220 92 63MB
German Pages 1070 [1072] Year 1988
Prinzipien der Chemie 2. Auflage
Dickerson • Gray Darensbourg • Darensbourg
Prinzipien der Chemie 2., bearbeitete und erweiterte Auflage
übersetzt und bearbeitet von Hans-Werner Sichting
W DE
G Walter de Gruyter • Berlin · New York 1988
Titel der Originalausgabe Chemical Principles Fourth Edition The Benjamin/Cummings Publishing Company, Inc. Menlo Park, California Reading, Massachusetts Copyright © 1970, 1974, 1979, and 1984 by The Benjamin/Cummings Publishing Company, Inc. Autoren der Originalausgabe Richard E. Dickerson University of California, Los Angeles Harry B. Gray California Institute of Technology Marcetta Y. Darensbourg Texas A & M University Donald J. Darensbourg Texas A & M University Übersetzung und Bearbeitung Dr.-Ing. Hans-Werner Sichting Technische Universität Berlin
Das Buch enthält zahlreiche Abbildungen und Tabellen.
CIP-Titelaufnahme
der Deutschen Bibliothek
Prinzipien der Chemie / Dickerson ... Übers, u. bearb. von Hans-Werner Sichting. - 2., bearb. u. erw. Aufl. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1988 Einheitssacht.: Chemical principles • Nitrat (V) Nitrit Nitrat (III) Sulfat Sulfat (VI) Sulfit Sulfat (IV) Arsenat —• Arsenat (V) Arsenit —> Arsenat (III) Die letztere Nomenklatur weist gegenüber der älteren einige leicht erkennbare Vorteile auf: Einmal stimmt sie mit der bei Metallionen verwendeten überein, und zum anderen erkennt man nicht nur sofort, welches die höhere Oxidationsstufe ist, sondern auch wie hoch sie ist. Insbesondere bewährt sie sich beim Auftreten von mehr als zwei Oxidationsstufen. (Avogadro, Dalton und Arrhenius hatten es vergleichsweise leicht, ihre Theorien
102
3 Materie mit elektrischer Ladung
Tabelle 3 - 4
Einige häufig vorkommende Komplexionen
[CU(NH 3 ) 4 ] 2+ , [CO(NH 3 ) 6 ] 3 ^ [Fe(CN) 6 ] 4 ", p o r , NHJ, Ammonium- TetraamminHexaammin- Hexacyano- Phosphatcobalt (III)ferrat(II)kupfer(II)AsO|", [Ag(NH3)2] + Arsenatuor, DiamminUranylsilber(I)AS0 3 ~ [(CH 3 ) 4 N] + , [Ni(NH 3 ) 6 ] 2 4 ArsenitTetramethyl- HexaamminΒΟΓ, ammonium nickel(II)BoratNO + , [Fe(CN) 6 ] 3 NitrosylHexacyanoNOJ, ferrat(III)Nitryl-
cor,
Hcr
Carbonat-
Hydroxid-
sor,
NOI, Nitrat-
Sulfat-
sor, Sulfit-
CrOr, Chromat-
Cr2Or,
NO,, NitritBFZ, Fluoroborat-
Dichromat-
CN~, Cyanid-
c2or,
cio~,
Oxalat-
Hypochlorit-
s2oi-,
CIO,, Chlorit-
Thiosulfat-
[PtCl4]2ClOI, Tetrachloro- Chloratplatinat(II)-
cio;,
Perchlorat[PtCl 6 ] 2 -, Hexachloro- R r O platinat(IV)BromatIO;, IodatMnO;, PermanganatSCN", ThiocyanatC2H3O2, Acetat-
n,
Triiodid-
durchzusetzen; das Durchsetzen einer neuen, rationaleren Nomenklatur ist weitaus schwieriger: Eine Theorie zwingt durch den Druck ihrer Ergebnisse zum Umdenken, eine neue, einfachere und übersichtlichere Nomenklatur erleichtert dagegen ,nur' Nichtfachleuten und Studenten das Kennenlernen des jeweiligen Gebiets und zwingt die Fachleute ,nur' zur Aufgabe liebgewonnener Gewohnheiten.) Wenn ein Zentralatom von mehreren Atomen umgeben ist, bezeichnet man die Anzahl der umgebenden Atome als Koordinationszahl des betreffenden Zentralatoms. Der dabei wichtigste Faktor ist die Größe des Zentralatoms. Der Stickstoff im Nitration, NO3 , hat nur Platz für drei Sauerstoffatome um sich herum und besitzt infolgedessen
3 - 2 Die Arrheniussche Theorie der Ionisation Trigonal planar
/ / /
O·^
C> /,\ / i \
B
103
Trigonal pyramidal Ν H 0,31 0,28
0,70 0,52 0,49 0,44
0,98 0,74 c) 0,68 0,62
1,09 0,82 d) 0,76 0,69
1,24 0,93 0,87 0,78
e)
" D i e Größen in Klammern sind die Ionenradien in 10~ 10 m. Alle Strukturen sind vom NaCl-Typ; Ausnahmen sind angegeben. bl NaCl-Struktur, aber die Anionen berühren sich, wodurch die Kristallstruktur geschwächt wird. 01 CsCl-Struktur oberhalb eines Druckes von 20000 bar. dl CsCl-Struktur oberhalb eines Druckes von 5000 bar. " CsCl-Struktur.
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3-7 Ionen in Festkörpern
H 0,37 •
\ ;
. ο
Ο
/ ι ν \
Li/Li+
Be/Be2+
Β/Β3+
1,35/0,60
0,90/0,31
0,80/0,20
\ ι
y
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x
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I
I
.. v ^ J r
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I
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C
Ν/Ν 3 "
O/O2"
0,77
0,70/1,71
0,66/1,40
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F/F"
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Si
pTp3-
S/S2~
1,54/0,95
1,30/0,65
1,25/0,50
1,17
1,10/2 12
1,04/1,84
Cl/Cr 0,99/1,81
Νs
ι *
ι
0,64/1,36 \
Mg/Mg2+
'
\ J ι
/-'"""Ν \
Na/Na+
!
/ I
ι y
ι
ι '
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s
\
ι ν \
^^ •
κ/κ+
Br/Br"
1,96/1,33
1,14/1,95
/
I
'
ι Vs
Ν\
\
/J
ι
Rb/Rb+ 2,11/1,48
/
/
I
I
\
\
s
I/r 1,33/2,16
Abbildung 3 - 1 6 Relative Atomradien einiger Elemente im Vergleich zu den entsprechenden Ionen mit abgeschlossener Elektronenschale (Edelgaskonfiguration). Die Zahlenwerte der Radien sind in 1 0 " 1 0 m angegeben. Die farbigen Kugeln stellen die Atome und die gestrichelten Kreise die Ionen dar. Beachten Sie, daß positive Ionen kleiner als ihre neutralen Atome sind, während bei den negativen Ionen die Verhältnisse umgekehrt sind. Warum ist das so?
Das Caesium-Kation ist so groß, daß sich mehr als sechs Anionen, ohne sich zu berühren, um es herum gruppieren können. Caesiumhalogenide besitzen daher normalerweise die kubisch raumzentrierte Struktur, die in Abbildung 3-19 dargestellt ist. Ihre Koordinationszahl ist 8. Die Rubidiumhalogenide (mit Ausnahme von RbF) können dazu gebracht werden, bei Drücken von mehr als 5000 bar in diese CsCl-Struktur überzugehen, und oberhalb von 20000 bar nehmen selbst die Kaliumhalogenide diese Struktur an. Diese Achter-Koordination ohne sich berührende Anionen ist bei Verbindungen möglich, deren Radienverhältnisse größer als 0,732 sind (Abbildung 3-17 d). Die meisten Erdalkali-Kationen verbinden sich mit zweiwertigen Anionen in der NaCl-Struktur (Tabelle 3-11). Für ein sehr kleines Kation wie das Be 2 + ist jedoch die Sechser-Koordination der NaCl-Struktur nicht möglich, und die Koordinationszahl sinkt auf 4 ab. Für BeS, BeSe und BeTe ergibt sich damit die in Abbildung 3-20 gezeigte
126
3 Materie mit elektrischer Ladung
(c)
(d)
Abbildung 3-17 Radienverhältnisse und Packung im Kristall, (a) Bei der trigonalen Packung berühren sich die gleichgeladenen Anionen, wenn, wie hier gezeigt, das Verhältnis des Radius des Kations, c, zu dem des Anions, a, kleiner oder gleich (2/j/3) — 1 =0,155 ist. Dies ist eine prinzipiell instabile Sachlage, (b) Ein Ion in einer Tetraederlücke kann seine Nachbarionen nicht auseinanderhalten, wenn sein Radiusverhältnis, c/a, nicht größer oder gleich |/3/2 — 1 = 0,225 ist. (c) Das kleinste Radienverhältnis für ein Ion in einer Oktaederlücke beträgt c/a = ]/l — 1 = 0,414. (d) Die Ionen an den Ecken eines einfachen Würfels werden sich berühren, wenn das entgegengesetzt geladene Ion im Mittelpunkt des Würfels nicht ein Radienverhältnis von j / 3 — 1 = 0,732 oder größer aufweist.
3-7 Ionen in Festkörpern
127
Tabelle 3-11 Radienverhältnisse in Ionenkristallen des K 2 + A 2 -Typs"' Anion
O2" S2" Se 2 " Te2 -
(1,40) (1,84) (1,98) (2,21)
Kation Be2 + (0,31) 0,22 b) 0,17 c) 0,15 0,14
Mg 2 + (0,65)
Ca 2 + (0,99)
Sr 2 + (1,13)
Ba 2 + (1,35)
0,46 0,35 0,33
0,71 0,54 0,50 0,45
0,81 0,61 0,57 0,51
0,97 0,73 0,68 0,61
a)
Die Größen in Klammern sind die Ionenradien in 1 0 ~ l o m . Alle Strukturen sind vom NaCl-Typ; Ausnahmen sind angegeben. w cl ß-ZnS- oder Wurtzit-Struktur. a-ZnS- oder Sphalerit-Struktur.
I Li+
Na+
K+
Rb +
Cs+
Abbildung 3-18 Die Kristallstrukturen der Lithiumhalogenide werden durch die starke Annäherung der Anionen um das kleine Kation herum geschwächt, und diese Schwächung zeigt sich in den anomal niedrigen Schmelzpunkten dieser Verbindungen. Beachten Sie, daß diese Schwächung auch schon beim Nal zu erscheinen beginnt, da das Iodidion relativ zum Natriumion so groß ist.
Struktur. In diesem Fall besitzen die Anionen ein ccp-Gitter, während die Kationen symmetrisch die Hälfte der Tetraederlücken besetzen. Diese Struktur ist als a-ZnSStruktur bekannt. BeO kristallisiert in einer damit nahe verwandten ß-ZnS-Struktur, die ebenfalls die Koordinationszahl 4 aufweist, bei der aber die Tetraeder anders angeordnet sind.
128
3 Materie mit elektrischer Ladung
Wir können gewöhnlich die Struktur komplexerer, kristalliner Salze und Mineralien mit Hilfe dieser einfachen Strukturen und dem Modell des Packens von Kugeln verstehen (Sauerstoffatome in vielen Mineralien), wobei kleine Kationen auf den Zwischengitterplätzen eingebaut werden. Viele physikalische Eigenschaften von Mineralien wie Talk, Asbest, Glimmer und Quarz hängen auf eine besonders einfache Art von ihrer Kristallstruktur ab. Diese Mineralien liefern uns klare Beispiele dafür, wie die Struktur die Eigenschaften bestimmt. Wir werden in Kapitel 14 noch einmal kurz auf die Struktur von Festkörpern zurückkommen. In einer anderen Hinsicht ist die Kristallstruktur für uns noch von unmittelbarer Bedeutung: Sie ermöglicht uns nämlich, die Avogadrosche Konstante auf eine neue Weise zu berechnen. Bei einem der zuverlässigsten Verfahren zur Bestimmung der Avogadroschen Konstante, NA, benötigen wir nur die Molmasse eines Salzes sowie seine gemessene Dichte und die interatomaren Abstände im Kristall, die sich aus einem Röntgenbeugungsbild ermitteln lassen. Beispiel: Die Dichte von kristallinem NaCl beträgt 2,169 g c m - 3 . Aus der Röntgenbeugungsanalyse wissen wir, daß NaCl die Struktur aus Abbildung 3 - 1 5 besitzt und daß der Abstand von einem N a + bis zum nächsten entlang einer Kante des Würfels 5,64 χ 1 0 " 1 0 m beträgt. Berechnen Sie daraus die Avogadrosche Konstante. Lösung: Das Volumen der in Abbildung 3-15 gezeigten kubischen Elementarzelle ist gegeben durch V = (5,64 χ l ( T 1 0 m ) 3 = 179,1 χ I O - 3 0 m 3 Wie aus der Abbildung zu ersehen ist, enthält die Zelle vier Natriumionen und vier Chlorionen. Dies mag etwas schwer zu verstehen sein, da Sie offensichtlich 14 Natriumionen und 13 Chlorionen zählen können. Jedoch gehören nicht alle Ionen nur der ge-
Abbildung 3 - 1 9 Die Struktur des Caesiumchlorids, CsCl. Die grauen Kreise stellen Cs + -Ionen dar und die farbigen Kreise CP-Ionen (oder umgekehrt). Um die Gleichwertigkeit der Cs + - und Cl~Punktlagen zu erkennen, müssen Sie sich die Struktur in allen drei Dimensionen endlos fortgesetzt vorstellen. Wenn die Cs + - und die Cl"-Punktlagen von gleichen Atomen besetzt wären, dann würde dies eine kubisch raumzentrierte Struktur (bcc) darstellen. In der CsCl-Struktur besitzen sowohl das Kation als auch das Anion die Koordinationszahl acht.
3-7 Ionen in Festkörpern
129
zeigten Elementarzelle an, sondern jedes der Natriumionen in den Flächenmitten teilt sich auf zwei benachbarte kubische Elementarzellen auf, die an dieser Fläche zusammenstoßen, und somit kann nur die Hälfte eines jeden dieser Ionen zu der dargestellten Zelle gezählt werden. Die sechs Flächen der Elementarzelle enthalten dann also sechs halbe oder drei ganze N a t i o n e n , die zu dieser Zelle gehören. Auf ähnliche Weise teilen sich die acht Natriumionen an den Ecken des Würfels auf die acht Elementarzellen auf, die an einer jeden Ecke zusammentreffen. Dieses macht für die von uns betrachtete Elementarzelle noch einmal acht achtel oder ein ganzes Natriumion aus, so daß wir auf eine Gesamtzahl von vier Na + pro Elementarzelle kommen. Die zwölf viertel oder drei ganzen Chlorionen auf den Mitten der Würfelkanten, bei denen vier Elementarzellen zusammenstoßen, und das eine in der Mitte der Zelle, das nur zu dieser Zelle gehört, machen die vier Chlorionen aus (was aus Gründen der Elektroneutralität des Gesamtkristalls auch der Fall sein muß). Jede Zelle, wie sie in der Abbildung 3 - 1 5 dargestellt ist, enthält daher vier Formeleinheiten NaCl. Das Volumen pro NaCl-Formeleinheit beträgt damit 44,78 χ 10~ 3 0 m 3 , und das Volumen pro Mol ist dann NA χ 44,78 x 1 ( Γ 3 0 m 3 , wobei jVa die Größe ist, die berechnet werden soll. Die Molmasse des NaCl ist gleich 58,45 g mol"
Abbildung 3 - 2 0 Die Struktur einer der beiden Kristallformen des Zinksulfids, Zinkblende oder Sphalerit. Das Zn besetzt die Punktlagen einer ccp-Struktur (graue Kreise), während S (farbige Kreise) die Hälfte der Tetraederlücken in dieser kubisch dichten Packung besetzt. Wieder sind die Gitterplätze einander äquivalent; das Gitter des Sphalerits kann auch so beschrieben werden, daß Zn die Hälfte der Tetraederlücken in einem ccp-Gitter von S-Atomen besetzt. Die Koordinationszahl beider Atomarten ist vier.
(Erinnern Sie sich, daß sich Molmassen und Atommassen aus den Verbindungsverhältnissen mit Wasserstoff ergeben und nicht von einer Kenntnis der Avogadroschen Konstante abhängig sind.) Die Dichte, ρ, eines NaCl-Kristalls beträgt dann β
=
58,45 g m o l - 1 NA x 44,78 x I O - 3 0 m 3
= 2,169 g cm -
3
130
3 Materie mit elektrischer Ladung
und die Avogadrosche Konstante ergibt sich daraus zu —
58,45 g m o r 1 (44,78 χ 10~ 3 0 m 3 ) x (2,169 g c m - 3 )
58,45 mol" 1 ~ 44,78 χ 2,169 χ ΙΟ" 3 0 χ m 3 c m - 3 -
0,6018 mol" 1
~ Ι Ο - 3 0 χ IO6 cm 3 cm" 3 = 0,6018 χ IO24 m o r 1 = 6,018 χ IO23 mol" 1 Die Kristallstrukturen einiger typischer ionischer Festkörper sind in Abbildung 3-21 zusammengefaßt dargestellt. Das Caesiumchlorid kristallisiert in einer Struktur, in der das Kation und das Anion jeweils die Koordinationszahl 8 aufweisen. Zinksulfid kristallisiert in zwei unterschiedlichen Strukturen - in der Zinkblende (Sphalerit-) und in der Wurtzit-Struktur - , in denen das Kation und das Anion jeweils die Koordinationszahl 4 besitzen. Calciumfluorit kristallisiert in der Fluorit-Struktur, bei der das Kation die Koordinationszahl 8 (acht Fluoridionen umgeben jedes Calciumion) und das Anion die Koordinationszahl 4 hat. Eine der kristallinen Formen des Titandioxid ist der Rutil, bei dem die Koordinationszahlen für das Kation 6 und für das Anion 3 betragen.
Schmelz- und Siedepunkte von Salzen Ein Salzkristall stellt eine besonders stabile, ausgewogene Verbindung von positiven und negativen Ladungen dar, wobei jede Ionenart durch Ionen entgegengesetzter Ladung von den anderen gleicher Ladung ferngehalten wird. Das Schmelzen eines Salzes bedeutet das Zerstören dieses fein abgestimmten Ladungsgleichgewichts im Kristallgitter und das Zulassen einer zeitweise stärkeren Annäherung von sich gegenseitig abstoßenden Ionen aneinander, wenn sie sich in der Schmelze aneinander vorbei bewegen. Dieses Zerreißen der Struktur erfordert große Energiemengen, so daß die Schmelzpunkte der Salze höher liegen als die der molekularen Festkörper. Die Schmelzpunkte von zwei Salzen, Natriumchlorid (NaCl) und Kaliumsulfat ( K 2 S 0 4 ) , werden in Tabelle 3 - 1 2 mit denen der Elemente verglichen, aus denen sich diese Salze zusammensetzen. Metallisches Natrium schmilzt bei 97,8 °C, und festes Chlor schmilzt bei —101 °C, aber ihre Verbindung, Natriumchlorid (gewöhnliches Kochsalz), erfordert zum Schmelzen eine Temperatur von 801 °C. Das Sieden oder Verdampfen eines Salzes ist sogar noch schwieriger. Im flüssigen Zustand bleiben die Ionen Ionen, die sich wie in irgendeiner anderen Flüssigkeit aneinander vorbei bewegen; aber bevor die Gasphase erreicht wird, müssen sich die N a + - und C l - - I o n e n zu neutralen NaCl-Molekülen zusammenschließen. Um diesen Zusammenschluß zu erreichen, müssen Elektronen von den C r - I o n e n abgezogen werden, die eine starke Anziehung auf sie ausüben, und den N a + - I o n e n aufgedrängt werden, die sie nicht haben wollen. Die NaCl-Bindung im Natriumchloriddampf ist extrem polar, wobei das bindende Elektronenpaar stark zum Chloratom hin verschoben
3 - 7 I o n e n in F e s t k ö r p e r n
NaCl
131
CsCl
O
Ti
Rutil (Ti0 2 ) Fluorit (CaF 2 )
Zinkblende (kubisches ZnS) Abbildung 3 - 2 1
Wurtzit (hexagonales ZnS)
Einige häufig v o r k o m m e n d e S t r u k t u r e n ionischer F e s t k ö r p e r .
ist, aber die Trennung ist noch nicht so vollständig wie die in N a + - und Cl~-Ionen. Es wird viel Energie benötigt, um Elektronen dahin zu verschieben, wo sie nicht benötigt werden, und um NaCl-Molekiile aus N a + - und Cl~-Ionen zu bilden, so daß hohe Temperaturen erforderlich werden, bevor dies geschehen kann. Daher stammen die hohen Siedepunkte von Salzen im Vergleich zu den molekularen Verbindungen, wie sie in Tabelle 3 - 1 2 dargestellt sind.
132
3 Materie mit elektrischer Ladung
Tabelle 3 - 1 2
Schmelz- und Siedepunkte zweier Salze und der sie aufbauenden Elemente
Substanz
chemische Formel
'schm[0C]a)
Natriummetall Chlorgas Natriumchlorid (Salz)
Na Cl 2 NaCl
97,8 -101,0 801
Kaliummetall Schwefel Sauerstoffgas Kaliumsulfat (Salz)
Κ S
64 119 -218 1069
a>
o2
K2so4
882,9 -34,6 1413 774 445 -183 1689
Der Schmelzpunkt f, chm ist natürlich gleich dem Gefrierpunkt / g : i schm s í g .
Salzschmelzen leiten Elektrizität, und diese Eigenschaft war von großer Bedeutung zu Beginn der Entwicklung von Theorien über die chemische Bindung. Die elektrische Leitfähigkeit von Metallen beruht auf sich frei bewegenden Elektronen; die Metallionen (Atomrümpfe) bleiben dabei fest an ihrem Platz. Kristalline Salze leiten überhaupt keine Elektrizität, aber wenn das Salz geschmolzen wird, dann können sich positive Ionen in einer Richtung durch die Schmelze bewegen, und negative Ionen können sich in entgegengesetzter Richtung bewegen, wenn ein elektrisches Feld an die Schmelze gelegt wird. Diese Beweglichkeit der Ionen ist sogar noch größer, wenn das Salz in Wasser aufgelöst wird und die Ionen infolgedessen hydratisiert sind (siehe Kapitel 3). Die Ionen eines Salzkristalls sind unbeweglich, und die Salzstruktur ist in hohem Maße geordnet. Das Schmelzen eines Salzes oder sein Auflösen in einem polaren Lösungsmittel wie zum Beispiel Wasser stellen zwei verschiedene Methoden dar, die Ordnung innerhalb des Kristalls aufzubrechen und die Ionen beweglich zu machen. Das Auflösen eines Salzes in Wasser bei Zimmertemperatur ist ein übliches, jedem bekanntes Verfahren (siehe dazu Abbildung 3-3), wogegen einem das Schmelzen von Kochsalzkristallen relativ wenig vertraut ist, weil es nur bei hohen Temperaturen durchgeführt werden kann. Der Grund dafür ist, daß die Trennung von entgegengesetzt geladenen Ionen während des Schmelzens eines Salzkristalls große Energiemengen erfordert. Im Gegensatz dazu wird bei der Auflösung eines Salzes in Wasser die Bindungsenergie, die zum Aufbrechen der Ionenbindungen erforderlich ist, durch die Hydratationsenergie kompensiert, die durch die Ausbildung neuer Bindungen zwischen den Ionen und den polaren Wassermolekülen gewonnen wird. Prozesse, die für sich allein äußerst schwer zu verwirklichen sind, sind sehr leicht durchzuführen, wenn ein Energieausgleich erreicht werden kann. Diese Vorstellung eines fein abgestimmten Energiegleichgewichts ist von großer Bedeutung und wird uns in diesem Buch immer wieder begegnen.
3-8 Zusammenfassung
133
3—8 Zusammenfassung Das Vorliegen und die Bedeutung von geladenen Ionen in vielen Lösungen wurde in der Hauptsache durch die Inspiration eines Mannes nachgewiesen, Svante Arrhenius. Manchmal scheinen sich die Ionen erst dann zu bilden, wenn die reine Substanz in einem geeigneten Lösungsmittel, wie z.B. Wasser, aufgelöst wird. Wenn diese Substanzen in reiner Form oder in einem nichtionisierenden Lösungsmittel, wie ζ. B. Benzol, gelöst vorliegen, scheinen diese Substanzen keine Ionen zu sein. Sie besitzen häufig niedrige Schmelz- und Siedepunkte (Essigsäure ist bei 25 °C eine Flüssigkeit und HCl ein Gas) und sind sehr schlechte Elektrizitätsleiter, wenn sie in reiner Form oder in einem Lösungsmittel wie Benzol gelöst vorliegen. Sie können in wäßriger Lösung schwache Elektrolyte sein und sich nur zum Teil ionisieren lassen (wie es bei der Essigsäure der Fall ist), oder sie dissoziieren vollständig als starke Elektrolyte (HCl). In beiden Fällen ist die Ionisierung jedoch eine Folge der Wechselwirkung mit dem Lösungsmittel. Im Gegensatz dazu liegen viele starke Elektrolyte im festen Zustand in der Form von Ionen vor. Die Lösungsmittelmoleküle trennen bei der Lösung bloß die bereits vorliegenden Ionen voneinander. Derartige ionischen Festkörper werden Salze genannt. Es fällt gewöhnlich schwer, sie zu schmelzen (unser Kochsalz, Natriumchlorid, besitzt einen Schmelzpunkt von 800°C und einen Siedepunkt von 1413°C), und sie sind, wenn überhaupt, nur wenig in nichtionisierenden Lösungsmitteln, wie Benzol, löslich. Das Vorliegen von Ionen wird durch die hohe elektrische Leitfähigkeit von Salzschmelzen nachgewiesen. Anders als die Metalle leiten Salze im festen Zustand keine Elektrizität; denn bei ihnen sind die Ionen und nicht die Elektronen die Elektrizitätsträger, und im festen Zustand sind die Ionen in einem Salz in einer festen Struktur gebunden. Die meisten einfachen Verbindungen von Metallen mit Nichtmetallen sind ionische Salze. Wir haben gesehen, daß Atome kleine, relativ lose gebundene Ladungseinheiten enthalten, die Elektronen genannt werden. Sowohl die Masse als auch die Ladung eines Elektrons sind gemessen worden, und es wurden zwei voneinander unabhängige Bestimmungen der Avogadroschen Konstante durchgeführt. Metalle erhalten ihre charakteristischen Eigenschaften auf Grund der losen Bindung zwischen Elektronen und positiven Ionen im Metall, die die Elektronen praktisch frei beweglich läßt. Ein positives Ion wird gebildet, indem ein oder mehrere Elektronen aus dem neutralen Atom entfernt werden, und man erhält ein negatives Ion, wenn ein oder mehrere Elektronen an ein neutrales Atom angelagert werden. In festen Salzen liegen diese Ionen in regelmäßiger Anordnung gepackt vor, wobei das Packungsmuster stark von den relativen Größen der (positiven) Kationen und (negativen) Anionen oder dem Radienverhältnis abhängt. Kurz gesagt, die chemischen Veränderungen scheinen makroskopische Auswirkungen des mikroskopischen Austausche von Elektronen zwischen Atomen zu sein. Eine unserer nächsten Aufgaben wird es sein, nach Regelmäßigkeiten und Mustern des chemischen Verhaltens zu suchen.
Und so vergeht von dem nichts völlig; Was auf unserer Welt erscheint; denn die Natur Baut ein Ding aus des anderen Trümmern; Und duldet die Geburt des einen Nur durch des anderen Tod. Lucretius
4 Die Erhaltung von Masse und Energie: Stöchiometrie Wie wir bereits gesehen haben, geht der Atombegriff auf die griechischen Philosophen zurück. Demokritos (470-360 v.Chr.) schlug vor, daß sich jede Materie aus diskreten, unzerstörbaren Atomen zusammensetzen sollte, daß verschiedene Arten von Atomen unterschiedliche Strukturen haben und unterschiedliches Verhalten zeigen sollten und daß die beobachteten Eigenschaften der Stoffe auf der Art beruhen sollten, in der sich ihre individuellen Atome miteinander verknüpfen und relativ zueinander anordnen. Seine Theorien sind im wesentlichen eine primitive Version des Tatsachenmaterials, das wir Ihnen zu Beginn von Kapitel 1 vorgestellt haben. Warum benutzten die alten Griechen dann nicht die Theorien des Demokritos und führten sie nicht bis zur Entwicklung der Atomenergie weiter? Warum vergingen noch 2000 Jahre, ehe sich die moderne Naturwissenschaft zu entwickeln begann? Die Antwort ist zum großen Teil die, daß die Griechen nicht quantitativ über Atome nachdachten und daß sie keine Experimentatoren waren. Ihre „Naturwissenschaft" war eine philosophische Deutung des Universums und nicht so sehr ein pragmatisches Werkzeug zur Manipulation der Umwelt. Angenehme Klimabedingungen und billige menschliche Arbeitskräfte bewahrten sie vor der Mühe, eine wissenschaftliche Technologie zu entwickeln. Der griechische Naturwissenschaftler Heron von Alexandria erfand verschiedene, durch Dampfdruck angetriebene Mechanismen, die direkt zur Entwicklung der Dampfmaschine hätten führen können, aber er benutzte sie nur als Spielzeuge und zu Überraschungseffekten. Die Atomtheorie des Demokritos blieb steril, weil sie nicht zu quantitativen Voraussagen führte, die durch Experimente geprüft werden konnten. Sie entwickelte sich nicht über die abstrakten Begriffe hinaus, weil sie keine Rückkopplung zu erfolgreichen und mißlungenen Experimenten in der realen Welt hatte, die die Theorie herausfordern und verbessern konnten. Eine naturwissenschaftliche Theorie muß, wenn sie sich als nützlich erweisen möchte, eine quantitative Theorie sein. Sie muß voraussagen können: „Wenn ich dies mache, dann wird das passieren, und zwar in einem Umfang, den ich vorab berechnen kann!" Eine solche Voraussage kann geprüft werden. Man kann feststellen, ob sie richtig war, was unser Vertrauen in die hinter dieser Voraussage stehende Theorie
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4 Die Erhaltung von Masse und Energie: Stöchiometrie
erhöht, oder die Voraussage erweist sich als nicht richtig, was häufig von größerer Bedeutung ist, und zwingt uns dazu, die Theorie zu überarbeiten und zu verbessern. Naturwissenschaftliche Theorien wachsen durch ständiges Einreißen und Wiederaufbauen. Eine Theorie, die nichts voraussagt, das möglicherweise in einem Experiment nachgeprüft werden kann, vermittelt keine Informationen und ist damit wertlos. Die Bedeutung eines genauen Messens der Masse bei chemischen Reaktionen entging den griechischen Philosophen. Sie entging auch den europäischen Alchemisten, Metallurgen und Iatrochemikern (medizinischen Chemikern) des Mittelalters. Erst Antoine Lavoisier (1743-1794) erkannte, daß die Masse die Fundamentalgröße war, die bei allen chemischen Reaktionen erhalten blieb: Die Gesamtmasse aller gebildeten Produkte muß genau denselben Wert besitzen wie die Gesamtmasse aller Ausgangsstoffe. Mit Hilfe dieses Prinzips widerlegte Lavoisier die seit langem akzeptierte Phlogistontheorie (siehe Abschnitt 1-3). Das Prinzip der Massenerhaltung ist der Grundstein der Chemie. Dabei bleibt mehr als nur die Gesamtmasse erhalten: Dieselbe Anzahl von Atomen jeder Art muß vor und nach einer chemischen Reaktion vorhanden sein, ganz gleich, wie kompliziert diese Atome miteinander reagieren und sich zu Molekülen zusammenschließen. Auch die Energie muß bei chemischen Reaktionen erhalten bleiben. Für den Chemiker bedeutet dies, daß die Wärme, die bei einer bestimmten chemischen Reaktion aufgenommen oder abgegeben wird (die Reaktionswärme), stets denselben Wert besitzt, ganz gleich, wie die Reaktion durchgeführt wird - in einem oder in mehreren Schritten. So muß zum Beispiel die abgegebene Wärmemenge bei der Verbrennung von Wasserstoffgas und Graphit (eine Form des Kohlenstoffs) dieselbe sein wie die insgesamt abgegebene Wärmemenge bei der Herstellung von synthetischem Benzin aus Wasserstoff und Graphit und der anschließenden Verbrennung dieses Benzins. Wenn die Wärmemengen, die bei diesen beiden Reaktionsvarianten abgegeben werden, nicht denselben Wert besäßen, dann könnten wir die mehr Energie liefernde Reaktion in Vorwärtsrichtung betreiben und die weniger effiziente als Rückreaktion zur Gewinnung unserer Ausgangsstoffe nutzen. Das Ergebnis wäre ein Kreisprozeß, der als brennstoffloser Ofen unbegrenzte Wärmemengen liefern würde, ohne seinem Betreiber Kosten zu verursachen. Derartige perpetuum mobile - Überlegungen jeglicher Art lösen sich in Nichts auf, sobald man quantitativ hinsichtlich der Wärme, Arbeit und Energie wird. Dies ist die Grundlage der Thermodynamik, die im einzelnen in den Kapiteln 15-17 behandelt werden wird. In diesem Kapitel werden wir uns die Konsequenzen zweier Prinzipien für die Chemie ansehen: 1. Während chemischer Reaktionen werden Atome weder vernichtet noch neu gebildet (.Erhaltung der Masse). 2. Reaktionswärmen verhalten sich additiv: Wenn zwei Reaktionen so addiert werden können, daß sie eine dritte Reaktion ergeben, dann ist die Reaktionswärme der dritten Reaktion gleich der Summe der Reaktionswärmen der ersten beiden Reaktionen {Erhaltung der Energie). Beide Prinzipien mögen auf den ersten Blick als trivial erscheinen, aber sie sind auch recht leistungsfähige Hilfen bei der Deutung chemischen Verhaltens.
4-1 Atommassen, Molekülmassen und Mole
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4 - 1 Atommassen, Molekülmassen und Mole Sobald die Chemiker erkannt hatten, daß die Masse - und nicht etwa das Volumen, die Dichte oder irgendeine andere meßbare Eigenschaft - die fundamentale Eigenschaft war, die während des Ablaufs chemischer Reaktionen erhalten blieb, begannen sie mit dem Versuch, eine Skala der relativen Atommassen für alle Elemente aufzustellen. Wie sie dabei vorgingen, ist in Kapitel 1 beschrieben worden, und das Ergebnis ihrer Arbeit ist in seiner heutigen Form die Tabelle der natürlichen relativen Atommassen im hinteren Einbanddeckel dieses Buches. Wie wir bereits gesehen haben, ergeben sich die Molekülmassen von Molekülverbindungen und die Formelmassen von nichtmolekularen Verbindungen (wie zum Beispiel Salze) durch Addition der Atommassen aller an ihrem Aufbau beteiligten Atome. Den Kernpunkt aller chemischen Berechnungen bildet der Stoffmengen- oder Molbegriff. Wie bereits in Kapitel 1 definiert wurde, ist ein Mol irgendeines Stoffes die Stoffmenge dieses Stoffes, die so viele Teilchen des Stoffes enthält, wie es Kohlenstoff-12Atome in genau 12 g Kohlenstoff-12 gibt. Somit entspricht die Stoffmenge von einem Mol einer Substanz der Masse in Gramm, die numerisch gleich dem Zahlenwert seiner Molekülmasse in atomaren Masseneinheiten ist. Dieser Zahlenwert ist die relative Molekülmasse der Substanz. Wir können für diese drei, für die Stöchiometrie zentralen Größen folgende Zusammenhänge angeben Relative Molekülmasse M rel = Zahlenwert der Molekülmasse in atomaren Masseneinheiten (u) = Zahlenwert der Molmasse in g mol" 1 Molekülmasse = M rel χ u = Masse eines Moleküls Molmasse
= M rel χ g m o l - 1 = Masse eines Mols
Die Absolutskala der relativen Atom- und Molekülmassen ist dabei prinzipiell willkürlich wählbar. Dalton baute seine Atommassenskala auf dem Wert von 1,0 g mol ~ 1 für 1 mol Wasserstoff auf. Berzelius und andere europäische Chemiker verwendeten eine Zeit lang eine Skala, bei der die Atommasse des Sauerstoffs den Wert 1,0 u und die des Wasserstoffs den Wert 0,125 u besaß, aber sie gingen später wieder auf die Daltonsche Konvention über. In jüngerer Zeit wurde die relative Atommasse des Sauerstoffs auf 16,0000 festgesetzt, bis schließlich heute der Ausgangswert auf 12,0000 für die relative Atommasse des am häufigsten vorkommenden Kohlenstoffisotops 12 C (gesetzlich) festgelegt wurde. Aus dieser Festlegung ergibt sich dann auch die Anzahl der Teilchen in einem Mol, die als Avogadrosche Zahl bezeichnet wird. Eine Methode zur Bestimmung ihres Wertes haben wir bei der Beschreibung der Experimente von Millikan und Faraday in Abschnitt 3 - 6 erwähnt. In den Gleichungen der Chemie und der physikalischen Chemie tritt bei konsequenter Schreibung von Größengleichungen (siehe Anhang 4) nun nicht die Avogadrosche Zahl, sondern die Avogadrosche Konstante jVa = 6,022 χ 10 23 Teilchen pro Mol = 6,022x10" mol-1 auf, die keine reine Zahl, sondern eine dimensionsbehaftete Größe ist.
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4 Die Erhaltung von Masse und Energie: Stöchiometrie
2H2
+
02
>
2H;0
Abbildung 4 - 1 Zwei Moleküle Wasserstoffgas verbinden sich mit einem Molekül Sauerstoff zu zwei Wassermolekülen. Das Avogadrosche Prinzip sagt uns, daß gleiche Volumina verschiedener Gase bei einer bestimmten Temperatur und einem bestimmten Druck gleiche Molekülzahlen enthalten. Infolgedessen verbinden zwei Volumina von H 2 - G a s mit einem Volumen 0 2 - G a s zu zwei Volumina Wasserdampf, und zwei Mole H 2 verbinden sich mit einem Mol 0 2 zu zwei Molen Wasser(dampf). Aus Dickerson and Geis, Chemistry, Matter, and the Universe.
Die Angabe der Stoffmenge in Mol ist eine Methode, Atome oder Moleküle in handlichen Portionen von 6,022 x 10 23 Teilchen handhaben zu können. In Kapitel 1 haben wir die Molekülmassen von H 2 , 0 2 und H 2 0 berechnet. Wenn wir jetzt wissen, daß zwei Moleküle des Wasserstoffgases, H 2 , mit einem Molekül des Sauerstoffgases, 0 2 , reagieren und dabei zwei Wassermoleküle, H 2 0 , bilden, dann können wir voraussagen, daß 2 mol H 2 (oder 4,032 g) mit 1 mol 0 2 (oder 31,999 g) zu 2 mol Wasser (oder 36,031 g) reagieren werden (Abbildung 4 - 1 ) . Die Additionsprobe: 4,032 + 31,999 = 36,031 bestätigt die Erhaltung der Masse während der Reaktion. Der Chemiker bestimmt durch Wägung die Massen seiner Substanzen in Gramm. Dann ist es jedoch sinnvoll, diese Grammengen sofort in Mole umzurechnen, weil man damit mit relativen Molekülmengen arbeiten kann, die alle um den Faktor NA aus dem atomaren Bereich heraus in den Laborbereich hinein vergrößert wurden. Es ist leicht einzusehen, daß bei einer beliebigen Substanz (Element oder Verbindung) die Stoffmenge oder Molzahl η (in Mol) der Masse m (üblicherweise in Gramm) proportional ist. So bewirkt zum Beispiel eine Verdoppelung der Zahl der Teilchen (Atome, Moleküle oder Formeleinheiten) eines Stoffes natürlich auch eine Verdoppelung der
4-2 Chemische Analysen: Prozentuale Zusammensetzung und empirische Formeln
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Masse der betrachteten Stoffprobe. Der dabei auftretende Proportionalitätsfaktor ist eine von der vorliegenden Substanz abhängige Stoffkonstante, die molare Masse oder kurz Molmasse M (üblicherweise in g mol" *). Damit lautet die für alle Berechnungen in der Stöchiometrie grundlegende Beziehung Masse = Stoffmenge χ Molmasse m — η yM wobei m üblicherweise in Gramm (g), η in Mol (mol) und M üblicherweise in Gramm pro Mol ( g m o l - 1 ) angegeben werden. Bei stöchiometrischen Berechnungen ist stets eine dieser drei Größen aus den beiden anderen zu berechnen, die durch die Aufgabenstellung gegeben sein müssen. Die Zahl der Teilchen Ν ist bei bekannter Stoffmenge η leicht zu bestimmen Teilchenzahl = Stoffmenge x Avogadrosche Konstante Ν = η χ Na « Χ 6,022 X IO 23 m o l " 1
4-2 Chemische Analysen: Prozentuale Zusammensetzung und empirische Formeln Eine chemische Analyse eines Stoffes beruht auf der Zerlegung dieses Stoffes in seine Elemente und der Bestimmung der relativen Mengen der in ihm vorkommenden Elemente entweder in Gramm pro 100 g der ursprünglichen Verbindung oder als Massenprozente. Eine Methode zur Durchführung einer derartigen Analyse ist zum Beispiel, wenn die zu untersuchende Verbindung ein Kohlenwasserstoff ist (sich nur aus den Elementen Kohlenstoff und Wasserstoff zusammensetzt), die Verbrennung einer bestimmten Menge der Substanz in Sauerstoff und das anschließende Messen der gebildeten Mengen von Kohlendioxid ( C 0 2 ) und Wasser. Beispiel 1: Bei der Verbrennung von 25,00 g eines unbekannten Kohlenwasserstoffs werden 68,58 g C 0 2 und 56,15 g H 2 0 gebildet. Wie viele Gramm Kohlenstoff und Wasserstoff enthielt die ursprüngliche Probe? Lösung: Die Molmassen des Kohlenstoffs und des Kohlendioxids betragen 12,011 g m o l - 1 bzw. 44,010 g mol - 1 . Daraus berechnen wir zunächst den prozentualen Gehalt an Kohlenstoff im Kohlendioxid (Massenprozent!) 12 011
x 100% = 27,29% Kohlenstoff
44,010 Wenn 27,29% des C 0 2 Kohlenstoff ist, dann sind in einer Menge von 68,58 g C 0 2 27,29% x 68,58 g = 18,72 g Kohlenstoff enthalten. Eine ähnliche Berechnung für den Wasserstoffgehalt des Wassers ergibt
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4 Die Erhaltung von Masse und Energie: Stöchiometrie
2 x 1 008 ' X 100% = 11,19% Wasserstoff 18,015 11,19% χ 56,15 g = 6,283 g Wasserstoff Zur Probe können wir daraus die ursprüngliche Menge des Kohlenwasserstoffs berechnen: 18,72 g + 6,283 g = 25,00 g, was der richtige Wert ist. Beispiel 2: Wie viele Gramm Kohlenstoff bzw. Wasserstoff sind pro 100,0-g-Probe in dem Kohlenwasserstoff aus Beispiel 1 enthalten? Lösung: Eine Probe von 100 g enthält die vierfache Menge einer 25-g-Probe 100,0 g χ 18,72 g C = 74,88 g C pro 100,0-g-Probe 25,00 g 100,0 g χ 6,28 g H = 25,12 g H pro 100,0-g-Probe 25,00 g Beispiel 3: Wie ist die prozentuale Zusammensetzung des Kohlenwasserstoffs aus Beispiel 1 der Masse nach? Lösung: Aus dem Verhältnis der jeweiligen Massen zur Gesamtmasse berechnen wir 18,72 g C χ 100% = 74,88% Kohlenstoff 25,00 g 6,28 g H 25,00 g
χ 100% = 25,12% Wasserstoff
Sehen Sie sich bitte einmal das Ergebnis von Beispiel 2 an. Fällt Ihnen dabei etwas auf? Sobald wir einmal die prozentuale Zusammensetzung unserer Probe in Massenprozent kennen, können wir mit Hilfe der relativen Atommassen die relative Zahl von Atomen oder Molen eines jeden Elements in der Probe berechnen. Beispiel 4: Berechnen Sie die relative Zahl von Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen in der Verbindung aus Beispiel 3. Lösung: Es ist am einfachsten, wenn wir von 100,0 g unserer Substanz ausgehen, so daß die Zahlen aus der prozentualen Elementzusammensetzung sich in Gramm des betreffenden Elements umwandeln. Dann dividieren wir die Massen der beiden Elemente durch ihre jeweiligen Molmassen und erhalten 74,88 g C _ 12,011 g mol
= 6)234moi
Kohlenstoff
25,12 g H Γ = 24,92 mol Wasserstoff 1,008 g mol"
4 - 2 Chemische Analysen: Prozentuale Zusammensetzung und empirische Formeln
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Dies sind die relativen Molzahlen von Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen im Kohlenwasserstoff, und genau an dieser Stelle erweist sich die Nützlichkeit des Molbegriffs: Diese Zahlen müssen auch gleich den relativen Zahlen von Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen in der untersuchten Verbindung sein. Auf genau 6,234 Kohlenstoffatome kommen in unserem Kohlenwasserstoff genau 24,92 Wasserstoffatome. So ergibt dies vielleicht für Sie noch keinen Sinn, aber wir sehen sofort, wenn wir einen gemeinsamen Faktor für diese beiden Zahlenwerte suchen, daß sie sich wie 1: 4 verhalten. Indem wir beide Zahlen durch die kleinere von beiden dividieren, finden wir, daß für jedes Kohlenstoffatom 24,92/6,234 = 3,997 « 4 Wasserstoffatome in dem Kohlenwasserstoff vorkommen. (Die Abweichungen vom ganzzahligen Wert beruhen auf der Meßungenauigkeit.) Beispiel 5: Eine häufig anzutreffende Flüssigkeit besteht zu 11,19 % aus Wasserstoff und zu 88,81 % aus Sauerstoff (Massenprozent!). Wie groß sind die relativen Zahlen von Wasserstoff- zu Sauerstoffatomen? Lösung: Wenn wir wieder von 100,0 g der Substanz ausgehen, können wir die Stoffmengen der beiden Elemente folgendermaßen berechnen 11 1 9 e H — — ; — r 1 = 11,10 mol Wasserstoff 1,008 g mol 88 81 g O Y = 5,551 mol Sauerstoff 15,999 g mol Um den gemeinsamen Faktor zu eliminieren, dividieren wir beide Stoffmengen (Molzahlen) durch die kleinere von beiden. Wir finden dann, daß auf ein Mol (oder Atom) Sauerstoff zwei Mole (oder Atome) Wasserstoff kommen, d.h. daß das Verhältnis von Wasserstoff- zu Sauerstoffatomen in unserer Flüssigkeit den Wert 2 :1 besitzt. Beispiel 6: Ein im Labor häufig verwendetes organisches Lösungsmittel, ein Kohlenwasserstoff, setzt sich aus 92,26% Kohlenstoff und 7,74% Wasserstoff zusammen. Wie lauten die relativen Zahlen von Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen in dieser Verbindung? Lösung: Für jedes Kohlenstoffatom gibt es genau ein Wasserstoffatom; das Atomverhältnis in der Verbindung ist 1:1. Beispiel 7: Drei Gase werden analysiert und zeigen dabei die folgenden, elementaren Zusammensetzungen Gas A: 12 g Kohlenstoff je 1 g Wasserstoff Gas B:
6 g Kohlenstoff je 1 g Wasserstoff
Gas C:
4 g Kohlenstoff je 1 g Wasserstoff
Wie lauten die empirischen Formeln und die Molekülformeln (Summenformeln) dieser Verbindungen?
142
4 Die Erhaltung von Masse und Energie: Stöchiometrie
Lösung : G a s A besitzt (12 g/12 g m o l " ' ) C = 1,0 mol C je (1 g/1 g m o l - 1 ) H = 1,0 mol H und damit die empirische Formel CH. Gas Β besitzt (6 g/12 g m o l " J ) C = 0,5 mol C je (1 g/1 g m o l - ' ) H = 1,0 mol H und damit die empirische Formel C H 2 . G a s C besitzt (4 g/12 g m o l - 1 ) C = 1/3 mol C je (1 g/1 g m o l - 1 ) H = 1,0 mol H und damit die empirische Formel C H 3 . Aus den uns gegebenen Daten können wir nicht die Molekülformeln ermitteln. Beispiel 8: Fügen Sie zu dem vorangehenden Problem die Information hinzu, d a ß bei STP die gemessenen Dichten der drei Gase alle im Bereich von (1,2 + 0,2) g Ρ 1 liegen. Wie lauten jetzt die Molekülformeln? Lösung: Da unter Normalbedingungen (STP) 1 mol eines (idealen) Gases 22,414 1 einnimmt, m u ß die Masse von 1 mol dieser Gase (1,2 g Γ » ) χ (22,4141) = 26,9 g betragen, wobei der mögliche Fehler im Bereich von (1,0 g r l ) x (22,4141) = 22,4 g bis (1,4 g Γ ' ) x (22,4141) = 31,2 g liegt. Selbst solche groben Dichtemessungen sind genau genug, u m eine Auswahl zwischen den möglichen Molmassen der Gase zu treffen. Die Möglichkeiten für Gase A sind (12 + 1) g = 13 g für C H (2 χ 12 + 2 χ 1) g = 26 g für C 2 H 2 (3 χ 12 + 3 χ 1) g = 39 g für C3H3
usw.
Die zweite Möglichkeit ist offensichtlich die richtige. Auf ähnliche Weise können Sie zeigen, d a ß die beiden anderen Gase C 2 H 4 und C 2 H 6 sein müssen. Es k o m m t recht häufig in den Naturwissenschaften vor, d a ß m a n aus den Experimenten mehrere mögliche, genaue Werte für eine G r ö ß e wie zum Beispiel die Molmasse erhält, die sich nur durch ganzzahlige Faktoren unterscheiden. Auf G r u n d einer weitaus gröberen, physikalischen Messung, die k a u m mehr als die G r ö ß e n o r d n u n g angibt, können wir dann den richtigen Wert auswählen. Wir haben eben gesehen, d a ß eine Elementaranalyse f ü r sich allein nicht dazu ausreicht, zu entscheiden, wie die richtige Molekülformel einer Verbindung aussieht. Die Molekülformel f ü r das M e t h a n lautet C H 4 , was zu den Ergebnissen unserer Berechnungen aus Beispiel 4 passen würde. Aber diese Analysenergebnisse würden auch zu Molekülen wie C 2 H 8 , C 3 H 1 2 oder C 4 H 1 6 passen, wenn es sie geben würde. Die Substanz aus Beispiel 5 könnte Wasser sein ( H 2 0 ) , aber sie könnte genausogut H 4 0 2 oder irgendein
4 - 2 Chemische Analysen: Prozentuale Zusammensetzung und empirische Formeln H—C=C—H
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Acetylen
H H I / H—C=C—C=G H
H
H I
\
¥ I
H /
yO=c—c^c—c=cN H
H
H H I I H—C=C—C—c—C=C—H I I H H
CftHfi
H H I I H—C^C-C—C=C—C—H I I H H
H H I I H—C—C=C—C^C—C—H I I H H H I
^C
H I H
H II
c I H
H Benzol
Abbildung 4 - 2 Sieben verschiedene Moleküle mit der empirischen Formel CH. Durch eine einfache Elementaranalyse könnten sie nicht voneinander unterschieden werden. Eine annähernde Bestimmung der Molekülmasse könnte zwischen C 2 H 2 , C 4 H 4 und C 6 H 6 entscheiden, aber es würden noch weitere Informationen benötigt, um das spezielle C 6 H 6 -Molekül zu identifizieren, das bei der Untersuchung vorliegt.
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4 Die Erhaltung von Masse und Energie: Stöchiometrie
höheres Vielfaches davon sein. Wenn Sie richtigerweise feststellen, daß nur CH 4 und H 2 0 chemisch sinnvoll sind, dann ziehen Sie neue chemische Informationen zu Rat, die in den Analysedaten allein nicht enthalten sind. Die meisten Chemiker würden annehmen, daß das Molekül aus Beispiel 6 Benzol, C 6 H 6 , ist. Aber es könnte auch Acetylen, C 2 H 2 , sein (die Tatsache ausgenommen, daß Acetylen bei Zimmertemperatur ein Gas ist und wir ja im Beispiel erwähnten, daß der unbekannte Kohlenwasserstoff ein im Labor übliches Lösungsmittel sein sollte, was Acetylen ausschließt) oder irgendeiner der anderen fünf, weniger bekannten Kohlenwasserstoffe, deren Moleküle in Abbildung 4 - 2 dargestellt sind. Die chemische Formel, die die relativen Zahlen von Atomen in einer Verbindung ohne gemeinsamen Teiler zwischen den Zahlen der Atome angibt, wird empirische Formel genannt (gelegentlich auch „einfachste Formel" oder „Summenformel"). Die empirische Formel für Kochsalz ist NaCl, die für Wasser H 2 0 und die für Benzol CH. Die beiden ersten Formeln können wir so akzeptieren, aber die letzte scheint falsch zu sein, da wir wissen, daß ein Benzolmolekül sich nicht aus einem Kohlenstoff- und einem Wasserstoffatom zusammensetzt. Die Molekülformel des Benzols, die nicht nur die Verhältnisse der Elemente zueinander, sondern auch die Zahl von Atomen in einem Molekül angibt, lautet C 6 H 6 . Wenn die Verbindung diskrete Moleküle bildet, wird die Molekülformel entweder gleich der empirischen Formel oder gleich einem ganzzahligen Vielfachen von ihr sein. Wir können immer die empirische Formel durch chemische Analyse bestimmen, aber für die Ableitung der Molekülformel benötigen wir weitere Informationen. Beachten Sie, daß beim Kochsalz die Molekülformel keine Bedeutung besitzt. Kein Na + -Ion ist an ein bestimmtes Cl~-Ion im Kristall gebunden. Wenn wir darauf bestehen, eine Molekülformel zur Beschreibung der Zusammensetzung der nächsthöher organisierten Einheit oberhalb des atomaren Niveaus zu benutzen, dann würde Na^Cl* die Molekülformel für Kochsalz sein, wobei x die Zahl von Na- oder Cl-Atomen in dem speziellen, von uns ausgewählten Salzkristall ist. Damit wird der Salzkristall als ein einziges Makromolekül angesehen. Im Gegensatz dazu schließen sich in der Gasphase Na + - und Cl "-Ionen zu Paaren zusammen, und NaCl ist damit als Molekülformel legitimiert. Es ist üblich, die empirische Formel eines Salzes beim Aufstellen von Gleichungen auf dieselbe Weise zu benutzen wie die Molekülformel für eine Verbindung, die diskrete Moleküle bildet. Eine chemische Formel stellt gewöhnlich eine Molekülformel dar, wenn die Verbindung als diskretes Molekül vorliegt, oder eine empirische Formel, wenn dies nicht der Fall ist. Es kommt häufig vor, daß eine einfache physikalische Messung einen groben Schätzwert für die relative Molekülmasse ergibt. Gasdichten (Kapitel 2), Gefrierpunktserniedrigungen (Kapitel 3 und 16) und osmotische Drücke (Kapitel 16) liefern Meßergebnisse, die in dieser Hinsicht von Nutzen sind. Wenn uns aus derartigen Messungen ein Näherungswert für die relative Molekülmasse zur Verfügung steht, kann er zusammen mit der empirischen Formel dazu benutzt werden, die wahre Molekülformel zu bestimmen (siehe dazu auch Kapitel 1).
4 - 3 Chemische Gleichungen
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Beispiel 9: Glucose setzt sich der Masse nach zu 40,00% aus Kohlenstoff, zu 6,71 % aus Wasserstoff und zu 53,29 % aus Sauerstoff zusammen. Wie lautet die empirische Formel dieses Kohlenhydrats, und wie sieht seine Molekülformel aus? Lösung: Wenn wir, wie immer in solchen Fällen, von 100,0 g Glucose ausgehen, können wir als erstes die Molzahlen eines jeden Elements in unserer Probe feststellen 40,00 g C _ 12,011 g mol
= 3 330 mol
Kohlenstoff
6,71 g H Y = 6,66 mol Wasserstoff 1,008 g mol" 15,999 g m o l - , = 3,331 mol Sauerstoff Dies ergibt offensichtlich (nach Eliminierung des gemeinsamen Teilers) ein molares Verhältnis von 1 mol Kohlenstoff zu 2 mol Wasserstoff zu 1 mol Sauerstoff, so daß wir als empirische Formel für unsere Verbindung C H 2 0 erhalten. Wieder können wir auf Grund der uns hier zur Verfügung gestellten Informationen (abgesehen vom Namen der Verbindung) nicht sagen, ob diese empirische Formel oder ein Vielfaches von ihr die richtige Molekülformel ist. Beispiel 10: Aus anderen Experimenten wissen wir, daß Glucose eine Molmasse von annähernd 175 g mol ~ 1 besitzt. Bestimmen Sie mit Hilfe dieser Information und den Ergebnissen aus Beispiel 9 die Molekülformel und die genaue Molmasse der Glucose. Lösung: Die der empirischen Formel entsprechende Molmasse ist nach Beispiel 9 (12,011 + 2 χ 1,008 + 15,999) g mol" 1 = 30,026 g mol
-1
Der Näherungswert für die Molmasse der Glucose liegt rund sechsmal höher als dieser Wert, so daß wir für die genauere Molmasse 6 x 30,026 g mol" 1 = 180,16 g mol" 1 und für die Molekülformel C 6 H 1 2 0 6 erhalten.
4-3 Chemische Gleichungen Wenn Propangas, C 3 H 8 , in Sauerstoff verbrannt wird, bilden sich als Produkte der Verbrennung Kohlendioxid und Wasser. Dies kann in Form einer chemischen Gleichung geschrieben werden C3H8 + 0 2 -
C02 + H20
(4-1)
Wenn die Chemie keine quantitative Naturwissenschaft wäre, dann würde diese Beschreibung der Reaktion als ausreichend angesehen werden können, da sie sowohl die Reaktionspartner oder Ausgangsstoffe als auch die Produkte der Reaktion nennt. Aber
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4 Die Erhaltung von Masse und Energie: Stöchiometrie
wir erwarten von einer chemischen Gleichung mehr als das: Wie viele Moleküle des Sauerstoffs werden pro Propanmolekül benötigt, und wie viele Moleküle Kohlendioxid und Wasser ergibt dann die Reaktion? Die Gleichung (4-1) ist eine unausgewogene chemische Gleichung, was wir in diesem Buch durch einen einfachen Pfeil „ -*• " kennzeichnen. Wenn wir jetzt numerische Koeffizienten, die stöchiometrischen Koeffizienten, hinzufügen, die links vor die chemische Formel gesetzt werden und die uns sagen, wie viele Moleküle einer jeden Art an der Reaktion beteiligt sind, dann werden wir auf der linken wie der rechten Seite der Gleichung dieselbe Anzahl Atome von jeder Atomart antreffen. Dies entspricht unserem Prinzip der Massenerhaltung bei chemischen Reaktionen: Atome werden bei chemischen Reaktionen weder vernichtet noch neu gebildet. Die auf diese Weise gebildete chemische Gleichung bezeichnen wir als eine ausgewogene chemische Gleichung und kennzeichnen sie durch einen Doppelpfeil „ " zwischen Reaktionspartnern oder Ausgangsstoffen (links) und Produkten (rechts). Um die Gleichung (4-1) in eine ausgewogene Gleichung umzuwandeln, beachten wir als erstes, daß die 3 Kohlenstoffatome auf der linken Seite zu 3 Molekülen C 0 2 als Produkte auf der rechten Seite führen werden, wobei jedes C-Atom 2 Sauerstoffatome benötigt, so daß hierzu insgesamt 6 Sauerstoffatome erforderlich sind. Auf ähnliche Weise werden die 8 Wasserstoffatome des Propans auf der rechten Seite 4 Wassermoleküle bilden, wozu 4 weitere Sauerstoffatome benötigt werden. Die Gesamtsumme von 10 Sauerstoffatomen auf der rechten Seite muß nun von 5 0 2 -Molekülen auf der Reaktionspartnerseite herkommen. Die richtigen stöchiometrischen Koeffizienten für die vier Substanzen in Gleichung (4-1) sind damit 1,5, 3 und 4, und wir erhalten als ausgewogene Reaktionsgleichung C3H8 + 5 0 2
3C02 + 4H20
(4-2)
Jede Seite dieser ausgewogenen Gleichung enthält 3 Kohlenstoffatome, 8 Wasserstoffatome und 10 Sauerstoffatome. Damit ist auch das Prinzip der Massenerhaltung erfüllt. Beispiel 11: Trinitrotoluol (TNT), C 7 H 5 N 3 0 6 , verbindet sich heftigst mit Sauerstoff zu den Produkten C 0 2 , H 2 0 und N 2 . Geben Sie eine ausgewogene chemische Gleichung für die Explosion an. Lösung: Die unausgewogene Gleichung lautet C7H5N306 + 0 2
C 0 2 + H 2 0 + N2
Da auf der linken Seite ungerade Zahlen von Wasserstoff- und Stickstoffatomen auftreten, während rechts gerade Zahlen von ihnen benötigt werden, erscheint es ratsam, beim Aufstellen der ausgewogenen Gleichung von zwei Molekülen T N T auszugehen 2 C 7 H 5 N 3 0 6 + o 2 -> CO 2 + H 2 O + N 2 Die 14 Kohlenstoff-, 10 Wasserstoff- und 6 Stickstoffatome werden dann 14 Kohlendioxid-, 5 Wasser- und 3 Stickstoffmoleküle ergeben 2C7H5N306 + 0 2
14C02 + 5 H 2 0 + 3N2
4 - 3 Chemische Gleichungen
147
Nun sind - bis auf den Sauerstoff - alle Atomzahlen auf der linken und rechten Seite der Gleichung ausgewogen. Von den 33 Sauerstoffatomen auf der rechten Seite werden 12 auf der linken Seite von den beiden TNT-Molekülen geliefert, während 21 Sauerstoffatome aus IO3 0 2 -Molekülen stammen müssen. Damit erhalten wir schließlich für die ausgewogene Gleichung 2 C 7 H 5 N 3 0 6 + loie);,
14C02 + 5 H 2 0 + 3N2
Das Beispiel 11 führte zu einer Gleichung mit einem gebrochenen stöchiometrischen Koeffizienten für den Sauerstoff. Dies kann dadurch beseitigt werden, daß alle Koeffizienten auf beiden Seiten der Gleichung mit 2 multipliziert werden 4 C 7 H 5 N 3 0 6 + 2 1 0 2 ** 2 8 C 0 2 + 1 0 H 2 0 + 6 N 2
(4-3)
aber dies ist nicht nötig, da es keinen Grund dafür gibt, daß alle stöchiometrischen Koeffizienten ganzzahlig sein sollten. Es ist genauso richtig, bei der Aufstellung der Gleichung von einem einzigen TNT-Molekül auszugehen C 7 H 5 N 3 0 6 + 5 j 0 2 ?± 7 C 0 2 + 2 ± H 2 0 + H N 2
(4-4)
Eine ausgewogene chemische Gleichung wie die Gleichung (4-3) kann auf verschiedene Weisen interpretiert werden: Auf der untersten Ebene gibt sie die Ausgangsstoffe und Produkte einer chemischen Reaktion an. Sie sagt uns aber auch, daß die Anzahl der Atome einer jeden Atomart, die in die Reaktion eingeht, dieselbe ist wie die Anzahl dieser Atome, die auf der Produktseite erscheint. Jede einzelne Atomart bleibt während der Reaktion erhalten. Die Gleichung (4-3) enthält ferner die Aussage, daß für 4 Moleküle T N T 21 Moleküle Sauerstoff benötigt werden, wobei auf der Produktseite 28 Moleküle Kohlendioxid, 10 Wassermoleküle und 6 Stickstoffmoleküle gebildet werden. Wenn wir die Reaktion um den Faktor 6,022 χ IO 23 vergrößern, um von den Molekülen auf Mole überzugehen, besagt dieselbe Gleichung, daß 4 mol T N T mit 21 mol 0 2 reagieren und dabei 28 mol C 0 2 , 10 mol 0 2 reagieren und dabei 28 mol C 0 2 , 10 mol H 2 0 und 6 mol N 2 entstehen. Die Molmassen der einzelnen Verbindungen haben dabei die folgenden Werte C7H5N306: 02: C02: H20: N2:
227,13 g m o l - 1 31,999 g m o l - 1 44,010 g m o l - 1 18,015 g m o l - 1 28,013 g m o l - 1
Infolgedessen sagt uns Gleichung (4-3) auch, daß 4 mol χ 227,13 g mol - 1 = 908,52 g T N T eine Menge von 21 mol χ 31,999 g m o l - 1 = 671,98 g 0 2 zur vollständigen Reaktion benötigen. Sie sagt uns ferner, daß die Produkte dieser Reaktion 28 mol χ 44,010 g m o l - 1 = 1232,3gC0 2 , lOmol x 18,015 g m o l - 1 = 1 8 0 , 1 5 g H 2 0 und 6 mol x 28,013 g mol - 1 = 168,08 g N 2 sein werden. Wir können uns hier noch einmal davon überzeugen, daß die Masse bei der Reaktion tatsächlich erhalten bleibt
148
4 Die Erhaltung von Masse und Energie: Stöchiometrie
Reaktionspartner TNT:
02:
insgesamt:
Produkte 908,52 g 671,98 g 1 580,5 g
1232,3 g 180,15 g 168,08 g insgesamt:
1 580,5 g
(Der hier bei der Interpretation einer chemischen Gleichung beschrittene Weg ist die Umkehrung der in Kapitel 1 geschilderten historischen Entwicklung des Molbegriffs und der Atomvorstellung: Wir gingen hier von der Atom- und Molekülebene zum Labormaßstab über, während historisch der Weg von den im Labor gemessenen Mengen in Gramm über die konstanten Massenverhältnisse zur Atomvorstellung führte.) Was uns eine ausgewogene chemische Gleichung jedoch nicht sagt, ist, welchen Weg eine chemische Reaktion einschlägt oder nach welchem Reaktionsmechanismus sie abläuft. Die Gleichung (4-3) besagt keinesfalls, daß 4 TNT-Moleküle gleichzeitig mit 21 Sauerstoffmolekülen zusammenstoßen müssen, damit die Reaktion ablaufen kann. In Wirklichkeit sind selbst sogenannte Drei-Körper-Zusammenstöße (Zusammenstöße, bei denen gleichzeitig drei Teilchen miteinander zusammenstoßen) weitaus seltener als normale (Zwei-Körper-)Zusammenstöße, so daß sie bei den meisten chemischen Reaktionen keine Rolle spielen. Die Reaktion wird vielmehr in einer komplizierten Reihe von Einzelschritten ablaufen, was uns hier aber nicht weiter interessieren soll, solange die Gesamtreaktion richtig durch die Gleichungen (4-3) oder (4-4) beschrieben wird. Noch deutlicher wird dieses am folgenden Beispiel, in dem die Reaktionspartner und die Produkte zum Teil keine Moleküle sind C a C 0 3 4- 2 HCl τ± CaCl 2 + C 0 2 + H 2 0
(4-5)
Die Gleichung (4-5) beschreibt die Reaktion von Calciumcarbonat, CaC0 3 , mit Salzsäure, HCl, bei der sich eine wäßrige Lösung von Calciumchlorid, CaCl 2 , und Kohlendioxid bildet. Die Gleichung ist ausgewogen, da die Anzahl von Atomen jeder Atomart auf beiden Seiten der Gleichung dieselbe ist. Die Bedeutung dieser Gleichung ist klar: 1 mol oder 100,09 g Calciumcarbonat benötigt zur vollständigen Umsetzung 2 mol oder 72,92 g Salzsäure; die Produkte sind dann je 1 mol Calciumchlorid (110,99 g), Kohlendioxid (44,01 g) und Wasser (18,02 g). Auf Grund der hier angegebenen Mengen der einzelnen Substanzen können Sie sich leicht davon überzeugen, daß während der Reaktion die Masse erhalten bleibt. Die molekulare Interpretation der Gleichung ist dagegen nicht ganz so einfach, da Calciumcarbonat ein Salz und keine molekulare Verbindung ist. Die Gleichung (4-5) sollte also nicht so gedeutet werden, daß ein Molekül des Calciumcarbonats mit zwei Molekülen der Salzsäure reagiert. Wenn HCl auch in der Gasphase als diskretes Molekül vorkommt, dissoziiert das Molekül in wäßriger Lösung doch in H + - und Cl"-Ionen. Eine bessere Darstellung dessen, was bei unserer Reaktion tatsächlich auf der Molekülebene geschieht, gibt die folgende Gleichung wieder C a C 0 3 (s) + 2 Η + (aq)
Ca 2 + (aq) + C 0 2 (g) + H 2 0 (1)
(4-6)
Die Buchstaben, die hinter den einzelnen Substanzen in Klammern stehen, beschreiben
4 - 3 Chemische Gleichungen
149
den physikalischen Zustand der betreffenden Substanz. Dabei stehen s für den festen Zustand (lateinisch: „solidus"), aq für ein hydratisiertes Ion in wäßriger Lösung, g für gasförmig und 1 für flüssig (lateinisch: „liquidus"). Diese Gleichung besagt, daß festes Calciumcarbonat mit zwei hydratisierten Protonen (Wasserstoffionen) in wäßriger Lösung unter Bildung von hydratisierten Calciumionen, gasförmigem Kohlendioxid und flüssigem Wasser reagiert. Die Chloridionen bleiben als hydratisierte Chloridionen vor und nach der Reaktion in Lösung; infolgedessen wurden sie in der Gleichung (4-6) fortgelassen. Die Gleichung (4-5) ist, wie andere ausgewogene chemische Gleichungen auch, am nützlichsten für die Beschreibung der Mengen der an der Reaktion beteiligten Substanzen, und nicht so sehr bis gar nicht zur Darstellung des molekularen Mechanismus der Reaktion zu gebrauchen. Die Gleichung (4-6) dagegen ist, obwohl sie eine bessere Beschreibung von dem liefert, was sich auf der Molekülebene abspielt, weniger gut geeignet, die an der Reaktion beteiligten Stoffmengen zu verfolgen. Beispiel 12: Metallisches Natrium reagiert mit Wasser unter Bildung von Wasserstoffgas und einer Natriumhydroxidlösung (eine Mischung von N a + - und HO~-Ionen). Stellen Sie eine ausgewogene Gleichung für die Gesamtreaktion auf, und geben Sie ferner eine ausgewogene Gleichung an, die die tatsächlich vorhandenen Atom- und Ionenarten etwas genauer beschreibt. Lösung: Die ausgewogene Gleichung zur Beschreibung der Gesamtreaktion lautet Na + H 2 0
| H 2 + NaOH
oder unter Vermeidung gebrochener stöchiometrischer Koeffizienten formuliert (Multiplikation mit 2) 2Na + 2 H 2 0
H2 + 2NaOH
Eine bessere Beschreibung der tatsächlich reagierenden Atom- und Ionenarten liefert die folgende Gleichung 2Na(s) + 2H 2 0(1) τ± H 2 (g) + 2 N a + ( a q ) + 2 H O " ( a q ) Wir müssen chemische Gleichungen, die Reaktionen beschreiben, aus Experimenten ableiten, die (a) eine Identifizierung von Reaktionspartnern und Produkten gestatten und (b) die relativen Mengen eines jeden Reaktionspartners und Produkts messen, die an der Reaktion beteiligt sind. Eine einfache Identifizierung ist recht häufig alles, was zur Ableitung einer Gleichung nötig ist. So reagiert zum Beispiel Wasserstoff mit Chlor unter Bildung von Chlorwasserstoff. Wenn wir die verschiedenen Formeln kennen, können wir schreiben H 2 + Cl 2 —• HCl. Die richtige Gleichung leiten wir dann dadurch ab, daß wir einfach darauf bestehen, daß keine Wasserstoff- oder Chloratome bei dieser Reaktion erschaffen oder vernichtet werden können H 2 + Cl 2
2 HCl
Wir haben jetzt eine ausgewogene Gleichung, die die Gesamtreaktion beschreiben muß, wenn Wasserstoff und Chlor miteinander reagieren und Chlorwasserstoff das einzige
150
4 Die Erhaltung von Masse und Energie: Stöchiometrie
Produkt der Reaktion ist. (In diesem Buch kennzeichnen wir ausgewogene Gleichungen stets durch den Doppelpfeil „3 = [ S—0 3 ] 2 = 288 mol" M ¿sVo2 [S02]2[02]
Für den Sauerstoffpartialdruck gilt nach dem idealen Gasgesetz die Beziehung Po2 = Co^RT aus der wir die gesuchte Sauerstoffkonzentration berechnen können
5 - 5 Gleichgewichte zwischen Gasen und Flüssigkeiten oder Festkörpern
203
0,101 bar 8,314 J K " 1 mol" 1 χ 1000 Κ
Po. RT _
0,101 bar
~ 8314 Pa m 3 mol" 1 0,101 bar ~ 8314 χ 10" 5 bar χ IO31 mol" 1
= 0,00121 m o l l " 1 Für das Konzentrationsverhältnis von Produkt (S0 3 ) zu Ausgangsstoff (S0 2 ) ergibt sich damit wieder c c
so 3 = ]/Kc Ql so 2
= 1/288 mol" 1 1x0,0121 moll -1 = 0,59
Dies ist dasselbe Verhältnis von S 0 3 zu S 0 2 , wie wir es auch bei der Berechnung nach den Partialdrücken erhalten haben. Die Wahl der jeweils zu verwendenden Konzentrationseinheiten ist also nur eine Frage der praktischeren Handhabung.
5 - 5 Gleichgewichte zwischen Gasen und Flüssigkeiten oder Festkörper Alle Beispiele für Gleichgewichte, die wir uns bisher angesehen haben, spielten sich nur innerhalb eines einzigen physikalischen Aggregatzustands ab, in der Gasphase, und sind damit Beispiele für sogenannte homogene Gleichgewichte. Gleichgewichte, an denen zwei oder mehr physikalische Aggregatzustände beteiligt sind (wie zum Beispiel Gleichgewichte zwischen einem Gas und einer Flüssigkeit oder einem Festkörper), werden als heterogene Gleichgewichte bezeichnet. Welche Auswirkungen hat es nun auf die Form der Ausdrücke für die Gleichgewichtskonstanten, wenn einer oder mehrere der Reaktionspartner oder Produkte Festkörper oder Flüssigkeiten sind? Kurzgefaßt lautet die Antwort auf diese Frage: Jeder reine Festkörper oder jede reine Flüssigkeit, die im Gleichgewichtsfall in der Reaktionsmischung vorliegen, wirken auf das Gleichgewicht stets in der gleichen Weise ein, unabhängig davon, wieviel flüssige oder feste Substanz in der Reaktionsmischung vorhanden ist. Die Konzentration eines reinen Festkörpers oder einer reinen Flüssigkeit kann als konstant angesehen werden, und alle derartig konstanten Terme werden aus praktischen Gründen auf die linke Seite des Ausdruckes für das Massenwirkungsgesetz gebracht und mit in die Gleichgewichtskonstante selbst eingeschlossen. Als Beispiel dafür sehen wir uns einmal die Zersetzung von Calciumcarbonat (Kalkstein), C a C 0 3 , zu Calciumoxid (gebrannter Kalk), CaO, und Kohlendioxid an (Prozeß des Kalkbrennens) CaC0 3 (s) ç± Ca0(s) + C 0 2 ( g )
204
5 Wird es reagieren?
Der einfache Ausdruck für die Gleichgewichtskonstante lautet gemäß dem Massenwirkungsgesetz [CaO (s)] [ C 0 2 (g)] [CaC0 3 (s)] Solange etwas festes Calciumcarbonat und Calciumoxid mit der Gasphase in Berührung steht, bleibt ihre Auswirkung auf das Gleichgewicht unverändert. (Der Grund dafür ist der, daß sich über der festen (oder flüssigen) Phase im Gleichgewicht ein bestimmter Dampfdruck der jeweiligen Komponente einstellt, der nur von der Versuchstemperatur abhängt und solange unverändert aufrechterhalten wird, wie die feste (oder flüssige) Komponente vorhanden ist (siehe Kapitel 16 über Phasengleichgewichte).) Infolgedessen bleiben die Terme [ C a C 0 3 ] und [CaO] konstant und können mit AT zusammen zur neuen Gleichgewichtskonstante K' verschmolzen werden K
~
K
[CaC0 3 (s)] [CaO(s)] - [ C ° 2 ( g ) ]
In dieser Form besagt der Ausdruck für die Gleichgewichtskonstante, daß bei einer bestimmten Temperatur die Konzentration des Kohlendioxids über Kalkstein und gebranntem Kalk einen genau definierten Wert besitzt. Dies gilt jedoch nur, solange beide feste Komponenten der Reaktion im Reaktionsgemisch vorliegen. Wenn wir die Konzentrationen durch die Partialdrücke messen, erhalten wir K
p = Ρ CO 2
mit dem experimentellen Wert von 0,239 bar bei 800°C. Was dies experimentell bedeutet, können wir erkennen, wenn wir einen Zylinder betrachten, der C a C 0 3 und CaO enthält und der durch einen beweglichen Kolben abgeschlossen ist (Abbildung 5-2). Wenn dieser Kolben in einer bestimmten Position festgehalten wird, dann wird soviel C a C 0 3 zersetzt werden, bis der Druck des C 0 2 über den festen Komponenten einen Wert von 0,239 bar (bei einer Temperatur von 800 °C) erreicht hat. Wenn Sie versuchen sollten, den Druck dadurch zu vermindern, indem Sie den Kolben nach oben verschieben, würde sich nur mehr C a C 0 3 zersetzen, bis der Druck des C 0 2 über den festen Phasen wieder auf 0,239 bar angestiegen ist. Wenn Sie umgekehrt versuchen sollten, den Druck im Zylinder dadurch zu erhöhen, daß Sie den Kolben nach unten drücken, wird ein Teil des C0 2 -Gases mit CaO reagieren und sich zu CaC0 3 umwandeln, wodurch sich die Menge des vorhandenen C 0 2 solange vermindert, bis der Druck im Kolben wieder den Wert von 0,239 bar erreicht hat. Der einzige Weg zur Erhöhung von pCOl führt über eine Temperaturerhöhung, wodurch der Wert von Kp selbst auf 1,013 bar bei 894°C und auf 1,054 bar bei 900°C erhöht wird. Ein noch einfacheres Beispiel liefert die Verdampfung einer Flüssigkeit, wie zum Beispiel Wasser H 2 0(1)
H20(g)
Dieser Prozeß kann in formalen Sinn wie eine chemische Reaktion behandelt werden, obwohl keine Bindungen innerhalb der Moleküle neu geschaffen oder getrennt werden.
5 - 5 Gleichgewichte zwischen Gasen und Flüssigkeiten oder Festkörpern
4
CaC0 3
205
\
CaO
Abbildung 5 - 2 Festes C a C 0 3 und CaO werden nebeneinander in einen Zylinder mit einem beweglichen Stempel gebracht, der anfangs fest gegen die Feststoffe gepreßt ist, um sicherzustellen, daß kein Gas im Zylinder vorhanden ist. Dann wird der Stempel nach oben gezogen. Im Gleichgewicht wird sich soviel C a C 0 3 zersetzt haben, daß der Druck des C 0 2 - G a s e s über den festen Phasen einen konstanten Wert besitzt, der sich zwar mit der Temperatur ändert, aber unabhängig davon ist, wie viel von jedem Festkörper vorhanden ist (solange nur etwas von jedem da ist!).
Stellen Sie sich vor, daß der Zylinder aus Abbildung 5 - 2 zur Hälfte mit Wasser anstelle von C a C 0 3 und CaO gefüllt ist und daß der Kolben zu Beginn des Prozesses bis auf die Oberfläche des Wassers abgesenkt ist. Wenn der Kolben anschließend angehoben wird, wird soviel Flüssigkeit verdampfen, bis der Druck des Wasserdampfs einen konstanten Wert erreicht hat, der nur noch von der Temperatur abhängig ist. Es ist dies der Gleichgewichtsdampfdruck des Wassers bei dieser Temperatur. Bei 25 °C beträgt der Dampfdruck des Wassers 0,0317 bar, während er bei 100°C einen Wert von 1,013 bar erreicht. Wie wir in Kapitel 16 noch sehen werden, ist dies die Definition des normalen Siedepunkts des Wassers. Der Druck des Wasserdampfs über der Flüssigkeit in unserem Zylinder hängt keineswegs davon ab, ob das Wasser im Zylinder 1 cm oder 10 cm hoch steht, solange noch etwas Wasser im Zylinder vorhanden ist, das verdampfen kann, um eine Abnahme des Dampfdrucks auszugleichen. Nur wenn der Kolben soweit angehoben wird, bis alles Wasser verdampft ist, kann der Druck des Wasserdampfs bei 25 °C unter 0,0317 bar absinken. Umgekehrt wird beim Absenken des Kolbens im Falle des Gleichgewichts ein Teil des Dampfes kondensiert, wodurch der Dampfdruck bei 0,0317 bar festgehalten wird. Nur wenn aller Dampf kondensiert ist und der Kolben direkt auf der Oberfläche der Flüssigkeit aufliegt, kann der Druck im Innern des Zylinders bei 25 °C über 0,0317 bar hinaus erhöht werden. Die formale Behandlung des Verdampfungsgleichgewichts von Wasser ergibt [H 2 Q(g)] [H 2 0(1)] Da nun, solange die flüssige Phase im Gleichgewicht vorhanden ist, gilt: [H 2 0(1)] = const., können wir dafür auch eine neue Gleichgewichtskonstante K' definieren K- =
tf[H20(l)]
= [H20(g)]
206
5 Wird es reagieren?
In Partialdrücken würden wir für das Massenwirkungsgesetz in diesem Fall erhalten Κ — K p P n 2 o m = />h20(1)
Rein praktisch bedeutet die vorangehende Diskussion nichts weiter, als daß die Konzentrationsterme für reine Festkörper und Flüssigkeiten einfach aus dem Ausdruck für die Gleichgewichtskonstante eliminiert werden. Sie sind natürlich implizit in der dann geltenden Gleichgewichtskonstante enthalten. Beispiel 16: Wenn die schon früher in diesem Kapitel besprochene Iodwasserstoffreaktion bei Zimmertemperatur durchgeführt wird, liegt das Iod nicht als Dampf, sondern in Form von tiefvioletten Kristallen vor. Wie lautet der Ausdruck für die Gleichgewichtskonstante (Massenwirkungsgesetz), und wie hängt das Gleichgewicht von der Menge der vorhandenen Iodkristalle ab? Lösung: Die Reaktionsgleichung lautet H 2 (g) + I 2 (s)
2 HI (g)
und das Massenwirkungsgesetz ergibt [HI]2
Solange noch einige I 2 (s)-Kristalle in der Reaktionsmischung vorhanden sind, ist ihre Menge ohne Einfluß auf das Gleichgewicht. Beispiel 17: Zinn(IV)-oxid reagiert mit Kohlenmonoxid unter Bildung von metallischem Zinn und C 0 2 nach der Reaktionsgleichung S n 0 2 (s) + 2 CO (g)
Sn(s) + 2 C 0 2 ( g )
Wie lautet der Ausdruck für die Gleichgewichtskonstante? Lösung: Unter Einbeziehung der Konzentrationen der festen Phasen in die Gleichgewichtskonstante erhalten wir _ [co2]2 [CO] 2 Beispiel 18: Wie lautet der Ausdruck für die Gleichgewichtskonstante der folgenden Reaktion, die zur Bildung von flüssigen Wasser führt? C 0 2 ( g ) + H 2 (g)
CO (g) + H 2 0(1)
Wie würde die Gleichgewichtskonstante aussehen, wenn das Produkt Wasserdampf wäre? Lösung: Wenn das Produkt H 2 0(1) ist, lautet der Ausdruck für die Gleichgewichtskonstante
5 - 6 Faktoren, die das Gleichgewicht beeinflussen: Das Le Chateliersche Prinzip
207
_[CO]_
[co2][H2] Wenn das Produkt dagegen H 2 0 ( g ) ist, erhalten wir für die Gleichgewichtskonstante
[C0][H20] [co2][H2] Das vorangehende Beispiel zeigt, daß die Gasphasenkonzentration des Wasserdampfs, solange flüssiges Wasser in der Reaktionsmischung im Gleichgewicht vorhanden ist, auf den Dampfdruck des Wassers bei der Versuchstemperatur festgelegt ist. Infolgedessen kann der Beitrag des Wassers in diesem Fall mit in die Gleichgewichtskonstante einbezogen werden. Beachten Sie dabei stets, daß K' und Κ unterschiedliche Einheiten haben können (wie im vorliegenden Fall).
5-6
Faktoren, die das Gleichgewicht beeinflussen: Das Le Chateliersche Prinzip
Das Gleichgewicht stellt einen Ausgleich zwischen zwei einander entgegengesetzt verlaufenden Reaktionen dar. Wir können uns jetzt fragen, wie empfindlich dieses Gleichgewicht gegenüber Veränderungen der Reaktionsbedingungen ist und was getan werden kann, um den Gleichgewichtszustand zu verändern. Diese Fragen sind von größter praktischer Bedeutung, wenn man ζ. B. versucht, die Ausbeute eines benötigten Reaktionsproduktes zu erhöhen. Unter vorgegebenen Bedingungen gibt uns die Gleichgewichtskonstante das Verhältnis der Konzentrationen von Produkten zu Ausgangsstoffen an, wenn sich Hin- und Rückreaktion im Gleichgewicht befinden. Die Gleichgewichtskonstante hängt dabei nicht von Änderungen in den Konzentrationen der Ausgangsstoffe oder Produkte ab. Wenn dem Reaktionssystem fortwährend Produkte entzogen werden können, dann kann das System ständig in einem Zustand des Ungleichgewichts gehalten werden, wodurch mehr von den Ausgangsstoffen umgesetzt wird und sich somit ein kontinuierlicher Strom von neuen Produkten ergibt. Diese Methode erweist sich als nützlich, wenn ein Produkt der Reaktion in Form eines Gases entweichen kann oder aus einer Gasphase als Flüssigkeit oder Festkörper kondensiert oder ausgefroren, aus einer Gasmischung durch eine Flüssigkeit, in der es besonders gut löslich ist, ausgewaschen oder aus einem Gas oder einer Lösung ausgefallt werden kann. Wenn ζ. B. gebrannter Kalk (Calciumoxid) und Koks zusammen in einem elektrischen Ofen erhitzt werden, um Calciumcarbid zu erzeugen CaO(s) + 3C(s)
CaC 2 (s) + CO(g)î
(5-11)
wird die Reaktion, die bei 2000-3000 °C abläuft, durch das ständige Entfernen des Kohlenmonoxidgases in Richtung auf die Calciumcarbidbildung gedrängt. Bei der industriellen Produktion von Titandioxid für Pigmente reagieren gasförmiges TiCl 4
208
5 Wird es reagieren?
und 0 2 TiCl 4 (g) + 0 2 ( g ) ^ T i 0 2 ( s ) | + 2Cl 2 (g)
(5-12)
Das Produkt fallt aus den miteinander reagierenden Gases in Form eines feinen Pulvers von festem T i 0 2 aus, und die Reaktion wird auf diese Weise gezwungen, weiter in Vorwärtsrichtung abzulaufen. Wenn Ethylacetat oder andere Ester, die als Lösungsmittel und Aromastoffe Verwendung finden, aus Carbonsäuren und Alkoholen synthetisiert werden CHjCOOH + HOCH 2 CH 3 φ (3 φ Φ φ Iι Φ € φ (ζ)Φ φ^ φ · 298 Κ
450 Κ
(a) Abbildung 5 - 3
(b)
Das Le Chateliersche Prinzip und die Temperatur: Die Dissoziation des Ammoniak
2NH3(g) ^
3H2(g) + N2(g)
ist endotherm oder wärmeverbrauchend, (a) Das Ammoniakgleichgewicht bei Zimmertemperatur, (b) Die durch Wärmezufuhr erzeugte Temperaturerhöhung wird teilweise dadurch kompensiert, daß ein Teil der zugeführten Wärme für die Dissoziation von N H 3 zu N 2 und H 2 verbraucht wird. Aus Dickerson and Geis, Chemistry, Matter, and the Universe.
210
5 Wird es reagieren?
mit der Temperatur zu. Nur bei Reaktionen, die aus der Umgebung Wärme aufnehmen, kann die Ausbeute an Produkten im Gleichgewicht durch Erhöhung der Temperatur gesteigert werden. Eine gute Methode, sich das zu merken, ist es, die Reaktion mit einem expliziten Wärmeterm zu schreiben H 2 (g) + M g ) ^ 2HI(g) + Wärmeabgabe
(5-16)
Dann verschiebt eine Wärmezufuhr genauso wie eine Zugabe von HI die Reaktion nach links (siehe Abbildung 5-3).
Druck Das Le Chateliersche Prinzip gilt auch für andere Arten von Zwängen wie ζ. B. Druckänderungen. Die Gleichgewichtskonstante, K, wird durch eine Druckänderung bei konstanter Temperatur nicht verändert, jedoch werden sich die relativen Konzentrationen von Ausgangssubstanzen und Produkten in einer Weise ändern, die nach dem Le Chatelierschen Prinzip vorhergesagt werden kann. An der Iodwasserstofireaktion sind gleiche Stoffmengen (zwei Mole) von Ausgangsstoffen und Produkten beteiligt, d.h. die Zahl der Moleküle auf der linken und rechten Seite der Reaktionsgleichung ist dieselbe. Wenn wir bei konstanter Temperatur den Druck auf die Gasmischung verdoppeln, wird das Volumen der Gasmischung halbiert. Alle Konzentrationen in mol 1 werden sich infolgedessen verdoppeln, aber ihr Verhältnis zueinander wird sich nicht verändern. In Beispiel 11 verändert eine Verdoppelung der Konzentrationen von Ausgangsstoffen und Produkten nicht den Wert der Gleichgewichtskonstante K =
(1,87 χ 10~ 3 moll~') 2 (0,065 χ 10~ 3 moll"^(1,065 χ 1 0 _ 3 m o l l _ 1 ) (3,74 χ 10" 3 ) 2 (0,130 χ 10" 3 )(2,130 χ 10" 3 )
5
°'53
(517)
Infolgedessen ist das Iod-Wasserstoff-Gleichgewicht gegenüber Druckänderungen unempfindlich. Beachten Sie, daß in diesem Fall Κ die Einheit 1 besitzt (keine Dimension hat), da sich die Konzentrationseinheiten im Zähler und Nenner des Ausdrucks für die Gleichgewichtskonstante wegkürzen. Im Gegensatz dazu wird die Dissoziation des Ammoniaks durch Druckänderungen beeinflußt, da die Stoffmenge der Ausgangsstoffe nicht gleich der Stoffmenge der Produkte ist 2NH 3 (g) ^ N 2 (g) + 3H 2 (g)
(5-18)
Die Gleichgewichtskonstante für diese Reaktion bei 25 °C beträgt 3 K = [N2ÏÏH2] [NH3] 2
I0-9mol2r2
(5-19)
(Beachten Sie, daß Κ hier nicht länger eine dimensionslose Zahl ist, da die Zahl der Konzentrationsterme im Zähler und Nenner nicht mehr dieselbe ist. Bei dieser Reaktion
5-6 Faktoren, die das Gleichgewicht beeinflussen: Das Le Chateliersche Prinzip
(a)
(b)
211
(c)
Abbildung 5 - 4 Das Le Chateliersche Prinzip und der Druck: (a) Im anfänglichen Gleichgewicht sind 17 Moleküle (Mole) Gas vorhanden, 12H 2 , 4 N 2 und 1 N H 3 . (b) Wenn das Gas auf ein kleineres Volumen verdichtet wird, wird ein Zwang erzeugt, der sich durch einen höheren Druck bemerkbar macht, (c) Das System kann diesem Zwang ausweichen und den Druck vermindern, wenn einige der H 2 - und N 2 -Moleküle sich zu NH 3 -Molekülen verbinden, da dadurch die Gesamtzahl der Gasmoleküle im System verringert wird. Aus Dickerson and Geis, Chemistry, Matter, and the Universe..
hat Κ die Einheit des Quadrats der Konzentrationseinheit.) Ein Satz von Gleichgewichtskonzentrationen ist ζ.B. [ N 2 ] = 3,28 χ l O ^ m o i r 1 [ H 2 ] = 2,05 χ t O ^ m o i r 1 [ N H 3 ] = 0,106 m o l i " 1 (Können Sie zeigen, d a ß diese Konzentrationen die Gleichgewichtsbedingung erfüllen?) Wenn wir jetzt bei konstanter Temperatur den Druck verdoppeln, wodurch wieder das Volumen der Gasmischung halbiert und damit jede Konzentration verdoppelt wird [ N 2 ] = 6,56 χ 1 0 " 3 m o i r 1 [H2] =4.10 χ 10"3moli" 1 [ N H S ] = 0,212 mol Γ 1 dann ist das Verhältnis der Konzentrationen von Produkten zu Ausgangssubstanzen, der Reaktionsquotient, nicht mehr gleich Κ (6,56 χ 10~ 3 moll~ ')(4,10 χ Ι Ο ^ ι η ο Ι Γ 1 ) 3 (0,212moll~ ') 2 = 1,0 χ 1 0 " 8 m o l 2 l " 2
(5-20)
212
5 Wird es reagieren?
Da Q größer als Κ ist, sind für das Gleichgewicht zu viele Produktmoleküle vorhanden. Infolgedessen wird die Rückreaktion spontan ablaufen, wodurch mehr N H 3 gebildet wird und sich die Konzentrationen von H 2 und N 2 verringern. Damit wird dem Le Chatelierschen Prinzip entsprechend ein Teil der Druckerhöhung dadurch aufgefangen, daß sich die Gleichgewichtslage der Reaktion in die Richtung verschiebt, die die Gesamtmolzahl der vorhandenen Gase vermindert. Im allgemeinen wird durch eine Druckerhöhung die Reaktion begünstigt, bei der die Zahl der Gasmoleküle abnimmt, während die Reaktion, bei der mehr Gasmoleküle entstehen, benachteiligt ist (siehe Abbildung 5-4). Beispiel 12: Würde eine Druckerhöhung bei der Iodwasserstoffreaktion die Gleichgewichtslage in Richtung auf eine erhöhte oder verminderte HI-Bildung verschieben, wenn die Reaktion bei einer niedrigeren Temperatur abläuft, bei der das Iod im festen Zustand vorliegt? Wie würde sich der Druck auf den Wert von Κ auswirken? Lösung: Da jetzt die Reaktion von zwei Molen gasförmigen HI ein Mol gasförmiges H 2 und ein Mol festes I 2 ergibt, wird dem Zwang des erhöhten Druckes dadurch entgegengewirkt, daß HI in H 2 und I 2 dissoziiert. Jedoch wird Κ durch die Druckerhöhung nicht verändert.
Katalyse Welche Wirkung hat ein Katalysator auf eine Reaktion im Gleichgewicht ? Die Antwort lautet: Gar keine. Ein Katalysator kann nicht den Wert von Κ verändern, sondern nur die Geschwindigkeit, mit der das Gleichgewicht erreicht wird, erhöhen. Dieses ist die Hauptwirkungsweise eines Katalysators. Er kann eine Reaktion nicht irgendwo anders hinbringen als zu dem Gleichgewichtszustand, den sie auch ohne Katalysator früher oder später von selbst erreichen würde. Katalysatoren sind nichtsdestoweniger äußerst nützlich. Viele erwünschte Reaktionen verlaufen, obwohl sie spontan sind, unter gewöhnlichen Umständen mit extrem niedri-
Abbildung5-5 Das Ammoniak-Perpetuum mobile. Eine Mischung von N H 3 , H 2 und N 2 wird • links von einem Kolben in einer Kammer eingeschlossen, und der gestrichelte Zylinder, der am linken Ende des Balanciers hängt, enthält einen geheimnisvollen Katalysator, der den Gleichgewichtspunkt der Reaktion 2 N H 3 ( g ) f ± N 2 ( g ) + 3H 2 (g) nach rechts verschieben kann. In den Schritten (a) und (b), wenn der Katalysator in die Gasmischung eingebracht wird, dissoziiert Ammoniak zu Stickstoff und Wasserstoff, das Gesamtvolumen des Gases vergrößert sich, und der Kolben wird nach rechts gedrückt. In den Schritten (c) und (d), wenn der Katalysator aus der Gasmischung herausgezogen wird, reagieren N 2 und H 2 wieder zu Ammoniak. Infolgedessen nimmt das Gasvolumen ab, und der Kolben wird nach links gedrückt. Dieser abgeschlossene Zweistufen-Prozeß (Kreisprozeß) liefert eine unbegrenzte Menge von Energie an das Schwungrad rechts im Bild, ohne daß eine äußere Energiequelle benötigt wird. Schön wär's! Praktische Schwierigkeiten siehe Text.
5 - 6 Faktoren, die das Gleichgewicht beeinflussen: Das Le Chateliersche Prinzip
214
5 Wird es reagieren?
gen Geschwindigkeiten. Die in der Hauptsache für die Smogbildung verantwortliche Reaktion in Automotoren, an der Stickstoffoxide beteiligt sind, ist N2 + 0 2 + ± 2 N 0
(5-21)
(Sobald einmal N O vorhanden ist, reagiert es bereitwillig mit mehr Sauerstoff zu braunem N 0 2 . ) Bei den hohen Temperaturen im Inneren eines A u t o m o t o r s ist Κ für diese Reaktion groß genug, d a ß spürbare Mengen von N O gebildet werden. Bei 25 °C beträgt der Wert dieser Gleichgewichtskonstante jedoch nur Κ = I O - 3 0 . (Sagen Sie einmal nur aufgrund der zwei vorangehenden Informationen und dem Le Chatelierschen Prinzip voraus, o b die Reaktion so, wie sie geschrieben wurde, endotherm oder exotherm ist. Überprüfen Sie Ihre Antwort mit Hilfe der Daten aus Anhang 2.) Die Menge des N O , die bei 25 °C in der Atmosphäre im Gleichgewicht vorhanden ist, sollte als vernachlässigbar klein angesehen werden. Infolgedessen sollte sich das N O spontan in N 2 und 0 2 zersetzen, wenn sich die Auspuffgase abkühlen. Aber jeder Einwohner von Südkalifornien kann bestätigen, d a ß dem nicht so ist. N O und N 0 2 kommen tatsächlich in der Luft vor, weil sich die Gase in der Atmosphäre nicht im Gleichgewicht befinden. Die Rate der Zersetzung des N O ist extrem klein, obwohl die Reaktion spontan ist. Ein Weg zur Lösung des Smogproblems war es, nach einem Katalysator für die Reaktion 2NO
N2 + 0 2
(5-22)
zu suchen, der in die Auspuffleitungen eingesetzt werden könnte, um das N O in den Auspuffgasen während ihrer Abkühlung zu zersetzen. Es ist zwar möglich, einen solchen Katalysator zu finden, aber ein praktisches Problem wird durch die allmähliche Vergiftung des Katalysators aufgeworfen, die durch die Zusätze zum Benzin, wie ζ. B. durch die Bleiverbindungen des Antiklopfmittels, verursacht werden. Dieses wiederum ist ein G r u n d mehr für das derzeitige Interesse an Treibstoffen, die wenig oder gar kein Blei enthalten. Einen Beweis für die Behauptung, d a ß ein Katalysator nicht die Gleichgewichtskonstante verändern kann, wird durch die Abbildung 5-5 veranschaulicht: Wenn ein Katalysator die Lage des Gleichgewichts einer reagierenden Gasmischung verschieben und dadurch eine Volumenänderung (bei konstantem Druck) hervorrufen könnte, dann könnte eine derartige Expansion und Kontraktion durch eine Maschine genutzt und in Arbeit umgewandelt werden. Wir würden damit ein echtes „Perpetuum mobile" haben, das ohne Energiequelle Arbeit abgeben würde. Der gesunde Menschenverstand (in den Naturwissenschaften nur mit Vorsicht zu genießen) und unsere Erfahrung sagen uns, daß dies unmöglich ist. Dieser „gesunde Menschenverstand" ist wissenschaftlich in der F o r m des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik formuliert (von Nichts ist Nichts), den wir in Kapitel 15 diskutieren werden. Ein Mathematiker würde dies einen Beweis durch Widerspruch nennen: Wenn wir annehmen, daß ein Katalysator die Gleichgewichtskonstante Κ verändern kann, dann nehmen wir damit auch die Existenz eines Perpetuum mobile an. Ein Perpetuum mobile kann jedoch nicht existieren; folglich ist unsere anfängliche A n n a h m e falsch, und wir müssen den Schluß ziehen, d a ß ein Katalysator Κ nicht verändern kann.
5-7 Gleichgewichte in wäßrigen Lösungen: Säuren und Basen
215
Zusammenfassend können wir sagen, Κ ist eine Funktion der Temperatur, aber unabhängig von den Konzentrationen der Ausgangsstoffe oder Produkte, dem Gesamtdruck oder dem Vorliegen oder Fehlen von Katalysatoren. Die relativen Konzentrationen der Substanzen im Gleichgewicht können durch Ausübung von äußeren Zwängen auf die Gleichgewichtsmischung von Ausgangsstoffen und Produkten verändert werden, wobei die Änderung eine Richtung nimmt, die dem ausgeübten Zwang entgegenwirkt. Diese letzte Aussage, das Le Chateliersche Prinzip, ermöglicht es uns, vorherzusagen, was mit einer Reaktion geschehen wird, wenn die äußeren Bedingungen der Reaktion verändert werden, ohne daß wir exakte Berechnungen anstellen müssen.
5 - 7 Gleichgewichte in wäßrigen Lösungen: Säuren und Basen Wenn ein Festkörper sich in einer Flüssigkeit auflöst, so geschieht dies, weil die Kräfte zwischen den Molekülen des gelösten Stoffs und denen des Lösungsmittels stärker sind als die Kräfte zwischen den Molekülen oder Ionen des gelösten Stoffes untereinander im ungelösten Zustand. In manchen Lösungen, wie z.B. bei organischen Farbstoffmolekülen, die in Ethylether (C 2 H 5 —O—C 2 H 5 ) aufgelöst sind, sind intakte Moleküle des gelösten Stoffes im Lösungsmittel verteilt. Im Falle des wichtigsten Lösungsmittels überhaupt, des Wassers, ist die Sachlage etwas komplizierter: Wassermoleküle sind polar, und Wasser ist damit (Gleiches löst Gleiches) ein besonders gutes Lösungsmittel für Moleküle, die ebenfalls polar sind (siehe Abbildung 5-6). Infolgedessen ist Wasser ein besseres Lösungsmittel für polare Methanolmoleküle (CH 3 OH) als für unpolare Methanmoleküle (CH 4 ), und Ionenverbindungen werden von ihm sogar noch besser gelöst. Der Rest dieses Kapitels ist den wäßrigen Lösungen von ionischen Substanzen gewidmet und behandelt die Ionengleichgewichte in wäßrigen Lösungen.
Die Ionisierung des Wassers und die pH-Skala Wasser selbst ist in geringem Umfang ionisiert H 2 0(1) & H + (aq) + HCT(aq)
(5-23)
Jedes Ion ist dabei von polaren Wassermolekülen umgeben (wie es bei den Na + - und HO " -Ionen in Abbildung 5-3 d auch der Fall ist), wobei die Sauerstoffatome der Wassermoleküle am dichtesten an die Wasserstoffionen und die Wasserstoffatome anderer Wassermoleküle am dichtesten an die Hydroxidionen herankommen. Ionen, die auf diese Art mit den sie umgebenden Wassermolekülen in elektrostatische Wechselwirkung treten, nennt man hydratisiert. Der hydratisierte Zustand des Protons, H + , wird manchmal als H 3 0 + dargestellt, was H + H 2 0 bedeuten soll. Aber dies ist eine unnötige, ja sogar irreführende Darstellung. Eine etwas genauere Darstellung eines hydratisierten Protons würde H 9 0 4 + oder H + · ( H 2 0 ) 4 sein, die den Cluster
216
5 Wird es reagieren?
H
/ H
H
O '·. H
O .•• H \
\ H
/ O H
/ H
\ H
darstellt. Eine praktische, abkürzende Schreibweise dafür ist H + (aq), bei der der Zusatz (aq) daraufhinweist, daß es sich um ein hydratisiertes Proton in einer großen Menge Wasser als Lösungsmittel handelt. Wir werden für den Rest des Buches annehmen, daß H + und H O - , wie jedes andere Ion, in wäßrigen Lösungen hydratisiert sind, und werden diese hydratisierten Ionen einfach mit H + und H O " bezeichnen. Der Ausdruck für die Gleichgewichtskonstante für die Dissoziation des Wassers lautet
Bei vernünftig verdünnten Lösungen ist die Wassermenge, die während einer chemischen Reaktion verbraucht oder gebildet wird, klein im Vergleich zu der Menge des bereits vorhandenen Wassers. Die Konzentration des Wassers wird infolgedessen durch den Verbrauch oder die Bildung von Wasser bei chemischen Reaktionen in wäßrigen Lösungen nicht signifikant verändert und ist praktisch gleich der Konzentration des Wassers im reinen Zustand [ H 2 0 ] = J ^ 0 8 1 " ! ,1 = S a m o l i " 1 18,0 g mol
(5-25)
Es erweist sich nun als praktisch, diese Konstante (bei verdünnten Lösungen) aus dem Nenner des Ausdrucks für die Gleichgewichtskonstante zu eliminieren, indem sie auf die linke Seite der Gleichung (5-24) gebracht und mit der Gleichgewichtskonstante zu einer neuen Konstante zusammengefaßt wird Kw = 55,5moll - 1 χ Κ = [ H + ] [ H O ~ ]
(5-26)
Diese neue „Gleichgewichtskonstante" Kw wird als das Ionenprodukt des Wassers bezeichnet. Wie die meisten Gleichgewichtskonstanten ändert sich auch K w mit der Temperatur. Einige experimentell bestimmte Werte für das Ionenprodukt des Wassers finden Sie in Tabelle 5-2. Übung : Sagen Sie aufgrund der Daten aus Tabelle 5 - 2 und mit Hilfe des Le Chatelierschen Prinzips voraus, ob die Dissoziation des Wassers Wärme freisetzt oder aufnimmt.
5-7 Gleichgewichte in wäßrigen Lösungen: Säuren und Basen Tabelle 5 - 2
217
Gemessene Temperaturabhängigkeit des Ionenprodukts des Wassers,
+
K„ = [ H ] [ H O - ] /(°C)
K„ (mol 2 1" 2 )
0 25 40 60
0,115 1,008 2,95 9,5
χ χ χ χ
IO" 14 IO" 1 4 IO" 14 IO" 14
H
°
o
h
H c
h
0
' Η
Η
11
Η Ο
Η
Ο
Η Η
(a) Polares Molekül
(b) Geringe Wechselwirkung
Η Ο HO
f. I g r
Pj^ H C H H
° H
O H
H
Η
Ο
fPÎ
fîb ·
Ο O
(c) Mittlere Wechselwirkung
Ο H
H H
H () H
Na
H
o
O H
TC
H
O
O
H H
lüg-,
H
H
η
H o
H H
o
WÊr
H H (d) Starke Wechselwirkung
Abbildung 5 - 6 (a) Das Wassermolekül, H 2 0 , ist ein polares Molekül mit überschüssigen Elektronen und damit einer kleinen negativen Ladung am Sauerstoffatom sowie einem Elektronenunterschuß und damit einer kleinen positiven Ladung an jedem Wasserstoffatom, (b) Das Methanmolekül, CH 4 , ist unpolar, seine Elektronen sind gleichmäßig über das Molekül verteilt. Es weist keine lokalen Bereiche von positiver und negativer Ladung auf, von denen Wassermoleküle angezogen werden könnten; somit ist das Wasser ein schlechtes Lösungsmittel für Methan, (c) Methanol, CH 3 OH, ist polar, wenn auch weniger stark als Wasser. Es besitzt einen Elektronenüberschuß und damit eine kleine negative Ladung am Sauerstoffatom sowie eine kleine positive Ladung an dem an das Sauerstoffatom gebundenen Wasserstoffatom. Methanol tritt leicht mit Wassermolekülen durch elektrostatische Kräfte in Wechselwirkung, was es wasserlöslich macht, (d) Natriumhydroxid, NaOH, dissoziiert in positive und negative Ionen. Diese Ionen zeigen eine sehr starke Wechselwirkung mit den polaren Wassermolekülen, so daß NaOH extrem gut wasserlöslich ist. Jedes N a + - und H O "-Ion ist von einer Hülle von Wassermolekülen umgeben, wobei deren negative Enden den Natriumionen und deren positive Enden den Hydroxidionen zugekehrt sind. Man sagt, die Ionen sind hydratisiert.
Säure
Base ρ Κ,
H+
H2S04
+
(do.)
H(H 2 0)„ +
(do.)
0,00 >H+
h
iñlzO Mäßig schwache Base
(do.)
1,92 HSO4
>H+
.
Weniger starke Säure
soi Stärkere Base
3,45 HF
>H+
1
Maßig schwache Säure
NH:
Hsf§
F (do.)
9,25
> Η
1
1
NM, Ziemlich starke ÌJase .
Schwache Säure
9,31 HCN
f /,narriteli ^Uikt- tìnse
Schwache Säure
H20 Sehr schwache Säure
15,76 > Η1
1
ir ililsäHHHi
Abbildung 5 - 7 Brönsted-Lowry-Säuren und -Basen. In der Theorie von Brönsted u n d Lowry ist eine Säure jeder Stoff", der in Lösung P r o t o n e n freisetzt, u n d eine Base ist jeder Stoff, der aus der Lösung Protonen entfernt, indem er sich mit ihnen verbindet. H C l ist eine starke Säure, weil es bereitwillig H + - Ionen abgibt. Cl ~ ist eine schwache Base, weil es nur eine geringe Neigung zeigt, sich mit H + zu verbinden. HCl u n d C P werden als konjugiertes Säure-Base-Paar bezeichnet. (Aus Dikkerson u n d Geis, Chemistry, Matter, and the Universe.)
5 - 7 Gleichgewichte in wäßrigen Lösungen: Säuren und Basen
219
(Antwort: D a eine Temperaturerhöhung die Dissoziation begünstigt, ist die Dissoziation des Wassers ein endothermer oder W ä r m e aufnehmender Prozeß. Aus dem A n h a n g 2 können Sie entnehmen: A// ( D i s s > H 2 0 ) = + 55,94kJmol~ \ Dieses ist die Energie, die dazu erforderlich ist, in wäßriger Lösung eine O—Η-Bindung aufzubrechen, wobei beide Bindungselektronen bei dem Sauerstoffatom verbleiben.) Es ist üblich, den Wert von K w = 10" 1 4 m o l 2 l ~ 2 als hinreichend genau für Gleichgewichtsberechnungen bei Zimmertemperatur anzunehmen. Dies bedeutet, d a ß in reinem Wasser, in dem die Konzentrationen von Wasserstoff- und Hydroxidionen gleich groß sind, gilt [ H + ] = [ H O - ] = 10" 7 m o l i - 1
(5-27)
D a hohe Zehnerpotenzen in der H a n d h a b u n g etwas umständlich sind, ist eine logarithmische Schreibweise entwickelt worden, die sogenannte pH-Skala. (Das Symbol p H steht für „negative Potenz der Wasserstoffionenkonzentration in mol 1 ~ '.") Der pH-Wert ist durch den negativen dekadischen Logarithmus des Verhältnisses [ H + ] / l mol 1 _ 1 definiert pH =
= -!g i ^ f p r
(5-28)
Wenn die Wasserstoffionenkonzentration also einen Wert von 1 0 " 7 m o l i - 1 besitzt, erhalten wir für den pH-Wert p H = — log 1 0 (10~ 7 ) = + 7 Auf ganz analoge Weise kann für die Hydroxidionenkonzentration ein p H O - W e r t definiert werden
und der p H O - W e r t des reinen Wassers beträgt ebenfalls + 7. Der Wert des Ionenprodukts kann nun gleichermaßen als pK w -Wert logarithmisch ausgedrückt werden ρK„ = - l o g
1 0 i m
^
r 2
= + 14
(5-30)
Und schließlich können wir damit den Ausdruck für das Dissoziationsgleichgewicht des Wassers [H + ] [ H O " ] = K w = 1 0 " 1 4 m o l 2 r 2
(5-31)
in logarithmischer F o r m schreiben p H + p H O = 14
(5-32)
In einer sauren Lösung ist [ H + ] größer als 1 0 ~ 7 m o l l _ 1 , somit ist der pH-Wert kleiner als 7. D a s Ionenproduktgleichgewicht bleibt auch in sauren Lösungen unverändert, so d a ß wir die Hydroxidionenkonzentration [ H O - ] aus der Beziehung
220
5 Wird es reagieren?
ΓηγτΊ0
]
K
«
" P ñ
-
lphtl alein
rosa g' lb
η >t
Aliz irin R« lb
bl lu
0
1
2
3
4
239
5
6
7
8
9
10
11
12
13
Natri iminc igosu Ifonai
14
pH Abbildung 5 - 1 1 Einige übliche Säure-Base-Indikatoren mit den pH-Bereichen, in denen ihr Farbumschlag erfolgt. Die Wahl eines Indikators für eine Säure-Base-Titration hängt von dem am Endpunkt der Titration zu erwartenden pH-Wert ab und von der Breite des Auslaufens der pH-Werte nach Überschreiten des Endpunkts.
wenn der pH-Wert gleich 3,8 ist. Das menschliche Auge ist nun für Farbänderungen empfindlich, die sich über einen Bereich der Konzentrationsverhältnisse von annähernd 100 oder über zwei pH-Einheiten erstrecken. Unterhalb eines pH-Werts von 2,8 ist eine Lösung, die Methylorange enthält, rot gefärbt, während sie oberhalb von pH 4,8 klar gelb gefärbt ist. Wie Sie aus Abbildung 5 - 8 ersehen können, ist für die Titration einer starken Säure mit einer starken Base ein Indikatorumschlag über zwei pH-Einheiten hinweg recht zufriedenstellend. Methylorange könnte für die Titration in Abbildung 5 - 8 benutzt werden, obwohl sein p/C a -Wert weit vom Endpunkt der Titration von 7,0 entfernt ist, nur weil die Änderung des pH-Werts am Neutralisationspunkt so groß ist. Für Titrationen von schwachen Säuren würde dies nicht mehr gelten und es wäre dann besser, einen Indikator zu wählen, dessen p/C a -Wert dichter am zu erwartenden Endpunkt der Titration liegt. Andere Indikatoren sind zusammen mit dem pH-Bereich, in dem ihr Farbumschlag erfolgt, in Abbildung 5 - 1 1 angegeben. Phenolphthalein ist ein besonders praktischer und allgemein angewendeter Indikator, der im pH-Bereich von 8 bis 10 von farblos nach rosa umschlägt.
Beitrag der Eigendissoziation des Wassers zu [H + ] Bei der Diskussion der starken und schwachen Säuren wurde nichts über einen Beitrag zur Wasserstoffionenkonzentration infolge der Eigendissoziation des Wassers gesagt,
240
5 Wird es reagieren?
das je selbst gemäß der Reaktion H 2 0 H + + H O " dissoziieren kann. Stets wurde stillschweigend vorausgesetzt, daß alle H + - I o n e n in der Lösung nur von der jeweils betrachteten Säure stammen. Diese Voraussetzung ist auch praktisch fast immer erfüllt, nur für den Fall sehr stark verdünnter Lösungen von sehr schwachen Säuren wie ζ. B. H C N gilt sie nicht. Eine Korrektur, die die Eigendissoziation des Wassers berücksichtigt, ist daher selten erforderlich und wird deshalb hier in diesem Kapitel nicht behandelt. Eine vollständige Behandlung dieses Problems finden Sie in Anhang 3.
5 - 1 0 Schwache Säuren und ihre Salze Was wird mit einer schwachen Säure wie der Essigsäure geschehen, wenn wir ihr etwas Natriumacetat zusetzen, das Salz einer starken Base (NaOH) und der Essigsäure? Das Salz wird sich auflösen und vollständig in Natrium- und Acetationen dissoziieren. Nach dem Le Chatelierschen Prinzip würden wir erwarten, daß diese zusätzlichen Acetationen das Gleichgewichtssystem der schwachen Essigsäure in die Richtung geringerer Dissoziation verschieben wird. Und genau das geschieht auch. Der Ausdruck für das Säuregleichgewicht ist derselbe wie vorher
Ka
_ -
[H+][Ac~] [HAc]
(5
~57)
Jedoch gibt es jetzt zwei Quellen für die Acetationen : NaAc und HAc. Die Acetationenkonzentration, die durch das Natriumacetat in die Lösung eingebracht wird, ist durch cs gegeben, das die Gesamtmolarität des Salzes darstellt, da seine Dissoziation ja vollständig ist. Die Acetationenkonzentration, die von der Essigsäure herrührt, wird durch die Wasserstoffionenkonzentration der Lösung bestimmt, da jede Dissoziation eines HAc-Moleküls, die ein A c - - I o n liefert, auch zur Bildung eines Protons, H + , führt. Infolgedessen ergibt sich für die gesamte Acetationkonzentration [Ac-] g e s = [Ac~] N a A c + [AC~] HAc = c s + [ H + ]
(5-58)
(Hierbei haben wir wieder die Protonen vernachlässigt, die von der Dissoziation des Wassers herrühren.) Die Konzentration der nichtionisierten Essigsäure ist gleich der gesamten Säurekonzentration, ca, minus der Acetationenkonzentration aufgrund der Dissoziation der Essigsäure [HAc] = ca — [Ac~] H A c = ca — [ H + ]
(5-59)
Wenn wir die Wasserstoffionenkonzentration mit y bezeichnen, so erhalten wir daraus =
(5-60) (ca - y)
Wenn die Konzentration des zugesetzten Salzes, c5, gleich Null ist, ergibt sich daraus der einfache Ausdruck für das Dissoziationsgleichgewicht einer schwachen Säure, den wir bereits kennen.
5-10 Schwache Säuren und ihre Salze
241
Beispiel 30: Wie groß sind der pH-Wert und der Prozentsatz der Dissoziation einer 0,010-molaren Essigsäurelösung bei gleichzeitigem Vorliegen von keinem NaAc, 0,0050-molarem NaAc, 0,010-molarem NaAc und 0,020-molarem NaAc? Lösung: Nach dem Le Chatelierschen Prinzip würden wir erwarten, daß mit zunehmender Zugabe von NaAc die HAc-Dissoziation immer stärker unterdrückt wird. Der pH-Wert müßte anwachsen, und der Prozentsatz der Dissoziation der Essigsäure sollte abnehmen. Das Problem ohne Vorhandensein von NaAc ist bereits in Abschnitt 5 - 9 gelöst worden (Beispiel 29), wobei sich ein pH-Wert von 3,39 und ein Dissoziationsgrad von 4,11 % ergaben. Für eine Salzkonzentration von c s = 0,0050moli" 1 folgt dann nach Gleichung (5-60) 1,76 χ 1 0 ~ 5 m o l l _ 1 =
y (0,0050 mol Γ 1 + y) 0,010moll _ 1 - y
In erster Näherung können wir annehmen, daß y kleiner als 0,0050moll - 1 oder 0,010 m o l i " 1 ist, und es bei der Addition oder Subtraktion gegenüber diesen Größen vernachlässigen , „^ y ι = 1,76 χ 10
5
moll
1
χ
0,010moll _ 1 0,0050 m o l l " 1
= 3,52 χ 1 0 _ 5 m o l l _ 1 = 0,000 035 mol Γ 1 Als eine zweite Näherung können wir diesen Probewert für y zur „Korrektur" von 0,0050 m o l i " 1 auf 0,005035 mol Γ 1 und von 0,010moll _ 1 auf 0,009965 mol Γ 1 verwenden und die Gleichung mit diesen Werten noch einmal lösen „ 0,009965 y2 = 1,76 χ l O - ^ m o i r 1 χ 0,005035 = 3,48 χ l O ^ m o i r 1 Eine dritte Näherung ist unnötig, und das Ergebnis sollte auf 3,5 χ 1 0 " 5 m o l l " 1 abgerundet werden. Es folgt dann weiter pH = 5 - log!o 3,5 = 5 - 0,54 = 4,46 3 5 χ 10~ 5 Dissoziationsgrad = — χ 100 = 0,35% 6 /0 0,010 Für eine Natriumacetatkonzentration von cs = 0,010moli" 1 erhalten wir auf die gleiche Art y = [ H + ] = 1,76 X 1 0 - 5 m o l l ~ 1 pH = 4,75 Dissoziationsgrad = 0,18% Beachten Sie, daß die Essigsäure jetzt so wenig dissoziiert, daß die erste Näherung bereits ausreicht, um ein befriedigendes Ergebnis zu bekommen.
242
5 Wird es reagieren?
Tabelle 5 - 7 Auswirkung der Zugabe von Natriumacetat (cs = Konzentration des Natriumacetats in mol l - 1 ) zu einer 0,10-molaren Essigsäurelösung cjmoir1): pH: Prozentuale Dissoziation der Essigsäure:
0,0 3,4
0,001 3,8
0,002 4,1
0,005 4,5
0,010 4,8
0,020 5,1
4,1
1,5
0,84
0,35
0,18
0,09
Die Ergebnisse für diese und noch ein paar andere Natriumacetatkonzentrationen sind in Tabelle 5 - 7 angegeben und in Abbildung 5 - 1 2 graphisch dargestellt. Die erste Zugabe von Salz zeigt eine starke Wirkung auf den Dissoziationsgrad und den pH-Wert; spätere Salzzusätze verursachen weniger große Veränderungen. Wenn Säure und Salz in gleichen Konzentrationen vorliegen, ist der pH-Wert gleich dem pÄ"a-Wert der Säure, wie in Beispiel 31 gezeigt werden wird.
Abbildung 5-12 Die Auswirkung der Zugabe von Natriumacetat auf die Dissoziation von Essigsäure. Die hier dargestellten Daten sind in Tabelle 5-7 aufgeführt und wurden so berechnet, wie im Text erklärt ist. Der erste Salzzusatz drängt die Dissoziation der Essigsäure stark zurück und verursacht eine schnelle Zunahme des pH-Wertes. Die weiteren Zugaben sind nicht mehr so wirkungsvoll.
5-10 Schwache Säuren und ihre Salze
243
Pufferlösungen Eine Lösung einer schwachen Säure und eines Salzes ihres Anions besitzt die wichtige Eigenschaft, Veränderungen in der Wasserstoffionenkonzentration entgegenzuwirken. Eine derartige Lösung, die gegenüber pH-Wertveränderungen stabilisiert ist, wird als Pufferlösung bezeichnet. Ein Puffer ist etwas, das etwas anderes in bestimmten, vorgegebenen Grenzen hält. Als ein Beispiel für einen Säure-Base-Pufier sehen wir uns einmal eine Pufferlösung an, die aus 0,050-molarer Essigsäure und 0,050-molarem Natriumacetat besteht: Wenn zu dieser Lösung eine kleine Menge starker Säure von außen zugesetzt wird, werden deren Wasserstoffatome sich mit einem Teil der Acetationen aus dem Natriumacetat zusammenschließen und eine entsprechende Menge zusätzlicher, undissoziierter Essigsäure bilden H + + Ac~
HAc
Umgekehrt wird eine kleine Menge von außen in die Lösung eingebrachter Base einen Teil der Essigsäure neutralisieren und eine entsprechende Menge neuer Acetationen bilden HO" + HAc
Ac~ + H 2 0
Wenn die Konzentration der zugegebenen Säure oder Base in der Pufferlösung klein ist im Vergleich mit den Konzentrationen von Puffersäure und Puffersalz, dann wird die Änderung des pH-Werts nur sehr gering sein - weitaus kleiner jedenfalls als wenn kein Puffer vorhanden wäre. Beispiel 31: Eine Lösung ist 0,050-molar in HAc und 0,050-molar in NaAc. Berechnen Sie die Änderung des pH-Werts, die auftreten wird, wenn dieser Lösung so viel HCl zugesetzt wird, daß sie 0,0010-molar in Salzsäure ist. Vergleichen Sie dies mit dem pH-Wert einer 0,0010-molaren HCl-Lösung ohne HAc und NaAc. Lösung : Vor Zugabe der Salzsäure gilt für das Essigsäuregleichgewicht K
=
a _
[H+][AC~]
[HAc]
=
~
,Ν(0,050πιο11~*)
0,050 mol l" 1
und somit folgt (mit y = H + -Konzentration in der Pufferlösung) y = Ka= 1,76 χ IO - 5 m o l l - 1 pH = ρ Ka = 4,75 (Wieder sind wir berechtigt,y bei den [Ac"]- und [HAc]-Termen zu vernachlässigen, da sein Wert im Vergleich mit 0,050moli - 1 klein ist.) Die jetzt durch die Salzsäure hinzukommenden Protonen verbinden sich mit den in der Lösung vorhandenen Acetationen unter Bildung von mehr undissoziierter Essigsäure Ac" + H + (von HCl)
HAc
244
5 Wird es reagieren?
Somit werden in guter Näherung alle der zugegebenen Protonen in dieser Reaktion verbraucht und wir erhalten für die neuen Essigsäure- und Acetationenkonzentrationen nach HCl-Zugabe [HAc] = 0,050 mol 1 - 1 + [ H + ] H C 1 = 0,051 mol Γ 1 [Ac - ] = 0,050 mol Γ 1 - [H+]HCI = 0,049 mol Γ 1 K
=
-
j (0,049 moll - ') 0,051 mol Γ 1
7 = 1,76 χ l O ^ m o i r 1 χ
0,051 , o , „ λ - 55 „_! = 1,83 χ < 10" moll 0,049
pH = 5 - 0,26 = 4,74 Der pH-Wert ändert sich also nur von 4,75 auf 4,74, was eine Differenz von nur 0,01 -pHEinheiten bedeutet. Beispiel 32: Wie groß würde der pH-Wert in Beispiel 31 sein, wenn die Salzsäure einem Liter reinen Wassers anstelle der Pufferlösung zugesetzt worden wäre? Lösung: Da die Salzsäure eine starke Säure und damit vollständig dissoziiert ist, wird die Η + -Konzentration gleich der Säurekonzentration sein: [ H + ] = 1 0 _ 3 m o l l _ 1 . Dieses entspricht einem pH-Wert von 3. Da das reine Wasser anfangs p H = 7 aufwies, bewirkte die Säurezugabe in diesem Falle eine pH-Wertänderung von —4 pH-Einheiten im Gegensatz zur Änderung von nur —0,01 pH-Einheiten in der Pufferlösung. Viele Kombinationen von schwachen Säuren und ihren Salzen werden zur Einstellung von pH-Werten im Labor und in der Industrie verwendet: H A c / A c - , Η 3 Ρ 0 4 / Η 2 Ρ 0 4 , H 2 P 0 4 / H P O | ~ , H F / F " , H N 0 2 / N 0 2 und andere. Ein Hydrogencarbonatpuffersystem hält in Ihrem Blutkreislauf den pH-Wert bei 7,4 konstant H + + H C O j τ± H 2 C 0 3 τ± C 0 2 + H 2 0
(5-61)
Im allgemeinen kann die Gleichgewichtsbeziehung zwischen einer schwachen Säure und ihrem Salz folgendermaßen formuliert werden [ H + ] [A~] *
=
[HA]
[H+] = K
a
j ^ |
(5
~62)
(5-63)
Nimmt man den negativen dekadischen Logarithmus der Zahlen werte auf beiden Seiten von Gleichung (5-63), erhält man einen sehr gut geeigneten Ausdruck zur Berechnung des pH-Werts von Pufferlösungen pH = pK a + l g j ^
(5-64)
Wenn gleiche Konzentrationen von schwacher Säure und ihrem Salz vorliegen, besitzt die sich ergebende Pufferlösung einen pH-Wert, der gleich dem pÄTa-Wert der Säure ist.
5-10 Schwache Säuren und ihre Salze
245
Der genaue pH-Wert der Lösung kann durch Änderung des Verhältnisses von Säure zu Salz in der Umgebung von pA"a eingestellt werden. Beispiel 33: Berechnen Sie den pH-Wert einer Essigsäure /Acetat-Pufferlösung, wenn das Verhältnis von Säure zu Salz (a) 100 :1; (b) 10 :1; (c) 1 :1 und (d) 0,1 :1 beträgt. Lösung: Wie schon aus Beispiel 31 bekannt ist, beträgt der pÄ^-Wert der Essigsäure 4,75. Damit folgt für die einzelnen Fälle (a)
pH = 4,75 + lg ^
= 4,75 - 2,00 = 2,75
(b)
pH = 4,75 + l g Vo = 4 , 7 5 - 1,00 = 3,75
(c)
pH = 4,75 + lg j
(d)
pH = 4,75 + lgT5 = 4 , 7 5 + 1,00 = 5,75
= 4,75 ± 0,00 = 4,75
Beachten Sie, daß jede zehnfache Veränderung im Konzentrationsverhältnis eine Verschiebung des pH-Werts um eine Einheit bedeutet. Der Puffer kann den pH-Wert solange nahezu konstant halten, wie die Mengen der zugegebenen Säure oder Base klein im Vergleich mit den Mengen von Puffersäure und Puffersalze in der Lösung sind. Beispiel 34: Berechnen Sie den Anfangs- und End-pH-Wert, wenn 0,0010 mol HCl in einen Liter Pufferlösung eingebracht werden, die 0,020-molar in Essigsäure und 0,020molar in Natriumacetat ist. Nehmen Sie dabei an, daß die Volumenzunahme der Lösung durch die Zugabe der Salzsäure vernachlässigbar ist. Lösung: Der pH-Wert zu Beginn ergibt sich nach Gleichung (5-64) zu pH = ρΚΛ = 4,75, da das anfängliche Verhältnis von Säure zu Base 1:1 beträgt. Nach der Kombination von zugegebener Säure und Acetationen zu mehr Essigsäure ergeben sich die folgenden Endkonzentrationen [ H A ] = (0,020 + 0,001) mol 1" 1 = 0,021 mol 1" 1 [ A ~ ] = (0,020-0,001) m o l l " 1 = 0,019 mol Ι" 1 und damit 0 019 pH = 4,75 + lg ^ = 4,75 - 0,04 = 4,71 Bei diesem Beispiel mit 0,020-molaren Konzentrationen von Puffersäure und Puffersalz nahm der pH-Wert um 0,04 Einheiten ab. In Beispiel 31 mit 0,050 molarer Pufferkonzentration betrug die pH-Wertänderung nur 0,01 Einheiten. Dies veranschaulicht den wichtigen Begriff der Pufferkapazität: Ein Puffer kann den pH-Wert nur solange annähernd konstant halten, wie die von der zugegebenen Base oder Säure aufgebrauchte Menge von Puffersäure oder Puffersalz klein im Vergleich mit der insgesamt vorhandenen Puffermenge ist. Wenn zum Beispiel zuviel Säure von außen zugegeben wird, dann wird die Pufferkapazität überschritten und die Pufferwirkung bricht zusammen.
246
5 Wird es reagieren?
Beispiel 35: Wie groß sind die Anfangs- und Endwerte des pH eines Phosphatpuffers, der zu Beginn 0,050 mol Γ 1 N a H 2 P 0 4 und 0,030 mol 1" 1 N a 2 H P 0 4 enthält, wenn man zu einem Liter Pufferlösung (a) 0,001 mol N a O H oder (b) 0,025 mol N a O H zusetzt? Nehmen Sie wieder an, daß die Volumenänderung vernachlässigt werden kann. Lösung: Bei diesem Puffer ist H j P O ^ die Säure, und H P O 4 - ist die konjugierte Base dazu. Tabelle 5 - 4 zeigt, daß dieses Paar einen pÄ"a-Wert von 7,21 besitzt. Infolgedessen ergibt sich für den Anfangs-pH-Wert pH = 7,21 + lg ^
= 7,21 - 0,22 = 6,99
Für die End-pH-Werte folgt damit (a)
pH = 7,21
+
ê
(0,030 + 0,001) (0,050-0,001)
, 0,031 = 7,21 + g — — & 0,049 = 7,21 -0,20 = 7,01 (b)
pH = 7,21 + lg
(0,030 + 0,025) (0,050 • 0,025)
0,055 = 7,21 + lg ' 0,025 = 7,21 + 0,34 = 7,55 Die kleine Menge Base erhöhte den pH-Wert nur um 0,02 Einheiten, aber die größere Menge Base begann, die Kapazität des Puffers zu überschreiten, und bewirkte eine Zunahme des pH-Werts um 0,56 Einheiten. Der Hydrogencarbonatpuffer in unserem Blut scheint kein besonders wirksamer Puffer für die Aufrechterhaltung eines pH-Werts von 7,4 zu sein, da die Tabelle 5 - 4 zeigt, daß der pÄ"a-Wert für H 2 C 0 3 /HCO3 6,37 beträgt. Dieser pA"a-Wert liegt um eine ganze pHEinheit tiefer als der erwünschte pH-Wert, so daß das Verhältnis von Hydrogencarbonat zu Kohlensäure 10:1 betragen muß. Hydrogensulfit- oder Phosphatpuffer könnten in dieser Hinsicht als geeignetere Puffersubstanzen erscheinen. Der Grund, warum diese Substanzen nicht verwendet werden, liegt natürlich darin, daß weder Hydrogensulfidnoch Phosphationen in spürbaren Mengen im Blutstrom vorhanden sind, wogegen Kohlendioxid als Nebenprodukt der Atmung stets reichlich vorkommt. Die Evolution benutzt das, was vorhanden ist, und nicht etwas, was im Abstrakten besser geeignet wäre. Wie es der Harvard-Biologe Stephen Jay Gould einmal bemerkte, ist eines der besten Argumente für die Evolution der Lebewesen und gegen eine spezielle Schöpfung derselben das Flickwerk von opportunistischen und zweitbesten Lösungen, die in unse-
5-11 Salze von schwachen Säuren und starken Basen: Hydrolyse
247
rem Metabolismus eingebaut sind, - ein Sachverhalt, der jeden guten Konstrukteur beschämen würde. (Im allgemeinen ergibt sich für das Gleichgewicht, wenn die Konzentration der zugegebenen Säure in der Pufferlösung mit χ bezeichnet wird, der Ausdruck ΚΛ
=
[ H + ] [ A c - ] ^ [ H + ] ( c s — x) [HAc] ca + χ
wobei c s die Salzkonzentration und c a die Konzentration der Puffersäure ist. Nach Zugabe der Fremdsäure ergibt sich für die Wasserstoffionenkonzentration [ H =
cs-x
und für den pH-Wert folgt
Wenn eine Base der Pufferlösung zugesetzt wird, werden dadurch Wasserstoffionen aus der Lösung entfernt. In diesem Falle können dieselben Beziehungen verwendet werden, es ist dabei nur χ durch — χ zu ersetzen.) Übung : Ein Ameisensäurepuffer wird dadurch hergestellt, daß wir eine Lösung anfertigen, die jeweils 0,010-molar in Ameisensäure (HCOOH) und Natriumformiat (HCOONa) ist. Wie groß ist der pH-Wert der Lösung? Welcher pH-Wert stellt sich ein, wenn der Lösung so viel Natriumhydroxid zugesetzt wird, daß sie 0,0020-molar in N a O H ist? Wie groß wäre der pH-Wert der Natriumhydroxidlösung ohne Puffer? Wie groß wäre der pH-Wert nach Zugabe des NaOH, wenn die Pufferkonzentrationen 0,10moll _ 1 anstelle von 0,010moli" 1 betragen würden? (Antwort: Puffer: pH = 3,75; nach NaOH-Zugabe: pH = 3,92; ohne Puffer: pH = 11,30; mit stärkerem Puffer: pH = 3,77.) In der vorangehenden Übung können Sie deutlich den drastischen Effekt des Formiatpuffers erkennen, der die Lösung trotz der Zugabe der Base sauer erhält. Ferner können sie die Bedeutung einer vernünftig hohen Pufferkonzentration erkennen, wenn die Pufferkapazität der Lösung nicht überschritten werden soll.
5 - 1 1 Salze von schwachen Säuren und starken Basen: Hydrolyse Eine Natriumchloridlösung ist neutral mit einem pH-Wert von 7,0. Dies ist sinnvoll, da Natriumhydroxid eine starke Base und Salzsäure eine starke Säure ist, und die Neutralisation würde vollständig sein, wenn gleiche molare Mengen einer jeden Substanz in der Lösung vorhanden sind. Im Gegensatz dazu ist Natriumacetat das Salz einer
248
5 Wird es reagieren?
starken Base und einer schwachen Säure. Wir würden intuitiv erwarten, daß eine Natriumacetatlösung leicht basisch reagieren würde, und dies ist auch tatsächlich der Fall. Ein Teil der Acetationen des Salzes reagiert mit Wassermolekülen unter Bildung von undissoziierter Essigsäure und Hydroxidionen Ac~ + Π ι ο
HAc + H O "
(5-65)
Dieses wird gelegentlich als Hydrolyse bezeichnet, wobei die Vorstellung eine Rolle spielt, daß H 2 0 Kristalle des Natriumacetats aufbricht (Hydrolyse bedeutet „Zersetzung durch Wasser"). Dies geschieht zwar, wenn sich der Salzkristall in Wasser auflöst, aber dies ist hier nicht der entscheidende Punkt. In wäßriger Lösung wirkt das Acetation wie eine Base. Es ist eine genauso gute Brönsted-Lowry-Base wie Ammoniak NH 3 + H 2 0 Ü NH4 + H O Lassen Sie sich nicht durch die unterschiedlichen Ladungen des Acetations (—ie) und des Ammoniakmoleküls (0) über die Ähnlichkeit ihres Säure-Base-Verhaltens hinwegtäuschen. Die Gleichgewichtskonstante für die Acetathydrolyse lautet [HAcKHO-l [Ac ] wobei, wie gewöhnlich, die sich praktisch nicht verändernde Wasserkonzentration [ H 2 0 ] mit in die Gleichgewichtskonstante einbezogen wurde. Diese Konstante wird gelegentlich auch als KHydT für „Hydrolysekonstante" geschrieben, jedoch ist diese zusätzliche Nomenklatur völlig unnötig. Es handelt sich hier um eine einfache Gleichgewichtskonstante für eine Base, wie wir sie schon früher kennengelernt haben, nur daß hier das Acetation die Base darstellt. Wie immer steht Kb auch hier im Zusammenhang mit der Dissoziationskonstante der Essigsäure, ΚΛ _ [HAc][HO-] _ [HAc][HQ-][H+] [Ac-][H+]
=
K,;
(5 67)
-
so daß wir erhalten Kb =
1fr14mol2r2
,,-i = 5 ' 6 8 1,76 χ 10 ' m o l i 1
x
10-10moir1
(5-68)
(Erinnern Sie sich der Ammoniak-Wasser-Gleichgewichtsausdrücke am Ende des Abschnitts 5-7). Dieser Wert ist alles, was wir brauchen, um den pH-Wert einer Natriumacetatlösung zu berechnen. Beispiel 36: Wie groß ist der pH-Wert einer 0,010-molaren NaAc-Lösung? Lösung: Der Gleichgewichtsausdruck lautet 5,68x10-^011-'=^^°"^ [Ac"]
5 - 1 2 Gleichgewichte mit wenig löslichen Salzen
249
Bezeichnen wir jetzt die Hydroxidionenkonzentration [ H O - ] mit z. D a jede Reaktion eines Acetations mit einem Wassermolekül zur Bildung eines Hydroxidions und eines undissoziierten Essigsäuremoleküls führt, müssen die Konzentrationen dieser beiden Teilchenarten gleich ζ sein. Die in der Lösung übrigbleibenden Acetationen sind dann die, die sich aus der ursprünglichen Acetationenkonzentration vom NaAc minus der Acetationenkonzentration ergeben, die mit dem Wasser reagiert hat [ A c ~ ] = 0,010moll~ 1 — ζ und wir erhalten den uns bereits vertrauten Ausdruck ,2
Kb=
0,010moll -
b
=
—ζ
= 5,68 X 10"
10
moll~1
Diese Gleichung ist fast noch einfacher zu lösen als die Probleme mit schwachen Säuren. D a die Gleichgewichtskonstante so klein ist, wird ζ entsprechend klein sein und kann im Nenner gegenüber 0,010 mol Γ 1 vernachlässigt werden. Damit ergibt sich z 2 = 0,010moll χ 5,68 χ « T e m o l i - 1 = 5,68 χ 1 0 ~ 1 2 m o l 2 r 2 ζ = 2,38 χ i 0 ~ 6 m o i r 1 = [ H C T ] [H+l =
r
L
[HO"]
J
Ί
=
*0-14mol2r2 2,38 χ 10
χ
1
0
- 9
m
o
l
I
- i
moli"
p H = 9 - 0,62 = 8,38 d. h. die NaAc-Lösung ist schwach basisch. (Wie zuvor haben wir jeden Beitrag der Wassermoleküle zur Wasserstoffionenkonzentration vernachlässigt. Für die meisten Fälle ist unser Vorgehen genau genug, die Zielsetzung dieses Kapitels eingeschlossen. Eine vollständige Ableitung für die Gleichgewichtskonstante von Säure-Base-Gleichgewichten finden Sie in Anhang 3.)
5-12 Gleichgewichte mit wenig löslichen Salzen Wenn sich die meisten festen Salze in Wasser auflösen, dissoziieren sie vollständig in hydratisierte, positiv und negativ geladene Ionen. Die Löslichkeit eines Salzes in Wasser stellt ein Gleichgewicht zwischen der Anziehung zwischen den Ionen im Kristallgitter und der Anziehung zwischen diesen Ionen und den polaren Wassermolekülen in der Lösung dar. Dieses Gleichgewicht kann ein recht empfindliches sein, das sich leicht verändert, wenn man von einer Verbindung auf eine andere scheinbar ähnliche Verbindung oder von einer Temperatur auf eine andere übergeht. Es ist unmöglich, starre und schnelle Regeln zu nennen, nach denen wir entscheiden können, ob eine Verbindung löslich ist, oder mit deren Hilfe wir sogar das gesamte, beobachtete Löslichkeitsverhalten erklären können. Ein wichtiger Faktor ist ganz gewiß die elektrostatische Anziehung zwischen den Ionen. Kristalle, die sich aus kleinen Ionen zusammensetzen, die dicht aneinander
250
5 Wird es reagieren?
gepackt werden können, sind im allgemeinen schwerer auseinanderzunehmen als Kristalle mit großen Ionen. Infolgedessen sind ζ. B. für ein gegebenes Kation die Fluoride (F~) und Hydroxide ( H O - ) weniger gut löslich als die Nitrate (NO3 ) und Perchlorate (CIO4 ). Chloride (Cl - ) liegen der Größe nach dazwischen, und ihr Verhalten ist recht schwierig aus allgemeinen Prinzipien abzuleiten. Die Ladung der Ionen ist ebenfalls von Bedeutung. Höher geladene Ionen wie ζ. B. Phosphat (PO^ - ) und Carbonat zeigen eine stärkere Wechselwirkung mit den Kationen und sind daher weniger gut löslich als die nur einfach geladenen Nitrat- und Perchlorationen. Die Begriffe „löslich" und „unlöslich" sind relativ, und das Ausmaß der Löslichkeit kann wieder mit einer Gleichgewichtskonstante in Zusammenhang gebracht werden. Für ein „wenig lösliches" Salz wie Silberchlorid, AgCl, besteht ein Gleichgewicht zwischen den dissoziierten Ionen und der festen Verbindung AgCl(s) «± Ag + (aq) + Cl~ (aq)
(5-69)
(Der Zusatz (aq) soll Sie daran erinnern, daß jedes Ion durch Wassermoleküle hydratisiert ist. Wir wollen dies von nun an so verstanden wissen, daß alle Ionen in wäßriger Lösung hydratisiert sind, und lassen künftig das (aq)-Symbol in den Gleichungen wieder fort.) Der Gleichgewichtsausdruck für diese Reaktion lautet dann K=
(5-70)
[AgCl] fest
So lange, wie festes AgCl vorhanden ist, ändert sich seine Auswirkung auf das Gleichgewicht nicht. Die Konzentration des festen Salzes kann damit mit in die Gleichgewichtskonstante einbezogen werden, wie es bereits mit der H 2 0-Konzentration beim Dissoziationsgleichgewicht des Wassers geschah. Wir erhalten damit eine neue Konstante Kip = Κ χ [AgCl] fest = [ A g + ] [ C r ]
(5-71)
die als Löslichkeitprodukt bezeichnet wird. Bei Substanzen, in denen die Ionen nicht im Verhältnis 1:1 vorkommen, ist die Form des Ausdrucks für das Löslichkeitsprodukt Klp analog zu unseren früheren Gleichgewichtsausdrücken PbCl 2 Pb 2 + + 2 C l " Al(OH) 3 * ± A 1 3 + + 3 H C T Ag 2 Cr0 4 íá 2Ag + + C r O r Ba 3 (P0 4 ) 2 τ± 3Ba 2 + + 2 Ρ Ο Γ
Klp Klp Klp Klp
= = = =
[Pb2+][Cr]2 [Al3+][HO-]3 [Ag+]2[CrOr] [Ba2+]3[PC>r]2
Löslichkeitsgieichgewichte sind wichtig für die Voraussage, ob sich unter bestimmten Bedingungen ein Fällungsprodukt bilden wird, und für die Wahl von Bedingungen, bei denen zwei in Lösung befindliche chemische Substanzen durch selektive Ausfällung voneinander getrennt werden können. Das Löslichkeitsprodukt einer wenig löslichen Verbindung kann aus ihrer Löslichkeit in m o l i - 1 berechnet werden.
5 - 1 2 Gleichgewichte mit wenig löslichen Salzen
251
Beispiel 37: Die Löslichkeit von AgCl in Wasser bei 25 °C beträgt 1,3 χ 10" 5 mol Γ 1 . Wie groß ist sein Löslichkeitsprodukt Κ1ρΊ Lösung: Die Gleichgewichtsreaktion ist AgCl
Ag++Cr
Die Konzentrationen von Ag + und Cl" sind gleich groß, da für jedes Mol festen AgCl, das in Lösung geht, jeweils ein Mol von A g + - und CP-Ionen gebildet wird. Infolgedessen ist die Konzentration einer jeden Ionenart gleich der Gesamtlöslichkeit s des Festkörpers, die in moli - 1 angegeben wird [ A g + ] = [ C r ] = s = 1,3 χ 1 0 " 5 m o l l " 1 *ip = [ A g + ] [ C r ] = s 2 = 1,7 χ « r 1 0 m o l 2 r 2 Beispiel 38: Bei einer bestimmten Temperatur beträgt die Löslichkeit von Fe(OH) 2 in Wasser 7,7 χ 1 0 " 6 m o l l " Berechnen Sie Kip bei dieser Temperatur. Lösung: Die Gleichgewichtsreaktion ist Fe(OH) 2
Fe2+ + 2 H O "
und der Ausdruck für das Löslichkeitsprodukt lautet damit Klp = [ F e 2 + ] [ H O - ] 2 Da ein Mol des aufgelösten Fe(OH) 2 ein Mol F e 2 + und zwei Mole H O " ergibt, erhalten wir [ F e 2 + ] = 5 = 7,7 χ 1 0 " 6 m o l l " 1 [ H O " ] = 2s = 1,54 χ 1 0 " 5 m o l l " 1 K l p = 7,7x 1 0 " 6 m o l l " 1 χ (1,54 χ 1 0 " 5 m o l l _ 1 ) 2 = 1,8 χ 1 0 " 1 5 m o l 3 l " 3 Die Löslichkeitsprodukte einiger Stoffe sind in Tabelle 5 - 8 angegeben, wobei die Substanzen nach der annähernd abnehmenden Löslichkeit der Anionen geordnet sind und für ein gegebenes Anion nach abnehmenden Löslichkeitsprodukten eingereiht wurden. Sobald das Löslichkeitsprodukt bekannt ist, kann es dazu verwendet werden, die Löslichkeit einer Verbindung bei einer bestimmten Temperatur zu berechnen. Beispiel 39: Wie groß ist die Löslichkeit von P b S 0 4 in Wasser bei 25 °C? Lösung : Die Dissoziationsreaktion lautet PbS04
P b 2 + + SO4"
Die unbekannte Löslichkeit sei w i e d e r ( i n moli" 1 ). Dann folgt, da jedes Mol des aufgelösten P b S 0 4 ein Mol einer jeden Ionenart ergibt
[Pb2+] = [ s o r ] = s
252
5 Wird es reagieren?
Tabelle 5 - 8 Fluoride BaF 2 MgF 2 PbF 2 SrF 2 CaF 2
Löslichkeitsprodukte, Klf, bei 25 °C 2,4 χ 10" ΐ mol3 8 χ 10" 8 mol3 4 xlO" 8 mol3 7,9 χ 10" 10 mol3 3,9 χ 10" 11 mol3
-3 -3 -3
BaCr0 4 Ag 2 Cr0 4 PbCr0 4
-3 -3
Carbonate
Ι,4 χ 10" 7 mol2 CaC0 3 4,7 χ ΙΟ- 9 mol2 BaC0 3 Ι,6 χ 10" 9 mol2 SrC0 3 7 χ 10" 10 mol2 CuC0 3 2,5 χ 10" 1 0 mol2 ZnC0 3 2 χ 10" 1 0 mol2 MnC0 3 8,8 χ 10" 1 1 mol2 FeC0 3 2,1 χ 10" 11 mol2 Ag 2 C0 3 8,2x10" 12 mol3 CdC0 3 5,2 χ ΙΟ- 12 mol2 PbC0 3 Ι,5 χ ΙΟ- 15 mol2 M g C 0 Ι χ 10" 15 mol2 H g 2 C 0 3 " 9,0 χ 10" 15 mol2 n í c o
Chloride PbCl2 AgCl Hg2Cl2a» Bromide PbBr2 AgBr Hg2Br2a» Iodide Pbl 2 Agi Hg 2 I 2 a) Sulfate CaS0 4 Ag 2 S0 4 SrS0 4 PbS0 4 BaS0 4
1,6 χ ΙΟ- 5 mol3 - 3 Ι,7 χ ΙΟ- 1 0 mol2 -2 Ι,1 χ 10" 1 8 mol3 - 3 6
4,6 χ 10" mol 5,0 χ ΙΟ- 13 mol2 Ι, 3 χ 10" 2 2 mol3 3
8,5 χ ΙΟ- ι 1mol2 Γ 2 Ι,9 χ 10- 12 mol3 Γ 3 2 χ ΙΟ- 16 mol2 Γ 2
-3 -2 -3
3
3
8,3 χ 10" 9 mol3 8,5 χ 10" 17 mol2 4,5 χ 10" 2 9 mol3 5
2,4 χ ΙΟΙ, 2 x 1 0 " 5 7,6 χ ΙΟ- 7 Ι,3 χ ΙΟ- 8 Ι,5 χ 10" 9
mol mol3 mol2 mol2 mol2 2
Chromate SrCr0 4 3,6 χ 10" 5 mol2 Hg 2 Cr0 4 a ) 2 χ ΙΟ- 9 mol2
-3 -2
-2 -2 -2 -2 -2 -2 -2 -2 -3 -2 -2 -2 -2
-3
-2 -3 -2 -2 -2
-2 -2
Hydroxide Ba(OH)2 Sr(OH)2 Ca(OH)2 AgOH Mg(OH)2 Mn(OH)2 Cd(OH)2 Pb(OH)2 Fe(OH)2 CO(OH)2
5,0 χ 10" 3 mol3 3,2 χ ΙΟ- 4 mol3 Ι,3x10" 6 mol3 2,0 χ 10" 8 mol2 8,9 χ 10" 12 mol3 2 χ 10" 13 mol3 2,0 χ 10" 1 4 mol3 4,2 χ ΙΟ- 15 mol3 Ι,8 χ 10" 15 mol3 2,5 χ ΙΟ- 16 mol3
-3 -3 -3
-3
Ni(OH)2 Zn(OH)2 CU(OH)2 Hg(OH)2 Sn(OH)2 Cr(OH)3 Al(OH)3 Fe(OH)3 CO(OH)3
1,6x10" 1 6 4,5 χ ΙΟ- 17 Ι,6 χ 10" 1 9 3 χ 10" 2 6 3 χ 10" 2 7 6,7 χ 10" 3 1 5 χ 10" 3 3 6 χ 10" 3 8 2,5 χ 10" 4 3
mol3 mol3 mol3 mol3 mol3 mol4 mol4 mol4 mol4
Sulfide MnS FeS NiS CoS ZnS SnS CdS PbS CuS Ag 2 S HgS Bi 2 S 3
7 χ 10" 1 6 4 χ 10" 1 9 3 χ 10" 2 1 5 χ 10" 2 2 2,5 χ ΙΟ- 2 2 Ι χ 10" 2 6 1,0 χ 10" 2 8 7 χ 10" 2 9 8 χ 10" 3 7 5,5 χ ΙΟ- 5 1 Ι,6 χ ΙΟ- 5 4 Ι,6 χ ΙΟ- 7 2
mol2 -2 mol2 - 2 mol2 - 2 mol2 - 2 mol2 - 2 mol2 - 2 mol2 - 2 mol2 - 2 mol2 - 2 mol3 - 3 mol2 - 2 mol5 - 5
Phosphate Ag3P04 Sr 3 (P0 4 ) 2 Ca 3 (P0 4 ) 2 Ba 3 (P0 4 ) 2 Pb 3 (P0 4 ) 2
Ι,8 χ ΙΟ- 18 Ι χ 10" 3 1 1,3 χ 10" 3 2 6 χ ΙΟ- 3 9 Ι χ 10" 5 4
mol4 1- 4 mol 5 1 - 5 mol 5 1 - 5 mol 5 1 - 5 mol 5 1 - 5
-3 -3 -3 -3 -4 -4 -4 -4
-2 -3 -3 -3 -3 -3 -3
»Als Hg! +-Ion. K,p = [Hg 2+ ] [X"] 2
Die Gleichung für das Löslichkeitsprodukt lautet nun mit dem Wert aus Tabelle 5 - 8 K l p = [ P b 2 + ] [ S O | _ ] = s2 = 1,3 χ 1 0 " 8 m o l 2 l " 2 s= 1,14 χ i O - ' m o i r 1 Beispiel 40: Aus der Tabelle 5 - 8 können wir entnehmen, daß C d C 0 3 und A g 2 C 0 3 annähernd „gleich große" Löslichkeitsprodukte aufweisen. Vergleichen Sie ihre molaren Löslichkeiten in Wasser bei 25 °C. Lösung: Für das Cadmiumcarbonat gilt Klp = [ C d 2 + ] [ C O i " ] = s 2 = 5,2 χ 1 0 " 1 2 m o l 2 r 2 s = 2,3 χ l O ^ m o l l " 1
5 - 1 2 Gleichgewichte mit wenig löslichen Salzen
253
Für das A g 2 C 0 3 sieht der Ausdruck etwas anders aus. Wenn s wieder die Löslichkeit des Salzes in moli - 1 darstellt, erhalten wir für das Löslichkeitsgieichgewicht, da jedes Mol des Salzes zwei Mole Ag + -Ionen in der Lösung erzeugt, die Beziehungen [Ag + ] = 25
[CO§-] = i K,p = [ A g + ] 2 [ C O n = (2s)2 χ s = 4s3 = 8,2 χ 1 0 " 1 2 m o l 3 r 3 s= 1,3 χ 10~ 4 moll~ 1 Obwohl also Cadmiumcarbonat und Silbercarbonat annähernd „gleich große" Löslichkeitsprodukte aufweisen, unterscheiden sich ihre Löslichkeiten um einen Faktor von ungefähr 100, weil die Form des Ausdrucks für das Löslichkeitsprodukt eine andere ist. Die Löslichkeit des A g 2 C 0 3 hängt vom Quadrat der Metallionenkonzentration ab, da zwei Silberionen pro Carbonation nötig sind, um den Kristall aufzubauen. Der Fehler, den wir hier von Anfang an machten, beruht auf einem der häufigsten Trugschlüsse, die bei einer unachtsamen Betrachtungsweise physikalischer Größen gemacht werden: Die Löslichkeitsprodukte der beiden Salze sind gar nicht gleich groß, da es aufgrund der unterschiedlichen Dissoziationsgleichungen völlig verschiedene Größen sind, die überhaupt nicht miteinander verglichen werden können. Es gilt nämlich Kipcdco3 = 5,2x 1 0 - 1 2 m o l 2 r 2 12 KiPAg2co3 = 8,2xl0mol3r3 und damit sind nur die Zahlenwerte dieser Größen gleich groß, während sich ihre Einheiten voneinander unterscheiden ! Unsere ursprüngliche Aussage ist also ebenso sinnlos wie die Behauptung, 5 m sind genauso groß wie 5 m 2 . Beachten Sie bei physikalischen Größen stets auch die Einheiten ! Bei der Berechnung von Gleichgewichtsausdrücken (wie auch bei allen anderen physikalischen Berechnungen) bietet die korrekte Mitnahme der Einheiten eine unabhängige Möglichkeit, die Richtigkeit der verwendeten Gleichungen und Größen zu prüfen. Eine kurze Darstellung über den Umgang mit physikalischen Größen und ihren Einheiten finden Sie in K. R. Atkins, Physik, 2. Auflage, de Gruyter, 1986.
Auswirkung eines gemeinsamen Ions Im vorangehenden Beispiel berechneten wir die Löslichkeit des Silbercarbonats in reinem Wasser bei 25°C zu 1,3 χ 10~ 4 moll~ l . Wird Silbercarbonat nun in einer Silbernitratlösung mehr oder weniger löslich sein als in reinem Wasser? Das Le Chateliersche Prinzip läßt uns erwarten, daß eine neue, unabhängige Quelle von Silberionen die Gleichgewichtsreaktion des Silbercarbonats in Richtung auf eine geringere Dissoziation verschieben wird Ag2C03
2Ag + + C O 2 "
(5-72)
254
5 Wird es reagieren?
oder daß Silbercarbonat in einer Silbernitratlösung weniger gut löslich ist als in reinem Wasser. Diese Abnahme der Löslichkeit eines Salzes in der Lösung eines anderen Salzes, mit dem es ein gemeinsames Kation oder Anion besitzt, wird auch als Effekt des gemeinsamen Ions bezeichnet. Beispiel 41: Wie groß ist bei 25 °C die Löslichkeit von CaF 2 (a) in reinem Wasser, (b) in einer 0,10-molaren CaCl 2 -Lösung und (c) in einer 0,10-molaren NaF-Lösung? Lösung : (a) Wenn die Löslichkeit in reinem Wasser gleich s ist, dann gilt [Ca2+] = s [ F - ] = 2, Klp = s χ 4s2 = 4s3 = 3,9 χ 1 0 - 1 1 m o l 3 l - 3 j = 2,l χ 1 0 _ 4 m o i r 1 (b) In der 0,10-molaren CaCl 2 -Lösung ist die Calciumionenkonzentration gleich der Summe der Konzentrationen von Calciumionen vom Calciumchlorid und vom Calciumfluorid, dessen Löslichkeit s wir bestimmen wollen [ C a 2 + ] = 0,10moll~ 1 + s [ F - ] = 2Í K ìp = (0,10 mol Γ 1 + i)(2í)2 = 3,9 χ 10 ~ 1 1 mol33l1- 3 Dieses ist eine kubische Gleichung, aber ein kurzes Nachdenken über das dieser Gleichung zu Grunde liegende chemische Problem wird uns von der Notwendigkeit befreien, sie als solche direkt zu lösen: Bei derartig geringen Löslichkeitsprodukten können Sie voraussagen, daß die Löslichkeit des Calciumfluorids im Vergleich mit 0,10 m o l i - 1 sehr klein sein wird. (Sie sollten schon nach Teil (a) dieses Beispiels und dem Le Chatelierschen Prinzip erkannt haben, daß im vorliegenden Fall s kleiner als 2,1 χ IO - 4 m o l l - 1 sein muß.) Wenn unsere Annahme Gültigkeit besitzt, dann können wir die Löslichkeitsproduktgleichung vereinfachen und die Löslichkeit daraus näherungsweise berechnen O.lOmoir 1 x(2s 2 )= 3,9 χ 1 0 _ 1 1 m o l 3 r 3 2 5
_ 3,9 χ l Q - ^ m o l 3 ! " 3 ~ 4x0,10moir1
= 9,75 χ l O - ^ m o l 2 ! " 2 i = 9 , 9 x 10~ 6 moll _ 1 Auf Grund dieses Ergebnisses können wir sagen, daß die Näherung berechtigt war. Nur noch etwa 5% der CaF 2 -Konzentration, die sich in reinem Wasser löste, wird sich in einer 0,10-molaren CaCl 2 -Lösung auflösen 9,9x10-^011-; 2,1 χ 1 0 _ 4 m o i r 1
/o
5-12 Gleichgewichte mit wenig löslichen Salzen
255
(c) In einer 0,10-molaren NaF-Lösung erhalten wir entsprechend [Ca2+] = s [F~] = 0,10moll~ 1 + 2s da Fluoridionen sowohl vom NaF als auch vom CaF 2 in die Lösung gelangen. Die Gleichung für das Löslichkeitsprodukt lautet damit K l p = s(2s + 0,10mol Γ
= 3,9 χ IO - 1 1 mol 3 1" 3
Wenn wir wieder an die chemische Bedeutung dieser Gleichung denken, können wir uns wie zuvor die Notwendigkeit der Lösung einer kubischen Gleichung ersparen. Der 2s-Term in der Klammer wird wieder sehr klein im Vergleich mit 0,10moli - 1 sein, so daß wir ihn vernachlässigen können. Damit ergibt sich j(0,10moir 1 ) 2 = 3,9x 10" 11 mol 3 Γ í = 3,9 χ 10~ 9 moll _ 1
3
Diese Näherung ist sogar noch besser als die vorhergehende, da nach der Rechnung 3,9 χ 10~ 9 moll~ 1 ... —— r—τ 1 Χ 100 « 0,002% 2,1 χ 10 *moll sich nur noch 0,002% der Menge des CaF 2 , die sich in reinem Wasser auflöst, in einer 0,10-molaren NaF-Lösung auflösen werden. Das Fluorid ist als gemeinsames Ion wirkungsvoller als Calcium, da seine Konzentration quadratisch in den Ausdruck für das Löslichkeitsgieichgewicht eingeht. Der Effekt des gemeinsamen Ions wird häufig zur Regelung der Löslichkeit bei Lösungen eingesetzt, die Sulfidionen, S 2 ~, enthalten, weil viele Metalle „unlösliche" Sulfide bilden. Die Sulfidionenkonzentration wird dabei durch Einstellung des pH-Werts geregelt. Beispiel 42: Wie hoch ist die größtmögliche Konzentration des Ni 2 + -Ions in Wasser bei 25 °C, das mit H 2 S gesättigt ist und mit HCl auf einem pH-Wert von 3,0 gehalten wird? Lösung: Nach der Gleichung für das Löslichkeitsgieichgewicht können wir voraussagen, daß ein Überschuß von Nickelionen zur Fällung von NiS führen wird Klp = [ N i 2 + ] [ S 2 ~ ] = 3 χ 1 0 - 2 1 mol 2 l~ 2 Das einzig Neue an diesem Problem ist nun, die Sulfidionenkonzentration aus dem H2S-Gleichgewicht zu ermitteln. Schwefelwasserstoff, H 2 S, dissoziiert in zwei Schritten, von denen jeder eine eigene Gleichgewichtskonstante besitzt. (Mehrbasige Säuren, d. h. Säuren, die bei der Dissoziation mehr als ein Proton pro Säuremolekül abgeben, werden eingehender in Anhang 3 diskutiert.) H 2 S < ± H + + HS~ HS- g H + + S 2 ~ H2S 2H + + S2~
Kai =9,1 χ « r ' m o i r 1 Ka2 = 1,1 χ 1 0 - 1 2 m o i r 1 Kai2 = K a i χ ΚΛ2
256
5 Wird es reagieren?
Da die Gesamtdissoziation die Summe von zwei Dissoziationsschritten ist, ergibt sich für die Gleichgewichtkonstante der Gesamtreaktion Ka¡2 das Produkt von ΚΛι und Ka2 [H+][HS~] [ H + ] [ S 2 ~ ] _ [H + ] 2 [S 2 ~] [H 2 S] [HS-] [H 2 S] = (9,1 χ 1 0 - 8 m o l l - 1 ) χ (1,1 χ l O ^ m o i r 1 ) = 1,0 χ 10 _ 1 9 mol 2 l~ 2 Eine gesättigte H2S-Lösung ist bei 25 °C annähernd 0,10-molar und der sehr kleine Wert von ΚΛί2 bedeutet, daß die Dissoziation des H 2 S äußerst gering ist. Infolgedessen können wir für eine gesättigte H 2 S-Lösung bei 25 °C angeben [H 2 S] = 0,10moll~ 1 und
[ H + ] 2 [ S 2 - ] = 1,0 χ 1(Γ 2 0 ιηο1 3 Γ 3
Dieses „Ionenprodukt" für eine gesättigte H2S-Lösung sollten wir uns merken. Im vorliegenden Problem wird der pH-Wert mit HCl auf 3,0 eingestellt, so daß gilt [ H + ] = 10~ 3 moll _ 1 Infolgedessen kann die Sulfidionenkonzentration mit Hilfe der Beziehung [S
^ ] = Xai2x
&& [H + ] 2
= 1,0 χ 1 0 _ 1 9 m o l 2 l - 2 χ
0,10moll~ 1 (lO^moir1)2
berechnet werden, wonach wir erhalten [ S 2 _ ] = 1,0 χ 10 _ 1 4 moll _ 1 Da NiS ausfallen wird, sobald sein Löslichkeitsprodukt überschritten wird, ergibt sich als größtmöglicher Wert für die Konzentration der Nickelionen L
+
J]
= r ^2 T = 3 Χ ΐ 0 " _: 1 Γ η ' 7- = 3 x « ^ m o l l " > [S "] 1 χ 10 moli
Die Trennung von Verbindungen durch Fällung Mit Hilfe der Löslichkeitsprodukte können Verfahren zur Trennung von Ionen in Lösung durch selektive Fällung entwickelt werden. Das Schema der gesamten traditionellen qualitativen Analyse beruht auf der Anwendung dieser Gleichgewichtskonstanten zur Ermittlung der geeigneten Fällungsmittel und der richtigen Strategie. Beispiel 43: Eine Lösung ist 0,010-molar in BaCl2 und 0,020-molar in SrCl2. Kann entweder Ba2 + oder Sr2 + selektiv mit einer konzentrierten Natriumsulfatlösung ausgefällt werden? Welches Ion wird zuerst ausgelallt? Wie hoch ist die Restkonzentration des ersten Ions, wenn das zweite Ion gerade auszufallen beginnt, und welcher Bruchteil der ursprünglichen Menge des ersten Ions liegt dann noch in Lösung vor? Zur Vereinfachung
5-12 Gleichgewichte mit wenig löslichen Salzen
257
können Sie annehmen, daß die Na 2 S0 4 -Lösung so konzentriert ist, daß die Volumenänderung der BaCl 2 —SrCl 2 -Lösung vernachlässigt werden kann. Lösung: Die obere Grenze für die Löslichkeit des Bariumsulfats ist gegeben durch X lp = [Ba 2+ ][SC>4~] = 1,5 χ 10~ 9 mol 2 l~ 2 (siehe Tabelle5-8). Bei einer Ba 2+ -Konzentration von 0,010moli - 1 wird eine Fällung von Bariumsulfat erst dann einsetzen, wenn sich die Sulfationenkonzentration auf ΓΟ/-.2-Ί 1,5x10 9 mol 2il ISO! L JΊ = O.OlOmoll"1
2
, n _ 7 'moll !1 = 1,5x10
erhöht hat. Strontiumsulfat wird ausgefallt, wenn die Sulfationenkonzentration den Wert •2 X 10" 7 mol 2 1 -1 [ s o4 nJ = K.wsrso.) V"' 5 ;^ = 7,6 ' = 3,8 X 10~ 5 moll L _1. [Sr ] 0,020moll erreicht hat. Infolgedessen wird Bariumsulfat zuerst ausgefällt. Wenn die Sulfatkonzentration auf 3,8 χ 1 0 " 5 m o l i - 1 angestiegen ist und Strontiumsulfat gerade auszufallen beginnt, wird die Restkonzentration des Bariumions, die noch in der Lösung vorhanden ist, den Wert r _ -,+τ [Ba L J]
1,5 χ 10~ 9 mol 2 l~ 2 „Λ . ,, . = — — — ——r = 3,9 χ 10 moli 3,8 χ 10" moli
besitzen. Diese Konzentration entspricht 3,9 χ l O - ' m o i r 1 χ 100 = 0,4% Ο,ΟΙΟηιοΙΙ"1 der ursprünglich vorhandenen Ba 2+ -Konzentration. Somit sind 99,6% des Bariums aus der Lösung ausgefallt, bevor sich das Strontium abzuscheiden beginnt.
5—13 Zusammenfassung In diesem Kapitel haben wir zwei der fundamentalsten Begriffe der Chemie kennengelernt, nämlich Spontaneität und chemisches Gleichgewicht. Sie sind von grundlegender Bedeutung, weil sie uns sagen, wann eine Reaktion eine ihr innewohnende Neigung besitzt, überhaupt abzulaufen (was noch nicht besagt, daß sie ohne Hilfe auch schnell ablaufen wird). Wenn die Hin- und Rückreaktionen eines chemischen Prozesses mit derselben Rate (Reaktionsgeschwindigkeit) ablaufen, dann stellt dieser Zustand der Ausgewogenheit das Gleichgewicht dar. Eine Reaktion, die sich nicht im Gleichgewicht befindet, sich aber auf das Gleichgewicht zu bewegt, wird spontan genannt. Ein Katalysator beschleunigt die Bewegung einer spontanen Reaktion auf das Gleichgewicht zu, aber er beeinflußt nicht die endgültige Lage des Gleichgewichts.
258
5 Wird es reagieren?
Je höher die Konzentrationen der miteinander reagierenden Stoffe (Reaktionspartner oder Ausgangsstoffe) sind, desto stärker werden sie dazu neigen, miteinander unter Bildung von Reaktionsprodukten zu reagieren. Umgekehrt wird mit wachsender Konzentration der Produkte die Rückreaktion stärker begünstigt. Im Gleichgewichtsfall besitzt das Verhältnis der Konzentrationen von Produkten zu Ausgangsstoffen infolgedessen einen für die Reaktion charakteristischen Wert, der als Gleichgewichtskonstante, K, bezeichnet wird. Für die allgemeine Reaktion aA + bB ?± cC + d D erhalten wir für die Gleichgewichtskonstante einen Ausdruck der Form K
_ [c?[P]d [AHB]"
bei dem jeder Konzentrationsterm in die Potenz erhoben wird, die seinem stöchiometrischen Koeffizienten in der Gleichung für die Gesamtreaktion entspricht. Obwohl diese einfache Ableitung des Massenwirkungsgesetzes für Κ nicht ganz korrekt ist, sind seine Ergebnisse richtig. Der Wert von Κ kann unabhängig vom Reaktionsmechanismus aus der stöchiometrischen Gleichung für die Gesamtreaktion berechnet werden. Dementsprechend kann uns die Gleichgewichtskonstante auch nichts über den tatsächlichen Mechanismus sagen, nach dem die Reaktion abläuft. Das Le Chateliersche Prinzip ist eine wichtige, zusammenfassende Beschreibung des Verhaltens von Gleichgewichtssystemen. Es besagt: Wird auf ein chemisches System im Gleichgewicht ein äußerer Zwang ausgeübt, so verschiebt sich die Lage des Gleichgewichts im System derart, daß die Auswirkung des Zwanges vermindert wird. Wenn der Zwang eine Änderung der Konzentrationen von Ausgangsstoffen oder Produkten, des Druckes oder des Volumens ist, dann können sich die Gleichgewichtskonzentrationen der chemischen Komponenten ändern, aber ihr Konzentrationsverhältnis - die Gleichgewichtskonstante Κ - ändert sich nicht. Wenn jedoch die Temperatur verändert wird, nimmt Κ gewöhnlich einen anderen Wert an. In Übereinstimmung mit dem Le Chatelierschen Prinzip wird die Gleichgewichtskonstante für eine Reaktion, die Wärme aufnimmt, bei höheren Temperaturen größer sein. Die Dissoziation von Säuren, Basen und Salzen in Lösungen stellt einen Wettstreit zwischen der gegenseitigen Anziehung von Ionen dieser Stoffe untereinander und der Anziehung dar, die Wassermoleküle (oder andere Lösungsmittelmoleküle) auf diese Ionen ausüben. Bei Säuren und Basen ist die relative Anziehung des Protons, Η + , durch neutrale Moleküle oder Ionen der wesentliche Faktor. Nach der Theorie von Brönsted und Lowry ist jeder Stoff, der ein Proton abgibt, eine Säure; und jede Substanz, die sich mit einem Proton verbindet und dieses aus einer Lösung entfernen kann, ist eine Base. Wenn eine Säure ihr Proton verliert, wird aus ihr ihre konjugierte Base. Eine starke Säure wie HCl besitzt eine schwache konjugierte Base, C P , und eine schwache Säure wie HAc oder NH4 hat eine starke konjugierte Base, Ac~ oder NH 3 . Jede Säure, deren konjugierte Base hinreichend schwächer als H z O ist (eine geringere H + -Affinität aufweist), wird in wäßriger Lösung vollständig dissoziiert sein und ist daher als starke Säure
5-13 Zusammenfassung
259
einzuordnen. Säuren, die in wäßriger Lösung nur teilweise dissoziieren, werden als schwache Säuren bezeichnet. Die Dissoziation von schwachen Säuren und Basen und die des Wassers selbst kann durch die Gleichgewichtskonstanten Κ.Λ und Kh sowie durch das Ionenprodukt des Wassers, Kw, beschrieben werden. Aus denselben Gründen der numerischen Bequemlichkeit, die uns dazu veranlaßten, die Wasserstoffionenkonzentration logarithmisch als pH = - log 1 0 ([H + ]/lmoll _ 1 ) zu beschreiben, können wir für diese Gleichgewichtskonstanten auch pfi a -, p/Cb- und pKw-Werte angeben. Die Lösung von Säure-BaseGleichgewichtsproblemen verlangt, daß man alle Gleichgewichte im Auge behält, die zwischen den verschiedenen Teilchenarten bestehen können, daß man an die Unmöglichkeit denkt, Materie während der Reaktionen vernichten oder erschaffen zu können, und daß insgesamt die Ladungsneutralität aufrechterhalten werden muß. Auf den ersten Blick mag ein Gleichgewichtsproblem viel verwickelter aussehen, als es wirklich ist. Etwas gesunder, „chemischer" Menschenverstand hinsichtlich der Möglichkeiten, das Problem durch eine erlaubte Näherungslösung zu vereinfachen, reduziert gewöhnlich die Komplexität von Gleichgewichtsberechnungen auf Rechenschieberdimensionen: Wenn eine Dissoziationskonstante kleiner als 10~ 4 moll _ 1 oder 1 0 " 5 m o l i - 1 ist, kann man normalerweise die Konzentration der Substanz, die dissoziiert ist, im Vergleich zur übrigbleibenden Konzentration der undissoziierten Substanz vernachlässigen und die Konzentration der undissoziierten Substanz im Gleichgewicht durch die anfängliche Gesamtkonzentration annähern. Selbst wenn eine Überprüfung des Ergebnisses zeigt, daß dieser Wert nicht stimmt, ist er gewöhnlich doch der beste Näherungswert für eine zweite Berechnung. Es ist auch recht nützlich, sich einmal vor Augen zu halten, wie ungenau bestimmt die meisten Gleichgewichtskonstanten sind: Eine Verfeinerung eines Ergebnisses auf eine Genauigkeit von weniger als 5% ist reine Zeitverschwendung. Der größte Teil der allgemeinen Bemerkungen, die wir gerade über die Lösung von Säure-Base-Gleichgewichtsproblemen machten, gilt auch für Löslichkeitsgieichgewichte. Löslichkeitsproduktberechnungen sind für Richtwerte am nützlichsten, die uns anzeigen, ob unter bestimmten Bedingungen eine Fällung erfolgt, welches die Obergrenze der Konzentration eines bestimmten Ions in der Lösung sein kann und ob zwei Ionen in Lösung durch selektive Fällung voneinander getrennt werden können. William Thomson machte die sehr tiefgehende Beobachtung über den Zusammenhang zwischen Zahlen und Naturwissenschaft, die wir am Anfang dieses Kapitels zitierten. (Heute würden wir an Stelle des Begriffs „Zahlen" den Begriff „Größen" setzen, da ja die Naturgesetze keine Zusammenhänge zwischen Zahlen, sondern zwischen Größen darstellen.) Die beiden Gebiete, auf denen die Chemiker nach Lavoisiers frühen Bemerkungen über die Bedeutung der Masse mit Zahlen in ihren Experimenten zu arbeiten begannen und quantitative Zusammenhänge entdeckten, waren die Untersuchung der Reaktionswärmen - die Thermochemie - und die Gleichgewichtsexperimente. In Kapitel 15 werden wir sehen, daß diese beiden Gebiete zwei verschiedene Seiten derselben Erscheinung sind. Was wir durch Messung von thermodynamischen Eigenschaften lernen können, wird uns dann erlauben, die Gleichgewichtskonstanten direkt zu berechnen. In diesem Kapitel haben wir sie entweder als bekannt vorausgesetzt oder als Ergebnisse von Gleichgewichtsexperimenten betrachtet. Wir haben auch alle Fragen
260
5 Wird es reagieren?
darüber vermieden, wie schnell Reaktionen eigentlich ablaufen. Reaktionsraten werden das Thema von Kapitel 18 sein. Im Augenblick bedeutet es für uns bereits einen großen Schritt vorwärts, daß wir voraussagen können, ob eine Reaktion, wenn wir geduldig warten, überhaupt einmal ablaufen wird.
Gelegentlich bin ich gefragt worden, wie man so sicher sein kann, daß es nicht irgendwo im Weltall noch weitere Elemente gibt, die anders sind als die im Periodensystem vorkommenden. Ich habe darauf zu antworten versucht, indem ich sagte, daß dies etwa der Frage entspricht, woher man weiß, daß nicht irgendwo im Universum noch eine ganze Zahl zwischen 4 und 5 existiert. Leider gibt es jedoch Leute, die auch dies für eine gute Frage halten. George Wald, 1964
6 Klassifizierung der Elemente und periodische Eigenschaften Aus den Eigenschaften von Elektrolytlösungen, aus den chemischen Veränderungen, die durch einen elektrischen Strom hervorgerufen werden, und aus der direkten Untersuchung von gasförmigen Ionen haben wir gelernt, daß Atome ihrem Wesen nach elektrisch sind. Darüber hinaus scheint ein Atom aus einem positiven Kern, der den größten Teil der Masse eines Atoms enthält, und einem oder mehreren negativ geladenen Elektronen zu bestehen, die relativ lose an das Atom gebunden sind. Diese Elektronen, von denen jedes nur Vi835 mal so viel wie ein Wasserstoffatom wiegt, können entfernt werden, wodurch positive Ionen gebildet werden. Andere Elektronen können an neutrale Atome angelagert werden, so daß negative Ionen entstehen. Diese Fähigkeit, Elektronen aufzunehmen oder abzugeben, ändert sich von einem Element zum anderen und tut dies auf eine systematische Weise, die mit dem chemischen Verhalten des Elements in Zusammenhang steht. Die Aufnahme oder die Abgabe von Elektronen ist für die chemische Reaktivität von fundamentaler Bedeutung. In diesem Kapitel werden wir Zusammenhänge zwischen atomaren, elektrischen und chemischen Eigenschaften untersuchen und aufzeigen, wie diese direkt zu einem fundamentalen Klassifizierungsschema für Materie führen, das als das Periodensystem der Elemente bekannt ist. Für Rutherford, den Physiker, würde das Periodensystem das Nonplusultra der Briefmarkensammlung bedeuten. Es würde nur seinen Eindruck von der Chemie bestätigen, wenn dies das letzte Kapitel wäre. Aber wir ordnen die Elemente des Universums in das Periodensystem ein, damit die Chemie beginnen kann und nicht dazu, daß sie damit endet. Sobald das Klassifizierungsschema aufgestellt ist, muß es mit Hilfe der Elektronen und anderer subatomarer Teilchen erklärt werden, aus denen sich die Atome aufbauen. Diese Erklärung ist die Aufgabe von Teil 3 dieses Buches. Aber bevor wir damit beginnen, über die Welt zu theoretisieren, lassen Sie uns erst einmal kennenlernen, wie sie wirklich aussieht.
262
6 Klassifizierung der Elemente und periodische Eigenschaften
6 - 1 Frühe Klassifizierungsschemen Schon sehr früh in der Entwicklung der Chemie stellten die Chemiker fest, daß bestimmte Elemente ähnliche Eigenschaften besaßen. Das erste Klassifizierungsschema der Elemente bestand aus nur zwei Einteilungen, in Metalle und Nichtmetalle. Metallische Elemente besitzen ein bestimmtes, glänzendes Aussehen, sie sind schmiedbar und duktil, sie leiten Wärme und Elektrizität, und sie bilden mit Sauerstoff Verbindungen, die basisch reagieren. Nichtmetallische Elemente haben kein charakteristisches Aussehen, sie leiten nicht Wärme und Elektrizität, und sie bilden saure Oxide.
Döbereiners Triaden 1829 beobachtete der deutsche Chemiker Johann Döbereiner mehrere Gruppen von drei Elementen (Triaden), die ähnliche chemische Eigenschaften besaßen. In jedem Fall war die relative Atommasse eines Elements in der Triade nahezu gleich dem Mittelwert aus den relativen Atommassen der beiden anderen Elemente. Ein Beispiel für eine der Döbereinerschen Triaden ist die Gruppe Chlor, Brom und Iod. Jedes Element in dieser Triade bildet farbige Dämpfe, die zweiatomige Moleküle enthalten. Jedes Element verbindet sich mit Metallen und zeigt eine Äquivalentmasse, die gleich seiner Atommasse ist. Auch bildet jedes Element der Triade mit Sauerstoff Ionen, die eine einfache, negative Ladung besitzen, wie zum Beispiel CIO ~, CIO 3 , BrO J und IO 3. Die relative Atommasse des Broms (80) ist angenähert gleich dem Mittelwert aus der relativen Atommasse des Chlors (35,5) und des Iods (127). In Tabelle 6-1 sind die ähnlichen Eigenschaften der Elemente in dieser und anderen Triaden zusammengestellt. Zusätzlich zu der Entdeckung der in Tabelle 6-1 angegebenen Triaden beobachtete Döbereiner noch eine sonderbare Triade der Metalle Eisen, Cobalt und Nickel, die alle ähnliche Eigenschaften und fast dieselben Atommassen besitzen. Die Metalle werden in Baumaterialien (Stahl) verwendet und können wie Eisen ferromagnetisch sein; in ihren Oxidationsstufen + 2 und + 3 bilden sie gefärbte Komplexionen. Diese Entdeckung von Elementfamilien (die Zahl 3 pro Familie erwies sich als unbedeutend) lieferte denen einen Anreiz, die versuchten, eine rationale Methode zur Klassifizierung der Elemente zu finden.
Newlands' Oktavengesetz In dem Zeitraum von 1850 bis 1865 wurden viele neue Elemente entdeckt. Darüber hinaus machten die Chemiker in dieser Periode beträchtliche Fortschritte bei der Bestimmung von relativen Atommassen. Somit standen genauere Werte für die Atommassen der altbekannten Elemente zur Verfügung, und für die neuen Elemente wurden hinreichend genaue Werte angegeben. 1865 untersuchte der englische Chemiker John Newlands (1839-1898) das Problem des periodischen Wiederauftretens von ähnlichem Verhalten von Elementen. Er ordnete die leichtesten der bekannten Elemente nach ansteigenden relativen Atommassen und erhielt folgendes Schema:
6-1 Frühe Klassifizierungsschemen Tabelle 6-1
263
Beschreibung der Döbereinerschen Triaden
Triadenelemente und relative Atommassen
Elementare Form
Hauptverbindungen
Spezielle Eigenschaften
(I) Cl; Br; I 35,5; 80; 127
Farbige, Bilden einfache Salze, die Freie Elemente reagieren heftig zweiatomige (— 1 )-Ionen enthalten: Cl", mit Elektronen-Donatoren unter Moleküle; Br~, I ~. Bilden mit Sauerstoff Bildung negativer Ionen: Cl 2 (gelbgrün) Ionen der Ladung (—1), die Cl", Br~, I " : Br 2 (braun) ein bis vier Sauerstoffatome 2Na + Cl 2 3, IO3, IO4. Salze (wie NaCl) lösen sich sehr Wasserstoffverbindungen gut in Wasser. Halogenid-Salze sind: von Li, Na und Κ ergeben neutrale Lösungen. WasserstoffverHCl, HBr, HI. bindungen sind starke Säuren und dissoziieren in Wasser vollständig: HBr + H 2 0 «=* H 3 0 + + Br~
Farbige, (II) S; Se; Te 32; 79; 127,6 kristalline Nichtmetalle: Te (etwas metallisch) S 8 (gelb) Se8 (rot)
Bilden einfache Salze mit ( —2)-Ionen: S 2 " , Se 2 ", T e 2 - , und sehr stark riechende Verbindungen mit Wasserstoff: H 2 S, H 2 Se, H 2 Te. Bilden Oxy-Ionen der Ladung ( — 2) mit bis zu vier Sauerstoffatomen: SO^" a) , S O | ' , SeO^ - . Bilden Dioxide und Trioxide S 0 2 , SOJ>, S e 0 2 , Te02, Te03.
Salze, mit Ausnahme der Triaden (III) und (IV), sind etwas in Wasser löslich: CuS, ZnS, HgS. Lösliche Salze (NaS) ergeben basische Lösungen: S2~ + H 2 0 HS" + H O Wasserstoffverbindungen sind schwache Säuren.
(III) Ca; Sr; Ba 40; 88; 137
Reaktionsfreudige Metalle
Bilden Salze, die ( + 2)Ionen enthalten: Ca 2 + , Sr 2 + , Ba 2 + in BaS0 4 , C a C 0 3 , SrCl 2 usw.
Salze geben in der Flamme kräftige Farben: Ca (orange), Sr (rot), Ba (grün). Sulfate und Carbonate sind unlöslich. Metalle verdrängen langsam Wasserstoff aus Wasser.
(IV) Li; Na; Κ 7; 23; 39
Sehr reaktionsfreudige Metalle
Bilden Salze, die ( + l)-Ionen enthalten: Li + , N a + , K + in NaCl, L i 2 C 0 3 , K3PO4 usw.
Fast alle Salze sind löslich; Metalle und Salze ergeben kräftig gefärbte Flammen: Li (rot), Na (gelb), Κ (purpur). Metalle reagieren heftig mit Wasser unter Bildung von Wasserstoff und löslichen, ionischen Hydroxiden: 2Na + 2 H 2 0 + 2Na+ + 2HO"
a)
Beachten Sie die Bedeutung der Ladung: S O 3
ist völlig verschieden von S 0 3 (ungeladen)!
264
6 Klassifizierung der Elemente und periodische Eigenschaften
Η F Cl
Li Na Κ
Be Mg Ca
Β Al Cr
C Si Ti
Ν Ρ Μη
Ο S Fe
Newlands bemerkte, daß das achte Element (Fluor) dem ersten (Wasserstoff), das neunte dem zweiten usw. ähnelte. Seine Beobachtung, daß jedes achte Element ähnliche Eigenschaften hatte, brachte ihn auf die Idee, seine chemischen Oktaven mit musikalischen Oktaven zu vergleichen, und er selbst nannte seine Entdeckung das Oktavengesetz. Die Achter-Periodizität in der Chemie ließ ihn eine fundamentale, chemische Harmonie erkennen, die der musikalischen gleichkam. Der Vergleich, obwohl recht reizvoll, hinkt. Hätte Newlands die Edelgase gekannt, würde seine Periodizität der Eigenschaften sich in Neuner- statt in Achterschritten ergeben haben. Er würde niemals die Analogie zur Musik gebraucht haben, und er hätte sich einiges von dem Hohn und der Mißachtung ersparen können, unter denen er zu leiden hatte. Newlands' Anstrengungen waren zugegebenerweise ein Schritt in die richtige Richtung. Jedoch können an seinem Klassifizierungsschema drei Punkte ernsthaft bemängelt werden: 1. Es gab in seiner Tabelle keine Plätze für die neuen Elemente, die in schneller Folge entdeckt wurden. Darüber hinaus gab es am Ende seiner Tabelle mehrere Plätze, an denen zwei Elemente an dieselbe Stelle in der Tabelle gesetzt wurden (Abschnitt 6-7). 2. Es gab keine gelehrte Diskussion der Arbeiten über die relativen Atommassen und keine Auswahl der vermutlich besten Werte dafür. 3. Bestimmte Elemente schienen nicht an die Stelle zu gehören, an der sie sich in Newlands Schema befanden. So ist zum Beispiel Chrom (Cr) dem Aluminium (Al) oder Mangan (Μη), ein Metall, dem Phosphor (P), einem Nichtmetall, nicht ausreichend ähnlich genug. Metallisches Eisen (Fe) und das Nichtmetall Schwefel (S) ähneln sich überhaupt nicht.
6—2 Die Basis für die periodische Klassifizierung Die Entwicklung des Periodensystems, so wie wir es heute kennen, wird hauptsächlich dem russischen Chemiker Dmitri Mendelejeff (1834-1907) zugeschrieben, obwohl der deutsche Chemiker Lothar Meyer unabhängig von Mendelejeff und fast gleichzeitig mit ihm im wesentlichen dasselbe System ausarbeitete. Soweit wir wissen, kannte keiner von beiden die Arbeit von Newlands. Mendelejeffs Periodensystem, das 1869 aufgestellt wurde, folgte Newlands' Plan der Einordnung der Elemente nach ansteigenden Atommassen, wies aber dabei die folgenden, wesentlichen Verbesserungen auf (Abbildung6-1): 1. Es wurden lange Perioden für die Elemente eingerichtet, die wir jetzt als Übergangsmetalle bezeichnen. In seiner ursprünglichen Darstellung des Periodensystems sind diese langen Perioden auf die Hälfte zusammengefaltet, wobei jede volle Periode zwei Zeilen beansprucht. Diese Neuerung vermied die Notwendigkeit, Metalle wie
6-2 Die Basis für die periodische Klassifizierung
Gruppe I Reihe
RO
R20
3
Li = 7 Na = 23 Κ — 39
4
5 6 7 S
Gruppe III R203
ΐjruppe IV
Gruppe V
RH4
RH3
RO,
RIOS
Gruppe VI RH 2 RO,
RH
Gruppe VII
O = 16
F = 19
R207
Gruppe VIII RO„
H=1
1
2
Gruppe II
265
(Cu = 631 Rb = 85
(Ag = 108) Cs = 133
Be - 9.4 Mg = 24 Ca = 4 0
Zn = 65 S r = 87
Cd = 112 Ba = 137
Β
= 11
C=
12
Ν = 14
AI = 27.3 — = 44
-
Ρ = 31 Ti = 48
=68
?Yt = 88
In == 113
— = 72 Zr = 90
Sn = 118
?Di= 138
'Ce = 140
? E r = 178
'.'La = 180
V = 51
As = 75 Nb = 94
Sb = 122
S = 32 Cr = 52
Se = 78 Mo = 96
Te = 125
Cl = 35.5 Mn = 55
Fe = 56, Co = 59. Ni = 59, Cu = 63
Br = 80 - = 100
Ru = 104, Rh = 104, Pd = 106, Ag = 108
1 = 127
9 10 1 1
12
(Au = 199)
Hg = 200
T1 = 204
Pb = 207 Th = 231
Ta = 182
W = 184
Os = 195, Ir = 197, Pt = 198, Au = 199
Bi = 208 U = 240
Abbildung 6 - 1 Das Periodensystem Mendelejeffs, wie es aussah, als es im Jahre 1871 in Englisch veröffentlicht wurde. Die Elemente erscheinen hier in der Reihenfolge zunehmender relativer Atommassen. Beachten Sie den leeren Raum unter Si für ein unbekanntes (zu der Zeit) Element mit der relativen Atommasse 72 und die falschen relativen Atommassen (ζ. B. In). Das „R" in den Köpfen der einzelnen Spalten ist das allgemeine Symbol für ein Element aus der Gruppe.
Vanadium (V), Chrom und Mangan direkt unter Nichtmetalle wie Phosphor, Schwefel und Chlor zu setzen. 2. Wenn die Eigenschaften eines Elements erkennen ließen, daß es nicht in die Anordnung nach den relativen Atommassen paßte, wurde ein Platz für ein neues Element frei gelassen. Zum Beispiel existierte kein Element, das den Platz unter Silicium (Si) einnehmen konnte. Somit wurde ein Platz für ein neues Element frei gelassen, das Eka-Silicium genannt wurde. 3. Es wurde eine wissenschaftliche Würdigung der Daten über die relativen Atommassen angegeben. Als Ergebnis dieser Arbeit wurde zum Beispiel die Valenz des Chroms in seinem höchsten Oxidationszustand von fünf auf ihren richtigen Wert sechs geändert. Die Äquivalentmasse des Chroms betrug 8,66gäquiv - 1 . Somit folgte für die relative Atommasse des Cr an Stelle von 43,3 (5 χ 8,66) der revidierte Wert von 52,0 (6 χ 8,66). Indium (In) mit einer Äquivalentmasse von 38,5 g äquiv" 1 war die Valenz zwei zugeschrieben worden und damit eine relative Atommasse von 77,0. Infolgedessen hatte es seinen Platz zwischen Arsen (As) und Selen (Se) erhalten. Da ihre chemischen Eigenschaften im Einklang mit ihrer Piacierungunter den nebeneinanderliegenden Phosphor und Schwefel standen, mußten Arsen und Selen in Mendelejeffs System ebenfalls nebeneinander liegen. Eine Überprüfung zeigte, daß Indium eine relative Atommasse von 114,8 und eine Valenz von drei besaß, was mit seiner Einordnung unter Aluminium und Gallium (Ga) im heutigen Periodensystem im Einklang steht.
266
6 Klassifizierung der Elemente und periodische Eigenschaften
Tabelle 6 - 2
Mendelejeffs Vorhersagen für das Element Eka-Silicium (Germanium)
Eigenschaften
Silicium und seine Verbindungen
Mendelejeffs Vorhersagen für das EkaSilicium (Es)
Winklers Angaben über das Germanium
Zinn und seine Verbindungen
Relative Atommasse
28
72
72,6
118
Aussehen
Grau, diamantartig
Graues Metall
Graues Metall
Weißes Metall oder graues Nichtmetall
Schmelzpunkt
1410°C
Hoch
958 °C
232 °C
3
5,5 g e r n "
3
7,31 g e r n " 3
Dichte
2,42 g c m "
Wirkung von Säuren und Laugen
Säureresistent; langsames Angreifen durch Laugen
Formel und Dichte des Oxids
S i 0 2 ; 2,65 g c m " 3 E S 0 2 ; 4 , 7 g c m " 3
G e 0 2 ; 4,70 g c m " 3 S n 0 2 ; 7,0 g c m " 3
Formel und Eigenschaften des Sulfids
SiS 2 ; zersetzt sich in Wasser
GeS 2 ; unlöslich in Wasser, löslich in Ammoniumsulfid
SnS 2 ; unlöslich in Wasser, löslich in AmmoniumsulfidLösung
Formel des Chlorids
SiCl 4
EsCl 4
GeCl 4
SnCl 4
Siedepunkt des Chlorids
57,6 °C
100 °C
83 °C
U4°C
Dichte des Chlorids
1,50 g c m " 3
1,9 g c m " 3
1,88 g cm""3
2,23 g c m " 3
Darstellung des Elements
Reduktion des K 2 SiF 6 mit Natrium
Reduktion des E s 0 2 oder K 2 ESF 6 mit Natrium
Reduktion des K2GeF6 mit Natrium
Reduktion des Sn02 mit Kohlenstoff
Säure- und laugenresistent
ESS2; unlöslich
in Wasser, löslich in Ammoniak
5,36 g c m "
3
Nicht von HCl oder N a O H angegriffen; angegriffen durch HNO3
Langsam durch konz. HCl angegriffen; durch H N O 3 angegriffen; nicht durch N a O H angegriffen
Ferner wurde a n g e n o m m e n , d a ß die relative A t o m m a s s e des Platins (Pt) größer als die des G o l d e s (Au) wäre. Mendelejeff d a c h t e darüber anders w e g e n der C h e m i e der beiden Metalle und der Plätze, die sie in seinem Periodensystem e i n n e h m e n sollten. N e u e , v o n Mendelejeff inspirierte B e s t i m m u n g e n ergaben die Werte v o n 198 für Platin u n d 199 für G o l d , w o d u r c h Platin seinen Platz vor G o l d und unter Palladium (Pd) erhielt, das v o n allen anderen E l e m e n t e n d e m Platin a m ähnlichsten ist. 4. A u f g r u n d des bekannten, periodischen Verhaltens, das im Periodensystem z u s a m m e n gefaßt wurde, wurden Vorhersagen über die Eigenschaften der n o c h unentdeckten
6 - 2 Die Basis für die periodische Klassifizierung
267
Elemente gemacht. Diese Vorhersagen erwiesen sich später als erstaunlich treffsicher. Ein gutes Beispiel dafür ist der Vergleich der vorhergesagten Eigenschaften des Elements „Eka-Silicium" mit den Eigenschaften des Elements Germanium (Ge), welches heute den Platz des Eka-Siliciums im Periodensystem einnimmt. Dieser Vergleich ist in Tabelle 6 - 2 angegeben. Aus der Tabelle ist klar zu erkennen, wie Mendelejeff die physikalischen und chemischen Eigenschaften des fehlenden Elements genau vorhersagen konnte. Seine Stellung im Periodensystem befand sich unter Silicium und über Zinn. Die physikalischen Eigenschaften des Germaniums bilden gerade annähernd den Mittelwert zwischen denen des Siliciums und des Zinns. Die Vorhersage der chemischen Eigenschaften erfordert Informationen über die bekannten, relativen Eigenschaften von Phosphor, Arsen und Antimon (Sb), die eine Spalte weiter rechts im Periodensystem stehen. Korrelationen wie diese dienten bei der Suche nach neuen Elementen und Verbindungen als Wegweiser und regten neue Untersuchungen an, wenn bereits bekannte Daten nicht mit anderen Korrelationen übereinstimmten. Eine Folge dieser Forschungsarbeit waren verbesserte Werte für die relativen Atommassen und Dichten.
Das Periodengesetz Mendelejeff faßte seine Entdeckungen in der Aussage des Periodengesetzes zusammen: Die Eigenschaften von chemischen Elementen ändern sich nicht willkürlich, sondern systematisch mit der relativen Atommasse. Nachdem die meisten der Elemente entdeckt und ihre relativen Atommassen sorgfältig bestimmt worden waren, blieben dennoch mehrere Unstimmigkeiten bestehen. So ergab sich zum Beispiel für die Anordnung nach ansteigenden relativen Atommassen innerhalb Mendelejeffs Gruppe VIII (Abbildung 6-1) die Reihenfolge Fe, Ni, Co, Cu in der vierten Periode, Ru, Rh, Pd, Ag in der fünften und Os, Ir, Pt, Au in der sechsten Periode. Jedoch ähnelt Ni mehr dem Pd und Pt, als es Co tut. Andererseits hat Te eine höhere relative Atommasse als I, aber I gehört ganz offensichtlich zu Br und Cl.und Te ähnelt in seinen chemischen Eigenschaften Se und S. Als die Edelgase entdeckt wurden, bemerkte man, daß Ar eine größere relative Atommasse als Κ besaß, wogegen alle anderen Edelgase eine geringere Atommasse als die benachbarten Alkalimetalle aufwiesen. In diesen drei Fällen ist die ansteigende relative Atommasse nicht das geeignete Kriterium für die Einordnung der Elemente in das Periodensystem. Den Elementen wurden daher die Ordnungszahlen von 1 bis 92 (heute 104) zugeschrieben, die ihre Anordnung im Periodensystem wiedergaben. 1912 beobachtete Henry G. J. Moseley (1888-1915), daß die Frequenzen der von den Elementen ausgesendeten Röntgenstrahlung besser mit den Ordnungszahlen als mit den relativen Atommassen in Beziehung zu setzen waren. Die Beziehung zwischen der Ordnungszahl eines Elements und der Frequenz (oder Energie) der von ihm ausgesendeten Röntgenstrahlung ist eine Folge der atomaren Struktur. Wie wir in Kapitel 8 sehen werden, sind die Elektronen um einen Atomkern herum in Energieniveaus angeordnet. Wenn ein Element von einem Strahl energiereicher Elektronen bombardiert wird, kön-
268
6 Klassifizierung der Elemente und periodische Eigenschaften
ν" 2 χ 10" 8 (s~ 1/2 ) Abbildung 6 - 2 Moseleys Auftragung der Quadratwurzel aus der Röntgenstrahlenfrequenz ν gegen die Ordnungszahl Ζ für die Elemente vom Calcium bis zum Zink. Die beiden Linien stammen von zwei verschiedenen, meßbaren Frequenzen aus dem Spektrum eines jeden Atoms.
nen Elektronen aus den innersten Niveaus oder Schalen (die am dichtesten beim Kern liegen) der Atome losgeschlagen werden. Wenn dann äußere Elektronen auf diese Niveaus herabfallen, um die Leerstellen aufzufüllen, wird Energie in Form von Röntgenstrahlen emittiert. Das Röntgenspektrum eines Elements (die Gesamtheit der ausgesendeten Frequenzen der Röntgenstrahlen) enthält Informationen über die Energieniveaus der Elektronen in dem betreffenden Atom. Der für uns hier interessanteste Punkt ist der, daß sich die Energie eines derartigen Niveaus entsprechend der Ladung des Atomkerns ändert. Je größer die Kernladung ist, desto stärker sind die innersten Elektronen gebunden. Daher ist auch mehr Energie erforderlich, um eines dieser Elektronen loszuschlagen; infolgedessen wird auch mehr Energie emittiert, wenn ein Elektron in eine Leerstelle in diesen Schalen zurückfallt. Moseley entdeckte, daß die Frequenz der aus-
6 - 2 D i e Basis für die periodische Klassifizierung
269
gesendeten Röntgenstrahlung, ν, sich mit der Ordnungszahl Z, gemäß der folgenden Beziehung ändert (Moseleysches Gesetz) ν = a(Z—b)2 wobei die Konstanten a und b charakteristisch für eine bestimmte Röntgenlinie sind und für alle Elemente denselben Wert besitzen. Im April 1914 veröffentlichte Moseley die Ergebnisse seiner Arbeiten an 39 Elementen von 13A1 bis 79 Au. (Die Ordnungszahl eines Elements wird durch einen Index unten links vor dem Symbol des Elements gekennzeichnet.) Ein Teil seiner Daten ist in Abbildung 6-2 aufgetragen. Moseley schrieb dazu das Folgende: „Die Spektren der Elemente sind entlang horizontaler Linien angeordnet, die gleichen Abstand voneinander besitzen. Die für die Elemente gewählte Reihenfolge entspricht der Reihenfolge ihrer relativen Atommassen, ausgenommen die Fälle Ar, Co und Te, bei denen sie im Widerspruch zur Folge der chemischen Eigenschaften steht. Für ein Element zwischen Mo und Ru, für ein Element zwischen Nd und Sm und für ein Element zwischen W und Os, von denen bis jetzt noch keines bekannt ist, wurden Linien offen gelassen... Dieses ist gleichbedeutend mit der Zuordnung einer Reihe von aufeinander folgenden, charakteristischen ganzen Zahlen zu aufeinander folgenden Elementen... Wenn jetzt entweder die Elemente nicht durch diese ganzen Zahlen charakterisiert wären oder wenn irgendein Fehler bei der gewählten Reihenfolge oder in der Zahl der für unbekannte Elemente freigelassenen Plätze gemacht worden wäre, würden diese Gesetzmäßigkeiten (die geraden Linien) sofort verschwinden. Wir können daher allein aufgrund des Beweismaterials, das die Röntgenspektren liefern, ohne irgendeine Theorie über den Aufbau der Atome zu benutzen, den Schluß ziehen, daß diese ganzen Zahlen in der Tat charakteristisch für die Elemente sind... Nun hat Rutherford gezeigt, daß der wichtigste Bestandteil eines Atoms sein zentraler, positiv geladener Kern ist, und van den Broek hat die Ansicht geäußert, daß die Ladung dieses Kerns in allen Fällen ein ganzzahliges Vielfaches der Ladung eines Wasserstoffkerns ist. Jeder Grund spricht für die Annahme, daß die ganze Zahl, die das Röntgenspektrum bestimmt, dieselbe ist wie die Zahl von elektrischen [Ladungs-]Einheiten im Kern, und diese Experimente liefern daher den stärkstmöglichen Beweis für van den Broeks Hypothese." 1 Die drei unentdeckten Elemente, die von Moseley erwähnt wurden, stellen sich später als die Elemente 43 (Technetium, Tc), 61 (Promethium, Pm) und 75 (Rhenium, Re) heraus. Ein verwirrendes „Doppelelement" wurde 1923 aufgeklärt, als D. Coster und G. Hevesy zeigten, daß eine der unbesetzten, horizontalen Linien in Moseleys Tabellen zu dem neuen Element Hafnium (Hf, 72) gehörte. Moseleys Arbeit war vielleicht der fundamentalste Einzelschritt in der Entwicklung des Periodensystems. Er bewies, daß die Ordnungszahl (oder die Kernladung) und nicht die relative Atommasse die wesentliche Eigenschaft für die Erklärung des chemischen Verhaltens war.
1 Als diese Zeilen veröffentlicht wurden, war Moseley bei der Britischen Armee, und weniger als ein Jahr später fiel er im Alter von 27 Jahren in der Hügellandschaft von Gallipoli.
270
6 Klassifizierung der Elemente und periodische Eigenschaften
6—3 Das moderne Periodensystem Der leichteste Weg zum Verständnis des Periodensystems ist der, es aufzubauen. Obwohl dies eine schwierige Aufgabe zu sein scheint, werden erstaunlich geringe Kenntnisse der Chemie benötigt, um einzusehen, daß die Anordnung auf der Innenseite des vorderen Deckels dieses Buches die einzig mögliche ist. Wenn wir die Elemente nach ihrer Ordnungszahl anordnen, wie es Moseley tat, dann wiederholen sich bestimmte chemische Eigenschaften symmetrisch in definierten Intervallen (Abbildung 6-3, oben). Die che-
H e Li \ m* 2
F Ne Na α Ar Κ
\J>/
\»»/
10
18
I Xe Cs
Br K r R b
...
1
i
t Rn Fr
ΝI/
..U/...
m
54
1 2
3 s 4
ω
•O 0
1 5 6 99 7
Ra
Metalle mit äußerst ähnlichen chemischen Eigenschaften ¡ Metalle mit ähnlichen, doch unterscheid baren chemischen Eigenschaften innere Übergangsmeta!le
Übergangs ivK'Uille
- M e t a l l e und Nichtmetalle mit einer großen Vielfalt verschiedenster chemischer Eigenschaften— Hüüptgruppeneiementc
Abbildung 6 - 3 Wenn die Elemente in der Reihenfolge wachsender Ordnungszahlen hintereinander aufgeschrieben werden, wie es beim Streifen oben in der Abbildung geschehen ist, legt das wiederholte Auftreten ähnlicher chemischer Eigenschaften das Zusammenfalten dieses Streifens zu der „superlangen" Form des Periodensystems nahe, die unterhalb dieses Streifens wiedergegeben ist. Die Elemente können dann in drei Kategorien eingeordnet werden, die sich auf das Ausmaß gründen, in dem sich die chemischen und physikalischen Eigenschaften von einer Position im Periodensystem zur nächsten ändern.
misch inerten Edelgase (wenigstens glaubte man bis 1962, daß sie inert wären, aber dann stellten Chemiker erstmalig Xenontetrafluorid dar) He, Ne, Ar, Kr, Xe und Rn besitzen die Ordnungszahlen 2,10,18,36, 54 und 86 oder die numerischen Intervalle 2,8,8,18,18 und 32. Jedes dieser Gase geht einem extrem reaktionsfähigen, weichen Metall voran, das dazu neigt, ein ( + l)-Ion zu bilden; es sind dies die Alkalimetalle Li, Na, K, Rb, Cs und
6-3 Das moderne Periodensystem
271
Fr. Vor jedem Edelgas steht ein reaktionsfreudiges Element, das ein Elektron aufnehmen kann und damit ein ( - l)-Ion bildet: Wasserstoff und die Halogene F, Cl, Br, I und At. Diese Schlüsselelemente sind in der Reihe oben in Abbildung 6 - 3 farbig gekennzeichnet. Diese chemischen Ähnlichkeiten werden am besten dadurch dargestellt, daß die Reihe der 104 Elemente in sieben Zeilen oder Perioden untereinander angeordnet werden, so daß chemisch ähnliche Elemente in senkrechten Spalten untereinander zu stehen kommen (was im unteren Teil der Abbildung 6 - 3 geschehen ist). Jedoch besitzt die erste Periode nur zwei Elemente, die nächsten beiden Perioden haben je acht, die zwei folgenden achtzehn und die sechste und vermutlich auch die siebente Periode zweiunddreißig Elemente. Auf welche Weise können wir 8 Plätze über 18 und 18 über 32 einordnen ? Die Erdalkalimetalle Be, Mg, Ca, Sr und Ba sind sich in ihrem chemischen Verhalten so ähnlich, daß es von uns nur wenig Vorstellungsvermögen verlangt, sie so einzuordnen, wie es in Abbildung 6 - 3 gezeigt ist. Die Nichtmetalle befinden sich am rechten Ende einer jeden Periode und O, S, Se und Te bilden eine Gruppe von Elementen mit einer Valenz zwei, deren Metallcharakter von O nach Te zunimmt: O ist ein Nichtmetall; Te existiert in der nicht genau spezifizierten Zwischenzone der Semi- oder Halbmetalle. N, P, As, Sb und Bi bilden eine Gruppe, für die die Aufnahme von drei Elektronen in bestimmten Verbindungen und der Verlauf vom nichtmetallischen Ν und Ρ über das Halbmetall As zum metallischen Sb und Bi charakteristisch ist. C, Si, Ge, Sn und Pb besitzen alle eine Valenz von vier. Für diese letzten Elemente liegt die Grenzzone zwischen Nichtmetallen und Metallen bei einer früheren Periode; Si und Ge sind Nichtmetalle und Sn und Pb sind Metalle. Schließlich bildet die Gruppe B, Al, Ga, In und T1 ( + 3)-Ionen. Β ist ein Halbmetall, während alle anderen Elemente dieser Gruppe Metalle sind. Al und Ga besitzen mehr ähnliche Eigenschaften miteinander als Al und Sc. Um Al über Ga einzuordnen, ist es nötig, die acht Elemente umfassenden Perioden ganz nach rechts über die achtzehn Elemente umfassenden Perioden zu verschieben, die darunter stehen. Die „überschüssigen" Elemente in der vierten und fünften Periode ( 2 iSc bis 3 0 Zn und 3 9 Y bis 4 8 Cd) bilden eine Reihe von Metallen, die alle eine große Vielfalt von Ionenzuständen aufweisen. Am häufigsten treten die ( + 2)- und ( + 3)-Zustände in Erscheinung. Die Eigenschaften dieser Metalle ändern sich bei weitem nicht so stark von einem Element zum anderen, wie es in der Reihe B, C, Ν, O und F der Fall ist; wir nennen diese „überschüssigen" Elemente die Übergangsmetalle. (Wir heben uns die Frage, was sich dabei im Übergang befindet, bis Kapitel 9 auf.) Wenn wir nach chemischen Verwandtschaften zwischen der fünften und sechsten Periode suchen, stellen wir fest, daß sich 4 0 Zr und 7 2 Hf praktisch gleich verhalten. Wieder ergibt die von uns bevorzugte Anordnung, daß wir die Elemente nach 3 8 Sr in der fünften Periode so weit wie möglich nach rechts über die Perioden 6 und 7 einordnen. Die überzähligen Elemente in Periode 6, 5 7 La bis 70 Yb, sind in ihrem chemischen Verhalten praktisch identisch. Diese Elemente werden als seltene Erden oder Lanthanoide bezeichnet. Ihre Partner in der siebenten Periode, 89 Ac bis 1 0 2 No, sind die sogenannten Actinoide. Da sich die Lanthanoide in ihren chemischen Eigenschaften so ähnlich sind, kommen sie zusammen in der Natur vor und sind nur äußerst schwer voneinander zu trennen.
272
6 Klassifizierung der Elemente und periodische Eigenschaften IA 1
2 H
IIA
3
IIIA
4
5
Li
6
Be
11 Na
12 Mg
19
20 Κ
38
Rb
Sr
Cs
Ba
Fr
88 Ra
87
ω
49
50
In
εv.
34 As
G « 81 ou -J T1
Pb
Cl
18 Ar
35
52 Sb
Kr
53
84 Bi
54 1
Xe
85 Po
Hauptgrupperielemente
36 Br
Te
83
82
Ne
Se
51 Sn
F 17
S
33
Ge
OD
56
55
32
Ga
16
1
10
O
Ρ
Si
He
VIIA 9
Ν 15
14 Al
31
VIA 8
C
13
JU
VA 7
Β
Ca
37
IVA
86
At
Rn
VIIIB 21
22 Sc
39
Innere Übergangsmetalle 57 6
La 89
7
Ac
71 Lu 103
Ce 90 Th
Hf
104
91 Pa
75 W
Rh
76
77 Os
29 Ni 47 Pd
Zn 48
Ag
78 Ir
30
Cu
46
45 Ru
Re
28
Co
79
Cd 80
Au
Pt
Übergangsmetalle
Hg
105
Ku
Pr
Te
74
27 Fe
44
43
Mo
Ta
26
Mn
42
73
59
Cr
Nb
72
Lr
58
41 Zr
2
25
V
40 Y
24
23 Ti
Ha
60 Nd 92 U
61 Pm 93 Np
62 Sm 94 Pu
63 Eu
64 Gd
95
96
Am
Cm
65 Tb 97 Bk
66 Dy 98 α
67 Ho 99 Es
68
69
70
Er
Tm
Yb
100
101
102
Fm
Md
Innere Übergangsmetalle
No
Abbildung 6 - 4 Diese kompakte, zusammengedrängte F o r m des Periodensystems betont die natürliche Einteilung der Elemente in drei Kategorien: die extrem unterschiedlichen Hauptgruppenelemente, die sich stärker ähnelnden Übergangsmetalle und die einander ganz ähnlichen inneren Übergangsmetalle. Nichtmetalle sind farbig hervorgehoben, während die Halbmetalle durch eine schwächere Färbung gekennzeichnet sind. D i e lange Standardform des Periodensystems, wie sie auf der Innenseite des Einbandes vorne im Buch zu finden ist, stellt einen K o m p r o m i ß zwischen diesem Periodensystem und dem aus Abbildung 6 - 3 dar.
6—4 Trends bei den physikalischen Eigenschaften
273
Zusammenfassend können die Elemente in drei Gruppen eingeteilt werden (Abbildung 6-3): Die Hauptgruppenelemente mit unterschiedlichen Eigenschaften; die Übergangsmetalle, die sich schon ähnlich, aber noch deutlich unterscheidbar sind, und die inneren Übergangsmetalle (Lanthanoide und Actinoide) mit nahezu gleichen Eigenschaften. Die Hauptgruppenelemente zeigen ein breiteres Spektrum von Eigenschaften, als bei den anderen Elementen gefunden wird. Sie sind die Elemente, die uns insgesamt am vertrautesten erscheinen. Die Übergangselemente werden oft auch im Gegensatz zu den Hauptgruppenelementen als Nebengruppenelemente bezeichnet. (Die Radioaktivität und die Instabilität der Kerne der Actinoide, insbesondere des Urans, haben ihnen eine geschichtliche Bedeutung zukommen lassen, die ihre chemischen Eigenschaften vielleicht nicht gerechtfertigt hätten. Ein Chemiker alter Schule denkt bei Uran in der Hauptsache an ein obskures, schweres Element, das bei gelben KeramikGlasuren und gefärbtem Glas Verwendung findet. Es ist Ironie, daß ein Atomkrieg mit dem Rohstoff von gefärbten Glasfenstern ausgefochten würde.) Es gibt eine kompaktere Darstellung des Periodensystems, die deutlicher die relative Variabilität der Eigenschaften von benachbarten Elementen erkennen läßt (Abbildung 6-4). Tendenzen im chemischen Verhalten sind häufig leichter zu verstehen, wenn nur die Hauptgruppenelemente betrachtet werden, wobei die Übergangsmetalle als ein Spezialfall beiseite gestellt und die inneren Übergangsmetalle praktisch vernachlässigt werden. In diesem System werden die senkrechten Spalten Gruppen genannt, wobei die Gruppen der Hauptgruppenelemente von IA bis VII A und 0 numeriert werden. Die Gruppen der Übergangselemente werden ebenfalls auf eine bestimmte Weise numeriert, um Sie daran zu erinnern, daß sie in das System der Hauptgruppenelemente eingefügt werden sollten. Diese Numerierung umfaßt die Gruppen HIB bis VIIB, dann folgen drei Spalten, die alle gemeinsam als Gruppe VIIIΒ bezeichnet werden, worauf die Gruppen IB und IIB folgen. Gruppe IIIB folgt auf Gruppe IIA der Hauptgruppenelemente und Gruppe II Β geht der Gruppe III A voran. Diese Art der Numerierung wird bei der üblichen, „langen Form" des Periodensystems klarer, wie sie vorne, auf der Innenseite des Deckels dieses Buches zu finden ist. Wir können erkennen, daß diese Standardform ein Kompromiß zwischen der Kompaktheit der Abbildung 6 - 4 und der Vollständigkeit von Abbildung 6 - 3 ist. Die Lanthanoide und Actinoide sind von derart geringer, relativer Bedeutung gewesen, daß sie in der Standardform keine eigenen Gruppennummern erhalten haben.
6-4 Trends bei den physikalischen Eigenschaften Eine Gesetzmäßigkeit bei bestimmten physikalischen Eigenschaften der Elemente spiegelt sich in einer entsprechenden Gesetzmäßigkeit im chemischen Verhalten wider. Die wichtigsten dieser Eigenschaften sind die Leichtigkeit, mit der Elektronen aufgenommen oder abgegeben werden und die Größe von Atomen und Ionen.
274
6 Klassifizierung der Elemente und periodische Eigenschaften
Erste lonisierungsenergien Da das chemische Reaktionsvermögen mit der Aufnahme, dem Verlust oder dem gemeinsamen Besitz von Elektronen in Zusammenhang steht, ist die Leichtigkeit, mit der eine Elektronenaufnahme oder ein Elektronenverlust auftreten kann, eine der interessantesten Eigenschaften eines Elements. In Abbildung 6 - 5 sind die ersten lonisierungsenergien pro Mol der Elemente oder die Energien aufgetragen, die dazu benötigt werden, um von einem Mol neutraler, gasförmiger Atome je ein Elektron zu entfernen M(g) ?± M + (g) + e Es ist relativ leicht, ein Elektron von einem Alkalimetall wie Kalium zu entfernen, aber dies wird zunehmend schwieriger, wenn wir uns entlang einer Periode durch die Übergangsmetalle bewegen. Jenseits der Übergangsmetalle, bei Ga, In und Tl, lallt das Entfernen eines Elektrons plötzlich leichter. Dann erhöht sich die Schwierigkeit wieder und erreicht ein Maximum bei den Halogenen und den Edelgasen. Im Periodensystem aufeinanderfolgende Elemente besitzen zunehmend mehr Elektronen. Die Ordnungszahl gibt, wie Moseley vorgeschlagen hatte, die Ladung des Kerns in einem neutralen Atom an. Jede der sieben Perioden stellt annähernd das Auffüllen einer Elektronenschale dar. Die innerste Schale enthält zwei Elektronen, und die darauf folgenden Schalen erreichen einen Punkt der Stabilität (höchster Ionisierungsenergie) in Intervallen von 8, 8, 18, 18 und 32 Elektronen mehr. Die Edelgase der Gruppe 0 besitzen derartige, stabile Elektronenschalen. Elemente derselben Gruppe (senkrechte Spalte) besitzen dieselbe Zahl von Elektronen außerhalb der letzten aufgefüllten Schale. (Diese Aussage ist eine zu starke Vereinfachung, die in Kapitel 9 richtiggestellt werden wird. Die Übergangsmetalle bedeuten eine Unterbrechung dieser Reihenfolge, da bei ihnen zuvor unbenutzte Plätze in der unmittelbar vorangehenden Schale aufgefüllt werden. Die Ähnlichkeit der Übergangsmetalle untereinander spiegelt die Tatsache wider, daß eine tiefer gelegene Schale und nicht die äußerste Schale einer Veränderung unterliegt.) Diese äußeren Elektronen, die Valenzelektronen genannt werden, sind in erster Linie für das chemische Verhalten verantwortlich. Wenigstens bei den Hauptgruppenelementen wird die Zahl der äußeren Valenzelektronen durch die Gruppennummern gegeben; sie reicht von eins bei den Alkalimetallen bis zu einer stabilen, reaktionsträgen acht bei den Edelgasen. Es ist leichter, das eine Valenzelektron des Cs zu entfernen als das des Li, da sich beim Cs das Valenzelektron in einer Schale befindet, die weiter von dem Einfluß des positiv geladenen Kerns entfernt ist. Diese Tendenz bei der Ionisierungsenergie ist innerhalb einer Gruppe allgemein gültig. Im Gegensatz dazu wird es im allgemeinen schwieriger, ein Elektron aus einem Atom zu entfernen, wenn wir uns entlang einer Periode zu höheren Ordnungszahlen hin bewegen. Das liegt daran, daß sich die Kernladungszahl dabei ständig erhöht. Die anderen Valenzelektronen in der äußersten Schale tragen relativ wenig zur Abschirmung eines Valenzelektrons vom Kern bei, und somit erhöht sich die Anziehungskraft des Kerns auf ein Valenzelektron innerhalb einer Periode mit wachsender Ordnungs(Kernladungs-)zahl. Die Erklärungen für die Täler und Bergrücken in Abbildung 6 - 5 werden auf ein exakteres Bild der Elektronenstruktur in Kapitel 9 warten müssen. Aber wir können bereits jetzt erkennen, daß bei den Haupt-
6 - 4 Trends bei den physikalischen Eigenschaften
275
Ne
Abbildung 6 - 5 Erste Ionisierungsenergie oder die Energie, die erforderlich ist, um ein Elektron aus einem neutralen, gasförmigen Atom zu entfernen (in molaren Einheiten). Dies hier ist eine dreidimensionale graphische Darstellung der Abhängigkeit der molaren Ionisierungsenergie von der Ordnungszahl des betreffenden Elements, bei der die horizontale Grundfläche a - b - c von der langen Standardform des Periodensystems gebildet wird, während der senkrechte Abstand von dieser Grundfläche die molare Ionisierungsenergie eines jeden Elements darstellt. An der vorderen, rechten Ecke ist die hier verwendete Energieskala angegeben. Die Perioden 2, 4 und 6 sind schwarz und die Perioden 3 und 5 farbig eingezeichnet. Die drei dünnen, schwarzen Linien zwischen jedem Paar von Periodenlinien sollen nur dabei helfen, die Gestalt der Oberfläche dieser graphischen Darstellung hervorzuheben, und besitzen keine weitere Bedeutung. Der sich über die Darstellung von Β bis Sb erstreckende graue Bereich hat eine Untergrenze bei 750 kJ m o l " \ während seine obere Grenze bei 950 kJ m o l " 1 liegt. Dies ist ungefähr der Bereich des Übergangs zwischen metallischem und nichtmetallischem Verhalten.
gruppenelementen das dritte hinzugefügte Valenzelektron (Gruppe III Α : Β und Al) weniger fest an das Atom gebunden ist als das zweite (Gruppe IIA: Be und Mg) und daß das sechste Valenzelektron (O, S, Se, Te) weniger fest gebunden ist als das fünfte (Ν, P, As, Sb). Eine niedrige erste Ionisierungsenergie ist charakteristisch für ein Metall; denn ein Metall ist, wie wir in Abschnitt 3-7 gesehen haben, ein Stoff, dessen Elektronen im festen Zustand delokalisiert sind und frei durch den Kristall wandern können. Stickstoff gibt dagegen nicht seine fünf Valenzelektronen ab, um Ν 5 + -Ionen in einem metallischen
276
6 Klassifizierung der Elemente und periodische Eigenschaften
Abbildung 6 - 6 Erste, zweite und folgende molare lonisierungsenergien für die Hauptgruppenelemente in den Gruppen I - I V . Bei den Alkalimetallen in G r u p p e I werden nur annähernd 400 k j m o l " 1 benötigt, um das Valenzelektron zu entfernen. U m aber in die vollbesetzte darunterliegende Schale einzudringen und eines ihrer Elektronen zu entfernen, macht zusätzliche 3000 bis 7500 k j m o l - 1 erforderlich. Infolgedessen bilden die Alkalimetalle keine +2-Ionen. Auf ähnliche Weise ist es weitaus leichter, nur zwei Elektronen in G r u p p e II oder drei in G r u p p e III zu entfernen, als eines mehr unter Zerstören der tieferliegenden, inerten Schale vom Atom abzutrennen. Mit Anwachsen der Gruppennummer wird es zunehmend schwieriger, alle äußeren Valenzelektronen zu entfernen, so daß die Neigung abnimmt, Kationen zu bilden, deren positive Ladung der Gruppennummer entspricht.
F e s t k ö r p e r z u bilden; der E n e r g i e a u f w a n d zur E n t f e r n u n g selbst eines der V a l e n z e l e k t r o n e n verbietet dieses. Statt d e s s e n liegt der Stickstoff in z w e i a t o m i g e n M o l e k ü l e n v o r u n d ist unter N o r m a l b e d i n g u n g e n ( S T P ) ein G a s . K o h l e n s t o f f gibt seine E l e k t r o n e n eher a n g e m e i n s a m e B i n d u n g e n ab, als d a ß er sie verliert, u n d bildet d a m i t starke, gerichtete B i n d u n g e n m i t N a c h b a r a t o m e n i m starren Gitter des D i a m a n t s o d e r d e m Schichtgitter d e s Graphits. W e i t e r u n t e n im P e r i o d e n s y s t e m sind j e d o c h in derselben
6-4 Trends bei den physikalischen Eigenschaften
277
Gruppe die vier äußeren Valenzelektronen des Bleis so weit vom Kern entfernt, daß ihr Verlust leichter fallt. Beachten Sie, daß Blei und Zinn beides Metalle sind, Germanium und Silicium jedoch dem Kohlenstoff in der Ionisierungsenergie nahekommen und damit Halbmetalle sind.
Zweite und höhere lonisierungsenergien: Die Bildung von Ionen Die Abbildung 6 - 5 zeigt nur die Energie, die dazu erforderlich ist, daß erste Elektron aus einem neutralen Atom zu entfernen. Wenn mehrere Valenzelektronen vorhanden sind, können sie alle (wenigstens bei den Metallen) ohne sehr hohen Energieaufwand aus dem Atom entfernt werden. Um jedoch in eine stabile, innere Schale einzubrechen und daraus Elektronen zu entfernen, erfordert mehr Energie, als normalerweise bei chemischen Reaktionen zur Verfügung steht (Abbildung 6-6). Die maximal mögliche, positive Ladung, die ein Hauptgruppenelement annehmen kann, ist daher gleich seiner Gruppennummer. Wenn man aber mehr als 400 kJ pro Mol (oder eine Energie von 4eV pro Atom) benötigt, um ein Elektron pro Atom aus einem Alkalimetall zu entfernen, warum sollten sich dann die Atome überhaupt ionisieren? Die Antwort darauf lautet, daß die Energie zur Entfernung eines Elektrons aus einem isolierten, gasförmigen Atom nicht die ganze Geschichte ist. Die Alkalimetalle sind Festkörper und keine Gase. Darüber hinaus zieht ein Ion, wenn es in Lösung geht, Wassermoleküle an sich. In einem Wassermolekül sind das Sauerstoffatom etwas negativ und die Wasserstoffmoleküle entsprechend positiv geladen, so daß das ganze Molekül neutral ist. Die Wassermoleküle können sich infolgedessen so um ein Kation herum anordnen, daß die negativen Enden der Wassermoleküle dem Kation zugewandt sind, wodurch das sich ergebende hydratisierte Ion (durch „(aq)" symbolisiert) stabiler ist als ein isoliertes Kation und Wassermoleküle für sich allein. Diese Einsparung von Energie ist die Hydratationsenergie des Ions. Die Gesamtenergie, die an der Bildung eines hydratisierten Ca 2 + -Ions aus Calciummetall beteiligt ist, ist im Diagramm der Abbildung 6-7 dargestellt. Diese Energie ist das Ergebnis von vier Schritten: Erforderliche Energie 1. Sublimation: 2. Ionisierung: 1. I.E.: 2. I.E.: 3. Hydratation des Ions: 4. Reduktion des H + : Gesamtreaktion:
Ca(s) Cafe) Ca + (g) Ca 2 + (g) 2e~ + 2 H + (aq)
τ* Ca(g) ?± Ca + (g) + e *± Ca 2 + (g) + e τ± Ca 2 + (aq) ?± H 2 (g)
Ca(s) + 2H + (aq) - g O u . so u oo s C I— Λ (U — Ό .a T3 « ¡2 c 60 c 3 — Β C/5 J— c Ρ Q g JS .£ JZ CL
1Ξ •>S oo rc uw ΐ c«
•Ό Ω
Xi J5 υ ce g JO
£ ~
s . -OC ; t/3 c o
.2 BJ Ο e r so^- -
sor
Durch Hinzufügen von H + -Ionen und H 2 0 werden zunächst die Sauerstoffatome ausgeglichen 6 H + + CIO3 -> Cl~ + 3 H 2 0 H 2 0 + SOf~ S O r + 2H + Zum Ladungsausgleich addieren wir jetzt Elektronen zu jeder Halbreaktion 6e~ + 6 H + + CIO3 Cl~ + 3 H 2 0 H 2 0 + S 0 2 ~ ?± S O r + 2 H + + 2 e " Indem wir die untere Halbreaktion mit 3 multiplizieren, können wir die Elektronenzahl zwischen beiden Gleichungen kompensieren 6e~ + 6 H + + CIO3 ç± C r + 3 H 2 0 3 H 2 0 + 3 S 0 r ?± 3 S O r + 6 H + + 6 e Wenn wir jetzt die beiden ausgewogenen Halbreaktionsgleichungen addieren, erhalten wir die ausgewogene Reaktionsgleichung für die Oxidation des Sulfits zum Sulfat durch Chlorat j k r +~&H.+ + CIO3- & c r + ^ K ^ a ì 0 5 G + 3 S O r 3 S O r + 6 ^
cio3 +
3Sor
+
+ ^
c r + 3Sor
7-5 Redoxtitrationen Wie wir in Abschnitt 4 - 5 kennengelernt haben, ist bei einer Neutralisationsreaktion ein Äquivalentteilchen oder kurz Äquivalent einer Säure oder Base das reale bzw. hypothetische Teilchen, das 1 Proton abgibt oder aufnimmt (real dann, falls ein Molekül der Substanz genau ein Proton abgibt oder aufnimmt, bzw. hypothetisch, falls ein Molekül mehr als ein Proton abgibt oder aufnimmt, wodurch das Äquivalentteilchen zu einem ganzzahligen Bruchteil des Moleküls gemacht wird). Entsprechend ist die molare Äquivalentmasse (in g m o l - 1 ) einer Säure oder Base als die Menge der Säure oder Base definiert worden, die 1 mol Protonen abgibt oder aufnimmt. Bei einer Reduktions-Oxidations-Reaktion wird nun in gleicher Weise verfahren und das Redox-Àquivalentteilchen oder Redox-Àquivalent als das reale bzw. hypothetische Teilchen eines Reduktions- oder Oxidationsmittels definiert, das genau 1 Elektron abgibt oder aufnimmt (wobei sich die Oxidationsstufe des betreffenden Elements um eine Einheit ändert). Die molare Redox-Äquivalentmasse (in g mol" ') gibt dementsprechend
7 - 5 Redoxtitrationen
317
die Menge eines Reduktions- oder Oxidationsmittels an, die 1 mol Elektronen abgibt oder aufnimmt (die also 1 mol Redox-Äquivalentteilchen enthält). Bei der Reaktion Na
Na+ + e"
gibt das Natriumatom ein Elektron ab (es wird bei der Redoxreaktion oxidiert und wirkt daher als Reduktionsmittel), und seine Oxidationsstufe ändert sich damit um eine Einheit (Äquivalentzahl ζ = 1). Somit ist die Äquivalentmasse des Natriumatoms in dieser Reaktion gleich seiner Atommasse (das Natriumatom ist sein eigenes Redoxäquivalent), und die molare Äquivalentmasse des Natriums ist gleich seiner molaren Masse oder Molmasse. Aber bei der Oxidation eines zweiwertigen Metalls Mg
M g 2 + + 2e~
gibt jedes Magnesiumatom zwei Elektronen ab, und die Oxidationsstufe eines jeden Magnesiumatoms ändert sich um zwei Einheiten (z = 2). Jedes Mol Magnesiummetall liefert also 2 Mol Elektronen. Damit ist bei dieser Reaktion das hypothetische Teilchen \ Mg das Redox-Äquivalent, und die molare Äquivalentmasse des Mg beträgt daher nur die Hälfte seiner Molmasse (A/ äq (Mg) = M ( j Mg) = \ Μ (Mg); falls Ihnen diese Erläuterungen Schwierigkeiten machen, sollten Sie sich noch einmal die betreffenden Seiten in Abschnitt 4 - 5 ansehen. Das Vorgehen und der stöchiometrische Formalismus ist derselbe wie bei den Neutralisationsreaktionen). Die molare Äquivalentmasse von HCl in einer Säure-Base-Neutralisationsreaktion ist gleich seiner molaren Masse (z = 1). Die molare Äquivalentmasse von HCl in einer Redoxreaktion hängt dagegen von der Änderung der Oxidationszahl des Chlors während der Reaktion ab: Wenn ein Chloridion zu j C \ 2 (auch ein „hypothetisches" Teilchen!) oxidiert wird -1 ,o Cl"