als Zeitvertreib für die englische Oberschicht3 ist dieser zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen mit großer wirtschaftlicher Bedeutung geworden. So entfiel bereits 1995 1,5 % des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik Deutschland auf den Sport4, womit er einen ebenso großen Anteil hatte wie die Druckindustrie oder die Holz verarbeitende Industrie. 1990 waren 2 % aller Erwerbstätigen direkt oder im Umfeld des Sports beschäftigt5. Dies entspricht dem Beschäftigtenanteil der Chemischen Industrie oder des Kreditwesens. Für sportbezogene Waren und Dienstleistungen wurden 1995 36 Mrd. ausgegeben6, was einem Anteil von 1,8 % aller Käufe privater Konsumenten ausmacht und damit auf einer Stufe mit dem Kauf von Körperpflegemitteln oder Tabakerzeugnissen steht. Selbst wenn die Anteile nicht weiter wachsen, so verdeutlichen sie, welche wirtschaftliche Bedeutung der Sport hat7. Es ist also nur folgerichtig, dass sich auch die Rechtswissenschaft mit einem so wichtigen gesellschaftlichen Phänomen befasst. Angesichts der soeben geschilderten Bedeutung überrascht es, dass sich der Staat vergleichsweise spät, nämlich 1
Vgl. Pfister, Der rechtsfreie Raum des Sports, S. 457 ff. Pfister, Der rechtsfreie Raum des Sports, S. 457, 460. 3 Vgl. Gardiner et al., Sports Law, S. 31 ff. 4 9. Sportbericht der Bundsregierung, Bt. Drs. 591/99 v. 22.10.1999 (abgedruckt in SpuRt 2001, S. 60). 5 9. Sportbericht der Bundsregierung, Bt. Drs. 591/99 v. 22.10.1999, S. 27 f. 6 9. Sportbericht der Bundsregierung, Bt. Drs. 591/99 v. 22.10.1999, S. 30. 7 Eine ausführliche Darstellung der Bedeutung des Sports als Wirtschaftsfaktor bietet Nolte, Staatliche Verantwortung, S. 17 ff. 2
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
erst in den letzten 20 Jahren, damit eingehender beschäftigt hat. Bis dahin war der Sport sich selbst überlassen. Bestrebungen, diese Autonomie zu erhalten, erscheinen vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Bereits bei der Einordnung der Regeln des Sports in das nationale Rechtssystem gibt es Kontroversen über ihren angemessenen Platz8. So besteht keine Einigkeit darüber, ob von einem „Sportrecht“ – wie z. B. von dem Handelsrecht – gesprochen werden kann oder es sich bei solchen Fällen um normale zivilrechtliche Probleme handelt, bei denen die Parteien zufällig Sport betreiben9. Die Parallelen zur Diskussion der Internet Governance sind augenfällig. Betrachtet man es allein von dem Standpunkt der Gesetzgebung her, so ist ein spezifischer Begriff des Sportrechts nicht zu begründen. Es gibt nämlich – zumindest in Deutschland – kaum sportspezifische Gesetze. Allerdings liegen einige Besonderheiten vor, die den Begriff des Sportrechts rechtfertigen könnten. So ist die Organisationsstruktur der Sportverbände mit der de facto verpflichtenden Übernahme von Regelungen in die eigene Satzung kaum noch mit der Idee der Satzungsautonomie des BGB vereinbar10. Auch wird dem Sport eine „Werteautonomie“ zugeschrieben, was dazu führt, dass Regeln zur Abschwächung des Egoismus und des Erfolgsstrebens existieren, deren Verletzung mit spürbaren, direkten, rechtlich wirkenden Nachteilen anders als sonst in der Gesellschaft sanktioniert wird11. Letztlich soll in dieser Arbeit jedoch nicht die Frage interessieren, ob das Sportrecht ein besonderer Rechtsbereich ist, sondern ob es eine eigene Rechtsordnung mit verselbständigten Rechtsbildungsmechanismen und Institutionen darstellt12.
2. Abschnitt
Quellen Im Mittelpunkt einer lex sportiva stehen die Satzungen und Regelwerke der Verbände. Prinzipiell ist jeder Verband autonom und kann sein eigenes Regelwerk erlassen. Aufgrund der beschriebenen Hierarchie der Sportverbände sowie der notwendigen Einheitlichkeit des Regelwerks werden die Regeln tatsächlich von den internationalen Verbänden gesetzt. Die Verbände der niedrigeren Stufen sind dann de facto gezwungen, die beschlossenen Regeln – bei deren Entstehung sie allerdings aufgrund der Verflechtung zwischen den einzelnen Ebenen indirekt mitentscheiden können – zu übernehmen. Diese Regelwerke stehen natür8
Ausführlich dazu Vieweg, Normsetzung und -anwendung. Gardiner et al., Sports Law, S. 88 ff. 10 Reuter, Voraussetzungen und Grenzen, S. 53, 58 f. 11 Steiner, Autonomie des Sports, S. 222, 242. 12 Zu dieser Unterscheidung zwischen Sonderbereichsrechten und eigenständigen Rechtsregimes, vgl. Fischer-Lescarno/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 54 f. 9
3. Kap.: Die lex sportiva
131
lich im Mittelpunkt des Interesses. Hinzukommen für die olympischen Sportarten die Olympische Charta und der Welt-Anti-Doping-Code (WADA-Code). Letzterer wurde von Regierungen und Sportorganisationen auf der Welt Anti-Doping Konferenz im März 2003 beschlossen, wurde vom IOC am 4.7.2003 formell angenommen und ist am 1.4.2004 in Kraft getreten. Dieses Vertragswerk soll Grundlage für den weltweiten Kampf gegen Doping sein. Die Olympische Charta dient – zunehmend zusammen mit dem WADA-Code – innerhalb des internationalen Sports als eine Art Meta-Recht. So dient sie bei Schiedsverfahren im Rahmen der Olympischen Spiele zusammen mit allgemeinen Rechtsprinzipien als Auffangordnung (Art. 17 der Arbitration Rules for the Olympic Games). Auf die Anwendung von nationalem Recht wird in diesem Zusammenhang verzichtet.
3. Abschnitt
Einbeziehung des Regelwerks und praktische Bedeutung Für die Bestimmung der Einbeziehung der verbandlichen Regelwerke ist ein Blick auf die Organisation des internationalen (olympischen) Sports unerlässlich. Das Verbandssystem lässt sich am besten als streng hierarchisch gegliederte Pyramide beschreiben. An der Spitze dieser Pyramide steht das „Internationale Olympische Komitee“ (International Olympic Committee – IOC). Dieses hält nach eigener – allerdings nie ernsthaft bestrittener Ansicht – die Exklusivrechte an den Olympischen Spielen (Regel 7 der Olympischen Charta, OC). Damit hat das IOC ein Monopol auf die höchste Ebene des Wettkampfsports. Innerhalb der olympischen Bewegung gilt das Ein-Verbands-Prinzip. Das bedeutet, dass pro Sportart jeweils nur ein internationaler Spitzenverband sowie pro Nation nur ein Nationales Olympisches Komitee (NOK) anerkannt wird (Regel 29 OC). Dieses Prinzip gilt auch auf den niedrigeren Ebenen; so erkennen die internationalen Spitzenverbände auch jeweils nur einen nationalen Verband an. Dadurch entsteht eine Hierarchie-Pyramide innerhalb des Wettkampfsports: An der Spitze das IOC, darunter die internationalen Sportverbände, darunter die nationalen, danach eventuell bestehende regionale Sportverbände, schließlich die Sportvereine und auf der untersten Stufe steht der einzelne Athlet. Diese Pyramidenstruktur ermöglicht es, dass international die gleichen Regeln – festgelegt durch die Spitzenverbände – gelten, wodurch die für den Sport unverzichtbare Vergleichbarkeit der Leistungen erreicht wird13. Einem Sportverband, der gegen die olympischen Prinzipien oder den Doping-Code der WADA verstößt (diese also nicht anerkennt), droht gemäß Regel 23 OC der Ausschluss 13
Lehmkuhl, Verrechtlichung im transnationalen Sport, S. 179, 181.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
von den Olympischen Spielen. Die jeweiligen Wettkampfregeln haben somit universelle Geltung. Allerdings ist für ihre universelle Geltung notwendig, dass der einzelne Athlet ihnen auch unterworfen ist. Dieser ist jedoch in der Regel nur in seinem Verein Mitglied. Zur Einbindung des Athleten in das Regelwerk bestehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten14: Zum einen gibt es die sogenannte korporationsrechtliche Variante, wobei zwischen den Ebenen eine gegenseitige Verankerung der Wettkampfregeln in den jeweiligen Satzungen stattfindet. Die Bindung erfolgt also durch eine lückenlose Verankerung der Bestimmungen des Dachverbandes in den Satzungen der nachgeordneten Vereine und Verbände15. Der Athlet wird so durch seinen Verein mediatisiert. Problematisch kann es allerdings werden, wenn Änderungen beim Dachverband nicht umgehend von den Vereinen umgesetzt werden, was der Regelfall sein dürfte. Eine dynamische Verweisung ist aber wegen den §§ 21 und 71 BGB problematisch, weil Satzungsänderungen konstitutiv eine Eintragung ins Vereinsregister erfordern16. Zum anderen besteht die sogenannte rechtsgeschäftliche Variante. Demnach muss der Athlet, bevor er zu einem Wettkampf zugelassen wird, die geltenden Regeln vertraglich anerkennen17. Es wird sogar angenommen, dass durch reine Sportausübung außerhalb des privaten Bereichs, also etwa allein durch die Teilnahme an einem Wettlauf, eine Bindung an die Satzungen der jeweiligen Sportverbände entstehen kann18. Prinzipiell ist nach dem Vereinsrecht jede Ebene berechtigt, ihre eigenen Regeln durch die Annahme einer Satzung zu erlassen. Dabei können sich alle Mitglieder des jeweiligen Vereins oder Verbandes am Erlass dieser Satzung beteiligen. De facto werden aber die Regeln durch die Spitzenverbände und deren Mitglieder festgelegt. Die niedrigeren Ebenen haben in Folge der monopolistisch-hierarchischen Strukturen keine andere Wahl, als die Regeln zu übernehmen, denn eine Ausübung des Wettkampf- und Leistungssports ist außerhalb dieser Strukturen faktisch nicht möglich. Ebenso ist die vertragliche Anerkennung durch den Athleten für ihn unvermeidlich, will er an einem Wettkampf teilnehmen. Die praktische Bedeutung dieser Normenordnungen ist also außerordentlich hoch.
14
Ausführlich Heermann, NZG 1999, S. 325 ff. BGHZ 28, S. 131, 134; Reuter, in: MüKo-BGB, vor § 21, Rn. 122 ff.; Heermann, NZG 1999, S. 325; Vieweg, Normsetzung und -anwendung, S. 335 f. 16 BGHZ 128, S. 93, 100; Heermann, NZG 1999, S. 325, 326. 17 Vgl. zu den verschiedenen Formen Heermann, NZG 1999, S. 325, 327 ff. 18 BGHZ 128, S. 93, 101 f. 15
3. Kap.: Die lex sportiva
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4. Abschnitt
Streitschlichtungsverfahren Eine Besonderheit im Bereich der lex sportiva ist die Stellung des Court of Arbitration for Sport (CAS), der zunehmend als oberstes Sportgericht gesehen wird19. Im Gegensatz zu den beiden anderen Normenordnungen werden im Bereich des Sports ein Großteil der Fälle vom selben Schiedsgericht entschieden. Dabei handelt sich um ein „echtes“ Schiedsgericht, welches als unabhängig sowohl von den internationalen Spitzenverbänden20 als auch vom IOC21 gesehen wird.
I. Zuständigkeit des Court of Arbitration for Sport Die Zuständigkeit des CAS haben inzwischen alle olympischen und eine Vielzahl der nicht-olympischen Sportverbände anerkannt und in ihrer Satzung verankert. Insbesondere für Entscheidungen während und im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen ist der CAS ausschließlich zuständig (R 61 OC). Abgesichert ist diese Zuständigkeit, indem die entsprechende Bestimmung Teil der Athletenverpflichtung ist (Bye-law to R 45 Zif. 6 OC), die Voraussetzung für die Zulassung zu den Olympischen Spielen ist. Probleme traten lediglich bei Streitigkeiten auf, die gerade diese Zulassung betrafen. Die eigentlich vorgesehene Ad-hoc-Kammer musste sich für unzuständig erklären, jedoch entschied der CAS hilfsweise22. Zu dem System der vertraglichen Einbeziehung wird kritisch angemerkt, dass der Vertragsbegriff materiell völlig entleert würde, wenn man ihn für eine solch heterogene Erscheinung wie eine internationale Sportsatzung verwende23. Da die Unterwerfung der Athleten unter die Schiedsgerichtsbarkeit des CAS eine Zugangsvoraussetzung für die Olympischen Spiele ist, der Athlet also de facto keine andere Wahl hat, kann kaum von einer vertraglich begründeten Zuständigkeit gesprochen werden. Somit ist der Geltungsanspruch der Satzung derart dominant, dass er sämtliche Handlungsweisen überwölbt. Bei einer natürlichen Betrachtungsweise deutet wenig auf tausende einzelne Teilnahmeverträge hin. Allerdings lässt sich der Zwang zu einer Gerichtsstandsvereinbarung durch sachliche Gründe rechtfertigen. Für den Sport wirkt das besondere Bedürfnis nach einer vergleichsweise schnellen endgültigen Entscheidung durch eine spezialisierte Gerichtsbar19
Gardiner et al., Sports Law, S. 232 ff. Entscheidungen des Schweizerisches Bundesgericht, 119. Band, II. Teil, S. 271. 21 Schweizerisches BG, Urteil vom 27.5.2003, SpuRt 2004, S. 38; siehe auch OLG München SpuRt 2001, S. 64, 65. 22 CAS OG 02/003; CAS OG 02/005. 23 Summerer, Internationales Sportrecht vor dem staatlichen Richter, S. 118 f. 20
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
keit rechtfertigend24. Im Übrigen gilt in Deutschland die „Freiwilligkeit“ nicht als Kriterium für die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen im Bereich des Sports25. Eine weitere Aufwertung hat der CAS unlängst durch die Verabschiedung des WADA-Codes erfahren. Darin ist durch Art. 13.2.1 eine ausschließliche Zuständigkeit des CAS für Dopingfälle vorgesehen, die während internationaler Wettkämpfe aufgetreten sind oder bei denen International Level Athletes beteiligt waren. Es ist also zu erwarten, dass der CAS noch mehr Dopingfälle als bisher zu entscheiden haben wird. Daneben wurde durch den Code die besondere Stellung des CAS als oberstes Gericht des internationalen Sports auch von den Staaten indirekt durch die Zuständigkeitsregelungen anerkannt.
II. Entwicklung des CAS Der CAS wurde 1984 vom IOC zur Schlichtung aller Streitigkeiten mit Sportbezug gebildet. Zunächst wiesen die Statuten dem IOC eine beherrschende Rolle zu. So konnte der IOC-Exekutivrat allein über die Statutenänderung entscheiden; der IOC-Präsident spielte eine herausragende Rolle bei der Richterauswahl, und die Kosten der Streitverfahren wurden ausschließlich vom IOC getragen. Eine Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts26 bot 1993 Anlass zu umfänglichen Reformen. Anfang 1992 war ein Urteil des CAS, in dem dieser nicht die durch den Weltreiterverband (FEI) verhängte Dopingsperre eines Springreiters komplett, sondern nur teilweise aufgehoben hatte27, von eben diesem Springreiter vor dem Schweizerischen Bundesgericht angefochten worden. Begründet wurde die Klage mit der fehlenden Unabhängigkeit des CAS, weil dieser durch das IOC finanziert werde. Das Schweizerische Bundesgericht entschied 1993, den CAS als Schiedsgericht im Sinne des New Yorker UN-Übereinkommen vom 10. Juni 1958 anzuerkennen. Insbesondere sei das Schiedsgericht in dem konkreten Fall neutral und unabhängig. En passant machte es aber deutlich, dass die Entscheidung anders hätte aussehen können, wenn das IOC Partei eines Schiedsverfahren gewesen wäre. In diesem Fall wäre die Unabhängigkeit des CAS wegen der organisatorischen Nähe zum IOC zweifelhaft. Infolge dieser Entscheidung wurden substanzielle Veränderungen vorgenommen, um die Unabhängigkeit des CAS und die damit verbundene Anerkennung seiner Entscheidungen in allen Fällen zu gewährleisten. Insbesondere ist das IOC nicht mehr direkter Träger des CAS. Allerdings ist es immer noch zu einem Drittel am International Council of Arbitration for Sport (ICAS) beteiligt, welches 24 25 26 27
Schweizerisches BG, Urt. v. 22.3.2007 SpuRt 2007, S. 113, 115 f. Monheim, Sportlerrechte und Sportgerichte, S. 153 ff. Entscheidungen des Schweizerisches BG, 119. Band, II. Teil, S. 271. CAS 91/53 Nr. 11, Reeb, Digest, S. 79 ff.
3. Kap.: Die lex sportiva
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die Schiedsrichter ernennt. Diese Verbindung führte dazu, dass die Unabhängigkeit des CAS 2002 ein zweites Mal bestritten wurde. Diesmal waren es zwei russische Langläuferinnen, die 2002 bei den Olympischen Winterspielen von Salt Lake City des Dopings überführt und vom Internationalen Ski Verband (FIS) für zwei Jahre gesperrt worden waren. Da ihr Einspruch vor dem CAS erfolglos blieb, bestritten sie vor dem Schweizerischen Bundesgericht die Unabhängigkeit des CAS. Dieser Klage wurde nicht stattgegeben, sondern das Schweizerische Bundesgericht stellte fest, dass der CAS die notwendige Unabhängigkeit und Überparteilichkeit besäße, und zwar auch, wenn das IOC Partei eines Verfahrens sei28. Inzwischen hat auch der EuG den CAS als finanziell und organisatorisch „unabhängig vom IOC“ bezeichnet29.
III. Aufbau des CAS Träger des CAS ist das 1994 gegründete International Council of Arbitration for Sport (ICAS), eine Stiftung nach Schweizer Recht. Das ICAS setzt sich aus 20 Mitgliedern zusammen, die nach Statut 4 der Statutes of the Bodies Working for the Settlement of Sports-related Disputes (S 4) wie folgt ausgewählt werden: vier werden von den Verbänden der internationalen Sportverbände (drei von den Sommersportarten, einer von den Wintersportarten) ausgewählt, vier durch die Vereinigung der Nationalen Olympischen Komitees, vier vom IOC; diese zwölf Mitglieder suchen unter besonderer Beachtung der Interessen der Sportler weitere vier Mitglieder aus; diese sechzehn Mitglieder wählen wiederum vier unabhängige Mitglieder aus. Die Mitglieder sollen hochqualifizierte Juristen sein und besondere Kenntnisse entweder des Sportrechts oder der internationalen Streitschlichtung besitzen. Sie werden für jeweils vier Jahre gewählt; eine Wiederwahl ist möglich. Das ICAS wird jeweils zu einem Drittel vom IOC, den internationalen Sportverbänden sowie der Vereinigung der Nationalen Olympischen Komitees finanziert. Weitere finanzielle Unterstützung erfolgt durch einige internationale Spitzenverbände. Aufgabe des ICAS ist es, den CAS zu verwalten und zu finanzieren. Besondere Bedeutung kommt der Möglichkeit zur Satzungsänderung des CAS, der Auswahl der Richter und der Einrichtung von Ad-hoc-Schiedsgerichten zu. Dazu stellt das ICAS alle vier Jahre eine geschlossene Liste von Schiedsrichtern für den CAS auf. Auch bei diesen muss es sich um qualifizierte Juristen mit einer gewissen Nähe zum Sport und/oder zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit handeln. Die Liste der Schiedsrichter soll mindestens 150 Namen enthalten, die wie die Mitglieder des ICAS zu je 1/5 aus den verschiedenen Bereichen kommen und die gleichmäßig aus den verschiedenen Regionen und juristischen Traditionen stammen 28 29
Schweizerisches BG, Urteil vom 27.5.2003, SpuRt 2004, S. 38. EuG T 313/02 (Meca-Medina und Majcen), SpuRt 2005, S. 20 ff.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
sollen (S 14). Die gewählten Schiedsrichter müssen eine Unabhängigkeitserklärung unterzeichnen.
IV. Verfahren des CAS Es gibt vier verschiedene Verfahrensarten beim CAS: das ordentliche Verfahren (Procedual Rules R 38 – R 46), das Berufungsverfahren (R 47 – 59), das Ad-hocVerfahren sowie die Mediation (R 60 – 62). Im Rahmen des ordentlichen Verfahrens werden alle Streitigkeiten mit Bezug zum Sport entschieden. Es handelt sich in erster Linie um wirtschaftliche Streitigkeiten, so dass es im Vergleich zu anderen Schiedsgerichten kaum Besonderheiten aufweist. Der Großteil der Anträge zielt auf ein Berufungsverfahren. In diesem können Entscheidungen von Sportverbänden, also insbesondere auch Disziplinarstrafen, überprüft werden. Denselben Gegenstand haben die Ad-hoc-Verfahren. Sie werden nach besonderen Regeln seit den Olympischen Spielen von Atlanta bei Großveranstaltungen, also insbesondere bei den Olympischen Spielen, aber auch bei den Commonwealth Games oder den Fußball Europameisterschaften, eingerichtet. Ziel des Ad-hoc-Verfahrens ist es, innerhalb von 24 Stunden eine Entscheidung zu treffen, damit keine Verzögerungen bei den Wettbewerben eintreten. Schließlich sind noch Regeln für die Mediation vorgesehen, die aber im Rahmen dieser Untersuchung nicht interessieren. Zusätzlich zu diesen kontradiktorischen Verfahren können auch Anträge auf ein Gutachten zu einer bestimmten Frage gestellt werden. Allerdings gibt es nur wenige Antragsberechtigte, so dass die Gutachten nur einen geringen Teil der Arbeit des CAS ausmachen30.
5. Abschnitt
Materieller Gehalt Die wichtigste Entscheidungsgrundlage für den CAS und damit zentraler Bestandteil einer lex sportiva sind die Satzungen und Regelwerke der jeweiligen Verbände. Bei diesen handelt es sich um technische und für die jeweilige Sportart sehr ausdifferenzierte Regelungen. Aufgrund dieser Nähe zu einer Sportart kann man insofern nicht von einer einheitlichen lex sportiva sprechen. Trotzdem müssen die speziellen Regelwerke dazu gerechnet werden, weil ansonsten in den Streitfällen keine Entscheidung möglich wäre. Sie werden zusammengehalten durch eine Reihe von Prinzipien, die im Folgenden dargelegt werden. Diese Prinzipien sind zum Teil in den Regelwerken selbst oder in der Olympischen Charta angelegt. Sie konkretisieren sich durch die Entscheidungen des CAS und bilden sozusagen 30 Im Zeitraum von 2000–2004 wurden 6 Gutachten beantragt im Verhältnis zu 578 Anträge auf einen Schiedsspruch.
3. Kap.: Die lex sportiva
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die Klammer, die die einzelnen Regelwerke der Verbände zusammenhält und sie so zu einem mehr oder minder einheitlichem Ganzen macht, dem man den Namen lex sportiva geben kann.
I. Kontrolle von Schiedsrichterentscheidungen Die Überprüfung und eventuelle Aufhebung von zweifelhaften Schiedsrichterentscheidungen wird von der Öffentlichkeit mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Der CAS hält dabei grundsätzlich daran fest, dass Schiedsrichterentscheidungen nur in Ausnahmefällen überprüft werden. Der leading case zu dieser Haltung ist Mendy v. Association Internationale de Boxing Amateur31. Die Kammer lehnte es ab, die Disqualifikation eines Boxers aufgrund eines strittigen Schlages unter die Gürtellinie zu überprüfen. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass es sich um eine technische Entscheidung handele, für die der Ringrichter kompetenter gewesen sei. Des Weiteren stützte es sich auf eine vergleichbare Entscheidung eines Schweizer Gerichts, das eine Störung des Spiels durch Rechtsmittel verhindern wollte. Die Entscheidungen von Schiedsrichtern werden also als endgültig angesehen, Fehlentscheidungen sind Bestandteil des Spiels. Eine Ausnahme wird nur gemacht, sofern die Entscheidung willkürlich bzw. offensichtlich falsch ist oder andere allgemeine Prinzipien des Rechts verletzt werden32. Eine Definition für Willkür im Einzelfall hat der CAS bisher nicht geleistet, stattdessen hat er sich darauf zurückgezogen, dass Willkür ohne weiteres erkennbar sei33. Nicht notwendig von dieser Autonomie erfasst sind Fehlentscheidungen wegen mangelhaften technischen Geräts34. Eine genaue Ausdifferenzierung dieses Gedankens konnte jedoch unterbleiben, da die betroffene bulgarische Ruderin keine ausreichenden Beweise für die Mangelhaftigkeit der Zeitmessung beibringen konnte. Auch besteht keine Autonomie für Schiedsrichterentscheidungen, wenn es um die Zuständigkeit für eine Entscheidung geht35. So hatte der Rennschiedsrichter nach einer Kollision zweier Teilnehmer eine Wiederholung des Laufes angeordnet, wie es in den Regeln vorgesehen war. Allerdings war in den Regeln auch vorgesehen, dass ausschließlich der Startrichter eine Wiederholung anordnen konnte. Da dieser es unterlassen hatte, wurde der erste Lauf vom CAS für gültig erklärt.
31 32 33 34 35
CAS OG Atlanta 96/006, Reeb, Digest, S. 413 ff. CAS OG Atlanta 96/006, Reeb, Digest, S. 413, 415, § 13/14. CAS OG Salt Lake City 02/007. CAS OG Sydney 00/12. CAS 00/A/305.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
Ähnlich entschied der CAS im Fall Hoy. Dort wurde die Entscheidung der Berufungskammer des Weltreiterverbandes mit der Begründung aufgehoben, dass dieses unzuständig sei, da es sich nicht um eine Frage der Regelinterpretation handele36. Auch eine Disziplinarstrafe der UEFA gegen den RSC Anderlecht hob der CAS auf, da die Maßnahme von dem Exekutivkomitee ausgesprochen wurde und nicht von dem eigentlich zuständigen Rechtskomitee, welches sich wegen Verjährung mit dem Fall nicht mehr befassen durfte37. Es zeigt sich, dass der CAS in diesem Bereich einen sehr formalen Ansatzpunkt wählt. Solange der zuständige Schiedsrichter entscheidet, wird nur der technische, nicht aber der menschliche Irrtum korrigiert. Der Ausnahmefall der willkürlichen oder absichtlich falschen Entscheidung, in dem eine Schiedsrichterentscheidung auch aus materiellen Gründen aufgehoben werden könnte, musste bisher nicht entschieden werden38. Begründet wird dieser formale Ansatz mit dem Hinweis auf bestehende internationale Gewohnheiten39. So wird auch ein nationales Gericht die Wertung eines Experten oder eines Expertengremiums nur in besonderen Fällen aufheben40. Allerdings handelt es sich bei Schiedsrichterentscheidungen letztendlich um Tatsachenfragen. Ob der Ball hinter der (Tor-)Linie lag oder der Schlag unter die (Gürtel-)Linie ging, lässt sich heute mittels Fernsehkameras meistens eindeutig klären. Die Ad-hoc-Kammer machte in dem Mendy-Schiedsspruch zwar geltend, weniger gut platziert gewesen zu sein als der Schiedsrichter41; in der Regel dürfte sie aber in der Lage sein, sich mittels Fernsehbildern ein weit besseres Bild von der Situation zu machen. Die ablehnende Haltung des CAS im Hinblick auf die Überprüfung von Schiedsrichterentscheidungen dürfte in erster Linie vielmehr dadurch begründet sein, dass ständige Spielunterbrechungen wegen der Suche nach richterlichem Beistand verhindert werden sollen42. Nicht in dieses Bild passt eine frühe Entscheidung des CAS, in der ein Wiederholungsspiel angeordnet wird, weil eine Fehlentscheidung des Schiedsrichters das Ergebnis beeinflusst hat43. Ein Unterlassen soll demnach zu Schadensersatzpflicht führen können. Da weder das Ergebnis noch die Begründung zu überzeugen ver-
36
CAS OG Athen 04/007. CAS 98/185. 38 Es war zwar ein solcher anhängig, bei dem es darum ging, dass ein Preisrichter im Eiskunstlauf absichtlich falsch entschieden hatte, um im Gegenzug dem eigenen Paar Vorteile zu verschaffen. Bevor die Ad-hoc-Kammer diesen Fall entscheiden musste, wurde er von den zuständigen Exekutivorganen durch die Verleihung einer zweiten Goldmedaille „gelöst“. 39 CAS OG Atlanta 96/006, Reeb, Digest, S. 413 ff. 40 Vgl. die Figur des Beurteilungsspielraums im Verwaltungsrecht. 41 CAS OG Atlanta 96/006, Reeb, Digest, S. 413, 415 § 13. 42 CAS OG Atlanta 96/006, Reeb, Digest, S. 413, 415 § 13. 43 CAS 93/103 Reeb, Digest, S. 103. 37
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mögen44, könnte es sich um eine Entscheidung handeln, der keine präjudizielle Bedeutung zukommt.
II. Stellung der Verbände Der CAS überprüft die Entscheidungen der Verbände nach eigenen Angaben im vollen Umfang sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht45. Damit ist die Inhaltskontrolle des CAS im Gegensatz zu den nationalen Gerichten nicht beschränkt. Er bestimmt durch seine Entscheidungen, wie viel Autonomie die Verbände innerhalb des Sportsystems haben. Darüber hinaus muss der CAS die Probleme lösen, die sich im Verhältnis zwischen den Verbänden ergeben.
1. Grundsatz: Autonomie der internationalen Verbände Der CAS hat den Sportverbänden in bestimmten Bereichen weitgehende Entscheidungsautonomie zugebilligt. So hat er festgestellt, dass die Verbände berechtigt sind, Disziplinarstrafen wegen eines Regelverstoßes zu verhängen, auch wenn diese individuelle Rechte berühren46. Der CAS kann nur eingreifen, wenn die Regeln „gegen die allgemeinen Prinzipien des Rechts verstoßen oder willkürlich sind, oder die Strafen offensichtlich unverhältnismäßig und unfair sind“47. Dieser Schiedsspruch ist Ausdruck der Überzeugung, dass sportliche Entscheidungen am besten von denen getroffen werden, die das erforderliche sachliche Wissen haben. Dies kommt in einem Fall zum Ausdruck, in dem der CAS die Zulassung von neuen Ganzkörperschwimmanzügen einer bestimmten Marke durch die FINA überprüfen sollte48. Der CAS machte deutlich, dass, solange der Verband die selbst gesetzten Regeln befolgt und die minimalen Anforderungen des ordnungsgemäßen Verfahrens beachtet, die Entscheidungen nicht überprüft werden können. Befolgt ein Verband seine eigenen Regeln allerdings nicht, so erklärt der CAS die Regeländerung für unzulässig49. Es wird vertreten, dass diese Haltung gegenüber den Verbänden wesentlich über den bereits erwähnten Mendy Schiedsspruch hinausgeht50. Anders als bei Schiedsrichterentscheidungen besteht bei Verbandsentscheidungen kein besonderes – sich aus dem Charakter des Sports ergebendes – Bedürfnis, eine einmal getroffene Entscheidung als endgültig anzusehen. Nach Ansicht des CAS sollen ordnungs44 45 46 47 48 49 50
Pfister, SpuRt 2002, S. 177, 178. CAS 98/211; 99/A/252. CAS 96/157, Reeb, Digest, S. 351 ff. CAS 96/157, Reeb, Digest, S. 351, 358 f., § 22. CAS 00/C/267. CAS 03/C/45. Foster, ESLJ 2003, S.1, 6.
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gemäße Entscheidungen privater Organisationen nur in Ausnahmefällen von deren Mitgliedern angefochten werden können.
2. Vorrangstellung der internationalen Sportverbände Ein wichtiges Prinzip, nach dem der CAS handelt, ist die Vorrangstellung der internationalen Sportverbände gegenüber den nationalen und die damit verbundene Autorität, die Entscheidungen der nationalen Verbände zu überprüfen. Dadurch wird eine Harmonisierung der Regeln und deren Interpretation erreicht. Auch wird der Gefahr vorgebeugt, dass nationale Verbände gegenüber eigenen Athleten zu nachsichtig sind. Zwar ist die Vorrangstellung der internationalen Verbände in der Regel bereits Bestandteil der jeweiligen Satzungen, der CAS ist jedoch bereit, es als ein vorrangiges Prinzip durchzusetzen51. Deutlich wird diese Einstellung in einem Fall, der einen dänischen Radfahrer betraf52. Dieser war des Dopings überführt worden und wurde vom dänischen Verband für zwei Jahre von allen inner-dänischen Rennen ausgeschlossen, vom internationalen Verband (UCI) jedoch nur für ein Jahr. Die Frage war, ob das NOK von Dänemark den Radfahrer für die zwei Jahre auch von den internationalen Wettkämpfen ausschließen konnte. Dem widersprach der CAS und stellte fest, dass NOK kein richterliches Monopol über ihre Athleten haben, die am internationalen Sport teilnehmen. Betont wurde dieses Prinzip in zwei Entscheidungen bei den Olympischen Spielen in Sydney53. Der CAS nahm an, dass der internationale Leichtathletikverband (IAAF), der zu diesem Zeitpunkt in seinen bye-laws die Zuständigkeit des CAS noch nicht anerkannt hatte, durch die Teilnahme an den Olympischen Spielen und die Olympische Bewegung trotzdem der Schiedsgerichtsbarkeit des CAS unterworfen sei. Die Kammer stützte sich dabei auf Regel 29 der Olympischen Charta, wonach die Satzungen, Praktiken und Aktivitäten der teilnehmenden Verbände in Einklang mit der Olympischen Charta stehen müssen. Also hatte die IAAF durch ihre Teilnahme stillschweigend die Zuständigkeit des CAS nach Regel 74 der Olympischen Charta akzeptiert. Gleichzeitig konnte somit auch das IOC und nicht die IAAF die endgültige Entscheidung treffen, ob eine dopingbelastete Athletin starten durfte54. Bei einer anderen Ausgangslage hat der CAS allerdings die Stellung der internationalen Verbände gegenüber dem IOC gestärkt55. Die Dopingsperre eines lettischen Bobfahrers lief kurz vor den Olympischen Winterspielen von Salt Lake City 51 52 53 54 55
Foster, ESLJ 2003, S. 1, 11. CAS 98/192. CAS OG Sydney 00/006; CAS OG Sydney 00/015. CAS OG Sydney 00/015. CAS OG 02/001.
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ab. Das IOC widerrief die bereits gewährte Akkreditierung mit der Begründung, die Strafe sei zu kurz bemessen. Diese Entscheidung hob der CAS unter dem Verweis auf die Autonomie der Verbände bei der Sanktion von Dopingvergehen auf. In einem obiter dictum empfahlen jedoch die Schiedsrichter einen Ausbau der Möglichkeiten (z. B. durch ein Berufungsrecht zum CAS) für das IOC, gegen zu laxe Strafen durch die internationalen Verbände vorzugehen. Ausführlich zu den damit verbundenen Problemen, insbesondere hinsichtlich von Dopingsperren, hat der CAS in einem Gutachten Stellung genommen56. Dabei wird die konkurrierende Zuständigkeit des IOC, der internationalen und der nationalen Verbände sowie der NOKs beim Erlass von Anti-Doping-Regeln bestimmt. Die Art der Abgrenzungen der verschiedenen Zuständigkeiten zwischen den Sportverbänden der Olympischen Bewegung erinnert Pfister an „eine Art Bundesstaat mit konkurrierender Gesetzgebung“57. Dem CAS schwebt wohl diesbezüglich eine andere – stärker verzahnte – Konstruktion der verschiedenen Ebenen vor. Dies zeigt sich auch in einem anderen Gutachten, in dem der CAS betont, dass alle Teilnehmer an Wettbewerben mit Unterstützung des IOC an die Doping-Regeln desselben gebunden sind, während andere Regeln nur subsidiär sind58. Insgesamt ist der CAS bemüht ist einen Ausgleich zwischen der grundsätzlichen Autonomie der Verbände und der erforderlichen hierarchischen Ordnung zu schaffen.
III. Schutz der Athletenrechte Wesentlich für die Tätigkeit des CAS ist der Schutz der Athleten vor der monopolistischen Verbandsmacht.
1. Anforderungen an die Regeln Auch wenn die Verbände in ihren Entscheidungen grundsätzlich autonom sind, so überprüft der CAS doch, ob sie bei der Entscheidungsfindung, insbesondere bei disziplinarischen Maßnahmen, bestimmte Regeln eingehalten haben. Der CAS sieht sich dabei als berechtigt an, die Entscheidungen eines Verbandes im Hinblick auf dessen Satzung, dessen Gewalt über den einzelnen Athleten, der Befolgung der Prinzipien des Vertrauensschutz und des allgemeinen Vertragsrechts sowie der Einhaltung des fairen Prozesses zu kontrollieren59. 56 57 58 59
CAS 94/128 Reeb, Digest, S. 495 ff. Pfister, SpuRt 2003 S. 7, 9. CAS 95/144 Reeb, Digest, S. 523 ff. CAS 00/C/267.
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a) Eindeutige Regelungen Das Prinzip der Eindeutigkeit von Regeln kam zur Anwendung, als der CAS eine Disqualifikation des Gewinners der olympischen Goldmedaille beim Snowboard wegen eines positiven Dopingbefundes von Marihuana aufhob60. Der CAS wies daraufhin, dass bei den Olympischen Winterspielen Marihuana nur verboten war, wenn sich das IOC mit dem jeweiligen internationalen Verband ausdrücklich darauf verständigt hatte. Mangels einer solchen Absprache bestand keine Möglichkeit, den Athleten deswegen zu disqualifizieren. Ähnlich war bereits in einem vorangegangenen Fall entschieden worden. Hier weigerte sich der CAS, bei einem Dopingvergehen von der ansonsten üblichen strict liability auszugehen, weil diese keine eindeutige Grundlage in den Verbandsregeln hatte61. Weder kann der Verband sich auf eine allgemeine Sanktionenpraxis berufen, noch kann der CAS ein Dopingvergehen allein durch seine Rechtsprechung schaffen. Ebenso legte der CAS im Fall Young die Sanktionsregelung restriktiv aus62. Obwohl dem Sportler die Einnahme von Doping nachgewiesen werden konnte, wurde das Ergebnis der US-Staffel, deren Mitglied er in Vorlauf und Halbfinale gewesen war, nicht annulliert, weil diese Sanktion nicht ausdrücklich vorgesehen war. Eine Einzelfallentscheidung blieb es somit, dass der CAS als Rechtsgrundlage für eine Strafe eine Formulierung in der Einleitung des medical code genügen ließ63. Der CAS geht dabei grundsätzlich von den zum Zeitpunkt des Vergehens geltenden Regelungen aus. Allerdings greift der CAS auf spätere Regelungen zurück, wenn diese für den Athleten günstiger sind (lex mitior-Prinzip)64. Dieses Prinzip wurde dem Strafrecht entlehnt und wird aufgrund seiner allgemeinen Geltung vom CAS angewandt65.
b) Regelinterpretation Die rechtliche Interpretation von zweifelhaften Regeln ist eine der Hauptaufgaben des CAS. So gab der CAS der Klage eines Athleten statt, dem eine Silbermedaille bei einer Weltmeisterschaft aberkannt worden war, weil er sieben Tage vor dem Wettkampf positiv auf Doping getestet worden war66. Die Kammer folgte der Argumentation des betroffenen Athleten, dass die Regeln des Verbandes nur eine Disqualifikation erlauben, wenn während des Wettkampfes positiv getestet 60 61 62 63 64 65 66
CAS OG Nagano 98/002, Reeb, Digest, S. 435 ff. CAS 94/129, Reeb, Digest, S. 187. CAS 04/A/725. CAS 95/122, Reeb, DigestS. 173, 178. CAS 96/149, Reeb, Digest, S. 251 ff.; 99/A/234 & 99/A/325. CAS 94/128, Reeb, Digest, S. 495 ff. CAS 99/A/230.
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wird. Der CAS macht damit deutlich, dass Sanktionsvorschriften sowohl vom Verband als auch vom CAS selbst eng interpretiert werden müssen. Das Fehlen einer ausdrücklichen Regel lässt jedoch eine Verbandsentscheidung nicht notwendig willkürlich werden67. Grundsätzlich soll die Regelinterpretation eines Verbandes jedoch eine Frage des Rechts sein, so dass sie erst durch den CAS bindend vorgenommen werden kann68.
c) Transparenz und objektive Kriterien Die Notwendigkeit von transparenten Entscheidungen und der vorherigen Festlegung von objektiven Kriterien wird besonders in Fällen deutlich, in denen es um die Nominierung von Athleten für die Olympischen Spiele geht. Der CAS hat in mehreren Fällen entschieden, dass Nominierungskriterien im Vorfeld klar und deutlich sein müssen. Sofern sich der betreffende Verband nicht an die angekündigte Prozedur hält69 oder durch eine Vorselektion besondere Erwartungen weckt70, wurde der Ausschluss der betroffenen Athleten erfolgreich angefochten. Allerdings steht es einem Verband frei, über die objektiven Selektionskriterien hinaus eigene subjektive Entscheidungen zu treffen, wenn die Anzahl der qualifizierten Athleten die vom Verband selbst gewünschte Zahl überschreitet71. Der CAS betont dabei nochmals, dass die Verbände offen und fair im Vorfeld über die Selektionskriterien informieren müssen.
2. Prozessuale Fairness Die Notwendigkeit für Sportverbände, den Regeln eines fairen Prozesses zu folgen, wird als eine der wichtigen Konstanten in den Entscheidungen des CAS gesehen72. Der CAS hat deutlich gemacht, dass „unter seiner Rechtsprechung die Prinzipien der prozessualen Fairness sicherlich unter den ungeschriebenen Prinzipien des Sportrechts sind, die von den internationalen Verbänden befolgt werden müssen“73. Zusätzlich hat der CAS in einem obiter dictum ausgeführt, dass er sich als berechtigt ansieht, Verbandsregeln aufzuheben, wenn die Entscheidungsgremien einen Mangel an Redlichkeit zeigen oder den Voraussetzungen der Rechtsstaatlichkeit nicht genügt wird74. Trotzdem hat es bisher kaum Schiedssprüche 67 68 69 70 71 72 73 74
CAS OG 02/002. CAS OG 02/002 ; CAS OG 04/001. CAS 00/A/260; CAS 00/A/282. CAS 96/153, Reeb, Digest, S. 335 ff. CAS 00/A/278. Foster, ESLJ 2003, S. 1, 9. CAS 98/200. CAS OG 04/009.
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gegeben, in denen auf dieser Grundlage eine Verbandsentscheidung aufgehoben worden ist. Es bleibt somit fraglich, welcher Grad der Verletzung erreicht werden muss. Insofern scheint schon die Existenz des CAS den – nicht gering zu schätzenden – Vorteil nach sich zu ziehen, dass den Minimalanforderungen an einen fairen Prozess durch die internationalen Sportverbände genüge getan wird75. So hat der CAS betont, dass das Recht auf Gehör ein wesentliches Merkmal des ordentlichen Prozesses ist, welches bei einer Verletzung dem CAS erlaubt, den Fall neu zu hören76. Da diese Anhörung im Rahmen des Verfahrens allerdings (ähnlich wie im Verwaltungsrecht) heilende Wirkung hat, ist allein auf dieser Grundlage noch keine Entscheidung aufgehoben worden. In einem Fall wurden Athleten von ihrem NOK aus dem Olympischen Dorf ausgesperrt. Die Klage dagegen hatte zunächst Erfolg, da nach R 49 OC der Entzug der Akkreditierung der Zustimmung des Executive Boards (EB) bedarf77. Nachdem das NOK die erforderliche Zustimmung erhalten hatte, hatte jedoch auch eine erneute Klage Erfolg, da weder das NOK noch das EB die Betroffenen von dem drohenden Entzug informiert und sie dazu gehört hatten78. Dabei wurde der Grundsatz sowohl als allgemeines Rechtsprinzip gesehen als auch aus dem fair play-Gebot der Olympischen Charta abgeleitet. Insbesondere konnte das rechtliche Gehör nicht – wie sonst79 – im Prozess nachgeholt werden, da es sich um eine Ermessensentscheidung des EB gehandelt hatte. Ansonsten hat der CAS bisher die Gültigkeit von Verbandsregeln nicht am Maßstab des materiellen Rechts überprüft. In diesem Bereich hat er lediglich Zweifel geäußert80.
3. Einzelfallgerechtigkeit Eine Hauptaufgabe des CAS ist es, für Einzelfallgerechtigkeit zu sorgen. Das wird besonders deutlich in der Abkehr von der automatisch festen Strafe bei Dopingvergehen. Die Wahrung der Interessen der Athleten wird dabei als fundamental angesehen81. Darüber hinaus beachtet der CAS die Prinzipien des Vertrauensschutzes.
75 76 77 78 79 80 81
Foster, ESLJ 2003, S. 1, 10. CAS 01/A/317. CAS OG 96/002 Reeb, Digest, S. 389 ff. CAS OG 96/005 Reeb, Digest, S. 397 ff. Z. B. CAS 91/53 Nr. 11 Reeb, Digest, S. 79 ff. CAS 95/142, Reeb, Digest S. 225 ff.; CAS 94/129, Reeb, Digest S. 187 ff. CAS 01/A/317.
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a) Angemessene Sanktionen Der CAS hat mehrfach die früher üblichen starren Strafen bei Dopingvergehen kritisiert und deren Rechtfertigung bezweifelt82. Zum Teil behielt er sich unter Berufung auf das eigene Fallrecht vor, dieses System der starren Strafen zu modifizieren, damit die Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt werden konnten83. Damit weicht er jedenfalls in Einzelfällen von seinem sonstigem formalen Ansatz ab, um die Angemessenheit von Strafen sicherzustellen und diese in Ausnahmefällen zu reduzieren. Für die Beurteilung der Angemessenheit von Sanktionen achtet der CAS verstärkt auf die Saisonbedingtheit von Sperren. So hat er die Sperre eines Radfahrers von 6 auf 9 Monate angehoben, da dieser ansonsten nur während der hauptsächlich wettkampffreien Wintermonate gesperrt gewesen wäre84. Auf den gleichen Gedanken baut eine Verkürzung der Sperre für einen Springreiter von 8 auf 6 Monate auf, da dieser ansonsten nicht am Qualifikationswettkampf für die Olympischen Spiele hätte teilnehmen können, so dass sich die Sperre de facto für mehr als die 8 Monate ausgewirkt hätte85. Dieses Vorgehen kann als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips gesehen werden, welches der CAS auch bei anderer Gelegenheit angewandt hat86. Anlass war die Frage, ob zwei Fußballvereine, die denselben Eigentümer haben, im internationalen Wettbewerb gegeneinander antreten dürfen. Der CAS hatte zunächst die weniger restriktive Alternative in Erwägung gezogen, um der Gefahr von Ergebnisabsprachen vorzubeugen. Erst danach hat er entschieden, dass die ergriffenen Maßnahmen nicht unangemessen waren.
b) Vertrauensschutz Das allgemeine Rechtsprinzip des Vertrauensschutz wendet der CAS auf die Entscheidungen von Verbänden an. Er nimmt an, dass sich ein Verband durch eine regelmäßige Interpretation seiner Regeln an eben diese Interpretation selbst bindet und sie nicht ohne vorherige Ankündigung ändern kann. So musste bei den Olympischen Spielen von Atlanta ein Schwimmer auch nach Ablauf der Meldefrist zu einem Wettkampf zugelassen werden, da das IOC die Meldefristen zugunsten weniger gut organisierter Verbände nicht strikt gehandhabt wurden87.
82 83 84 85 86 87
CAS 97/180. CAS 98/214 ; 95/150, Reeb, Digest, S. 265 ff.; 92/73, Reeb, Digest, S. 153 ff. CAS 98/212. CAS 99/A/246. CAS 98/2000. CAS 96/001, Reeb, Digest, S. 377 ff.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
Ebenso verhielt es sich, als ein Verband einen bestimmten Sachverhalt bereits entschieden hatte und anschließend feststellte, dass er dabei von einer falschen Regelinterpretation ausgegangen war88. Da die Betroffenen auf diese Entscheidung vertraut hatten, durfte sie nicht ohne besondere Gründe aufgehoben werden. Insbesondere die in diesem Fall angekündigt Rücknahme der Teilnahmeberechtigung kurz vor den Wettkämpfen wurde als willkürlich und als Verstoß gegen das Verbot des venire contra factum proprium gesehen. In einem weiteren Fall hatte der zuständige Verband zunächst eine Fehlentscheidung bei der Verteilung von Quotenplätzen getroffen. Aufgrund dieses Fehlers musste der Verband nach dem estoppel-Gedanken eine dadurch bedingte Ummeldung eines NOKs auch nach Ablauf der Meldefrist annehmen89.
IV. Dopingverfahren Die Befassung mit Dopingfällen gehört zu den Hauptaufgaben des CAS. Im Mittelpunkt steht die strict liability Regel. Demnach hat sich ein Athlet eines Dopingvergehens schuldig gemacht, sobald eine verbotene Substanz in seinem Körper gefunden wird. Ein Nachweis persönlich vorwerfbarem Verhaltens durch die Verbände ist nicht notwendig, vielmehr wird automatisch eine doppelte Annahme getroffen: Der Athlet hat (1) eine verbotene Substanz gebraucht und ist (2) für den Gebrauch verantwortlich. Diese Annahmen sind bei einer positiven Wettbewerbsprobe für die daran anschließende Disqualifikation nicht widerlegbar. Dies erscheint aus Sicht des Betroffenen als sehr streng, ist aber aus Gründen der Fairness und Integrität des Wettbewerbs sowie oftmals der Notwendigkeit einer schnellen Entscheidung gerechtfertigt. Im Hinblick auf weitere Sanktionen ist es dem Athleten möglich, sich zu entlasten. Ein Schuldnachweis durch die Verbände, wie es in normalen Strafverfahren üblich ist, wird jedoch nicht gefordert. Zum einen wird darauf verwiesen, dass es sich nicht um straf-, sondern zivilrechtliche Sanktionen handelt, zum anderen wäre dieser Nachweis in den wenigsten Fällen zu führen, so dass auf diese Weise die gesamte Dopingbekämpfung zum Erliegen kommen könnte. Bezüglich der weiteren Sanktionen wird eine Abwägung, die am deutschen Verhältnismäßigkeitsprinzip orientiert ist90, zwischen den Interessen des Athleten und dem Sanktionsinteresse des Verbandes vorgenommen.
88 89 90
CAS OG Salt Lake City 02/006. CAS OG Athen 04/006. Nafziger, International Sports Law, S. 159.
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V. Stellung des CAS im System der Ordnung des internationalen Sports Bemerkenswert ist, welchen Platz sich der CAS im System des internationalen Sports zuweist. Er sieht sich nicht als übergeordnetes Gericht, sondern als letzte Instanz eines internen Berufungsverfahrens91. Demgemäß führt er aus: „… die Zuständigkeit des CAS kann jedoch nicht über die Kompetenz der Organisation, gegen deren Entscheidung vorgegangen wird, hinausgehen, … die Kammer selbst ist als Organ der FIBA [dem betroffenen Verband] zu sehen.“92
Begründet wurde diese Haltung in einem weiteren Fall damit, dass – ganz im Sinne der deutschen Zivilrechtslehre93 – die Sportverbände privat-vertragliche Zusammenschlüsse sind und deswegen auch der Verband bei seiner Entscheidung nicht wie ein Gericht handeln kann, sondern sich an die vereinbarten Regeln halten muss94. Daraus folgt für den CAS, dass auch bei jeder rechtlichen Überprüfung der Entscheidungen kein anderer materieller Maßstab anlegt werden sollte, als der, der von den Parteien durch ihre Mitgliedschaft akzeptiert worden ist.
VI. Regelharmonisierung Der CAS befürwortet zwar eine Harmonisierung der Regeln zwischen den Verbänden, doch sieht er sich auf Grund seiner Stellung innerhalb des Systems, nicht in der Lage diese selbständig herzustellen. Er muss sich somit auf die Erteilung von Vorschlägen beschränken95. So legte er dem internationalen Radsportverband (UCI) nahe, Dopingvergehen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr zu belegen, da eine kürzere Sperre außerhalb der Wettkampfzeit liegen kann und damit ihren Sanktionscharakter verliert96. Insgesamt versucht der CAS, auf eine größere Klarheit des Regelwerks hinzuwirken97.
VII. Zusammenfassung Bei der Beurteilung von Schiedsrichter- und Verbandsentscheidungen beschränkt sich der CAS grundsätzlich auf eine Verfahrenskontrolle, also auf die Frage, ob die zuständigen Stellen entschieden haben. Diese Zurückhaltung hat unterschiedliche Gründe. Bei Schiedsrichterentscheidungen liegt der Gedanke zugrunde, dass 91 92 93 94 95 96 97
CAS 99/A/230. CAS 00/A/262. Vgl. Pfister, SpuRt 2003, S. 7, 9. CAS 98/209. CAS 96/157, Reeb, Digest, S. 351 ff. CAS 98/212. Vgl. CAS 94/129, Reeb, Digest, S. 187 ff.; 96/149, Reeb, Digest, S. 251 ff.; 01/A/317.
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es sich um abgeschlossene Tatsachenentscheidungen handeln soll, damit der Ausgang eines Wettkampfes nicht regelmäßig am „grünen Tisch“ entschieden wird. Der CAS stellt sich dabei in die Tradition Schweizer Gerichte, die versuchen, die Kontrolldichte schiedsrichterlicher Entscheidungen durch die Unterscheidung zwischen Spiel- und Rechtsregel zu bestimmen. Bei den Verbänden wird dagegen ihre grundsätzliche Autonomie akzeptiert. So können sie Entscheidungen nach ihrem Ermessen, welches nur durch das Verbot von willkürlichen und offensichtlich ungerechten Entscheidungen beschränkt ist, treffen. Zusätzlich versucht der CAS, das hierarchische System über die gegenseitige Satzungsverankerungen hinaus weiterzuentwickeln und zu festigen. Damit entsteht ein eigenes System, das zivilrechtlich kaum noch adäquat zu beschreiben ist. Vielmehr erinnert es an „eine Art Bundesstaat mit konkurrierender Gesetzgebung“98. Der Schutz der Athletenrechte ist das Hauptanliegen des CAS. Dabei muss er insbesondere die Linien beachten, die durch nationale Gerichte vorgegeben sind. Entscheidend ist, dass die Regeln eindeutig und klar sind sowie die Prinzipien der prozessualen Fairness und der Einzelfallgerechtigkeit bei Verbandsentscheidungen eingehalten werden. Insbesondere bei Dopingverfahren – dem Hauptbetätigungsfeld – kontrolliert der CAS die Einhaltung dieser Prinzipien, auch wenn deswegen in einigen Fällen gedopte Sportler wegen Regelungslücken sanktionsfrei blieben. Dabei sieht der CAS Dopingsanktionen als vertragliche Strafen an. Ebenso ist der CAS ein allein durch die jeweiligen Satzungen legitimiertes Schiedsgericht und kann Satzungsbestimmungen deswegen grundsätzlich nicht verwerfen. Er kann lediglich Vorschläge zur Weiterentwicklung von Regeln unterbreiten. Insgesamt ist die wesentliche Aufgabe des CAS der Schutz der Athleten vor den aufgrund der hierarchischen Gliederung sozial mächtigen Sportverbänden. Damit herrscht eine Interessenlage, die im nationalen Recht typisch für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten ist.
6. Abschnitt
Durchsetzung Die Effektivität der Durchsetzung wird im Sport durch das hierarchische System gesichert. Der Wettkampfsport ist außerhalb dieses System eigentlich nicht möglich. Die Sportverbände können somit durch Startverbote eventuelle Sperren unproblematisch durchsetzen. Eine Besonderheit im Bereich des Sports ist die Möglichkeit von widersprüchlichen Anordnungen der internationalen Verbände bzw. des CAS und staatlicher Gerichte. Während erstere eine internationale Wettkampfsperre durchsetzen, kön98
Pfister SpuRt 2003 S. 7, 9.
3. Kap.: Die lex sportiva
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nen staatliche Gerichte gegenüber den jeweiligen nationalen Verbänden die Starterlaubnis durchsetzen. Deutlich wurde dies im Fall Baumann, in dem dieser seine Starterlaubnis für die nationalen Meisterschaften erstritt, woraufhin auch seine angetretenen Gegner durch die IAAF von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen wurden99. Die Aberkennung von Platzierungen und die Rückforderung von überreichten Medaillen stellt dagegen kein nennenswertes Problem dar. Weigert sich der Sportler, die Medaille zurückzugeben, bleibt ihm schlimmstenfalls zwar deren – vergleichsweise geringer – materieller Wert, nicht aber der entscheidende ideelle Wert.
7. Abschnitt
Staatlicher Einfluss Ursprünglich war der Sport frei von staatlichem Einfluss und galt einigen als „rechtsfreier“ Raum. Diese Haltung schimmert auch gelegentlich noch durch. So hat der CAS in einem Einzelfall die Auffassung vertreten, dass der jeweilige Staat (im vorliegenden Fall war es Italien, das ein interventionistisches Sportmodell verfolgt) von der Anwendung den internationalen Sport behindernder Regeln abzusehen hat100. Inwieweit der CAS damit eine prinzipielle Unabhängigkeit der sportlichen von den staatlichen Regelungen ausdrücken wollte, ist schwer zu bestimmen. Denn er bewegt sich gegenwärtig im Rahmen der staatlichen Vertragsrechte. Die Staaten haben in der Folge der zunehmenden Kommerzialisierung des Sportes ihrerseits durch nationale und supranationale Instanzen auf die sportinterne Organisation Einfluss genommen.
I. Beeinflussung durch die Europäische Union 1. Rechtsprechung des EuGH Der Europäische Gerichtshof musste verschiedentlich zu Fällen mit Bezug zum Sport Stellung nehmen. Dabei erkennt er grundsätzlich an, dass zum Grundrecht der Vereinigungsfreiheit die interne Rechtsetzungsbefugnis gehört, die Vereine also über die Autonomie zum Erlass von Sportregelungen verfügen101. Allerdings sind Einschränkungen möglich. Dabei hat sich folgende Haltung entwickelt:
99 Vgl. ausführlich zu diesem Fall Becker/Lehmkuhl, Multiple Strukturen der Regulierung, S. 225 ff. 100 Pfister SpuRt 2003 S. 7, 9. 101 EuGH C 415/93 (Bosman) = NJW 1996, S. 505.
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2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
Nicht nur für die Mitgliedsstaaten, sondern auch für die Regeln von (privaten) Sportverbänden ist das Gemeinschaftsrecht, also z. B. des Diskriminierungsverbot, direkt anwendbar102. Das entspricht der inzwischen ausdrücklich bestätigten Rechtsprechung des EuGH, wonach privatrechtliche Personenvereinigungen mit einer Machtstellung im sozialen und privaten Bereich verpflichtet sind, die Personenverkehrs- (Art. 39, 43 EGV), die Dienstleistungs- (Art. 49 EGV) sowie inzwischen auch die Niederlassungsfreiheit zu beachten103. Private Normschöpfer, die im Allgemeininteresse tätig sind und denen der Einzelne unentrinnbar unterworfen ist („intermediäre Gewalten“) – als solche sind die Sportverbände zu qualifizieren –, sind somit an den Gewährleistungsumfang von Art. 39, 43 und 49 EGV prinzipiell gebunden. Dieser Ansatz wird zwar von einer Reihe von Autoren zugunsten einer mittelbaren Drittwirkung, die den Staaten eine normative Schutzpflicht zum Interessenausgleich auferlegt, abgelehnt104, ist aber gefestigte Rechtsprechung. Seit der Walrave & Koch Entscheidung soll das Gemeinschaftsrecht auf den Sport anwendbar sein, wenn die Athleten durch den Sport eine wirtschaftliche Aktivität gemäß Art. 2 EGV ausüben105. Dabei soll das Erfordernis der wirtschaftlichen Aktivität aufgrund der Nähe zu den Grundfreiheiten nicht zu eng interpretiert werden106. So hat der EuGH sich auch mit dem Fall einer Amateursportlerin mit der Begründung befasst, dass sie bei Wettkämpfen Prämien kassieren könne und die Wettkämpfe an sich eine wirtschaftliche Veranstaltung mit Sponsoren etc. seien107. Das bekannteste Urteil in diesem Zusammenhang erging im Bosman-Fall108. Darin wurde das damalige Transfersystem im Profi-Fußball für teilweise unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht erklärt. Die Transferregeln hatten sowohl nämlich sportliche als auch wirtschaftliche Zwecke und wurden deshalb nicht von der Ausnahme für reine sportliche Regeln erfasst. Dies führte zu dem Vorwurf, die Belange des organisierten Sports würden in existenzgefährdender Weise verkannt109. In dem darauf folgenden Deliège-Urteil berücksichtigte der EuGH dagegen die sportlichen Belange stärker, indem er bestimmten verbandliche Maßnahmen als sportlich notwendig ansah110. Dem folgend, kann die Diskriminierung von Ausländern als sportlich begründet angesehen werden, auch wenn sie wirtschaftliche Auswirkungen haben können111. Auch die organisatorischen Besonderheiten, die die Pyramidenstruktur mit sich bringt, werden 102
EuGH C 36/74 (Walrave & Koch) = NJW 1975, S. 1093. EuGH C 51/96 und C 191/97 (Deliège) = NJW 2000, S. 2011 ff.; EuGH C 176/96 (Lehtonen) = SpuRt 2000, S. 151 ff. 104 Vgl. die Nachweise bei Groß, Rechtfertigungsmöglichkeiten von Sportverbänden, in: Vieweg (Hrsg.), Perspektiven des Sportrechts, S. 37, 41. 105 EuGH C 36/74 (Walrave & Koch) = NJW 1975, S. 1093. 106 EuGH C 176/96 (Lehtonen) = SpuRt 2000, S. 151 ff. 107 EuGH C 51/96 und C 191/97 (Deliège), Rz. 44 = NJW 2000, S. 2011 ff. 108 EuGH C 415/93 (Bosman) = NJW 1996, S. 505. 109 Scholz/Aulehner, SpuRt 1996, S. 44. 110 EuGH C 51/96 und C 191/97 (Deliège) Rz. 64 ff. = NJW 2000, S. 2011 ff. 111 EuGH C 13/76 (Donà) = NJW 1976, S. 1333. 103
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als rein sportlich begründet betrachtet112. Der EuGH ist also durchaus bereit, die besonderen Belange des Sports zu berücksichtigen. Trotzdem bleibt der genaue Umfang der Sonderstellung des Sports unklar. Zur Abgrenzung soll nach der „wirtschaftlichen Beeinträchtigung“ gefragt werden. Dabei wird beklagt, dass diese Grenzziehung nur in der Theorie deutlich ist und praktisch die wirtschaftlichen von den sportlichen Aspekten schwer zu trennen sind113. Zum Teil wird sogar bezweifelt, ob diese Unterscheidung überhaupt möglich ist, da selbst Regeln, die nicht wirtschaftlich motiviert sind, doch wirtschaftliche Auswirkungen haben können114. Aus der Rechtsprechung des EuGH115 lässt sich jedoch ableiten, dass Wettbewerbsbeschränkungen prinzipiell im Lichte ihres verfolgten Zwecks auszulegen sind. Auf den Sport übertragen bedeutet dies, dass z. B. eine Dopingsperre, die für den Athleten bedeutende wirtschaftliche Auswirkungen hat, nicht gegen europäisches Recht verstößt, sofern sie in einem ordentlichen Verfahren angeordnet wurde. Dopingsperren werden damit als rein sportliche Regeln gesehen, auch wenn sie bedeutende wirtschaftliche Auswirkungen für den Athleten haben116. In dieser Entscheidung wird die teleologische Vorgehensweise deutlich, da zu starke staatliche Eingriffe die interne Dopingbekämpfung erschweren und sogar verhindern könnten. Deswegen kommt es auch nicht darauf an, ob die Regeln nur aus wirtschaftlichen Gründen – nämlich zur besseren Vermarktung von „sauberen“ Spielen – erlassen worden sind. Die Dopingregeln stehen nicht im Konflikt mit dem EGV, weniger weil es reine Spielregeln sind, sondern weil es notwendige Regeln sind, um die Integrität des sportlichen Wettkampfes zu wahren117. Solange also die Regeln für die Organisation des Sports und die Sicherung seiner – anerkannten – Besonderheiten notwendig sind, verstoßen sie nicht gegen das europäische Recht.
2. Politische Aspekte In einem Protokoll zum Amsterdamer Vertrag wird die soziale Bedeutung des Sports und seine Einzigartigkeit betont: „Die Konferenz unterstreicht die gesellschaftliche Bedeutung des Sports, (…). Die Konferenz appelliert daher an die Gremien der Europäischen Union, bei wichtigen, den Sport betreffenden Fragen die Sportverbände anzuhören. In diesem Zusammenhang sollten die Besonderheiten des Amateursports besonders berücksichtigt werden.“118 112 113 114 115 116 117 118
EuGH C 51/96 und C 191/97 (Deliège) = NJW 2000, S. 2011 ff. So z. B. im Bosman-Fall, EuGH C 415/93 (Bosman) = NJW 1996, S. 505. Weatherill ISLJ 05 3/4, S. 3, 4. EuGH C 309/99. EuG T 313/02 (Meca-Medina und Majcen) = SpuRt 2005, S. 20 ff. Weatherill ISLJ 05 3/4, S. 3, 5. Erklärung zum Sport in: Abl. 1997, C 340/01.
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Zwar kann diese Erklärung der zunehmenden Tätigkeit der Kommission im Bereich des Sports Einhalt gebieten, doch wurde gleichzeitig davon abgesehen, eine gesetzliche Ausnahme für den Sport im Vertrag vorzusehen119. In der an den Vertrag von Nizza angefügten Deklaration wird unter anderem die Rolle der Sportverbände erörtert. Dabei wird deutlich, dass von den Sportverbänden erwartet wird, dass sie „demokratisch und transparent“ operieren und die „Schlüsselfigur einer Form der Organisation bleiben, die eine Einheitlichkeit des Sports und partizipatorische Demokratie garantiert“120. Insgesamt kommt zum Ausdruck, dass aus Sicht der Regierungschefs das Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und den Regeln der Sportverbände keines der Über- und Unterordnung, sondern eines der Kooperation sein soll.
3. Zwischenergebnis Der Sport genießt aus europäischer Sicht besonders in seinem Kernbereich eine gewisse Unabhängigkeit. Allerdings wird ihm diese nicht bedingungslos gewährt. Aus der Rechtsprechung und dem Verhalten der Kommission ergeben sich als Voraussetzungen: Transparenz der Entscheidungen, Beteiligungsmöglichkeiten der Betroffenen sowie objektive Rechtfertigung, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Regeln121. Sportverbände genießen somit eine bedingte Autonomie122. Dies bedeutet jedoch, dass sich das Regelwerk des Sports nicht auf einer Ebene mit dem europäischen Recht befindet. Im Zweifel setzt sich das europäischen Recht auch auf Kosten des traditionellen Sportsystems durch, was insbesondere im Fall Bosman deutlich erkennbar wurde.
II. Beeinflussung durch Deutschland In Deutschland wurde zum Teil vertreten, dass sich der Sport in einem rechtsfreien Raum bewegt und deshalb nur beschränkter gerichtlicher Überprüfung unterliegt123. Diese Lehre vom rechtsfreien Raum hat sich jedoch nicht durchsetzen können. Es herrscht somit grundsätzlich Einigkeit darüber, dass sportverbandliche Ordnungsmaßnahmen von einigem Gewicht und einiger Beschwer der richterlichen Kontrolle immer dann zugänglich sein müssen, wenn sie Interessen der Beteiligten betreffen, die zum Schutzbereich des staatlichen Rechtskreises ge-
119 120 121 122 123
Gardiner et al., Sports Law, S. 226. S. den Abdruck in SpuRt 1999, S. 228 ff., 2000, S. 58 ff. Weatherill ISLJ 05 3/4, S. 3, 6. Weatherill ISLJ 05 3/4, S. 3, 5. Vgl. Nachweise bei Pfister, Der rechtsfreie Raum des Sports, S. 457 ff.
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hören124. Auch der BGH folgt dieser Ansicht und prüft Sportverbandsrecht als das statutarische Recht sozial mächtiger Vereine am – auch grundrechtsgeprägten – Maßstab des § 242, 134 oder 138 BGB auf Angemessenheit seines Inhalts125. Allerdings sind ihm dabei im globalen Rahmen Grenzen gesetzt. So hat er im sogenannten Reiter-Urteil bei der Inhaltskontrolle privater Sportverbandsregeln beachtet, dass es sich dabei um „weltweit akzeptierte Standards internationaler Spitzenverbände“ handelte126. Als Beispiel für den Einfluss nationaler Gerichte kann die Länge der Dopingsperre gelten. Der Internationale Leichtathletikverband (IAAF) sah ursprünglich eine Sperre von vier Jahren beim ersten Verstoß vor. Die deutschen Gerichte hielten aber höchstens eine Sperre von zwei Jahren für verhältnismäßig. Durch die Zuerkennung von Schadensersatz z. B. im Fall Krabbe konnten sie den IAAF schließlich indirekt so unter Druck setzen, dass er seine Regeln anpasste127.
III. Sonderfall: Beeinflussung durch die Schweiz Die Gerichte der Schweiz haben eine besondere Bedeutung für den CAS, da dieser seinen Sitz in Lausanne hat. Somit ist das Schweizerische Bundesgericht zuständig, wenn die Entscheidungen des CAS angegriffen werden sollen. Dieses gilt nicht nur für die normalen Verfahren, sondern nach der Entscheidung eines australischen Gerichts128 auch für die Entscheidungen der Ad-hoc-Kammern. Das ist insofern bemerkenswert, als die Ad-hoc-Kammern gerade am Ort der jeweiligen Wettkämpfe eingerichtet werden. Trotzdem soll als Sitz weiterhin Lausanne gelten. Somit hat das Schweizerische Bundesgericht im Regelfall eine Monopolstellung für die Überprüfung der CAS-Entscheidungen, denn staatlicher Hilfe bei der Durchsetzung eines Schiedsspruchs bedürfen die Verbände zumeist nicht. Sein Einfluss ist somit von großer Bedeutung. Das erste Mal nahm das Schweizerische Bundesgericht zu einer Entscheidung im sogenannten Fall Gundel Stellung129. Darin erkannte es den CAS grundsätzlich als echtes Schiedsgericht an, sofern das IOC nicht Streitpartei sei. Allein aufgrund dieses obiter dictum wurde der CAS umfangreich reformiert. In einem zweiten Urteil wurde dem CAS auch die notwendige Unabhängigkeit vom IOC bescheinigt130. Das Schweizerische Bundesgericht ist also in der Lage, als Superrevisionsinstanz mit beschränktem Prüfungsumfang beträchtlichen Einfluss auf den
124 125 126 127 128 129 130
Steiner, Autonomie des Sports, S. 222, 229; Maurer, JZ 2000, S. 1113. BGH NJW 1995 S. 853. BGHZ 128, 93. Vgl. Lehmkuhl, Verrechtlichung im transnationalen Sport, S. 179, 192. New South Wales Court of Appeal, CA 406500/00. Entscheidungen des Schweizerisches BG, 119. Band, II. Teil, S. 271. Schweizerisches BG, Urteil vom 27.5.2003, SpuRt 2004, S. 38.
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CAS auszuüben. Es hat seinen Prüfungsumfang von CAS-Entscheidungen dahingehend konkretisiert, dass gemäß Art. 190 Abs. 2 IPRG folgende Rügen zulässig sind: a) Vorschriftswidrige Bestellung bzw. Zusammensetzung des Schiedsgerichts; b) fehlerhafte Zuständigkeitsentscheidung des Schiedsgerichts; c) kein Entscheid über einzelne Rechtsbegehren oder Entscheid über nicht unterbreitete Streitpunkte; d) Verletzung der Grundsätze der Gleichbehandlung der Parteien oder des rechtlichen Gehörs; e) Unvereinbarkeit mit dem ordre public131. Aufsehen hat eine neue Entscheidung des Bundesgerichts erregt, in der dieses zum ersten Mal eine Entscheidung des CAS aufgehoben hat132. Zunächst hat sich das Schweizerische Bundesgericht für zuständig erklärt, obwohl im Reglement des betroffenen Verbandes ATP ein Rekurs gegen Schiedssprüche des CAS ausgeschlossen war. Zwar bestimmt Art. 192 Abs. 1 IPRG für Schiedssprüche zwischen Parteien ohne direkten Bezug zur Schweiz, dass die Anfechtung eines Schiedsspruchs vor einem staatlichen Gericht ausgeschlossen werden kann. Nach der Auslegung des Schweizerischen Bundesgerichts trifft dies jedoch regelmäßig nicht für die Sportschiedsgerichtsbarkeit zu. Sinn und Zweck des Art. 192 Abs. 1 IPRG sei nämlich, dass eine ungewollte doppelte Überprüfung eines Schiedsspruchs vermieden würde, da die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze regelmäßig im durchzuführenden Vollstreckungsverfahren erfolge. Bei Verbandsstrafen im Sport wäre dies jedoch gerade nicht der Fall, da diese zur Durchsetzung keines staatlichen Vollstreckungsverfahrens bedürften, sondern von den Sportverbänden direkt durchgesetzt werden könnte. Folglich entfiele in der Praxis der Sportschiedsgerichtsbarkeit die Überprüfung der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze durch ein staatliches Gericht. Um dieses zu vermeiden, hat das Schweizerische Bundesgericht eine Anwendung des Art. 192 Abs. 1 IPRG für die Sportschiedsgerichtsbarkeit abgelehnt. Die praktische Relevanz mag zwar gering sein, da die meisten Verbände ihren Sitz in der Schweiz haben, so dass Art. 192 Abs. 1 IPRG bereits aus diesem Grund nicht anwendbar ist133. Dennoch ist die darin enthaltende Absichtserklärung, Entscheidungen der Sportgerichtsbarkeit in jedem Fall von staatlicher Seite einer Kontrolle anhand von rechtsstaatlichen Grundsätzen zu unterziehen, bemerkenswert. In der Sache stärkte das Schweizerische Bundsgericht den Anspruch des Unterlegenden auf rechtliches Gehör, indem die obsiegende Partei nunmehr die Berücksichtigung der entscheidenden Elemente des Sachvortrags des Unterlegenden durch den CAS nachweisen muss, wenn sich dies nicht aus der Begründung des Schiedsspruchs ergibt134.
131 132 133 134
Schweizerisches BG, Urteil vom 1.12.2004, SpuRt 2005, S. 159. Schweizerisches BG, Urt. v. 22.3.2007, SpuRt 2007, S. 113. Oschütz, SpuRt 2007, S. 177, 178. Schweizerisches BG, Urt. V. 22.3.2007, SpuRt 2007, S. 113, 117.
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IV. Zusammenfassung Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Gerichte ihre frühere Zurückhaltung gegenüber einer Kontrolle des Sports abgelegt haben135. Dieses ursprüngliche Desinteresse hatte jedoch nicht damit zu tun, dass der internationale Sport seine eigene funktionierende Rechtsordnung hatte. Es hatte damit zu tun, dass mit den Worten eines kanadischen Gerichts das Recht „less trivial occasions“ vorbehalten bleiben sollte136. Dass Sport alles andere als trivial, sondern „big business“ ist, wird inzwischen von niemandem bestritten. Diese Kommerzialisierung hat zu einer größeren Kontrolldichte der Gerichte geführt137. So wird erwartet, dass trotz der Erfolge des CAS die sportbezogene Rechtsprechung der nationalen Gerichte weiter wächst138.
8. Abschnitt
Zwischenbilanz Für eine lex sportiva steht ein ausgearbeitetes Regelsystem der verschiedenen Verbände samt den übergeordneten Normen des IOC und der WADA zur Verfügung. Dieses ist für Sportler auch von überragender Bedeutung und kann von den Verbänden selbständig durchgesetzt werden. Es lässt sich mit einiger Berechtigung von einer eigenständigen Normenordnung sprechen. Es lässt sich aber auch feststellen, dass verschiedene staatliche Rechtsordnungen inzwischen einen Rahmen ziehen, innerhalb dessen sich die Entscheidungen zu Sportstreitigkeiten bewegen. Auch einer lex sportiva würde somit rein tatsächlich von den Gerichten ein Rahmen vorgegeben, innerhalb dessen sie sich zu bewegen hat. Es kann also nicht davon gesprochen werden, dass das privat gesetzte Recht gleichberechtigt neben staatlichem und richterlichem Recht steht. Die Schiedsentscheidungen bewegen sich vielmehr auch im globalen Bereich in den von staatlichen Gerichten gesteckten Grenzen139. Im Gegenzug halten sich die Gerichte mit Eingriffen in den Kernbereich des Sports zurück140. Diese Beziehung zwischen den Gerichten und Sportverbänden wird zum Teil als ein „konstitutionelles Gleichgewicht141“ oder „Konkordanz“142 bezeichnet, welches die Grundlage 135
Vgl. auch Gardiner et al., Sports Law, S. 84. Rowe v. Hewitt, 1906, zitiert nach: Nafziger, International Sports Law, S. 17. 137 Steiner, Autonomie des Sports, S. 222, 224. 138 Nafziger, International Sport Law, S. 65. 139 Zu diesem Ergebnis kommt für die deutschen Sportverbände auch Buchberger, Überprüfbarkeit, S. 275 f. 140 Dafür exemplarisch die Entwicklungen beim EuGH. Vgl. Zweiter Teil 3. Kapitel 7. Anschnitt I. 1. 141 Beloff/Kerr/Demetriou, Sports Law, Rn. 1.7. 142 Hess, Von Konflikt zur Konkordanz, S. 1, 21. 136
156
2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
und Voraussetzung für die Entwicklung eines (teilweise) eigenständigen Sportrechts ist. Naturgemäß stellt sich die Frage, wie sich eine lex sportiva weiterentwickeln könnte. Insbesondere wird die Idee von eigenständigen Schadensersatzregelungen befürwortet143. Dadurch könnte vermieden werden, dass die Sportverbände der Gefahr millionenschwerer Schadensersatzklagen – insbesondere in den USA – ausgesetzt sind. Unsicher ist allerdings, in welchem Umfang gesetzliche Schadensersatzansprüche durch vertragliche Regelungen ersetzt werden können. Zusätzlich wird angeregt, dass der CAS verstärkt die Satzungsbestimungen der Verbände überprüft144. Eine Überprüfung am Maßstab der Olympischen Charta kann bereits erfolgen. Denkbar wäre zusätzlich eine Prüfung am Maßstab des vereinbarten staatlichen Rechts bzw. – bei Ad-hoc-Tribunalen während Olympischer Spiele – an den allgemeinen Rechtsprinzipien. Allerdings wird mit diesem Vorschlag ein heikler Punkt bezüglich der Stellung des CAS berührt. In der Regel unterlässt der CAS es aus den bereits genannten Gründen bewusst, Satzungsbestimmungen an übergeordnetem Recht zu messen, sondern beachtet genau den Rahmen seiner vertraglichen Zuständigkeit145. Fragwürdige Regeln rügt er inzwischen nur in einem obiter dictum. Er schwingt sich nicht zu einer obersten Instanz des Sports auf, indem er die Satzungen einzelner Verbände anhand allgemeiner Rechtsprinzipien überprüft, sondern beachtet den Rahmen seiner Zuständigkeit. Dadurch steht er auf einer festen zivilrechtlichen Grundlage und bietet bei seinen Entscheidungen weniger Angriffspunkte für eine gerichtliche Überprüfung. Es ist dem CAS deswegen allerdings verwehrt, eine aktivere Rolle bei der Entwicklung einer lex sportiva einzunehmen. Die Anstöße dazu müssen von den Verbänden kommen; der CAS kann lediglich im Rahmen der möglichen Auslegung von bestehenden Regeln zu einer Weiterentwicklung beitragen. Der Rückgriff auf allgemeine Rechtssätze ist nur bei Lücken in den – normalerweise sehr detaillierten Regelwerken – möglich. Wenn man bedenkt, welchen „Motor“ Streitentscheidungsinstanzen für die Entwicklung eines Rechtssystems bedeuten146, droht dem gesamten System eine gewisse Statik.
143
Adolphsen, JbJZRWiss 2003, S. 281, 290 f. Adolphsen, JbJZRWiss 2003, S. 281, 296. 145 Dies muss auch Adolphsen, JbJZRWiss 2003, S. 281, 296, feststellen. 146 Eindrucksvolles Beispiel ist der EuGH, der das Europarecht wesentlich geprägt hat. Aber auch das BVerfG hat der deutschen Rechtsordnung wesentliche Impulse gegeben. 144
4. Kap.: Vergleich der Erscheinungsformen
157
4. Kapitel
Vergleich der Erscheinungsformen 4. Kap.: Vergleich der Erscheinungsformen
Im Folgenden sollen die Merkmale der untersuchten Normenordnungen nebeneinander betrachtet werden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Dieser Vergleich führt zu der Frage, ob sich eine gemeinsame Struktur dieser Normenordnungen erkennen lässt.
1. Abschnitt
Gemeinsamkeiten und Unterschiede Bereits das Umfeld, in dem die untersuchten Normenordnungen existieren, ist verschieden. Im internationalen Handel muss sich die lex mercatoria gegen die nationalen Regeln des Internationalen Privatrechts behaupten, die zwar der Kritik ausgesetzt sind, aber eine rechtliche Lösung von Streitfällen auch ohne den Rückgriff auf eine lex mercatoria gewährleisten. Im Internet setzt sich gegenwärtig die Erkenntnis durch, dass dieses reguliert werden kann und muss. Es wird deshalb nach den adäquaten Formen und Instrumenten gesucht, um einen virtuellen Raum zu regulieren. Im Sport besteht ein detailliertes, ursprünglich konkurrenzloses Regelwerk, welches die unverzichtbare Einheitlichkeit der Voraussetzungen ermöglicht. In den letzten Jahren ist dieses Regelwerk jedoch zunehmend Eingriffen durch staatliches Recht ausgesetzt.
I. Zweck der privaten Normenordnungen Die untersuchten Normenordnungen sind aus unterschiedlichen Zwecken entstanden. Die lex mercatoria soll Normen enthalten, die eine adäquatere Rechtsgrundlage für Streitentscheidungen im internationalen Handel als die staatlichen Rechtsordnungen darstellen; mit anderen Worten: die lex mercatoria soll besseres Recht sein1. Die lex informatica enthält materiell nur staatliches Recht. Hier geht es darum, die Durchsetzbarkeit des staatlichen Rechts zu erhöhen und zu beschleunigen. Die Transformation von staatlichem Recht in ein Regelwerk, welches als Vertragsbedingung einheitlich für alle Internetnutzer verbindlich ist und eine besondere Zuständigkeit begründet, stellt eine Antwort auf die Probleme der Durchsetzung von staatlichem Recht im Internet dar. Die lex sportiva umfasst dagegen in erster Linie Regeln für einen rechtlich nicht geregelten Bereich, nämlich den fairen sportlichen Wettkampf. Für diesen Bereich mussten Regeln erst neu geschaffen werden und kamen erst später mit staatlichen Rechtsregeln in Berührung. 1
Berger, „Schleichende“ Kodifizierung, S. 49.
158
2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
II. Quellen Bei der lex mercatoria sind die Quellen diffus. Neue Normen sollen in der Praxis auf vielfältige Weise entstehen und sich dann in Schiedssprüchen zeigen. Die Normensammlung in Listen – durch die man einen Überblick bekommen kann – hat demgemäß nur deskriptiven Charakter und ist streng genommen keine eigene Quelle2. Die lex informatica im Bereich des Anti-Cybersquatting speist sich zurzeit ausschließlich aus der URDP von ICANN. Diese stellen das internationale common core des Markenrechtsschutzes dar und wurden von der WIPO auf gleiche Weise entwickelt wie völkerrechtliche Abkommen. Die Satzungen der Sportverbände, die den Kernbestandteil der lex sportiva bilden, sind aufgrund der Satzungsautonomie privater Vereinigungen privat gesetzt worden. Bei den beiden Letztgenannten ist eine eigenständige Weiterentwicklung durch die Schiedsgerichtsbarkeit nicht zu erkennen und nicht zu erwarten. Für die lex informatica ist dies dadurch begründet, dass sie zum einen von verschiedenen Schiedsinstitutionen angewandt wird und zum anderem bei starken Abweichungen vom staatlichen Recht ihren Zweck verfehlt, weil der Streit in diesen Fällen doch vor staatlichen Gerichten weitergeführt werden würde. Der CAS hingegen hält sich strikt an seine Zuständigkeiten und sieht sich als Teil des Verbandswesens, so dass er nur die formal geltenden Regeln anwendet und lediglich unverbindliche Anstöße zur Weiterentwicklung gibt.
III. Einbeziehung und praktische Bedeutung Grundsätzlich erfolgt die Einbeziehung dieser Normenordnungen freiwillig. Im Kern handelt es sich um eine durch Zustimmung erzeugte Selbstbindung3. Allerdings bestehen zwei unterschiedliche Arten der Einbeziehung. Während bei der lex mercatoria die Einbeziehung grundsätzlich symmetrisch erfolgt, also von den Vertragspartnern ausgehandelt wird, werden die lex informatica und die lex sportiva asymmetrisch einbezogen. Zwar geschieht auch dies formell durch Vertrag, de facto muss ihrer Anwendbarkeit jedoch zugestimmt werden, wenn man einen Domainnamen haben oder an internationalen Sportwettkämpfen teilnehmen möchte. Demgemäß sind beide Normenordnungen in ihrem speziellen Bereich allein anwendbar und somit von enormer praktischer Bedeutung. Die lex mercatoria muss sich gegen eine Vielzahl von anderen staatlichen und privaten Normenordnungen durchsetzen. Dabei hat sie für den internationalen Handel noch keine wahrnehmbare Bedeutung erlangt.
2
Dazu, dass sich diese strenge Unterscheidung praktisch kaum durchhalten lässt, siehe Zweiter Teil 1. Kapitel 2. Abschnitt IV. 3 Röthel, JZ 2007, S. 755, 758.
4. Kap.: Vergleich der Erscheinungsformen
159
IV. Verfahren Gemeinsamkeiten bestehen bei den Verfahren, in denen die Normenordnungen angewendet werden. Die lex mercatoria und die lex informatica lassen sich zwar nicht einer einzelnen Schiedsinstitution ausschließlich zuordnen, aber erstere wird hauptsächlich in Fällen des ICC angewandt, während letztere nur von wenigen akkreditierten Panels angewandt wird. Vom Aufbau her handelt es sich um Schiedsverfahren, bei denen insbesondere auf Geschwindigkeit Wert gelegt wird. Nur die UDRP-Panels sind keine „echten“ Schiedsgerichte, ohne dass sich dadurch für das Verfahren Besonderheiten ergeben.
V. Materieller Gehalt Bei der lex mercatoria steht der Grundsatz der bona fides im Mittelpunkt. Die Prinzipien, die in der Schiedsgerichtsbarkeit die größte Resonanz gefunden haben, sind solche, die den Grundsatz von „Treu und Glauben“ ausdifferenzieren. Was – jedenfalls in der CENTRAL-Liste – fehlt, sind spezielle technische Regeln. Zwar werden solche durchaus zur lex mercatoria gerechnet, doch gelten sie meist nur branchenspezifisch und passen deswegen nicht in das zugrunde gelegte Konzept einer universellen lex mercatoria. Durch die lex mercatoria soll also in erster Linie eine interessengerechte Lösung symmetrischer Streitigkeiten im Einzelfall erreicht werden. Die zentrale und gleichzeitig einzige Norm der lex informatica spiegelt das common core der nationalen Rechtsordnungen wider, dass niemand ohne berechtigtes Interesse das Markenrecht eines anderen verletzen darf. Es sind materiell somit keine neuen Normen in diesem Bereich entstanden, vielmehr wurde nur ein neues Verfahren zur Durchsetzung bereits bestehender Normen entwickelt. Damit ist allerdings nur ein geringer Teil der rechtlichen Problematik im Internet reguliert. Der Begriff lex informatica kann somit einen falschen Eindruck hinsichtlich des Umfangs erwecken4. Die lex sportiva soll die Athleten vor der Macht der Verbände schützen. Sie wird als Korrekturmöglichkeit für Verbandsentscheidungen genutzt, damit keine Korrektur von staatlicher Seite erfolgt. Auch wenn die lex sportiva theoretisch ausschließlich auf Verträgen basiert, so erinnert ihre Anwendung doch an die gerichtliche Kontrolle öffentlicher Gewalt. Die Anwendung der Satzungsvorschriften wird anhand von Prinzipien wie Transparenz, Verständlichkeit, prozessuale Fairness, Angemessenheit, Vertrauensschutz etc. kontrolliert.
4 Er soll in dieser Arbeit jeodch weiter verwendet werden, um begriffliche Verwirrungen zu vermeiden.
160
2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
VI. Durchsetzung Für die lex mercatoria sind keine eigenen dauerhaft funktionierenden Durchsetzungsmechanismen bekannt. Sie bedarf also in Problemfällen der Durchsetzung des Staates. Solange sie ausdrücklich als Vertragsstatut gewählt wird, ist diese jedoch „automatisiert“. Bei den UDRP Regeln stellt die Durchsetzung für ICANN kein Problem dar. Aufgrund der besonderen Architektur des Internets kann ICANN eigenständig die technische Neuzuordnung des Domainnamens veranlassen, ohne dass sich die unterlegene Partei diesem widersetzen kann und bedarf deswegen keiner staatlichen Hilfe. Diese wäre im Übrigen auch nicht zu erlangen, da es sich bei der UDRP Dispute Resolution um kein echtes Schiedsverfahren handelt, so dass die staatliche Durchsetzung nicht aufgrund des New Yorker UN-Übereinkommen vom 10. Juni 1958 garantiert ist. Ebenso wenig auf staatliche Hilfe ist der CAS bei der Durchsetzung von Urteilen angewiesen. Bei den Rechtsfolgen handelt es sich in erster Linie um Wettkampfsperren. Diese können durch die Sportverbände eigenständig durchgesetzt werden.
VII. Staatlicher Einfluss Sowohl die lex mercatoria als auch die lex informatica haben Normen aus staatlichen Rechtsordnungen übernommen. Während für die lex informatica die Auswahl der zu übernehmenden Normen von einer völkerrechtlichen Organisation vorgeschlagen und von ICANN bestätigt worden ist, findet die Auswahl der Normen für die lex mercatoria durch die Schiedsrichter oder Wissenschaftler statt. Dabei stammen alle Normen aus staatlichen Rechtsordnungen. Lediglich bei der lex sportiva haben die Verbände ihre Regeln und Normen selbst gesetzt. Darüber hinaus ist jedem der drei Bereiche ein Rahmen durch das staatliche Recht vorgegeben. Die lex mercatoria darf nicht gegen den ordre public verstoßen, wenn die Durchsetzbarkeit der Entscheidung nicht riskiert werden soll; die lex informatica muss im Wesentlichen Normen enthalten, die dem staatlichen Markenschutz entsprechen, weil ansonsten die wegen einer Differenz unterlegende Partei stets noch staatlichen Rechtsschutz suchen kann; und die lex sportiva musste sich immer wieder an staatlichen Vorgaben in Form von Urteilen orientieren. Schließlich haben sowohl ICANN als auch die Sportverbände ihren Sitz in einem Staat und sind aus diesem Grund auch dessen Recht unterworfen. Bei ICANN kommt hinzu, dass es eine spezielle Vereinbarung mit der US-Regierung gibt, die es dieser erlaubt, die Aufgaben von ICANN zu übernehmen. Allen drei Bereichen wird somit durch das staatliche Recht ein Rahmen gesetzt. Dieser Rahmen ist grundsätzlich unabhängig von dem Willen und den Vorstellun-
4. Kap.: Vergleich der Erscheinungsformen
161
gen der in diesen Bereichen Betroffenen. Auch ist im Wesentlichen sichergestellt, dass keine Entscheidungen „aus dem Rahmen fallen“. Die untersuchten Normenordnungen sind somit nicht autonom und tatsächlich eigenständig. Sie können lediglich als semi-autonom beschrieben werden.
2. Abschnitt
Bilanz Die erste Gemeinsamkeit der drei untersuchten Gebiete besteht darin, dass sie in einem schiedsgerichtlichen Verfahren zur Anwendung kommen. Diese Gemeinsamkeit ist kaum überraschend, kann doch nicht-staatliches „Recht“ sich naturgemäß nicht in staatlichen Gerichten entwickeln. Stattdessen bedarf es der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit als Forum der Entwicklung eines privaten transnationalen Rechts. Die zweite Gemeinsamkeit haben die Normenordnungen im Hinblick auf die vertragliche Einbeziehung ihrer Regeln. Es gibt zwar bei der lex mercatoria auch Ansätze, dass diese von den Schiedsrichtern frei gewählt wird, aber dazu bedarf es zumindest einer entsprechenden Ermächtigung durch die Parteien5. Damit gründen sie übereinstimmend ihre Anwendbarkeit auf die Privatautonomie der Beteiligten6. Die dritte Gemeinsamkeit erscheint dagegen auf den ersten Blick überraschend, ist aber lediglich logische Folge der Fundierung in der Privatautonomie. Alle Bereiche werden durch staatliches Recht beeinflusst und können deswegen nicht als vollständig autonom gelten7. Ansonsten muss man zwischen institutionalisierten (lex sportiva und lex informatica) und nicht-institutionalisierten (lex mercatoria) Normensystemen unterscheiden8. Diese Unterteilung ist wichtig, weil sie sich in verschiedenen Bereichen auswirkt. Wenig überraschend ist es aufgrund der Voruntersuchungen zu privaten Normenordnungen, dass ein institutioneller Hintergrund die Entwicklung einer Normenordnung fördert. Zunächst geschieht die Einbeziehung der institutionalisierten Normenordnungen zwar vertraglich, aber das Verhältnis zwischen den vertragsschließenden Parteien ist asymmetrisch9, so dass die Normen quasi legislativ gesetzt werden. Dadurch kommen diese Normen jedoch bei allen Entscheidungen zur Anwendung 5
Siehe Zweiter Teil 1. Kapitel 3. Abschnitt I. Vgl. Röthel, JZ 2007, S. 755, 758. 7 Ebenso Bachmann, Private Ordnung, S. 38. 8 Siehe Erster Teil 3. Kapitel 1. Abschnitt. 9 Für die lex informatica: Leib, Verrechtlichung im Internet, S. 198, 205; für die lex sportiva: Lehmkuhl, Verrechtlichung im transnationalen Sport, S. 179, 187. 6
162
2. Teil: Die Entstehung privater Normenordnungen
und haben große praktische Bedeutung. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass die Normenordnungen sozial wirksam sind. Entsprechend den rechtstheoretischen Vorüberlegungen ist dies eine wichtige Voraussetzung für die Rechtsgeltung10. Der lex mercatoria fehlt es mangels einer obligatorischen Einbeziehung an einer derart nachweisbaren praktischen Relevanz im internationalen Handel, so dass man allenfalls von einer hypothetischen Geltung sprechen kann. Des Weiteren können auf diese Weise die getroffenen Entscheidungen selbständig und in einem formalisierten Verfahren durchgesetzt werden, weshalb den Normenordnungen diesbezüglich ein hoher Verrechtlichungsgrad attestiert wird11. Dieser wird der lex mercatoria zwar auch zugestanden, doch kann sie mangels einer vergleichbaren zentralen Institution nicht ihre eigenständige Durchsetzung garantieren. Der Zusammenhalt zwischen den internationalen Kaufleuten erscheint zu wenig ausgeprägt, als dass eine belastbare Durchsetzung garantierte wäre. Folglich fehlt es auch an entsprechenden Nachweisen. Damit ist die lex mercatoria auf die staatliche Durchsetzung angewiesen. Schließlich ist noch auffällig, dass die lex informatica und die lex sportiva relativ präzise Normen enthalten, während es sich bei den – in der Schiedspraxis nachweisbaren – Normen der lex mercatoria zumeist um Ausprägungen des Billigkeitsprinzips handelt. In den beiden erstgenannten Bereichen können demgemäß Erwartungshaltungen stabilisiert werden, da sich die Betroffenen an den Normenordnungen orientieren können. Die lex mercatoria kann dagegen nur eine angemessene Einzelfallentscheidung gewährleisten, denn sie enthält zu wenig konkretisierte Normen, an denen ein Kaufmann sein Verhalten und seine Erwartungen im Vorfeld ausrichten kann – sieht man von der Aufforderung, seine Geschäfte nach Treu und Glauben zu betreiben, ab. Hinzu kommt, dass die lex mercatoria, insbesondere ihr konkreter Inhalt, weitgehend unbekannt ist, so dass schon deswegen keine diesbezüglichen Erwartungshaltungen entstehen, geschweige denn stabilisiert werden können. Die lex informatica und die lex sportiva sind mit ihrem institutionellen Hintergrund, der Anwendung und Durchsetzung garantiert, besser entwickelt und von größerer faktischer Bedeutung als die lex mercatoria ohne diesen Hintergrund. Dies steht im Gegensatz zu der literarischen Aufmerksamkeit, die der lex mercatoria widerfährt. Während sie in der Literatur allgemein als eine Art Prototyp des transnationalen Rechts dargestellt wird – deren Entwicklungsstufe z. B. den Unterstützern der lex sportiva als Fernziel vorschwebt12 –, so steht sie in der Wirklichkeit – dem Kaiser in dem Märchen von Hans Christian Andersen vergleichbar – ohne Kleider, also ohne wahrnehmbare praktische Relevanz für den internationalen Handel, dar.
10 11 12
Siehe Erster Teil 2. Kapitel 5. Abschnitt. Zangl/Zürn, Verrechtlichung jenseits des Staates, S. 239, 244. Vgl. z. B. die Bezugnahme bei Gardiner et al., Sports Law, S. 88.
4. Kap.: Vergleich der Erscheinungsformen
163
Aber auch zwischen der lex informatica und der lex sportiva gibt es wesentliche Unterschiede. Erstere enthält letztlich nur eine grundlegende Norm, so dass man kaum von einer Rechtsordnung, sondern nur von einer punktuellen Regelung sprechen kann, während letztere den Sport detailliert reglementiert. Darüber hinaus ist nur durch die lex sportiva ein Bereich neu geregelt worden – sogar mit eigenen Prinzipien, wie z. B. der besonderen Bedeutung des Fairnessgebots –, wogegen für die lex informatica lediglich staatliche Normen übernommen worden sind, so dass es sich nicht um eine Normensetzung, sondern eine Normenumwandlung von staatlichen in hybride Normen handelt. Das Besondere an der lex sportiva ist schließlich, dass es sich in der Regel um Streitigkeiten zwischen einem Athleten und einem Verband handelt, während in den anderen Bereichen, die Streitigkeiten direkt zwischen den Betroffenen ausgetragen werden. Dementsprechend erinnert das Verhältnis der beiden Parteien bei der lex sportiva an eines der Über- und Unterordnung und damit an öffentlichrechtliche Sachverhalte. Demgemäß wird die lex sportiva auch als eine Form „autoritärer Herrschaft von Monopolverbänden“ bezeichnet13, während die lex mercatoria als ein Produkt „nichtautoritärer Strukturen des Marktes“ beschrieben wird14 Jedes der untersuchten Gebiete hat somit eine ganz eigene Charakteristik. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Unterschiede überwiegen. Die wenigen Gemeinsamkeiten teilen sie mit anderen – insbesondere staatlichen – Normenordnungen, die gerade kein transnationales Recht sein können. Es fehlt eine besondere Verbindung zwischen diesen Phänomen, wie sie bei staatlichen Rechtsgebieten infolge der einheitlichen Rechtsquellen gegeben ist. Für das transnationale Recht zeichnen sich dagegen eine Reihe unterschiedlicher Entstehungsweisen ab. Es kann ohne umfassende institutionelle Einbindung – also gewissermaßen spontan – wie bei der lex mercatoria erfolgen; es kann durch ein Zusammenwirken von Nationalstaaten, internationalen Organisationen und privaten Institutionen – also hybrid – entstehen, wie die UDRP; oder es kann in einem festen Verbandsrahmen – also institutionell – gesetzt werden, wie die lex sportiva. Jedenfalls kann nur bei der lex mercatoria – wie für das gesamte transnationale Recht angenommen15 – die Schiedsgerichtsbarkeit eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Normen spielen. Ebenso wenig leiten sich die Normen der lex informatica und der lex sportiva direkt aus der Praxis ab; sie sind vielmehr abschließend kodifiziert. Die als Ausgangspunkt dienende Beschreibung ist also lediglich auf die lex mercatoria zugeschnitten und wird dem vermeintlich transnationalen Recht in seiner Vielfalt nicht gerecht.
13 14 15
Reuter, DZWir 1996, S. 1, 8. Zu diesem Vergleich, Röthel, JZ 2007, S. 755, 758. Vgl. Erster Teil 1. Kapitel 2. Abschnitt VI.
Dritter Teil
3.
Transnationale Normenordnungen – autonome Alternative oder verwobene Ergänzung zum staatlichen Recht? 3. Teil: Transnationale Normenordnungen Die Verfechter eines Konzepts des transnationalen Rechts gehen davon aus, dass sich jenseits des Staates entwickelnde Normenordnungen eine – zumindest – gleichwertige Alternative zum staatlichen Recht darstellen und deswegen als Recht begriffen werden müssen. Vor dem Hintergrund der im ersten Teil dargestellten rechtstheoretischen Ansätze für die Konzeptionalisierung transnationaler Normenordnungen als transnationales Recht und der im zweiten Teil unternommenen Untersuchung beispielhafter Normenordnungen und deren Entwicklungspotential soll deswegen im letzten Teil diese Annahme überprüft werden. Angesichts der bisher gefundenen Ergebnisse ist allerdings zu bezweifeln, dass sich die Normenordnungen als gleichwertige Alternative präsentieren. Deswegen soll dieser Annahme ein Modell gegenüber gestellt werden, wonach die transnationalen Normenordnungen mit dem staatlichen Recht verwoben sind.
1. Kapitel
Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen 1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
Die Untersuchung führte im zweiten Teil zum Ergebnis, dass die Normenordnungen weniger Gemeinsamkeiten als allgemein angenommen aufweisen. Anhand dieser Beispiele für das transnationale Recht lässt sich somit gegenwärtig kein belastbares Konzept für dieses entwickeln. Hinzu kommt, dass die Normenordnungen, auch einzeln betrachtet, zum Teil noch wenig ausgereift sind. Allerdings ist die gesamte Entwicklung der transnationalen Normenordnungen noch nicht abgeschlossen, sondern befindet sich in stetigem Fluss. Insbesondere die Diskussion über die lex mercatoria ist stets mit der Vorhersage ihres Durchbruchs verbunden1, so dass diesen Vermutungen nachgegangen werden muss, um die Frage nach den Entstehungsmöglichkeiten einer Normenordnung ohne institutionellen Hintergrund zuverlässig beantworten zu können. Aber auch insgesamt lassen sich übergreifende Entwicklungslinien im Zusammenhang mit den unter1
Stein, Lex Mercatoria, S. 161.
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
165
suchten transnationalen Normenordnungen ausmachen. Die angesprochenen Entwicklungen, die vor allen Dingen das Verhältnis zum Nationalstaat betreffen, sind zwar zum Teil noch nicht abgeschlossen und zu einem anderen Teil bereits wieder überholt, liefern aber wichtige Hinweise zur Vervollständigung des Bildes. Schließlich soll noch die Normentwicklung in den neu entstehenden virtuellen Welten angesprochen werden. Dort kann ein weiterer Anwendungsbereich für sich neu bildende transnationale Normenordnungen liegen. Allerdings zeigen sich auch hier die bereits bekannten Probleme.
1. Abschnitt
Entwicklungsmöglichkeiten der lex mercatoria Auch wenn die Befürworter der lex mercatoria deren Existenz als gesicherte Erkenntnis darstellen, so kommen sie in dieser Diskussion nicht umhin, ihr zwischenzeitlich eine gewisse Unvollständigkeit zu attestieren2. Dieses notwendige Eingeständnis wird stets durch den Hinweis abgeschwächt, dass es sich bei der lex mercatoria um eine Rechtsordnung in den „Kinderschuhen“ handele, die nur noch eines Anstoßes bedürfe, um ihr Potential zu entfalten. Eine solche Argumentation, bei der die gegenwärtige Existenz mit Hinweisen auf die Zukunft begründet wird, erscheint etwas vorschnell, insbesondere wenn die Verwirklichung der Potentiale von weiteren Bedingungen abhängig gemacht wird. Exemplarisch für diese widersprüchliche Haltung stehen die Ausführungen in der umfassenden Arbeit von Stein zur lex mercatoria. Zunächst wirft die Autorin den Vertretern der traditionellen Rechtstheorien vor, die empirisch belegbaren Entwicklungen nicht genügend zu beachten: „Für diese Auseinandersetzung ist die unbestreitbare kreative Leistung der Spruchpraxis der Schiedsgerichte ohne jedes Interesse, weil empirische Anschauungen die innere Stringenz theoretischer Beweisführung nicht zu erschüttern vermag.“3
Allerdings scheint sie sich auf diese Entwicklung nicht ausschließlich verlassen zu wollen, wenn sie feststellt: „Der nach aktuellem Wissensstand verfügbare Fundus an autonomen Regeln und Grundsätzen illustriert zwar das Entstehen von eigenständigem Schiedsrichter case law, besagt aber wenig über die grundsätzliche Bedeutung dieses Phänomens bei der Herausbildung eines autonomen Rechts. Interessanter und aufschlussreicher als das Entwicklungsprodukt erscheint in dieser Hinsicht das Entwicklungspotential, über das die internationale Arbitrage heute verfügt.“4
Allein auf die Empirie möchte sie sich scheinbar nur verlassen, wenn dadurch die eigenen Vorstellungen bestätigt werden. 2 3 4
Calliess, Verbraucherverträge, S. 283. Stein, Lex Mercatoria, S. 151 f. Stein, Lex Mercatoria, S. 161.
166
3. Teil: Transnationale Normenordnungen
Trotz der Fragwürdigkeit des Ansatzes, die gegenwärtige Existenz mit zukünftigen Entwicklungen zu begründen, soll dieser Möglichkeit nachgegangen werden. Denn ebenso wie die tatsächliche Bedeutung der lex mercatoria können auch ihre Potentiale schnell überschätzt werden. In diesem Fall entfiele ein weiterer Stützpfeiler der lex mercatoria und damit des Konzepts des transnationalen Rechts.
I. Vermeintliches Potential und ernüchternde Realität 1. Unterstützung ohne erkennbare Erfolge Befürworter der lex mercatoria haben einen ganzen Anforderungskatalog entwickelt, dessen Umsetzung den endgültigen Durchbruch der lex mercatoria unterstützen soll. Weit oben auf dieser Liste steht die Reform der Schiedsgerichtsbarkeit. So sollen Schiedssprüche regelmäßig veröffentlicht5 und die Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt hierarchisiert werden6. Auf diese Weise kann bzw. muss auf andere Schiedsentscheidungen Bezug genommen werden, so dass eine kohärente Weiterentwicklung von Rechtssätzen durch die Schiedspraxis ermöglicht wird. Im Übrigen wäre eine Veröffentlichung der Schiedssprüche Voraussetzung für eine Weitergabe von Informationen über Regelbrüche, die für die Entwicklung eigenständiger Durchsetzungsmechanismen notwendig ist7. Jedenfalls soll das Schiedsgerichtssystem der Struktur des staatlichen Gerichtssystem angenähert, also die lex mercatoria weiter verrechtlicht werden. Nun ist in den letzten Jahren ein gewisser Trend festzustellen, Schiedssprüche zunehmend zu veröffentlichen8. Darüber hinaus behält sich die ICC vor, in besonderen Fällen eigene Schiedssprüche noch einmal zu kontrollieren. Aber auch in anderen Bereichen können die Rahmenbedingungen für eine Weiterentwicklung der lex mercatoria als günstig angesehen werden. Die staatliche Durchsetzung der auf der lex mercatoria beruhenden Schiedssprüche ist durch die Umsetzung des New Yorker UN-Übereinkommens vom 10. Juni 1958 bis zu einem gewissen Grad automatisiert9. Anhand der CENTRAL-Liste kann sich jeder ohne großen Aufwand über den gegenwärtigen Inhalt informieren. Schiedsrichter könnten sich vergleichbar mit staatlichen Richtern auf eine Normenordnung beziehen, was die Entscheidung vereinfachte, weil sie – jedenfalls wenn die lex mercatoria entgegen der hier vertretenden Auffassung als einigermaßen vollständige Normenordnung gesehen wird – feststehende Regeln „nur noch“ interpretieren und nicht erst allgemeine 5
Für die Bedeutung der Veröffentlichung Calliess, Verbraucherverträge, S. 258. Exemplarisch Stein, Lex Mercatoria, S. 153 m. w. N. 7 Vgl. Erster Teil 3. Kapitel 2. Abschnitt I. 8 Diese Entwicklung feststellend Calliess, Verbraucherverträge, S. 258, insbesondere mit dem Verweis auf Transnational Law Database (www.tldb.de) und die Datenbank UNILEX (www.unilex.info). 9 Dies betont Schroeder, JbJZRWiss 2002, S. 257, 272. 6
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
167
Rechtsprinzipien konkretisieren müssten10. Auch dies wäre eine Form der Verrechtlichung. Schließlich sieht eine Reihe von Wissenschaftlern die Existenz der lex mercatoria als erwiesen an und zögert nicht, ihre Entwicklung weiter zu fördern bzw. sogar zu vermarkten11. Trotz dieser überaus günstigen Bedingungen hat aber die Zahl der Schiedssprüche, die auf Grundlage der lex mercatoria ergangen sind, nicht nennenswert zugenommen12. Das wirft einen Schatten auf alle optimistischen Annahmen, denn der Beweis für ihre Existenz muss letztlich ihre praktische Bedeutung für den internationalen Handelsverkehr sein. Es scheint sich bei den Prognosen um bloße theoretische Vermutungen zu handeln, die nicht notwendig eine Entsprechung in der Realität finden.
2. Widersprüchlichkeit der Entwicklungsprognosen zur lex mercatoria a) Zweifelhafte Nutzen einer Reform der Schiedsgerichtsbarkeit Neben die Zweifel an dem Potential der lex mercatoria aufgrund der ausbleibenden tatsächlichen Realisierung desselben treten theoretische Bedenken. Die vorgeschlagenen Entwicklungshilfen haben nämlich Kehrseiten, die eine Weiterentwicklung der lex mercatoria bereits logisch unwahrscheinlich werden lässt. Zunächst würden durch die erwogenen Reformen der Schiedsgerichtsbarkeit die Vorteile, die diese gegenüber der ordentlichen Gerichtsbarkeit bietet, entfallen. Insbesondere der Zeitgewinn wäre nach der Einführung einer zusätzlichen Stelle zur Überprüfung nicht mehr in gleichem Umfang garantiert. Unabhängig davon, ob durch eine solche Reform der Schiedsgerichtsbarkeit die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines neuen materiellen Rechts als Alternative zum nationalen Recht erhöht wird, würde die Schiedsgerichtsbarkeit als Alternative zur Rechtsprechung an Attraktivität verlieren. Dadurch würden sich auch die Möglichkeiten zur alternativen (sprich nicht ausschließlich rechtlichen) Streitbeilegung verringern. Ob dies im Interesse der internationalen Kaufmannschaft liegt, ist zweifelhaft. Schließlich rühren die Erfolge der Schiedsgerichtsbarkeit nicht daher, dass kein staatliches Recht angewendet wird, denn die meisten Fälle werden nach staatlichem Recht entschieden, sondern daher, dass auf bestimmte formelle Erfordernisse verzichtet wird. So kann ein Streit schnell und diskret auf eine Weise entschieden werden, die es ermöglicht, dass beide Parteien ihr Gesicht wahren und ihre geschäftlichen Beziehungen fortsetzen können. Folglich richten sich auch viele neue Bemühungen im Bereich der Streitschlichtung auf immer schnellere Verfahren und nicht auf die Einführung einer zusätzlichen Instanz. 10 11 12
Fassberg, 5 Chi. J. of Int’l L. (2004), S. 67, 79. Berger, ZvglRWiss 101 (02), S. 12, 37. Dasser, Critical Comments, S. 189, 197.
168
3. Teil: Transnationale Normenordnungen
b) Probleme der Kodifikation Einen weiteren Impuls sollte die lex mercatoria durch die CENTRAL-Liste erhalten. Auf diese Weise sollten inhaltliche Unsicherheiten ausgeräumt werden. Gleichzeitig sollte auf diese Weise den Schiedsgerichten ermöglicht werden, sich direkt auf eine Normenordnung zu beziehen. Das Besondere an dieser Liste ist – wie bereits dargestellt13 –, dass sie „offen“ ist, um auf das dynamische transnationale Wirtschaftsrecht angemessen reagieren zu können. Allerdings birgt eine solche Offenheit die Gefahr, dass die vermeintliche Kodifizierung lediglich eine Art Zusammenfassung methodenorientierter Rechtsanwendung darstellt14 und nicht die Rechtsschaffung aufzeichnet. Darüber hinaus haben sich bei der praktischen Umsetzung dieses Vorhabens einige Probleme gezeigt, die der eigentlichen Idee der lex mercatoria mit ihren praxisnahen und dynamischen Regeln widersprechen. So werden nicht alle Prinzipien durch Referenzen zu Schiedssprüchen, geschweige denn von einer größeren Zahl von Schiedssprüchen gedeckt, um diese als Ausprägungen der Handelspraxis zu qualifizieren15. Von den 86 Regeln, die in der TLDB enthalten sind, wird nur bei 56 die Anwendung in der Schiedspraxis nachgewiesen. Bedenkt man die Ungebundenheit der Schiedsrichter bei ihren Entscheidungen, so hat die einmalige Verwendung einer bestimmten Regel in einem Schiedsspruch für sich genommen nur eine begrenzte Aussagekraft. Es gibt auf Grund der Heterogenität gerade nicht notwendig eine Art einheitlicher Rechtsprechung, geschweige denn eine Art von stare decisis. Von einer gewohnheitsrechtlichen Schiedspraxis sollte man erst ab einer gewissen Regelmäßigkeit sprechen. Nimmt man als Voraussetzung für eine solche Regelmäßigkeit ein Minimum von 5 nachgewiesenen Entscheidungen, so bleiben 22 Regeln übrig, die sich mit dieser Regelmäßigkeit in Schiedsentscheidungen nachweisen lassen. Es zeigt sich also, dass bei weniger als einem Drittel der Regeln der Bezug zur Schiedspraxis deutlich zu Tage tritt. Der Schiedsgerichtsbarkeit lassen sich deshalb nur punktuelle Hinweise auf den Normenbestand einer lex mercatoria als Normenordnung mit Anspruch auf Vollständigkeit entnehmen. Deswegen sah es bereits Dasser als hoffnungsloses Unterfangen an, anhand der aufgeführten Entscheide einen Kodex der lex mercatoria zu verfassen16. Auch wird die Entwicklung der lex mercatoria weniger von Kaufleuten als vielmehr von Juristen begleitet. Die CENTRAL-Liste ist von Juristen auf der Basis von nationalen Gesetzen (welche hauptsächlich von Juristen formuliert wurden), Einheitsgesetzen (welche hauptsächlich von Juristen formuliert wurden), interna13 14 15
Erster Teil 2. Kapitel 3. Abschnitt. Vgl. dazu Zumbansen, 67 RabelsZ (2003), S. 637, 651. Ebenso Fassberg, 5 Chi. J.Int’l L. (2004), S. 67, 81; Mustill, Lib. am. Wilberforce, S. 149,
178. 16
Dasser, Lex mercatoria S. 266.
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
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tionalen Prinzipien und common cores (welche ebenfalls hauptsächlich von Juristen formuliert wurden) sowie mit Hilfe der funktionalen Rechtsvergleichung, die eine genuin juristische Methode darstellt, formuliert worden17. Süffisant weist auch von Breitenstein darauf hin, dass man bei einer Analyse des Inhalts der lex mercatoria meist auf wohlbekannte lateinische Ausdrücke aus der heimischen Rechtsgeschichte und -theorie stößt, die jedenfalls im 20. Jahrhundert weniger im internationalen Handel als vielmehr in der Studierstube gelehrter Juristen gebräuchlich seien18. Die in Anspruch genommene Praxisnähe ist also nicht in Einklang zu bringen mit dem Bemühen, bereits eine einigermaßen vollständige Normenordnung zu präsentieren. Die beschriebene lex mercatoria erscheint somit als künstliches Produkt von Außenstehenden, das nicht das Verhalten der Geschäftsleute beschreibt, sondern Regeln auswählen, die das Verhalten vorschreiben19. Bestehende Vorbehalte der Praxis sollen aktiv überwunden werden20. Die lex mercatoria in ihrer vermeintlichen Form enthält also weniger Regeln von Kaufleuten, sondern Regeln für Kaufleute von Akademikern21. Ein anderer wesentlicher Bestandteil des Konzepts der lex mercatoria ist deren dynamische Weiterentwicklung. Nur so soll den sich ständig ändernden Ansprüchen der Wirtschaft genügt werden können. Diese Möglichkeit der beständigen Weiterentwicklung wird auch als ein großer Vorteil der Liste des TLDB gegenüber den statischeren UNIDROIT- und Lando-Prinzipien gesehen. Vergleicht man allerdings die Prinzipien, die Berger 1996 vorgestellt hat22, mit der aktuellen Liste des TLDB23, so fällt auf, dass sich in diesem Zeitraum wenig geändert hat. Es sind einige Prinzipien hinzugekommen. Doch handelt es sich dabei um bereits wohl vertraute Normen, so dass kaum davon ausgegangen werden kann, dass sie erst kürzlich in der Praxis entstanden sind. Auch fallen kaum Prinzipien weg. Obwohl die spontane Normenbildung erforderlich sein soll, um die dynamischen Prozesse abzubilden, lässt sich diese Dynamik in der CENTRAL-Liste kaum erkennen. Entweder ist die Entwicklung im internationalen Wirtschaftsrecht also nicht so dynamisch, wie vielfach behauptet wird; dann allerdings entfiele ein wesentliches rechtspolitisches Argument für die lex mercatoria, nämlich, dass das 17
Fassberg, 5 Chi. J. Int’l L. (2004), S. 67, 80. v. Breitenstein, FS Sandrock, S. 111,121. 19 Fassberg, 5 Chi. J. Int’l L. (2004), S. 67, 80. 20 Berger, ZvglRWiss 101 (02), S. 12, 37. 21 Treffend zum Ausdruck gebracht von Mustill, Lib. am. Wilberforce, S. 149, „The commercial man is a conspicious absentee from the writing on the lex mercatoria, and so indeed is his adviser“; vgl. ferner Dasser, Critical comments, S. 189; ders., Lex mercatoria, S. 397; De Ly, Lex Mercatoria, S. 159, 169; Gessner et al., Introduction, S. 1, 18. Vgl. auch Canaris, Die Stellung der „UNIDROIT Principles” und der „Principles of European Contract Law” im System der Rechtsquellen, S. 5, 14. 22 Berger „Schleichende“ Kodifizierung, S. 217 ff. 23 Stand: 29. Januar 2008. 18
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
staatliche Recht zu unbeweglich für die gegenwärtigen Anforderungen der Wirtschaft sei. Oder die Dynamik lässt sich trotz eines Projektes wie des CENTRAL nicht fassen und abbilden. Abbilden ließen sich vielmehr nur die Grundstrukturen, innerhalb derer sich das transnationale Recht dynamisch bewegt. Der Dynamik könnte dagegen nur durch „offene“ Generalklauseln wie „Treu und Glauben“ Rechnung getragen werden. Dann ist nicht ersichtlich, wie der von Berger als Beispiel für die Unzulänglichkeiten des nationalen Rechts angeführte Fall des Copyrightschutzes für Computersoftware24 anhand konkreter Normen der lex mercatoria hätte gelöst werden können. Es fehlt schlicht an derartigen Copyrightnormen. Eine Entscheidung auf Grundlage der lex mercatoria hätte nur anhand der Grundsätze von „Treu und Glauben“ oder davon abgeleiteter Prinzipien erfolgen können. Damit fällt die Aufgabe, diese dynamischen Entwicklungen zu beachten, wieder dem Schiedsrichter zu. Dieser wird allerdings aufgrund der zentralen Bedeutung der „offenen“ Klauseln und damit verbundenen Unbestimmtheit nur in geringem Umfang durch die gewählte Normenordnung, die lex mercatoria, unterstützt bzw. – je nach Sichtweise – behindert. Aber ob sich diese schwer zu kontrollierende Schiedsrichtermacht zur Rechtsbegründung eignet, kann bezweifelt werden25.
c) Schlussfolgerung – Die Grenzen des Rechts Insgesamt zeigt sich, dass ein kaum überbrückbarer Gegensatz zwischen den versprochenen Vorteilen einer funktionierenden lex mercatoria und den tatsächlichen Anforderungen an ihre Entstehung besteht. Selbst von Befürwortern wird eine gewisse „Verrechtlichung“ der lex mercatoria und des Umfelds, in dem sie angewandt wird, für notwendig erachtet. Aber gerade diese Maßnahmen führen dazu, dass die Vorteile der lex mercatoria schwinden. Man kann sich auf die lex mercatoria nicht wie auf eine andere feststehende Normenordnung berufen und gleichzeitig die ihr zugeschriebenen Vorteile genießen26. Entweder sie ist mit einer gewissen Verbindlichkeit irgendwo fixiert und garantiert damit Rechts- bzw. Erwartungssicherheit, oder sie ist flexibel, dynamisch und praxisnah. Es ist nicht ersichtlich, wie das Recht stetig auf einer Höhe mit den wirtschaftlichen Entwicklungen stehen soll; denn eine höhere Dynamik kann nur durch ständige Änderungen und damit auf Kosten der Rechtssicherheit erlangt werden. Diese Gewährleistung von Rechtssicherheit – oder in der Sprache der Systemtheorie: die Stabilisierung der Erwartungshaltung – ist jedoch sowohl eine der 24 Vgl. Berger, Schleichende Kodifizierung, S. 14, mit dem Beispiel des Schiedsverfahrens IBM Corp. v. Fujitsu Ltd. 25 Zumbansen, 67 RabelsZ (2003), S. 637, 650. 26 Zu diesem Problem Fassberg, 5 Chi. J. Int’l Law (2004), S. 67, 82.
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Hauptaufgaben als auch eines der Hauptmerkmale des Rechts. Dazu gehört aber ein Minimum an Stabilität. Dies bedeutet, dass der dynamischen Rechtsentwicklung Grenzen gesetzt sind. Versucht man ein Normensystem dennoch beständig weiterzuentwickeln, könnte es sein, dass es dadurch überfordert wird und nicht mehr in der Lage ist, seine Aufgabe zu erfüllen und Erwartungshaltungen zu stabilisieren. Es wäre also unbrauchbar. Scheuermann hat daraus den Schluss gezogen, dass das Recht nur noch begrenzt zur Steuerung der globalen Wirtschaft taugt, da diese sich zu schnell wandele27. Er bezieht sich auf Fullers Überlegungen zum Verhältnis von Recht und Wirtschaft. Demnach kann und muss ein Rechtssystem (das der inneren Moralität des Rechts genügt28) einen Rahmen für wirtschaftliches Handeln bereitstellen, ist aber überfordert, wenn es direkt in wirtschaftliche Prozesse intervenieren soll. Scheuermann interpretiert Fuller dahingehend, dass die wirtschaftlichen Bereiche, in denen rechtliche Instrumente hilfreich sind, von den anderen aufgrund des Zeithorizontes unterschieden werden können. Manche Bereiche erfordern schnelle Entscheidungen (z. B. das alltägliche Management) und wären durch Recht behindert, während andere Bereiche stabil sind (z. B. die Erwartung, dass ein Vertrag erfüllt wird). Wenn aber das Recht den neuen Entwicklungen der Wirklichkeit in jedem Fall „hinterherhinken“ muss, stellt sich die Frage, ob dieser Umstand nicht bis zu einem gewissen Grad akzeptiert werden sollte. Aufgabe des Rechts wäre es dann nur noch, einen stabilen Rahmen vorzugeben, innerhalb dessen sich der internationale Handel bewegen kann. Dafür bedarf es jedoch nicht notwendig einer lex mercatoria, sondern dieses Ziel ließe sich auch durch staatliches Recht erreichen.
3. Fragwürdige Zielsetzung Es hat sich gezeigt, dass die lex mercatoria die in sie gesetzten Erwartungen gegenwärtig und aller Voraussicht nach auch in Zukunft nicht erfüllen kann. Bisher aber wurde die Frage ausgeklammert, ob sie die Erwartungen überhaupt erfüllen soll. Diese Frage ist nicht aus Sicht der Wissenschaftler, denen dadurch der Status eines Quasi-Gesetzgebers zufiele29, sondern aus Sicht der Praxis zu beurteilen. Mit anderen Worten, man sollte sich die Frage stellen, ob die Existenz einer „idealen“ lex mercatoria überhaupt aus Sicht der Praxis wünschenswert wäre. Sollte sich herausstellen, dass eine lex mercatoria für die Praxis nicht notwendig „ideal“ wäre, würde der bereits theoretisch äußerst heiklen „Umsetzung“ von idealen 27
Scheuermann, Global Law, S. 103, 105. Nach Fuller, The Morality of Law, S. 33 ff., besitzt das Recht eine innere Moralität, wenn die Regeln (1) allgemein, (2) bekanntgegeben, (3) nicht rückwirkend, (4) verständlich, (5) widerspruchsfrei, (6) befolgbar, (7) relativ konstant sind und (8) ihrem Wortlaut nach angewandt werden. 29 Mankowski, AfP 1999, S. 93 ff. 28
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Rechtsvorstellungen in reales Recht – was letztlich eine naturrechtliche Geltungsbegründung darstellt – endgültig die Grundlage entzogen. Vielmehr läge nur ein weiteres Beispiel für die Probleme des Erkennens von „richtigem“ Recht vor30. Die meisten Befürworter sind allerdings von der Zweckmäßigkeit einer universellen lex mercatoria derart überzeugt, dass ihre Untersuchungen als „advocatory rather than descriptive or analytical“ beschrieben werden können31. So stellt Stein fest: „Ein einheitliches Weltwirtschaftsrecht mit entsprechender Gerichtsbarkeit ist als Desidirium offensichtlich und erübrigt jede Diskussion um anationales Recht.“32
Zu ihrer Begründung wird allerdings pauschal „auf die besonderen Bedürfnisse des internationalen Handels“ hingewiesen, ohne dass diese im Einzelnen verdeutlicht werden33. Aus diesem Grund muss die Zweckmäßigkeit einer universellen lex mercatoria, die sich aus Handelsbräuchen entwickelt, aus Sicht der Kaufleute hinterfragt werden. Entscheidend ist nicht, ob man die Zweckmäßigkeit einer lex mercatoria anders beurteilen muss, sondern nur, ob man sie anders beurteilen kann. Wenn derartige Zweifel an der Zweckmäßigkeit von Regelungen bestehen, so erscheint es problematisch, deswegen Einschränkungen der Rechtssicherheit in Kauf zu nehmen.
a) Probleme einer einzigen universellen Rechtsordnung Die Idee einer einzigen universellen Rechtsordnung, mit der die Schwierigkeiten des Internationalen Privatrechts umgangen werden, erscheint auf den ersten Blick einleuchtend. Trotzdem gibt es Stimmen, die eine Vereinheitlichung des Handelsrecht für wenig sinnvoll halten und in der Vielfalt der Rechtsordnungen sogar ein „Gebot der Gerechtigkeit“ sehen34.
aa) Fehlender Wettbewerb unter den Rechtsordnungen Durch eine Vereinheitlichung würde den Kaufleuten die – zumindest theoretisch bestehende – Möglichkeit genommen, sich die Rechtsordnung auszusuchen, die ihren Bedürfnissen am besten entspricht und entsprechend gestaltet werden 30 Ablehnend zu diesem Ansatz auch Bachmann, Private Ordnung, S. 39, der insbesondere darauf hinweist, dass ein entscheidender Vorteil der Rechtsquellenlehre darinliegt, dass ungeachtet des Inhalts einer Regel über ihre Geltung befunden werden kann. 31 Fassberg, 5 Chi. J. Int’l L. (2004), S. 67, 68. 32 Stein, Lex mercatoria, S. 213. 33 v. Bar, IPR, S. 82; Hölker, Rolle der lex mercatoria, S. 23. 34 Kötz, RabelsZ 50 (1986), S. 1, 2.
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kann. Dass diese Art der Gestaltung sinnvoll sein kann, lässt auch die Vielzahl von – privat geschaffenen – Standardverträgen vermuten. Diese Vielfalt deutet darauf hin, dass es nicht den besten Standardvertrag als solchen, sondern nur den besten Standardvertrag für eine bestimmte Situation gibt, also z. B. abhängig von der erwünschten Risikoverteilung. Ähnliches könnte für bestimmte Rechtsordnungen gelten. Aufgrund der fehlenden Wahlmöglichkeit würde auch ein Wettbewerb zwischen den Rechtsordnungen unterbunden. Auf diese Weise entfiele eine Möglichkeit, die beste Regelung für eine Fallkonstellation zu finden. Wenn global nur eine Rechtsordnung existieren würde, könnte diese sich zwar weiterentwickeln; sie könnte sich aber nur aus sich selbst heraus entwickeln und nicht mehr von Erfahrungen anderer Rechtsordnungen profitieren. Dieses Argument sollte allerdings nicht vorschnell verwandt werden, da fraglich ist, ob ein solcher Wettbewerb zwischen den nationalen Rechtsordnungen überhaupt stattfindet35. Gerade im (Handels-)Vertragsrecht kann ein wirklicher Wettbewerb mit dem Argument bezweifelt werden, dass das Vertragsvolumen entweder so gering sei, dass sich ein Vergleich der Rechtsordnungen nicht lohne, oder so groß sei, dass der Vertrag im Detail ausformuliert werde, was die Bedeutung des anwendbaren Rechts relativiere36. Mit Hilfe eines ökonomischen Ansatzes lassen sich also Argumente für und gegen eine lex mercatoria finden. So kann man nicht nur zu dem Ergebnis kommen, dass Selbstregulierung eine ernsthafte Option für effiziente Rechtsetzung insbesondere im Bereich des internationalen Handel ist, sondern mit Hilfe dieses Ansatzes auch vertreten, dass es sinnvoll sei, einen Wettbewerb der Rechtsordnungen zu ermöglichen. Auf diese Weise kann sich die beste Ordnung durchsetzen, was nicht notwendig bei einer Vereinheitlichung der Fall wäre37. Das soll nicht bedeuten, dass eine universell einheitliche Rechtsordnung für den internationalen Handel nicht mehr Vorteile als Nachteile hätte; jedoch wären ihre Vorteile nicht notwendig so durchschlagend, wie sie häufig dargestellt werden. Zusätzlich bleibt festzustellen, dass die Globalisierung der Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten auch ohne ein einheitliches Handelsrecht in einem bemerkenswertem Tempo zugenommen hat.
bb) Folgeprobleme für die Abgrenzung von nationalem und internationalem Handel Denkt man den Gedanken eines einzigen universellen Handelsrechts konsequent weiter, so stellt sich ein neues Problem, nämlich die Abgrenzung von transnationa-
35 36 37
Dazu sehr ausführlich Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen. Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, S. 309. Vgl. De Ly, Lex Mercatoria, S. 159, 171.
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
lem und nationalem Handel. Denn nach der gegenwärtigen Idee soll die lex mercatoria nur für grenzüberschreitende Handelsgeschäfte gelten. Ursprünglich wurde das Hauptproblem des internationalen Handels in der geringeren Faktormobiltät gesehen38. Grenzen und Entfernungen behinderten den freien Fluss der Waren. In Zeiten des technischen Fortschritts und der sogenannten „Zeit/Raum Kompression“ im Zuge der Globalisierung hat diese Annahme an Überzeugungskraft eingebüßt. Als hauptsächliches Hemmnis des internationalen Handels wird dagegen die „Territorialität des Privatrechts“39 gesehen. Dementsprechend soll diese Territorialität durch die lex mercatoria überwunden werden. Mit der Territorialität des Privatrechts entfiele ein wesentlicher Unterschied zwischen internationalem und nationalem Handel. Aus Sicht der Kaufleute ließe es sich dann schwer nachvollziehen, warum die lex mercatoria nicht auch auf den nationalen Handel anwendbar sein sollte. Andernfalls bliebe der Handel noch immer kompliziert, wären doch weiterhin – je nach Wohn- bzw. Unternehmenssitz des Geschäftspartners – unterschiedliche Handelsrechtsordnungen anwendbar. Dies zeigt, dass die Juristen bei ihren Forderungen nach Universalität die lex mercatoria aus der Perspektive des Internationalen Privatrechts und nicht der Kaufleute sehen40. Aus Sicht der Kaufleute müsste sich die Forderung nach einem weltweit einheitlichen Handelsrecht naturgemäß auch auf die nationale Ebene erstrecken. Dann aber würde deutlich, was auf globaler Ebene mangels eines Weltstaates noch verschleiert werden kann, dass nämlich mit Hilfe einer moralisch begründeten Normenordnung demokratisch legitimierte Rechtsordnungen umgangen bzw. verdrängt würden. Während gesetzeskorrigierendes und gesetzeskonkurrierendes Richterrecht prinzipiell unzulässig bzw. verfassungswidrig ist41, würde derartiges Recht sogar in Schiedsverfahren entstehen, in denen der Schiedsrichter nur den Parteien gegenüber verantwortlich ist. Dies ließe sich auf internationaler Ebene möglicherweise noch durch die Erwägung rechtfertigen, dass auch durch das Internationale Privatrecht zumindest einer Partei eine Rechtsordnung „aufgezwungen“ wird, die ihr demokratisch nicht zurechenbar ist. Auf nationaler Ebene würde damit jedoch die demokratische Grundordnung ausgehebelt werden.
b) Bedarf an und Möglichkeit von praxisnahen Regeln Eine zweite Prämisse, die von den Befürwortern der lex mercatoria gewählt wird, besagt, dass der internationale Handel besonderer praxisnaher Regeln be38 39 40 41
Ricardo, Grundsätze, S. 112 f. Schmidtchen, RabelsZ 59 (1995), S. 56, 69 ff. Dasser, Critical Comments, S. 189, 190. J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 235 ff.
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darf, die seinen Bedürfnissen gerecht werden. Es steht außer Zweifel, dass rechtliche Vorschriften sich an gesellschaftliche und technische Neuerungen anpassen müssen und insofern „praxisnah“ sein sollten. Die Frage ist jedoch, inwieweit auf Gewohnheiten und Bräuche in einem bestimmten Umfeld Rücksicht genommen wird, um dadurch eine „Praxisnähe“ zu erreichen. Nationale Rechtsordnungen lassen für diese Form der Praxisnähe durchaus Raum. So finden im deutschen Handelsrecht über § 346 HGB Handelsbräuche Berücksichtigung. Dadurch soll den Kaufleuten die Möglichkeit gegeben werden, innovative Handelsformen oder -instrumente zu entwickeln, die auch vor Gerichten Bestand haben können; denn – so die zugrunde liegende Überlegung – die Kaufleute können den Bedarf an solchen Instrumenten am besten einschätzen. Allerdings wird diese Form der Praxisnähe durch zwingende Rechtsnormen begrenzt. Bei der lex mercatoria soll diese Nähe noch einmal gesteigert werden, denn sie soll im wesentlich auf Handelsbräuchen aufbauen und sich ständig verändern. Handelsbräuche sind also nicht als Ausnahme vom geltenden Recht, sondern als Regeln und Normen des geltenden „Rechts“ zu sehen. Die postulierte Praxisnähe wird freilich nur durch vergleichsweise unbestimmte Normen erreicht42, die eine leichte Adaption an die gängige Praxis ermöglichen. Dies erscheint als der einzige Weg, eine dauerhafte Flexibilität zu erreichen und mit den Entwicklungen in der Praxis Schritt zu halten. Allerdings ist es auffällig, dass andere private Normenordnungen – wie die Regeln der US-amerikanischen Baumwollhändler oder die ICC-Regeln für die Dokumentenakkreditive – besonders technisch und präzise sind43. Es lassen sich in diesen Regelwerken wenige oder gar keine Generalklauseln bzw. unbestimmte Rechtsbegriffe finden. Die Regeln für die Dokumentenakkreditive sind gerade dazu bestimmt, unklare Begriffe zu definieren. Auch bei den Regeln der US-amerikanischen Baumwollhändlern fehlen unbestimmte Begriffe wie „vernünftig“, „zeitgemäß“, „ohne Bedenken im Handel“44. Zudem werden die Regeln wortgetreu angewandt, wobei als unfair empfundene Ergebnisse zunächst akzeptiert werden45. Es wird also weniger Wert auf Einzelfallgerechtigkeit durch die Schiedsgerichte als auf Erwartungssicherheit gelegt. Das bewusste Ausnutzen von Lücken wird dagegen durch informelle Sanktionen geahndet46. Wenn Praktiker ein so großes Bedürfnis nach praxisnahem Recht hätten, sollte man erwarten, dass gerade in den selbst geschaffenen Regelwerken entspre42
Siehe Zweiter Teil 1. Kapitel 5. Abschnitt I. Vgl. zu diesen Untersuchungen Erster Teil 3. Kapitel 2. und 4. Abschnitt. 44 Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724, 1733. 45 Hadfield, Privatizing commercial Law, S. 17; Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724, 1737; Bernstein, 114 U. Pa. L. Rev. (1996), S. 1765, 1770. 46 Hadfield, Privatizing commercial Law, S. 48 ff. Zu der Bedeutung dieser unterstützenden sozialen Netzwerke siehe Erster Teil 3. Kapitel 2. Abschnitt. So ist z. B. eine gute Reputation erforderlich um erfolgreich am Baumwollhandel teilnehmen zu können. Vgl. Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724, 1745 ff., insb. 1748. 43
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
chende Vorkehrungen getroffen werden, um für alle Fälle eine Entscheidung gemäß den gegenwärtigen Handelsbräuchen zu ermöglichen. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Eine mögliche Erklärung für dieses vermeintliche Paradoxon liefert Bernstein. Sie gelangt aufgrund ihrer Untersuchungen – in denen sie festgestellt hat, dass die jeweiligen Schiedsgerichte der untersuchten Handelszweige einen besonders formalen Ansatz wählen47 – zum Ergebnis, dass ein Interesse der Praxis gegeben ist, einen stabilen Rechtsrahmen zu haben, der nicht durch die Berücksichtigung von Handelsbräuchen im Einzelfall aufgeweicht wird48. Eine Berücksichtigung kann nämlich dazu führen, dass manche Kompromisse im Einzelfall nicht eingegangen werden, weil die Akteure ihre rechtliche Verbindlichkeit als Handelsbräuche fürchten49. Um es an einem konkreten Beispiel zu erläutern: Ein Kaufmann gewährt einem langjährigen Geschäftspartner das besondere Zugeständnis einer Vertragsanpassung in einem Härtefall – entsprechend der hardship-Klausel –, da die zukünftigen Geschäftsbeziehungen für ihn von besonderem Wert sind. Kann daraus geschlossen werden, dass er solche Zugeständnisse auch einem Unbekannten machen möchte? Es könnte für einen Händler auch höchst überraschend sein, da er von seiner rechtsschöpfenden Kraft bisher noch nichts geahnt hat, wenn eine solche Klausel ohne vertragliche Einbeziehung zunächst als Handelsbrauch und in einem nächsten Schritt als objektives Recht gilt. Diese Entwicklung könnte unerwünscht sein, weil aus Sicht des Händlers keine Veranlassung besteht, jedem Kunden bzw. einem Geschäftspartner regelmäßig solche Zugeständnisse zu machen. Eine denkbare Folge wäre, dass er auch einem langjährigen Geschäftspartner keine derartigen Zugeständnisse mehr machen wird, um zu verhindern, dass er in allen Fällen daran gebunden ist. Dadurch würden aber seine Handlungsmöglichkeiten beschnitten; so könnten langfristige Geschäftsbeziehungen nicht mehr ohne weiteres durch ein besonderes gegenseitiges Vertrauen gestützt werden. Gleichzeitig könnte die dynamische Entwicklung von Handelsbräuchen zum Erliegen kommen50. Bernstein stützt auf diese Überlegungen eine prinzipielle Kritik des § 2 UCC, der – ebenso wie § 346 HGB – Handelsbräuche ins objektive Recht integriert51. Dieser bedenkenswerte Ansatz soll hier nicht weiter verfolgt werden52, da – anders als in homogenen Gruppen – die Änderung der Vorschriften in einem Staat schwierig und zeitaufwendig ist, so dass ein staatliches Rechtssystem ohne diese Korrekturmöglichkeit Gefahr läuft, zu statisch zu werden. Es stellt sich aber die Frage, was dies für eine vermeintliche Rechtsordnung bedeutet, welche in erster Linie auf 47 Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724, 1735 ff.; dies., 114 U. Pa. L. Rev. (1996), S. 1765, 1770. 48 Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724, 1776 ff. 49 Bernstein, 99 Mich. L. Rev. (2001), S. 1724, 1743 f. 50 Bernstein, 114 U. Pa. L. Rev. (1996), S. 1765, 1794. 51 Bernstein., 114 U. Pa. L. Rev. (1996), S. 1765 ff. 52 Kritisch dazu Epstein, 66 U. Ch. L. Rev. (1999), S. 821.
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solchen Handelsbräuchen aufbaut und bei der die Praxisnähe ein entscheidendes Argument zur Unterstützung ist. Es bestehen also Zweifel, ob die Praxisnähe der lex mercatoria tatsächlich in der Weise den Bedürfnissen der internationalen Kaufleute entspricht wie stets behauptet wird53.
II. Alternative Konzeptionalisierung: Lex mercatoria als Methode In eine andere Richtung weist eine neuere Theorie zur lex mercatoria. Nach Gaillard soll lex mercatoria eine Chiffre für eine Methode der Rechtsfindung sein54. Die Idee, dass mit Hilfe der lex mercatoria und ihrer Quellen zu jedem Problem eine Entscheidung gefunden werden kann (also dem Kennzeichen eines Systems), hat Gaillard zu einem neuen Konzept der lex mercatoria weiterentwickelt. Er sieht in der lex mercatoria eine Methode zur Streitentscheidung im internationalen Privatrecht. Anstatt der traditionellen Rechtswahl würde ein Fall nach den Regeln entschieden, die international am weitesten verbreitet wären. Instrumente für diese Entscheidungen wären Modellgesetze ebenso wie internationale Abkommen. Diese Methode soll in drei Schritten angewandt werden55. Zunächst werden die Absichten der Parteien berücksichtigt. Danach wird geprüft, ob sich die Parteien auf eine allgemeine Regel stützen oder auf eine, die nur einem System eigen ist, was ein Grund für deren Zurückweisung wäre. Schließlich wird überprüft, ob diese Regel ausreichend akzeptiert wird, um als allgemeines Rechtsprinzip gelten zu können. Dabei ist nicht die unwidersprochene Anerkennung notwendig, denn ansonsten gäbe es überhaupt kein Problem. Dieser Ansatz ist zweifellos bedenkenswert und findet in der Literatur zunehmend Beachtung56. Insbesondere, weil er das eigentliche Problem adressiert, nämlich die komplexe Gemengelage von Normen im transnationalen Wirtschaftsverkehr57, ohne sich gleichzeitig damit zu überfordern, diese in einer einzigen Normen- bzw. Rechtsordnung aufzulösen. Dadurch entfernt sich dieser Ansatz jedoch sehr weit vom ursprünglichen Ausgangspunkt58. Der Inhalt der lex mercato53 Zusätzlich äußern McMillan/Woodruff, 98 Mich. L. Rev. (2000), S. 2421, 2454, Bedenken an der Effektivität von privaten Normenordnungen, da auf diese Weise neue Amrktteilnehmer benachteiligt werden könnten und die Monopolbildung erleichtert ist. 54 Gaillard, Method of Decision-Making?, S. 53, 56 f. 55 Gaillard, Method of Decision-Making?, S. 53, 57. 56 De Ly, Lex Mercatoria, S. 159, 180, Redfern/Hunter, Law and Practice, S. 111 f.; Zumbansen, 67 RabelsZ (2003), S. 637, 649. 57 Zumbansen, 67 RabelsZ (2003), S. 637, 649. 58 Gaillard, Method of Decision-Making?, S. 53, präsentiert die Sichtweise der lex mercatoria als Methode bereits im Titel als Alternative zu einer lex mercatoria als Rechtsordnung, auch wenn er anschließend zu dem Schluss kommt, dass die Anwendung dieser Methode allen Anfordungen an ein Rechtssystem gerecht wird, um so der lex mercatoria auch einen Anwendungsbereich zu eröffnen, wenn nach den nationalen Vorschriften nur „Recht“ und nicht
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ria bestünde hiernach nur relativ zu dem jeweiligen Streit. Es gäbe keine eigentlich neue Art von Recht, geschweige denn eine mit universeller Geltung. Darüber hinaus wären die so gefundenen Regeln auch nicht autonom gegenüber staatlichen Bestimmungen, sondern gingen ausschließlich aus ihnen hervor. Andererseits ließen sich viele Schiedssprüche, in denen in erster Linie die beiden Heimatrechte ins Auge gefasst würden, in diesen Kontext einfügen. Auch wären Listen – besonders die CENTRAL-Liste mit ihren umfangreichen Nachweisen zur Herkunft der Normen – für Schiedsrichter von besonderem Wert, da sie die Arbeit bedeutend erleichtern59. Allerdings könnte die lex mercatoria dann nicht mehr als eigenständige Rechtsordnung mit eigenständigem materiellen Inhalt angesehen werden. Sie kann jedenfalls keine umfassende Erwartungssicherheit gewährleisten, weil ihr Inhalt relativ wäre. Entsprechend würde sie bei diesem Verständnis auch nicht als transnationales Recht und somit als dritte Art von Recht zu verstehen sein. Es handelte sich vielmehr um eine Methode für den Schiedsrichter, adäquate Normen in einem Streit anzuwenden und auf diese Weise die Akzeptanz seiner Entscheidung zu erhöhen. Für ein Gericht käme ein solches Vorgehen naturgemäß nicht in Frage. Letztlich wird durch diesen Ansatz der Begriff der lex mercatoria nur scheinbar bewahrt, während er materiell weitgehend entleert ist. Allerdings könnten die bisherigen Bemühungen auf diese Weise für die Schiedsgerichtsbarkeit nutzbar gemacht werden, ohne die theoretischen Grabenkämpfe um den Rechtscharakter weiterführen zu müssen.
III. Bilanz: Die lex mercatoria als (nützliche) Illusion Die Ergebnisse dieser Arbeit lassen nur den Schluss zu, dass es gegenwärtig keine lex mercatoria, die eine Normenordnung darstellt, gibt und es eine solche in Zukunft auch nicht geben wird. Die Tatsache, dass verschiedene Schiedsentscheidungen auf Grundlage der lex mercatoria ergangen sind, wirft allerdings die Frage auf, wie sich dies mit dem soeben formulierten Ergebnis verträgt. Die Existenz der lex mercatoria müsste demnach von den Parteien oder den Schiedsrichtern kontrafaktisch behauptet worden sein. Den Parteien ist es dabei grundsätzlich freigestellt, anhand welcher Kriterien sie ihren Streit entscheiden lassen. Wenn sie den Schiedsrichter zu einer Billigkeitsentscheidung ermächtigen können, dann erst recht zu einer Entscheidung auf Grundlage der lex mercatoria, unabhängig von deren Existenz als Normenordnung. Dem Begriff lassen sich immerhin bestimmte Normen zuordnen, die als Leitlinien fungieren können. „Rechtsregeln“ gewählt werden dürfen. Vgl. zu diesem Problem in der deutschen Rechtsordnung: Zweiter Teil 1. Kapitel 3. Abschnitt I. 2. a). 59 So auch Gaillard, Method of Decision-Making?, S. 53, 59.
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Aber wodurch können die Schiedsrichter legitimiert sein, die lex mercatoria anzuwenden? Eine Lösung hätte von den Besonderheiten des Schiedsverfahrens auszugehen. Die Aufgabe von Schiedsgerichten ist es nicht Recht zu sprechen, sondern einen Streit zwischen zwei Parteien zu lösen. So stellt Mustill fest: „Commercial arbitration exists for one purpose only: to serve the commercial man.“60
Dementsprechend geht z. B. De Ly davon aus, dass die Anwendung der lex mercatoria auch aus pragmatischen und psychologischen Gründen gerechtfertigt sein kann61. Pragmatische Gründe liegen vor, wenn es schwierig ist, das fremde Recht zu beweisen. Diese Problematik stellt sich allerdings auch bei der lex mercatoria, so dass nicht dadurch allein deren Anwendung gerechtfertigt werden kann. Vielversprechend erscheint hingegen der Ansatz einer psychologischen Rechtfertigung; denn für einen Schiedsspruch ist die Akzeptanz durch die Parteien entscheidend. Aus diesem Grund bedarf es so selten der staatlichen Durchsetzungsgarantien. Es kann deshalb vorkommen, dass auf keine der beiden Heimatrechtsordnungen Bezug genommen werden kann, da dieses Vorgehen von einer Partei nicht akzeptiert werden würde. Fehlt es dann an einer internationalen oder einer anderen neutralen Regelung, so kann eine Lücke entstehen, die sich mit einer lex mercatoria zur Zufriedenheit der Parteien füllen lässt. Die Anwendung wäre somit aus psychologischen Gründen gerechtfertigt. Mit dieser Überlegung lässt sich auch die Wiederbelebung der lex mercatoria anlässlich der state contract-Fälle erklären. Nach Dasser machen sie ein Viertel aller lex mercatoria-Fälle aus62. Die Dekolonisierung mit ihren Problemen kam in gewisser Weise unerwartet. Jedenfalls fehlten entsprechende internationale Regelungen oder Abkommen. In dieser Situation haben dann einige Schiedsrichter die „Illusion“ einer lex mercatoria als vollständige Rechtsordnung „heraufbeschworen“. Dank der großen Autorität der „Beschwörer“63, dem historischen Hintergrund der lex mercatoria und der Begeisterung großer Teile der Wissenschaft für diese Idee erschien die Illusion als äußerst real. Sie war – das sei nochmals betont – in dieser Situation von großem Nutzen, da hierdurch eine Entscheidung auf einer einigermaßen gefestigten, vermeintlich „rechtlichen“ Grundlage ermöglicht wurde64. Allerdings wurde hinter der Fassade der anationalen und vollständigen Rechtsordnung der Sache nach zumeist entweder nationales Recht angewandt65 60
Mustill, Lib. am. Wilberforce, S. 149. De Ly, Lex Mercatoria, S. 159, 179. 62 Dasser, Critical Comments, S. 189, 195; für die besondere Bedeutung dieser Fälle für die Entwicklung der lex mercatoria auch Calliess, Verbraucherverträge, S. 256. 63 Dezelay/Garth Dealing in Virtue, S. 39. 64 Zum Teil erscheint es allerdings als sei sie in erster Linie für die westlichen Investoren nützlich gewesen zu sein. Vgl. Delazay/Garth, Dealing in Virtue, S. 109. 65 Das wird insbesondere für den Abu-Dhabi-Fall so gesehen. Vgl. Dasser, Lex Mercatoria, S. 180 ff.; ders., Critical Comments, S. 189, 195. 61
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
oder auf konkretisierte Billigkeitserwägungen abgestellt66. Inzwischen bedarf es einer solchen – vermeintlich – neutralen Rechtsordnung nicht mehr in gleichem Maße. So hat die Bundesrepublik Deutschland mit inzwischen 119 Staaten bilaterale Investitionsförderungs- und Investitionsschutzverträge geschlossen67. Diese Investitionsschutzverträge garantieren – auf völkervertraglicher Grundlage – auch Privaten Rechte, die sie vor Schiedsgerichten geltend machen können. Die Frage nach einer neutralen Rechtsordnung stellt sich also nicht mehr in vergleichbarer Weise68. Hinzu kommen multilaterale Investitionsschutzabkommen wie NAFTA oder ASEAN. Auch trat am 12. April 1988 das Übereinkommen über die Multilaterale Investitions-Garantie Agentur69 in Kraft, wodurch unter anderem Kapitaleinlagen gegen sogenannte nichtkommerzielle Risiken versichert werden können. Einmal wiederbelebt, hat die Idee der lex mercatoria – insbesondere in der Wissenschaft – jedoch ein Eigenleben entwickelt und wird auch in Fällen bemüht, in denen es ihrer aus psychologischen Gründen nicht bedarf. Solange die Parteien mit der Entscheidung einverstanden sind, ist dagegen nichts einzuwenden. Es ist allerdings darauf zu achten, dass dadurch nicht zwingende nationale Regelungen umgangen werden können, indem die lex mercatoria zu einer autonomen Rechtsordnung erklärt wird. Ein derartiger genereller Bedarf ist zum einen nicht nachgewiesen und würde zum anderen auch nicht notwendig zu dieser rechtstheoretischen Aufwertung führen. Allein durch die sporadische Verwendung wird sie nicht zu einer Rechtsordnung, die auf einer Stufe mit nationalen Rechtsordnungen steht. Notwendig kann ihre Anwendung nur sein, wenn alle anderen verfügbaren Rechtsordnungen aus besonderen Gründen ausfallen. Mit anderen Worten: die lex mercatoria kann als Normenordnung nur zur Lückenfüllung dienen und auch das nur, um die Akzeptanz eines Schiedsspruchs zu erreichen.
66 Vgl. die Normen der CENTRAL-Liste mit den meisten Nachweisen aus der Schiedspraxis, Zweiter Teil 1. Kapitel 5. Abschnitt II. 67 Der erste wurde 1959 mit Pakistan geschlossen, BGBl. II 1961, S. 793, in jüngster Zeit wurde ein Abkommen u. a. mit Afghanistan vereinbart. Wenn man bedenkt, dass in den 116 Staaten nicht die westlichen Nationen enthalten sind, so ist dieser Schutz bereits sehr umfassend. Insbesondere existieren Abkommen mit Staaten, die traditionell im Mittelpunkt der Investitionsstreitigkeiten standen, wie z. B. der Iran (BGBl. II 2004, S. 55). 68 So ist auch der erfahrene Praktiker Delaume, 3 ICSID Review – Foreign Investment Law Journal (1988), S. 79, 106, der Meinung, dass sich die Probleme bei einer Veränderung des staatlichen Rechts bei state contracts besser durch die internationale Konvention, unter der auch die Multilateral Investment Guarantee Agency eingeführt wurde, als durch eine lex mercatoria lösen lassen. 69 Vgl. BGBl. 1987 II, S. 454.
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
181
2. Abschnitt
Änderungen im Verhältnis von Staat und transnationalen Normenordnungen Die Entwicklungen im Bereich der transnationalen Normenordnungen sind ständig im Fluss, so dass ihr exaktes Verhältnis zu staatlich gesetzten Normen kaum bestimmbar ist. Dennoch sind bestimmte Entwicklungslinien erkennbar.
I. Vergesetzlichung Staaten nehmen nicht nur indirekt Einfluss auf transnationale Normenordnungen. Vielmehr werden in deren vermeintlichen Geltungsbereichen zunehmend spezielle Gesetze erlassen. Es lässt sich geradezu ein Trend zur Vergesetzlichung bestimmter Teilbereiche feststellen. Der Staat regelt also bestimmte Aspekte selbst und legt nicht nur bestimmte Rahmenbedingungen für eine Selbstregulierung fest. Unter den Begriff der Vergesetzlichung soll in diesem Zusammenhang auch der Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen gefasst werden. Zwar handelt in diesem Fall der Staat nur mittelbar durch (Umsetzungs-)Gesetze, doch bewegt er sich dabei in vertrauten Bahnen des Rechts.
1. Staatliche Regulierung des Internets Nachdem eine Regulierung des Internets zunächst nur in geringem Maße und in einer zweiten Phase in erster Linie durch Private erfolgte, sollen die Nationalstaaten in der gegenwärtigen dritten Phase verstärkt auftreten70. Es geht nunmehr nicht mehr nur um die Verwaltung des Namensraums (was weniger als nationalstaatliche Aufgabe gesehen wird), sondern es fallen weitere Probleme, wie der Schutz von Urheberrechten, Inhaltskontrolle etc. an71. Gleichzeitig wird deutlicher, dass die Nationalstaaten durchaus in der Lage sind, diese Probleme zu lösen. Während zunächst vielfach die Meinung vertreten wurde, das Internet lasse sich nicht von einem Staat kontrollieren und Regulierungen seien deswegen nutzlos, zeigt sich, dass es durchaus technische Möglichkeiten gibt, staatliche Regeln durchzusetzen. So kann z. B. mit Hilfe von Filtern die Verbreitung von NS-Propaganda wirkungsvoll unterbunden werden. Das staatliche Recht kann sich des Codes bedienen und ist somit auch in der Lage, Sachverhalte im Internet zu regulieren72.
70 71 72
Hofmann, Internet Governance, S. 277, 293. Holznagel/Werle, ZfR 23 (2002), S. 3, 13 ff. Siehe Zweiter Teil 2. Kapitel 1. Abschnitt II.
182
3. Teil: Transnationale Normenordnungen
Hinzu kommt, dass das Modell von ICANN zunehmend kritisiert wird, da die USA eine Art Aufsicht über ICANN ausüben könnten73. Es wird demgemäß gerade von Entwicklungsländern gefordert, eine internationale Organisation (etwa unter dem Dach der UN) einzurichten, vergleichbar mit der ITU, die sich mit Internet Governance befasst und insbesondere die neueren Probleme löst. So wurde auf dem 2. Weltgipfel zur Informationsgesellschaft in Tunis im November 2005 das Ziel einer „erweiterten Kooperation“ zwischen „involvierten Organisationen“ wie ICANN, ITU und WIPO vereinbart. Gleichzeitig soll der UN-Generalsekretär ein „Internet Governance Forum“ IGF einberufen74. Es ist gegenwärtig nicht sicher abzuschätzen, wie die Zukunft von ICANN aussieht75. Es ist möglich, dass tatsächlich eine internationale Institution gebildet wird. Es ist jedoch eine gewisse Bewegung hin zu einer stärkeren Privatisierung zu erkennen. So wollen die USA die generelle Aufsicht über die Arbeit zwar künftig aufgeben bzw. einschränken, beispielsweise sind im aktuellen Agreement bereits keine detaillierten Ziele für ICANN mehr aufgenommen worden. Die Übergabe des Kernbereichs der DNS-Verwaltung wird hingegen nicht erwogen76. Diese Tendenz zu einer stärkeren Privatisierung muss aber nicht notwendig Ausweis des Erfolges von ICANN als privater Organisation sein. Ebenso kann dieses Vorgehen einen Kompromiss darstellen, wenn nämlich eine Privatisierung für die USA im Vergleich zu einer neuen internationalen Organisation vorteilhaft erscheint bzw. die übrige internationale Staatengemeinschaft eine private Organisation einer hybriden mit indirekter Beteiligung der USA vorzieht. Dementsprechend geht ICANN bereits auf Abstand zur US-Regierung, u. a. indem in absehbarer Zeit ein neues Büro in Sydney eröffnet werden soll. Es ist also möglich, dass ICANN als private Institution erhalten bleibt und damit auch die Normen der UDRP weiterbestehen. Dagegen ist es unwahrscheinlich, dass dieser Weg der Regulierung in anderen Bereichen des Internets noch einmal beschritten wird, also eine Ausweitung der regulatorischen Aufgaben von ICANN erfolgt77. Zu vielfältig ist die Kritik an der UDRP und ICANN78, zu groß ist das Interesse der Staaten, die Probleme selber zu lösen. Für die Frage nach einer autonomen Normenordnung im Internet bedeutet dies, dass – da gegenwärtig die UDRP-Regeln keine Normenordnung bilden79 – auch die zukünftige Entwicklung zu einer solchen unwahrscheinlich ist. Es bleibt also bei der punktuellen Regelung
73
Vgl. die Nachweise bei Voegli, Domainnamensystem, S. 250. Vgl. Kleinwächter, MMR 06, S. XX, XXI. 75 Vgl. die Prognosen und alternativen Möglichkeiten bei Leib, Verrechtlichung im Internet, S. 198, 215; Voegli, Domainnamensystem, S. 229 ff.; Voegli-Wenzl, GRUR Int 2007, S. 807, 814 ff. 76 Voegli-Wenzl, GRUR Int 2007, S. 807, 811. 77 Ebenso Voegli, Domainnamensystem, S. 251. 78 Vgl. Lehmkuhl, ZfR 23 (2002), S. 61, 69 ff. 79 Siehe Zweiter Teil 2. Kapitel 8. Abschnitt. 74
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
183
eines bestimmten Sachverhalts, der allerdings aufgrund der Vielzahl der darunter fallenden Fälle von einiger Bedeutung ist. Aber auch jenseits des in dieser Arbeit untersuchten Beispiels der UDRP-Regeln wird ein wachsender staatlicher Einfluss im Internet vorausgesagt80. Auch hier deuten die gegenwärtigen gesetzgeberischen Überlegungen, wie z. B. im Hinblick auf die Online-Durchsuchungen, gerade nicht in die Richtung, dass der Staat durch das Internet an Einfluss verliert. Vielmehr beginnt der Staat zunehmend die Möglichkeiten des Internets zu nutzen, wofür wiederum ein rechtsstaatlicher Rahmen geschaffen werden muss. Schließlich reagierten die verschiedene Nationalstaaten auf die besonderen Herausforderungen des Internets, die im Yahoo-Fall erkennbar wurden, mit dem Abschluss der europäischen Convention on Cybercrime81, die unter anderem auch von den USA unterzeichnet worden ist82. Diese Konvention widmet sich den Besonderheiten von Verbrechen, die mittels Internet und anderer Computernetzwerke verübt werden. Danach sind die Vertragsstaaten verpflichtet, legislative Maßnahmen zu ergreifen, um die Jurisdiktion ihrer Gerichte in Fällen zu ermöglichen, in denen das Delikt auf dem Territorium des Forumsstaates (bzw. eines Schiffes oder Flugzeuges) oder von einem seiner Staatsangehörigen begangen wurde, wenn die Tat nach dem Recht des Staates, in dessen Territorium sie begangen wurde, strafbar ist. Diese Regelung wird zwar zum Teil für ungenügend zur Lösung des Problems gehalten83, zeigt aber, wie auch an diesem Bereich die Nationalstaaten versuchen, den neuen Herausforderungen durch das Internet adäquat zu begegnen.
2. Dopinggesetzgebung Grundsätzlich gehen die Staaten von einer vorrangigen Zuständigkeit der Sportverbände zur Dopingbekämpfung aus. Dies geht z. B. aus der Präambel zu Art. 7 des Europarat-Übereinkommens gegen Doping im Sport vom 16.11.1989, das am 1.6.1994 in Kraft getreten ist84, hervor. Hierin kommt die prinzipielle Achtung vor der Autonomie des Sportes und eine daraus resultierende Zurückhaltung der Staaten zum Ausdruck85. Jedoch wird ein wachsender Einfluss der Staaten auf den Sport festgestellt bzw. vorhergesagt86. Besonders deutlich wird dies im Bereich der Dopingbekämpfung. 80 81
Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace, S. 121. Text im Internet abrufbar unter: http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Word/185.
doc. 82 83 84 85 86
Vgl. zu dieser Reaktion Fischer-Lescarno/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 159 ff. Fischer-Lescarno/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 161 ff. BGBl. 1994 II, 335. Adolphsen, Internationale Dopingstrafen, S. 153. Nafziger, 42 Williamette L. Rev. (2006), S. 861, 866.
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
Nachdem in den südeuropäischen Staaten schon seit einigen Jahren staatliche Dopinggesetze existieren, ist ein solches Gesetz auch in Deutschland zum 1.11.2007 in Kraft getreten87. Es ist nunmehr verboten, bestimmte Arzneimittel in nicht geringer Menge zu Dopingzwecken im Sport zu besitzen, sofern das Doping beim Menschen erfolgen soll. Ziel des Gesetzes ist es, die strafrechtliche Verantwortlichkeit der an einem Dopingfall Beteiligten zu erweitern. Dieses Gesetz umfasst auch alle Freizeitsportler, ist aber insbesondere wegen seiner Bedeutung für den Wettkampfsport intensiv diskutiert worden. Anstoß für die Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens war die zunehmende Erkenntnis, dass der Sport ohne staatliche Hilfe nicht in der Lage ist, dem Doping zu begegnen. Das gesamte System ist nämlich lediglich auf Wettkampf- und Trainingskontrollen aufgebaut. Inzwischen werden aber regelmäßig Verfahren genutzt, die auf diese Weise nicht zu entdecken sind bzw. es wird an die zulässigen Grenzwerte punktgenau „herangedopt“. So hat die ehemalige Olympiasiegerin Marion Jones in ihrer Karriere trotz Doping ca. 160 Trainingskontrollen unbeschadet überstanden88. Erst im Zuge von staatlichen Ermittlungen sah sie sich zu einem Geständnis genötigt. Ein Großteil der neueren Erkenntnisse konnte aufgrund staatlicher Interventionen gewonnen werden, die auf Grund entsprechender Gesetze gerade in den südeuropäischen Ländern (Frankreich, Italien, Spanien) möglich waren. Allerdings soll nicht unterschlagen werden, dass auch die staatliche Dopingbekämpfung nicht notwendig zum Erfolg führt. So haben die vergleichsweise strikten Dopinggesetze in den südeuropäischen Ländern auch dort nicht zu einem besonders „sauberen“ Sport geführt. Ebenso wie der Sport hat sich auch das Doping im Sport professionalisiert. Der Betrug mit Doping zeigt Züge der organisierten Kriminalität. Mit dem Kampf gegen diese Formen des Dopings ist das Sportsystem jedoch überfordert. Zwar werden auch mit den herkömmlichen Kontrollmethoden Sportler überführt. Allerdings scheint es teilweise so, als ob dies nur gelänge, wenn der Sportler nicht weiß, dass das Mittel bereits nachweisbar ist89, der Sportler in einem Akt der Verzweiflung unkontrolliert dopt90 oder es in der Sportart noch keine professionellen Dopingstrukturen gibt. Stattdessen werden strafrechtliche Normen mit den daran anknüpfenden strafprozessualen Ermittlungsmöglichkeiten benötigt. 87
Gesetz v. 24.10.2007, BGBl. I, 2510. Süddeutsche Zeitung v. 17.1.2008, S. 32. 89 Dies legen Fälle Johan Mühlegg während der Olympischen Winterspiele 2002 und Taylor Hamilton kurz nach seinem Olympiasieg 2004 nahe. Bei beiden Sportlern konnte der Missbrauch von leistungssteigernden Mitteln nachgewiesen werden, für die entsprechende Tests erst kurz zuvor entwickelt wurden. Bei Hamilton z. B. waren diese Tests bei seinem Olympiasieg wenige Woche zuvor noch nicht zugelassen. 90 Eine solche Interpretation legt der Fall Landis nahe. Der vorläufige Sieger der Tour de France 2006 präsentierte sich nach einem Einbruch auf einer Bergetappe auf der folgenden Bergetappe in einer überragenden Verfassung. Die Tests bewiesen, dass er sich mit hohen Dosen aufgeputscht hatte. 88
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
185
Bemerkenswert an der Vergesetzlichung in diesem Bereich ist, dass es sich um einen zentralen Bereich der sportautonomen Regulierung handelt91. Ziel des gesamten Regelwerks des Sports ist es nämlich, die Vergleichbarkeit der Leistungen zu garantieren und dadurch die Möglichkeit eines Wettkampfs zu schaffen. Dies erfordert in erster Linie Koordination also z. B. einheitliche Streckenlängen. Bei der Dopingbekämpfung handelt es sich dagegen um echte Regulierung, da der Einzelne von einem Regelbruch – der eine gute Chance hat, unentdeckt zu bleiben – profitieren würde. An dieser Stelle ist das Sportsystem überfordert. Ein besonderes Problem der staatlichen Vergesetzlichung ist, dass dadurch die Gefahr uneinheitlicher Wertungen entsteht. Im Sport steht die strict liability-Regel im Mittelpunkt. Unabhängig von einer persönlichen Schuld eines Athleten wird dieser bei einem positiven Dopingtest vom Wettkampf ausgeschlossen, weil seine Leistungsfähigkeit unnatürlich erhöht ist. Bei staatlichem Strafrecht ist dagegen die persönliche Schuld wichtige Voraussetzung für eine Verurteilung und muss vom Staat bewiesen werden. Die Befürchtungen gehen dahin, dass es in beiden Verfahren zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann, was zu Problemen in der öffentlichen Wahrnehmung führen und den Sport zu einer Aufgabe der strict liability-Regel zwingen könnte92. Der Frage, inwieweit ein solches Szenario wahrscheinlich ist93, oder ob beide Verfahrensformen wegen ihrer unterschiedlichen Ansätze ohne weiteres nebeneinander existieren können, soll hier nicht nachgegangen werden. Festzuhalten bleibt die Grundkonstellation: Der Sport alleine ist mit dem Kampf gegen Doping überfordert. Aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung des Sports ist der Staat willens, dem Sport mittels seiner Machtbefugnisse zu helfen. Dadurch entsteht in einem Kernbereich der Sportregulierungen – der Sicherstellung der Vergleichbarkeit der Leistungen in Form des Kampfes gegen Doping – eine zusätzliche Instanz. Der Staat greift also direkt in ein Feld ein, dessen Regulierung bisher dem Sport vorbehalten war, während der Staat bislang nur indirekt überprüft hat, ob durch diese Regulierung gegen bestimmte rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen wird. Dieser gesetzgeberische Eingriff wird allerdings nicht nur als Bedrohung der Autonomie des Sports gesehen, sondern zum Teil ausdrücklich gefordert, da der Sport allein mit der Dopingproblematik überfordert ist. Bei der Abwägung zwischen der Autonomie des Sports, bei der wiederum die Einschätzungen bezüglich des Grades der Gefährdung variieren, und der Notwendigkeit staatlicher Unterstützung beim Kampf gegen Doping sind verschiedene Ergebnisse möglich. Dabei
91
Exemplarisch EuG T 313/02 (Meca-Medina und Majcen) = SpuRt 2005, S. 20 ff. Da die Diskussionen in dieser Hinsicht manchmal etwas undifferenziert sind, sei noch einmal klargestellt, dass die reine strict liability-Regel nur für die unmittelbare Wettkampfsperre gilt. Ansonsten hat der Athlet die Möglichkeit sich zu entlasten, wobei die Beweislast im Vergleich zu einem staatlichen Strafverfahren zu seinen Ungunsten umgekehrt ist. 93 So die Befürchtungen einzelner Sportfunktionäre vgl. Protokoll der 17. Sportausschusssitzung des BTag v. 27.09.2006, S. 35. 92
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
geht es inzwischen weniger um die Frage, ob der Staat tätig werden soll, sondern vielmehr darum, wie er tätig werden soll. Ein im Wesentlichen privat reguliertes System zeigt sich überfordert und ist deswegen auf gesetzgeberische Hilfe angewiesen. Folglich sind auch gut funktionierende private Regulierungssysteme – und um ein solches handelt es sich beim Sport94 – ab einem gewissen Punkt überfordert sind. Sie scheinen nur ein gewisses Maß an verschiedenen Interessen aushalten zu können. Solange das Interesse an einem fairen Wettkampf bei dem Großteil der Beteiligten dominiert, besteht die Möglichkeit, notwendige Normen selbständig zu erlassen. Schwindet dieser Interessenkonsens jedoch und schlagen die Aktivitäten sogar ins Kriminelle um, ist das gesamte System gefährdet. Wenn sich die Überzeugung in der Bevölkerung durchsetzt, dass sämtliche Sportler dopen, würde das gravierende Auswirkungen auf den Sport haben. Das Interesse des Publikums würde geringer und staatliche Förderungen müssten eingestellt werden. Der Sport bedarf staatlicher Hilfe, um dieses worst case-Szenario zu verhindern.
II. Prekäres Verhältnis zwischen staatlichem Recht und transnationalen Normenordnungen Die Untersuchung hat gezeigt, dass Schiedssprüche, die auf der Grundlage der transnationalen Normenordnungen ergehen, im Wesentlichen von den staatlichen Rechtsordnungen anerkannt werden. Jedoch zeigen sich Anhaltspunkte, dass diese Akzeptanz seitens des Staates nicht von unbeschränkter Dauer sein muss.
1. Rom I – Gefährdung der automatischen Durchsetzung der lex mercatoria Ein starkes Argument für die Autonomie der lex mercatoria ist die automatisierte Durchsetzung, die den auf ihr beruhenden Schiedssprüchen zuteil wird95. Die meisten Schiedsgesetze sind so liberal, dass sie auch die Wahl einer anationalen Normenordnung – und damit die lex mercatoria – als Vertragsstatut zu lassen96. Anders sieht es jedoch bei dem Kommissionsvorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I)97 aus. Zwar wurde die Möglichkeit der Rechtswahl auf internationale oder auf Gemeinschaftsebene anerkannte Grundsätze und Regeln des materiellen Vertragsrechts durch Art. 3 Abs. 2 des Vorschlages 94 95 96 97
Siehe Zweiter Teil 3. Kapitel 8. Abschnitt. Schroeder, JbJZRWiss 2002, S. 257, 272. Siehe Zweiter Teil 1.Kapitel 3. Abschnitt I. KOM (2005) 650 endg.
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
187
erweitert, doch wurde in der Begründung der entsprechenden Norm die Wählbarkeit der lex mercatoria als Vertragsstatut ausdrücklich ausgeschlossen, da diese inhaltlich zu unbestimmt sei98. Diese Sichtweise wird von der diesbezüglichen Arbeitsgruppe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationale Privatrecht ausdrücklich begrüßt99. Wenn sich diese Tendenz fortsetzt, so entfällt die automatische Durchsetzung der lex mercatoria durch den Staat. Damit könnten überhaupt keine Entscheidungen auf dieser Grundlage ergehen. Die Diskussion hätte sich – jedenfalls aus praktischer Sicht – endgültig erledigt.
2. Fall Hondo – Gefährdung des strict liability-Grundsatzes in der Dopingbekämpfung Das Streitentscheidungssystem im Sport mit dem CAS im Mittelpunkt erscheint gegenwärtig relativ stabil. Dem zwischenzeitlich zunehmenden Einfluss der staatlichen Gerichte ist durch eine umfassende Reform des CAS erfolgreich begegnet worden. Dadurch ist ein Gleichgewicht zwischen den rechtsstaatlichen Erfordernissen und den Besonderheiten des Sports – mit anderen Worten: zwischen Staat und Sport – gefunden worden. Die staatlichen Institutionen erkennen grundsätzlich das besondere Bedürfnis des Sports nach Autonomie und einer einheitlichen Streitentscheidung an; der CAS bemüht sich im Gegenzug, die Interessen der Athleten ausreichend zu schützen, um staatliche Gerichtsverfahren zu vermeiden100. Die Kooperation profitiert wesentlich davon, dass für die Überprüfung von CAS-Schiedssprüchen in der Regel das Schweizerische Bundesgericht zuständig ist. Die Kontrollzuständigkeit wurde von einem australischen Gericht sogar anerkannt, obwohl das Verfahren in Australien stattfand101. Damit ist nicht nur eine einheitliche Streitentscheidung, sondern auch eine einheitliche Kontrolle der Entscheidung gewährleistet. Da das Schweizerische Bundesgericht den CAS als ordentliches Schiedsgerichts ansieht, weitere Einmischungen nur im Ausnahmefall zu erwarten sind102 und auch der EuGH sportliche Besonderheiten akzeptiert103, kann von einem stabilen Gleichgewicht zwischen CAS und staatlichen Gerichten gesprochen werden. Wie prekär dieses Gleichgewicht jedoch bleibt, zeigt sich, wenn ausnahmsweise ein anderes Gericht zuständig ist. So war in dem Fall Hondo, in dem dieser Radfahrer gegen seine Dopingsperre im einstweiligen Rechtsschutz vorge98 99
KOM (2005) 650 endg., S. 6. Kommentar der Arbeitsgruppe des Max-Planck-Instituts, RabelsZ 71 (2007), S. 225,
244. 100 101 102 103
Vgl. zu diesem konstitutionellem Gleichgewicht: Zweiter Teil 3. Kapitel 8. Abschnitt. New South Wales Court of Appeal, CA 406500/00. Vgl. Zweiter Teil 3. Kapitel 7. Abschnitt III. Vgl. Zweiter Teil 3. Kapitel 7. Abschnitt I. 1; Röthel, JZ 2007, S. 755, 757.
188
3. Teil: Transnationale Normenordnungen
gangen ist, das Waadtländer Kantonsgericht zuständig. Denn Hondo hatte seinen Wohnsitz in der Schweiz und auch die anderen Beteiligten wiesen einen besonderen Bezug zu der Schweiz auf, so dass die Entscheidung des CAS nicht als internationaler Schiedsspruch galt. Jedenfalls konnte Hondo vor dem Kantonsgericht entgegen den üblichen Gepflogenheiten eine einstweilige Verfügung erwirken, die ihn zur Teilnahme an weiteren Radrennen berechtigte, weil das Gericht Zweifel an der Zulässigkeit des strict liability-Grundsatzes hatte104. Eine gewisse Zeit erschien deswegen die gesamte sportinterne Dopingbekämpfung gefährdet, die im Wesentlichen auf dem Grundsatz der strict liability aufbaut105. Inzwischen hat das Schweizerische Bundesgericht den Einspruch von Hondo letztinstanzlich abgelehnt106 und damit die „alte Ordnung“ wieder hergestellt. Es zeigt sich aber, wie anfällig das Sportsystem immer noch für gerichtliche Interventionen ist. Das gesamte Gleichgewicht zwischen dem internationalen Sportregelwerk und den staatlichen Rechtsordnungen, das als wichtige Voraussetzung für die Entwicklung einer lex sportiva gesehen wird107, hängt also davon ab, dass der CAS von den staatlichen Gerichten als ordnungsgemäßes Schiedsgericht akzeptiert wird und die besonderen Regeln des Sports – wie der strict liability-Grundsatz – als vereinbar mit zwingendem staatlichen Recht gesehen wird. Das Schweizerische Bundesgericht als regelmäßig zuständiges Gericht stützt das gegenwärtige System der Sportgerichtsbarkeit und die Schiedsrichter des CAS sind darauf bedacht, sich eng an ihre vertraglich begründeten Befugnisse zu halten, um staatlichen Gerichten keine Angriffspunkte zu geben. Wie aber der Fall Hondo zeigt, muss nicht jedes Gericht den Standpunkt des CAS teilen. Insbesondere drohen national unterschiedliche Vorstellungen über den adäquaten Prüfungsumfang bzw. -maßstab108. Das könnte insbesondere Auswirkungen bei der Überprüfung der Entscheidungen der olympischen ad-hoc-panels haben. Zwar hat das Gericht von New South Wales als Sitz dieser panels Lausanne bestimmt, obwohl das gesamte Verfahren in Sydney durchgeführt worden ist, und sich selbst deswegen für unzuständig erklärt hat, doch ist nicht gesichert, ob dieser Linie andere Gerichte folgen. Schließlich kann als Ort des Schiedsspruches ebenso die jeweilige Ausrichterstadt angesehen werden.
104
Waadtländer Kantonsgericht, Urteil v. 17.3.2006. Vgl. zu diesen Befürchtungen examplarisch die Äußerungen von dem Präsidenten des DOSB Dr. Bach in der 17. Sportausschusssitzung des BTag v. 27.09.2006, Protokoll S. 4. 106 Schweizerisches Bundesgericht, Urteil v. 11.1.2007 – Az.: 4P 148/2006/ech. 107 Beloff/Kerr/Demetriou, Sports Law, Rn. 1.7. 108 Vgl. z. B. die unterschiedlichen Ansichten des Schweizerischen BG und des OLG München bei der Beurteilung des Schiedsspruchs des CAS im Fall Roberts (CAS 00/A/262) dargestellt von Martens/Feldhoff, Der Fall Roberts, S. 343, 356 ff., 359 ff. 105
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
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3. Konflikte zwischen staatlichen und privaten Normenordnungen – Beispiel „Turin 2006“ Von besonderer Bedeutung für die Bestimmung des Verhältnisses zwischen staatlicher und privater Normenordnung ist der Konfliktfall. Anlässlich der Olympischen Winterspiele von Turin 2006 stießen die Geltungsansprüche des Regelwerks des IOC und der italienischen Rechtsordnung unvermittelt aufeinander. Im Vorfeld der Olympischen Winterspiele wurden zwischen dem Präsidenten des IOC Jacques Rogge und dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi die italienischen Dopinggesetze diskutiert. Das IOC forderte, diese Gesetze für die Zeit der Spiele – insbesondere im Olympischen Dorf – auszusetzen. Gesetzliche Modifikationen für die Zeit der Olympischen Spiele sind keine Ausnahme, sondern die Regel. So werden vom IOC besondere Schutzgesetze für die Olympischen Stätten gefordert. Auch dass Gesetze temporär ausgesetzt werden, ist nichts Ungewöhnliches. So sieht z. B. Regel 55 OC vor, dass jeder Teilnehmer der Olympischen Spiele vom IOC einen Athletenpass erhält, der ihn – ungeachtet der ansonsten geltenden staatlichen Einreisebindungen – dazu berechtigt, sich während der Spiele in dem Gastgeberland aufzuhalten. Entsprechende Vereinbarungen werden im Ausrichtervertrag geschlossen. In diesen Fällen kann also eine private Organisation durchsetzen, dass ein Staat seine Gesetze modifiziert. Dies kann man als Erscheinungsform des transnationalisierten Rechts sehen109. Für die Winterspiele von Turin bestand das Problem darin, dass Italien nach Unterzeichnung des Ausrichtervertrags, der wie üblich die Alleinzuständigkeit des IOC beim Kampf gegen Doping gewährleistete, neue Strafgesetze gegen den Dopinggebrauch erlassen hatte. Das IOC sah hingegen im Doping ein nur ethisches Vergehen und berief sich auf sein Recht, die Olympischen Spiele ausschließlich in Eigenregie durchzuführen, was auch den Kampf gegen Doping einschließe. Die italienische Regierung beharrte hingegen auf der Geltung der Dopinggesetze auch während der Spiele. Dieser Konflikt wurde zunächst durch einen Kompromiss gelöst. Das IOC führte die Dopingkontrollen durch, um die Gleichbehandlung aller Athleten zu gewährleisten. Bei einer positiven Probe sollte die italienische Staatsanwaltschaft eingreifen können. Tatsächlich ließ die Staatsanwaltschaft das Quartier der österreichischen Biathleten untersuchen, zwar ohne dass eine positive Dopingprobe aufgetreten war, aber auf Hinweis des IOC. Die Folge war, dass Dopingzubehör gefunden wurde und dass ein Funktionär und zwei Athleten nach Österreich flohen. Entscheidend an diesem Fall ist die Art, in der im Vorfeld ein Kompromiss gefunden werden musste. Das Regelsystem des IOC und das italienische Rechtssystem prallten ohne die Vermittlung durch einen Ausrichtervertrag geradezu aufeinander. Dass sich das IOC bis zu einem gewissen Grad durchsetzen konnte, muss als Beweis der Autonomie der großen internationalen Sportverbände gewer109
Vgl. Erster Teil 1. Kapitel 2. Abschnitt I.
190
3. Teil: Transnationale Normenordnungen
tet werden. Allerdings erfolgte die Vermittlung nicht anhand von rechtlichen Prinzipien. Es fehlte ohne Vertrag an einem Meta-Recht, an dem die Berechtigung der jeweiligen Ansprüche gemessen werden konnten. Dieser Konflikt musste politisch ausgetragen werden, mit anderen Worten: Es war eine Machtfrage. Diese konnte nicht eindeutig gelöst werden, so dass ein Kompromiss geschlossen wurde. Damit war aber die rechtliche Ebene verlassen. Die Autonomie eines sportlichen Regelwerks gegenüber einem Staat wird also nicht notwendig mittels rechtlicher Prinzipien bestimmt, sondern richtet sich zu einem wesentlichen Teil nach dessen Einfluss. So musste der Internationale Ruderverband (FISA) akzeptieren, dass einigen arabischstämmigen Ruderern die Einreise nach Großbritannien und damit die Teilnahme an der WM 2006 in Eton durch die britischen Behörden verwehrt wurde. In einem ähnlichen Bereich ist der Fall Baumann zu verorten, in dem sich Baumann trotz einer internationalen Wettkampfsperre vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit eine Starterlaubnis für die Deutschen Meisterschaften erstritt. Die IAAF sperrte daraufhin auch die antretenden Konkurrenten. Letztlich wurde auch dieser Konflikt durch Verhandlungen zwischen dem DLV und IAAF beigelegt, so dass nicht alle angetretenen Konkurrenten den ursprünglich beschlossenen Zeitraum gesperrt bleiben. Zeigen diese Vorfälle einerseits, warum eine gewisse Selbstbestimmung des Sports – verbunden mit Ausnahmen von der staatlichen Gesetzgebung – sinnvoll und auch tatsächlich zu erkennen ist, unterstreichen sie andererseits, dass entstehende Konflikte nicht rechtlich, sondern politisch entschieden werden.
3. Abschnitt
Exkurs: Virtual Reality – Neue Welten und alte Fragen Ein Trend im Internet, der zu Beginn des Jahres 2007 viel öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr, war das rapide Wachstum virtueller (Spiel-)Welten. Stellvertretend für eine Vielzahl von Online-Spielen fand in erster Linie die Internet-Plattform Second Life allgemeine Beachtung. Die Zahl der angemeldeten Mitspieler stieg von einer Million im Oktober 2006 auf inzwischen 11, 7 Millionen110. In Südkorea sollen sich bereits mehr Menschen in virtuellen Welten aufhalten als Fernsehen zu sehen111. In diesen Welten stellt sich naturgemäß die Frage, wie mögliche Konflikte gelöst werden können. Entwickeln sich eigene transnationale Normen oder wird auch in diesen neuen Welten „altes“ staatliches Recht angewandt?
110
Stand: 28.1.2008. Mimi Luse, More than a Game, E.Peak, July 19, 2004, zit. nach: Fairfield, 85 B. U. L. Rev. (2005), S. 1047 ff. 111
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I. Einführung Diese Onlinespiele werden regelmäßig kommerziell organisiert. Der einzelne Spieler benötigt dafür einen Computer mit Internetanschluss und eine Software, die entweder als Einzelplatzlizenz oder kostenlos vom Betreiber vertrieben wird. Auf diese Weise kann der Spieler über das Internet auf die von dem Betreiber geschaffene virtuelle Welt zugreifen. Dort erschafft sich der Spieler einen sogenannten Avatar, eine Art virtuellen Doppelgänger, mit dem er sich in der virtuellen Welt bewegen und mit anderen Spielern interagieren kann. Dabei lässt sich das Aussehen prinzipiell frei gestalten, auch wenn kosmetisches Finetuning kostenpflichtig sein kann. In der Regel muss der Spieler neben dem Kaufpreis für die Software noch ein monatliches Benutzungsentgelt bezahlen. Es gibt zum einen Spiele mit bestimmten Zielen, wie z. B. Monster oder Gegner zu bezwingen, um Erfahrung zu sammeln und damit mächtiger zu werden. Bei diesen geht es darum, höhere Stufen oder Level zu erreichen, die als Ausweis des spielerischen Erfolges gelten. Zum anderen gibt es Spiele wie Second Life, bei denen spielimmanente Ziele fehlen. Der Wert des Avatars bemisst sich nicht nach einer bestimmten Stufe, sondern besteht aus einer Vielzahl von Attributen, den sozialen Kontakten, der äußeren Erscheinung, dem materiellen Wohlstand und ähnlichem. Ähnlich wie im richtigen Leben bleibt dieser Status schwer greifbar. Jeder kann bei Second Life über seine Ziele frei bestimmen. Es handelt sich um den „spielerischen Ernstfall“112, nämlich um eine Kopie des „echten“ Lebens. Aus diesem Grund könnten solche Spiele auch für die Rechtswissenschaft interessant werden. Dies liegt nicht allein an der wachsenden Zahl der Spieler; sie liegt bei anderen Spielen (klassischen Brettspielen sowie Computerspielen) unzweifelhaft höher. Allerdings ist die Anzahl der Benutzer dafür von Bedeutung, dass eine gewisse gesellschaftliche Relevanz angenommen werden kann; denn man kann die Spieler nicht einfach als Minderheit abtun, die sich besser um ihr richtiges Leben kümmern sollten113. Entscheidend ist vielmehr, dass Second Life kein Spiel mehr im klassischen Sinn mit einem bestimmten Ziel, sondern eine Kopie der Gesellschaft ist. So wird Second Life nicht als Spiel, sondern als Internetplattform wahrgenommen114. Aufgrund dieser Konstruktion sind virtuelle Welten in zweierlei Hinsicht interessant. So könnten sie aus rechtssoziologischer Sicht als eine Art Versuchslabor dienen, in dem man die Entstehung von Normen beobachten kann. Die so entstandenen Gesellschaften wurden bereits wissenschaftlich – insbesondere ökono112
Der Spiegel v. 17.2.07, S.162. Lastowka/Hunter, The Law of Virtual Worlds, S. 7 ff. 114 So ist der Umtausch von Linden-Dollars in „echte“ Währung bei ebay erlaubt, da es sich nach Ansicht von ebay nicht um ein Spiel handelt, während ein solcher Umtausch für andere Online-Spiele zumindest theoretisch verboten ist. 113
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
misch – analysiert, mit zum Teil erstaunlichen Ergebnissen115. So lässt sich bereits erkennen, dass Welten mit kapitalistischen Systemen eindeutig bevorzugt werden116. Welche Folgen man daraus ziehen kann, ob dies an der Gewöhnung der Spieler an ein kapitalistisches System liegt oder ob der Kapitalismus jenseits aller Theorien den Bedürfnissen der Menschen am besten entspricht, ist eine andere Frage. Allerdings deutet auf die zweite Alternative hin, dass das Fehlen von Demokratie weit weniger als Mangel empfunden wird117. Ein besonderer Vorteil bei diesen Beobachtungen ist, dass einzelne Variablen – anders als in der Realität – gezielt verändert werden können118. Daneben sind die virtuellen Welten bereits auf vielfältige Weise mit der realen Welt verwoben. Insbesondere die Möglichkeit, virtuelles in echtes Geld umzutauschen – bei dem Spiel Project Entropia kann das virtuelle Vermögen sogar an Bankautomaten abgehoben werden119 –, begründet ein Interesse an ihren virtuellen Besitztümern, das weit über das normale Interesse an Spielgegenständen hinausgeht. Sobald aber konkrete Vermögensinteressen betroffen sind, ist das Auftauchen von rechtlichen Streitigkeiten – man vergleiche lediglich die Entwicklung des Wettkampfsports – nur noch eine Frage der Zeit. Diese kann man auch nicht mit einem Hinweis auf § 762 I BGB auflösen, wonach Spiele nur unvollkommene Verbindlichkeiten begründen. Es handelt sich nämlich nicht um einen direkten Gewinn aus einem Spiel (falls man Second Life überhaupt als ein solches bezeichnen kann), sondern um einen Tausch von virtuellem gegen reales Geld. Diese Probleme bedürfen anderer Lösungen.
115
Vgl. Castranova, Virtual Worlds, S. 1, der zu dem Ergebnis kommt, dass sich beim Online-Rollenspiel Everquest 3,42 $ pro Stunde verdienen lässt, was deutlich mehr als in vielen Entwicklungsländern ist. Nach dem hochgerechnten BSP pro Kopf würde diese „Welt“ in der Wohlstandsstatistik zwischen Russland und Bulgarien liegen. Man kann diese Ergebnisse für theoretische Spielereien halten, trotzdem verdeutlichen sie, welches wirtschaftliche Potential in virtuellen Welten steckt. 116 Die Testversion eines Onlinespiels, bei dem Gegenstände öffentlich zugeteilt wurden, musste geändert werden, bevor es allgemeine Akzeptanz fand, vgl. Lastowka/Hunter, The Law of Virtual Worlds, S. 42. 117 Vielmehr kann in der Regel der Eigentümer des Grundstückes Verhaltensnormen für dieses verbindlich festzulegen. Es herrscht also eine Art Feudalsystem. 118 So läuft an der Stanford University ein Versuch an, in dem nach dem Vorbild einer virtuellen Welt das England zu Shakespeares Zeiten simuliert werden soll. Diese Simulation soll in doppelter Ausfertigung unternommen werden. Während in der ersten die „Normalbedingungen“ simuliert werden, können in der zweiten bestimmte Bereiche, zum Beispiel Preise, gezielt geändert werden. Mit Hilfe des dadurch ermöglichten Vergleichs kann man den Einfluss einzelner Entscheidungen und Maßnahmen genauer bestimmen. Die Sozialwissenschaftler wären nunmehr in der Lage, ähnlich wie Naturwissenschaftler Experimente durchzuführen. 119 Meehan, Virtual Property, S. 9 m. w. N.
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
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II. „Recht“ in den virtuellen Welten Innerhalb der virtuellen Welt gibt es drei Arten von Regulierung, die dem entsprechen, was in der realen Welt durch Recht geregelt ist. Zunächst gibt es den Code, der die Architektur des Spieles bestimmt und dadurch auch hier zu einem großen Teil Rechtsnormen ersetzt120. Gerade in den „sozialen Spielen“ ist es in der Regel nicht möglich, andere Avatare zu töten oder zu berauben. Sofern diese Optionen doch bestehen, gehören sie zu den Charakteristika des Spieles, so dass davon ausgegangen werden kann, dass – ähnlich wie das Verletzungsrisiko im Sport – diese Nachteile bewusst in Kauf genommen worden sind. Man könnte versucht sein daraus zu schließen, dass alles, was möglich auch erlaubt ist. Allerdings lässt sich durch den Code nicht alles regeln. Es bleiben Verhaltensformen möglich, welche nur in bestimmten Kontexten als sozialschädlich bzw. quasi kriminell wahrgenommen werden121. Durch gezieltes Vorgehen kann man andere Personen belästigen oder ihnen sogar wirtschaftlichen Schaden zufügen, indem man Kunden davon abhält, ein Geschäft zu besuchen oder Vergleichbares zu tun. So wird für Second Life von mafiaähnlichen Organisationen berichtet, die man verpflichten kann, unliebsame Avatare so lange zu belästigen, bis sie sich zurückziehen oder ihr Geschäft Schaden genommen hat122. Demgemäß wird vorgeschlagen, Kriminalität in virtuellen Welten in erster Linie als „griefing“, was soviel wie „belästigen“ bedeutet, zu konzipieren123. Um diesem sozialschädlichen Verhalten entgegenzuwirken, werden von dem Betreiber zusätzliche Verhaltensregeln vorgegeben. Exemplarisch können dafür die Big Six für Second Life stehen. Demnach ist es verboten, (1) sich abfällig anderen gegenüber zu verhalten, weil sie etwa eine andere Religion oder sexuelle Vorlieben haben; (2) jemanden zu belästigen; (3) jemanden anzugreifen; (4) die wirkliche Identität eines anderen zu verraten; (5) sich ungesittet zu verhalten und (6) den öffentlichen Frieden zu stören124. Diese Vorschriften sind vage gehalten, können aber als Grundlage für einen (vorübergehenden) Ausschluss des Avatars durch den Betreiber dienen. Dies hängt allerdings zunächst davon ab, inwieweit die Aufmerksamkeit der Betreiber auf dieses Verhalten gelenkt werden kann und ob diese den Ausschluss oder die vorübergehende Suspendierung des Accounts für adäquat erachten. Denn es fehlt an abgestuften Sanktionsmöglichkeiten125. Allerdings ist es möglich, dass selbst die strengste Sanktion nur eine geringe Abschreckungswirkung zeigt. Es ist kaum vermeidbar, dass sich der ausgeschlossene
120
S. Zweiter Teil 2. Kapitel 1. Abschnitt I. 1. Grimmelmann, 49 N. Y. L. Sch. L. Rev. (2004), S. 147, 167. 122 Die ZEIT 2/2007 v. 04.01.2007, S. 12. 123 Grimmelmann, 49 N. Y. L. Sch. L. Rev. (2004), S. 147, 156. 124 www.secondlife.de. 125 Solche unter Berufung auf Jeremy Bentham für erforderlich haltend Grimmelmann, 49 N. Y. L. Sch. L. Rev. (2004), S. 147, 158. 121
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
Spieler umgehend einen neuen Account zulegt und seine Aktionen weiterführt126. Typischerweise werden für diese Belästigungen neue und unerfahrene Avatare benutzt. Der Belästigte hat dagegen unter Umständen konkrete vermögenswerte Interessen innerhalb der virtuellen Welt, z. B. weil er ein Grundstück gekauft hat. Für ihn ist ein Rückzug also nicht ohne finanzielle Verluste möglich. Das führt zu einem Ungleichgewicht zwischen den beteiligten Avataren, da die eine Seite letztlich nur ein sehr geringes Risiko eingehen muss, um der anderen Seite spürbar zu schaden. Schließlich bilden sich noch soziale Normen heraus, zum Beispiel über die Beteiligung am Kampf gegen Monster127. Eine solche Herausbildung erscheint in einer virtuellen Welt besonders leicht möglich, weil der Betreiber einen automatisierten Maßstab für die Vertrauenswürdigkeit eines Avatars einführen kann. Ein Verstoß gegen solche sozialen Normen bliebe zwar möglich, würde sich aber in einer negativen Reputation ausdrücken, die für jeden erkennbar ist. Damit ist eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren eines privaten Normensystem gegeben128, auch wenn sich Wege finden lassen, diese automatische Reputationsanzeige zu überlisten. Zusätzlich bilden sich in „kämpferischen Spielen“ zunehmend Gilden oder vergleichbare Institutionen, die ihrerseits bestimmte Verhaltensregeln für ihre Mitglieder erlassen. Es wird bereits vermutet, dass diese sich zu einer Art „bottom-up government“ entwickeln und so die jeweilige virtuelle Welt entscheidend prägen werden129. Insgesamt zeigt sich, dass nicht alle möglichen Konflikte durch in game Regulierungen gelöst werden können. Hinzu kommen noch Konflikte zwischen einem Spieler und dem Betreiber, der schließlich außer- bzw. oberhalb der Verhaltensregeln steht. Auch wenn Systemschwächen ausgenutzt werden, um auf normalerweise nicht mögliche Weise fremdes virtuelles Eigentum zu zerstören oder zu entwerten130, müssen spielinterne Regulierungen versagen. Schließlich stellen sich die Verursacher gerade außerhalb des Spieles, indem sie dessen Code durchbrechen. Die private Selbstregulierung stößt also auch in ihrer eigenen Welt an ihre Grenzen, da die Nutzer inzwischen zu unterschiedliche Interessen verfolgen und zum Teil vermögenswerte Interessen haben. Es bedarf also einmal mehr der Unterstützung durch staatliches Recht. Es stellt sich somit ein weiteres Mal die Frage, wie das staatliche Recht auf ein neues Gebiet angewandt werden kann.
126
Grimmelmann, 49 N. Y. L. Sch. L. Rev. (2004), S. 147, 168 f. Grimmelmann, 49 N. Y. L. Sch. L. Rev. (2004), S. 147, 155 ff. 128 Vgl. Erster Teil 3. Kapitel 2. Abschnitt I. 129 Grimmelmann, 49 N. Y. L. Sch. L. Rev. (2004), S. 147, 173. 130 So wurde zum Beispiel bei Second Life ein Virus eingeschleust, der alle persönliche Gegenstände der Avatare kopierte und verdoppelte, wodurch sie wesentlich an Wert verloren. 127
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
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III. Recht zwischen den „Welten“ Wie gezeigt, können sich virtuelle Welten nicht komplett selbst regulieren. Da diese Welten aber mit der realen Welt verwoben sind, muss man sich Gedanken machen, welchen Schutz Nutzer von virtuellen Welten durch staatliches Recht erfahren könnten. Denn es ist davon auszugehen, dass – ebenso wie nach der Kommerzialisierung des Sports – diese Frage an die staatlichen Gerichte – und damit an das staatliche Recht – herangetragen werden wird. Da durch virtuelle Handlungen konkrete Vermögensinteressen in beträchtlicher Höhe berührt werden können131, dürfte es den Gerichten schwer fallen, diese Frage unbeantwortet zu lassen132.
1. Dingliche Einordnung von virtuellen Gegenständen Aber inwieweit kann und soll virtuelles Eigentum der Avatare bzw. können die Avatare selbst als reales Eigentum der Spieler anerkannt werden, da dies alles „eigentlich“ nur aus einigen Daten besteht? Immerhin werden Gegenstände für echtes Geld verkauft. Darüber hinaus ist ihnen eine gewisse Dauerhaftigkeit zu Eigen. Das bedeutet, sie sind nicht verschwunden, wenn man das Spiel – zwischenzeitlich – beendet, sondern verbleiben in der (virtuellen) Welt. Die fehlende Gegenständlichkeit allein spricht nicht gegen die Annahme einer Eigentumsfähigkeit. So ist die Figur des geistigen Eigentums allgemein anerkannt. Allerdings passt die Figur des geistigen Eigentums nicht ohne weiteres, da anders als es beim geistigen Eigentum grundsätzlich der Fall ist, dieses Eigentum nicht von mehreren gleichzeitig genutzt werden kann. Ein bestimmter Gegenstand kann in der Regel nur von einem Avatar genutzt werden. Es bleibt also die Frage, ob es auch sogenanntes virtuelles Eigentum, also Eigentum an virtuellen Gegenständen, geben kann133. In der Diskussion über das Eigentum an virtuellen Gegenständen lassen sich die Ansatzpunkte zur Lösung der Steuerung des Internets wiederfinden134. Auf der einen Seite werden – ganz in der Tradition der „anarchischen“ Grundhaltung – 131
So verdienen einige Nutzer (wenn auch wenige) nach Angaben der Second Life Homepage ein monatliches Einkommen von mehr als 5000 US-$ aus der Second Life Welt und Anshe Chung ist laut Die ZEIT 2/2007 v. 04.01.2007, S. 12, bereits Dollar-Millionärin geworden und konnte 750.000 _ „abheben“, um damit in China eine Firma mit 20 Mitarbeitern zur Landentwicklung zu gründen. 132 Einen Bedeutungszuwachs des virtuellen Eigentums und entsprechende Gerichtsverfahren erwarten auch Fairfield, 85 B. U. L. Rev. (2005), S. 1047, 1059; Lastowka/Hunter, The Law of Virtual Worlds, S. 50 f.; Meehan, Virtual Property, S. 11. 133 Vgl. den ausführlichen Überblick von Fairfield, 85 B. U. L. Rev. (2005), S. 1047 ff., der sich im Ergebnis für virtuelles Eigentum ausspricht. 134 Lastowka/Hunter, The Law of Virtual Worlds, S. 98 ziehen diesen Vergleich unter Hinweis auf Johnson/Post, 48 Stan. L. Rev. (1996) 1367. Vgl. ausführlicher zu diesen theoretischen Ansätzen: Zweiter Teil 2. Kapitel 1. Abschnitt II. 2.
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
Eigentumsrechte in der virtuellen Welt abgelehnt, weil diese letztlich zum Ausschluss der anderen Nutzer von bestimmten Informationen führten135. Auf der anderen Seite wird es – in der Tradition derjenigen, die das Internet lediglich als weiteres Kommunikationsmittel sehen – für ausreichend erachtet, dass Eigentumsrechte im virtuellen Raum über Eigentumsrechte an beweglichen Sachen im realen Raum vermittelt werden. Das Eigentum an einem Computer mit Internetzugang und den dort gespeicherten Daten bestimmt somit die Reichweite der Eigentumsrechte im Internet136. Während die erste Position auf dem zweifelhaften Ansatz beruht, dass die Ausgrenzung bestimmter Internetnutzer – in der USA wird dies unter dem Stichwort des digital enclosure, also der digitalen Ausgrenzung diskutiert – per se schädlich ist, wird die zweite Ansicht den Besonderheiten des Internets nicht gerecht. Zwar ermöglicht diese Theorie auf den ersten Blick eine klare Zuordnung, doch ist es zufällig, ob bestimmte Informationen über Gegenstände beim Betreiber oder beim Spieler gespeichert sind. An ihre Grenzen stößt die Theorie, wenn entsprechende Daten auf beiden Computern gespeichert sind und miteinander harmonieren müssen137. Auch ist zu beachten, dass die gespeicherten Daten nur im Zusammenhang mit dem Spiel einen Sinn und damit einen Wert haben können138. Wegen dieser Problematik hinsichtlich des virtuellen Eigentums wird gefordert, entsprechende Rechte – gesetzlich – festzuschreiben139. Da es an einer solchen Festschreibung bisher fehlt, muss man fragen, inwieweit die deutsche Rechtsordnung Raum für solche Rechte lässt, insbesondere ob virtuelle Gegenstände auch Gegenstände i. S.d. BGB sein können. Gegenstände sollen alle individualisierbaren vermögenswerten Objekte der natürlichen Welt sein, über die ein Berechtigter Rechtsmacht ausüben kann, wovon grundsätzlich auch Immaterialgüter und Forderungen mit umfasst sind140. Virtuelle Gegenstände sind individualisierbar und stellen – wie gezeigt – einen Vermögenswert dar, der auch übertragbar ist. Sie existieren als Objekte der natürlichen Welt insofern, als sie von der Gesamtheit der Spielesoftware abgrenzbar sind, auch wenn sie einen Teil derselben darstellen. Auch kann ein Spieler faktisch auf einen Gegenstand zugreifen und andere von dem Zugriff ausschließen141. Dass die Existenz und die Nutzung 135 Hunter, 91 Cal. L. Rev. (2003), S. 439, 474 f. Der Ausschluss im Internet und die damit verbundenden Grundrechtlichen Implikationen werden auch in größerem Rahmen als ein zentrales Problem der Internetregulierung gesehen. Vgl. Teubner, ZaöRV 63 (2003), S. 1 ff. 136 Epstein, Cybertrespass, 70 U. Chi. L. Rev. (2003), S. 73, 75. 137 Vgl. ausführlich zu diesen Einwänden Meehan, Virtual Property, S. 22 ff. 138 Deswegen konzipiert Meehan, Virtual Property, S. 25, das virtuelle Eigentum zusammenhangsbezogenen. 139 Fairfield, 85 B. U. L. Rev. (2005), S. 1047 ff. 140 Jickeli/Stieper, in: Staudinger, BGB, Vorb. zu §§ 90–103, Rn. 4; Holch, in: MüKo-BGB, § 90 Rn. 6 f. 141 Auch Fairfield, 85 B. U. L. Rev. (2005), S. 1047, 1053 ff. kommt zu einer generellen Vergleichbarkeit von „dinglichem“ und „virtuellem“ Eigentum, da man durch beide andere von der Nutzung desselben ausschließen kann, beide dauerhaft bestehen und mit ihrer Umwelt in Verbindung stehen.
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
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bestimmten Einschränkungen durch den Betreiber unterworfen sind, ändert an der grundsätzlichen Einordnung nichts. Virtuelle Gegenstände können mithin als Gegenstände i. S.d. BGB eingeordnet werden, mangels Körperlichkeit handelt es sich aber nicht um Sachen i. S.d. § 90 BGB142, sondern um Immaterialgüter143. Auch aus rechtstheoretischer Sicht lassen sich gute Gründe für eine Anerkennung von virtuellem Eigentum finden144. Insbesondere der utilitaristische Ansatz legt nahe, virtuelles Eigentum ebenso wie geistiges Eigentum anzuerkennen, um dessen Entstehung und Entwicklung zu fördern und dadurch den Nutzen für die Gesellschaft – denn die Millionen von Spielern stellen ein beachtlichen Teil dieser dar – zu vergrößern145. Schließlich hat bereits ein chinesisches Gericht ein Eigentumsinteresse eines Spielers an seinen virtuellen Gegenständen, die aufgrund eines Systemfehlers zerstört wurden, anerkannt und den Betreiber verpflichtet, das Eigentum wiederherzustellen146.
2. Verhältnis der Spieler untereinander Eine weitere Frage ist, welche rechtliche Relevanz virtuelle Handlungen und Geschäfte zwischen den Spielern haben können.
a) Handel Während der Handel in virtuellen Welt in seiner einfachsten Form als „quid pro quod“ Handel mit sofortiger Übergabe stattfindet und – aufgrund der einfachen Erkennbarkeit der Eigenschaften der Handelsware – in der Regel keines Gewährleistungsrechts bedarf147, stellt er sich aus Sicht des nationalen Rechts als kompliziert dar. Es soll dabei außer Acht gelassen werden, welches nationale Recht überhaupt anwendbar wäre. Stattdessen wird der Handel mit virtuellen Gegenständen sozusagen stellvertretend aus Sicht des deutschen Rechts beurteilt. Nicht beantwortet werden soll damit die Frage, ob man Transaktionen in virtuellen Welten überhaupt nach nationalem Recht beurteilen sollte. Vielmehr soll mit dieser Darstellung eine Grundlage geschaffen werden, damit beurteilt werden kann, inwie-
142 Zum Sachbegriff: Jickeli/Stieper, in: Staudinger, BGB, Vorb. zu §§ 90 – 103, Rn. 8 f.; Holch, in: MüKo-BGB, 5. Aufl., § 90 Rn. 6 f. 143 Vgl. Lober/Weber, MMR 2005, S. 653 (655). 144 Fairfield, 85 B. U. L. Rev. (2005), S. 1047, 1066 f. 145 Ausführlich zu den verschiedenen rechtstheoretischen Überlegungen, wonach virtuelles Eigentum auch mit den Eigentumstheorien von Locke und Hegel vereinbar ist, Lastowka/ Hunter, The Law of Virtual Worlds, S. 57 ff. 146 Vgl. die Nachweise bei Fairfield, 85 B. U. L. Rev. (2005), S. 1047, 1084 f., Fn. 188; eine Darstellung des Falls lässt sich bei Meehan, Virtual Property, S. 27 ff., finden. 147 Grimmelmann, 49 N. Y. L. Sch. L. Rev. (2004), S. 147, 158 ff, insb. 160.
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
fern sich nationales Recht gegenwärtig für die Beurteilung solcher Sachverhalte überhaupt eignet. Zunächst ist es möglich, den Handel mit virtuellen Gegenständen als normalen Kaufvertrag gemäß § 433 BGB zu sehen, bei dem sich Nebenpflichten und Mängelgewährleistung nach den kaufrechtlichen Vorschriften richtet. Die Übertragung erfolgt dann nach § 929 Satz 1 BGB analog, wobei die Übergabe des Besitzes in der virtuellen Welt – was der tatsächlichen Zugriffsmöglichkeit entspricht – der entscheidende Indikator ist148. Allerdings gilt § 433 BGB dem Wortlaut nach nur für Sachen, so dass auf diese Weise den virtuellen Gegenständen im Ergebnis noch eine analoge Sachqualität zugesprochen werden müsste. Aus diesem Grund wird der Handel mit virtuellen Gegenständen auch als Werkvertrag i. S.d. § 633 BGB verstanden, bei dem die Ausstattung eines Charakters mit einem bestimmten virtuellem Gegenstand geschuldet ist149. Während also die erste Ansicht den Wortlaut des § 433 BGB weit auslegen muss, wirkt die zweite Ansicht etwas konstruiert, da ein Vertrag, der insbesondere dem Laien als typischer Kaufvertrag erscheinen muss, als Werkvertrag konzipiert wird. Es zeigt sich auf jeden Fall, dass selbst so vermeintlich einfache Vorgänge wie ein normaler Kauf bzw. Tausch von virtuellen Gegenständen sich nicht problemlos in ein staatliches Rechtssystem einordnen lassen.
b) Kriminalität Problematisch ist auch, mit Hilfe welchen Tatbestandes gegen griefing vorgegangen werden könnte, da sich in diesem Bereich Analogieschlüsse aufgrund des Art. 103 Abs. 2 GG verbieten. Dieses Problem stellt sich ebenso bei externer Manipulation der Programmierung, wodurch es z. B. entgegen dem Normalfall möglich wird, Sachen zu entwenden oder zu zerstören. Hier sind Tatbestände wie § 242 StGB (Diebstahl) oder § 303 StGB (Sachbeschädigung) nicht einschlägig, weil es virtuellen Gegenständen an der notwendigen Körperlichkeit fehlt, um eine Sache i. S.d. StGB zu sein. In erster Linie wäre also an eine Strafbarkeit gemäß § 263a StGB (Computerbetrug) zu denken, wenn das Spiel in einer nicht vom Spielbetreiber vorgesehenen Weise manipuliert wird. Allerdings muss neben einer Vermögensschädigung auch die Absicht der Vorteilsverschaffung vorliegen. Daran kann es fehlen, wenn durch solche Aktionen nur Unruhe gestiftet werden soll. In diesem Bereich müsste somit der Gesetzgeber tätig werden, sofern derartige Praktiken zunehmen und ihnen anders als durch strafrechtliche Verfolgung nicht abzuhelfen ist. Insbesondere wenn man zu dem Schluss kommt, dass virtuelles Eigentum anzuerkennen ist, muss überlegt werden, inwieweit der Staat es schützen muss. In China soll dies bereits geschehen sein, so dass es Verurteilungen wegen des Diebstahls von virtuellem Eigentum gab150 und in Japan wurde unlängst eine 148 149 150
Lober/Weber, MMR 2005, S. 653 (655). Krasemann, MMR 2006, S. 351 (353). Vgl. den Nachweis bei Fairfield, 85 B. U. L. Rev. (2005), S. 1047, 1085, Fn. 193.
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
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Frau in Untersuchungshaft genommen, weil sie den Avatar, mit dem sie in der virtuellen Welt verheiratet war, „gemeuchelt“ hat151.
3. Verhältnis zwischen Spieler und Betreiber Die nächste Frage ist, wie das Verhältnis zwischen Spieler und Betreiber bestimmt werden kann. Da der Betreiber in der Regel im Alleinbesitz des Codes ist, stellt er aus Sicht der Avatare ein gottähnliches Wesen mit zunächst unbegrenzten Einflussmöglichkeiten dar152. Demgemäß fehlt es auch nicht an einer Erklärung der Rechte für Avatare153. Aber können die Spieler und ihre Avatare auch gegenüber den Betreibern, die schließlich Eigentumsrechte an dem Spiel haben, eigene Rechte geltend machen154? Diese Frage ist für das staatliche Recht nicht ohne weiteres zu bewältigen. Zunächst stellt sich für einige Welten die Frage, inwieweit die Betreiber den Welten übergreifenden Handel mit Gegenständen unterbinden können, um auf diese Weise zu verhindern, dass vermögenswerte Interessen an Gegenständen entstehen und den Betreiber deswegen Schadensersatzforderungen oder ähnliches bei technischen Fehlern treffen könnten. Dabei nutzen gewerbliche und intellektuelle Schutzrechte dem Betreiber wenig, um auf den Handel mit virtuellen Gegenständen Einfluss zu nehmen155. Stattdessen versuchen einige Betreiber einen solchen Handel zu unterbinden, indem sie ihn durch die End User Licence Agreements (EULA) vertraglich verbieten bzw. sich die Eigentumsrechte an virtuellen Gegenständen vorbehalten. Jedoch kann ein solcher Ausschluss als Überraschungsklauseln gemäß § 305c Abs. 1 BGB nichtig sein, wenn sich ein solches Verbot – angesichts des tatsächlichen Volumens des Handels mit virtuellen Gegenständen – als überraschend darstellt156. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Betreiber selbst an dem Handel mit virtuellen Gegenständen oder Landstrichen teilnimmt157. Darüber hinaus könnte 151
Süddeutsche Zeitung v. 8.10.2008, S. 11. Zu der gebräuchlichen Bezeichnung des Betreibers als „God“ vgl. Lastowka/Hunter, The Law of Virtual Worlds, S. 68; Grimmelmann, 49 N. Y. L. Sch. L. Rev. (2004), S. 147, 175 f. 153 Koster, Declaration of the Rights of Avatars, http://www.legendmud.org/raph/gaming/ playerrights. html: „Therefore this document holds the following truths to be self-evident: That avatars are the manifestation of actual people in an online medium, and that their utterances, actions, thoughts, and emotions should be considered to be as valid as the utterances, actions, thoughts, and emotions of people in any other forum, venue, location, or space.“ 154 Ausführliche Diskussion bei Lastowka/Hunter, The Law of Virtual Worlds, S. 71 ff. 155 Vgl. dazu ausführlich Lober/Weber, MMR 2005, S. 653 (658). 156 Vgl. Lober/Weber, MMR 2005, S. 653 (659); vgl. zu der für § 305c BGB erforderliche Diskrepanz zwischen Vorstellung des Kunden und tatsächlicher Regelung: Schlosser, in: Staudinger, BGB, § 305c, Rn. 6 ff.; Basedow, in: MüKo-BGB, § 305c, Rn. 5 f. 157 So hat die Betreiber der virtuellen Welt Project Entropia, MindArk, die Bestimmung in ihren EULA, dass kein Spieler Eigentum erwerben kann an virtuellen Gegenständen, nicht daran 152
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
ein Handelsverbot unwirksam sein, weil es den Vertragspartner des Verwenders unangemessen benachteiligt158. Daneben könnten diese vertraglichen Ausschlussklauseln gegen kartellrechtliche Vorschriften verstoßen. Denkbar ist, dass das Veräußerungsverbot in den EULA gemäß Art. 81 Abs. 2 EGV nichtig ist, weil es als Vereinbarung zwischen Unternehmern den Handel beeinträchtigt, oder gemäß Art. 82 Abs. 2 lit. b) EGV, weil die Betreiber ihre marktbeherrschende Stellung ausnutzen, indem sie den Absatz bestimmter Produkte einschränken159. Ob ein solcher Verstoß tatsächlich anzunehmen ist, kann im Rahmen dieser Untersuchung dahinstehen. Jedenfalls ist ungewiss, inwieweit Beschränkungen des Handels mit virtuellen Gegenständen in Deutschland und Europa überhaupt gültig sein können. Auch aus US-amerikanischer Sicht werden diesbezüglich Bedenken angemeldet160. Wenn aber der Handel grundsätzlich zulässig ist und somit die Spieler vermögenswerte Interessen an virtuellen Gegenständen haben, so stellt sich die Frage, ob und inwieweit den Betreiber bestimmte Pflichten treffen. Zunächst können den Betreiber vertragliche Nebenpflichten treffen, wenn er sich selbst an dem Handel mit virtuellen Gegenständen beteiligt. Diese erschöpfen sich unter Umständen nicht in den bekannten Nebenpflichten, wie Aufklärung und Beratung. Aufgrund der fehlenden Körperlichkeit der Gegenstände und der Möglichkeit der Betreiber, Avatare – eventuell sogar rechtmäßig aufgrund entsprechender EULA Klauseln – vom Spiel auszuschließen, können andere Interessenkonflikte als im „echten“ Leben entstehen. So sind z. B. Landstriche in virtuellen Welten für den Betreiber fast beliebig produzierbar. Wenn ein Spieler einen solchen mit der Aussicht erworben hat, einzelne Parzellen weiter zu verpachten, so hat er ein Interesse daran, dass der Betreiber nicht weiteres Land zu Schleuderpreisen verteilt. Andererseits kann ein Betreiber hierzu gezwungen sein, um ein weiteres Wachstum seiner Welt zu ermöglichen oder eine zu große Machtfülle von Großgrundbesitzern zu brechen, um so die Attraktivität für alle Spieler zu erhalten. Ebenso haben sich die meisten Betreiber vorbehalten, Avatare jederzeit vom Spiel ausschließen zu können. Hat ein Avatar aber gerade vom Betreiber einen virtuellen Gegenstand erworben, so erschiene ein solcher Ausschluss als unfair. Zusätzlich stellt sich die Frage, ob ein Betreiber ein Spiel einfach abstellen und dadurch die vermögenswerten Interessen aller Spieler mit einem Schlag zerstören kann. Einen entsprechenden Markt, auf dem das virtuelle Eigentum noch getauscht werden könnte, gäbe es in solchen Fällen nicht mehr. Die Gefahr des Abschaltens kann man prinzipiell als immanente Beschränkung des virtuellen gehindert, einen virtuellen Landstrich im „gefährlich aber mineralreichen Paradies V Asteroidengürtel“ für 100.000 US-$ erfolgreich zu verkaufen, siehe Meehan, Virtual Property, S. 2 m. w. N. 158 Lober/Weber, MMR 2005, S. 653, 659. 159 Vgl. zu diesen Überlegungen ausführlich Lober/Weber, MMR 2005, S. 653, 659 ff. 160 Ausführlich dazu Meehan, Virtual Property, S. 9 ff.
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
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Eigentums der Spieler sehen, so dass der Betreiber zur Beendigung des Spiels berechtigt ist, weil er schließlich die Rechte an dem Spiel hält161. Fraglich ist nur, ob diese Beendigung willkürlich erfolgen kann oder an bestimmte Voraussetzungen gebunden werden muss. Denkbar wäre, dass der Betreiber die fehlende Wirtschaftlichkeit der virtuellen Welt nachweisen oder anderen Firmen ein Übergabeangebot machen muss, damit die Welt nach Möglichkeit weiter betrieben werden kann. Die strukturelle Interessenlage der beiden Parteien, also des Spielers und des Spielebetreibers, ist mit der bei privaten Investitionen im Ausland vergleichbar162. Auch dort geht der Investor das Risiko ein, dass die Gesetze geändert werden, ohne dass er – jedenfalls theoretisch – auf irgendeine Weise Einfluss nehmen kann. Interessanterweise hat gerade die Realisierung dieses Risikos – nach der hier vertretenden Auffassung163 – wesentlich zum Entstehen der lex mercatoria beigetragen. Geradezu folgerichtig wird zur Lösung dieser Probleme vorgeschlagen, die Rechte und Pflichten der Betreiber gegenüber den Spielern mit Hilfe von unbestimmten Rechtsbegriffen wie „good cause“ oder „good faith“ auszugestalten164, die auch den wesentlichen Kern der lex mercatoria ausmachen165. So soll das virtuelle Eigentum grundsätzlich geschützt sein, allerdings nicht vor höherer Gewalt (außerhalb des Spieles). Der Betreiber kann Gegenstände jedoch entwerten oder zerstören, wenn er dafür einen guten Grund hat166, weil z. B. eine bestimmte Rüstung oder Rüstungskombination unverwundbar macht und dadurch das Spielgleichgewicht gestört wird. Dagegen dürfte er keine Avatare zerstören, denen er kurz zuvor Land oder Gegenstände verkauft hat, um diese ein weiteres Mal zu verkaufen. Sollte er aus guten Gründen gezwungen sein, Besitztümer zu entwerten, z. B. um einer Überpopulation zu entgehen, so muss eine Entschädigung erfolgen167. Diese sollte idealerweise in der Spielwährung erfolgen. Alleinige Entscheidung des Betreibers bleibe es allerdings, das Spiel zu beenden. Inwieweit er auch in diesem Fall zu einer Entschädigung gezwungen ist, bleibt fraglich, weil zum einen der Wert außerhalb des Spiels schwer zu bestimmen ist und diese Gefahr auch als immanente Beschränkung des Eigentums gesehen werden kann168. Eine derartige Bestimmung der Betreiberpflichten kann allerdings nur ein erster Ansatzpunkt sein. So stellen sich zahlreiche Detailfragen, die wegen der Andersartigkeit virtueller Welten nicht immer durch Rückgriff auf bestehende Rechtsprechung gelöst werden können. Insbesondere würde die Ausfüllung der unbestimmten Rechtsbegriffe zunächst von einer Reihe unterschiedlicher Gerichte in unterschiedlichen Ländern vorgenommen werden, was eine einheitliche Linie 161 162 163 164 165 166 167 168
Lastowka/Hunter, The Law of Virtual Worlds, S. 80. Grimmelmann, 49 N. Y. L. Sch. L. Rev. (2004), S. 147, 178 ff. Vgl. Dritter Teil 1. Kapitel 1. Abschnitt III. Meehan, Virtual Property, S. 30 f. Vgl. Zweiter Teil 1. Kapitel 5. Abschnitt II. Meehan, Virtual Property, S. 28 f. Meehan, Virtual Property, S. 34. Meehan, Virtual Property, S. 37 ff.
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
unwahrscheinlich macht. Interessant ist, wie auch in diesem Fall – ähnlich wie bei der lex mercatoria – auf die Prinzipien von „Treu und Glauben“ zurückgegriffen wird, sobald die staatlichen Regelungen nicht mehr als ausreichend erachtet werden und es an spezifischen Regelungen noch fehlt.
IV. Bewertung Wenn die Verbreitung von virtuellen Welten, in denen ein zweites Leben geführt werden kann, in vergleichbarem Maße weitergeht wie in den letzten Jahren, so werden sich Rechtswissenschaft und Rechtsprechung diesem Thema verstärkt widmen müssen169. Virtuelle Welten scheinen besonders geeignet zu sein, um die Ideen zur Internetregulierung aus der Frühphase wieder aufzugreifen, die inzwischen in der wissenschaftlichen Diskussion an den Rand gedrängt worden sind170. So erscheinen die Ansätze, die den Cyberspace als eigenen Raum begreifen, für den dementsprechend eigene Gesetze gelten, durch die dreidimensionalen Grafiken noch plausibler. Es wird für den Spieler damit deutlich, dass er sich mit seinem Avatar an einem anderen Ort befindet. Der einzelne Spieler hat jedoch kaum eine Möglichkeit, seine eigenen Vorstellungen von adäquaten Regeln einzubringen (sog. voice-Option). Das wird gerade im Internet oft als geringes Problem gesehen, da der Spieler zu geringen Kosten die unpassende virtuelle Welt verlassen und sich eine „bessere Welt“ suchen kann (sog. exit-Option)171. Der Betreiber steht somit unter dem Druck, seine Welt durch „gute Regeln“ – was auch immer darunter im konkreten Fall zu verstehen ist – für die Spieler interessant zu halten. Sobald die Spieler aber in einer Welt ein gewisses Vermögen oder soziales Kapital angesammelt haben, steht ihnen die exit-Option nicht mehr ohne weiteres zur Verfügung, da sie beim Verlassen des Spiels ihr virtuelles Vermögen zunächst – soweit möglich – in „echtes“ Geld umtauschen müssten oder verlören und ihr soziales Kapital in jedem Fall verlören172. In solchen Situationen wären die Spieler schutzbedürftig. Unabhängig von diesen Überlegungen bleiben beide Welten auf eine Weise miteinander verwoben, so dass sich das staatliche Recht auch auf die virtuellen Welten erstreckt. So wird bereits überlegt, wie der virtuelle Handel staatlich besteuert werden kann173. Zusätzlich sind die spielinternen Normenordnungen zum Teil überfordert. Sie bekommen insbesondere end game situations nicht in den Griff, so dass sie der Unterstützung durch staatliches Recht bedürften. Allerdings fehlt es 169
Lastowka/Hunter, The Law of Virtual Worlds, S. 67. Vgl. zu diesen Ansätzen: Zweiter Teil 2. Kapitel 1. Abschnitt I. 2. 171 Für virtuelle Welten: Grimmelmann, 49 N. Y. L. Sch. L. Rev. (2004), S. 147, 177; allgemein für das Internet: Johnson/Post, 48 Stan. L. Rev. (1996) 1367 ff. 172 Vgl. zu diesem Problem im Allgemeinen Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace, S. 352. 173 Lederman, Taxing Virtual Worlds, S. 1 ff. 170
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
203
auch im staatlichen Recht gegenwärtig an „passenden“ Normen, die auf die Besonderheit des Sachverhalts zugeschnitten sind. Eine analoge Anwendung kommt jedoch nur in Teilbereichen in Betracht. Es zeigt sich somit auch in diesem Bereich, dass Normenordnungen nicht gewissermaßen „nebenbei“ entstehen, sondern eine Reihe von juristischen Problemen mit sich bringen, die nicht ohne weiters durch interne Normen gelöst werden können. Vielmehr ist die Bezugnahme auf externe Normen notwendig. Diese externen Normen können aus dem staatlichen Recht stammen. Alternativ können sie aus dem Prinzip von „Treu und Glauben“ hergeleitet werden. Dies hat allerdings zur Folge, dass die Lage noch unübersichtlicher wird, da dieses Prinzip zunächst weiterer gegenstandsspezifischer Konkretisierung bedarf. Deswegen haben Länder, in denen virtuelle Welten eine größere, insbesondere wirtschaftliche Rolle spielen, wie z. B. in China, wo für den Handel mit virtuellen Gegenständen im Jahr 2008 ein Umfang von 822,9 Mio. US-$ erwartet wird, bereits entsprechende Schutzgesetze erlassen, die eine gewisse Rechts- und Erwartungssicherheit garantieren174. In Südkorea, wo die virtuellen Welten am meisten verbreitet sind, sollen eine große Zahl von Teenager wegen Diebstahls von virtuellem Eigentum festgenommen worden sein175. Gleichzeitig hat aber dort das Fehlen einer expliziten zivilrechtlichen Regelung des virtuellen Eigentums eine Vielzahl von kartell- und verbraucherschutzrechtlichen Gerichtsverfahren nach sich gezogen, in denen die Frage nach Erlaubnis des Handels mit virtuellen Gegenständen geklärt werden musste176. Dies veranschaulicht den Vorteil expliziter staatlicher Regelungen. In Deutschland, aber auch in den meisten anderen westlichen Staaten bietet das Recht der virtuellen Welten hingegen noch eine „Spielwiese für Juristen“177. Es ist aber nicht unbedingt im Interesse der Beteiligten, wenn sich Juristen – unbehelligt von zwingend einschlägigen Normen – „austoben“ dürfen. Wenn man die Erfahrungen beim Sportrecht berücksichtigt, so ist es wahrscheinlich, dass eine Vielzahl von staatlichen Lösungen angeboten werden, was zu sehr unterschiedlichen Schutzniveaus führen kann. Es drohte eine Zersplitterung der Spielwelt; eine Folge, die kaum im Interesse aller Beteiligten liegen dürfte. Aufgrund der vergleichbaren Entwicklung und Interessenlage könnten sich die Betreiber der virtuellen Welten an der Entwicklung der Sportschiedsgerichtsbarkeit orientieren. Dementsprechend müsste ein Regelwerk und eine Institution zur Streitentscheidung für Konflikte geschaffen werden, die sich innerhalb des Spieles nicht regeln lassen und in denen konkrete Vermögensinteressen bestehen. Die Anwendbarkeit dieser Regeln und die Zuständigkeit des Schiedsgerichts würde durch die EULA begründet. Vorbild ist dabei der CAS, der zunächst auch in erster 174 175 176 177
Vgl. Fairfield, 85 B. U. L. Rev. (2005), S. 1047, 1086. Vgl. Fairfield, 85 B. U. L. Rev. (2005), S. 1047, 1088. Fairfield, 85 B. U. L. Rev. (2005), S. 1047, 1088. So der Titel von Krasemann, MMR 2006, S. 351.
204
3. Teil: Transnationale Normenordnungen
Linie für wirtschaftliche Streitfälle mit Bezug zum Sport geschaffen worden ist. Das entsprechende Regelwerk kann zwar von den Betreibern verfasst werden, ein Schiedsgericht müsste dagegen eine gewisse Unabhängigkeit haben, da das Verhältnis zwischen Betreiber und Spieler regelmäßiger Streitgegenstand wäre. Ziel dieser gesamten Konstruktion wäre es – wie beim Sport –, einen akzeptablen Schutz für die Spieler und ihre Vermögensinteressen zu gewährleisten, um so zu verhindern, dass staatliche Gerichte sich gezwungen sehen, selbst einzugreifen und die Fälle in ein möglicherweise unpassendes Normengerüst zu zwängen. Es bleibt naturgemäß die Frage, inwieweit die Betreiber von virtuellen Welten zu einer solchen Selbstbeschränkung bereit wären. Linden Lab hat sich gegenüber solchen Entwicklungen, die zwar die Einflussmöglichkeiten beschränken, dadurch aber auch die Verantwortung reduzieren und die virtuelle Welt für Spieler attraktiver machen, durchaus aufgeschlossen gezeigt. So wurde nach „virtuellen Unruhen“ und auf Rat des Internetrechtsexperten Lawrence Lessig den Spielern das geistige Eigentum an den von ihnen entwickelten Personen und Gegenständen zuerkannt178.
4. Abschnitt
Zwischenbilanz – Die Zukunft transnationaler Normenordnungen Aufgrund der dargestellten Entwicklungslinien drängen sich drei Schlussfolgerungen auf, die im Folgenden präzisiert werden sollen: – Normenordnungen bedürfen einer institutionellen Grundlage, um sich erfolgreich entwickeln zu können (I.). – Keine Normenordnung bleibt dauerhaft frei von staatlichem Einfluss, so dass sie nicht als autonom, sondern nur als semi-autonom von staatlichem Recht bezeichnet werden kann (II.). – Auch funktionierende private Normenordnungen sind in ihren Regulierungsmöglichkeiten begrenzt, weswegen die Gefahr besteht, dass sie nur Übergangserscheinungen bleiben (III.).
I. Bedeutung eines institutionellen Hintergrundes Zunächst ist im transnationalen Raum keine neue Art der Rechts- bzw. Normentstehung zu erkennen. Einzelne Normen können sich in der Praxis entwickeln, bilden jedoch keine kompletten Normenordnungen. Demgegenüber lassen sich 178 Ob dieses Anerkenntnis wirklich konstitutiv sein konnte oder lediglich deklaratorisch war, kann dahingestellt bleiben.
1. Kap.: Entwicklungslinien transnationaler Normenordnungen
205
keine Hinweise darauf finden, dass komplette Normenordnungen quasi als Nebenprodukt eines rechtlichen Dialogs entstehen. Die Entstehung einer Normenordnung ist komplizierter und bedarf jenseits der close-knit-Gemeinschaften einer Institution179, die – als einzige – in der Lage ist, besondere Vorteile zu verschaffen – sei es die Vergabe von Domainnamen oder die Teilnahme an den Olympischen Spielen. Diese Institution ist dann in der Lage, den – regelmäßig von ihr selbst – gesetzten Normen zu sozialer Wirksamkeit zu verhelfen. Die soziale Wirksamkeit ist wiederum die wesentliche Voraussetzung, um über eine Einordnung von privaten Normen als Rechtsnormen nachzudenken. Allerdings ist die effektive Durchsetzung von internen – also nur die amtierenden bzw. potentiellen Mitglieder betreffenden – Regeln von sozial mächtigen Institutionen keine neuartige Entwicklung, die als eine Folge der Globalisierung gesehen werden kann. Auch auf nationaler Ebene gibt und gab es eine Reihe von Organisationen, die solche verbindlichen Regeln setzen, ohne dass diese gleich zu Rechtsregeln erklärt werden. Der Unterschied besteht darin, dass sich diese nationalen Institutionsregeln in die staatliche Normenhierarchie einordnen lassen; den Institutionen steht jeweils der Staatsapparat gegenüber. An einem solchen Gegenüber fehlt es jedoch auf der globalen Ebene, weil ein Weltstaat nicht existiert. Folglich liegt der Gedanke nahe, mangels direkt übergeordneter Normen die Institutionsregeln auf die vermeintlich freie Normenebene zu heben. In diesem Fall befänden sie sich sozusagen auf der gleichen Ebene wie die staatlichen Rechtsnormen, so dass es folgerichtig wäre, diese Regeln als Rechtsnormen zu konzeptionalisieren. Dieser Gedanke liegt im Kern auch dem autopoietischen Ansatz zugrunde, demzufolge nach einem Weltrecht ohne Weltstaat gesucht wird180.
II. Überwachte Autonomie Diesen Überlegungen steht jedoch entgegen, dass die transnationalen Normenordnungen erheblich vom nationalstaatlichen Recht beeinflusst werden. Der staatliche Einfluss nimmt auch nicht ab, sondern scheint im Gegenteil in vielen Bereichen noch zuzunehmen. So gibt es in manchen Bereichen Bestrebungen, hybride Organisationen durch staatliche zu ersetzen181, in anderen Bereichen entsteht ein Nebeneinander von staatlichen und privaten Regelungen182. Auch ohne einen Weltstaat sind die transnationalen Normenordnungen auf eine vielfältige Weise mit staatlichem Recht verflochten und von diesem beeinflusst. Sie sind insbeson179 McMillan/Woodruff, 98 Mich. L. Rev. (2000), S. 2421, 2423; vgl. auch Erster Teil 3. Kapitel 3. Abschnitt. 180 Programmatisch der Titel von Teubner: Global Law without a state. 181 Bestrebungen einer Vielzahl von Ländern ICANN durch eine völkerrechtliche Organisation wie der ITU zu ersetzen. 182 Vorgehen gegen Doping durch Staaten und Verbände im Rahmen der WADA.
206
3. Teil: Transnationale Normenordnungen
dere dauerhaft von einer gewissen Akzeptanz oder Billigung durch die staatlichen Rechtsordnungen abhängig. Sie können deswegen kaum als autonom, sondern nur als semi-autonom bezeichnet werden. Um das Verhältnis zwischen dem staatlichen Recht und den transnationalen Normenordnungen noch deutlicher auszudrücken, sollte von einer „überwachten Autonomie“ gesprochen werden183. Die Feststellung, dass nationalstaatliches Recht in größerem Umfang transnationale Normenordnungen beeinflusst, lässt die Idee eines mit dem nationalstaatlichem Recht gleichstufigen transnationalen Rechts fragwürdig erscheinen.
III. Grenzen privater Normenordnungen Die private Selbstregulierung durch Normenordnungen hat manche Vorteile. Insbesondere erfolgt eine derartige Selbstorganisation zumeist schneller als der Erlass staatlicher Gesetze. Aber auch private Normenordnungen stoßen in vielen Bereichen an ihre Grenzen184 und können deswegen kein Wundermittel zur Regulierung in Zeiten der Globalisierung sein. Es ist bereits ausgeführt worden, dass die Idee eines dynamischen anationalen Wirtschaftsrechts, welches ständig auf Höhe der neuesten Entwicklung ist, nicht funktionieren kann185. Erfolgreiche Normenordnungen bedürfen vielmehr einer Institution im Hintergrund. Dadurch droht die Normenentstehung und -entwicklung jedoch, ähnlich statisch wie im Nationalstaat zu werden186. Die Hoffnungen, mit transnationalen Recht ein Recht zu haben, dass mit dem Tempo der Globalisierung Schritt hält, erfüllt sich nicht. Zusätzlich stoßen auch grundsätzlich erfolgreiche Normensysteme an Grenzen hinsichtlich der möglichen Objekte ihrer Regulierung. So enthalten weder die lex informatica noch die lex sportiva Grundlagen für Schadensersatzansprüche, obwohl diese als dringend geboten angesehen werden187. Jedoch haben die dahinter stehenden Institutionen keine Möglichkeit, solche Ansprüche ohne staatliche Hilfe durchzusetzen. Denkbar wären solche Regelungen dagegen in close-knit-Gemeinschaften wie den beschriebenen jüdischen Diamantenhändlern188. Für weniger eng verbundene Gruppen gilt dagegen, dass eine Institution nur die Gegenstände re183 Vgl. zu dem entsprechenden Begriff der „supervised autonomy“ für den Sport Gardiner et al., Sports Law, S. 93 m. w. N. Eine Aufgabe der Europäischen Kommission, ein Wächteramt im Hinblick auf den internationalen Sport auszuüben, nimmt auch Hess, Prisma des Sportrechts, S. 1, 31, an. 184 So für die Selbstregulierung im Sport Nolte, Sport und Recht, S. 18 f.; für das Internet: Holznagel/Werle, ZfR 23 (2002), S. 3, 20. 185 Vgl. insbesondere Dritter Teil 1. Kapitel 1. Abschnitt I. 2. 186 Vgl. dazu auch Levit, 30 Yale J. Int’l L. (2005), S. 125, 170 f. 187 Adolphsen, JbJZRWiss 2003, S. 281, 290 f. 188 Vgl. Erster Teil 3. Kapitel 2. Abschnitt.
2. Kap.: Verhältnis von Staat und transnationalen Normenordnungen
207
geln sollte, die sie auch beeinflussen kann. ICANN kann nur die Vergabe von Domainnamen, die Sportverbände können nur die Wettkampfteilnahme von Athleten beeinflussen. Bei darüber hinausgehende Regulierungen sind die Erfolgschancen ungewiss. Schließlich können private Normenordnungen im Kernbereich ihrer Regulierung an Grenzen stoßen. So zeigt sich immer deutlicher, dass die Sportverbände allein durch Trainings- und Wettkampfkontrolle den Dopinggebrauch nicht verhindern können. Sie bedürfen vielmehr der staatlichen Unterstützung. Dabei ist weniger entscheidend, welche gesetzlichen Regelungen genau erlassen werden, sondern vielmehr, dass der Dopinggebrauch ein strafrechtliches Vergehen darstellt, damit staatliche Zwangs- und Kontrollmitteln gebraucht werden können.
2. Kapitel
Das Verhältnis von Staat und transnationalen Normenordnungen 2. Kap.: Verhältnis von Staat und transnationalen Normenordnungen
Das vorherige Kapitel hat den Eindruck bestätigt, dass die transnationalen Normenordnungen im Verhältnis zum nationalstaatlichen Recht nur eine überwachte Autonomie zukommt. Ist mit diesem Begriff zwar der Kern des Verhältnisses benannt, so beschreibt er die gegenseitigen Verknüpfungen nicht erschöpfend. Aus diesem Grund sollen in diesem Kapitel die vielfältigen Facetten des Verhältnisses zwischen den Nationalstaaten und transnationalen Normenordnungen nachgezeichnet werden. Für die untersuchten Normenordnungen dient der Staat1 bzw. das staatliche Recht zunächst sowohl in materieller wie formeller Hinsicht als Orientierungspunkt. Dadurch kann der Staat in doppelter Hinsicht von diesen Normenordnungen profitieren. Zum einen ist er nicht gezwungen, bestimmte gesellschaftliche Bereiche selbst zu regulieren, wenn stattdessen ein privates Normensystem (zumindest teilweise) diese Aufgabe ausreichend oder besser erfüllt. Zum anderen können sich eventuell notwendige staatliche Regulierungen an den Erfahrungen der bisherigen privaten Regulierungen orientieren und betreten somit kein absolutes Neuland. Allerdings muss der Staat seinen Bürgern garantieren, dass sie 1 Es wird zur Kenntnis genommen, dass auch die Einheit des Staates in der sogenannten „post-nationalen Konstellation“ zunehmend in Zweifel gezogen wird und statt dessen nach verschiedenen staatlichen Instanzen differenziert wird. Dieser Gedanke ist insbesondere bei Slaughter in ihrer Monographie „The new world order“ ausgeprägt, die daraus die Idee einer „transgovernmentalen Ordnung“ ableitet. Demgemäß ist es nicht mehr (falls es das je war) von dem „Staat“ zu sprechen. Wenn dies im Folgenden dennoch geschieht, so aus Gründen der Übersichtlichkeit. Inwieweit sich die Ergebnisse verändern, wenn z. B. noch zwischen der Einflussnahme durch die Legislative, Exekutive, Judikative oder anderen Instanzen unterschieden wird, soll hier nicht thematisiert werden. Vielmehr soll eine erste allgemeine Bestandsaufnahme unternommen werden, die weiterer Vertiefung bedarf.
208
3. Teil: Transnationale Normenordnungen
nicht durch eine dieser Normenordnungen in ihren wesentlichen Rechten verletzt werden.
1. Abschnitt
Staat als Modell Der Staat bzw. das staatliche Recht dient den untersuchten Normenordnungen in doppelter Hinsicht als Vorbild. Zum einen orientieren sich die privaten Normenordnungen beim materiellen Gehalt an bestehenden staatlichen Vorschriften – sowohl freiwillig, als auch in Folge staatlichen Drucks –, zum anderen lehnen sich auch die Verfahren zur Normensetzung oder der Schiedsgerichtsbarkeit häufig an staatliche Verfahren an.
I. Materieller Inhalt Die Orientierung der privaten Normenordnungen an staatlichen Rechtssystemen ist kaum verwunderlich. Auch wenn sich private Normenordnungen von den staatlichen Rechtsordnungen abgrenzen wollen, so wurzeln sie doch in einer gemeinsamen Rechtstradition. Der Rechtsetzung sind bestimmte Wertungen und Prinzipien immanent, die zu einer weitgehenden Kongruenz führen können. Ebenso besteht eine erhebliche Kongruenz zwischen den einzelnen staatlichen Rechtsordnungen, ohne dass sich in jedem Fall bestimmen ließe, welche Rechtsordnung als Vorbild diente. Darüber hinaus lassen sich aber in den untersuchten Bereichen staatliche Einflüsse deutlich erkennen. So bauen die Normen der lex mercatoria – insbesondere in der Form der CENTRAL-Liste – in erster Linie auf der funktionellen Rechtsvergleichung auf. Das bedeutet, es wird explizit nach staatlichen Regelungen gesucht, um diese in einem zweiten Schritt auf die transnationale Ebene zu heben2. Bei der Schaffung der UDRP als Ausformung der lex informatica wurde diese Form der funktionalen Rechtsvergleichung sogar institutionalisiert. Es war ausdrücklich das Ziel, einen gemeinsamen Nenner des Markenschutzes zu finden, der in jeder staatlichen Rechtsordnung vorhanden ist3. Neben dieser direkten Orientierung an staatlichem Recht bei Entstehung der Normen ist es auch möglich, dass bereits gesetzte materielle Normen auf – indirekten – staatlichen Druck hin geändert werden mussten. So sah die Kartellkammer des LG München I im Fall Krabbe eine vierjährige Wettkampfsperre bei einem erstmaligen Verstoß gegen die Dopingbestimmungen als unverhältnismä2 3
Erster Teil 2. Kapitel 3. Abschnitt. Zweiter Teil 2. Kapitel 2. Abschnitt.
2. Kap.: Verhältnis von Staat und transnationalen Normenordnungen
209
ßig an und sprach ihr dem Grunde nach Schadensersatz zu4. Inzwischen sehen die meisten Sportverbände sowie der WADA-Code nur noch eine Höchststrafe von 2 Jahren bei einem erstmaligen Vergehen vor5. Hieran zeigt sich, dass die staatlichen Rechtsordnungen auf vielfältige Weise den materiellen Inhalt der transnationalen Normenordnungen prägen können, ohne in gleicher Weise von diesen geprägt zu werden.
II. Formelle Verfahren Wie festgestellt, ist eine Erfolgsbedingung für das Funktionieren eines Normensystems in einem größeren Rahmen die Institutionalisierung. Der Aufbau dieser Institutionen orientiert sich dann wiederum zum Teil an staatlichen Organisationsformen6. Man kann diese Organisationsformen auch als typisch rechtliche ansehen und eine entsprechende Umsetzung in diesen Bereichen als „Verrechtlichung“ beschreiben7, statt sie als „Quasi-Verstaatlichung“ zu qualifizieren8. Ob aber die staatlichen Verfahren in erster Linie besondere Anforderungen des „Rechts“ erfüllen oder ob der „Staat“ durch seine Organisation die Vorstellungen von dem „Recht“ geprägt hat, ist unerheblich. Staat und Recht sind so miteinander verwoben – der Begriff des Rechtsstaates verdeutlicht es –, dass eine Trennung zwischen „rechtlicher“ und „staatlicher“ Prägung künstlich erschiene. Jedenfalls ist zu beobachten, dass für die hier untersuchten Normenordnungen bei der „Recht“sprechung und der „Rechts“durchsetzung ein hoher „Verrechtlichungs“grad festgestellt wird9. Daraus folgt, dass die Verfahren in diesen transnationalen Bereichen den staatlichen Verfahren stark ähneln. Darüber hinaus wird insbesondere für die lex mercatoria gefordert, bestimmte Verfahren aus den staatlichen Rechtsordnungen zusätzlich zu übernehmen, um die Entwicklung durch weitere „Verrechtlichungsschübe“ zu fördern. Schließlich nimmt auch der Staat Einfluss auf die Normenordnungen, um bestimmte Verfahren zu sichern. So ist die Reform der Sportschiedsgerichtsbarkeit im Wesentlichen auf die implizite Drohung des Schweizerischen Bundesgerichts, die Unabhängigkeit nicht in allen Fällen anzuerkennen, zurückzuführen10.
4 LG München I SpuRt 1995, S. 161 ff., insoweit bestätigt von OLG München SpuRt 1996, S. 133. 5 Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, S. 203. 6 So auch Benda-Beckmann/Benda-Beckmann Evolutionismus und Recht, in: Voigt (Hrsg.), Evolution des Rechts, S. 93. 7 So der Ansatz bei Zangl/Zürn, vgl. Erster Teil 2. Kapitel 4. Abschnitt. 8 So für den Bereich des Sports: Steiner, Sport und Justiz, S. 207, 216 f. 9 Zangl/Zürn, Verrechtlichung jenseits des Staates, S. 239, 244. 10 Siehe Zweiter Teil 3. Kapitel 1. Abschnitt III.
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
2. Abschnitt
Staat als Profiteur Es ist unbestritten, dass sich der Staat im Zuge der Globalisierung besonderen Herausforderungen gegenüber sieht. Zu ihrer Bewältigung wäre eine Vielzahl von Instrumenten hilfreich, von denen je nach Situation Gebrauch gemacht werden könnte.
I. Zusätzliche Regelungsoptionen Der Staat regelt einzelne Bereiche typischerweise durch Gesetze. Es ist aber nicht die einzige Möglichkeit, bestimmte Ziele zu erreichen. Bei den verschiedenen Möglichkeiten, ein bestimmtes Politikziel zu erreichen, kann nach der Wahl der rechtlichen Regelungsform (regulatory choice), der Instrumentenauswahl (instrumental choice) und der Auswahl der Organisationsform (institutional choice) differenziert werden11. Die Selbstregulierung durch die Betroffenen und das damit verbundene Unterlassen eines staatlichen Eingriffs ist eine dieser Optionen. Diese Option ist im transnationalen Kontext von besonderer Bedeutung, da mangels eines Weltstaates die anderen Regulierungsmöglichkeiten zur Erreichung der teilweise notwendigen Einheitlichkeit der Regelungen (z. B. im Sport) nur eingeschränkt geeignet sind. Lässt der Staat also solche privaten Normenordnungen zu und akzeptiert dabei einen „rechtsfreien“ – im Sinne von „frei von direkt anwendbarem staatlichen Recht existierenden“ – Raum, so ist dies eine Entscheidung des Staates und nicht notwendig Ausfluss der Souveränität einer transnationalen Gemeinschaft12. Der Staat kann die funktionierenden transnationalen Normenordnungen grundsätzlich achten und erspart sich auf diese Weise eine eigene Regulierung. Für ein solches Vorgehen liefert insbesondere der Umgang der Staaten mit den Regelwerken des Sports Anschauungsmaterial. Das Verhältnis des staatlichen Rechts zu transnationalen Normenordnungen ist deswegen ebenso wenig wie das Verhältnis der staatlichen Justiz zur Schiedsgerichtsbarkeit zwingend als Ausdruck der Erosion des staatlichen Rechtswahrungsauftrags anzusehen, sondern kann ebenso gut als Möglichkeit einer arbeitsteiligen Kooperation begriffen werden13. Es ist aber auch denkbar, dass der Staat indirekten Einfluss auf die Selbstregulierung nimmt, wenn eine direkte Regulierung besondere Probleme mit sich brächte, eine Selbstregulierung aber aufgrund heterogener Interessen unwahrscheinlich ist. Der hybride Aufbau von ICANN kann dafür als Beispiel dienen. 11
Schuppert, Staatswisschenschaft, S. 591 ff. Michaels, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 1209, 1234. 13 Zu dieser Beschreibung im Hinblick auf die Schiedsgerichtsbarkeit Schuppert, Staatswissenschaft, S. 274; Ritter, NJW 2001, S. 3440, 3447 f. 12
2. Kap.: Verhältnis von Staat und transnationalen Normenordnungen
211
II. Private Normenordnungen als Platzhalter für staatliches Recht Die Gesellschaft entwickelt sich ständig weiter. Der Staat kann dieser Entwicklung mit seiner Rechtsetzung nicht mit gleicher Geschwindigkeit folgen. So musste erst die Eisenbahn erfunden werden, bevor ein Eisenbahngesetz erlassen werden konnte. Es ist deswegen nur natürlich, dass neue gesellschaftliche oder technische Entwicklungen nicht sofort vom Staat geregelt werden, sondern zunächst ein legal lag entsteht14. Diese Lücke können private Normenordnungen schließen15; allerdings in manchen Fällen nur vorübergehend. Sowohl im Sport als auch im Internet mussten die Beteiligten ihre Beziehungen zunächst selbst regulieren. Der Sport erschien als Freizeitveranstaltung, die keines staatlichen Eingreifens bedurfte; beim Internet war zu Beginn der Erfolg nicht absehbar. Es ließen sich Beispiele finden, in denen ähnliche Ansätze oder Erneuerungen keine vergleichbare gesellschaftliche Relevanz erlangt haben. Der Staat kann nicht – und konnte auch nie – versuchen, alle Fragen eines Sachbereichs durch eigene Normensetzung zu regeln. Private Normenordnungen müssen – und mussten – zunächst den Platz für staatliche Normenordnungen einnehmen16. Erhalten die Gebiete eine bestimmte gesellschaftliche Relevanz, so stellt sich die Frage, inwieweit der Staat sich dieser Bereiche durch eigene Rechtsetzung annimmt. Wie bereits ausgeführt, ist dies eine Frage der regulatory choice und hängt von den Umständen ab17. Aus diesen Gründen ist es nicht verwunderlich, wenn – wie festgestellt18 – der Einfluss des Staates in Bereichen des Internets und des Sports gewachsen ist. Der Staat nutzt zunehmend die Möglichkeiten des Internets, um seine Gesetze im Internet durchzusetzen, obwohl dies noch vor wenigen Jahren für unmöglich erachtet worden ist. Es zeigt sich, dass der Staat nur eine gewisse Übergangszeit gebraucht hat, um die technischen Entwicklungen zu bewältigen. Auch im Sport ist zunehmend staatliche Einflussnahme festzustellen. Etwas anders verhält es sich bei der lex mercatoria. Man könnte sagen, dass die mittelalterliche lex mercatoria – wenn es sie denn gegeben hat – von den staatlichen Rechtsordnungen aufgesogen worden ist19. Für die lex mercatoria der Gegenwart ist dieser Befund nicht vergleichbar plausibel. Wenn man aber davon ausgeht, dass die lex mercatoria in erster Linie wiederbelebt wurde, um Investitionsstreitigkeiten zu lösen, dann wird diese Funktion inzwischen auch durch völ14
Begriff nach Vieweg, JuS 1993, S. 894, 896. Vgl. Dasser, Lex mercatoria, S. 387 für die lex mercatoria. 16 Dies stellte Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 249 f. bereits 1979 fest, zit. nach Schuppert, Staatswissenschaft, S. 604. 17 Schuppert, Staatswissenschaft, S. 591 ff., 908 ff. 18 Siehe Dritter Teil 1. Kapitel 2. Abschnitt I. 19 Vgl. Zweiter Teil 1. Kapitel 1. Abschnitt I. 1. 15
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
kerrechtliche Verträge erfüllt20. Die lex mercatoria war somit ein Platzhalter bis sich die Staaten auf die neue Situation – die Dekolonisierung wichtiger Rohstofflieferanten – und die damit verbundenen Probleme einrichten konnten. Die Wirklichkeit ändert sich naturgemäß schneller als das staatliche Recht zu folgen vermag. In dieser Übergangszeit können sich selbstregulierende Normensysteme bilden. Sie bleiben in der Regel bestehen, solange bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Insbesondere müssen die Beteiligten eine vergleichsweise homogene Gruppe bilden21. Sobald dieser Bereich aber eine gewisse gesellschaftliche Relevanz erlangt hat – wie der internationale Wettkampfsport – oder sogar ein Massenphänomen geworden ist – wie das Internet – stoßen die Mechanismen der Selbstregulierung an ihre Grenzen. Ab diesem Punkt sind staatliche Regulierungen zur Problemlösung erforderlich, wie z. B. im Kampf gegen das Doping. Bis zu diesem Punkt können die privaten Normensysteme als Platzhalter dienen. Aus diesem Grund kann man die in Rede stehenden Normenordnungen auch als „prekäre“ Normenordnungen bezeichnen. Ihnen droht ständig, dass der Staat von seiner Option Gebrauch macht und eigene Regelungen erlässt. Auch Teubner scheint eine solche Entwicklung zu erwarten und bezeichnet sie als „Re-Politisierung“22. Es wird jedoch nicht deutlich, in welchem Zeitraum er diese Re-Politisierung erwartet und wie sie genau aussehen könnte.
3. Abschnitt
Staat als Garant Der Staat tritt im Verhältnis zu den transnationalen Normenordnungen noch in einer dritten Weise in Erscheinung. Er garantiert den Bürgern, dass auch in den übrigen Normenordnungen ihre wesentliche Rechte beachtet werden. Diese Rolle wird von seinen Bürgern erwartet, wie bereits die regelmäßig angestrengten Gerichtsverfahren zeigen. Für die erfolgreiche Erfüllung dieser Erwartungen sind jedoch bestimmte Voraussetzungen notwendig.
I. Garantenstellung als Erfüllung berechtigter Erwartungen Auch bevor spezifische staatliche Normen für einen gesellschaftlichen Bereich existieren, kann der Staat – bzw. dessen Gerichte – gezwungen sein, in diesem Bereich einen Streit zu entscheiden. Aufgrund des Rechtsverweigerungsverbots müssen Klagen von Gerichten – sofern sie zulässig sind – entschieden werden. Das 20
Vgl. zu diesen Überlegungen: Dritter Teil 1. Kapitel 1. Abschnitt III. Vgl. Erster Teil 3. Kapitel. Es sei noch einmal angemerkt, dass eine solche Gruppe nicht notwendig nur in lokalem Rahmen entstehen kann. 22 Teubner, RJ 15 (1996), S. 255, 280. 21
2. Kap.: Verhältnis von Staat und transnationalen Normenordnungen
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Gericht kann sich nicht darauf berufen, dass es an entsprechenden Normen fehlt. Durch eine wirksame Schiedsklausel kann zwar die volle inhaltliche Überprüfung ausgeschlossen werden; aber auch dieser Ausschluss muss gemäß § 1051 ZPO bestimmte Voraussetzungen erfüllen, deren Vorliegen gerichtlich nachgeprüft werden kann. In diesem Zusammenhang sei ein weiteres Mal auf die Entscheidung des Schweizerischen Bundesgericht hingewiesen, wonach Sportverbände die gerichtliche Anfechtung von Schiedsentscheiden entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht ausschließen können, weil andernfalls mangels eines Bedarfs an staatlichen Durchsetzungsmechanismen keine rechtsstaatliche Kontrolle stattfinden könnte23. Der Staat bildet mit seiner Rechtsordnung also eine Art Auffangnetz24. Damit sorgt er dafür, dass seinen Bürgern ein gewisser Mindeststandard an Rechten innerhalb dieser privaten Normensysteme garantiert ist, wenn diese nicht durch die privaten Normenordnungen und die hinter ihnen stehenden Institutionen gewährleistet werden. Es besteht zwar das Problem, dass es an passenden staatlichen Rechtsnormen fehlt; dies Problem kann jedoch durch die analoge Anwendung anderer Rechtsnormen gelöst werden. So wenden Gerichte auf Geschäfte im Internet die „normalen“ Vertragsvorschriften mit zum Teil geringen Modifikationen an. Streitigkeiten betreffend den Handel in der virtuellen Welt können von Gerichten – sofern es zu entsprechenden Klagen kommt – durch einen Rückgriff auf die Vorschriften über reale Gegenstände und deren analoge Anwendung zu einem beachtlichen Teil gelöst werden25. Im Sport hat sich gezeigt, dass die Gerichte durch Hinzuziehung von Normen aus so unterschiedlichen Rechtsgebieten wie dem Arbeits- oder dem Kartellrecht zu akzeptablen Entscheidungen im Einzelfall gelangen konnten. An ihre Grenzen stößt diese Konstruktion, wenn die Probleme so massiv werden, dass strafrechtliche Sanktionen zur Verhaltenssteuerung erforderlich werden. An dieser Stelle muss der Staat aufgrund des strafrechtlichen Analogieverbotes gesetzgeberisch eingreifen. Die Bürger richten also an „ihren“ Staat im Zweifelsfall die Erwartung, dass ihre Rechte auch gegenüber sozial mächtigen Institutionen gewährleistet werden, unabhängig davon, ob der Staat auf diesem Gebiet bereits legislativ tätig geworden ist. Diese Erwartungshaltung der Bürger spiegelt sich in den zahlreichen Klagen vor staatlichen Gerichten wider. Besonders im Sport haben Sportler in vielen Fällen staatlichen Rechtsschutz begehrt, und die Gerichte haben sich nach anfänglichem Zögern dieser Aufgabe angenommen26. Auch wenn sich der Gesetzgeber nicht zu gesonderten Regelungen durchringen kann, so können die Gerichte – und
23
Schweizerisches BG, Urt. V. 22.3.2007, SpuRt 2007, S. 113. Dies hält auch Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 516, 522 ff. gerade bei privat gesetztem Recht verfassungsrechtlich für geboten. 25 Vgl. Dritter Teil 1. Kapitel 3. Abschnitt III. 26 Zur Verantwortung des Staates in diesem Bereich gegenüber seinen Bürgern vgl. Nolte, Staatliche Verantwortung, S. 430 ff. 24
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
damit der Staat – der Beschäftigung mit diesen neuen gesellschaftlichen Bereichen nicht entgehen. Der Staat normiert also nicht notwendig selbst einen bestimmten Bereich, sorgt aber jedenfalls dafür, dass bei der Normierung bestimmte Rechte seiner Bürger gewahrt bleiben. Hier besteht eine Nähe zu der bereits im nationalen Recht beobachteten Privatisierungsfolge des Wandels der Grundrechte von Leistungs- und Abwehrrechten zu Schutzpflichten27. Zwar kommen Grundrechte im Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der die transnationale Normenordnung unterstützenden Institution nicht direkt zur Anwendung. Die in den Grundrechten enthaltenen Wertungen – wie z. B. das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im Fall Krabbe28 – müssen jedoch auch von diesen Institutionen beachtet werden. Es muss jedenfalls ein fairer Interessenausgleich zwischen dem Einzelnen und der sozialmächtigen Institution gewährleistet sein29. Gemäß der Idee des Gewährleistungsstaates reguliert der Staat nicht alles selbst, sondern garantiert lediglich die Gemeinwohlverträglichkeit sozial wirksamer Regelungen30. Auch aus theoretischen Erwägungen heraus ist diese Funktion für den Staat unausweichlich. Zangl und Zürn haben in ihrer Untersuchung festgestellt, dass der sogenannte Verrechtlichungsgrad der transnationalen Normenordnungen im Bereich der „Recht“setzung durchweg gering ist31. Mit anderen Worten, besitzen diese Normenordnungen nur eine geringe demokratische „input“-Legitimation32. Versuche bei ICANN, diese durch die Beteiligung der Nutzer an der Wahl einiger Direktoren zu schaffen, können als gescheitert gelten. Damit erfordert dieses System einen Staat, der eine Auffangfunktion ausübt für den Fall, dass die privaten Normenordnungen dem Einzelnen nicht gerecht werden. Staaten sind auch in der Lage, diese Auffangfunktion auszuüben, denn sie sind und bleiben die einzigen Akteure in der globalen Arena, die an erster Stelle dem Gemeinwohl in seiner gesamten Bandbreite verpflichtet sind. Private Normenordnungen funktionieren nach anderen Rationalitäten33. Die Aufgabe von ICANN ist in erster Linie, die Funktionsfähigkeit des Internets zu sichern; das IOC sorgt sich um den Erfolg der Olympischen Spiele; nur der Staat hat das gesamte Wohl seiner Bürger im Blick. Gerade der Umgang mit der Dopingproblematik zeigt, dass der Sport alleine nicht in der Lage zu sein scheint, mit diesem Problem fertig zu werden. Das liegt zum einen an den beschränkten Kontrollmöglichkeiten, zum anderen verfestigt sich der Eindruck, dass viele Beteiligte sich damit zufrieden ge27
Vgl. Schuppert, Staatswissenschaft, S. 474. LG München I SpuRt 1995, S. 161 ff., insoweit bestätigt von OLG München SpuRt 1996, S. 133. 29 Schuppert, Staatswissenschaft, S. 474. 30 Zur vergleichbaren Aufgabe bei der nationalen Rechtsetzung: Schuppert, Staatswissenschaft, S. 530; ders., Der Gewährleistungsstaat, S. 11, 35 ff. 31 Zangl/Zürn, Verrechtlichung jenseits des Staates, S. 239, 244. 32 Diese Problem adressierend und zur Reduzierung der Legitimationslücke eine Orientierung an der EU erwägend: Nickel, Participatory Transnational Governance. 33 Roberts, 68 Modern Law Review (2005), S. 1 ff. 28
2. Kap.: Verhältnis von Staat und transnationalen Normenordnungen
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ben, dass in der betreffenden Sportart keine spektakulären Fälle des Dopings aufgedeckt wurden und sie „sauber“ erscheint. Die Verpflichtung des Staates auf das Gemeinwohl ist ein wesentlicher Unterschied zu den beschränkten Zielen anderer Normenordnungen34. Gleichzeitig ist diese Verpflichtung der Kern der Rechtfertigung für den Erlass von verbindlichen Normen. Fehlt sie bereits theoretisch, so sollte mehr als dies in der wissenschaftlichen Diskussion über das „Transnationale Recht“ bisher der Fall ist, nach der Legitimation dieser Normenordnungen gefragt werden35, weil – wie gezeigt – die Normenordnungen nicht als „spontane Auswüchse“ der Praxis entstehen (können), an denen sich theoretisch jeder beteiligen kann, sondern von Institutionen gesetzt werden. Dem Postulat „Bringing the state back in“ ist von diesem Gesichtspunkt her grundsätzlich zuzustimmen. Aber für den Bereich dieser Untersuchung müsste es lediglich heißen: „Bringing the state in“, denn kein Staat hat zuvor das Internet oder den internationalen Wettkampfsport reguliert und wurde in diesen Bereichen verdrängt. Vielmehr sind neue gesellschaftliche Bereiche entstanden, auf die der Staat – verzögert – reagiert. Jedenfalls fehlt es gegenwärtig an Möglichkeiten, ein mit dem Staat vergleichbares Legitimationsniveau für verbindliche Normen zu schaffen. Allerdings bedarf es nicht notwendig theoretischer Erwägungen, um den Staat zurückzubringen. Der Staat hält sich im eigenen Interesse zunächst im Hintergrund – oder wie es sehr anschaulich beschrieben wurde: auf der „Reservebank“36 – bereit und kann von dort aus notfalls die Arena betreten – sich sozusagen selbst einwechseln. Der Ruf nach „dem Staat“ ergeht indes nicht – oder zumindest nicht nur – von Wissenschaftlern, die um den Staat – und damit um ihren Forschungsgegenstand – fürchten, sondern von betroffenen Bürgern, die um ihre Rechte besorgt sind37. Der Staat übt somit eine Auffangverantwortung aus38.
34 Zu dieser Besonderheit gegenüber anderen Akteuren: Schuppert, Staatswissenschaft, S. 125 ff., 175. 35 Das Demokratiedefizit feststellend und zur Lösung eine Orientierung am supranationalen Recht vorschlagend, Nickel, Participatory Transnational Governance. Vgl. jedoch zu einem ausführlichen Überblick über die Legitimierungsstrategien der Schiedsgerichte für die lex mercatoria: Jemielniak, Int’l J. Sem. L. 18 (2005), S. 175 ff. 36 Schuppert, Staatswissenschaft, S. 456. 37 Lessig, Code und andere Gesetze des Cyberspace, S. 181, geht zusätzlich davon aus, dass auch die Veränderung der Internetarchitektetur im Interesse der Wirtschaftsunternehmen zu einem größeren staatlichen Einfluss auf das Internet führen wird. Diese Überlegung erscheint angesichts der Ergebnisse, dass Kommerzialisierung und Verrechtlichung bzw. Vergesetzlichung regelmäßig mit einer gewissen Parallelität auftreten, plausibel. Der Gedanke steht jedoch in einem interessanten Widerspruch zu den Überlegung bezüglich der lex mercatoria, wonach die Verdrängung der staatlichen Regulierungen das vorderste Interesse der Wirtschaftsunternehmen sein soll. 38 Schuppert, Staatswissenschaft, S. 456.
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
II. Erfüllung der Erwartung Rechtstechnisch erfüllt der Staat diese Erwartungen durch den sogenannten ordre public-Vorbehalt. So kann grundsätzlich ein Schiedsspruch gemäß § 1059 Abs. 2 Nr. 2 b ZPO aufgehoben werden, wenn dessen Anerkennung oder Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das der öffentlichen Ordnung widerspricht. Ebenso ist die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Schiedsspruchs gemäß § 1061 ZPO i. V. m. Art. V Abs. 2 lit. b des New Yorker UN-Übereinkommens vom 10. Juni 1958 an eben diese Voraussetzungen gebunden. Da die Schiedsrichter bereits gegenüber den Parteien verpflichtet sind, einen durchsetzbaren Schiedsspruch zu erlassen39, müssen sie folglich den ordre public der jeweiligen Rechtsordnungen beachten. Ein Verstoß gegen diesen ordre public liegt vor, wenn der Schiedsspruch sich „über einen Kernbereich von Normen des zwingenden Rechts hinwegsetzt, welche die Grundlagen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens (in einer freien Gesellschaft) berühren und aus bestimmten staatspolitischen, sozial- oder wirtschaftspolitischen Zielsetzungen heraus erlassen worden sind.“40
Diese Korrekturmöglichkeit besteht auch gemäß Art. 6 EGBGB gegenüber ausländischen staatlichen Entscheidungen. Allerdings ist dort die Gefahr geringer, dass Normen gegen den ordre public verstoßen. Denn es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ausländische Rechtsordnungen keine Regelungen enthalten, die zu unerträglichen Ergebnissen führen. Insbesondere wird angenommen, dass eine ausländische Rechtsordnung einer schwächeren Partei Schutz gewährt und private Interessen mit denen der Allgemeinheit oder Dritter in Ausgleich bringt41. Eine Korrektur durch den ordre public stellt also die Ausnahme dar42. Anders verhält es sich bei privaten Normenordnungen. Diese werden teilweise geschaffen, um bestimmten partikulären Interessen gerecht zu werden. Sie enthalten also neben ihrer kaum vermeidbaren Lückenhaftigkeit keine ausreichende Gewähr für einen fairen Interessenausgleich aller Betroffenen. So war das IOC lange Zeit in erster Linie an der problemlosen Durchführung der Wettkämpfe interessiert, während die Rechte der Sportler weit weniger Beachtung fanden. Erst die Erkenntnis, dass aus diesem Grunde Schiedssprüche des CAS aufgehoben werden könnten, hat zu einer Reform geführt. Somit spielt der nationale ordre public für private Normenordnungen eine weit größere Rolle als für ausländische Rechtsordnungen. Da dadurch naturgemäß die Einheitlichkeit der eigentlich zur Vereinheitlichung geschaffenen Normenordnungen gefährdet ist, gehen die Überlegungen dahin, 39 40 41 42
Derains, Transnational Law, S. 43, 45; Mertens, Lex Mercatoria, S. 31, 39. BGHZ 27, S. 249, 254. v. Hoffmann, FS Kegel, S. 215, 223. Pentzlin, Der universelle ordre public, S. 11; Hölker, Rolle der lex mercatoria, S. 51.
2. Kap.: Verhältnis von Staat und transnationalen Normenordnungen
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eine Art gegenläufigen internationalen oder transnationalen ordre public zu entwickeln43. Demnach ist es nicht entscheidend, dass ein Schiedsspruch für eine nationale Rechtsordnung erträglich ist, sondern dass er einer allgemein anerkannten Schiedspraxis entspricht. Der nationale ordre public soll dann nur noch in Fällen angewandt werden, in denen der Schiedsspruch an einem schwerwiegenden Mangel leidet, der die Grundlagen des staatlichen und wirtschaftlichen Leben betrifft44. Es ist leicht ersichtlich, dass die Annahme eines solch internationalen ordre public die Entwicklung privater Normenordnungen beschleunigen kann. Ebenso deutlich ist allerdings, dass dieser internationale ordre public keine eindeutige gesetzliche Verankerung hat, so dass sich ein weiteres Mal das Problem stellt, wieso staatliche Gerichte die Verdrängung des staatlichen Rechts aufgrund rechtstheoretischer Erwägungen akzeptieren sollten45. In der Praxis könnten diese theoretischen Überlegungen jedoch von weit geringerer Bedeutung sein, als es zunächst scheint. Wenn gegenwärtig bei Schiedssprüchen in der Regel der nationale ordre public beachtet wird, dann stellt sich die Frage, wie sich in größerem Umfang eine Schiedspraxis herausgebildet haben könnte, die nationalen ordre public-Vorbehalten widerspricht. Vereinzelt mögen solche Probleme aufgetaucht sein; es ist jedoch nicht ersichtlich, warum solche Einzelfälle bereits Anlass bieten sollen, internationale Regeln contra legem zu schaffen.
4. Abschnitt
Die Bedeutung des Staates und seine Vorrangstellung Die vielfältigen Verknüpfungen des Staates mit den transnationalen Normenordnungen zeigen, dass dieser, auch wenn zukünftig die Anzahl solcher Normenordnungen zunehmen sollte – was möglich, aber keineswegs notwendig ist –, weiterhin eine Rolle bei der Entwicklung des Rechts spielt. Die Frage ist lediglich, ob er auch weiterhin eine einzigartige Rolle spielt. Mit anderen Worten, ob er der zentrale Akteur für die Rechtsentstehung bleibt, indem die staatlichen Rechtsordnungen allen anderen Normenordnungen übergeordnet wird, oder ob sich jenseits von ihm Normenordnungen als Recht bilden können46. 43 Ausführlich: Pentzlin, Der universelle ordre public; Bucher, Transnationales Recht im IPR, S. 11, 56; De Ly, International Business Law, S. 215; früh bereits Goldman, Lex mercatoria, S. 22. 44 Vgl. Hölker, Rolle der lex mercatoria, S. 54 unter Verweis auf die ähnlich lautende Rechtssprechung BGHZ 48, S. 327, 331 hinsichtlich der Anerkennung ausländischer Gerichtsurteile nach § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. 45 Vgl. nur BGHZ 86, 284, 289 f.: „Das inländische Interesse an einem wirksamen und unbeschränkten Verbraucherschutz geht in diesem Fall dem Streben nach internationaler Rechtseinheitlichkeit vor.“ 46 So Teubner, RJ 15 (1996), S. 255, 257.
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
Diese Untersuchung gelangt zu dem Ergebnis, dass eine solche Überordnung der staatlichen Rechtsordnung in allen Bereichen und auf vielfältige Weise zu beobachten ist. Im Zweifelsfall setzt sich die staatliche Rechtsordnung mittels des ordre public-Vorbehalts gegen grundsätzlich widersprechende Sachentscheidungen auf der Grundlage einer privaten Rechtsordnung durch. Dafür, dass staatliche Gerichte unmittelbar private Normenordnungen als Recht anwenden, lassen sich erst recht keine Belege finden. Es sind – entgegen aller anders lautenden Überlegungen zum transnationalen Recht – keine dermaßen tiefgreifenden Veränderung zu erkennen, die es geboten erschienen ließen, private Normenordnungen auf eine Stufe mit staatlichem Recht zu heben. Dem scheint zu widersprechen, dass anlässlich der Olympischen Winterspiele von Turin die italienische Regierung auf Druck des IOC die Dopinggesetze beschränken musste. Doch muss dieser Fall die Feststellung einer Hierarchie nicht grundsätzlich in Frage stellen. Zum einen war es ein Einzelfall und dieser könnte – wenn überhaupt – nur einen Ansatzpunkt für die lex sportiva bieten, zum anderen war es im Kern kein juristischer, sondern ein politischer Konflikt. In gewisser Weise musste sich das italienische Recht der sozialen und ökonomischen Macht des IOC – jedenfalls bis zu einem gewissen Grad – beugen. Zwar bedarf das Recht einer gewissen Wirksamkeit, wenn es aber im Einzelfall durch besondere Machtinteressen gebeugt wird, führt dies noch nicht dazu, dass man die gesamte Geltung in Zweifel ziehen muss oder überhaupt nur kann. Denn Normenordnungen lassen sich nie perfekt durchsetzen. Das Beispiel der Olympischen Winterspiele von Turin führt zu einem weiteren Punkt, der für die Zukunft von größerer Bedeutung ist, da sich die gegenwärtig beobachteten Verhältnisse ändern können. Deswegen soll kurz darauf verwiesen werden, dass es auch normativ nicht geboten erscheint, eine Gleichordnung von staatlichem Recht und transnationalen Normenordnungen anzunehmen. Diese Idee der Gleichordnung ist durchaus populär, da sie als Chance gesehen wird, den Einfluss der Staaten zu verringern und stattdessen der bürgerlichen Selbstbestimmung mehr Entfaltungsmöglichkeiten einzuräumen. Es ist aber mit Lessig zu bedenken: „When government disappears, it is not as if paradise prevails.“47
Kommen nämlich zum einen eine Vielzahl von „gleichberechtigten“ Normenordnungen hinzu und sind zum anderen die verschiedenen Normenordnungen nicht mehr nur eindeutig segmentär, sondern zusätzlich auf vielfältige Weise funktionell differenziert48, so stellt sich die Frage, wie auftretende Konflikte gelöst werden können; insbesondere, wenn eine hierarchische Ordnung als Lösung ausfällt, 47 Lessig, „Governance“, Rede anlässlich der CPSR Conference on Internet Governance, 10.10.1998, S. 8, im Internet abrufbar unter: http://www.lessig.org/content/articles/works/cspr. pdf. 48 Fischer-Lescarno/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 37.
2. Kap.: Verhältnis von Staat und transnationalen Normenordnungen
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weil sie – vermeintlich – nicht mehr der Realität entspricht und aus rechtspolitischen Gründen abgelehnt wird49. Aus diesem Grund konzentriert sich die Diskussion über das „transnationale Recht“ zunehmend auf die „Konstitutionalisierung“, also unter anderem auf die Frage, wie zwischen diesen unterschiedlichen Geltungsansprüchen untereinander vermittelt oder überhaupt nur ein „loser Zusammenhang“ hergestellt werden kann50. An dieser Stelle schließt die Diskussion des „transnationalen Rechts“ an den völkerrechtlichen Diskurs über die Konstitutionalisierung des Völkerrechts51 oder einer „New world order“52 an. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass Konflikte zwischen den einzelnen Normenordnungen oder sogenannte „Regime-Kollisionen“53 nicht allgemein – wie z. B. durch Über- bzw. Unterordnung bestimmter Ordnungen54 – entschieden werden sollen, sondern dass es auf den Einzelfall ankommt. Vereinfacht gesagt, sollen im transnationalen Raum Netzwerke hierarchische Gliederungen ablösen55. In einer ständigen Auseinandersetzungen zwischen den Normenordnungen sollen sich dann Meta-Normen oder konstitutionelle Normen herausbilden, die die Geltungsansprüche der einzelnen Normenordnungen untereinander regeln. Es wird dabei auf einen etwas diffus bleibenden juristischen Code – an dieser Stelle im Sinne von „Sprachstil“ und nicht im systemtheoretischen Sinne – vertraut56. Durch die Anwendung dieses juristischen Codes sollen gemeinsame Bezugspunkte hergestellt werden, die einen Ausgleich zwischen Normenordnungen bzw. -regimen ermöglichen. Berman geht z. B. davon aus, dass jede Gemeinschaft grundsätzlich die Möglichkeit hat, für sich verbindliches Recht zu setzen57. Entscheidend sei, ob die Gemeinschaft andere Gemeinschaften von dieser Fähigkeit zur Rechtsetzung und verbindlicher Streitentscheidung überzeugen kann, ihre Rechtsetzung also anerkannt wird. Berman nennt dies jurispersuasion58. Diese Überlegungen knüpfen – auch wenn die Parallele nicht notwendig gezogen wird – an die Lösung für den Konflikt zwischen der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft und den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten 49
Fischer-Lescarno/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 48. Fischer-Lescarno/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 53 ff., 57. 51 Frowein, Konstitutionalisierung des Völkerrechts, Fassbender, 36 Colum J. Transnat’l L. (1998), S. 529 ff. 52 Slaughter, A New World Order. 53 Fischer-Lescarno/Teubner, Regime-Kollisionen. 54 Diese Form der Ordnung als inakzeptabel zurückweisend: Fischer-Lescarno/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 99. 55 Vgl. zu diesem Forschungsstand Schuppert, Staatswissenschaft, S. 893 m. w. N.; exemplarisch die Darstellung bei Fischer-Lescarno/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 57. 56 Günther/Randeria, Recht, Kultur und Gesellschaft, S. 94 ff; Calliess, Verbraucherverträge, S. 189. 57 Berman, 43 Colum J. Transnat’l L. (2005), S. 485, 507 ff. 58 Berman, 43 Colum J. Transnat’l L. (2005), S. 485, 533 ff. 50
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
an59. Die Bestimmung dieses Verhältnisses sowie der Rechtsnatur der EG im Allgemeinen wurde letztlich durch den EuGH selbst in den Fällen Van Gend & Loos sowie Costa/ENEL60 vorgenommen. In diesen Urteilen hat der EuGH unter anderem entschieden, dass durch den EWG-Vertrag eine eigene, von den Mitgliedsstaaten unabhängige Rechtsordnung errichtet wurde, dass das Gemeinschaftsrecht unmittelbar anwendbar ist und dass es im Kollisionsfall dem staatlichen Recht vorgeht. Dieser Auslegung des EWG-Vertrages wurde von den Mitgliedsstaaten und insbesondere deren Gerichten kein nennenswerter Widerstand entgegengesetzt61. Die EG hat die Mitgliedsstaaten also durch den EuGH von ihrer Kompetenz zur Rechtsetzung „überzeugt“, ohne dass dieses explizit in den Verträgen vereinbart worden wäre. In der Rechtswissenschaft wird der Grund dafür unter anderem in der Verwendung des spezifischen juristischen „Codes“ gesehen, der es den mitgleidstaatlichen Gerichten ermöglicht oder zumindest erleichtert hätte, die Entscheidungen zu akzeptieren62. Auf diese Weise könnte auch zwischen anderen Normenordnungen vermittelt werden. Allerdings könnte die allgemeine Akzeptanz der Entscheidungen des EuGH ein Sonderfall sein. Schließlich handelt es sich bei dem EG-Vertrag nicht um eine private Normenordnung, sondern um einen völkerrechtlichen Vertrag. Dieser Rahmen wurde durch die Entscheidungen zwar erweitert oder sogar gesprengt. Im Hintergrund stand aber mit der EG ein Gebilde, das bestimmte staatliche Strukturen aufweisen konnte und dessen Recht im Wesentlichen durch die Regierungen der Nationalstaaten gesetzt wurde, so dass eine über den Staat vermittelte demokratische Legitimation bestand. Insbesondere stand den Mitgliedsstaaten in dieser Zeit ein – regelmäßig ausgeübtes – Vetorecht zu, wodurch trotz der Integrationsbestrebungen des EuGH die Staatlichkeit der Mitgliedsstaaten nicht bedroht erschien63. Diese Hintergründe dürften neben der Verwendung des juristischen Codes wesentlich zur Akzeptanz beigetragen haben, so dass diese Idee nicht ohne weiteres für das Verhältnis zu privaten Normenordnungen fruchtbar gemacht werden kann. Außerdem akzeptiert das BVerfG die von dem EuGH entwickelten Grundsätze – jedenfalls theoretisch – nur unter dem Vorbehalt, dass „wesentliche Strukturen des Grundgesetzes“ beachtet werden, also „jedenfalls die Rechtsprinzipien, die dem Grundrechtsteil des Grundgesetzes zugrunde liegen“. Es muss „eine Grundrechtsgeltung gewährleistet sein, die nach dem Inhalt und der Wirksamkeit dem Grundrechtsschutz, wie er nach dem Grundgesetz unab-
59 Lösungen, die für das supranationale Recht gefunden worden sind, sollen häufig auf das transnationale Recht übertragen werden, da es sich jeweils um Entwicklungen der „postnationalen“ Ära handelt, weswegen bestimmte Gemeinsamkeiten naheliegen. Siehe exemplarisch zur Lösung des Demokratiedefizits: Nickel, Participatory Transnational Governance. 60 EuGH Rs. 26/62, Slg. 1963, 1; EuGH Rs. 6/64, Slg. 1964, 1253. 61 Vgl. Haltern, Rechtswissenschaft als Europawisschenschaft, S. 37, 54, der dies für einen der interessantesten Aspekte der Konstruktion des europäischen Rechtssystems hält. 62 Haltern, Rechtswissenschaft als Europawisschenschaft, S. 37, 55 m. w. N. 63 Haltern, Rechtswissenschaft als Europawisschenschaft, S. 37, 56.
2. Kap.: Verhältnis von Staat und transnationalen Normenordnungen
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dingbar ist, im Wesentlichen gleichkommt“64. Auch gilt es zu beachten, dass diese Konstruktion auch insofern für die gegenwärtige Lage keinen Vorbildcharakter haben kann, da der Konflikt zwischen diesen Rechtsordnungen de facto durch eine Hierarchisierung gelöst wurde, was eigentlich gerade vermieden werden soll. Ein anderes Bild der tatsächlichen Konfliktlösung vermittelt der bereits beschriebene Konflikt zwischen der italienischen Regierung und dem IOC während der Olympischen Winterspiele von Turin65. Dabei standen sich die Geltungsansprüche zweier Normenordnungen gegenüber. Dieser Konflikt wurde nicht durch juristische Argumentation, sondern durch einen politischen Kompromiss entschieden. Bei politischen Verhandlungen wird das Ergebnis zu einem großen Teil durch die Stärke der Verhandlungspositionen bestimmt. Juristische Argumente können diese zwar stärken, aber sie sind nur einer unter vielen Faktoren, die die Position bestimmen. Es könnte also ebenso gut zu reinen Machtkämpfen zwischen den einzelnen Gemeinschaften und ihren Normenordnungen kommen66. Erkennt man nämlich funktionierende Ordnungen als „Recht“ an, so können diese dadurch gegenüber jeder rechtlichen und politischen Kritik immunisiert werden67. Deswegen entspricht es auch nicht dem Interesse der Bürger, dass private Normenordnungen als gleichwertiges Recht anerkannt werden. In diesem Fall könnte nämlich der Staat seine Garantenstellung nicht – oder nur unter größeren Schwierigkeiten – ausüben. Die wesentlichen Rechte des Einzelnen bedürfen des Schutzes durch einen rechtlichen Rahmen, der gesetzt und durchgesetzt werden kann und zwar in der Regel durch den Staat68. Wird die normative Überordnung des Staates und seiner Gesetze gegenüber anderen sozialmächtigen Akteuren und deren Regeln als überholt und nicht mehr zu rechtfertigen angesehen, so könnte im Ergebnis der Schutz der Rechte des Einzelnen von der politischen und bzw. oder ökonomischen Stellung des Staates gegenüber einer Gemeinschaft oder eines anderen Staates abhängen. Die Staaten und ihre Rechtsordnungen verlören somit ihre herausgehobenen Positionen und könnten nicht mehr notwendig zwischen den einzelnen Normenordnungen vermitteln. Vielmehr müssten sie ihre eigenen Geltungsansprüche gegenüber diesen Normenordnungen verteidigen. Es liegt also nicht im Interesse der Staaten, private Normenordnungen als „Recht“ anzuerkennen, insbesondere wenn dadurch diese Rechtsordnungen 64
BVerfGE 73, 339, 375 f. (Solange II). Vgl. auch BVerfGE 37, 271 (Solange I). Dritter Teil 1. Kapitel 2. Abschnitt II. 3. 66 So stand bereits in der Diskussion des Gesetzesentwurfs der neuen Anti-Doping-Bestimmungen im Bundestag die – allerdings widersprochende – Befürchtung um Raum, ein strenges Dopinggesetz, könnte die Chancen Deutschlands gefährden, in Zukunft internationale Sportveranstaltungen auszurichten. 67 Zumbansen, 67 RabelsZ (2003), S. 637, 649. 68 Wie Radin/Wagner 73 Chi. – Kent L. Rev. (1998), S. 1295, 1297 süffisant bemerken, kann dieser Rahmen nicht durch ein sich selbst durchsetzendes Naturrecht gewährleistet werden. Weshalb sie die Vertreter eines umfassenden private-lawmaking-Ansatzes auch nicht als Liberale – denn der Liberalismus ist auf einen starken Staat im Hintergrund angewiesen –, sondern als Anarchisten sehen. 65
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
auf dieselbe Stufe gehoben werden69. Die vorschnelle Aufwertung transnationaler Normenordnungen zu Recht im Bereich der Global Governance könnte nämlich zu einer „Politisierung“ des so geschaffenen „Rechtsdialogs“, also zu einem Machtkampf zwischen einzelnen Rechtsordnungen, führen, in der sich nicht nur private Gemeinschaften sondern eventuell sogar schwächere Staaten ständig behaupten müssten70. Wenn die Verrechtlichung transnationaler Normenordnungen ein wichtiger Baustein für Global Governance71 und als entschiedener Schritt auf dem Weg zu einer globalen „Herrschaft des Rechts“72 gesehen wird, so sollte nicht vergessen werden, wie es zu dieser Verrechtlichung gekommen ist. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen legen nämlich den Schluss nahe, dass die Staaten wesentlichen Einfluss auf diese Entwicklung hatten. Wie insbesondere bei der lex sportiva deutlich wird, musste die Normenordnung durch Reformen verrechtlicht werden, nachdem sie von einem staatlichen Gericht beanstandet worden war. Daraus lässt sich folgern, dass der Staat als wesentlicher Wegbereiter für eine ggf. entstehende globale „Herrschaft des Rechts“ nur schwer verzichtbar ist; bietet er doch die Garantie, dass die Entwicklung in die richtige Richtung läuft. Voraussetzung dafür ist jedoch einmal mehr, dass die Einflussmöglichkeiten des Staates gegenüber den transnationalen Normenordnungen erhalten bleiben. Oder anders gewendet: Der Staat kann diese Leistung nur erbringen, wenn er – wie bisher – diesen Normenordnungen übergeordnet bleibt. Die Ordnungsleistung des Staates erscheint gerade bei einer zunehmenden universellen Verflechtung wertvoll73, weil es gegenwärtig an einer belastbaren Alternative fehlt74. Voraussetzung für diese Leistung ist und bleibt aber die Hierarchisierung des Verhältnisses zu transnationalen Normenordnungen. In diesem Bereich des transnationalen Raums ist demgemäß bei der Annahme, dass das Hierarchieprinzip durch Netzwerke ersetzt worden ist bzw. ersetzt werden könnte, Vorsicht geboten. Netzwerke werden eine weit größere Rolle spielen als bisher. Doch der Staat kann – und sollte auch75 – der zentrale Knotenpunkt eines Netzwerkes bleiben, dem es – um im Bilde zu bleiben – möglich wäre, bestimmte Knoten zu lösen, damit das Netzwerk grundsätzlich seinen Vorstellungen entspricht. Diese Untersuchung hat gezeigt, dass der Staat mit transnationalen Normenordnungen teils in gewohnter, teils in ungewohnter Weise umgehen muss und 69
Michaels, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 1209, 1243 ff. Vgl. zu den Befürchtungen einer Verschiebung „from Law to Power“ Michaels, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 1209, 1254 ff. 71 Zangl/Zürn, Verrechtlichung – Baustein für Global Governance? 72 Dazu ausführlich Calliess, Verbraucherverträge, S. 182 ff. 73 Stolleis, Idee des souveränen Staates, S. 84. 74 Paulus, 25 Mich. J. Int’l. L. (2004), S. 1047, 1048. 75 Gessner et al., Introduction, S. 1, 7; Paulus, 25 Mich. J. Int’l. L. (2004), S. 1047, 1056. 70
3. Kap.: Versuch einer rechtstheoretischen Einordnung
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kann, wodurch sich ihm neue Einflussbereiche und -möglichkeiten eröffnen. Es erscheint somit nicht als Zufall, dass die Diskussion über veränderte Staatlichkeit und die Möglichkeiten des transnationalen Rechts zeitlich zusammenfallen76. Es sollte deswegen nicht – oder zumindest nicht nur – gefragt werden, wie die Globalisierung die Rolle des Staates verändert hat, sondern vielmehr, wie der Staat sich verändern muss und verändern kann, um den Herausforderungen der Globalisierung zu begegnen77. Demgemäß sollte auch nicht von einer Abdankung des Staates gesprochen werden, sondern davon, dass sich die Staatlichkeit wandelt, ohne dass sich an der grundsätzlichen Bedeutung des Staates etwas ändert78. Oder mit anderen Worten: Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt wie es ist79.
3. Kapitel
Versuch einer rechtstheoretischen Einordnung der transnationalen Normenordnungen 3. Kap.: Versuch einer rechtstheoretischen Einordnung
Die Untersuchung hat gezeigt, dass sich transnationale Normenordnungen nicht ohne weiteres als eine neue Art von Recht konzeptionalisieren lassen. Insbesondere der Ansatz, wonach sich eine Rechtsordnung aus einem Gemisch aus Handelsbräuchen und überpositiven Rechtsgrundsätzen von selbst bildet, findet in der Realität keine Entsprechung und sieht sich einer Reihe theoretischer Einwänden ausgesetzt, auf die keine befriedigende Antwort gegeben werden kann. Es bedürfte also einer komplexeren Erklärung, warum transnationale Normenordnungen eine neue Art von Recht darstellen sollen.
1. Abschnitt
Die (bisher) vergebliche Suche nach einem autonomen Weltrecht Was bedeuten die Ergebnisse dieser Untersuchung für die autopoietische Erklärung der Rechtsgeltung von transnationalen Normenordnungen? Dieser Ansatz hat zwei Vorteile: Zunächst wird der (strittigen) Frage nach dem konkreten Normenbestand nur untergeordnete Bedeutung beigemessen, weil für die Existenz eines Rechtssystems stattdessen die Orientierung an dem binären Code von
76
Zumbansen, 67 RabelsZ (2003), S. 637, 654 ff. Michaels, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 1209, 1258 f. 78 Schuppert, Staatswissenschaft, S. 920; ebenso Zumbansen, 67 RabelsZ (2003), S. 637, 647 f. 79 So sinngemäß: Lampedusa, Der Leopard, S. 38. 77
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
Recht und Unrecht entscheidend sein soll1. Mithin wird ein Kriterium verwandt, dem in dieser Untersuchung keine besondere Beachtung geschenkt worden ist. Allerdings zeigt eine genaue Analyse dieser Theorie, dass man an der Frage nach dem Normenbestand nicht vorbeikommt, auch wenn durch den Abschied von Strukturen und der Hinwendung zur Kommunikation etwas anderes suggeriert wird. Des Weiteren soll dem mit dem transnationalen Recht – und insbesondere der lex mercatoria – verknüpften rechtstheoretischen Grundsatzstreit ausgewichen und die Rechtsgeltung empirisch bestimmt werden2. Aber auch in diesem Punkt zeigt eine genaue Analyse, dass sich dieser Anspruch nicht aufrechterhalten lässt.
I. Entstehung der Normenordnung Auf den ersten Blick scheint es, als könne man gegen die von Teubner in dem Artikel „Globale Bukowina“ dargelegte Theorie zum transnationalen Recht die gleichen Einwände geltend machen wie gegen die übrigen Theorien; denn die geschilderte Entstehung einer Normenordnung quasi „aus dem Nichts“ durch ständige Verwendung in der Praxis lässt sich in der Realität nicht feststellen3. Doch hat Teubner darauf verwiesen, dass ein solches Verständnis seiner Theorie ein Missverständnis wäre. Das neue Recht soll nicht aus langfristigen Abläufen diffuser Kommunikation erwachsen, sondern Produkt der funktionalen Differenzierung sein. Es soll also gerade kein neues “spontanes Recht“ á la Hayek4 – oder á la Berger5 – sein, denn es entsteht nicht aufgrund informeller Verhaltenskoordination, sondern kraft positiver Setzung in organisierten Entscheidungsprozessen in gesellschaftlichen Teilsystemen6. Allerdings wird nicht deutlich, wie sich die daraus resultierende Bedeutung von Institutionen für die Entstehung von Normenordnungen mit der Feststellung verträgt, dass der „neue“ Rechtspluralismus nicht-hierarchisch und nicht-institutionell sein soll7. Vielleicht zielt Teubner auf seine Unterscheidung ab, wonach die Normbildung in organisierten Prozessen verläuft, während die Normanerkennung (als Recht) spontan erfolgt8. Aber bei einer Rechtsordnung kann nicht jede Norm einzeln diesen Anerkennungsprozess durchlaufen. Ist eine Normenordnung einmal als Rechtsordnung anerkannt, so schafft die dahinter stehende Institution „direkt“ Recht. Der „neue“ Rechtsplura1 2 3 4 5 6 7 8
Teubner, RJ 15 (1996), S. 255, 269 f. Teubner, RJ (1996), S. 255, 268. Zweiter Teil 1. Kapitel 8. Abschnitt. Hayek, Rules and Order, S. 72 ff. Vgl. Erster Teil 2. Kapitel 3. Abschnitt. Teubner, Lib. am. Simitis, S. 437, 440 f. So Teubner, Lib. am. Esser, S. 191, 198. Teubner, Lib. am. Simitis, S. 437, 442.
3. Kap.: Versuch einer rechtstheoretischen Einordnung
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lismus wäre nur vorübergehend „nicht-institutionell“. Außerdem nimmt er gerade für den internationalen Handel an, dass keine universelle Institution im Hintergrund besteht9, es kann somit nicht zu einer universell organisierten Normbildung kommen. Oder soll durch diese Aussage lediglich auf das Fehlen von Meta-Organisationen hingewiesen werden? Wobei dann offen bliebe, wie eine Konstitutionalisierung ohne Institutionen erfolgen kann, während die Verrechtlichung auf dieselben angewiesen ist. Jedenfalls ist die in dem Artikel „Globale Bukowina“ dargestellte Art der Normentstehung durch Vertrag keine Beschreibung der tatsächlichen Norm- bzw. Rechtsentstehung, sondern eine logische Deduktion. Es wird dadurch nicht beschrieben, wie die Rechtsnormen historisch entstanden sind, sondern wie man ihre Entstehung logisch konzeptionalisieren kann, um zu begründen, dass es sich bei den bestehenden Normen um Rechtsnormen handelt10. Teubner beschreibt nicht die Entstehung von neuen Normenordnungen, sondern ebnet rechtstheoretisch den Weg für die Anerkennung neu entstandener – oder länger bestehender – Normenordnungen als Recht. Insoweit besteht kein Widerspruch zwischen der autopoietischen Theorie und den Ergebnissen dieser Untersuchung. Vielmehr wird dadurch unterstrichen, dass es wichtig ist, die Frage nach den Voraussetzungen der Entstehung einer neuen Normenordnungen und die Frage nach dem Rechtscharakter solcher Normenordnungen zu trennen.
II. Notwendigkeit von Normen Bei der – empirisch zu beantwortenden – Frage nach dem Rechtscharakter dieser Normenordnungen soll der Fokus jedoch nicht auf den Strukturen, also in erster Linie den Normen, sondern auf den Kommunikationen liegen, weil dadurch das „Erkennen“ eines transnationalen Rechtssystems einfacher wird11. Denn Kommunikationen, die sich an dem Code von Recht/Unrecht orientieren, ohne direkt in ein staatliches Rechtssystem eingebunden zu sein, lassen sich häufiger und leichter finden als konkrete Normen. Demnach bräuchte ein Rechtssystem nur drei Kommunikationen, um Gültigkeit zu beanspruchen12: Ein Kläger erhebt einen Anspruch, der Gegner verneint diesen und das Gericht entscheidet. Diese Sprechakte konstituieren ein Rechtssystem, indem sie den Code „Recht/Unrecht“ benutzen. Demnach bestünde kein Bedarf an vorgängigen Regeln, denn diese würden
9
Teubner, RJ (1996), S. 255, 275. In gewisser Weise ähnelt dieser Ansatz damit den Vertragstheorien zur Begründung legitimer Herrschaft. Es wird nicht davon ausgegangen, dass ein Volk zu irgendeinem Zeitpunkt untereinander einen Gesellschafts- oder Herrschaftsvertrag tatsächlich geschlossen hat. Vielmehr dient der Vertrag als Denkfigur. 11 Calliess, Verbraucherverträge, S. 281. 12 Calliess, Verbraucherverträge, S. 280. 10
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
durch die Kommunikation „quasi als Nebenprodukt“13 produziert. Eine Einzelentscheidung reicht natürlich noch nicht für eine Norm. Vielmehr bedarf es einer Reihe von Entscheidungen. Sollten diese Entscheidungen aber nicht dazu führen, dass sich eine konkrete Norm herausbildet, so soll dies unschädlich sein. Denn nicht im Regelwerk liegt das Wesen einer Rechtsordnung, sondern im Kommunikationsprozess, der das Geltungssymbol gemäß dem binären Rechtscode prozessiert14. Trotzdem ist auch bei der autopoietischen Rechtsbestimmung eine Normenordnung nicht verzichtbar. Sie ist zwar kein Spezifikum des Rechts, weil z. B. auch ein Moralsystem aus Normen besteht. Damit jedoch Erwartungshaltungen stabilisiert werden können, bedarf es der Normen und zwar hinreichend konkreter Normen. Ohne die Möglichkeit, Erwartungshaltungen mittels Normen zu stabilisieren, ist solch ein vermeintliches Rechtssystem wertlos, weil es „funktionslos“ ist. Denn die Hauptfunktion des Rechtssystems ist die Stabilisierung von Erwartungshaltungen. Andere Leistungen, die das Recht erbringt, wie Verhaltenssteuerung oder Streitentscheidung, können auch auf anderem Weg erbracht werden15. Auch wenn für die Identifizierbarkeit von Recht logisch der binäre Code Vorrang genießt, ist er historisch eine späte Errungenschaft und setzt einen bereits vorhandenen Normenbestand voraus16. Deutlich wird dies auch in der von Berger durchgeführten Umfrage, wonach der Inhalt – also die Normen – der lex mercatoria bestimmbar sein muss, damit die Praktiker bereit sind, auf sie Bezug zunehmen. Die Frage nach dem Normenbestand müsste deshalb als Vorfrage für die Bestimmung des Rechtscharakters angesehen werden. Wenn ein solcher fehlt – wie im Fall der lex mercatoria –, ist die Theorie nicht weiterführend. Ein bestehender Normenbestand kann sich zwar durch die rechtliche Kommunikation verändern, auch indem neue Normen hinzukommen. Allein durch die rechtliche Kommunikation kann jedoch kein Rechtssystem – gewissermaßen „aus dem Nichts“ – entstehen. Dennoch wird diese Theorie dazu genutzt, den Rechtscharakter der lex mercatoria zu erklären17. Dies erscheint widersprüchlich. Zu erklären ist dies nur dadurch, dass der Vorfrage nach dem Normenbestand innerhalb der Theorie wenig Beachtung geschenkt wird. Sie wird sogar für unerheblich erklärt, weil es bei der Hauptfrage darauf nicht mehr ankomme. Stattdessen wird das System bei Teubner gesetzt, indem es von Schiedsgerichten und von den diese einsetzenden Par13 14 15 16 17
Calliess, Verbraucherverträge, S. 281 f. Teubner, Globale Bukowina, RJ 15 (1996), S. 255, 282. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 160. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 166. Vgl. z. B. Lieckweg, Das Recht der Weltgesellschaft.
3. Kap.: Versuch einer rechtstheoretischen Einordnung
227
teien vorausgesetzt wird18. Mit anderen Worten wird ohne weitergehende Untersuchungen davon ausgegangen, dass eine lex mercatoria existiert bzw. es wird ihre Existenz behauptet; sogar in dem Wissen, dass eine solche Behauptung kontrafaktisch ist19. Die Frage nach dem konkreten Normenbestand lässt sich also nur umgehen, wenn man bereits an der Existenz der lex mercatoria – oder einer anderen transnationalen Normenordnungen – keinen Zweifel hat.
III. Notwendigkeit eines Programms Der zweite Vorteil des autopoietischen Ansatzes ist die Bestimmung des Rechtscharakters mit Hilfe der Empirie. Demnach soll anhand der Verwendung des Codes darüber entschieden werden, ob es sich um Recht oder nur um soziale Normen, also Nicht-Recht, handelt. Ein dermaßen bestimmtes Recht wäre dann zunächst privates Recht. Erst auf der nächsten Stufe sollen die Programme, also Normen und Theorien, eine Rolle spielen. Mit ihrer Hilfe unterscheidet Teubner privates von staatlichem Recht. Letzteres bestimmt durch die in ihm enthaltenen Programme, was als dazugehörig gilt. Denn damit man offiziell weiß, was rechtens ist und was nicht, bedarf es zusätzlich einiger Programme20 – also Normen, Präjudizien und/oder Rechtstheorien, die diese Frage beantworten können bzw. dürfen. Teubner plädiert jedoch für eine vollständige Anerkennung des privaten Rechts, unabhängig davon, ob es den Anforderung der Programme des staatlichen Rechts genügt. Die zweite Stufe, auf der das staatliche Recht steht, ist also kein „mehr“ an Recht, sondern schlicht anderes Recht21. Entscheidend für den Rechtscharakter soll allein die Benutzung des binären Codes sein. Damit kann jede Kommunikation als eine rechtliche gelten, solange sie sich an dem binären Code orientiert. Werden die internen Regeln, z. B. ein besonderer Gehorsam gegenüber dem Paten einer mafiösen Vereinigung, untereinander auf diese Weise kommuniziert, so handelt es sich demnach um privates Recht22, welches – theoretisch – gleichrangig mit staatlichem Recht ist und insbesondere nicht dessen Anerkennung bedarf. Dadurch können sich die Ergebnisse zweier rechtlicher Kommunikationen diametral gegenüberstehen. An einer „Einheit des rechtlichen Sollens“ fehlt es, wenn die vertikale Dimension des Systems durch eine 18
Hiebaum, RJ 19 (2000), S. 451, 455. Vgl. Calliess, Verbraucherverträge, S. 283, der sich anderseits dagegen wehrt, die Existenz eines Weltstaates kontrafaktische herbei zu reden, siehe Calliess, Verbraucherverträge, S. 185. 20 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, 93, 190 ff. 21 Teubner, RJ 15 (1996), S. 255, 268. 22 So ausdrücklich Teubner, Lib. Am. Esser, S.191, 201. Eine Feststellung, die intuitiv vielleicht noch überraschender ist als die Entkopplung von Recht und Staat. 19
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
horizontale ersetzt wird23. Mangels einer Meta-Ebene oberhalb des gleich geordneten privaten und staatlichen Rechts lassen sich diese Konflikte zunächst nicht entscheiden, was die Stabilisierung von Erwartungshaltungen behindert. Es bedarf einer weiteren Konstitutionalisierung der Rechtsordnungen, an deren Theoretisierung bereits gearbeitet wird24. Dabei stellt sich die Frage, welche Folgen eintreten, wenn diese Widersprüche durch einen rechtlichen Diskurs nicht aufzulösen sind25, weil z. B. der Tötungsbefehl des Paten mit dem staatlichen Tötungsverbot kollidiert. Es zeigt sich, dass durch die Gleichordnung von privatem und staatlichem Recht neue Probleme entstehen. Diese Form des Rechtspluralismus kann sogar zu einer Zunahme von Konflikten zwischen Normenordnungen führen26. Eine andere Frage – die hier nur berührt werden soll – ist, ob nach diesem Ansatz die untersuchten Normenordnungen überhaupt als Recht anzusehen wären. Gerade Handelsschiedsgerichte, durch deren Wirken die lex mercatoria entstehen soll, wenden die binäre Codierung nicht notwendig an. Anders als Gerichte haben sie nämlich nicht die Aufgabe der Rechtsprechung. Das bedeutet unter anderem, dass sich ihre Entscheidung nicht in ein Rechtssystem mit binärer Codierung einpassen müssen; sie dienen vielmehr nur der Streitschlichtung im Einzelfall. Als Streitschlichter ist man typischerweise bemüht, den Konflikt herunterzuspielen und Situationen zu vermeiden, in denen nur der eine oder der andere recht haben kann27. Diese Situationen entstehen jedoch unausweichlich, wenn man die binäre Codierung anwendet. Stattdessen wird ein Kompromiss gesucht, der den Einzelfall – sofern möglich – für beide Parteien zufriedenstellend löst. Das Recht bleibt dabei im Hintergrund, denn bei der Schiedsgerichtsbarkeit handelt es sich um eine Alternative zum Recht und nicht nur um eine Alternative im Recht. Die Folge ist, dass – wie auch aus der Untersuchung hervorgeht – die lex mercatoria in erster Linie aus Billigkeitsnormen besteht, durch die ein fairer Interessenausgleich erreicht werden und eine Entweder-Oder Lösung vermieden werden soll. Man kann zwar – ausgehend vom Beispiel der mittelalterlichen Equity in England – vermuten, dass ein erfolgreiches System der Billigkeitsrechtsprechung sich einer Verrechtlichung auf Dauer nicht entziehen kann und somit das Bestehen einer solchen bereits als eindeutigen Hinweis auf das baldige Entstehen einer Rechtsordnung sehen28. Allerdings bedeutet der entscheidende Schritt hin zu einer Rechtsordnung
23 Dieses Problem feststellend: Hiebaum, RJ 19 (2000), S. 451, 453. Inwieweit man von einer solchen Einheit allerdings auch nur innerhalb des staatlichen Rechts noch ausgehen kann, ist eine andere Frage. Da sich im staatlichen Recht jedoch die Normierungen in der Regel nicht derart überlappen, stellt sich die Frage weniger eindringlich. 24 Vgl. z. B. Fischer-Lescarno/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 57 ff. 25 Vgl. die problematische Einigung zwischen italienischer Regierung und IOC, Dritter Teil 1. Kapitel 2. Abschnitt II. 3. 26 Michaels, Wayne L. Rev. (2005), S. 1209, 1254 ff. 27 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 167. 28 Callies, ZfR 26, S. 35, 47.
3. Kap.: Versuch einer rechtstheoretischen Einordnung
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stets einen Schritt weg von der Billigkeit, auch wenn eine gewisse Nähe – wie z. B. bei der Interessenabwägung – zu beobachten bleibt29. Dieser entscheidende Schritt sollte nicht vorweggenommen werden. Darüber hinaus ist nicht deutlich, in welche Richtung ein solcher Verrechtlichungsschritt führen würde. Denn es muss nicht notwendig eine autonome Rechtsordnung entstehen. Ausgehend von den Ergebnissen dieser Untersuchung ist eine Verrechtlichung durch Integration in das staatliche Recht wahrscheinlicher. Eine andere Frage taucht bei der Codierung im Hinblick auf die lex sportiva auf. Der CAS entscheidet zum Teil anhand der binären Codierung „regelgerecht/ regelwidrig“ und nicht anhand der Codierung „Recht/Unrecht“. Ob diese Codierung der rechtlichen Codierung entspricht, kann – auch wenn Ähnlichkeiten augenfällig sind – nicht ohne weiteres angenommen werden und bedürfte eingehender Untersuchung, bevor man die lex sportiva als Beispiel für transnationales Recht anführt. Entscheidend ist aber die Frage, ob sich der erklärte Verzicht auf Programme und damit auf bestehende Rechtserkennungsnormen oder rechtstheoretische Prämissen bei der Bestimmung von Recht überhaupt durchhalten lässt. Nach Teubners Theorie spielen diese Programme erst bei der Unterscheidung zwischen privatem und staatlichem Recht eine Rolle. Aber auch bei der Bestimmung von privatem Recht kann man sich der Frage, welche Norm eine (gültige) Norm ist, weder als Rechtsanwender noch als Theoretiker entziehen. Denn es muss klar sein, welche Beschreibung als Selbstbeschreibung des Rechts gelten darf30. Diese Aufgabe wird aber gerade durch die Programme erfüllt. Demgemäß stellt Luhmann fest, dass Codes allein nicht existenzfähig sind31. Wenn Teubner das Reflexionsvemögen des Rechts dadurch zu erhöhen versucht, dass er ein Programm bzw. eine Theorie für die Bestimmung von Recht vorschlägt, die – jedenfalls auf der ersten Stufe – die Bedeutung des Codes auf Kosten der Bedeutung der Programme betont, so führt er damit ein neues Programm – nämlich eine Theorie – zur Rechtserkenntnis ein. Er tarnt dieses an sich neue Programm jedoch, indem er vorgibt, nur Selbstbeschreibungen zu beobachten32. Es ist somit notwendig, von Teubners theoretischen Prämissen – also in erster Linie von der besonderen Bedeutung der Kommunikation – auszugehen, um mit ihm die Existenz von transnationalen Rechtsordnungen postulieren zu können.
29 30 31 32
Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 260 ff. Hiebaum, RJ 19 (2000), S. 451, 456. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 190. Hiebaum, RJ 19 (2000), S. 451, 458.
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
IV. Ergebnis Der Preis für die „einfache“ Auflösung des Problems der Rechtsgeltung nach dem autopoietischen Ansatz ist die Akzeptanz von zwei Prämissen. Zunächst muss – zumindest wenn man den Rechtscharakter der lex mercatoria bejahen will – die Existenz einer transnationalen Normenordnung a priori angenommen werden. Anschließend muss man in Kauf nehmen, dass Teubners Programm der autopoietischen Rechtserkenntnis – denn um ein solches handelt es sich bei seinem Ansatz – an die Stelle der entsprechende Programme des staatlichen Rechts tritt, ohne dass es durch einen demokratisch gewählten Gesetzgeber legitimiert ist. Beide Prämissen werden nicht offengelegt. Die erste wird dadurch verdeckt, dass nur der Frage des Rechtscharakters nachgegangen wird, bei der der Normenbestand – folgerichtig – keine Rolle mehr spielt; die zweite, indem dieses neue Programm zur bloßen Selbstbeschreibung des Rechts erklärt wird, ohne die Frage zu beantworten, warum diese Selbstbeschreibung gelten darf. Die Befürworter des autopoietischen Ansatzes dürften jedoch diesen Prämissen ungefragt zustimmen. Denn sie gehen von der Grundannahme aus, dass der zunehmend entstehenden Weltgesellschaft auch ein Weltrecht gegenüberstehen muss. Die Suche nach diesem Weltrecht wird zum Teil als Luhmanns Vermächtnis aufgefasst33. Da im Nationalstaat der segmentär differenzierten Gesellschaft ein ebenso differenziertes Rechtssystem gegenüber steht, wird gefolgert, dass auch einer globalen und funktionell differenzierten Gesellschaft entsprechende funktionell differenzierte Rechtssysteme gegenüberstehen. Die Möglichkeit, dass die Entwicklung einer Art Weltrecht unterblieben ist und auch weiterhin unterbleiben könnte, wird nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Vor diesem theoretischen Hintergrund ist die Akzeptanz der beschriebenen Prämissen geradezu zwangsläufig. Sofern ein funktionell differenzierter Gesellschaftsteil im globalen Rahmen ausgemacht wird, ist zu vermuten, dass dieser eine eigene Normenordnung hat. Wenn es aber – nach diesem Ansatz – ein Weltrecht geben muss, dieses aber nicht vom staatlichen Recht anerkannt wird, so muss sich das staatliche Recht „irren“ oder zumindest lückenhaft sein. Diese Lücke könnte und müsste dann von einer Rechtstheorie gefüllt werden, die die Anerkennung dieses Weltrechts „ermöglicht“. Die fehlende demokratische Legitimation für dieses Programm spielte in diesem Fall nur eine untergeordnete Rolle, da nur so die Realität, oder mit anderen Worten die „Wahrheit“ erkannt werden kann. Die Einwände hiergegen liegen auf der Hand. Solange man nicht von der Existenz eines Weltrechts bzw. transnationalen Rechts überzeugt ist, kann einem die autopoietische Theorie nicht weiterhelfen, weil das Ergebnis bereits vor Beginn der Untersuchung feststeht und die gewählten Prämissen beeinflusst. Dadurch 33
Vgl. Calliess, Verbraucherverträge, S. 185; ders., ZfR 26 (2005), S. 35.
3. Kap.: Versuch einer rechtstheoretischen Einordnung
231
kann die Untersuchung nur zu diesem Ergebnis führen. Der Ansatz wird erst wieder interessant, wenn man an der faktischen Existenz des transnationalen Rechts keine Zweifel hegt und es „nur“ noch theoretisch begründet werden soll. Angesichts der Untersuchungsergebnisse kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Punkt bereits erreicht ist. Auch wird die autopoietische Rechtstheorie mit dieser Weiterentwicklung überfordert. Denn bei ihr handelt es sich um eine soziologische und somit deskriptive Rechtstheorie, die die Rechtsevolution beschreibt. Aufgrund der Beschreibung des nationalstaatlichen Rechtssystems werden nunmehr normative Erwartungen an ein globales Rechtssystems gerichtet, ohne geklärt zu haben, ob eine solche Übertragung möglich ist. Es ließe sich vermuten, dass sich funktionell differenzierte Rechtssysteme in einem globalen Rahmen bilden können. Es wird aber nicht erklärt, warum sie sich bilden müssen. Schließlich verbleibt jede global agierende Person in ihrem staatlichen Rechtssystem. Es besteht für die Weltgesellschaft kein eigentlich rechtsfreier Raum, der gefüllt werden müsste. Vielmehr sehen sich die neuen Rechtssysteme bereits etablierten Rechtssystemen gegenüber. So war es auch nie der Anspruch der systemtheoretischen Rechtstheorie, die Evolution des Rechts in dem Sinne zu erklären, „dass es so kommen musste“, sondern dahingehend, „dass es, obwohl unwahrscheinlich, so kommen konnte“34. Daran anschließend kann man mit Hilfe des autopoietischen Ansatzes nur feststellen, dass es transnationales Recht geben kann. Aber der Beweis, dass es dieses bereits geben muss, ist auf ihrer Grundlage gegenwärtig nicht zu führen.
2. Abschnitt
Integration transnationaler Normenordnungen in das staatliche Recht Die Untersuchungen haben gezeigt, dass die Konstruktion einer autonomen Rechtsgeltung für transnationale Normenordnungen zurzeit nicht gelingt. Auch wenn man nicht von der Prämisse ausgeht, dass Recht ohne Staat prinzipiell undenkbar ist, so sind doch keine tragfähigen Alternativen auszumachen. Gegenwärtig können transnationale Normenordnungen folglich nicht als autonom angesehen werden, sondern müssen in irgendeiner Weise in das staatliche Recht integriert werden. Eine solche Integration widerspricht der Idee eines neuen Rechtspluralismus, nach der verschiedene Rechtsregime zunächst gleichberechtigt nebeneinander stehen. Doch hat sich gezeigt, dass diese Vorstellung nicht der Wirklichkeit ent-
34
Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik, S. 49.
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
spricht, in der sich das staatliche Recht regelmäßig gegen die transnationalen Normenordnungen durchsetzen kann und gewisse Vorbildfunktionen ausübt35. Aus diesem Grund hat die Diskussion um das transnationale Recht bereits ihre Brisanz eingebüßt. Denn solange transnationale Normenordnungen nicht auf einer Stufe mit staatlichem Gesetzesrecht stehen und dieses in Konfliktfällen eigenständig verdrängen können, ist die Frage nach ihrem Rechtscharakter nur von sekundärem Interesse. Anwendbar sind die Normenordnungen – wie gezeigt – regelmäßig aufgrund vertraglicher Vereinbarungen. Dafür muss jedoch nicht mit großem theoretischen Aufwand ihre Rechtsgeltung konstruiert werden36. Der Vorteil der Integration der transnationalen Normenordnungen in die bestehende Rechtshierarchie besteht darin, dass insofern die Einheit des rechtlichen Sollens gewahrt bleibt. Es entstehen keine Unsicherheiten bezüglich des Verhältnisses zwischen staatlichem Recht und transnationaler Normenordnung, die durch neue Überlegungen zur Konstitutionalisierung gelöst werden müssen. Wege zu finden, globale Vertragsregime untereinander zu konstitutionalisieren, dürfte bereits eine hinreichend schwierige Aufgabe sein.
I. Integrationsmöglichkeiten Es sind prinzipiell drei Wege denkbar, transnationale Normenordnungen in das staatliche Recht zu integrieren37. Die transnationalen Normen oder Normenordnungen können zunächst inkorporiert und dadurch direkt in staatliches Recht umgewandelt werden. Der Staat kann sich entschließen, die Rechts- oder Normensetzung an eine bestimmte Institution zu delegieren. Auf diese Weise kann unterstaatliches Recht entstehen. Schließlich kann der Staat die private Selbstregulierung schlicht akzeptieren, wodurch diese Regeln den Status von Fakten, vergleichbar mit ausländischem Recht, erhielten.
1. Inklusion Die Inklusion steht am Ende der Entwicklung einer Normenordnung38. Diese wird dadurch zu staatlichem Recht und steht folglich auf einer Stufe mit dem bestehenden Recht. So wird bei der lex mercatoria bezweifelt, ob diese in common law-Ländern überhaupt erforderlich ist, da sich deren Rechtssysteme besonders 35
So auch Bachmann, Private Ordnung, S. 39. Michaels, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 1209, 1237 geht sogar davon aus, dass private Normenordnungen – ähnlich wie soft law – eher zur Anwendung gelangen, wenn sie kein Recht darstellen. 37 Vgl. Michaels, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 1209, 1228. 38 Nach Kirchhof, Private Rechtssetzung, S. 139, ist dies das typische Verfahren für die deutsche Rechtsordnung privat gesetzte Normen zu integrieren. 36
3. Kap.: Versuch einer rechtstheoretischen Einordnung
233
offen für die Aufnahme von neuen Entwicklungen zeigen39. Demnach vollzöge der Staat gewissermaßen nur die Wirklichkeit nach. Allerdings verliert diese Normenordnung in dem Augenblick, in dem der Staat sie anerkennt, ihre Autonomie, so dass dieser Akt der Inkorporation auch als Akt der „Versklavung“ gesehen werden kann40. Jedenfalls fallen der Anerkennungsakt und der Entzug jeder Autonomie zusammen, so dass der Staat sein Monopol auf Rechtsanerkennung wahrt. Die transnationale Normenordnung hat in diesen Fällen die Aufgabe erfüllt, eine Art „Pfadfinder“ für die staatlichen Regelungen zu sein. Die gefundenen Ergebnisse – also die funktionierenden Regelungen – kann sich der Staat zu Eigen machen. Die transnationale Normenordnung verschwindet dabei „von der Bildfläche“, so dass sie nicht (mehr) als Beispiel für ein eigenständiges transnationales Recht herangezogen werden kann. Hier zeigt sich deutlich der – bereits anderweitig festgestellte41 – prekäre Charakter der Autonomie von transnationalen Normenordnungen.
2. Delegation Die zweite Möglichkeit ist die Delegation der Normensetzung an eine bestimmte Institution. Der Staat verzichtet hier auf eine eigene Ordnung und setzt nur einen gewissen Rahmen. Durch die Übernahme der Regelungen können diese jedoch zu unterstaatlichem Recht werden42. Diese Entwicklung lässt sich zunehmend häufiger beobachten. Besonderes Aufsehen hat die Delegation der Bilanzierungsrichtlinien an private Institutionen erregt. Prinzipiell ist es gleichgültig, ob die Delegation vor der Ausarbeitung der Regeln oder anschließend erfolgt. So wurde z. B. der codex alimentarius erst nach seiner Entstehung von den Staaten übernommen. Der Unterschied zur Inkorporation ist, dass die Regelungen eigenständig bleiben und von den für sie verantwortlichen Institutionen auch eigenständig – in einem bestimmten Rahmen – weiterentwickelt werden können. Eine Besonderheit ist das Entstehen von hybriden Institutionen, an die die Regelung eines bestimmten Bereichs delegiert wird. Ein Beispiel ist ICANN, die durch die US-Regierung beauftragt wurde, bestimmte Bereiche des Internets zu koordinieren und zu regulieren, ohne allerdings bisher vollständig von der US-Regierung unabhängig zu sein.
39 So spricht Juenger, Random Remarks, S. 87, davon, dass das amerikanische Recht neue Entwicklungen wie ein „Schwamm“ aufsaugt. 40 Michaels, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 1209, 1232. 41 Vgl. Dritter Teil 1. Kapitel 2. Abschnitt II. 42 Michaels, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 1209, 1234 ff.
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
Während die Normenordnungen des Sports aus deutscher Sicht vom Staat in ihrer Eigenständigkeit geachtet werden, setzen in Frankreich anerkannte Sportverbände Recht gegenüber den Sportlern kraft hoheitlicher Befugnisse. Sie sind dabei kraft staatlichen Rechts zur Durchsetzung der Sportregeln ermächtigt und verpflichtet43. Es liegt also ein Fall der Delegation vor. An diesem Beispiel wird deutlich, dass es verschiedene Wege gibt, private Normenordnungen in das staatliche Recht zu integrieren.
3. Akzeptanz Da der Staat nicht alle Normen übernehmen kann, besteht für ihn die Möglichkeit, die privaten Normenordnungen zu akzeptieren. In diesen Fällen haben die Regelungen aus Sicht des Staates nur den Status von Fakten. Sie teilen diesen Status mit Normen ausländischer Rechte. Entscheidend ist, dass Entscheidungen, die auf ihrer Grundlage getroffen werden, grundsätzlich vom Staat beachtet werden. Ein Beispiel für diese Art der Integration ist die lex sportiva. Dieser wird von staatlicher – jedenfalls von deutscher – Seite nicht die Anerkennung als „Recht“ zuteil44. Gleichwohl wird die Autonomie des internationalen Sports sowohl politisch als auch rechtlich durchaus anerkannt. Nachdem sich in den letzen Jahren ein relativ stabiles Gleichgewicht zwischen den Institutionen des Sports und den Staaten entwickelt hat45, werden die Entscheidungen, die innerhalb des internationalen Sports getroffen werden, überwiegend von den staatlichen Institutionen geachtet. Um in der Terminologie des Internationalen Privatrechts zu bleiben, könnte man von einer Art „Comitas“ sprechen. Dieses gilt natürlich nur aus Sicht des Staates. Der internationale Sport muss dagegen staatliche Regelungen unbedingt beachten.
II. Die Voraussetzungen für die staatliche Akzeptanz Wenn aber diese skizzierten Formen der Integration – insbesondere die Achtung durch den Staat – das Verhältnis zwischen Staat und transnationaler Normenordnungen beschreiben sollen, so stellt sich aus Sicht der transnationalen Normenordnungen die Frage, wie dieses Gleichgewicht erreicht werden kann. Um den Ansatz der jurispersuasion von Berman46 nach einmal aufzugreifen: wie kann der Staat von einer möglichst weitreichenden eigenen Entscheidungsbefugnis in eigenen Angelegenheiten überzeugt werden? 43 44 45 46
Adolphsen, Internationale Dopingstrafen, S. 48. OLG Frankfurt, SpuRt 2001, S. 159 ff. Siehe Zweiter Teil 3. Kapitel 8. Abschnitt I. Vgl. Berman, 43 Colum J. Transnat’l L. (2005), S. 485, 533 ff.
3. Kap.: Versuch einer rechtstheoretischen Einordnung
235
Man befindet sich an dieser Stelle in der Nähe des Bereichs, der in der Verwaltungslehre als „regulierte Selbstregulierung“ bezeichnet wird47. In diesem werden private Normenordnungen seitens des Staates mit Erwartungen konfrontiert, deren Nichterfüllung den staatlichen Akteur in die Arena beordert48. Mit welchen Erwartungen werden also transnationale Normenordnungen konfrontiert?
1. Wirksamkeit der Regelungen Grundvoraussetzung für die Achtung transnationaler Normenordnungen durch den Staat ist zunächst, dass die Normenordnungen in dem betroffenen Bereich wirksam sind. Andernfalls gäbe es keinen Anlass für den Staat, der Normenordnung Beachtung zu schenken. Die Untersuchungen zeigen jedoch, dass im transnationalen Raum zum Teil voreilig von dem Bestehen einer neuen Normenordnung ausgegangen wird. So kann von den untersuchten Normenordnungen nur die lex sportiva als wirksame Normenordnung angesehen werden. Der lex mercatoria fehlt es an einer eigenständigen Wirksamkeit und bei der lex informatica handelt es sich nur um punktuelle Regelungen im Bereich des Internets zur schnelleren Rechtsdurchsetzung von staatlichem Recht. Es stellt sich also zunächst die Frage, ob eine eigenständige Normenordnung überhaupt vorliegt. Dazu müssen die Normenordnungen das beschriebene Entstehungsparadoxon überwunden haben und effektiv funktionieren49. Dass sie in diesem Fall auch sachlich angemessene Regelungen enthalten, kann unterstellt werden, ist dies doch der primäre Grund für ihre Entwicklung. Im transnationalen Raum ist die Überwindung des Entstehungsparadoxons jedoch – wie die lex mercatoria zeigt – nicht ohne weiteres möglich50. Es müssen entweder Besonderheiten vorliegen – wie die besonderen Durchsetzungsmöglichkeiten des Internets – oder es bedarf einer monopolartigen Stellung einer Institution wie des IOC. Eine solche braucht aber in der Regel eine gewisse Zeit für die Entstehung. Die jetzige lex sportiva ist das Ergebnis einer mehr als hundertjährigen Entwicklung. Auch andere private Normenordnungen im transnationalen Handel werden von Institutionen unterstützt, die bereits seit mehreren Jahrzehnten bestehen.
47
Vgl. die Beiträge in: Schneider (Hrsg.), Regulierte Selbstregulierung. Hoffmann-Riem, Öffentliches Recht, S. 264; Schuppert, Staatswissenschaft, S. 448. 49 Erster Teil 3. Kapitel 3. und 4. Abschnitt. 50 Dieses Problem für neuentstehnde Rechtssysteme beschreibt auch Calliess, Verbraucherverträge, S. 283, der es allerdings bei der lex mercatoria für überwunden hält. 48
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
2. Beachtung der Rechtsstaatlichkeit Wenn die Ordnungen jedoch dauerhaft in einem Bereich von gesellschaftlicher Relevanz bestehen sollen, so reicht die sachliche Angemessenheit der Regelungen, die zu der bereichsspezifischen Wirksamkeit führt, nicht aus. Vielmehr muss die Normenordnung bestimmten staatlichen Ansprüchen genügen. So stellt Steiner für den Bereich des Sports fest, dass „die Verbände eine inhaltliche Teilverstaatlichung ihrer Sonderordnungen unter der gleichzeitiger Intensivierung ihres Regelwerks – Binnenverrechtlichung der Sportgerichtsbarkeit und des Sports – hingenommen haben, um ihre Existenz als rechtliches Subsystem durch eine effektive eigene Gerichtsbarkeit gegenüber der staatlichen Justiz zu sichern“51. Die Anforderungen allerdings präzise zu bestimmen, ist nicht einfach. Denkbar wäre es zunächst, die Überlegungen zur Bestimmung des Rechtscharakters von transnationalen Normenordnungen oder zum Wesen des Rechts generell fruchtbar zu machen. Denn die Ergebnisse dürften regelmäßig nicht allzu weit auseinander liegen. So kann darauf abgestellt werden, dass in einer Normenordnung Prozesse sekundärer Normierung institutionalisiert sind und damit eine eigenständige Kontrolle von Entscheidungen am Maßstab des binären Codes von Recht/Unrecht vorgenommen wird52. Ebenso lassen sich die Normenordnungen an dem von Fuller entwickelten Maßstab der „inneren Moralität“ prüfen53. Auch der von Zangl und Zürn entwickelte Maßstab der Verrechtlichung54 erscheint geeignet als Voraussetzung für die Beibehaltung eines bestimmten Grades an Autonomie. Schließlich bleiben auf diese Weise die nationalen Normenordnungen implizit dem Leitbild des demokratischen und nationalen Verfassungsstaates verpflichtet, ohne an die konkreten Institutionen gebunden zu sein55. Vorzugsweise sollte bei der Beantwortung der Frage nach den Erwartungen seitens des Staates, jedoch auf das Prinzip der „Rechtsstaatlichkeit“ abgestellt werden, um – auch wenn sich in der Sache wenig ändert56 – dadurch „festeren“ – nämlich verfassungsrechtlichen – Boden zu gewinnen. Zwar scheint dieser Begriff für private Normenordnungen aufgrund des hierin zum Ausdruck kommenden Staatsbezuges auf den ersten Blick nicht zu passen. Da aber auch der vergleichbare englische Ausdruck der rule of law ohne diesen Staatsbezug auskommt, soll an dieser Stelle über die begriffliche Unschärfe hinweggesehen werden und stattdessen lediglich auf den Inhalt Bezug genommen werden. 51
Steiner, Sport und Justiz, S. 207, 216 f. Fischer-Lescarno/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 55. 53 Fuller, The Morality of Law, S. 33 ff. 54 Vgl. Erster Teil 2. Kapitel 4. Abschnitt. 55 Vgl. zu dieser Einschätzung Calliess, Verbrauchervertäge, S. 208. 56 So überschneidet sich Fullers „innere Moralität“ zum überwiegenden Teil mit den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit. Ebenso sind private Normenordnungen, die am Leitbild des demokratischen und nationalen Staates ausgerichtet sind gleichzeitig am Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ausgerichtet. 52
3. Kap.: Versuch einer rechtstheoretischen Einordnung
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Die wichtigsten Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind neben der Grundrechtsbindung: – der Grundsatz der Gewaltenteilung; – der Vorrang und der Vorbehalt des Gesetzes; – der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; – die Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht; – der Grundsatz der Rechtssicherheit, insbesondere das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen; – der Rechtsschutz bei der Rechtsverletzung durch die öffentliche Gewalt und – das Recht auf ein faires Verfahren57. Untersucht man die lex sportiva als das Normenregime, das einer eigenständigen und dauerhaften Normen- bzw. Rechtsordnung am Nächsten kommt58, so stellt man fest, dass diese Grundsätze – zum Teil auf staatlichen Druck – im Wesentlichen gewahrt sind59. Dazu muss man sich allerdings von den typischen, staatlich geprägten Begriffen lösen und diese durch ihre funktionellen Äquivalenten innerhalb der privaten Normenordnung ersetzen. In Folge des Gundel-Urteils60 wurde zumindest eine organisatorische Gewaltenteilung zwischen dem IOC als Exekutive und dem CAS als Judikative unternommen61. Ebenso wacht der CAS darüber, dass die Entscheidungen der Exekutivorgane im Einklang mit den Satzungen stehen62, was dem Gesetzesvorrang entspricht. Bei den Dopingsperren werden die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit beachtet63. Der CAS selbst sieht sich durch die Satzungen der Sportverbänden gebunden64. Regelungen die nach einem Vergehen erst erlassen wurden, werden nur zu Gunsten des Athleten angewandt, eine Rückwirkung von Satzungsbestimmungen ist also ausgeschlossen65. Grundsätzlich hat jeder Athlet die Möglichkeit, vor dem CAS Rechtsschutz gegen Entscheidungen der Verbände zu begehren. Mit anderen Worten besteht ein hoher Verrechtlichungsgrad im Bereich der Judikative66. 57 Vgl. exemplarisch Richter/Schuppert/Bumke, Casebook Verfassungsrecht, S. 311 ff.; ausführlich zu den verschiedenen Rechtsstaatlichkeitsdiskursen und Definitionsversuchen, Schuppert, Politische Kultur, S. 691 ff., S. 700 ff. 58 Zweiter Teil 4. Kapitel 2. Abschnitt. 59 Diese Anforderung wird auch von Summerer, Praxishandbuch Sportrecht, S. 201 ff., formuliert. 60 Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts, 119. Band, II. Teil, S. 271. 61 Siehe Zweiter Teil 3. Kapitel 4. Abschnitt II. 62 Siehe Zweiter Teil 3. Kapitel 5. Abschnitt III. 1. 63 Siehe Zweiter Teil 3. Kapitel 5. Abschnitt III., IV. 64 Siehe Zweiter Teil 3. Kapitel 5. Abschnitt V. 65 Siehe Zweiter Teil 3. Kapitel 5. Abschnitt III. 1. a). 66 Zangl/Zürn, Verrechtlichung jenseits des Staates, S. 239, 244.
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3. Teil: Transnationale Normenordnungen
Schließlich wird gerade bei Dopingverfahren darauf geachtet, dass die prozessualen Regeln der Fairness gewahrt werden67. Diese Skizze zeigt, dass sich das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit fruchtbar machen lässt, um die staatlichen Erwartungen an private Normenordnungen zu präzisieren68. Natürlich bedarf es zur Erhärtung dieser Überlegung noch weiterer vertiefender Einzeluntersuchungen. Insbesondere wurde hier der Begriff der „Rechtsstaatlichkeit“ von der deutschen Rechtsordnung ausgehend bestimmt69. Ein großer Schritt mit weitreichenden Konsequenzen wäre es, wenn es gelänge, den Begriff des Rechtsstaats bzw. der rule of Law grenzüberschreitend zu bestimmen70. Die Vermutung, dass der Staat wirksame private Normenordnungen im Wesentlichen akzeptiert, wenn sie die grundsätzlichen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit beachten, erscheint aufgrund der Ergebnisse dieser Arbeit jedenfalls plausibel. Dadurch erschienen transnationale Normenordnungen als ähnlich gerechtfertigt wie überkommene Rechtssysteme, was eine Voraussetzung für den dauerhaften Bestand jener in gesellschaftlich relevanten Bereichen ist71. Als Transmissionsriemen für diese Anforderungen gegenüber privaten Normenordnungen könnte der ordre public-Vorbehalt dienen72. Dieser umfasst nämlich jedenfalls diejenigen Verfahrensbestandteile, welche als unabdingbare Bestandteile des Rechtsstaatsprinzips gelten müssen73. So hat der BGH festgestellt, dass ein Verstoß gegen den ordre public vorliegt, wenn die Entscheidung „aufgrund eines Verfahrens ergangen ist (…), dass nach der deutschen Rechtsordnung das Urteil nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann.“74
Auch die Grundrechte werden zum ordre public gerechnet75. Aus der Beachtung der Rechtsstaatsprinzipien und der damit verbundenen „Rechtsähnlichkeit“ muss jedoch nicht unmittelbar auf den Rechtscharakter der Normenordnungen geschlossen werden. Vielmehr ist diese Beachtung der Rechtsstaatsprinzipien zunächst nur Voraussetzung dafür, dass sich der Staat mit Interventionen oder eigenen Regelungen dauerhaft zurückhält. 67
Siehe Zweiter Teil 3. Kapitel 5. Abschnitt III. 2. Da die Staaten im Wesentlichen damit auch die Erwartungen ihrer Bürger an diese Normenordnungen zum Ausdruck bringen dürften, bestätigt dieses Ergebnis auch die These von Grimmelmann, 49 N. Y. L. Sch. L. Rev. (2004), S. 147, 182 f., wonach die virtuellen Welten sich der größten Beliebtheit erfreuen dürften, in denen eben diese Prinzipien beachtet werden. 69 Vgl. zu der Vielzahl möglicher Rechtsstaatsdiskurse Schuppert, Governanceinfrastruktur durch Rechtsstaatlichkeit, S. 194, 196 ff.; Schuppert, Politische Kultur, S. 691 ff. 70 In diese Richtung weisend Casper, Rule of Law? Whose Law? 71 Hiebaum, RJ 19 (2000), S. 451, 471. 72 Vgl. Dritter Teil 2. Kapitel 3. Abschnitt II. 73 BGHZ 48, S. 327, 330, 333; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 328, Rn. 155 c. 74 BGH NJW 1978, S. 1114, 1115. 75 BVerfGE 31, 58 ff. 68
3. Kap.: Versuch einer rechtstheoretischen Einordnung
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Es besteht aber kein Zurückhaltungsgebot für den Staat76. Zum einen ist unklar, wo ein solches Gebot seinen Ursprung haben sollte, zum anderen kann eine Normenordnung auch faktisch überfordert und deswegen auf die Hilfe der besonderen staatlichen Durchsetzungsmechanismen angewiesen sein. Aufgrund der Vorteile, die transnationale Normenordnungen für Staaten haben können77, erscheint eine Achtung unter den geschilderten Bedingung allerdings als Gebot der staatlichen Vernunft. Von der Akzeptanz einer gewissen Eigenständigkeit einer transnationalen Normenordnung durch den Staat bis zur Annahme ihres Rechtscharakters scheint es nur noch ein kleiner Schritt zu sein. Es bleibt aber ein entscheidender Schritt, den man nicht ohne gute Begründung unternehmen sollte.
76 77
So aber Adolphsen, JbJZRWiss 2003, S. 281, 284. Vgl. Dritter Teil 2. Kapitel 2. Abschnitt.
Schluss: Transnationales Recht? Schluss: Transnationales Recht? Ist es also gerechtfertigt, die privaten Normenordnungen als „transnationales Recht“ zu bezeichnen und als eine dritte Art von Recht neben das nationale und internationale Recht zu stellen? Die bisherigen rechtstheoretischen Ansätze können bei einer kritischen Betrachtung diesen Schluss nicht rechtfertigen. Die Frage verliert ihre Brisanz, wenn man davon ausgeht, dass die transnationalen Normenordnungen in jedem Fall dem staatlichen Recht untergeordnet sind. Diese Unterordnung ist sowohl tatsächlich nachweisbar, als auch theoretisch erstrebenswert. Zum einen hat die genauere Untersuchung beispielhafter Normenordnungen – und zwar solcher, die als vergleichsweise weit entwickelt gelten – ergeben, dass diese weder autonom von staatlichen Rechtsordnungen existieren noch bestimmte Bereiche umfassend regeln können. Zum anderen haben ausgehandelte Ordnungen ihre eigene Rationalität1, während sich nur das staatliche Recht primär am Gemeinwohl orientiert und damit zur verbindlichen Normensetzung ausreichend demokratisch legitimiert ist2. Zwar wird die Frage der Legitimation der transnationalen Normenordnungen zumeist unter Hinweis auf ihre vermeintlich „spontane“ Entstehung, an der alle Betroffenen sich beteiligen können, ausgeklammert oder soll mittels neuer Modelle erreicht werden3. De facto hat sich aber gezeigt, dass funktionierende Normenordnungen – sobald sie in ihrer Geltung über die unmittelbare Nachbarschaft hinausreichen sollen – einer Institution bedürfen, die die Normen mit einer gewissen Verbindlichkeit festlegt. Und gerade diese Institutionen sind weder demokratisch legitimiert noch auf das Gemeinwohl verpflichtet. Allein die Möglichkeit nicht-staatlichen Rechts bedeutet schließlich noch nicht dessen Legitimität4. Die enge Bindung von Recht und Staat ist zwar historisch gesehen keine Notwendigkeit, kann aber trotzdem als Fortschritt verstanden werden, den man nicht ohne weiteres aufgeben sollte. Im Übrigen entspricht diese Garantie- oder Gewährleistungsfunktion des staatlichen Rechts auch den Erwartungen der Bürger. Damit befindet man sich einmal mehr auf den traditionellen Pfaden des Rechtspluralismus. Dass es auch Recht geben kann, das nicht vom Staat gesetzt wird, ist keine neue Erkenntnis. Ferdinand Kirchhof spricht deswegen auch von einem 1 Roberts, 68 Modern Law Review (2005), S. 1. Z. T. wird bereits die Tatsache, dass eine Normenordnung ausgehandelt wurde, als unvereinbar mit dem Rechtsbegriff gesehen. Vgl. Synder, 64 Ohio St. L. J. (2003), S. 371. 2 Paulus, 25 Mich. Int’l L. (2004), S. 1047 ff. 3 Berger, Schleichende Kodifizierung, S. 66. 4 Michaels, 69 RabelsZ (2005), S. 525, 540.
Schluss: Transnationales Recht?
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Rechtsanerkennungsmonopol und nicht von einem Rechtsetzungsmonopol des Staates5. Man könnte es vielleicht noch vorsichtiger formulieren, um die Ansichten zu integrieren, die Bildung von nicht-staatlichem Recht für möglich halten. Der Staat beansprucht zwar kein normatives Monopol, aber die juristische Überordnung seines Rechts6 bzw. ein Regelungsprimat7. Hält man daran fest und gesteht dem staatlichen Recht die alleinige Entscheidung über die Rechtsgeltung zu8, so wäre der Befund eindeutig: Es existiert kein transnationales Recht. Die lex mercatoria wird ausweislich der Begründung des Vorschlages für die Rom-I-Verordnung als inhaltlich so unbestimmt angesehen, dass sie noch nicht einmal in Schiedsverfahren als Vertragsstatut gewählt werden kann. Die Entscheidungen der von ICANN akkreditierten Schiedsgerichte werden von staatlichen Gerichten zum Teil nicht beachtet9. Zur lex sportiva hat das OLG Frankfurt lapidar festgestellt, dass es sie nicht gäbe10. Entspricht jedoch diese Zurückweisung der Idee eines transnationalen Rechts der Bedeutung transnationaler Normenordnung oder droht dadurch die Rechtswissenschaft den Anschluss an die gesellschaftlichen Realitäten zu verlieren? Zunächst haben die transnationalen Normenordnungen nicht die Bedeutung, wie sie teilweise von ihren Vertretern angenommen wird. Vielmehr können sie dauerhaft Bereiche nur punktuell regeln und sind in bestimmten Fällen auf die Unterstützung der staatlichen Rechtsordnungen angewiesen. Überhaupt kann lediglich die lex sportiva als einigermaßen vollständige Normenordnung bezeichnet werden11. Ungeachtet sich punktuell entwickelnder Sportrechtsgrundsätze bleibt sie jedoch insgesamt weit hinter der Regelungsdichte nationaler Rechtsordnungen zurück, so dass sie bereits aus diesem Grund einer Einbettung in eben diese bedarf12. Daneben bedürfen private Normenordnungen nicht der Konzeptionalisierung als Recht, um wirksam zu werden. Zwar kann die (staatliche) Anerkennung als Recht, dazu führen, dass diese Normen einen entscheidenden Zuwachs an Unterstützung erlangen, um selbständig funktionieren zu können13. Jedoch haben sich Mechanismen innerhalb der wirksamen Normenordnungen entwickelt, um – in erster Linie die vertragliche Vereinbarung – die notwendige Verbindlichkeit her5
Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 134. Michaels, 51 Wayne L. Rev. (2005), S. 1209, 1228. 7 Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 249 f., zit. nach: Schuppert, Staatswissenschaft, S. 640. 8 Vgl. zu dieser Entscheidungsbefugnis einer etablierten Rechtsordnung Luhmann. 9 Vgl. Zweiter Teil 2. Kapitel 7. Abschnitt. 10 OLG Frankfurt, SpuRt 2001, S. 159 ff. 11 Zu diesem Schluss kam bereits Giannini, Riv. Dir. Sport. 1949, S. 10, 17, zitiert nach: Adolphsen, JbJZRWiss 2003, S. 281. Ähnlich Pfister, FS Zivilrechtslehrer, S. 457, 466. 12 Pfister, Praxishandbuch Sportrecht, S. 512 f. Vgl. auch zu den elementaren Lücken einer gegenwärtigen lex sportiva: Zweiter Teil 3. Kapitel 8. Abschnitt II. 13 Auf dieses rechtspolitische Argument stützt Cooter 144 U. Pa. L. Rev. (1996), S. 1643, 1645 seine diesbezüglichen Überlegungen. 6
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Schluss: Transnationales Recht?
zustellen. Fehlt es an solchen Vorkehrungen, so erreichen Normenordnungen in der Regel keine ausreichende soziale Bedeutung, die ein Nachdenken über ihren Rechtscharakter überhaupt lohnend erscheinen ließe. Eine zusätzliche Unterstützung durch die Anerkennung als Recht sollte – da damit eine gewisse Würde und Rationalitätsvermutung einhergeht14 – nur vorsichtig erfolgen. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoller, private Normenordnungen in das staatliche Recht zu integrieren oder zumindest beide Bereiche miteinander zu verknüpfen, anstatt sie künstlich und holzschnittartig gegenüberzustellen15. Der Trend zu hybriden Organisationen wie z. B. der WADA weist exakt in diese Richtung. Auf diese Weise können Probleme, die im Rahmen der Global GovernanceDebatte aufgeworfen werden, gemeinsam von staatlichen und privaten Akteuren gelöst werden. Ziel sollte im Sinne des Ansatzes Schmitthoffs zum transnationalen Handelsrecht die Konfliktvermeidung zwischen verschiedenen (staatlichen und privaten) Rechtsregimes sein. Das bedeutet nicht, dass private Regelungen außer Acht bleiben. Es wird jedoch kein neuer – eigentlich nicht notwendiger – Konflikt geschaffen, der anschließend durch neue Meta-Regeln oder eine Konstitutionalisierung auf globaler Ebene gelöst werden müsste. Dadurch werden auch neue Widersprüche vermieden. Denn es ist nicht verständlich, warum private Normenordnungen – wie Verbandssatzungen – nur auf globaler Ebene und nicht auch auf nationaler Ebene Rechtscharakter haben sollen16. Dies kann damit zusammenhängen, dass private Normenordnungen im transnationalen Bereich auffälliger sind, da ihnen kein Weltstaat gegenüber steht, in dessen Recht sie integriert werden könnten. Aber auch globale Transaktionen, die Bewegungen im Cyberspace oder internationale Sportwettkämpfe finden nicht im staatsfreien Raum statt. Die Verbindung zu einer Vielzahl von Staaten führt zwar zu Regulierungsproblemen, die nicht sofort von staatlichen Rechtsordnungen zu lösen sind. Daraus folgt aber nicht zwingend, dass sie dauerhaft von privaten Normenordnungen besser gelöst werden können. Die Integration der transnationalen Normenordnungen kann auf verschiedene Weise erfolgen. Insbesondere ist es für transnationale Normenordnungen möglich, einen hohen Autonomiegrad zu behalten, wenn sie den jeweiligen Bereich erfolgreich regulieren können und grundsätzlich den Erfordernissen der Rechtsstaatlichkeit entsprechen. Damit ähneln solche Normenordnungen bereits stark Rechtsordnungen und unterscheiden sich von anderen sozialen Normenordnun14
Cooter, 144 U. Pa. L. Rev. (1996), S. 1643, 1648. So für lex mercatoria: Zumbansen, 67 RabelsZ (2003), S. 637, 661; für die Internetregulierung Radin/Wagner 73 Chi. – Kent L. Rev. (1998), S. 1295, 1298; auch für den Bereich des Sports kann man von einem „Zwei-Säulen-Modell“ sprechen; für die private Normenordnungen allgemein: Woodruff/McMillan, 98 Mich. L. Rev. (2000), S. 2421, 2423. 16 Dieses Problem wird sich in nächster Zeit insbesondere im Sport stellen, wenn durch die geplante Gründung eines sportartenübergreifenden nationalen Sportschiedsgerichts eine mit dem CAS vergleichbare Institution entsteht. 15
Schluss: Transnationales Recht?
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gen. Trotzdem sollen sie nach der hier vertretenen Auffassung „nur“ als paralegale Normenordnungen und nicht als transnationales Recht begriffen werden. Zum einen, um die analytische Schärfe des Rechtsbegriffs zu wahren17, weil die Normenordnungen zu wenig Gemeinsamkeiten aufweisen, als dass ein einheitlicher Oberbegriff gerechtfertigt erschiene; zum anderen, um die festgestellte hierarchische Ordnung anschaulicher zu belassen, weil auf diese Weise durch das Recht am besten das erreicht werden kann, was oft als dessen Hauptfunktion gesehen wird18: die Herstellung von normativer Erwartungssicherheit. Aber auch wenn an dem Primat des staatlichen Rechts festgehalten und die Bedeutung von privaten Normenordnungen im transnationalen Bereich relativiert wird, so stellen diese weiterhin einen wichtigen Untersuchungsgegenstand dar. Zwar stoßen die privaten Normenordnungen dauerhaft an Grenzen, doch werden sie in bestimmten Situationen dringend gebraucht, insbesondere wenn staatliche Regulierungen (noch) nicht als Alternativen bereitstehen. Während also z. B. die lex mercatoria als private Normenordnung inzwischen weitestgehend überflüssig geworden ist, spielen private Regeln eine wichtige Rolle im Bereich der Virtual Reality. In diesem Bereich werden Fragen aufgeworfen, auf die die Staaten wahrscheinlich mit einiger Verzögerung reagieren werden. Durch die – zunächst – informellen Ansätze von privaten Normenordnungen können die dort entstehenden Regelungsbedürfnisse mit größerer Geschwindigkeit – zumindest vorübergehend – erfüllt werden. Es bleibt allerdings festzuhalten, dass private Normenordnungen – jedenfalls in dem hier interessierenden größeren Rahmen jenseits einer close-knit-Gemeinschaft – keine Chance haben, in Konkurrenz zu staatlichem Recht dauerhaft zu bestehen. Als Beispiel kann dazu die lex mercatoria dienen. Dagegen können sie wie die lex informatica – auch wenn es sich bei dieser nicht um eine Normenordnung handelt – Bedeutung erlangen, indem sie staatlichem Recht zu verbesserter Wirksamkeit verhelfen und zur Lösung der aus neuen Entwicklungen resultierenden Durchsetzungsprobleme beitragen. Schließlich können sie – wie die lex sportiva – in den Bereichen von großer Wichtigkeit sein, in denen eine staatliche Regulierung weitgehend fehlt und deswegen von einer privaten Normenordnung „vertreten“ werden kann19. Bei allen festgestellten Unterschieden zwischen den untersuchten Normenordnungen werden in dem Bereich der Virtual Reality, der eng mit den Überlegungen 17
Roberts, 68 Modern Law Review (2005), S. 1, 23. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 157. Diese „Berechenbarkeit“ ist auch ein Kernelement des Recchtsstaatlichkeit, siehe Schuppert, Governanceinfrastruktur durch Rechtsstaatlichkeit, S. 194, 196; Schuppert, Politische Kultur, S. 691. 19 Vgl. zu den strukturell vergleichbaren, gleichwohl besser legitimierten Möglichkeiten von Richterrecht: J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 235 ff. Demnach soll gesetzeskonkretisierendes und -vertretendes Richterrecht zulässig sein, während gesetzeskorrigierendes und -konkurrierendes Richterrecht abzulehnen ist. 18
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Schluss: Transnationales Recht?
zur Internet Governance verknüpft ist, Strukturen erkennbar, die an die lex mercatoria erinnern. Ebenso erscheint die Beachtung der Entwicklung der lex sportiva sinnvoll, wenn eine gewisse Unabhängigkeit von den staatlichen Entscheidungsinstanzen gewahrt werden soll. Es zeigt sich damit, dass transnationale Normenordnungen voneinander lernen können. Angesichts der geschilderten Bedeutung dieser Normenordnungen eröffnet sich an dieser Stelle ein noch wenig bearbeitetes Forschungsgebiet. Wichtig wäre es allerdings, die Frage nach dem Rechtscharakter dieser Normenordnungen nicht in Mittelpunkt zu stellen, sondern sie zurückzustellen, damit der Blick zunächst auf die tatsächlichen Strukturen gerichtet und nicht durch bestimmte Erwartungen „verstellt“ wird20. Denn zu einem Rechtscharakter transnationaler Normenordnungen kommt man gegenwärtig nur bei einem bestimmten Vorverständnis oder durch Überdehnung des Rechtsbegriffs. Beides ist nicht notwendig, um diesen Normenordnungen gerecht zu werden.
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Vgl. Zumbansen, 67 RabelsZ (2003), S. 637, 649.
Thesen Thesen 1. Die Regeln der lex mercatoria entstammen nur zu einem geringen Teil dem handelsrechtlichen Alltag. Bei diesen Praxisregeln handelt es sich im Wesentlichen um Ausformungen des bona-fides-Prinzips. Die übrigen Regeln werden zumeist auf dem Wege der funktionellen Rechtsvergleichung ermittelt und sind somit staatlichen Ursprungs. 2. Bei den positiven Beurteilungen des Entwicklungspotentials der lex mercatoria werden zweifelhafte Annahmen hinsichtlich des tatsächlichen Bedarfs und der theoretischen Entwicklungsmöglichkeiten einer Normenordnung getroffen. 3. Die lex mercatoria wurde als „Illusion“ beschworen, um das plötzlich auftretende Bedürfnis nach einem neutralen Wirtschaftsrecht zu befriedigen. Da dieses nicht mehr in gleichem Maße besteht, verliert sie gegenwärtig trotz günstiger Entwicklungsbedingungen und breiter wissenschaftlicher Unterstützung an praktischer Bedeutung. 4. Bei der lex informatica kann nicht von einer Normenordnung gesprochen werden, da die UDRP-Regeln lediglich eine zentrale Anspruchsnorm beinhalten. 5. Die Normen der lex informatica sind nicht eigenständig entwickelt; vielmehr soll dadurch lediglich das internationale common core des Markenrechtsschutzes in einer für das Internet adäquaten Weise durchgesetzt werden. 6. Eine eigenständige Weiterentwicklung der lex informatica ist trotz diesbezüglich günstiger Voraussetzungen aufgrund der Parallelität zu den staatlichen Gerichtsverfahren unwahrscheinlich. 7. Die lex sportiva bildet eine transnationale Normenordnung, der Wertungen zugrunde liegen, die in gleicher Weise in staatlichen Rechtsordnungen nicht vorhanden sind. 8. Der CAS hält sich an die ihm durch die Satzungen der Sportverbände eingeräumten Befugnisse und betreibt deswegen keine eigenständige Weiterentwicklung der lex sportiva. 9. Die lex sportiva ist in einem zentralen Regelungsbereich – der Dopingbekämpfung – überfordert und bedarf deswegen der Unterstützung der Nationalstaaten. 10. Die wesentlichen Gemeinsamkeiten der untersuchten leges sind ihre Anwendung durch Schiedsgerichte und der vielfältige staatliche Einfluss, dem sie ausgesetzt sind.
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Thesen
11. Private Normenordnungen entstehen nicht gewissermaßen nebenbei, sondern bedürfen einer einflussreichen Institution im Hintergrund, die Mittel zur Durchsetzung hat. Ansonsten bestehen sie, wie die lex mercatoria, lediglich aus einem losen Gefüge von Billigkeitsregeln. 12. Bei privaten Normenordnungen handelt es sich zum Teil um Übergangserscheinungen, die nach einer Weile von staatlichem Recht verdrängt werden. Es entstehen in anderen Bereichen jedoch neue private Ordnungen, die wiederum als Platzhalter für das staatliche Recht fungieren können. 13. Das Verhältnis des Staates zu transnationalen Normenordnungen ist vielgestaltig. Zum einen dient der Staat den Normenordnungen als Modell, zum anderen profitiert der Staat von den Normenordnungen. 14. Aus Sicht der Bürger bleibt der Staat auch in Bereichen, die durch transnationale Normenordnungen reguliert werden, Garant ihrer Rechte. 15. Voraussetzungen für die Garantenstellung des Staates ist die Überordnung des staatlichen Rechts gegenüber den transnationalen Normenordnungen, die sich in der Praxis auch regelmäßig beobachten lässt. Fehlt es einmal an einer Hierarchisierung, mangelt es an einem neutralen Entscheidungsmaßstab für den Konflikt, so dass letztlich die soziale Mächtigkeit und keine rechtlichen Erwägungen entscheiden. 16. Die autopoietische Rechtstheorie kann den Rechtscharakter transnationaler Normenordnungen nicht ausreichend begründen, solange man nicht bereit ist, a priori die Notwendigkeit eines Weltrechts anzunehmen. 17. Dauerhaft bestehen private und staatliche Normenordnungen mit- und nebeneinander, wenn hybride Regulierungen erfolgen. Diesem Miteinander nachzugehen erscheint sinnvoller, als einen künstlichen Gegensatz von nationalem und transnationalem Recht anzunehmen. Insbesondere gibt es verschiedene Möglichkeiten, transnationale Normen in das staatliche Recht zu integrieren. 18. Transnationale Normenordnungen können einen gewissen Grad an Unabhängigkeit beibehalten, wenn sie tatsächlich wirksam sind und ähnlich gerechtfertigt erscheinen wie staatliches Recht. Für die Bestimmung des Vorliegens der zweiten Voraussetzungen können die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit fruchtbar gemacht werden. 19. Wenn man davon ausgeht, dass transnationale Normenordnungen in jedem Fall in der Normenhierarchie unterhalb des einfachen staatlichen Rechts einzuordnen sind, verliert die Frage nach ihrem Rechtscharakter die entscheidende Bedeutung. In der Praxis sind die funktionierenden Normenordnungen auch ohne die Annahme eines Rechtscharakters wirksam, da dieses gerade Voraussetzung dafür ist, dass man überhaupt den Rechtscharakter annehmen könnte. 20. Private Normenordnungen bilden gegenwärtig kein transnationales Recht. Es existiert somit kein transnationales Recht als eigenständige dritte Art von Recht.
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Anhang Anhang In der folgende Liste sind die in der CENTRAL-Liste enthaltenden Prinzipien kurz skizziert, damit sich der Leser ohne weiteren Aufwand einen ersten Eindruck von dem Umfang und Inhalt dieser Liste machen kann. Es wird jedoch nicht der komplette Wortlaut der Prinzipien wiedergegeben. Die zusätzliche Konsultierung der CENTRAL-Liste unter http://www.tldb. net ist somit unerlässlich, sofern man sich mit einzelnen Prinzipien vertieft auseinander setzen möchte. Zusätzlich werden dort weiterführende Hinweise für die Anwendung der Prinzipien gegeben. Grundsätzlich lässt sich allerdings feststellen, dass die Regeln nur im Ausnahmefall von den entsprechenden Normen der deutschen Rechtsordnung abweichen.
CENTRAL-Liste I
Allgemeine Prinzipien
I.1
Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben und der Fairness.
I.2
Pflicht zum angemessenen und vernünftigen Verhalten.
I.3
Bindung an die üblichen Handelsbräuche.
I.4
Keine Vorteile aus unrechtmäßigem Verhalten.
I.5
Nur eigene Rechte können übertragen werden.
I.6
Keine Klage aus verwirkten Rechten.
I.7
Verbot des widersprüchlichen Verhaltens.
I.8
Keine Schadensansprüche bei Einwilligung in die Handlung.
I.9
Vermutung der beruflichen Kompetenz der Vertragsschließenden.
I.10
Das spezielle Gesetz verdrängt das allgemeine.
II
Stellvertretung
II.1
Grundsatz der Stellvertretung.
II.2
Gruppenvertretung.
II.3
Vertreter ohne Vertretungsmacht.
II.4
Anscheinsvollmacht.
II.5
Die Kenntnis des Vertreters wird dem Vertretenen zugerechnet.
II.6
Umfang der Vertretungsmöglichkeiten.
II.7
Vertretungsmacht des generellen Stellvertreters.
Anhang
262 III
Aufrechnung und Abtretung
III.1
Möglichkeit der Aufrechnung.
III.2
Möglichkeit der Abtretung.
IV
Vertrag
IV.1
Allgemeine Prinzipien
IV.1.1
Vertragsfreiheit.
IV.1.2 Pacta sunt servanda. IV.2
Vertragsschluss
IV.2.1 Konsensprinzip. IV.2.2 „Qualifiziertes Schweigen“ gilt als Zustimmung. IV.2.3 Ein Staat kann seine vertraglichen Verpflichtungen nicht unter Berufung auf seine Souveränität oder internes Recht negieren. IV.2.4 Erlöschen des Angebots durch Zeitablauf, Ablehnung oder Tod. IV.2.5 Modifizierte Annahme als Zurückweisung und Gegenangebot. IV.3
Formvorschriften
IV.3.1 Grundsatz der Formfreiheit. IV.4
Auslegung der Willenserklärungen
IV.4.1 Primäre Auslegung nach Parteiwillen. IV.4.2 Geltungsbegünstigende Auslegung in Zweifelsfällen. IV.4.3 Auslegung zu Ungunsten der die Klausel einführenden Partei. IV.4.4 Kontextbezogene Auslegung. IV.4.5 Rechten und Pfichten unter FOB, FAS, CIF und CF. IV.5
Vertragliche Verpflichtungen
IV.5.1 Nachträgliche Preisfestlegung. IV.5.2 Preisfestlegung durch einen Dritten. IV.5.3 Keine Verträge zu Lasten Dritter. IV.5.4 Vornahme der Leistung nach bestem Bemühen. IV.5.5 Grundsätzlich strikte Fristbeachtung. IV.5.6 Fristverlängerung bei Feiertagen.
Anhang IV.5.7 Pflicht zur Neuverhandlung bei veränderten Umständen. IV.5.8 Pflicht zur Kooperation. IV.5.9 Regelungen zur aufschiebene und aufhebene Bedingung. IV.5.10 Schuldnermehrheit (Gesamtschuldner und Teilschuldner). IV.5.11 Gläubigermehrheit (Gesamtgläubigern und Teilgläubigern). IV.6
Nichtigkeit des Vertrages
IV.6.1 Nichtigkeit bei Verstoß gegen die guten Sitten. IV.6.2 Nichtigkeit bei Bestechung. IV.6.3 Nichtigkeit wegen Irrtums. IV.7
Vorvertragliche Haftung
IV.7.1
Vorvertragliche Haftung.
IV.8
Verjährung
IV.8.1 Grundsatz der Verjährung von Forderungen. V
Leistung
V.1
Grundsatz der gleichzeitigen Leistungserbringung.
VI
Nicht-Leistung
VI.1
Möglichkeit der Vertragsbeendigung bei Nichtleistung.
VI.2
Rüge von Sachmängeln innerhalb von 2 Jahren.
VI.3
Regelung zur höheren Gewalt.
VI.4
Vertragsstrafe.
VI.5
Möglichkeit der Vertragsbeendigung bei fehlender Leistungsbereitschaft.
VII
Schadensersatz
VII.1
Schadensersatzanspruch bei Vertragsverletzungen.
VII.2
Begrenzung der Schadensersatzforderungen auf vorhersehbare Schäden.
VII.3.1 Begrenzung des Schadensersatzes auf den eingetretenen Verlust. VII.3.2 Berechnung des Profitverlustes. VII.4
Pflicht zur Schadensminderung.
VII.5
Haftung für eingeholte Rechtsgutachten.
263
Anhang
264 VIII
Hardship
VIII.1 Wegfall der Geschäftsgrundlage. IX
Zahlung und unterlassene Zahlung von Geldschulden
IX.1
Grundsatz der Zahlung in der Währung des Zahlungsortes.
IX.2
Regelungen zur Umrechnung von Geldschulden.
IX.3
Nominalwertprinzip.
IX.4
Regelungen zur Verteilung des Währungsrisikos.
IX.5
Grundsätzliche Pflicht zur Verzinsung.
IX.6
Zulässigkeit voon Zinseszinsen.
IX.7
Zahlung mit Kreditbrief.
X
Ungrechtfertigte Bereicherung
X.1
Ungerechtfertigte Bereicherung.
X.2
Ausschluss der Rückforderung bei Kenntnis der Rechtswidrigkeit.
XI
Gesellschaften
XI.1
Anerkenntnis der Existenz ausländischer juristischer Gesellschaften.
XI.2
Grundsatz der Durchgriffshaftung im Gesellschaftsrecht.
XI.3
Haftungskontinuität bei gesellschaftlichen de-facto Sukzession.
XI.4
Haftung der Gründer für Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft.
XII
Enteignung
XII.1
Regelungen zu Enteignungsentschädigungen.
XIII
Beweismittel
XIII.1 Prinzip der Beweislastverteilung. XIII.2 Möglichkeit des Beweises durch moderne Telekommunikatinsmittel. XIII.3 Zulässigkeit des Anscheinsbeweises. XIII.4 „Ohne Vorbehalt“ Privileg. XIII.5 Privilegierung des Anwalt-Klient-Verhältnisses. XIII.6 Res ipsa loquitur.
Anhang XIV
265
Schiedsgerichtsbarkeit
XIV.1 Trennung der Wirksamkeit von Vertrag und Schiedsklausel. XIV.2 Keine Aussetzung der Arbitrage bei Bankrott. XV
Internationales Privatrecht
XV.1
Kollisionsrechtliche Anknüpfung aufgrund der engsten Verbindung.
XV.2
Regeln zur Bestimmung der Gültigkeit des Vertrages.
XV.3
Anwendbares Recht auf eine Schiedsvereinbarung.
Entfallene Prinzipien: – Bei Falschbezeichung gilt das tatsächlich Gewollte (aber vgl. Prinzip IV.4.4). – Möglichkeit der alternativen kollisionsrechtlichen Anknüpfung zum Zwecke der Begünstigung bestimmter materieller Ereignisse. – Grundsatz der Unwandelbarkeit des Vertragsstatuts. – Bei fehlender Preisangabe gilt der übliche Preis.
Sachverzeichnis abusive registration 121 Akzeptanz privater Normenordnungen 186, 206, 234 f., 239 Athletenrechte 141 ff., 148 Autonomie, überwachte 205 ff. autopoietische Rechtstheorie 36 ff., 205, 223, 225 ff., 230 f., 246 Avatar 191, 193 ff., 199 ff. Berner Union 61 f., 64 Bilanzierungsrichtlinien 27 f., 223 Billigkeit 67 f., 87 ff., 93, 99, 103, 162, 178, 180, 228 f., 246 bona fides siehe Treu und Glauben CAS 133 ff., 153 ff., 187 f., 203, 216, 229, 237, 245 – Aufbau 135 f. – Entscheidungen 136 ff. – Entwicklung 134 f. – Verfahren 136 – Zuständigkeit 133 f. CENTRAL-Liste 86, 96, 103, 168 f., 178, 208, 262 ff. close-knit-Gemeinschaften 63 ff., 113, 205 f., 243 codex alimentarius 32, 233 common core 51, 83, 119, 121, 158 f., 169, 245 Common Law 68, 70, 74, 232, Cyber Law siehe lex informatica Cyberspace 32, 105 f., 110 ff., 202, 242 Cybersquatting 116, 122, 128, 158 Dekolonisierung 77, 179, 212 Delegation an privater Normenordnungen 31, 233 f. Dokumentenakkreditive 61, 175 Domainnamensystem 107 ff., 114 Doping 58, 131, 134 f., 140 ff., 151 ff., 183 ff., 207 f., 212, 214 f., 218, 237 f., 245
Durchsetzungskosten 59 f., 108 end game situation 55 ff., 202 ERA 57, 82 Erwartungssicherheit siehe Rechtssicherheit EuGH 149 ff., 187, 220 EULA 199 f., 203 Europäische Union 28 f., 149 ff. ex aequo et bono siehe Billigkeit Expertenrecht 30 ff. Exportkreditversicherungen 61 f., 64 funktionelle Äquivalenz 46, 50 Funktionelle Rechtsvergleichung 26, 47, 86, 99 Garantenstellung des Staates 212 ff., 221 f., 240, 246 Gemeinwohl 31, 214 f., 240 Gewohnheitsrecht 29, 36 f., 45, 61, 81 f., 168 Global Governance 22, 48 ff., 222, 242 Globale Bukowina 36 ff., 224 f. Globalisierung 21 ff., 36, 41, 101, 169 f., 205 f., 223 Grenzen des Rechts 170 f. grenzüberschreitend wirkendes Recht 25 f., 28, 33 Griefing 193, 198 Handelsbräuche 25, 47, 67 f., 72 f., 77, 79 81 ff., 92, 172, 175 ff., 223 hybride Normenordnungen 64, 163, 205, 210, 233, 242, 246 ICANN 115 ff., 126 f., 158, 160, 182, 207, 210, 214, 233, 241 ICC 61 ff., 82, 89, 95 f., 159, 166, 175 INCOTERMS 82 Inklusion privater Normenordnungen 232 f. Institutionalisierte Normenordnungen 40, 44, 53, 161, 236
Sachverzeichnis Integration privater Normenordnungen 229, 231 ff., 242 Internationales Privatrecht 27, 32, 46, 71, 79, 92, 96, 109, 112 f., 157, 172, 174, 177, 187, 236 Internationales Recht 21, 25 ff., 29 ff., 62 ff., 92 f.,102 f., 127, 158 ff., 181, 219 f., 240 Internet 32, 65, 75, 104 ff., 157 ff., 181 ff., 190 f., 195 ff., 202 ff., 211 ff. – Governance 104, 110 ff., 130, 182, 244 – Regulierung 108 ff., 181 ff., 196, 202, 221 ff., 233 ff., 245 – Struktur 104 ff., IOC 131 ff. 140 ff., 153 ff., 189, 214, 216, 218, 221, 235, 237 Jurispersuasion 219, 234 Konstitutionalisierung 219, 225, 228, 232, 242 Kosmopolitisches Recht 29 f., 33 Law Firms 27 f. law merchant 67, 70 legal lag 211 Legitimation 28, 40, 215, 240 – demokratische 214, 220, 230 lex digitalis siehe lex informatica lex informatica 23, 32, 45, 65, 104 ff., 157 ff., 206, 208, 235, 243, 245 – Bedeutung 119, 158 – Code 106 – Durchsetzung 126, 160 – Einbeziehung 119, 158 – Einfluss, staatlicher 126, 160 – Entstehung 118 – Gehalt, materieller 121 ff., 159 – Quellen 118, 158 – UDRP, siehe dort – Verfahren 120, 159 – Zweck 157 Lex mercatoria 23, 32, 34 ff., 37, 41, 45 ff., 52, 65 ff., 111, 122, 157 ff., 165 ff., 186 f. 201 f., 208 ff., 224, 226 ff., 232, 235 f., 241 ff., 245 f. – Anationalität 99 f. – Begriffsverständnis 76 ff. – Diskussionsstand 75 ff.
267
– Durchsetzung 100 ff., 160, 186 – Einbeziehung 87, 158 – Einfluss, staatlicher 102, 160 – Entwicklungspotential 165 ff. – Gehalt, materieller 96 ff. – historischer Hintergrund 66 ff. – Methode 177 – Quellen 80 ff. – Rechtfertigung 179 – Relevanz, praktische 90 ff. – Treu und Glauben 98 – Unbestimmtheit 97 – Unterstützung 166 – Verfahren 95 – Zweck 157 Lex sportiva 23, 32, 65, 129 ff., 157 ff., 188, 206, 218, 222, 229, 234 ff., 241, 243 f., 245 – Bedeutung, 132, 158 – Durchsetzung 148 f., 160 – Einbeziehung 131 ff., 158 – Einfluss, staatlicher 149 ff., 160 – Gehalt, materieller 136 ff., 159 – Quellen 130 – Verfahren 133 ff. Listen 86 f. – CENTRAL siehe CENTRAL-Liste – Probleme 168 ff. Markenrechtsschutz 115 f., 119 ff., 128, 158 f., 245 Meinungsfreiheit 105, 124, 128 Mikrogesellschaften 51 ff., 61, 100 f. moralische Rechtsbegründung 47, 174 Naturrecht 35, 40, 47 f., 69, 74, 77, 92, 172, 221 Netzwerke 219, 222 – Internet 106 ff., 183 – soziale 55 ff., 60, 175 new world order 22, 207, 219 New Yorker UN-Übereinkommen 87, 102, 136, 160, 166, 216 NGO 27, 29 f., ökonomische Analyse des Rechts 52, 173 Olympische Charta 129, 131, 136, 140, 144, 156
268
Sachverzeichnis
ordre public 88, 100, 102, 126, 154, 160, 216 ff., 238 pacta sunt servanda 35, 98 f. paralegale Normenordnungen 60, 243 persuasive authority 85 praxisnahe Regeln 80, 168 ff, 174 ff. private Normenordnungen 21, 57, 59, 63, 87 ff., 104, 175, 204, 207 f., 211, 214 ff., 232 ff., 241 ff., 246 – anationale 50, 77, 80, 88, 92, 99, 172, 179, 186, 206, – Entstehungsvoraussetzungen 58 ff. – lokale 51 ff. – semi-autonome 37, 161, 204, 206 private ordering 51, 63 Privatkodifikationen 82 ff., 86 f., 97 – Lando-Prinzipien 78, 82 f., 169 – UNIDROIT Priniciples 78, 82 f., 169, Rechtsanerkennungsmonopol 34, 233, 241 Rechtsentstehung 26, 63, 81, 217, 225 – durch Vertrag 42 ff., 225 – spontan 43 f., 224, 240 Rechtspluralismus 36 f., 240 – globaler 37, 41 f., 224, 228 f. Rechtsprinzipien 33, 71, 77, 80 f., 91 ff., 97 ff., 114, 124, 131, 156, 167, 220, Rechtssicherheit 38, 59, 84, 162, 170 ff., 203, 226 ff., 235, 243 Rechtsstaatlichkeit 30, 48, 143, 154, 183 ff., 209, 213, 236 ff., 242, 246 regulatory choice 210 f. regulierte Selbstregulierung 235 Reputation 53 ff., 60, 85, 100 f., 175, 194 – Ausschlussdrohung 54 – Informationsweitergabe 53 – soziales Netzwerk 55 ff. Richterrecht 44, 174, 243 Rom-I-Verordnung 186 f., 241 Rule of Law siehe Rechtsstaatlichkeit Sanktionen 31, 42, 55, 59 f., 92, 142, 145 ff., 175, 213 – sozialökonomische 33, 92, 175 Schiedsgerichtsbarkeit 43 ff., 53 ff., 77 ff., 84 ff., 91 ff., 100 ff., 121 f., 125 ff., 130 ff., 140, 153 f., 158 f., 161, 163 ff., 167 ff.,
175 ff., 187 f., 203 f., 208 ff., 226 ff., 241, 245 – Reform 167 Schweizerisches Bundesgericht 134 f., 153 f., 187 f., 209, 213 Second Life 190 ff. soft law 29, 32, 62 spontane Normenordnungen 43 f., 53, 60, 64, 68, 109, 163, 169, 215, 224 Staat 21 f., 28, 32 ff., 48, 52, 63, 89, 92, 100, 103 f., 107, 109 ff., 127, 129, 149, 160, 176, 181 ff., 198, 207 ff., 231 ff., 240 f., 246 – Bedeutung 217 ff, 222 f. – Verhältnis zu privaten Normenordnungen 207 ff. – Wandel 223 Standards 27 ff. – ideelle 29 f. – technische 30 ff., 109 Standardverträge 82 state contracts 77, 92 f., 99, 180 strict liability 146, 185 ff. supranationales Recht 24 ff., 28 f., 215, 219 Systemtheorie 37 ff., 170, 219, 231 – binäre Codierung 38 f., 42 ff., 225 ff., 236 Territorialität des Privatrechts 174 transnationale Normenordnungen 34, 49 ff., 164 ff., 223 ff., 231 ff. – Grenzen 206 – institutioneller Hintergrund 61 ff., 204 – Konflikte 189 – Rationalitäten 214 transnationales Recht 23 ff., 48, 49 ff., 77, 115, 163 f., 178, 229, 231, 233, 240 ff., 246 – Erscheinungsformen 27 ff. – Ursprung des Begriffs 24 – Verwendung in Deutschland 25 ff. transnationalisiertes Recht 27 f., 33, 189 Treu und Glauben 97 ff., 103 f., 159, 162, 170, 202 f., 245 UDRP 115 ff., 159 f., 163, 182 f., 208, 245 – Einbeziehung, vertragliche 119 – Entstehung 118 – Gehalt, materieller 121 ff. Verbandsautonomie 139, 147
Sachverzeichnis Verbandshierarchie 130 ff., 140, 148 Vergesetzlichung 48, 64, 181 ff., 215, Verhältnismäßigkeit 139, 145 f., 152 f., 214, 237 Verrechtlichung 48 ff., 53, 162, 167, 170, 209, 214 f., 222, 225, 228 f., 236 f. Virtual Reality siehe virtuelle Welten virtuelle Welten 190 ff., 243, – Handel 198 f. – Kriminalität 199 f.
269
virtuelles Eigentum 194 ff. Völkerrecht siehe Internationales Recht WADA-Code 131, 134, 209 Weltrecht 205, 223, 230, 246 Weltstaat 32, 41, 174, 205, 210, 227, 242 Wettbewerb der Rechtsordnungen 27, 172 WIPO 118 ff., 122, 158, 182 WTO 29 f., 32, 62, 101