Predigten 9783111544861, 9783111176468


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German Pages 450 [452] Year 1858

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Table of contents :
Einleitung
Vorrede
Inhalt
Erste Sammlung
I. Christus, der da kommt zu beleben, was todt ist
II. Der Herr ist nahe
III. Die freudenreiche Kunde, daß uns heute der Heiland geboren ist
IV. Die unvergänglichen Weihnachtsgaben, welche der Herr den Seinen schenket
V. Die stolze Demuth eines treuen Jüngers des Herrn
VI. Des Apostels Paulus Preis der Liebe
VII. Die Verlängnung des Petrus
VIII. Die Mahnung des Kreuzes Christi an die im Geiste um es Versammelten
IX. Wie muß der Christ die Kunde von der Auferstehung des Herrn aufnehmen?
X. Die Bedentung der Auserstehung des Herrn für die förderung seines Reiches
XI. Wodurch der Sohn der einzige Weg zum Vater ist
XII. Die verschiedenen Stufen auf dem Wege zur Vollendung des Glaubens
XIII. Die Herrlichkeit unseres Glaubens an Gott den Vater, den Sohn und den heiligen Geist
XIV. Der Werth des Vertrauens auf die Kraft Gottes, die in dem Schwachen mächtig ist
XV. Christus der Todesüberwinder
XVI. Der Dienst unter der Herrschaft Christi verglichen mit dem Dienste unter der Herrschaft der Sünde
XVII. Wodurch erweisen wir uns als wahre Kinder Gottes?
XVIII. Die Bedeutung des heiligen Abendmahles
XIX. Die Herrlichkeit der evangelischen Kirche
XX. Die Herrlichkeit des evangelischen Predigtamtes
Zweite Sammlung. Zehn Gleichnißpredigten nach der Ordnung des Kirchenjahres
I. Von viererlei Boden, auf welchen der Samen des göttlichen Wortes fällt
II. Das Alles übertreffende Gut, welches Gott durch die Geburt des Heilandes uns geschenkt hat
III. Was die Vergleichung der seligmachenden Kraft des Evangeliums mit einem Sauerteig eigentlich bedeutet
IV. Der Todesgang der Sünde
V. Der gute Hirte
VI. Die Lebensgemeinschaft zwischen dem Auferstandenen und denjenigen, welche an ihn glauben
VII. Das Reich Gottes mit einem Senfkorn verglichen
VIII. Das Werden und Wesen des seligmachenden Glaubens
IX. Das Wesen und Wirken der Liebe
X. Die christliche Hoffnung
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Predigten
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Predigten von

Gustav Baur, Tenor und

ordentlichem Professor der evangelischen Tbeologie an der LudwigS-Universität zu Gießen.

Gießen. I. Nicker'schr Äuchhandlung.

1858.

Meinen Geschwistern in brüderlicher Liebe

gewidmet.

Die

letzten

unschätzbaren der

vier Jahre habm uns,

neben manchen

Geschenken der Gnade GotteS,

eine Reihe

schwersten und schmerzlichsten Verluste gebracht,

deren

Ertragung nur durch dm Gedankm erleichtert werden konnte,

daß auch sie von dem unerforschlichen,

aber allezeit weisen

Rathschluffe eines gnädigen Gottes verhängt seyen,

ja die

durch die Gnade dieses weuen Gottes, indem sie den Sinn

vom Vergänglichen

auf das Bleibende, vom Zeitlichen auf

das Ewige lenkten, gewiß für uns alle nicht ohne Gewinn In den jüngeren unter den nachfolgenden

geblieben sind.

Predigten werden die Spuren des Eindrucks solcher äußeren und

inneren Erlebnisse

verkannt

werdm.

gerade

von

Euch

am

wenigsten

Als ich im verflossmm Frühjahre mich

entschloß, diese Predigten zu veröffentlichm, da geschah es mit dem Gedanken, unserem lieben Vater durch ihre Wid­

mung eine Freude zu machen. er

Nachdem unterdessen auch

abgerufen worden ist und unsere Familie dadurch ihren

letzten äußeren

Vereinigungspunkt

verloren hat,

lege ich

nun mein Buch als ein Dmkmal unwandelbarer kindlicher

VI

Liebe und Verehrung unserer seligen Eltern in Gedanken an ihr treues Herz,

und schreibe darauf die Widmung an

euch, meine lieben Geschwister, damit es zugleich ein Zeugniß

werde

jenes

ernsten auf das Bleibende und Ewige gerich­

teten Sinnes, in welchem wir, wenn auch äußerlich getrennt,

mit unseren Heimgegangenen, wie untereinander, immerdar verbunden bleiben.

innerlich

Ich schließe mit den Worten

des 133. Psalmes :

wie fein und lieblich ist es,

1. Siehe, einträchtig

bei einander

wohnen.

daß Brüder

2. Wie der köst­

liche Balsam ist, der vom Haupt Aarons herab fließt in seinen ganzen Bart, der herab fließt in sein Kleid. 3.

Wie der Thau,

Berge

Zion.

der von Hermon fällt auf die

Denn

daselbst

verheißet

der Herr

Segen und Leben immer und ewiglich! Gießen den 28. November 1857.

Gustav Kavr.

Borrede. Daß die nachfolgenden Predigten nicht gehalten worden

sind, um demnächst gedruckt zu werden, bedarf wohl kaum einer ausdrücklichen Versicherung

und wird sich auch schon

auS dem ganzen Charakter der Sammlung,

die aus zum

großen Theil sehr zerstreuten Jahrgängen zusammengestellt

ist,

von

selbst

Ja meine frühere Abneigung,

ergeben.

Predigten, die als freies Wort gewirkt haben, dem Druck

zu übergeben auf die Gefahr hin, diese Wirkung vielleicht zu schwächen, konnte nur durch den verschiedenen Seitm

an

wiederholt und von

mich ergangenen Wunsch

über­

wunden werden, daß ich eine Sammlung meiner Predigten

veröffentlichen möge.

Der so entstandene Entschluß bestand

allerdings schon, bevor die

letzte Hälfte der

„Gleichniß-

predigten" gehalten wurde, doch hoffe ich, daß man es diesen nicht anmerken wird.

Beide Sammlungen sind nach dem

Gange des Kirchenjahres

geordnet

und können deswegen

um so bequemer zu einer regelmäßigen häuslichen Erbauung benutzt werden.

Wenn ich

nun noch

den Wunsch auS-

spreche, daß diese Predigten, wie sie, nach nicht undeutlichen Anzeichen, mit Theilnahme und wohl auch nicht ohne Segen

VIII gehört worden sind, so auch beim Lesen Theilnahme finden

und mit Gottes Hülfe an ihrem bescheidenen Theil zur

Erbauung seiner Gemeinde wirken mögen, so wäre Alles gesagt,

mein

was Buch

ich

demjenigen Leser

einfach

zu

seiner

zu

sagen

habe,

Erbauung in

die

der

Hand

nehmen will. Den Fachgenoffen bin ich noch einige weitere Aus­ einandersetzungen schuldig.

Es ist mit meinem akademischen

Lehramte ein ordentliches Predigtamt nicht verbunden, doch bin ich seit längerer Zeit ordinirter Geistlicher und die Ge­

legenheit, als Prediger vor die Gemeinde zu treten, ich jederzeit gerne ergriffen,

habe

theils um einem inneren Be-

dürftrisse zu genügen, theils weil es mir schien, daß wie

die

wissenschaftliche Beschäftigung

mit der Theologie

die

beste Vorbereitung auf die Predigt ist, so auch die Predigt auf das theologische Studium eine heilsame Rückwirkung

äußere : sie hilft das Bewußtseyn wach erhalten, gesammte

theologische

Wissenschaft

zuletzt

eine

daß die

praktische

Wissenschaft seyn muß, daß auch der Theologe im engeren

Sinne

des Wortes dem praktischen Zwecke der Förderung

der Kirche zu dienen hat.

Der Gemeinde gegenüber hat

nun solches vereinzelte Predigen zwar ebenfalls seinen Vor­

theil, aber auch seine eigenthümlichen Nachtheile. Den Vortheil kann man darin finden, daß wer selten predigt, in höherem Grade

Veranlassung und Berechtigung hat, die Grundwahrheiten und

Grundgedanken des Christenthums als solche zur Sprache zu bringen, und daß er sie dann auch wohl mit concentrirterem

Interesse von seiner Seite und unter ftischerer Theilnahme

der

Zuhörer

behandeln

kann,

als

dies,

im

Uebrigen

gleiche Tüchtigkeit vorausgesetzt, dem allsonntäglich predigen­

den Geistlichen möglich ist.

Abgesehen

aber davon,

daß

mit diesem Vortheile unmittelbar auch die Versuchung ver­

bunden ist, in Lieblingsgegenständen und Lieblingsgedanken sich zu wiederholen, so wird er mehr als reichlich durch die Nachtheile aufgehoben, welche der Mangel einer bestimmten

amtlichen

persönlichen Beziehung zur Gemeinde im

und

Gefolge hat. Ich habe diesen Nachtheilen so viel als möglich zu

begegnen gesucht.

Zuerst dadurch, daß ich mich mit meiner

Predigt jederzeit unter die Ordnung des Kirchenjahres stellte, dessen Bedeutung

auch in den

Predigten der

mehr

beachtet und

ausdrücklich

Geistlichen

werden sollte,

ordentlichen

hervorgehoben

als es häufig noch geschieht : nichts ist so

sehr geeignet, an regelmäßigen Kirchenbesuch zu gewöhnen, als die Hinweisung darauf, daß die sonntägliche Feier und

Predigt nicht etwas Vereinzeltes ist, sondern nur ein Glied

in einer Reihe, die in ihrem Gesammtverlaufe die Haupt­ momente des Erlösungsprocesses darzustellen bestimmt

zugleich

haften

die Heilsthatsachen,

ist;

»renn sie immer mit

denselben Ereignissen des natürlichen Jahres verknüpft wer­

den, fester in der Erinnerung,

und es werden bei einer

solchen Verknüpfung die Ereignisse des natürlichen Lebens

vielfach zu bedeutsamen und sehr eindringlich redenden Sym­ bolen der Thatsachen der übersinnlichen Welt.

Jedenfalls

hat die Rücksicht auf den Verlauf des Kirchenjahres für den nur ausnahmsweise vor die Gemeinde tretenden Prediger

den Werth, daß sie ihn seiner isolirten Stellung sofort entnimmt und zu einer festen kirchlichen Ordnung, sowie zu der an eine solche gewöhnten Gemeinde in eine bestimmte Beziehung setzt. Durch dieses Verfahren ist es mir denn auch möglich geworden, in der erstm Sammlung solche Predigten, die zu sehr verschiedmen Zeiten gehalten worden sind, doch zu einem dem Verlaufe des Kirchenjahres entsprechendm Cyklus zusammenzustellen; nur von der XL Predigt gilt das Gesagte nicht: sie ist ursprünglich als Probepredigt, wie sie einen Theil unserer theologischen Definitorialprüfung bildet, in der Schloßkirche zu Darmstadt gehalten und dann den Osterpredigten angereiht worden, mit welchen sie ihrem Inhalte nach am nächsten verwandt ist. Der Sammlung der zehn Gleichnißpredigten lag von Anfang an ein bestimmter der Idee des Kirchenjahres fol­ gender Plan zu Grunde : Kenner mögen entscheiden, ob es mir gelungen ist, diese so oft schon homiletisch behandel­ ten, aber nicht auszupredigenden Kleinode der heiligen Schrift aus einem, so viel mir bekannt, neuen Gesichtspunkte für die Erbauung nutzbar zu machen.

Außerdem habe ich, obgleich zu der Gemeinde in keinem bestimmten amtlichen VerhälMiffe stehend, doch deren beson­ dere Individualität immer im Auge gehabt. Auch bestimmte Zeitereignisse von allgemeinerer Bedeutung, sowie Vorfälle innerhalb der Gemeinde selbst, welche die allgemeine Auf­ merksamkeit erregt hatten und das religiöse Gebiet berühr­ ten, wurden gerne berücksichtigt, und dem aufmerksamen Leser werden nicht selten derartige Beziehungen in den nach-

fölgenden Predigten begegnen; die Empfindlichkeit,

welche

zumal ein städtisches Publikum gegen ausdrückliche Bezug­

nahme auf seine besonderen Zustände zu haben pflegt, wurde dabei niemals geflissentlich herausgefordert, was auch dem

nur ausnahmsweise vor die Gemeinde tretenden Prediger

am wenigsten angestanden hätte, aber sie wurde auch nicht mit allzugroßer Aengstlichkeit geschont, und ich habe immer ge­ funden, daß das wohlgemeinte Wort auch eine gute Statt

fand.

Ueberhaupt find die Predigten insofern auf der Kan­

zel entstanden, als ich mir bei der Vorbereitung schon mein

Publicum stets lebendig vergegenwärtigte, und mit demselben Rechte, mit welchem sie vor diesem Publicum in der jedes­

maligen bestimmten Lage gehalten wurden, würden sie nirgends sonst gehalten werden können.

Vor allen gilt dies von den in

dem akademischen Gottesdienste gehaltenen Predigten und von denjenigen, welche als „Andachten" bezeichnet sind und

welche

vor einer meist aus gebildeten Frauen bestehenden

steinen Versammlung während der Advents- und Passions­ zeit in der hiesigen Hospitalkirche gehalten worden sind.

In

diesm beiden Fällen habe ich geglaubt, Beziehungen und

Ausdrücke mir

erlauben zu dürfen,

die

ich in einem ge­

wöhnlichen sonntäglichen Gottesdienste vermieden haben würde, und so möge man nicht erschrecken, wenn z. B. die Namen von Schiller und Göthe, Shakespeare und Byron in einer

Predigt vorkommen.

wußt,

durch

Freilich bin ich

mir auch sonst be­

solche concrete Beziehungen manchen Verstoß

gegen jene Homiletik begangen zu haben, derm vorsichtiger Anstand durch Bezugnahme auf Feuer- und Wassersnoth,

XII

auf Krieg und Theuerung, auf Cholera und Kartoffelkrank­ heit, auf Spielhöllen und Börsenschwinvel, überhaupt durch Eingehen auf die wirklichen Lebensverhältnisse sich zu com-

promittiren fürchtet; aber ich weiß auch, wie die aus dieser Schule hervorgegangene Predigtweise mit ihren zahmen ab-

stracten Wahrheiten, den Hörem über die Köpfe Hinweg­ predigt und sie gewöhnt hat, die Predigt ohne Anwmdung auf das eigne Leben eben über sich hingehen zu lassen, so

daß es ihnm sehr heilsam ist,

zuweilen durch ein directes

„Du bist der Mann!" aus ihrem andächtigen Halbschlum­

mer zu einer lebendigeren und fruchtbareren Auftnerksamkeit

erweckt zu werden. Sonst lege ich auf den Unterschied zwischen Stadt- und Landgemeinden so großen Werth nicht, als es zuweilen wohl

geschieht; vielmehr scheint mir gerade für den ästhetisch oder wissenschaftlich verwöhnten Gaumen der Städter das einfache,

auch dem schlichtesten Verstände zugängliche Bibelwort die

zuträglichste Nahrung zu seyn.

Unter allen Umständen gilt

mir der Tert als die eigentliche Grundlage und seine er­

bauliche Auslegung als Ziel der Predigt. Lieder wurden,

Stellen geistlicher

wo sie sich natürlich darboten,

nicht ver­

schmäht, um so weniger, da unseren Gemeinden selbst in dem Darmstädter Gesangbuch vorerst noch nur ein sehr stark mit Schlacken versetzter geistlicher Liederschatz

zu Gebote steht.

Solche Liederverse, am rechten Platze angeführt, machen oft einen wunderbaren,

nachhaltigen Eindruck.

Das Lied von

Novalis, welches am Schlüsse der V. Gleichnißpredigt steht,

habe ich zweimal als Schlußgebet nach Charfteitagspredig-

xm ten gebraucht, und jedesmal bin ich von verschiedenen Seiten,

und zwar nicht von ästhetisch Gebildeten, theilung

um seine Mit­

angegangen worden : es war ein Act der Dank­

barkeit, wenn ich es abdrucken ließ.

Die beiden Gebete aus

dem Württembergischen Kirchenbuch durften am Schluffe der

ersten und der letzten Predigt nicht fehlen, weil bei der Ab­ fassung dieser Predigten bereits auf jene Gebete Rücksicht genommen worden war, diese also ihnen zur Ergänzung dienen.

Im Uebrigen mögen die Predigten versuchen für sich selbst zu reden.

Die früheren unter ihnen, zum Theil in

sehr jugendlichem Alter gehalten, stehen da als eine Erinne­ rung an jene Zeit für die mir persönlich näher Stehenden,

etwa

auch

vor

dem

Grunde

zu

als

ein Zeugniß

Abirren

von

einer Zeit

dafür,

dem

behütet

wie der Verfasser

positiven

geblieben

evangelischen ist,

wo

das

Bekenntniß zu den einfachsten Grundwahrheiten des Evan­ geliums für viele in unserem engeren Vaterlande noch eine gar harte Rede war.

Wenn er jetzt eben so wenig im Stande

ist, dem überreizten Positivismus der Gegenwart auf seinem gefährlichen Wege zu folgen, so geschieht es nicht obgleich, sondern

hat.

weil er zu jenem Bekenntnisse jederzeit gestanden

In diese die evangelische Gesammtkirche vereinigenden

Grundwahrheiten mich selbst immer mehr zu vertiefen und

in überzeugungsvollem, lebendigem Worte die in ihnen ruhende Gotteskraft zu entbinden, damit sie auch der Gemeinde eine

Kraft werde, selig zu machen, darin habe ich meine Auf­ gabe erkannt und

zur Lösung dieser Aufgabe die mir zu

Gebote stehenden Mittel fleißig und gewissenhaft angewandt;

XIV

von vem Berufe, vorzugsweise das die Gliederder evangelischen Kirche Trennende zu betonen, finde ich ebm so wenig etwas in mir, als von dem namentlich der evangelischen Predigt ge­ fährlichen Verträum auf die magische Kraft der Amtshand­ lung und des unvermittelt der Gemeinde vorgehaltenen Bibelwortes. Ich halte mich nicht dastr, daß ich den fremden Knecht richten dürfe, rechne aber auch darauf, daß man der Weife des Dienstes, zu der ich mich berufen halte, ihr Recht lasse. Sehe nur ein Jeglicher zu, daß er in seiner Meinung gewiß sey, und wie er seinem Herrn stehe oder falle! Gießen den 28. November 1857.

Gustav Daor.

Inhalt. Erste Sammlung. I.

Christus, der da kommt zu beleben, was todt ist. Adventspre­ digt. Tert : Hesek. 37, 1-14 (1854)....................................................... 1

II. III.

Der Herr ist nahe. Adventsandacht. Tert: Phil. 4,4—7 (1856) Die freudenreiche Kunde, daß uns heute der Heiland geboren ist. Weihnachtspredigt, tut akademischen Gottesdienste gehalten.

21

Tert : Luc. 2, 8—20 (1850)............................................................ Die unvergänglichen WeihnachtSgaben, welche der Herr den Seinen schenket. Tert : Gal. 3, 23—29 (1854) ... Die stolze Demuth eines treuen Jüngers des Herrn. Predigt am Sonntage Seragefimä, im akademischen Gottesdienste gehal­

34

IV.

V.

49

ten. Tert : 2 Cor. 11, 19-12, 9 (1854) .... Des Apostels Paulus Preis der Liebe. Predigt am 1. Sonntage in den Fasten, im akademischen Gottesdienste gehalten. Tert :

65

1 Cor. 13, 1-13 (1854)..................................................................... VII. Die Berläugnung des Petrus. Pasfionsandacht. Tert: Matth.

81

26, 69-75 (1855)............................................................................... VIII. Die Mahnung des Kreuzes Christi an die im Geiste um eS

96

Versammelten. CharfreitagSpredigt. Tert: 1 Kor. 7, 23 (1841) Wie muß der Christ die Kunde von der Auferstehung des Herrn

108

aufnehmen. Ofterpredigt. Tert : Luc. 24, 13—35 (1855) . Die Bedeutung der Auferstehung des Herrn für die Förderung fetneSReicheS. Ofterpredigt. Tert:Apostelgefch. 10,34—41 (1840) Wodurch der Sohn der einzige Weg ist zum Vater. Tert:

123

Joh. 14, 6 (1839)............................................................................... XII. Die verschiedenen Stufen auf dem Wege zur Vollendung des Glaubens. Predigt am Sonntage Jubilate. Tert : Joh. 16,

151

16—23 (1839)......................................................................................... XIII. Die Herrlichkeit unseres Glaubens an Gott den Vater, den

165

VI.

IX.

X. XI.

134

Sohn und den heiligen Geist. Predigt am Trinitatisfeste. Tert : Röm. 11, 33-36 (1842).................................................. XIV. Der Werth des Vertrauens auf die Kraft Gottes, die in dem

179

Schwachen mächtig ist. Predigt am 5. Sonntage nach Trini­ tatis. Tert : Luc. 5, 1-11 (1844)................................................. Christus der Todesüberwinder. Predigt am 5. Sonntage nach

192

XV.

Trinitatis, im akademischen Gottesdienste gehalten.

Tert: Luc.

7, 11-17 (18H2)....................................................................................206

XVI XVI. Der Dienst unter der Herrschaft Christi/ verglichen mit dem Dienst unter der Herrschaft der Sünde. Predigt am 7. Sonn­ tage nach Trinitatis. Tert : Röm. 6, 19—23 (1841). . . XVII. Wodurch erweisen wir uns als wahre Kinder Gottes? Predigt am 8. Sonntage nach Trinitatis. Tert: Röm. 8,12—17 (1842) XVIII. Die Bedeutung des heiligen Abendmahles. Predigt am 5. Sonn­ tage nach Trinitatis, im akademischen Gottesdienste gehalten. Tert: 1 Cor. 10, 16-21 (1855) XIX. Die Herrlichkeit der evangelischen Kirche. Predigt bei der Generalversammlung des Oberhessischen Zweigvereins der GustavAdolf-Stiftung zu Gießen, im Juni 1855. Tert: Hebr. 10,19—25 XX Die Herrlichkeit des evangelischen Predigtamtes. Predigt bei der Ordination, am 12. Sonnt, n. Trin. 1841. Tert: 2 Cor. 3,4—11

222

237

250

263 278

Zweite Sammlung. Zehn Gleichnißpredigten nach der Ordnung des Kirchenjahres

(aus den Jahren 1855—1857). Von viererleiBoden, auf welchen der Samen des göttlichen Wortes fällt. Gleichniß vom Säemann. Luc. 8,4—15. Adventsandacht 295 II. Das Alles übertreffende Gut, welches Gott durch die Geburt des Heilandes uns geschenkt hat. Gleichniß von der köstlichen Perle. Matth. 13, 45 und 46. Weihnachtspredigt . . 310 III. Was die Vergleichung der seligmachenden Kraft des Evangeli­ ums mit einem Sauerteig eigentlich bedeutet. Gleichniß von dem Sauerteig. Luc. 13, 20 u. 21. Epiphaniaspredigt. . 322 IV. Der Todesgang der Sünde. Gleichniß vom großen Abendmahl. Luc. 14, 16-24. Passionsandacht • . 332 V. Der gute Hirte. Gleichniß vom guten Hirten. Joh. 10,12—18. Charsreitagspredigt .............................................................................345 VI. Die Lebensgemeinschaft zwischen dem Auferstandenen uud den­ jenigen, welche an ihn glauben. Gleichniß vom Weinstock und den Reben. Joh. 15,1—8. Predigt am Sonntage nach Ostern 359 VII. Das Reich Gottes mit einem Senfkorn verglichen. Gleichniß vom Senfkorn. Marc. 4,30—32. Predigt am Sonntage Eraudi 373 VIII. Das Werden und Wesen des seligmachenden Glaubens. Gleichniß vom verlorenen Sohn. Luc. 15,11— 32. Predigt am Erndtefeste 388 IX. Das Wesen und Wirken der Liebe. Gleichniß vom barmherzigen Samariter. Luc. 10,25—37. Predigt am 20. Sonnt, n. Trin. 403 X. Die christliche Hoffnung. Gleichniß von den zehn Jungfrauen. Matth. 25,1—13. Predigt am letzten Sonntage des Kirchenjahres 418

I.

Man bittet um Berichtigung folgender Fehler : S. 49, Z. 6 u. 7v. u. „widerleuchtete" statt „wieder leuchtete"; S. 117, Z. 10 v. n. „knechtische" ft „knechtige"; S. 167, Z. 2 v. o. „A usgießung" ft. „Verheißung"; S. 169, Z. 3 v. u. 1 ft. II; S. 253, Z. 11 v. u. l. „euch" ft. „auch".

Erste Sammlung.

I. Christus, der da kommt, zu belebeu was todt ist. Adventspredigt.

Tert : Hesek. 37, 1-14. Der Gott des Friedens heilige uns durch und durch, und unser Geist ganz, sammt der Seele und Leib müsse behalten werden

unsträflich Amen.

auf

die

Zukunft unseres

Herrn

Jesu

Christi!

(1. Thess. 5, 23.)

Wir sind, geliebte Christen, in die heilige Zeit eingetreten, da die Kirche den Advent, das ist die Ankunft unseres Herrn

und Heilandes feiert.

ES soll uns diese Zeit aufs Neue eine

Mahnung werden, uns zur Aufnahme des Herrn, dessen gnaden­

reiche Geburt unS in Kurzem wieder verkündet wird, würdig Dazu ist es nun vor Allem nöthig, daß wir uns

vorzubereiten.

recht deutlich vergegenwärtigen, wie viel wir durch ihn und an

ihm haben. Freunde,

Und die Erfüllung dieser Forderung,

meine lieben

ist so leicht nicht, als es auf den ersten Blick wohl

scheinen könnte.

Wir sind freilich von Jugend auf rings um-

1 *

4 geben von den Segnungen, welche der Heiland uns gebracht hat:

wir sind aufgewachsen in einem Familienleben, wie es außerhalb

des Christenthums nirgends vorhanden ist, unter dem Schutze von Gesetzen, welche die Einwirkung der evangelischen Wahrheit nicht verläugnen können, als Glieder einer Kirche, die erbaut ist auf dem von ihm gelegten Grunde.

Aber dies Alles ist uns

von Kindheit so sehr, daß ich so sage, tägliches Brod gewesen, wir haben unö so sehr gewöhnt, eS als etwas sich von selbst

Verstehendes zu betrachten, daß es uns schwer wird, darin etwas

besonders Dank- und Preiswürdiges zu erkennen.

Wie aber

der Mann, der nach mancherlei Mühen und Nöthen endlich sagen kann, daß sein LooS ihm auf'S Liebliche gefallen ist, dann seines Glückes am innigsten sich freut,

wenn er zurückblickt auf die

früheren Zeiten der Noth: so muß cs die Erkenntniß des reichen Segens, den wir unserem Herrn und Erlöser verdanken, wesent­

lich fördern,

wenn wir den Zustand der Zeiten uns vergegen­

wärtigen, die dieses Segens noch entbehrten, die der Offenbarung Gottes in Christo erst noch cutgegcnharrtcn.

Und so ist es ja

gewiß ganz in der Ordnung, wenn der zur Feier des Advents

des Herrn versammelten Gemeinde als Grundlage für ihre an­ dächtige Betrachtung statt eines neutestamentlichen Textes einmal

das Wort eines alttestamentlichen Propheten geboten wird, damit

sie nach seiner Anleitung sich vor die Seele stelle, waö wir ohne den wären, dessen Ankunft wir heute feiern, und was es für ein

Segen ist,

In diesem Sinne habe ich zu

den er uns bringt.

unserem heutigen Texte einen Abschnitt aus dem 37. Capitel des Propheten Hesekiel gewählt.

Es heißt dort vom l —14. Vers

also :

„1. Und des Herrn Hand kam über mich, und führte mich hin­ aus im Geist des Herrn, «nd stellete mich auf ein weites

Feld, das voller Beine lag.

halben dadurch.

Und siehe,

2. Und er führte mich allent­

fdeS Gebeins) lag sehr viel

ans dem Felde; und siehe, sie waren sehr verdorret.

3. Und

er sprach zu mir : Du Menschenkind meinest du auch, daß diese Beine wieder lebendig werden?

Und ich sprach :

Herr Herr, bad weißt du wohl. 4. Und er sprach zu mir: weissage von diesen Beinen, und sprich zu ihnen : Ihr verdorreten Beine, höret des Herrn Wort. 5. So spricht der Herr von diesen Gebeinen : Siehe, ich will einen Odem in euch bringen, daß ihr sollt lebendig werden. 6. Ich will euch Adern geben, und Fleisch lassen über euch wachsen, und mit Haut überziehen; und will euch Odem geben, daß ihr wieder lebendig werdet; und sollt erfahren, daß Ich der Herr bin. 7. Und ich weissagte, wie mir be­ fohlen war, und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, uud siehe, es regte sich, und die Gebeine kamen wieder zusammen, ein jegliches zu seinem Gebein. 8. Und ich sahe, und siehe, eö wuchsen Adern und Fleisch darauf, und er überzog sie mit Haut; eS war aber noch kein Odem in ihnen. 9. Und er sprach zu mir : Weissage zum Winde; weissage, du Menschenkind, und sprich zum Winde : So spricht der Herr Herr : Wind, komm herzu aus den vier Winden, und blase diese Getödteten an, daß sie wieder lebendig werden. 10. Und ich weissagte, wie er mir be­ fohlen hatte. Da kam Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig, und richteten sich auf ihre Füße. Und ihrer war ein sehr großes Heer. 11. Und er sprach zu mir : Du Menschenkind, diese Beine sind daö ganze HauS Israel. Siehe, jetzt sprechen sie : Unsere Beine sind verdorret, und unsere Hoffnung ist verloren, und ist auS mit uns. 12. Darum weissage und sprich zu ihnen : So spricht der Herr Herr: Siehe, ich will eure Gräber aufthun, und will euch, mein Volk, auS denselben herausholen, und euch in das Land Israel bringen, 13. Und sollt erfahren, daß ich der Herr bin, wenn ich eure Gräber geöffnet, und euch, mein Volk, auS denselben gebracht habe. 14. Und ich will meinen Geist in euch geben, daß ihr wieder leben sollt, und will euch in euer Land setzen; und sollt erfahren, daß Ich der Herr bin. Ich rede eS, und thue eS euch, spricht der Herr."

« Das Gesicht,

welches der Prophet Hesekiel in diesen ge­

waltigen Worten uns darstellt, war ihm zu Theil geworden in der babylonischen Gefangmschaft, am Ufer des Flusses Ehrbar

in Mesopotamien, wohin er sammt seinem Könige und den An­

gesehensten seines Volkes von Nebukadnezar geführt worden war. Und sechshundert Jahre nachdem der Herr seinem Propheten die Wiedererweckung des erstorbenen Volkes Israel geoffenbaret hatte,

dort auf dem Leichenfelde am Ufer des Chebar, stehe, da erscholl

die Stimme eines Predigers in der Wüste am Ufer des Jordan : »Thut Buße,

das Himmelreich

ist

nahe

herbei

gekommen!"

Das, meine Lieben, ist die erste Adventspredigt gewesen und bald

darauf sah dieser erste Adventsprediger, der Täufer Johannes, Jesum zu ihm kommen, und spricht : »Siehe,

Lamm, welches der Welt Sünden trägt."

das ist Gottes

Und stehe, da rauschete

es, und siehe, es regele sich auf dem weiten Leichenfelde, das

allmälig über die ganze Erde sich verbreitet hatte, und das Todte

ward wieder belebt,

und die zerstreuten Gebeine kamen wieder

zusammen und erwuchsen zu einem lebendigen Leibe, dessen Haupt Christus war.

Daö, meine Lieben, war der erste Advent unseres

Herrn und Heilandes, daS war seine erste, große Ankunft in der Weltgeschichte, durch die er in das erstorbene Gebein

der Menschheit neues Blut und Leben gegossen hat: daran sei heute vor Allem mit dankbarem Herzen gedacht!

Aber beruhigen dürfen wir uns nicht bei diesem allgemeinen dankbaren Andenken an die Segnungen,

welche der Herr durch

seine erste Ankunft der Menschheit im großen Ganzen gebracht hat.

Vielmehr daß wir stets aufs Neue uns vorbereiten auf die

Ankunft des Heilandes,

das hat doch nur dann einen Sinn,

wenn er immer noch zu uns kommen kann und kommen soll.

Und

thut

uns

denn

seine Ankunft nicht fortwährend noth?

Stellt sich nicht, so wir nur den Muth haben, die Tünche weg­

zuräumen von den Gräbern, inmitten der Gemeinde, die seinen Namen trägt, die er erkauft hat mit seinem theuren Blute, noch

genug deS Erstorbenen dar, daö der Wiederbelebung durch ihn harret?

Wir wollen uns das zu unserer Erbauung bestimmter

vorhalten, indem wir heute des Herrn gedenken, als dessen,

der durch seine Ankunft Leben bringen muß in unser

todtes Herz,

in unser todtes

in unser todtes Haus,

bürgerliches Leben und in die todte Kirche.

aber, auf den wir hoffen,

Der Herr

sei bei uns mit seinem Geiste,

und

öffne unsere Herzen, damit er einziehen möge in sie!

I.

Bor Allem also in unser erstorbenes Herz!

Bon die­

sem Punkte muß jede gründliche Besserung menschlicher Verhält­

nisse auSgehen, und wie eifrig wir halten auf Ehrbarkeit in unserem Wandel und auf äußere Zucht in unserem Hause, und

wie eifrig gesorgt wird für gute Einrichtungen in Kirche und Staat: der rechte Grund fehlt unS und wir stellen unser Ge­

bäude auf morsche Stützen,

so lange nicht das Herz,

dieses

trotzige und verzagte Ding, wie es der Prophet nennt (Ier. 17,

9), von Grund aus bekehrt ist.

gilt

es

Also noch einmal : vor Allem

unser erstorbenes Herz! — Unser erstorbenes Herz?

höre ich fragen.

Dieses Herz wäre erstorben,

das,

wie es zu

schlagen nicht aufhört, so lange noch Leben im Menschen ist, so

auch von dem Sturme wechselnder Gefühle jeden Augenblick auf das Lebhafteste bewegt ist?

Dieses Herz, das bald zusammen­

gepreßt ist von Schmerz, bald bis zum Zerspringen schwillt vor

Lust, bald in der schwebenden Pein zwischen Furcht und Hoff­ nung hanget und banget; dies Herz, das bald die Sorge drückt, wie doch eine Antwort sich finden werde auf die Frage : »Was

werden wir essen, was werden wir trinken?» bald die Sorge, wie man den reichen Besitz noch vermehre, oder von ihm die ge­

nußreichste Verwendung mache; dieses Herz, das bald sich blähet

im Besitz äußerer Ehre und Anerkennung, bald durchwühlt ist von Neid und Eifersucht gegen

immer pochende,

den Begünstigteren — dieses

ruhelose Herz wäre todt? — Ich habe auf

diese lange Frage eine sehr kurze Antwort.

Sie steht im Ein­

gänge zum Evangelium des Johannes, da, wo der Apostel von

8 dem ewigen Worte, da- in Christo Fletsch geworden ist, sagt : »In ihm war da- Leben!" (Ioh. 1, 4).

Nun, Geliebte, wenn

denn da- Leben in ihm ist, so muß ja wohl, wo er nicht ist, der Tod sein; und in jenem Sorgen und Zagen und Hoffen um vergängliche Dinge ist ja doch gewiß der nicht, der da spricht:

--Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und seiner Gerech­

tigkeit,

so wird euch solche- Alles zufallen!» (Matth. 6, 33.)

Und sieht sich denn nicht in der That diese fieberhafte Aufregung

des Herzens wie ein Zeichen an, daß es an dem rechten gesunden

Leben fehlt, wie ein Borzeichen des nahen Todes? — Stellen wir uns doch einmal das Bild eines gesunden, wahrhaft leben­ digen Herzens recht deutlich vor die Seele.

Solche Herzen fin­

den wir da, wo das Wort des Herrn in Erfüllung gegangen ist : „Wahrlich, wahrlich ich sage euch : Wer mein Wort höret

und glaubet dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben, und kommt nicht in das Gericht; sondern er ist vom

Tode zum Leben hindurchgedrungen.» (Ioh. 5, 24.) Ein solches zum Leben hindurchgedrungenes Menschenherz ist nicht gleichgül­ tig gegen die Freuden und Schmerzen des Erdenlebens, vielmehr fühlt es sie tiefer und sorget gewissenhafter für die Arbeiten des

täglichen Berufes.

Aber in seinem tiefsten Grunde wohnet doch

die wandellose Liebe zu Gott und zum Heilande; in ihr hat eS

einen so festen Ruhepunkt gefunden, daß die Stürme von außen eS nicht mehr zu erschüttern vermögen, daß vielmehr von ihm

aus über das ganze Wesen des Menschen eine in allen Wechsel­ fällen des Lebens int Wesentlichen sich gleich bleibende Stimmung

heiteren Ernstes sich ausbreitet.

Sein tiefster Schmerz ist, daß

eS den Herrn noch nicht so lebendig ausgenommen hat, wie es geschehen sollte, seine höchste Freude,

den mit ihm.

stets inniger Eins zu wer­

Und da Denen, die Gott lieben, alle Dinge

zum Besten dienen müssen,

so fühlt es bei äußerem Glück und

Unglück nur auf verschiedene Weise dieselbe Aufforderung, Beides so zu ertragen, daß jenes höchste Ziel ihm dadurch nicht verrückt

wird.

Gar schön spricht sich der unwandelbare Friede eines Ge-

wüthe-, das in dem Henn das wahre Leben gefunden hat,

in

dem Liede aus : Wie wohl ist mit, o Freund der Seelen, Wenn ich in deiner Liebe ruh! Ich steige aus der SchwcrmuthShöhlen Und eile deinen Armen zu. Hier muß die Nacht der Trauer scheiden. Wenn mit so angenehmen Freuden Die Liebe strahlt auS deiner Brust! Hier ist mein Himmel schon auf Erden,

Wer sollte nicht vergnüget werden.

Der in dir suchet Ruh und Lust!

Wcht

uns nicht auö

diesen schönen

innigen Worten

der

sanfte Frieden Gottes entgegen, der höher ist, denn alle Ver­ nunft? (Phil. 4,7.) Fühlet ihr nicht, daß wer einstimmen könnte

in diese Worte von ganzem Herzen, daß der durchgedrungen wäre zum wahren Leben, zu einem Leben, mit dem verglichen auch das

lebhafteste Bewegtwerdcn deS Herzens durch Vergängliches nur erscheinen kann als ein Rennen und Jagen zum Tode?

es Euch nicht an wie Heimweh

Weht

nach unserem wahren Vater­

lande, da wir in der Liebe unseres Herrn und Heilandes unsere Ruhe finden?

O Geliebte, das wäre ein seliges Wehen!

Das

wäre das Wehen des heiligen Geistes, der da schaffet, daß eS rauschet und sich regt auf dem Leichenfeldc unserer der Vergäng­

lichkeit hingegebenen Herzen!

Das

wäre

das den Einzug des Herrn ankündigt. Herzen nicht verschließen,

sondern,

das heilige Wehen,

Laßt uns ihm unsere

wie der Psalmist sagt :

"Machet die Thore weit und die Thüren in der Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe!" (Ps. 24, 7)

— einziehe vor Allem in unser

todtes Herz!

II.

Und wenn er da erst Wohnung gemacht hat, so wird er

ja seinen Weg auch weiter finden in unser todtes Haus, in

to Ja, geliebte Freunde, auch

unser erstorbenes Familienleben.

dahin muß der Herr Leben bringen, neues, wahres Lebe«, denn

an Leben und Regsamkeit überhaupt fehlt es ja freilich dort nicht, zumal nicht in dieser Zeit des Jahres.

Wie ost leuchten

in die späte, stille AdventSnacht hinein die hellen Festeskerzen und schallet die laute Unterhaltung der stöhlichen Gesellschaft! Wie rühren sich jetzt allwärtS die Gedanken und die Hände in

der Vorbereitung der WeihnachtSbescheerung, und den Ruf der sonntäglichen Glocke überhört der hastige Fleiß bei der zu lang aufgeschobenen Arbeit.

Aber wird auch bei diesen Christbeschee-

rungen Christi gedacht, und sind unsere Gesellschaften immer von

der Art, daß wir unsere Augen nicht niederzuschlagen brauchten,

wenn, wie dort auf der Hochzeit zu Cana, Er plötzlich erschiene unter den fröhlichen Gästen? — Laßt uns näher herantreten an ein HauS unter den vielen,

an das bescheidene Haus eines

Mannes, der sein Brod verdient mit der Arbeit seiner Hände,

genügendes Brod zwar für sich und die Seinen,

muß im Schweiße seines Angesichtes.

aber eS essen

Der früheste Morgen schon

weckt ihn zur Arbeit, kaum zum Esten gönnt er sich Zeit, denn die vielen Kunden wollen befriedigt sein.

Unterdessen bleibt der

Frau als ihr ebenfalls nicht leichtes Theil die Sorge für das

Hauswesen und für

die

Kinder.

Und wenn nun endlich die

Feierabendstunde schlägt, so eilt er schnell von Hause weg,

um

ein paar Stunden Erholung und Zerstreuung zu suchen; sie aber plagt sich einsam fort mit der Sorge um Nahrung und Kleidung

für den andern Morgen, bis die Ermüdeten der Schlaf umfängt,

nm sie nach wenigen Stunden

zu neuer Arbeit zu entlassen.

So geht es Tag für Tag und

mit jedem einen Schritt dem

Grabe näher.

Das, meine lieben Freunde, ist das Bild des

Lebens mancher ehrbaren Bürgersfamilie.

Und in dieser ehrbaren

Familie wird der Name Gottes und Christi nie genannt, es sei

denn in einem gedankenlosen Schwur, mit dem man gegen das zweite Gebot sich versündigt.

Da kennt man das Gebet weder

als Anfang noch als Schluß des Tagewerkes, weder als Hülfe­

ruf in der Noth noch als Dank für Gottes reichen Segen.

Ob

sie ihre alte Bibel noch haben, daS wissen sie nicht; und in der Kirche und am Tische des Herrn sieht man die Glieder dieser

ehrbaren Familie nie, vielleicht sagen sie uns auch geradezu, daß sie dazu keine Zeit haben, daß sie daS den Angestellten über­

lassen müssen, die ihre bestimmte Einnahme haben,

sie aber

müßten sorgen in der Zeit, da eS Arbeit gäbe, damit sie dann Nun wohl, gehen wir weiter zu einem von

hätten in der Roth.

den Häusern,

daS sie uns bezeichnet haben!

denn da wirklich anders?

Finden wir es

Besser gewiß nicht und anders kaum.

Die Stunde der Arbeit schlägt dem Manne etwas später und etwas früher die der Erholung, nnd die Frau hat etwas weniger

Last, weil sie einen großen Theil den Dienstboten überläßt, und

die Kinder schafft man möglichst bald in die Schule,

so findet

man wohl mehr Zeit zur Ruhe und zum Genuß, aber den Herrn

zu suchen und dem Herrn zu dienen, dazu hat auch dieses Haus keine Zeit.

Ach und wie traurig hat in den meisten Hänsern

der Mensch geschieden, was Gott zusammen gefügt hat, den heiligen

Ehebund und den daraus erwachsenen Bund der Familie! Ist nicht die christliche Ehe ein Spott geworden, als die das gerade Gegen­

theil biete von dem, was die Verlobten erwarteten, da sie vor­ dem Altare zum ewigen Bunde sich die Hand reichten?

Gilt es

nicht für die Weisheit erfahrener Weltleute, daß man, da man doch einmal nicht recht einig fein könnte,

müsse gewähren lassen?

sich gegenseitig nur

So gehet denn jedes seinen eigenen

Gang und wenn daS Eine störend eintritt in die Kreise des An­

dern, so fallen rauhe, scharfe, bittere Worte.

Kinder läßt man gewähren,

Und auch die

wie sie ihr Gelüsten treibt, und

wundert sich dann höchlich, daß wo man Wind gesäet hat, man Sturm ernten muß.

geliebte Freunde?

Ist dies Gemälde zu düster ausgefallen,

Wohl schwerlich,

denn

ich bin noch nicht

hinabgcstiegen zu den tiefen Abgründen menschlichen Elendes, wo

der Mensch Tag für Tag mit dem Hungertode um das nackte Leben ringt, noch hinauf zu jenen Höhen der Gesellschaft, wo er

einen verlorenen Tag um den andern der Langeweile aus

den

Händen windet und stets auf vergeblicher Flucht ist vor seinem

12 eigenen leeren, ausgebrannten Herzen, vor dem unablässig ihn

verfolgenden Gespenst« seines eigenen hohlen, nichtigen Selbst. Nein, Geliebte, sondern ich habe die Züge hergenommen aus den

mittleren Schichten der Gesellschaft. damit richtig gezeichnet?

Sind nicht viele Häuser

Und laßt uns doch nicht lange herum­

schauen nach Häusern, auf welche sie etwas passen, sondern uns lieber fragen, ob nicht auch unser eigenes Familienleben an einem

oder dem andern dieser Züge mehr oder weniger Theil hat! — Und ist denn solch ein Leben, meine geliebten Christen, wirllich

ein Familienleben, ist das nicht ein trauriger Familientod? — Ein Familienleben, ein christliches Familienleben, worin der Geist

deS Herrn rauschet

und

die zerstreuten Gebeine verbindet zu

lebendigen Gliedern eines Leibes, dessen Haupt Christus ist — wo fänden wir sein Bild? — Der Herr selbst soll unser Führer

sein, Geliebte! über,

Wir gehen an seiner Hand von Jerusalem hin­

an dem von der Morgensonne beschienenen Gipfel des

OelbergeS vorbei, in den Flecken Bethanien.

Da führt er uns

in das Haus seines liebe» Freundes LazaruS,

dessen Schwester

Martha in eifrigem Dienste um den Herrn sich bemüht, während Maria

mit gefalteten Händen zu seinen Füßen sitzt und den

Worten des ewigen Lebens lauscht, die von seinen Lippen strömen.

(Luc. 10, 38—42.) Sehet da, meine Freunde, ein liebliches Bild

einer christlichen Familie : das Haupt des Hauses

ein lieber

Freund des Herrn Jesu und neben dem Geiste rühriger Arbeit

der Geist stillen Gebetes!

Häusern.

So sollte es überall sein in unsern

Ueberall der Sinn gerichtet auf daö Eine, was Noth

thut, darauf,

daß wir durch Christum erlöst werden von dem

Elende der Sünde,

und alle Glieder des Hauses auf'S innigste

verbunden durch gemeinsames Ringen nach diesem Ziele, durch daS Streben

in seiner Erreichung sich gegenseitig zu fördern!

Und wo so

vor allem nach dem Reiche GotteS getrachtet wird,

da wird sich auch allezeit bewähren das Wort des Psalmisten : --Ich bin jung gewesen und alt worden und habe noch nie ge­

sehen den Gerechten verlassen,

oder seinen Samen

nach Brod

gehen." (Ps. 37, 25.) Und wunderbar, wer so die Zeit gefunden

hat, dem Herrn zu dienen, der verliert nicht, sondern er gewinnt

Zeit auch für die Geschäfte des täglichen Lebens.

Denn indem

sein Sinn gerichtet ist auf das Eine, was Noth thut, wird über­ haupt feine Fähigkeit geschärft, das Nöthige von dem Unnöthigen

zu unterscheiden, und indem er alles das unterläßt, was ebenso

gut, oder noch besser unterbleiben kann, als geschehen, bleibt ihm für alles Wesentliche stets

hinlängliche Zeit.

Und der Herr ist

ja seine Hülfe bei der Arbeit, wie sein Gast bei Tische und sein

Trost im Leid.

Und wenn der Tod in ein solches Haus herein­

tritt, so fehlt auch daun der treueste Freund nicht, der dort auf dem Wege zum Grabe des Lazarus sprach : „Ich bin die Auf­

erstehung und das Leben.

ob er gleich stürbe.

Wer an mich glaubet, der wird leben,

Und wer da lebet und glaubet an mich,

der wird nimmermehr sterben!" (Joh. 11, 25.) O daß der Herr auch in unser Haus eiukchrte, wie er einkehrte in das Haus zu

Bethanien!

Ja machet die Thore weit und die Thüren

in der Welt hoch, daß der König der Ehren einziehe! — ncubelebend einziehe in unser todtes Haus,

in

unser erstorbenes Familienleben!

III. Und von da mögen wir ihn denn mit uns hinausnehmen

in unser todtes bürgerliches Lebe»! — Geliebte Freunde! Als durch den Mund dcö Engels zum erstenmale das Evange­

lium verkündigt wurde : „Euch ist heute der Heiland geboren!--

(Luc. 2, 11) — da waren es arme Hirten auf dem Felde, die vor Allen gewürdigt wurden, diese frohe Botschaft zu vernehmen : sie waren die ersten, welche vor der in dem Kindlein in der Krippe

geoffenbarten Herrlichkeit des ewigen Gottes anbetend

knicetcn.

Bald darauf aber sehen wir neben ihnen kniecn die

Weisen vom Morgenlandc, in welchen der tiefe Sinn deö christ­ lichen Volkes Könige erkannt hat.

also

und

Die ärmsten aus dem Volke

vielvermögende Fürsten knieen nebeneinander bei der

Krippe zu Bethlehem, in dem gemeinsamen Gefühle, daß hier

14 kein Unterschied sei, daß sie allzumal Sünder find und de- Rühme­

mangeln, den sie an Gott haben sollten (Röm. 3, 23), und daß nur da- Kindlein in der Krippe diesen Mangel zu ersetzen ver­ möge. — Da- ist ein leuchtende- Vorbild für alle Zeiten! Ja, meine Freunde, wenn Fürst und Volk in lebendiger Frömmigkeit

vor dem Herrn Jesu sich beugen, im tiefen Gefühle, daß dem

Herrn, wie dem Knechte, vor Mem nöthig thue, durch ihn erlöst

zu werden au- der Knechtschaft der Sünde, dann ist der einzig feste Grund zur bürgerlichen Wohlfahrt, zu einem wahren bür­ gerlichen Leben gelegt!

Auch hat e- ja der Herr um Fürst

und Volk wohl verdient, daß sie ihn und sein Gesetz anerkennen. Denn sein Wort hat die Sklavenketten zersprengt, die einen Theil der Menschen zum Werkzeuge der andern erniedrigten, aber es

hat auch geboten, daß jedermann Unterthan sei der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat (Röm. 13, 1); und es hat anerkannt,

daß die Obrigkeit von Gott verordnet und Gotte- Dienerin sei

(Röm. 12, 1), aber es hat auch geboten : »Ihr Herren wisiet, daß auch euer Herr im Himmel ist, und ist bei ihm kein Ansehen der Person." (Eph. 6, 9.)

So hat der Herr beiden Theilen

gleichmäßig ihre Rechte zugemessen und ihre Pflichten,

damit

jeder in seinem Kreise das Seinige thue, ein jeder nicht blos um seinetwillen, sondern auch um des Andern willen, beide aber um Gotteswillen.

Und ist es nun dieser christliche Sinn gegenseitiger

Anerkennung und Unterstützung, der wirklich allerwärtS in unserem

bürgerlichen Leben herrscht? ten Freunde I

Ach nein, leider nein, meine gelieb­

Sondern gar oft stehen wie zwei feindliche Par­

teien Volk und Obrigkeit sich gegenüber, und je nachdem die Ge­ legenheit sich bietet, sucht jede von dem, was der andern gebühret,

so viel an sich zu reißen, als sie nur immer vermag.

Und wie

sehr fehlt cS auch uns, die wir Diener des Staates heißen, an

jenem selbstverleugnenden hingebenden Eifer in unserem Dienste, wie er eben nur dem möglich ist, welchem auch der Staatsdienst

ein Stück Gottesdienst ist,

ein von Gott ihm gegebener Beruf

zur Geltendmachung des göttlichen Gesetzes im menschlichen Leben.

Unter uns aber sieht es bei vielen fast auS, als ob der Gottes-

dienst nur ein Stück Staatsdienst wäre : sie gehen zur Kirche, wenn sie glauben, daß das Oberhaupt des Staates es gerne sieht, aber das Gebot dessen, der ein König ist über alle Könige, das Gebot : „Du sollst den Feiertag heiligen!" das scheint nicht für

sie gegeben zu sei».

Und wenn es so steht um die,

welche die

bürgerliche Gesellschaft zu leiten haben, ist eö dann ein Wun­

der, wenn in allen Schichten der Gesellschaft ein selbstsüchtiges,

gottvergessenes Treiben sich offenbart, wenn die göttliche Ordnung des bürgerlichen Lebens in

einen Krieg Aller gegen Alle sich

verwandelt hat, worin jeder nur das Seine sucht, wenn es auch dem Bruder Nachtheil und Verderben brächte.

Und ist es dann

weiter ein Wunder, wenn alle Verbesserungen deS GewerbbetriebS, wenn alle vermehrten Mittel des Verkehres, wenn die reichsten Spenden daS Leck nicht mehr

zu verstopfen vermögen,

durch

welches die Flut der Verarmung furchtbar hereinschießt in daS schwankende Schiff deS Staates,

Steuerer verzagen?

also daß

auch die

kühnsten

Ist es ein Wunder, wenn alle Verbesse­

rungen im Gerichtswesen und Polizei doch die Zahl der Ver­

brechen nicht mindern,

wenn alle Fortschritte der Wissenschaft

den Trank nicht ausfindig machen, der die todkranke bürgerliche Gesellschaft heilt, da man es einmal verschmäht, aus dem Brun­

nen des ewigen Lebens zu schöpfen?

Denn auch hier gilt das

Wort des Herrn : »Der Geist ist's, der da lebendig machet, das Fleisch ist kein nütze I" (Joh. 6, 63.)

Und ohne seinen beleben­

den Geist sind die besten äußeren Einrichtungen nichts als Fleisch, d. h. äußerliches, todtes Wesen ohne Kraft und Gedeihen! gegen wo Er einkehrt,

Da­

da rauschet eö und fängt an sich zu

regen, wenn gleich kein menschlicher Gedanke mehr hoffen konnte,

daß diese Beine wieder sollten lebendig werden I — Ja, geliebte Freunde, auch unser bürgerliches Leben harret mit uns auf die

Ankunft des Herrn, damit eS besser werde, damit es zu einem

frischen, gedeihlichen, wahren Leben durchdringe.

Der Geist des

Herrn muß einziehen in unsere Amtsstuben und in unsere Ge-

richtSsäle, in unsere Rathhäuser und in unsere Ständehäuser, in unsere Schulstuben und in unsere Hörsäle, in unsere Werkstätten

16

und in unsere Fabriken.

O, machet die Thore weit und

die Thüren in der Welt hoch,

daß der König der

Ehren einziehe! — einziehe mit seinem belebenden

bürgerliches Leben!

Geiste in unser todtes

IV. Aber auch in die todte Kirche, meine geliebten Freunde! —

Also

auch die Kirche wäre todt, die Kirche des Herrn, der

bei seinem Abschiede von der Erde den Seinen verheißen hat :

"Ich will euch nicht Waisen

ich komme zu euch?»

lassen;

(Ioh. 14, 18.) — Nun, gottlob! liebe Mitchristen, der Herr

hat Wort gehalten : gestorben war die Kirche nie, sondern auch

in den traurigsten Zeiten blieben,

wie damals in Israel, noch

eine Anzahl Kniee übrig, die sich nicht gebeugt hatten vor Baal (1 Kön. 19, 18), vor dem Götzen des Unglaubens und der

Weltlust, und an welchen der Herr sein Wort bewähren konnte:

„Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen« (Matth. 18, 20). die Kirche leider oft genug,

Erstorben aber war

so erstorben, daß daS noch übrige

Leden sich auf einen ganz keinen Punkt zurückgezogen zu haben schien; alle Glieder aber von kalter Todesstarre gefangen waren. Und ist denn nicht auch die Gegenwart eine Zeit solcher Erstor-

benheit der Kirche ?

Allerdings zeigen sich unverkennbare Spuren

deS wiedererwachenden kirchlichen Lebens,

Spuren nicht zu gering anschlagen, Kirche von Herzen dafür danken.

und wir wollen diese

sondern dem Herrn der

Aber schon der Umstand, daß

man jedes Zeichen des wiederkehrenden Lebens so ängstlich beob­

achtet, so laut davon berichtet,

von Gustav-Adolf-Verein und

Kirchentag, von innerer und äußerer Mission, von Bibelvereinen,

von der Sorge für bessere Katechismen, Gesangbücher, schönere Gottesdienste, schon dieser Umstand zeigt,

daß zu einem recht

frischen Leben, daß zur vollen Kraft der Gesundheit die Kirche noch nicht wiedergenesen ist.

reden von Ereignissen,

— Es ist hier nicht die Zeit zu

welche die evangelische Kirche int großen

Ganzen berühren, sondern an das Allernächste wollen wir un­ halten, an das, was, wie in anderen Gemeinden, so auch in der unserigen

uns unmittelbar vor Augen liegt.

Den einfachsten

Maaßstab für das kirchliche Leben einer Gemeinde bildet der

Wie sieht es damit aus in dieser Stadt?

Kirchenbesuch.

mit der Theilnahme am heiligen Abendmahle?

Wie

Auf dem Ber­

liner Kirchentage hat ein Geistlicher aus einem Lande, wo Sonn­

tagsheiligung und Kirchenbesuch noch zur alten guten Sitte ge­

hören, der würdige Prälat Kapps aus Stuttgart, den Berlinern vorgerechnet,

daß

unter 100 von

ihnen

nur 6 Kirchgänger

sind — würde sich in Gießen das Verhältniß günstiger stellen?

Wir wissen wohl, welche Antwort man hat auf solche Fragen,

und welche auch jetzt wohl Mancher in Gedanken giebt : »Wenn

die Prediger besser wären, so wäre der Kirchenbesuch besser.« — Wohl, mein lieber christlicher Mitbruder, wir lassen unS diesen

Grund gefallen.

Das Predigeramt ist ein schweres Amt, und

es wird keiner sich dünken lassen, daß er seinen hohen Anforde­

rungen genüge.

Ja, seid versichert, eS ist kein rechter Prediger,

der nicht schon einen tiefen Schmerz empfunden hätte,

den ihr

nicht kennt, den Schmerz darüber, daß es ihm so gar nicht ge­

lingen will, auS seinem Texte den zündenden Funken herauSzu-

schlagen und für den Gedanken das treffende Wort zu finden,

darum nicht gelingen will,

weil er sich sagen muß : „Du bist

selbst von dem göttlichen Worte noch nicht so ergriffen, wie du ergriffen sein solltest.«

ES ist Keiner,

der sich nicht mit ange­

weht fühlte von dem TodeShauch, der durch die Kirche geht, der nicht in bangen Stunden schon

gebetet hätte : „Ich glaube,

lieber Herr, hilf meinem Unglauben!« (Marc. 9, 24). — Also,

Geliebte, eS sei bereitwillig zugestanden, daß die Knechte, die in

die Erndte gegangen sind, nicht sind, wie sie sein sollten; aber

ihr werdet auch nicht läugnen wollen, daß auf dem weiten Erndtefelde auch nicht alle Aehren sind, wie sie sein sollten.

ES sei

zugegeben : der Kirchenbesuch würde besser sein, wenn die Pre­

digt besser wäre; aber ihr werdet mir auch gestatten mässen, den Satz umzukehren : die Predigt würde besser sein, wenn der KirBaur, Predigten. 2

18

chenbesuch, wenn die Gemeinde besser wäre. — Da der Apostel Paulus der Gemeinde zu Rom die Absicht seines baldigen Be­ suches meldet, da schreibt er ihnen (Röm. 1, 11 f.) : »Denn mich verlanget euch zu sehen, auf daß ich euch mittheile etwas

geistlicher Gabe, euch zu stärken.

Das ist, daß ich sammt euch

getröstet werde durch euren und meinen Glauben."

Also selbst

der große Apostel meinte nicht, daß er der jungen Gemeinde zu Rom geistliche Gabe nur zu geben habe, sondern auch empfangen wollte er von ihr, er wollte sich gemeinschaftlich mit ihr erbauen

durch seinen und ihren Glauben.

Sehet, geliebte Freunde, damit

ist das richtige Verhältniß angegeben zwischen einer evangelischen

Gemeinde

und

ihrem

Prediger.

Die evangelische

Gemeinde

kommt ja nicht zur Kirche, um von dem Geistlichen als einen

neuen Mittler zwischen ihr und dem einzigen wahren Mittler gewisse Gnadegaben äußerlich in Empfang zu nehmen : sondern

sie ist eine Gemeinde von mündigen Christen, welche zur Kirche führet der Drang, vom Lärm der Welt geschieden unter gleich­

gestimmten Brüdern des Grundes ihres Heils auf's Neue gewiß zu werden,

sich zu erbauen unter einander mit geistlichen lieb­

lichen Liedern und in stillem Gebete, und der Geistliche soll nur der Mund sein, welcher ausspricht, was in dem Herzen der gan­

zen Gemeinde lebt.

O wenn jener Drang in allen Gliedern der

Gemeinde sich regte und die Kirchen uns füllte, was wär' es da für eine Freude zu predigen!

Da wäre der Prediger gewiß,

daß was seine Brust bewegt auch im Herzen der Hörer lebendig ist, daß jedes Wort dort sein Verständniß, sein Echo findet.

Wenn aber die Predigt auch einmal schwächer wäre, so wäre

eine solche Gemeinde im Stande die Mängel zu ergänzen;

sie

hätte ja doch das göttliche Wort vernommen und würde eö be­

wegen in einem feinen und guten Herzen; der Herr, der ver­ heißen hat, daß wo auch nur zwei oder drei versammelt sind in

seinem Namen, er mitten unter ihnen sein wolle, er würde sich bei Hunderten und Tausenden wahrlich nicht unbezeugt lassen; und wie ergreifend würden unsere herrlichen evangelischen Choräle

daherbrausen,

wenn

zu

den Frauen- und Kinderstimmen ein

voller Männerchor den

Und au-

kräftigen Grundton fügte!

einem solchen Gottesdienste nähme man gründliche, lebendige Er­

bauung im Herzen auch mit hinüber in daS Haus und dazu das Bewußtsein, daß hundert, daß tausend Häuser erfüllt sind von

demselben Sinne, und dann würde auch der Segen des Evange­ liums im Leben nicht fehlen! — O Geliebte, wenn wir solche Gottesdienste hätten, dann würde der Sonntag wirllich die Perle

der Tage sein,

die Sonne der Tage,

von der aus über die

ganze Woche ein herzerquickendes Licht sich ergießt, dann würden

wir verstehen daS schöne Gebet des frommen Sängers (Ps.

27,

4) : »Eins bitte ich vom Herrn, das hätte ich gern, daß ich im

Hause des Herrn bleiben möge mein Leben lang, zn schauen die schönen Gottesdienste des Herrn und seinen Tempel zu besuchen!" — Ach, daß doch der Geist des Herrn die todten Gebeine seiner

Kirche wieder belebte und die zerstreuten sammelte zu einem leben­ digen Leibe!

Daß wir doch diesen Advent deS Herrn recht

bald feiern könnten, als eine erweckte, wahrhaft lebendige Ge­

meinde!

Und so sei eS noch einmal gesagt, und mit besonderem

Nachdrucke gesagt : „Machet die Thore weit

und

die

Thüren in der Welt hoch, daß der König der Ehren

einziehe! — einziehe in unser erstorbenes

kirchliches

Leben! Geliebte Freunde!

Die heilige Schrift spricht noch von

einer andern Ankunft des Herrn, von welcher wir jetzt nicht mehr reden können, an welche wir aber durch die Worte des vorhin

verlesenen Evangeliums (Luc. 21,25—36) erinnert worden sind, von seiner Ankunft zum Gerichte. — Obgleich auch die Vorzeichen dieser

Ankunft im Leben sich schon offenbaren, so tritt sie doch erst ein,

wenn der Augenblick kommt, daß wir scheiden müssen von all' den Dingen, um die unser ruheloses Herz sich so viel geängstiget und gequäkt hat.

Möchte doch unser wichtigstes Anliegen sein,

Christum aufzunehmen in diesem Leben, damit nicht zuletzt in unser von den Schatten de- Todes schon umdüsterteS Bewußt­

sein daS Donnerwort des Richters hereinschalle : «Du bist ge­ wogen worden und zu leicht erfunden!« (Dan. 5, 7).

2*

Möchte

20 UNS doch ein gnädiger Spruch werden au» dem Munde unseres

Herrn bei seiner letzten Ankunft, bei seiner Ankunst zum Gericht!

Amen.

Schlußgebet (nach dem Kirchenbuch für die evangelische Kirche zu Württemberg, E. 15).

Preis, Ehre und Dank sei Dir, allmächtiger Gott, barm­

herziger Vater, der du dich unser so gnädig angenommen, und

aus großer Liebe deinen eingeborenen Sohn gesendet hast, uns

deine

Herrlichkeit

machen

zu

offenbaren,

von ihren Sünden.

heute aufs Reue

seiner

In

und

dein Volk

selig

zu

tiefer Demuth gedenken wir

gnadenreichen Ankunft,

und

freuen

uns in gläubiger Zuversicht deS kündlich großen Geheimnisses :

Gott ist geoffenbaret im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschie­ nen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubet von der Welt,

ausgenommen in die Herrlichkeit. Ja, gepriesen sei dein göttliches Erbarmen, Herr IesuS

Christus, du König der Ehren, daß du dich erniedriget, und Knechtsgestalt angenommen hast, auf daß du zu uns kommest als

ein Gerechter und ein Helfer, und wir bei dir Ruhe finden für

unsere Seelen.

Wir freuen uns deiner, und warten im Glauben

auf deine immer herrlichere Offenbarung.

Ziehe ein in unser

ganzes Land, in unsere Kirchen und Schulen, in unsere Häuser

und Herzen.

Laß das Licht deS Evangeliums unter uns nicht

erlöschen, und die Wohnung deines Namens bei unS bleiben für Du König aller Könige, verherrliche deine Gnade an

und für.

unserem Großherzoge und an seinem ganzen Hause.

Segne ihn

fernerhin, so wie du ihn bisher gesegnet hast, nach dem Reich­ thum deiner Barmherzigkeit.

Komm zu den Obrigkeiten unseres

Landes, und erfülle sie mit dem Geiste der Weisheit und Ge­ rechtigkeit.

Komm zu den Lehrern deiner Gemeinden, und er­

leuchte, stärke und segne sie in ihrem heiligen Amte.

Allen,

Komm zu

zu Hohen und Niedern, und erwecke sie kräftiglich zu

aufrichtiger Buße und gründlicher Befferung.

Komm zu den be-

21 trübten und angefochtenen Herzen, tröste di« Traurigen, erquicke

die Mühseligen und Beladenen, hilf den Kranken, und vollende

die Sterbenden.

Einst aber,

wenn du in großer Kraft und

Herrlichkeit wieder kommen und alle Völker versammeln wirst

vor

deinem Richterstuhl : dann, o Herr und Heiland, verwirf

uns nicht vor deinem Angesicht, sondern gieb, daß wir mit Freu­

den und Jauchzen dir entgegenrufen: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!

Hosiannah in der Höhe!

Amen.

n. Der Herr ist nahe. Adveptspredigt.

Tert: Phil. 4, 4-7. Gott gebe euch viel Gnade und Frieden durch die Erkenntniß Gottes und Jesu Christi, unseres Herrn.

Amen!

Es ist wohl den meisten von euch bekannt, geliebte Freunde,

daß eS unserer kirchlichen Oberbehörde gefallen hat, eine neue Reihe

biblischer Abschnitte festzustellen, welche außer den seit uralter Zeit und bisher üblichen evangelischen

und epistolischen Texten

der sonn- und festtäglichen Predigt zur Grundlage dienen sollen.

Es hat dabei die gewiß sehr anerkennenswerthe Absicht geleitet, auch andere Stellen des göttlichen Wortes der Erkenntniß und dem Herzen der Gemeinde näher zu bringen; die alten, der Ge­

meinde liebgewordenen Evangelien keineswegs völlig

und Episteln sollten dadurch

und auf immer ausgeschlossen

werden.

In

der That sind auch viele von diesen mit unserem Festgefühle so

verwebt,

daß sie sehr ungern gänzlich entbehrt werden würden.

Insbesondere möchte ich einen von den üblichen epistolischen Ab­ schnitten für die AdvetttSzeit nicht gerne vemissen, eben weil er so recht ein AdventStext ist : es ist ein Abschnitt aus dem Briefe des Apostels Paulus an die Philipper.

Der Apostel hat diesen

lieblichen Brief an die theuere Erstlingsgemeinde unter den von ihm bekehrten Heiden aus der Gefangenschaft zu Rom geschrieben,

im Angesichte zwar, aber nicht in Furcht des nahen Todes, son­ dern in der fröhlichen Hoffnung, daß der Herr bald kommen werde,

ihn von diesem Leibe des Todes völlig zu erlösen.

Der ganze

Philipperbrief ist durchdrungen von einer hohen, seligen, stillen

Advcntsstimmung, von der Stimmung, wie sie für die Zeit ziemt, da wir auf die Ankunft unseres Herrn uns vorbereiten sollen.

Es ist die Stimmung, die Paulus in den Worten bezeichnet: „Unser Wandel ist iin Himmel, von dannen wir auch warten des Heilan­

des Jesu Christi, des Herrn." Im Vorgefühle der seligsten Ge­

meinschaft mit seinem Erlöser sieht er die Sorgen und Kämpfe

und Leiden der Erde tief, tief unter sich; und am Bestimmtesten drängt sich diese Grundstimmung des Briefes zusammen in jenem

Der Geist des Herrn

alten Adventstexte.

weht uns daraus

warm an das Herz, nicht mit jenem gewaltigen Wehen, das Eichen entwurzelt und Felsen zerreißt, sondern mit jenem stillen,

sanften Sausen, das wie Rieseln des Mairegens den Boden der Herzen lockert und göttlichen Samen darauf streut und mit war­

mem, befruchtendem Hauche dahin weht über die hoffnungsvolle Flur: es ist recht ein Text für eine stille, kleine Adventsver­

sammlung, wie die unserige. Laßt uns ihn mit Andacht vorneh­ men, wie er im 4. Capitel des Briefes an die Philipper vom

4.—7. Verse lautet:

'/4. Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermal sage ich:

Freuet

euch!

Menschen.

5. Eure Lindigkeit lasset kund seh» allen

Der Herr ist nahe!

8. Sorget nichts;

sondern in allen Dingen lasset euere Bitte im Gebet und

Flehen mit Danksagung vor Gott kund werde».

7. Und

der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle Vernunft

bewahre euere Herzen in Christo Jesu!"

24 Das unser Advent-text!

Und was den Mittelpunkt dieses

Texte- bildet, das sei auch der Grundgedanke meiner Predigt, wie eS den Grundgedanken jeder Adventspredigt bildet, die Ver­ kündigung :

"Der Herr ist nahe!«

Wenn wir dann den

Text näher mit einander betrachten, so wird er uns lehren, wie diese Verkündigung in sich schließt die Mahnung zu seliger

Freude allewege, zurLindigkeit gegen alle Menschen, zu festem Vertrauen in aller Noth, und endlich zu jenem

Frieden Gottes, der höher ist, denn alle Vernunft.

I.

»Freuet euch in dem Herrn allewege, und über­

mal sage ich : Freuet euch!« so lautet der 1. Vers unseres Textes.

Nun, Geliebte, der Aufforderung „Freuet euch!"

der folgen wir ja wohl alle in dieser Zeit, und wenn mit unserer Freude eine Sorge sich mischet, so ist eS eine süße Sorge in diesen Wochen der Vorfreude und Vorsorge auf daS

Weihnacht-fest.

liebliche

Die ahnungsreichen Herzen der lieben Kinderwelt

pochen schon erwartungsvoll, und glänzende, selige Träume um­

schweben ihren Schlaf; wir aber freuen uns im voraus auf die glücklichen Gesichter in der schönen Stunde, wo wir auf'S Neue

erfahren sollen,

daß Geben seliger ist als Nehmen, und da die

Freude der Kinder an ihrem eigenen Wiederschein in der Eltern Augen sich höher entzündet.

Auch ist ja wohl diese unsere Weih-

nachtSfreude eine Freude in dem Herrn, wie unser Text sie fordert.

ES ist ja daS liebe Christkind selbst, welches alle diese

Herrlichkeit bescheert, eS ist das Fest der gnadenreichen Geburt unseres Herrn und Heilandes, das wir vor allen anderen im

Jahre durch eine so liebliche Feier verherrlichen. —

Laßt uns

doch ja zusehen, geliebte Freunde, daß unser Christfest nicht blos

dem Namen nach ein Christfest ist, sondern auch in der That

und in der Wahrheit; daß wir über die vielen reichen Christge­ schenke nicht daS eine reichste, Christum selbst, vergessen; daß wir

dem Heranwachsenden Geschlecht als theuerste- Angebinde den

Glauben an ihn mitgeben, damit ihnen unsere Gaben nicht statt

zum Heile zum Verderben gereichen, sondern durch die Beziehung auf ihn erst ihre tiefere Bedeutung und höhere Verklärung er­

halten.

Und was von unserer Weihnachtsfreude, daS gilt am

Ende auch von allen anderen Freuden, wenn sie nicht nichtig und

trügerisch sein sollen.

Für einen Menschen, der eine Erkenntniß

hat von der Bedeutung des Gebotes des ewigen Gottes : »Ihr

sollt heilig sein, denn ich bin heilig!» und von der Macht der Sünde über sein trotziges und verzagtes Herz, und welchem das ewige Heil seiner unsterblichen Seele am Herzen liegt, für einen

solchen Menschen ist die höchste Freude die, einen versöhnten Gott im Himmel zu haben!

Und wenn sie nicht von dieser höchsten

Freude getragen sind, gleichen alle anderen Freuden der Erde dem üppigen Mahl des reichen Mannes, von welchem er plötz­

lich hinabgestürzt ward in die Hölle und in die Qual, wo er

vergeblich nach einem Tropfen Wasser rief, um seine lechzende Dem Herzen aber, in welches jene höchste

Zunge zu kühlen.

Freude eingekehrt ist, wird eS leicht, der Mahnung deS Apostels zu folgen und allewege sich zu freuen, in aller Noth des Lebens und selbst des Todes.

Der Apostel kannte diese selige Freude!

Wie rührend und wie tröstlich ist eS doch, geliebte Freunde, daß

diese selbst

von der seligsten

Freude

eingegebene Mahnung :

»Freuet euch in dem Herrn allewege!"

aus dem Kerker an uns

ergeht, von einem Manne, der um des Herrn willen gefangen saß, in der sicheren Aussicht, bald auch um deS Herrn willen in

den Tod zu gehen!

O, wie viel glücklicher war dieser Mann

jetzt in seinen Banden, denn damals, wo er als ein angesehener Eiferer um das väterliche Gesetz mit großer Vollmacht ausge­

rüstet von Ort zu Ort eilte, nm die, welche an Jesum von Na­

zareth

glaubten, zu Gericht und Strafe zu ziehen.

durchwühlte das

Damals

Gift des Zweifels seine Seele und die Glut

der Leidenschaft, die trotzig gegen den mahnenden Stachel der

Gottesstimme löckte, jetzt aber war in seiner Seele Alles eitel Friede und Freude int heiligen Geist, und mitten in seiner irdi­

schen Drangsal durfte er seinen lieben Philippern schreiben: „Unser

26 Wandel ist im Himmel, und ob ich geopfert werde, so freue

ich mich« (Phil. 3, 10. 2, 17.), denn er war ja jetzt gewiß, daß weder Tod, noch Leben, weder Engel, noch Kürstenthum, noch Gewalt,

weder Gegenwärtige-, noch Zukünftige-, weder

Hohe- noch Tiefe-, noch keine andere Creatur, mag uns scheiden von der Liebe Gotte-, die in Jesu Christo ist unserm Herrn." (Röm. 8, 38 f.)

O, Geliebte, eS ist ein gar gewaltiger Predi­

ger, dieser Apostel Paulus, der in dieser festlichen Zeit au- sei­

nem Kerker un- abermals zurust :

»Freuet euch in dem

Herrn allewege und abermals sage ich euch, freuet euch!

Der Herr ist nahe!»

II. ♦ Innigst verbunden mit dieser ersten Mahnung ist die zweite: Eure Lindigkeit

lasset

kund

sehn

allen Menschen!

WaS ist da- doch für ein schöne-, vielsagende- Wort : Eure

Lindigkeit lasset kund seyn!

thätigkeit lasset kund sehn.

ES heißt nicht : Eure Wohl­

Der äußeren Wohlthätigkeit konnte

auch der Pharisäer sich rühmen, der sein Thun an den Straßen­

ecken auSposaunen ließ, nur seinen eigenen Ruhm suchend, nicht

da- Glück de- Bruders, noch die Ehre des Herrn. Mitleid

Auch von

ist nicht die Rede — das würde eben nur auf die

Leidenden sich beziehen, die Lindigkeit aber soll allen Menschen

zu gute kommen.

Nicht einmal Milde oder Freundlichkeit

wird empfohlen; sondern wir fühlen, daß mit Lindigkeit mehr

gefordert ist : eS gemahnt uns wie der sanfte Blick eine- freund­ lichen Auge-, der durch eine perlende Thräne zu un- dringt, wie

eine Freundlichkeit, die ihre eigenthümliche Innigkeit hernimmt aus einer tiefernsten Grundstimmung; eS gemahnt un», wie eine Milde in der Behandlung aller irdischen Dinge, die darauf ruht,

daß da- Herz in seinem innersten Grunde von den Schauern der Ewigkeit berührt worden ist, daß es bereits in dem Himmel seine wahre Heimath gefunden hat.

Ich suche nach einem Bei-

spiele,

um das Wesen der Lindigkeit dadurch klarer zu machen.

Wohlan, du christliche Mutter, erlaube mir schwere Stunden heraufzuführcn in deiner Erinnerung! Ein liebes Kind liegt krank

darnieder.

Die kleinen Pulse fliegen,

das Auge flimmert in

irrem, unstätem Glanz, es ist der Fittig des Todesengels, der das Blut in die glühenden Wangen peitscht, und schnell und heiß, als eile er rasch dem Ende entgegen, geht der Athem über die trockenen Lippen. Und eine düstere, schwüle Stimmung lagert

Aber nach einem sanften Schlafe

sich über das ganze Haus.

wird es ruhiger; klar und verständnißvoll sieht das liebe Auge

dich wieder an, und znm erstenmal flüstern die Lippen wieder den süßen Mutternamen — dein Liebling ist gerettet!

Noch bewachst

du jeden Athemzug deS Schlummernden, aber inmitten deiner

Sorge steigen aus jubelndem Herzen heiße Dankgebete zu dem

gnädigen Gott empor, daß er von der schwersten Sorge dich be­ freit hat, und jetzt ist über dein ganzes Wesen die Stimmung der

Lindigkeit ausgegossen.

Dein Schritt wird leiser,

jede Be­

wegung geräuschloser, nicht blos, um den Schlaf des Wiederge-

nesenben nicht zu stören, sondern weil eS das innerste Bedürfniß deines Herzens selbst so fordert.

DaS oft scharfe Wort an die

Hausgenossen, die Mahnung an die Geschwister wird sanfter, und doch wirksamer, weil sie alle der Geist der Lindigkeit mit ergreift.

Da klopft eS leise an die Thüre: ein armes Weib bittet um

ein

abgelegtes Kleidungsstück

für ihr halbnacktes Kind.

Du

gehst und wählst nicht lange, sondern giebst von den Kleidern deines Lieblings

der besten

eines freudig hin.

Du hast kein

Wort gesprochen, und doch geht die Arme von deiner Thüre hin­

weg, beschenkt nicht nur, sondern auch getröstet : der gnädige Gott, der dir erst nahe getreten war mit seiner Hülfe, er hat auch ihr durch dich seine Lindigkeit kund thun lassen, und vor dem,

der da spricht : „Wahrlich ich sage euch, waS ihr gethan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir gethan"

(Matth. 25, 40), ist die stumme That nicht ver-

borgen geblieben. — Und sehet, Geliebte, eine ähnliche Stimmung, wie die jener glücklichen Mutter, ziemet uns allen, denn von uns

28 allen gilt ja das Wort, was dort vom verlorenen Sohne ge­

schrieben steht: »Dieser war todt und ist wieder lebendig gewor­ den; er war verloren und ist wieder gefunden« (Luc. 15, 32).

Wir alle waren unter der Herrschaft der Sünde dem Tode und Verderben verfallen, da hat der allmächtige Gott seinen einge­ borenen Sohn gesandt zu unserer Errettung, damit er durch sein

Leiden und seinen schmerzenvollen Tod uns vom Tode erlöse. Er hat uns in zartester Kindheit bereit- durch die heilige Taufe

zu seinen Gliedern weihen lassen; er ist uns bis hieher nahe ge­ wesen als der treueste Freund in jeglicher Lage des Leben«; er nahet

uns insbesondere wieder in dieser festlichen Zeit.

Wir

wissen, daß Gott mit ihm uns Alles geschenkt hat, und wir

wollten hart seyn gegen den darbenden Bruder? Er hat uns Theil gegeben an den unvergänglichen Schätzen des Himmels, und wir

wollten scheelsehen auf die, welche die Schätze vor unö voraus­

haben , die Motten und Rost verzehren?

Wir Alle sind von

Christus erlös't, und die uns näher angehören, sind uns zugeführt,

damit wir int Werke der Heiligung uns gegenseitig fördern, und wir wollten durch eigensüchtige Gereiztheit, Bitterkeit und Härte

in Gesinnung,

Wort und That Unfrieden säen, wo wir zum

Frieden berufen sind?

O möge doch der freundliche Heiland,

der, nachdem er so oft vergeblich uns genährt ist, in seiner uner­

müdlichen Treue jetzt von neuem sich nahet, uns beistehen, daß wir die Mahnung seines Apostels erfüllen : "Eure Lindig­

keit lasset kund sehn allen Menschen.

Der Herr ist

nahe!"

III. "Und sorget nichts, sondern in allen Dingen las­

set eure Bitte im Gebet undFlehen mit Danksagung vor Gott kund werden« — so lautet die dritte Mahnung unseres Adventstextes.

wenn

unser

Heiland

Ihr wisset, uns

zürnst

meine verehrten Zuhörer,

:

„Ihr

sollt nicht

sor­

gen und sagen : was werden wir essen, was werden wir trinken,

womit werden wir uns kleiden! nach solchem Allen trachten die Heiden» (Match. 6,31), so will er uns damit eben nur jene heid­

nische, ungläubige, engherzige und kleinmüthige Sorge um solche

Dinge verweisen; aber keineswegs will er uns statt ihrer eine

heidnische, leichtsinnige Sorglosigkeit empfehlen, vielmehr ist eS ein schönes und ächtchristliches Wort, jene Mahnung des from­

men PH. I. Spener, daß wir so beten sollen, als ob wir Alles

allein von Gottes freier Gnade zu erwarten hätten, und so arbeiten, als ob wir Alles verdienen müßten durch eigene Kraft. Also wacker

ausgerichtet, was unser Beruf von uns verlangt, und wenn wir so red­ lich das Unsere gethan haben, die Sorge, die dann noch bleibt und

die von Umständen herrührt,

über welche wir nicht zu gebieten

vermögen, die Sorge mögen wir getrost auf den Herrn werfen.

Und es wird ja freilich noch genug übrig bleiben, was der treue

Gott uns muß tragen helfen, zumal in dieser Zeit, wo Mittel, die früher mehr als hinlänglich waren, nicht mehr ausreichen wollen, und wo die Sorge in so manchen Familien sich einnistet,

denen sie früher fremd war.

Man hat — und man hat gewiß

sehr wohl daran gethan — auf mancherlei Mittel gedacht, der wachsenden Noth zu

ist gewiß

steuern.

Das sicherste menschliche Mittel

eine weise christliche Selbstbeschränkung.

Sorgen entstehen nicht,

nachdem die Fragen :

Wie viele

Wo werden wir

wohnen? was werden wir essen? womit werden wir uns kleiden? längst vollkommen befriedigend beantwortet sind, vielmehr durch

die Fragen: Wie werden wir wohnen? wie werden wir essen?

wie werden wir uns kleiden? und unter Berhältnissen, in wel­

chen viele unserer Brüder das höchste Ziel ihrer Wünsche er­ blicken würden.

Aber das untrüglichste Mittel, die Sorge zur

Ruhe zu bringen, ist doch das göttliche Mittel, welches unser Text in den Worten empfiehlt:

»In allen Dingen lasset eure

Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund

werden" — mit Danksagung, Nachdruck. sprochen :

Ein edler Dichter

Geliebte, darauf liegt der

hat das schöne Wort ausge­

30 Benn du Gott wolltest Dank für jede Luft «st segelt, Du fändest gar nicht Zeit noch üb« Weh -u klagen.

Em ähnlicher Gedanke liegt in unserem Texte.

Wenn wir

unser sorgenvolles Herz in heißem Gebet und Flehen vor Gott erleichtern, so soll eS doch immer zugleich mit Danksagung ge­

schehen; indem wir seinen Beistand anrufen, sollen wir zugleich

uns erinnern, wie oft er uns schon ein treuer Helfer gewesen ist und uns gesegnet hat mit reichlichem Segen.

Was haben

nicht wir alle, die wir hier sind, dem treuen Gott zu danken,

Leben und Gesundheit, volles Genügen der Bedürfnisse deS Lebens, und Annehmlichkeiten vor Millionen von Brüdern voraus, und wenn wir das Alles nicht hätten : er hat uns seinen eingeborenen

Sohn gegeben und denen, die an ihn glauben, das unvergäng­ liche Erbe der Gotteskindschaft — ich dächte,

wenn wir daS

Alles bedenken, es müsse sich manches sorgenvolle Bittgebet in ein Dankgebet verwandeln, es müsse uns manchmal gar kleinmüthig vorkommen, mit kleinlichen Sorgen dem himmlischen Va­ ter uns zu nahen, der mit den höchsten Gütern bereits so reichlich unS

gesegnet hat.

Wo eS uns aber drängt,

schwere Sorgen

vor ihm auszusprechen, da wird die vorausgehende Danksagung uns den Muth geben, ein Herz zu ihm zu fassen, und die Hoff­ nung, daß der, der so oft schon geholfen hat, auch diesmal uns nicht im Stiche lassen werde; wir werden von unserem Gebete

mit erleichtertem Herzen und freudigem Vertrauen zu frischer

Thätigkeit zurückkehren.

Auch daS Beten, geliebte Freunde, ist

eine Kunst und nicht jedermanns Sache.

Wer diese so heilsame

Kunst nicht versteht, der versuche es einmal mit dem Rathe des

Apostels : er fange mit der Danksagung an, vielleicht wird sich

dann auch das Herz zu innigem, vertrauensvollem Bitten und Flehen erschließen, dem dann sicher die tröstlichste Gewährung nicht

fehlt.

Darum sorget nichts, sondern in allen Dingen

lasset eure Bitte im Gebet und Flehen mit Dank­

sagung vor Gott kund werden.

Der Herr ist allezeit

nahe denen, die ihn suchen in herzlichem Gebet.

IV.

»Und der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle

Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in

Christo Jesu"— so schließt unser Text.

DaS sind gar wohlbe­

kannte und freundliche Worte, geliebte Freunde, mit denen die Sehn­ sucht nach dem seligen Gottesfrieden uns anweht.

Es ist mir

immer als besonders merkwürdig erschienen, daß der große deutsche Dichter, dem es vergönnt war, jene Stufe des Lebensalters, welche

der Psalmist als die höchste bezeichnet, noch zu überschreiten, und der in dieser ganzen langen Lebenszeit aller Güter die Fülle hatte und Ruhm und Ehre von allen Seiten, daß er doch in den letzten Jahren seines Lebens eine tiefe Unbefriedigung empfand und eine Sehn­

sucht nach jenem Frieden Gottes, den die Welt nicht zu geben vermag.

Er hat dieser Sehnsucht einen rührend innigen Aus­

druck gegeben :

Der du von dem Himmel bist. Alles Leid und Schmerzen stillest. Den, der doppelt elend ist. Doppelt mit Erquickung füllest, Ach ich bin des Treibens müde! Was soll all der Schmerz und Lust? Süßer Friede, Komm, o komm in meine Brust! Und als sollte es die Erhörung enthalten auf dieses Gebet, folgt diesem Gedichte das andere :

Ueber allen Gipfeln Ist Ruh, In allen Wipfeln Spürest du Kaum einen Hauch; Die Vöglein schweigen im Walde. Warte nur, balre Ruhest du auch! DaS wäre also der Friede, der die Sehnsucht des Herzens stillt, der Friede, den wir fern vom Geräusche des Lebens in

stiller Waldeinsamkeit oder ganz am Ende des Lebens in stiller

Grabesruhe finden.

O nein, Geliebte, da- ist nicht der vom

Himmel stammende Friede Gotte-, der höher ist als alle Ver­ nunft, das ist vielmehr der Friede der Natur, den die Vernunft

zu geben vermag.

Der Friede der Natur urld Vernunft wird

dadurch gefunden, daß man dem Kampfe entflieht, oder daß diesem äußerlich

ein

Ende

gemacht

wird;

der Friede Gottes hält

mitten im Kampfe aus und überwindet ihn innerlich durch die Kraft des

Glaubens.

Wie gelangen wir zu diesem wahren

Frieden? Dadurch, daß wir die dargebotene Hand des Herrn er­

greifen, der uns jetzt wieder mit der freundlichen Einladung sich

nahet: »Kommet her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seyd, ich will euch erquicken! (Matth. 11,28.)« Dadurch, daß wir seiner Friedensverheißung die Herzen auffchließen, jener Verheißung, welche eine ernste christliche Frau einst auch unter jenen Friedensseufzer

deS Dichters gesetzt hatte : «Den Frieden lasse ich euch, meinen

Frieden gebe ich euch, nicht gebe ich wie die Welt giebt. Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht!"

Euer

Joh. 14, 27.

In

dem Herzen, in welches dieser Frieden eingezogen ist, geschieht

es wie dort auf dem stürmenden Meere, das der Herr mit seinem Machtworte beschwor : eS wird ganz stille.

Der innere Kampf

zwischen dem höheren Gesetze in dem Geiste und dem niederen Gesetze in den Gliedern ist beendigt, seit das höhere Gesetz unter­ stützt wird durch den Geist des Herrn, und damit ruht auch der

äußere Kampf,

welchen das niedere selbstische Gelüste

verur­

sacht durch die mannigfaltigen Lockungen der Welt, von denen

eS hin- und hergezogen, durch die mancherlei Hemmungen, von

denen es zurückgestoßen wird.

Wer den Frieden Gottes gefun­

den hat, der begreift daS Wort des Apostels :

„Ich achte es

Alles für Schaden gegen der überschwänglichen Erkenntniß Christi« (Phil. 3, 8).

Die

wechselnden Stürme des Lebens berühren

ihn nur oberflächlich : im Innern wohnt die unwandelbare Ruhe

des seligen Gottesfriedens.

Er flieht nicht vor der Welt, son­

dern er freut sich de- Kampfes mit ihr; denn er weiß, daß er die Kraft hat, sie zu überwinden.

Er kennt nicht jene schwäch­

liche Sehnsucht nach dem Grabe als dem Ende aller Mühen des

Lebens, sondern wiewohl er abscheiden möchte, um bei Christo zu sein, so hält er doch inmitten dieser Mühen gern aus, bis sein Herr ihn abruft, nicht zu unbedingter Ruhe, sondern zu einem

höheren Leben, das schon hier begonnen worden ist und dort

vollendet werden soll in ewiger seliger Gemeinschaft mit seinem

O daß der Herr, der jetzt uns wieder

Herrn und Erlöser.

nahet, als höchste Gnadengabe diesen seligen Gottesfrieden uns mitbringe.

Möge

die

liebliche

des Apostels

Friedenspredigt

diesen Wunsch in unser aller Herzen recht lebhaft erwecken. Sie

bilde, wie die Grundlage, so auch den Schluß und die Besiege­ lung unserer Betrachtung :

»Freuet euch in dem Herrn

allewege, und abermal sage ich : Freuet euch! Euere

Lindigkeit Herr

ist

lasset

nahe!

kund

Sorget

sein allen Menschen.

Der

in

allen

nichts;

sondern

Dingen laßt euere Bitte im Gebet und Flehen mit

Danksagung vor Gott kund werden. Und der Friede

Gottes,

welcher

höher

ist,

denn

alle

Vernunft,

bewahre euere Herzen und Sinne in Christo Jesu." Amen!

Baur, Predigten.

3

III.

Die ftku-kmichk Amte, M ms Note der Heilaod grbortn ist. WeihuachtSpredigt.

Tert : Luc. 2, 8—20. Siehe, lieber himmlischer Vater, wir sind vor dein Angesicht

getreten an dem Tage, da wir von dem warmen LebenShauche

deiner ewigen und allgegenwärtigen Liebe uns so innig erquickt und durchdrungen fühlen, wie an keinem anderen. Wir danken

dir, daß du durch die Geburt deine- geliebten Sohne-, unseres

Herrn und Heilande-, diesen Tag zu einem Freudenfeste ge­

macht hast für die ganze Christenheit.

Du erinnerst un- heute

daran, wie du uns zuerst geliebt, da wir noch Sünder waren: hilf unS, daß wir dich wieder

baren Hingebung der Erlösten!

lieben mit der ganzen dank­ Die festliche Freude hat un­

sere Herzen aufgeschlossen vor dir : laß den Samen deines heiligen Worte- reichlich in sie fallen und hundertfältige Frucht tragen.

Gieb, daß der freudenreichen Kunde: „Euch ist heute

der Heiland geboren I" der volle Wiederhall in unseren Herzen

nicht fehle, und daß wir, wohl wissend, wie du mit ihm unS

Alle- geschenkt hast, mit ganzer Seele einstimmen dürfen in den Lobgesang der himmlischen Heerschaaren : Ehre seh Gott

in der Höhe! Friede auf Erden und den Menschen ein Wohl­ gefallen! — Amen!

Geliebte im Herrn! »Dies ist der Tag, den Gott gemacht!« so lauteten die Anfangöworte unseres Liedes, welche vorhin eure Lip­

pen gesungen; ich denke, sie haben auch wiedergeklungen in euren von festlicher Freude bewegten Herzen.

Ja, geliebte Freunde,

es ist ein gar schönes und liebliches Fest, unser Weihnachtöfest I

Wohl werden wir, wenn der Charfreitag uns hier versammelt, tief ergriffen von der unermüdlichen Liebe des Gekreuzigten, wohl

erhebt uns der begeisternde Siegesgruß des Osterfestes :

Herr

ist auferstanden!«

„Der

wohl finden wir uns am Pfingstfeste

durchströmt von den Wogen des belebenden Geistes, der uns als lebendige Glieder verbindet zu dem einen Leibe, dessen Haupt Christus ist; aber so warm, so innig, so mild, so heimlich möchte ich sagen, fühlen wir von der göttlichen Liebe unS niemals um­

weht, als an diesem lieblichen Feste der Geburt unseres Herrn. Laßt uns vor Allem einen dankerfüllten Blick zurückwenden auf

den Reichthum von Gnade, den Gott auch diesmal uns bescheeret! Die Tische der Reichen

haben sich wieder gebeugt unter der

Fülle seines Segens. — Ist auch überall ein Brosam abgefallen für die Armen?

Möchte es überall geschehen sein, und wo eS

nicht geschehen ist, noch geschehen, damit die dunkele Kammer der

Armuth nicht blos erleuchtet werde durch den Lichterschein aus dem

glücklicheren Nachbarshause,

sondern auch an ihrer Thür

die christliche Bruderliebe anklopfe, grüßend mit dem Gruße des

Engels:

«Siehe,

ich verkündige euch große Freude, euch ist

heute der Heiland geboren (Luc. 2, 10)!" —

Aus freudeleuch­

tenden Kinderaugen haben wir wieder den Himmel unS entgegen­ strahlen sehen, und dabei verstehen lernen das Wort des Herrn:

„Lastet die Kindlein zu mir kommen, denn ihrer ist das Him­

melreich (Matth. 19, 14)!" und um die glänzenden Tische haben 3*

36 Mann und Weib', Eltern und Kinder, und Geschwister und

Lieb' und Treue wieder erneut, und

Freunde den Bund alter

Gottes Baterauge hat segnend darauf geruht.

Aber wie? —

hat denn nirgends ein Glied gefehlt, da- tm vorigen Jahre noch in der trauten Runde stand? — Selbst in diesem Falle,

geliebte Freunde, will es mich bedünken, als ob der Abgeschiedene an diesem Feste, da wir die Vaterliebe Gotte- preisen, nicht al- ein erschreckendes Gespenst erschienen sehn könne

auf dem

leergelassenen Platze, sondern als ein milder, freundlicher Bote, mit der Palme des Friedens den Zurückgebliebenen Trost und

Segen zuwinkend. — Nun dem himmlischen Vater seh Dank für

die Freuden, die er uns bescheerte, und auch für solchen heiligen­

den Schmerz! —

So viel zur dankbaren Erinnerung an das

Glück, womit im häuslichen Kreise der Herr in dieser frohen Zeit nnS wieder gesegnet hat.

Das von Freude erfüllte Herz

aber kann nicht allein bleiben, und der eigentliche Kern unserer Weihnachtsfreude ist ja an sich etwas, was über den häuslichen

Kreis auf die kirchliche Gemeinschaft hinaus deutet und über die

irdischen Güter auf das höchste himmlische Gut.

Darum sehd

ihr hier im Hause Gottes zusammengekommen, damit ihr über

der Fülle irdischer Gaben nicht diese höchste himmlische Gabe,

die Geburt unseres Herrn und Heilande- vergesset, welcher unser heutiger Festtag gilt, noch den Vater im Himmel, der diese Gabe uns gegeben hat.

dann?

Wenn sie uns fehlte, waS hätten wir

Lasset uns mit andächtiger Aufmerksamkeit zuhören, wie

die heilige Schrift sie uns darstellt. Im Evangelium deS Lucas im 2. Capitel vom

8. — 20. Verse heißt es : "8. Und es waren Hirten in derselbigen Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten deü Rächt« ihrer Heerde.

9.

Und siehe, des Herrn Engel trat z« ihnen, und die Klar­ heit

sehr.

des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich 10. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch

nicht, siehe,

ich verküudige euch große Freude, die allem

Solle widerfahren wird; 11. denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. 12. Und das habt zum Zeichen, ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt, and in einer Krippe liegend. 13. Und alfobald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerschaaren, die Meten Gott, und sprachen: 14. Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede ans Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen. 15. Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten unter einander : Laßt unS nun gehen gen Bethlehem, und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die unS der Herr kund gethan hat. 16. Und sie kamen eilend, und fanden beide- Mariam und Joseph, dazu daS Kind in der Krippe liegend. 17. Da sie eS aber gesehen hatten, brei­ teten sie das Wort aus, welches z« ihnen von diesem Kinde gesagt war. 18. Und Alle, vor die eS kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. 19. Maria aber behielt alle diese Worte, und bewegte sie in ihrem Herzen. 20. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobeten Gott um Alles, das sie gehöret und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war." Diese Worte sind der Text, auf dessen Grundlage unsere andächtige Betrachtung sich bewegen wird. Der Gegenstand aber, über den heute hier gepredigt werden soll und überall, wo irgend christliche Gemeinden sich versammelt haben zum Preise der gött­ lichen Gnade — was anders könnte er sein, als die freuden­ reiche Kunde, daß unS heute der Heiland geboren ist. Allmächtiger Gott, der du uns dich nahest, wenn wir dir unS nahen, lege deinen Segen auf die Worte deines Dieners, daß sie als fruchtbare Samenkörner fallen mögen in die Herzen dieser Gemeinde! — Amen! I. Die freudenreiche Kunde also, daß uns heute der Heiland geboren ist, die wollen wir mit einander betrachten. — Woher

38 kommt diese Kunde?

DaS ist die erste Frage, auf welche

unser Text uns Antwort giebt

„Es waren, sagt er uns, Hir­

ten in derselbigm Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die

hüteten des Nachts ihre Heerde.»

Ferne also von dem Getöse

der Welt, nnter den Eindrücken einer großartigen Natur, in der

ernsten Stille der Nacht, mochten sie sich wohl unterretcht haben von dem Drucke, der auf ihrem Volke lastete, und ob der Ret­ ter, den die Propheten längst verheißen, nicht endlich kommen

werde.

Da umleuchtete sie die Klarheit des Herrn und aus

dem Munde des Engels kommt ihnen die freudenreiche Kunde:

»Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr in der Stadt David'S.

Und das habt zum Zeichen, ihr

werdet finden das Kind in Windeln gewickelt- und in einer Krippe liegend." — Da steht nichts davon, daß vom lauten Markte her

die jubelnde Kunde erscholl, eS sei der Erlöser aufgetreten, ein Held, gewaltig durch Kraft deS Geistes und des Armes, aus­ führend lang gehegte Pläne, und freudig begrüßt und unterstützt

von der begeisterten Menge.

Nein, draußen in stiller Einsamkeit

hatte Gott wenigen empfänglichen Gemüthern geoffenbart, daß der Heiland der Welt geboren sei.

Die Menge aber hatte kein

Auge für ihn und kein Herz; »daS Licht schien in die Finsterniß, wie Johannis sagt (Joh. 1,5), aber die Finsterniß haben's nicht

begriffen.»

Sie gönnen dem Heiland der Welt keinen Raum in

der Herberge, ein Stall ist der Ort, wo er in sein irdisches Da­ sein hervortritt, eine Krippe die Wiege, darin er die ersten Stun­

den seines leidenvollen Erdenlebens zubringt. es anders sein?

Und wie konnte

Die Keime höheren Lebens, welche Gott in

die menschliche Seele gepflanzt, waren in der Heidenwelt von wildem sinnlichem Treiben erstickt worden; die Offenbarung, wo­

mit er das Volk Israel begnadigt, sie war zum todten Buchsta­

ben erstarrt.

Die Besten ängstigte wohl das drückende Gefühl

der Gottverlaffenheit der damaligen Welt, und sie hofften und ahnten einen künftigen Zustand innigerer Bereinigung mit Gott;

aus sich selbst aber das höhere Leben zu erzeugen, das vermochte

diese erstorbene Menschheit nicht, und so vermochte sie auch nicht

die Wege genau zu erkennen, auf welchen die Hülfe kommen,

noch den, der sie bringen würde. Nur der Geist des allmächtigen Gottes konnte in die erstorbene Menschheit neues Leben bringen,

vor ihm allein lagen die wunderbaren Wege offen, darauf die Menschheit zum Heile geführt werden sollte, und von ihm allein konnte darum die freudenreiche Kunde kommen, der Heiland sei

da!

Und wie half der Allmächtige seinen Menschen?

Er half,

indem er dort bei der Krippe zu Bethlehem daS Wort des Propheten Jesaja sich erfüllen ließ : „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner

Schulter: und er heißet Wunderbar, Rath, Kraft, Held, Ewig­

vater, Friedefürst» (Jes. 9, 6). — ES ist höchst bedeutsam, ge­ liebte Freunde, daß nach der heiligen Schrift Christus als der Heiland schon geboren ist, daß sie schon das Kind Jesus als

den Heiland verkündet, daß an seiner Wiege schon die Lobge­ sänge der himmlischen Heerschaaren erschallen, in einer Zeit also,

da er für daS Heil der Menschheit noch nichts gethan, ja seinem hohen Berufe nach von Niemandem noch erkannt war, als von seinem himmlischen Bater, und von den wenigen, welchen dieser

eS offenbaren wollte.

Wir ersehen daraus: nicht darauf beruht

die erlösende Kraft unseres Herrn, daß er etwa in den Schulen seiner Zeit die Lehren alter Weisheit ausgenommen, und sie weiter

gepflegt in strenger, ernster, einsamer Selbstbetrachtung — wie hätten auch den, der Allen helfen sollte, die bilden und vorberei­

ten können, die sich selber so wenig zu helfen vermochten? Viel­

mehr darauf beruht seine erlösende Kraft, daß der himmlische

Vater in ihn, bei seinem Eintritt in das irdische Daseyn schon, die ganze Fülle seines göttlichen Wesens niedergelegt hatte, so voll­

ständig, als sie mit einem menschlichen Seyn überhaupt nur vereinigt

werden kann und keinem anderen Menschen jemals mitgetheilt wor­

den ist, und in einer Stärke und Reinheit, daß ihm gegenüber alle anderen als schwach und unrein dastanden. Anfangs freilich war dies göttliche Leben in Christo nur dem Keime nach vorhanden,

aber immer reicher leuchtet und bricht es hervor, und zwar nicht

gefördert von der Welt in seiner Entfaltung, sondern bekämpft

40

auf alle Weise, und gerade dadurch die mit seinem göttlichen Ursprünge verbundene unüberwindliche Macht am deutlichsten be­

thätigend, daß es in dem Augenblicke, wo es im Kampfe mit der Welt zu unterliegen scheint, seine weltüberwindende Kraft am herrlichsten offenbaret.

In dieser Betrachtung liegt zugleich

die Widerlegung des Irrthums, der in unseren Tagen so oft verkündet worden ist, als ob die im Christenthume vollzogene

Erlösung nur eine Selbsterlösung sey, welche die sündige Mensch­ heit in ihrer fortschreitenden Entwickelung auS eigener Kraft an

sich vollzogen habe. Von einer solchen Selbsterlösung der Mensch­ heit weiß die hellige Schrift nichts; vielmehr nur voll einer

Erlösung durch die Gnade Gottes, deffen Schöpferkraft der in

Sünde erstorbenen Menschheit in Christo den Keim eine- neuen

göttlichen Lebens mittheilte.

Die damalige Menschheit aber ver­

hielt sich zu diesem göttlichen Leben wie zum Lichte die Finsterniß, eine Finsterniß, die nicht einmal da- göttliche Licht, da eS er­

schienen war, begreifen, geschweige selbst eS aus sich erzeugen

konnte. nämlich,

Und damit ist noch ein anderer Irrthum beseitigt, der

daß der Glaube an die Göttlichkeit Christi und da-

Anschließen an die heilige Schrift wohl in Zeiten nöthig gewesen

seyn möge, da die christliche Wahrheit noch nicht allgemeineren Eingang gefunden, daß man aber jetzt diese Stützen schwächerer

Seelen getrost abbrechen uud den

reif gewordenen Geist der

Menschheit seinem freien Fluge überlassen könne.

Dünkt euch

nicht, geliebte Freunde, als ob unter diesen hochfahrenden Reden

etwa- lauere von der Schmeichelei der Schlange: «Welches Ta­

ges ihr davon esset, so werden eure Augen aufgethan, und wer­ det seyn wie Gott, und wissen, was gut und böse ist?" (1. Mos. 3,5).

Lasten wir uns nicht verlocken durch die gleißnerischen Worte!

So unschuldig sie lauten, sie sind allezeit denen, nachgingen, zum Fallstricke geworden.

welche ihnen

Denn wie die christliche

Wahrheit in die Welt gekommen ist, nicht durch das gemeinsame Verdienst der auf dem Wege ihrer natürlichen Entwickelung fort­ schreitenden

sündigen Menschheit,

göttliche Kraft des Einen,

sondern lediglich

durch die

der unter Sündern als der einzig

Reine dastand,

so wird auch die christliche Wahrheit nur dann

der Welt erhalten werden, wenn wir an ihm und an seinem heiligen Worte unerschütterlich festhalten.

ES bleibt also dabei:

Dort an der bescheidenen Krippe zu Bethlehem, in der

unser

Heiland lag, und um welche wir heute im Geiste versammelt sind, dort allein entsprang die Quelle ewiger Wahrheit.

Und so

lange die Weisesten unserer Weisen sich nicht bequemen, vor dem

Kinde, das dort geboren ward, in Demuth sich zu neigen, dort, wie die Weisen auS Morgenland, die vergänglichen Schätze ihrer Weisheit zu opfern und unvergängliche statt ihrer einzutauschen, so lange wird sich stets

aufs Neue an ihnen das Wort des

Apostels erfüllen : »Da sie sich für Weife hielten, sind sie Nar­

ren geworden.-------- Und gleich wie sie nicht geachtet haben,

daß sie Gott erkenneten, hat sie Gott auch dahin gegeben in ver­ kehrtem Sinn, zu thun, das nicht taugt (Röm. 1, 22. 28)".

II.

Wir folgen unserem Texte weiter und finden darin die Ant­ wort

auf eine zweite Frage :

WaS für einen Eindruck

muß die freudenreiche Kunde von der Geburt des

Heilandes machen? Auch einen solchen Eindruck deutet unser Text uns an, welcher nicht der rechte, oder wenigsten- bei weitem nicht vollkommen der ist, welchen jene Kunde hervorbringen soll. In unserem 18. Verse heißt es : »Und alle, vor die eS kam,

wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hat­

ten.«

ES ist klar, geliebte Freunde, mit der Verwunderung über

das Erlösungswort als ein äußeres Ereigniß ist eö nicht gethan, sondern darum handelt eS sich, daß wir die Erlösung uns inner­

lich zu eigen machen. Zu dieser innigen Hingebung an den Herrn haben es diejenigen noch nicht gebracht, die sich über die Kunde

von ihm und seinem Werke nur erst wundern.

Und doch sind

sie die schlimmsten noch nicht, denn sie verwerfen doch auch nicht jene

Kunde, erkennen vielmehr an,

daß eS hier wirklich um etwas

eigenthümlich Großes sich handele, und so schwanken sie zwischen völliger herzlicher Anerkennung und offener Verwerfung in der Mitte.

ES gehören zu ihnen diejenigen, welche zwar zugestehen,

daß JesvS Christus ein großer, vielleicht der größte Mann ge­ wesen sei, aber nicht dankbar anerkennen, daß auch sie ohne ihn

klein und arm wären, schwach, blind und bloß; welche nicht ver­ kennen, daß daS Christenthum die Menschheit innerlich und äußer­ lich umgestaltet hat, und doch verschmähen, den christlichen Grund

anzuerkennen, als den, außer dem Niemand einen andern legen kann, und auf welchem fortzubauen auch ihre Aufgabe ist; die

es zwar lästig finden, selbst einmal eine Stunde hier im Hause Gottes zuzubringen, und dessen sich zu erinnern, der ein Herr

ist über alle Herren, aber eS doch gerne sehen, wenn ihre Weiber und Kinder die Kirche zuweilen besuchen und wenn das Volk deS

Zügels nicht entbehrt, den die Religion nach ihrer Ansicht ihm

anlegen muß; die am Tage des Herrn zwar selbst nur ihren Geschäften oder ihren Vergnügungen nachgehen, denen es aber doch unheimlich sein würde, wenn Glockenklang und Orgelton

überhaupt verstummte; die, wenn ihnen einmal gelegentlich eine

Bibel in die Hand fällt, nicht läugnen können, daß das Worte sind von einer ganz besonderen Kraft und Weihe, die aber doch nicht Zeit gewinnen zu ernstem Forschen in der heiligen Schrift;

die zwar vor eitel Aufklärung nicht recht einsehen können, warum

man eigentlich die Kinder tauft, die aber doch, sie wiffen selbst nicht was, abhält, der schönen alten Sitte zu entsagen.

Müßt

ihr nicht eingestehen, daß mit diesen Zügen viele unserer soge­

nannten Gebildeten gezeichnet sind, und ist das nicht eine schmach­

volle Halbheit, unwürdig des Mannes, der klar erkennen sollte, was seine Stellung in der Welt und seine Aufgabe ist und dann entschieden thun, was er als das Rechte erkannt hat?

sind solche, wie gesagt, die schlimmsten nicht.

Und doch

Ihr Verhältniß

zum Christenthume erinnert an den Samen, der unter die Dor­

nen gesäet ist, und der zwar aufgeht, aber erstickt wird von der

Sorge dieser Welt und dem Betrug des Reichthums, also daß er nicht Frucht bringet.

Es giebt andere, die dem festgetretenen

Wege gleichen, in dem der Same gar keine Wurzel mehr schla­

gen kann, an welchen die Kunde vom Erlöser ganz wirkungslos vorübergeht, denen sein Wort ein Ammenmärchen, der Glaube

an ihn ein Weibertrost, sein Gericht ein Trugbild ist, um Kinder

zu schrecken.

Diese starken Geister sind über Reue und Furcht

längst hinaus, nicht einmal Verwunderung haben sie mehr für das Christenthum, sondern nur Hohn und Verachtung. —

Und

was haben sie denn gethan, daß sie verachten dürften?

Was

habt ihr, möchte man mit dem Apostel ihnen zurufen, das ihr

nicht empfangen habt, so ihr es aber empfangen habt, waS rüh­ met ihr euch, als ob ihr es nicht empfangen? (Röm. 8, 15).

Sie sind aufgewachsen mitten im Genusse von Wohlthaten, welche

das Christenthum gegründet hat, im häuslichen und bürgerlichen

Leben,'und im Gebiete der Kunst und Wissenschaft, und sie ver­ achten die Quelle,

auS der dies alles geflossen; der Mutter,

welche sie an ihrem Busen genährt hat, schlagen sie schmähend in'S Angesicht, und es gilt von ihnen das Wort des Jesaja : "Ein Ochse kennet seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines

Herrn; aber Israel kennet eS nicht, und mein Volk vernimmt es nicht!" —

Doch hinweg von diesen Bildern der Schlaffheit,

Halbheit, Leerheit und Aufgeblasenheit unserer Bildung!

gegenwärtigen

Traurig genug, daß das, waS man täglich höret und

sieht, eine» dränget, selbst die Reinheit der Weihnachtsfreude mit solchen Betrachtungen zu trüben!

den

frommen Hirten

Wenden wir uns hinüber zu

bei Bethlehem!

Wie

nahmen

sie die

Kunde auf von der freudenreichen Geburt des Erlösers?

„Da

die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, erzählt unser Text,

sprachen die Hirten unter einander : Lasset unS nun gehen gen Bethlehem, und die Geschichte sehen, die da ge­ schehen ist, die uns der Herr kund gethan hat!"

Also

nicht mit müßigem Staunen über die wundervolle Kunde begnü­ gen sie sich, sondern eS treibt sie zu prüfen, ob dem wirklich so ist, wie die frohe Botschaft verkündet, oder ob ihr sehnendes Herz

mit einem Trugbilde sie getäuscht hat; uud wie freudig sind sie

bewegt, da sie Alles wirklich so finden, wie der Bote GotteS es ihnen

44 kund gethan!

Sollten dm« nicht auch wir die Gleichgültigkeit

aufgeben, womit wir so häufig die Kunde vom Herrn und seinen Wohlthaten

anhören?

Sollten

wir nicht dem Beispiele der

Hirten folgen, wir, die wir im Vergleiche mit ihnen so sehr im

Vortheile sind?

Wir werden ja nicht mehr blos auf das neu­

geborene Kind hingewiesen in der Krippe zu Bethlehem, sondern uns ist kund geworden, wie die Keime des göttlichen Lebens, die

in dem Kinde schlummerten, sich zur Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater entfalteten, und wie Jesus in seinem ganzen Seyn, Leben und Sterben als der weltüberwindende Heiland sich

wirllich bewährt hat.

Zeugniß davon ist uns die heilige Schrift

und die ganze Weltgeschichte, in Bezug auf welche ein großer Geschichtsforscher schön gesagt hat, daß auf Christum hin und

von ihm aus alle Geschichte gehe.

Aber wie der Herr selbst bei

seiner Geburt der Menge unerkannt blieb, ebenso fast geht es jetzt mit seinem heiligen Worte : wie vielen bleiben die nicht auS-

zubeutenden Schätze göttlicher Weisheit, die es enthält, immer verborgen, wie mancher, der sich Christ nennt, mag seit seiner

Confirmation nicht mehr hineingesehen haben!

Und auch das

lehrreiche Buch der Weltgeschichte ist für die

meisten umsonst

geschrieben.

Warum müssen wir uns von jenen einfachen Hirten

beschämen lasten?

Warum hörten sie der Kunde von der Er­

scheinung des Heilandes so aufmerksam zu, forschten ihr so eifrig

und erwartungsvoll nach.

Deswegen, weil sie in seinem ganzen

Sinne das Wort erfaßt hatten: Euch ist heute der Heiland ge­ boren.

Das war ihnen nicht die Kunde von einem äußeren ge­

schichtlichen Ereignisse,

sondern von einem Ereignisse,

das sie

selbst auf das allerunmittelbarste anging, indem durch es ihrem eigenen geängstigten Herzen die ersehnte Stunde der Erlösung

verkündet wurde.

Und so sollten auch wir die Kunde von der

Geburt des Heilandes aufnehmen.

ES wird uns ja nicht blos

die Geburt des Heilandes der Welt so im Allgemeinen verkündet, sondern uns ist der Heiland geboren, dir und mir und einem jeglichen unter uns Allen, von denen keiner ihn entbehren kann;

von denen einem jeden ohne ihn die rechte Freudigkeit und Kraft

im Leben und Wirken, der wahre Trost im Leiden und Sterben,

und im drückenden Gefühle seiner Sünde die Hoffnung, einen versöhnten Gott zu haben, fehlen würde. samen

Hören

und

Ja, zu dem aufmerk­

gewissenhaften

dem

Durchforschen

der

Kunde von der Erscheinung des Erlösers muß noch ein drittes

kommen, welches unser Text ebenfalls andeutet, wenn er von

Maria sagt, daß sie alle diese Worte behalten und in ihrem Herzen

bewegt

habe: also die lebendige Beziehung jener

Kunde auf uns selbst, ihre innige herzliche Aneignung.

III. So viel über den Eindruck, welchen die freudenreiche Kunde von der Geburt des Heilandes machen muß; und nun zu einer letzten Frage : Wie muß die auf solche Weise

innerlich aufgenommene Kunde nach außen sich wirk­ sam erweisen?

WaS thaten die Hirten, nachdem sie die

frohe Bestätigung der ihnen zu Theil gewordenen Kunde gefun­ den?

Zogen sie sich zurück in die Wüste oder in die Kammer,

um dort in der Einsamkeit über das Erlebte müßig zu grübeln?

Oder vereinigten sie sich zu einem besonderen Bunde, um darin ihr Geheimniß zu bewahren?

Oder setzten sie selbstgewählte, be­

stimmte Formen der Lehre und der Verehrung des Heilandes fest, um davon die Theilnahme an dem ihnen verkündigten Heile

abhängig zu machen? — Von dem Allen weiß unser Text nichts,

sondern nur ganz einfach berichtet er uns : „Und die Hirten kehrten wieder um.«

Mit der seligen Freude im Herzen

gingen sie an ihr früheres Berufsgeschäft zurück, und es ahnte ihr schlichter Sinn die Wahrheit, welche der Herr später in den

großen Worten aussprach :

„So jemand zu euch wird sagen :

Siehe, hier ist Christus, oder da; so sollt ihr'S nicht glauben.

— Darum, wenn sie zu euch sage» werden : Siehe, er ist in der Wüste, so gehet nicht hinaus; siehe, er ist in der Kammer,

so glaubet es nicht.

Denn gleich wie der Blitz auSgehet vom

Aufgang und scheinet Li- zum Niedergang, also wird auch sein

die Zukunft de» Menschensohne»!«

(Matth. 24, 26 f.)

Nicht

hie oder da nur will der Herr verehrt sein, an diesem bestimmten

Orte, zu dieser besttmmten Zeit, unter diesen bestimmten Formen, sondern unser ganze» Leben soll ihn preisen und jede Thättgkeit,

welche die Ordnung de» Leben» un» auferlegt, kann und soll ge­

heiligt werden durch ihn, da» häusliche Leben, indem die natür­ liche Anhänglichkeit der Familienglieder erhöht und geweiht wird

durch da» Stteben, immer inniger zu wachsen an den, welcher da» gemeinsame Haupt ist, Christus; da» bürgerliche Leben, in­

dem die

Achtung vor dem menschlichen Gesetze erst ihre ewige

Grundlage erhält durch den Gehorsam gegen die Gebote Gotte»;

da» wissenschaftliche Streben,

indem

da» Stückwerk

unsere»

Wissen» zu einem Ganzen verbunden wird im Gedanken an den,

welcher in all den wechselnden Erscheinungen der ewig dauernde

Urgrund

ist.

Wer so in allen Verhältnissen, in welche sein

Lebensberuf ihn führt, den Gedanken an den Herrn festhält und

in seinem Herzen bewegt, sollte der nicht auch dem Beispiele der Hirten folgen in der weiteren

Aeußerung ihrer Seelenfreude,

welche unser Text anführt, weiln er von ihnen sagt: «Sie prie­ sen und lobeten Gott, um Alle», da» sie gehöret und ge­

sehen hatten?« Er muß ja erfahren, daß Gott in seinem Sohne

un» Alle» geschenkt hat. Die Arbeit wird leicht und mit reichem Segen gekrönt, wobei Er der Helfer ist; die Freude wird gerei­

nigt, wo der Herr mit am Mahle sitzt; der Schmerz wird zur

läuternden Prüfung, die Anfechtung zur Freude, wenn Er ihn

tragen hilft, und der letzte schwere Gang, für den Gottlosen so

grauenvoll : an der Hand de» Herrn, der seinen treuen Knecht

abruft, ist er dem Frommen nur der völlige Uebergang in da» höhere Leben, in welchem er seinem besseren Theile nach schon

hier in seligem Frieden gelebt hat. allewege (Phil. 4, 4)!

"Freuet euch in dem Herrn

Da» ist eine Forderung, deren Erfüllung

ihm niemals schwer geworden ist.

Weß aber da» Herz voll

ist, davon gehet der Mund über. Eine Freude, die unsere ganze

Seele füllt, läßt sich nicht verschließen, sie will mitgetheilt sehn.

So heißt es denn auch von den Bethlehemitischen Hirten endlich noch in unserem Texte.

„Da sie es aber gesehen hatten, brei­

teten sie daS Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde

gesagt war." — ES ist, geliebte Freunde, in diesen letzten Jah­ ren

viel unter

uns gesprochen und geschrieben worden von der

inneren Mission.

Der Name klang etwas

absonderlich und die

unter Formen aufgetreten, die Bedenken er­

Sache ist zuweilen

regen konnten, ob nicht durch sie die kirchliche Ordnung gefährdet werde.

Aber darüber laßt uns das Gute nicht übersehen, was

jenem Gedanken unläugbar zu Grunde liegt, es besteht dies eben

in der Wahrheit,

daß jede wahrhaft lebendige,

zumal religiöse

Ueberzeugung nothwendig mit dem Bestreben verbunden sehn muß, Anderen sich mitzutheilen, welchen sie fehlt.

Als durch die be­

geisterte Predigt der Apostel der Glaube an Jesum, den Gekreu­

zigten und Auferstandenen, in Jerusalem sich auszubreiten anfing,

da bedräuete sie der hohe Rath, daß sie hinfort keinem Menschen

von diesem Namen sagten; Petrus und Johannes aber gaben die denkwürdige Antwort :

»Wir können es ja nicht lassen,

daß wir nicht reden sollten, waS wir gesehen und gehöret haben.«

(Apostelg. 4, 20.)

So war es

sollte eS auch bei »nS sein.

auch

bei den Hirten, und so

Und ist es so bei uns?

Ist unser

Herz so voll von Erfahrungen der scligmachenden Kraft des Evan­

geliums, daß wir nicht lassen können, davon zu zeugen? DaS ist eine Frage, die ein jeder seinem Gewissen vorhalten mag, und

wenn wir die Antwort »Nein!» vernehmen,

Nein, es ist noch

nicht so, wie eS sein sollte; so helfe uns Gott, daß wir zuerst

selbst festwachsen auf dem Grunde ewiger Wahrheit, legt hat durch die Sendung seines SohneS.

den er ge­

Mit der von dort­

her uns durchdringenden Kraft mögen wir dann anch andere für

sein Reich gewinnen.

Nicht als ob wir aus der Belehrung und

Bekehrung ein besonderes Geschäft unS zu machen hätten, sondern so, daß

unser ganzes Leben den Herrn verkündigt,

daß unser

Reden und Thun jener eben so milde als ernste Geist der Weihe

umweht,

welcher allezeit der Begleiter lebendiger Frömmigkeit

ist, und in dessen Kreise die Spötter verstummen, die Schwachen

48

sich gestärkt, die Zweifelnden befestigt, die Irrende« zurechtge­ wiesen fühlen.

Und seyd gewiß, wir können dem Herrn, dessen

gnadenreiche Geburt uns heute wieder verkündet worden ist, keine angenehmere Opfer der Dankbarkeit darbringen, als eine so ge­ wonnene Seele. Run, das Feld ist groß, die Saaten sind jeden

Augenblick weiß zur Erndte; mögen der Arbeiter viele seyn und

volle Garben geliefert werden in die himmlischen Scheunen! Vater im Himmel!

Unser Dank dafür, daß du in deinem

geliebten Sohne den Heiland uns hast geboren werden lassen, sey,

wie der Anfang der heutigen Predigt, so ihr Schluß.

Laß die

freudenreiche Kunde, welche den Gegenstand des heutigen Festes

bildet, dahin dringen, wo sie noch nicht vernommen wurde; er­ weiche die Herzen derer, die sich bisher verhärtet haben gegen

sie, die sie aber ausgenommen haben, denen hilf sie treulich be­ halten und bewegen im Herzen, damit sie je mehr und mehr auS deiner Fülle nehmen Gnade um Gnade. O Herr bleibe bei

uns mit deiner Kraft und deiner Hülfe, damit dein Reich immer

mehr sich ausbreite und unser Weihnachtsfest mit jedem Jahre ein fröhlicheres werde! — Amen!

IV.

Die unvergänglichen Weihnnchtsgnben, welche der Herr den Seinen schenket. Am Sonntage nach Weihnachten. Tert : Gal. 3 , 23-29. „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget!» (Luc. 24, 29.) Amen. So liegen denn, meine geliebten Freunde, die lieben, schönen Weihnachtstage wieder hinter uns!

Die fröhlichen Lichter deö

Christbaumes sind ausgebrannt, oder doch herabgebrannt bis auf

ein kleines Ende, womit heute oder morgen noch einmal ein

Nachflimmer der seligen

Weihnachtsfreude in den Herzen der

lieben Kinderwelt angezündet werden soll.

Das schöne Spiel­

werk , das in den freudestrahlenden Augen unserer Kleinen wieder

leuchtete, es liegt zum Theil schon zerbrochen, zerrissen, unbeach­

tet in der Ecke, und an die Stelle des innigsten und lautesten Entzückens ist hie und da schon Ueberdruß getreten, da gewiß am meisten, wo am meisten Ueberfluß gewesen ist.

Und auch

wir Erwachsene, die wir uns so innig gefreut haben mit der

fröhlichen Jugend und an den mannigfachen Liebeserweisen der B a ii v. Predigten.

4

50

Unsern, auch wir, meine Lieben, können unS nicht verhehlen,

daß auch unS mehr oder weniger ein gewisse6 Gefühl des Un­

behagens, der Abspannung,

der Mißstimmung, der Wehmuth

beschlichen hat, welches seinen meist unS selbst nicht zur Klarheit

gekommenen Grund hat in dem Gedanken, wie nun wieder ein

Christfest den bereits vergangenen sich angereiht hat, wie ein

jedes neue dieser Zahl so viel schneller sich anzuschließen scheint, wie nach kurzen Lichtblicken höherer Freude die Arbeit und die

Noth und die Sorge des alltäglichen Lebens so bald uns wieder

umfängt und wie alles

Irdische doch so gar vergänglich ist!

Dergleichen Gedanken sind ja gar natürlich und liegen uns in diesem Augenblicke besonders nahe, wo wir zum letzten Male in diesem Jahre hier versammelt sind.

Sollten wir an der Scheide

der beiden Jahre nicht noch einmal zurücksehen auf das ver­

flossene, auf all die Hoffnungen, die es uns erfüllt und die es uns vereitelt hat; auf den Segen, den es uns gebracht, und auf

die Prüfungen, die es

uns aufgelegt hat durch Mangel und

auf Alles was es uns geschenkt und was eS uns

Theuerung;

geraubt hat, auf so manches theuere Grab, das es uns gegraben

hat, ach und manchmal so dicht neben der Wiege?!

Ja, geliebte

Freunde, daS Alles sind gar natürliche Gedanken und sie haben

ihr gutes Recht. — Aber dennoch hat sich diese christliche Ge­ meinde jetzt

nicht hier versammelt

vor dem Angesicht ihres

treuen Gottes, um weiche Thränen zu vergießen über das, was vergänglich

ist, sondern um dessen sich zu freuen, waS unver­

gänglich ist; nicht mit jener lauten Freude, die von dem einen

Jahre in das andere hinüber taumelt, sondern mit der stillen Freude, die im vollen Bewußtsein des ernste» Ganges ihn dennoch mit festem Schritte unternimmt, weil sie sich im Besitze eines Gutes weiß, gegen das Alles, was die Zeit uns rauben kann,

Nichts ist.

Ihr habt euch aus dem Lärm der Welt in die Stille

des Gotteshauses geflüchtet, weil es euch ein Bedürfniß ist, am Schluffe des Jahres euer Gemüth noch einmal gründlich zu

sammeln.

Aus der unaufhaltsam dahin schießenden Flut der

Vergänglichkeit wollen wir uns retten auf den höheren Fels des

ewigen HeileS; wo die Quellen menschlichen Trostes versiegen, wollen wir aus dem Brunnen des göttlichen Worte uns er­ quicken, das nicht vergehen wird, wenn Himmel und Erde ver­

gehen ; statt der Güter, welche der natürliche Verlauf der Jahre uns rauben kann, wollen wir ergreifen die ewigen Reichthümer

seiner Gnade, die er uns in der Geburt seines lieben Sohnes jetzt auf'S Neue wieder dargeboten hat.

Wie glücklich ist der Christ, daß er das kann! oder soll ich sagen : wie unglücklich wären wir, wenn wir das nicht könnten? Und wie schön ist's, daß gerade bevor der Schluß des natürlichen Jahres

uns

an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnert, das liebe

Weihnachtsfest uns auf die Schätze im Himmel Hinweis'!, die

Motten und Rost nicht verzehren! Gleichsam eine Erinnerung daran, daß, ob unser äußerlicher Mensch verweset, doch der

innerliche von Tag zu Tag erneuert wird (2. Cor. 4, 16), gleich­

sam ein frohes Wahrzeichen, es wolle der treue Heiland die Bitte erhören, die wir vorhin an ihn gerichtet haben, daß er

bei uns bleiben möge, da cs Abend werden will und unser Tag sich neiget; aber auch

eine ernste Mahnung,

meine geliebten

Freunde, daß, bevor unser irdisches Leben zu Ende geht, wir das

ewige Leben in lebendigem Glauben an ihn beginnen!

Bon solchen Gedanken bewegt, laßt uns die Worte unseres heutigen Textes vernehmen.

Sie bilden eigentlich den episto-

lischen Text für den Neujahrstag; da aber der heutige Sonntag

dem neuen Jahre diesmal so unmittelbar nahe gerückt ist, so werden sic bei unserer gegenwärtigen Stimmung auch heute schon

eine sehr geeignete Grundlage für unsere Erbauung bilden.

Sie

stehen im Briefe des Apostels Paulus an die Galater und

lauten im 3. Capitel vom 23 — 29. Vers folgendermaßen : 23. Ehe denn aber der Glaube kam, wurden wir unter dem

Gesetz verwahret und verschlossen auf den Glauben, der da

sollte geoffenbaret werden.

24. Also ist das Gesetz unser

Zuchtmeistcr gewesen auf Christum, Glauben gerecht würden.

daß wir durch den

25. Nun aber der Glaube ge4*

52 kommen ist, find wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister. Denn ihr seyd Alle Gottes Kinder, durch den Glauben an

Christo Jesu.

27. Denn

wie

die haben Christum angezogen.

Biele euer getauft find,

23. Hier

ist kein Jade

noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib; tfrnn ihr seyd allzumal Einer in Christo

Jes«.

29. Seyd Ihr aber Christi, so seyd ihr ja Abrahams

Saamen, and nach der Verheißung Erben. In diesen Worten, meine andächtigen Zuhörer, hält uns

der Apostel recht deutlich die unvergänglichen Weihnachts­

gaben vor, welche der Herr den Seinen Es sind ihrer vier :

schenket.

Alles gar wünschenswerthe Dinge! Näm­

lich I. Ein hoher Stand.

2. Ein schönes neues Kleid.

3. Die wahre Freiheit und Gleichheit und 4. Eine reiche Erbschaft.

Wir wollen das jetzt im Einzelnen näher

miteinander betrachten; vorher aber Gottes Beistand und Segen

erflehen in einem andächtigen Vaterunser.

I.

Die erste also der unvergänglichen WeihnachtSgaben, wo­ mit Christus die Seinen beschenkt, wäre ein hoher Stand. —

Es ist gewiß eine nicht zu verachtende Sache, einer Familie an­ zugehören, welche bei

vielleicht bis

in

allen in Ansehen und Ehren steht, und

längst vergangene Jahrhunderte hinein aus­

gezeichnete und hochgestellte Vorfahren

ebensowenig ist es zu

nachweisen kann.

Und

verachten, wenn ein Mann durch eigenes

Verdienst und mit Gottes Hülfe auf einen Posten sich empor­

geschwungen hat, der ihm einen weitreichenden Einfluß verleiht auf die Verhältnisse seiner Brüder.

Auch

ist eS darum kein

Wunder, wenn der Mensch stolz darauf ist, ein Glied einer sol­ chen Familie zu seyn, und wenn diese einflußreichen Posten für

gar Viele das Ziel ihrer eifrigsten Bemühungen sind.

Daß nun

aber einer dieser Hochgestellten seine Brüder verachtet, daß der

Niedrige

dem Hohen gegenüber

in

kriechender Demuth seine

Menschenwürde verläugnet, daß er ihm seinen höheren Stand beneidet, daß

die nach demselben Ziele ringenden mit leiden­

schaftlicher, gehässiger Eifersucht sich gegenseitig bewachen, das

Alles ist eines Christenmenschen durch und durch unwürdig! Wir

sind, meine lieben Mitchristen, von unserem gnädigen Gott zu einem so hohen Stand berufen und mit einem so schönen Titel

geschmückt, daß alle diese vergänglichen Ehren und Würden da­

gegen als gar eitel und nichtig erscheinen.

„Denn, so sagt der

Apostel in unserem Text, ihr seyd alle Gottes Kinder, durch

den Glauben an Christo Jesu.»

Des ewigen Königs aller Macht

und Ehren also dürfen wir als unseres Baters uns rühmen! Ja, Geliebte, Kind Gottes zu seyn, das ist des Christen hoher Stand, und daß was von Gott geboren ist, die Welt überwindet (I. Joh. 5,4),

das ist des Christen einflußreicher Posten.

--Durch den Glauben

an Christo Jesu», meine lieben Freunde! Denn nicht in dem

Sinn ist hier die Rede von der Kindschaft Gottes, in welchem

alle Geschöpfe Gottes auch seine Kinder genannt werden können, in welchem auch der, welcher von Gott sich abwendet und dem

Dienst der Sünde sich hingiebt, immer noch bleibt, ein Gegenstand seiner

ein Kind Gottes

väterlichen Fürsorge; sondern in

höherem Sinne bezeichnet die Kindschaft ein innerliches Verhält­ niß des Menschen zu Gott, in welchem man Gott als Vater auch kennt, anerkennt, seiner gewiß ist, sich seiner freut, und

diese wahre Gotteskindschaft Christum Jesum nicht möglich.

ist

ohne

lebendigen Glauben an

Und nicht blos die alten Heiden

haben gelehrt, daß die Gottheit neidisch sey, und gefürchtet, daß die dunkle Riesenfaust des blinden Schicksals plötzlich hereinfahren

werde in

ihr heiteres Leben und all ihr Glück in Trümmer

schlagen, und nicht blos das Volk Israel hat unter der Zucht des von keinem vollständig erfüllten Gesetzes vor dem Verdam­ mungsspruche des heiligen Richters gezittert; sondern auch unter uns, die wir gelernt haben, daß Gott aus Liebe zur Welt seinen

eingeborenen

Sohn hingegeben habe, sind gar viele, die der

Vaterliebe Gottes dennoch nicht recht gewiß sind, so lange nicht

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gewiß sind, als sie jene Lehre nur mit den Ohren gehört und

mit dem Verstände vielleicht begriffen,

aber

nicht mit dem

Herzen ergriffen haben, und die sind dann arm bei allem Reich

chum,

dem Tode und der Vergänglichkeit

unterworfen beim

heitersten Leben, ohnmächtig bei aller Macht, im Unglück ohne Trost, im Tode ohne Hoffnung. Bei wem dagegen der Strahl der

göttlichen Vaterliebe in Christo gezündet hat, gezündet hat im innersten Grunde feines Herzens; weffen Herz, wie es dort im

Evangelium heißt, brennet bei

den Worten

»Welcher auch

feines eigenen SohneS nicht gefchonet hat, sondern hat ihn für uns alle dahin gegeben» (Röm. 8, 32): der weiß, daß mit ihm Gott ihm Alles schenket, der hat eS in seiner vollen Bedeutung erfahren, was es heißt, ein Kind Gottes seyn, der ist zu dem

hohen Staude erhoben, auf welchem er die überwundene Welt zu seinen Füßen sieht.

WaS sollten ihm die Güter dieser Welt an-

haben, da er reich ist in Gott, was die Leiden dieser Zeit, da er

weiß, daß sie nicht werth sind der Herrlichkeit, die an ihm soll

offenbaret werden, was die Sünde, da er durch Christum ver­

söhnt

ist mit Gott, was der Tod, da der Herr ihm seinen

Stachel, waS die Hölle, da der Herr ihr ihren Sieg entrissen hat?

Was ist es doch für ein hoher, freier, mächtiger Posten,

ein Kind Gottes zu seyn im vollen Sinne deS Wortes! O daß doch Reich und Arm dort zusammenkämen, um unvergängliche

Schätze zu erwerben; daß doch die Mühseligen und Beladenen

hinaufstiegen zu diesen frohen Höhen,

um dort aller Bürden

ledig zu werden; daß doch die Mächtigen dieser Erde herab­

stiegen von ihren stolzen Thronen, um dort vor dem Throne

GotteS als demüthige Kinder die Krone der Gerechtigkeit zu er­ langen! rufung

Warum folgen doch so viele nicht der freundlichen Be­ zum hohen

Stande der Gotteskindschaft,

in welchem

aller Güter Fülle ist? Darum nicht, Geliebte, weil ihnen der Sinn für diese Güter noch nicht anfgegangen ist, weil ihr Herz noch festhängt an den Gütern der Erde, weil ihnen ein ver­

gänglicher Genuß lieber ist, als die ewige Seligkeit : weil sie

das hochzeitliche Kleid noch nicht anh-ben, womit Alle bekleidet

SS

sehn müsse», die als Kinder sich sammeln wollen um den Thron

deS himmlischen Vaters.

Das führt uns auf den zweiten Punkt

unserer Betrachtung!

II.

Es heißt nämlich weiter in unserem Texte : »Denn wieviel euerer getauft sind, die haben Christum angezogen."

Das, meine

andächtigen Zuhörer, ist das zweite unvergängliche Weihnachts­

geschenk unseres Herrn, das ist das schöne neue Kleid, wo­ mit

er die Seinen schmücket.



WaS heißt das,

Geliebte,

Christum anziehen? Heißt das den Namen Christi an uns tragen

und doch nicht den Willen thun seines Vaters im Himmel; heißt das

als einen Christen

den, von denen das

sich darstellen in Worten und Gcber-

unbekehrte Herz nichts weiß? — Das sey

fern von uns, daß wir das Ehrenkleid eines Christen an unS tragen als einen eitlen Prunk, oder gar als einen Deckmantel

der Sünde!

Oder heißt vielleicht Christum anziehen seine Lehre

äußerlich bekennen und seinem Beispiele nachfolgen im äußeren Wandel?

Darin erkennen freilich Viele die höchste Aufgabe deS

Christen, und wenn sie im äußeren Leben vermeiden, was den Geboten Gottes zuwiderläuft, und durch Theilnahme an dem Gottes­

dienst und den heiligen Handlungen ihrer Kirche

ihre Ehrfurcht

vor der Religion bezeugt haben, dann glauben sie ihrem Gott

und ihrem Heilande genug gethan, sich gleichsam mit ihm abgefunden

zu haben, da sie im Grunde ihres Wesens sich doch einmal nicht anders machen könnten, als sie von Natur sind.

Unser Heiland

aber will nichts wissen von einer solchen Abfindung.

Er hat sich

dir ganz hingegeben, er hat um deinetwillen den Kelch der Leiden

bis uuf den letzten Tropfen ausgeleert, er will auch dich jetzt ganz haben und sich nichts abdingen lassen.

Und ganz fordert

der Apostel dich für den Herrn, indem er von denen, die getauft sind, verlanget, daß sie Christum angezogen haben.

Im Briefe

an die Epheser fordert Paulus statt deffen, daß wir den neuen

56 Menschen anziehen sollen, der nach Gott geschaffen ist, und daß wir darum zuerst den alten Menschen ausziehen sollen, der dem

Irrthum und der Sünde hingegeben ist (Eph. 4, 24). nicht blos um eine Veränderung unseres Lebens

Also

in dieser oder

jener einzelnen Aeußerlichkeit handelt es sich, nicht blos um eine

Ausbesserung an diesem oder an jenem Punkte, sondern um eine gänzliche Umwandlung unseres Wesens : um das, was der Apostel ebenda eine Erneuerung im Geiste unseres Gemüthes, um das, was der Heiland selbst im Gespräche mit Nikodemus mit einem

noch

bezeichnenderen

Ausdrucke

die Wiedergeburt nennt.

Das

war eine harte Rede für Nikodemus, obwohl er ein Meister in

Israel war. alt ist?«

nicht um

„Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er

so fragte er Jesum, und dieser sagte ihm zwar, daß eS

eine leibliche,

sondern um eine geistige Wiedergeburt

sich handle, mußte aber darauf verzichten, ihr Wesen dem deutlich

zu

machen, der die erlösende und bekehrende Kraft des Herrn

noch

lichen

nicht am eigenen Herzen erfahren hatte. Gemeinde

aber sollte

man

sich

In einer christ­

doch wohl

verständigen

können über das, was mit der Wiedergeburt gemeint ist; wenig­ stens versuchen wollen wir es, indem wir das Bild des natürlichen

Menschen und daS des Wiedergeborenen einander gegenüberstellen.

Bei dem natürlichen Menschen ist der ganze Sinn auf ihn selbst gerichtet,

und zwar auf

sein

sinnliches, zeitliches Wohlergehen,

darum drehen sich alle seine Bemühungen, die ganze Welt möchte er zwingen, ihm dienstbar zu sehn für diesen Zweck.

Freilich aber

wird er bald gewahr, daß Niemand umsonst ihm Dienste leistet,

und so muß er auch gegen Andere sich dienstwillig erweisen, aber

dazu treibet ihn

dann nicht die Liebe zu den Brüdern, sondern

immer nur die Liebe zu sich selbst.

Auch kann er in vielen Fällen

seine Bestimmung für die Ewigkeit nicht so sehr verläugnen, daß

ihn nicht bei seinem leeren, nichtigen Leben zuweilen ein Gefühl des Unbehagens und

der Unruhe beschliche.

So

verrichtet er

wohl sein Gebet, geht in seine Kirche, nimmt regelmäßig Theil an der Feier des heiligen Abendmahls, sieht auch hin und wieder einmal in seine Bibel hinein, aber in dem Allem ist keine rechte

Kraft und kein rechtes Leben, es geschieht nur, um das Gemüth auf einige Zeit zu beruhigen, und dann zurückzukehren zum Dienst der Vergänglichkeit,

an welchen er mit unzerreißbaren Banden

gefesselt zu seyn scheint.

Da auf einmal, vielleicht in einer Zeit,

wo ein schwerer Verlust ihn an die Vergänglichkeit alles Irdischen

mahnt und ein

tiefer

Schmerz das harte Herz erweicht hat,

fühlet er in seinem Herzen ein neues Leben sich regen; das nie

ruhende Wirken der bekehrenden Gnade Gottes offenbart sich in

Zug nach dem Ewigen

ihm als ein starker tiefgehender

hin,

wie er ihn bisher nicht gekannt hat, und das ist die Stunde, da der neue Mensch in ihm geboren wird.

Auf Gott ist jetzt sein

ganzer Sinn gerichtet und auf sein ewiges Heil.

Er hat wohl

Augenblicke, da er, wie Paulus, am liebsten abscheiden möchte aus dieser Zeitlichkeit,

um bei Christo zu seyn (Phil. 1, 23);

aber er harret gern und so lange es der Wille dessen ist, der

mit dem Feuer seiner göttlichen Liebe auch in seinem Herzen

ein« so lebendige Liebesflamme entzündet hat, daß sie allen Eigen­ nutz verzehrt hat und er auch dem Wohle der Brüder seine

Kräfte in willigem Liebesdienste weiht.

Und wenn der natür­

liche Mensch die Erinnerung an die Ewigkeit nur als unan­ genehme Störung seines alltäglichen Treibens empfindet, so ist

es dagegen

ihm nie wohler,

seinem Gott.

als

in ungestörtem Verkehr mit

Wie greift bei ihm das gepredigte oder gelesene

Wort Gottes, denn es redet von Dingen, die er selbst an sich

erfahren, und er darf sagen, daß der Geist ist von dem Geiste,

der auch in ihm wehet und wirkt; und wenn er betet, so ist es, als ob Engel hin und wieder schwebten, um, seine Worte hinauf­ zutragen vor Gottes Thron und Erhörung und Trost von dort

ihm herab zu bringen.

Getödtet zwar ist auch in ihm die Sünde

noch nicht, aber überwunden ist sie; er hat nicht mehr seine Lust

an ihr, sondern sie berührt ihn nur noch vorübergehend als eine schmerzliche Hemmung seines wahren Lebens, um so weniger, je

mehr der neue Mensch in ihm

an Kräften zunimmt.

Sehet,

Geliebte, das ist der Mensch der Christum angezogen hat, das ist daS schöne, neue Kleid, daS der Herr den ©einigen schenket.

58

Und wer dies Kleid angezogen hat im Erdwlebeu, dem wird auch

einst das Kleid nicht fehlen, dessen Johannes in der Offenbarung

gedenkt, da er uns sagt, daß er eine große Schaar aus allen Böllern und Sprachen

gesehen

habe,

angethan

mit

weißen

Kleidern und Palmen in ihren Händen unter Loben und Preisen vor dem Throne Gottes stehen (Offenb. 7, 9).

Ach, daß doch

einst Keinem dieser unvergängliche Schmuck fehlen möge!

III.

Das dritte unvergängliche Weihnachtsgeschenk unseres Herrn,

welches der Text uns vorhält, ist die wahre Freiheit und Gleichheit.



Freiheit und

Gleichheit,

sind das für

was

lockende Töne! Wie oft ist nicht unter ihrem süßem Klang Sünde und Verderben

verbreitet worden.

Und hat denn nicht selbst

Christus und sein ewiges Wort zur Berufung dienen müssen.den

täuschenden oder getäuschten Freiheitsaposteln?

Laßt uns wohl

zusehen, damit nicht auch uns jene Worte zum Fallstricke werden, laßt uns recht aufmerksam betrachten, waS dann die Frei­

heit ist, womit unS Christus befreit hat.

Sie besteht,

wie unser Text uns sagt, in der Befreiung von der Zucht des

Gesetzes.

--Ehe denn der Glaube kam, heißt es dort, wurden

wir unter dem Gesetz verwahret und verschlossen auf den Glau­

ben, der da sollte geoffenbaret werden.

Also ist das Gesetz unser

Zuchtmeister gewesen auf Christum, daß wir durch den Glauben

gerecht würden. nicht

Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir

mehr unter dem Zuchtmeister."

Das ist nicht so zu ver­

stehen, als ob der von der Zucht des Gesetzes befreite Mensch nun seinen sündlichen Gelüsten ungehindert sich überlassen dürfte;

dann würde ja die Freiheit, wie es im Briefe des Petrus (2, 16)

heißt, zum Deckel der Bosheit und der Erlöser zum Sünden­

diener.

Sondern in dem Sinn ist es zu verstehen, in welchem

der Prophet Ieremia verheißt, daß in dem neuen Bunde das Gesetz Gottes nicht in todten Buchstaben auf Steine geschrieben

SS

den Menschen gegenüberstehen werde, sondern daß er eS in ihr geben nnd in ihren Sinn schreiben wolle (3er. 31, 31).

Herz

Da durch also wird in dem neuen Bunde der Mensch von der

äußerl ichen Zucht deS Gesetzes befreit, daß sein steinernes Herz, wie der

Prophet sagt (Hesek. 36, 26), in ein fleischernes ver­

wandelt wird, daß er, ergriffen von der in Christo offenbar

gewordenen unendlichen Liebe und Barmherzigkeit Gottes gegen den

sündige» Menschen, diesem gnädigen Gotte völlig sich hingiebt, den göttlichen Willen in seinen eigenen Willen aufnimmt, und nun

freilich des äußerlich züchtigenden

Gesetzes nicht mehr bedarf,

weil der Geist des Gesetzes in ihm lebendig ist und ihn treibet,

weil er mit dem Apostel sagen kann, daß er in Gott sey und in ihm und alle seine Werke in Gott gethan sind, weil

Gott

ihn die Liebe treibet, die nicht das Ihre sucht, sondern des Ge­

setzes

Erfüllung ist.

Nicht also den, welcher der Zucht deS

Gesetzes noch bedarf, will der Herr dieser heilsamen Zucht ent­ nehmen,

sondern mit seinem Geist will er die Seinen durch­

dringen, damit sie sich selbst das Gesetz werden und der äußeren Zucht dcö Gesetzes

nicht mehr bedürfen.

Treffend drückt die

Verhältniß deS wahrhaft Freien zu dem Gesetze auch unser Dich­ ter aus in den vielen von euch wohlbekannten Worten:

Nehmt die Gottheit auf in euren Willen, Und sie steigt von ihrem Wcltenthron. DeS Gesetzes strenge Fessel bindet Nur den Sklavcnsinn der eS verschmäht; Mit des Menschen Widerstand verschwindet Auch der Gottheit Majestät. Wer dem Gesetze sich entzieht, um Sklave der Sünde zu

bleiben, der sucht falsche Freiheit und mag vor der furchtbaren Majestät deS ewigen Richters zittern.

Die wahre Freiheit be­

steht in der Einigung des menschlichen Willens mit dem gött­ lichen und trägt das die Sünde tödtende Gesetz in sich.

Und wo

der

Mensch zu dieser wahren Freiheit

durch­

gedrungen ist, da ist auch die wahre Gleichheit vorhanden,

von welcher unser Text spricht, wenn er sagt :

„Hier ist kein

60 Jude, noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib; denn ihr seyd allzumal Einer in Christo!«

Daß die christliche Gleichheit nicht in einem rohen Gleichmachen der

äußeren Verhältnisse besteht, das geht aus diesen Worten

deutlich hervor, denn es ist ja in ihnen von Unterschieden die Rede,

die, wie der Unterschied zwischen einem Volke und dem

andern und zwischen Mann und Weib, in der Natur des Men­

schen nothwendig begründet sind.

Diese äußeren Unterschiede

also sollen bleiben und darin soll die Gleichheit bestehen, daß sie

allzumal Einer sind in Christo.

In der That, Geliebte, sind

in der Zeit, da Jesus Christus noch nicht erschienen war, die

Glieder der Menschheit auseinander gerissen gewesen, und selbst der Gedanke, daß die Menschheit bestimmt seh ein großes Ganze

zu bilden, war dieser Zeit fremd.

Als aber alle das tiefe,

schmerzliche Gefühl durchdrang, durch die Sünde von Gott ge­

trennt zu seyn, da erschienen, mit dieser tiefgehenden Trennung verglichen, alle anderen Unterschiede als verschwindend, und alle,

alle verbunden durch das gemeinsame Bedürfniß, aus dem Elende der Sünde durch Christum erlös't zu werden.

Jetzt gehet der

Jude Paulus, vordem ein gewaltiger Eiferer um das väterliche

Gesetz, zu den verachteten Heiden hinüber, um ihnen das Wort vom Kreuze zu predigen;

und den Griechen dünken gar lieblich

die Füße der Boten aus dem verachteten Barbarenvolke, die da kommen, ihnen den Frieden zu verkünden.

Der Mann siehet im

Weibe nicht mehr die Dienerin, sondern die gleichberechtigte Ge­ nossin ; und das Weib wird auS der Gesindestube hervorgezogen,

um die Seele des Hauses zu werden, und das ganze Familien­ leben umzugestalten mit dem Geiste

der Innigkeit, der Liebe,

der Sanftmuth, der Freundlichkeit, der Hoffnung, der Geduld.

Die Mächtigen und Reichen halten es nicht mehr für einen Raub reich und mächtig zu seyn, sondern sie sehen sich den Brüdern gegenüber nur als die Haushalter Gottes an; die Niedrigen und Armen

aber ehren

die

göttliche Ordnung,

Güter verschiedentlich vertheilt hat. heit,

die Würden und

Das, Geliebte, ist die Gleich­

welche Christus in die Welt gebracht hat, und welche im

Kreise der ©einigen immer

weiter sich ausbreiten soll : alle

innig verbunden in dem Bewußtseyn : --Ein Herr, ein Glaube,

eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller!-- (Ephes. 4, 5 f.), alle

sich

betrachtend

als Glieder desselben Leibes,

ein jedes

mitleidend, wo eines leidet, ein jedes zur Hülfe bereit, wo eines

der Hülfe bedarf, ein jedes sich mitfreuend, wo eines sich freut,

und alle zusammen immer mehr

und mehr wachsend an den,

der das Haupt ist, Christus!

IV.

--Seyd ihr aber Christi, so seyd ihr ja Abrahams Samen und nach der Verheißung Erben.--

Mit diesen Schlußworten

unseres Textes deutet der Apostel auf das vierte und letzte der

unvergänglichen Weihnachtsgeschenke hin, die er in diesem Texte uns vorhält, auf die reiche Erbschaft, welche der Herr den

©einigen verheißt. — Was ist es doch eine traurige Sache um die Erbschaft irdischer Güter! Wie reich sie auch immer seyn mag, sie wird fast immer verbunden seyn mit der schmerzlichen

Erinnerung an den Verlust eines theueren Angehörigen,

und

wenn auch der Erbe sie lachend angetreten hätte, sein Lachen

wird sich in tiefen Ernst verwandeln, wenn er bedenkt, daß das Erbtheil, welches er eben angetreten hat, über kurz oder lang

ebenso an seinen Erben übergehen wird.

Wie viel glücklicher

sind doch die Kinder Gottes daran mit dem Erbtheil, welches sie von ihrem himmlischen Vater empfangen! Des Vaters, der ihnen dies Erbe überläßt, dürfen sie sich als des ewig lebendigen freuen,

und auch der Tod entreißt es ihnen nicht wieder, vielmehr wenn

sie es nur in diesem Leben angetreten haben, gelangen sie durch

den Tod zu seinem vollen Genuß. von unserem himmlischen Vater

Es besteht aber ditS Erbtheil vor Allem in seinem heiligen

Geist, welche er allen denjenigen sendet, die seinen lieben Sohn Jesum Christum in lebendigem Glauben aufnehmen.

„Derselbige

Geist giebt Zeugniß unserem Geist, daß wir Gottes Kinder sind"

(Röm. 8, 16).

Und die- Zeugniß führt mit sich eine heilige

Kraft in allem Wirken, einen himmlischen Trost in- aller Noth, eine männliche Standhaftigkeit in aller Bersuchung, einen seligen

Frieden bei allem Streit; ja, Geliebte, Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmuth, Keuschheit,

da- ist, wie der Apostel später schreibt in diesem Briefe an die

Galater, die Frucht des Geistes, das unvergängliche Erbe der treuen Jünger des Herrn.

Ungestört zwar genießen sie in die­

sem Erdenleben ihr himmlisches Erbtheil nicht, sondern

Welt

und Sünde machet es ihnen streitig, und oft vermögen sie nur

mit schwerem Kampf es sich zu erhalten; denn es ist ja daS Zeichen eines Jüngers Christi, daß er sein Kreuz auf sich nimmt

und seinem Herrn nachfolgt.

Aber er weiß auch, daß er Sieger

bleiben wird in diesem Kampfe, er fühlet, wie unter dem Kämpfen

sein innerer Mensch je mehr und mehr an Kraft und Leben

gewinnt, bis sie denn endlich nahet die Stunde, welche seines Leibes Erlösung bringet, welche ihn frei werden läßt von dem Dienst des vergänglichen Wesens und ihn völlig hinüberführt zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.

Als ein Miterbe Christi

wird er, der nicht verschmäht hat mit zu leiden, nun auch mit zur Herrlichkeit erhoben, in der seligen Gemeinschaft, von der

die Offenbarung sagt : »Und Gott wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sehn, und er selbst Gott mit ihnen, wird ihr Gott seh».

Und Gott wird abwischcn alle Thränen von

ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sehn, noch Leid,

noch Geschrei, noch Schmerzen wird mehr seh», denn das Erste

ist vergangen.« (Offenb. 21, 3 f.) Das also wären die köstlichen unvergänglichen Weihnachts­

gaben, welche der Herr den Seinen schenket.

sie auch wirklich empfangen von ihm?

Wahrheit die Seinen nennen?

Haben wir Alle

Dürfen wir uns auch in

Halten wir auch seine herrlichen

Gnadcngaben in der That so werth, daß wir, wenn sie uns nur bleiben, auf alle anderen Güter gern verzichten? Oder erschallet

nicht vielmehr von da oder dorther wie ein greller Mißton in die

tröstliche Weihnachtspredigt unseres

Textes auf solche Fragen

die Antwort des Unglaubens :

«O, wenn

ich weltliche Ehren

genießen könnte, so wellte ich gerne auf den gepriesenen Stand der GotteSkindschaft verzichten; und wenn ich in meiner tiefen

Noth meine Blöße mit weichen Kleidern decken könnte, wie die Reichen, so wollte ich den Kopfhängern das Ehrenkleid überlassen,

womit ihr Heiland sie schmücket; und wenn mir ein reiches Erbtheil an irdischen Gütern zuficle, so wollt' ich in die Schanze

schlagen meine Anwartschaft auf das Erbe im Himmel!«

WaS

könnte der Prediger für eine Antwort geben auf solche Reden? — Etwa diese,

Geliebte!

Mein lieber, unglücklicher Bruder.

Ich

möchte dir gerne ein brüderliches Wort sagen, daS ein wenig

Licht brächte in das Dunkel deiner armen Seele!

Aber freilich,

dies Dunkel ist so tief, daß cs dem Worte eines schwachen Menschen schwerlich gelingen wird,

es aufzuhcllcn.

Aber ich kenne einen

Prediger, und du kennst ihn auch, dessen Predigt ein Hammer ist, der Felsen zerschmeißt, denn nicht mit Worten predigt er, sondern mit Thaten.

Bald hier, bald dort tritt er in das Leben

hinein, kein Mensch entgeht ihm; auch in dein Haus ist er ge­

wiß schon eingetreten, vielleicht in diesem Jahre, ist vielleicht dir

selbst ganz nahe getreten mit seiner ernsten Mahnung, und die­ ser gewaltige Prediger heißet der Tod! Wenn dieser Prediger jetzt vor dir stände statt meiner und dir sagte, daß diese Nacht der Herr des Lebens deine Seele von dir fordern wird, hättest du wohl den Muth vor ihm deine Worte zu wiederhole»? Ich

glaube schwerlich, sondern so würde die Rede deiner bebenden Lippen lauten : «Ach, was sind jetzt alle Ehren der Welt gegen daS Borrccht, von ganzem Herzen Gott seinen Vater nenne» zu

dürfen! Wie gerne gäb' ich allen Schmuck der Welt dafür, daß

ich den neuen Menschen angezogen hätte, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit!

Wie gerne er­

kaufte ich um alle Güter der Erde nur ein kleines Antheil des

Erbes, das der Herr den Seinen behalten hat im Himmel!" — Meine geliebten Freunde!

Der gewaltige Prediger, den ich eben

in Gedanken in unsere Mitte gerufen habe — Keiner von uns weiß, wie nahe er ihm wirklich ist, Einmal kommt er, das wissen

64

wir alle, und da- zu Ende eilende Jahr erinnert uns, daß er immer, immer näher kommt. Sind wir so ausgerüstet mit den unvergänglichen Weihnachtsgaben unseres Herrn und Heilandes, daß wir ihm getrost in's Auge sehen und ihn willkommen heißen können/wenn der Herr es wollte, heute noch? — Mit dieser Frage an unser Gewissen laßt uns in das neue Jahr hinübergehen! Amen.

Die flöhe Demuth eines treuen Jnngrrs Les Herr». Predigt am Sonntage Seragesimä. Tert : 2 Kor. H, 19-12, 9. Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes

des Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit

uns allen!

Geliebte in dem Herrn!

Wir stehen heute auf der Grenze

zwischen zweien von den festlichen Zeiten des Kirchenjahres.

Bis­

her hat die Kirche die Erscheinung des Herrn gefeiert und daran gedacht, wie das Licht der Welt, welches in dem Heilande uns geboren ist, die Könige der Heiden aus fernen Landen zu seiner Verehrung herbeirief, und wie von der Zeit an, da der zwölf­

jährige Knabe die Lehrer im Tempel in Staunen setzte mit seinen

Fragen und Antworten, bis zu seiner Verklärung auf dem Berge, jenes Licht in belebenden, ewigen Worten und in wundervollen Werken immer heller und heller erglänzte. V a u r, Predigten.

Bisher also ging 5

66 unser Weg aufwärts, empor zu den lichten Höhen, die von der Sonne des Lebens bestrahlt sind.

Noch eine kleine Weile,

und

unser Weg wird abwärts gehen, hincch bis zu den Schatten des Noch eine kleine Weile, und die Kirche feiert in der

Todes.

Fastenzeit das Leiden und den Tod des Herrn.

Wenn man nun

auf einer solchen Wegscheide steht, da ist eS ja wohl in der Ordnung, daß man zurückblickt auf den Weg, den wir bereits

zurückgelegt haben, und hinaus auf den, welcher noch vor uns liegt.

Warum dort so helles Licht und hier so dunkler Schatten?

Warum dort so freudiges Wirken unseres Herrn,

und hier so

bitteres Leiden, so schmerzvoller Tod? — Der Evangelist Jo­ hannes gibt uns Antwort auf diese Fragen : «Das Licht schien

in die Finsterniß, und die Finsterniß hat eS nicht begriffen.«

Laßt uns doch, Geliebte in dem Herrn, dieß Wort nicht anhören als ein nur auf die Vergangenheit sich beziehendes, auf das,

was vor achtzehnhundert und einigen Jahren geschehen ist! Laßt

eö uns vielmehr übersetzen in die gegenwärtige Zeit!

Dann

lautet eö: DaS Licht scheint in die Finsterniß, und die Finster­ niß begreift es nicht! oder noch bestimmter: Daö Licht scheint

in mein und dein, in unser aller von der Sünde verdunkeltes Herz, und die Finsterniß unserer Herzen begreift eö nicht!

Und

sollte denn nicht auch auf unsere Stadt das Wort des Herrn noch Anwendung finden : „Jerusalem, Jerusalem, — wie oft

habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre

Küchlein versammelt unter ihre Flügel,

wollt!«

und ihr habt nicht ge­

Ja, meine geliebten Freunde, noch immer streckt der

Heiland die rettende Hand uns entgegen, und die Finsterniß des

menschlichen Herzens, das war nicht blos, das ist auch noch der Grund davon, daß das Wirken deö Herrn, der ja mit seinem Geiste bei uns sein will bis an das Ende der Welt, in Leiden sich verwandelt;

und so lange wir der Sünde dienen, die ihn

an'S Kreuz geschlagen, theilen wir auch die Schuld seines Todes. Ach, daß wir doch seinem treuen Wirken allezeit ein empfäng­ liches Herz entgegen brächten! — Zu solchen Betrachtungen und Gebeten soll der heutige Sonntag uns auffordern.

Das vorhin

verlesene Evangelium hält unS im Gleichnisse von dem Sämanne die verschiedene Art vor, wie das Wort deS Herrn aufgenom-

mcn wird, wie so vieles auf den Weg fällt, da es nicht Wurzel schlagen kann, und auf das Steinige, da es verdorret, und unter die Dornen,

da es erstickt wird; etliches aber auch auf gutes

Land, da es aufgeht und Frucht bringt. zu dem guten Lande?

Gehören unsere Herzen

Zur Beantwortung dieser Frage hält

uns der heutige epistolische Text einen Spiegel vor in einem Worte deS Apostels Paulus an die Korinther.

Laßt mich, bevor

ich diesen überaus merkwürdigen Text verlese, einige erläuternde Worte vorausschicken.

Nächst seinen geliebten Christen zu Philippi, der ersten Ge­ meinde, welche er auf europäischem Boden gegründet, stand wohl

zu keiner Gemeinde unser Apostel in so inniger Beziehung, als zu der von Korinth : einen großen Theil seiner Wirksamkeit brachte er in ihrer Mitte zu, zwei umfangreiche Briefe an sie

lesen wir in der heiligen Schrift, und nirgends hat so klar und vollständig, wie in diesen Briefen, Paulus nicht nur die inner­ sten Tiefen seines christlichen Glaubens, sondern auch seine ge-

sammten persönlichen Eigenthümlichkeiten, Erfahrungen und Vcrhältnisse dargclegt.

Auch hatte sein Wort dort guten Boden

gefunden und reiche Frucht getragen.

Aber auch an dem Unkraut

fehlte eS nicht, das in großen, reichen Städten so gerne auf­ wuchert.

Es fehlte nicht an jenem starken Hang zur Sinnenlust,

an jenem geistlichen Dünkel, an jenem Wankelmuth des Sinnes, dem immer das Neueste das Beßte ist.

So hatten sich nament­

lich viele Korinther um verschiedene Lehrer gesammelt, die nach

Paulus auftraten und großentheils nicht die Ehre deS Herrn

und den Vortheil der Gemeinde, sondern nur ihren eigenen Ruhm und Gewinn suchten.

ES war dadurch ein so leidenschaftliches

Partcitreiben entstanden, daß der Herr selbst, dem doch Alle zu dienen vorgaben,

darüber vergessen wurde,

und daß Viele auf

den Lehrer mit Geringschätzung herabsahen, der den ersten Grund der Heilslehre in ihnen gelegt.

Unser Apostel nun glaubt zu

solchem Treiben nicht schweigen zn dürfen, nicht um der eigenen 5*

68 Ehre willen, sondern weil er die Sache de- Herrn dadurch ge­

wie er zu

fährdet steht, und so hält er den Korinthern vor,

Christo steht und wie zu ihnen, wa- er für sie gethan und ge­ litten, und

eben damit

stellt er

uns zugleich ein Bild eines

wahren Jüngers des Herrn auf, darin wir uns spiegeln sollen. So heißt denn unser Text im 2. Briefe Pauli an die Korinther

vom

19. VerS des 11. Kapitels bis zum 9. Vers des 12. fol­

gendermaßen :

"19.

Den»

klug

seyd.

ihr

vertraget

20.

die Narren,

gern

Ihr vertraget,

so

euch

dieweil ihr Jemand

zu

Knechten macht, so ench Jemand schindet, so euch Jemand nimmt, so euch Jemand

trotzt,

so euch Jemand in das

21. Daü sage ich nach der Unehre,

Angesicht streichet.

Worauf nun Jemand

al- wären wir schwach geworden.

kühn ist (ich rede in Thorheit), darauf bin ich auch kühn.

22. Sie sind Ebräer, auch.

ich auch.

Sie sind Jsraeliter,

Sie sind Abraham- Saame, ich auch.

23.

ich

Sie

sind Diener Christi (ich rede thörlich), ich bin wohl mehr. Ich habe mehr gearbeitet, ich habe mehr Schläge erlitten,

ich bin öfter- gefangen, oft in Tode-nöthen gnwesen.

Bon

den

Juden

Streiche weniger

habe

ein-.

ich

fünfmal

25. Ich

empfange«

24.

vierzig

bin dreimal gestäupet,

einmal gesteiniget, dreimal habe ich Schiffbruch

erlitte«,

Tag und Nacht habe ich zugebracht in der Tiefe (de- Mee­ re-).

26. Ich habe oft gereiset; ich bin in Gefahr gewe­

sen zu Wasser, in Gefahr unter den Mördern, in Gefahr

unter den Juden, in Gefahr unter den Heiden, in Gefahr in den Städten, in Gefahr in der Wüste,

in Gefahr auf

dem Meere» in Gefahr unter den falsche« Brüdern;

in Mühe und

27.

Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und

Durst, in viel Faste», in Frost und Blöße; 28. ohne was sich sonst zuträgt, nämlich, daß ich täglich werde angelaufen

und trage Sorge für alle Gemeinen.

29. Wer ist schwach,

und ich werde nicht schwach? Wer wird geärgert, und ich

brenne nicht? 30. So ich mich je rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen. 31. Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, welcher sey gelobet in Ewig­ keit, weiß, daß ich nicht lüge. 32. Zu Damaskus, der Landpfleger des Königs Areta verwahrete die Stadt der DamaSker, und wollte mich greifen; 33. und ich ward in einem Korbe zum Fenster aus durch die Mauer niederge­ lassen, und entrann aus seinen Händen.

1. Es ist mir ja das Rühmen nichts nütze, doch will ich kommen auf die Gesichte und Offenbarungen des Herrn. 2. Ich kenne einen Menschen in Christo, vor vierzehn Jahren (ist er in dem Leibe gewesen, so weiß ich eS nicht; oder ist er außer dem Leibe gewesen, so weiß ich eS auch nicht; Gott weiß eS); derselbigc ward entzückt bis in den dritten Himmel. 3. Und ich kenne denselbigen Menschen (ob er in dem Leibe, oder außer dem Leibe gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß eS). 4. Er ward entzückt in daü Paradies, und hörete unaussprechliche Worte, welche kein Mensch sagen kann. 5. Davon will ich mich rühmen, von mir selbst aber will ich mich nichts rühmen, ohne meiner Schwachheit. 6. Und so ich mich rühmen wollte, thäte ich darum nicht thörlich; denn ich wollte die Wahr­ heit sagen. Ich enthalte mich aber deß, auf daß nicht Jemand mich höher achte, denn er an mir siehet, oder von mir höret. 7. Und auf daß ich mich nicht der hohen Offen­ barung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl in'S Fleisch, nämlich deS Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf daß ich mich nicht überhebt. 8. Dafür ich dreimal dem Herrn gestehet habe, daß er von mir wiche. 9. Und er hat zu mir gesagt: Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in de» Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf daß die Kraft Christi bei mir wohne."

70 Ihr sehet, geliebten Freunde, das ist ein sehr reicher Text.

Ihn auspredigen zu wollen in einer Predigt, kann mir nicht einfallcn. Wir müssen unS darauf beschränken, uns seinen wesent­

lichen InhaU klar und fruchtbar zu machen für unsere Erbauung.

Offenbar aber geht durch das Ganze ein immer wiederkehrcnder Grundgedanke des Apostels hindurch, der Gedanke, daß er sich

nur rühmen dürfe der eigenen Schwachheit und der Kraft, die

ihm inwohne dnrch die Gnade des Herrn.

Auf der einen Seite

also das demüthige Gefühl der eigenen Schwäche, auf der anderen das stolze Vertrauen auf die Kraft des Herrn : wir dürfen das

die stolze Demuth eines treuen Jüngers des Herrn

nennen.

Und von ihr will ich jetzt reden.

Wir richten an un­

seren Text die Frage, worauf diese stolze Demuth sich gründe, und indem wir seinem Gange folgen, erhalten wir die Antwort: Sie

gründet

sich

auf

Kraft des Herrn,

das

freudige

Wirken

in

der

auf das selige Bewußtseyn

der

Gemeinschaft mit dem Herrn, auf das mit dem demüthi­

gen Gefühl unserer Schwachheit sich verbindende volleGenüge an der Gnade deö Herrn.

I.

Der Anfang unseres Textes also, der uns darlegt, was der

Apostel gearbeitet und geduldet hat im Dienste deö Herrn, der zeigt uns, wie die stolze Demuth eines treuen Jüngers Christi

zuerst sich gründe auf sein freudiges Wirken in der Kraft des Herrn. Freunde!

In der Kraft deö

Herrn, meine geliebten

Denn nicht dahin wollen wir daö Selbstrühmen des

Apostels mißverstehen,

als ob wir uns dessen rühmen dürften,

was wir auörichten mit unserer Einsicht und unserer Kraft, viel­ mehr wollen wir gedenken des Wortes Christi: "Wenn ihr Alles

gethan habt, was euch befohlen ist, so sprechet : Wir sind un­ nütze Knechte gewesen, wir haben gethan, was wir zu thun schuldig

waren" (Luc. 17,16); und des Wortes des Propheten : --Ein Weiser

rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichthums, sondern wer

sich rühmen will, der rühme sich deS Herrn" (Ier. 9, 23), und des Wortes, welches der Apostel Paulus selbst an einer anderen

Stelle den Korinther» schreibt : „Was hast du aber, das du

nicht empfangen hast?

So du es aber empfangen hast,

was

rühmest du dich denn als der es nicht empfangen hätte?" Wollt

ihr sehen, was selbst Paulus zu Stande brachte nach eigener Einsicht und durch eigene Kraft, nun so sehet auf jenen Jung

ling, der Sauluö hieß, zu dessen Füßen bei der Steinigung des

Stephanus die Zeugen ihre Kleider »iederlegten, und der Wohl­

gefallen hatte am Tode dieses Gerechten. der zerstöret

So sehet den Sauluö,

die Gemeinde des Herrn, hin und her geht in die

Häuser, und Männer und Weiber hervorziehet und sie überant­

wortet in das Gefängniß! So sehet den Sauluö, der unablässig

schnaubet mit Drohen und Morden wider die Jünger dcö Herrn

und mit Briefen vom Hohenpriester nach Damaskus geht, um

auch von dort die Vekenner Jesu von Nazareth gebunden zu füh­ ren »ach Jerusalem!

Da aber ergriff ihn die gewaltige, gnädige

Hand des Herrn und demüthigte ihn, um ihn zu erhöhen.

Sie

beugte den stolzen Verächter Jesu von Nazareth nieder zu der

aus zerknirschtem Herzen sich losringenden demüthigen Frage: „Herr,

waö willst du, das ich thun soll?« (Apostelg. 9,6.) Sie erhob ihn mit der Antwort, daß er hingehen solle, alö deö Herrn auserwähltes

Rüstzeug, feinen Namen zu tragen vor den Heiden und vor den Königen, und vor den Kindern Israel!

Und jetzt erst, in der

Kraft des Herrn, beginnt daö ruhmeswürdige Wirken deS Apostels. Zn den Schule», da er früher die Jünger gepeinigt, prediget er

jetzt Christum, daß derselbe Gottes Sohn seh. Predigt hinüber über das Meer. noch prediget er seinen Herrn!

Er trägt diese

Auch in Ketten und Banden

Der heidnische Kerkermeister zu

Philippi liegt vor ihm und seinem Genossen SilaS auf den Knieen

und spricht :

„Liebe Herrn, waS soll ich thun, daß ich selig

werde?« Zu Athen, beim Altare deS unbekannten Gottes, macht

er die Weisheit der Weifen zu Schanden in dem demüthigen

72 Bewußtsein : «Ich lasse mich nicht dünken, daß ich etwas wüßte unter euch ohne allein Jesum Christum, den Gekreuzigten." Der

König Agrippa und der Landpfleger Festus verstummen vor sei­ nem freudigen Zeugnisse, auS welchem die Schauer der ewigen,

unsichtbaren Macht sie anwehen, die stärker ist, denn Thron und Scepter; und damit er dem Herrn, von dem er Alles empfangen, auch Alles dahingebe, legt er endlich zu Rom das treue Haupt

freudig auf den Richtblock.

Ja, geliebten Freunde, das war esti

treuer Jünger seines Herrn!

Wie herrlich steht sein Bild vor

uns da! — und wie beschämend, doppelt beschämend, wenn wir nun lesen, wie dieses auserwählte Rüstzeug des Herrn im ersten

Briefe an die Korinther schreibt : den Aposteln,

„Ich bin der geringste unter

als der ich nicht werth bin, daß ich ein Apostel

heiße, darum, daß ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber von Gottes Gnaden bin ich, das ich bin, und seine Gnade an

mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr ge­

arbeitet, denn sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist."

In diesem Sinne, geliebten Freunde, wollen

wir verstehen, was Paulus in unserem Texte rühmet von dem,

was er als Diener Christi gearbeitet und gelitten, in äußerem

Wirken und Dulden sowohl, als innerlich in seinem treuen Her­

zen, in welchem er mit rechter Hirtentreue allezeit Sorge trug

für alle Gemeinden.

Möchte doch Gott uns allen einigen An­

theil verleihen an diesem Selbstrühmen des Apostels, an diesem

Rühmen der eigenen Schwachheit und der göttlichen Kraft!

II. Ich komme zu dem zweiten Punkte, auf welchen unser Text

in seinem Verlaufe uns führt. Ein weiterer Grund für die stolze Demuth eines treuen Jüngers des Herrn liegt in dem seligen Bewußtsein seiner Gemeinschaft mit dem Herrn.

Ist

es nicht schmerzlich zu sehen, geliebten Freunde, in dem Theile des Textes, welchen wir bisher besprochen, wie das, was der

Apostel von der Arbeit erzählen will, die er im Dienste des

Herrn gethan, sofort sich umwandelt in eine Erzählung von den hundertfältigen Leiden und Gefahren, die er in seinem Dienste

Ja, geliebte Mitchristen, wir sind theuer erkauft :

bestanden?

wirken für Christum und leiden,

daS war damals eins,

und

der Boden, in welchem das himmlische Senfkorn des Evangeliums wachsen

und

gedeihen sollte,

Blute der Märtyrer.

mußte getränkt werden mit dem

Und was war eS denn, waS dem Apostel

in Wachen und Mühen, in Hunger und Durst, in Frost und Blöße, in allen Fährden und Nöthen, Leibes und Lebens, die er

zu bestehen hatte, in seinem Kampfe mit der Welt die volle Freu­ digkeit der Seele bewahrte?

Es war die Gewißheit, daß er in

diesem Kampfe den Herrn zu seiner Rechten hatte, und von der

Darstellung seiner Leiden wendet er sich im Texte zu den seligsten Erfahrungen seiner Gemeinschaft mit dem Herrn, deren Erinne­

rung in hellem

Sonnenglanze im Allerheiligsten seiner Seele

stand, ein herzerquickendes Licht in allen Finsternissen.

Es heißt

in einem alten schönen Liede :

ES glänzet der Christen inwendiges Leben, Obgleich fit von außen die Sonne verbrannt. Was ihnen der König des Himmels gegeben, Ist Keinem, als ihnen nur selber bekannt. Auch dem Apostel wird es schwer, von dem zu reden, waS die Seele bisher als ihr eigenstes, theuerstes Geheimniß bewahrte.

Schon von seinem äußeren Wirken sprach er ungern, nur ge­

zwungen durch das Treiben seiner Gegner.

"Es ist mir ja»,

so spricht er, »des Rühmens nichts nütze, doch aber will ich kom­

men auf die Gesichte und Offenbarungen Gottes», und so lüftet er mit schüchterner Hand den Vorhang vor seinem Allerheiligsten und läßt uns einen Blick thun in daS, was da sich begeben in

seligen Augenblicken.

DaS himmlische Kleinod, dem er nachjagte,

um dessen willen er abzuscheiden und bei Christo zu seyn wünschte, das zu erlangen er im Glauben hoffte, die Seligkeit des ewigen

Lebens, sie hatte vor seinem Schauen offen gelegen; sein trunke­ ner Geist war erhoben über die Leiden der Zeit, entrückt den

Schranken des leiblichen Lebens, und in überirdischen Regionen

hörte er unaussprechliche Worte, welche kein Mensch sagen kann. Und von diesen großen inneren Erlebnissen aus verbreitete sich über sein ganzes inneres Leben ein lichter Glanz, den kein Leiden

der Zeit verdunkeln konnte.

„Darum", so spricht er, „werden

wir nicht müde, sondern ob unser äußerlicher Mensch verweset, so wird doch der innerliche von Tag zu Tag erneuert"; und im vollen Frieden einer Seele, die alle Angst des Irdischen abge­

schüttelt hat und hier schon ganz eins geworden ist mit dem, der

die Liebe selber ist, ruft er aus seiner römischen Gefangenschaft seinen lieben Christen in Philippi die rührenden Worte voll gött­

licher Milde zu :

„Freuet euch in dem Herrn allerwegen, und

abermal sage ich : Freuet euch. Eure Lindigkeit lasset kund sehn allen Menschen.

Der Herr ist nahe.

Sorget nichts; sondern

in allen Dingen lasset eure Bitte im Gebet und Flehen mit Dank­ sagung vor Gott kund werden.

Und der Friede Gottes, welcher

höher ist, denn alle Vernunft, bewahre euere Herzen und Sinne in Christo Jesu." (Phil.4,4 ff.) Ihr wißt, meine geliebten Freunde, in diesen letzten Worten des Apostels wird alle Sonntage von alle»

unseren Kanzeln gebetet. an unseren Herzen?

Ist dieses Gebet schon gesegnet worden

Haben wir auch schon gespürt den Frieden

Gottes, der höher ist, denn alle Vernunft?

Haben wir auch

in unserem Leben — ich will nicht sagen die entzückenden Ge­ sichte des feurigen Rüstzeuges des Herrn, aber doch Augenblicke

gehabt,

da wir der Gemeinschaft mit unserem Gott mit der

seligen Freude uns belvußt wurden, die keinem Christenleben

fehlen darf? Vielleicht muß unsere Erinnerung weit zurückgehen, um solche Augenblicke zu finden, vierzehn Jahre wie der Apostel

und länger, vielleicht bis zum vierzehnten Jahre, bis zu dem Augenblicke, da wir dem Herrn am Altare Treue gelobten und

ausgenommen wurden in die Gemeinschaft der mündigen Christen.

Aber damals waren doch wohl die meisten in der Stimmung, die uns die schönen Worte des Dichters verständlich macht :

Da senkte sich der HimmclSlicbe Kuß Auf mich herab in ernster Sabbathstille; Da klang so ahnungsvoll des GlockentoneS Fülle Und ein Gebet war brünstiger Genuß.

Wie traurig, daß eS vielleicht schon lange, lange nicht mehr so ist! Aber auch im späteren Leben kommen wohl ähnliche Augenblicke noch vor. Ich führe euch aus der Kirche hinein in einen häuslichen Kreis. Da sind alle Borbereitungen getroffen zur Taufe des Erstgeborenen. Vielleicht gilt sie den Eltern nur als ein heiteres Familienfest, und sic haben nicht daran gedacht, daß cö hier um das gleich Gottes sich handelt, das in etwas Anderem besteht, denn in Essen und Trinken. Aber wie nun der Geistliche nach dem Gebote dcS Herrn iin Namen deö dreieinigen Gottes das Haupt des Kindes mit dem Wasserbade netzt, siche, da zeigen zwei seltene, zwei kostbare Perlen im Auge des Vaters, daß ihn der Gedanke durchzuckt hat, wie er doch so hoch begna­ digt sei vom Vater im Himmel, und daß er ein heißes, stummes Gebet zu ihm gesandt hat, er möge doch seine schützende Hand nicht wegwendcn von diesem Kinde, und man fühlet daö geheime Wehen des Geistes dessen, der verheißen hat : Wo zwei oder drei beisammen sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen! Und so laßt unö noch einen Schritt zusammen thun — eS ist ja nicht weit von der Wiege deS Kindes — nur den kurzen Schritt von der Wiege zum Sarg! Wem schnitte nicht der An­ blick dieses trauernden Weibes in daö Herz? Sie selbst scheint todt zu sehn für die Welt, sie sicht nicht, was um sie herum vergeht, sic hört nicht, was die Freunde ihr zum Troste sagen, sie will nichts mehr wissen von der Erde, noch von dem Himmel, alle Lust zum Handeln ist ihr benommen, ihre Kraft zum Wollen ist ihr gänzlich gebrochen; denn Alles, warum ihr das Leben des Lebens >verth erschien, eS liegt todt in diesem Sarge. Auf ein­ mal aber steigt sie auf. Wie die Sonne durch Regentropfen, so leuchtet aus ihren Augen ein milder Glanz. Freundlich reicht sie den Freunden die Hand, sic spricht wenig, aber so ergeben, so

76 milde, so liebevoll und mit stiller Sorge bestellt sie wieder die Geschäfte ihres Hauses. Weibe?

Was ist wohl vorgegangen mit diesem

Hat eins der ewigen Trostworte der Schrift ihr Herz

ergriffen, vielleicht das »Bestehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf

ihn, er wird's wohl machen» (Ps. 37, 5); oder dieses, »daß dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht werth sind, die an unS soll geoffen-

baret werden" ? (Röm. 8,18.) Oder hat sie, wie der Apostel, unaus­ sprechliche Worte vernommen, die kein Mensch sagen kann? Wir

wissen eS nicht, das aber wissen wir, daß sie in tiefster Seele

der Gemeinschaft mit dem gewiß geworden ist, der da spricht : »Wer überwindet, der wird Alles ererben, und ich werde sein Gott seyn, und er wird mein Sohn sehn.» (Offenb. 21,7.) Ich glaube be­

stimmt , daß in dieser Versammlung Niemand ist, der nicht zu dem einen oder dem anderen der angeführten Beispiele aus eige­

ner Erfahrung ähnliche beizufügen im Stande wäre, Beispiele von Augenblicken, da ihn das Bewußtsein seiner Gemeinschaft

mit dem Herrn so lebendig durchdrang, daß er mit dem Psalmisten hätte rufen können: „Herr, wenn ich dich nur habe, so frage

ich nicht nach Himmel und nach Erde!« (Ps. 73, 25.) Wie arm und

leer wäre auch daö Leben, das solcher Augenblicke gänzlich ent­ behrte!

Aber wie traurig ist es auch, daß das Bewußtsein un­

serer Gemeinschaft mit dem Herrn meist nur wie ein Lichtblitz

als eine flüchtige Gefühlswallung in unser Leben eintritt.

Wie

glücklich wären wir, wenn wir das Geheimniß verstünden, es zur

festen Sonne unseres Lebens zu machen, die all' unserem Denken und Wollen und Thun von innen heraus Lebenslicht und Lebens­

wärme verleiht !

III.

Auch dieß Geheimniß lehrt uns unser Text, wenn er uns schließlich zeigt, wie die stolze Demuth eines treuen Jüngers des

Herrn sich gründet auf das mit dem demüthigen Gefühl unserer Schwachheit sich verbindende volle Genügen

an der Gnade des Herrn.

Der Apostel führt diesen letzten

Grund an in den Schlußworten unseres Textes : »Darum will

ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf daß die Kraft bei mir wohne», und in diesem letzten Grunde liegt eigentlich auch die Begründung für alles Frühere : nur weil er sich schwach fühlt von sich selbst und stark nur durch die Gnade

des Herrn, durste er sich dessen rühmen, was ihm gelungen war in der Kraft des Herrn, nur darum stehen die Augenblicke, da die Offenbarungen Gottes über seine menschliche Schwäche ihn

emporhoben, so hell in seiner Erinnerung. Ja, geliebte Freunde,

das Geheimniß, wodurch wir der helfenden Kraft des Herrn allezeit gewiß werden und das selige Bewußtseyn unserer Ge­

meinschaft

mit

dem Herrn zu unserem bleibenden Eigenthume

machen können, es besteht darin, daß wir unsere Schwachheit recht gründlich erkennen und sie vor Gott und vor uns selbst recht ehrlich bekennen.

„Wo Gott eingehen soll", so hat einmal

Johann Tauler, einer der Vorläufer unseres Luther, gepredigt, »wo Gott eingehen soll, da müssen alle anderen Dinge aus­

gehen.»

Er kann nicht zusammenwohnen mit menschlichem Hoch­

muthe und menschlicher Selbstgerechtigkeit, sondern »die Opfer,

die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist: ein geängstetes und

zerschlagenes Herz wird Gott nicht verachten" (Ps.5I,I9). Und liegt denn nicht in dem Bekenntnisse zu Christo, als unserem Erlöser, schon, daß wir selbst uns nicht zu erlösen vermögen? Liegt nicht

in unserem Bekenntnisse zum Heiland schon, daß wir selbst unser Heil nicht zu schaffen vermögen; denn die Gesunden würden ja des Arztes nicht bedürfen?

keit gegen

Und doch sträubt sich unsere Eitel­

das Bekenntniß unserer Schwachheit?

Mögen wir

denn Demuth lernen von dem Apostel, der mehr gearbeitet hat, denn sie alle!

Auch kann uns sein Beispiel den Irrthum be­

nehmen, als ob diejenigen, welche der eigenen Kraft mißtrauend, an die göttliche Gnade sich wenden, solche wären, die jedes kräf­

tigen eigenen Strebens unfähig sind, leichtsinnige, träge, feige Schwächlinge.

O nein, mein christlicher Bruder, so ist es nicht!

Vielmehr gerade, wenn du dich recht beeiferst, dem göttlichen Gebote zu genügen, gerade dann wirst du inne, daß hier der

Eifer der Eifrigsten nicht ausreicht.

Denn siehe nur zu: da hast

du die heiligen Gebote Gottes vor Augen, und deiner Gewissen­

haftigkeit gelingt es vielleicht, äußere Handlungen zu vermeiden, durch die sie verletzt werden.

Aber du hast doch auch neben den

Geboten die Auslegung Christi, worin es heißt.:

Bruder zürnet, der ist ein Todtschläger."

»Wer seinem

Wie nun?

Wirst

du bei allem Eifer für die Erftillung des Gesetzes die 'sündigen

Gedanken los?

Bleibt nicht bei aller Gesetzesgerechtigkeit das

innere Widerstreben des Willens zurück? Bleibst du nicht bei aller Pflichttreue in dem Gegensatze befangen, den Paulus im 7. Ca­

pitel des Briefes an die Römer schildert, dem Gegensatze zwischen

dem Gesetze Gottes und der Sünden Gesetz in deinen Gliedern, das uns gefangen nimmt?

Eine Gefangenschaft, die selbst dem

Apostel den schmerzvollen Seufzer ausgepreßt hat : „Ich elender Mensch!

wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todtes?"

Dieser innere Widerstreit des Willens gegen Gott wird nicht aufgehoben durch bloße Besserung unseres äußeren

Wandels,

sondern da gilt es vollkommene Erneuerung des Sinnes, oder wie Christus

zu Nikodemus sagte :

"Wahrlich, wahrlich, ich

sage dir : es seh denn, daß Jemand von neuem geboren werde,

kann er das Reich Gottes nicht sehen."

Und wie kommt diese

Wiedergeburt zu Stande? Sie kommt eben dadurch zu Stande, daß wir im demüthigen Gefühle unserer Schwäche, in der herz­

lichen Sehnsucht, erlöst zu werden von dem Elend der Sünde

und des geistigen Todes, an die Kraft unseres Herrn uns wen­

den.

Er hält in der Kraft seines heiligen Geistes Einzug in

unser zerschlagenes Herz und durchdringt unser ganzes Wesen mit neuem, göttlichem Leben, also daß wir dann auch mit dem Apostel sprechen können : »Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern in mir

Christus!"

Und doch sind wir auch dann unserer menschlichen

Schwachheit nicht völlig entnommen: die Sünde in uns ist durch

die Kraft deö Herrn besiegt, aber noch nicht ertödtet.

Höret,

was selbst der Apostel sagt : »Und auf daß ich mich nicht der hohen Offenbarung

übcrhebe,

ist mir gezogen ein Pfahl in'S

Fleisch, nämlich deS Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage,

auf daß ich mich nicht überhebe.

Dafür ich dreimal den Herrn

gestehet habe, daß er von mir wiche. Und er hat zu mir gesagt: Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in dem

Schwachen mächtig!«

Das sind zum Theil räthsclhafte Worte.

Aber waö auch damit gemeint sein möge, seyen eS Hindernisse,

die Pauluö entgegcntraten in seinem apostolischen Wirken, seyen es körperliche Leiden, sey eS die Macht der Sünde, die selbst

den großen Apostel in einzelnen Augenblicken daran erinnerte, daß er dem Erdenleben noch nicht entnommen sey, — jedenfalls sind mit jenen Worten Anfechtungen bezeichnet, welche sein freu­

diges Wirken im Dienste Christi und sein seliges Bewußtseyn der Gemeinschaft

mit

ihm

störten.

Und

werden in keinem Ehristcnleben fehlen.

solche Anfechtungen

Möge nur dann auch

unö, wie dem Apostel, Gott stets nahe seyn mit dem tröstlichen

Worte : „Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft

ist in dem Schwachen mächtig!»

Dann dürfen wir solcher An­

fechtungen uns freuen : sie warnen uns, daß wir uns nicht über­

heben ;

daö

drückende Gefühl

unserer eigenen Ohnmacht läßt

unS nur mit so lebendiger daö Bedürfniß empfinden nach seinem

kräftigen Beistand, und die Ocde der Stunden der Gottvcrlasscnheit steigert nur die Sehnsucht nach der ungetrübten seligen Ge­

meinschaft mit ihm.

lind mit diesem Sinne, Geliebte in dem

Herrn, wollen wir der Zeit entgegengchen, die der Erinnerung an die Leiden unseres Herrn und Heilandes geweiht

ist, damit

der alte Mensch der Sünde in unö immer mehr sterbe mit ihm,

und dann auch der neue Mensch, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit, mit ihm auferwache zum göttlichen Leben!

Laßt mich, geliebten Freunde, damit schließen, daß auch ich nach dem Beispiele dcö Apostels meiner Schwachheit mich rühme!

Als ich diese Predigt vorbereitete, da wollte mir Gedanke und

80

Wort gar wenig genügen, und ost war eS mir, alt ob ich mich schämen müßte, vor die Gemeinde zu treten mit einer so schwächst Auslegung eines so gewaltigen Textes. Aber eS gereichte auch mir zum Troste das Wort des Herrn : «Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in dem Schwachen mäch­ tig!» Möge er mit seiner Kraft das schwache Wort seines Die­ ners an den Herzen der Hörer segnen! Amen!

VI.

Des Apostels Paolos Preis -er Liebe. Predigt, im akademischen Gottesdienste gehalten, am L Sonntage in den Fasten.

Tert: i. Cor. 13, 1 — 13. Lieber Vater im Himmel, wir sagen dir Dank, daß du die heilige

Zeit uns wieder hast erleben lassen, da in deiner Kirche das

Leiden deines lieben Sohnes, unseres Herrn und Heilande-

Jesu Christi, verkündet wird!

Gieb doch, daß das heilige

Feuer der göttlichen Liebe, welche in diesem Leiden sich offen­

baret, in unser Aller Herzen zünde, daß es dort alle Selbst­ sucht und Alles, was unrein ist, völlig verzehre, und unser

Herz zu einer Stätte weihe, da du gerne Wohnung machest!

Amen.

Dem heutigen Sonntage, Geliebte in dem Herrn, mit wel­ chem wir die erste Woche der heiligen Passionszeit antreten, ist

durch Preis

die kirchliche Sitte

der Liebe

Baur, Predigten.

zu

die schöne Aufgabe geworden,

verkündigen.

den

Den epistolischen Text 6

82

nämlich, welcher für diesen Sonntag bestimmt ist, bildet das 13. Capitel im 1. Briefe des Paulus an die Corinther. Dort heißt es in euch Allen gar wohlbekannten und theuren Wor­ ten also:

//l. Wenn ich mit Menschen- und mit Eugelzungeo redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ei« tönendes Er;, oder eine klingende Schelle. 2. Und wenn ich weissagen könnte, nnd wüßte alle Geheimnisse, und alle Erkenntniß, und hätte allen Glauben, also, daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. 3. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir es nichts nütze. 4. Die Liebe ist langmüthig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Muthwillen, sie blähet sich nicht. 5. Sie stellet sich nicht ungeberdig, sie suchet nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie trachtet nicht nach Schaden. 6. Sie freuet sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freuet sich aber der Wahrheit. 7. Sie verträgt Alles, sie glaubet Alles, sie hoffet Alles, sie duldet Alles. 8. Die Liebe höret nimmer auf, so doch die Weissagungen aufhören werden, und die Sprachen aufhören werden, und das Er­ kenntniß aufhören wird. 9. Denn unser Wissen ist Stück­ werk, und unser Weissagen ist Stückwerk. 10. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. 11. Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind, und war klug wie ein Kind, und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, that ich ab, waü kindisch war. 12. Wir sehen setzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Worte; dann aber von Angesicht zu Ange­ sicht. Jetzt erkenne ich eS stückweise, dann aber werde ich eS erkennen, gleichwie ich erkannt bin. 13. Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größeste unter ihnen."

WaS ist das für ein herrlicher Text, Geliebte! ich nicht vielmehr sagen :

Oder soll

WaS ist das für ein herrlicher, be­

geisterter, feuriger Lobgesang des Apostels zum Preise der Liebe |

Wo wäre es je einem Dichter gelungen, so die Liebe zu verherr­

lichen!

Unser theuerer Meister Luther hat eine Predigt über

diesen Text mit den Worten angefangen : „Diese Epistel schrei­ bet St. Paulus, zu stillen und zu demüthigen die Hoffärtigen

unter den Christen, sonderlich die Lehrer und Prediger«!

Ach ja

wohl, meine geliebten Freunde, muß eS unsere Hoffart beugen,

wenn wir mit jener reinen, starken, ewigen Liebe, deren hohe» Bild der Apostel uns vorhält, die unreine, schwache, beschränste

Liebe vergleichen, deren wir uns rühmen möchten!

Ja wohl

muß es sonderlich dem Prediger zur Demüthigung gereichen, wenn

ihm die Aufgabe wird, zu predigen über einen solchen Text! Muß er nicht fürchten, mit jedem seiner Worte nur den Eindruck

deS apostolischen zu schwächen,

und

mit plumper Hand den

Schmelz abzuwischen, den eigenthümlichen Zauber zu stören, wel­ cher auf diesen wunderbaren Worten liegt? Wohlan denn, meine Freunde, überlassen wir unsere Herzen eine Weile dem unmittel­

baren Eindrücke deS verlesenen Gotteswortes, und sammeln wir

uns

zu

seiner näheren

Betrachtung durch Beantwortung der

Vorfrage, warum denn die Kirche gerade diesen Text, diesen Preis der hohen, starken, ewigen Liebe auf die Pforte geschrie­ ben hat, durch welche wir eintreten in die ernste Zeit, da die

Kirche auf'S Neue das Leiden des Herrn feiert.

Darum, du theuer erkaufte Christengemeinde, weil die unend­

liche göttliche Liebe deS Heilandes eben die Quelle ist, aus wel­ cher all fein Leiden entsprang; weil dieses Leiden von seiner un­

endlichen Liebe zu uns den ergreifendsten Beweis giebt;

weil

darum durch die Betrachtung seines Leidens auch in uns die Flamme inniger Gegenliebe am stärksten entzündet werden muß,

und weil so eine Liebe, welche dem Bilde, das unser Text uns

vorhält, irgend nahe kommen soll, aus dem Glauben an den entspringen muß, der

für uns gelitten hat und gestorben ist.

Aber das ist ja wohl eine harte Rede für diejenigen unter euch, 6*

die da meinen, daß auf den Glauben gar nichts ankomme,

so

man nur Liebe unter einander habe. Es ist, Geliebte, mit dieser

glaubenslosen allgemeinen Menschenliebe eine eigene Sache und

eö ist bedeutsam, daß unser gefeierter Dichter diese Liebe, die

in unbestimmtem Drange Millionen umschlingen und einen Kuß der ganzen Welt geben möchte, gerade in seinem Liede an die

Freude verherrlicht, wo der Preis dieser Liebe mit dem fröhlichen Klange der sprudelnden Pokale sich mischt.

Ja, Geliebte, in

solch heiterem Kreise, da mag wohl diese allgemeine Menschenliebe die aufgeregten Herzen erweitern und in vorübergehender Wal­

lung auch einmal zu einem einzelnen Liebeswerke begeistern, aber

zu nachhaltigem Wirken draußen im Leben, zumal in der Noth des wirklichen Lebens, dazu hat sie keine Kraft; oder wo wären

denn die Nackten, die sie gekleidet, die Hungernden, die sie ge-

speis't, die Kranken, die sie geheilt, die Armenhäuser, die sie ge­ baut, die Wohlthätigkeitsanstalten, die sie gegründet hat? — Nein,

meine lieben Freunde, eine menschliche Liebe, die sich erheben soll über den natürlichen Trieb, den auch das Thier empfindet, muß

auf

das

Göttliche

in

dem

Nächsten

gerichtet

sehn,

und

um das Ebenbild Gottes im Bruder zu lieben, müssen wir an

den Gott-glaub en, dessen Bild er ist.

Aber freilich das Eben­

bild Gottes in dem Menschen wurde durch die Sünde immer mehr und mehr verdunkelt, am Ende so sehr, daß, daß es kaum mehr zu erkennen war; und da hatte es auch mit der Liebe unter

den Menschen ein Ende.

»Der Freund, so klagt ein heidnischer

Dichter zur Zeit von Christi Geburt, der Freund ist vor dem Freunde nicht sicher, der Schwiegervater nicht vor dem Schwieger­ sohn ; selbst Geschwisterliebe ist selten; der Mann wartet auf den Tod

der Frau, diese auf den- Tod des Mannes, und der Sohn be­

rechnet vor der Zeit, wie lange sein Vater noch möge zu leben haben."

Die festesten Bande der Natur waren zerrissen, die

heiligsten Familienverhältnisse mit Füßen getreten, geschweige, daß man fernestehender Armen und Nothleidenden mit liebender Sorge

gedacht hätte.

Wenn die vereinzelten

Glieder der Menschheit

wieder vereinigt werden sollten durch das Band der Liebe, so

mußte das verlorene Ebenbild Gottes in ihr erst wieder herge­

werden, so mußte die Welt

stellt

wieder finde».

ihren verlorenen Gott erst

Und so erschien der, von dem geschrieben stehet:

»Wir sahen seine Herrlichkeit als eine Herrlichkeit des eingebore­

ne» Sohnes vom Vater«! — Größere Liebe hat Niemand, denn die, daß er sein Leben lasse für seine Freunde! Heiland diesen

hatte,

Und als der

höchsten Beweis seiner göttlichen Liebe gegeben

da, als der Vorhang im Tempel zerriß und die Erde

erbebete und die Felsen zerrissen und die Gräber sich anfthaten, da, meine christlichen Brüder, zersprangen auch die ehernen Ringe,

die dreifach um das Herz der Menschheit gelegt schienen.

Der

alte, treue Gott hatte sich in seinem bis zum Kreuze gehorsamen eingeborenen Sohne in unendlicher Liebe herabgeneigt zu der ihm

entfremdeten Menschheit, bußfertig und

vertrauensvoll wie das

Herz des verlorenen Sohnes wandten jetzt viel verwilderte Her­

zen dem verlassenen Vater int Himmel sich wieder zu, und auch den

Brüdern schlossen sie sich auf :

seufzten koch Alle unter dem

Drucke derselben Sündenlast, war doch für Alle dasselbe Heil

gegründet in dem Gekreuzigten!

auf

Golgatha

ausgegangenen

Getränkt von dem vom Kreuze Licbcsstrome,

empor, die schönen Liebeöwerke,

wuchsen

sie

alle

tvelche die christliche Kirche

schmücken, von jener Urgemeinde zu Jerusalem an, von welcher cS heißt (Apostelg. 4, 32) : „Keiner sagte von seinen Gütern, daß sie sein wären, sondern cs war ihnen alles gemein, und man gab

einem

A. H.

jeglichen,

was

ihm noth war",

Franke's Waisenhaus zu Halle, bis

bis

herab auf

herab auf die

Missions- und Bibelgesellschaften, auf die Rcttungshäuser und Blindenanstalten der neueren und neuesten Zeit, der näheren oder

ferneren Umgebung.

Ja, Geliebte, Keinem zu Liebe seh eS ge­

sagt und Keinem zu Leide, sondern der Wahrheit zur Ehre und

unserem Heilande zur Ehre: Wenn unsere Liebe mehr sehn soll, als Abhülfe augenblicklicher Noth, mehr als eine Ausgeburt der

Furcht, es werde die zur Verzweiflung getriebene Armuth selbst sich nehmen, was der hartherzige Reichthum ihr verweigert, wenn sie nachhaltig, gründlich helfen soll, so muß sie im Glauben an

86 den Herrn wurzeln, der für uns Leiden und Tod erduldet

hat.

Und so dächte ich, wir brauchen jetzt nicht weiter zu fragen,

warum unser Text, der die Liebe prediget, so nahe an die Texte gerückt ist, welche die Leiden und das Kreuz des Herrn predigen sollen, warum auch hier, wie so oft im Leben, Lieb' und Leid gepaaret ist.

Wohlan denn, treten wir in Gedanken unter das

Kreuz auf Golgatha, von da laßt uns herabsehen auf den Preis der Liebe in unserem Texte, ob eS uns mit Gottes Beistände

gelingen möge, in seine Tiefen einzudringen l

Indem wir nun

dem Texte Schritt vor Schritt folgen, werden wir sehen, wie

er zuerst den alles übertreffenden Werth der Liebe, dann die alles vermögende Kraft der Liebe und endlich die alles über­

lebende Dauer der Liebe verkündigt.

I.

Zuerst Liebe. „Wenn

also den alles übertreffenden Werth der

Daö geschieht in den ersten Versen unseres Textes :

ich mit Menschen-

und mit Engelzungen redete, und

hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz, oder eine Kingende Schelle.

Und wenn ich weissagen könnte, und wüßte

alle Geheimnisse, und alle Erkenntniß, unk hätte allen Glauben,

also, daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und

ließe meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir es nichts nütze."

Den Inhalt dieser wenigen Verse aus­

zupredigen, würde eine ganze Predigt nicht genügen. Beschränken wir uns darum für jetzt darauf, sie für unsere Erbauung nutz­

bar zu machen, indem wir sie in ihrer besonderen Anwendung betrachten auf die eigenthümlichen Verhältnisse unserer Stadt, zu welchen auch der gegenwärtige Gottesdienst in näherer Be­ ziehung steht. — Jeder Tag hat, wie der Herr uns sagt (Matth.

6, 34), seine eigene Plage; wir dürfen hinzusetzen : Jeder Ort hat seine eigene Versuchung, daS Land und die Stadt, die arme

Gegend und die reiche, die Handelsstadt and die Residenz, auch

diejenigen Orte, welche berufen sind, Pflanzstätten der Wissen­ schaft zu seyn, auch die Universitäten, haben ihre eigenthümlichen Versuchungen.

Mehr nämlich, als andere,

sind wir eben der

Verirrung ausgesetzt, welche der Anfang unseres Textes andeutet, daß wir die Schätze der Erkenntniß und die Gabe, Anderen sie

mitzutheilen durch gewandte und kräftige Rede, höher anschlagen, als den allesübertreffenden Werth der Liebe, welcher allem an­

deren geistigen Besitzthume

erst wahren Werth

verleiht.

Wir

gehen den Fragen der Wiffenschaft unablässig und bis ins Ein-

zelste

nach,

ohne nur ein einziges Mal Zeit zu finden zu der

wichtigsten aller Fragen :

„Was

werde"? (Apostelg. 16, 30).

soll ich thun, daß ich selig

Wir fühlen uns in tiefster Seele

bekümmert darüber, daß es uns nicht gelingen will, dem Ziele

wissenschaftlicher Tüchtigkeit und Auszeichnung näher zu kommen, das wir uns selber gesteckt haben; daS aber bekümmert uns nie,

daß wir weit, unendlich weit hinter dem Ziele zurückbleiben, das uns gesteckt ist in dem Worte unseres Gottes : »Ihr sollt heilig

seyn, denn ich bin heilig»! Wir sehen wohl mit vornehmer Ge­ ringschätzung auf Ungelehrte herab und vergessen, daß Mancher von diesen als demüthiger Knecht des Herrn in der Schule des

Lebens, in der Schule der Roth und des Kreuzes gelernt haben

mag, was die Weisesten der Weisen niemals in ihren Büchern

gefunden, und gedenken nicht des Wortes des Herrn : „Ich preise dich, Vater und Herr Himmels und der Erden, daß du solches verborgen hast den Weisen und Klugen; und hast eS offenbaret

den Unmündigen" (Luc. 10, 21).

An derselben Stelle im Evan­

gelium deS Lucas, wo dieses Wort uns aufbewahrt ist, wird er­ zählt, wie jene Siebenzig, welche der Herr auSgesandt hatte in

seine Erndte, wieder kamen mit Freuden, und sprachen : „Herr, es sind uns auch die Teufel Unterthan in deinem Namen"!

sprach aber zu ihnen :

Er

„Darinnen freuet euch nicht, daß euch

die Geister Unterthan sind, freuet euch aber, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind«!

DaS ist ein Wort, waS in feurigen

Zügen in jeder Studirstube, in jedem Hörsaale stehen sollte :

88 »Freuet euch nicht, daß euch die Geister Unterthan sind, freuet

euch aber, daß euere Namen im Himmel geschrieben find.»

Ja,

Geliebte, eS ist eine große Sache, einer von denen zu sehn, wel­ chen die Geister Unterthan sind, welche durch den Reichthum ihres

Wissens und durch die Kraft ihres Wortes einen weitreichenden

und tiefgehenden Einfluß auf ihre Brüder üben.

Aber nnendlich

viel größer, ja daS Größte von Allem ist es, daß unsere Namen

im Himmel angeschrieben sind, darum, daß wir unseren eigenen eiteln und trotzigen Geist dem Vater im Himmel Unterthan ge­

macht haben in hingebender Liebe!

Nicht in dem Sinne sey

dieses gesagt, als solle der Werth der Wissenschaft herabgesetzt werden : es giebt keine evangelische Kirche ohne Wissenschaft,

und der evangelische Christ, welcher die Wissenschaft gering schätzt, verkennt das Wesen seiner Kirche selbst! Sondern in dem Sinne ■

sey es gesagt, daß unsere wissenschaftliche Thätigkeit erhöht und geheiliget werden muß durch den belebenden Hauch heiliger Liebe, daß wir

unsere geistigen Waffen niederlegen vor dem Throne des

Herrn, um sie dann, geweiht und gesegnet von ihm, wieder auf­

zunehmen zum Kampfe, nicht zu den Kämpfen weltlicher Eitel­ keit, sondern zu einem göttlichen Kampfe gegen die Eitelkeiten der

Welt.' Und insbesondere euch seh

es

gesagt, meine

jungen

Freunde, welche berufen sind, einst mitzubauen an dem Bau, daran Christus der Eckstein ist! Ihr werdet um so zahlreichere,

festere, brauchbarere Steine liefern zu diesem heiligen Baue, je mehr ihr vor menschlicher Prüfung als solche bestehet, die mit Eifer sich bemüht haben, die Geheimnisse der Erkenntniß sich an­ zueignen.

Aber überhört doch nicht die Frage desjenigen, der

Herzen und Nieren prüft, die Frage, welche dort (Joh.21,15 ff.) der Auferstandene an Simon Petrus richtete, und welche jetzt von dem zur Rechten des Vaters Erhöheten auch an euch ergehet:

»Simon Johanna, hast du mich lieb»? Und wenn ihr auf diese Frage nicht, wie dort Paulus,

aus treuem Herzen antworten

könnt : »Ja, Herr, du weißt, daß ich dich lieb habe"! dann ist

eö auch der Herr nicht, der zu euch spricht :

Schafe"!

»Weide meine

Dann tretet ihr nicht als gute Hirten in den-Dienst

der Kirche, sondern als elende Miethlinge, die des Brodes der

Kirche nicht werth sind, daS sie verzehren. Dann wird in eueren

künstlichsten Reden doch nur daS tönende Erz und die klingende Schelle

laut; dann

seyd ihr trotz aller Erkenntniß und allen

Glaubens, womit ihr euch brüstet, nichts; dann sind alle Opfer,

alle Werke, deren ihr euch rühmet, nichts nütze! —

Ach, meine

andächtigen Zuhörer, wer gienge nicht gerne den Spuren neuen Gebens nach, welches in unserer Kirche sich regt, wer stimmte nicht gerne ein in die liebliche Frühlingsverkündigimg des Hohen­

liedes :

//Siche, der Winter ist vergangen,

weg und dahin.

und der Rege» ist

Die Blumen sind hervorgekommen im Lande

der Lenz ist herbeigekommen und die Turteltaube läßt sich hören

in unserem Lande"!

Aber wer möchte sich auch verhehlen, daß

neben dem Glauben, den man entschieden bekennt, und neben

den Werken, die man mit Eifer thut, es noch gar sehr an der Liebe fehlt, an der Liebe, die doch dem Werke erst Werth giebt vor Golt, und den Glauben als den wahren Glauben im Sinne

unseres Apostels erweiset, der nicht blos in der Erkenntniß des Kopses und im Bekenntniß des Mundes besteht,

sondern vor

Allem in der Bekehrung des selbstsüchtigen, von Gott abgewandten Herzens.

Und so

ist auch uns zur Mahnung gesprochen das

Wort dessen, der da hat das scharfe zweischneidige Schwert und Augen wie Fcuerflammen : „Um meines Namens willen arbeitest

du und bist nicht müde worden, aber ich habe wider dich, daß du die erste Liebe verlässest.

Gedenke, wovon du gefallen bist

und thue Buße und thue die ersten Werke-/! (Offenb. 2, 3 ff.) Wären

wir nicht abgefallen von der ersten, innigen,

reinen,

selbstverläugnenden Liebe, würde man dann so eifrig sehn, die Glieder unserer Kirche zu trennen durch Hervorheben unwesent­

licher Unterschiede, wo man noch so wenig gethan, sie zu sam­ meln auf dem alten gemeinsamen Grunde des lebendigen Glau­ bens an Christum als unseren Herrn und Erlöser? Würde man

dem Herrn zum Trotz, der da sagt, daß er nicht gekommen seh, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde, so rasch sehn im Richten, und so lässig in den Bemühun-

gen um die eigene Seligkeit und um die der Brüder?

Würde

man mit dem äußerlichen Dringen auf das Festhalten gewisser

Formen der Lehre und der

äußeren kirchlichen Ordnung die

evangelische Kirche in Gefahr bringen, aus der Freiheit, womit

sie Christus befreit hat, unter das knechtische Joch der römischen

Gesetzeskirche zurückzufallen? —

O daß doch der warme Hauch

der ersten Liebe, das Todte belebend, das Kranke heilend, das

Zerstreute sammelnd, alle Glieder unserer Kirche wieder durch­ dränge !

II. Denn diese Liebe besitzt eine alleövermögende Kraft — daS ist die zweite Lehre, welche unser Text uns vorhält. Worauf

beruht diese Kraft

eigen? —

und wie machen wir sie uns zu

Die Antwort auf diese Fragen deutet der Apostel an,

indem er nicht etwas hervorhebt, was die Liebe thut, sondern

etwas, was die Liebe nicht thut, in den Worten :

nicht daS Ihre.

sie sucht

In der That, Geliebte, darauf beruhet das

ganze Geheimniß : es kommt nur darauf an, daß wir das Un­ sere, d. h. unsere Eitelkeit,

unseren Trotz, unseren Eigennutz,

unsere Trägheit, unser ganzes selbstsüchtiges Ich aufgeben, so

wird die alles vermögende Kraft der Liebe unmittelbar uns zu

eigen. — Die ewige Liebe Gottes, welche die Welt geschaffen hat, durchdringt auch daS ganze Weltall mit ihrem Lichte, in

allem Leben pocht ihr warmer Pulsschlag; auch an dein Herz dringt ihr leuchtender Strahl heran, auch an deinem Herzen vernimmst du ihr Pochen, womit sie Einlaß begehret.

Da aber

bildet dein verfinstertes, verhärtetes Ich ein undurchdringliches, nicht zu beseitigendes Hinderniß. Zerschlage diesen Felsen, entferne

ihn aus dem Herzen, und

sofort

hält mit ihrem Licht

und

mit ihrem Leben, mit ihrer alles vermögenden Kraft die göttliche Liebe in deinem Herzen triumphirend ihren Einzug! — Ist daS

nicht ein vortheilhafter Tausch, gegen unser ohnmächtiges, be-

schränkte- Ich einzutauschen die Macht und Fülle der göttlichen Liebe?

Und doch wird er den meisten so schwer!

O

daß doch

zu unserem eigenen Heile die göttliche Gnade an uns Allen kein Mittel unversucht lasse, um uns recht gründlich zum Bewußtseyn

zu bringen, wie ohnmächtig, wie elend der Mensch ist, der, von der göttlichen Liebe verlassen, nur das Seine sucht!

Nicht bloS

das müssen wir in tiefster Seele empfinden, wie wenig wir in Bezug auf die Bestimmung äußerer Berhältnisse vermögen, wie schwach unsere Kräfte sind und wie so nichtig alle unsere Pläne,

wie von allen Seiten Hindernisse und Gefahren uns umlauern,

wie, um mit einem Liede Luther'S zu reden, mitten wir im Leben

sind mit dem Tod umfangen; sondern auch dieses, daß wir un­

fähig sind, aus eigener Kraft der verderblichen Macht der Sünde uns zu entziehen, Gottes Wohlgefallen und das ewige Heil zu erwerben

und dem ewigen Tode

zu entgehen.

Wenn so von

äußerer und innerer Noth das stolze Ich zerschlagen ist, wenn

aus dem

gepreßten Herzen der Seufzer des Apostels sich los-

ringt : »Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von dem

Leibe dieses

TodeS"

(Röm. 7, 24);

dann ist auch der gött­

lichen Liebe die Stätte im Herzen bereitet.

In die tiefe Nacht

menschlichen Leides und Kreuzes strahlt mit hellem Glanze das Kreuz Christi herein, und gar tröstlich dringt zum Herzen das Evangelium : »Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen

eingeborenen Sohn gab, auf daß Alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben"! (Ioh. 3, 16.)

Die Stunde ist gekommen, von welcher der Dichter singt : Unter tausend frohen Stunden,

So im Leben ich gefunden. Blieb nur eine mir getreu; Eine, wo in tausend Schmerzen

Ich erfuhr in meinem Herzen, Wer für uns gestorben sey.

Und das, Geliebte, ist auch die Stunde, wo in dem Herzen

die wahre Liebe geboren wird,

die Liebe, die nicht das Ihre

sucht,

und die mit all den schönen Eigenschaften geschmückt ist,

welche der Apostel an ihr preiset.

Wie sollte der,

welcher sich

erlöst weiß durch die Gnade Gottes und durch die Liebe unseres Herrn Jesu Christi, wie sollte der nicht langmüthig sehn im

Ertragen Anderer, da er weiß, wie langmüthig der Vater im Himmel seine Sünde getragen hat; wie nicht freundlich im

Unerstützen Anderer, da die Gnade Gottes mit so unendlicher Wie sollte er eifern,

Freundlichkeit seiner sich angenommen?

das heißt mit Reid und Eifersucht hinsehen auf äußere oder geistige Güter Bevorzugterer,

da er weiß, daß das wahre Glück am

Reichthum nicht hangt, sondern eher gehindert als gefördert wird

durch diesen, und da er sich nur freuen kann der Förderung, die aus den geistigen Kräften begabterer Gottes erwächst?

ungeberdig Person,

Mitarbeiter

dem

Reiche

Wie sollte er Muthwillen treiben und sich

stellen

durch

ungehöriges

Hervordrängen

seiner

da er sein ganzes Ich selbstverläugucud hingegeben hat

unter die Zucht des göttlichen Gesetzes? Wie sollte er sich blä­ hen, da er weiß wie elend und jämmerlich,

arm,

blind und

bloß der seiner eigenen Kraft allein überlassene Mensch ist, da er von dem Apostel gelernt hat, nur seiner eigenen Schwachheit sich zu rühmen und des Gottes, welcher in ihm mächtig ist.

Wie

sollte er sich erbittern lassen, da er den, der nicht schalt, da er gescholten ward, nicht blos als Vorbild vor Augen hat, son­

dern

auch

zur Seite

als

mächtigsten

Beschützer gegen

allen

Schaden, und da er weiß, daß Unrecht leiden seliger ist als Un­

recht

thun?

Wie sollte

er gar selbst nach Schaden trachten,

da er vielmehr keine größere Lust kennt, als Anderen das Heil zuzuwenden, dessen er selber in seliger Freude genießt?

Er hat

seinen Willen gänzlich hingegeben in den Willen des Herrn, der für ihn in den Tod sich hingegeben hat, und so freuet er sich nicht der Ungerechtigkeit,

der Gerechtigkeit

läßt

und auch den äußeren Schein

er sich nicht genügen,

sondern nur der

Wahrheit freuet er sich, nur dessen, was bis auf seinen inner­ sten Grund iil Uebereinstimmung ist mit dem Willen des Herrn, und er scheuet sich nicht, mit der Leuchte des göttlichen Gesetzes

hineinzuleuchten in die verborgensten Winkel seiner Seele.

Und

während er so strenge ist gegen sich selbst, denkt er von den Brüdern gerne das Beste, er glaubet Alles und hoffet Alles,

und weit er weiß, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum

Beste» dienen müssen, so verträgt er auch Alles und dul­ det Alles. — C, meine lieben Freunde, wie beschämt müssen wir Alle stehen vor diesem Bilde vollkommener Liebe, welches der Text uns vorhält!

Wo wäre auch nur eine ihrer Forde­

rungen, welche ein Jeder von unö nicht schon vielmals verletzt hätte, vergessend der nnendlichen Liebe, die unser Vater im Him­

mel uns erwiesen hat und täglich erweist, und die wir vergelten sollen durch Liebe gegen seine Kinder, unsere Brüder?

O wenn

diese Liebe, die nicht das Ihre sucht, sondern was Gottes Willen ist,

Wohnung gemacht. hätte in unser Aller Herzen,

welch ein

Geist stiller Verträglichkeit und sanften Friedens müßte da in

unseren Häusern wohnen, welch fruchtbare Thätigkeit in unseren

Geschäften sich offenbaren, welch ein inniges, einiges, kräftiges, gesegnetes Wirken in der Kirche!

Wie müßte uns das Leben

zu einem Himmel auf Erden werden, und doch der Abschied aus

ihm wie heiter und sanft!

in. Der Abschied auö dem Lebe» wie heiter und sanft! — Das führt uns auf den dritten und letzten Punkt unserer Betrachtung,

aufdiealles überlebende Dauer der Liebe.

Im begeister­

ten Preise der Liebe, welche den Menschen von dem Dienste der

Vergänglichkeit befreit und ihn mit dem ewigen Gott selber in

Gemeinschaft bringt, hat der Apostel in freiem Fluge sich über alles Irdische hoch emporgeschwungen.

Wie kleinlich erscheint

ihm von diesem hohen Standpunkte aus.alles irdische Treiben, wie werthloS die Ziele menschlichen Strebens! Der gewöhnlichen

Gegenstände menschlichen Rennens und Jagens, des Reichthu­

mes, des sinnlichen Genusses, der äußeren Ehre, der weltlichen

Macht, gedenkt er gar nicht, so nichtig erscheinen sie verglichen Besitz un- die Liebe setzt.

mit den ewigen Gütern, in deren

Aber auch nicht zu verachtende geistige Güter, das Gut des Wissens und der Erkenntniß, das Gut der Weissagung und der

Sprachen, das heißt die Gabe begeisterter Verkündigung unserer Er­ kenntniß und Erfahrung vom Göttlichen, auch sie erscheinen dem

Apostel als ein vergängliches Stückwerk. anders!

Und wie könnten sie

Wie viel erkennen wir denn in Wahrheit selbst von

den Gegenständen der sinnlichen Wahrnehmung?

So viel,

ge­

liebte Freunde, daß bei den immer neuen Eroberungen, welche

das Fernrohr in dem weiten Raume des Weltalls und das Ver­ größerungsglas in der Nähe macht, ein jedes folgende Geschlecht

lächeln darf über das, was dem vorhergegangenen vollkommenstes

Wissen war.

Und was will nun gar unsere Erkenntniß bedeu­

ten von den Tiefen der Gottheit?

Sie dünket dem Apostel ver­

glichen mit der Erkenntniß, welche uns werden wird, wenn das

Stückwerk aufhört und das Vollkommene kommt, wenn wir in innigster Gemeinschaft mit Gott ihn schauen, wie er in Wahrheit

ist, gleichwie wir von ihm nach der Wahrheit erkannt sind, sie dünken

ihm gegen diese Erkenntniß nur die thörigen Anschläge

eines Kindes zu seh», verglichen mit den Gedanken des gereiften

Mannes, nur dunkele Spiegelbilder, verglichen mit dem klaren Schauen von Angesicht zu Angesicht.

Nur drei Güter nimmt

er aus von dieser Masse vergänglichen Stückwerks : „Nun aber

bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei"! — Ach, und wenn uns die nicht blieben, was hätten wir dann? —

Ja, Geliebte,

es bleibet der G l a u b e, mit welchem der Mensch das in Christo offenbar gewordene göttliche Leben lebendig ergreift und sich be­

kehrt von seinem nichtigen Wandel zu einem Wandel, der auf Erden schon im Himmel ist.

Und mit diesem Glauben ist un­

mittelbar die Hoffnung verbunden, daß der, welcher in uns

angefangen hat das gute Werk, es auch vollenden werde; daß, was gesäet wird verweslich und in Unehre und in Schwachheit,

auferstehen wird unverweslich und in Herrlichkeit und in Kraft; daß dem Erlöser der Welt auch der Sieg über die Welt und

daS Gericht über die Welt gegeben ist.

Und auch die Liebe

wächst aus dem lebendigen Glauben nothwendig hervor.

Ja,

Geliebte : ES bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe diese drei!

Und

wenn uns Alles verläßt, wenn unsere Kräfte schwinden, und daS verdüsterte leibliche Auge die Lieben nicht mehr erkennt, die wei­

nend unser Bette umstehen, dann erscheinen uns diese drei himm­

lischen Trösterinnen in erhöhetem Glanze und halten treulich bei

unS aus.

Aber die Liebe ist die größeste unter ihnen! denn über

ein Kleines, so verwandelt sich der Glauben in Schauen, und über ein Kleines, so gehet die Hoffnung in selige Erfüllung auf,

die Liebe aber bleibet und setzet das selige Leben, welches sie in dieser Zeitlichkeit bereits begonnen, in innigster Gemeinschaft mit

Gott in alle Ewigkeit fort. gleiten den Frommen bis

Der Glaube und die Hoffnung be­

vor die Pforten des Himmelreiches,

die Liebe gehet mit hinein und verläßt ihn nimmer! Gebe Gott,

daß einst Keinem von uns diese treueste Führerin fehlen möge! Amen.

vn. Die Unliegimng des Petnir.

Passionsandacht. Tert : Matth. 26 , 69— 75.

Die Gnade

unseres Herrn Jesu und die Liebe Gottes des

Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sey mit uns Allen!

Es ist doch etwas gar schönes, Geliebte, um diese unsere Passionsandachten, ja sie gewähren uus einen eigenthümlichen

Vortheil, welchen selbst der sonntägliche Gottesdienst nicht bietet,

den nämlich, daß uns hier nicht eine alte Gewohnheit versammelt, wie sie, so Gott will, doch auch in dieser Gemeinde wohl immer noch einige am Sonntage zur Kirche fuhrt; daß sie vielmehr eine

außerordentliche Erinnerung an den Herrn sind, dem wir nicht bloß am Tage des Herrn, sondern auch am Werktage angehören

sollen; daß sie einen besonderen Vorsatz fordern, auö dem Treiben des alltäglichen

Lebens und der Zerstreuung der Berufsarbeit

zur Andacht sich zu sammeln und der Seele wenigstens das

Feierkleid auzuziehen, in welchem sie erscheinen darf vor dem

Angesichte dessen, der für uns gelitten hat und gestorben ist.

Und so darf auch der Prediger in diesen Stunden vor andern gewiß sehn, daß die zur Andacht hier Bersammelten ihm wohl­

bereitete Herzen entgegenbringen.

Mögen sie denn gesegnet sehn,

diese Stunden in euren Seelen, Geliebte! Mögen sie das Ihrige

dazu beitragen, die Liebe zu unserem Herrn Jesus Christus und zu seiner Kirche in dieser Gemeinde zu beleben! Möge das in dieser Stadt seltene Ereigniß, daß die Kirche zu klein ist, die

hörbegierige Menge zu fassen, recht oft in der Stadtkirche sich

wiederholen! Wir kehren zu dem Punkte des Leidens- und TodeSgangeS

unseres Herrn und Heilandes zurück, bei welchem heute vor acht

Tagen unsere Betrachtung stehen geblieben ist.

Wir sahen ihn

damals verrathen durch eine» Kuß von Judas, welchen der ver­

fluchte Geiz, der eine Wurzel ist alles Uebels, aus einem Jünger des Herrn zu seinem Vcrräthcr gemacht hatte. hingeschleppt vor Richter,

in deren

Wir sahen ihn

haßerfülltem Herzen der

Spruch der Bcrdammung bereits gesprochen war, mißhandelt von rohen

KricgSknechten,

eines empörten Volkes.

umbraus't von der blinden

Wuth

Wir sahen ihn inmitten dieses wilden

Sturmes als den, der allein Frieden hatte, als den, welcher die, die ihn in ihrer Gewalt zu haben meinten, in Wahrheit beherrschte, lind doch wird auch damals das stumme Angesicht deS leidenden Erlösers die Stimmung auSgcdrückt haben, welche einst in die schmerzlichen Worte auSgcbrochen war: „Jerusalem, Jerusalem,

die du tödtcst die Propheten und

steinigest die zu dir gesandt

sind, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine

Henne ihre Küchlein versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt!" (Matth. 23, 37. Luc. 13, 34.)

Ja, Geliebte,

eS mußte das treue Herz des Heilandes tief schmerzen, was

er hier erfuhr;

aber kränken konnte es ihn nicht.

Die, von

welchen diese Verfolgung ausgieng, waren ja seine alten Feinde, deren 'Reich

von dieser Welt war und deren Selbstsucht dem

Verkünder und Begründer eines Reiches, das nicht von dieser Welt ist, nicht anders begegnen konnte. Baut, Prktigtku.

Wenn aber die Freunde 7

98

uns verlassen und verläugnen, daS schneidet mit tief verletzendem,

kränkendem Schnitte in- Innerste de- Herzens.

Auch dieser

tiefste Schmerz sollte unserem Herrn nicht erspart werden auf seinem sauren Gauge! Davon haben wir heute zu handeln :

die

Berläugnung de- Petrus ist der Gegenstand unserer gegen­

Zum Texte für sie wähle ich die Dar­

wärtigen Betrachtung.

stellung, welche da- Evangelium de- Matthäus im 26. Capitel von diesem Ereignisse giebt.

Auf Grund dieser Stelle wollen

wir zuerst da- Ereigniß an sich betrachten, dann wodurch

e- veranlaßt wurde und zuletzt was ihm folgte.

ES heißt

aber an der angeführten Stelle vom 69. — 75. Verse also : „69. Petrus aber saß draußen im Palast; und eS trat zu ihm eine Magd, und sprach : Und Du wärest auch mit dem

Jesu auS Galiläa.

und sprach :

70. Er leugnete aber vor ihnen Allen

Ich weiß nicht, waö du sagst.

71. AlS er

aber zur Thür hinauSgieng, sahe ihn eine andere, und sprach zu denen, die da waren : Dieser war auch mit dem

Jesu von Nazareth.

72. Und er leugnete abermal, und

schwur dazu : Ich kenne den Menschen nicht.

73. Und

über eine kleine Weile traten hinzu, die da standen, und

sprachen zu Petro :

Wahrlich,

du bist auch einer von

denen; denn deine Sprache verräth dich. an

74. Da hob er

sich zu verfluchen und zu schwören : Ich kenne den

Menschen nicht.

Und alsobald krahete der Hahn.

75. Da

dachte Petrus an die Worte Jesu, da er zu ihm sagte : Ehe der Hahn krähen wird, wirst du mich dreimal ver­

leugnen.

Und gieng hinaus, und weinete bitterlich."

I.

O Geliebte, welch ein tiefer, schmählicher Fall deS großen Apostels ist uns dargcstellt in diesen Vaßt

einfachen Texteöworten!

nns, damit wir das traurige Ereigniß in seiner ganzen

Bedeutung

fassen,

nur

recht deutlich vergegenwärtigen, wer

denn der Petrus ist, der hier seinen Herrn verläugnet.

ES ist

derselbe Petrus, der einst vor allen andern Jüngern das erste

christliche GlaubenSbekenntniß abgelegt sollen wir gehen?

hatte :

„Herr,

wohin

Du hast Worte des ewigen Lebens und wir

haben geglaubt und erkannt, daß du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes" (Joh. 6, 68 f.), und dieser Petrus spricht

jetzt : „Ich kenne diesen Menschen nicht!" ES ist derselbe Petrus,

der noch im Garten zu Gethsemane betheuert hatte :

„Wenn sie

auch alle sich an dir ärgerten, so will ich doch mich nimmer­ mehr ärgern" (Matth. 26, 33), und dieser Petrus schlägt hier

schon die Augen nieder vor dem forschenden Blicke einer Dienst­

magd und vor ein Paar neugierigen Gaffern! Es ist derselbe Petrus, der auf daö warnende Wort deS Herrn : ich sage dir :

"Wahrlich,

In dieser Nacht, ehe der Hahn krähet, wirst du

mich dreimal vcrläugnen!" mit leidenschaftlichem Ungestüm er­

widert hatte:

--Und wenn ich mit dir sterben müßte, so will

ich dich nicht vcrläugnen!" (Matth. 26, 34 u. 35) und dieser Petrus hebt jetzt an sich zu verfluchen und zu schwören : kenne den Menschen nicht!"

„Ich

Ach, wie ist der Fels, auf den der

Herr seine jtirchc bauen wollte, zu weichem Wachse geworden!

Ist daö nicht ein tiefer, schmählicher Fall dcö großen Apostels?

Wohlan,

Geliebte :

Wer unter euch sich rein weiß von

feiner Sünde, der werfe den ersten Stein auf ihn!

Vorerst aber

laßt mich euch daran erinnern, daß der Schluß unseres Textes schon den gefallenen Apostel iu bitteren Rcuethränen uns zeigt. Das

war nicht ein

unfruchtbarer Schmerz, wie er uns hie

und da einmal verursacht wird durch die Regung des Gewissens, um bald wieder übertäubt zu werden von dem Lärm des Welt­

lebens; nein, das war jene göttliche Traurigkeit, die in ernster Buße daö Herz von Grund aus bekehret.

Denn als nach we­

nigen Tagen der Auferstandene an den dreimaligen Bcrläugner

dreimal die Frage richtet : "Simon Johanna, hast du mich lieb?" Da darf er dreimal aus vollem Herzen antworten : --Ja Herr,

du weißt, daß ich dich lieb habe!" (Joh. 21, 15 ff.) Und diesem freudigen Bekenntnisse folget bald die freudige That.

7*

Keiner der

zwölf Apostel hat den Herrn so laut, so entschieden, so uner­

schrocken

verkündet wie Petrus.

Die Obrigkeit bedräuet ihn,

peinigt ihn, wirft ihn in den Kerker; aber er hat keine Antwort,

als die, daß man Gott mehr gehorchen müsse, als den Menschen, und daß er nicht lassen könne zu reden, was er gesehen und gehöret

habe (Apostelg. 4, 17 ff.).

So treibt er mit heiligem Eifer

seinen Beruf, Menschenfischer zu sehn, zu welchem ihn der Heiland

einst weggerufen hat von seinem Fischernetze : kein Apostel außer Paulus hat dem Herrn so viele Seelen gewonnen, alö Petrus.

Ist daö nicht wunderbar, daß gerade der Verfolger deö Herrn und der Verläugner des Herrn seine eifrigsten Diener geworden

sind, die rüstigsten Arbeiter,

die muthigsten Streiter für sein

Reich? — ein Umstand, der euerem frommen Nachdenken zu weiterer Erwägung empfohlen sey! — Dem Leben der beiden Jünger entsprach ihr Tod.

Beide fanden ihn nach einer zwar

nicht im Neuen Testamente enthaltenen, aber durchaus glaub­ würdigen Ueberlieferung zu Rom in der Christenverfolgung des

Nero:

Paulus wurde

als römischer Bürger enthauptet, für

Petrus wurde, damit er auch darin ein Nachfolger seines Herrn werde, die entehrende Strafe der Kreuzigung ausersehen.

Er

aber, vielleicht in Erinnerung an seine einstige Berläugnnng,

hält sich nicht würdig ganz desselben Todes wie sein Herr und Heiland zu sterben : er erbittet sich die Gnade, daß er umgekehrt an das Kreuz geheftet werde, das Haupt zum Boden gewendet.

So ist der

Fels der

Kirche gestorben.

Wer fühlt sich stark

genug, ihm um des Herrn willen zu folgen in einen solchen Tod?

Wer will noch die Hand erheben gegen den gefallenen

Apostel, der aus einem Verläugner des Herrn sein standhaftester

Bekenner geworden ist?

Laßt uns doch lieber die Hände falten

und sprechen : „O du mein Herr und mein Heiland, vergib mir,

daß ich so oft um geringerer Anlasse willen dich schmählicher als

Petrus verläugnet habe!

Gieb mir die rechte Reue und Buße

ins Herz, damit dies trotzige und verzagte Ding fest werde, wie

der Fels der Kirche, und führe mich wie ihn, wenn auch durch

Kreuz und Schmerzen, zu einem seligen Ende!"

10t

II. Ich denke, Geliebte, wir haben uns Alle überzeugt, daß die

Verläugnung des Petrus uns nicht das Beispiel eines schwachen Christen vorhält, sondern ein warnendes Beispiel dafür, wie auch der stärkste Christ vor dem Falle nicht sicher ist, daß, wie es in unserem Liede heißt: »Gott läßt auch die Frommen in Versuchung

kommen", und daß wir Alle wahrlich keinen Grund haben, uns über Petrus zu erheben.

Halten wir uns also jetzt die Frage

vor, wodurch des Petrus Verläugnung veranlaßt wurde, und wodurch cs überhaupt veranlaßt wird, daß auch Gläubige so oft

Christum verläugnen.

Euch Allen, meine andächtigen Zuhörer,

ist das Gleichniß unseres Herrn vom Sämann (Matth. 13, 3—8.

19—2.3) bekannt.

ES

werden

darin vier verschiedene Arten

von Boden angegeben, auf welche das Wort Gottes fällt, der Weg, das Steinige, das Dornige und das gute Land.

Bon der

ersten Bodenart will ich hier nicht reden, denn von denen, wel­ chen durch das Gejage der Lust und das zerstreuende Gelaufe

des Weltlebens daS Herz so fest geworden ist, wie der Weg, so daß der Saine deS göttlichen Wortes gar keine Wurzel in ihm

schlagen kann, sondern sofort der Teufel kommt und wegreißt,

was da gesäet ist, von denen ist ja wohl keiner in dieser Ver­ sammlung.

Die haben mehr zu thun, als an ihren Heiland zu

gedenken und für das Heil ihrer armen Seele zu sorgen!

Und

auch von der vierten Bodenart, von dem guten Lande, werd' ich

schweigen dürfen; denn wie wenig ich auch bezweifle, daß gar Mancher von euch die frnchtbringende Kraft des in einem feinen und guten Herzen aufgenommenen Gotteswortes schon an sich selber erfahren hat, so wird doch auch Niemand behaupten, daß

er dem göttlichen Worte immerdar und durchaus die rechte le­ bendige und reine Empfänglichkeit entgegenbringe, daß gar nichts

von Steinen und Dornen in seinem Herzen sich finde.

Eben

das aber, was der Herr über das Steinige und das Dornige sagt, das laßt uns näher betrachten; denn wie es die Gründe

angibt, aus welchen die Menschen von dem Glauben völlig

102 abfalle», so gibt es auch die Veranlassung an, aus welcher Pe­

trus seinen Herrn verläugnete und aus welcher überhaupt auch

die im Glauben Verharrenden doch im Einzelnen so oft dieses

Glaubens unwürdig handeln.

Insbesondere was der Herr über

das Steinige sagt, lautet gerade so, als ob es den Fall des Pe­

trus erklären solle :

"Die aber auf dem Fels sind die, wenn sie

es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an; und die haben

nicht Wurzel, eine Zeitlang glauben sic, und zu der Zeit der

Keiner hatte freudiger das Wort

Anfechtung fallen sie ab."

vom Himmelreich ausgenommen, als Petrus.

Aufforderung des Herrn :

Auf die erste

»Folget mir nach, ich will euch zu

Mcnschenfischern machen" (Matth. 4, 19), hatte er alsbald sein Netz verlassen und sich ihm angeschlossen.

Er hatte zuerst Jesum,

den die andern noch für einen der alttestamcntlichcn Propheten zu halten geneigt waren, als Christum den Sohn des lebendigen Als die Jünger Christuni sahe»

Gottes erkannt und bekannt.

auf dem Meere gehen, spricht er rasch : „Herr, bist du cs, so heiße mich zu dir komme» auf dem Wasser!" aber bald darnach

ertönt freilich das verzagte :

(Matth. 14, 25 ff.) der

den

Herrn

„Herr, hilf mir, ich versinke!"

Im Garten zn Gethsemane ist er es,

versichert,

daß er

sich nie

an ihni

werde, und da Christus gefaugen genommen wird,

ärgern

wallet noch

einmal die Heftigkeit des Jüngers auf, daß er daö Schwert

zieht zur Vertheidigung des Herrn;

und auf alle diese raschen

Aeußerungen seines Glaubens folgt denn plötzlich die schmäh­ liche

Verläugnnng.

Offenbar war Petrus von

Natur einer

jener leicht erregbaren Menschen, welche der göttliche» Wahrheit,

den Bezeugungen einer höheren Welt, wen» sie in diesem Erden­ leben ihnen nahe treten, eine lebhafte Empfänglichkeit entgegen­

bringen, zumal wenn sie unter günstigen äußeren Verhältnissen auf sie einwirken; deren Empfänglichkeit aber nicht so nachhaltig ist, als lebhaft : gegen Hindernisse hat sie keine Widerstands­ fähigkeit,

sondern „zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab.«

Erkennt nicht manche Seele unter uns in dieser Schilderung ihr Bild? Die Zeiten scheinen, Gott seh Dank! vorbei zu sehn, Ge-

liebte, wo einer für um so aufgeklärter, geistreicher, freisinniger galt, je nngcscheuter er seinen Unglauben, seine Gottlosigkeit zur

Schau

trug.

Man hat angefangen

einzusehen, daß mit der

eigenen Unfrömmigkeit sich zu brüsten nicht blos eines Christen,

sondern überhaupt eines gebildeten Menschen unwürdig ist, und

daß es am wenigsten einem guten Bürger ansteht. des

Der Name

Herrn wird mit Ehrfurcht in Kreisen genannt, worin er

zum

Spotte

Herz

empfindet

geworden wieder

war, den

und

manches

heilsamen

Zug

unempfindliche seiner

Gnade.

Aber bleibt nicht diese unsere Empfänglichkeit für das Wort vom Reiche meist gar sehr auf der Oberfläche? gilt nicht auch von

uns daö Wort : Zur Zeit der Anfechtung fallen sie ab?

und welcher erbärmliche» Anfechtungen!

Ach

Wir führen im Kreise

der Unseren gerne ein Gespräch über die Angelegenheit der Re­

ligion und Kirche; aber wenn wir sitzen, da die Spötter sitzen, da fehlt uns der Muth, ihrem übermüthigen Hohne zu begegnen, da verläugnen wir, wie dort Petrus vor der Dienstmagd, unsern

Herrn und Meister, und nicht einmal unsere Sprache verräth Seinen, so

völlig sind unsere

Worte ihren faulen Reden gleich geworden.

Wir erbauen uns

uns

mehr

als einen

von den

zwar in der Kirche des Herrn, es ist uns so wohl an dem Orte da seine Ehre wohnt j eS wird uns zur süßen Gewohnheit, all­ sonntäglich ihn aufzusuchcn; aber wenn der Ruf der Glocke ein­

mal gleichzeitig ertönt mit der Lockung unserer Bequemlichkeit, unserer Trägheit, unserer Lust, dann ruft der Herr uns umsonst

zu seinem Hause.

Wir geben wohl von unserm Ucberflusse den

Armen, aber wen» eine Hülfe von uns gefordert wird, die un­ stört in unserer gewohnten LebenSbequemlichkeit, dann vergessen wir die Mahnung dessen, der da spricht: „Wahrlich ich sage euch, waS ihr gethan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir gethan!" (Matth. 25 , 40).

Woher

kommt cs, daß das Wort vom Reiche in den Herzen so rasch wur­ zelt, so freudig aufblüht und so fruchtlos verwelkt? „Daher, spricht

der Herr, daß eö nicht tiefe Erde hatte."

Schicht

guten

Landes

Nur eine ganz dünne

liegt auf diesen Herzen,

das Uebrige

104

ist undurchdringlich harter Stein I Der allmächtige Gott hat ein

Mittel, diesen Stein zu zermalmen, daß die Wurzel des gött­

lichen Wortes dann bis in die Tiefen des Herzens eindringen

Es ist das Poch- und Hammerwerk der Noth und des

kann.

Kreuzes, und daß Noth beten lehrt, ist ein altes wahres Wort.

Und wenn Leichtsinn und Weltlust die Herzen ihm entfremdet haben, dann verhüllt er sein Gnadenantlitz eine Zeit lang iit den

Wettern deS Kriegs und sonstiger schwerer Bedrängnisse, damit die Abgefallenen erkennen lernen, daß Er der Herr sey!

Sieht

eS nicht aus, als ob auch dieses Geschlecht zur Buße und zum Ge­

bete getrieben

werden solle durch diese strengen Lehrmeister?

Vernimmt nicht das ausmerksame Ohr den dumpfen Hufschlag,

der daS Nahen der drei furchtbaren Reiter anküudigt, die Jo­ hannes in dem 6. Capitel der Offenbarung schildert, des blutigen

Reiters auf dem rothen Pferd, dem gegeben ward den Frieden zu nehmen von der Erde und daß sie sich untereinander würgeten mit dem Schwerte deS Krieges; des hageren Reiters auf dem

schwarzen Pferde, der das tägliche Brod auswägt mit der ehernen Waage der Theuerung; des

blaffen Reiters

auf dem fahlen

Pferde, der die Menschen nicdermäht mit der Sense der Senche? Wollen wir warten, bis sie durch unsere Gasse toben, bis ihr

furchtbarer Hufschlag vor unserer Thüre erschallt? — Der gnä­ dige Gott bietet uns noch ein gelinderes Mittel dar, die steiner­

nen Herzen zu verwandeln in gutes, fruchtbares Land.

Eö hat

den Petrus aus einem Vcrläugner zum treuesten Bekenne)- des

Herrn gemacht.

Möchten auch wir es in lebendigem Glauben

ergreifen. III.

Der Schluß unseres Textes lehrt eö uns kennen dieses Mittel, indem

er uns erzählt, was auf die Vertäugnuug des

Petrus folgte.

Da der Hahn krähte, „da dachte Petrus an

die Worte Jesu, da er zu ihm sagte :

Ehe der Hahn krähen

wird, wirst du mich dreimal verläugnen.

Und ging hinaus und

weinete bitterlich.»

Das Evangelium deö LucaS ergänzt dieses

rührende Bild des vom tiefsten Schmerz der Reue Getroffenen qurch einen gar schönen, bedeutsamen Zug. dem

Dort heißt es, nach­

erzählt ist, wie Petrus seinen Herrn zum dritten Mal

verläugnet

und der Hahn gekräht

„Und

hatte :

der

Herr

wandte sich und sahe Petrum an!" Was muß das für ein Blick

gewesen sehn, Geliebte! — Ich will nicht weiter darüber reden! ES giebt keine menschliche Zunge, die aussprcchen könnte, was in

diesem Blicke lag,

mit dem der Herr Petrum ansah.

Euerem

eigenen Herzen seh cs überlassen, die Scene recht deutlich sich zu ver­ gegenwärtigen.

da

Hier der Herr, von wilden Feinden bedrängt;

der Jünger, frei und aus schnöder Feigheit den treuesten

Meister verläugnend, dreimal verläugnend!

Und bei der dritten

Berlaugnung, da treibt ihn sein böseö Gewissen, einen scheuen

Blick hinanfzuwcrfen zu dem so tief Bcrletzten!

Und dieser hat

kein Wort des Vorwurfes für Petrus, kein Zeichen der Ent­

rüstung, nicht einmal von einem zürnenden Blick ist die Rede, sondern cs heißt ganz einfach : „Und der Herr wandte sich und sahe Petrum an!"

— Roch einmal, Geliebte, vergegenwärtigt

euch recht lebhaft diesen Blick voll innigen Schmerzes und voll

unendlicher, göttlicher Liebe, bewahret seinen Eindruck fest in euerem Herzen, und ihr habt das Mittel, das Steinige in euren

Herzen zu verwandeln in gutes Land, darin das Wort des Herrn

tiefe feste Wurzel treiben und reiche Frucht bringen kann.

Die

gläubige BetrachtungdeS Leidens unseres Heilandes

ist dieses

Mittel.

Ja, Geliebte, so gnädig ist der treue

Gott gegen uns, daß er statt den Trotz unserer Herzen zu brechen durch Leiden, die er uns sendet, seinen eingeborenen Sohn für

uns leiden lässet.

Sehet, wie das Herz des Apostels, der eben

noch seinen Herrn verläugnet, in bitteren Rcuethränen zerfließt, da

er hinaufgcschaut zu dem still duldenden Meister, da der treue Blick des theueren stummen Antlitzes ihn getroffen hatte.

Das

Bild des Erlösers, der Leiden und Tod für uns erduldet hat, auch in unseren Herzen zu beleben, ist die Aufgabe dieser Zeit des Kirchenjahres, ist der Zweck dieser Passionsandachten.

An

wem dieser Zweck erreicht wird, der wird nicht umsonst die letzte

106

Bitte deS Vaterunsers aussprechen :

„Führe uns nicht in Ver­

suchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen!" — er hat den

treuesten

Helfer

zur

Seite!

Dein

Mund,

der

den

Herrn

bekennen sollte, verstummt vor dem frechen Hohne der Spötter;

da fällt dein Auge auf den leidenden Erlöser, und er wendet sich und sieht dich an :

„So viel habe ich für dich gethan, und so

wenig wagst du für mich"? Sollte daS nicht deinen schwachen

Muth stählen?

Deine Trägheit, deine Bequemlichkeit versagt

den« Herrn den ihm gebührenden Dienst, da spricht der Blick des

leidenden Erlösers zu dir :

„Siehe, ich habe gewacht für dich

unter Angst , und Todcsbangen zu Gethsemane, und du willst nicht eine Stunde wachen und arbeiten für mich.« nicht den wankenden Entschluß befestigen?

Lust

Sollte das und weltliche

Ehre locken dich auf den breiten Weg, der zum Verderben führt, aber noch einmal richtest dn den scheuen Blick auf deinen leiden­

den Erlöser, und er wendet sich und siehet dich an :

ich habe Hohn und

"Siehe,

Spott, Geißel und Fanstschläge und den

bitteren Kreuzestod gekostet um deinetwillen; und du willst mich verlassen um die eitel« Lüste dieser Erde ? Ich habe die Dornen­

krone getragen für dich, und

tu giebst mich preis für die ver-

welklichcn Kränze weltlicher Ehre? O sieh mich an und erkenne, wo unvergängliche Kronen dir winken!"

— Sollte das nicht un­

sere auf Irrwege geratheue Seele zur Bcsiiinung bringe«? —

Und

so würd sich

die Kraft des stumme» imb doch so gewaltig

redenden Blickes unseres leidenden Heilandes in allen LebenS-

verhältnissen bewähren.

O laßt und den Eindruck des theuren

Angesichtes auS unserem Passionsgotteödicnste mit hinausnehmen

ins Lebe»; und laßt mich schließen mit der Erinnerung daran, daß eines der schönsten Lieder von Paul Gerhard gerichtet ist an

das Angesicht deS Herrn Jesu.

Es fängt an :

O Haupt voll Blut und Wunden, Voll Schmerz und voller Hohn, O Haupt zum Spott gebunden Mit einer Dornenkron! O Haupt, sonst schön geschmückel Mit höchster Ehr' und Zier,

107 Doch nun von Schmach gedrücket, Gegrüßct sepst du mir!

3ii den Schluß dieses LiedeS aber wollen wir in herzlichem Gelvetc einstimmen : Ich danke dir von Herzen O Jesu, liebster Freund, Für deine Todesschmcrzen Da du's so gut gemeint! Ach gib, daß ich mich halte Zu dir und deiner Treu,

Und wann ich nun erkalte,

In dir mein Ende sey! Erscheine mir zum Schilde, Zum Trost in meinem Tod Und laß mich sehn dein Bilde

In deiner KreuzeSnoth; Da will ich nach dir blicken, Da will ich glaubenövoll Fest an mein Herz dich drücken! Wer so stirbt, der stirbt wohl!

Amen!

VIII.

Die Mahnung des Kreuzes Christi au die im Geiste um es Versammelten. Charfreitagspredigt. Tert : I. Gor. 7, 23. Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi uud die ?icbe Gottes

des VaterS uud die Gemeinschaft deS heiligen Geistes seh mit lind Allen! Andächtig

Amen.

versammelte, theuer

erkaufte Christengemeinde!

Wohl immer, wenn ihr diese gcweihete Stätte betretet, fühlt ihr

euch durchdrungen von einer Stimmung heiligen Ernstes, des

Ernstes, welcher dem Herzen geziemt, das, nachdem cs sich los­

gemacht hat von Allem, waö ihm sonst groß und wichtig dünkte, nun gesammelt ist und gerüstet zur Antwort auf die ernsteste unter allen

Fragen, auf die Frage: „Mensch, wie stehest du mit deinem Gott!" Heute aber war diese ernste Stimmung, die euch immer hierher

begleitet, schon bei eurem Eintritte gemischt mit einem besonde­

ren Gefühle der Trauer und Wehmuth; denn ihr wußtet, daß

die Stunde, die uns jetzt hier zusammenführte, die ernsteste ist

im ganzen Kreisläufe des Kirchenjahres, daß die Feier, die euch hier erwartet, die Todtenfeier ist unseres Herrn und Heilandes.

Ihr braucht nicht erst abzuwarten, was die Verkündigung des göttlichen Wortes euerer frommen Betrachtung nahelegen werde, denn ihr wißt voraus, daß der große Gegenstand unserer heuti­

gen Andacht, auf den unser Gebet sich stützt, den unser Gesang

feiert und die Predigt verkündet, kein anderer sehn kann, als der Tod des Erlösers, und jetzt schon sind euere Augen alle auf einen

Punkt gerichtet, und dieser Punkt ist das Kreuz auf Golgatha, wo sie eben vollbracht wird die größte, rührendste That der

göttlichen Liebe! dieser eine Blick!

O, geliebte Freunde, waS sagt uns nicht Alles

Welche ununterbrochene Reihe des schmerz­

lichsten Leides führt er uns vor die Seele,

von jenem ersten

Augenblicke an, da der Aufgang aus der Höhe die Herrlichkeit bei dem Vater verließ und unsere Knechtsgestalt annahm, und

da die himmlischen Hcerschaaren seine Ankunft verkündeten mit dem Jubelrufe :

"Ehre seh Gott in der Höhe, Friede auf Er­

den und den Menschen ein Wohlgefallen"! bis zu diesem letzten, in welchem sie sich vollendet, die furchtbarste That der mensch­ lichen Sünde, über welche die Erde erzittert und die Felsen zer­

reißen und die Gräber sich aufthun und die Leiber der Heiligen, die da schliefen, erbeben!

O gewiß, Geliebte, die Schmerzen

des Leibes und der Seele, die unser Herr erduldete,

sind der

Trauer werth, und mit tiefem Schmerz muß es uns erfüllen, daß so gränzenlose Liebe nicht sehn konnte ohne so gränzenloses Leid. —

Doch indem wir so vor dem Kreuze des Erlösers stehen und

mitleidsvoll seinen schmerzenreichen Tod betrauern, da dringet auch an unser Herz das Wort, welches der Herr den Weibern

zurief, die klagend ihm zur Schädelstätte folgten :

„Ihr Töchter

von Jerusalem, weinet nicht über mich, sondern weinet über euch selbst und über euere Kinder«! (Luc. 23, 28.)

Das dürfen

wir bei unserer Trauer um den Gekreuzigten nie vergessen, daß

er nur gestorben ist, um uns zu erlösen.

Nicht blos die Sünde

der Pharisäer und Schriftgelehrten, des Judas, des Pilatus, hat

den Herrn an das Kreuz geschlagen; die Sünde der ganzen Menschheit hat es gethan, auch unsere Sünde, meine und deine,

derselbe Eigennutz, dieselbe Trägheit zum Guten, dieselbe Lust am Vergänglichen, die auch unser Herz noch, da- ein Tempel Gottes sehn sollte, zu einem Kaufhause der Selbstsucht machen.

Und

mit dieser Erkenntniß wendet sich der Blick von dem gekreuzigten

Erlöser zurück auf uns selbst, und sein Kreuz ist uns aufgerichtet als ein Zeichen nicht blos zu müßiger Klage, sondern auch zu ernster Buße.

Wohlan denn,

Geliebte, so

gewiß wir Antheil

haben wollen an dem Heile, das Jesus Christus durch seinen Tod der Welt erworben hat, laßt uns der Aufforderung des

großen und ernsten Tages folgen, laßt uns heute mit Andacht

vernehmen und erwägen die Mahnung d e S K r e u z c s C h r i st i an uns, die wir heute im Geiste um cS versammelt

sind.

Ich weiß aber diese Mahnung nicht besser und kräftiger

zusainmcnzufassen, als in den Worten, die der Apostel Paulus

den Corinthern an das Herz legt im 1. Briefe an dieselben, im 7. Capitel, int 23. Verse, nnd die also lauten: „Ihr seyd theuer erkauft, werdet nicht dcS Menschen Knechte."

Und du, in dessen Namen wir hier versammelt sind, sch, wie du verheißen hast, mitten unter unS, auf daß Ohr und Herz

der Hörer offen seh und der Verkündigung deines gnadenreichen Todes daö Beste nicht fehle, der Geist und die Kraft und der Segen von oben!

I.

„Ihr sehd theuer erkauft!" so ruft der Apostel den Christen zu Corinth zu; „Ihr schd theuer erkauft!" so ruft heute der sterbende Erlöser uns Allen zu, all den Millionen Gläubigen, die jetzt, so weit der Tag leuchtet, versammelt sind zum Preise seines TodeS; uns Allen, die wir gewürdigt worden sind, die

Zeit des Heiles zu schauen, nach der die Propheten gesuchet und

Hi geforschet und sich vergebens gesehnt haben;

vor so

vielen

Brüdern

selig sind in der Theilnahme an dein

göttlichen Leben,

höheren,

nnö Allen, die wir

das

aus seinem Tode hervorwuchs.

Ja, wir Alle, so mahnet unsere Feier, wir Alle sind theuer er­

Wer aber ist die finstere Macht, die uns in so

kauft!

harter Knechtschaft gebunden hielt, daß eS eines

wie Paulus die Gemeinde zu Eolossä belehrt (Col. 1, 13); ist

die furchtbare Macht,

so

ES ist die Oberkeit der Finsterniß,

hohen Lösegeldes bedurfte?

eS

unter deren Drucke selbst der Apostel

seufzte: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von diesem

Leibe dcS Todes!"

nnd

(Röm. 7, 24)' es ist die Gewalt der Sünde

Unwissenheit

der

menschlichen Lebens, Und

warum

über

über

müssen

die

höchsten

die

Angelegenheiten

deS

die Bedingungen des ewigen Heiles.

losgekauft

Gefangenen

werden?

Warum schüttelten sie das drückende Joch nicht selbst ab, statt träge einet Anderen zu harren,

der sie befreie?

nur an, wer sind denn diese Gefangenen?

O, sehet sie Die meisten

sind den Druck ihrer Fessel so gewohnt, daß sie ihn nicht mehr fühlen, sie sind so tief in die Knechtschaft versunken, daß sie die

Sehnsucht

nach Freiheit nicht mehr kennen;

und die Uebrigen

streben wohl, der schmählichen Dienstbarkeit loö zu werden; aber je mehr sie streben, desto mehr fühlen sie die niedcrbeugende Macht

der Sünde,

je eifriger sie ihre Kräfte brauchen wollen,

schmerzlicher

fühlen

desto

sie den Druck der Kette, die sie gebunden

hält, je mehr sie dem Ziele der Bollkommenheit zu nahen trach­ ten, desto ferner scheint cö ihnen gerückt, desto mehr wird ihnen

zu einem Verdamniuugsurthcil das Gebot deS Erlösers : sollt heilig

Mensch

seyn, denn ich bin heilig!"

nimmermehr

»Ihr

Sich selbst kann der

erlösen aus der Knechtschaft der Sünde,

das erfährt jeder, der es ernsthaft versucht. umhersieht unter seinen Brüdern,

so

Und wenn er nun

ist keiner besser daran :

»Alle sind unter der Sünde, wie der Apostel sagt, da ist nicht

der gerecht sey, auch nicht Einer!" wo

Alle gebunden

(Röm. 3, 10).

Wie sollte,

sind, Einer die Fessel des Anderen lösen?

Auf Erden ist der Befreier nicht zu finden, und so wendet sich

der flehende Blick der nach Freiheit Dürstenden

von der Erde

Dort aber wohnt ja eben der all­

hinweg zum Himmel hinauf.

mächtige Schöpfer, gegen den das Geschöpf sich empört hat.

Da

thront er, der ernste Richter, und vor ihm liegt aufgeschlagen

daS Buch der Gesetze, die er durch Mose verkündet, und das Buch des Gesetzes, daS er allen Menschen in das Herz gegeben im Zeugnisse ihres Gewissens.

In der einen Hand die richtende

Wage, in der anderen das strafende Schwert, so ist er gerüstet, Recht zu sprechen nach seiner Gerechtigkeit.

AuS seinem strengen

Auge flammt eS wie Blitz auf die Sünder herab, und von seinen Lippen tönt cs wie Donner des Gerichtes :

„Verflucht sey, wer

nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllt, daß er darnach thue!"

Ach, unter allen Gesetzen ist keines, von dem nicht Jeder sagen „Tausend- und tausendmal ist eS übertreten worden!"

müßte :

Müssen da die sündigen Herzen nicht beben? Dürfen sie hoffen, daß der, von welchem sie frevelnden Sinnes abgefallen sind, sie

selbst loskaufen werde aus der freiwillig gesuchten Knechtschaft?

Auf Erden haben sie vergeblich den Retter gesucht und nun scheint auch der Himmel sie zurück zu stoßen und noch immer tönet cs un­ erhört : „Wer wird mich erlösen von diesem Leibe deS Todes?"

Und der gewaltige Herr des Himmels legt Wage und Schwert nieder!

Statt der vernichtenden Strenge des Richters strahlt

die tröstende Liebe des Vaters aus seinen Blicken, und statt des verdienten Fluches erschallet das Scgcnswort : „Ich

will mein

Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben; sie sollen mein Volk seyn, so will ich ihr Gott seyn! . . .

Sie sollen

mich alle kennen, beide klein und groß; denn ich will ihnen ihre

Missethat

vergeben

und

(Jer. 31, 33 und 34.)

ihrer

Sünde nicht mehr

gedenken!"

Er kann es nicht sehen, daß die, welche

er in Schöpferlust zu seinem Bitte geschaffen, verloren sey» sol­

len, der treue Gott, den sie verlassen haben, er selbst ist der, der sie loskaufen will aus der selbst verschuldeten Knechtschaft. Und was ist das Lösegeld?

O unbegreifliches, nicht

auszupreisendes Wunder der göttlichen Liebel über

den Sternen thront,

Der Herr, der

erniedrigt sich selbst und steigt zur

Erde herab; der Gott nimmt die Gestalt der Sünder an, damit er sie erlöse; freiung.

er selbst gibt sich zum Opfer hin für ihre Be­

Die Gottheit erscheint in ihrer Fülle leibhaftig im

Menschen Jesu, der das Licht der Welt erblickt im Stalle zu Bethlehem, inmitten menschlicher Beschränkung.

Nun, dieses

Opfer ist ja wohl groß genug, um die Gewalt der Sünde zu brechen; und befreit, wird der Mensch gerne sich hiuwenden zu

dem verlassenen Gott, dessen Herrlichkeit ihm so freundlich ent­ gegentritt

im eingeborenen Sohne voll Gnade und Wahrheit.

Aber nein!

Nur wenige heilsbedürftige,

kindliche Gemüther

sammeln sich um ihn, von inniger Liebe wunderbar ergriffen, zu

einer treuen Gemeinde.

Die Meisten gehen fortwährend dahin

in der Finsterniß ihres Geistes; was bedürfen, so denken die Un­

seligen, die Gesunden des Arztes, was haben die Freien den Er­ löser nöthig! Um solche Nacht zu erhellen, um so starre Herzen

zu erweichen, muß das Feuer der göttlichen Liebe noch heller strahlen und noch wärmer glühen, um sie aus der Knechtschaft

der Sünde loöznkaufen, braucht es noch höheren Preises! Und die Langmuth des Erlösers ermüdet nicht.

Beseligende Worte des

Geistes und ewigen Lebens strömen von seinen Lippen : sie haben

nichts darauf zu sagen, als „das ist eine harte Rede, wer mag

sie hören?" (Joh. 6, 60.)

„Wer'mich siehet, so lehret er, der

siehet den, der mich gesandt hat" (Joh. 12, 45); aber sie haben

in der Nacht der Sünde das göttliche Ebenbild so sehr verloren, daß sie cs im eingeborenen Sohn vom Vater nicht wieder er­

kennen, und schelten ihn einen Gotteslästerer.

Er thut Wunder

in der Kraft Gottes, und sie sprechen : „Er steht mit dem Teufel im Bunde!" (Luc. 11,18.)

Dennoch läßt er nicht ab, die Irren­

den aufzusuchen; aber sie stoßen ihn von sich, und des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege (Matth. 8, 10). „Herr,

willst du, so sagen wir, daß Feuer vom Himmel falle und ver­ zehre sie?" fragen Jakobus und Johannes, als die Bewohner

jener samaritanischen Stadt dem Heiland der Welt Herberge

versagten; aber er will nicht mit äußerer Gewalt den Menschen hindern, ihm zu widerstreben, und ihre Körper zu knechtischem Y d u i, Predigten. g

Dienste zwingen: eine Gemeinde von Freien will er, ihre Herzen will

er überwinden und in freier Liebe sich ganz zu eigen machen, und das kann durch keine zwingende Gewalt, daS kann nur durch die Kraft der

Liebe geschehen, und so wendet er sich und bedräuet die allzueif­ rigen Jünger: „Wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder

seyd?

ihr

Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, zu verderben,

sondern zu erhalten!" (Luc. 9, 54 f.) und in diesem Geiste der

Liebe wirket er fort mit unüberwindlicher Langmuth : je höher

daS sündige Widerstreben der Menschen steigt, desto höher seine erlösende Liebe; je fester der Fürst der Finsterniß seinen Raub

umspannt, desto theuereres Opfer bietet er dar zur Befreiung

der gefesselten Menschheit.

Aber Alles rührt die harten Herzen

nicht, das Alles ist dem Bösen nicht genug, daß er seinen Raub

loslasse : er fordert den allerhöchsten Preis.

„Größere Liebe

hat Niemand denn die, daß er sein Leben lässet für seine Freunde" (Joh. 15, 13), auch diesen letzten Preis zu zahlen, weigert der Göttliche sich nicht.

„Kreuzige, kreuzige ihn!" schreit die tolle

Wuth deS verblendeten Volkes, und siehe, er verstummt, wie das

Lamm, das zur Schlachtbank geführet wird, und bietet das theuere

Haupt willig der Schmach und den Rücken willig den Streichen

und der drückenden Last des Marterpfahles.

Die blinde Mensch­

heit schlägt ihr Heil an's Kreüz : „Vater, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!" (Luc. 23, 34), daS ist alle Rache, die er vom Himmel herabbeschwört auf seine Mörder, und damit neigt er sein Haupt

und verscheidet.

Da endlich

reißt daS alte starre Eis, das um die Herzen sich gelagert hatte!

Der römische Hauptmann bekennt (Luc. 23, 47) : „Wahrlich,

dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!" und JudaS wirft das

Blutgcld dem Hohenpriester vor die Füße und giebt sich selbst den Tod in Verzweiflung darüber, daß er den Heiland der Welt verrathen (Matth. 27, 3 ff.); daS Volk aber, das dabeisteht, schlägt an seine Brust und betet in rcuerfülltem Herzen : „Gott

seh uns

Sünder»

gnädig!"

Unter den

Todesschmerzen

des

Heilandes nahet die Stunde der Geburt der neuen Welt, die

Gewalt der Sünde ist gebrochen durch die Kraft seiner unüber-

windlichen Liebe, das Werk der Erlösung vollbracht, daS theuere

Lösegeld für die gefesselte Menschheit bezahlt, „nicht mit vergäng­ lichem Silber oder Golde, sondern mit dem theueren Blute

Christi

als

eines

unschuldigen

und

unbefleckten

Lammes"

(1 Pet. 1, 18).

Um so theueren Preis mußten wir erkauft werden, Geliebte! So viel hat der Erlöser für uns gethan, und was thun wir für Gehören wir wirklich mit Leib und Seele ihm an, der

ihn?

mit seinem theueren Blute uns zu seinem Eigenthum sich erkauft

Gestatten wir wirklich der Sünde, die ihn an'S Kreuz ge­

hat?

schlagen, gar keinen Antheil mehr an uns?

Was haben wir zu

sagen auf diese Fragen, welche der heutige Tag uns so dringend an's Herz legt?

Wer ist, der hier reine Hände erheben kann

und mit freudiger Zuversicht sich der Berantwortung stellen darf? Ach, bei Jedem wohl verwandelt sich die Antwort in das stumme

Selbstbckcnntiiiß :

„Nichts, gar nichts habe ich gethan, d?S so

großer Liebe werth wäre!"

mit

der Segen

Und was sollen wir denn thun, da­

dieser größten göttlichen Liebesthat uns nicht

verloren gehe?

II.

Die Antwort auf diese Frage ist in der zweiten Mahnung enthalten, welche das Kreuz Christi uns zuruft mit den Worten des Apostels : „Werdet nicht des Menschen Knechte!"

Das ist Alles, was der Herr von uns fordert zum Danke dafür, daß er uns so theuer erkauft hat :

wir sollen nun

auch ganz

sein Eigenthum sehn und nicht wieder Knechte des Menschen

werden. Ehe >vir aber diese Forderung zu unserer Erbauung weiter anwenden, wird es zweckmäßig sehn, vorerst eine Auslegung der­ selben zu beseitigen, welche der fleischliche Sinn der Menschen

schon oft versucht hat, die wir aber, wenn wir recht erwägen, was der liebevolle Tod deS Herrn für uns bedeute, unmöglich

8 *

116 billigen können.

Man hat das Verbot, nicht Knechte der Men­

schen zu werden, auf das äußere Leben bezogen, auf die gegen­ seitige Unterstützung, welche hier der Mensch dem Menschen leisten

muß; man hat darauf hin alle durch das natürliche Bedürfniß geforderte und durch die Gewohnheit von Jahrtausenden geheiligte

Schranken niedergerissen und in jenen äußeren Dingen einen Zu­ stand der Freiheit und Gleichheit zu begründen gesucht, der dem Bilde der wahren christlichen Freiheit entsprechen sollte.

So aber

die Schrift auslegen, das heißt die Worte, welche Geist und ewiges

Leben sind, zu Werkzeugen fleischlicher Selbstsucht und

schnöder

Lust am Vergänglichen machen.

Herrn und Diener,

Reiche und Arme, Lehrer und Lernende, die sollen auch fortan

bleiben im Reiche deö Herrn; die Ordnungen des äußeren Lebens sollen fortbestehen, aber so, daß sein Geist der Sauerteig wird, welcher sie alle durchdringt und verklärend umbildet mit seiner

göttlichen Kraft; die Gläubigen sollen dem Berufe fortleben, dem sie vorher gelebt, aber sie sollen ihm anders leben, nämlich, wie der Apostel sagt, als Gefreite des Herrn (Röm. 16, 22); sie

sollen nicht gefangen sehn in jenen äußerlichen Dingen, sondern

ihren Geist innerlich davon frei halten, in Gemeinschaft mit dem Geiste des Herrn; und nur da, wo der Geist des Herrn ist, da

ist die innere Freiheit, die den Gläubigen nirgends verläßt, auch

in Ketten nicht, Ungebundenheit.

und nichts gemein hat mit jener fleischlichen

So laßt uns denn,

geliebte Freunde, thun,

wozu das Kreuz deS Herrn, das bedeutungsvolle Zeichen seiner

eingedenk feines

dienenden

aufopfernden Liebe, uns auffordert,

Wortes :

„Welcher will groß werden unter euch, der soll euer

Diener sehn, und welcher unter euch will der vornehmste werden,

der soll aller Knecht sehn.

Denn auch des Menschen Sohn ist

nicht gekommen, daß er ihm dienen lasse, sondern, daß er diene

und gebe sein Leben zur Bezahlung für Viele." (Marc. 10,43—45.) Wie er selbst nicht für einen Raub hielt, Gott gleich zu sehn, sondern

sich selbst erniedrigte,

damit er sein unvergängliches

Leben unS mittheile, so möge auch Keiner von uns die Gabe, die er empfangen, für einen Raub halten, den er eigennützig für

sich genießen darf, noch

vergessen, daß wir alle Glieder sind

eines Leibes, der nur wachsen und gedeihen kann, wenn alle in

ihrer Thätigkeit sich gegenseitig

unterstützen nach dem heiligen

Willen des Hauptes, welches ist Christus, und von welchem aus

durch den ganzen Leib Gesundheit und Kraft des wahren Lebens sich ergießt.

Keiner möge wähnen, daß Welt und Menschen nur

da sehen, um seinem sinnlichen Wohle zu dienen, vielmehr er­ kenne er seine Aufgabe und seinen Beruf darin, höheres, geisti­

ges Leben mitzutheilen, so viel an ihm liegt; denn so wenig ein

Glied, losgerissen vom lebendigen Leibe, ein Leben für sich führen könnte, so wenig haben wir das wahre Leben in uns, so gewiß

sind wir dem ewigen Tode verfallen, wenn wir selbstsüchtig uns absondern, um uns selbst zu dem Mittelpunkte zu machen, auf

welchen wir Alles beziehen, statt, getrieben von der Liebe, die

nicht das Ihre sucht, uns mit Leib und Seele dem Dienste des Ganzen zu weihen, und des Ganzen waltet.

göttlichen Gesetzes, das in dem

Der Gedanke an den Tod des Erlösers begeistere

auch uns zu inniger, thätiger Bruderliebe, damit wir an unserm

Nächsten vergelten, waS Er an uns gethan, und als Knechte

unserer Brüder allezeit zu ihrem Dienste bereit sind, so jedoch, das wir dabei bleiben Gefreite des Herrn!

Denn wie dringend uns Jesus Christus durch Lehre und

Vorbild und vor Allem durch das Beispiel seines liebevollen Todes

auffordert, daß Einer des Anderen Diener werden solle in thäti­ ger Liebe im Bereiche des äußeren Lebens, so zuwider ist ihm

die unthätige, knechtige Hingebung an das Ansehen

Anderer in Sachen des

geistigen Lebens und

des

Glaubens, so unnachsichtig fordert er im Reiche des Geistes unsere Dienste

für sich und nur für sich : hier will er ganz

alllin Herr sehn und durchaus keinen Anderen neben sich dulden, unt in dieser Bedeutung haben wir auch zunächst die Warnung des Apostels zu fassen, daß wir nicht des Menschen Knechte wer­

den sollen.

Die Bewohner von Corinth hatten sich so sehr dem

Eildrucke überlassen, den die bedeutende Persönlichkeit einzelner

autgezeichneter Lehrer des Evangeliums auf sie gemacht hatte,

116 daß sie über der Schale den Kern, über die Prediger des Kreu­

zes Christi den Gekreuzigten selbst vergaßen; und so zerfiel die

Gemeinde, die in einerlei Sinn und Meinung im Glauben an Christum fest an einander hätte halten sollen, in Zank und Spal­

tungen : diese hingen dem Paulus an, jene dem Petrus, Andere dem Apollos.

Da straft sie denn der Apostel in unserem Briefe

(1 Cor. 1, 12 u. 13) mit den zürnenden Worten :

„Ich sage

aber davon, daß Einer unter euch spricht : Ich bin Paulisch;

der Andere : Ich bin Apollisch; der Dritte : Ich bin Kephisch; der Vierte : Ich bin Christisch.

Wie, ist denn Paulus für euch

gekreuzigt, oder seyd ihr auf Pauli Namen getauft?»

Nur als

dessen Eigenthum also, der für uns gekreuziget ist, sollen wir uns bekennen in Sachen des Glaubens, so will's der Apostel,

und anders darf und soll es nicht seyn; denn was Paulus und

Petrus und all die Säulen unserer Kirche gelehrt und gewirkt und bis zum Tode gelitten haben für uns : diese Weisheit und

diese Kraft hatten sie doch nicht von dem Ihren genommen, son­

dern sie schöpften aus der Quelle lebendigen Wassers, die eben nur am Fuße des Kreuzes Christi entspringt, sie sind Erlöste gleich unS, und gegenüber der göttlichen Reinheit und Hoheit

des Erlösers befassen sie selbst sich mit unter das allgemeine

Urtheil : »Sie sind allzumal Sünder und mangeln deö Ruhms,

den sie vor Gott haben sollten.»

Nur Einer ist der untrügliche

Meister, nur Einer hat, ohne etwas empfangen zu haben, aus

freier Gnade sich uns ganz hingegeben, und er allein kann ver­ langen und verlangt, daß auch wir ihm Sinn und Willen völlig

weihe».

Wie nun die knechtische Hingebung an menschliches An­

sehen die Gemeinde zu Corinth in Zank und Spaltungen zer­

splittert und da- freudige Wirken des Geistes und Herrn ver­

kümmert und gehemmt hatte, so finden wir es leider immer noch in der Kirche.

Denn freilich ist eS, zumal in einer Zeit, wo die

sich kreuzenden Stimmen der Wortführer der verschiedenen Rich­

tungen und Bestrebungen der Ungerüsteten leicht verwirrt und ängstlich machen, sehr bequem und der Trägheit des Fleisches

gemäß, daS, was der Einzelne selbst abzumachen hätte mit seinem

Gott, Anderen zu überlassen und ihren Sinn und Willen dem blindlings zu unterwerfen; aber wohl gethan ist es gewiß nicht und

doch immer nur eine kindische Art, die aufhören muß, damit der

Glaube zu männlicher Selbständigkeit erstarke.

Der evangelische

Christ kennt nur Einen Mittler zwischen Gott und ihm, Jesum

Christum, das fleischgewordene Wort Gottes, den Sohn, der für uns gestorben ist; mit diesem in das rechte innere persönliche

Verhältniß sich zu setzen, daS ist unsere erste und wesentlichste

Aufgabe, und so lange ihr nicht genügt ist, ist mit dem gar oft nicht einmal von dem Trachten nach dem Reiche Gottes eingegebenen Dringen auf bestimmte Worte und Gebräuche und äußere

kirchliche Ordnungen gar wenig gethan.

Und mit dem Heiland,

der sich für Alle dahingegeben hat, mag auch Jeder frei reden von Mund zu Mund und von Herz zu Herzen : er hat noch

kein Herz, daS ihn ernstlich suchte, zurückgestoßcn und die Demü­

thigen und Armen am Geiste immer am liebsten gehört. —

So,

Geliebte, stehen wir zu einander in Sachen des Glaubens : nur

ein Herr und Erlöser über uns, Jesus Christus, der durch sei­ nen Tod zu seinem Eigenthume uns erkauft hat, und alle Er­

lösten gleichberechtigte Bürger seines Reiches; und so allein kann der Geist, den er den Seinen verheißen hat, zu seiner vollen

kräftigen, weltüberwindenden Wirksamkeit gelangen. Wenn aber der Apostel die knechtische Hingebung an Mensch­

liches als das Hanpthinderniß bezeichnet für das Gedeihen

des

göttlichen Lebens, welches aus dem Tode des Heilandes erwachsen soll,

so dürfen wir ja wohl diese gefährliche Knechtschaft auch

schon im Verhältnisse zu dem Menschlichen in uns selbst suchen

und die Warnung des Apostels beziehen auf die Knechtschaft unter der Gewalt der in Jedein noch

des alten Menschen der Sünde,

feindselig gegen den Geist des Herrn sich

regt und von dessen Herrschaft uns völlig loszumachcn nichts so kräftig antreibt, als die Betrachtung des Todes des Erlösers. Laßt uns, meine geliebten Freunde, den andächtigen Blick auf

das Kreuz auf Golgatha gerichtet, noch einmal recht lebendig uns vor die Seele führen die Bilder aller seiner göttlichen Thaten

120 und seiner bitteren Leiden, die er erduldet hat bis zu diesem

letzten, und wenn ihr die«. Alles, was dieser Blick euch sagt, zu­ sammengefaßt habt in ein großes Gefühl schmerzensvoller Be­

wunderung, dann gehet zurück in euch selbst und denket ganz auS

und nehmet auf mit reinem, ganzem Herzen den himmlischen Ge­ danken : Für mich ist er gestorben! um meinetwillen!

DaS Alles hat er gelitten

Er ist Mensch geworden, um mich zu Gott

zu erheben, erfüllt von der Kraft seines heiligen Geistes! — Sollte daS Herz von solcher Liebe nicht zu inniger Gegenliebe

entzündet, nicht bei diesem ernsten Anblick des Gekreuzigten zu dem Borsatze erweckt und immer aufs Neue darin bekräftigt

werden : Hier hast du mich ganz, wie du für mich dich ganz dahingegeben hast! Ich will keinen Willen mehr haben, als dei­ nen Willen; kein Leben, als in deinem Geiste; keine Liebe, als

zu dem, was du liebst; keinen Feind, als den, der dir zuwider ist!

Dieser Feind aber ist eben der

alte Mensch der Sünde

in uns, der die Erde fest umklammert hält mit ihren vergäng­

lichen Gütern und ihrer vergänglichen Lust und die Gläubigen herabziehen möchte auS dem ewigen Leben in Gemeinschaft mit

dem Erlöser in daS Reich des ewigen Todes.

Zum Kampfe

gegen diesen also vor Allem ruft unS das Kreuz dcö Erlösers.

Die Selbstsucht dieses alten Menschen der Sünde, seine Träg­

heit zum Guten hat den Herrn an das Kreuz geschlagen, und wie sich Christus durch seinen liebevollen Tod die Menschen zum

Eigenthum erkauft hat,

so müssen sie jetzt auch für feindlich

halten, was ihm feindlich war und sich lossagen von Allem, was in ihnen noch an die alte Herrschaft der Sünde erinnert : der

alte selbstsüchtige Mensch muß mit Christus sterben, damit der

neue mit ihm zum Leben auferstehe.

Freilich ist dieser Kampf

schwer und seine Wunden sind schmerzlich; aber nothwendig ist

er auch, und das Herz, welches nicht auch in diesem Sinne den CharfreitagSschmerz an sich erfahren hat, kennt auch nicht die

wahre Osterfreude; wer nicht mit dem Apostel sprechen kann : „Ich bin mit Christo gekreuziget» (Gal. 2, 20), der darf auch

nicht in der Freude des Sieges ausrufen : ,Hch lebe aber, doch

NUN nicht ich, sondern Christus lebet in mir" (Gal. 2, 20);

es ist Alles neu worden!"

»Das Alte ist vergangen, siehe, (2 Cor. 5, 17.)

So legt uns heute das stumme Kreuz des Erlösers hoch­ wichtige Mahnungen an das Herz, die Mahnung zu herzlicher

Bruderliebe, zu

wachsamer Behauptung der

theuer erkauften

Freiheit, womit uns Christus befreit hat, zu stetem Kampfe mit

dem ungöttlichen Leben in uns.

Und mit besonderem Nachdrucke

ergehen diese Mahnungen an euch, die ihr bereitet seyd, theilzunehmen an dem heiligen Mahle, das des Herrn Tod verkünden

soll, bis daß er kommt; euch vor Allen fordert unsere Feier zu dem ernsten Vorsatze auf, Alles abzuthun, was in euch noch der Sünde angehört, damit ihr euch nicht schuldig machet am Leib und Blute des Herrn, und

seinem Tische mit dem Ent­

schlüsse zu nahen, ganz ihm anzugehören, damit der Genuß dieses

Weines und Brodes euch wirklich ein Zeichen und Mittel der innigsten geistigen Gemeinschaft mit ihm werde. Uns Allen, Ge­

liebte,

ist daS Kreuz des Heilandes ein Zeichen, wie sehr der

Herr uns geliebct hat, da wir noch Sünder waren : laßt uns

ihn wieder lieben, damit wir durch ihn Gerechte werden!

Er

hat Alles gethan, was er thun konnte : laßt uns nicht säumen, auch das Unsere zu thun; die gnädige Hand zur Rettung ist uns

dargereicht : laßt uns nicht zögern, sie zu ergreifen!

Die Er­

innerung an den Tod des Herrn werde uns ein Antrieb zur

ernstesten Buße, damit wir mit Christo sterben heute und jeden Tag und damit dann, wenn der Klang der Osterglocke uns hier versammelt und die Siegesbotschaft der Maria :

auferstanden!"

„Der Herr ist

uns wieder verkündet wird, der Widerhall in

unserem Herzen als freudiges Zeugniß, daß auch in uns durch

den, der gekreuziget und auferstanden ist, ein neues Leben erwacht

sey, mit seliger Zuversicht antworte :

standen !"

Amen.

„Er ist wahrhaftig aufer­

IX.

Mr muß der Christ die finuiit non der Auf­ erstehung des Herrn aufoehmeu? Osterpredigt. Tert : Luc. 24, 13-35. Gelobt sey Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi,

der

unS

nach

seiner

großen

Barmherzigkeit

wiedergeboren

hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu

Christi von den Todten, zu einem unvergänglichen unb unbe­

fleckten und unverwelklichen Erbe, das behalten wird im Him­

mel !

Amen.

Wie schön ist eS doch,

meine geliebten Freunde,

daß wir

unser schönes Osterfest gerade in dieser Zeit des Jahres feiern!

Ist eS nicht, als ob daö neue Leben, das im Reiche der Natur sich

regt, ein Abbild

Reiche der

werden solle des großen Ereignisses

Gnade, das wir heute feiern?

im

Als ob der junge

Frühling, der auf dem späten Grabe des alten Winters endlich

die Siegesfahne aufzupflanzen scheint, ein Symbol sein solle des neuen

Lebens,

das

der Sieger über Tod und Hölle der er­

storbenen Welt gebracht hat?

Ja, Geliebte, heute ist, wie einst

ein großer Kirchenvater an diesem Tage gepredigt hat, Früh­

ling im Reiche der Natur und Frühling im Reiche des Geistes, Frühling für die Leiber und Frühling für die Seelen, sichtbarer Frühling und unsichtbarer!

Den herrlichen Glanz dieses fröh­

lichen Siegesfestes der Kirche hat in einfachen großen Zügen der evangelische Text entfaltet, welcher der heutigen Morgenandacht zu Grunde lag (Marc. 16, 1 — 8) und worin erzählt wird, wie

die frommen Frauen, die ihrem Herrn die letzte Ehre anthun wollten und ihn

salben, zum Grabe kamen sehr frühe, da die

Sonne anfgieng; wie sie den Stein abgewälzt fanden und einen

Engel in dem Grabe sitzen,

der sie bedeutete:

„Ihr suchet

Jesum von Nazareth, den Gekreuzigten; er ist auferstanden, und

ist nicht hier!"

und wie ein Zittern und

Entsetzen sie ankam,

und das ungeheuere Ereigniß ihnen den Mund verschloß, also,

daß sie Niemand Nichts davon sagten.

Neben diesen herrlichen

Sonnenaufgang stellt der Text, welcher unserer gegenwärtigen Betrachtung zur Grundlage dienen soll, einen sanften Sonnen­

untergang;

neben die thaubeglänzte Morgenlandschaft eine däm­

mernde Abendlandschaft, da der Nebel die Thäler füllt, aber auf

den Höhen der milde Strahl des Vollmondes liegt und der Geist des Herrn mit sanftem Wehen die jungen Knospen um­ spielt !

Eö steht dieser Text im Evangelium des Lucas im 24.

Capitel und lautet da vom 13. —35. Verse wie folgt :

»13. Und siehe, zween aus ihnen giengen an demselben Tage in einen Flecken, der war von Jerusalem sechzig Feldweges weit, deß Name heißt EmmahuS.

14. Und sie redeten

mit einander von allen diesen Geschichten.

15. Und eS

geschah, da sie so redeten, und befragten sich mit einander,

nahete Jesus zu ihnen, und wandelte mit ihnen. ihre Augen wurden gehalten,

16. Aber

daß sie ihn nicht kannte».

17. Er sprach aber zu ihnen : Was sind das für Reden,

die ihr zwischen euch handelt unterwegeS, rig?

und seyd trau­

18. Da antwortete einer, mit Namen CleophaS,

und sprach zu ihm : Bist Du allein unter den Fremdlingen

124

zu Jerusalem, der nicht wisse, was in diesen Tagen darin­ nen geschehen ist? 19. Und er sprach zu ihnen: Wel­ che«? Sie aber sprachen zu ihm: Da« von Jesu von Nazareth, welcher war «in Prophet, mächtig von Thaten und Worten, vor Gott und allem Volk; 20. wie ihn unsere Hohenpriester und Obersten überantwortet haben zur Berdammniß de« Tode«, und gekreuziget. 21. Wir aber hofften, er sollte Israel erlösen. Und über da« alle« ist heute der dritte Tag, daß solche« geschehen ist. 22. Auch haben un« erschreckt etliche Weiber der Unsern, die sind frühe bei dem Grabe gewesen, 23. haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eia Gesichte der Engel gesehen, welche sagen, er lebe. 24. Und Etliche unter un« gingen hin zum Grabe, und fanden e« also, wie die Weiber sagten, aber ihn fanden sie nicht. 25. Und er sprach zu ihnen : O ihr Thoren und träge« Herzen«, zu glauben Allem dem, da« die Propheten geredet haben; 26. mußte nicht Christus solche« leiden, und zu seiner Herrlichkeit eingehen? 27. Und fing an von Mose und allen Propheten, und legte ihnen alle Schriften au«, die von ihm gesagt waren. 28. Und sie kamen nahe zum Flecken, da sie hingiengen; und Er stellte sich, al« wollte er weiter gehen. 29. Und sie nöthigten ihn, und sprachen : Bleibe bei un«, denn e« will Abend werden, und der Tag hat sich geneiget. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. 30. Und e« geschah, da er mit ihnen zu Tische saß, nahm er da« Brod, dankte, brach eö, und gab e« ihnen. 31. Da wurden ihre Augen- geöffnet, und erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. 32. Und sie sprachen unter einander: Brannte nicht unser Herz in un«, da er mit un« redete auf dem Wege, al« er un« die Schrift öffnete? 33. Und sie standen auf zu derselbigen Stunde, kehrten wieder gen Jerusalem, und fanden die Elfe versammlet, und die bei ihnen waren, 34. welche sprachen : Der Herr ist wahr­ haftig auferstanden und Simoni erschienen. 35. Und sie

erzählten ihnen was ans dem Wege geschehen

war, und

wie er von ihnen erkannt wäre an dem, da er daS Brod

brach. DaS ist eine der lieblichsten Erzählungen im Neuen Testa­ mente.

Wie freundlich tritt der Herr aus ihr uns entgegen in

seiner göttlichen Hoheit und in seiner göttlichen Liebe und er­ schließt mit seinem sanften LiebeSodem die verschlossenen Augen und Herzen zu lebendiger Erkenntniß und zu festem Glauben an

den

Auferstandenen!

Und während der evangelische Abschnitt

von heute Morgen daS gewaltige Ereigniß der Auferstehung an sich darstellt, so ist dieser Text ganz vorzüglich geeignet, die

Seele zur stillen Einkehr in sich selbst aufzufordern und zur Be­

antwortung der Frage anzuleiten, wie denn der Christ die Kunde nehmen

von

der

müsse.

Auferstehung

seines

Herrn

auf­

In stufenweisem Fortschritte hält der Text

uns drei Arten vor, auf welche die Kunde von der Auferstehung ausgenommen werden kann, zuerst den durch Zweifel noch erschütterten Glauben, dann den auf äußere Zeugnisse

vertrauenden

Glauben des Verstandes, und endlich den

auf der eigenen inneren Erfahrung von der erlösenden Kraft deS Auferstandrnen ruhenden Glauben deS Herzens.

I.

Zuerst also sagt uns unser Text, wie gegen Abend desselben

TageS, da die Weiber morgens früh das Grab Jesu leer ge­ funden hatten, zween Jünger nach EmmahuS giengen, einem etwa drei Stunden von Jerusalem gelegenen Flecken, in der

Richtung von Golgatha und dem Grabe des Herrn.

Sie moch­

ten vor ihrem Weggange von der heiligen Stadt, in der in

diesen Tagen das Entsetzlichste geschehen war, noch einmal dieses

Grab besucht und es gefunden haben, wie die Weiber sagten; ach, aber ihn selbst fanden sie nicht!

Und so giengen sie trau-

186

rigen Sinnes weiter und sprachen ihren tiefen Seelenschmerz in ernster, eifriger Wechselrede aus.

Und da sie so redeten, nahete

Jesuö zu ihnen und wandelte mir ihnen, aber ihre Augen wur­ den gehalten, daß sie ihn nicht kannten.

Auf seine freundliche

Frage aber nach dem Gegenstände ihrer Reden uUd der Ursache

ihrer Trauer sagen sie ihm, daß es sich um Jesum von Nazareth handele,

den vor drei Tagen die Hohenpriester und Obersten

zur Berdammniß deS Todes überantwortet und gekreuziget hätten, sie aber hätten geglaubt, er sollte Israel erlösen.

„Wir aber

sollte Israel erlösen!"

O, Geliebte,

hofseten,

er

welch eine Fülle zertrümmerter Hoffnungen liegt ausgesprochen in diesen wenigen einfachen Worten!

Sie hatten gehofft, daß in

Jesu von Nazareth endlich der erschienen seh, welcher daö ge­

quälte Volk erlösen werde von dem Drucke seiner Tyrannen, daS gequälte Herz von der Angst der Sünde und der Gottvcrlassen-

heit, und daS Alles, Alles war nun dahin : die Hölle schien

über die Mächte des Himmels zu triumphiren, ihr höheres Leben

war in seinem innersten Mittelpunkte auf den Tod verwundet, ihre Welt lag zertrümmert vor ihren Füßen.

So völlig hin­

gegeben waren sie ihrem Schmerze, daß ihnen die Kunde, daS

Grab ihres Herrn sey leer und er lebe, keinen Trost, sondern nur Schrecken zu bringen

vermochte, sie konnten eS ja nicht

glauben, sie glaubten lieber, daß die Bosheit der Feinde an Jesu

ihr letztes Werk gethan und ihm auch im Grabe nicht Ruhe

gegönnt hätte. — Sehet da, geliebte Freunde, die erste Art, wie die Kunde von der Auferstehung des Herrn ausgenommen werden kann, von einem Herzen, das gerne glauben möchte, aber

nicht glauben kann, weil die Zweifel mit dem Glauben in ihm noch streiten und die Zweifel noch zu mächtig sind.

die Stimmung der Jünger von EmmahuS.

DaS war

Ist keine Seele hier,

die diese Stimmung aus eigener Erfahrung kennt?

Sind nicht

viele in der christlichen Gemeinde, ist nicht, um von Denen zu schweigen, welche draußen geblieben sind, gar Mancher hier, der

die fröhliche Osterbotschaft nicht mit der vollen gläubigen Oster-

freude vernommen hat? Können nicht Manche einstimmen in das

irr Wort unseres Textes : „Wir aber Hoffeten, er solle Israel

erlösen!" — zurückblickend auf eine vergangene Zeit, da ihr

Herz

eine

glaubensvolle

Zuversicht

zu

dem

welche jetzt dem Herzen längst geraubt ist?

Herrn

erfüöte,

Ja, Geliebte, eS

ist ja wohl Keiner unter uns, der nicht eine solche Zeit im Leben

wenigstens einmal gehabt hätte, eine Zeit, da er an dem gött­ lichen Erlöser mit einem kindlichen Glauben hing, den nichts

störte.

Aber bei gar Vielen hält dieser kindliche Glaube den Kampf

mit der Welt nicht auS, wo selbst Viele von Denen, die sich Christen nennen, ihren Herrn und Meister verläugnen, wie Pe-

truö und sprechen : „Ich kenne diesen Menschen nicht!" wo böse Buben Christum

immer auf'S Neue an den Schandpfahl ihres

schlechten Spottes schlagen, wo die Sorge und Lust der Welt

seine Stimme immer mehr übertäuben, also, daß das Herz, welches

die Wiege

eines lebendigen Glaubens an den Herrn

werden sollte, zu einem Grabe des Herrn wird, von dessen Thür

keine menschliche Macht den Stein wegzuwälzen vermag.

Glück­

lich, wenn dann die hin- und hergejagte Seele noch einmal eine ruhige Stunde findet zur Einkehr in sich selbst und in schmerz­ vollem Rückblick auf ein verlorenes Paradies der Seufzer des

Jüngers von Emmahus sich losringt :

„Wir aber Hoffeten,

er

solle Israel erlösen!" Und auch der Zug in dem Bilde, welches der Text uns vorhält, hat für uns noch Bedeutung, daß

der

Weiber gerade gedacht wird, als der ersten Zeugen und Ver­

künder der Auferstehung.

WaS ist eS doch für ein schönes Vor­

recht der Frauen gewesen, so innig verwebt zu seyn in daS ge-

sammte Leben und Wirken des Erlösers, als die ersten Ver­ künderinnen

seiner

gnadenreichen Geburt,

die

treuesten

Be­

gleiterinnen seines segensreichen Wirkens, die letzten Zeuginnen seines schmerzensreichen Todes, die ersten Predigerinnen seiner

glorreichen Auferstehung! Ja, Geliebte, es liegt in dem empfäng­

lichen, hingebenden Gemüthe des WeibeS ein natürlicher Zug zu dem Erlöser, eS liegt in dem Berufe des WeibeS, welcher in

engerem Kreise ein um so innigeres Wirken fordert, ein eigen­ thümliches Schutzmittel für daS himmlische Kleinod eines lind-

ISS

lichen Glaubens, welches der Mann, der hinaus muß ins feind­ liche Leben, in seinem Wetten und Wagen um die Güter dieser Erde nur zu leicht verliert.

Möchten doch die Frauen dieses

köstliche Vorrecht jederzeit recht treulich gebrauchen! viel die Rede von innerer Mission.

ES ist jetzt

Hier, geliebte Schwestern

in dem Herrn, habt ihr für' die schönste innere Mission im

eigenen Hause das

gedeihlichste Feld!

Hier kann die Mutter

den irrenden Sohn, die Schwester den irrenden Bruder, die Frau den unter den Sorgen und Geschäften deö Lebens gleich­

gültig gewordenen Mann mit sanftem liebevollem Wort, oder mit der stillen Gewalt,

welche

ein treuer, frommer,

weib­

licher Sinn auszuüben vermag, wieder zurückführen zu dem ver­ lassenen Heiland; hier könnt ihr das starke Geschlecht lehren, daß auch für eS, ja für es vorzugsweise das Wort deö Herrn

gesprochen ist : „Wahrlich, ich sage euch, eS seh denn, daß ihr

euch umkehret, und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich

Möchte es euch doch gelingen,

kommen!"

die Stimmung wenigstens in ihnen zu erwecken, in welcher wir die Jünger von EmmahuS finden, die Stimmung, welche glau­

ben möchte und noch nicht glauben kann; denn wo nur die Sehnsucht nach dem Herrn wieder erwacht ist, da geht es, wie

in unserem Texte: Bei denen, die den Auferstandenen ernstlich suchen, ist er, wenn auch noch anerkannt, in Wirklichkeit schon

gegenwärtig und leitet sie sicher,

wie die beiden trauernden

Jünger im Texte, von Stufe zu Stufe zur vollen Wahrheit weiter.

II.

Welches sind die Mittel, wodurch der Auferstandene ihren

wankenden Glauben befestigte?

Du denkst vielleicht, mein christ­

licher Bruder, ja, wenn es mir so gut würde, wie den Jüngern

von EmmahuS, wenn mir der Auferstandene leibhaftig erschiene und mich die Finger legen ließe in seine Nägelmahle und die

Hand in seine Seite, dann wollte ich wohl glauben.

Aber siehe,

das ist das Eigenthümliche und Tröstliche an unserer "Erzählung,

daß

nach ihr der Heiland, um die Zweifelnden zum Glauben

zu bringen, sie nicht auf seine sichtbare und greifbare leibliche Erscheinung verwies, sondern

nur solcher Mittel sich bediente,

wie sie auch uns noch in demselben, ja in viel höherem Maße

zu Gebote stehen.

Daö 'erste

dieser Mittel ist das äußere

Zeugniß für die Auferstehung deS Herrn, wie eS zunächst die heilige Schrift des Alten Testaments darbietet.

Denn,

so

berichtet uns der Text, der Herr schalt die beiden Jünger Thoren

und trägen Herzens, zu glauben allem dem, das die Propheten geredet hatten, und legte ihnen alle Schriften MofeS und der Propheten aus, die da sagten, daß Christus solches leiden mußte und zu seiner Herrlichkeit eingehen.

Ja, Geliebte, das ganze

Alte Testament, ja die ganze vorchristliche Geschichte bezeuget, daß um daS durch die Sünde gestörte richtige Verhältniß zwischen

Gott und

Menschen wiedcrherzustellen, ein Erlöser

auftreten

mußte, der in sich selbst die innigste Vereinigung deS Göttlichen

und Menschlichen darstellte, und dem zagenden menschlichen Her­ zen den verlorenen Gott und den Trost seiner unendlichen Barm­ herzigkeit und seines kräftigen Beistandes dadurch wiedergab, daß

er die ganze Fülle der göttlichen Liebe offenbarte, wie Christus

es

that in

seinem Tode am Kreuz, und die ganze Fülle der

göttlichen Macht, wie Christus es that in seiner glorreichen Auf­ erstehung.

Die Jünger von EmmahuS ließen sich das Zeugniß

des Alten Testamentes genügen, wir haben zu dem Zeugnisse deS Alten Testamentes von der Nothwendigkeit der Auferstehung daS

Zeugniß des Neuen Testamentes von ihrer Wirklichkeit, das Zeugniß von dem neuen Leben, welches im Glauben an den Auferstandenen

die gebeugten Jünger plötzlich durchdrang und

von ihnen aus allmählich die gefammte erstorbene Menschheit, und

welches nicht denkbar wäre ohne die große, trostvolle Thatsache der Auferstehung; das Zeugniß von dem Petrus, der seinen ver­

folgten Meister verläugnet hatte und der nun in der Kraft des

Auferstandenen wirklich der Fels der Kirche geworden ist, daS Vaur, Predigten. 9

Zeugniß von dem die Gemeinde des Herrn verfolgenden Saulus, der durch den Auferstandenen zu dem die Gemeinde aufs eifrigste mehrenden Paulus geworden ist, das Zeugniß von der kleinen geängstigten Gemeinde selbst, die in verschloffener Kammer die erste Kunde von der Auferstehung vernahm, und die nun über die ganze Erde siegreich sich ausgebreitet hat. Achtzehn Jahr­ hunderte des Wachsthums seiner Kirche zeugen für den Auferstandenen; dieser Mar, an dem er verehrt, diese Kanzel, von der er gepredigt wird, die Millionen Herzen, welche die Osterpredigt heute aufs Neue mit Freude erfüllt, die Millionen Zungen, die heute den Preis des Auferstandenen verkünden, die Siegeöpaniere, welche unser Glaube hoffnungsvoll auf die Gräber unserer Entschlafenen pflanzt, stimmen ein in dieses Zeugniß — wollen wir, seine Erlösten ungläubiger, als Thomas bei solchen Zeugnissen noch fordern unsere Finger zu legen in seine Nägelmahle und unsere Hand in seine Seite? — Und soll ich zu den Zeugniffen der Geschichte der Kirche die aus der Geschichte der Völker noch fügen, die eS laut verkünden, daß einem Volke, das an den Auferstandenen sich hält, von ihm jederzeit die Kraft neuen Lebens zu Theil geworden ist; daß der lebendige Glaube an ihn ein Volk erhöhet, und der Abfall von ihm der Leute Verderben ist? Die Versuchung liegt nahe, in eingehender Betrachtung darzuthun, wie laut zumal die Ge­ schichte unseres deutschen Volke- diese Lehre verkündigt. Dieses wenigstens seh ausgesprochen, daß jede durchgreifende, dauernde, wahrhaft förderliche Erhebung unseres Volke- auch ein Auf­ erstehungsfest deS Herrn gewesen ist. DaS gilt von jener herr­ lichen Blüthezeit des deutschen Bürgerthumeö, des deutschen Ge­ werbes und Handels, da der lebendige Glaube des deutschen Volkes zugleich jene stolzen Dome erbaut hat, vor denen die späte Nach­ welt staunend steht, da der deutsche Handwerker von dem nicht zu lernen verschmähte, der ein Meister über alle Meister ist, und der deutsche Handelsstand das Gleichniß von dem Kaufmann verstand, der hingieng und verkaufte alles, was er hatte, um die köstliche Perle des Himmelreichs zu erwerben. DaS gilt von

13t der Zeit, da die Riesenkraft deS Mannes von Wittenberg, der nicht minder ein

ächter deutscher Mann war, als ein ächter

evangelischer Christ, den schweren Stein verjährter Menschen­

satzungen von dem Grabe des Erlösers wälzte und dem deutschen

Volke einen lebendigen Heiland wiedergab; und auch von der Zeit vor vierzig Jahren gilt es, da die deutsche Volkskraft gegen die fremde Tyrannei nicht eher sich empörte, bis deutsche GlaubenS-

kraft gegen die Tyrannei der Sünde,

des

Eigennutzes,

Wollust, der Weichlichkeit, der Lüge sich empört hatte.

der Mit

allem Recht durfte damals ein begeisterter Sänger den frischen

Sturm, der die Feuer auf den Höhen und in den Herzen ent­

zündete, als einen Sturm des Herrn willkommen heißen, und ein anderer als ersten unter den zahlreichen Bundesgenossen des deutschen Volkes den Herrn der Heerscharen preisen, zu dem daS

tief gcdemüthigte Volk sich wieder zurückgewandt, von den» es die Kraft zum Siege empfangen hatte.

Ja, meine lieben Freunde,

auch zwischen dem Wesen des deutschen Volkes und dem Christen­

thum besteht eine natürliche Verwandtschaft: der deutsche Volks­ stamm scheint vor anderen berufen, Wächter zu sehn deS Klei­

nodes eines lebendigen christlichen Glaubens, und eS ist in diesem Sinne in den letzten Jahren einmal das stolze Wort ausgesprochen werden, daß wie daö Volk Israel daS Bundesvolk des Alten

Testamentes, so das deutsche daS des Reuen Testamentes sey. Möchten wir wenigstens dieses

hohen Berufes nicht unwürdig

wandeln, möchte uns das recht klar werden und immer vor Augen stehen, daß wer ein schlechter Christ wäre, schwerlich ein guter

Deutscher seyn kann! Ich dächte, die Zeugnisse der Schrift und der Geschichte für den Auferstandenen sprächen laut genug, um den Spöttern den

Mund zu verschließen und die Wohlwollenderen unter den Zweif­

lern wenigstens zu dem Geständnisse zu nöthigen : „Ich begreife vollkommen, daß Ihr zu einem Herrn Euch bekennt, dessen Macht so mannigfach und glorreich bezeugt scheint;" — aber, meine ge­

liebten Freunde, den lebendigen Glauben an diesen Herrn selbst

vermögen diese äußeren Zeugnisse noch nicht zu wirken, dazu muß

9*

noch Anderes mitwirken, was unser Text in seinem letzten Theile

uns andeutet. III.

Die Berufung des Auferstandenen auf das Zeugniß der Schrift war, wie gesagt, genügend gewesen, in den beiden Jüngern

die Zweifel gegen die äußere Thatsache der Auferstehung zu be­

seitigen; der Auferstaudene selbst aber war ihnen dadurch noch nicht wieder gegeben,

noch immer wurden ihre Augen gehalten,

daß sie ihn nicht kannten und es galt von ihnen was ein VerS unseres Textes sagt: „Sie fanden es also, wie die Weiber sagten,

aber Ihn fanden sie nicht."

Unterdessen war unter den eifrigen

Gesprächen der Abend herangenaht und sie nahe zu dem Flecken Emmahus gekommen.

Der Herr stellte sich nun, als wollte er

weiter gehen, sie aber nöthigten ihn und sprachen : „Bleibe bei

uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigct." Und der treue Heiland, der niemals eine Seele verläßt, die ihn

ernstlich bittet, bei ihr zu bleiben, am wenigsten wenn es Abend werden will und der Tag sich neiget, willfahrt gern ihrer Bitte;

und als er nun mit ihnen zu Tische saß und das Brod nahm, dankete, brach es und es ihnen gab, da wurden ihre Augen ge­

öffnet und sie erkannten ihn, da er das Brod brach, und nun erinnerten sie sich auch wie vorher schon, da er ihnen die Schrift auslegte, ein eigenthümliches Gefühl seiner heiligen Nähe ihr Herz durchdrungen hatte.

Brannte nicht unser Herz in uns, so

sprachen sie, da er mit uns redete auf dem Wege, als er uns die Schrift öffnete?" — Brannte nicht unser Herz? —

in dieser Frage ist angedeutet, was den lebendigen Glauben an

den Auferstandenen eigentlich ausmacht.

Das Herz muß brennen:

zu dem durch die äußeren Zeugnisse bewirkten Lichte der Erkennt­ niß muß das Feuer im eigenen Herzen kommen, entzündet durch das unmittelbare Ergriffenwerden von derheiligen

Kraft seines göttlichen Wesens.

Und auch diese unmittel­

bare Bethätigung der Nähe des Auferstandenen haben die Jünger

von EmmahuS vor uns, geliebte Freunde, nicht voraus. Der Herr

hat ja verheißen, daß er bei den Seinen bleiben werde bis ans Ende der Welt, und unser Text deutet Zeit und Stimmung an, da dem Herzen seine heilige Nähe offenbar wird, wie die Mittel, durch welche wir dieser segenvollen Nähe uns versichern können.

Zuerst

also Zeit und Stimmung! — Der Lärm des Tages muß

verstummt, es muß Abend geworden sein für die Seele, die Zeit der stillen Einkehr in sich selbst muß für sie gekommen seyn, und

sic muß in dieser stillen Stunde empfunden

haben, wie einsam

sic wäre, wenn der Herr sie nicht begleitete, wie verlassen auf

der Erde, wenn sie

an

ihm nicht einen Freund im Himmel

hätte, wie arm, wie namenlos unglücklich, wenn auch für sie die Geschichte Jesu von Nazareth, des großen Propheten, dort

aufhörte, wo nach der Meinung der Jünger von EmmahuS sie ihr Ende erreicht hatte, dort bei dem Grabe im Garten Josephs

von Arimathia, wenn nicht vielmehr dort der stolze Siegesgang des Herrn erst begänne.^ Wenn so die Seele sehnsüchtig, wie

die beiden trauernden Jünger, den Herrn sucht, dann tritt er anch zu ihr und läßt seine beseligende Nähe sie spüren. — Da­ mit aber in solcher Stimmung die nach dem Herrn verlangende

Seele nicht ein Wahngebilde statt seiner ergreife, nicht die Bor­

spiegelungen des eigenen aufgeregten Gemüthes

mit göttlichen

Offenbarungen verwechsele, hat der Herr ihr Mittel gegeben, von seiner wirklichen Gegenwart sich zu versichern.

Unser Text

deutet sie an, indem er erzählt, daß der Jünger Herz gebrannt habe, da er ihnen die Schrift öffnete, und wie er von ihnen er­ kannt war an dem, da er das Brod brach : das Wort Got-

tes, welches von ihm zeuget und das Sakrament des hei­ lige Abendmahls, welches von ihm eingesetzt ist, das sind diese Mittel, die uns noch so gut zu Gebote stehen, wie den

Jüngern von EmmahuS. — Wie oft,

Geliebte, mochten die

beiden Jünger die Worte der heiligen Schrift, die der Herr ihnen auslegte, schon gelesen haben, ohne daß ihr Herz brannte

und ihre Augen ihnen aufgethan wurden für deren tieferes Ver­ ständniß.

Wie oft bleibet auch uns das Wort Gottes ein todter

134

Buchstabe, ohne daß wir etwas spüren von dem himmlischen

Aber

Troste, von der göttlichen Kraft, welche ihm innewohnt.

wenn das zerschlagene Herz in der rechten Stimmung den Herrn in der heiligen Schrift ernstlich sucht, dann gesellet er sich auch

heute noch zu dem eifrigen Leser, um selbst den Ausleger der heiligen Worte zu machen; dann brennt das Herz im Gefühle

seiner heiligen Nähe, entzündet von den tausendfachen Beweisen der unendlichen Liebe Gottes, die sich jetzt vor ihm aufthun, von der seligen Freude darüber, wie jetzt Alles so schön zusammen­

stimmt, jedes Einzelne dem Ganzen dient und alles zusammen

Zeugniß ablegt von dem wunderbaren Rathschluß und Wirken des barmherzigen Gottes zum Heile des Menschen. — Auch der Ein­ ladung zu seinem Tische würdigt der Auferstandene uns

daß wir wie die Jünger von EmmahuS Brechen

des

äußerlicher

Brodes.

Wohl mag

Gebrauch geworden

es

noch,

ihn erkennen beim

für

manche

nur

ein

sehn, wenn sie den von den

meisten völlig verlassenen Altären sich nahen, auf welchen das Gedächtniß des Todes

wird.

unseres Herrn und Heilandes gefeiert

Aber es fehlet doch auch wohl an solchen nicht, die cs

im brennenden Herzen erfahren haben, daß der Herr den ©ei­ nen

im Sacrament des Altares auf eine ganz eigenthümliche

Weise sich mittheilt; denen, wenn das geweihte Brod, der ge­

weihte Kelch die zitternde Lippe berührte und sie die theueren

Worte seines heiligen letzten Willens vernahmen :

esset, daS ist mein Leib, der für euch gebrochen wird : thut zu meinem Gedächtniß!

„Nehmet, Solches

Dieser Kelch ist das Neue Testa­

ment in meinem Blute : Solches thut, so oft ihr'S trinket, zu

meinem Gedächtniß!" — denen dann daS Herz brannte in dem seligen Gefühle, daß der Herr selbst zu ihnen sich herabneigte, sie mit warmem LiebeShauche anwehte, sie mit sanften LiebeS-

armen zu sich emporhob. — Wer so an dem eigenen Herzen

die Nähe deS Heilandes erfahren hat, sollte der diejenigen be­ neiden, welchen es vergönnt war, den Auferstandenen mit leib­

lichen Augen zu sehen?

Er ist ja seiner unzertrennlichen Ver­

bindung mit dem Auferstandenen unmittelbar und unerschütterlich

135

gewiß; er weiß sich mit ihm, dem Sieger über Welt und Tod, über all die Angst des Irdischen hoch erhoben; er weiß ihn in jeder Noth des Lebens als stärksten Helfer sich zur Seite, er fühlet auch, daß er jetzt, in dieser Versammlung, die seine Auf­ erstehung feiert, mitten unter unS ist. — Möchte doch recht viele Herzen dieses selige Ostergefühl durchdringen! Amen.

X.

Die IMung der AofcMiing des Hern für die Mdcrillg seines Reiches. Osterpredigt.

Tert: Apostelg. 10, 34-41. Gott segne unS mit all dem Segen, der dem Gläubigen verkün-

bet ist in dem festlichen Ostergruße : //Der Herr ist auferstanden!"

Amen.

»Der Herr ist auferstanden!" — mit diesem frohen

Gruße begegneten sich die Gläubigen in den ersten Zeiten der Kirche, sobald mit dem Morgen des ersten Ostertages der Po­

saunenschall auf den Gräbern der Entschlafenen und von den Zinnen der Kirchen herab das Siegesfest des Gewaltigen ver­

kündigte, der Sünde und Tod überwunden hat.

»Er ist wahr­

haftig auferstanden!" tönte eS als Gegengruß, und die brüder­ liche Umarmung war inniger und Aller Augen glänzten freudiger

im Gefühle des gemeinsamen Segens der großen Begebenheit, an welche der heilige Tag erinnerte.

Jetzt ist das Leben der

Christen reicher geworden und mannigfaltiger bewegt, und es

hat sich jener Gruß auS dem Lärm der Welt zurückgezogen zu den Gläubigen, die an heiliger Stätte versammelt sind. aber hören wir ihn immer noch,

Hier

und hier tönet auch euch seit

gestern schon immer wieder die frohe Kunde entgegen, die einst

der Engel am Grabe deö Herrn den weinenden Frauen zurief : „Der Herr ist auferstanden!" und eS ist, als ob die ganze Na­ tur theilnehme an dem frohen Festgefühle, das uns durchdringt,

als ob sie die harte Decke des Winters gewaltig zerbreche, um mit hervorbrechenden Keimen und springenden Knospen und überall sich regendem neuem Leben Huldigung darzubringen dem Auf-

erstaudenen!

WaS

aber unsere Herzen zu hoher Festesfreude

stimmt und das Osterfest überhaupt zum freudigsten macht im

Kreisläufe des Kirchenjahres, das ist nicht blos die Erinnerung an die große Thatsache der Auferstehung des Herrn an und für sich; es ist vielmehr die Ueberzeugung von der ernsten Wahrheit,

die der Apostel Paulus den Corinthern vorhält in den Worten

(1 Cor. 15, 17) :

„Ist Christus nicht auferstanden,

Glaube eitel, so seyd ihr noch in euren Sünden!" innert uns denn auch unser

so ist euer

Und so er­

Fest nicht blos daran,

Auferstehung im Leben unseres Heilandes bedeute; mahnet unS auch zum ernsten Besinnen darüber,

was die

sondern

es

was sie für

u»S bedeutet, und von dieser letzten Seite den großen Gegenstand

unserer Feier zu betrachte», dazu enthält unser heutiger epistolischer Text eine besondere Aufforderung.

Er findet sich

im

10. Capitel der Apostelgeschichte und lautet daselbst vom 34. bis

41. Berse wie folgt :

--34. Petrus aber that seinen Mund auf, und sprach: Nun er­ fahre ich mit der Wahrheit, daß Gott die Person nicht an-

siehet; 35. sondern in allerlei Volk, wer ihn fürchtet und recht thut; der ist ihm angenehm.

36. Ihr wisset wohl

von der Predigt, die Gott zu den Kindern Israels gesandt

hat,

und verkündigen

Christum,

welcher

lassen de« Frieden durch Jesum

ist ein

Herr

über Alles,

37. die

durch daS ganze jüdische Land geschehen ist, und angegangen in Galiläa , nach der Taufe, die Johannes predigte.

38.

Wie Gott denselben Jesum von Nazareth gesalbet hat mit dem heiligen Geist und Kraft; der umhergezogen ist, und

hat wohl gethan und gesund gemacht Alle, die vom Teufel

überwältiget waren, denn Gott war mit ihm.

39. Und

wir sind Zeugen alles deß, das er gethan hat im jüdische« Lande, und zu Jerusalem.

Den haben sie getödtet, und 40. Denselbigen hat Gott aufer­

an ein Holz gehänget.

wecket am dritten Tage, und ihn lassen offenbar werden,

41. nicht allem Volk, sondern «nS, den vorerwählten Zeu­

gen von Gott, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden ist von den Todten."

Wir sehen, teil Hauptinhalt der verlesenen Worte bildet die evangelische Predigt, von deren Verbreitung daS Wachsthum des Reiches des Herrn abhängt; und zum Text für die Osterfeier

hat die alte Kirche die Stelle darum gewählt, weil, wie überall,

so auch hier, als Mittelpunkt der apostolischen Predigt und somit

als die für Gründung des Gottesreiches bedeutendste Thatsache

die Auferstehung des Herrn erscheint.

Keine Stelle ist so geeig­

net, wie diese, nach verschiedenen Gesichtspunkten die Bedeutung

der Aliferstehung für die Gründung und Gestaltung des GottesreicheS kennen zu lernen.

Laßt uns darum der Aufforderung

unseres Textes folgen, und indem wir ihm Schritt vor Schritt nachgehen, zum Gegenstände unserer frommen Betrachtung machen

die Bedeutung der Auferstehung des Herrn für die Förderung und Gestaltung seines Reiches.

I. Petrus war von der Zeit an, da er zum ersten Male in

Kraft des heiligen Geistes am Pfingstfeste vor dem versammelten

Volke zum Zeugniß für den Auferstandenen seine Stimme erhob,

der eifrigste Verkündiger der evangelischen Predigt gewesen. Im­ mer aber gedachte er dabei mehr jenes ersten Wortes des Heilan­

des :

„Ich bin nicht

gesandt, denn nur zu den verlorenen

Schafen vom Hause Israel!" (Matth. 15, 24), als der Mah­

nung des Auferstandenen: „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker" (Matth. 28, 17), und so suchte er nur die Häuser

der Kinder Israel auf; die Thüren der unreinen Heiden aber vermied er.

Dennoch aber vermochte er nicht zu wehren, daß

nicht die Hündlein einige Brosamen auflasen (Matth. 15, 27), die von des Herrn Tische fielen : auch zu den Herzen mancher

heilsbegierigen Heiden war ein Ton erklungen von der frohen Botschaft, daß der

längstersehnte Erlöser erschienen seh.

Im

Herzen des gottseligen und gottesfürchtigen Hauptmannes Cor­

nelius war dieser Ton zu einer Stimme Gottes geworden, die in ihm trieb und drängte, daß er zu Petrus sandte, ob dieser

wohl den Durst seiner Seele stillen möge. Rufe, und

Petrus folgt dem

als er in das Hans des Mannes tritt, findet er

viele, die zusammengekommen waren, und liest in den fragenden

und bittenden Blicken Aller die innigste Sehnsucht nach Erlösung und Versöhnung mit Gott und die Hoffnung, daß er ihnen bringen werde, was sie vergeblich gesucht.

Der stille, feierliche

Ernst, der über der Versammlnng waltet, überzeugt ihn, daß sie wissen, wie eö sich hier um daS Größte und Heiligste handelt,

und da durchbricht endlich die Gewalt des Geistes Christi die Decke Mose'S und begeistert thut er seinen Mund auf und bricht

in die Worte unseres Textes aus : „Nun erfahre ich mit der Wahrheit, daß Gott die Person nicht ansiehet, sondern in allerlei Volk,

wer ihn fürchtet und recht thut, der ist ihm angenehm."

WaS ist es nun, das diesen wunderbaren Umschwung in seiner Auffassung hervorbrachte? Der Evangelist LueaS sagt unS, daß

es ein Gesicht gewesen seh,

daö er gesehen habe kurz vor der

Ankunft der Boten deS Cornelius.

Wenn wir aber für dieses

Gesicht, das wir doch gewiß nicht als etwas durchaus Aeußer-

lichcs betrachten dürfen, dem in der Seele des Apostels liegenden

HO Grund nachgehen, so kommen wir zu der Ansicht, daß die Auf­ erstehung deS Herrn den größten Antheil hat an jener Umwand­

lung, und daß sie auf diese Weise vorzugsweise beitrug zu dieser Erweiterung der Gränzen deS GotteSreicheS.

DaS

eben ist die erste Beziehung, in welcher sie für Förderung und

Gestaltung dieses Reiches so bedeutend geworden ist.

Mag auch

vielfach Neid und selbstsüchtiger Haß der Beweggrund zur Ver­

folgung unseres Heilandes gewesen seyn : wir dürfen doch nicht vergessen, daß unter seinen Verfolgern auch Männer wie Paulus standen, die nicht, wie wohl Andere, den erkannten Rath Got­ tes verschmäheten, sondern von denen ganz besonders die Bitte des sterbenden Erlösers gilt :

„Vater vergieb ihnen, denn sie

wissen nicht, waS sie thun!" (Luc. 23, 34),

die in der besten

Meinung den Erlöser von sich stieße» als einen Feind des von

den Vätern ererbten Gesetzes, um das sic über die Maaße eifer­ ten.

Die Versicherung Christi, daß er nicht gekommen sey, däS

Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen, genügte ihnen nicht; denn

sie wollten nur den Buchstaben des Gesetzes unverändert erhalten wissen, ohne Abzug ^md ohne Zuthat, und schon daö Bestreben,

ihn durch tiefere, geistigere Auffassung und Anwendung zu erfüüen, dünkte ihnen todeswürdiges Verbrechen.

So fiel Christus

nicht durch böswillige Ueberschreitung des Gesetzes allein, sondern auch als Opfer deö blinden Eifers für seine Erfüllung.

die Auferstehung aber ward

Durch

der Sohn geoffenbaret in seiner

göttlichen Kraft und Würde und seiner gesammten Wirksamkeit

das Siegel der göttlichen Bestätigung aufgedrückt.

Damit fiel

denn zugleich die ihm feindselige Tyrannei des äußerlichen Ge­

setzes und mit ihr die Schranke, welche bisher das jüdische Volk so bestimmt von allen übrigen Völkern geschieden hatte, und eS

galt nun daS Wort des Apostels Paulus (Gal. 3, 28) : ist kein Jude, noch Grieche, hier ist kein Knecht,

„Hier

noch Freier,

hier ist kein Mann noch Weib; denn ihr seyd allzumal Einer in

Christo Jesu!"

Durch die Auferstehung deS Herrn war der

Sieg des lebendigen Geistes Christi, der keine Bedingung kennt, als lebendigen Glauben, und kein Gesetz, als freie Liebe, über

14t den todten Buchstaben entschieden; und wie er selbst nun der

irdischen Beschränkung

entnommen

und zu himmlischer Macht

und Herrlichkeit erhoben war, so gab es auch für sein Reich jetzt

keine äußere Schranke mehr.

Die Ahnung dieser Wahrheit hatte

den Apostel Petrus lange schon beschäftigt; sie hatte ihm gebo­

ten, das Evangelium über Jerusalem hinaus zu den Gemeinden SamarienS zu tragen; sie hatte ihn jenes Gesicht sehen lassen und sprach sich endlich im Hause des Cornelius als feste, klare

Ueberzeugung in den Worten aus :

„Nun erfahre ich mit der

Wahrheit, daß Gott die Person nicht ansiehet, sondern in aller­

lei Volk, wer ihn fürchtet und recht thut, der ist ihm angenehm!" So hatte die Auferstehung des Herrn die Gränzen seines Reiches

erweitert. Damit aber diese Gränzen nicht über die Gebühr erweitert und der schmale Pfad zum Himmelreich nicht so ausgedehnt

werde, daß er dem breiten Sündenwege gleicht, der zum Ver­ derben führt, sagt uns der Apostel, was denn,

nachdem jene

äußere Schranke weggefallen ist, die Bedingung ist der Aufnahme

in das Reich Gotteö : „Unter allerlei Volk wer Gott fürch­ tet und recht thut, der ist ihm angenehm", das heißt ein

Herz gilt vor Gott, das außer dem Gesetz im Fleische, das da

treibet, nach einem möglichst großen Maaße von sinnlichem Ge­ nuß zu trachten, auch ein heiliges Gesetz des Geistes kennt und als unabweisbar anerkennt,

und dessen unablässiges Bestreben

eS ist, dem Gebote dieses Gesetzes nachzuleben.

Solche Herzen

waren die des Hauptmannes Cornelius und seiner gottesfürchti­

gen Hausgenossen; ähnliche können sich in allerlei Volk finden,

und sie erklärt unser Text für reif und würdig, durch den Glau­ ben an Jesum Christum in das Reich Gottes einzutreten, auch

wenn sie nicht gerade unter der Zucht des alttestamentlichen Ge­

setzes gestanden haben.

Ebendeswegen aber darf man auch unsere

Stelle nicht, wie es häufig geschehen ist, und noch geschieht, so deuten, als ob der Glaube an Jesum Christum selbst gleichgültig

wäre zur Herstellung des richtigen Verhältnisses des Menschen zu Gott, als ob dazu schon die Gottesfurcht und Rechtschaffenheit

142

des Cornelius genüge.

Der Geist deS Auferstandenen hatte

Petrus die Augen geöffnet, daß er so sprechen sonnte, und er sollte in diesen Worten Verläugnung deS Auferstandenen predi­ gen?

Wäre dieö wirklich die Meinung de« Petrus gewesen,

warum weilt er noch so lange im Hause deS Cornelius? warum

predigt er ihm und den Seinen von Christo? warum tauft er sie auf Christum, und preist sie nicht vielmehr gleich selig und

ermahnt sie, nur fortzufahren auf dem rechten Wege, auf dem

sie bisher gewandelt?

Sein ganzes Verfahren zeigt, daß er die­

sen Gottesfürchtigen und Rechtschaffenen nicht die volle Seligkeit zuschreibt, sondern sie nur für würdig erllärt, durch das Christen­

thum dieser Seligkeit zugeführt zu werden. den Cornelius selbst!

Und betrachten wir

Er fastet vier Tage, dann betet er zu

Gott, und es erscheint ihm ein Engel, der ihm sagt : „Laß for­ dern Simon, mit dem Zunamen Petrus, der wird dir sagen, was du thun sollst!"

göttlichen Befehle

Sogleich folgt er mit hastiger Eile dem

und ruft

zusammen seine Verwandten und

Freunde und harret mit ihnen in banger Erwartung des Boten

Gottes; und als er hört, daß Petrus angekommen ist, da kann er seinen Eintritt nicht abwarten, sondern er eilt ihm entgegen und fällt ihm zu Füßen, und betet ihn an.

Ist das, geliebte

Mitchristen, das Bild der Seele, die glücklich gefunden hat; ist das nicht

vielmehr das Bild einer Seele, die in ängstlicher

Sehnsucht das Heil

erst sucht?

Und diese Sehnsucht nach Er­

lösung, das ist in der That auch daö Höchste, wozu eS Gottes­

furcht und Streben nach Erfüllung der göttlichen Gebote ohne

den Glauben an Jesum Christum bringen kann.

Woher

nun

aber im Gefühle der Versöhnung mit Gott die Seligkeit wahren

Friedens erst komme, auch daö sagt Petrus dem Cornelius und seinen Freunden.

II.

Alsbald nämlich fährt er weiter fort :

„Ihr wisset wohl

von der Predigt, die Gott zu den Kindern Israel gesandt hat

und verkündigen lassen den Frieden durch Jesum Christum, wel­

cher ist ein Herr über Alles."

Jesus Christus also, der Herr

über Alles, der ist es, der den Frieden allein zu verleihen ver­ mag ; daß er aber ein Herr sey über Alles, das wurde den Sei-

nigen durch die Auferstehung bethätiget, und so führt wiederum

der Auferstandene, wie er die Gränzen des Gottesreiches erwei­

tert hat, auch allein den Weg zum seligen Frieden desselben : durch die Auferstehung des Herrn ist verkündet, daß Friede der stete

Zustand dieses Reiches seyn soll. —

darin auch der Friede wirklich?

Herrscht denn aber

Sagt der Herr nicht selbst zu

seinen Jüngern : „Ihr sollt nicht wähne», daß ich kommen sey,

Frieden zu senden auf Erden: ich bin nicht kommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert! Denn ich bin kommen, den Menschen

zu erregen wider seinen Vater und die Tochter wider ihre Mutter und die Schnur wider ihre Schwieger, und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen seyn" (Matth. 10, 34—36)? Ist das eine fröhliche Friedensbotschaft? Ist das nicht vielmehr furchtbare Drohung, daß auch die friedlichsten, innigsten Verhält­

nisse durch Kampf zerrissen werden sollen?

Und bietet denn die

Gemeinde der Gläubigen in der ersten Zeit ein Bild des Friedens

dar?

Ach, statt des Friedenöpanieres auf Zion, zu dem jubelnd

die Völker wallen von den Enden der Welt her, ist das Kreuz aufgerichtet, um das die Gläubigen sich sammeln, eine schwache, kleine Heerde inmitten räuberischer Wölfe, und statt der Bäche

von Milch und Honig, die der Prophet den glücklichen Tagen

der Erscheinung des Messias verheißen hatte, fließen Ströme vom Blute der Märtyrer; und wird nicht überall, wohin das Licht des Evangeliums zum ersten Male dringt, der alte furcht­

bare Kampf wieder neu? — Und dennoch verheißt der Heiland in den letzten Stunden des Abschiedes seinen gebeugten Jüngern:

„Den Frieden lasse ich euch, meine« Frieden gebe ich euch!"

(Ich. 14, 27)

und dennoch ist der erste Gruß des Auferstande­

nen an die Seinen „Friede sey mit euch!"

(Joh. 20, 19. 26).

Aber freilich setzt er hinzu : „Nicht gebe ich euch, wie die Welt

gibt", sondern der Friede ist, wie auch unser Text sagt, ein

144 Friede durch Jesum Christum.

Der Lußere Friede

mit der

Welt ist nicht der, welcher im Reiche GotteS herrscht; den kann

der Erlöser seinen Getreuen nicht verheißen, wie er auch selbst

diesen Frieden nicht geschmeckt hat.

Kampf mit der Welt, und

so

Sein ganzes Leben war

mußte er auch seinen Jüngern

sagen, daß der Knecht nicht größer sey, denn der Herr, und daß

man sie Verfölgen werde, wie man ihn verfolgt habe (Matth. 10,24). Aber wie der Auferstandene über die Welt triumphirte, so hat

er durch seine Auferstehung auch den Seinigen im Glauben an

ihn den Sieg gegeben, der die Welt überwindet.

Hat er uns

durch seinen Tod der ewigen Liebe des Vaters versichert, so

ist er nun durch die Auferstehung geoffenbaret in seiner unend­

lichen Macht als der Herr über Alles, als der gewaltige Hirte,

dem Niemand seine Schafe aus seiner Hand reißen kann. Gläubigen sind gewiß,

Die

durch den Auferstandenen so innig mit

Gott verbunden zu seyn, daß keine Macht der Welt von seiner Liebe sie mehr scheiden kann. So bleibet auch bei allem äußeren

Kampf der Friede Gottes ihr innerstes Eigenthum, und sie leben, wie Paulus sagt (2 Cor. 6, 9), als die Unbekannten, und doch

bekannt; als die Sterbenden, und siehe, sie leben; als die Ge­ züchtigten, und doch nicht ertödtct; als die Traurigen, aber alle­ zeit fröhlich;

als die Armen,

aber die doch viel reich machen;

als die nichts haben, und doch Alles inne haben.

Oder wie eö

im Liede heißt : Sie Sie Sie Sie Sie Und Sie Und

Sie

wandeln auf Erden, und leben im Himmel; bleiben unmächtig, und schützen die Welt; schmecken den Frieden bei allem Getümmel, haben, die Aermsten, was ihnen gefällt. stehen in Leiden, bleiben in Freuden; scheinen ertödtet den äußeren Sinnen, führen da» Leben des Glaubens von innen.

seufzen

nicht mehr

blos unter dem drückenden Ge­

fühle der Sünde im Bewnßtfeyn des eigenen Unvermögens dem göttlichen Gesetze zu genügen; sondern sie wissen, daß mit dem

Glauben an den Auferstandenen auch die Kraft, mit der er die Sünde überwunden hat, uns sich mittheilt; und so zieht mit dem

Glauben an ihn Ruhe und volles Genügen in die Herzen ein, und jeder wahre Bürger seines Reiches weiß aus Erfahrung, daß in diesem Reiche Welt und Sünde überwunden und Friede

bleibender Zustand ist.

III.

Was ist aber der Grund dieses Reiches, der Grund, auf

welchem und durch welchen es bestehet, und dessen Anerkennung von Jedem gefordert wird, der das Bürgerrecht darin sich er­

werben will?

Das ist die dritte Frage, zu deren Beantwortung

die Fortsetzung der evangelischen Predigt in unserem Texte An­ leitung

gibt.

Jesus Christus

ist ihr Mittelpunkt, ihr Anfang

und ihr Ende; Jesus Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, ihr einziger Gegenstand, und

Jesus Christus

der Sohn des

lebendigen Gottes, das ist auch der einzige wahre Grund des Gottesreiches.

Nicht die Annahme einzelner

neuen Lehren und Einrichtungen, die menschlicher Prüfung und menschlichem Gutdünken

unterlägen

und feine Gewißheit

der

Ueberzeugung zu verleihen vermöchten, wird von denen gefordert, die eintreten wollen in das Reich des Herrn; sondern überall, so wie hier, ist der Inhalt aller apostolischen Predigt nur die

große Lehre, daß Jesus von Nazareth bewährt sey durch Wun­ der und Zeichen als der eingeborene Gottessohn, daß er gestorben

sey aus Liebe zur verlorenen Menschheit und wieder auferstanden in göttlicher Macht, und dqß durch ihn eine neue, heiligende

göttliche Lebenskraft in die Welt gekommen sey, die im Glauben

ergriffen werde und den Gläubigen Macht gebe, Kinder Gottes zu werden. Als der wahre Grund des Gottesreiches aber wurde

der Heiland erst durch die Auferstehung bewährt.

Wohl war er

in der ganzen Zeit seines Erdenlebens in allen seinen LebensBaur Predigten. 10

Äußerungen erschienen in der Herrlichkeit des Vaters, voll Gnade und Wahrheit; aber als nun der Heiland, von welchem man

Erlösung erwartete, den Verfolgungen seiner Feinde unterlag

und sein Leben am Kreuze verhauchte, da wurden auch die Säu­ len der Kirche wankend, und Glaube und Hoffnung lagen bei dem Erlöser im Grabe.

Furchtsam und traurig saßen die Elfe

in verschlossener Kammer beisammen, und zwei andere Jünger

giengen, wie unser heutiges Evangelium (Luc. 24, 13 — 35) so rührend erzählt, düsteren Sinnes von Jerusalem nach Emmahus, und der Schmerz hatte so ihre Blicke umdunkelt, daß sie den Auferstandenen, der zu ihnen nahete, nicht erkannten und ihm

erzählten, wie Jesus von Nazareth, ein Prophet, mächtig von

That und Wort vor Gott und allem Volk, von den Hohenprie­

stern und Obersten verantwortet seh zur Verdammniß des Todes, und wie sie nun beweinen müßten ihre vergebliche Hoffnung, daß er Israel erlösen solle.

Aber unter die versammelten Jünger

trat plötzlich der Auferstandene leibhaftig und rief ihnen sein

tröstendes und erhebendes „Friede seh mit euch!"

entgegen und

zeigte ihnen Hände und Füße und ließ sie die Finger in-seine Wundenmale legen.

Nun erkannten sie, daß sie die Jünger des

gewaltigen Herrn waren, der dem Tode die Macht genommen und Leben und' unvergängliches Wesen an's Licht gebracht, und sie schmiegten sich mit dem Rufe „Mein Herr und mein Gott!"

(Joh. 20, 28) zu unzertrennlicher Gemeinschaft inniger an ihn.

Der Glanz von der Auferstehung des Herrn strahlte verklärend zu­ rück auf sein ganzes Leben. Jetzt erst erschien den Seinen jede seiner

Handlungen als ein Ausfluß der göttlichen Kraft, die in ihm lebte, und sein Tod als freiwillige Aufopferung aus göttlicher

Liebe, und er war erkannt als der Grund, außer welchem Nie­ mand einen anderen legen kann, als der Erstgeborene einer neuen Schöpfung. Und nun verschlossen denn auch die Jünger die Er­ innerungen an das Erlebte nicht mehr stumm in sich, sondern

sie konnten trotz allen Dräuens der Gewaltigen jetzt nicht mehr lassen,

daß sie nicht sollten reden, was sie gesehen und gehöret

hatten.

Doch hiermit sind wir bereits zum letzten Gesichtspunkte

gekommen, auS welchem die Schlußverse unseres Textes die Be­

deutung der Auferstehung uns noch betrachten kaffen.

IV.

Wir erwägen noch den Einfluß der Auferstehung des

Herrn auf diejenigen, welche zur Förderung seines Reiches berufen sind. — „Zeugen der Auferstehung" so heißen die Apostel hier und öfter, und gewiß, eS gibt keinen

treffenderen Ausdruck, um die Art, wie sie ihren Beruf verwalte­ ten , kur; zu bezeichnen.

Die Auferstehung des Herrn war ja,

wie wir vorhin schon sahen, der Mittel- und Glanzpunkt ihrer evangelischen Verkündigung, und ohne sie wären sie nimmermehr

Boten geworden zur Ausbreitung des GotteöreicheS.

Nehmen

wir statt Aller den einen Petrus, an den unser Text uns beson­ ders

erinnert, so hatte er fteilich dem Herrn vorher betheuert,

daß wenn Alle sich an ihm ärgern würden, doch er nicht; daß er

ihn nicht verläugnen wolle und wenn er mit ihm sterben

müßte,

und noch im Garten von Gethsemane zog ex kühnen

Muthes das Schwert zur Beschützung seines Herrn und Meisters. Als dieser aber nicht, wie der Jünger wohl erwartete, die Mil­

lionen Engel zu seinem Schutze herbeirief, als er willig in die Gewalt seiner Feinde sich gab — ach, wie begann da der Fels

der Kirche weich zu werden und zu wanken!

den von

Wie ganz verschie­

jener muthigen Betheuerung lauten die Worte, mit

denen er seinen Herrn verläugnete, als er im Hofe des Hohen­

priesters den Knechten gegenüber

sich verfluchte und schwor :

„Ich kenne diesen Menschen nicht!"

DaS ist nicht die Rede

und daS Benehmen eines Mannes, der Zeugniß ablegen sollte

von dem Gekreuzigten vor aller Welt.

Wäre es so geblieben

mit den Jüngern, es wäre geschehen gewesen um die Gründung

deS Reiches des Herrn. nachher

Aber so blieb es nicht!

Denn bald

steht derselbe Petrus in Jerusalem vor der zahllosen

Menge des Volkes und bezeuget laut (Apostelg. 2, 36) : „So

10*

148 wisse nun das ganze HauS Israel gewiß, daß Gott diesen Je­

sum, den ihr gekreuziget habt, zu einem Herrn und Christ ge­ macht

hat!"

Kurz

darauf sehen wir ihn mit Johannes vor­

dem hohen Rathe (Apostelg. 4, 19), ernstlich bedräuet, daß sie nicht mehr lehren sollten im Namen Christi; aber sie haben keine

Antwort, als die :

„Wir können es ja nicht lassen, daß wir

nicht reden sollten, was wir gesehen und gehöret haben", und

fahren fort, zu thun, was sie nicht lassen können. Und wiederum zeigt ihn uns'unser Text, wie der Eifer, dem Herrn Seelen zu

gewinnen, ihn hinausgetrieben hat aus der heiligen Stadt über die Gränzen von Judäa.

Wer erkennt in dem Petrus, der hier

im Hause des Cornelius laut den Heiden das Evangelium ver­ kündet, den Mann wieder, der dort im Hofe des Hohenpriesters

seinen Herrn verläugnet? Das war die Auferstehung des Herrn für seine Jünger! Und was ist sie für uns, die wir gleich ihnen

doch Alle, jeder an seinem Theil, berufen sind zur Förderung seines Reiches?

Sollte sie nicht auch in uns den begeisterten Trieb

erwecken, Zeugen zu werden der Auferstehung? nicht also.

Fast scheint es

Denn was nach unserem Texte die ApoM zur Be­

kräftigung ihres Zeugnisses anführen durften, daß sie mit dem

Herrn gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden ist von den Todten, das können wir von uns nicht sagen. Aber

dafür sehen wir täglich fortleben und fortwachsen seinen geistigen Leib, die Kirche, und preisen uns selig im Besitze des Friedens,

der von Jesu Christo ausgehet, welcher ist ein Herr über Alles. Wo solch eine Fülle von Kraft und Segen hervorgegangen ist

aus dem Grabe des Heilandes, was dürfen wir da noch weiteres Zeugniß, damit uns die Auferstehung des Herrn so gewiß werde,

als sie den Aposteln war, und unser Zeugniß von ihm so freu­ dig, wie das- ihre?

Und zudem war es ja nicht sowohl die

Versicherung der leiblichen Nähe des Auferstandenen, welche das

Zeugniß der Apostel so eindringlich machte; sondern der Geist

des Auferstandenen, der sie gewaltig ergriffen hatte, und der nun aus ihnen sprach, der war es, der den Hörern ihrer Predigt durch das Herz gieng und in ihm zündete und sie im innersten

Grunde ihres Wesens faßte und erschütterte.

Und dieser Geist

deS Herrn gibt ja Beweise von seinem Leben nach, wie vor. Seit den fast zweitausend Jahren seines Waltens ist mehr denn

einmal der Versuch gemacht worden, ihn zu tödten, oder zu be­ graben in den Sarg starrer Menschensatzungen und Wächter zu

stellen, damit seine treuen Verehrer ihn nicht raubten und den Völkern verkündeten, daß er auferstanden seh; aber jedesmal hat

er die blinde Vorsicht der Wächter zu Schanden gemacht und allgewaltig den Stein vom Grabe gewälzt und seinen Getreuen

sich geoffenbaret und sie begeistert, lautes, freudiges Zeugniß von

ihm abzulegen.

Und wie im großen Gange der Geschichte seiner

Kirche, so bewährt er sich auch in den Herzen der einzelnen

Gläubigen als der Auferstandcnc.

So oft der Glaube an ihn euch

aus den Leiden der Zeit zuni freudebringenden Bewußtseyn der ewi­ gen Liebe Gottes, oder aus dem vernichtenden Gefühle der Sünde

und Verschuldung zur freudigen Gewißheit der Versöhnung mit Gott erhebt und mit frischer Lebenskraft durchdringet; so oft feiert der

Erlöser in

eurem Herzen sein AuferstehungSsest und bewähret

sich dabei durch Thaten, die weit über menschliche Kraft und

menschliches Einsehen hinausgehen, als der die kranken Seelen heilet und aus geistigem Tod zu neuem Leben erwecket.

Sehet da,

Geliebte im Herrn, wie der Auferstandene auch uns so nahe ist und

immer noch und immer wieder so deutlich sich offenbaret, und ihr dürfet nicht, um zu glauben, fordern, daß seine sichtbare und greifbare

leibliche Gegenwart ihn als den Mit göttlicher Kraft ausgerüste­ ten Todesüberwinder euch darstelle.

Preisen wir unö vielmehr

glücklich, daß wir glauben können, ohne zu sehen, und gleich dem Apostel auS der Auferstehung deS Herrn immer neue Kraft neh­

men zum freudigsten Zeugnisse von

ihm!

Wo das Bestreben

sich reget, ihn herabzuziehen auS seiner göttlichen Macht und

Herrlichkeit in die Kreise irdischer Beschränkung, da werde das Zeugniß laut von dem, was er gethan hat, und die Frage, ob das das Werk menschlicher Kraft seh; und von wessen Herzen

er einmal den schweren Stein der Leiden und Sorgen gewälzt hat, der suche den Trauernden und lege die Hand auf sein ge-

150 heiltes Herz und zeuge laut von der Hülfe-, die der Auferstan­ dene ihm erwiesen hat;

und wer durch den Glauben an den

Auferstandenen selbst zu neuem Leben wiedergeboren ist, der gehe hin und senke in todte Herzen die Keime des göttlichen Lebens, damit durch die Auferstehung des Herrn immer weiter werden die

Gränzen seines Reiches, immer gewaltiger sein weltüberwindender Friede; damit auf den ewigen Grund, welchen er durch seinen

Tod und durch seine Auferstehung gelegt hat, immer mehr all unser Denken und Wollen und Vollbringen gebaut und das Zeugniß von

dem Auferstandenen immer freudiger und wirksamer werde. Und so

scheiden wir denn von dem segensreichen Auferstehungsfeste mit inni­ gem Danke für die neue Stärkung, die wir durch es gewonnen haben aus der Fülle des Herrn, und mit dem Gebete,welches die junge Chri­

stengemeinde zu Jerusalem betete, als die Apostel um ihrer Predigt von dem Auferstandenen willen vom hohen Rathe bedräuet wur­ den

(Apostelg. 4, 29 u. 30) :

„Und nun,

Herr, gib deinen

Knechten mit aller Freudigkeit zu reden dein Wort und strecke deine Hand aus, daß Gesundheit und Zeichen und Wunder ge­

schehen durch den Namen deines heiligen Kindes Jesu!"

Amen.

XI.

Wodurch der Koh« der einzige Weg znm

Vater ist.

Tert : Joh. 14, 6. Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns Allen!

Amen. Wenn vor einer Gemeinde ein Prediger austritt, welcher ge­

wohnt ist, ihr das göttliche Wort zu verkündigen, so knüpft er seine Betrachtung wohl am liebsten an die biblischen Abschnitte

an, welche die Kirche seit alter Zeit auSgewählt hat, der sonn­

täglichen Andacht der Gemeinde zur Grundlage zu dienen. dem aber,

welcher

alö Verkündiger

des

Bei

göttlichen Wortes

zum erstenmal austritt, mit der Aussicht, daß es ihm sobald nicht wieder vergönnt sehn werde, bei dem ist eS ja wohl natürlich,

wenn er die besonderen Beziehungen, welche jene Abschnitte dar-

nicht berührt, und vielmehr nur das Wesentlichste zur

bieten,

Sprache bringt; wenn er von den einzelnen Strahlen die Be­ trachtung zurückführt auf die Sonne, von der sie ausgehen; wenn er unmittelbar auf den Grund zurückgeht, der ihn mit der Ge­ und

meinde

die einzelnen.Gemeindeglieder unter sich verbindet,

diesen vor Allem zu klarem Bewußtseyn zu

bringen und

sich

dadurch gleich zu der Gemeinde in ein nahes und inniges Ver­

hältniß zu setzen sucht.

ist es

mir

Dieser Fall ist nun der meinige, und so

wohl verstattet,

die heutige

liegen zu lassen, und statt ihrer dächtigen Betrachtung

epistolische

zur Grundlage

Perikope

unserer an­

eine andere Stelle der heiligen Schrift

zu wählen, welche vorzüglich geeignet ist, uns daran zu erinnern, wer denn der Grund unserer Verbindung ist, und wodurch ge­ rade dieser der einzige ist, außer dem Niemand einen andern

legen kann.

Die Worte, an welche

wir unsere Betrachtung

knüpfen wollen, finden sich im Evangelium des Johannes, im 14. Capitel im 6. Verse und lauten also :

„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Lebe»; Niemand

kommt zum Vater, denn durch mich." „Niemand kommt zum Vater, denn durch mich,"

so spricht der Erlöser, und indem wir diesen Ausspruch verneh­ men, so vergessen wir alle besonderen Glaubensrichtungen, die uns etwa trennen könnten, und sammeln uns alle einträchtig um

den einen Mittelpunkt, von dem sie alle aus- und auf den sie alle zurückgehen, in der gemeinschaftlichen Ueberzeugung, die ge­

rade der Grund ist, daß wir alle zusammen Christi Namen an uns tragen, in der Ueberzeugung, daß in keinem andern Heil auch

kein anderer Name den Menschen gegeben ist,

darin sie sollen

selig werden (Apostelg. 4, 12), daß kein anderer Weg ist zum Vater, denn der Sohn.

Damit hat uns eben unser Text an

den Grund unseres Glaubens erinnert.

Fragen wir nun, wo­

durch denn der Sohn der einzige Weg ist zum Vater, so gibt

auch zur Beantwortung dieser Frage unser Text uns

nähere Anleitung, indem er durch die doppelte Lehre, daß Chri­

stus die Wahrheit seh und das Leben, die beiden Beziehungen zeigt, nach welchen wir die Frage, wodurch der Sohn der einzige

Weg zum Vater ist, die Gegenstand unserer heutigen Betrach­ tung sehn soll, zu beantworten haben.

I. Zuerst also ist Christus der Weg zum Vater dadurch, daß'er sprechen kann: „Ich bin die Wahrheit!" Das ist ein gewalti­

ges Wort, meine andächtigen Mitchristen. Wer so spricht, der muß fühlen, daß die Fülle der Gottheit in ihm wohnt (Col. 2,8 u. 9). Dieses Wort kann wahrlich nur der eingeborene Sohn, den die

Herrlichkeit

des Vaters umstrahlet,

aussprechen: Gottesläste­

rung wäre es, wenn ein Mensch es auf die Lippen nähme.

Dem

zunächst ist, wenn es „die Wahrheit" heißt, nicht die Rede

von einzelnen Wahrheiten, insofern sie sich auf einzelne Erkennt­ nisse beziehen; sondern an die eine Wahrheit ist zu denken, welche

sich eben auf die Erkenntniß dessen bezieht, der das eine Be­ gründende und Belebende ist in der wechselnden Welt der Er­

scheinungen , auf die Erkenntniß Gottes.

Wer sich ferner "die

Wahrheit« zuschreibt, der schreibt sich mehr zu, als der, welcher

nur behauptet, daß er Wahrheit habe; denn Wahrheit kann jeder haben, aber die Wahrheit, die volle, ganze Wahrheit, die volle, ganze Erkenntniß Gottes, die kann nur der haben, der in des

Vaters Schooß ist (Joh. 1,

18) und den Vater

gesehen hat.

Und endlich sagt Christus nicht etwa : »Ich erkenne die Wahr­

heit, ich lehre die Wahrheit; sondern : »Ich bin die Wahrheit!"

Wer so von sich sprechen darf, bei dem kann die Wahrheit nicht blos ein Eigenthum der Erkenntniß sehn, sondern sein ganzes Wesen muß sie durchdringen, in jedem Gedanken muß sie wohnen, jede Gesinnung muß sie begleiten, aus jeder That,

aus jeder

Lebensregung muß sie hervorleuchten — und wo ist da wiederum Einer von uns, bei welchen Allen der Wille hinter der Erkennt-

niß, da- Leben, da- wir führen, hinter der Wahrheit, die wir lehrm, zurückbleibt, wo ist da Einer, der so ein Abbild wäre der

göttlichen Wahrheit?

Wer darf sagen : „Ich bin die Wahr­

heit" außer der Sohn? —So lehrm un- diese Worte, daß in Christus die Wahrheit gewesw seyn muß in einem viel höheren

Sinne,

als in uns;

daß wir Menschen nur einen Theil der

Wahrheit besitzen und nur theilweise von ihr durchdrungen sein können, während bei dem Heiland aus seinem ganzen Wesen die

ganze Fülle der göttlichen Wahrheit widerstrahlte; daß er allein

den Vater unS zeigen kann, weil er allein den Vater gesehen hat (Ioh. 6, 46),

wie kein Mensch ihn sehen konnte,

und daß

eben darum der Sohn der alleinige Weg zum Vater ist. Fragen wir nun weiter: hat sich denn

Christus wirklich

bewährt als die göttliche Wahrheit, die zum Vater führt?

so

erinnern wir uns bei Beantwortung dieser Frage zuerst des apo­ stolischen Wortes, daß Gott sich nicht unbezeugt gelassen hat,

auch vor der Zeit, da der Erlöser erschien.

Eine Offenbarung

seines unsichtbaren Wesens lag in der Natur, und in der Brust

deS Menschen

trieb

die Stimme

Gottes,

daß sie ihn suchen

sollten, ob sie ihn wohl finden und fühlen möchten (Apostelg. 17, 27).

Aber alle mit diesen Mitteln erworbenen Erkenntnisse

waren doch nur einzelne Strahlen des Lichtes, das in die Fin­ sterniß schien (Ioh. 1, 3); und wenn auch einzelne von Gott be­

gnadigte und berufene Männer austraten, um Zeugniß abzulegen

von dem Ewigen, so kamen doch auch sie eben nur, um von dem Lichte zu zeugen, das Licht selbst waren sie nicht (Ioh. 1, 18). Zum

Vater

konnten durch

nimmermehr kommen : ihr

diese

Erkenntnisse die Menschen

Verhältniß zu Gott war kein kind­

liche- , worin man, der Liebe des Vaters gewiß,

Macht und Weisheit

unter seine

vertrauensvoll sich fügt und aus Liebe zu

ihm freudig seinen Willen erfüllet; ihr Gott war nur der ferne

Gegenstand einer dunllen Ahnung, an welchem sie nach mensch­ licher Weise ergänzten, was ihnen von seinem Wesen verborgen blieb, und so bestätigte sich an ihnen das Wort des Herrn, daß

dem,

der

nicht hat,

auch das genommen wird,

was er hat

(Matth. 13,12): sie selbst verloren das göttliche Ebenbild immer

mehr, der unter unnatürlichen Lüsten begrabene göttliche Geist gab immer schwächere Lebenszeichen von sich, die Sttahlen deS himm­

das

lischen Lichtes,

in die Finsterniß schien,

wurden immer

blässer, so daß dem armen, verfinsterten Menschenherzen zuletzt

fast nichts mehr übrig blieb, als die Sehnsucht nach ihm,

als

deren bedeutungsvolles Wahrzeichen zu Athen, der Pflanzstätte

aller heidnischen Weisheit, wie ein Wegweiser in der Wüste, mitten unter Götzenbildern und Götzentempeln ein Altar stand mit der — man weiß nicht ob mehr grauenhaften, oder mehr rüh­ renden — Inschrift : „Dem unbekannten Gott!" (Apostelg. 17, 23).

Als nun aber so durch die ganze Schöpfung das un­

endliche Seufzen der Creatur ertönte nach Erlösung aus

Dienste des

dem

vergänglichen Wesens, aus den Banden der Sünde

und des ewigen Todes; da war die Zeit erfüllet, da sandte Gott

den Sohn.

„Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn

im Geist und in

der Wahrheit anbeten!"

so lehrte er vom

Vater (Joh. 4, 24), und dies einfache Wort stürzte Tempel und

Götzenbilder in Trümmer. „Selig sind, die reines Herzens sind!" so rief er den Menschen zu (Matth. 5, 8), und viele erwachten

auö ihrem Sündenschlafe und schlugen zerknirscht an ihre Brust und beteten bebend : „Gott sey mir Sünder gnädig!"

Denn

er predigte gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten : er lehrte nicht bloß die Wahrheit, er konnte sagen : „Ich bin die Wahr­

heit", aus seinem ganzen Wesen strahlte sie hervor, die Herrlich­

keit des Vaters umleuchtete ihn, wer ihn sah, der sah den Vater

(Joh. 14, 7—9);

Gott wieder.

so

brachte er

den Menschen ihren

Und doch hielt er es nicht für einen Raub,

Gott gleich zu seyn (Phil. 2,7); sondern er erniedrigte sich selbst aus Liebe zu den Brüdern,

und erduldete Leiden und Tod aus

Liebe zu ihnen, und rührte die verhärteten Herzen und zog sie liebend

zu sich heran,

so brachte er die Menschen ihrem Gott

wieder nahe, und aus ihren versöhnten Herzen konnte nun sein heiliger Geist rufen: „Abba, lieber Vater!" (Gal. 4, 16.)

Wollt ihr recht deutlich erkennen, wie groß die Veränderung ist, welche der Sohn in der Welt hervorbrachte, so versetzt euch einmal in die Zeit kurz nach seiner Erscheinung, und dann folgt mir in Gedanken nochmals nach Athen zum Altare des unbe­

kannten

Gottes.

Da stehen

um den

Altar

versammelt die

Weisen der Stadt, die, nachdem sie alle Gebiete des Wissens durchmessen haben, die der sich selbst überlassene menschliche Ver­

stand durchmessen kann, es endlich aufgegeben haben, dem Gott,

der die Wahrheit ist, nahe zu kommen.

Frage:

„WaS ist Wahrheit?"

Die dürre, trostlose

welche dort (Joh. 18, 38) Pi­

latus mit vornehmem Achselzucken dem Heiland vorhält, da dieser

ihm sagt, daß er gekommen seh, die Wahrheit zu zeugen, daS ist der Inbegriff der Weisheit dieser Weisen, und der Dünkel,

der auf ihren Mienen sich ausspricht, hat keinen anderen Grund, al- die Ueberzeugung, daß man die göttliche Wahrheit nicht er«

greifen könne.

Und inmitten dieser Weisen steht ein schlichter

Mann; nicht herrlich nnd in weichen Kleidern, sondern dem man eS ansieht, daß er seine Füße nicht unter die Tische der Großen

gestellt, vielmehr mit Entbehrungen und Mühen und Leiden schon

genug gekämpft hat.

Auf seinen Mienen ist keine Spur von

jenem geistlichen Hochmuth; aber sein Antlitz strahlet vom Feuer

himmlischer Begeisterung wie eines Engels Angesicht, und jedes Wort, das er redet, ist ein Schwert, das in den tiefsten Grund

der Herzen dringt, — ihr kennt ihn alle, das gewaltige Rüstzeug des Herrn; es ist der Mann von TarsuS, der aus einem SauluS

ein Paulus geworden ist, und den cs nun rastlos treibet, durch Länder und Meere das Evangelium zu tragen und dem Herrn

Seelen zu gewinnen.

Darum stehet er jetzt auch hier.

Er will

den Athenern den unbekannten Gott llar zeigen, dem eine dunlle Ahnung den Altar gebaut hatte.

Er hat der sich blähenden

Weisheit der Welt gegenüber nichts, als das Bewußtseyn : „Ich halte mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, ohne allein Jesum Christum, den Gekreuzigten!" (1 Cor. 2, 2) und

doch

muß vor dieser einfachen, schlichten Wahrheit,

die ganze

Weisheit der Welt zur Thorheit werden, doch schmückt sie ihn

mit einem solchen Reichthum und einer solchen Kraft der Erkennt­

niß, daß die stolzen Weisen von Athen ganz arm und nackt und ohnmächtig vor ihm dastehen.

Allen gehen seine Worte durch's

Herz, viele freilich widerstreben der Stimme Gottes, die in ihren

Herzen sich regt und haben's ihren Spott; andere aber nehmen die Sache ernst und wollen chn weiter hören, und noch andere hangen ihm gleich an und wollen gläubig werden und bekennen :

„Das ist der Gott, und das ist die Wahrheit, wonach die Sehn­

sucht unseres Herzens geschrieen hat!" Dieser Freudenruf der Herzen, die ihren Heiland gefunden hatten, wie hat er sich herrlich bewährt!

Die Heiden hatten,

umgeben von den reichen Gaben der göttlichen Gnade, den Va­ ter doch nicht erkannt; die Christen, die an den Sohn sich hielten,

der die Wahrheit selbst ist, waren durch ihn so innig mit dem Vater verbunden, daß kein Leiden der Zeit von seiner Liebe sie

mehr scheiden könnte.

Das Feuer der göttlichen Liebe, von dem

Christus sagt, daß er gekommen sey es anzuzünden (Luc. 12,49),

brannte einmal, und keine Macht der Welt vermochte es wieder auszulöschen.

Immer weiter und gewaltiger wirkte das Wehen

des Geistes des Herrn, und ob er gleich keine Macht für sich

hatte, als seine eigene innere Kraft, und so leise daherfuhr, daß

er das glimmende Docht nicht auslöschte und das zerknickte Rohr nicht zerbrach, so ist doch durch ihn das himmlische Senfkorn zu

einem gewaltigen Baume geworden, unter dessen Zweigen alle Völker der Erde sich sammeln.

Wo er sich reget, da sehen wir,

wie die Menschen durch ihn zum Vater gekommen sind, und wie

er einen Frieden schafft, stärker, denn die Leiden der Zeit, die

überwunden sind durch den Glauben, daß Jesus der Sohn des lebendigen Gottes

ist und als solcher die Fülle der göttlichen

Wahrheit in sich trägt.

II. So hat sich der Sohn bewähret als der, durch welchen die irrende

Menschheit zum Vater kommt, dadurch, daß er die

Wahrheit ist, und so bewährt er sich täglich.

Und doch sind

noch so Biele, die inmitten der Zeugniffe von dem Segen, den

er in die Welt bringt, ihn an seinen Werken nicht erkennen wol­ len, die, als ob der Sohn, in welchem der Vater ist, nicht schon erschienen wäre, gleich Philippus (Joh. 14, 8 ff.) noch sprechen

können : „Zeige uns den Vater, so genüget uns!" und denen

dann auch das Wort des Heilandes gilt: „So lange bin ich bet euch, und du kennest mich nicht; Philippe, wer mich siehet,

der siehet den Vater, wie sprichst du denn zeige uns den Vater?"

Das kommt daher, daß diese Menschen nur den ersten Theil unseres Ausspruches behalten haben, daß Christus die Wahrheit seh, und dagegen nicht erfahren und begriffen haben, was das

heißen will, daß er auch sagt : „Ich bin das Leben!" und

daß sie dann wähnen, die göttliche Wahrheit, die in Christo er­

schienen ist, muffe, wie sie eS von menschlichen Wahrheiten ge­ wohnt sind,

mit bloßen Verstandesgründen erwiesen und mit

dem bloßen Verstände erfaßt werden können, und daß sie ver­ schmähen, den Prüfstein der göttlichen Sendung Jesu zu ge­

brauchen, welchen dieser selbst als den wahren bezeichnet in den Worten (Joh. 7,17) : „So Jemand will des Willen thun, der

wird inne werden, ob meine Lehre von Gott seh, oder ob ich von mir selber rede."

Diese Worte sagen uns, daß die christ­

liche Wahrheit durchaus erlebt werden muß, wenn sie verstanden werden soll.

So laßt uns denn, wie wir

bisher Christum als die Wahrheit erkannten, insofern uns die

Fülle Gottes, die in ihm war, lautere und gewisse Erkenntniß

vom Göttlichen gibt, nun noch nach einigen Gesichtspunkten ihn als das Leben betrachten,

insofern er die Herzen ergreift und

Gesinnungen und Thaten reiniget und heiliget und dadurch uns

zum Vater führet.

Wir sehen nun, daß bei jedem Dinge, dem wir Leben zu­ schreiben, wir eigentlich das sein Leben nennen, was sein wahres Wesen ausmacht, was es eigentlich erst zu dem Dinge macht, welches es ist : die welke Pflanze ist bald nicht Pflanze mehr,

der Leichnam kein Mensch,

weil beide das Leben verlassen hat.

In ähnlichem Sinne ist nun auch hier das Wort zunächst zu

fassen.

Leben, das ist nichts Anderes, als die Kraft, durch

welche alle Dinge find, in welcher ihr Werth und ihre Dauer

beruht,

und von welcher getrennt und verlassen, sie der Ver­

nichtung und dem Tode anheim fallen, und diese Kraft ist wie­ derum keine andere, als die Kraft Gottes.

Die Fülle

dieses göttlichen Lebens war nun in Christo.

Drin­

gendstes Bedürfniß, eine unabweisbare Förderung seiner Natur,

seine Speise, wie er sich ausdrückt (Joh. 4, 34), war es, daß er thue den Willen des, der ihn gesandt hatte und vollende sein

Werk.

Seine ganze Erscheinung sprach diese göttliche Lebenskraft

aus; keine seiner Handlungen war zufällig oder willkürlich, alle vom lebendigen Geiste Gottes durchdrungen und geheiliget, nichts

war todt an ihm, Alles volles göttliches Leben!

Und diese-

göttliche Leben theilt er Allen mit, die an ihn glau­ ben, das heißt Allen, die in demüthigem, heilsbegierigem, lieben­

dem Herzen seinen Geist aufnehmen, also, daß, wie der Apostel sagt, sie eigentlich

nicht mehr selbst leben, sondern in ihnen

Christus (Gal. 2, 20).

Und

damit

ist

denn

der

Gläubige

durch den Heiland dem Vater so nahe gebracht, wie kein Mensch

ihn bringen kann.

Wahrheit können uns Menschen geben; allein

die Kraft mitzuthcilen, nach dieser Wahrheit zu leben, daS ver­ mag nur der, der das Leben selbst ist.

Wer ihn in lebendigem

Glauben ergriffen hat, der ist als eine Rebe unzertrennlich ver­

bunden mit dem himmlischen Weinstock; die göttliche Lebenskraft, die in diesem wirket, wirkt auch in ihm,

von ihm empfängt er

Nahrung, durch ihn bringt er Frucht : so sind alle seine Werke

in Gott gethan, und was so gethan ist, daS ist nicht blos für den Augenblick da, sondern für die Ewigkeit.

WaS nur vergäng­

lichen Vortheil gewährt, oder vergänglichen Genuß, was nur die Eigenliebe fordert, und nicht die Liebe Gottes, was nur für die Erde Werth hat, und nicht für den Himmel, das bewegt ihn

nicht;

an ihm ist das Wort des Herrn (Joh. 3, 36) erfüllet:

„Wer an mich glaubet, der hat das ewige Leben," so wie der, welcher nicht an ihn sich hält,

schon gerichtet ist und unter die

«60 Gewalt des TobeS gegeben : seine Werke bleiben nicht, wie groß

sic auch äußerlich erscheinen mögen, sie sterben, sie sind vielmehr schon todt geboren; denn es hat ihnen von Anfang an der Geist

gefehlet, der da allein lebendig macht. Und wenn wir uns nun ernstlich fragen, Geliebte in dem

Herrn, wie viel denn in unS dem Leben angehört in dem Sinne, in welchem Christus in unserem Texte vom Leben redet, und

wie viel dem Tode, so wird wohl Jeder bekennen müssen, daß der Tod noch gar großen Theil an ihm hat. unser Glaube nur der,

Wie gar oft ist

den auch die Teufel haben und zittern

(Jak. 2, 19), der todte Glaube, mit dem wir „Herr! Herr!"

rufen, und der so reich ist an eigenliebiger Unduldsamkeit und so

arm an Werken vertragender Liebe.

Wie oft sind auch unsere

Werke, die den äußeren Schein von Werken der Liebe an sich

tragen,

doch

nichts,

als Früchte

eigenliebiger Eitelkeit oder

Schwäche, doch nichts, als todte, sllavische Miethlingsarbeit!

Wie wenig sind endlich auch unsere Lebensverhältnisse noch durch unseren Glauben geheiliget, wie liegt er noch darin begraben als

ein todtes Pfand, gebannt in den Raum der Kirche oder in be­ stimmte Stunden der Erbauung und des Gebetes, statt daß er mit frischer Lebenskraft alle Verhältnisse durchdringen, das Fa­

milienleben und die bürgerliche Thätigkeit, wie die Wissenschaft

und Kunst reinigen und verllären sollte! Wenn all dieses Todte Leben wäre und Geist, wie viel reicher an Kraft und Freudig­

keit und Segen müßte das Alles sehn, wenn es in Gott gethan wäre, belebt von dem göttlichen Leben, welches den Erlöser durch­

drang!

So aber sehen wir Alle — und auch der, welcher sich

für den Frömmsten halten möchte, muß in dies Geständniß mit einstimmen — daß wir auch bei dem besten Willen noch lange

nicht vollkommene

lebendige Reben

sind an dem himmlischen

Weinstocke, daß wir dem Vater noch lange nicht so nahe sind, wie wir ihm sehn sollten.

Was ist nun im Schmerze darüber,

daß noch so Vieles an uns und unseren Werken und Verhält­

nissen todt ist, was ist da unser Trost und unsere Hoffnung? E- sind wieder die Worte des Erlösers : „Ich bin das Leben!"

E« gibt ja kein Leben, da- nicht zugleich belebend

wäre.

Wenn darum Christus einmal recht ergriffen ist, so ist

eS dann seine Weise, immerfort zu wachsen, immer mehr de« Todten

zu überwältigen

und in den Kreis

seiner belebenden

Kraft hineinzuziehen, und eS bewährt sich dann seine Verheißung,

daß dem, der hat, gegeben wird (Matth. 13, 13), und daß der, welcher einmal den Heiland ausgenommen hat, dann aus seiner Fülle

Gnade um Gnade nimmt (Joh. 1, 16).

Nun so mögen wir,

so wir nur die Herzen rein halten, damit ihm der Weg bereitet

sey, getrost dem Walten des Geistes Christi vertrauen, der uns leiten wird in

alle Wahrheit und immer näher bringen dem

Vater dadurch, daß er das Leben ist.

Wenn aber in Christo das göttliche Leben ist, und zwar so,

daß eS sein ganzes Wesen durchdringt, so ist ja ohne Zwei­ fel in Allem, waS todt ist, Christus nicht zu suchen. DaS lautet so natürlich, daß darüber kaum ein Irrthum mög­ lich und die Mahnung, nicht zu vergessen, daß, wo kein Leben ist, auch Christus nicht seyn könne, als ganz überflüssig erscheinen

könnte.

Und doch ist die Gefahr, daß jener Irrthum dennoch

vorkomme, wie die Erfahrung lehrt, so gering nicht, und die Mahnung muß darum um so entschiedener ausgesprochen und um

so inniger beherzigt werden, da die Ueberzeugung, daß der Hei­

land in diesem Sinne ein lebendiger und kein todter ist, der Grund und Stolz ist unserer evangelischen Kirche. Der lebendige

(Seift Christi, der unsere kirchliche Gemeinschaft bildet und er­ hält, ist immer einer und derselbe; aber die unvollkommene Art, wie die Menschen ihn auffassen und sich aneignen, die Buchstaben,

die ihn ausdrücken, die Formen der Verehrung, die ihn darstellen

sollen, müssen wechseln, so gewiß eS die Natur und Bestimmung der Menschheit ist, in stets wechselnden Stufen der Bildung vorzu­ schreiten.

Nun geschieht eS aber gar zu leicht, daß der leben­

dige Geist mit der Form verwechselt wird, die ihn auSdrücken

sollte, und wenn dann der Geist aus ihr gewichen ist, und auch die geistig mehr angeregten unter den Menschen sie als veraltet und abgestorben verlassen; da hört man Klagen über Abfall von Baur, Predigten. 11

Christo und gutgemeinte, aber unverständige Bitten und Ermah­

nungen, oder gar thörige Machtsprüche, daß man zurückkehren solle zu dem verlassenen Herrn, die doch am Ende nichts be­ wirken können, als eine Rückkehr zu seiner todten Hülle, die von

Wo solche Klagen oder Mah­

seinem Geiste längst verlassen ist.

nungen und Gebote gehört werden — und wer wüßte nicht, daß sie auch in unseren Tagen keineswegs fehlen — da ist es an der Zeit, mit

heiligem Eifer unter sie hinein zu rufen das Wort des Erlösers: „Ich bin das Leben!" damit man ablasse, den Lebendigen unter den Todten zu suchen (Luc. 24, 5); damit man uns nicht den

tödtenden Buchstaben verkaufe für den belebenden Geist; uns aus

theuer erkauften Kindern Gottes zu Knechten der Menschen mache und uns hemme im Fortschritte auf dem Wege, der allein zum Vater führt.

Und wenn wir nun selbst am Grabe veralteter

Formen der Lehre und Verehrung anfangen wollen, zu trauern,

als ob mit ihnen der Heiland selbst gestorben wäre; so mag dann auch ein Wort des Trostes für uns seyn das Wort des

Herrn : „Ich bin das Leben!"

Dieses Wort gibt uns die Ge­

wißheit, daß der, welcher das Leben selbst ist, den Tod nimmer­ mehr sehen kann.

Und so stimmen wir auch nicht ein in die

häufigen Klagen, die von mehr Liebe als Glauben zeugen, über

den Verfall und das wachsende Verderben der Welt und des menschlichen Geistes.

Wir können ja nicht glauben, daß unser

Heiland ein so ohnmächtiger seh, daß er das Werk der Heiligung,

welches er angefangen im Namen dessen, der ihn gesandt hat, nicht vollenden sollte, und-fühlen nur uns selbst immer mehr ge­ trieben, den Sinn abzulenken von dem , was die Hülle ist, auf

das, was der Kern ist, von dem Vergänglichen auf das Unver­

gängliche , damit das Leben, das in Christo ist, auch uns immer mehr durchdringe und wir immer näher zu dem Vater kommen

durch den Sohn, der das Leben ist.

So haben wir denn gesehen, wie reich an Segen es für uns ist, daß der Heiland, dessen Namen wir an uns tragen,

die Wahrheit ist und das Leben.

Und da bringen wir in der

Freude, einem solchen Herrn anzugehören von so großer Liebe

imd so gewaltiger Macht, dem Bater im Himmel unseren innig­

sten Dank dar, daß er in seinem Sohne uns Alles geschenkt

hat, und denken gerührten Herzens zurück an all den Reichthum von Gnade, den wir schon genommen haben aus der Fülle des

Herrn; an jeden Augenblick, da der Glaube an ihn unser Herz über das Vergängliche zur ewigen Liebe des VaterS erhob; an jede Stunde, da er unsere Leiden erleichterte und unsere Freude

verklärte; an jede Stärkung, die wir aus seiner Kraft genommen'

haben im Kreise unseres Berufslebens. dessen

Doch indem wir uns

freuen, waS wir durch Christum schon geworden sind,

dringet zugleich an unser Herz das Wort des Herrn (Luc. 9, 62): „Wer seine Hand an den Pflug legt und siehet zurück, der ist

nicht geschickt zum Reiche Gottes," und an das andere des großen Apostels (Phil. 3, 13) : „Ich vergesse, was dahinten ist, und

strecke mich zu dem, das davorne ist, und jage nach dem vorge­

setzten Ziele."

Da richtet sich denn unser Auge von dem, waS

hinter uns liegt auf das, waS noch gethan werden soll; ach, und

da ist deS steinigen, mit Unkraut überwucherten Landes, da ist des Todten, das belebt werden soll, noch so viel!

So laßt uns

denn, liebe Mitchristen, eingedenk deS Wortes des Herrn, nicht lange die Hand müßig an den Pflug legen, sondern mit heiligem

Eifer frisch an das Werk gehen.

Laßt uns unserem Danke für

das, was der Herr uns bereits geschenkt hat, auch die Bitte bei­ fügen, daß er uns beistehen möge, zu erlangen, was uns noch

fehlet,

damit

immer

lebendiger

in

uns der

Glaube werde,

der die Welt überwindet, immer reicher die Liebe, mit der Chri­

stus uns geliebet hat; damit immer mehr werden der Werke, die in Gott gethan sind, und immer weniger der todten Miethlings­

arbeit; damit der Geist des Herrn uns läutere und heilige durch

und durch, und wir als lebendige, gesunde Glieder wachsen an den, welcher das Haupt ist, Christus; damit immer mehr ab­ nehme die unvollkommene Frömmigkeit, die da wähnet, daß Christus nur hier sey

oder da, in der Kammer oder in der

Kirche (Matth. 24, 26 u. 27), und er uns werde ein reiche», volles Leben, daS alles Todte überwältiget, ein göttliches Licht,

11*

164 das unser ganzes Leben und Wesen durchleuchtet wie der Blitz

vom Aufgang bis zum Niedergang; damit der alte Mensch der Sünde in uns mit ihm sterbe und der neue Mensch zu neuem

Leben mit ihm auferstehe, und damit immer mehr erfüllet werde die höchste Bitte, mit welcher die Kinder vor den Bater treten

können : „Zu uns komme dein Reich!"

Amen.

XII.

Me »krschiedkikii Stufe« ans dem Wege zur Vollrnbnng -e» Glaubens. Predigt am Sonntage Jubilate. Tert : Joh. 16, 16-23.

Gott gebe euch viel Gnade und Friede durch die Erkenntniß

Gottes und Jesu Christi unseres Herrn! Meine andächtigen Zuhörer!

Amen.

Unsere kirchlichen Feste sollen

nicht blos Feste der Erinnerung an die größten Begebenheiten im Leben unseres Herrn und Heilandes und in seinem göttlichen

Erlösungswerke sehn; sie erhalten vielmehr ihre tiefere und wahre Bedeutung für unS erst dann, wenn sie uns recht innig fühlen lassen, daß die Begebenheiten, welche sie als etwas AeußereS und

Vergangenes uns vorhalten, auch zugleich Begebenheiten unsere-

Innern werden, in unserem Herzen sich gleichsam wiederholen

sollen.

Wenn die AdventStage uns zeigen, wie die unglückliche

Zeit, welche der Erscheinung Jesu Christi voranging, ängstlich nach

dem Erlöser sich sehnte und in banger Erwartung auf seine An-

166

Tunst sich

rüstete durch Gebet und Buße, so

mahnet uns der

feierliche Ernst dieser Zeit, daß wir tief empfinden, tote trüb

und öde das Leben ist ohne den Erlöser,

und herzliches Ver­

langen nach ihm fühlen, und unser Herz reinigen und ehrbarlich

wandeln und ablegen die Werke der Finsterniß und anlegen die Waffen des Lichtes, auf daß dem Herrn der Weg bereitet und das Herz für ihn offen sey.

Das fröhliche Weihnachtsfest er­

scheint und verkündet uns die gnadenreiche Geburt des Heilandes,

damit auch wir trachten, daß in unserem Herzen der neue Mensch geboren werde durch den Glauben, und wir durch Christum eine

neue Creatur werden und Kinder Gottes und Erben des Himmel­

reichs.

Ist so Christus bei uns eingekehret, so treibet die Zeit

zwischen Weihnachten und Ostern, in welcher von heiliger Stätte

die Wunder und Thaten des Heilandes verkündigt werden, in thätiger Liebe unseren Glauben zu bewähren; und wenn dann

das Bild des leidenden Erlösers in den ernstesten Tagen des Kirchenjahres uns vor die Seele tritt, so empfindet der Christ mit seinem Heiland, den er in sein Herz ausgenommen hat, Schmerz über die Sünde und Abscheu gegen sie, die Mörderin des Gottes­ sohnes.

Der Anblick des Gekreuzigten lehrt uns, wie der Christ

sich selbst aufgeben muß, um im Geiste und Willen Gottes und

Christi zu leben; und das Fest der Auferstehung läßt uns, je mehr wir mit Christo uns selbst und der Sünde abgestorben

sind, um so inniger himmlische Freude empfinden mit dem, den

Gott nicht verließ, weil er Alles verlassen, um Gott treu zu bleiben, und der mit göttlicher Macht Tod und Sünde überwun­

den hat; bis endlich das Pfingstfest den Geist Gottes und Christi

uns zeiget in seiner Alles verklärenden und alle Herzen be­ zwingenden Macht, damit auch wir je mehr und mehr von die­

sem Geiste uns beleben und durchdringen lassen, bis er zu einem

Feuer in uns wird, das alles Dunkle verklärt und alles Wider­

strebende überwältigt.

Die heilige Stunde, welche uns jetzt versammelt hat, Ge­ liebte in dem Herrn, soll, wie sie zwischen Ostern und Pfingsten in der Mitte stehet, an die Zeit erinnern zwischen Tod und Auf-

erstehung des Herrn einerseits und andererseits seinem gänzlichen Abschiede von der Erde und der Verheißung des heiligen Geistes

über die am Pfingstfeste versammelten Jünger.

In diese Zeit

führen uns auch die Worte des evangelischen Abschnittes, welcher

am heutigen Sonntage Jubilate nach alter Anordnung der Kirche die

Grundlage für die andächtige Betrachtung der christlichen

Gemeinde bietet.

Sie lauten im Evangelium des Johannes, im

16. Capitel vom 16. — 23. Vers wie folgt :

„16. Ueber ein Kleines,

«nd

so werdet ihr mich nicht sehen;

aber über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen: denn Ich

zum

gehe

17. Da sprachen Etliche unter seinen

Vater.

WaS ist das,

Jüngern untereinander :

das er sagt zu

uns : Ueber ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen,

und aber über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen, «nd 18. Da sprachen sie : WaS ist

daß ich zum Vater gehe?

das, das er sagt, über ein Kleines? Wir wissen nicht, was er

redet.

einander,

merkte

19. Da

wollten, und sprach

ZesuS,

zu ihnen:

daß ich gesagt habe :

daß sie

ihn fragen

Davon fragt ihr unter­ Ueber

ein Kleines,

so

werdet ihr mich nicht sehen, und aber über ein Kleines, so

werdet ihr mich sehen.

20. Wahrlich, wahrlich, ich sage

euch : Ihr werdet weinen und heulen, aber die Welt wird sich

freuen;

Ihr

aber

werdet

traurig

Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden.

fein, doch

eure

21. Ein Weib,

wenn sie gebieret, so hat sie Traurigkeit, denn ihre Stunde wenn sie aber daü Kind geboren hat, denkt

ist gekommen;

sie nicht mehr an die Angst, um der Freude willen, daß der Mensch zur Welt geboren ist.

22. Und Ihr habt auch

nun Traurigkeit; aber ich will euch wieder sehen, «nd euer

Herz soll sich freuen, «nd euch nehmen.

eure Freude soll Niemand

von

29. Und an demselbigen Tage werdet ihr mich

nichts fragen."

Als JesuS diese Worte zu den Jüngern sprach, da sahen

sie ihn noch.

Mit inniger Liebe und kindlicher Zuversicht hingen

168 sie an dem Erlöser; er war so sehr der Mittelpunkt -ihres Lebens

geworden, daß sie sich gar nicht denken konnten, wie er von ihnen genommen werden sollte, und sein Wort nicht zu fassen vermochten, das ihnen verkündete:

nicht sehen."

„Ueber ein Kleines, so werdet ihr mich

Als aber das Unerwartete wirklich geschehen war,

da zerrissen bange Zweifel die zagenden Herzen.

Den Heiland,

den die sehnenden Herzen gefunden hatten, hatten sie nun wieder verloren und trüben Blickes starrten sie auf das Grab hin, das mit der irdischen Hülle des Erlösers auch ihre irdischen Hoff­

nungen einschloß.

Sie war gekommen, die furchtbare Stunde

der Anfechtung und des Aergernisses, in der sich an ihnen be­

währte das Wort ihres Meisters : „Ueber ein Kleines, so werdet

ihr mich nicht sehen."

Aber der Erlöser stieg aus dem Grabe

als Todesüberwinder hervor und erschien in der Zeit, an welche der jetzige Abschnitt des Kirchenjahres uns erinnert, seinen Jüngern

in leiblicher Gestalt und richtete dte Gebeugten auf durch die Lehre, daß Jesus Christus Solches leiden mußte und zu seiner Herrlichkeit eingehen,

daß die Welt zwar sein

überwinden könne, daß

irdisches Theil

er aber in seiner himmlischen Macht

fortwährend throne zur Rechten des Vaters und denen, die treu an ihm halten, Macht gebe, die Welt zu überwinden. Da wurde

es wieder Tag in den Herzen, die Nacht bedeckte; und als nun

der Herr seinem körperlichen Theile nach auf immer von der Erde schied und zum Vater zurückkehrte, da sahen ihn die Sei­ nen zwar nicht mehr mit leiblichen Augen, wie er im Fleische gewandelt war und ihre sinnlichen Erwartungen von der welt­

lichen Macht, zu der der Erlöser sie erheben würde, hatten sie aufgegeben; aber sie sahen ihn wieder mit geistigen Augen, wie

er sich fort und fort ihrem Geiste offenbarte durch den Beistand seines heiligen Geistes, der ihr Tröster ward und sie leitete in alle Wahrheit und ihnen Macht gab, die Welt zu überwinden;

und nun war die Stunde des Wiedersehens gekommen, das kein

Ende nimmt und ewige Freude schafft, wie der Erlöser in den Worten unseres Textes verheißen hatte.

18» So zeigt uns diese Stunde, wie die Jünger von freudiger kindlicher Zuversicht auf den Erlöser, wie er ihrem sinnlichen

Auge erschien, durch bange Stunden des Zweifels hindurch zum festen Glauben in seliger Gemeinschaft mit seinem Helligen Geist gelangten.

Und benutzen wir nun, wie wir eS sollen, den heu­

tigen Tag und unsere Textesworte, nicht blos zur Erinnerung

an die wechselnde Lage und Gemüthsstimmung der Jünger, son­

dern zur Prüfung unseres eigenen Verhältnisses zum Erlöser, so werden wir finden, daß auf ähnliche Weise auch in uns der

kindliche Glaube an den Heiland, den wir gleichsam mit der Mut­ termilch einsaugen, im Kampfe mit der Welt zwar erschüttert, aber auch geläutert und gestärkt wird, bis er feste Wurzel in uns

geschlagen und Grund und Krone unseres Lebens geworden ist. Und so wollen wir denn nach Anleitung unseres Textes betrach­ ten :

Die verschiedenen

Stufen auf dem Wege zur

Vollendung des Glaubens, und zwar zuerst die Stufe ungetrübter kindlicher Zuversicht, dann die Stufe der Anfechtung und des Aergernisses, auf welcher der Christ

seinen Heiland nicht siehet, und endlich die Stufe deS auf eigne Erfahrung gegründeten überzeugungsvollen Glau­

bens, auf welcher der Christ den Heiland siehet immer und überall. Und du, Vater unseres Heilandes Jesu Christi, gib unserer Be­

trachtung deinen Segen, auf daß diese Stunde eine Stunde der Selbstprüfung und Buße werde, und Keiner sich dünken lasse,

als ob er's schon ergriffen hätte oder vollkommen wäre, sondern Jeglicher nachjage dem vorgesetzten Ziele, dem Kleinod, welches

vorhält die himmlische Berufung GotteS in Jesu Christo, bis

daß Christus Grund und Richtschnur und Ziel und Leben un­ seres Sinnens und Trachtens und Handelns geworden ist! Amen.

II.

Unser Glauben auf der frühesten Stufe kindlicher Zu­

versicht hat viele Aehnlichkeit mit dem Glauben der Jünger

ITO zu der Zeit, da sie den Heiland noch mit leiblichen Augen sahen. Wie er bei diesen gewirkt wurde durch die Betrachtung der gött­ lichen Erscheinung des Heilande- Völl Kraft und Herrlichkeit, so wird er in un- gewirkt durch die Erzählung davon.

Wie es der

wunderkräftige, vom Lichte des Vaters strahlende Gottessohn war, an den die Jünger vertrauensvoll sich schmiegten, so hingen wir in kindlicher Andacht und feierlicher Spannung an den Lippen der

theueren Eltern, welche von Jesus Christus uns erzählten, wie er als Kind in der armen Krippe lag und ihm die Könige der Erde

sich neigten und ihre Schätze darbrachten und die himmlischen Heerschaaren ihre Jubellieder zujauchzten; wie er seinen Eltern Unterthan war und zunahm wie an Alter so an Weisheit und

Gnade bei Gott und den Menschen und als zartes Kind den Tempel des Herrn suchte und den Lehrern zuhörte und sie fragte; wie

er dann auftrat in seiner göttlichen Herrlichkeit und seiner

göttlichen Liebe und überall half durch Lehre und That; wie er

Blinde sehen machte und Lahme gehen und Taube hören und dem Wind und den Wellen gebot, und wie er sein Leben ließ aus

Liebe für die böse Welt und von den Todten auferstand und nun als heiliger König und Richter der Welt über den Sternen thro­ net zur Rechten Gottes.

Der himmlische Keim,

den fromme

Elternliebe im Heiligthum der Familie in die zarten Herzen ge­

senkt hat, wird durch die Hand der Lehrer in weiterem Kreise gepflegt.

Mit JesuS Christus beginnt das Kind sein Tagewerk,

mit JesuS Christus wird eS vollendet, der Feierklang der Glocken mahnet eS, daß auch ihm der Tag des Herrn erschienen seh, die Versammlung der Gläubigen zeigt ihm, wie der Allen heilig

ist, der ihm von jeher als der Heiligste geschildert wurde, und

durch diese« Alle- stehet uns seit frühester Kindheit das Bild

des

Heilandes so

groß und

doch so mild und so freundlich,

in einer so wundervollen himmlischen Heiligkeit vor der Seele,

daß Alles, was wir sonst Großes und Herrliches kennen, vor die­

sem Glanze trüb und dunkel erscheint; dieses Bild geleitet uns

wie ein schützender Engel: trüb und wehmüthig schaut es uns an, wenn wir Böses gethan, und rühret da- Herz zur Reue und bei

rechtschaffenem Streben treibet sein freundlicher Glanz zu fort­

gesetztem heiligem Eifer. So nahet der Tag, der die Unmündigen zu

mündigen Gliedern der Christengemeinde macht; ach, es gibt im Leben kaum einen schöneren und heiligeren. Gottes geloben

Vor dem Angesichte

wir unsere Herzen auf ewig Dem zu weihen,

der zu unserer Erlösung geboren wurde, der durch Lehren und Thaten und Wunder sich bewähret hat als eingeborenen Sohn Gottes, der aus Liebe zu unS gestorben ist, den Alle, die wir

schätzen und lieben,

als ihr höchstes Kleinod verehren.

In hei­

liger Rührung sind die Herzen aufgelöst, wir fühlen, wie Jesus

uns als die Seinen in seinen Armen empfängt und an sein Herz schließt; es ist als ob wir,

wie Johannes,

am Busen des

Heilandes ruheten, und im ungetrübten seligen Gefühle seiner Nähe und seiner Vereinigung mit unS können wir nicht anders denken,

als daß unser Bund mit ihm für die Ewigkeit sei, und gleich den Jüngern vermögen wir nicht zu fassen, wie daö liebe Bild des Heilandes, das wir im Herzen tragen, verdunkelt, oder gar

uns geraubt werden sollte; unverständlich, wie es ihnen war, wäre unserem kindlichen Glauben das Wort: „Ueber ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen!"

Und Heil dem kindlichen Herzen, in welches jenes Bild recht fest eingeprägt ist; denn es kommt die Zeit der Finsterniß und

des Sturmes, und die Gefahr, daß uns das Bild des Heilandes verdunkelt, oder ganz fortgerissen werde, ist dann um so geringer, je fester es im Anfang in den Herzen gestanden hat.

So klar

und bestimmt aber durch Lehre und Beispiel es in die Herzen der Kinder im Glauben zu zeichnen, das ist heilige Pflicht euch

Allen, zu denen als zu Mündigen die Unmündigen hinaufsehen.

Vor Allen aber ist diesen ersten heiligen Funken in den jungen

Herzen zu entzünden, eueren Kindern das hohe Bild des Heilande» in die Seele zu geben, als treuesten Schutzengel und theuerstes

Erbe, vor Allen ist das euere Sache, ihr christlichen Mütter. Biel vermag das ernste Wort eines liebenden Vaters, viel der

Unterricht und die Ermahnung eines treuen Lehrers; aber der Zauber

der Mutterliebe ist eine wunderbare Macht; benützet

diese Gewalt über die Herzen euerer Kinder, die von Gott euch

gegeben ist und von welcher zum großen Theile da- Gedeihen der christlichen Gemeinschaft abhängt; benützet sie, so gewiß Jesuder Halt eure- Leben-

ist,

so lieb euch da- wahre zeitliche

Wohl euerer Kinder, so lieb euch ihrer Seelen Seligkeit ist. Bom

ersten Augenblicke ihre- Leben- an, da- ein Theil von dem eurigen ist, habt ihr sie genährt und gepflegt; Niemand kennt die jungen

Seelen bester, al- ihr; Niemanden verstehen sie besser al- euch,

an die sie am innigsten durch da- Band der Natur gefesselt sind; o haucht ihnen au- warmem Mutterherzen den kindlichen

Glauben an den Heiland in die Brust!

Ein ernste- Wort, in

feierlicher Stunde von frommer Mutterliebe zu offenen Kinder­

herzen gesprochen,

schlägt feste Wurzel und schaffet, daß da-

theuere Bild deö Erlöser- von den Stürmen des

Lebens nie

ganz ausgelöscht wird, sondern stets durch Nacht und Sturm wie eine verborgene Sonne vom innersten Heiligthum der Seele aus

leuchtet.

II.

Ach, und wie nöthig ist eö, daß es so fest eingeprägt werde!

Denn wie der kindliche Glauben durch Belehrung von außen

gewirkt und erhalten wurde, in einem Herzen, daS noch nicht gefühlt hat, wie arm eS ohne den Heiland ist und wie wenig ediesen Halt und Grund des Lebens entbehren kann, so kann eS auch durch äußere Anfechtung erschüttert werden; und toie der,

welcher den Werth der Gesundheit recht erkennen soll, die Leiden

der Krankheit empfunden haben muß, so lehrt auch die traurige

Zeit des Zweifels und der Gottverlassenheit den Menschen daKleinod des Glaubens erst recht schätzen und treibt ihn, eö sich immer inniger anzueignen

und immer fester zu halten.

Die

zweite Stufe folgt, e- nahet die Stunde der Anfechtung

und de- Aergernisse-, in der da- geängstigte Herz das Wort de- Heilande- begreift, welches es früher nicht faffen konnte: „Ueber ein Kleines werdet ihr mich nicht sehen."

Da- Herz,

das in kindlicher Unbefangenheit und ungetrübter Freude den

Glauben an den Erlöser bewahrt hatte und sein Kleinod beschützt

sah in frommer Umgebung im häuslichen Kreise und in Schule

und Kirche, wird früher oder später dem engeren Kreise des sicheren Hafens entrückt und hinausgeworfen ins weite Meer des

Lebens.

Die Wogen dringen an es heran und drohen den heiligen

Funken, den es in sich hegt, zu löschen.

Der Heiland, der dem

Auge des ungetrübten kindlichen Glaubens in überaus erhabener,

unbezweifelter

Macht

erschienen

war, ach, er erscheint nicht

allen in dieser göttlichen Gestalt!

Er wird auch jetzt noch von

Feinden bekämpft, wie zur Zeit seines Erdenlebens, und diese streben auch, ihn der Seele zu entreißen, der ihn seine frommen Verehrer geschenkt haben. — Dort blähet sich die Weisheit der Welt und spottet des Erlösers und seiner Lehren und der Ge­

treuen, die an ihm halten, und zeiget den eitlen Glanz ihrer

Schätze und verheißet die Speise, die nimmer hungern lassen soll,

und locket mit der List der alten Schlange:

„Welches Tages

ihr davon esset, so werden euere Augen aufgethan und werdet sein wie Gott!" — und der arme Mensch folget dem lockenden Prunke, der seiner Eitelkeit schmeichelt, und glaubt des göttlichen

Lehrers

und

Versöhners entbehren zu können und trotzet auf

die Kraft seines Verstandes, der ihm nun zum Gott geworden ist; ach, und in diesem Taumel der Eitelkeit wird immer trüber und trüber das Bild des Erlösers, das so klar in der demüthigen

kindlichen Seele stand und bald ist es ganz verdunkelt, nnd da

ist die traurige Stunde gekommen, deren Nahen der kindliche Glaube früher sich nicht denken konnte und von der der Erlöser

verkündigte in den Worten :

„Ueber ein Kleines, so werdet ihr

mich nicht sehen!" Wie dieser

eitle Derstandesdünkel die Köpfe verwirret, so

verlocket die Lust die Herzen, indem sie die Freuden zeigt, die

sie dem Fleische bieten kann; schmeichlerischen

Worten

und

und

heißt

der Mensch nur

gut,

folget ihren

waö

seinem

Leibe gefällt, und versinkt in die Sorge für das Zeitliche.

Er

hat den Sinn verloren für die Freude der Kinder Gottes, welche

174 die zeitliche Trübsal überwindet, und für den kräftigen Glauben,

der im Vertrauen auf den, welcher die Vöglein unter dem Himmel nähret, da- Trachten nach dem Reiche Gotte- die wich­

tigste Angelegenheit seine- Leben- sein läßt, und wenn ihm nicht irdische Lust und irdische- Genügen zu Theil wird,

sondern

Schmerz und Trübsal und Entbehrung, so nennt er seinen Er­

löser untreu und gibt ihm den Abschied, und so verliert da- Herz da- theuere Bild de- Heilandes, die heilige Mitgabe der Kindheit,

und wiederum hat sich an ihm bewähret da- Wort de- Erlöser-: „Ueber ein Kleine-, so werdet ihr mich nicht sehen!"

Da stehet denn der Mensch, au- seinem Herzen hat er den

Heiland verloren und statt seiner gefunden den eiteln Stolz gott­ loser Weisheit und den flüchtigen Reiz irdischen Genusses.

Aber

wo das Bild des Heilandes nur einmal recht klar in der Seele

gestanden hat, da wird es sobald nicht ausgelöscht, und wo warme Liebe zu ihm einmal von dem Herzen Besitz genommen hat, da läßt sie den Menschen nicht ganz in das Zeitliche versinken. Für dieses Herz hat der Taumel bald ein Ende, und dann ist ohne

Freund im Himmel das Leben auf Erden so öde, und das Herz ohne Heiland so tröst- und hoffnungslos, und die glücklichen Tage de- kindlichen Glaubens, sie liegen dahinten wie ein verlorenes Paradies, dazu ein Engel mit dem Flammenschwerte den Ein­

gang wehret, und der verbannte Mensch liegt vor der Pforte voll tiefer Reue und voll quälender Sehnsucht und ringet die Hände

und jammert: „Kehret wieder ihr Tage der Unschuld, ihr Tage, da ich meinen Heiland im Herzen hatte!" — und jammert um­

sonst.

Und so irret er ängstlich suchend allwärtS umher, ob er

den Verlorenen wieder finden möge; aber wo er ihm sonst so

nahe war, da findet er ihn nun nicht mehr. Da- Gebet ist ihm jetzt so kalt, die Predigt so trocken, die heilige Schrift so ohne

Geist und Leben, nicht-, al- todter Buchstabe, und so ruft er verzweifelnd zu Gott, daß er seinem Jammer ein Ende mache (Jes. 57, 3).

Und Heil Allen, die solchen Schmerz der Sehn­

sucht, solche tiefe Trauer im Herzen tragen darüber, daß sie

ihren Jesum nicht mehr sehen, wie er früher vor den Augen

ihres

Geistes

stand!

Das

sind

die,

von denen der

spruch Jesu gilt: „Selig sind die Leidtragenden!"

Aus­

Ihr Schmerz,

das ist jene göttliche Traurigkeit, die zur Seligkeit eine Reue

schafft, die Niemand gereuet.

Denn der Erlöser ist nicht ferne

von einem Jeglichen, der ihn ernstlich suchet, er stehet noch immer da mit dem Blick voll Wehmuth und voll Liebe und breitet dem verlorenen Sohn, der ihn reuig suchet, die Arme entgegen, um

ihn von Neuem ans Herz zu schließen und nie wieder von sich zu lassen.

Und so sind diese Schmerzen über den Verlust de»

Heilandes, wie Christus in unserem evangelischen Abschnitte an­ deutet, nur die Wehen, unter denen der reinere und festere

Glauben geboren wird, der im Herzen, das ihn gefaßt hat, eine Freude wirket, die Niemand von ihm nehmen kann.

in. Denn mit diesem Glauben hat der

Stufe

deS

auf

eigener

Christ die

Erfahrung

dritte

gegründeten,

überzeugungsvollen Glaubens erstiegen, der überall und immer seinen Heiland siehet.

Wie das Eisen im Feuer gehärtet,

daS Gold im Feuer geläutert wird, wie die Erde von der schar­ fen Pflugschaar zerrissen werden muß, ehe sie reichlichen Erndte-

scgen bietet; so geht aus der Feuerprobe bitterer Seelennoth der feste innige Glauben des Herzens hervor, den keine Macht der

Welt mehr von uns nehmen kann; denn auch von dem Himmels­

brode unseres christlichen Glaubens gilt das Wort, das ein Gesetz für den Menschen ist, so lange sein Geschlecht auf Erden lebt :

„Du sollst dein Brod essen im Schweiße deines Angesichtes."

Den Glauben an den Erlöser, wie er im Fleische wandelt, eine Stütze für die irdischen Hoffnungen der Jünger, den konnte

die Welt überwinden, wie sie den leiblichen Theil des Erlösers

überwand, und so überwindet sie auch unseren harmlosen Kinder­ glauben an Jesum Christum, dessen

Bild in göttlicher Macht

und Herrlichkeit von Kindheit an uns vor der Seele stand. Aber

wie keine Macht der Welt mehr die Jünger erschüttern konnte,

nachdem sie, vom heiligen Geiste durchdrungen, in ihrem Herzen die Kraft des Erlösers erfahren hatten, als eine Kraft, die mit Waffen des Geistes die Welt überwindet: so ist auch dieser Glaube unüberwindlich, den das Herz nicht festhält, weil er ihm durch Be­

lehrung von außen geboten ward und durch eine süße Gewohnheit

von Kindheit auf lieb geworden ist, sondern nach dem eS suchet und ringet, weil eS gefühlt hat, wie das Leben ohne Christus des Lichtes und Grundes entbehrt, und der in ihm gewirkt wird,

wenn e- getrieben von Seelennoth und gerührt von der gött­ lichen Liebe Jesu in heiligen Stunden die gnadenreiche Nähe de- Heilandes gefühlt und ihn zum ewigen Freund erkoren hat.

Diesem Herzen ist die Zeit erschienen, von der der Heiland sagt: „Ich werde euch Wiedersehen und euer Herz soll sich freuen und

euere Freude soll Niemand von euch nehmen!"

Denn nahet sich

nun die Weisheit der Welt mit ihren Lockungen, so ruft der Geprüfte ihr entgegen : „Deine Lehren sind Trug, wenn sie nicht auf dem Grunde ruhen, außer dem Niemand einen andern legen kann, welcher ist Jesus Christus!"

Und wenn die Sorge für

da- Zeitliche und die Lust mit ihren Reizungen locket : „Dies Alles will ich dir geben, so du deinen Heiland verlässest und mich

anbetest,"

so

vertreibt sie der Gläubige :

Einmal hast du

mir meinen Jesum geraubt; nun nichts mehr von dem schmäh­

lichen Tausch, der mir für kurze Lust lange Reue brachte und

die Seele hingibt für die Lust des Fleisches und für den Genuß des Augenblicks die Freuden der Ewigkeit!

Und wenn die Stunde

der Trübsal mit ihren Schmerzen nahet, so ist auch diese nicht

mächtig, ihn von dem Geber alles besiegender Freude loszureißen; die Macht der Liebe zu ihm überwindet das Alles weit, und mit

den Worten eines begeisterten Sängers aus früherer Zeit kann er dem Versucher, der in der Stunde der Trübsal zu ihm tritt,

zurufen: ZwingherrI was, was soll dein Dräuen? Was da ist und wird erdacht, Arglist, Marter, sind dem treuen

Liebenden von kleiner Macht.

Süß will mir die Marter schmecke«. Mir ist Schmerze- Macht gering : Lieber Tod, denn Süadenfleckea! Höh're Macht die Lieb' empfing. O geliebte Christen!

Wer je die Seligkeit der Nähe des

Heilande- empfunden hat, muß der nicht bekennen : Das Herz,

da-

so

fest mit seinem Erlöser verbunden ist,

daß

eS

seine

Nähe fühlt immer und überall, eS muß eine über Alle herrliche

Freude empfinden, und wie die Mutter nach den Worten unseres Textes ihrer Schmerzen nicht mehr gedenket, wenn sie in Mutter­ freude ihr Kind blühend und kräftig ans Herz schließen kann; so

ist die traurige Erinnerung an jene qualvolle Stufe der An­ fechtung und des Aergernisses ganz verschlungen in die unend­

liche Freude

über

den Besitz

des neuen Glaubens, der aus

jener Zeit der Prüfung stark und lauter hervorgieng.

Dieser Glaube und die Freude, die er schaffet, das ist das

Ziel

christlicher Vollendung.

oder nahe daö Ziel

Damit

uns ist, und

wir

sehen,

streben mögen,

wie

weit

ihm stets

näher zu kommen, laßt uns noch einmal zurücksehen auf die drei Stufen des Weges zur Vollendung des Glaubens.

Ihr,

die ihr noch in ungetrübter Seele den kindlichen Glauben an

den Erlöser traget und nicht fasset, wie eine Zeit kommen könne, da ihr ihn nicht sehen werdet, haltet was ihr habt; denn je fester

ihr es jetzt haltet, desto mindere Gefahr ist vorhanden, daß euch in den Stunden der Anfechtung und des Aergernisses euere Krone geraubt werde. Und ihr, die ihr diese zweite Stufe schon erstiegen

habt, euch preise ich selig, wenn ihr jene göttliche Traurigkeit

empfindet über den Verlust eueres Heilande«.

Wachet und betet,

daß euch das köstliche Kleinod wieder zu Theil werde, daß auch an euch sich bewähre die Verheißung des Heilandes:

„Ihr seyd

nun traurig, aber euere Trauer soll in Freude verkehret wer­

den."

Ihr Geprüften aber, die ihr diese Stufe schon errungen

habt, vergesset doch nicht, daß hier auf Erden die Zeit, da wir

uns dünken lassen, daß wir vollkommen sehen, nimmer mehr

kommen darf.

Gedenket des Wortes des Apostels Paulus, das 12

vaur, Predigten.

178 er den Philippern (3, 13) zuruft : „Ich schätze mich selbst noch

nicht, daß ich eS ergriffen habe, eins aber sage ich : ich vergesse, was dahinten ist und strecke mich zu dem, was davorne ist und jage nach dem vorgesetzten Ziele!"

Der Mann sagt dieß, der,

als er so schrieb, gefangen saß um des Evangeliums willen, dem

sein Glauben Kraft gab, das Wort der Erlösung zu tragen von Jerusalem bis Rom, der für sein Bekenntniß den blutigen Märtyrertod starb.

Wenn so ein Mann sich nicht genügen ließ den Glauben,

den er hatte, sondern seinen Herrn immer inniger und fester zu

ergreifen strebte, dann muß auch euch sein Beispiel „Vorwärts!" zurufen, dies wahre christliche Losungswort.

Ja, „Vorwärts!"

ruft eS uns Allen zu, damit der Leib, deffen Haupt Christus ist,

und an dem wir alle Glieder sind, stets mehr wachse und ge­ deihe.

Vorwärts darum, ihr jungen Seelen, auf der Stufe un­

getrübter Zuversicht zu dem Erlöser, damit euer Glauben zu

männlicher Kraft erstarke!

Vorwärts, ihr göttlich Betrübten,

damit nach der Nacht der Anfechtung und des Zweifels, die

Sonne des Glaubens euch hell und voll in die Herzen scheine,

um nie wieder unterzugehen! himmlische Freude erfüllt,

Vorwärts, ihr, deren Herz die

aus dem Sturme des Lebens das

Kleinod eueres Glaubens gereinigt und gestärkt errettet zu haben,

damit ihr eueren Christus stets deutlicher und herrlicher sehet, immer und überall!

Und du, Herzog unserer Seligkeit, ziehe

uns voran und führe uns, wenn auch durch Leiden hindurch, den

Weg zur Vollendung!

Amen.

xm.

Die Herrlichkeit lloseres Manbrno an Gott den Vater, kn John and kn heiligen Weilt. Predigt am Trinitatisfeste. Tert : RSm. 11, 33-36. Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des

heiligen Geistes

seh

mit

uns allen! Oft schon haben wir mit dieser Bitte an den dreieinigen

Gott unsere frommen Betrachtungen eröffnet.

Heute aber muß

der Prediger mit eigenthümlichem Nachdruck also beten, und mit besonders bedeutsamem Klange muß eS in den Herzen der Ge­ meinde

widertönen :

„Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi

und die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des heili­ gen Geistes seh mit uns allen! — denn die- Gebet ist eigent­ lich der Text, welchen die Predigt de- heutigen Festes zu behan­

deln hat.

180 Die festliche Hälfte unsere- Kirchenjahre- ist nunmehr ver­ flossen.

Die bedeutungsvollsten Thatsachen im Leben des Erlö­

ser- und in seinem Erlösung-werke sind in ernsten großen Bil­ dern an unserer Seele wieder vorübergezogen.

Wir staunten die

Wunder der Gnade de- Vater- an, da wir da- fleischgewor­

dene Wort in der armen Krippe liegen sahen; und wie e- da­

mals al- ein Licht erschienen war dem Lande, da- Finsterniß und Schatten de- Tode- bedeckten, so fühlten auch wir durch

seine Macht die Düsterkeit der Wintertage zur traulichsten, innig­ sten Festesfreude freundlich verklärt.

Wir standen im Geiste

betrübt neben der weinenden Mutter und dem Jünger, den der Herr lieb hatte, an dem Kreuze auf Golgatha, wo der Sohn

die größte That seiner göttlichen Liebe vollbrachte; aber wie ihnen, so erllang auch un- die Siegesbotschaft : „der Herr ist aufer­

standen I"

Und da wir zum letztenmal« hier versammelt waren,

fühlten auch wir da- Wehen desselben Geistes, der dort am

ersten

christlichen Pfingstfeste dem Apostel Petru- den

Mund

aufthat; und indem wir eine neue Schaar junger Christen in

der Gemeinschaft der mündigen Glieder der Kirche freudig will­

kommen hießen, priesen wir den treuen Hirten, der immer neue Beweise un- gibt von der Wahrheit seiner Verheißung, daß er in Kraft seine- Geiste- bei seiner Kirche bleiben wolle bi- an's Ende der Welt. Wie da- Samenkorn, da- bisher seinen Winterschlaf gehal­ ten hat unter harter Decke, nun hervorgebrochen ist und der Zett

der Früchte entgegenwächst, so sollen auch die biblischen Abschnitte,

welche in der nun folgenden Hälfte de- Kirchenjahres die Grund­ lage unserer gemeinschaftlichen Betrachtungen bilden, un- lehren, wie wir die gnadenreichen Verkündigungen, die uns bisher zu

Theil geworden,

bewahren

sollen in einem feinen und guten

Herzen, damit sie Früchte bringen in'S ewige Leben, und wie wir, nachdem wir gehört, wie der Erlöser Alle- für uns gethan, nun

auch nicht säumen sollen, das Unsere zu thun. unsere Werke keine

todten

Damit aber

sehen, sondern allzumal aus dem

Glauben kommen mögen, und Alle-, waS wir thun, gethan werde

im Namen des Herrn, so sollen wir uns, ehe wir von der Fest­ zeit scheiden, noch einmal in zusammenfassender Betrachtung all

den Segen vergegenwärtigen, der uns zu Theil, geworden ist

durch die Gnade de- Vaters und durch die Liebe des Sohnes und durch die Kraft des heiligen Geistes. In diesem Sinne hat

die alte Kirche unser heutiges Fest der Dreieinigkeit ver­ ordnet, in diesem Sinne klang uns vorhin die Bitte, daß die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes des

Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes mit uns sehn möge, so eigenthümlich bedeutungsvoll, und in diesem Sinne

wollen wir auch die Worte unseres heutigen Textes vernehmen, welcher im 11. Capitel des Briefes Pauli an die Römer, vom 33. — 36. Verse also lautet :

„33. O welch eine Tiefe des Reichthums beider, der Weisheit

und der Erkenntniß Gottes!

Wie gar unbegreiflich sind

seine Gerichte, und unerforschlich seine Wege! wer hat deS Herr» Sinn erkannt?

34. Denn

Oder wer ist sein

Rathgeber gewesen? 35. Oder wer hat ihm etwas zuvor ge­

geben, das ihm werde wieder vergalten ? 36. Denn von ihm

und durch ihn und in ihm sind alle Dinge. Ihm

sey Ehre in Ewigkeit.

Amen."

Der Apostel brach in diese Worte ursprünglich aus bei Be­

trachtung

der wunderbaren Fügung, wonach das Evangelium

unter den Heiden mehr Eingang fand, als unter den Juden, benot doch das Heil verheißen war, und die selbst glaubten, dar­

auf vor allen Anderen Ansprüche zu haben. Füglich aber können wir diesen Ausruf staunender Ehrfurcht auch anwenden auf die

Leitung der Heilsanstalt überhaupt und vorzüglich auf die Wahr­ heit, daß der Eine Gott sich offenbaret hat als Vater, als Sohn und als heiliger Geist.

DaS ist eine Wahrheit, über die die

natürliche Vernunft staunen muß, und die daher der ungläubigen Weisheit von jeher eine Thorheit und ein Aergerniß gewesen ist. Die sich selbst überlassene Vernunft weiß davon nichts, und nur

182 der vermag sie zu fassen, der in der christlichen Gemeinschaft das Wirken der Gnade des Vaters und der Liebe deS Sohnes und

der Kraft des heiligen Geistes erst lebendig erfahren hat. Gerade darum aber ist auch in dieser Wahrheit das Eigenthümliche des

Christenthums am entschiedensten ausgedrückt, sie ist das ge­

meinschaftliche Panier, um welches alle christlichen Kirchen ein-

müthig sich sammeln, und so verweilen wir bei ihrer Betrachtung um so lieber, als sie uns über den Streit der Parteien erhebt

und die frohe Aussicht eröffnet auf eine Zeit, da Eine Heerde sein wird und Ein Hirte, und da wir erfüllt sehen, was der Apostel zu uns spricht : „Ein Herr, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater unser aller!"

Laßt uns also der Aufforde­

rung unseres Festes und unseres Textes folgen und zusammen­ treten zum Preise der Herrlichkeit unseres

an Gott den Vater,

Geist!

Glaubens

den Sohn und den heiligen

Nicht den letzten Gründen dieser Unterscheidung im

Wesen der Gottheit und der Bestimmung ihrer Verhältnisse nach­

zugehen, ziemt unserer frommen Betrachtung; nur dem, was das christliche Gemüth erfahren hat von dieser dreifachen Offenbarung des einen Gottes, wollen wir nach Anleitung des Schlußverses

unseres Textes Worte zu geben versuchen.

Und wenn die arme

Sprache nicht ausreichen will zum Ausdruck des vollen Inhalts unseres Glaubens an den Dreieinigen, so tröstet auch uns die

Hoffnung, mit der unser Luther einst sich tröstete, da er ebenfalls

auf dem Grunde unseres Textes das Unaussprechliche auszu­ sprechen rang, „daß Gott als ein Vater seinen Kindern werde

zu gute halten, daß wir stammeln und lallen, so gut wir können, so nur der Glaube rein und recht ist."

I.

„Bon Gott sind alle Dinge!" — das ist der erste Gedanke, welchen der Apostel unserer Betrachtung vorhält, und

mit ihm erhebt sich unser Herz zu Gott dem Vater, dem

allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden.

Theure Chri­

sten, was ist nicht schon das für ein beseligender Gedanke, daß von Gott alle Dinge sind, daß all der tausendfältige Reichthum

der Schöpfung, die uns umgibt, hervorgegangen ist aus Einer Baterhand!

Von ihr ist der Sonne ihre Bahn vorgezeichnet,

und sie weist auch der Ameise ihren Pfad, daß sie nicht irre auf dem Wege zu ihrer Schaar.

Du siehest die Erde prangen in

reichem Blütensegen und genießest in Freuden das Brod, das du gebaut im Schweiße deines Angesichtes — „das ist von Gott!" ruft eS aus deiner dankerfüllten Brust.

Der Herr führet daher

in Gewittern und zertrümmert deine Hoffnung und zeigt dir, daß alles Fleisch ist Heu und alle seine Güte ist wie eine Blume auf

dem Felde — „das ist von Gott I" flüstert's im innersten Heilig-

thum deiner Seele, und dein bekümmertes Herz wird erweitert,

der gesenkte Blick erhoben, und dein Auge, daS eben noch die Thräne des Schmerzes ttübte, es erglänzt von der Thräne freu­

digen Trostes.

Und

wendest du deinen Blick aus der weiten

Natur in dich selbst zurück, du vernimmst auch hier das Zeugniß

deines Geistes : „Ich bin von Gott, vom Vater des Alls ge­

schaffen zu seinem Bilde!"

Er hat alle Haare auf deinem Haupte

gezählt, er hat deinen Leib erbauet, daß du ihn zu seinem Tem­

pel weihest; er hat dich ausgerüstet mit mancherlei Gaben, daß

du sie gebrauchest zu seiner Ehre.

Du siehst von dir selbst hin­

weg, hinaus auf die Millionen deiner Brüder, von der Gegen­

wart zurück auf die lange Reihe vergangener Jahrhunderte, du stehest ganze Geschlechter sterben und neu geboren werden, Reiche

zerfallen und Reiche entstehen; aber dein Geist verwirret sich nicht, dein Blick wird nicht trübe, denn dein Glaube sagt dir : die geboren werden, sie sind gesandt von Gott; und die da schei­

den, auch sie sind abgerufen von Gott.

Er hält die Zügel des

Weltalls in mächtiger Hand, was von ihm sich abwendet, da­

wird zu nichte, und nur was in ihm gethan ist, das ist ewig. Die

Thränen der Wittwen und Waisen

sind vor ihm unverborgen,

er siehet durch die übertünchte Decke hinein in die öde Nacht

heuchlerischer Seelen,

und

die unaussprechlichen Seufzer des

184

frommen Herzens er höret fie auch. Christen, wie selig sind wir, daß wir mit vollem Glauben einstimmen können in da» Wort

de» Apostels : „Bon Gott sind alle Dinge!"

Wie ordnen und

verllären sich vor diesem Glanben die unzähligen Wesen und die

streitenden Kräfte der Natur zu einem schönen, einigen Weltall!

Wie wächst vor ihm der Werth de» Menschen, der zwar vom

Staube kommt und zum Staube zurückkehrt, aber doch nach Gottes Bilde geschaffen ist!

Wie klar sehen wir mit diesem

Glauben zurück in die Vergangenheit und wie getrost hinaus in

die Zukunft; denn er zeigt uns allerwärts über den sich kreuzen­

den Wegen der Menschen

die

leitende Hand und überall die

Weltgeschichte zugleich als das Weltgericht! Aber ist denn dieser Glaube, daß alle Dinge von Gott

sind, so ausschließliches Eigenthum des Christenthums?

Deuten

nicht seine Werke schon bestimmt genug hin auf den weisen und

gütigen Schöpfer, und können wir nicht darum Gott den Vater erkennen auch ohne den Sohn? —

Ja, geliebte Freunde, so

geht eS uns oft : Wir sind geboren und aufgewachsen in einer Welt, in der seit Jahrhunderten das Evangelium umgestaltend ge­

wirkt hat; wir sind durch die heilige Taufe ausgenommen worden

in die Gemeinde des Herrn, ehe wir die Sünde fühlen konnten, für die er gestorben ist; wir lernten unsere Hände falten beim Feier­ klange der Glocken, ehe wir eine Ahüung hatten von dem Reich-

thume der Gnade, zu deren Preise die Gemeinde sich versammelt.

Mit der Muttermilch haben wir Vorstellungen eingesogen, die

erst mit dem Evangelium in die Welt gekommen sind, und so sind wir geneigt, sie als aus eigener Kraft erzeugt zu betrachten,

sie als unser natürliches Eigenthum uns beizulegen und undankbar

der Quelle zu vergeffen, die nur am Fuße des Kreuzes auf Gol­ gatha entspringt, und aus welcher auch sie uns zugeflossen sind. Richt anders, als wenn ein Mensch sein leibliches Leben und seine

Gesundheit und seine Kraft als sein eigenes Werk ansehen und un­ dankbar der Mutter vergessen wollte, die ihn geboren und gepflegt hat.

Ehe wir darum der Versuchung nachgeben, daS Wort des

Herrn Lügen zu strafen, der da spricht: „Niemand kommt zum

Vater, denn nur der Sohn und wem e- der Sohn will offenba­

ren" (Matth. 11, 27), laßt uns doch genau prüfen, wie viel die vorchristliche Welt vom Glauben an den Vater hatte und wie weit sie damtt kam.

Nach der Antwort auf diese Fragen brau­

chen wir nicht lange zu suchen : sie findet sich im 1. Capitel

des Briefes,

aus dem unser Text entnommen ist

Dort sagt

zwar Paulus, daß auch den Heiden Gottes unsichtbares Wesen offenbar geworden sei in seinen Werken, nämlich der Schöpfung der Welt; schildert aber sogleich weiter, wie sie in der Finster­

niß ihres unverständigen Herzens die Herrlichkeit des unvergäng­ lichen Gottes in ein Bild verwandelt, gleich dem vergänglichen

Menschen; wie sie Gottes Wahrheit hatten in Lügen verwandelt und geehret und gedienet dem Geschöpf mehr,

denn dem Schö­

pfer; wie sie so ihren Gott verloren und in ein gottloses, wüstes Leben versanken.

Sie hatten von dem Glauben, daß alle Dinge

von Gott sehen, daß über alle ein liebender Vater schirmend die Hand halte, endlich nichts mehr, als die unbestimmte Ahnung eines göttlichen Wesens, und es blieb ihnen nur noch übrig, jenen

Altar zu erbauen für den unbekannten Gott!

So waren,

wie der Apostel sagt (Röm. 1,22), die, so sich für weise hielten,

mit ihrer sich selbst überlaffenen Weisheit zu Narren geworden. Und wenn selbst unter dem Volke, das Gott vor allen erwählt

hatte, daß das Heil ausgehen solle von ihm, der Weise (Pred. 3,

19 ff.) spricht: »ES

ist Alles ganz eitel und gehet dem

Menschen wie dem Vieh; wie dies stirbt, so stirbt er auch und

haben alle einerlei Odem, und der Mensch hat nicht mehr, denn daS Vieh, denn es ist Alles eitel. es

Es führet Alles an einen Ort,

ist Alles von Staub gemacht und wird wieder zu Staube.

Darum sahe ich, daß nichts besser seh, denn daß der Mensch fröh­ lich seh in seiner Arbeit, denn das ist sein Theil. Denn wer will ihn dahinbringen, daß er sehe, was nach ihm geschehen wird?» — wie klingt doch dieser traurige Trost so gar verschieden von der

ruhigen, heitern Zuversicht, mit der der Apostel spricht : Von

Gott sind alle Dinge; denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen, und keine Trübsal der Welt mag sie scheiden

»»« der ewigen Liebe de- BaterS im Himmel! — Die Erschei­

nung des Sohnes ist der Grund dieser Umwandlung: er mußte kommen, wenn der Glaube an einen weisen, gütigen, väterlichen Schöpfer der Welt nicht bloß ein todter, vorübergeheuder Ge­ danke , sondern wirklich ein so lebendiger Glaube des Herzens

werden sollte.

n. „Durch Gott sind alle Dinge!" — Das ist darum das zweste große, preiswürdige Wort unseres Textes -durch Gott mußte

die verirrte Welt zu Gott zurückgeführt werden, denn Niemand

gelangt zum Vater, denn durch den Sohn.

Gott hat sich von

Anbeginn an nicht unbezeugt gelassen: er hat Sonne und Mond

aus der Nacht hervorgerufen, er hat den Himmel mit zahllosen Sterne« geschmückt und mit Blumen die Erde, zahllose Thiere freuen sich ihres Schöpfers, der sie alle erfüllet mit Speise und

Freude, und der Mensch trägt das Siegel des göttlichen Eben­ bildes auf dem aufgerichteten Angesichte, und fein sinniges Auge

mahnt, daß fein Leben nicht gebannt ist in diese Welt des Stau­ bes, sondern daß er hier Fremdling und Bürger eines Reiches

de» Geistes ist.

Ueberall ist da- Weltall von göttlichem Leben

durchdrungen, und dies Leben sollte seyn das Licht der Menschen, den Strömen dieses Lebens sollten sie nachgehen bis zu ihrem

Ursprünge.

Aber daS

Licht schien

aber die Finsterniß hat es nicht

zwar in

begriffen.

die

Finsterniß,

Nicht bloß hinein

scheinen in die Finsterniß durfte das Licht, wenn es die Mensch­ heit fasten sollte; noch deutlicher mußte Gott sich offenbaren, daLicht mußte mit der Menschheit sich vereinigen, eS mußte ein Mensch

auftreten, der da» wahrhaftige Licht selber war: »Und daS Wort ward Fleisch und wohnete unter uns, und wir

sahen seine

als eine Herrlichkeit des

Herrlichkeit

eingeborenen Sohnes vom

Wahrheit!" (Joh. 1, 14).

Vater voll Gnade und

Da-, meine

geliebten Freunde,

ist das größte Wort, welches je menschliche Lippen auSzusprechen

gewürdigt werden

können;

diese Verkündigung ist die Angel,

um welche daö Weltall sich dreht.

Wie tritt der heilige Gott,

der über den Sternen thront, mit ihr auf einmal uns so mensch­

lich nahe!

die

DaS Wort ward Fleisch,

die Fülle der Gottheit,

im Weltall schaffend sich offenbart, erscheint leibhaftig im

Menschen Jesu.

Der unsichtbare Gott, der sich im Gewühle

seiner zahllosen Geschöpfe erst

uns verbarg,

er hält uns so

werth, daß er Wohnung unter uns aufschlägt in seinem ein­ geborenen Sohn.

Dieser war das wahrhaftige Licht, von kei­

nem Schatten des Irrthums verdunkelt; er trug das göttliche Ebenbild rein an sich, von keinem Flecken der Sünde verunstal­ tet.

Immer klarer und herrlicher strahlte aus ihm hervor die

Fülle der Gottheit, die er in sich trug; aber die Finsterniß bie­ tet dem Lichte, die Welt der göttlichen Liebe den Kampf.

Sie

verschließt die Augen dem Lichte und wendet sich weg mit Ver­

achtung;

die göttliche Liebe hat nur mitleidige Wehmuth da­

gegen zu bieten: „Wie oft habe ich euch versammeln wollen, wie

eine Henne ihre Küchlein versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt!" Die Welt bietet Hohn und Verachtung; die göttliche

Liebe des Sohnes

vergebende

Fürbitte beim Vater.

Die Welt bietet Kreuzigung und Tod; die göttliche Liebe

des

Sohnes bietet ihr höchstes Opfer : willige Erduldung des schmer­ zenvollsten Todeö zum Heile der Brüder.

Und als

nun der

Auferstandene über Tod und Hölle siegreich sich erhob, da er­ kannten die Seinen, daß in ihrem Herrn nicht nur die Fülle der göttlichen Liebe erschienen sey, sondern auch die Fülle der gött­ lichen Macht, und daß er wirllich sey der eingeborene Sohn des

lebendigen Gottes, der den Seinen die Bürgschaft des ewigen Lebens gibt, und dessen starker Hand Niemand sie entreißen kann. Da erfuhren sie, daß wer, durch die Liebe des Sohnes, der mit

dem Vater Eins ist, zu innigster Gegenliebe gewechet, an ihn

sein ganzes Herz hingegeben, auch den Vater erst recht erkennen mb den gewissen Glauben an ihn mit ganzem Herzen faffen

Linie.

Und darum preisen wir die Herrlichkeit unseres Glau-

188

ben- an den Sohn, der nicht verschmähte, unsere KnechtSgefitalt aazunehmen, damit wir zum Vater gelangten durch ihn.

Aber nicht immer sollte der Sohn also unter den Menschen

wohnen und die Herrlichkeit de- Vaters in ihm.

Er schied von

den Seinen und ging zurück zum Vater, von dem er gekommen

war.

Und was gibt uns nun Gewißheit des Glaubens, uns,

die wir nicht, mit leiblichen Augen feine Herrlichkeit schauen und

uns überzeugen können, daß die Fülle der Gottheit leibhaftig in ihm wohnte?

Wer schützt uns davor, daß nicht die schöne Ein­

heit des Weltalls uns wieder auseinander falle in ein wüstes

Gewühl streitender Kräfte; daß nicht das Ebenbild Gottes, das für die Ewigkeit geschaffen ist, sich uns wieder verwandle in den Staubgeborenen, der nicht mehr ist, denn ein Vieh oder die

Blume des Feldes, und spurlos zurücksintt in den Staub, wie er ganz vom Staube genommen ist;

daß nicht als Lenkerin des

Lebens der Menschen uns statt der Hand des Vaters ein kaltes Schicksal erscheint

und

die grausame,

unerbittliche

Zeit, die

immer nur neue Kinder gebieret, um immer aufs Reue sie wie­

der zu verschlingen?

Wäre uns von

unserem Erlöser nichts

weiter geblieben, als die Kunde —und die will unS ja die Weis­

heit unserer Tage nicht einmal gönnen — daß einst Jesus von

Nazareth, ein Prophet, mächtig an Thaten uud Worten, aus

Liebe zu seinen Brüdern gestorben und wieder auferstanden sch, dann fteilich

stünde eS schlimm um unseren Glauben; aber —

Gottlob! — wir haben mehr!

HI. „Zu Gott sind

alle Dinge!" — so schließt

unser

Text, und dies kurze Wort enthält wieder einen Reichthum vm

Kraft und Segen.

Zu Gott ist die Menschheit gekommen durch

den Sohn, und die Gemeinschaft, die er mit Gott gestiftet htt,

ist eine ewig dauernde : Gott ist uns nicht bloß einmal vorübe­

gehend nahe getreten in dem Sohne, sondern er will immerdcr bei uns bleiben im

heiligen Geiste.

Wie fühlt mit diesen

Gedanken der Staubgeborene in heiligem Schauer die Ströme der Ewigkeit in seiner Brust; wie treten die zerstreuten Brüder

zu

lebendigen Gliedern eines gottgeweiheten

Lebens zusammen!

Al«s der Herr sich rüstete, Abschied zu nehmen von seinen Getreuen, da legte er in die gebeugten Herzen zu ihrem Troste die große Der-

herßung (Ioh. 15, 26) : „Wenn der Tröster kommen wird, welchen ich euch senden werde vom Vater, der heilige Geist, der vom Vater

amSgehet, der wird zeugen von mir, und ihr werdet auch zeu­

gen!"

Wohl faßten die Jünger damals nicht die Bedeutung des

großen Wortes und gedachten sein nicht; sondern da ihr Herr

gestorben war, da lag auch all ihre Hoffnung bei ihm im Grabe, und sie verzweifelten an jeglichein Troste.

Als aber am Pfingst-

feste die Kraft des Herrn sich in feurigen Strömen auf sie er­

goß; da wurden sie der Erfüllung jener Verheißung gewiß, da gieng ihnen die ganze verborgene Herrlichkeit jenes Wortes glän­ zend auf.

Jetzt erkannten sie, daß jene große, selige Zeit ge­

kommen sey, nach der die Propheten sich gesehnt, daß Gvtt nicht

ferne von seiner Welt und seinen Menschen als Richter über den Sternen throne, und nur in diesem oder jenem in einzelnen

vorübergehenden Regungen sich offenbaren

wolle,

sondern daß

er Wohnung gemacht habe inmitten seiner gläubigen Gemeinde und einem jeglichen, der ihm sich naht, auch nahe in der Kraft seines heiligen Geistes.

Das

war der Tröster, den der Herr

verheißen hatte, der Geist, der das Werk vollendet, das der Sohn begonnen

hat.

Gr gab den Jüngern Zeugniß, daß sie

nicht getrennt seyen von ihrem Herrn, sondern daß, nachdem da»

Wort einmal Fleisch geworden, es immer mehr und mehr die Welt durchdringe als eine heiligende göttliche Lebenskraft; und

auch sie konnten nicht mehr lassen, zu zeugen von dem, was sie gesehen und gehört hatten.

Immer weiter, immer reicher und

gewaltiger ergossen sich von Golgatha aus die heiligen Ströme

nach allen Enden der Welt hin, und jetzt sind durch die Kraft de» heiligen Geistes Millionen mit unS zum Preise des Drei­

einigen versammelt.

Die Andacht, die uns hier vereint, das

Haus, das uns umgibt, der Altar, an welchem wir daS heilige

Mahl der Gemeinschaft tnä unserem Heilande empfangen, da»

Glück der Familien, die hier begründet werden, der Segen des christlichen Predigtamtes, zu dem hier geweiht wird — das alleist das Werk dieses Geistes.

Derselbe Geist,

der am ersten

christlichen Pfingstfeste die Gemeinde des Herrn mehrte, auch wir sehen wieder unsere Kirche wachsen durch seine Kraft; derselbe

Geist, der damals die Jünger erfüllte, wir fühlen noch in un­ serer Mitte sein gewaltige-, heiliges Wehen,

und wo jetzt ein

Herz aufgeschlossen ist für da- Wort des Herrn, da hat er es

geöffnet, und wo jetzt ein Wort de» Prediger- zündet im Her­ zen eines Hörers, da hat es von ihm feine Kraft.

Er sammelt

die mancherlei Gaben und Kräfte zum Dienste des Einen Herrn, er vereiniget alle Gläubigen zu lebendigen Gliedern an dem Leibe,

dessen Haupt Christus ist.

So ist er Gründer und Erhalter

der Kirche. Aber auch ihr Reiniger ist er. Wo immer menschliche

Beschränktheit versucht hat, an seiner Statt die eigenen Gedanken und Satzungen geltend zu machen als Grund der kirchlichen Gemein­

schaft, da hat er gewaltig den Stein vom Grabe gewälzt, in

dem man ihn einsargen wollte, und sein ewige- Leben wieder kräftig entfaltet, immer mehr reinigend, wa- noch unrein ist, immer ftischer belebend, was todt, immer heller verklärend, was

dunkel ist, immer weiter die ©einigen leitend in alle Wahrheit!

O Geliebte, sehet hin auf die lebendigen Zeugnisse von der Kraft des heiligen Geistes und haltet euer Herz offen den belebenden

Wogen dieses Geistes, und er wird auch an euch sich beweisen als ein Schutz gegen die Sünde, als ein Antrieb zu immer voll­

kommenerem Wachsen an den, der unser Haupt ist, Christus, als

ein Tröster in allem Leid, als eine Kraft Gottes, der kein Trüb­ sal unüberwindlich ist, die selbst die Anfechtung in Freude ver­ wandelt.

Und wenn der Herr des Himmels die Reiche der

Erde erschüttert, um sie an ihre Vergänglichkeit zu mahnen; wenn er die Schleußen des Himmels dem lechzenden Acker ver­ schließt, oder den Stürmen des Nordens gebeut, die zarte Blüthe zu zerstören; wenn die Brandfackel fliegt in die ftiedliche Stadt,

und der Odem des Herrn daherfähret, die Menschen zu mahnen,

welches die Schätze für die Ewigkeit find, und welches nicht —

wenn da der Ungläubige mit unsicherem, verstörtem Blicke den Vater und Richter über den Sternen zweifelnd sucht, so sehen

wir darin nur ein Mittel zur Prüfung und Stärkung unsere-

Glaubens, eine Aufforderung zur Erweisung christlicher Bruder­ liebe; auch dann kann der heilige Geist am besten das Amt de-

Trösters übernehmen und am herrlichsten es verwalten, also daß nichts uns die tröstliche Gewißheit zu rauben vermag :

„Von

Gott und durch Gott und zu Gott sind alle Dinge!" DaS, Geliebte in dem Herrn, ist die Herrlichkeit unseres

Glaubens an Gott den Vater, den Sohn und den heiligen Geist,

das ist das Kleinod, deffrn das Christenherz am seligsten sich freut! Und ehe wir von unseren heiligen Festen scheiden, um an

den folgenden Tagen, die uns hier versammeln werden, aus dem Worte Gottes zu vernehmen, wie wir nun für die Gnade des

Vaters den rechten Dank und für die Liebe des Sohnes die rechte Gegenliebe erweisen und dem Wirken des heiligen Geistes

ein offenes, reines Herz entgegenbringen sollen; so laßt unS noch einmal den ganzen reichen Inhalt jenes Glaubens zusammen-

faffen, damit er vom innersten Heiligthume unserer Seele aus unS leuchte auf unseren Wegen, all unser Thun verlläre und

jegliches Werk begonnen und vollendet werde, wie wir unsere heutige Andacht begonnen haben und nun beendigen im Namen

Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes — Amen!

XIV.

Der Werth des Irrtrautns nnf-ieKrnstVottes, dir in -em Schwachen »Schtlg ist. Predigt am 5. Sonntage «ach Trinitatis.

Tert: Luc. 5, 1-11. Dem der überschwänglich thun kann über Alle-, da- wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die da in un- wirket; dem seh Ehre in der Gemeine, die in Christo Jesu ist, z« aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen I Der evangelische Text, welcher heute unserer andächtigen Betrachtung zur Grundlage dienen soll, lautet im Evangelium de- Luca-, im 5. Capitel vom L—11. Verse, wie folgt :

„1. Es begab sich aber, da sich das Volk zu ihm drang, zu hören das Wort Gottes und er stand am See Genezareth, 2. und sahe zwei Schiffe am See stehe«; die Fischer aber waren ausgetreten und wuschen ihre Netze; 3. trat er in

der Schiffe eines, welches Simonis war, und bat ihn, daß er es ein wenig vom Lande fiihrete. Und er setzte sich, und lehrete das Volk aus dem Schiff. 4. Und als er hatte aufgehöret zu rede», sprach er zu Simon : Fahre auf die Höhe, und werfet eure Netze aus, daß ihr einen Zug thut. 5. Und Simon antwortete, und sprach zu ihm : Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet, und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich das Netz auswerfen. 6. Und da sie das thaten, beschlossen sie eine große Menge Fische, und ihr Netz zerriß. 7. Und sie winkten ihren Gesellen, die im andern Schiff waren, daß sie kämen, nnd hälfen ihnen ziehe». Und sie kamen, and füllte» beide Schiffe voll, also, daß sie saaken. 8. Da das Simon Petrus sahe, fiel er Jesu zu den Knieen, und sprach : Herr, gehe von mir hinaus, ich bi» ein sündiger Mensch. 9. Denn eS war ihn ein Schrecke» angekommen, und Alle, die mit ihm waren, über diese» Fischzug, den sie mit. einander gethan hatten; 10. desselben gleichen auch Jacobum und Joharinem, die Söhne Zebedäi, Simonis Gesellen. Und Jesus sprach zu Simon : Fürchte dich nicht, denn von nun an wirst du Menschen fangen. 11. Und sie führten die Schiffe z« Lande, und verließen Alles, und folgten ihm nach."

Das muß eine herrliche, himmlisch schöne Stunde gewesen sehn, meine andächtigen Zuhörer, die Stunde, in welcher, wie unser Text sagt, da- Volk sich also zu dem Herrn drang, zu hören da- Wort Gottes, daß er nicht mehr Raum fand auf sei­ nem Standorte am See Genezareth, sondern in da- Schiff Si­ monis treten mußte, um von dort aus die nach der Gerechtigkeit Hungernden und Dürstenden zu sättigen mit dem Worte des Lebens! Geht es doch auch uns so, daß, wenn nicht blos zwei oder drei versammelt sind im Namen des Herrn, sondern eine zahlreiche Gemeinde sich zusammengefunden hat an heiliger Stätte, daß dann unser Gesang kräftiger, unser Gebet wärmer und un­ sere ganze Stimmung feierlicher wird; und dem Prediger geht Baur, Predigten. 13

das Herz auf, und er öffnet seinen Mund freudiger, wenn

er sieht, er wird den Samen des göttlichen Wortes

den

Wind säen,

nicht in

sondern es sind viel feine und gute Herzen

da, die ihn gerne aufnehmen und treulich bewahren. O daß auch wir immer sagen könnten : das Volk drängt sich, zu hören daS

Und vor dieser großen,

Wort Gottes 1

mit

gespannter Auf­

merksamkeit horchenden Gemeinde, da stand nun kein schwacher Mensch mit seiner armen Rede, sondern der Herr selbst ließ seine gewaltigen Worte erschallen, voll Geist und Leben, voll Feuer und voll Kraft.

Herzen der Hörer!

Wie muß das gezündet haben in den

Wie erschüttert müssen da die Verstockten

geschieden sehn, und die Hoffärtigen wie gebeugt, und die Kalten wie erwärmt, und die Schwachen wie gestärkt, und die Geängstig­ ten

wie

Bild von uns

getröstet! dieser

vorhält,

Nicht Predigt

wahr, Jesu

recht lebhaft

uns

Geliebte,

Christi,

wie

wenn

wir das

eS

der Text

vergegenwärtigen,

da

will

es uns bedünken, als ob unsere Versammlungen ganz arm und verlassen wären, und es kommt uns ein frommes Sehnen an,

uns zu mischen unter die Andächtigen am See Genezareth! — Und doch sind wir so arm und verlassen nicht.

Ueber die ganze

Erde haben jetzt die Bekenner des Herrn fich ausgebreitet in

großer Zahl, so daß dagegen die Schaar am See Genezareth nur als ein unbedeutendes Häuflein erscheint. Und sein göttliches Wort, das in der heiligen Schrift uns versiegelt ist, wirket noch

immer unter uns, und wo es mit dem rechten Sinne vernom­ men wird, da springt alle Zeit aus dem todten Buchstaben ein Quell lebendigen Wassers hervor.

Möge es uns auch heute ein

Born der Weisheit werden und der Herr mitten unter uns sehn und unsere Betrachtung segnen!

Unser Evangelium vom Fischfänge des Petrus hat gewiß schon vorhin beim Vorlesen auf jeden von euch, meine andächti­

gen Zuhörer, im Allgemeinen den Eindruck gemacht, daß hier von einem Werke die Rede sey, das durch menschliche Kraft so

große Erfolge nicht gehabt hat, sondern nur durch den Beistand und Segen des Herrn.

Wir brauchen also nach der Hauptwahr-

heit, welche wir nach Anleitung unseres Textes heute zum Gegen­ stände einer andächtigen Betrachtung machen wollen, nicht lange

zu suchen : es wird keine andere sehn, als die, daß menschliche Kraft wenig schaffet; daß aber, wenn der Herr uns beistehet, auch das Größte uns gelingen muß, oder, bestimmter gesprochen, wir wollen erwägen den Werth des Vertrauens auf die Kraft Gottes,

die

in dem

mächtig

Schwachen

ist.

Folgen wir nun unserem Texte Schritt vor Schritt, so wird er

uns lehren, einmal, daß wir ohne dieses Vertrauen uns ohnmächtig

ganz

und

unglücklich

fühlen müßten,

dann, daß dieses Vertrauen unserem Wirken Kraft und

Segen gibt; ferner, daß es die Selbsterkenntniß för­ dert und endlich, daß eS dem Herrn tüchtige Jünger bildet.

I. Da der Herr den Petrus auffordert: „Fahre auf die Höhe

und werfet eure Netze aus, daß ihr einen Zug thuet," da ant­ wortet der Jünger, wie unser Text uns sagt :

„Meister, wir

haben die ganze Nacht gearbeitet und noch nichts gefangen." Petrus gesteht also ein, daß, als der Herr noch nicht bei ihnen war,

und

sie

auf

seinen

göttlichen

Beistand

noch

nicht

vertrauen konnten, alle ihre Arbeit und Mühe vergeblich gewe­

sen war, und macht uns aufmerksam darauf, daß wir ohne das Vertrauen an die Kraft Gottes, die uns Schwache

mächtig macht, uns für ohnmächtige, unglücklicheGefchöpfe halten müßten.

Wer erkennte auch nicht in den

Worten des Apostels den Ausdruck einer Stimmung, in welcher gewiß jeder von uns schon öfter, ober weniger oft sich befunden hat?

Wer hätte nicht schon trüb und hoffnungslos mit Simon

Petrus gesprochen oder gedacht : „Wir haben gearbeitet Tag und Nacht, aber

nichts ausgerichtet!"

Da handelt

es sich zuerst

um die Beantwortung der Frage, was werden wir essen, was 13 *

werden wir trinken?

Mit ängstlichem Sorgen und Zagen wird

den Bedürfnissen des Lebens nachgejagt, aber keine Befriedigung gefunden, vielmehr wächst unter dem Erwerben nur die Sorge

ünd läßt die menschliche Thätigkeit nie eine recht freudige und dadurch wahrhaft fruchtbare und segensreiche werden, noch läßt

sie zum Trachten nach dem Reiche Gottes Zeit.

Wie der Arme

keinen anderen Lebenszweck hat, als sein beschränktes Leben noch

einen Tag länger zu fristen, und wenn er von seiner Arbeit er­

müdet sich niedergelegt hat, bald wieder zu neuer Sorge erwacht; so kann auch der, welcher in Anderer Augen für reich gilt, nicht

genug bekommen, sobald er nicht auf Gott vertraut, ängstliches

Sorgen und Zagen füllet auch seine ganze Seele aus, und von

dem Einen gilt, wie von dem Anderen, das biblische Wort: „Sie irre gegangen und machen ihnen selbst viel

vom Glauben

sind

Schmerzen"

(1 Tim. 6, 10),

denn Einer, wie

der

stimmt ein in die Klage des Petrus : „Wir haben

Tag • und Nacht, aber nichts sich

um

in

Thätigkeit

Andere, gearbeitet

ausgerichtet." — Oder es handelt

unserem Berufe.

Wir thun ängstlich,

was unseres Amtes ist; aber es ist doch

keine rechte Kraft und

in unserem Werke,

es ist und bleibt eine

kein rechter

Segen

todte, freudlose Miethlingsarbeit, und wenn wir uns fragen, was wir denn nun gewirkt haben zum Wohle der Brüder, — so müssen

wir wieder einstimmen in das Bekenntniß des Petrus : „Wir

haben

gearbeitet;

aber

nichts gefangen."

Da wächst liebenden

Eltern ein Sohn heran. Er ist ihre Freude und ihre Hoffnung,

und sie scheinen Ursache zu haben zu dieser Hoffnung; denn es ist ihm an Kräften des Leibes und der Seele ein tüchtiges Pfund

mitgegeben, mit dem er wuchern sollte, und sie versäumen nichts,

den Boden seines Herzens mit dem Samen ihrer Lehre zu be­ säen und schädliches Unkraut wegzujäten.

Aber der Wind der

Verführung wehet den Samen hinweg aus dem leichten Sinne,

oder der Feind

säet Unkraut unter den Waizen, und, vom

Wurme der Sünde

gestochen,

fängt bald die hoffnungsvolle

Pflanze zu welken an, und trostlos sehen die Eltern ihren Gelieb­ te« mehr und mehr dem geistigen Tode verfallen, der länger

und bitterer schmerzt, als der leibliche; sie wünschen mit der

Bitterkeit getäuschter Hoffnung : „Wär' er u»S nie geboren, der und wieder hören wir aus zerrissenen Herzen

Ungerathene!" —

den Seufzer dringen : „Wir haben gesorgt und gearbeitet Tag

und Nacht und nichts ausgerichtet!" — Nicht anders geht eS

endlich dem Menschen, der das höchste Gut, seiner Seele Selig­

keit, erwerben will mit menschlicher Kraft.

Er kann alles ver­

meiden, damit die Leute ihn nicht einer Sünde zeihen mögen, er

kann thätig sehn in seinem Berufe, sparsam in seinem Hause,

wohlthätig gegen die Armen; er kann es so weit bringen, daß er

betet wie jener Pharisäer im Tempel: „Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin, wie andere Leute, Räuber, Ungerechte, Ehe­

brecher, oder auch wie dieser Zöllner; ich faste zweimal in der Woche

und

gebe den

Zehnten von Allem,

das ich habe";

und doch müssen wir ihin sagen mit dem Herrn : wenn er nicht mehr hat, denn daS,

so geht er nicht gerechtfertiget hinab in

sein Haus; und wenn er nicht ganz von seiner Werkheiligkeit

verblendet ist, so muß er selbst erkennen, wie in den finstern Winkeln seines Herzens die Sünde sich birgt, wie er das ewige

Leben nicht hat, an dem wir nur Theil erhalten durch den Glau­ ben an Jesum Christum, und wie er an der Seligkeit wohl gearbeitet hat, aber umsonst!

Ja, Geliebte im Herrn, wenn wir nicht

mehr hätten, als unsere menschliche Kraft, so müßten wir mit

Hiob (6, 2) klagen : „Wenn man meinen Jammer wöge und mein Leiden zusammen in eine Wage legte, so würde es schwerer sehn, denn Sand am Meere."

Aber wir haben mehr!

Wir

wisien wohl, daß mit unserer Macht nichts gethan ist und wir gar bald verloren sind; aber wir wissen auch, daß der rechte Mann

für unö streitet.

Nur weil sein Beistand den Fischern fehlte,

hatten sie trotz der angestrengten Arbeit nichts gefangen,

und

weil wir auf ihn nicht vertrauen, darum ist unser Trachten nach den Bedürfnissen des Lebens so angstvoll und so unbefrie­

digt, unsere Berufsarbeit so todt, unsere Sorge für die Unseren

so rhne Erfolg und ohne Trost, unser Ringen nach dem ewigen

ISS Leben so vergeblich. Aber er kam und half dem Petrus, und er

Hilst auch uns.

II. Petrus, der die ganze Nacht auf dieser Stelle vergeblich

gearbeitet hatte, konnte, wenn er der Aufforderung des Herrn nachsam, nach menschlichem Ermessen wenig Hoffnung haben auf

Aber er vertrauet dem Worte des Herrn

einen glücklichen Zug.

und spricht :

„Auf dein Wort will ich dennoch daS Netz auS-

werfen" und folgt ohne Zaudern dem Befehl.

Und siehe,

sein

Vertrauen bleibt nicht unbelohnt : daS Netz begann zu zerreißen von der Menge Fische, die darin sich gefangen hatten, nur mit

vereinter Kraft konnten die Fischer es an Bord ziehen und ihre beiden Schiffe füllten sie voll.

Ihnen, die eine ganze Nacht

durch gearbeitet und nichts gefangen hatten, wird nun in einem Augenblicke mit geringer Mühe ein Segen zu Theil, der weit

über ihre kühnsten Hoffnungen war.

Das that der Beistand

des Herrn, und so zeigt das Beispiel des Petrus, daß das Vertrauen

auf

die

Kraft

Gottes,

die

in

dem

Schwachen mächtig ist, unser Werk mit Kraft und

mit

Segen

kröne.

Eben das war aber das Zweite, was

unser Text uns lehren sollte.

Doch ehe wir zur näheren Er­

wägung dieser Wahrheit eingehen, soll er uns noch Antwort ge­

ben auf die Frage, wie denn das Vertrauen auf Gottes Kraft beschaffen sehn muß, wenn es so Großes wirken soll.

Da sehen

wir denn zuerst, daß Petrus bei seinem Werke auf den Beistand des Herrn so fest vertrauen kann, weil der Herr selbst das Werk

ihm geboten hat.

Und so sollen auch wir nicht hoffen, daß der

Herr uns unterstützen werde in der Ausführung aller Einfälle,

die unser selbstsüchtiges Gelüsten uns eingibt, sondern nur in den Werken seinen Beistand erwarten, die von ihm geboten und vor seinen Augen wohlgefällig sind;

kein blindes seyn.

unser Vertrauen darf also

Weiter ist das Vertrauen des Petrus nicht

von der Art, daß er die Hände in den Schooß legt und Alles

dem Herrn überläßt, nein, der Herr befiehlt ihm, daß er selbst

Hand

anlegen

soll, und das thut er willig, fährt das Schiff

hinaus auf die Höhe, wirft das Netz aus und zieht es mit An­ strengung wieder herein.

Das rechte Vertrauen auf Gottes Bei­

stand überläßt Gott nicht die Arbeit, sondern nur die Sorge

für das Gedeihen der Arbeit; das schlechte Vertrauen aber kehrt die Sache mn, sorget und zaget ängstlich, aber arbeiten will es

nicht, sondern wartet ruhig ab, ob nicht Gott dem muffig Har­

daS Glück entgegenbringe;

renden

kein träges sehn.

unser

Vertrauen darf also

Schön sagt darum unser Luther in seiner

Auslegung dieses Evangeliums: „Willst du recht christlich leben,

deinen Gott sorgen,

so laß

wie die Fische in'S Netz kom­

men, und gehe du hin und nimm einen Stand an, daß du ar­

beitest."

Endlich, nachdem Christus dem Petrus zugerufen hat:

„Fahre hinaus auf die Höhe und werfet eure Netze aus!" da

macht Petrus nicht lange Umstände und Einwendungen, daß dem

Gelingen des Werkes das und jenes entgegenstehe, sondern er sagt kurz, obgleich er bis jetzt nichts gefangen, so wolle er doch

auf das Wort des Herrn sein Netz vertrauensvoll auswerfen, und damit gibt er das dritte Kennzeichen des wahren Vertrauens,

die

von

Zweifeln

unbeirrte

Entschiedenheit.

Und

darin sollten wir dem Petrus vor Allen nachahmen, und nicht

lange zaudern und zweifeln an dem Gelingen eines Werkes, das von dem Herrn uns geboten ist.

Der Wille des Herrn hat es

ja gefordert, der die Zügel des Weltalls in gewaltiger Hand hält,

und dessen Willen darum kein Hinderniß entgegentreten

kann.

Also nur muthig daran, so sehr kurzsichtige menschliche

Berechnung dagegen sich sträubt, er kann thun UeberschwänglicheS

über Alles, das wir wissen und verstehen! —

Gehen wir nun

so voll wohlbegründeten, thätigen und entschiedenen Vertrauens

an das Werk, das der Herr uns geboten hat, so dürfen wir sei­

nes Beistandes uns getrösten, und so wir nur mit Petrus sagen

können, daß wir unser Netz auswerfen im Namen des Herrn, so fehlet auch uns der reiche Segen nicht, den er genoß.

Indem wir

200 Christi heiligem Willen folgen, erfüllen wir seine Mahnung: „Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes!" und darum kann auch

die Erfüllung der Verheißung nicht ausbleiben, die mit jener Mah­

nung verknüpft ist, daß uns dann Alles zufallen soll.

In diesem

Vertrauen wird keiner ängstlich sorgen und sagen: Was werden

wir essen? was werden wir trinken? sondern seine liebste Speise ist, daß er thue den Willen des himmlischen Vaters, und er weiß,

daß

wer an seinem Theile wirket zur Erfüllung der Bitte :

„Dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden," daß dem der himmlische Vater auch die darauf folgende nicht versagt : „Unser täglich Brod gib unS heute!" und aus eigener

Erfahrung kann er freudigen Muthes einsttmmen in die tröstlichen

Worte des Psalmisten (Ps. 37, 25): „Ich bin jung gewesen und alt worden und habe noch nie gesehen den Gerechten verlassen

und seinen Samen nach Brod gehen."

In diesem Vertrauen

wird auch die Berufsarbeit ein göttliches Werk, und das früher

kalt und gleichgültig abgethane todte Geschäft des

Miethlinges

wird nun das im Namen Gottes unternommene und durch seinen Beistand geförderte segensreiche Wirken des guten Hirten.

In

diesem Vertrauen treten die Eltern vor ihre Kinder hin nicht

blos mit menschlichen Klugheitsregeln zur Erreichung beschränkter Pläne, sondern sie stehen als Stellvertreter Gottes vor ihnen da, und der Herr, auf den sie vertrauen und der das Werk der Zucht ihnen geboten, gibt ihnen Worte voll Geist und Leben,

die in die innersten Gründe des Herzens dringen.

In diesem

Vertrauen erkennen wir zwar, daß unsere Werke vor Gott uns nicht gerecht machen können, sind aber auch deß gewiß, daß wir durch den Geist des Herrn, der in uns wirket, verbunden sind mit dem, der sein Leben dahingegeben hat zu unserer Erlösung

und der keinen verloren gehen läßt, der gläubig sich an ihn an­

schließt.

Und

wenn

dem

also Vertrauenden auch nicht Alles

so ausschlägt, wie er wünschte und hoffte, so weiß er, daß der

Herr, der ihn so oft gesegnet hat mit überschwänglichem Segen, auch dann bei ihm ist, wenn er einmal seine segnende Hand zu­

rückzuziehen scheint; die Leiden, in welchen der Ungläubige ver-

zagt, beugen ihn nicht; er stimmt nicht ein in die häufigen, schwäch« lichen Klagen über das Elend der Welt und die Noth der Zeit

und die Mühsal des Lebens, sondern ruft voll freudigen Muthes

mit dem Apostel (Röm. 8, 37—39) :

„In dem Allem über­

winden wir weit um deß willen, der uns geliebet hat", und ist gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürsten-

thum, noch Gewalt;

weder Gegenwärtiges, noch Zukünftiges,

weder Hohes, noch Tiefes, noch keine andere Creatur mag ihn scheiden von der Liebe Gottes, die in Jesu ist, unserem Herrn.

III.

So reich ist das Vertrauen auf den Beistand Gottes an

Kraft und an Segen.

Und was macht nun der reiche Segen,

der durch den Beistand des Herrn dem Petrus zu Theil wird, auf

diesen für einen Eindruck? DaS folgt aus dem Verlauf unse­ res Textes : Den Petrus und seine Gesellen, Jacobus und Jo­

hannes, kam ein Schrecken an über diesen Fischzug, und Petrus fiel Jesu zu den Knieen und sprach : „Herr, gehe von mir hin­ aus, ich bin ein sündiger Mensch!"

Andern unter

euch auch schon

Ist eS nicht einem oder dem

so ergangen, Geliebte in dem

Herrn, daß wenn er sein mit schwacher Kraft, aber mit reinem und treuem Sinn begonnenes Werk auf einmal mit einem über alles Hoffen und Erwarten reichem Segen begnadigt sah, daß

ihn da ein Gefühl von Angst und Bangigkeit überkam, worin er sich gedrungen fühlte, zum Herrn zu beten : „Herr, halte deinen

Segen ein!"

daß ihm gerade den Erweisungen der göttlichen

Kraft und des göttlichen Segens

gegenüber

das Gefühl

der

eigenen Ohnmacht und des eigenen UnwertheS um so lebhafter erwachte und er befürchtete, daß der unverdiente Reichthum von Gnade bald wieder von ihm genommen und seine Armuth dann

um so größer und drückender sehn werde.

Denken wir nur an

unsern Luther, da er das erste offene und kräftige, aber für

einen

engen Kreis bestimmte Wort gegen die Verkäufer und

Wechsler aussprach, die das Haus Gottes zu einem Kaufhause

machten, und nun auf einmal der Funke, den man eben noch mit der Hand hätte bedecken können, um sich griff mit reißender Ge­

walt, also daß bald die halbe Christenheit in Flammen stand,

heiligen und unheiligen, und keine Macht der Erde daS Feuer Sollte er nicht da, im Gefühle, daß

mehr zu löschen vermochte.

das Werk, das er begonnen, größer geworden seh, als seine

schwache Kraft, und daß er es nicht mehr zu leiten und hinauszu­ führen vermöge, auch zuweilen wie Petrus gebetet haben : „Herr,

gehe hinaus von mir, ich bin ein sündiger Mensch!"

Aber wie

dem Apostel Petrus, so hat auch ihm und Allen, die von solchen Gefühlen der Bangigkeit bewegt sind, der Herr daS tröstliche

Wort zugerufen :

„Fürchte dich nicht!"

denn gerade diese.s

tiefeGefühl des eigenen Unwerthes, diese Förderung

der Selbsterkenntniß, das ist das größte Werk, daS das

Vertrauen auf die Kraft Gottes, die uns Schwache stark macht, wirket, und das ist die dritte Lehre, welche nnser Text uns bie­

tet.

Wer im Genusse des göttlichen Segens seinen Unwerth er­

kennt, der zeigt gerade, daß er deö göttlichen Segens werth ist. Denn er wird nun diesen Segen nicht betrachten als den schuldigen Lohn seines Verdienstes, als die natürliche Frucht seiner Arbeit, sondern der unverdienten werden trachten.

Gnade Gottes immer würdiger zu

Er wird sie nicht, wie einen Raub selbstsüchtig

an sich reißen, sondern als ein guter Haushalter Gottes sie be­

nutzen zu seiner und seiner Brüder wahrem Heile.

Da der ver­

lorene Sohn sein Gut noch ruhig mit Prassen verbrachte, da war er wirklich noch der verlorene Sohn, als er aber zu seinem Vater kam und

sprach:

„Vater, ich habe gesündigt in dem

Himmel und vor dir, ich bin fortan nicht mehr werth, daß ich

dein Sohn heiße!" — da war der Anfang zu seinem neuen Leben gemacht.

Dies Bekenntniß ist ein Zeichen, daß aller Hochmuth

und alles was selbstisch ist, aus dem Herzen gewichen ist, und

daß in dem also gereinigten Herzen Gott nun das Werk der

Wiedergeburt beginnen kann.

Damit ist die Stufe erstiegen, auf

der der Prophet Jeremias sagt (Jer. 9, 23): „Ein Weiser rühme

sich nickt seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seine- Reichthums, sondern wer sich rüh­

men will, der rühme sich de- Herrn I" Damit ist der Standpunkt

gewonnen, auf dem der Apostel (1 Cor. 2, 2) sagt: „Ich halte mich

nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter Euch ohne allein Jesum Christum den Gekreuzigten," und doch mit dieser seiner Weis­ heit die Weisesten beschämt; auf dem er den geringsten der Apo­ stel sich nennt, und doch mit übermenschlicher Kraft das Evan­

gelium ausbreitet und dem Herrn Seelen gewinnt.

In diesem

Bunde menschlicher Demuth und göttlicher Kraft zeigt sich erst

recht deö wahren Glaubens bergeversetzende Stärke.

IV.

Das erkennet der Herr auch in unserem Texte, wenn er dem

Petrus, der erst so muthig dem Beistand des Herrn vertraut hat und nun im Gefühle seines UnwertheS demüthig vor ihm

knieet, die Verheißung zuruft : „Von nun an wirst du Menschen sahen!" Denn damit erllärt er ihn für ein tüchtiges Werkzeug, um für das Himmelreich Seelen zu gewinnen.

Das ist aber

der letzte Punkt, den wir zu betrachten haben, daß das Ver­ trauen auf die Kraft Gottes, die in den Schwachen

mächtig ist, uns fähig macht, tüchtige Jünger Christi

zu sehn.

Zwar als Petrus im Vertrauen auf die eigene Kraft

noch über feine Mitjünger sich erhob und dem Herrn versprach: „Wenn sich auch Alle an dir ärgern,

so will ich mich doch

nimmermehr ärgern!" — da war sein Herz zur ächten Jünger­

schaft noch nicht vollkommen gereinigt, und so mußte er auch, ehe der Hahn dreimal krähete, den Herrn dreimal verläugnen

und

nachher bitterlich weinen über seine Kleingläubigkeit und

Schwäche.

Und als der Herr von den Jüngern genommen war

und sie sich beschränkt sahen auf die eigene schwache Kraft, da

saßen sie furchtsam und hoffnungslos hinter verschlossenen Thüren im engen Kämmerlein.

Wer hätte auch nach menschlichem Er-

204 messen denken sollen, daß der noch als der König der Könige

das Scepter der Welten ergreifen werde mit siegreicher Hand,

den seine Feinde mit durchbohrten Händen ans Kreuz geschlagen hatten und den sie ungestraft verhöhnen durften : „Bist du der König Israel, so hilf dir selber und steige herab vom Kreuz!"

(Matth. 27, 42.)

Aber der Herr, der die Jünger leiblich ver­

lassen hatte, der kam geistig wieder zu ihnen und da offenbarte sich an den Jüngern wie früher die menschliche Ohnmacht, so nun

die göttliche Kraft.

Wie ganz anders als im engen Kämmer­

lein sehen wir die Zwölfe beisammen an jenem ersten Pfingstfeste. Jetzt sind sie erst wahre Jünger, denn sie haben ihre Schwäche

erkannt und vertrauen auf Gottes Kraft, die in den Schwachen

mächtig ist.

Wie herrlich umstrahlt sie daö Feuer himmlischer

Begeisterung, wie sind alle ihre Worte gewürzt von der Kraft

des göttlichen Geistes, also daß sie allen durchs Herz gehen, und wurden hinzugethan an diesem

Tage bei dreitausend Seelen.

Wie schwillt und wächst im Wetterschein des Hasses und der

Verfolgung immer kräftiger das heilige Senfkorn des Evange­ liums.

Wie greift der heilige Funke so rasch immer weiter um

sich, alles Unreine verzehrend, alles Kalte erwärmend, so daß

bald die ganze Erde flammt in heiliger Gluth, und siehe, der Schänd- und Marterpfähl, das Kreuz, ist das herrlichste Sieges­

zeichen geworden, das von den Propheten verheißene Panier, um das alle Völker der Welt sich schaarrn! — Aber noch immer ist

des Unreinen, das verzehrt, und des Todten, das belebt werden muß, noch so viel; auch wir sind zur Jüngerschaft berufen und auch an uns ergehet die Mahnung des Herrn, Seelen zu sahen

für sein Reich. Und wenn es uns nun manchmal sogar bedünken will,

daß der alte böse Feind gerade jetzt es ernster gegen das Christen­ thum meine und mächtiger geworden seh, als je; so laßt auch uns nicht auf die Seite derer treten, die dem Evangelium stets

nur helfen wollen mit menschlicher Klugheit und menschlicher Ge­ walt und allerlei äußere Maßregeln, und seiner göttlichen Kraft

nichts zutrauen.

Laßt uns vielmehr bedenken, daß mit unserer

Macht nichts gethan ist, und vertrauen auf den Herrn, der da

305

spricht (Matth. 24, 35): „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen."

gegründetes, offenes, klares und

Ein auf dieses Vertrauen

entschiedenes Bekenntniß des

Evangeliums, daS ist von jeher das einzige Mittel gewesen, die Herzen ihm zu öffnen.

Wer sich des Evangeliums von Christo

wirklich nicht schämt und in dem festen, innigen Glauben, daß eS

eine ewige Kraft Gottes ist, seinen Mund freudig aufthut, und reden, was er gesehen und gehöret hat,

nicht lassen kann zu

dessen Wort

hat

noch immer eine gute Statt gefunden und

selbst den Haß der Gegner gelähmt und

den Spöttern den

Mund verschlossen und Manchen schon zu dem Geständniß ge­ drängt :

ES ist doch eine schöne Sache, seines Gottes so gewiß

zu seyn,

und ich gäbe gern all mein Wissen hin um ein Senf­

korn dieses Glaubens!

Wahrlich, geliebte Freunde; dürften wir

bei unserer Wirksamkeit für das Evangelium weniger unserer Kraft vertrauen und mehr der Kraft des Herrn, wir würden tauglicher sein, Menschen zu sahen, und tüchtigere Jünger Jesu, und die Bitte : „Zu uns komme dein Reich!" wäre ihrer Er­ lösung näher.

Das war cS, geliebte Freunde, was unser Text uns lehren sollte von dem Werthe des Vertrauens auf die Kraft Gottes, die

in den

Schwachen mächtig

ist, daß wir ohne dies Vertrauen

schwache, unglückliche Menschen sind, daß dies Vertrauen unsere

Werke kräftigt und segnet, unsere Selbsterkenntniß fördert, uns

tüchtig macht zu Jüngern des Herrn. — Und was

sollen wir

nun thun, da wir durch den Beistand des Herrn so reichen Segens

gewiß sind?

Auch darauf gibt unser Text uns Antwort in sei­

nem letzten Verse :

„Und sie führeten die Schiffe zu Lande und

verließen Alles, und folgten ihm nach."

Die Anwendung dieser

Werte auf uns ist leicht und wird kurz sein :

Lieben Freunde,

laßt es uns machen, wie es die Apostel gemacht haben. uni Alles verlassen und

Herr seinen Segen!

ihm nachfolgen.

Amen.

Laßt

Dazu gebe uns der

XV.

Lhristv der Lodesübkrwiiidcr. Predigt, im akademischen Gottesdienst gehalten am 5. Sonntage »ach Trinitatis.

Tert : Luc. 7, 1t - 17.

Die Gnade unsere- Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes

des Vaters und die uns Allen!

Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit

Amen.

Die Veranlassung, aus welcher ich heute hier stehe, an der Stelle desjenigen, von dem ihr gewohnt seyd, die Predigt des göttlichen Wortes zu vernehmen, ist eine gar traurige, meine ge­

liebten Freunde!

Es ist das Haus meines theuren Amtsbruders

plötzlich von einem schweren Schlage getroffen worden, der ihn tief gebeugt hat.

„Ich kann's nicht wagen, so hat er mir ge­

schrieben, daS nächste Mal der Gemeinde zu predigen, sondern bedarf vielmehr, daß mir gepredigt werde."

Da treibt mich denn

daS Bedürfniß meines Herzens —und ich bin gewiß, daß Ihr dies

M7 Bedürfniß theilt — vor Allem ein herzliches Gebet hinauf zu schickm zu unserem lieben himmlischen Vater, daß er den Gebeugten auf­ richte mit dem Troste, der hier allein zu trösten vermag, mit der

Kraft des göttlichen Worte- und seine- belebenden Geiste-, auf

daß er wiederum die Seinen aufrichte und aufrecht erhalte in

ihrem Schmerz, und bald wieder Lust und Kraft gewinne, von

dieser

Stelle mit aller Freudigkeit da- Wort des Herrn zu pre­

digen.

Alle Mühseligen und Beladenen seyen eingeschloffen in

die- Gebet; mir aber, seinem schwachen und unwürdigen Diener, möge der Herr das rechte Wort auf die Lippen legen, sie zu er­

quicken ! — Und was wird das für ein Wort seyn, da- ich heute am passendsten zu dieser Gemeinde rede? — Geliebte Freunde!

Als mir die Aufforderung wurde, heute vor Euch zu predigen,

da stieg natürlich gleich die Frage in mir auf : „Ueber welchen

Gegenstand und über welchen Text?"

sem Gedanken

Und als ich nun in die­

hintrat an'S Fenster und hinaussah in die im

heitersten Sonnenschein und im reichsten Glanze des Sommers vor mir ausgebreitete Natur, sehet, da konnte ich doch den Ge­

danken nicht los werden, wie doch so ost über Nacht die eiskalte Hand des Todes hineinfährt in das

stische üppige Grün und

dann am Morgen da und dort ein Zweig, der gestern noch grünte,

abgestorben

herabhängt mit verwelkten Blättern.

DaS Wort

des Propheten (Jesaia 40, 6)

trat mir vor die Seele : „Es

spricht eine Stimme : Predige!

Und er sprach : was soll ich

predigen? — Alles Fleisch ist Heu, und alle seine Güte ist wie

eine Blume auf dem Felde!"

Bon der Wahrheit dieser Worte

war mein Geniüth im Innersten getroffen.

Der Gedanke an sie

tauchte immer wieder auf in meiner Seele, so oft ich seither an

meine Predigt dachte; es wäre unnatürlich, wollte ich einen an­ deren zu ihrem Gegenstände machen. — Unchristlich aber wäre

es, wenn uns dieser Gedanke nur Anlaß gäbe zu müßigen Be­

trachtungen

über

die

Vergänglichkeit alles Irdischen

und zu

ungestümen Klagen, wie sie wohl Heiden geziemen, die von Gott nichts wissen.

Der Prophet in

der vorhin angezogenen Stelle

fährt fort : „Das Heu verdorret, die Blume verwelket, aber das

208 Wort unseres Gottes bleibet ewiglich."

Und wessen Gemüth fest­

gegründet ist auf dies ewige Gotteswort, gegen den hat der Tod seine Macht verloren, und die Schläge, die der Tod ihm zuzufügen gedenkt, dienen nur dazu, daß sein Herz immer weniger am Ver­

gänglichen hänge,

und

ihm immer wohler wird an dem ewig

treuen Vaterherzen seines gnädigen Gottes.

trachtung darf der

Auch unserer Be­

Grund des göttlichen Wortes nicht fehlen.

Wir legen ihr zu Grunde

einen Text aus dem Evangelium

des Lucas, wo es im 7. Capitel vom 11. — 17. Verse also heißt :

„11. Und es begab sich darnach, daß er in eine Stadt mit Na­

men Nam ging; und seiner Jünger gingen viele mit ihm,

und viel Volks.

12.

Als er aber nahe an das Stadt­

thor kam, siehe, da trug man einen Todten heraus, der ein

einiger Sohn war seiner Mutter; und sie war eine Witt­ we, und viel Volks aus der Stadt ging mit ihr.

13. Und

da sie der Herr sahe, jammerte ihn derselbigen, und sprach zu ihr : Weine nicht!

den Sarg

Jüngling, ich sage dir, stehe auf.

tete sich auf, und fing an zu reden. Mutter.

hinzu, und

14. Und trat

an; und die Träger standen.

riihrete

Und er sprach :

15. Und der Todte rich­

Und er gab ihn seiner

16. Und es kam sie alle eine Furcht an, «nd

priesen Gott, «nd sprachen : Es ist

ein großer Prophet

unter uns ausgestanden, und Gott hat sein Volk heimge­ sucht.

17. Und diese Rede von ihm erscholl in das ganze

jüdische Land, und in alle umliegende Länder." Nicht wahr, geliebte Freunde, das ist ein schöner Text? So

voll von menschlichem Mitgefühl und so voll von göttlicher Hülfe! Was ist aber sein Grundgedanke?

men : Jesus

Ihr werdet mit mir einstim-

Christus, unser Herr und Heiland, als

der, welcher dem Tode die Macht genommen.

Das

ist die hohe, liebreiche Gestalt, die aus dem ganzen Text klar

uns entgegentritt; und Christus der Todesüberwinder sey denn auch der Gegenstand meiner heutigen Predigt!

Sammlen

wir

uns zu unserer Betrachtung in einem andächtigen Vater­

unser!

I. Nach Anleitung

unseres Textes also soll ich von Christo

predigen, der dem Tode seine Macht genommen hat.

Da läßt denn

der erste Theil des Textes zuerst diese Macht des Todes selbst in ihrer finsteren Größe uns erkennen.

Aber damit

wir uns nicht fürchten vor dieser Macht, wird doch gleich im 1.

Verse unser Blick auf den Todes über win der gerichtet.

„Und

es begab sich, heißt eS dort, daß er in eine Stadt mit Namen

Nain gieng, und seiner Jünger giengen viele mit ihm und viel Volks." Die Stadt Rain lag in Galiläa, in dem Lande, von dessen Be­

wohnern geschrieben steht (Jes. 9, 2): „DaS Volk, das im Finstern saß, hat ein großes Licht gesehen, und die da saßen am Ort und Schat­ ten des Todes, denen ist ein Licht aufgegangen;" und die dem Herrn folgten, das waren eben solche, deren verfinsterten Seelen in

Christo Jesu ein neues Licht aufgegangen war und an deren erstor­ benen Herzen er als einen Todtenerwecker sich bewährt hatte,

und die nun im Jubel ihrer geretteten Seelen geistert an seinen Fersen hingen.

dankbar und be­

So zog er einher im Lande,

alles Kranke und Todte an Leib und an Seele heilend und auf­

erweckend zu neuem Leben : sein Zug der schönste Triumphzug

des größten Siegers; seine Feinde

die Sünde und was der

Sünde Sold ist, der ewige Tod; seine Waffe die Kraft des in seiner ganzen Fülle über ihn ausgegoffenen göttlichen Geistes;

seine Siegesbeute die

Erlösten, die er vom knechtischen Joche

der Sünde zur Freiheit der Kinder Gottes befreit hatte. — Aber sehet, schon ziehet dem Todesüberwinder der finstere Feind entgegen!

„Als er aber nahe an das Stadtthor kam, fährt unser Text fort,

siehe, da trug man einen Todten heraus" — da schwankt eine Bahre daher, gefolgt von der düsteren Menge der Leidtragenden!

Da», geliebte Freunde, das sind die Triumphzüge des Todes, Baur, Predigten. 14

in welchen er seine Macht nnS zeigen will. Und wer hätte diese

Macht nicht schon empfnnden und die Ohnmacht alles Irdischen und die Nichtigkeit aller Gedanken, die auf Irdisches gegründet

Ihr kehret zurück von einem Gange in die

sind, ihr gegenüber!

freie Natur, fröhlich und gestärkt, in heiterem Wechselgespräche

mit Freunden.

Da bewegt aus dem Stadtthor sich euch lang­

sam entgegen

der lange schwarze Zug, und eS verstummet das

belebte Wort unter ernsten Gedanken über den Text des Pro­

pheten : „Alle- Fleisch ist Heu, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde!"

Oder ihr gehet durch die belebten Straßen

der Stadt, beschäftigt mit den Gedanken an euer Tagewerk und mit Plänen für die Zukunft, und wie ihr um die Ecke bieget, da stehet vor Euch der schwarzbehangene Wagen, und hinter den Fenstern sehen verweinte Augen herab; ach, das ist ein greller Miß­

ton in dem lauten Geräusch des. vielbewegten Lebens, und man

wendet sich wohl erschrocken ab und suchet einen anderen Weg.— Wende dich doch lieber nicht hinweg,

mein lieber christlicher

Bruder; sondern bleibe ruhig stehen und laffe den Zug an dir

vorüber wallen.

Bleibe stehen, wie eine alte gute Sitte es wollte,

mit entblößtem Haupte, nicht um des schwarzen Behanges der

Bahre oder um des Geisllichen willen, der ihr vorangeht, son­ dern weil du vor deinem Gott dich beugest, dessen Ruf hier an

einen deiner Brüder ergangen ist, und auch an dich jeden Augen­

blick ergehen kann; mögest du mit dem Gedanken dich vor ihm beugen können : „Laß deinen Ruf ergehen, mein Herr und mein

Gott, wann eS deiner Weisheit gefällt; ich habe mein Haus be­ stellt

und

bin zur Reise gerüstet!« — Ja, geliebte Freunde,

laßt uns die Blicke nicht wegwenden von den Erscheinungen des Todes.

Laßt uns lieber dem Beispiele eines großen Theologen

folgen, welcher gesagt hat : „Eins hab ich mir immer gewünscht,

den Tod recht ruhig und sicher kennen zu lernen!" männlicher Wunsch, lich in Erfüllung

Das war ein

und er ist ihm durch Gotteö Gnade reich­

gegangen.

ES ist ja

mit der

Gefahr des

Todes, wie mit einer jeden anderen, sie wird kleiner, je fester man ihr in'S Auge sieht.

Laßt uns dem Anblick des Todes

ruhig begegnen, vielleicht daß bei genauerer Betrachtung der

finstere Feind des Lebens in einen ernsten

Leben sich verwandelt.

Prediger für das

DaS seh weniger für diejenigen gesagt,

welche, nachdem sie die Last und Hitze eines langen Lebenstages getragen, nunmehr gottergeben mit dem Apostel sprechen können: „Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sehn"; denn für sie

ist der Tod ein willkommener Freund!

Wohl aber sey eS denen

gesagt, welche, obgleich nach der Regel menschlicher Lebensdauer

den Pforten der Ewigkeit schon ganz nahe gerückt, doch um die Schätze noch

nicht sich

bekümmert haben,

womit man einen

Und auch euch

fröhlichen Eintritt in die Ewigkeit sich erkauft.

seh eS gesagt, die ihr in der kräftigen Mitte des Menschenlebens

stehet.

Haben wir es nicht erlebt, daß es gerade die stärksten

Bäume sind, die der plötzliche Blitzstrahl zerschmettert?

sprecht doch

nicht

mit dem

thörichten

Reichen

Darum

im Gleichniß

(Luc. 12, 19) : „Liebe Seele, du hast einen großen Vorrath auf

viele Jahre;

habe

nun Ruhe, iß und trink und habe guten

Muth!", damit es euch nicht ergehe wie denen, die sich Schätze sammeln und sind nicht reich in Gott, und unerwartet auch zu

euch Gott spreche :

„Du Narr,

diese Nacht wird man deine

Seele von dir fordern : und weß wird es sehn, das du bereitet hast?" — Und sollte die Mahnung, doch einmal dem Tode ernst und fest in'S Auge zu sehen, nicht auch bei dir wohl angebracht sehn,

deren Gedanken

fteilich

am fernesten sind von Grab und Tod,

bei dir, du ftöhliche Jugend!

Ist denn kein Grab da auS dem

letzten Jahre noch, an das man das Mädchen hinführen könnte und sprechen : „Siehe, so bald sind die Rosen verwelkt!"

da­

mit etwas mehr Gehalt komme in das nichtige Treiben und ein

wenig Besinnung in das tolle Jagen von Genuß zu Genuß die­ ser chörichten Jungfrauen, die um Alles eher sich kümmern, als

um das Oel auf den Lampen, das ihnen einst den Eingang sichern soll zum himmlischen Hochzeitsfeste?

Und wie oft mahnt euch

nicht, ihr lieben jungen Freunde, der düstere Fackelschein und der

schaurige Ton des Trauermarsches daran, daß wieder einer von

eueren Brüdern geschieden ist. Wem bürgt denn daS Gefühl der 14*

Kraft und Gesundheit dafür, daß nicht an seinen Leben-faden die Scheere bereit- gelegt ist?

Sehe sich doch keiner um" nach

dem oder jenem seiner Freunde, auf den das vielleicht paffen

möge, sondern wende e- ein jeder auf sich selbst an und seh jeder­ zeit gerüstet, vor den Richter zu treten, vor deffen Stuhl er in ein paar Stunden stehen kann.

Oder soll ich euch vor die Seele

rufen da- theuere Haupt euerer greisen Eltern? Wie oft kommt e- nicht dem akademischen Lehrer vor, daß er den Platz auch

eine- solchen leer findet, von dem er weiß, daß ihn nicht Leicht­

sinn abhält von der Erfüllung seiner Pflicht.

man sich dann und erfährt:

Und da erkundigt

„Sein Vater ist gestorben, oder

seine Mutter ist sehr krank, und da ist er nach Hause gereist,"

und wenn er wieder kommt, so erzählt er uns, wie die Hoffnung, den Sohn noch einmal zu sehen, den schwach glimmenden Docht de- Lebenslichte- vor dem Erlöschen noch lange bewahrt habe, sie seh aber doch schon todt gewesen bet seiner Ankunft.

ich euch da noch predigen?

stärker, denn alle Predigt?

Wa- soll

Sprechen nicht solche Thaffachen O, schaffet doch ja, daß nicht die

Sorge um euch die grauen Haare euerer Eltern mit Herzeleid

in die Grube bringe! — Siehe, liebe christliche Gemeinde, so ist

bei näherer Betrachtung au- dem finsteren Feinde ein ernst mah­ nender Freund geworden, nicht um die Freuden de- Erdenlebens

euch zu rauben, wohl aber um ihnen den Ernst de- himmlischen

Sinne- beizugeben, der nicht am Zeitlichen hängt, sondern im ewigen Gott seine dauernde Ruhe und Freude findet.

Aber ein

sehr ernster Prediger ist der Tod, da- ist freilich wahr I Sehet nur weiter hinein in unseren Text, wa- hat er da nicht für

Bande zerriffen, für Stützen niedergestürzt! —

Der Todte, den

sie hinau-trugen, war, wie unser Text un- weiter sagt, „ein einiger Sohn seiner Mutter, und sie war eine Wittwe." — Der-

gessen wir zunächst, daß er ein einziger Sohn war, und die Mut­ ter eine Wittwe, und laßt uns vorerst nur de- starken Bande-

überhaupt gedenken, da» die Mutter an ihren Sohn knüpft. „Kann auch ein Weib seine- Kindleins vergessen?" so spricht

unser Herr, wenn er ein Beispiel der stärksten,

innigsten Liebe

gebe» will.

Vs sey ferne, das Gefühl zu unterschätzen, das ein

Baterherz gegen den Sohn empfindet; aber das müssen wir doch bekennen, wir, die man das starke Geschlecht nennt: zu einer so

geduldigen, ausharrenden, aufopfernden Liebe, wie eine Mutter

sie bethätiget, dazu sind wir Starken zu schwach!

WaS

mag

die Mutter in unserem Evangelium bange Nächte durchwacht

haben, bald hoffend bald zagend, am Schmerzenslager des Sohneund nun tragen sie ihn ihr doch hinaus in die kalte Gruft, und mit ihm ein Stück von ihrem eigenen Herzen! —

einzigen Sohn!

Und ihren

Es ist wahr, es ist gar hart, ein Glied zu

verlieren aus einer wohlgefügten Kette!

Und wenn die anderen

heranwachsen, immer sie vergleichen zu müssen mit dem Heim­ gegangenen ,

das ist

lastender Druck.

ein fortwährend schwer auf dem Herzen

Aber es ist, als ob dann das Band der Liebe

die übriggebliebenen, die ja alle von dem Verluste mit getroffen sind,

um so inniger umschlinge, um

ihnen einen

Ersatz zu

geben! Wo dagegen die Mutter vom Grabe deS einzigen Kindeheimkehret, da ist's furchtbar leer in dem Hause, und wäre e-

übervoll von allen Gütern der Erde; da gehört der Schatz eine­ starken Glaubens im Herzen dazu,

wenn eS nicht zusammen­

brechen soll unter dem Drucke dieser Leere!

Ein Glück, wenn

ihr das Haupt der Familie dann als treue Stütze noch zur Seite steht; die unglückliche Mutter im Texte aber war eine Wittwe!

Schon

einmal war sie auf das Schwerste heimgesucht worden

durch den Verlust ihres Mannes.

Sohn, der ihr geblieben.

Ihr Trost war der einzige

Wie mag

ihr Herz in Mutterstolz

sich gehoben haben, als sie ihn zum Jünglinge heranreifen sah,

hoffend, daß er die Stütze ihres Alters werden sollte. riß dieser eine kalte Griff des Todes das

Hoffnungen.

Da zer­

ganze Gewebe ihrer

Ja, geliebte Freunde, das war ein harter Fall!

Und mancher, der von dem Härtesten sich getroffen meint, mag schon darin einen Trost finden,

daß er sich vergleicht mit der

Wittwe in unserem Texte, und die Klage mag sich dann in Dank verwandeln dafür, daß Gott doch ihn so reich gesegnet hat mit

mancherlei Gnaden

und in das Gefühl herzlichsten Mitleidenö

214 gegen die arme verlassene Frau!

nigstens ihre Mitbürger.

Dies Gefühl empfanden we­

Unser Text erzählt uns, es sey viel

Volks aus der Stadt mit ihr gegangen.

Das ist eine gar löb­

liche Theilnahme, die auch der armen Wittwe recht wohl gethan haben mag; aber helfen freilich konnte sie ihr nicht, dazu mußte ein anderer kommen.

So weit der erste Theil meiner Predigt,

in dem ich die finstere Macht des Todes euch schildern wollte.

II.

Wir sind an der Hand unseres Textes in das Dunkel der

Grüfte hinabgestiegen. Wir folgen ihm jetzt um so freudiger zu den sonnigen Höhen, auf welchen der Todesüberwinder die Sieges­

fahne schwingt.

Denn,

wie der Herr dem Tode seine

Macht genommen, davon zu handeln, gibt unser Text in seinem zweiten Theil Anlaß und Anleitung. —

„Wo die Noth

am größten ist, da ist Gottes Hülfe am nächsten!" das schöne

alte Wort findet in unserem Texte seine Bestätigung : da die

Wogen der Noth der schwerbetroffenen Wittwe eben über dem Haupte zusammenschlagen wollten, da hat der, der hier allein

helfen kann, die rettende Hand schon nach ihr ausgestreckt.

Der

Herr sah sie in ihrer Noth, und „da er sie sahe, sagt uns

unser Text, da jammerte ihn derselbigen!"

Das ist ein großes

Wort, geliebte Freunde, daß der Herr nicht blos die Macht hat,

unsere Noth zu entfernen und das Auge sie zu sehen, sondern auch ein Herz, sie mitzufühlen und darum den Willen, uns zu

erretten.

Das ist ja der Triumph unseres christlichen Glaubens,

daß wir von Gott nicht blos wissen als einen ferne über den

Sternen thronenden gestrengen Gesetzgeber und Richter und Kö­ nig, sondern daß er in dem eingeborenen Sohne vom Vater uns Menschen menschlich nahe getreten ist, und an dem menschlichen

Elende so innigen Antheil nahm, daß er, um uns davon zu er­ lösen, selbst allen menschlichen Leiden bis zum bittersten Tode sich unterzogen hat.

Er läßt es auch hier nicht bei müßigem

Mitgefühle mit dem Unglück der Wittwe bewenden, sondern er

spricht au», wa» sein Herz beweget, im tröstenden Worte und

sprach zu ihr : „Weine nicht!"

denken,

Ach, mochte die arme Frau

wie viele haben mir da» schon gesagt;

aber da» Herz

müßte ja von Stein sehn, dessen Schmerz nicht in Thränen sich ergösse beim Verluste de» Einzigen!

Aber da» „Weine nicht!"

des Herrn ist ein andere», al» da» menschlicher Tröster : füget zum tröstenden Worte die helfende That!

er

Denn siehe,

wie unser Text un» weiter erzählt, er „trat hinzu und rührete den Sarg an und die Träger standen!"

Sie standen, gebannt

von dem überwältigenden Eindruck der Herrlichkeit de» eingeborenen Sohnes vom Vater, die ihnen aus der ganzen Erscheinung Er aber sprach aus der Machtvollkom­

Jesu entgegenstrahlte.

menheit dessen, der alle Dinge trägt mit seinem kräftigen Worte:

„Jüngling, ich sage dir, stehe auf!" — Und der Todte richtete sich auf und fing an zu reden, und er gab ihn seiner Mutter.

Ist

das

nicht eine in ihrer Einfachheit wunderbar

ergreifende Schilderung?

Auch scheue ich mich, diesen Worten

des Textes irgend etwas zur Erläuterung hinzuzusetzen, sondern euch selbst sey es überlassen, euch die Scene recht lebendig auSzumalen und was nun vorgegangen sehn mag in dem Herzen der Mutter, die so auf einmal aus der dunkelsten Tiefe deS Jammers sich emporgehoben sah auf den Gipfel der seligsten Freude, in

dem Herzen des dem Leben wieder gegebenen Sohnes, in den

Herzen der erstaunt und gerührt herumstehenden Freunde,

und

in dem Herzen deS Herrn selbst! — Sehet, geliebte Christen, so

nimmt der Herr dem Tode seine Macht!

Herr dem Tode seine

Frage

zurückkäme,

meine Worte.

Macht?"

wie

ein

„So nimmt der

ES ist mir, als ob diese

bitter

höhnendes

Echo

auf

„So hat der Herr sonst dem Tode seine Macht

genommen, so solltest du sagen, du Prediger mit deinem eitelen

Trost; in unseren Tagen aber geschehen keine Wunder mehr, da gibt er keinen Gestorbenen dem Leben zurück!"

WaS haben wir

zur Antwort auf solche Reden aus schmerzzerrissenen Herzen? Haben sie nicht ihre bittere Wahrheit, und äst eS nicht zu begrei­

fen, wenn jetzt eine Mutter, wie ich es selbst einmal gehört habe,

216 am Sterbebette des Sohne» in dm Ruf der Verzweiflung aus­

bricht :

„Läßt einem denn der liebe Gott so im Stich!?" —

Nein, du schmerzzerrissene Mutter, der liebe Gott läßt dich nicht

im Sttch; auch glaubst du e» selbst nicht, daß er dich im Stiche läßt, und bezeugest diesen Glauben, indem du diesen Gott, dessen

Hand jetzt schwer auf dir liegt, doch deinen lieben Gott nennst.

Gestehest du doch damit selbst, daß die bittere Noth des Lebens dich

von der Liebe des Vaters im Himmel nicht zu scheiden

vermochte. — Als unser Heiland am Kreuze hing, und bei dem Kreuze standen seine Mutter und der Jünger, den der Herr lieb

hatte, da sprach er zu seiner Mutter die tröstenden Worte: „Weib,

siehe, das ist dein Sohn!"

Umgekehrt könnte unser

himmlischer Vater auf den Gekreuzigten

zeigen

imb

zu jeder

weinenden Mutter, zu jedem Menschen, dem Leid das Herz zer­ reißt und sein Vertrauen auf die ewige Daterliebe Gottes wan­ kend macht, könnte er sprechen :

das

ist mein

habe!"

„Siehe, das ist mein Sohn,

Sohn, den ich für euch in den Tod gegeben

WaS hat den allmächtigen Gott getrieben, daß er so

Großes gethan hat an dem sündigen Menschen? Laßt mich ant­ worten mit einem Verse

aus einem schönen Adventöliede von

Paul Gerhard : Nichts, nichts hat dich getrieben zu mir vom Himmelszelt, Als das geliebte Lieben, daniit du alle Welt In ihren tausend Plagen und großen Zammrrlaft, Die kein Mund aus kann sagen, so fest umfangen hast!

Und darauf hin seh

zu allen Mühseligen und Beladenen

mit den Worten des frommen Sängers weiter gesprochen :

Da» schreib dir in drin Herze, du herzbrtrübteS Heer, Bei denen Gram und Schmerze sich häuft it mehr und mehr; Seyd unverzagt, ihr habet die Hülfe vor der Thür : Der eure Herzen labet und tröstet, steht allhier! Ja, Geliebte, schreibt es nur recht tief in euere Herzen,

was der Apostel sagt (Röm. 8, 32) :

„Welcher auch seines eige-

neu Sohnes nicht verschonet, sondern hat ihn für uns alle dahin gegeben," und ihr werdet auch mit ihm fortfahren können: „Wie

sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?" und einstimmen in

seine weiteren Fragen: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns seyn?" und „Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes?" Der Tod gewiß am allerwenigsten!

Im alten Testamente da

konnte noch ein Frommer sprechen (Pred. 3, 20—22) :

„Es

führet Alles an Einen Ort; es ist Alles von Staub gemacht, und wird wieder zu Staub. —

Darum sahe ich, daß nichts besser

ist, denn daß ein Mensch fröhlich sey in seiner Arbeit, denn das ist sein Theil.

Denn wer will ihn dahin bringen, daß er sehe,

was nach ihm geschehen wird?"

Der Christ aber ist dahin ge­

bracht, daß er weiß, was mit ihm geschehen wird nach seinem Tode, er ist es durch den, der da spricht (Joh. 11, 25) : „Ich

bin die Auferstehung und das Leben. wird leben, ob er gleich stürbe!"

Wer an mich glaubet, der

Wenn wir an ihn im Glau­

ben uns anschließen, so haben wir auch Antheil an dem Segen seines hohenpriesterlichen Gebetes, in welchem er spricht (Joh. 17,24):

„Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seyen, die

du mir gegeben hast!" zertrennlich verbunden.

wir bleiben in seiner Gemeinschaft un­ Gott hat uns zuerst geliebt, da wir noch

Sünder waren, er hat in der Sendung seines Sohnes die ganze Fülle seiner unverdienten Vaterliebe über uns ausgegossen. Daß

doch ein jedes Herz in liebevoller Hingebung dem Herrn sich zu

eigen gäbe, der so Großes an uns gethan! Die Seele, der das gelungen ist, die verstehet das große Wort des Jüngers, der an der Brust Jesu gelegen (1 Joh. 4, 16) :

„Wer in der Liebe

bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm!"

Er ist in diesem

Leibe schon in Gemeinschaft eingetreten mit dem ewigen Gott, und in diesem Erdenleben schon ist sein Wandel im Himmel. Was wäre für ihn der Tod? Das Ende des Lebens?— Ottern!

nur die Vollendung des göttlichen Lebens, in welchem heimisch

zu werden er vor dem Tode schon begonnen hat.

Oder, wie

Luther über unseren Text schön gepredigt hat: „Wenn der

Tod hier wäre, und ich könnte nun nicht mehr leben, so muß

ich wissen zu sagen : Dennoch lebe ich, und will leben! Denn wer den Glauben hat, dem ist das Leben wie das Meer groß,

und der Tod wie ein Fünklein Feuers, das da mitten im Meere ist, welches da verlöschet in eineyi Augenblick!" — So hat der

Tod für den Christen seinen Stachel verloren, der Christ weiß,

daß der Herr der Todesüberwinder ist, auch wenn er nicht mehr leibhaftig zu den Särgen tritt und unsere Todten diesem Er­

denleben auf eine kurze Zeit wieder gibt, die doch auch nur ein bald verlöschendes Fünllein wäre im Meere der Ewigkeit; und

wenn ich nun noch einmal sage : So hat der Herr dem Tode seine Macht genommen, nicht ein oder das andere Mal nur,

sondern ein für allemal, so nimmt er sie ihm fortwährend! —

gebe Gott, daß dann in den Herzen der Gemeinde ein freudiges: „Ja und Amen!" antworte.

III.

Ich komme zum dritten Theile unseres Textes, der uns be­

lehret über den Eindruck, den es auf uns machen soll, daß wir Christum

als

den kennen

gelernt

der dem Tode die Macht genommen.

haben,

Gehen wir wie­

der von der uns vorliegendeu Erzählung aus, so sagt sie uns nichts über die Beiden, welche von der Wunderkrast des Herrn gerade den stärksten Eindruck müssen empfangen haben, über die Mutter und über den Sohn.

Der Text begnügt sich mit den

einfachen, aber inhaltreichen Worten: „und er gab ihn seiner

Mutter."

In der seligen Freude, sich gegenseitig wiedergegeben

zu seyn, gieng den Beiden für's Erste jede andere Regung unter. Als sich aber der erste Sturm des Gefühles gelegt hatte,

wie

muß da die Mutter von Dankbarkeit durchdrungen gewesen sehn gegen die wundervolle Gnade Gottes, und der dem Leben wieder­

gegebene Jüngling, wie muß er von dem Bestreben ganz erfüllt gewesen seyn, dies neue Leben nun auch ganz und gar dem zu

weihen, welchem er es verdankte! Und das sey denn auch unsere

Gesinnung, geliebte Freunde!

Der Herr hat sein theueres Leben

in den Tod dahin gegeben, um uns vom ewigen Tode zum Leben zu erwecken : mögen wir denn auch, was wir leben, dem Herrn leben!

Von den anderen Zeugen des erschütternden Ereignisses

spricht unser Text, und zwar sagt er uns zuerst, eS sey sie alle

eine große Furcht angekommen. DaS war keine knechtische Furcht,

al« ob ihnen vielleicht hier irgend ein Leid geschehen könne; son­ dern es war jener heilige Schauer, der auch uns überall da er­ greift, wo wir dem Heiligen nahen, und nun mit Schrecken des Abstandes

unserer Siinde

und Unwürdigkeit

gewahr

werden.

Möchte auch uns das bange Gefühl unserer Schwäche und Un­

würdigkeit nicht verlassen, damit wir unS auch allezeit getrieben fühlen, bei dem Herrn die Hülfe zu suchen, die bei ihm allein zu finden ist.

Wenn von seiner Hoheit uns zuerst bangte,

so

werden wir dann auch seine herablassende Liebe kennen und prei­

sen lernen, wie auch bei den Zeugen der Erweckung des Jüng­ lings von Rain ihr Erschrecken sich auflös'te in den Preis Got­

tes ; denn, wie unser Text sagt: „Sie priesen Gott und sprachen:

Es ist ein großer Prophet unter unS aufgestanden, und Gott hat sein Volk heimgesucht." — Schließlich aber heißt eS : „Und

diese Rede von ihm erscholl in das ganze jüdische Land und in alle umliegenden Länder."

Sie behielten also nicht bei sich, was

sie gesehen und gehöret hatten,

Wunderkraft deS Herrn.

spiel.

sondern verkündigten laut die

Und auch darin seyen sie unS ein Bei­

Wohl ist durch den heiligen Eifer der ersten Zeugen daS

Evangelium bald weit über die Erde verbreitet worden.

Aber

zu unserer Beschämung sey es gesagt, es ist mitten in der Christen­ heit gar wenig lebendiges Christenthum.

Die Kirche, die der

Apostel den Leib unseres Herrn nennt, sie ist ein schwer erkrank­

ter Leib, mit vielen abgestorbenen Gliedern.

Da herrscht vielfach

eine GlaubenSlosigkeit, und darum auch eine innere Leerheit und eine Nichtigkeit in unserem äußeren Treiben, eine Trostlosigkeit

im Leiden und eine Hoffnungslosigkeit, wenn dann endlich da«

Stündlein schlägt, als ob niemals ein Heiland erschienen wäre. Wohl ist eS jetzt Zeit zu beten, daß der Geist der ersten Zeu-

220

gen wieder aufwachen möge!

Möge denn ein jeder,

dem in

schwerer Zeit, da alle anderen Stützen wankten, der Herr ein

Helfer geworden ist, dm Mühseligen und Beladenen, die verge­

bene nach Trost suchen, den rechten Tröster verkündigen.

Möge

ein jeder, dessen Glaube in der Feuerprobe des Leiden- gestählt

worden ist, laut davon zeugen, damit die Spötter verstummen und die Wankenden gestärkt werden.

Möge ein jeder, an dessen

erstorbenem Herzen der Herr als ein

Todtenerwecker sich er­

wiesen hat, mit seinem neuen frischen Leben anderen ein Er-

wecker werden, damit unser Glaube sich immermehr als der Sieg

bewähre, der die Welt überwindet und aus dem Tode immer mehr neues Leben erstehe.

„Aus dem Tode neues Leben!"

Das ist ganz besonders ein

Wahlspruch für euch, oder vielmehr für uns, die heutigen Eom-

municanten; und zwar ist er's in einem doppelten Sinne. Zuerst in diesem.

des Todes

Wir haben uns hier versammelt zur Gedächtnißfeier

unseres Herrn und Heilandes.

Diesen Tod aber

feiern wir so hoch, weil aus ihm neues Leben uns erwachsen ist. Er hat in ihm seinen Leib dahingegeben, damit er uns zum Le­ bensbrode werde, daö uns nähret zum ewigen Leben, und er hat

sein Blut vergossen,

daß es uns werde zu einem Trank, der

nimmer dürsten läßt. „Aus dem Tode neues Leben!" so sprechen wir aber zweitens in dem Sinne, daß wir empfinden, wie gar

viel an unserem Sinnen und Wollen und Thun todt ist, und darum kommen wir zum Tische des Herrn, damit er sein gött­

liches Leben uns mittheile und dadurch aus dem Todten in uns neues Leben erwecke.

Und denen dann dies neue Leben zu Theil

geworden ist, die mögen auch Gott preisen und laut verkünden die Gnade und Kraft des Herrn, der die Todten erwecket! doch eine solche Verkündigung gar nöthig.

Ist

Was sollte ich mich

scheuen, eS hier auszusprechen, was jeder von euch bestätigen

muß: wie an vielen anderen Orten, so herrscht auch hier bei weitem nicht die Achtung vor dem Sacramente und die Theil­

nahme an ihm, welche in einer recht gesunden und lebendigen christlichen Gemeinde herrschen müßte.

Wie viele mögen wohl

in dieser Versammlung seyn, die seit ihrer Konfirmation eS nicht

mehr empfangen haben! Woher das kommt, darüber ließe sich viel sagen, soll aber jetzt nicht versucht werben; das aber sey ausge­

sprochen : Wenn sie wüßten, welche Stärkung derjenige, der mit rechtem Sinne dem Tische des Herrn nahet, mit hinauSnimmt

in das Leben, sie würden unsere Versammlungen nicht so ver­ lassen, und die Einladung zum Abendmahle des Herrn würde nicht

so

an ihnen vorübergehen.

Möge den heutigen Communicanten

der Segen des heiligen Mahles recht reichlich zu Theil werden,

und von Jahr zu Jahr, von Woche zu Woche die Zahl der Gäste am Tische des TodeSüberwinderS sich mehren!

Amen.

XVI.

Der Messt unter der Herrschaft Christi verglichen mit dem Dienste unter der Herrschaft der Saude. Predigt am 7. Sonntage nach Trinitatis.

$rH : Röm. 6, 19-23.

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes des BaterS und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sey mit

unö Allen!

Amen.

Wenn ihr jetzt hinaustretet in'S Freie, geliebte Freunde, so

bieten eueren Blicken

von allen Seiten sich dar mannigfache

Früchte, die dem Tage der Einsammlnng zureifen, reiche Saaten, die der Erndte entgegenwogen.

Noch

sind sie nicht reif zur

Erndte, noch kann der Sturm des Herrn manch schöne Hoff­

nung

zerschlagen

und seine Güte manch unscheinbaren siechen

293 Keim sich entfalten lassen zu reicher Frucht. Und da blicket denn ein jeder —um so inniger, je näher es ihn gerade berührt, aber

bleibt doch ganz unbewegt — da blicket ein jeder zum

keiner

Herrn der Welt empor mit dem stummen Gebete : WaS kräftig stehet, darüber halte du, himmlischer Vater, deine schirmende Hand, damit kein Unwetter ihm schade; und was verkümmern

will, dem sende du deinen Thau und Regen und deinen erfrischen-

den Sonnenstrahl, damit eS gesunde! —

Und nun haben wir

uns aus der weiten Natur zusammengefunden im Hause unseres Gottes.

Und wenn ihr nun hier um euch blicket, sehet, Geliebte,

so ist eS nicht anders, als dort.

Auch hier sehet ihr eine Saat,

die des großen Tages der Garben harret und die der Gegenstand

viel größerer Sorgen und viel größerer Hoffnungen ist, als jene. Muß da nicht auch zum Himmel emporsteigen das Gebet um

Schutz, um so inniger, da ein jeder von uns selbst eine Aehre ist in dieser Saat, und weiß,

daß die Sichel jederzeit an die

Halme gelegt ist, aber nicht, wann unser Herr die Saat für

reif erachtet zur Erndte.

Muß da nicht ein jeder an sich selbst

die erste Frage richten : Werd' ich an dem Tage, da der Herr

die Spreu vom Waizen scheidet, für werth erachtet werden, in seine Wohnungen einzugehen, oder werd' ich, als zu leicht erfun­

den, mit dem Unkraut den Weg in's ewige Feuer wandern müs­

sen ?

Weg,

Zur seligen Gemeinschaft mit dem Vater aber führt kein

als der durch den lebendigen Glauben an den Sohn.

Darum ist mit jener ersten Frage die andere gleichbedeutend : Bin ich ein treuer Diener Jesu Christi, oder halte ich das Joch

der Sünde noch für leichter, als das seine?

Bin ich ein gesun­

der Rebe am himmlischen Weinstock, oder muß noch stärker von innen treiben die Kraft des Glaubens, noch wärmer von außen

scheinen die Sonne der Gnade, noch strenger das Messer der Buße unfruchtbare und schädliche Auswüchse wegschneiden?

Wie

zu diesen Fragen ernster Selbstprüfung die Zeit, in welcher wir leben, auffordert; so bietet zu ihrer Beantwortung unser heuti­

ger apostolischer Text im 6. Capitel des Briefes Pauli an die Römer vom 19. —23. Verse

den sichersten Maßstab.

«4

„16. Ich muß menschlich davon rede«, «m der Schwachheit Wille« eueres Fleisches. Gleichwie ihr euere Glieder begebe« habt zum Dienste der Unreinigkeit, und von einer Ungerech» tigkeit zu der andere«: also begebet an« auch euere Glieder zum Dienste der Gerechtigkeit, daß sie heilig werde«. 20. Denn da ihr der Sünde Knechte wäret, da wäret ihr frei von der Gerechtigkeit. 21. WaS hattet ihr nun zu der Zeit für Frucht? Welcher ihr euch jetzt schämet; denn daS Ende derselbigen ist der Tod. 22. Nun ihr aber seyd von der Sünde frei, und GotteS Knechte geworden, habt ihr euer« Frucht, daß ihr heilig «erdet, daS Ende aber das ewige Lebe«. 23. Denn der Tod ist der Sünden Sold; aber die Gabe Gottes ist das ewige Lebe», in Christo Jesu, unserem Herrn."

Ihr sehet, Geliebte in dem Herrn, der Apostel stellt in die­ sen Worten daS Leben der Sünde und da- Leben in Christo nach verschiedenen Beziehungen einander streng gegenüber und zeigt unS deutlich, was dem einen angehört und was dem ande­ ren. Laßt unS darum nach seiner Anleitung eine Vergleichung anstellen zwischen dem Dienste unter der Herrschaft Christi und unserem Dienste unter der Herrschaft der Sünde.

I. Zuerst haben wir den Dienst unter der Herrschaft Christi mit unserem Sündendienste zu vergleichen in Rücksicht auf den Diensteifer, welchen wir beidenHerren erweise».— Wohl selten erscheint bei einem von uns die Zeit des Unglaubens von der Zeit deS Glaubens so scharf geschieden, als dies der Fall war bei den Christen zu Rom, an welche die Worte unseres Textes gerichtet sind, und überhaupt bei den Christen der ersten Zeit. Damals schien das Christenthum als ein ganz neues, bis-

her kaum geahntes Licht herein in eine Welt, welche Finsterniß

und Schatten des Todes bedeckten, das Wort vom Heile war ein früher unerhörtes, und jedem Gläubigen war der Augenblick,

da er mit ganzer Seele das Grundbekenntniß unseres Glaubens

aussprach : „Ich glaube, daß Jesus ist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!" der Anfang eines innerlich und äußerlich vollkommenen neuen Lebens.

Wir dagegen sind durch die heilige

Taufe in die christliche Heilsanstalt ausgenommen worden zu einer Zeit,

an welche unsere Erinnerung nicht reicht, wir sind groß

geworden inmitten seiner Segnungen, und Christi Lehre wurde

unS mitgetheilt, bevor die eigene Erfahrung von unserer Hülslosigkeit in unS das Bedürfniß und die Sehnsucht nach höherer

Erleuchtung erwachen ließ.

Wönn daher in unserem Leben die

Zeit der Sünde und die Zeit des Glaubens sich nicht so strenge

gegeneinanderüberstehen, unseres Glaubens

eher

wie Tag und Nacht, und das Leben

erscheint

als ein allmählich

innigeres

Anschließen an den Herrn, denn als ein plötzlicher Uebergang;

so wissen wir doch auch, daß dadurch allein, daß wir äußerlich in der Gemeinschaft der christlichen Kirche stehen, wir des Heiles noch nicht theilhaftig sind; dadurch, daß der Herr so viel für unS

gethan hat, sind wir nicht berechtigt, ganz müssig zu seyn;

die

rettende Hand ist auSgestreckt, aber wir müssen sie ergreifen. Das weiß jeder von unS, liebe Christen, auch der, welcher daS Kleinod seines Glaubens von frühester Jugend auf bewahrt

und gepflegt sah in frommer Umgebung, daß 'die Macht der

Sünde noch nicht in ihm vernichtet ist, daß sie noch in ihm fort­

wirket und bald mit dem Reize der Lust ihn treibet zu dem, was mißfällig ist vor dem Herrn, bald mit der Last der Trägheit ihn

niederzieht zur Erde und ihn hindert, dem Zuge deS göttlichen Geistes in seinem Herzen zu folgen.

heiligen

Wenn wir darum neben

Stunden herzlicher Freude und innigen

Friedens im

Herrn, in welchen wir unS unserem Heilande nahe fühlen und durch den Glauben mit seinem Geiste vereinigt, auch Augenblicke

kennen, in welchen die finstere Gewalt die Oberhand über unS erhält, Baur.

und der heilige Geist von unS zu weichen scheint, und Predigten. 15

226 wir uns arm und kalt fühlen und gottverlassen : so ist ja wohl in diesem Gewoge des Zweifels natürlich, daß wir uns umsehen

nach einem Zeichen, woran wir deutlich erkennen mögen, ob wir

das sind, was wir gerne sehn möchten, wahre, eifrige Diener unseres Herrn.

Zwar hat uns der Heiland gesagt,

daß die

Liebe das Zeichen sehn soll, woran er seine Jünger erkennen

wolle; und der Apostel lehret unS, daß Niemand selig werden könne, denn durch den Glauben.

Aber mit diesen hohen und

bedeutsamen Klängen, „Glauben" und „Liebe" ist

eS eben wie

mit allen Worten, die sich bemühen, von den höchsten Angelegen­

heiten deS Geistes zu reden.

Sie sind nur dem recht verständ­

lich, der die scligmachende Kraft deS Glaubens schon an sich selbst erfahren hat, dem

Herzen brennt.

die Flamme

der göttlichen Liebe schon im

Per aber, welcher noch außen steht, und der,

welcher von bangen Zweifeln gequält ist, ob denn sein Glauben der rechte und seine Liebe die wahre sey, der will ein deutlicheres

Kennzeichen, welches die Sache seinem Verstände näher bringt. Und

dieser

Forderung der menschlichen Schwäche kommt der

Apostel, der es versteht, Allen Alles zu sehn, in unserem Texte freundlich entgegen : „Ich muß menschlich davon reden,

sagt er, um der Schwachheit willen eures Fleisches" und nimmt die Kennzeichen der wahren Diener Jesu aus einem

Gebiete her, das uns, ach! nur zuwohl bekannt ist : mit dem Zustande unserer Seele zu der Zeit, da wir uns in den Dienst der Sünde begeben, vergleicht er das Verhältniß des treuen Dieners

Christi zu seinem Herrn : „Gleichwie ihr eure Glieder be­ geben habt zum Dienste der Unreinigkeit, fährt er

fort,

so begebet nun auch eure Glieder zum Dienste

der Gerechtigkeit, daß sie heilig werden.« DensellenEifer also, den ihr im Dienste der Sünde beweiset, den sollt ihr auch

beweise« int Dienste Christi. — Und das wäre Alles? manchen fragen.

der Herr

hcre ich

Keine größere Pflicht fordert von seinen Dienern

der Herrn ?

Der, welcher sich ganz für uns dahiit

gegeben, und den bitteren Kreuzestod nicht gescheut hat, damit

er uns das ewige Leben erwerbe, er fordert dafür keinen zröße-

ren Diensteifer von uns, als den,

welchen wir im Dienste der

Sünde bewiesen haben, und welcher mit dem ewigen Tode lohnt? Und doch muß ich zweifeln, ob wir alle als treue Diener imseres Herrn erfunden werden, wenn wir mit diesem Maßstabe

Laßt uns den Sinn des apostolischen Wortes auf­

unS messen.

merksam mit einander

betrachten! — Wenn ihr in eine Sünde

willigtet, wenn die Stimme der Lust euch verführte zu dem, was ungöttlich ist,

oder

eure Trägheit euch abhielt von dem,

was

Gottes Wort gebeut; nicht wahr, so fühltet ihr sogleich einen

Zug eures ganzen Wesens dahin, rief.

wohin die lockende Stimme

Zwar tönte auch warnend das göttliche Gebot; aber, wie

der Apostel sagt : „da ihr der Sünde Knechte wäret, da wäret ihr frei von der Gerechtigkeit" : ihr hattet euch

frei gemacht vom göttlichen Gesetze, es berührte euch nicht weiter, es drang nur von außen an euch wie ein leerer Schall, der keinen Ein­ druck machte auf euer Wesen und in Widerspruch stand mit ihm; denn es war ganz und gar hingegeben dem Dienst der Sünde.

Und wenn ihr nun der Sünde folgtet, so geschah dies nicht mit Zwang, etwa blos weil ein äußeres strenges Gebot euch dazu

aufforderte, dein euer inneres Wesen widerstrebte; nein, ihr folg­ tet der Sünde gerne, auS keinem anderen Grunde, als weil die

böse Lust eures Herzens euch von selbst zu ihr hinzog. — Und

wie ihr eure Glieder begeben habt zum Dienste der Unreinigkeit, so sollt ihr sie nun auch begeben zum Dienste der Gerechtigkeit.

Wenn die Stimme des Herrn ertönt, so soll eö euch auch gleich

von ganzem Herzen treiben, ihm zu folgen.

bei euch?

Ist das wirklich so

Wie ihr als Knechte der Sünde frei wäret von der

Gerechtigkeit, so, fordert der Apostel, sollt ihr als Knechte Got­ tes frei seyn von der Sünde.

Die Versuchung soll nur äußer­

lich an euch herantreten, wie der Versucher zum Heiland in der Wüste; aber ihr sollt euch frei erhalten von ihr,

es soll nichts

in euch seyn, woran sie euch fassen könnte, sie soll gar keinen Eindruck mehr machen auf euch.

Sind eure Herzen wirklich so

fest, daß ihr in der Stunde der Anfechtung so schnell und so

entschieden, wie der Herr, sprechen könnt : „Hebe dich 15*

weg,

228

Satan!"

Auch der Stimme des Herrn sollt ihr folgen ohne

allen Zwang;

sein Gebot soll euch kein äußeres Gesetz mehr

seyn, ihr sollt es gerne erfüllen, weil ihr im innersten Grunde eures Herzens eure Lust daran habt.

Ist euer Gehorsam ge­

gen das Wort Gottes immer so leicht und so freudig?

Wider­

strebt so gar nichts in euch der mahnenden Stimme?

Sobald

wir uns von dem Dienste der Sünde losgesagt und dem Dienste Jesu Christi uns zugewandt haben, so haben wir freilich unseren

Herrn und den Gegenstand unserer Thätigkeit völlig gewechselt; aber der alte Diensteifer muß bleiben.

Wie der Unbekehrte die

hohen Gaben seines Geistes nur betrachtete als Mittel zur Er­

werbung vergänglicher Güter und zu sinnlichem Genuß, so eifrig soll der Bekehrte alle irdischen Güter nur benutzen zu Erreichung

und Förderung geistiger Zwecke; wie der Unbekehrte eigennützig

glaubte, daß er der Mittelpunkt der Welt sey und alle Dinge nur da seyen zur Befriedigung seiner selbstsüchtigen Gelüste, so soll der Bekehrte seine Dienste dem Ganzen weihen; wie in dem

Unbekehrten die Sünde herrscht und die Stimme des göttlichen

Gesetzes nur hin und wieder von ihm vernommen wird und nur, um wirkungslos zu verhallen, so soll in dem Bekehrten Christus

die Oberhand haben, und die alte Sünde, wenn sie sich wieder reget in ihm, ihn auch wohl in unbewachten Augenblicken über­

rascht, doch sofort gefolgt seyn von tiefer schmerzlicher Reue und nie in ihm zu dauernder Herrschaft gelangen.

Folgen wir wirk­

lich so zwanglos und mit so ungetheiltem Wesen der Stimme

des Herrn, wie wir schon der Sünde folgten? — Die Prüfung dieser Frage hat ein jeder mit sich und seinem Gewissen abzu­

machen; aber ich zweifle nicht, die Antwort wird so ausfallen,

daß sie uns Allen ein Antrieb werden muß, immer mehr uns

loszumachen von der Herrschaft der Sünde und immer treuer uns zu ergeben dem Dienste des Herrn; uns nicht einschläfern

zu lassen, dadurch, daß wir äußerlich theilnehmen an den Seg­ nungen des Christenthums, sondern zu bedenken, daß auch an eine

christliche Gemeinde die ernste Mahnung des Apostels gerichtet

ist (Phil. 2, 12) : „Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern!"

n. Zu diesem guten Kampfe wird es uns ermuntern, wenn wir nach Anleitung unseres Textes weiter vergleichen die Früchte,

welche der Sündendienst bringt, mit der Frucht des Dienstes unter der Herrschaft Christi. — Die Früchte, welche unser Hingeben an die Herrschaft der Sünde hervorbringt,

sind keine anderen, als die einzelnen Sünden, unsere einzelnen gottlosen Handlungen.

Und was macht diese Früchte so schön

und so lieblich zu kosten?

WaS gibt ihnen einen so eigenthüm­

lichen Reiz, daß der Heiland klagen mußte, so viele zu sehen auf dem

breiten Sündenpfade und so wenige auf dem Wege, der

zum Leben führt?

Der Apostel deutet eS an in den Worten

unseres Textes : „Da ihr der Sünde Knechte wäret, da

wäret ihr frei von der Gerechtigkeit."

Diese Freiheit

von der Gerechtigkeit, daS Bewußtseyn, sich losgemacht zu haben

von dem göttlichen Gesetz, daS eben ist daS, was die Frucht der Sünde

angenehm

macht.

nahet und ihn auffordert,

Wenn dem Sünder

der Versucher

die Kräfte, die ihm Gottes Gnade

verliehen hat, zu gebrauchen zur Befriedigung sinnlichen Gelüstes und selbstsüchtiger Eitelkeit, so denkt er nicht, wie dort (Matth. 4,7) der Erlöser, an das Wort Gottes : „Du sollst Gott deinen Herrn

nicht versuchen!" sondern er gibt die Gaben, die er zur Ehre

seines Schöpfers gebrauchen sollte, willig hin in den Dienst der Sünde und macht seinen Leib, der bestimmt ist, ein Tempel Gottes zu sehn, zum Werkzeuge schnöder Lust.

Und wenn ihm

der Böse die Reiche der Welt anbietet und ihre Herrlichkeit, so

weist er ihn nicht zurück mit dem göttlichen Gebote : „Du sollst anbeten Gott deinen Herrn und ihm allein dienen!" sondern er fällt willig vor ihm nieder und glaubt um den Preis eines rei­

nen Herzens vergängliche Güter und Genüsse billig von ihm er-

lauft zu haben. So lebt er seinem titele« Gelüste, nicht mehr ge­

stört und beeinträchtigt von der ernst mahnenden Stimme des göttlichen Gebotes, und bei dieser Freiheit von der Gerechtigkeit

ist ihm in den Armen der Lust wohl und behaglich; er freut sich,

frei zu sehn, und rühmet sich wohl gar seiner Freiheit gegen die,

welche treulich am göttlichen Gesetze hängen, als sehen sie schwache, engherzige Knechtesseelen, die sich aus den Fesseln kindischer Bor­ urtheile nicht zu erheben vermögen zu den Höhen seiner Aufklä-

rung.

Und dabei fühlet der vermeintliche Freie nicht, wie er um

und um verstrickt ist in die schimpflichsten Bande.

Wahrlich, ge­

liebte Freunde, diese Freiheit ist nicht die Freiheit der Kinder

Gottes, welche nur die schmecken, die das sanfte Joch unseres Herrn auf sich genommen haben; das ist die zügellose Freiheit

des verlorenen Sohnes, der zu frühe der heilsamen Zucht des Vaters entlaufen ist!

Wahrlich, diese Frucht der Sünde ist eine

faule Frucht, welcher ihr euch schämen müßt,

wie der

Text sagt, sobald ihr bei einem Strahle höherer Einsicht erkennt, waö ihr denn eigentlich habt an ihr.

Wie der Wüstling in sei­

ner frechen, wilden Gesellschaft im tollen Rausche des Genusses

sich selbst vergißt; aber dann, wenn ein alter Bekannter ans

besserer Zeit vor ihn tritt, dessen Erscheinung die letzten Tropfen edleren Blutes ihm auf die Wangen treibt; so ist's mit dem Sünder, dem in das wüste, finstere Treiben vergänglicher Lust

der Gedanke hineinblitzt an seine Bestimmung für die Ewigkeit : er schämt sich der Früchte, die ihm der Sündendienst gebracht; das göttliche Ebenbild, das er geschändet hat, erröthet in ihm.

Und

wohl ihm, wenn er diesem heiligen Zuge folgt und mit dem

reuigen Bekenntniffe des verlorenen Sohnes (Luc. 15,

18) :

„Vater, ich habe gesündiget in dem Himmel und vor dir, ich bin fort nicht mehr werth, Dienste der

Christi.

daß ich dein Sohn heiße!" vom

Sünde sich hinwendet zum Dieuste

Gotte- und

Hier nur kann er da- Ziel erreichen, auf welches ihn

jene Mahnung seines besseren Theiles

hinwies und das der

Höchste ihm vorhält in dem Worte: „Ihr sollt heilig seyn, denn ich bin heilig!"

„Nun ihr, fährt unser Text fort, nun ihr seyd von

der Sünde frei und Gottes Knechte worden, habt ihr euere Frucht, daß ihr heilig werdet." Heiligung

also, stets völligere Befreiung aus der Herrschaft der Sünde und stets

innigeres Sichhineinleben in den heiligen Willen Gottes,

das ist die Frucht,

welche der Dienst unter der Herrschaft un­

seres Heilandes bringt.

Freilich sieht diese Frucht nicht so rei­

zend aus, als die Frucht der Sünde, sie bietet keinen sinnlichen

Genuß, keine Ehre bei den Menschen, sie wird vielmehr oft ge­

nossen unter Entbehrung und Hohn.

Und doch wer die selige

Freude des Bewußtseyns kennt, daß der Geist des Herrn immer mehr sein Herz durchdringt und immer mehr die Macht

der

Sünde daraus verbannt wird, der verschmähet die falsche, fleisch­ liche Freiheit der Sünder und nimmt das sanfte Joch Christi

gerne auf sich; der pflücket nicht mit leichtfertiger Hand die lachende Frucht, hinter welcher die Schlange lauert, sondern ge­

nießt lieber im Schweiße

des Angesichtes die Frucht der Heili­

gung, die nicht mehr hungern läßt und Nahrung beut zum ewi­

gen Leben.

Und diese Gesinnung sollten wir alle haben, die

wir Christi Namen an uns tragen; und das Wort des Apostels soll unS eine Mahnung sehn, dem,

welchen wir unseren Herrn

nennen und welchem wir unsere Dienste gelobt haben, nun auch ganz unS zu ergeben.

Denn die Frucht der Sünde mehret sich

furchtbar schnell, und wer dem Dienste dieser tückischen Macht

sich einmal ergeben hat, den reißt sie, wie der Text sagt, fort von einer Ungerechtigkeit

zur anderen.

Mit jedem

Schritte wird die Rückkehr schwerer, immer fester zieht die scha-

denftohe Tyrannin ihre Bande zusammen, immer mehr verstummt vor der Stimme der Lust und der Trägheit der Ruf des Herrn,

immer blässer wird in dem Herzen das göttliche Ebenbild, bis dann endlich nichts mehr darin ist, woran ein Wort der War­ nung den Sünder fassen könnte : er ist der Gewalt der Sünde

ganz und gar anheimgefallen; erst ein Funke, den man mit der

Hand hätte bedecken und ersticken können, ist sie angewachsen zu

232 einem wilden, verzehrenden Feuer, und das Ende des Sünders

ist ein Ende mit Schrecken.

III.

Und damit sind wir bei dem letzten Punkte angekommen, in Bezug auf welchen wir den Dienst unter der Herrschaft der

Sünde mit dem Dienste unter der Herrschaft Christi vergleichen wollen, bei der Frage nach dem endlichen Lohn, welcher

für beide Dienste geboten wird. —

Der Apostel ant­

wortet auf diese Frage im letzten Verse unseres Textes in fol­

genden Worten : „Der Tod ist der Sünde Sold; aber die Gabe Gottes Jesu,

unserem

ist

das

Herrn."

Sold, so sagt der Apostel.

ewige

Leben in Christo

Der Tod

ist

der Sünde

Die Sünde selbst freilich spricht

ganz anders, sie verheißt denen, die ihrem Dienste sich ergeben

wollen, ganz anderen Lohn : reiches, freudiges Leben verspricht

sie und lockt, indem sie hohe Genüsse vorhält, hinüber auf ihre ebenen Pfade; sie weiß den Abgrund trefflich mit Blumen zu

verdecken, aber der Boden unter den Füßen ihrer Diener ist hohl, und es ist ein Jammer zu sehen, wie sie taumeln in eitler Lust, während das Schwert bereits drohend über ihrem Haupte

schwebt.

Denn das Wort des Apostels bleibt wahr : Tod ist

der endliche Lohn, den die Sünde ihrem Diener zahlt, Tod für

seine Werke und Tod für ihn selbst. Werke.

Tod zunächst für seine

Ist nicht der allmächtige Schöpfer und Erhalter der

Welt, auf dessen Wort Welten versinken und Welten hervorgehen

aus dem Nichts, der Herrscher, gegen dessen Ordnung und Ge­ setz der Sünder sich auflehnt?

Und das aufrührerische Bestre­

ben eines schwachen Menschen sollte Bestehen haben gegenüber der göttlichen Allmacht?

Nein, nimmermehr!

Was nicht auf

Gott gebaut ist, das ruhet auf unsicherem Sande. Noch nie hat ein Werk dauernd sich erhalten können, das die Sünde geschaffen; gleich tröstlich für den Frommen, wie warnend für den Sünder

ist es, daß die Weltgeschichte das Weltgericht ist; waS ungöttlich ist, und schien es anfangs noch so groß, trägt den Keim der

Vernichtung in sich und fällt spurlos zusammen in sich selbst.

Ja, Tod für das Werk des Sünders, das ist der endliche Sold, den die Sünde reicht.

Aber

auch Tod für ihn selbst.

Durch das ganze Weltall wehet Ein Geist, alles Einzelne durch­

dringend und belebend, "alle Theile in gegenseitiger Unterstützung

verknüpfend zu einem großen, wohlgegliederten, lebendigen Gan­ zen.

Unter allen Geschöpfen ist es dem Menschen allein ver­

gönnt, an dieser Ordnung, welcher Alles, wenn auch unbewußt

und wider Willen, sich unterwerfen muß, freiwillig Theil zu nehmen, in sich zu fühlen das Wirken des belebenden Geistes Gottes, mit Bewußtseyn seinem Zuge zu folgen und als lebendi­

ges, gesundes Glied an seinem Theile zu wirken zum Wachsthum und Gedeihen des ganzen Leibes.

Der Sünder aber tritt heraus

aus dem Kreise dieser heiligen Ordnung, er reißt sich selbstsüch­ tig los von dem lebendigen Leibe und will eigennützig ein Leben Er wendet das Licht seines Geistes nicht auf

führen für sich.

die Brüder, sondern nur auf sich selbst; er sucht nicht die För­ derung des Gedeihens des Ganzen, sondern nur seinen eigenen

flüchtigen Genuß. Theil.

Und so nimmt er am wahren Leben keinen

Er hat nie die selige Freude empfunden, in Gott ge­

wirkt zu haben für die Ewigkeit; sein Her; hat nie gefühlt die

Ströme des ewigen, belebenden, göttlichen Geistes.

DaS von

der ewigen Quelle alles wahren Lebens loSgerissene Glied siecht

und stirbt ab: der Diener der Sünde ist todt schon bei lebendi­ Und wenn dann der zeitliche Tod endlich ihm naht,

gem Leibe.

um daS öde,

irdische

nen Lohn dahin, nuß des

Scheinleben zu enden, so hat er sei­

er hat die Ewigkeit verkauft um den Ge­

Augenblickes

und

starrt

hinein

in

die

Vernichtung:

Wo kam ich her? — Ich weiß e- nicht. Wo geh' ich hin? — Mich kümmert's nicht. Hinweg mit diesem Bangen I

Nacht

der

234 Stirb hi», o Lrlb, dann ist tf au«! Ja, dann ist Alle«, Alles aus. Zerfallen und vergangen. Ich glaube nichts, ich hoffe nichts, Ich ftrchte nichts, bereue nicht«!

Mit solchen Gedanken sinkt er hinab in'S furchtbare endlose

Nichts mit dem letzten Pulsschlage des leeren, kalten, verwelkten

Herzens.

DaS ist der Tod des Sünders, das ist der endliche

Sold, womit die Sünde ihren treuen Dienern lohnt! Wir wenden uns hinweg von diesem Grabe,

vor dessen

kalten Schauern fast die Thräne des Mitleids erstarrt, hinüber zu dem treuen Diener des Herrn.

Da ist selige Freude,

da

ist volles, ewiges, göttliches Leben, dem auch der Tod kein Ende setzt.

Dann freilich ist Sterben gemeinsames Loos für

alles Erschaffene; aber der Glaube an Christum nimmt dem Tode seinen

Stachel.

Für den Gerechten ist der Tod nicht

jene furchtbare, unerbittliche Macht, die den Menschen mit kal­ ter Hand aus seinem nichtigen Erdenleben hinüberführt in die ewige Vernichtung; er ist nur der Augenblick, der ihn das, was

er hier nur in flüchtigem Spiegelbilde sah, nun ewig schauen läßt von Angesicht zu Angesicht. die Gnade

Denn

die Gabe,

Gottes dem treuen Diener

Herrschaft Christi verleiht,

ist,

welche

unter der

wie der Apostel uns

lehrt, das ewige Leben in Jesu, unserem Herrn.

In

der Welt, welche Finsterniß und Schatten des Todes bedeckte, unter den Menschen,

deren Sinn und Trachten der Eitelkeit

und Vergänglichkeit hingegeben war,

erschien Jesus Christus,

der eingeborene Sohn, den die Herrlichkeit des Vaters strahlte,

um

das ewige

Todten aufzuerwecken. dem

reicht er den

um­

Leben zu verkünden und die geistig

Wer sich im Glauben an ihn anschließt,

Trunk lebendigen WasserS (Joh. 4, 14),

das in das ewige Leben quillet, der wächst als Glied an den Leib, dessen Haupt Christus

ist, und nimmt Theil an dem

göttlichen Leben, das von diesem auSgeht.

Sein Sinnen richtet

er nicht selbstsüchtig nur auf sich, sondern auf Gott und auf die Brüder; sein Wort wirkt ergreifend und anregend, es erzeugt Leben, wie es selbst vom Hauche des göttlichen Lebens beseelt

seine Werke

ist; WaS er

Gott gethan

und bleiben ewiglich.

er von Irdischem entbehren und

am Leibe leiden muß,

sind

beklagt es nicht,

in

weil er der ewigen

Reichthümer gewiß

bleibt, die ihm die göttliche Gnade gewährt.

scheiden

von der Liebe Gottes?

Wer mag ihn

Trübsal, oder Angst,

oder

Verfolgung, oder Hunger, oder Blöße, oder Fährlichkeit, oder

In dem Allen überwindet er weit um des willen,

Schwert?

der uns geliebet hat, und ist gewiß, daß weder Tod noch Leben,

weder Gegenwärtiges, noch Zukünftiges mag ihn scheiden von der Liebe Gottes, die in (Röm. 8, 35—39).

Christo

Jesu ist,

unserem

Herrn

Wie er auf Erden schon die Seligkeit

des ewigen Lebens fühlte in Gemeinschaft mit seinem Erlöser, so

küßt er ruhig und

gefaßt die für ihn sanfte Hand des

Todes im Vertrauen auf den, der da spricht (Joh. 17, 24):

„Vater,

ich will, daß wo ich bin, auch die bei mir seyen,

die du mir gegeben

hast,

die du mir gegeben hast!"

daß sie meine Herrlichkeit

und dem

aus seiner Hand reißen kann (Joh. 10, 28). des

Gerechten,

Blüte.

sehen,

Nieinand seine Schafe

Das ist der Tod

ein Entfalten der ahnungsvollen Knospe zur

Das ist der endliche Lohn,

welchen der Herr seinen

treuen Dienern verleiht.

So sind uns die Worte unseres Textes eine Mahnung ge­ worden, das Gebot des Herrn uns nicht blos befehlen zu lassen als ein äußeres Gesetz;

eine Kraft,

sondern

eS in uns aufzunehmen als

welche uns von innen heraus treibt,

und freudig zu thun, waS dem Herrn wohlgefällt.

ohne Zwang

Damit wir

danach um so eifriger trachten, hat der Text uns hingewiesen auf die Früchte, welche der

Dienst der Sünde bringt, und

welche der Dienst Christi, und auf den endlichen Lohn, welchen beide Herren ihren treuen Dienern ertheilen.

Das so einfache

236

und klare und doch so tiefe, ernste und eindringliche Wort des Apostels möge uns aus der Kirche hinaus in'S Leben begleiten, damit wir e- bewahren und bewegen in einem feinen und guten Herzen; und der treue Gott, an dessen Segen Alles gelegen ist, der gebe, daß eS Frucht bringe und uns nützlich werde zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung und zur Züchtigung in der Gerechtigkeit! Amen.

XVII.

Wodurch erweisen wir uus als wahre Kiuder Gottes? Predigt am 8. Sonntage nach Trinitatis. Tert : Röm. 8, 12—17. Gelobet sey Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der

unS gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himm­

lischen Gütern und hat unS verordnet zur Kindschaft gegen

ihn selbst durch Jesum Christum nach dem Wohlgefallen seines Willens zum Lobe seiner herrlichen Gnade!

Amen.

Wenn uns Einer die Frage vorlegte, geliebte Freunde, ob

wir rechtschaffene Diener unseres Herrn seyen, so möchte wohl

Marlcher im ersten Augenblicke kühn mit „Ja" antworten und mit der selbstzufriedenen Zuversicht

des Pharisäers aufzählen,

was er Alles gethan zur Erfüllung seiner Pflicht und zur Ehre

seines Gottes.

Wenn er aber die Frage ernster bei sich bedenkt,

und die verborgenen Tiefen seines Herzens vor sich selber aufschließt,

238

wo die Keime von tausend Sünden liegen, die zwar nicht zur äußeren That werden, weil die günstige Gelegenheit mangelt,

die aber doch von dem gewogen werden, der da spricht: „Wer seinem Bruder zürnet, der ist ein Todtschläger!" — wenn

er auf der anderen Seite hinaussieht auf daS weite Feld seiner Wirksamkeit, auf die zahlreichen, großen Forderungen seines Be­ rufes und auf das Wenige, was er gethan hat, — o dann ver­

wandelt sich ihm gewiß die stolze Miene des Pharisäers in die demüthige des Zöllners, der gestehet, daß er ein unnützer Knecht

seh, und beschämt bekennet er, den Namen eines Gerechten ver­

diene er nicht.

Und wenn die Frage an uns erginge : „Bist

du ein Christ?" so bliebe hier das gewohnte „Ja" gewiß am wenigsten aus. Aber wenn wir nun weiter anfgefordert würden,

Rechenschaft zu geben über die Gründe, aus welchen wir zu die­ ser Antwort uns berechtigt glauben — wie viele würden dann auch nichts mehr vorzubringen haben,

als das,

was schon ihr

Katechismus sie gelehrt hat: „Daher, daß ich getauft bin auf den

Namen unseres Herrn Jesu Christi und die christliche Lehre weiß und

glaube?"

Die Segnungen des Christenthums haben wir freilich

genossen von Jugend auf, wir wissen, was der Herr uns gethan

hat und von uns fordert, auf dessen Namen wir getauft sind; aber, wenn es sich nun fragt, wie es um das Vollbringen steht

zu diesem Wissen, was wir denn gethan haben für den, der so

viel für uns gethan — lieben Brüder : wer sollte da nicht wie­ der beschämt einstimmen in das Bekenntniß, den Namen eines

Christen im vollen, ganzen Sinne des Wortes, verdiene er nicht. Ein Name aber ist es, der so schön und so tröstlich ist,

daß Keiner ihn missen mag, den man so weit möchte erllingen

hören, als die Vaterliebe Gottes reicht, und den zu tragen Jeder sich für berechtigt hält : Kinder Gottes!

heißen, Gerechte und Ungerechte.

so wollen sie alle

Ja selbst der, dem der Eigen­

dünkel den Sinn so uiünebelt hat, daß er von einem Erlöser nichts wissen will, nichts hören will davon, daß zum Vater Nie-

mand komme, als durch den Sohn — das hat er doch nicht versäumt auö der verachteten Bibel sich zu merken, daß Gott

seine Sonne aufgehen lasse über Gerechte und Ungerechte und regnen über Böse und Gute, daß unter allerlei Volk wer Gott fürchtet und Recht thut, dem Herrn angenehm seh.

Wenn er

auch den Namen eines Christen verschmäht, ein Kind Gottes

glaubt er doch sehn zu können und den süßen Namen will er

sich nicht nehmen lassen.

Wenn aber der Apostel Johannes (Joh. 1, 12) sagt, daß

Gott denen, die Christum aufnehmen, erst die Macht gebe, Kin­ der Gottes zu werden; so muß uns dies doch auf den Ge­

danken bringen, daß „Kind Gottes" viel mehr sagen will,

als

„Geschöpf Gottes," daß man ein Kind Gottes nicht von Natur

schon seh,

sondern erst werde durch die Gnade.

Auch dieser

schöne Name also wird nicht dem Trägen geschenkt, auch er will

erworben sehn; und je inniger unser aller Herz an ihm hängt, je

schmerzlicher

es

uns

wäre,

wenn wir uns selbst Urtheil

sprechen müßten, daß wir nicht würdig sehen, ein Kind Gottes zu heißen, um so wichtiger muß es uns seyn, zu erforschen, wo­ durch denn das Recht auf diesen Namen erworben wird. gibt uns aber unser heutiger Text Anleitung.

Dazu

Er lautet im

Briefe Pauli an die Römer im 8. Capitel vom 12. —17. Verse wie folgt :

„12. So sind wir nun , liebe Bruder, Schuldner, nicht dem Fleisch, daß wir nach dem Fleisch leben.

13. Denn wo

ihr nach dem Fleisch lebet, so werdet ihr sterben müssen; wo ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tobtet,

so werdet ihr leben.

14. Denn welche der Geist Gottes

treibet, die sind Gotteö Kinder.

15. Denn ihr habt nicht

einen knechtlichen Geist empfangen, daß ihr euch abermal fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist

empfangen, durch welchen wir rufen : Abba, lieber Vater! 16. Derselbige Geist gibt Zeugniß unserem Geiste, daß wir

GotteS Kinder

sind.

17. Sind wir denn Kinder, so sind

wir auch Erben, nämlich Gotteö Erben, und Miterben

Christi; so wir anders mit leiden, auf daß wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden."

Diese Worte, von denen Luther so schön sagt, daß sie ein trefflicher, tröstlicher Text seyen und billig mit güldenen Buchstaben zu schreiben, sollen unsere Antwort bestimmen, toefm

wir uns zu unserer gemeinschaftlichen Erbauung die Frage vor­

legen : „Wodurch erweisen wir unS als wahre Kinder Gottes?"

Bei Beantwortung dieser Frage werden wir aber

zuerst zu sehen haben auf die Art, wie die Kindschaft ge­

gen Gott sich äußert, dann auf den Grund, auf wel­ chem sie ruht, und endlich auf das Erbe, welches ihr zu

Theil wird. Und du, der du durch deinen Sohn uns berufen hast zur Kind­

schaft gegen dich und uns Vaternamen dich anzureden,

vergönnt hast,

mit dem theueren

unterstütze unser Werk mit dei­

nem Geiste!

I.

Zuerst also haben wir zu reden von der Art, wie die wahre Kindschaft gegen Gott sich äußern muß.

DaS

heutige Evangelium hat uns schon belehrt, daß wahre Jünger des Herrn nicht jene Wölfe in Schafskleidern

sind, die nur

„Herr, Herr!" sagen, aber nicht thun wollen den Willen ihres himmlischen Vaters, die nur mit dem Munde den Herrn preisen,

von deren Gottesdienste aber Herz und Hand nichts weiß; sondern

wie es dem Baume, um seines Herrn Wohlgefallen zu erlangen,

nicht genügt, daß er gepflanzt sey und, von Gottes Sonne be­ schienen, frisch heranwachse, wie man vielmehr gute Früchte von

ihm fordert, so will auch der Herr die Seinen an ihren Früch­ ten erkennen.

Dasselbe spricht auch

in unserem

epistolischen

Texte der Apostel aus, wenn er sagt: nicht die, so nach

24t dem

leben,

Fleische

sondern

welche

der

GotteS treibet, bie seyen Gottes Kinder.

Geistes

Geist

Werke des

also sind eS, wodurch wir zunächst als wahre Kinder

GotteS uns

erweisen.

Was sind nun Werke des Geistes? —

Wir würden sehr irren, wenn wir glaubten, daß der Apostel, wenn er auf solche Weise Fleisch und Geist einander entgegen­ stellt, unter Fleisch nur unsern Körper, unter Geist nur unser

Seelenleben verstände; auch der Körper kann ja verklärt werden zu

einem willigen Diener des göttlichen Geistes,

und auch die un­

sterbliche Seele kann herabgezogen werden zum schnöden Dienste vergänglicher Lust.

Sondern was mit dem Gegensatze zwischen

Fleisch und Geist eigentlich gemeint sey, darüber klärt uns der

Apostel selbst auf, wenn er kurz vorher, ehe er die Worte unse­ res Textes auSspricht,

uns aufmerksam macht auf einen tiefen

Zwiespalt in unserem Innern.

Wir erkennen in uns, so lehrt

der Apostel, und unser aller Gewissen wird sein Zeugniß bestäti­

gen, wir alle erkennen in uns ein Gesetz, das uns antreibt, das

Gute zu thun und das Böse zu meiden, ein Gesetz,

von dem

wir wissen, daß eS den Willen Gottes uns offenbart.

Zugleich

aber wissen wir alle, daß neben diesem göttlichen Gesetze ein

anderer Trieb in uns lebt, in dem wir unseren eigenen, selbst­ süchtigen Willen erkennen müssen, ein Trieb, der dem göttlichen

Willen widerstrebt,

so

daß

wir dessen Forderungen nur mit

Zwang folgen, häufig das Gute nicht thun, daS er fordert, und

das Böse, das er verbietet, thun.

Alles nun, was in unserem

Thun und Denken übereinstimmt mit jenem göttlichen Gesetze,

das ist nach der Meinung des Apostels die Frucht des Geistes, au welcher der Herr seine wahren Jünger erkennen will; Alles

aber, was an unS jenem Gesetze widerstrebt, mag es nun als

flüchtiges Wort über die Lippen eilen, oder als Thun die Hände beflecken, oder auch als stummer Gedanke verborgen bleiben in

den

innersten

Fleisches,

Tiefen

das den

unseres

Herzens,

daS

ist

Kindern GotteS nicht ziemt.

Werk

des

Werk des

Fleisches also ist eS, wenn wir trotz des Gesetzes, das in unse­ rem Innern mahnt : „Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes!" Eaur, Predigten.

16

(Matth. 6, 33) vergessen das Wort de- Herrn, daß der Mensch nicht vom Brode allein lebt (Matth. 4, 4)

und nur immer

ängstlich sorgen und sagen : „WaS werden wir essen, was wer­

den

wir ttinken, womit werden wir uns kleiden?" und so

fest mit dem Blick an der Erde haften, daß wir ganz versäumen, auch einmal zum Himmel aufzusehen. Werk des Fleisches ist eS,

wenn das Gewissen spricht : „Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst," und wir dennoch die Hand nur aufthun zum

Empfang der Gnadengaben unseres himmlischen BaterS, nicht zum Mittheilen an die bedürftigen Brüder.

aber

Aber Werk

des Fleisches ist es auch, wenn wir in Wort und Geberden thun, wie die rechten Diener des Herrn; aber es treibt uns

nicht von innen die heilige Kraft reiner Liebe zu Gott und des

demüthigen Gefühles, daß wir gar nichts sind ohne ihn, und wir wollen nun fromm scheinen in den Augen der Welt, oder gar

durch solche äußere Werklein uns das Wohlgefallen dessen er­ schleichen, der Herz und Nieren prüfet; und Werk des Fleisches ist eS, wenn wir die Hand des Bittenden mit Almosen füllen,

und des Nackten Blöße bedecken, aber unser Herz weiß nichts davon, und unser Geben ist nicht besser, denn daS des Pharisäers,

der an den Straßenecken spendet und nicht des Unglückes denkt, das er mildern soll, sondern nur des Ruhmes, der ihm zu

Theil wird.

All diesem Treiben, das dem Geiste Gottes, der

in uns redet, widerspricht, oder doch nicht geboren ist aus ihm, müssen wahre Kinder Gottes entsagen.

Der Herr, zu dein wir

uns bekennen, war mit dem Bater Eins und kein Widerspruch

in ihm zwischen dem göttlichen Willen und seinem eigenen.

Er

hat uns durch sein liebevolles Sterben auf ewig zu seinen Schuld­ nern gemacht und die Schuld gegen ihn können wir nicht anders

bezahlen, als dadurch, daß wir nun, wie der Apostel sagt, nicht

mehr uns betrachten als Schuldner des Fleisches, daß wir nach dem Fleische

leben, und in der Sünde verharren,

durch die er gestorben ist,

sondern unseren eigenen

sündigen

Willen aufgeben, damit Christus in uns lebendig werde.

Und

was ist es denn auch, was das Fleisch uns zu bieten vermag,

daß

wir

ihr

nach

so beharrlich ihm unsere Dienste weihen? dem

Fleische

lebet,

werdet ihr.sterben müssen." Werke

des Fleisches.

so

Tod ist die Frucht der

vergängliche

Eine

„Wo

warnt unser Text,

Lust,

ein

vergäng­

liches Gut, eine vergängliche Ehre, das ist Alles, was sie ein­ bringen und die Diener des Fleisches selbst sind unnütze, todte Glieder in der menschlichen Gemeinschaft, und vergehen spurlos, „Wo ihr aber durch den Geist des

wie ihre Werke.

Fleisches Geschöpfe tödtet, so werdet ihr leben!" Das

ist daS tröstliche Wort unseres Textes, dessen Wahrheit

alle die an sich selbst erfahren, die als wahre Kinder Gottes sich treiben lassen vom Geiste des Herrn,

ewiges Leben!"

„bei ihnen ist freudiges,

Da sieht man kein hastiges Trachten nach den

Schätzen dieser Erde; der Herr ist die Sonne, um die die Bahn

ihres Lebens kreist.

Da ist nichts zu finden von dem äußer­

lichen Gottesdienste der Lippen und der Hände; sondern aus der

heiligen Tiefe

der

geöffneten Herzen steigen

die Gebete zum

Höchsten empor und in ein offenes Herz ergießen sich wieder

die sanften Lebensströme seines tröstenden und stärkenden Geistes. Da ist keine ängstliche, todte, gemachte Miethlingsarbeit; sondern alles Thun

wird

frei und kräftig hervorgetrieben

durch

die

Macht des im Herzen waltenden Geistes Gottes, und wenn hier

gegeben wird, so thut es nicht die Hand allein, sondern dem lei­

denden Bruder blitzt aus dem Auge des Gebers die Thräne in­ nigen Mitleidcns

entgegen

und spendet zur leiblichen Unter­

stützung den geistlichen Trost.

Das,

geliebte Freunde,

sind

Werke des Geistes, das sind die Früchte, an denen die wahren Kinder Gottes erkannt werden. — Ihr sehet, der hohe Ruhm, Kinder Gottes zu heißen im vollen Sinne des Worts, wird so

leichten Kaufs nicht erworben; dazu gehört mehr denn die leib­ liche Geburt, dazu wird die zweite, höhere, geistige Geburt er­

fordert, von welcher Johannes sagt (Joh. 3, 3), daß Niemand

in's Himmelreich komme, denn durch sie; und so muß ja ein

jeder, so gewiß er gerne ein Kind Gottes heißen möchte, begierig 16 *

244 fragen,

wann denn die Stunde schlage zu dieser neuen Geburt

zur Kindschaft gegen Gott!

II. Diese Frage beantwortet uns der Apostel, wenn er unS im »eiteren Verlaufe des Textes über den Grund belehrt, auf welchem die Kindschaft gegen Gott beruhet. — „Ihr

habt

einen

Geist

kindlichen

empfangen,

sagt

er,

durch welchen wir auch rufen: „Abba, lieber Vater!"

Was ist daS anders, als der reine Ausdruck inniger, kindlicher

Liebe,

die demüthig die eigene Hülflofigkeit erkennt und ver­

trauensvoll sich hingibt an den, von dem allein Heil und Stärke

ihr kommen kann; und diese innige, kindliche, hingebende Liebe zu Gott, das eben ist der Grund der wahren Kindschaft gegen ihn.

Wessen Herz von der Gewalt dieser Liebe so ergriffen ist, daß

er, wenn Andere wie furchtsame Sllaven zittern und klagen, mit

dem vollem Vertrauen deS Kindes auSrufen kann :

ber Vater!"

„Abba, lie­

der beweist, daß er wiedergeboren ist zu einem

Kinde GotteS I —

Und ist

denn dieser tröstliche Vatername,

mit dem wir Gott anreden dürfen, wirklich so vielsagend und

so besonder- bedeutungsvoll?

Haben nicht alle Menschen,

so

lange Lippen zum Gebete sich bewegt haben, mit diesem Namen

ihre Gebete begonnen? —

Sehet nur einmal im alten Testa­

mente die zahlreichen Loblieder und die Seufzer frommer Sänger genauer an.

Ihr werdet kaum einmal finden, daß sie ihren Ie-

hovah als liebenden Vater anreden.

„Mein Herr!" und „Mein

Gott!" heißt es nur immer, und damit sehe» wir den Schöpfer

weit von seinen Menschen hinweg über die Sterne entrückt; von dorther gibt er seine strengen Gesetze, die sie meist in kleinlicher, ängst­ licher Knechtesarbeit zu erfüllen streben, von dorther schleudert er seine Blitze herab

auf die Gottlosen, und zitternd bringen sie

ihre Opfer dar, damit sie den Zürnenden versöhnen;

nicht ein

kindlicher Geist wohnet in ihren Herzen, sondern ein knechtischer

Geist beherrscht sie,

daß sie sich fürchten

müssen. —

Wie

anders bei uns, seit in dem, der von sich sagen konnte

ganz

(Joh. 14, 19) :

„Wer mich siehet, der siehet den Vater," die

Herrlichkeit Gottes un6 menschlich nahe getreten ist, seit er in seiner

schmerzenvollen

Aufopferung

üns

die

unendliche

Liebe

Gottes verbürgt hat, der seinen eingeborenen Sohn hingab zur

Erlösung der Menschheit!

Von uns muß der knechtische Sinn

weichen, wir dürfen uns nicht abermals fürchten, sondern einen

kindlichen Geist haben wir empfangen, die Furcht muß der Liebe

weichen, »nd

getrost dürfen wir die Augen aufheben zu dem

liebenden Vater.

Dies ist so sehr das ausschließliche Vorrecht

des Christen, daß der Apostel Paulus, wenn er das Christen­ thum von früheren Glaubensweisen unterscheiden will, dies am

sichersten zu erreichen glaubt, wenn er auf den kindlichen Sinn aufmerksam macht, der im Christenthume waltet, und von dem die

knechtische Furcht der

vorchristlichen Welt nichts wußte. —

Durch jene hingebcnde, innige, vertrauensvolle Liebe ist also der

Grund gelegt, wie zum ganzen christlichen Leben, so auch zur Kindschaft gegen Gott.

Das ist ja die Eigenthümlichkeit der

Liebe, daß der Mensch, der von ihrer Gewalt ergriffen ist, sich

selbst aufgibt und nur noch leben will int Geiste und nach dem Willen des geliebten Wesens.

Darum sehen wir in Familien­

kreisen, in denen wahre Liebe waltet, wenig von zwingenden Ge­

boten und erzwungenem Gehorsam, die Kinder haben in inniger Liebe der Eltern Willen ausgenommen in ihr Herz, sie thun, wie man sagt, was sie ihnen nur an den Augen absehen können,

sie können nicht anders, so

als in ihrem Sinne handeln.

Gerade

ist es mit der Liebe zu Gott, sie ist aller Gesetze Erfüllung.

Wer von ihr durchdrungen ist, der hat auf alle Forderungen seiner mit dem Gesetze GotteS streitenden Selbstsucht verzichtet,

er hat seinen Willen ganz dem göttlichen unterworfen, und hat

keinen Wunsch mehr, als zu , leben im Geiste seines himmlischen Vaters.

Aus der Liebe wachsen die Werke des Geistes frei her­

vor, die der Apostel als Kennzeichen der wahren Kinder Gottes

bezeichnet hat, und wie das Kind, welches die Eltern recht von

246 Grund seiner Seele liebt, nicht daran denkt, nach äußeren Be­ weisen seiner Kindschaft zu fragen, sondern in seinem Herzen,

das die treue Liebe der Eltern empfindet und von inniger Ge­ genliebe zu ihnen bewegt wird, die sicherste Bürgschaft dafür

trägt, daß es ihnen angehört in unzertrennlicher Gemeinschaft; so gibt auch dem, der von wahrer kindlicher Liebe zu Gott erfüllt ist, wie unser Text sagt, der kindliche Geist selbst Zeugniß, daß er Gottes Kind ist.

Er hat an sich selbst erfahren den

Segen der göttlichen Liebe, er hat die Herrlichkeit eines Lebens geschmeckt, das im Geiste Gottes gelebt wird, er hat die wunder­ bare Kraft der Thaten erkannt, die im Geiste Gottes gethan

sind, er fühlt, daß, wer in der Liebe bleibet in Gott bleibet und Gott in ihm (1 Joh. 4, 16), und kein Leiden der Zeit ent­ reißt ihm die tröstliche Gewißheit dieser ewigen Gemeinschaft. —

Das ist der Grund, auf welchem die Kindschaft gegen Gott be­

ruhet.

Und wenn diese, das ganze Leben heiligende Liebe uns

durchdringet, wenn in uns jener kindliche Geist, der das Eigen­ thum der Christen ist, unserem Geiste bezeuget, daß wir Gottes Kinder sind, dann haben wir Anspruch auf die Ehre dieses

theueren Namens.

in. Wer ein rechtes Kind seines BaterS ist, der ist zugleich aber auch fein Erbe, und so haben wir als wahre Kinder Gottes uns endlich dadurch zu erweisen, daß wir auch Theil haben an dem Erbe Gottes, an dem Erbe, das unserem Herrn Jesu Christo

zu Thell wird, als dem Erstgeborenen derer, die zur Kindschaft

Gottes berufen sind.

„Sind wir dann Kinder,

der Apostel in unserem Texte,

schließt

so sind wir auch Erben,

nämlich Gottes Erben und Miterben Christi."

Und

dies Erbe besteht, wie er uns weiter lehrt, darin, daß wir einer­ seits mit Ehristo leiden, andererseits aber auch mit ihm

zur Herrlichkeit erhoben werden.

247

Ein rechtschaffenes Kind, wenn es die Erbschaft seiner El­

tern antritt, empfängt nicht bloS die Güter, die sie ihm hinter­ lassen, sondern es übernimmt auch willig und treulich die Lasten, die auf eS übergehen : den Geist der kindlichen Liebe, der in sei­

nem Herzen spricht, würde eS beleidigen, wenn es sich scheute, auch Mühen zu übernehmen von denen, deren treue Hand eS im

Leben geleitet und gepflegt hat, und nun aus dem Grabe noch ihm Segen spendet. —

der

So soll es auch bei uns sehn.

Wie

fromme Hiob (2, 10) sollen wir sprechen : „Haben wir

Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch an­ nehmen?"

Der Diener soll nicht größer seyn wollen, als der

Herr, unb den Meister, dem wir folgten, so lange eS ihm wohl

crgieng, sollen wir auch nicht verläugnen, wenn Trübsal auf dem

Wege hereinbricht, den wir an seiner Hand gehen.

Freilich gilt

die Aufforderung, zu leiden mit dem Herrn, für unS nicht in gleichem Maaße, wie für den Apostel und seine Zeitgen offen.

Die Verblendung und der Haß der Welt, die damals die kleine Heerde der Jünger deS Herrn bedräueten, diese äußeren Feinde

sind jetzt gefällt, und daS Christenthum selbst hat daS Scepter der Zeiten ergriffen.

Aber in den Herzen der Christen wirken

jene Feinde noch fort, und hier thut ernster Kampf gegen sie Noth, heute, wie in den ersten Zeiten der Kirche. wiedergeboren sind,

widerstrebet immer

Auch in denen, die

noch das Fleisch dem

Geiste, und nur mit Mühe werden deS Fleisches Geschöpfe getödtet, noch immer macht die Liebe zur Welt der reinen kind­

lichen Liebe zu Gott den Platz in unserem Herzen streitig, und nur mit Schmerzen läßt sie sich losreißen von den Gegenständen,

die sie

mit

leidenschaftlicher Neigung umfaßt hat.

Alle,

die

als wahre Kinder Gottes sich erweisen wollen, müssen sich ent­ schließen zu diesem schweren Kampfe gegen die eigene Sünde,

gleichwie der Herr den leidensvollen Kampf gegen die Sünde der Welt übernahm; sie müssen an sich selbst erfahren, daß eS

kein Osterfest gibt, ohne Charfreitag, und daß der neue geistige Mensch nicht wachsen kann, wenn nicht der alte fleischliche je

mehr und mehr. unter Schmerzen abstirbt. —

Aber inmitten

248 dieses Kampfes sind sie des Sieges gewiß,

und wenn das erste

Wort des Apostels, daß wir leiden sollen mit dem Herrn, in

vollerem

paßte, wir

Sinne

auf die

ersten

Bekenner des

Christenthums

als auf uns, so gilt dagegen sein zweites Wort, daß

auch

zu

seiner

Herrlichkeit

erhoben

werden

sollen, in ausgedehnterem Sinne von uns, als von jenen. Sie konnten die Wahrheit dieses Wortes nur empfinden in

Bezug auf ihr inneres Leben.

Da fühlten sie freilich, daß,

nachdem sie, wie Paulus sagt, mit Christus der Sünde gestor­ ben, sie nun auch auferstanden sehen mit ihm zu einem neuen,

göttlichen Leben.

Aber in Bezug auf das äußere Leben waren

sie geachtet wie die Schlachtschafe (Röm. 8, 36) und mußten sich beweisen als die Diener Gottes in großer Geduld, in Trüb­ salen, in Nöthen, in Aengsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in

Arbeit, in Wachen, in Fasten (2 Cor. 6, 4 ff.).

Sie hatten

erst die Hoffnung, daß ihr Glaube siegen werde, uns aber ward

zu schauen vergönnt, was sie nur glauben konnten.

Wir haben

gesehen, wie die Kirche des Herrn von den unbedeutendsten An­ fängen aus, durch ihre innere Kraft sich auSgebreitet hat über

alle Welt und aus einer leidenden und kämpfenden eine siegende

geworden ist, von der alle Völker die Kraft des wahren Lebens empfangen.

Und wenn wir uns erweisen wollen als Miterben

der Herrlichkeit Christi, so können wir dies nicht anders, denn dadurch, daß wir durch unser ganzes Leben bethätigen die feste Ueberzeugung : Christus ist der Herr der Zeiten und bleibt es

in Ewigkeit, und den Seinen vermag Niemand den Sieg zu ent­

reißen; daß wir nicht wie ein schwankendes Rohr uns bewegen

lassen von jedem Winde der Lehre und in unserem Glauben er­ schüttern von jeglichem Leid; daß wir fest und freudig glauben an die immer größere und endlich vollständige Entfaltung der

Herrlichkeit des Herrn, die jetzt schon vor unseren Augen so ge­ waltig sich ausgebreitet hat; daß wir endlich diesen Leib ruhig

dem Staube anheimfallen sehen, von dem er genommen ist, über­ zeugt von der Unsterblichkeit unserer Gemeinschaft mit dem, der

Tod und Hölle überwunden hat.

Das sind die Anforderungen des Wortes Gottes an die, welche Gottes Kinder heißen wollen.

Werke des Geistes sollen

sie üben, ihr ganzes Wesen soll gegründet seyn auf innige, un-

getheilte, kindliche Liebe zu Gott und freudig sollen sie theilneh-

men als Miterben des Herrn an dessen Herrlichkeit.

Und hat

in uns der Geist so den Sieg über daS Fleisch?

Sind

wir so fest gewurzelt in der kindlichen Liebe zum Vater?

Sind

nun

wir stets bereit, den Kampf gegen die Regungen der bösen Lust durchzukämpfen,

und raubt uns keine Aeußerung ungläubigen

Dünkels, wie wir sie jetzt so oft hören müssen, raubt uns keine Noth und Bedrängniß das frohe Bewußtseyn, daß wir Miterben sind der Herrlichkeit des Herrn, der über Welt und Zeit ewig

herrschet und gegen den alles feindliche Toben nichtig ist? Dann, meine geliebten Freunde, haben wir die volle Berechtigung, uns Kinder

Gottes

Ehrennamens.

zu

nennen

im vollsten

Sinne dieses

schönen

Aber wir müssen ja Alle bekennen, daß wir gar

manchmal ans dem Stande der Gotteskindschaft zurückfallen in

die Knechtschaft der Sünde, gesetzlicher Aeußerlichkeit, kleinmüthiger Furcht.

Laßt

uns denn

den gütigen Vater im Himmel

mit offenem Kinderherzen bitten, daß er uns helfe, des theueren Kindernamens immer mehr würdig zu werden, und das gute

Werk, welches seine Gnade in uns angefangen hat, zur Vollen­

dung führe.

Amen.

XVIII.

Die Kkdeutullg des heiligt» Abendmahles. Predigt, im akademischen Gottesdienste gehalten, im Sommer 1855.

tert : 1 Cor. 10, 16 - 2t.

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes

des Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sey mit uns Allen!

Amen.

Geliebte in dem Herrn!

Das Wort des Apostels Paulus

(Eph. 5, 16; Röm. 12, 11) : „Schicket euch in die Zeit, denn es ist eine böse Zeit!" — ach, wir Alle empfinden, daß das nicht blos für jene ersten Zeiten gesagt ist, da das jungt Chri­

stenthum den Juden noch ein Aergerniß war und den Heiden eine Thorheit, vielmehr trifft es uns auch

jetzt noch als ein

Wort, das recht eigentlich auf unsere Gegenwart gesagt zu sehn scheint.

Ja, Geliebte, auch die Zeit, in der wir leben, ist böse

Zeit.

Das furchtbare Schwert des Krieges, das lange in der

Scheide ruhete, es wüthet aufs Neue und würgt Tausende um Tausende hin; und

wenn

wir den verwüstenden Donner des

Krieges auch erst aus weiter Ferne vernehmen — wer kann,

nachdem

der

schützende Damm friedlicher Ordnungen einmal

durchbrochen ist, daö Ende der verheerenden Fluth absehen, wer

kann wissen, ob nicht, wie schon öfter, ihre wilden Wogen auf den Fluren unseres deutschen Vaterlandes sich austoben?

Und

dem Schwerte des Krieges fehlen nicht die beiden alten, treuen

Zuerst die eherne

Begleiter.

Wage der Theuerung, die um

schweres Geld leichtes Brod abwägt, und wenn auch auf die anfangs

so

trostlos dastehenden Felder der

treue Gott seinen

Segen ausgegossen hat, daß sie jetzt die vollen Aehren gar hoff­

nungsreich uns entgegenstrecken - wird diese Fülle bis zur Reife erhalten und glücklich in die Scheunen gesammelt werden, wird

sie ausreichcn, alle Hungernden zu speisen, wird sie uns schützen vor künftiger Noth?

Und dann die scharfe Sense der Seuche,

deren schauriger Klang von allen

Seiten zu

unsere» Ohren

dringt und vor deren weit ausgreifendem Hiebe die Menschen »iedersinken wie Gras; und wenn sie auch durch die schützende Hand Gottes bis jetzt immer noch gnädig abgehalten worden ist von unserer

Stadt, es hat doch der Engel des Todes an gar manche Thüre gepocht, und von Woche zu Woche lesen wir mit Schmerz und

Bangen, wie so manches zarte Kinderleben vor ihm hinsinkt,

wie eine Blnme auf dem Felde; ist doch auch ein solcher Trauer­

fall — ach, schon wieder! — die Veranlassung, daß ich heute hier stehe, das Wort des Herrn euch zu verkündigen.

Ja, Ge­

liebte, es thut wohl noth, daß wir, getreu der Mahnung des

Apostels, uns schicken lernen in diese böse Zeit, uns schicken ler­

nen in sie, indem wir seiner weiteren Mahnung folgen, die er an jene unmittelbar anschließt (Röm. 12, 11) : „Seyd fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet!"

Es

thut wohl noth, daß wir aus der Verwirrung und dem Elende und der Hinfälligkeit des Irdischen uns retten zu dem, bei dem steter Friede ist und aller Güter Fülle und ewiges Leben. Und der

253

treue Gott will ja in dieser Stunde wieder in ganz besonderem

Sinne an uns die Verheißung seines Wortes (Jak. 4, 8) er­ füllen : „Nahet euch zu Gott, so nahet er sich zu euch!"

Wir

begehen heute in unserem akademischen Gottesdienste die Feier des heiligen Abendmahles, des Mahles, durch das der Herr an den Gläubigen seine Verheißung erfüllt :

„Selig sind, die da

hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden!" (Matth. 5, 6); „Kommet her zu mir alle, die ihr

mühselig und beladen seyd, ich will euch erquicken!" (Matth. 11,28) des Mahles, durch welches diejenigen, welchen die Nichtigkeit des den

Erdenlcbcns Sehnsucht

Stachel

der

zurückgelassen hat

speist werden

Unbefriedigung,

der

heiligen

in dem suchenden Herzen,

ge­

sollen mit dem Brode des ewigen Lebens, ge­

tränkt mit dem Trünke, der nimmer dürsten läßt.

DaS heilige

Abendmahl, dies theuere Pfand der gnadenvollen Selbstmitthei­

lung unseres Herrn an seine Gläubigen, soll heute der Gegen­ stand der Predigt seyn,

Apostel Paulus

ihr Text aber das Wort, welches der

an die Corinther schreibt im

1. Briefe, im

10. Capitel vom 16. — 21. Verse :

„16. Der gesegnete Kelch, welchen wir segnen, ist der nicht die

Gemeinschaft des BluteS Christi?

DaS Brod, das wir

brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?

17. Denn Ein Brod ist es, so sind wir viele Ein Leib;

dieweil wir alle Eines Brodes theilhaftig sind.

an den Israel nach dem Fleisch.

sind die nicht in der Gemeinschaft deS Altars? soll ich denn nun sagen?

etwas sey?

18. Sehet

Welche die Opfer essen, 19. Was

Soll ich sagen, daß der Götze

Oder, daß daü Götzenopfer etwas sey?

20.

Aber ich sage, daß die Heiden, was sie opfern, das opfern sie den Teufeln, und nicht Gott.

Nun will ich nicht, daß

ihr in der Teufel Gemeinschaft seyn sollt. 21. Ihr könnet nicht zugleich

trinken deü Herrn Kelch, und der Teufel

Kelch; ihr könnet nicht zugleich theilhaftig seyn deS Herrn

Tisches, und der Teufel Tisches."

Auf dem Grunde dieses Textes also laßt uns untereinander

betrachten die

Bedeutung des heiligen

Abendmahles.

Unser Text wird uns anleiten, diese Bedeutung zuerst zu erken­ nen in Bezug auf unser Verhältniß zu dem Herrn, dann in Bezug auf unser Verhältniß zu den Brüdern,

und

endlich in Bezug auf unser eigenes inneres Leben.

Der

treue Gott aber, in dessen Namen wir hier versammelt sind, unter uns und kröne unsere Betrachtung mit seinem

seh mitten Segen!

I.

Die Bedeutung des Abendmahles in Bezug auf unser Verhältniß zum Herrn spricht der 1. BerS unse­ res Textes auS :

„Der

gesegnete Kelch,

welchen

wir

segnen, ist der nicht die Gemeinschaft deS Blutes

Christi?

Das Brod, das wir brechen, ist das nicht

die Gemeinschaft des LeibeS Christi?"

Daß also daS

heilige Abendmahl ein Mittel ist zur innigsten Gemeinschaft mit Christo, das ist seine Bedeutung in Bezug ans unser Verhältniß

zu dem Herrn.

Worin diese Gemeinschaft zunächst bestehe, daS

erfahren wir bestimmter durch die Worte, welche der Apostel

bald nach denen unseres Textes in demselben Briefe

schreibet,

und welche auch als die bei der Einsegnung des heiligen Abend­ mahles gebrauchten Einsetzungsworte wohlbekannt sind :

„Der

Herr Jesus, in der 'Nacht, da er verrathen ward, nahm er das Brod, dankete und brach's und sprach : Nehmet, esset, das ist mein Leib, der für euch gebrochen wird : Solches thut zu meinem Gedächtniß.

Desselbizen gleichen auch den Kelch nach dem Abend­

mahl und sprach : Dieser Kelch ist das neue Testament in mei­

nem Blut : Solches thut, so oft ihr'S trinket, zu meinem Ge­

dächtniß.

Denn so oft ihr von diesem Brod esset und von diesem

Kelch trinket, sollt ihr des Herrn Tod verkündigen, bis daß er

kommt."

Dadurch also

zunächst

wirket das

Abendmahl

die

innigste

Gemeinschaft

mit unserem Herrn und Erlöser,

daß

durch das heilige Mahl, welches der Herr selbst einsetzte in der Nacht, da er verrathen ward, sein Gedächtniß auf das lebendigste

in uns erwecket wird, und zwar das Gedächtniß seines Leibes, der für uns gebrochen, feines Blutes, das für uns vergaffen ward, vergossen ward als das Blut deS vollkommensten Opfers

zur

Herstellung

heilige

Mahl

Herrn

Tod

eines auf das

zu

neuen

Bundes;

rechten Sinne dem Tische des

aufgefordert

wir

durch

das

werden,

des

Ja, Geliebte, wer mit

dem

kräftigste

verkündigen.

daß

Herrn sich nahet, dem muß,

wenn daS gesegnete Brod, der gesegnete Kelch seine Lippen be­ rührt, daS Bild des gekreuzigten Heilandes heller,

denn sonst,

vor die Seele treten, das theuere „Haupt voll Blut und Wun­

den," dessen schmerz- und liebevoller Blick ihm in die Seele dringt mit der Herzen und Nieren prüfenden Frage :

„So viel

hab' ich für dich gethan — was thust du für mich?"

Dem

muß gar tröstlich die gewisse Zuversicht das Herz erfüllen, daß der Gott, der aus Liebe zu ihm selbst seinen Sohn dahin ge­

geben hat, ihn nicht verwerfen kann; daß vielmehr, wenn erden, der für ihn gekreuziget und auferstanden ist, im lebendigen Glau­

ben umfaßt, seine Sünden ihm vergeben sind, und er ausgenom­ men ist in den neuen Bund, welchen Christus mit seinem Blute

begründet, in welchem dem Menschen das Gesetz Gottes in sein Herz gegeben und in seinem Sinn geschrieben ist, worin er der

Gotteskindschaft sich freuen darf, die der eingeborene Sohn ihm

erworben.

Wer mit dem rechten Sinne theilnimmt am Mahle

des Herrn, der muß sich stärker, denn sonst, getrieben fühlen, den

Tod des Herrn zu verkündigen, allezeit, in seinem ganzen Leben, dadurch, daß er hinfort nicht mehr sich selbst lebt, sondern dem, der für ihn gestorben und auferstanden ist.

O, meine geliebten

Freunde, waS liegt doch nicht schon für ein Segen in der Ge­

meinschaft mit dem Herrn, welche das Abendmahl bewirket, als

das Mahl der lebendigsten Erinnerung an seinen gnadenreichen Tod! höchste.

Und doch ist diese Gemeinschaft mit ihm noch nicht die Wie nahe er auch durch sie uns kommen mag, er bleibt

doch immer noch getrennt von uns,

außer uns, sein Leben ist

mit dem unseren noch nicht völlig eins geworden, wie es der

Fall seyn muß, wenn unsere Gemeinschaft mit ihm vollkommen

ist.

Bon dieser

vollkommenen

Gemeinschaft redet der

Herr,

wenn er im Evangelium des Johannes (Joh. 6, 51. 56) sagt : „Ich bin das lebendige Brod, vom Himmel gekommen :

wer

von diesem Brode essen wird, der wird leben in Ewigkeit." Und

weiter : „Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der bleibet in mir, und ich in ihm."

Was sagen diese räthselhaften

Worte, über welche die Juden murreten, und die selbst den Jün-

gern. eine harte Rede dünkten?

Sie sagen, daß, wie das Brod

unser leibliches Leben nährt, damit es erhalten werde für die ihm bestimmte Zeit, so Christus die himmlische Kraft in sich

trage, die unser geistiges Leben nähren soll, daß es erhalten bleibe

für die Ewigkeit.

Sie sagen, daß der Sohn Gottes, der die

Fülle der Gottheit in sich trug, diese himmlische Kraft uns da­

durch nahe brachte, daß er Fleisch und Blut annahm, als Mensch

unter Menschen wohnte.

Sie sagen uns, daß, um jener Kraft

theilhaftig zu werden, es nicht genügt, seinen Geboten äußerlich zu folgen, dem Vorbilde, daß er uns gelassen, äußerlich nachzu­

leben; daß wir vielmehr ihn ganz in uns aufnehmen; persönlich

mit ihm eins werden müssen, damit wir mit Paulus (Gal.2,20)

sprechen können : „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebet

in mir!"

oder nach dem Worte unseres Herrn selbst :

Ich bleibe in ihm und er in mir!

Unser Verhältniß zu ihm

soll seyn das Verhältniß der Reben zum Weinstocke, der Glieder

zu dem Haupte, seine göttliche Lebenskraft soll auch uns mit der Kraft des ewigen Lebens durchströmen.

Das wollen die bedeu­

tungsvollen Worte sagen : „Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der bleibet in mir und ich in ihm."

Und auch zur

Herstellung dieser innigsten Gemeinschaft mit dem Herrn ist das

heilige Abendmahl das Mittel.

Mahl, welches durch sein

der dem

Wie es zugehe, daß an dieses

Kreuzestode

entgegengehende Erlöser

theueres Vermächtniß den Seinen zum Gedächtniß

und zum Bundesmahle eingesetzt hat, ein so eigenthümlicher Se-

256

gen geknüpft ist; wie eS zugehe, daß mit den Symbolen des den Leib nährenden und stärkenden Brodes und des das Herz er­

freuenden Weines uns daö lebendige Brod vom Himmel mitge­ theilt wird und der Trunk, der nimmer dürsten lässet, — das, Geliebte, haben wir jetzt nicht näher zu untersuchen.

Wir dür­

fen uns auf die Erfahrung eines jeden Gläubigen berufen, daß

ihm im Genusse des Abendmahles ein ganz eigenthümlicher Se­

gen zu Theil wird, daß er in ihm mit seinem Herrn und Erlö­ ser sich inniger eins fühlt, als in irgend einem anderen Augen­

blicke, daß seinem natürlichen verweslichen Leben der Keim eines höheren, unverweslichen Lebens eingepflanzt wird.

Möchte doch

niemals die Zerstreuung und die Sorge und die Lust der Welt

diesen göttlichen Lebenskeim wieder ersticken.

II.

Auf die innigste Gemeinschaft mit dem Herrn, welche das

heilige Abendmahl vermittelt, gründet sich auch seine Bedeutung

in Bezug auf unser Verhältniß zu den Brüdern.

Davon

handelt der 2. Vers unseres Textes, indem er fortfährt : „Ein Brod ist es, so sind wir viele ein Leib : dieweil wir Alle eines Brodes theilhaftig sind."

Also auch die in­

nigste Gemeinschaft zwischen uns und unseren Brüdern soll das heilige Abendmahl Herstellen : dieweil wir eines Brodes theil­

haftig sind, sollen wir uns ansehen und verhalten unter einander wie Glieder eines Leibes.

Der Apostel Paulus braucht, um das

richtige gegenseitige Verhältniß der Bekenner Jesu darzustellen, gern daö Bild eines Leibes, an welchem die Einzelnen Glieder sind, Christus selbst aber daö Haupt (Röm. 4,12 f. 1 Cor. 12,12 ff.).

Es ist das in der That ein gar bedeutungsvolles Bild, meine ge­ liebten Freunde!

Alle,

wie verschieden auch ihr

Beruf

seyn

mag, bewegt von demselben Geiste, der vom Haupte aus den

ganzen Leib und alle Glieder durchdringt, ein jedes Glied mit­

fühlend das Wohl und Wehe des anderen, und alle, vom Bande

der Liebe umschlungen, dahin arbeitend, daß der ganze Leib, wie eS im Briefe an die Colosser (2, 19) heißt, immer mehr wachse zu

seiner göttlichen Größe!

Könnte eS aber zur Begründung

einer solchen Gesinnung unter den Gliedern der Kirche ein wirk­

sameres Mittel geben, als daS heilige Abendmahl?

Am Tische

unseres Herrn, Geliebte, da gibt es kein Oben und Unten, da sind

alle Gäste sich völlig gleich;

der Reichste dem Aermsten,

weil er so gut, wie dieser, des Ruhmes mangelt, den wir vor

Gott haben sollten, und der Aermste dem Reichsten, weil er so gut, wie dieser, Anspruch hat auf die unerschöpfliche Gnade deS

Herrn, der diesen Mangel ersetzen kann.

Und wer mit dem

rechten Sinne diesem Tische sich nahet, wo der Herr selbst zum Genusse sich darbietet, der muß ja durchdrungen werden von dem

Geiste, der vom Haupt ausgeht, der wird hinfürder nicht blos

sein Wohl suchen, sondern auch daS Wohl der übrigen Glieder und des ganzen Leibes, dessen eifriges Bemühen wird, es seyn, daS Kranke zu heilen, das Schwache zu stärken, das Verlorene

zu suchen, und was draußen todt liegt in der Nacht des Aber­ glaubens, zu erwecken, damit auch es als lebendiges Glied wachse an den Leib, dessen Haupt Christus ist.

O Geliebte! wenn von

allen mündigen Gliedern in dieser unserer Gemeinde und in der

ganzen Christenheit mit dieser Gesinnung daS Abendmahl recht fleißig genossen, wenn dadurch die innigste

Gemeinschaft der

Glieder der Kirche unter einander und mit ihrem Haupte stets lebendig erneuert würde: welch ein verklärender Glanz müßte von diesem Mittelpunkte aus über alle übrigen Lebensverhältnisse

sich ausbreiten!

Mann und Frau würden sich erinnern, daß ihr

Bund nicht blos ein Bund für irdische Zwecke, sondern auch ein

vor Gott geweihter Bund zweier unsterblicher Seelen ist, welche

sich gegenseitig fördern sollen auf dem Wege zum ewigen Leben;

,und müßte nicht bei diesem Gedanken alle Härte, alle Heftigkeit, alle Gereiztheit, alle Gleichgültigkeit immer mehr schwinden vor dem Geiste der Milde,

hingebenden Liebe?

der Sanftmuth, der vergebenden und

Die Eltern würden nicht blos sorgen, daß

ihre Kinder auf eine anständige Weise ihr Glück machen, wie Baur, Predigten. 17

man es nennt, sondern würden fie nach der Mahnung des

Apostels (Eph. 6, 4) vor Allem erziehen in der Zucht und in

der Vermahnung zum Herrn, als ihnen

anvertraute theuere

Pfänder der göttlichen Liebe, über deren Seligkeit, oder Unselig­

keit sie einst werden zur Rechenschaft gezogen werden.

Die ver­

schiedenen Zweige des bürgerlichen Berufes würden die Diener

der Kirche und de- Staates, der Gelehrte und der Künstler, der

Kaufmann und der Handwerker und der Bauer nicht blos als Mittel betrachten zu Brod- und Gelderwerb, sondern als Thä­

tigkeiten , die dazu dienen sollten, daß in einem reich entfalteten menschlichen Leben immer mehr der verherrlicht werde, der mit

diesen mannigfaltigen Gaben die Menschen ausgerüstet hat. Wie treulich würden die jetzt zerstreuten Glieder der evangelischen

Kirche zusammenhalten gegen die Angriffe der mächtigen und be­

triebsamen Schwester, wie müßte insbesondere, wenn unsere heu­ tige Feier, das wirklich wäre, als waö sie sich ankündigt, ein aka­ demisches Abendmahl im vollen Sinne des Wortes, wie müßte

das von Segen sehn für unsere akademische Gemeinschaft! Wenn nicht blos zehn, oder zwanzig, oder dreißig, sondern Hunderte,

Lehrer und Schüler, aus allen Fächern, der Einladung des Herrn zu seinem Mahle folgten!

Wie müßte daS das Bewußtseyn be­

leben, daß unser Beruf ein von Gott gewollter ist, und in Leh­

rern und Lernenden den Eifer, in diesem Berufe etwas Tüchti­ ges zu leisten; wie das Bewußtseyn, daß wir alle arbeiten an einem Bau,

davon der allmächtige Gott der Baumeister ist,

wie das Streben, in einträchtigem, neidlosem, selbstverläugnendem

Zusammenwirken stets nur der Sache zu dienen!

Und wenn

dann die jungen Männer, denen in der fröhlichen Jugend schon der Sinn aufgegangen ist für die ernstesten Fragen des Lebens,

die den frischen Iugendmuth beugen gelernt haben vor Gott und seinem Worte, wenn dann diese jungen Männer auS dem Hör­ saale entlassen würden in daS weite und mannigfaltig getheilte

Arbeitsfeld des Lebens; was gäbe daS für Geistliche, für Richter, für Beamte, für Helfer in leiblicher und geistlicher Noth!

Ach,

das wären tüchtige Sendboten der einflußreichsten inneren Mission,

wohlgerüstet den wahren Grund des Volksglückes zu legen, wel­

chen der alte Spruch andeutet, daß Gerechtigkeit ein Volk erhöhet, aber die Sünde der Leute Verderben ist (Prov. 14,34)! — Ach es ist fast wehmüthig, es ist tief niederschlagend, von dem was sehn

könnte, auf daS zurück zu blicken, waS wirklich ist, doppelt

wehmüthig, da mit der lebendigen Theilnahme für das Mahl und für das Haus des Herrn und dem Heile, welches daraus für das Ganze folgen könnte, doch ein Jeder zugleich für da­

eigene Heil am besten sorgen würde.

III. Dies führt ünS auf den dritten und letzten Punkt unserer

Betrachtung, auf die Bedeutung des heiligen Abendmahles für

unser eigenes

inneres Leben.

Worin diese Bedeutung

liege, daS spricht am deutlichsten der letzte Vers unseres Textes

aus :

„Ihr könnet nicht zugleich trinken des Herrn

Kelch und der Teufel Kelch; ihr könnet nicht zugleich theilhaftig sehn des Herrn Tisches und der Teufel

Viele Christen in Corinth nämlich waren gewohnt,

Tisches."

nach altem Brauche fortwährend noch Theil zu nehmen an den Mahlzeiten, wie sie mit den den heidnischen Göttern dargebrach­

ten Opfern

verbunden

waren.

Diese Götzen erscheinen dem

Apostel als irre führende, verderbliche böse Geister, als Teufel,

wie cs in unserem Texte heißt, und so warnt er die Christen in

Corinth vor der Gefahr, durch die Theilnahme an dem einen heidnischen Brauch überhaupt wieder einzutreten in die Gemein­

schaft deS heidnischen Wesens und der Macht dieser Teufel zu verfallen.

Er erinnert sie zugleich daran,

wie sie durch da­

heilige Abendmahl vielmehr in die Gemeinschaft mit dem Herrn

eingetreten sehen, die sich mit jener Gemeinschaft nicht vertrage, sonder» ihnen ein heiligendes Schutzmittel seyn müsse gegen alles

ungöttliche Wesen. — Die Zeiten sind vorbei, Geliebte, da in unserer Mitte den Götzen Tempel erbaut, und sie von einem

17*

260 besonderen Priesterstande in regelmäßigem Dienste verehrt wer­ den.

Aber dennoch fehlt eS auch jetzt in der Christenheit nicht

am Götzendienst.

Der Götze

der Lust,

der Götze weltlicher

Macht und Ehre, der Götze des Reichthums — o, ihre Throne stehen hoch aufgerichtet inmitten der Bekenner Christi, wir Alle nehmen mehr oder weniger Theil an ihrem Dienste, und viele,

gar viele bringen ihnen ihre Gesundheit, ihre Zeit, ihre Kraft,

ihr ganzes zeitliches und ewiges Leben zum Opfer dar.

Auch

uns, meine lieben Freunde, thut daS heiligende Schutzmittel gar noth, das unser Herr und Heiland

in seinem heiligen Mahle

unS gegründet hat, damit es die Erinnerung an unsere Gemein­

schaft mit Ihm stets lebendig in uns erhalten und uns schützen möge vor den Gefahren der Gemeinschaft mit den Götzen dieser Welt, mit diesen Teufeln, wie unser Text sie nennt.

Und daS,

Geliebte, ist eben die Bedeutung des heiligen Abendmahles für unser inneres Leben : es trägt eine eigenthümliche Kraft der Reinigung, der Stärkung, der Heiligung unseres inwendigen Menschen in sich. —

ES ist nicht der Wille unseres Herrn,

daß wir in Wüsten und hinter Mauern fliehen vor den Freuden,

womit die Freundlichkeit Gottes dieses Leben

vielmehr hat er selbst diese Freuden geheiligt, unter die fröhlichen HochzeitSgäste sich mischte.

geschmückt

hat,

indem er dort Aber er that eS,

um das Wasier in Wein zu verwandeln, um den schlechten irdi­ schen Stoff zu durchdringen mit einem höheren Geiste, und da­

mit hat er uns ein Vorbild gelassen, dem wir nachfolgen sollen: unser Geist soll

niemals

untergehen

in

der Gemeinheit des

sinnlichen Genusses, sondern wir sollen das Sinnliche durch die belebende Kraft des Geistes erheben und verklären.

Auch der

Apostel Paulus macht an der Stelle, welcher unser Text entnom­

men ist, sogar in Bezug auf jene heidnischen Opfermahlzeiten, die im Briefe an den Titus (1, 15) ausgesprochene Wahrheit geltend, daß dem Reinen Alles rein ist, daß der Gläubige mitten

in dem Treiben der Weltlust stehen kann, ohne selbst davon ver­ unreinigt zu werden.

„Die Erde, so spricht er, ist des Herrn,

und was darinnen ist, und ich habe eS Alles Macht; aber, setzt

er

hinzu, es soll mich nicht-

(äffet dünken er stehe, Indem der Apostel

Ich habe es

gefangen nehmen!

zwar Alle- Macht; aber e- frommt nicht Alle-. mag wohl zusehen,

Denn wer sich

daß er nicht falle!"

die Theilnahme an den Freuden des

also

Lebens frei gibt, mahnt er, sie allezeit so zu gebrauchen, daß sie die Freiheit des Geistes nicht gefangen nehmen, daß ihm niemals der Taumel

der

Lust feine Besonnenheit raubt;

Sicheren vor der Gefahr,

warnt er den

mahnt ihn, die Versuchung lieber

völlig zu meiden, denn daß er ihr zum Opfer werde.

Denn es

ist mit dem erdgeborenen Menschen, wie mit jenem Riesen, von dem die heidnische Sage meldet, daß er ein Sohn der Erde ge­

wesen

sey

und

an Kraft

seine Mutter berührt.

allezeit zugenommen habe, wenn er

Auch das erdgeborene Theil des Men­

schen gewinnt jederzeit an Kraft und Wachsthum durch die Be­

rührung mit irdischer Lust, und wenn diese Berührung sich oft wiederholt, so kann eS dahin kommen, daß unser geistiges Theil

völlig

überwuchert und

geistigen Theil,

erstickt wird.

Und doch liegt in diesem

das von dem ewigen Gott dem irdischen Stoffe

eingehaucht worden ist, der Menschen wahres Wesen, und unsere wichtigste Aufgabe, unsere eigentliche Bestimmung ist, vielmehr dies

geistige Theil zu stärken dadurch,

daß wir die Berührung

mit der geistigen Welt, die Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater und mit seinem eingeborenen Sohn, unserem Herrn und Heilande, stets lebendig erhalten.

Dazu hat der Herr das Ver-

mächtniß des gesegneten Brodes, des gesegneten Kelches unS ge­

lassen. Kelche,

Indem wir essen von diesem Brode und trinken von diesem

sollen wir unseren

inwendigen Menschen

heiligen durch stete Erneuerung der dem Herrn.

stärken

und

innigsten Gemeinschaft mit

Durch die Taufe sind wir mit Christo begraben

in den Tod, auf daß gleichwie ist Christus auferwecket von den Todten, also auch wir in einem neuen Leben wandeln.

Durch

das Abendmahl ist unS das Mittel gegeben, dies Sterben und Wiederaufleben mit dem Herrn stets zu erneuern, also daß wir,

wie der Apostel sagt,

allezeit das Sterben des Herrn Jesu an

unserem Leibe tragen, auf daß auch daS Leben des Herrn Jesu

262 an unserem Leibe offenbar werde (2 Cor. 4, 10).

Und wer so

allezeit daS Sterben des Herrn in treuem Herzen bewahrt, sollte

dem im Taumel der Lust der heilige Ernst des Lebens verloren

gehen; wer so daS Leben des Herrn in sich trägt, sollte, dessen Seele dem Tode verfallen, der der Sünde Sold ist?

Nein, son­

dern die am Tische des Herrn erneute Erinnerung daran, wo

seine wahre Heimath ist, wird ihn sicher stellen gegen die Lockun­ gen der Welt, der am Tische des Herrn erneute Schwur, Ihm zu dienen, wird ihn sicher stellen, daß er sich nicht gefangen gibt

in den Dienst der Sünde.

Und wer so, dem Worte des Herrn

getreu, so oft er von diesem Brode iffet und von diesem Kelche trinket, des Herrn Tod verkündigt, bis daß er kommt, nun, Ge­

liebte, dem wird der Herr das ewige Leben verkündigen, wann er kommt.

Das ist die Bedeutung des heiligen Abendmahles, es ist das Mahl der innigsten Lebensgemeinschaft mit unserem Herrn und

Heilande, daS Mahl der innigsten Liebesgemeinschaft mit unseren Brüdern, daS Mahl der Heiligung und Stärkung unseres inwen­ digen Menschen. — Ich habe den Versuch machen wollen, ob eS

mir vielleicht gelingen möge, etwas beizutragen zur Beseitigung

der fast allgemeinen Vernachlässigung, um nicht zu sagen der tiefen Verachtung deS SacramenteS, welche wie an vielen Or­

ten, so auch in dieser Stadt herrscht.

nung auf daS Gelingen. Mauern,

Ich habe wenig Hoff­

DaS Wort wird verhallen in diesen

wie schon so manches verhallt ist.

Nun, ich habe

nach dem Worte meines Gottes den Samen ausgestreut auf daS Ackerfeld, das ich vor mir ausgebreitet sehe — Segen und Ge­ deihen kommt von ihm! — Amen.

XIX.

Die Herrlichkeit der eoaigelischeii Kirche. Predigt bei der Generalversammlung des Oberhessischen Zweigvereins der Gustav-Adolf-Stistung zu Gießen, im Juni 1855.

Tert: Hebr. 10, 19-25. Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes

des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sey mit uns allen!

Amen.

Geliebte Freunde!

Wir sind hier zusammen gekommen, um

das christliche Werk zu treiben, welches der Herr uns gebietet, wenn er durch den Mund seines Apostels uns zuruft: „Nehmt euch

der heiligen Nothdurft an!" (Röm. 12, 13). Herrn, der uns hierher versammelt hat, und

Im Namen des dessen Wort ich

jetzt verkündigen soll, heiß' ich euch Alle an dieser heiligen Stätte herzlich

willkommen!

Ein herzliches

Willkommen vor Allen

264

euch, ihr lieben Freunde, die ihr aus näherer oder" weiterer Ent­

fernung hierher gekommen seyd, damit ihr sammt uns erbauet würdet durch euren und unseren Glauben, den wir unter einan­

der

haben!

Möge doch Keiner von euch uns verlassen, ohne

mitgetheilt und empfangen zu haben etwas geistlicher Gabe, uns und ihn zu stärken; ohne gespürt zu haben den Zug der geisti­

gen Gemeinschaft, welche durch die leibliche Entfernung nicht gestört wird!

Ein herzliches Willkommen auch euch, ihr Männer lind

Frauen, ihr Jünglinge und Jungfrauen aus dieser Stadt, die unter Werktagsgedanken und Werktagsarbeit doch eine Stunde

stiller Sammlung für den Dienst des Herrn und seiner Kirche gefunden haben!

Möget ihr mit Segen an euch die Wahrheit

des Wortes erfahren, daß der Mensch nicht vom Brode allein lebt, möget ihr ein Gefühl kräftiger, nachhaltiger Erbauung aus der Kirche in eure Häuser mit hinübernehmen! Ein herzliches Willkommen euch,

ihr warmen Freunde unseres Vereins!

Möge diese Versamm­

lung dienen zur Befestigung und Belebung eures Eifers! herzliches Willkommen auch den Lauen!

Ein

Möge heute in ihren

Herzen das Feuer entzündet werden, von dem wir längst wün­

schen, es brennte schon!

Und auch dem Feinde unseres Ver­

eines, dem Feinde unserer Kirche, wenn ein solcher sich hier ein­ gefunden haben sollte, soll sein Willkommen nicht fehlen : möge,

wenn er von hinnen geht, aus dem Feinde, wenn nicht ein Freund geworden sehn, so doch ein gerechter Gegner!

Der treue Gott gieße seinen Segen aus über diese ganze Versammlung!

Er schließe die Herzen der hier Versammelten

auf, er erfülle die geöffneten Herzen mit der heiligen Kraft sei­

nes lebendigen Wortes.

Ach,

Geliebte,

Belebung, Wiederbe­

lebung vom innersten Quellpunkte des Lebens aus, thut ja unse­

rer Kirche, thut allen ihren Gliedern so Noth. Ich brauche nicht

zu beweisen, was jedermann weiß; weil wir es wissen, deswe­

gen sind wir ja hier zusammengekommen, ob es uns mit Gottes Hülfe gelingen möge, etwas zur Förderung evangelischen Lebens

beizutragen. gelischen

Oder soll ich reden von den Hunderten von evan­

Gemeinden,

von den

Tausenden

von

evangelischen

Christen in der Zerstreuung, welche der Mittel des kirchlichen

Lebens entbehren und dadurch unserer Kirche verloren zu gehen drohen; von der Schlaffheit, der Spaltung, der Verwirrung, die auch unter günstigeren äußeren Verhältnissen in der evangelischen

Kirche herrschen, und von dem Nachfolger Petri, der, ein Men­ schenfischer in anderem Sinne, Knechte aussendet, daß sie

als der Herr es meinte, seine

im Trüben ihre Netze auswerfen?

Der nachher zu erstattende Jahresbericht wird eure Blicke auf das weite Arbeitsfeld unseres Vereines richten, wird dem, der

zu helfen Lust hat, hinlänglich zeigen, wie viel noch zu thun ist, wo und wie er helfen kann.

Und was die Klagen angeht über

die KnechtSgestalt der evangelischen Kirche, gegenüber dem äuße­

ren Glanze und der äußeren Macht der römischen, so sind diese Klagen in der neuesten Zeit vielleicht mehr Mode unter uns ge­

worden, als gut ist, so sehr, daß mancher schwächere evangelische

Christ

irre

werden

könnte an seiner Kirche,

und zweifeln,

ob es nicht gerathener sey, in den Schutz der stolzen Schwester sich zu begeben, die. wenigstens äußeren Glanz und äußeren Er­

folg und die Gunst der Großen für sich zu haben scheint.

Mir

will es unter solchen Umständen heilsamer dünken, -statt einzu-

stimmen in jene Klagen, zu unserer Ermunterung lieber die un­

ter KnechtSgestalt verborgene Herrlichkeit unserer Kirche an das Licht zu stellen, lieber fortzufahren in dem stolzen Siegestone des

Triumphgesanges unseres evangelischen Glaubens, den wir vor­ hin angestimmt haben :

Und wenn die Welt voll Teufel wär' Und wollt uns gar verschlingen, So fürchten wir uns nicht so sehr,

Es soll uns doch gelingen. Der Fürst dieser Welt, Wie sau'r er sich stellt. Thut er uns doch nicht,

Das macht, er ist gericht. Ein Wörtlein kann ihn fällen!

266

„Ein Wörtlein kann ihn fällen!"

O, wenn wir nur dies

Wörtlein recht gründlich verständen, wenn wir seine unüberwind­ liche Kraft uns zu eigen machten im Grunde unseres Herzens! —

Laßt mich hineingreifen in den unerschöpflichen Schatz dieses gött­

lichen Wortes! Im Briefe an die Hebräer, im 10. Capitel vom 19. — 25. Verse steht geschrieben, wie folgt:

„19. So wir denn nun haben, lieben Brüder , die Freudigkeit

zum Eingang in daö Heilige durch das Blut Jes«,

20.

welchen er uns zubereitet hat zum neuen und lebendigen Wege, durch den Vorhang, das ist durch sein Fleisch; 21. und haben einen Hohenpriester über daS Haus Gottes: 22. So lasset «ns hinzu gehen, mit wahrhaftigem Herze»,

in völligem Glauben, besprenget in unserem Herzen, und los von dem bösen Gewissen, und gewaschen am Leibe mit

reinem Wasser;

23. und lasset uns halte» an dem Be­

kenntniß der Hoffnung, und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat.

24. Und lasset uns unter einander

unser selbst wahrnebmen, mit Reizen zur Liebe und guten

Werken; 25. und nicht verlassen unsere Versammlung/ wie etliche pflegen;

sondern unter einander ermahnen,

und

daS so viel mehr, so viel ihr sehet, daß sich der Tag nahet."

Diese Worte sollen unser Text sehn.

Laßt uns, um uns

zu stärken und zu ermuntern in dem Werke, um des willen wir

hier versammelt sind,

auf dem Grunde dieses Textes uns er­

bauen an der Betrachtung der Herrlichkeit der evangeli­ schen

Kirche.

Indem wir dem Texte Schritt vor Schritt

folgen, wird diese Herrlichkeit unserer Kirche uns entgegentreten:

in

der Völligkeit ihres Glaubens, in der Festigkeit

ihrer Hoffnung, in der Kraft ihrer Liebe.

I. also

Zuerst Glaubens.

in der

Bölligkeit

des

evangelischen

Kurz vor den Worten unseres Textes führt der

Verfasser des Hebräerbriefes ein Wort des Propheten Jeremia

(31, 33 ff.) an, worin dieser mehr denn sechshundert Jahre vor der Zeit, da Jesus von Nazareth den neuen Bund begrün­

dete, das Wesen dieses neuen Bundes im Gegensatze gegen den

alten mit wunderbarer Klarheit schildert, wenn er sagt, daß in

dem neuen Bunde, welchen der Herr mit seinem Volke machen wolle, er sein Gesetz

schreiben

wolle.

in ihr Herz geben und in ihren Sinn

Die Unvollkommenheit

des

alttestamentlichen

Glaubens bestand darin, daß er Gott vorzugsweise nur erkannte,

wie sein heiliger Wille im Buchstaben eines äußeren Gesetzes sich offenbarte, daß für das äußere Gesetz die Erfüllung in äußeren Werken gesucht wurde, daß man das Fehlende durch einen aus­

gebildeten

äußeren Opferdienst zu ergänzen suchte.

Die Voll­

kommenheit des neutestamentlichen Glaubens besteht darin, daß

bei ihin der

heilige Wille Gottes dem Menschen in daS Herz

gegeben und in den Sinn geschrieben ist,

daß er mit seinem

heiligen Geiste seinen Einzug hält in die Herzen aller Gläubi­ gen, daß er kein Opfer fordert, als das eines bußfertigen,

demüthigen, ihm sich ganz hingebenden Herzens, und statt der Erfüllung einzelner Gebote in einzelnen äußeren Werken nur die

Liebe, welche des ganzen Gesetzes Erfüllung und daS Band der Vollkommenheit ist.

DaS hat unser himmlischer Hoherpriester

zu Stande gebracht, dessen unser Text sich rühmt und wir mit

ihm, der sich selbst als das vollkommenste Opfer ein- für alle­

mal dargebracht und die völlige Versöhnung deS Menschen mit Gott für alle Zeiten hergestellt hat. Als sein theures Blut vom Kreuze rann, da zerriß der Vorhang im Tempel, der das Aller-

heiligfte vor den Augen der Gläubigen verborgen hatte : einem jeden, der das Verdienst des einzigen Mittlers im Glauben er­

greift, steht der Eintritt in's Heiligthum offen, er trägt die Ge-

268 wißheit, mit Gott versöhnt zu sehn, unmittelbar im Herzen, er darf sich der heiligen Gemeinschaft mit ihm hier schon erfreuen. DaS ist die Bölligkeit des evangelischen Glaubens. —

Aber der

Sinn der Menschen war noch zu fleischlich für ein so hohes geistiges Gut, und wie einst Gott daS Gesetz gegeben hatte um

der HerzenShärtigkeit des israelitischen Volkes willen, so schien

jetzt die römische Kirche berufen, noch einmal die Zuchtruthe des Gesetzes zu schwingen und inmitten der christlichen Kirche daS

alttestamentliche Wesen wieder zu erneuen.

seres

einen

himmlischen

derer, welche

Hohenpriesters

An die Stelle un­

trat die

lange Reihe

sich seine Statthalter auf Erden nannten; zwi­

schen den einzigen Mittler und die Gemeinde drängte sich als ein neuer Mittlerstand eine anmaßende Priesterschaft ein; an die

Stelle des einmaligen Opfers auf Golgatha trat das immer und

immer zu wiederholende Opfer der Messe; an die Stelle der Liebe und der Werke,

die mit freiem Triebe aus ihr hervor­

wachsen, traten bestimmte, von der Kirche vorgeschriebene, äußere

Leistungen, an die Stelle herzlicher Buße das im Kasten des

Ablaßkrämers klingende Geld.

Aber während diese, die göttliche

Wahrheit des Evangeliums verhüllenden Irrthümer und Gräuel von Jahr zu Jahr sich mehrten, da ward die Zeit zum zweiten Male erfüllet. Die kühnen Hammerschläge, welche am 31. October

des Jahres 1517 am Thore der Schloßkirche zu Wittenberg er­ schollen, sie dröhnten hindurch durch das ganze Gebäude der Kirche,

erschütternde Donnerschläge

des Gerichtes über alles

Menschenwerk, das dem Herrn die Ehre zu rauben gedachte, die ihm allein gebührt.

Umgürtet die Lenden mit Wahrheit, ausge­

rüstet mit dem Schilde des Glaubens,

in den

Händen das

Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes, so jagten

die feurigen Rüstzeuge, die der Herr sich erwählt hatte, die Ver­

käufer und Wechsler, die das Haus des Herrn wieder zum Kauf­ hause gemacht hatten, zum Tempel hinaus!

Menschenwerk und Menschenlehre, Gnade in Christo Jesu und

„Kein Heil

in

sondern allein in Gottes-

in Gottes Wort in der heiligen

Schrift!" daS war ihre Losung, das war das Wörtlein,

das

269

den Fürsten dieser Welt fällen kann. —

Es war kein neues

Wort, Geliebte, es war nur die Rückkehr zu der Völligkeit des

alten evangelischen Glaubens, wie ihn die Apostel des Herrn ge­

predigt

hatten.

Die neuen Prediger

dieses

alten Glaubens

kämpften gegen die römische Kirche nur, um sich den freien Zu­

tritt zu dem Heilande und seinem lauteren Evangelium zu er­ kämpfen; sie protestirten nicht mit der Willlür deS Leichtsinnes

und der Selbstsucht, sondern aus tiefstem Gewissensdrange;

sie

protestirten gegen Menschensatzung und Menschenlchre nur um

dem Dienste deS Herrn und seines göttlichen Wortes um so ungetheilter sich hinzugeben.

Das wollen wir uns

gesagt seyn

lassen, ihr, meine evangelischen Brüder und BereinSgenossen!

ES ist eine nicht zu verachtende Sache, daß ein Mensch nun ein­ mal recht bestimmt weiß, was er nicht will: es kann ihn

das alles vor manchen Verirrungen bewahren. Zug,

Aber der rechte

die heilige treibende Kraft kommt doch erst dann in unser

Wirken hinein, wenn wir mit recht inniger, lebendiger Ueberzeu­ gung wissen, waS wir wollen.

Wir heißen nicht umsonst Pro­

testanten, und wir sollen und wollen den Protest nicht aufgebcn gegen die Irrthümer der römischen Kirche, zumal nicht in gegen­

wärtiger Zeit, wo Schlauheit oder Unverstand die unübersteig-

liche Kluft

verdeckt oder

übersieht, welche von der römischen

Kirche wie sie jetzt ist — und wenn sie anders ist, so ist sie die

römische nicht mehr — u»S ein- für allemal trennt.

wäre doch weit entfernt von der

Aber der

Völligkeit des evangelischen

Glaubens, der meinte, es gehöre zu einem evangelischen Christen

nichts, als der Protest gegen die römische Kirche, und der wäre kein recht lebendiges Glied unseres Vereines, der sich nur zu ihm hielte in der Meinung, es gehe hier gegett die Katholiken.

Nein,

Geliebte, wenn unsere Kirche, wenn insbesondere das Werk un­

seres Vereins wahrhaft gedeihen soll,

so muß zu dem Protest

gegen unevangelischen Irrthum das überzeugungsvolle Ergreifen

der evangelischen Wahrheit hinzukommen, der feste Glaube an den Herrn und die innige Liebe zu ihm, der uns erlöst hat von

der Knechtschaft der Sünde und versöhnet mit Gott, und die

herzliche Liebe zu den Brüdern, denen wir gleichfalls ihren An­

theil an dem evangelischen Heile sichern und erhalten möchten.

So lasset uns denn, wie unser Text uns ermuntert, hinzugehen mit wahrhaftigem Herzen, und besprenget in unseren Herzen und loS von dem bösen Gewissen, und vor Allem lasset uns in der Bölligkeit evangelischen Glaubens immer fester wachsen an den, der unser Haupt ist, Christus.

n. Der Text fährt sogleich weiter fort : „Und lasset uns fest­

halten an der Bekenntniß der Hoffnung und nicht wanken, denn er ist treu, der sie verheißen hat."

Mit der Bölligkeit des evan­

gelischen Glaubens ist unmittelbar die wanklose Festigkeit der evangelischen Hoffnung verbunden.

anders sehn, Geliebte?

Wie könnte es auch

Wer im völligen evangelischen Glauben

steht, der weiß sich in unerschütterlicher Gewißheit mit dem Herrn verbunden, der, zur Rechten des himmlischen Vaters thronend, die Zügel des Weltalls in seiner Hand hält und den Seinen verheißen hat, daß er bei ihnen bleiben wolle bis an'S Ende der

Welt.

Er hat die Treue dessen, der das verheißen hat, an sich

selber so deutlich erfahren, daß keine scheinbar widersprechende

äußere Erfahrung ihn in seinem Vertrauen erschüttern könnte,

daß er vielmehr unter aller äußeren Noth einstimmen könnte in die Worte des Apostels Paulus (Röm. 8, 38 u. 39) : „Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel, noch Fürsten-

thum,

noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch

Zukünftiges,

weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Creatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Jesu Christo ist, unserem

Herrn!" —

Das ist die innere Gewißheit der gläubigen Hoff­

nung deS evangelischen Christen.

Sind nicht auch äußere Zeug-

niffe da, welche diese Hoffnung stützen, Thatsachen, welche einen Beweis enthalten für die siegreiche Kraft des evangelischen Glau­

bens? —

Es will kaum so scheinen,

auf die nächste Gegenwart richten.

wenn wir unseren Blick

Denn wird man uns nicht

871 Wieder entgegenhalten, wie reich an Macht und Erfolgen die römische Kirche sey, und die unsere wie ohnmächtig und zerrissen; wie die

römische Kirche unmittelbar daS Ohr der Großen besitze, wäh­ rend die evangelische bescheiden im Vorzimmer ihrer Beamten warte;

wie die römische Kirche die Einsetzung schriftwidriger

Irrlehren mit pomphaften Festen

feiern dürfe, während der

evangelische Geistliche seine Worte auf die Goldwage legen müsse, damit er nicht anstoße, wenn er auf dem Grunde der Schrift

Recht und Unrecht bei dem rechten Namen nennt. —

O laßt

unS hinaussteigen, Geliebte, aus der schwülen, dumpfigen Luft dieser Gegenwart auf die Höhen der Geschichte, wo unS über

den Gang, den die Entwickelung unserer Kirche genommen, ein freierer Blick gestattet ist!

Ich richte euer Auge auf ihre beschei­

denen Anfänge. Wie sind diese doch mit einer reißenden Schnellig­ keit weit über das hinausgewachsen, was die menschlichen An­ fänger selbst erwarten oder bitten oder verstehen konnten, zum

deutlichen Beweise, daß Gott der eigentliche Anfänger gewesen ist!

Und wenn wir dann die weitere Verbreitung der evangeli­

schen Kirche verfolgen, so will eS mich bedünken, daß wir beim Vergleiche mit der römischen die Anwendung des Wortes (Matth.

7, 16) :

„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen"

nicht zu

Oder sage ich zu viel, wenn ich sage, daß

scheuen brauche».

kein Volk mehr an dem geistigen Fortschritte der Menschheit, an

der Förderung der höchsten Güter des Lebens einen wesentlichen, selbstthätigen Antheil nimmt, das nicht von dem Leben der evan­

gelischen Kirche

ich

will nicht sagen durchdrungen, aber doch

wenigstens tiefer berührt wäre?

Sage ich zu viel, wenn ich

hinzufüge, daß in den Ländern evangelischen Bekenntnisses mehr Fleiß in der Hütte des LandmanneS, mehr Zucht und Sitte im

Hause, mehr Ordnung nnd gesetzlicher Sinn im Staate zu fin­

den ist, während die Länder, in welchen die römische Kirche die ungetheilteste Herrschaft auSübt,

und

auch

das

Land,

unter der unmittelbaren Herrschaft desjenigen steht, Statthalter Christi

nennen

läßt,

das

der sich

in allen diesen Beziehun­

gen die zahlreichsten Beispiele vom Gegentheile liefern? O möch-

ten doch die, welchen die Regierung der Völker anvertraut ist,

diese deutlichen Lehren der Geschichte beherzigen, damit sie die Züchtigung der Geschichte nicht empfinden müssen! — Nun, ge­ liebten Freunde, wir wenigstens wollen uns diese Lehren gesagt

sehn lassen; wir wollen uns bei allen trüben Erfahrungen im

Einzelnen, bei der Verfolgung von Seiten der Gegner, bei der

Lauheit und Zaghaftigkeit und Verblendung der eigenen Glau­ bensgenossen deß getrosten, daß im großen Ganzen der evangeli­

sche Geist, wie sehr ihm auch die entsprechenden, lebendigen, wirk­ samen kirchlichen Formen noch fehlen mögen, seinen Siegesgang

durch

die Weltgeschichte unaufhaltsam

fortsetzen

und vollenden

wird; wir wollen die fröhlichen Vorzeichen neuerwachten evan­ gelischen Lebens, unter welchen der Verein, der uns hier zusam­ mengerufen hat, eines der ersten und bedeutsamsten war, freudig begrüßen.

Ja, Geliebte, noch immer streit für uns der rechte

Mann, der das Feld behalten muß; Gott gebe nur, daß wir stets recht treu an ihm halten!

O lasset uns festhalten an der

Bekenntniß der Hoffnung und nicht wanken, denn er ist treu, der

sie verheißen hat!

III. Aber zu der tröstlichen Hoffnung auf die Hülfe des Herrn

muß der warme Liebe seifer sich gesellen, den wir selber in

seinem Dienste beweisen.

Das ist der Punkt unserer Betrachtung,

welcher zu unserer gegenwärtigen Versammlung in der unmittel­ barsten Beziehung steht.

Ein hochbegabter evangelischer Christ,

der theure Ph. I. Spener, hat einmal das schöne Wort aus­ gesprochen, daß der Christ beten müsse, als ob die Gnade Got­

tes Alles allein zu thun habe,

und dabei arbeiten,

als ob er

Alles zu vollbringen habe mit seiner menschlichen Kraft.

Wir

wissen ja, geliebte evangelische Brüder, daß mit unserer Macht nichts

gethan ist, und so wollen wir inbrünstig beten, daß der

Herr bei uns bleiben möge mit seiner Kraft, und fest hoffen,

daß er unser Gebet erhören werde.

Mer nicht, um die Hände

in den Schooß zu legen, sondern um, durchdrungen von dem

Geiste des Gebetes, muthig und rüstig an die Arbeit zu gehen; gilt doch noch immer das Wort, daß das Arbeitsfeld groß ist

und die Erndte reich, und der Arbeiter wenige sind! Unser Text ermahnt uns zu diesem Liebeswerke, indem er fortfährt: „Lasset

uns unter einander unser selbst wahrnehmen mit Reizen zur Liebe

und guten Werken."

selbst wahrnehmen.

Wir sollen unter einander unser

Was ist das für ein schönes Wort!

Die Mutter nimmt ihres KindleinS wahr, damit es keinen Scha­ den nehme, der treue Pfleger nimmt des Kranken wahr, damit

nichts versäumt werde, was zu seiner Wiedergenesung dient; eS spricht sich darin so wunderschön die gewissenhafte, sich selbst

vergessende, hingebende Sorge aus für das Wohl des Andern, wie sie herrschen sollte unter solchen, die, wie die Glieder der evangelischen Kirche, des Leibes, an dem Christus das Haupt ist, auch unter einander Glieder sind.

Oder wäre es nicht thöricht,

wenn das Haupt sich nicht bekümmern wollte um das Leiden des

Fußes, wenn die Hand sich nicht erheben wollte, um den Splitter

Sder Balken zu entfernen, der das klare Licht des Auges trübt, wenn das gesunde Glied nur seiner Gesundheit sich freuen und

warterr wollte, bis

zum

bis durch die leidenden Glieder die Krankheit

Herzen

vordringt

und

ganze Leib dem Tode verfällt?

nun

mit einem Male der

Und doch ist es so gewesen,

ist es zum Theil noch so in der evangelischen Kirche. —

Bei

dem Mangel an einem äußeren Vereinigungspunkte sind durch mancherlei ungünstige Umstände die Glieder unserer Kirche aus­ einandergerissen worden.

Wie viele unter uns haben vor nur

zwölf Jahren noch etwas gewußt von der kirchlichen Noth unse­ rer evangelischen Brüder in Böhmen, in Schlesien, in Ungarn,

von der tiefen geistlichen und leiblichen Noth, die unsere nächsten

Landesgenoffen in der Weltstadt Paris zu erdulden haben, von der Entbehrung

evangelischer Gemeinden in unserem

Vaterlande selbst? Baur, Predigten.

engeren

Wir dürfen es aussprechen, Geliebte, daß

18

274

der Gustav-Adolf-Berein mH Gottes Hülfe das Seine dazu bei­ getragen hat, daß da- Zerstreute gesammelt, daß der wechsel­

seitigen Gleichgültigkeit evangelischer Brüder ein Ende gemacht wurde, daß wir unter einander unser selbst wieder wahrnahme« mit Reizen zur Liebe und guten Werken.

Wie mancher Gemeinde

in der Zerstreuung ist die Liebesgabe, welche ihr unser Verein zuwandte, ein Reiz geworden, daß der schwach glimmende Docht ihres Glaubens nicht verlosch, sondern fröhlich wieder aufleuch­

tete; wie Manchem ist der Dank der Unterstützten ein Reiz ge­ worden , sich darüber zu besinnen, wa- es doch für ein Glück

seh, die Segnungen de- evangelischen Glauben- ungehindert zu genießen, und somit ein Reiz zu vermehrtem Liebe-eifer und zu

neuen guten Werken.

Wie Manchen hat mehr die Neugier zu

einer Versammlung unsere- Vereines getrieben, und ein begei­ stertes Wort hat sein Herz zur rechten Stunde getroffen und er

ist heimgekehrt mit dem Keime zum neuen Leben in seiner Brust!

Auch auf die Anfänge unseres Vereine- hat der Herr seinen Segen gelegt, daß sie hinau-gewachsen sind weit über da-, wa»

die Anfänger selbst baten oder verstanden — laßt uns nicht müde

werden, das mit Gotte- Segen begonnene Werk fortzuführen mit eifrigem Beten und Arbeiten,

und nicht verlassen unsere

Versammlung, wie etliche pflegen!



Einige haben

unsere Versammlung verlassen, weil ihnen der Gustav-AdolfBerein zu viel glaubte, andere sind ausgeschieden oder nie ein­

getreten, weil er ihnen

zu wenig glaubte oder bekannte,

oder

weil sie die Hülfe auf einem anderen Wege suchen zu müssen

glaubten.

Der Gustav-Adolf-Verein hat, wie jede menschliche

Gemeinschaft, seine Schwächen, aber es sind die Schwächen der evan­ gelischen Kirche in ihrem gegenwärtigen Zustande selbst.

Es ist

der eigenthümliche Werth unseres Vereins, daß keine Gemein­ schaft, so wie er, nicht blos gewisse Bestrebungen des Kirchenregi­

mentes oder einer bestimmten kirchlichen Richtung, sondern die gesammte evangelische Kirche Deutschlands selbst in ihrem gegen­

wärtigen Bestände darstellt.

Und

ist eS denn nicht ein rechter

Segen, einen Boden zu haben, auf welchem die verschiedensten Elemente des kirchlichen Lebens sich begegnen, auf welchem, wie Luther sagt, die Geister auf einander treffen und platzen kön­

nen, damit der Irrende belehrt, der Schwache gestärkt, der Laue

begeistert, der Acngstliche ermuthigt werde, und am Ende mit Gottes Hülfe Recht bleibt, was vor Gott recht ist, und der Se­

gen einer so gewonnenen Versöhnung oder Verständigung der

Gegensätze der ganzen evangelischen Kirche zu Gute komme? — O mir wird mein Lebenlang in den Ohren und im tiefsten Herzen das Wort wiederklingen, welches im Jahre 1847, da die bisherige Einigkeit des Vereins die erste tiefgehende Störung

erfahren hatte, auf der Hauptversammlung zu Darmstadt der

ehrwürdige Probst

Nielsen,

jetzt ein Confessor der deutsch­

evangelischen Kirche, aussprach :

Gnade Gottes,

daß er uns

„Ich halte es für eine große

in der Zeit, wo wir links nicht

wußten, was rechts war, wo wir nichts erfuhren, als durch die Trompete der Kirchenzeitungen, ich halte es für eine

große

Gnade, daß er uns da einen Verein gegeben hat, wo wir hin-

eingehen und sagen konnten, nun will ich mit dir ringen, und wenn dein Glaube der rechte ist, so sollst du mich packen, so laß mich nicht los, so fasse mich fest bei der Hand und ziehe mich

hinüber zu dir, und habe ich daS Bessere, so will ich mich an

dich hängen mit der ganzen Gewalt einer liebenden Seele, so wollen wir fest und freudig vereint stehen in unserer Kirche, wir

lassen uns nicht los, denn wir sind Brüder in der evangelischen

Kirche."

Ich dächte, Geliebte, daS war gut deutsch gesprochen

und gut evangelisch auch, und daran wollen wir halten, und

nicht verlassen unsere Versammlung und nicht die bessere Ueber­ zeugung, die wir zu haben glauben, den Brüdern vorenthalten,

sondern uns unter einander ermahnen, wie unser Text fordert,

damit dem Besseren der Sieg und der Wahrheit die Ehre werde, wie ja auch diese Gesinnung, Gott seh Dank! bei den meisten

über frühere Mißstimmung gegen den Verein immer mehr die

Herrschaft zu gewinnen scheint.

276 Wenn es hierzu außer den in der Sache selbst liegenden

Gründen noch einer besonderen Anreizung bedürfte, so läge sie in den Schlußworten unsere-Texte- :

„Um so viel mehr,

so viel ihr sehet, daß sich der Tag nahet." —

Daß

der Tag sich nahet, das enthält in mehr als einem Sinne eine Mahnung an uns, nicht lässig zu werden in dem Liebeswerke,

daö uns hier versammelt hat. evangelischen

Der Tag nahet, da manche der

Kirche angehörende Seele, da manche evangeli­

sche Gemeinde nicht mehr im Stande sehn wird, ihren evangeli­ schen Glauben gegen die Ungunst der Umstände zu behaupten:

laßt uns nicht säumen mit der Hülfe, so lange es Zeit ist!

Der Tag nahet, da ein neuer Entscheidungskampf beginnen wird zwischen römischem Irrthum

und evangelischer Wahrheit,

zu

führen, so Gott will, von uns nur mit geistigen Waffen, vor

Allem mit dem Schwert des Geistes, welches ist das Wort

Gottes.

Der Gegner sammelt seine Kräfte und läßt e- an

Herausforderung nicht fehlen : laßt uns nicht säumen, die Vor­

die seinem Gebiete am nächsten liegen,

werke,

wohl auSzu-

rüsten, und festen Sinnes um unsere Fahnen uns zu schaaren l

Am eindringlichsten spricht aber doch auch zu uns

die

daß der Tag nahe, in dem ursprünglichen Sinne

Mahnung, des Textes.

Der Tag nahet, Geliebte, da der Herr kommt,

das Unkraut von dem Waizen zu sondern, da wir vor seinem Richterstuhl alle müssen offenbar werden.

manches

so

Wie wird uns da

was

unbedeutend erscheinen,

gar

wir

jetzt für

hochwichtig halten, wie wird uns als das einzig Werthvolle erscheinen

Glaube

an

der

lebendige,

ihn,

der

für

hingebende,

uns

sich

in

der Liebe thätige

dahingegeben

hat.

O

wohl uns, geliebte evangelische Brüder und Schwestern, wenn

dann unter der Schaar in weißen Kleidern auch solche stehen, auf die der Herr Hinweisen und sprechen könnte : Sehet, das sind die,

um die ihr

geworben

habt für mich mit Reizen

zur Liebe und guten Werken, das sind die Armen, denen ihr

das

Lebensbrod

des

Evangeliums

gereicht habt,

denen

ihr

277 Kirchen gebaut habt und Prediger gesandt, denen die Reichen unter euch gegeben haben von ihrem Ueberfluß und die Rüsti­ gen vom Verdienst ihrer Arbeit und denen auch das Scherflein eurer Wittwen nicht entgangen ist! Wahrlich, ich sage euch, was ihr gethan habt einem unter diesen meinen geringsten Brü­ dern, das habt ihr mir gethan! Amen.

XX.

Die Herrlichkeit des evangelischen Predigt­ amtes. Predigt bei der Ordination am 12. Sonntage nach Trinitatis 1841.

tert : 2 Cor. 3, 4-11.

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes

des Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes seh mit uns Allen!

Amen.

Geliebte im Herrn!

Noch nie, so oft mir die Gnade zu

Theil ward, das Wort des Herrn einer christlichen Gemeinde zu

verkündigen, habe ich diesen Gruß mit so eigenthümlicher Bewe­ gung ausgesprochen,

als

in

diesem Augenblicke.

Denn meist,

wenn der Prediger auftritt, ist eben der Gedanke, daß er nicht sich selbst zu predigen habe, sondern daß er auftrete als Bot­ schafter an Christi Statt, dasjenige, waS ihn erhebt und ihn

seinen Mund aufthun läßt zum Preise de» Herrn, getrost und freudig;

nur selten kommt ihm der Fall vor, daß er in seiner

Predigt Beziehung nehmen

muß auf seine Person. —

Ein sol­

cher Fall ist nun aber der meinige, und leicht der wichtigste im

ganzen Verlauf de» Leben» de» evangelischen Geistlichen.

Es ist

für mich die Stunde gekommen, da ich vor Gott und vor dieser

christlichen Gemeinde, nachdem ich zum Diener der Kirche ordent­ lich berufen bin, nun geloben soll, daß ich eines solchen Dienste»

stets mit Gotte» Hülfe mich würdig beweisen will in Gesinnung, Wort und Wandel.

In einer solchen Stunde, wo es gilt, sich

zu dem Berufe zu entscheiden, dem man sein Leben lang alle Kräfte weihen und angehören will mit Leib und Seele, da wird

wohl daö Herz mit Bangigkeit erfüllt durch die ernste Frage, ob denn nicht Fleisch und Blut uns getrieben hat zur Wahl dieses Berufes, ob es wirklich, wie es sehn soll, der Geist des Herrn

ist, der uns dazu berufen hat?

Da fühlen wir uns wohl bei

Vergleichung des schwachen Werkzeuges mit der unendlich hohen

Aufgabe erschüttert von den Schauern der Unendlichkeit, und es

begleitet

uns bei dem

erhebenden,

beseligenden Geschäfte der

Verkündigung des göttlichen Wortes eine sonst nicht gefühlte Be­ fangenheit. Aber wenn ich, bevor ich eintrete in den neuen Beruf, mich

noch einmal zurückwende, wie es ja natürlich ist, daß man, bei einem solchen Merkzeichen angekommen, noch einmal hinblickt auf

den zurückgelegten Weg; wenn ich mir vergegenwärtige die Zeit meines Lebens, die hinter mir liegt, so erkenne ich zwar neben

der freundlich segnenden auch die strafende Hand und den ernst­ lich warnenden Finger Gottes;

aber es war doch immer die

gnädig leitende Hand des Vaters.

Ich habe wohl früher, als

die meisten meiner Berufsgenossen

die fortwährende Gültigkeit

de- Wortes, daß der Mensch sein Brod essen soll im Schweiße

seines Angesichtes, gründlich erfahren; aber ich habe auch erfah­ ren, daß der Fluch dieser Worte zum Segen wird durch die Liebe Gottes, die in Jesu Christo ist; ich habe manchen Blüten­

traum ungereift wellen sehen,

es ist Vieles, ja ich kann sagen,

280 eS ist Alle-, was auf den Gang meines Leben- von bedeuten­

dem Einfluß war, anders geworden, als ich erwartete und be­ absichtigte, aber der Herr hat Alle- wohl gemacht, ich bin nie

versucht worden über Vermögen, und wenn ich zurücksehe auf

seine wunderbare Führung, so kann ich nicht ander-, als einstim­ men in den Preis de- Psalmisten (126, 3) :

Große- an mir gethan, deß bin ich fröhlich!"

„Der Herr hat

Und nun stehe

ich vor einer Gemeinde, damit ich eingeführt werde, um zur Un­

terstützung ihrer ordentlichen Geistlichen, in ihr zuerst im geistlichen Amte zu wirken, in welche ich vor wenigen Jahren erst eingetreten bin als ein Fremder.

Und doch, der Zeit, da ich ihr fremd ge­

wesen wäre, entsinne ich mich eigentlich nicht; mein erster Ein­

tritt in ihre Mitte war der Eintritt in ein HauS, das mich den Abschied au- dem elterlichen bald verschmerzen ließ, da- auch mir eine lehrreiche Schule geworden ist und von dem die er­

schütterndsten Wechselfälle deö Leben- mich noch nicht zu trennen vermochten; eS war der Eintritt in einen Beruf, in welchem ich

den Ernst de- Lebens frühe einsehen und meine Kräfte gebrauchen lernte,

und wenn nicht immer mit Segen gebrauchen,

doch

demüthig kennen lernte, in dem mir viel Liebe und viel Wohl­ wollen geworden ist; ja, eS hat mir hier niemals, weder im

Glück an Theilnahme, noch im Unglück an einem Freund gefehlt; so habe ich hier die wichtigsten Jahre für die geistige Entwicklung

deö Menschen verlebt, und nun ich an diese Gemeinde mich ge­

bunden fühle durch da- doppelte schöne Band de- akademischen

und de- geistlichen Lehrberufe-, wiederhole ich mit erhöhter Freudig­ keit die Worte de- innigsten Danke- :

„Der Herr hat Große»

an mir gethan, deß bin ich fröhlich!" und wa» noch im dunkeln Schooße der Zukunft liegt, und zu schauen mir nicht gegeben

ist, davon sagt mir doch der Glaube, daß auch das herrlich htnauSgeführt wird, und in diesem Verttauen auf Gotte» gnädi­

gen Beistand löst sich da- Gefühl der Bangigkeit, mit dem der ernste Augenblick mich erfüllt, auf in eine ernste und bescheidene,

aber getroste Zuversicht.

Daß ihr, geliebte Freunde, die Stunde, in welcher ein neuer

Arbeiter eingeführt wird zum Dienst am göttlichen Wort,

mit

mir für eine bedeutende, daß ihr das evangelische Predigtamt

selbst für ein wichtige- Amt haltet, dafür bürgt mir die beson­ dere Theilnahme, mit welcher bei solcher Gelegenheit immer die

Gemeinde der heiligen Stätte sich naht.

Und so entspricht e-

denn wohl eben so sehr eurer Stimmung al- der Forderung mei­

nes Gefühls, wenn ich heute zum Gegenstände unserer gemein­ samen Andacht die hohe Bedeutung, oder die Herrlichkeit des

evangelischen Predigtamtes mache. Und dieser doppelten Neigung von unserer Seite kommt der epistolische Text, welchen die kirch­ liche Sitte als Grundlage für unsere heutige Betrachtung dar­

bietet, auf's Willkommenste entgegen. Er findet sich im 2. Briefe Pauli an die Corinther und lautet dort im 3. Capitel vom 4.—11.

Bers folgendermaßen :

„4. Ein solches Vertrauen aber haben wir durch Christum zu Gott.

5. Nicht, daß wir tüchtig sind von uns selber,

etwas zu denken, als von «ns selber; sondern, daß wir

tüchtig sind, ist von Gott;

gemacht hat,

6. welcher auch uns tüchtig

das Amt zu führen des neuen Testamentes;

Denn

der

der Geist macht lebendig.

7.

nicht des Buchstabens, sondern deS Geistes.

Buchstabe

tödtet,

aber

So aber das Amt, das

durch die Buchstaben tödtet und

in die Steine ist gebildet, Klarheit hatte; also, daß die

Kinder Israel nicht konnten ansehen daS Angesicht MosiS, «m der Klarheit willen seines Angesichts, die doch aufhöret: 8. Wie sollte nicht vielmehr das Amt, das den Geist gibt,

Klarheit haben?

9. Denn so das Amt, das die Ber-

dammniß prediget, Klarheit .hat; vielmehr hat das Amt,

das die Gerechtigkeit prediget, überschwängliche Klarheit. 10. Denn auch jenes Theil, daS verkläret war, ist nicht

für Klarheit z« achten gegen dieser überschwänglichen Klar­

heit.

11. Denn so daS Klarheit hatte, das da anfhöret;

vielmehr wird das Klarheit haben, daS da bleibet."

282

Diese Worte de» Apostel« sollen un« anleiten, die hohe

Bedeutung und Herrlichkeit, oder, wie der Apostel sich au»-

drückt, die Klarheit de» evangelischen PredigtamteS zu betrachten,

zunächst in Bezug auf die

Quelle

seiner

Kraft, dann in Bezug auf die Art seiner Wirksamkeit, und endlich in Bezug auf seinen Inhalt.

L Zuerst

also

fragen wir nach

der Quelle der hohen

Kraft de« evangelischen Predigtamtes.

freilich

Und da scheint uns

eine oberflächliche Betrachtung dieses Amtes eine nicht

eben tröstliche Antwort zu versprechen.

Wir sehen nichts von

dem Scheine besonderer Heiligkeit eines aus den Berhältniffen der Gesellschaft abgesonderten Priesterstandes, nichts von dem

blendenden Glanze hoher, in geordneter Abstufung aufeinander folgender geistlicher Würden; da ist keine furchterregende Macht über die Gewissen, beruhend auf der Ansicht von einer magischen Ge­

walt des Priesters, zu binden und zu lösen.

Das evangelische

Predigtamt verdankt seine Entstehung nur dem Bedürfniffe nach Ordnung

in dem

christlichen Gemeindeleben;

der evangelische

Prediger hat, so scheint eS, keine Quelle, aus welcher die Kraft seiner amtlichen Wirksamkeit

entspringt,

als

seine eigene be­

schränkte Persönlichkeit. Und wie gering ist diese Kraft! — Muß er nicht mit allen

seinen Brüdern bekennen, daß hier kein Unterschied sey, daß er ein Sünder sey, wie sie, und des Ruhms mangele, den er vor

Gott haben sollte? Er soll belehren, und in jeder Versammlung können Weisere seyn, denn er ist; er soll trösten, und muß so oft selbst llagen über die Schwachheit seines Glaubens; er soll

strafen und züchtigen, und fühlet so oft sich selbst gebeugt vom Bewußtseyn seiner Sünde; er soll daS Wohl der Kirche fördern,

beitragen zum Wachsthum und Gedeihen deS heiligen Leibes Ehristi, und muß sich sagen, daß er selbst noch nicht ein so

lebendiges, gesundes Glied an diesem Leibe ist, wie er es seyn sollte.

Sollte da nicht jeder,

wenn

er ehrlich

ist

und die

große Aufgabe nicht zu gering und seine geringe Kraft nicht zu hoch anschlägt, niedergeschlagen einstimmen in das Bekenntniß,

welches auözusprechen der große Apostel sich nicht scheute, daß wir hier nicht tüchtig sind, etwas zu denken und zu thun

als von uns selber?

Wenn nun gar

der,

welcher sich

berufen glaubt zur Wirksamkeit in der Kirche des Herrn, die gegenwärtige Zeit näher betrachtet, in die der Herr ihn hinein­ gestellt hat und seine schwache Kraft, wo in dem Gebiete der Wissenschaft, wie deö religiösen Lebens, die Parteien gegeneinan­

der zu Felde liegen mit einer lange nicht erhörten Erbitterung,

so daß es

schwer ist, im lärmenden Gewirre der streitenden

Stimmen sich selbst zu

verstehen, geschweige daS versöhnende

Wort für Andere zu finden, und, wenn es gefunden wäre, man immer noch zweifeln müßte, ob nicht der Eifer des Streites den Gegensatz

so gespannt hat, daß Niemand von Verständigung

etwas wissen will; wenn man berufen ist, den Dienst der Kirche

zu

üben in einer Stadt, von der man vcrauSsetzen muß, daß

alle widerstrebenden Elemente der Zeit in ihr sich vereinigt fin­

den ,

wo, während wohl bei den meisten das in bester Mei­

nung

ausgesprochene Wort eine gute Statt findet, man doch

nicht sicher ist, ob nicht auf der einen Seite Hörer da sind, die nur eine vorübergehende Regung in

unsere Mitte geführt hat,

denen das Wort vom Kreuze eine Thorheit und das christliche

Predigtamt überhaupt nur ein nutzloses Erbe aus unaufgellärten Jahrhunderten ist, und auf der andern Seite solche, deren be­

schränkter Ansicht man noch zu frei, deren Buchstabenglauben man noch zu geistig predigt! —

Ihr gesteht mir zu, geliebte

Freunde, dieses Bild unserer Verhältnisse ist nicht das Traum­

bild einer trüben Einbildung, sondern es entspricht der Wirklichkeit, und so bekennen auch wir euch offen, wenn wir nichts wei­

ter hätten, als unsere menschliche Kraft, wir müßten die Arme sinken lassen, verzweifelnd an der Möglichkeit, den ungeheueren

Fels wegzuwälzen vom Grabe des Erlösers, der so vielen inner-

284 halb der christlichen Gemeinde völlig entschwunden, so vielen noch nicht zum wahren Leben erwacht ist.

Aber dennoch sehen wir

immer noch Diener wirken im Dienste des Herrn mit Muth und gewisser Hoffnung des Erfolges; denn wie wir mit dem

Apostel eingestimmt haben in das demüthige Bekenntniß, daß wir nicht tüchtig sind von uns selber, so sprechen wir auch mit ihm weiter im Tone muthigen Vertrauens : Ein solch Ver­

trauen haben wir durch Christum zu Gott, und daß

wir tüchtig sind, ist von Gott.

Mit einem solchen Bun­

desgenossen läßt sich der schwere Kampf schon wagen! Der evangelische Prediger, welcher seinen Beruf richtig er­ kannt hat, weiß ja, daß er überhaupt nicht eigene Weisheit zu

verkünden hat, daß er nicht Gnade zu vertheilen hat von sich auS; der evangelische Geistliche soll und will für nichts Anderes gehalten werden,

als, wie Paulus an einer anderen Stelle

(1 Cor. 4, 1) sagt, für Christi Diener und Haushalter über

Gottes Geheimnisse.

Das Geheimniß,

welches

der Herr der

stolzen Weisheit verhüllt und dem demüthigen Glauben geoffen­

bart hat;

die

frohe

Botschaft,

welche verkündet,

daß das

ewige Wort Gottes Fleisch geworden ist in Jesu Christo;

das

große Wort, welches in unscheinbarer Gestalt hervorgegangen aus den beschränktesten, niedrigsten Kreisen, die ganze Welt durch­ drungen und umgestaltet hat, das, oft unterdrückt, sich immer

wieder siegreich über alle Feinde erhoben hat, und immer noch mit heiligem Feuer das Starre durchdringt und das Todte belebt, das ist das Wort, welches zu verkünden unser Mund gewürdigt ist, daS ist der herrliche Schatz, zu dessen Haushalter wir beru­

fen sind.

Und an den HauShaltern suchet man nicht mehr, denn

daß sie treu erfunden werden (1 Cor. 4, 2).

Treu also sollen

wir den uns anvertrauten Schatz verwalten, das Wort des Le­ bens sollen wir austheilen unverfälscht und unverkümmert; und

wo dies Wort so geboten wurde, da hat eS noch immer durch­ geschlagen, da war kein Herz so gleichgültig, daß eS nicht getrof­

fen, kein Sinn so weltlich, dem es nicht mindestens Ehrfurcht

eingeflößt hätte; da hat eö sich noch immer bewährt

als eine

Ä5 gewaltige Kraft Gottes selig zu machen Alle, die daran glauben. Und wer sich so als treuen Haushalter beweist, wer nicht seinen

Ruhm sucht, sondern nur Gottes Ehre, wer nicht seiner Kraft sich rühmt, sondern lieber seiner Schwachheit, damit die Kraft

Christi um so gewaltiger bei ihm wohne,

wahrlich, noch nie ist

dessen Vertrauen zu Schanden geworden auf den, der da spricht

(2 Cor. 12, 9) :

„Laß dir an meiner Gnade genügen;

meine Kraft ist in dem Schwachen mächtig."

denn

Der Same, den

die treue Hand im Glauben ausgestreut hat, ist noch nie ohne

Segen gesäet worden, und wird auch künftig seine Frucht brin­ gen; dies Vertrauen dürfen wir haben zu Gott durch Christum,

der Apostel und Propheten und Hirten und Lehrer eingesetzt hat (Eph. 4, 11), damit der heilige Leib der Kirche erbauet werde,

und der von seiner Kirche nicht weicht bis an der Welt Ende. Das mächtige Walten des Geistes des Herrn, daS ist die Macht,

auf die wir vertrauen, auS

der

das

schöpft, ist

und

die unversiechbare Quelle,

evangelische Predigtamt seine Kraft

die

Allmacht

und

Gnade

des

lebendi­

gen GotteS selbst.

II.

Soll aber dieß Vertrauen nicht eine leere Einbildung sehn, oder gar für de» evangelischen Prediger ein Bette der Trägheit werden, soll eö vielmehr den Einzelnen ein Antrieb werden, an

seinem Theil Zeugniß abzulegen von der Kraft seines Amtes, so

muß

die

uns

er die

weitere

Aufschluß

gibt

Mahnung

über

die

des

Apostels der

Art

keit des evangelischen Predigtamtes.

beherzigen, Wirksam­

Unser Text hält

sie uns vor in der Lehre, daß das Amt des neuen Testamentes,

zu welchem Gott uns tüchtig macht, nicht seh ein Amt des Buchstabens, sondern des Geistes.

Wenn wir den viel­

sagenden Gegensatz zwischen Buchstaben und Geist anwenden auf

die Wirksamkeit in irgend einem Amte, so sind wir wohl darüber einig, daß der Buchstabe das Aeußere jener Wirksamkeit bezeich-

286 net, das, waS sich durch äußere Gesetze bestimmen, durch äußer­ liche Thätigkeiten erfüllen, wohl auch durch äußere Nöthigung

erzwingen läßt; daß wir dagegen unter dem Geiste das Innere zu

verstehen haben, daS die Thätigkeiten erst mit dem wahren Leben durchdringt, das durch keine äußeren Satzungen gefordert, durch keinen äußeren Zwang erpreßt werden kann, die heilige Kraft, die frei von innen hervorquillt aus warmem, gottbegeistertem, liebevollem Herzen.

Schon im alltäglichen bürgerlichen Leben,

in jeglichem Lebensberuf läßt dieser Gegensatz sich bemerken. Da

sehen wir Arbeiter, welchen sich durchaus nichts nachsagen läßt; denn sie genügen den äußeren Forderungen ihres Berufes voll­

kommen. Aber sie thun doch auch gerade nur so viel, und wenn sie daö gethan, so freuen sie sich, ihrer Geschäfte los zu seyn, die ihnen nie recht Herzenssache waren, sondern sie stets gedrückt haben wie eine durch ein äußeres Gesetz ihnen aufgebürdete Last, und so ist ihre Thätigkeit doch nichts, als ein elender, abgekaufter und

abgezwungener Miethlingsdienst, ohne den heiligenden Geist von in­

nen, ohne frisches Leben, ohne freudiges, eingreifendes Wirken. DaS sind die, die ihr Amt betrachten als ein Amt des Buchstabens. Aber

daneben gibt cS Andere, die keinen Unterschied zu machen wissen zwi­ schen der Forderung ihres Berufes und der Neigung ihres Herzens,

denen die Pflicht ihres Berufes nicht erscheint als ein zwingendes Ge­ setz, dem sie nur mit Widerwillen folgen, die vielmehr für ihn

leben mit Leib und Seele, und sich nimmer genügen können in

Das sind keine MiethlingSscclen, sondern gute Hirten, in

ihm.

deren Wirken

wahrer Segen

ist

und

durchgreifende Kraft;

daS sind die, denen ihr Amt ein Amt des Geistes ist. — Keinen Beruf aber gibt es, in dem eS schädlicher und schimpflicher ist,

wenn an die Stelle freudigen, begeisterten Wirkens jener knechti­

sche

Miethlingssinn tritt, als in dem Predigtamte deö neuen

Testamentes, in dessen Wirken das Walten des heiligen Geistes sich kundgeben soll, der die Kirche des Herrn gegründet hat und

erhält.

Dies Amt muß vor Allem ein Amt des Geistes seyn

und nicht deS Buchstabens.

Und zwar zunächst

Geistes für uns, die christlichen Prediger.

ein Amt des

Nicht umsonst

387

hat die evangelische Kirche gleich bei ihrem Auftreten von ihrem geistlichen Stande alle Zeichen äußerer Herrschaft entfernt.

Wir

wollen das nicht beklagen als einen Verlust, sondern es uns eine stete Mahnung sehn lassen, durch innere Kraft zu ersetzen, wa-

unS an äußerer Gewalt gebricht, und wo kein Buchstabe mehr

uns schützt, um so kräftiger führen zu lernen daS Schwert des

Geistes.

Und so helfe auch mir der Herr, daß die heiligen

Funken, die der Ernst dieser Stunde erweckt, nicht wieder ver­ löschen;

daß

wenn sein Dienst mich

auffordert zu

freudiger

Wirksamkeit, es mich nie gemahne wie der zwingende Ruf eines

äußeren Gesetzes, daß sein heiliges Wort, daS ich hier zu ver­

künden habe, mir niemals seh ein leerer Schall, sondern daß ihm im Herzen stets freudig zustimme daS Zeugniß des heiligen Geistes und es erklärt werde auö demselben Geiste, aus dem es

geboren ist.

Er gebe mir Kraft, daß hier oder wo mir sonst

mein Beruf zu reden gebeut, ich nie anders rede, als aus in­

nigster Ueberzeugung; daß ich nie eine heilige Handlung verrichte

als ein bloßes

Werk der Hände, nie vor die Gemeinde trete

anders, als mit warmem, für seinen. Dienst- begeistertem Herzen, um sein Wort zu verkündigen zu seiner Ehre.

Ein Amt deö Geistes soll aber daS christliche Predigtamt auch sehn für euch, meine andächtigen Zuhörer, und

wenn ihr erwartet, daß der Prediger sich ganz euch hingibt, so müßt auch ihr ihm mit offenem Herzen begegnen.

ES wäre un­

gerecht gegen unsere gegenwärtige Zeit, wenn man nicht

zuge­

stehen wollte, daß der kirchliche Sinn in ihr wieder kräftiger sich

rege.

Mancher sucht wieder die lange vergessene Stätte, wo die

Gemeinde versammelt ist zum Preise des Herrn, und das Wort vom Kreuze darf wieder laut werden in Kreisen, aus denen es sonst verbannt war.

Aber dennoch ist nicht zu läugnen :

es ist

noch zu viel der Buchstaben eines äußeren Gesetzes, der uns in

die Kirche treibt, nicht immer der Drang eines wirllichen Be­

dürfnisses des Herzens.

Und das muß sich denn auch nothwen­

dig rächen, denn der Buchstabe tobtet, sagt der Apostel, und nur der Geist macht

lebendig.

Und wie der

Prediger, dem sein

388

Dienst todtes Lippen -

und Händewerk geworden wäre,

da­

heilige Feuer des belebenden Geistes nicht mehr entzünden könnte,

so ist auch jener äußere Gottesdienst doch erst ein kleiner Anfang zum Besseren und zunächst nur ein todte- Werk; und wenn ihr nach den Früchten sucht, die er bringet, so wird eine flüchtige

Rührung, die vom Gewoge des Lebens bald wieder verschlungen wird, das Höchste sehn, waS ihr aufzuweisen vermögt. sollte eS doch nicht sehn, lieben Brüder!

Und so

Eine evangelische Ge­

meinde sollte ihrem Prediger sich nicht so ganz leidend gegenüber

stellen, als ob sie unmündig wäre und nur zu empfangen hätte. Nein, auch geben sollt ihr, und ihr könnt eS : das Herz, da­

einen festen Halt mitbringt, an dem man eS faste, ist leicht ge­

rührt, und der Sinn, der einen tüchtigen Grund in sich selbst trägt, ist leicht erbaut.

Bor einer Versammlung wirklich warmer,

heilsbegieriger Herzen, fühlt sich auch der Prediger höher erho­ da strömt ihm reicher und feuriger der Sttom helliger

ben,

Rede, in der frohen Zuversicht, daß sein wohlgemeintes Wort auch eine gute Statt finden werde und Früchte bringen in's ewige

Leben. So erst, wenn Prediger und Gemeinde den Dienst am

göttlichen Worte bettachten als ein Amt des Geistes, an dem unser ganzes Wesen herzlichen Antheil nehmen soll, so erst offen­

bart sich die volle Klarheit diese- Amtes, und zwar nicht in der Herrlichkeit eines abgeschloffenen Priesterstandes, dessen Glanz

dem Auge der Unmündigen verborgen werden muß,

wie auch

die Kinder Israel nach den Worten unseres Textes nicht anzu­

sehen vermochten das Angesicht Mose'S; sondern in der evangeli­ schen Kirche ist die Decke Mose'S weggenommen, der Vorhang

im Tempel zerrissen und jedem Gläubigen steht der Zutritt in'S Allerheiligste offen.

Die Klarheit des evangelischen Predigtam­

tes offenbart sich im großen, vollen Leben des Geistes, das von

dem

Prediger auf die

Gemeinde

sich ergießt und von dieser

zurückströmt auf ihn im freudigen Wechselverkehr von Geben und Empfangen, inmitten eines freien Volkes von mündigen Bürgern

im Reiche des Herrn.

m. Den Gaben aber, welche dieses Amt des Geistes uns bietet, mit offenem Sinn entgegenzukommen, dazu treibt uns vor Allem,

wenn wir nach Anleitung unseres Textes zusammen noch erwä­

gen den Inhalt der Predigt dieses Amtes.

Der Apostel be­

lehrt uns darüber, wenn er, das Amt des neuen Testamentes mit dem de- alten vergleichend, forffährt :

„So das Amt,

das Verdammniß prediget, Klarheit hat, vielmehr

hat das Amt, das die Gerechtigkeit prediget, über­

schwängliche Klarheit." — Also nicht Berdammniß, wie

das alte Testament, sondern Gerechtigkeit predigt das Amt des neuen Testamentes.

ES verkündet uns, daß Gott die Sünder

nicht verstoßen, sondern gnädig aufnehmen will;

die Worte,

welche Paulus an einer anderen Stelle unseres Briefes aus-

fprtcht (2 Cor. 5, 20) :

„So sind wir

nun Botschafter an

Christi Statt, denn Gott vermahnet durch uns;

so bitten wir

nun an Christi Statt : Lasset euch versöhnen mit Gott!" die sagen uns in Kurzem, was die fröhliche Botschaft ist, die

jenes Amt enthält.

Und das ist ja doch wahrlich keine harte

Rede, die Niemand ertragen könnte, das ist ja doch gewiß ein

liebliches Wort, deffen Ruf man gerne hören und gerne befolgen

sollte.

Was

wollen wir nun aber

hiermit sagen?

Soll die

Predigt der Gnade dem Sünder eine Versuchung zur Sicherheit

werden?

Sollen wir in der Sünde beharren,

Gnade desto mächtiger werde?

auf daß die

Das seh ferne, und der Herr

bewahre unsere Kirche immer vor den falschen Propheten, die nur Friede! Friede! rufen, wo kein Friede ist, und Gnade!

Gnade! wo der Mensch noch nicht einmal die Sehnsucht nach Erlösung

kennt.

Auch

das evangelische Predigtamt kennt die"

Strenge des Gesetzes, und wir wiffen wohl, daß der Apostel,

welcher das süße Wort uns zuruft : „Lasset euch versöhnen mit Gott!"

derselbe

ist,

der uns mit heiligem Ernste ermahnet

(Phil. 2,12), daß wir unsere Seligkeit schaffen sollen mit Furcht

und Zittern. — Aber wenn nun die Strenge des Gesetzes das Baur, Predigten. 19

MO

Herz erschüttert hat, wenn daS Bestreben, alle seine Gebote zu erfüllen, nicht Befriedigung bewirkt und wir nur immer weniger un- selbst genügen können, wenn da- Gesetz auf unseren Ruf : „Ich elender Mensch, wer erlöst mich von diesem Leibe de- To­ de-!" nicht- hat al- sein starre- „du sollst! du sollst!" und doch nicht die Kraft zu geben vermag, seine Gebote zu erfüllen; dann läßt uns da- Amt de- neuen Bunde-, da- die Gerechtig­ keit predigt, nicht ttostloS verzweifeln. Es zeigt uns unseren Gott nicht in unerreichbarer Ferne, mit dem kalten, strengen Blicke des Richters zur Strafe bereit; eS lehrt uns, wie der gütige Vater liebevoll uns entgegenkommt im Sohne, damit wir in ihm in gläubigem Vertrauen unsere Zuflucht suchen, und sein heiliger Geist in uns werde zu einer Kraft, au- der ein neuer Mensch geboren wird, der de- alten Menschen Sünde immer mehr über­ windet, und in Werken der Liebe sich bethätiget. Wo da- Amt, da- die Versöhnung prediget, waltet und seine Predigt ausgenom­ men wird mit offenen Herzen, da ist nichts mehr vo« dem ängstlichen Gehorsam und der bangen Furcht der Knechte, da ist freudiger Gehorsam der Kinder, die in'S Herz ausgenommen haben daS Gesetz des Vaters und keinen anderen Willen kennen, al- den seinen. Da braucht man keinen Altar mehr zu erbauen für einen unbekannten Gott, wir haben die Herrlichkeit des Va­ ters gesehen im eingeborenen Sohne voll Gnade und Wahrheit; da wird kein zürnender Gott versöhnt durch peinlichen Opfer­ dienst, seit der Vater seinen Sohn selbst als höchstes Opfer hin­ gegeben hat, um uns zu versöhnen mit sich; er ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns, und jeder Gläubige kann die Seligkeit seiner Nähe fühlen. Nach welcher Seligkeit haben gesuchet und geforschet die Propheten, die von der zukünftigen Gnade geweissaget haben, wir sollen sie genießen; die einzelnen zerstreuten Ahnungen, die in der Zeit der Finsterniß leuchteten al- hoffnungsvolle Vorzeichen des kommenden Tages, sie sind in der Predigt des Evangeliums helles Tageslicht geworden, und darum ist denn auch das Amt des neuen Testamentes ein ewiges Amt von überschwänglicher Klarheit. „Denn, fährt der Apostel

19t in unserem Texte fort, so da- Klarheit hätte, da- da aufhöret,

vielmehr wird da» Klarheit haben, da» da bleibet." — Nachdem Gott zuletzt zu un» geredet hat durch den Sohn, warten wir

keiner neuen Offenbarung und beten und arbeiten nur, daß die heilige Kraft, die von ihm au-geht, immer mehr und mehr alle durchdringe, und wir immer näher geführt »erben dem Ziele

der Vollkommenheit, welche» der Apostel in den Worten vorhält, daß alle von Gott gelehrt sehn sollen, ein heilige» Volk, ein

ausgewählte» Geschlecht königlicher Priester I Da» ist die Klarheit de» evangelischen Predigtamtes, seine

Kraft die Kraft Gotte», da» Reich seiner Wirksamkeit der Geist, sein Inhalt die Predigt der Versöhnung, seine Dauer die Ewig­ keit. — Und zur Ausübung dieses hohen Berufes hat der Herr

seine schwachen Diener sich ersehen; ach, sie fühlen eS alle, und auch ich fühle es, daß nicht die eigene Kraft sich zutrauen darf,

so Große- zu erreichen, daß am meisten gelegen ist am Segen de- Herrn, und so erhebt denn mit mir Herz und Hände zu

ihm, damit, so ost der Dienst am göttlichen Wort uns zusam­ menführt, auch unser Beisammensehn beitrage zu Erbauung seineReiche-!

Herr, allmächtiger Gott, besten Kraft in ben Schwachen

mächtig ist, ber bu im Munde der Unmündigen und Säuglinge dir Lob bereitest, und zu deinen Boten erwählest die Armen im

Lande, der du deinem Volke allezeit Hirten und Lehrer berufest, wir erkennen, daß hier keiner etwas von ihm selbst nehmen kann,

es werde ihm denn gegeben vom Herrn!

O so richte denn du

deinen Diener zu zum Werke des Amtes, dadurch dein Leib er­ baut wird,

und zur äußeren Weihe gib du den inneren Beruf;

seinem Worte gib du die Kraft, und seinem Werke gib du den Segen!

O hilf mir, daß ich allezeit erfunden werde al- ein

treuer Haushalter deiner Geheimnisse, und nicht mit vergäng­

licher Weisheit betrüge, die begehren nach deinem ewigen Worte! Gib, daß der Gemeinde und mir der Dienst am göttlichen Wort

nie seh ein Amt de- tödtenden Buchstaben-, sondern ein Amt

de- belebenden Geistes, und daß dem Worte der Lippen und dem 19*

992

Werke der Hände nie die heilige Kraft fehle, die au» dem Inneren dringt! Mache mich geschickt, zu treiben da» Amt, das die Versöhnung prediget; den Bösen zur Strafe, den Gebeugten zum Troste und deinen Getreuen zu immer mehrerer Züchtigung in der Gerechtigkeit! — Nun, Herr, ich habe da» Vertrauen durch Jesum Christum zu dir, daß du mich tüchtig machen werdest, zu führen da» Amt des neuen Testamentes, daß du das gute Werk, so du es nur selbst angefangen hast in mir, auch vollenden werdest zum Frommen deiner Gemeinde und zu deiner Ehre I Amen.

Zweite Sammlung. Zehn Gleichnißpredigten nach der Ordnnng des Kirchenjahres.

Von nimrlti Doden, ans welchen der Samen de» göttlichen Wortes füllt. Gletchniß vom Säemann.

Luca« 8, 4 — 15.

Adventsandacht. Dies ist der Tag, den der Herr machet! Lasset uns freuen und fröhlich darinnen sehn ! O Herr, hilf! O Herr, laß' wohl gelin­ gen ! Gelobet seh, der da kommt im Namen des Herrn! Amen. Mit diesem AdventSgruße, Geliebte in dem Herrn, der schon vor acht Tagen hier den andächtig Versammelten entgegen­ tönte, heiß' ich euch heute aufs Neue willkommen! Ihr sehd hierher gekommen, um aus dem Lärm des täglichen Lebens und au» den Geschäften dieser Zeit, die ja namentlich für die Frau­ enwelt vor allen andern im Jahr eine vielbeschäftigte zu sehn pflegt, euch zu sammeln; euch zu sammeln zur Erwägung der -ernsten Bedeutung dieser heiligen Adventszeit und zur Vorbereitung auf den Empfang des Herrn, der jetzt seiner Gemeinde auf'S

298 Neue zurust : „Freue dich und sey fröhlich, du Tochter Zion;

denn siehe ich komme, und will bei dir wohnen (Zach. 2, 10)!" — ES sey mit Freuden anerkannt, daß namentlich die Frauen

inmitten der drängenden Arbeit für die Jhrigm, doch ein Stünd­

chen herausgefunden haben für den Dienst des Herrn!

Möge

denn Niemand von hier weggehen, ohne etwas mitzunehmen geisti­

ger Gabe als eine Anwartschaft auf das köstlichste Christgeschenk, als welches der gnädige Gott seinen eingeborenen Sohn der Mensch­

heit bald auf- Neue darbieten wird 1

Ich habe mir vorgenommen, im Laufe de- mit dem 1. Ad­

vent wieder neu begonnenen Kirchenjahres in den Stunden, da mir vergönnt seyn wird, das Wort Gottes zu predigen, der Gemeinde die Gleichnisse unseres Herrn und Heilan­

des auszulegen.

Es ist in diesen Perlen der heiligen Schrift

das ganze Reich Gottes in seinem Wesen und in den verschie­

denen Stufen seiner Entwicklung, welche ja auch im Verlaufe des Kirchenjahres in der Predigt zur Sprache gebracht werden

sollen, mit einer wunderbaren, mit einer göttlichen Klarheit und Tiefe dargestellt.

Die Gnade des Vaters, der um unserer Er­

lösung willen selbst seine- eingeborenen Sohneö nicht verschont

hat; die Liebe und Macht, welche der Sohn in seinem Wesen und Wirken, in seinem Thun und Leiden, in seinem schmerzvollen

Tod und in seiner glorreichen Auferstehung kund gethan hat; die Kraft de- heiligen Geistes, durch welche das himmlische Senfkorn

des Christenthums zu einem gewaltigen Baume emporgewachsen ist; die herzliche Buße, womit der verlorene Sohn dem gnädigen

Vater reuevoll an die Brust sinft, die rechtschaffenen Früchte der Buße, die Barmherzigkeit des Samariters und die vergebende Liebe gegen den Schuldiger; die Schrecken de- jüngsten Gerichte-,

wo da- Unkraut von dem Waizen gesondert wird — alle- diefindet in den Gleichnissen de- Herrn seine Darstellung.

die Advent-zeit findet ihr Gleichniß unter ihnen. in dem Gleichnisse vom Säemann.

Auch

Es ist gegeben

Nach der DarstÄlnng

de- Evangelisten Luca- lautet diese- im 8. Capitel vom 4—15.

Verse also :

„4. Da nun viel Volks bei einander war, und aus den Städten

zu ihm eilete, sprach er durch ein Gleichuiß : 5. Es ging ein Säemaun aus, zu säen seinen Saamen; und indem er säete, fiel etliches an den Weg, und ward vertreten, und

die Vögel unter dem Himmel fraßen

6. Und

eö auf.

etliches fiel auf den Fels ; und da eS aufgieng, verdorrete es, darum, daß es nicht Saft hatte.

7. Und etliches fiel

mitten unter die Dornen; und die Dornen giengeu mit auf

und erstickten es.

8. Und etliches fiel auf ein gutes Land;

und eS gieng auf, und trug hundertfältige Frucht.

Da er

das sagte, rief er : Wer Ohren hat zu hören, der höre! 9. Es fragten ihn aber seine Jünger und sprachen, waö dieses Gleichuiß wäre?

10.

Er aber sprach : Euch ist

eS gegeben, zu wissen das Geheimniß deö Reiches Gottes;

den andern aber in Gleichnissen, daß sie eS nicht sehen, ob

sie eö schon sehen, und nicht verstehen, ob sie es schon hören.

11. Daö ist aber daS Gleichuiß : Der Saame ist

das Wort Gottes.

12. Die aber an dem Wege find, das

sind, die eö hören; darnach kommt der Teufel und nimmt daö Wort von ihrem Herzen, aus daß sie nicht glauben und selig werden.

13. Die aber auf dem Fels sind die,

wenn sie eö hören, nehmen sie daö Wort mit Freuden an;

und die haben nicht Wurzel, eine Zeitlang glauben sie und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab.

14. Daö aber

unter die Dornen fiel, sind die, so eS hören und gehen hin unter den Sorgen, Reichthum und Wollust dieses Lebens und ersticken und bringen keine Frucht.

15. Das aber auf

dem guten Lande, sind die daö Wort hören und behalten

in

einem feinen guten

Herzen, und bringen Frucht in

Geduld." Ist daS nicht ein rechter Adventstext, Geliebte?

Wie schön

erinnert er vor Allem an jene erste Ankunft des Herrn, da der von äußerer und innerer Noth tief durchfurchte Boden der mensch­

lichen Herzen in banger Sehnsucht der Erlösung entgegenharrte,

und nun der himmlische Säemann nahet«, den Samen seine­ ewigen Worte- zu streuen auf da- lechzende Land! Wie schön erinnert er nn- an die gegenwärtige heilige Zeit, da der Herr mit besonderem Segen und besonderer Hoffnung de- Gedeihen» diesen Samen auf- Neue au-werfen läßt durch seine Diener, ob er wohl hie und da ein gute- Land treffe und Frucht bringe! Wie nachdrücklich ermahnt er un- aber auch, in unserem Herzen den hartgetretenen Weg umzuackern, den starren Fel» zu zerschla­ gen, die Dornen au-zurotten, die da- Gedeihen de- göttlichen Worte- in un» hindern! Bon diesem letzteren Gesichtspunkte aus wollen wir heute den Text miteinander betrachten. Wenn wir einen lieben, verehrten Gast erwarten, dann reinigen und ordnen wir da» Hau- und schmücken e- zu seinem Empfange. Wohlan, Geliebte, der theuerste, der vornehmste Gast, unser Herr und Heiland und der Herzog unserer Seligkeit, llopft wieder an die Thür unserer Herzeu: laßt un» da» Hau- ihm reinigen und schmücken, damit er gerne eingehe und da» Nacht­ mahl mit un» halte, wie er verheißen hat! Zu diesem Ende also wollen wir in dieser Advent-andacht nach der Anleitung unsere» Texte» und nach der Anleitung unsere» Herrn selbst, denn der freundliche Heiland macht ja in diesem schönen Text zugleich den Ausleger, handeln von viererlei Boden, auf welchen der Same de» göttlichen Worte- fällt.

I. „Indem er säete, so heißt e» zu Anfänge unsere» Texte», fiel etliche» an den Weg, und ward vertreten, und die Bögel unter dem Himmel fraßen e» auf." Der Herr aber erläutert die» nachher mit den Worten : „die aber am Wege sind, da» sind die e» hören; darnach kommt der Teufel und nimmt da» Wort von ihrem Herzen, auf daß sie nicht glauben und selig werden." Sie hören also da» Wort, und diesem Hören entgeht ja, so­ weit die Kirche de» Herrn gegründet ist, jetzt Niemand mehr,

«rch der nicht, der ihr nur dem Namen nach angehört.

Das

Wort ergeht an ihn bei seiner Taufe, dann alltäglich die Schul­

Laut

jahre hindurch, es ergeht an ihn bei der Confirmation.

verkündet es allsonntäglich der ehrene Mund der Glocke, leiser

und inniger dringt es an ihn heran bei seiner Trauung, auf den verschiedenen Lebensstufen seiner eigenen Kinder, und erschütternd

ernst an dem Grabe derer, die durch Bande der Natur oder des Geistes ihm näher angehörten.

Ja, Geliebte, daS Wort

Gottes ist — Gott seh Dank! — gar

geworden

zudringlich

unter uns: hören müssen sie es Alle, nicht ob sie wollen, also daß sie keine Entschuldigung haben!

Aber die Meiste» hören es

eben nur mit den Ohren und das Herz erfährt nichts davon, und so kommt der Teufel und nimmt das Wort, dem es auch nicht

mit einem Fäserchen gelungen ist

sich

anzuklammern an dein

armes Herz, weg von dem Herzen, also daß sie nicht glauben und selig werden, wie unser Text sagt.

der Herzen, Wort?

Woher diese Verhärtung

diese vollendete Gleichgültigkeit gegen das göttliche

Laßt uns nur die Vergleichung solcher Herzen mit dem

Wege recht festhalten; laßt uns nur zusehen, was dann geschehen muß, damit ein Strich wohlbestelltes Ackerland in einen festen Weg

verwandelt werde!

Vor allen Dingen dieses,

geliebte

Freunde, daß man diesem Stücke Land die Bestimmung erläßt,

Samen von oben aufzunehmen und dafür Keime nach oben empor

zu treiben, und dann, daß man Dinge auf es einwirken läßt, welche geeignet sind, es niederzudrücken und zu verhärten, den

Fuß der Menschen, den Huf der Thiere, die Räder des Wagens, daß man auch wohl Steine hineinrammt, um es recht gründlich

festzumachen, und unfruchtbaren Sand darüberschüttet.

Auf diese

Weise, meine Freunde, das wissen wir Alle, ist der Weg bald

fertig, und so fest, daß nichts mehr im Stande ist,

einen Ein­

druck in ihn zu machen, daß er selbst gegen den Druck sehr schwerer Lasten vollkommen unempfindlich ist. — Und dies, Geliebte,

ist auch ganz der Hergang bei der Verhärtung des Herzens.

Auch

da- menschliche Herz hat die Bestimmung, ein fruchtbares Acker­

land zu sehn, himmlischen Samen von oben aufzunehmen und

300

daraus Früchte zum ewigen Leben hervorzutreiben, die dem Himmel wieder entgegenwachsen. Aber gar viele Dinge ziehen über e- hin und drohen von seiner Bestimmung für den Himmel es abzuhalten, es niederzutreten und zu verhärten. Bald der flüchtige Fuß irdischer Lust, bald der schwere Frachtwagen der Gewinnsucht, bald der gespreizte, schwere Schritt der Eitelkeit und des Stolzes, bald der schleichende Tritt des Neides und der Mißgunst, und, wie schwere, harte Steine, liegen irdische Gedan­ ken und Pläne in ihm, und entziehen mehr und mehr dem gött­ lichen Worte den Boden, worin es keimen könnte. Ja, meine Freunde, es thut gar sehr Noth, daß ein Jeder über sein Herz

wache, daß er unter solchen Eindrücken es empfänglich halte für die Keime des höheren, des wahren Lebens, immer aus- Neue es auflockere durch die scharfe Pflugschaar des Gesetzes, es weich erhalte durch die lebendige Quelle des göttlichen Wortes, es anwehe mit dem warmen, befruchtenden Hauche des Gebete-. Wenn der Mensch dies versäumt, wenn er seine Bestimmung für die Ewigkeit vergißt und wenn er sie nicht beschützt gegen die gemeinen, ihn zur Erde herabziehenden Eindrücke, ach, so ist auch hier der Weg bald fertig, der Mensch hat sein bessere» Selbst, sein wahres Seyn verloren. Die Keime des ewigen Lebens langen wie mit den Händen der ewigen Baterliebe mit ihren Fasern herab nach seinem tief gesunkenen Herzen; aber sie vermögen in dem verhärteten Boden keine Wurzel mehr zu schla­ gen, er ist überhaupt keine- ernsteren, tieferen, bleibenden, frucht­ baren Eindruck- mehr fähig, er ist zum festen Wege geworden, auf welchem die verschiedenen Ereignisse nur in raschem Wechsel vorüberjagen, ohne eine tiefere Spur zu hinterlaffen, und selbst der schwere Druck erschütternder Ereignisse, die ihn treffen, ver­ mag ihm höchsten- das Bekenntniß au-zupreffen, daß eben Alle­ eitel ist, aber nicht um von dem Eiteln weg und dem Ewigen sich zuzuwenden, sondern um ganz dem Dienste des Augenblick­ fich hinzugeben, der ihm das einzig Sichere zu seyn dünkt. So geht es fiebenzig und wenn'S hoch kommt achtzig Jahre lang, dann kommt da- Ende seiner Laufbahn und die Stunde, da er Rechenschaft

geben soll, wie er gewuchert mit dem ihm anvertrauten Pfunde.

Ach,

aber da ist kein Hälmchen zu sehen auf dem

seine- verlorenen Lebens,

allen,

öden Weg

allen guten Samen hat der

Teufel weggenommen von seinem Herzen und sein Ende ist ein

Ende mit Schrecken!

n. Wir wenden uns weg von dem öden Wege, dem traurigen Bilde des völlig verhärteten Herzens, zu der zweiten Bodenart,

welche unser Gleichniß, von der schlechtesten zur minder schlechten allmälig

emporsteigend,

uns vorhält: „Und Etliches fiel auf

den Fels, und da es aufgieng, verdorrete eö, darum, daß es nicht Saft hatte." schon

besser!

Ihr seht, meine Freunde, dieser Boden ist

Der Same

kann wenigstens keimen darin und

Wurzel schlagen und aufgehen; aber freilich, das gute Land be­ deckt nur gar oberflächlich den harten Fels, tiefe Wurzel vermag

darum der Samen nicht zu treiben und eine länger dauernde Hitze halten diese schnell emporgeschossenen Gewächse nicht au-, sondern verdorren, darum daß sie nicht Saft haben.

So sagt

denn der Heiland, um diese zweite dem göttlichen Samen ungün­

stige Bodenart zu deuten : „Die aber auf dem Fels, sind die, wenn sie eS hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an; und die haben nicht Wurzel, eine zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab."

E» ist damit eine leicht er­

regbare aber wenig ausdauernde Art von Frömmigkeit bezeichnet, die gerade in unserer Zeit, zumal in Städten, Mode ist — ich

brauche diese Worte absichtlich — und die ich mit einem Aus­ drucke, der ja wohl in diesem Kreise von den Meisten verstanden

werden wird, als die ästhetische Frömmigkeit bezeichnen möchte. Bestimmter gesprochen!

Es ist die Frömmigkeit derer, welche

den Dingen der Religion eine lebhafte Theilnahme zuwenden,

weil sie dem Geiste eine anregende Unterhaltung gewährt, etwa wie die Erzeugnisse der schönen Kunst, der Dichtung und der

902

Ein Bibelspruch steht ihnen etwa gleich einer Stelle

Musik.

au- ihrem Schiller oder Göthe, Shakespeare oder Bhron, und

Beides findet sich auch wohl von zarten Händen geschrieben in einer Sammlung schöner Gedanken unter kostbarem Einbande

friedlich beisammen.

Sie hören die Predigt an wie die Kunst­

leistung eine- Declamators, und ihre erste Sorge ist zu beurtheilen, ob die Predigt schön gewesen seh; ob sie gut gewesen seh, ob sie

ihnen

etwa- in das Herz

gegeben habe zur Förderung ihre-

ewigen Heiles, ob sie selbst etwas gethan haben, ihr Herz für einen solchen Eindruck vorzubereiten, darnach wird nicht gefragt:

eine flüchtige Rührung, das ist das, was sie Erbauung nennen, und sie weiden sich dann an ihrem eigenen schönen Gefühl.

Da­

einfache Wort der heiligen Schrift ist ihnen zu rauhe Speise, esoll mit süßer Redekunst umhüllt sehn, damit ihr verwöhnter

Gaumen eS vertrage, und zwischen einem Christenthum für Gebil­

dete und einem für Ungebildete wissen sie sehr genau zu unter­ scheiden.

Sie machen neben andern Neuigkeiten de- Tages auch

wohl die religiösen und kirchlichen Fragen zum Gegenstände ihrer gesellschaftlichen Unterhaltung und in die üblichen frömmelnden

Redensarten

wissen viele sich rasch zu finden und

versäumen

daun selbst keine Gelegenheit, sie vernehmen zu lassen — aber das Alles hat keine Kraft und keinen Saft, denn „sie haben nicht

Wurzel, eine zeitlang glauben sie und zur Zeit der Anfechtung

fallen sie ab."

Dies oberflächliche Christenthum mag ein Chri­

stenthum für die Gesellschaft sehn, aber es ist kein Christenthum für die eigene Haushaltung, eS ist ein Sonntagschristenthum, das

man an- und auszieht wie das sonntägliche Kleid, das aber nicht die Kraft hat, inmitten der Werktagöarbeit und der Last

und Hitze deö Tags die Feiertagsstimmung in dem Herzen zu erhalten.

Wenn eine solche schöne Seele dem kalten Winde de-

Spottes ausgesetzt ist, wie wenig vermag da da- schwache Fünklein ihres Glaubens, oder wenn die Sonne ernster Trübsal ihre

heißen Strahlen herabsendet, wie bald ist da

Pflänzchen ihrer Frömmigkeit verdorrt,

das schmächtige

wie sind sie dann so

völlig ihrem Schmerze hingegeben, ohne Trost und ohne Hoffnung,

wie die Heiden, die

von Gott nichts wissen! — Lasset uns

darum, Geliebte, jene schwachen Keime der Frömmigkeit nicht zu gering achten, getreu dem Vorbilde unseres Herrn, der das glimmende Docht nicht auslöschte und das zerknickte Rohr nicht

zerbrach.

Es ist jene oberflächliche Theilnahme an dem Christen-

thume für Manche schon der Uebergang zu einem gründlichen,

durch nichts mehr zu erschütternden Glauben geworden.

Aber

daS Feld muß zerschlagen werden, sonst ist dieser Boden hoff­

nungsloser,

als der öde hartgetretene Weg, denn dieser kann

doch nicht an der Einbildung leiden, als trüge er etwas, und wenn er erst umgelegt ist durch die scharfe, tiefeinschneidende Pflug­ schaar persönlicher Noth, so mag er sich zuweilen noch in frucht­

bares Land

umwandeln.

Der Fels

dagegen

kann durch die

schwachen Pflänzchen, die auf seiner Oberfläche stehen, leicht ver­

leitet werden, sich für wirklich fruchtbaren Boden zu halten, und jeder gründlichen Umarbeitung zu widerstehen.

Eitelkeit und Selbstgerechtigkeit

also

muß

damit der Same tiefere Wurzel treiben kann.

Der Fels dieser

zerschlagen werden, Und da laßt uns

das Wort des Propheten Jeremia (23, 29) gesagt seyn: „Ist

nicht mein Wort, spricht der Herr, wie ein Hammer, der Felsen

zerschmeißt?" —

Wohlan denn,

ich

führe aus dem Worte

des Herrn den ersten Hammerschlag mit dem Bekenntnisse des

Apostels Paulus (Röm. 3, 23) : „Es ist hier kein Unterschied, sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den sie vor

Gott haben sollten." — Ist unser Herz getroffen von diesem

Schlag?

Ist kein Felsstück mehr zurück, hinter das die Eigenliebe

sich verstecken möchte?

Stimmen wir ohne Rückhalt ein in das

Bekenntniß, daß in Sachen des Heiles der Unterschied von reich

und arm, hoch und niedrig, gebildet und ungebildet nicht bestehe?

Ist der Pharisäer in uns, der sich gern brüsten möchte mit dem, was er ist und hat und thut, geneigt, bei dem Zöllner in die

Lehre zu gehen, der an seine Brust schlägt und spricht : Gott sey mir Sünder gnädig? — Ich führe den zweiten Hammer­ schlag mit dem Worte des Herrn (Matth. 11,5): „Den Armen

wird das Evangelium gepredigt!"

Ja, Geliebte, und zwar nicht

SM auch den Armen, sondern allein den Arme«, und wer nicht

— und wenn er über Millionen zu gebieten hätte — mit dem tiefen Gefühle dem Herrn naht, wie namenlos elend er wäre,

wenn nicht der gnädige Gott und der treue Heiland seiner Ar­ muth aufhülfe, der hat keinen Theil an ihm! — So, Geliebte, laßt

uns den Hammer des göttlichen Worte- brauchen gegen

unser eigenes harte- Herz, damit der Fels

zerschlagen werd«

und der göttliche Same seine Wurzeln bis in den innersten Kern unsere- Leben- hineintteibe!

III.

Ich komme zum dritten Bilde unsere- Gleichnisse- : „Und

Etliches fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gienge« mit auf und erstickten es."

Dieser Boden ist wieder um eine«

Grad bester, meine lieben Freunde, als der verhärtete Boden deWege- und der oberflächliche Boden auf dem Felsen.

Der

Same kann hier nicht blos Wurzel fasten, sondern auch tiefe

Wurzel, denn da- Land an sich ist locker und gut.

Aber leider

fällt er mitten unter die Dornen, diese wachsen mit auf, hindern

sein Wachsthum, werden am Ende zu mächtig und ersticken den

guten Samen ganz.

Wa- sind das für Dornen, die dem guten

Samen so gefährlich sind?

Der Herr beantwortet un- diese

Frage, indem er sagt : „Da- aber unter die Dornen fiel, sind die, so es hören, und gehen hin unter den Sorgen, Reichthum und Wollust diese- Lebens, und ersticken,

Frucht."

und bringen keine

Sorgen, Reichthum und Wollust dieses Lebens also,

oder, bestimmter gesprochen, die Sorgen um die Güter und Genüffe diese- Leben-, da- sind die Dornen, die den guten Samen

ersticken.

O, wie manche Seele, die dem Herrn sich ernstlich

zugewandt hatte,

ist ihm dadurch

wieder verloren gegangen.

„Die dem Herrn sich ernstlich zugewandt hatte," denn nicht von

den

leichten und oberflächlichen Geistern ist hier die Rede, die

der dünnen Lage guten Landes auf dem harten Felsen gleichen,

sondern ich denke mir als Beispiel eine Seele, die hat in früher Kindheit schon einen ernsteren, tieferen Sinn verrathen; sie ist

durch die Fürsorge verständiger Eltern vor dem Vielerlei von Zer­

streuungen bewahrt worden,

wodurch auch das kindliche Herz

schon so leicht zu einem Wege gemacht wird, der keines tieferen

Eindruckes mehr fähig ist, und fromme Mutterliebe hat frühe

den Samen des göttlichen Wortes in das junge Herz gesenkt. Auch den Ernst des Lebens hat diese junge Seele bald kennen

gelernt; sie hat den schwarzverhängten Wagen vor dem Hause

halten sehen, und die lieben Eltern weinen, wie ein Kind, und eö

ist ihr

eine Ahnung aufgegangen von der Vergänglichkeit

dieser Welt und

von der unvergänglichen, die hinter diesem

nichtigen Schein sich birgt. So hat sich ihr allmählich unter dem Lärm

des äußeren Lebens

ein stilles inneres Leben gebildet,

und ist gewachsen von Jahr zu Jahr, und als sie am Altare

dem Herrn sich angelobte, der für sie gestorben und auferstanden ist, wahrlich, da war das Gelübde nicht blos mit dem Munde

gesprochen!

mancher hier

Ich denke, Geliebte, ich habe hiermit die Geschichte

anwesenden Seele erzählt.

Geschichte damit zu Ende wäre!

Ach, daß doch diese

Aber sie

geht weiter!

Sie

muß die Seele auch hinausbegleiten aus den schützenden Mauern

des Hauses, dahin, wo die Lüfte wehen, die dem Emporwachsen

der Dornen förderlich sind.

Da umspielt sie zuerst der verführe­

rische Hauch der Wollust dieses Lebens, wie unser Text es nennt. Vielleicht ist die Seele gar nicht besonders empfänglich für ihre

Lcckungen, vielleicht ist es ihr nirgends Wohler, als bei ihrer ge­ wohnten Arbeit und Ruhe im stillen häuslichen Kreise.

Aber sie

sieht die Andern rennen und jagen nach Genuß, und so meint sie um etwas zu

kommen, ausgeschlossen zu werden von den

Vortheilen des gesellschaftlichen Lebens, und ehe sie selbst eS sich

versieht, ist sie verflochten in den tollen Wettlauf, und die Dornen wuchern und wuchern und ersticken den guten Samen mehr uud mehr. Reichthums.

Nicht anders geht es später mit den Sorgen des

Wie viele haben schon gesagt: Ach wenn ich nur

erst soweit wäre, daß ich einen eigenen Hausstand gründen, daß 8iur, Predigten. 20

306 ich mich und die Meinigen sorgenfrei ernähren könnte, wie zu­

frieden wollte ich da sehn, wie innig wollte ich meinem Gott

danken und wie freudig seinem Dienste mich weihen!

wie wenige haben di»S Gelübde gehalten!

Ach, und

Wie wird doch für

die Meisten das, was sie erreicht, und wenn es ihre.kühnsten Hoffnungen weit überttoffen hätte, so bald nur ein Stützpunkt, um mehr zu erwerben!

Wie wenigen gelingt es, sich fern zu

halten von dem wilden Wetten und Wagen, das Glück zu erjagen, das Glück dieses Lebens, über das die Schätze für den Himmel ganz vergessen werden.

Aber auch für die, welche ihr Brod

essen im Schweiße ihres Angesichtes, auch für die Armen werden die Sorgen um die Güter dieses Lebens zu Dornen, welche den Samen des göttlichen Wortes und des ewigen Lebens ersticken.

Auch von ihnen wollen ja die wenigsten begreifen, daß die Mah­ nung unsere- Herrn (Matth. 6, 33) : „Trachtet am ersten nach dem Re'ch Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch

solches Alles zufallen", daß das nicht eine bloße Redensart, son­

dern die praktischste Lehre ist, die nur gedacht werden kann.

Mit

Recht sagt Luther einmal, diese Lehre bedeute, daß wir sollen

arbeiten und dem lieben Gott die Sorge befehlen.

Sehet, Ge­

liebte, damit gewinnt man zur Arbeit viel Zeit, die früher mit

unnützen, heidnischen Sorgen hingebracht wurde, und viel Lust und Kraft, die früher durch Sorge niedergehalten wurde, und solcher Arbeit fehlt auch Gedeihen und Segen nicht.

Oder lehrt

unS denn nicht die tägliche Erfahrung, daß die, welche wirklich dem Mangel zur Beute werden, fast immer solche sind, die niemals nach dem Reiche Gottes ernstlich getrachtet haben, was uns frei­ lich nicht weniger Mitleid gegen sie einflößen soll, sondern mehr;

daß dagegen dem, welcher in seiner Noth mit einem gläubigen „Herr, hilf, ich versinke!" die flehenden Hände emporstreckt, daß

dem noch nie die treue Vaterhand gefehlt hat, die ihn über den Wogen der Trübsal hielt? — Doch genug hiervon. — Wir

kehren zurück zu dem Kampfe des guten Samens mit den Dor­

nen !

Denn nicht so gleich ergiebt sich der gute Same unter

die erstickenden Dornen; wo diese nur ein befruchtendes Regen-

Köpfchen hindurchlassen, wo nur ein warmer Sonnenblick zu ihm

herabfällt, da streckt er sich empor, da sucht er sich durchzuwinden. Der Seele, in welcher der gute Same einmal tiefere Wurzel

geschlagen hat und aufgegangen ist, ist, wenn sie den Lockungen

der Welt zuerst sich drückend.

hingibt,

dieses Bündniß

mit der Welt

Sie sehnt sich und ringt in den Stunden stiller Ein­

kehr in sich selbst sich loszumachen von dem Dornengewinde der

Sorgen und der Wollust dieses Lebens, fortzukommen, wie es in einem alten schönen Liede heißt, aus diesem bösen Leben, aus

dieser Nichtigkeit l

Aber ehe die Sehnsucht zum festen Entschlüsse

wird, ist die lockende Gelegenheit schon wieder da.

Die arme

Seele gibt sich ihr auf- Neue hin, immer üppiger wuchern die Dornen, immer kümmerlicher treibt der gute Samen, immer leiser

spricht die warnende Stimme, am Ende wird sie der Seele,-die

ihrer Verirrung sich freut, lästig, sie sucht sie zu ersticken im

Lärm der Geschäfte, im Rausche der Lust! und ach! nur zu leicht gelingt dieser geistige Selbstmord!

Die Engel im Himmel

aber, die einst schützend an der Wiege dieses Menschen gestanden,

sie verhüllen ihr Angesicht und weinen, sie beweinen den Tod einer unsterblichen Seele I

IV.

„Den Tod einer unsterblichen Seele!" bares Wort, meine andächtigen Zuhörer.

Das ist ein furcht­ Man spricht als von

etwas Entsetzlichem von Hingeschiedenen Seelen, die wieder er­

schienen sehen, während ihr Leib längst dem Tode verfallen war. Aber ist es denn nicht viel entsetzlicher, wenn ein Mensch mit

lebendigem Leib herumgeht, während seine unsterbliche Seele dem Tode verfallen ist?

ES wird ja Niemand unter den hier Ver­

sammelten in diesem Falle seyn.

Wir sind ja hierher gekommen,

du gnädiger Gott, um dich zu suchen, um den Samen deine-

ewigen Wortes aufzunehmen in empfänglichem Herzen und der Ankunft deines lieben Sohnes unsere- Herrn und Erlöser- zu 20*

308

warten!

Aber in Todesgefahr, da- wollen wir uns nicht ver­

hehlen, Geliebte, in Gefahr solchen Tode- schweben wir Alle. Oder hätte nicht ein Jeglicher unter un- auch in seinem Herzen

etwas entdeckt von dem hartgetretenen Wege, da die Keime des

ewigen Lebens keine Wurzel fassen können, von dem Felsen, auf dem sie sobald verdorren, von den Dornen, durch welche sie er­

stickt werden? fangen.

Ueberall sind wir von Tod und Todesgefahr um­

Sehet nur in unsern Text!

Dreimal muß der Heiland

von schlechtem Boden reden, ehe er einmal von gutem Lande

sprechen kann.

Und dann sehet hinaus über die weite Erde:

mehr wie drei Theile, daS ist uns neulich in anschaulichster Weise

gepredigt worden, sind noch dem geistigen Tode verfallen, haben

daS Wort des Lebens noch nie gehört! dieser

Gemeinde,

Empfänglichen?

wieviel Unempfängliche

Und wie ist es in

kommen

auf einen

Ist nicht auch hier des Weges, des Felsens,

des DorngestrüppeS weit mehr, als de- guten Landes?

Und

endlich sehet zurück in das eigene Herz : Wie viel Theile gehören

der Welt und wie viele Gott?

Wie viel Pulsschläge der Lust

und der Sorge diese- Leben- und wie viel dem Glauben, der Liebe, der Hoffnung und dem Gebet? — Ach, daß die Zeit doch noch einmal da wäre, da daS Herz noch empfänglich war

für den Samen von oben, noch nicht niedergedrückt und festge­

worden unter der schweren Wucht irdischer Gedanken!

Ach, wer

doch die Kunst verstände, Geschehene- ungeschehen zu machen! — Nun, liebe Seele, es gibt Einen, der versteht die Kunst.

E-

gibt Einen Gott, der durch den Mund seines Propheten ver­

künden läßt (Jes. 1, 18) :

„Wenn eure Sünde gleich blutroth

ist, soll sie doch schneeweiß werden!"

ES gibt einen Helfer,

dessen Ankunft jetzt auf'S Neue verkündigt wird, der denen, die

an ihn glauben, die Kraft gibt,

wiedergeboren zu werden zu

einem neuen Leben, also daß sie erst mit voller Wahrheit aus­ sprechen dürfen die lieblichen Worte des alttestamentlichen Sänger-

(Ps. 103, 1 ff.) : „Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist seinen heiligen Namen, lobe den Herrn, meine Seele,

und vergiß nicht, was er dir Gute- gethan hat!

Der dir alle

deine Sünden

vergibt und

heilet

alle deine Gebrechen.

Der

dein Leben vom Verderben errettet, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit.

Der deinen Mund fröhlich machet und du

wieder jung wirst, wie ein Adler!" — Hast du Sehnsucht nach dieser Vergebung deiner Sünden, nach dieser Heilung deiner Ge­ brechen, nach diesem neuen Herzen und Leben, das dein gnädiger

Gott dir geben will?

Tiefe, herzliche Sehnsucht, geboren aus

den Schmerzen der Scham und der Reue darüber, daß du so ost und so lange deine wahre Bestimmung im Dienste der Ei­

telkeit Land!

verläugnet?

Siehe,

liebe Seele, dann bist du gutes das letzte Bild unseres Gleichnisses:

Von diesem sagt

„Und etliches fiel auf ein gutes Land; und es gieng auf und

trug hundertfältige Frucht."

Ich brauche dieses gute Land nicht

weiter zu beschreiben, meine lieben Freunde.

Es ist eben überall

da vorhanden, wo das Feuer ernster Reue und Buße die Ver­

härtung des Weges und die Starrheit des Felsens erweicht und die erstickenden Dornen in dem Herzen verzehrt hat.

An einem

solchen Herzen geht das Schlußwort unseres Textes in Erfüllung:

„Das aber auf dem guten Land sind die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld." — Ich habe nichts mehr hinzuzufügen, als den Wunsch, daß wir Alle dies erfahren mögen an unseren eigenen Herzen, daß der Herr, dessen Ankunft wir jetzt feiern, die Stätte bei

uns wohl bereitet finden möge.

dige Gott seinen Segen!

Amen.

Dazu gebe uns Allen der gnä­

n. Dos Alles übertreffeiide Gut, welche« GM durch die Gebart de» Heilandes ans geschenkt hat. Gleichniß von der Perle.

Matth. 13, 45 u. 46.

Weihnachtspredigt. Allmächtiger Gott, lieber Vater in dem Himmel I

Wir sagen

dir von ganzem Herzen Dank, daß du dein Weihnachtsfest un­ wieder hast erleben lassen!

Wir danken dir, daß du uns mit

den Unseren fröhlich versammelt deiner Güte!

den

hast um die reichen Gaben

Wir danken dir, daß du auch diejenigen unter

Deinen, deren Weihnachtsfreude durch Leid

und Kreuz

getrübt worden ist, doch nicht hast versucht werden lassen über

Vermögen, sondern hast ihnen den Trost gegeben,

daß nichts

in der Welt sie scheiden kann von der Liebe dessen, der selbst

seines

eingeborenen Sohne- nicht

ihrem Heile dahingegeben hat.

geschont,

sondern

ihn zu

Ja, lieber Vater, dein Sohn,

dessen gnadenreiche Geburt wir heute feiern, da- ist das köst­ lichste Weihnachtsgeschenk, da» wir deiner Güte danken. Möge

nur dein heiliger Geist unsere trägen Herzen immer mehr

reinigen, heiligen, treiben, damit wir eS immer besser erkennen lernen in

seinem Alles übertreffenden

völliger es uns zu eigen machen!

Werthe und immer

Nun, du treuer Gott, du

wirst ja der Schwachheit derer, die dich suchen, heute aufhelfen

mit deiner Kraft, du wirst ihre Armuth ersetzen aus der Fülle

deines Reichthums um deines Sohnes, unsere« Herrn und Heilandes willen!

Amen.

Einer Weihnachtsgemeinde, als welche ihr hier versammelt seyd, Geliebte in dem Herrn, ist gut predigen.

Der Prediger

darf gewiß sehn, wie sehr auch der Winter seine Rechte geltend macht, daß doch die Herzen warm sind.

Der gnädige Gott hat

sich wieder zu euch herabgeneigt in seiner unendlichen Liebe, unb

eure Herzen fühlen sich in warmem innigem Danke emporgehoben

zu ihm.

Sie sind aufgeschlossen an diesem lieblichen Feste von

herzlicher Freude, sie sind geneigt, das Wort des treuen Gottes

aufzunehmen, der seine Gnade auf's Neue so freundlich an ihnen

bezeugt hat.

Geliebte, ich säume

Wohlan denn,

Samen des göttlichen

Wortes

nicht, den

auszustreuen in die geöffneten

Herzen; möge er überall wohlvorbereitetes, gutes Land finden!

Ich habe vor Kurzem in einer unserer Adventsandachten

das Gleichniß vom Säemann ausgelegt als einen Adventstext. Ich habe

unterdessen unter

den unvergleichlichen

Gleichniffen

unseres Herrn auch nach einem WeihnachtSgleichniß gesucht, und nicht vergeblich.

Es findet sich in dem Evangelium des

Matthäus im 13. Capitel, im 45. und 46. Verse und lautet also :

„45. Abermal ist gleich das Himmelreich einem Kaufmann, der

gute Perlen suchte.

46. Und da er eine köstliche Perle

fand, ging er hin, und verkaufte Alles, was er hatte, und kaufte dieselbige."

312 Das Gleichniß von der köstlichen Perle also, die der suchende Kaufmann gefunden

und für die er Alles hinge­

geben, was er hatte, da- soll der Text sehn für die gegenwärtige Und ist eS nicht vortrefflich dazu geeignet?

Weihnacht-predigt.

Erhalten nicht alle die mannigfaltigen Gaben, die uns durch die

Gnade Gottes wieder bescheert worden sind, erst dann ihre volle Bedeutung,

wenn sie nur als Sinnbild dieser köstlichen Perle

de- Himmelreichs gelten?

Gaben

Sollten nicht alle diese vergänglichen

uns Hinweisen auf die unvergängliche, welche Gott in

seinem eingeborenen Sohne und deffen ewigem Reiche uns zuge­

wandt hat?

Betrachten wir darum, meine geliebten Freunde,

miteinander die köslliche Perse, oder daSAlleS übertreffende

Gut, welches Gott durch die Geburt des Heilande-

uns geschenkt

hat, und zwar zuerst,

wie

seine Gnade

diese- köstliche Gut unS Allen ungesucht verliehen hat,

dann wie eS in vollem Maaße doch nur dem zu Theil

wird, der eS selbst eifrig sucht, und endlich wa- der, welcher es gesucht und gefunden hat, thun muß, um

es sich völlig zu eigen zu machen.

I. Zuerst also,

wie die Gnade Gottes dieß köstliche

Gut unS Allen ungesucht verliehen hat. — Was ist eS doch für ein alles Andere übertreffendes Glück, meine

geliebten

Freunde, seines Gotte- gewiß zu sehn, gewiß zu seyn, daß, was auch auf dieser armen Erde uns treffen mag von der Noth und

den Schmerzen des Leben-, doch

über den

Sternen auf nie

wankendem Throne ein Herrscher sitzt, dessen Auge hineindringt

in die tiefste Nacht und hindurch durch alle Verwirrung, der die Zügel auch der wildesten Bewegungen in fester Hand hält und dessen Baterherz sie allezeit so lenket, wie es den Seinen zum Besten dienen muß!

Was ist eS für ein Glück, gewiß zu sehn,

daß dieser ewige Vater

nicht blos über den Sternen thront,

sondern herniedergestiegen ist und Wohnung

unter uns gemacht

hat in seinem Sohne, der uns im ganzen Leben begleiten will als der treueste Freund,

aller Noth,

der uns als Tröster nahe sehn will in

der was wir bitten in seinem Namen niederlegen

will vor dem Throne des Vaters!

Was ist es für ein Glück,

gewiß zu seyn, daß selbst die Feindschaft gegen Gott, daß selbst

die Sünde uns nicht scheiden soll von der ewigen Liebe, daß die, welche an den Sohn glauben, einen gnädigen Gott finden sollen,

der ihre Sünden vergibt

und heilet alle ihre Gebrechen, und

laßt sie wiedergeboren werden zu neuem Leben! — Diese selige Weihnachtsfreude hat nicht von jeher die Herzen erfüllt, Geliebte! Es hat eine Zeit gegeben,

da,

um der tiefen Gottverlassenheit

im Heidenthum gar nicht zu gedenken, selbst des auserwählten Volkes Gottes,

ein

großer Theil

weil für seinen fleischlichen

Sinn die Zeugnisse des gerechten göttlichen Waltens in den Ge­

schicken der einzelnen Menschen und ganzer Völker nicht deutlich

genug redeten, in die Rede der Thoren einstimmte : „Es ist kein Gott!

Der Herr siehet's nicht

und der Gott Jakob's achtet's

nicht (Ps. 14, 1; 94, 7)," während die Propheten in angstvoller

Sehnsucht nach es war die Zeit,

der künftigen Seligkeit forschten

und suchten;

da im drückenden Gefühle der Trennung von

Gott das ängstliche Harren unseres Geschlechtes wartete auf die

Offenbarung der Kinder Gottes.

Und diese Offenbarung kam

und brachte helles Licht in die tiefe Finsterniß und Fröhlichkeit in die geängstigten Herzen.

„Selig sind die Augen, so rief der

Heiland dem Geschlechte zu, das Zeuge war von seiner Erschei­ nung im Fleische (Luc. 10, 23 und 24), selig

die da sehen, das ihr sehet.

und Könige wollten sehen,

sind die Augen,

Denn ich sage euch, viel Propheten das ihr sehet, und haben es nicht

gesehen; und hören, das ihr höret, und haben es nicht gehöret".

Wenn das gesagt werden konnte in jener Zeit der ersten Anfänge des Christenthums, wie viel mehr gilt uns die Mahnung an das

hohe Vorrecht, ein Christ zu heißen, uns, die wir von den Seg­ nungen des Christenthums überall umgeben sind,

in der Kirche,

im Staate, in der Familie, denen das Siegel der Gottesfind-

314

schäft als theuerstes Angebinde schon in die Wiege mitgegeben

worden ist.

Wenn der Engel de- Herrn in jener ersten Weih­

nachtsbotschaft den Hirten

sagen durfte (Luc. 2, 10) : „Siehe

ich verkündige Euch große Freude, denn Euch ist heute der Hei­

land geboren!" — wie muß uns das Herz erst schlagen, denen der Heiland nicht blos geboren, für die er auch gestorben und auferstanden ist, in deren Gemeinschaft er sich seit Jahrhunderten bewährt hat in der Kraft seines heiligen Geistes!

Ja, Geliebte,

wenn uns die fröhliche Weihnachtsbotschaft auf's Neue verkündet wird, da muß unser Herz warm werden und voll von dem

innigsten Danke für das köstliche Gut, das die Gnade des BaterS

so ungesucht, ja unbewußt uns verliehen, und das uns mit seinem Segen von den Tagen der Kindheit an auf allen Wegen begleitet

hat. — Ist diese Weihnachtsfreude wirllich von Allen empfunden worden?

Gibt es nicht Häuser in dieser Stadt, Christenhäuser,

in welchen bei der Christbescheerung Christi auch nicht einmal mit einem flüchtigen Gedanken nur gedacht wurde?

Wie viele

sind vielmehr, von welchen inmitten der sie umgebenden Zeug­ nisse von dem segensreichen Wirken des Heilandes ein anderes Wort des Herrn aus dem Abschnitte gilt, dem unser Text ent­

lehnt ist (Matth. 13, 15) : „Dieses Volkes

Herz

ist verstockt

und ihre Ohren hören übel und ihre Augen schlummern, auf daß sie nicht mit den Augen sehen,

und mit den Ohren hören,

und mit dem Herzen verstehen, und sich bekehren, daß ich ihnen

hülfe". — Noch ein anderes merkwürdiges Wort des Herrn steht in diesem Abschnitte (Matth. 13, 12).

Es ist das Wort : „Wer

da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe; wer aber nicht

hat, von dem wird auch genommen, das er hat".

Es geht hier­

aus hervor, daß zwischen haben und haben ein Unterschied ist. ES gibt ein äußerliches,

oberflächliches Haben, wobei man sich

eben nur gefallen läßt, was ohne unser Zuthun uns zukommt,

es aber, sobald etwas Anderes kommt, um es zu verdrängen,

eben so gleichgültig aufgibt, als man es früher angenommen hat. Wir müssen leider bekennen, daß die meisten, die sich Christen

nennen, nur in diesem Sinne ihr Christenthum haben. Sie lassen

sich die christlichen Einrichtungen und Gebräuche gefallen, sie nehmen an den äußeren Segnungen, die es der menschlichen Ge­

sellschaft gebracht hat, Theil; aber ein inneres Verhältniß besteht nicht zwischen ihnen und dem Evangelium, und sobald eS irgend­

wie mit ihrem selbstsüchtigem Gelüsten in Widerstreit geräth, so geben sie eS gedankenlos und gleichgültig auf.

Ihr sehet, meine

geliebten Freunde, die haben nicht im wahren Sinne des Wortes und darum wird auch von ihnen genommen, das sie haben.

Die

bekehrende Kraft des Evangeliums erweist sich immer schwächer

an ihrem trägen und verhärteten Herzen, an dem wahren Werthe dieses köstlichen Kleinodes, an dem ewigen Heile, haben sie keinen

Theil. — ES gibt aber auch ein Haben in einem höheren Sinne. Es gibt ein Haben, das das Evangelium nicht blos festhält aus

Gewohnheit, sondern aus innerstem persönlichem Bedürfniß, bei dem das Christenthum nicht eine bloße äußere Sitte ist, sondern

zum eigensten Leben gehört.

gegeben.

Wer so hat, Geliebte, dem wird

Die im tiefsten Herzen aufgenommene göttliche, selig

machende Kraft des Evangeliums bewährt sich als ein Sauerteig,

wie es in einem anderen Gleichnisse heißt, der daS ganze Herz

und Wesen des Menschen allmählich durchdringt und umwandelt, und mit ihm eine Verbindung eingeht, die für die Ewigkeit ist, wie die unsterbliche Seele selbst. — Wie gelangen wir dazu, s o

daS Kleinod des Evangeliums zu besitzen?

n. Dies führt uns zu dem zweiten Punkte : das köstliche Gut,

welches der gnädige Gott durch die Geburt des Heilandes un­

verliehen hat, — obgleich es uns Allen ungesucht zugefallen ist, eS wird in vollem Maaße nur dem zu Theil, der eö

selbst eifrig sucht. — Ja, meine lieben Freunde, eben weil der rechte Besitz des Christenthums kein äußerlicher ist, sondern

ein innerlicher, so muß eS, obwohl es uns schon geschenkt wird,

ehe wir uns dessen bewußt werden können, obwohl wir überall

sie umgeben find von seinen Segnungen, obwohl die Zeugnisse von

seiner Wirksamkeit selbst wider Willen sich uns aufdrängen, so

muß es doch gesucht werden, wie die köstliche Perle von dem Kaufmann im Gleichniffe, wenn wir es wahrhaft finden wollen, wenn es unser wirllicheS

Eigenthum werden soll: auch das

Christenherz muß Zeiten haben, da cs im bangen Gefühle der Trennung von seinem Gott, wie die Propheten des alten Bun­

des die Seligkeit der Kinder Gottes als eine künftige erst sucht. — Oder hätte nicht Mancher von uns schon etwas erfahren von

diesem Suchen, von dem Gefühle, welches der Dichter so schön und tief als die Angst des Irdischen bezeichnet?

ES ist eine

Stimmung, in welcher der Druck der Vergänglichkeit, der wir unserem irdischen TheUe nach verfallen sind, mit seiner ganzen Schwere auf uns lastet und der niedergedrückte Geist uicht ver­ mag sich davon loszumachen.

Alle guten Geister scheinen von

uns gewichen zu sehn, nur niederschlagende, entmuthigende, be­

ängstigende Vorstellungen stellen sich uns vor die Seele; in öder Dürre liegt unsere Vergangenheit hinter uns, die Gegenwart ist

trostlos, und entsetzlich lang und bang dehnt die Zukunft vor

dem trüben Blicke sich aus, und unsere natürliche Kraft versucht

vergebens die Brücke hinüberzuschlagen in das in weiter Ferne gelegene schöne Land, wo die drückende Fessel des Irdischen gelöst

ist.

Wo fände der Geängstigte die rettende Hand, die ihn herauS-

zieht aus all dieser Noth und Verwirrung? — Daß er sie doch

nicht suchte in bloßer Zerstreuung, im Lärm deö Lebens und im

Geräusche der Lust, wie leider die meisten thun; denn das macht das trostlose Herz nur noch öder und führt leicht an Orte, da

man nach der Mahnung des Herrn die Perlen nicht hinwerfen soll, geschweige daß man sie dort fände.

Aber vielleicht gelingt

eS, au» der eigenen Rechtschaffenheit und den mannigfaltigen guten

Werken, die man gethan, ein Paar Stützen aufzurichten für den gebeugten Geist.

Ach, meine lieben Freunde, da» sind gar schwache

Stützen und wenn wir das, was wir leisten, mit dem vergleichen, was von uns gefordert wird, und die äußere That mit dem Grunde, aus dem sie erwachsen ist,

so

werden wir

bekennen

müssen, daß sie gar unzulänglich sind und vor dem HerzenS-

kündiger nicht bestehen können.

Der

gewähren diese Stützen keinen Trost.

an die Thüren der Weisen.

wirklich suchenden Seele Sie geht weiter und klopft

Nun, die Wissenschaft hat gute Per­

len, und ihren Werth zu verachten, würde uns am wenigsten anstehen; aber die köstliche Perle, die das kranke Herz heilt, die

die Sehnsucht der suchenden Seele stillt, die volles dauerndes Genügen gewährt, die suchen wir doch auch bei der Wiffenschaft

vergebens; nicht zu gedenken, daß vielen von ihren Vertretern das Christenthum von jeher eine Thorheit gewesen ist, und daß

Mancher sich dünken läßt ein starker Geist zu sehn, wenn er die selbstständige Kraft deö Geistes läugnet, wenn er das Wesen deS Menschen nur in dem sucht, was dieser mit dem Thiere ge­

mein hat, und dagegen jenen daS eigentliche Wesen deS Men­ schen ausmachenden Zug nach dem Unsichtbaren, Geistigen, Gött­

lichen für

einen

nichtigen

Traum hält.

Also auch von den

Thüren der Weisen geht die suchende Seele unverrichteter Sache

weiter.

ES bleibt eben dabei, Geliebte, das Heimweh wird nur

in der Heimath gestillt!

Die suchende Seele muß zurück aus

der Fremde zu dem Vater im Himmel, aus dessen Schöpferhand der Mensch einst rein hervorgieng; sie muß zurück zu dem Erlöser,

der den durch die Sünde verschlossenen Weg zum Vater der

verirrten Menschheit wieder gezeigt und geöffnet hat, und dem du schon als zartes Kind an das treue Herz gelegt worden bist. Wir müssen zurück aus der Fremde in das Vaterhaus mit dem Bekenntniß des verlorenen Sohnes (Luc. 15, 18 f.) : „Herr, ich

habe gesündigt in den Himmel und vor dir, ich bin nicht werth,

daß ich dein Sohn heiße!"

und die Seele wird ja dieses demü­

thigende Bekenntniß nicht scheuen.

Sie hat jetzt erfahren, wa-

sie an dem Heiland hat, sie hat jetzt erst wahrhaft einen Hei­

land : der, an dessen Segnungen sie äußerlich theilnahm, er ist jetzt ihr Eigenthum geworden.

Sie hat die köstliche Perle gesucht und

gefunden, sie weiß jetzt, was es sagen wollte, als damals viele

Jünger des Herrn hinter sich giengen und wandelten fort nicht

mehr mit ihm, und als Jesus zu den Zwölfen sprach : „Wollet

318 ihr auch weggehn?" — sie weiß was es heißen wollte, als da­ mals Simon Petrus antwortete (Joh. 6, 66—68): „Herr, wo­

hin sollen wir gehen?

Du hast Worte des ewigen Lebens und

wir haben geglaubet Md erkannt, daß du bist Christus, der Sohn

des lebendigen Gottes!"

III.

So wird das köstliche Gut, welches Gott in der Geburt seines Sohnes uns verliehen hat, gesucht und gefunden.

Es

fragt sich noch, was wir zu thun haben, um uns das Ge­

fundene völlig zu eigen zu machen.

Der Text beantwor­

tet uns diese Frage, indem er von dem Kaufmann im Gleichnisse erzählt : „Und da er eine köstliche Perle fand, gieng er hin und

verkaufte Alles, was er hatte und kaufte dieselbige."

Sind wir

bereit, dem Beispiele des Kaufmannes zu folgen?

Alles hinzu­

geben , damit wir die köstliche Perle gewinnen,

das in Jesu

Christo uns dargebotene ewige Heil unserer Seele?

Alles hin­

zugeben, nicht blos was wir haben auch, was wir sind, unser

ganzes Herz, unser Leben? vielgesungenen

gewaltigen

Wie lauten die Schlußworte des

Triumphgesanges

der

evangelischen

Kirche? Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib,

Laß fahren dahin, Sie habens kein Gewinn! Das Reich muß und doch bleiben!

Fühlen wir uns stark genug, mit dem Herzen einzustimmen in diese Worte, in welche wir so oft mit den Lippen eingestimmt

haben?

Alles in die Schanze zu schlagen, wenn nur das Him­

melreich unser bleibt? —

Es wird wohl manches Herz hier

schlagen, das sich nicht stark genug fühlt

auf diese Fragen mit

einem aufrichtigen „Ja!" zu antworten. — das auch zu viel verlangt.

Aber vielleicht ist

Was verlangt denn Gott von uns,

Nicht- Andere-, als was überall da geleistet werden

Geliebte?

muß, wo ein Verhältniß wahrer, inniger, persönlicher Liebe zu Stande kommen soll.

ES liegt in der Natur eine- solchen Ver­

hältnisse-, daß man sich ganz hingeben muß, um da- geliebte

Wesen ganz zu gewinnen, daß man nicht- Eigene- mehr haben will, sondern Alle- nur in seinem Sinn besitzen und gebrauchen. Und wir sehen eS ja in der That ost genug, daß das mensch­

liche Herz einer solchen starken Liebe fähig ist, wir sehen, daß

eS häufig Ehre vor der Welt, daß es Geld und Gut leichten Muthes aufgibt, um nur dem geliebten Wesen treu bleiben zu

können, wir . sehen, daß eS eher bricht, als daß es die Trennung von ihm ertrüge.

O, es ist etwas Großes um die Kraft solcher

Liebe, wenn sie nicht leichtsinnig oder trotzig über göttliche und menschliche Ordnung sich hinwegsetzt, und wohl mit Recht singt

von ihr daS Hohelied (8, 6) : „Die Liebe ist stark wie der Tod. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn!"

Und was

diese irdische Liebe bereit ist, dem Geschöpfe zu leisten, daS wäre zu

viel

verlangt, wenn der Schöpfer eS fordert?

DaS wäre

zu viel verlangt, wenn der Heiland es fordert, welcher, ob er

wohl in göttlicher Gestalt war, es nicht für einen Raub hielt,

gleich

Gott

zu

seyn,

sondern

äußerte

sich selbst und nahm

Knechtsgestalt an und erniedrigte sich selbst und ward gehor­ sam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz (Phil. 2, 6—8)? Sollte

nicht das Feuer dieser so völlig sich hingebenden gött­

lichen Liebe stark genug seyn, auch in dem kältesten Herzen die

heilige Flamme zu entzünden?

Wir haben heute gesungen und

singen alle Sonntage : „Komm, heiliger Geist, erfüll' die Herzen

deiner Gläubigen und entzünd' in ihnen das Feuer deiner gött­

lichen Liebe!"

den

von

O, daß doch unser Aller Herzen etwas empfän­

der zündenden Kraft des heiligen Geistes, daß doch

dieses Feuer schon brennte in unseren Herzen, alle dem Ver­

gänglichen zugewandte selbstsüchtige Neigungen verzehrend, nichts

darin übrig lassend, was sich nicht verträgt mit der hingebenden

Liebe zu Gott, der unS zuerst geliebt, und zu dem Heiland, der für uns sich dahin gegeben hat! — Eö ist dies nicht dahin miß-

320 zuverstehen, als ob mit der rechten hingebend« Liebe zu Gott

und zu Christus der Besitz und Gebrauch irdischer Güter über­

haupt sich nicht vertrüge.

ES ist so wenig die Meinung der

evangelisch« Kirche, als des Herrn selbst, daß ihm in der rechtm Weise nur gedient werden könne in selbstgewähltem Verzicht auf die Güter, die Genüsse und die Ehren der Erde. Wir wissen

ja, daß daS Christenthum nicht eine absonderliche Lebensweise

sehn will inmitten des reichbewegten menschlichen Lebens, sondern ein Sauerteig, der die natürlichen Lebensverhältnisse durchdringt,

der da- ganze Leben heiligen und dem Dienste des Herrn unter­

werfen will.

Wir überlaffen darum jene absonderliche Heiligkeit

denen, die da glauben, eS gebe andere Mittel in Gemeinschaft mit dem Herrn zu gelangen, als die innere Hingabe an ihn in

lebendigem Glauben.

Die evangelische Kirche dagegen hat sich

das Wort des Apostels (1 Cor. 3, 22) gemerkt: „Alles ist Euer,

ihr aber seyd Christi!"

Darauf kommt es an, Geliebte, daß

wir Christi Eigenthum werden, daß wir innerlich eins werden mit ihm, daß wir seinen Willen in den unsern aufnehmen.

So

lange dies nicht geschehen, sind alle selbstgewählten Entsagungen,

alle sogenannten guten Werke eben nichts, als ein äußerliches, todtes, werthloses Werk.

Sind wir aber Christi Eigenthum ge­

worden, dann ist Alles unser, dann mögen wir die Güter der

Erde frei gebrauchen, wir haben dann den Wächter in uns, der uns vor Mißbrauch bewahrt.

Ja, erst

wenn wir uns selbst

und Alles, was wir haben, hingeben, um die köstliche Perle der

Gemeinschaft mit dem Herrn zu erkaufen, erst dann empfangen wir von ihm unser wahres Selbst zurück und wird, was wir

haben, unser wahres Eigenthum.

Bei Freuden, die der Herr

verwirft, haben wir keinen Gewinn, sondern wir sind selber die

Beute der Lust;

Macht und Ehre, die wir nicht anwenden zu

seiner Ehre, erhöht unS nicht, sondern erniedrigt uns zu Skla­

ven eines flüchtigen Scheines; Geld und Gut ohne den Herrn

haben nicht wir, sondern es hat uns, es dient nicht uns, son­ dern wir dienen dem Mammon.

Wenn wir dagegen unsere

eigenlliche Bestimmung, unser wahres Sehn darin finden, daß

wir dem Dienste deS Herrn uns hingeben, wenn wir den wahren

Werth irdischer Güter darin erkennen, daß sie ebenfalls in seinem Dienste gebraucht werden : dann erst können wir in Wahrheit

sagen, daß, wie wir Christi sind, so sie unser, daß wir sie be­ sitzen und nicht sie uns, daß sie uns dienen und nicht wir ihnen,

daß wir über sie eine wahrhaft freie Verfügung üben. Und dann

freilich werden wir auch nicht zweifelhaft sehn, waS wir zu thun

haben, wenn diese vergänglichen Güter einmal mit den unver­ gänglichen sich um unS streiten und unser

irdischer Sinn ge­

neigt sehn sollte, statt, wie der kluge Kaufmann im Gleichniffe, vergängliche Güter hinzugeben, um das unvergängliche Gut zu

gewinnen, vielmehr, wie ein rechter Thor, unser unvergängliches Wesen, daö ewige Heil unserer Seele hinzugeben für vergänglichen Tand, der uns vielleicht nicht einmal durch die Spanne Zeit die­

ses Erdenlebens begleitet.

Wir werden dann kein Bedenken tra­

gen , lieber Alles hinzugeben, um nur die köstliche Perle deHimmelreichS

uns zu bewahren.

Denn das wäre ja doch ein

schlechtes Geschäft, um eines kleinen vorübergehenden Gewinnes willen Bankerott zu machen für alle Ewigkeit!

Folgen Evangelium!

wir vielmehr dem Beispiele deS Kaufmannes im

Das heutige Fest, das uns die köstliche Perle in

ihrem ganzen himmlischen Glanze vor Augen hält, mahnt uns

dazu; und der Vater im Himmel, der seinen eingeborenen Sohn

geschenkt hat, möge seinen Segen dazu geben!

Amen.

III.

Was Mf Vergltichmz der skligmachendeu Kraft des Eoaagrtioms mit eiam Saaertng kigeatlich bedeatet. Gleichniß von dem Sauerteig.

Luc. 13, 20 u. 21.

Epiphaniaspredigt. Der Gott aller Gnade, der uns berufen hat zu seiner ewigen

Herrlichkeit in Christo Jesu, derselbige wolle uns vollbereiten, stärken, kräftigen, gründen.

Demselbigen sey Ehre und Macht

von Ewigkeit zu Ewigkeit (1 Petr. 5, 10)! Amen. Wir sind, meine geliebten Freunde, heute vor acht Tagen mit dem Feste Epiphanias oder der Erscheinung Christi in die heilige Epiphaniaszeit eingetreten.

Es hat dieser Abschnitt des

Kirchenjahres die Bestimmung, die christliche Gemeinde daran zu

erinnern, wie die Mlle der Gottheit, welche in dem Kinde, das,

als das köstlichste Weihnachtsgeschenk, durch die Gnade des Vaters

für uns geboren worden ist, erst verborgen ruhte, allmählich in immer hellerem Glanze zur Erscheinung kam, und zugleich uns

zu ermahnen, daß sie auch für uns und in uns ein Licht werden soll.

Darum hat die Kirche seit alter Zeit als Text für das

Erscheinungsfest jenes Evangelium von den Weisen aus Mor» genland bestimmt (Matth. 2,1 ff.), die mit der frohen Botschaft:

„Wir haben seinen Stern gesehen!" aus weiter Ferne diesem leuchtenden Sterne entgegen zogen und als die Erstlinge der

Heiden bei der Krippe zu Bethlehem die Herrlichkeit des singe» bereuen Sohnes vom Vater anbeteten; in dem entsprechenden epistolischen Abschnitte aber ergieng an die Gemeinde der Weckruf

des Propheten (Jes. 60, 1—6) : „Mache dich auf, werde Licht! Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf

über dir!"

Der heutige evangelische Text (Luc. 2, 42—52)

zeigt uns, wie der zwölfjährige Jesuö schon die Lehrer im Tem­

pel in Erstaunen setzte, durch seine Reden und seinen Verstand

und seine Antwort, und wie er dann zunahm wie an Alter, so auch an Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen, und

zugleich mahnt die Epistel (Röm. 12, 1—5), daß auch wir uns nicht der Welt gleichstellen, sondern am liebsten in dem sehn sollen, was unsers Vaters ist, und uns verändern durch Ver-

neuerung unseres Sinnes und dem heiligen Willen Gottes hin­

geben in wahrem Gottesdienste.

Am künftigen Sonntage aber

wird das Evangelium (Joh. 2, 1 — 11) das erste Wunder des

Herrn verkündigen, wodurch er bei der Hochzeit zu Kana seine Herrlichkeit offenbarte, und die Epistel (Röm. 12, 7—16) wird unS auffordern, unsern Glauben an ihn durch Werke der Liebe als einen lebendigen zu bethätigen. —

Diese Epiphanias »Ge­

danken nun von der allmählich wachsenden

Offenbarung und

Wirksamkeit der Herrlichkeit deS Erlösers finden sich auch in

einem

der Gleichniffe

deS Herrn zusammengefaßt.

In dem

Evangelium deS Lucas im 13. Capitel im 20. und 21. Verse

stehl nämlich folgendermaßen geschrieben :

,,20. Und «dermal sprach er : Wem soll ich das Reich Gottes vergleiche»?

21. Es ist einem Sauerteig gleich, welche»

ei» Weib nahm, und verbarg ihn unter drei Scheffel Mehl, bis daß «ü gar sauer ward."

So weit der Text, meine geliebten Freunde!

Wenige ein­

fache Worte, wie ihr seht; aber diese wenigen einfachen Worte

bergen einen reichen Schatz göttlicher Weisheit.

Freilich entzieht

dieser Schatz sich der oberflächlichen Betrachtung, und der Pre­

diger, der ihn zu

heben unternimmt, muß bei einem solchen

Texte ganz besonders darauf rechnen, daß ihn die aufmerksame Theilnahme

Darum also will ich euch

der Hörer unterstütze.

bitten, Geliebte; unseren gnädigen Gott aber um seinen Segen

für unsere gemeinsame Betrachtung.

So viel ist von vornherein klar, daß nicht eigentlich, wie man den Worten nach glauben könnte, das Himmelreich selbst

mit einem Sauerteig verglichen wird, sondern die Kraft, welche daS Himmelreich schaffet, der neue Lebenstrieb, welcher von dem

Heiland ausgeht, die seligmachende Kraft des Evangeliums, das

waö der Herr in unserem Texte mit einem Sauerteig

ist es,

vergleicht. Unsere Aufgabe ist demnach, miteinander zu erwägen, waS

denn

Kraft

deS

die

Vergleichung

Evangeliums

eigentlich bedeutet.

der

mit

seligmachenden

einem

Sauerteig

Wir werden daraus ersehen, daß das

Evangelium kein äußerliches Werk und Besitzthum, sondern eben

eine von innen heraus wirkende Kraft ist; daß diese Kraft nicht lärmend und plötzlich wirkt, sondern stille und all­

mählich; daß aber eben darum ihre Wirkung nicht blos ober­ flächlich und für den Augenblick ist, sondern sicher und voll­

ständig.

L Zuerst also :

Werk

und

DaS Evangelium ist kein

Besitzthum,

sondern

eine

äußeres

von

innen

heraus wirkende Kraft.

die Frage deS stimmt

erklärt,

Pilatus

daß

:

Unser Heiland selbst hat auf



„Bist du der Juden König?" be­

fein Reich nicht von dieser Welt,

daß

er vielmehr ein König seh, dazu geboren und in die Welt ge­

kommen, daß er die Wahrheit zeuge (Joh. 18, 33 ff.). Apostel Paulus fügt hinzu :

Der

„Das Reich Gottes bestehet nicht

in Worten, sondern in Kraft" (1 Cor. 4, 20).

Und wiederum

spricht der Herr selbst : „DaS Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Geberden.

Man wird auch nicht sagen : siehe, hier,

oder da ist eS; denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in

euch!" (Luc. 17, 20 f.)

DaS Reich Gottes ist eben, wie unser

Text sagt, ein Sauerteig, eine lebendige, von innen heraus wir­ kende Kraft, die zuerst das Herz in seiner innersten Tiefe ergrei­ fen

muß, die

Wesen

dann von diesem Brennpunkte auS unser ganzes

erwärmend

und belebend durchströmt und alle von ihr

durchdrungenen zu einem lebendigen Leibe verbindet, dessen Haupt

Christus ist. — Daß doch so deutlich redende Worte des Herrn so

Zunächst ruht auf einer sol­

sehr verkannt werden können!

chen Berkennung

Schwesterkirche.

bekanntlich

die Hauptschwäche der römischen

Sie hat das Wort des Herrn vergessen, daß

sein Reich nicht von dieser Welt seh, und ihr Hauptanliegen ist,

die Kirche zu einem weitverbreiteten, mächtigen, glanzvollen, fest­ gegliederten Reiche dieser Welt zu machen.

Sie hat das Wort

vergessen, daß das Reich Gottes nicht in Worten bestehe und in äußeren Geberden komme, und so sucht sie in Worten und in äußeren Geberden und Werken ihr Heil.

Sie hat die Mahnung

deS Herrn vergessen, daß man nicht sagen solle, sein Reich seh hier oder da, sondern es seh inwendig in einem jeden, der im

tiefen Bewußtsehn, daß in keinem anderen Heil sey, den Erlöser

in lebendigem Glauben umfaßt, und so sagt sie vielmehr geradezu, daß das Reich Gottes eben nur da sey, wo sie ist, überall sonst

aber eitel Abfall und Ketzerei. —

Und daß doch solche Ver­

irrungen immer in den Gränzen der römischen Kirche geblieben

wären! Aber auch die Glieder der evangelischen Kirche sind an­ gesteckt von dieser Aeußerlichkeit.

Ich rede jetzt nicht davon, ob-

SM gleich auch da- eine traurige Wahrheit ist, daß viele, die sich evangelische Christen

nennen,

eine äußerliche Rechtschaffenheit,

auf- Höchste einen äußerlichen Gottesdienst, von welchem daS

unbekehrte Herz nichts weiß, sich genügen (affen, als ob der Apostel nicht gesagt und die Reformation nicht auf ihr Panier

geschrieben hätte : „Aus Gnaden seyd ihr selig worden, durch

den

Glauben — wohl verstanden,

Geliebte, nicht durch den

todten Glauben des Kopfes und des Mundes, sondern durch den lebendigen, den ganzen Menschen von innen heraus erneuernden

Glauben des Herzens — Aus Gnaden seyd ihr selig worden, durch den Glauben, und daSselbige nicht durch euch, Gottes Gabe ist eS, nicht aus den Werken, (Eph. 2, 8 f.)!"

welche

auf daß sich Niemand rühme

Sondern davon rede ich, daß selbst solche,

zur Pflege der evangelischen Kirche berufen sind, das

Heil vorzugsweise suchen in der Aufrichtung der äußeren Ärchlichen Ordnung, in der Herstellung des oft sehr unzuläng­

lichen, von Menschen festgesetzten äußeren Rechtes der Kirche, als ob das Reich Gottes doch von dieser Welt wäre; in bestimmten äußeren Formen des Gottesdienstes und deS Bekenntnisses, als

ob daS Reich Gottes doch mit Süßeren Geberden käme und in

Worten bestände und nicht in der Kraft; daß sie die Unter­

schiede der confessionellen, der lutherischen oder reformirten Auffassung der evangelischen Wahrheit höher anschlagen, als ihre Einheit, als

ob daS Reich Gottes dennoch ausschließlich hier

wäre oder da und nicht vielmehr inwendig in einem jeden, in welchem daS

gemeinsame Bekenntniß der evangelischen Kirche,

daß in nichts anderem Heil sey, denn in dem lebendigen Glau­

ben an Christum, Geist und Leben geworden ist. —

Dies Alles

würde sich eher begreifen lasten, wenn nur weltliche Behörden,

die gewohnt sind, die kirchlichen Einrichtungen nur als Stützen der bürgerlichen Ordnung zu betrachten, jene Ansicht hätten,

wenn aber

in solche Aeußerlichkeiten selbst die sich verlieren,

welche berufen sind, daS heilige Feuer der evangelischen Wahr­

heit selbst zu hüten, dann bleibt freilich nichts übrig, als einzu­

stimmen in daS Wort des Herrn :

„Wenn das Salz dumm

wird, womit soll man salzen!" — Ein berühmter Theologe der römischen Kirche

selbst

wörtlich ausgesprochen:

hat es mit

dankenSwerther Offenheit

„Die Katholiken lehren,

die sichtbare

Kirche ist zuerst, dann kommt die unsichtbare, jene bildet diese. Die Protestanten sagen : auS der unsichtbaren Kirche geht die sichtbare Kirche hervor und jene ist der Grund von dieser." anderen Worten :

die römische Kirche

Mit

lehrt gegen daS Wort

des Herrn, das Reich GotteS komme zuerst mit äußeren Geber­ den, durch diese werde daS Reich GotteS in uns erst begründet; die evangelische Kirche lehrt getreu dem Worte des Herrn : das

Reich GotteS

kommt nicht mit äußerlichen Geberden, sondern

ist vor allen Dingen und wesentlich inwendig in uns, und aus diesem inneren Grunde geht erst das Aeußere hervor. Wir läug-

nen also keineswegs, daß zu ihrer Wirksamkeit auf Erden, wie die Seele des Leibes, so die göttliche Kraft des Evangeliums

einer äußeren Gemeinschaft ihrer Bekenner und bestimmter For­ men der Verfassung, der Verehrung und der Lehre bedarf; wir

erkennen vielmehr den hohen Werth dieser Erscheinungsformen

des christlichen Lebens an, und wer sie gering achtete, von dem müßten wir glauben, daß es ihm mit dem Evangelium selbst

kein rechter Ernst ist.

DaS aber behaupten wir, daß der Geist

daS erste ist und der Leib erst daS zweite, daß die göttliche Kraft des Evangeliums den äußeren Leib von innen heraus sich

bilden muß.

Kehren wir dies Verhältniß um, richten wir unser

Streben vorzugsweise auf die Aufbauung des Leibes, wähnend, der Geist werde dann schon von selbst nachkommen; so ist der

Geist in Gefahr durch die starre äußere Form in seiner leben­

digen Bewegung gehemmt und unterdrückt zu werden, so ist die Kirche in Gefahr,

in daS Kraut zu wachsen und des inneren

Kernes und Markes verlustig zu gehen, so paßt auf sie nicht

mehr das Gleichniß von dem von innen heraus mit lebendiger Kraft

wirkenden Sauerteige, sie ist ein äußerliches Werk und Besitzthum geworden: wir sind von der evangelischen Wahrheit zurück­

gefallen in den Irrthum der römischen Kirche. — erste Punkt!

Wir kommen zum zweiten!

So weit der

«8

II. Der Sauerteig de-Evangeliums wirkt nicht lär­

mend und plötzlich, sondern stille und allmählich. — Woher kommt es doch, Geliebte, daß, um von denen zu schwei­ gen, welche Christenthum und Kirche nur als Mittel gebrauchen für die äußeren Zwecke des Wohllebens, der Ehre, der Macht, —

woher kommt es doch, daß selbst viele von denen, welche von wirklichem, redlichem Eifer für die Kirche des Herrn erfüllt sind,

so leicht mehr auf den äußeren Ausbau der Kirche, als auf die Festlegung ihres inneren Grundes ihre Aufmerksamkeit und ihr Streben richten?

Es kommt von einer frommen Ungeduld her,

meine lieben Freunde, die nicht abwarten kann, bis das Werk

fertig ist, um dessen recht gründlichen Anfang eS sich doch eigent­ lich erst handelt.

Sie haben eben vergessen, daß die Kraft des

Evangeliums gleich einem Sauerteige wirkt, also unter dem Ge­ setze

der

Allmäligkeit steht;

sie haben vergessen, daß es im

Gleichnisse vom SSemann doch auch von dem Samen, der auf gutes Land gefallen, heißt, daß er Frucht bringe in Geduld

(Luc. 8, 15).

Mit ungestümem Stürmen und Drängen ist hier

nichts gethan, und das beherzigenswerthe Wort „gut Ding will

Weile haben," es gilt auch von dem köstlichsten aller Dinge, von dem Evangelium und seinen Wirkungen. — In den Büchern der Könige (l Kön. 19, 11 ff.) wird unS von dem gewaltigen Pro­

pheten EliaS erzählt, als er in der Höhle auf dem Berge Horeb btt Offenbarung des Herrn wartete, da gieng der Herr vorüber,

„und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriß und die Felsen zerbrach vor dem Herrn her : der Herr aber war nicht

im Winde.

Nach dem Winde aber kam ein Erdbeben; aber der

Herr war nicht im Erdbeben.

Und nach dem Erdbeben kam ein

Feuer, aber der Herr war nicht im Feuer, und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.

Da das Elia hörete, verhül-

lete er sein Antlitz mit seinem Mantel und gieng heraus und trat in die Thür der Höhle;"

denn in dem stillen, sanften

Sausen da war der Herr.

Spricht euch nicht diese wunder­

bare Erzählung eigenthümlich an, wie eine Weissagung auf das

Auftreten unseres Herrn und Heilandes, der auch nicht ungestüm

daherfuhr mit Stürmen und Dräuen, sondern sanftmüthig und von Herzen demüthig,

und von dem das liebliche Wort des

Propheten (Jes. 42, 1 ff.

Matth. 12, 19 f.) gilt:

„Er wird

nicht zanken, noch schreien, und man wird sein Geschrei nicht

hören auf den Gassen. brechen , und das

Das zerstoßene Rohr wird er nicht zer­

glimmende Docht wird er nicht auslöschen."

Der ewige Sohn des himmlischen Vaters wird als Mensch ge­

boren bei der Krippe zu Bethlehem, er tritt ein in alle Be­

schränkungen und Leiden des menschlichen Lebens; wiewohl zu­ nehmend an Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen,

bleibt er seinen Eltern Unterthan und lebt dreißig Jahre lang

still und unbeachtet dahin.

Von dem Täufer geweiht als der

längst verheißene und sehnlichst erwartete Retter seines Volkes, gibt er den fleischlichen Hoffnungen auf die Gründung eines

äußeren Reiches nicht die geringste Nahrung, selbst die, welche

ihm vorzugsweise um seiner Wunder willen glauben, erkennt er als seine wahren Jünger nicht an; sondern das ist sein Kampf mit der Welt, daß er daS Licht seiner göttlichen Weisheit und

Liebe ruhig hineinscheinen läßt in ihre Finsterniß, ob sein himm­

lischer Strahl wohl hineinfalle in ein heilbegieriges, empfäng­ liches Herz und darin zünde; und den endlichen Sieg über die Welt erringt er nicht dadurch, daß er sie niederwirft mit äußerer

Macht, sondern daß er sich selbst von ihr hinopfern läßt im schmerzvollsten Tode.

So still und allmählich ist der Sauerteig

des Himmelreichs hineingebracht worden in die todte Masse der

Menschheit, und so soll er auch fortwirken in ihr.

Still und

geräuschlos, wie der Herr in die Welt eingezogen ist, zieht er auch ein in das Herz, welches seiner begehrt, welches, unbefrie­

digt von dem Vergänglichen, gedrückt von dem schweren Joche der Sünde, getrieben von der Angst des Irdischen, in tiefer

Sehnsucht und ernster Heilsbegier Ihm sich zuwendet.

Still

und geräuschlos wirkt er in einem solchen Herzen weiter, am

390 fern

liebsten

vom Lärm de- Lebens in den Stunden Mer

Sammlung und Selbstbeschauung. Auch macht eine solche Seele von dem Schatze, den sie gefunden, leinen Lärm und sie weiß,

daß sich den Widerwilligen nicht mit Gewalt und mit äußeren Mitteln aufdrängen läßt, was ihr, der herzlich verlangenden, aus Gnade geschenkt ward.

Aber sie wird sich des Evangelium-

nicht schämen; sie wird nicht lassen zu zeugen von seiner selig--

machenden Kraft, die sie selber erfahren; sie wird, getreu der

Mahnung des Herrn (Matth. 5, 16), ihr Licht leuchten lassen

vor den Leuten, es leuchten lassen in unermüdlicher Treue in ihrem Berufe, in stets sich gleichbleibender hülfreicher Freundlich­

keit, in fröhlichem Vertrauen auf den Beistand des Herrn bei aller Mühe und Noth des Lebens, in sicherem Maßhalten im

Genuffe irdischen Gutes, in frommer Ergebung in alles Leid, das der liebe Gott ihr zuschickt.

Und sollte nicht der stille,

stätige Schein dieses Lichtes mit seiner sanften Gewalt hinein­ dringen in manches verfinsterte Gemüth und den Wunsch in ihm rege machen :

O, wer doch auch seines Gottes und Erlösers

so gewiß wäre!

Sollte nicht auf solche Weise am sichersten der

Sauerteig des Himmelreichs mit seiner von innen heraus be­

lebenden

und

erneuernden Kraft übergetragen werden

trägen, erstorbenen Herzen?

in die

Nicht auf einmal freilich wird er

alles Dunkle hell und alles Todte lebendig machen, aber die

Seele, in der er sein stilles Wirken einmal begonnen hat, und die ihm nur nicht widerstrebt, darf gewiß sehn, daß der in ihr

angefangen das gute Werk, es auch vollenden werde bis auf den Tag Jesu Christi.

in. Denn eben weil die göttliche Kraft des Evangeliums so stille und allmählich wirkt, ist ihre Wirkung auch nicht blos ober­

flächlich und für den Augenblick, sondern sicher und vollstän­

dig.

DaS ist der letzte Puntt, den wir noch miteinander zu be-

SSt trachten haben. Es liegt in der Natur des geistigen Eigenthum-, daß,

wenn eS ein vollkommen sicherer Besitz, wenn eS ein

wahres Eigenthum werden soll, eS nicht, wie ein leiblicher Besitz,

in einem Augenblick erworben werden kann. Geistiges Eigenthum wird nur, waS mit dem innersten persönlichen Leben verwachsen

ist, und dazu braucht eS Zeit.

Das Bedürfniß danach muß erst

innerlich empfunden werden, es muß dann selbstthätig ergriffen und endlich durch selbstthätiges Erwerben, durch innere Aneignung

in

lebendiger Ueberzeugung

werden.

zum

wahren Eigenthum

So auch die evangelische Wahrheit.

gemacht

Wo man bei ihrer

Verbreitung oder Aneignung sich übereilt, wo man ihre Früchte

sehen will, bevor ihr noch der Boden bereitet ist, worin sie ge­

hörig Wurzel schlagen kann, da bringt man eS wohl dazu, daß „Herr! Herr!" gesagt, aber nicht, daß der Wille gethan wird

des Vaters im Himmel; daß äußere Worte und Geberden den Schein geben, als ob das Himmelreich da wäre, aber nicht, daß eS

wirklich inwendig in dem Herzen ist. Auf'S Höchste bringt man eS zu einem Gefallen des Verstandes und der Phantasie au der evange­

lischen Lehre, an ihrem festgcgliederten Zusammenhang und an den mit ihr zusammenhängenden Vorstellungen; aber nicht zu einer innerlichen Erneuerung deS Herzens und Lebens durch ihre selig­ machende Kraft.

Der wechselnde Wind der Lehre oder deS Ein­

flusses von Oben oder Unten reißt diese schnell emporgeschossenen

Pflänzchen mit ihren schwachen Wurzeln aus, und sie verdorren ohne Frucht.

So geht eS, Geliebte, wenn man der Warnung

deS Herrn zum Trotz das Himmelreich lediglich in Worten und

Geberden sucht, die jeder Mensch ohne alle innere Betheiligung

in einem Augenblicke sich aneignen kann, überhaupt in Dingen, die man willkürlich machen kann mit menschlicher Kraft.

Wo

dagegen das Evangelium als eine Kraft Gottes nach dem Worte

des Herrn

wie ein Sauerteig das Herz allmählich durchdringt

und umwandclt, da ist seine Wirkmig sicher

und vollständig.

Einem so bekehrten Menschen fließt vielleicht das fertige Bekennt­

niß nicht so glatt von den Lippen, aber nicht obgleich, sondern weil es ihm Herzensangelegenheit ist;

auch fühlt er sich nicht

382 so

völlig beruhigt, wie jene Oberflächlichen bei ihren äußeren

Werken, womit sie Gott einen Dienst zu thun meinen, sondern

mit Schmerz

fühlt

er

noch

den

Stachel

überwundenen Sünde in seinem Herzen;

nicht

der

völlig

aber er fühlt diesen

Stachel mit dem Apostel und er darf auch mit diesem hoffen,

daß, nachdem er einmal von Christo Jesu ergriffen ist, er das Kleinod, dem er jetzt erst nachjagt, einst sicher und vollständig

ergreifen werde.

Und was von dem Einzelnen gilt, das gilt

auch von der kirchlichen Gemeinschaft.

Auch hier muß die Be­

lebung damit anfangen, daß in dem Herzen der einzelnen Glieder der lebendige Glaube an Jesum Christum entzündet wird, wenn der Erfolg

ein sicherer, den Wechsel der Zeitrichtungen über­

dauernder, gründlicher und vollständiger seyn soll, wenn Recht und Verfassung, Bekenntniß und Gottesdienst wirkliche Lebens­

zeichen und Belebungsmittel der Kirche werden

unsere

evangelische Kirche

sollen.

diesen Grundsatz nicht

Daß

verläugnet,

darauf beruht, wie ihr eigenes Gedeihen, so im Kampfe mit der römischen Kirche ihre Macht.

Sobald sie ihr Heil in Acußer-

lichkeiten sucht, wird sie immer zu kurz kommen gegen die stolze Schwester, die ihr jederzeit überlegen war in der Klugheit der

Weltleute und in dem Gebrauche der Mittel,

Gunst der Mächtigen gewinnt.

womit man die

Wenn sie aber ihrem Berufe

treu bleibt, daS heilige Feuer des Evangeliums selbst rein zu

bewahren und eS immer neu zu entzünden in dem Herzen, dann hat sie den Mächtigsten zur Seite, der ein Herr ist über alle Herren, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.

Dann ist sie selber der Sauerteig, das Salz der Erde, das be­

stimmt ist, daS bewahren.

geistige Leben der Menschheit

vor Fäulniß zu

Auch hat sie sich als solches bereits bewährt.

Nicht

nur hat sie selbst stets die innere Kraft besessen, aus Zuständen der Zerrüttung oder Erschlaffung zu neuem Leben sich wieder

emporzuringen;

sondern von einer

Behauptung, die neuerlich

von unserer Nähe aus in die Welt hineingeschrieben worden ist, daß die Trennung der protestantischen Kirche von der römischen auch dieser zum inneren Verfalle gereicht hätte, selbst von dieser

Behauptung ist so sehr das Gegentheil wahr, daß vielmehr nur

die Berührung mit der evangelischen Kirche auch in der römi­ schen ein frischeres Leben wieder erweckt hat.

Wo ihr diese Be­

rührung fehlt, wie zum Beispiel im ganzen Süden Europas, da ist daS Leben in der römischen Kirche faul und abgestanden; nur

in der Nachbarschaft des Protestantismus ist durch den Sauer­ teig, welchen die evangelische Kirche bewahrt, auch in der römi­

eine heilsame Gährung bewirkt worden.

schen

Und wenn die

evangelische Kirche untergegangen wäre bis auf Einen Menschen,

der mit ganzer Seele ihr Bekenntniß ausspräche, daß in nichtAnderem Heil seh, denn in dem lebendigen Glauben an Christum

Jesum, der für uns gestorben und auferstanden ist : dieser Eine würde, wie einst das Kreuz auf Golgatha selbst, der Punkt seyn, von welchem aus das Evangelium seinen Siegesgang durch die Welt mit der Sicherheit

vollständigen Erfolges auf's Neue be­

gänne.

Dies sey zur Beruhigung gesagt, aber nicht als Aufforde­

rung zur Trägheit!

Vielmehr sind die Zeichen der Zeit ernst

und mahnen, daß der evangelische Christ seines Berufes sich be­

sinne. ren

Möge denn in uns und in allen Gliedern unserer theue­

evangelischen Kirche

die

göttliche Kraft

des Evangeliums

immer mehr als ein Sauerteig sich bewähren, der durch seine be­ lebende und heiligende Kraft uns alle mit Leib und Seele zu

lebendigen Gliedern ist!

des Leibes weihe, dessen Haupt Christus

Dann wird Christus auch mit uns seyn.

dann wider uns?

Amen.

Und wer wäre

IV.

Der Todksgaig der Sünde.

Gletchniß vom großen Abendmahl. Lur. 14, 16-24.

Passionsandacht. Dem barmherzigen und treuen Gott, welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschonet, sondern hat ihn für uns alle dahin

gegeben,

auf daß er mit ihm uns Alles schenke, dem sey

Ehre in der Gemeinde, die mit dem theuren Blute Christi erkauft ist, von Ewigkeit zu Ewigkeit! In

Christo

geliebte

Versammlung!

Trauer Versammlung! — auch

grüßen, meine geliebten Freunde! sammelt um ein offenes Grab,

Amen.

In Christo geliebte

so dürfte ich euch heute be­

Wir sind zwar nicht ver­

in welches die von einer lieben

Seele verlassene vergängliche Hülle eingesenkt werden soll; aber

wir haben uns versammelt, um auf seinem schweren TodeSgange den zu begleiten,

der uns geliebt hat,

wie eine Mutter ihr

Kindlein nicht mehr lieben kann, der sein Leben für unS gelassen

hat, und der darum auch unS über Alle- theuer sehn soll!

Daß

wir uns Alles, was der treue Heiland gelitten hat, recht lebendig wieder vor die Seele stellen, dazu ist die heilige PassionSzeit,

dazu sind insbesondere diese unsere Passionsandachten bestimmt.

So aber, Geliebte, daß wir uns dabei das Wort des Propheten (Jes. 53, 5) gesagt sehn lassen : --Er ist um unserer Misse­

that willen verwundet,

und um unserer Sünde willen zer­

Die Strafe liegt auf ihm,

schlagen.

auf daß

wir

Friede

hätten und durch seine Wunden sind wir geheilet!-dem Bilde des leidenden Erlösers,

Von

das in dieser Zeit sich uns

klar vor die Seele stellt, muß ein Widerschein hineinfallen in

unser eignes Herz, es muß uns klar werden, daß er für unS gelitten hat nnd gestorben ist, ja durch uns, durch dieselbe Sünde,

hält.

deren drückende Fessel auch unS noch immer gefangen

Das steigende Leiden deS Erlösers zeigt uns zugleich die

steigende Macht der Sünde, die sich so weit verirren konnte, daß

sie dem eingeborenen

Sohne

des ewigen Gottes den Mörder

Barrabas vorzog und den Heiligen und Gerechten dem grausam­ sten Tode

überlieferte.

Die Passionszeit muß

uns

zu einer

Bußzeit werden, Geliebte, die Passionsandacht zur Bußandacht,

damit, wie der Heiland einst getödtet wurde durch die Macht der

Sünde, so nun die Sünde in uns getödtet werde durch seine Macht; damit die Erinnerung daran, daß uns der Heiland werth genug

gehalten hat,

uns zu erkaufen mit seinem theueren Blute,

uns

eine Mahnung werde, nicht selbst so gering von uns zu denken, daß wir uns wegwerfen an das Vergängliche, sondern uns viel­

mehr emporzuheben zu Ihm, zu Ihm als das geheiligte Volk feines Eigenthums I

Nach solchen Betrachtungen wird es wohl als gerechtfertigt erscheinen,

wenn wir in unserer heutigen Passionsandacht, statt

auf den TodeSgaug

unseres Herrn,

unseren Blick vielmehr,

336

Sünde richten.

auf den Tod es gang der

und Buße,

zur Gelbsterkenntniß

Wir thun es auf dem Grunde des Gleichnisses

von der verschmähten Einladung zum großen Abend­ mahl,

welche- bet dem Evangelisten Lucas

14. Capitel

im

vom 16. — 24. Verse also lautet : „16.

Er

sprach

aber

zu

ihm

:

Es war ein Mensch,

der

Abendmahl, und lud Biele dazu. 17. Und sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, zu sagen den Geladenen : Kommt, denn

machte

ein

große-

es ist alles bereit. 18. Und sie singen an alle nach einander sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm : Ich habe einen Acker gekauft, und muß hinaus gehen, und

ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich.

19. Und der

andere sprach : Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft,

und

ich gehe setzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschul­

dige mich.

genommen,

20. Und der dritte sprach : Ich habe ein Weib

darum kann ich nicht kommen.

21. Und der

Knecht kam, und sagte das seinem Herrn wieder. Da ward der Hausherr zornig, und sprach zu seinem Knechte :

Gehe aus bald auf die Straßen und Gaffen der Stadt, und führe die Armen, und Krüppel, und Lahmen, und

Blinden herein.

22. Und der Knecht sprach:

Herr,

es

ist geschehen, «aS du befohlen hast; es ist aber noch Raum

da.

23. Und der Herr sprach zu dem Knechte: Gehe aus

auf die Landstraßen, und an die Zäune, und nöthige sie,

herein zu kommen, auf daß mein Haus voll werde.

24.

Ich sage euch aber, daß der Männer keiner, die geladen

sind, mein Abendmahl schmecken wird." ES ist dies Gleichniß ursprünglich gegen die Juden gerichtet,

welchen im Stolze ihrer Selbstgerechtigkeit das Wort vom Kreuze

ein Aergerniß war, weßhalb denn die Predigt des Evangeliumerfolgreicher an die verachteten Heiden sich wendete.

Aber die

ungötllichen Mächte, welche die freundliche Einladung : »Lasset

Euch versöhnen mit Gott!» uns auöschlagen lassen, sie sind noch immer dieselben; auch unö ist darum dieser Text zur Lehre ge-

sagt und zur Strafe.

Es wird aber zweckmäßig sein, daß wir,

bevor wir auf die nähere Betrachtung seine- Inhalt- eingehe«,

au- diesem reichen Inhalte diejenigen Bestandtheile au-scheiden,

auf die wir heute vorzugsweise unsere Aufmerksamkeit zu richten Der TodeSgang der Sünde nun, der gefährliche

haben.

Weg, der endlich zum Verderben führt, er liegt nach seinen ver­

schiedenen Stufen deutlich vorgezeichnet in den Antworten der

drei Geladenen.

Und auch darüber werden wir un- leicht ver­

ständigen, daß nicht auf die Gegenstände eS ankommt, durch welche sie bestimmt wurden, die Ladung auSzuschlagen — denn

ob die Pflege deS Leibes, ob Gut und Ehre, ob Weib und Kind von dem Herrn uns trennt, das ist im Grunde einerlei; in dem einen, wie in dem anderen Falle, dienen wir dem Geschöpfe, statt dem Schöpfer — sondern

darauf

kommt eS an,

in welchem

Grade jene Gegenstände uns gefangen genommen haben,

in

welchem Grade eS ihnen gelungen ist, vom Dienste Gotte- uns abzuziehen zum Dienst der Sünde, und eben die verschiedenen

Grade dieses schnöden Dienste- liegen in den Antworten jener

Geladenen deutlich vor.

I.

»ES war, so erzählt uns unser

Hören wir den ersten! Tert,

viele

ein Mensch, der machte ein große- Abendmahl, und lud

Und

dazu.

sandte seinen Knecht

aus zur Stunde des

Abendmahls, zu sagen den Geladenen: Kommet, denn eS ist Alles bereit.«

Es bedarf kaum der Bemerkung,

daß

der so

freundlich Einladende im Gleichnisse unseren gnädigen Gott selbst darsteüt;

daß daö Abendmahl,

wozu er ladet, daS Himmel­

reich ist; daß dort nicht unser Leib beschenkt werden soll mit der

vergänglichen Pracht kostbarer Feierkleider, wie eS die Sitte deS

Morgenlandes fordert, sondern unsere Seele mit dem glänzenden

Gewände der Heiligkeit und Gerechtigkeit, daß dort

nicht

Baur, Predigten.

unser Leib

die vor Gott gilt;

genährt werden soll mit irdischer 22

388 Speise, sondern der göttliche Keim in uns genährt werden soll

zu kräftigem Wachschum mit dem Brode des ewigen Lebens, ja mit dem göttlichen Leben des eingeborenen Sohnes vom Vater

selbst I

Und zur Theilnahme an all dieser Herrlichkeit braucht es

nichts,

als daß wir uns einmal los machen von der täglichen

Sorge um Trank und Speise, um Ehre und Gut und die freund­ liche Einladung annehmen.

Ach, und doch treibt uns die Sünde,

daß wir lieber den Trübern dieses armseligen Erdenlebens nach­

gehen, als der freundlichen Einladung des Vaters im Himmel folgen, bei dem unsere wahre Heimath ist und ewiges Genügen und aller Güter die Fülle!

»Sie fingen alle nach einander an

sich zu entschuldigen" und der erste sprach : »Ich habe einen

Acker gekauft und muß hinausgehen und

ihn

besehen.«

Wie

verletzend sticht diese schnöde Antwort ab gegen die so freund­ liche Einladung!

Und doch ist dieser Erste noch der Beste von

ES findet doch in ihm noch ein Streit statt zwischen der

Allen. Lockung

der Welt und

muß jener

folgen,

zwischen der Einladung Gottes.

darum

weist

er diese

zurück.

Er

Es liegt

noch etwas in ihm, warum er der Ladung zum Himmelreiche

folgen möchte, aber die Erde hängt sich mit aller Gewalt an ihn und sie ist ihm zu stark,

sie zwingt ihn, daß er thun muß,

wie sie, nicht wie sein eigenes besseres Selbst will.

Der Zu­

stand, in welchem dieser Mensch und die ihm gleichen sich be­ finden, ist der, welchen der Apostel Paulus im 7. Capitel des Briefs an die Römer so treffend schildert: »Wollen habe ich wohl, aber Vollbringen des Guten finde ich nicht.

Denn das Gute, das ich

will, das thue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das thue ich.

Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz, nach dem

inwendigen Menschen;

ich sehe aber ein ander Gesetz in meinen

Gliedern , das da widerstreitet dem Gesetze in meinem Gemüthe, und nimmt mich gefangen in der Sünden Gesetz, welches ist in meinen Gliedern.«

Es ist

dies

der

Stand

der

Knecht­

schaft, wie man diesen Zustand treffend bezeichnet hat.

Wer

von uns hätte den Druck dieser Knechtschaft nicht schon empfun­ den?

Dieses traurige Muß, das uns drängt, die Sünde zu thun,

während unser bessere- Selbst sich dagegen sträubt; da der be­ sonnene Entschluß im Augenblick leidenschaftlicher Auftegung zu Schanden wird und wir, obwohl wir wissen, daß wir Unrecht

thun, doch wie mit unwiderstehlicher Gewalt zum Unrecht fort­

gerissen werden;

da der gute Vorsatz vor der Glut der erreg­

ten Sinne endlich wie Wach- schmilzt; da der Stimme der Pflicht,

welche in ruhiger Stunde so klar und deutlich zu un- sprach,

die alte Schlange ihr verlockende- und verwirrende- : „Sollte wohl

Gott so

gesagt

haben?«

entgegensetzt und

un-

ein­

redet, daß e- vielmehr unsere Pflicht seh, einmal von der Pflicht

abzuweichen. — O daß doch in solchen Stunden leidenschaftlicher Verwirrung unser Blick stets auf da- hohe Ziel fiele, auf da­

große Abendmahl, welche- unser gnädiger Gott un- bereitet hat und da- wir im Begriffe sind um der Beftiedigung eine- selbst­

süchtigen Gelüste- willen aufzugeben!

doch unser Blick

Daß

stet- auf den leidenden Erlöser fiele, der so viel für un- gethan

hat und für den wir nicht das Keinste Opfer bringen wollen! — Sollte un- dann nicht da- Feuer seiner göttlichen Liebe durch­

dringen und un- Kraft geben,

die Bande

jener

schmähliche«

Knechtschaft zu zerreißen? — Und bald müssen sie zerrissen wer­

den diese Bande, wenn nicht au- dem Stande der Knechtschaft ein weit bedenklicherer Zustand sich entwickeln soll.

n. E- ist dies der Zustand, welchen der zweite der Geladenen un- darstellt.

Seine Antwort auf die freundliche Ladung Gotte-

lautet : „Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft, und ich gehe jetzt

hin, sie zu besehen.«

Da ist von einem zwingenden Muß, wel»

che- den Menschen verhindert der Einladung nachzukommen, der

er sonst gern folgen möchte, keine Rede mehr.

Dieser Mensch

spürt in seinem Herzen kaum noch etwa- von dem geheimnißvollen Zuge nach dem Göttlichen, er betrachtet e- als sich ganz von selbst verstehend,

daß er seinen Ochse«,

daß er irdischem Gute 22*

340 lieber nachgeht, als daß er der Einladung zum Himmelreiche

folgt.

Er befindet fich bereits in dem Zustande, wtlchen man

als dm Stand der fleischlichen Sicherheit bezeichnet

hat.

daß die Sicher­

O wie sehr mit Recht sagt der Dichter,

heit de- Menschen gefährlichster Feind sey!

und leider müssen

wir hinzufügen, daß die große Mehrzahl der Menschen der Ge­ walt diese- Feinde- verfallen ist.

Der Mensch ist eben durch

seine sündige Natur dem Vergänglichen zugewandt und er findet

Zwar fehlt eS zuerst

so viele auf demselben breiten Wege.

nicht an der mahnenden Stimme im Herzen, noch fehlt es von

außen an der steten Mahnung der Kirche; aber der fleischliche Sinn dieser Menschm vermißt die Bestätigung dieser Mahnung

durch augenblickliche Strafen, die den Ungehorsamen ereilen; für die Strafe, die in dem bösen Gewissen und in der trostlosen

Leerheit de- dem Vergänglichen hingegebenen Herzen- liegt, haben sie keinen Sinn, und gegenüber den gegenwärtigen Erfahrungen

von dem irdischen Glück, welches dem irdischen Sinn so häufig zu Theil wird, erscheint ihnen die Vergeltung der Ewigkeit in blasse Ferne gerückt.

So sehen sie denn als ihre wahre Natur,

als das von selbst sich Verstehende an, daß sie dem Vergänglichen sich hingeben, und die, welche vielmehr der Mahnung des Herrn

folgen : Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes! haben von Glück zu sagen,

wenn sie nicht geradezu für Thoren gehalten

werden. — Vielleicht tritt in dieses heitere Weltleben einmal zur Zeit der Krankheit,

oder in der bangen Stille einer schlaflosen

Nacht daö furchtbare Gespenst des Todes herein und erfüllt die

sicheren Herzm mit Furcht und Zittern durch die Mahnung an

die Vergänglichkeit und Werthlosigkeit, an die vollendete ^Nich­ tigkeit ihre-

ganzen Treibens;

aber

so

die

wie

Kraft

des

Leibes wieder wächst und die Stille der Nacht dem Lärme deTages weicht,

verfliegt diese heilsame Unruhe,

und ungestört

wandeln diese Sicheren auf dem breiten Wege weiter fort, über

ihrem Haupte da-

flammende Richterschwert

der Vergeltung,

unter ihren Füßen die Abgründe des ewigen Verderbens! — O wie noth thut diesen Gesunden, die des Arztes nicht zu bedürfen

glauben, die Warnung de» treuen Seelenarzte», der sich selbst un» zur heilenden und stärkenden Seelenspeise dahingegeden hat

(Offenb. 3, 17—20) : »Du sprichst: Ich bin reich und habe

gar satt, und darf nicht», und weißest nicht, daß du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß.

Ich rathe dir, daß du

Gold von mir kaufest, da» mit Feuer durchläutert ist, daß du

und weite Kleider, daß du dich anthuest, und nicht offenbar werde die Schande deiner Blöße; und salbe deine reich werdest;

Augen mit Augensalbe,

daß du sehen mögest!

habe, die strafe und züchtige ich. Buße.

Welche ich lieb

So seh nun fleißig, und thue

Siehe, ich stehe vor der Thüre und klopfe an.

So

jemand meine Stimme hören wird, und die Thür austhun, zu

dem werde ich eingehen und da» Abendmahl mit ihm halten,

und er mit mir!» — Ach, Geliebte, was ist da» für eine freuttb« liche Stimme!

Werden sie wohl darauf hören, jene Sicheren?

III. Non, ein gute» Fäserchen ist auch an ihnen noch, woran die

göttliche Liebe sie fassen kann, darauf macht auch unser Text auf­ merksam und unterscheidet dadurch den Stand der Sicherheit von

dem Zustande, welchen der dritte der Geladenen darstellt.

Die

beiden ersten fügen ihrer ablehnenden Antwort doch noch ein : »Ich bitte, entschuldige mich!-- bei, der erste offenbar im drücken­

den Gefühl, daß e» unrecht seh, sich so, wie er, von der Sünde knechten und von dem gnädigen Gott abwenden zu lassen, der zweite, um wenigsten» den guten Schein zu wahren; trotz feine»

gewohnheitsmäßigen Weltsinnes

fehlt also doch auch ihm da»

Bewußtsehn der Berpflichtungen, welche er gegen Gott hat, nicht völlig.

Der dritte aber nimmt sich nicht einmal zu einer ent­

schuldigenden Redensart die Mühe,

er hat dem Dienste der

Sünde sich völlig hingegeben, wie er in den Augen Gottes er­ scheint, daS ist ihm gleichgültig; eS liegt ihm nichts daran, da»

Derhältniß zu ihm völlig abzubrechen : »Ich habe ein Weib ge-

342

nommen,

darum kann ich nicht kommen!" — das ist auf die

freundliche Einladung sein kurzer, trotziger Bescheid.

Dieser un­

glückliche Mensch hat auf dem traurigen Wege der Sünde die letzte Stufe betreten, er ist in dem Stande völliger Ver­

härtung angekommen.

Die Leidensgeschichte unseres Herrn,

an welche diese Tage uns erinnern sollen, hält uns auch das

Beispiel einer armen Seele vor,

welche den Gang der Sünde

M zu diesem traurigen Endpunkte zurückgelegt hat, in der Per­

son des Berräthers Judas.

Als der verfluchte Geiz, der eine

Wurzel ist alles Uebels, zum erstenmal ihn trieb seine Hand

auszustrecken nach dem ihm anvertrauten Golde, da mochte sein

Gewissen den Druck der ihn knechtenden Sünde noch schwer und

schmerzlich empfinden.

Allmählich aber machte die Gewohnheit

der ungestraft geübten Sünde sein Herz sicher, und in dieser

Sicherheit wuchs der selbstsüchtige sinnliche Mensch in ihm, dem mit der Einladung zu einem Reiche, das nicht von dieser Welt ist, nicht gedient ist.

Zur vollständigen Verhärtung endlich, zur

Feindschaft gegen den König dieses Reiches schlug die Sicherheit in jenem Augenblicke um, da der Herr beim letzten Mahle Judas

den Bissen reichte.

"Und nach

dem

Bissen,

so erzählt das

Evangelium des Johannes (13, 27), fuhr der Satan in ihn."

Trotzig erhebt er sich

zur Ausführung seines unseligen Ent­

schlusses: er ist aus einem Jünger des Herrn der Diener seines

ergrimmten Feindes

geworden.

Zwar als er seinen einstigen

Meister zum Tode verdammt sieht, da erfaßt ihn noch einmal

die Reue.

Er bringt sein Sündengeld den Hohenpriestern und

Aeltesten wieder.

Die aber werfen das ganze furchtbare Gewicht

seiner That auf sein schon verzagendes Gewissen: »Was gehet

uns das an? da siehe du zu!» (Matth. 27, 5)* und in Ver­ zweiflung stürzt er hinaus.

O, man möchte ihn halten, man

möchte ihm zurufen : Kehr' um, Judas, kehr' um!

Wirf dich

zu den Füßen Jesu, umklammere seine Kniee und laß ihn nicht, bis er dich segne!

Er ist ja die ewige Liebe selbst und keine

Sünde so groß, daß er sie dem, der herzliche Buße thut, nicht vergäbe.

Er stirbt ja für seine Mörder,

er wird auch seinen

Derräther nicht verwerfen! — Aber da ist kein Halten mehr,

der Todesgang der Sünde soll vollendet werden!

Der Böse,

der ihn getrieben hatte, die Hand zu erheben gegen seinen Herrn

und Meister, er bewaffnet auch die Hand des Verzweifelnden gegen

das eigene Leben; um den Qualen des Gewiffens zu entfliehen, stürzt der Unselige blindlings in'S ewige Verderben : »Und er

warf die Silberlinge in den Tempel, hub sich davon, gieng hin, itub erhenkte sich selbst.« Das ist der Todesgang der Sünde, das ist die furchtbare Bestätigung des Wortes (Jak. 1, 15): „Wenn

die Lust empfangen hat, gebietet sie die Sünde; die Sünde aber,

wenn sie vollendet ist, gebieret sie den Tod!«

So viel über die drei Geladenen im Gleichniß.

Und wer

wäre nun nicht zu einem strengen Berwerfungsurtheile über sie bereit?

Zu einem so raschen Urtheile, als eS dort (2 Sam.

12, 5 f.) David bereit hatte gegen den reichen Mann im Gleich­

nisse Nathans, bis ihn das Donnerwort des Propheten traf: Du bist

der

Mann! — Und »Du bist der Mann!

seid die Geladenen!« Gleichnisse deS Herrn.

Ihr

so tönt eS auch uns entgegen aus dem

Oder hätte niemals in uns. das un­

göttliche Muß in unsern Gliedern das göttliche Soll in unserem Gemüthe überstimmt?

Hätten wir niemals Zeiten gehabt, wo

wir im gewohnten Lärm der Weltlust die mahnende Stimme dieses göttlichen Soll gar nicht mehr hörten?

Nicht vielleicht

selbst Stunden, in welchen wir aus gezwungenen Knechten willige Freunde der Sünde wurden, die von der Einladung deS gnädigen

Gottes gar nichts mehr hören wollten? — Ich dächte, meine

geliebten Freunde, wir vergäben uns nichts, wenn wir in das Bekenntniß des reuigen Königs

einstimmen (2 Sam. 12, 13) :

»Ich habe gesündigt wider den Herrn!«

Und mögen wir uns

des getrösten, daß der Herr ja nicht um der Gerechten willen gekommen ist, sondern eben, um die Sünder zur Buße zu rufen. Auch in dem Gleichnisse wendet sich die Einladung Gotte- von

denen, welche sich reich und gesund dünken, zu den Armen und Krüppeln und Lahmen und Blinden; von denen, welche in stolzer

Sicherheit auf dem Markte des Lebens sich brüsten, zu den ver-

344 irrten und verzagten Herzen auf den Landstraßen und an den

Zäunen; von bett Pharisäern,

die Gott danken, daß sie nicht

find, wie andere Leute, zu denen, die mit dem Zöllner beten : -Gott seh mir Sünder gnädig!»

An diese alle ergeht sein

freundlicher Zuruf (Matth. 11, 28) : »Kommet her zu mir, alle

die ihr mühselig und beladen seyd, ich will euch erquicken!» sie alle ist sein Abendmahl bereit! wie unser Text sagt.

Für

Und eS ist noch Raum da,

Ach, eS ist immer noch Raum da, noch

gar viel Raum, Geliebte l

Wollen wir die freundliche Einladung

des gnädigen Gottes zum zweiten und dritten Male ausschlagen, wollen wir den Todesweg der Sünde fortwandeln bis zu seinem

Ende?

O nein, o nein, du gnädiger Gott, lieber den Leidens­

weg deines geliebten Sohnes,

Abendmahle des Himmelreichs!

der hinanführt zu dem großen Ja du treuer, du freundlicher

Gott, wir nehmen deine Einladung an, ziehe nur du selber uns

zu dir mit deiner Kraft!

Wir kommen, wir kommen!

Amen.

V.

Der Wie. Hirte.

Gletchniß vom guten Hirten.

Joh. 10, 12— 18.

Charfreitagspredigt. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!

Er weidet

mich auf grünen Auen, und führet mich zum frischen Master. Er erquicket meine Seele; er führet mich auf rechter Straße,

um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Thal, fürchte ich kein

Unglück; denn du bist bei mir; dein Stecken und Stab trösten mich!

Amen.

Andächtig versammelte, theuer erkaufte Christengemeinde! Die

so

eben gesprochenen Morte des Psalmisten (Psalm 23)

sollen heute dazu dienen, unsere Betrachtung zu eröffnen, als ein Gebet des Dankes an den treuen Gott, der den großen Hirten

und Bischof unserer Seelen uns gesendet, ja ihn für uns in

den Tob dahin gegeben hat.

Möge er Gnade geben, daß Alle,

die hier versammelt sind zur Todtenfeier seines geliebten Sohne-,

von hier etwas mitnehmen

in ihren Herzen von der ruhigen,

sanften, trostvollen, ihre- treuen Herrn und Hirten so völlig gewissen Stimmung, welche in jenem lieblichen Psalm sich aus­

spricht!

Denn freilich, Geliebte,

sind wir zu einer Todtenfeier

versammelt, und e- ziemet uns nicht blos tiefes Mitgefühl mit

dem bittern Todesleiden unseres Herrn und Heilandes, sondern vor Allem Schaam und Reue und tiefer Schmerz darüber, daß

er für uns, daß er um unserer Sünde willen, ja durch unsere Sünde Solche- leiden mußte; aber diese Todtenfeher ist auch zu­

gleich das Fest des ewigen Lebens, und darum soll der Char-

freitagsschmerz nicht ohne Trost sehn und selige Freude.

Nach­

dem wir in der heiligen PassionSzeit unseren Herrn auf seinem Leidensgange von Stufe zu Stufe begleitet haben, sind wir nun

auf dem Gipfel angekommen.

Wir stehen auf Golgatha, wir

stehen unter dem Kreuze des Herrn, und nicht lange, so

wird

die Stunde des Tages schlagen, von der geschrieben steht (Luc. 23, 44 — 46) : „Und es ward eine Finsterniß über das ganze

Land bis an die neunte Stunde.

Und die Sonne verlor ihren

Schein und der Vorhang des Tempels zerriß mitten entzwei.

Und Jesus rief laut und sprach : Vater, ich befehle meinen Geist

in deine Hände.

Und als er da- gesaget, verschied er."

Aber

der Schänd- und Marterpfahl des Kreuzes, er hat sich in ein Ehren-, und Siegeszeichen verwandelt, und einem Jeden, der es

im Glauben umfaßt, gilt die Verheißung, die einst an den ersten

christlichen Kaiser ergieng : In diesem Zeichen wirst du siegen! Ja, Geliebte, der dürre Kreuzesstamm hat ausgeschlagen, es sind

lebendige Zweige daraus hervorgewachsen und haben Blüten und Früchte hervorgetrieben, und die geflügelten Samenkörner sind

über alle Länder hingeflogen — haben sie auch den Weg gefun­

den in Dein Herz?

Haben sie Wurzel geschlagen, sind sie auf­

gegangen? — Siehe, die am Kreuzesholze ausgestreckten Arme de- Erlösers, sie sind geöffnet, um dich zu empfangen; und diese

stummen Lippen, wie rufen sie so vernehmlich,

so dringend :

Kommet her zu mir, Alle, die ihr mühselig und beladen seyd,

ich will euch erquicken! — Ja, kommet her. Alle! du,

Komme her,

den die Noth des zeitlichen Lebens bedrängt, und hole bei

dem Kreuze des Herrn die Kraft des ewigen Lebens!

Komme

her, du liebe Seele, die du auf Menschen gebaut und bittere

Täuschung erfahren hast : Hier ist ein Freund, der niemals be­ trügt, und dessen Liebe ewig währet!

Komme her, du betrübtes

Herz, das auch brechen möchte, weil ein anderes im Tode ge­

brochen ist; hier ist der Held, der dem Tode die Macht genom­

men und Leben und unvergängliches Wesen an'S Licht gebracht hat!

Komme her, du vom Bewußtseyn deiner Sünde geängstigte

Seele : hier ist der Arzt, der die kranke Seele heilet!

Und

auch du komme her, du Thor, der du für die Güter dieses Lebens,

das siebenzig Jahre währt und, wenn'- hoch kommt, achtzig Jahre,

die Ewigkeit hingibst, und sammle dich einmal bei dem Anblicke des gekreuzigten Gottessohnes zu ernster Selbstbetrachtung, zu

ernster Sorge für deine arme Seele! — Ja, Geliebte, wir Alle wollen uns im Geiste unter das Kreuz unseres Herrn stellen;

wollen uns unter diesem heiligen Zeichen die Hände reichen zu einem Bunde wechselseitiger Liebe und Nachsicht und Unterstützung,

wie es den Gliedern des Leibes geziemet, an dem Christus das

Haupt ist; wollen im Geiste nicdersinken an sein treues Herz. — In dieser Stimmung laßt uns denn auch den Text vernehmen

aus dem Evangelium des Jüngers, den der Herr lieb hatte, der an seiner Brust lag

beim

letzten Abendmahle

und

schmerzenreichen Mutter unter seinem Kreuze stand.

im Evangelium des Johannes

mit

der

Er lautet

im 10. Capitel vom 12.—18.

Verse also :

„12.

Ich bin ein guter Hirte.

für die Schafe.

Ein guter Hirte läßt sein Leben

Ein Miethling aber, der nicht Hirte ist,

deß die Schafe nicht eigen sind, siehet den Wolf kommen, und verläßt die Schafe, und fliehet; und der Wolf erha­

schet und zerstreuet die Schafe.

13. Der Miethling aber

fliehet; denn er ist ein Miethling, und achtet der Schafe

348 nicht.

14. Ich bi« em guter Hirte, und erkenne die Mei­

nen, und bin bekannt den Meinen;

15. wie mich mein

Bater kennet, nnd Ich kenne den Vater.

mein Leben für die Schafe.

Schafe, die find nicht aus diesem Stalle. muß ich herführen,

Und ich lasse

16. Und ich habe noch andrre Und dieseltigen

und sie werden meine Stimme höre»,

und wird Eine Heerde und Ein Hirte werden.

liebet mich mein Bater, daß ich eS

mir,

17. Darum

daß Ich mein Leben lasse, auf

wieder nehme.

18. Niemand nimmt eS von

sondern Ich lasse eS von mir selber.

Ich habe es

Macht zu lassen, und habe eS Macht wieder zu nehmen.

Solches Gebot habe ich empfangen von meinem Vater.«

Diese- Gleichniß vom guten Hirten, meine andäch­

tigen Zuhörer, soll unser diesmaliger CharfreitagStext sehn. ist unS aber dieses Gleichniß

Es

von dem Herrn gesprochen zum

Troste, zur Mahnung und zur Hoffnung.

In diesen drei

Beziehungen wollen wir eS jetzt mit einander betrachten.

Und

der gnädige Gott möge unsere Betrachtung an uns Allen segnen durch den Beistand seine- heiligen Geiste-!

r. „Ich

bin

ein guter Hirte!" wie lieblich klingt un­

gleich zu Anfänge

unseres Textes

dieses

Trostwort

entgegen.

Ja, du treuer Heiland, du bist wahrhaftig ein gar guter Hirte!

— so sollte auS jedem Herzen ein freudiges Echo ihm antwor­ ten.

Wer ist eS denn, der jenes freundliche Wort uns zuruft?

ES ist der eingeborene Sohn vom Bater selbst und nur aus

solchem Munde ist das Wort „Ich bin ein guter Hirte!« ein rechtes Trostwort.

Die zum Bilde Gottes geschaffene Mensch­

heit war der Sünde zur Beute geworden, unfähig, aus eigner

Kraft von ihrer finsteren Macht sich zu erlösen, irrten die Men­

schen zerstreuet umher, wie Schafe, die keinen Hirten haben, und, wie

ein gieriger Wolf, fraß geistiges und leibliche- Verderben

immer mehr unter ihnen um sich.

Aber was einst Gott durch

den Mund seines Propheten verkündet hatte (Ezech. 34, 15 ff.): »Ich will selbst meine Schafe weiden, und ich will sie lagern.

Ich will daS Verlorene wieder suchen, und das Verirrte wieder

bringen

und

das Verwundete

verbinden

und des Schwachen

warten; und was fett und stark ist, will ich behüten und will

ihrer pflegen, wie es recht ist!» — diese Verheißung gieng in Erfüllung, da Gott seinen eingeborenen Sohn sandte zur Er­ lösung der Menschen.

Der ewige Sohn des himmlischen Vaters

hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sehn, sondern un­

terzog sich dem schweren Hirtenamte, und das in den Dornen der Lust Verstrickte löste er mit sanfter Hand, das an den Abgrund

des Verderbens Verirrte rief er zurück mit freundlicher Mah­ nung, das Schwache und Kranke richtete er auf durch die heilige Kraft seiner unendlichen Liebe,

das Zerftteute sammelte er und

umgab die Gesammelten mit dem schützenden Zaune seines wahr­

haftigen, lebendigen Wortes.

Aber aller dieser Beweise seiner

Hirtentteue gedenkt er nicht in unserem Text, sondern nur daS Eine sagt er : »Ich bin ein guter Hirte : Ein guter Hirte lässet sein Leben für die Schaafe.«

Sein Leben

hat der treue Hirte gelassen für die zerftteute Heerde, für deine

und meine verirrte Seele, — ja, Geliebte, daS fühlen wir Me,

das ist die Hauptsache!

Denken wir den Tod des Herrn uns

hinweg auö seinem Erlösungswerk, nun so ist eS eben kein Er­ lösungswerk mehr, so hat unser Glaube seinen eigentlichen

Grund, unsere Liebe ihren kräftigsten Anttieb, unsere Hoffnung

ihre

festeste Bürgschaft

verloren.

Denken wir den Tod deS

Herrn aus der Weltgeschichte uns hinweg, so verwandelt sie sich

in ein buntes Gewirrs von wechselnden Ereignissen ohne festen Halt und ohne höheres Gesetz.

Ja, Geliebte, sterben mußte

der Herr, wenn wir leben sollten! — Warum aber konnte die

verirrte Menschheit um keinen geringeren Preis der Sünde ent­ rissen und dem gnädigen Gotte wieder gewonnen werden? Darum,

weil wir so tief in die Sünde versunken waren, daß sie in ihrer graffesten,

abschreckendsten Gestalt uns vor die Augen gestellt

MO werden mußte, wenn wir zur Besinnung kommen sollten;

und

dämm, weil wir so weit von Gott entfremdet waren, daß e»

de- stärksten, augenscheinlichsten Beweise- seiner nie aufhörenden Liebe bedurfte, wenn wir wieder ein Herz zu ihm fassen sollten. Beide- hat der Tod de- Erlösers geleistet.

Furchtbareres konnte

die Sünde nicht vollbringen, als daß sie den eingeborenen Sohn Gottes selbst bis zum Tode haßte und verfolgte.

Und was wir

sonst wohl wahrnehmen, daß dem Verbrecher, den erst blinde

Leidenschaft beherrschte, auf einmal mit Entsetzen die Augen auf­ gehen, wenn die That gethan ist, das ereignete sich auch nach dieser entsetzlichsten That sündiger Verblendung : alles Volk, das dabei war, und das vor Kurzem erst mit wildem Toben das

»Kreuzige! Kreuzige!« au-gerufen hatte, da sie sahen, was da geschah, schlugen sie reuig an ihre Brust und wandten sich stumm

von dannen.

Ihre Herzen sind getroffen von tiefem Erschrecken

über ihre Sünde, die den Heiligen Gottes an das Kreuz ge­ schlagen; und denselben Eindruck muß die andächtige Betrachtung

de- gekreuzigten Erlöser- überall hervorbringen. — Damit nun aber da- Herz im Bewußtseyn seiner Sünde und Gottentfremdung

nicht verzage, darum eben ist der Gekreuzigte der Sohn des lebendigen Gottes.

Er, zu dessen Schutze Legionen von Engeln

bereit gewesen wären, gibt sich freiwillig in den schmerzlichsten

Tod hin — da- ist ja der deutlichste Beweis, daß, obschon wir

Gott verlassen haben, er doch unö nicht verläßt.

Die Betrach­

tung des Kreuzes Christi schließt unserem Blicke nicht blos die

Abgründe der menschlichen Sünde, sondern auch den Abgrund

der göttlichen Liebe auf; die Kraft, welche von dem Kreuze des Erlösers ausströmt, sie entreißt uns nicht blos der Macht der

Sünde,

sondern sie führt

un- auch an das treue Vaterherz

Gottes zurück, sie verbürgt uns, daß wir einen versöhnten Gott

haben.

Und durch dies Alles, meine geliebten Freunde, wird der

Tod unseres Herrn und Heilandes die größte Thatsache seines

Erlösung-werke-.

Darum ist er die Angel, um welche die ge-

sammte Geschichte der Menschheit sich dreht, darum ist derCharfrettag, die TodeSfeier unseres Herrn, das eigentliche Leben-fest

unserer Kirche, die Krone und Perle der christlichen Feste, darum

ist seine andächtige Feier, ist die tägliche Betrachtung de- Todes

des Heilandes so reich an Segen An lebendigem Trost!

und an lebendigem Trost!

Denn der Tod des Herrn darf uns ja

nicht selbst ein todtes, äußerliches, vergangenes geschichtliches Er-

eigniß seyn; sondern er wollte durch seinen Tod uns zum eigen­ sten Eigenthum sich erkaufen.

Und so klingt es gar tröstlich in

unserem Texte weiter : "Ich bin ein guter Hirte und er­

kenne die Meinen und bin bekannt den Meinen, wie mich mein Vater kennet und ich erkenne den Vater!«

Die Seinen!

Geliebte.

DaS sind die, welche in lebendigem

Glauben mit ihm Eins geworden sind, welche mit ihm der Sünde

gestorben sind, um mit ihm zu neuem Leben zu erwachen.

Und

die haben unmittelbar Antheil an der lebendigen Gemeinschaft, welche zwischen dem Sohn und dem Vater besteht, sie find ihres

Heilandes so gewiß, als dieser selbst gewiß ist, daß seine Schafe ihm Niemand aus seiner Hand reißen kann.

Haben wir alle

schon etwas erfahren von dieser seligen Gemeinschaft, von dieser

inneren Besiegelung unserer Versöhnung mit Gott,

von diesem

stillen Zwiegespräch der erlösten Seele mit dem Erlöser und von

dem seligen : »Du kennest mich und ich kenne dich?« welches im tiefsten Heiligthum der Seele sich ausspricht, und von dem Frieden, der damit verbunden ist, und der höher ist, denn alle

Vernunft, und stärker, als die Noth des Lebens und die Angst des Todes? — Ach, daß es doch so wäre, daß wir doch Alle

vom Todesfeste unseres Herrn den Trost mitnähmen : »Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln, und ob ich gleich wandle im finsteren Thal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist

bet mir, Dein Stab und Stecken trösten mich!«

II.

Es fällt dem Prediger schwer, von dem großen, nicht auszupredigenden Thema zu scheiden,

welches in der Wahrheit ent-

halten ist, daß der Tod deS Erlösers der eigentliche Grund un­

seres Glaubens ist und die Quelle alles wahren Trostes, und

welches ja das eigentliche LharfreitagSthema bildet.

Aber unser

Text verlangt sein Recht und erinnert daran, daß das Gleichniß vom guten Hirten uns nicht nur zum Troste vorgehalten ist,

sondern auch zur dienen,

Mahnung.

Dazu

wird uns vorzüglich

wenn wir mit dem erhebenden Bilde des guten Hirten

das warnende Bild des Miethlings vergleichen, welches der Herr

in dem Gleichnisse mit so scharfen und treffenden Zügen gezeich­ net hat. — Wir alle, geliebte Freunde, sind gewissermaßen mit

einem Hirtenamte betraut.

UnS Allen ist ein bestimmter Beruf

zugewiesen, in welchem wir, seh eS in dem beschränkten Raume deS Hauses, seh eS im öffentlichen Leben, zu wachen haben über

Personen oder über Sachen,

damit

von ihnen ferne gehalten

werde, was ihnen schaden könnte, das aber geschehe, was dazu

Hilst, daß fie ihre wahre Bestimmung erreichen.

Bon unserem

Verhalten in diesem unserem irdischen Berufe, auf diesem von

Gott unS angewiesenen Posten hängt unser ewiges Heil oder Verderben ab.

ES ist also vom höchsten Werthe, daß wir ernst­

lich prüfen, ob wir als gute Hirten unseren Beruf verwalten,

oder als Miethlinge.

Und zu dieser wichtigen Prüfung gibt

unser Text uns best sichersten Maßstab.

sein Leben für die Schafe,

Der gute Hirte läßt

weil diese die seinen sind; ihr

Wohl ist von dem seinigen unzertrennlich, er müßte sich selbst

aufgeben, wenn er sie aufgäbe, ja er gibt lieber sein Leben hin, als daß er eines von ihnen verlöre.

Der Miethling aber be­

trachtet die Schafe nicht als sein eigen, sondern nur das geht

ihn näher an, was mit seinen selbsüchtigen Gelüsten zusammen­

hängt und ihm persönlichen Vortheil bringt.

So weit eS damit

sich verträgt, sorgt er für die ihm Anvertrauten; aber wenn diese

Sorge

in Streit

geräth mit seiner Bequemlichkeit,

oder mit

seiner Lust, wenn er gar den Wolf kommen sieht, das heißt, wenn eine Gefahr sich nahet, die sein eignes Leben bedroht, dann

fliehet er feige und achtet der Schafe nicht. — Wie nun, Ge­

liebte, welchen von beiden gleicht unser Thun am meisten, dem

Verhalten des guten Hirten, oder dem de- elenden Miethlings? Sind wir wirklich Jünger dessen, der da- große Wort gespro­

chen hat, daß er nicht gekommen seh, sich dienen z» lasten, son­ dern Andern zu dienen (Matth. 20, 28)?

Beweisen wir als

Glieder und Häupter unserer Familien, al- Bürger und Diener de- Staate-, als Glieder und Diener der Kirche stets die rechte

Hirtentreue?

Sind die Verhaltungsmaßregeln, welche der Herr

uns durch Lehre und Beispiel gegeben, stets unsere Richtschnur gewesen?

Liegt uns Wohl und Wehe der uns Anvertrauten

stets am Herzen, wie unser eignes?

Setzen wir mit selbstver-

läugnender Liebe unsere ganze Kraft daran, daß nur dem Herrn

Keines verloren gehe, und ist bei Allem, was wir thun, das Trachten nach dem Reiche Gottes stets unsere Hauptrücksicht?

Oder

ist

uns vielmehr unser persönlicher Vortheil da» Ziel,

auf welches wir einzig hinarbeiten, ist nicht unser liebes Ich der Mittelpunkt, auf welchen wir Alles beziehen, der anspruchsvolle Herr, zu dessen Diensten wir Alles zwingen möchten? nicht

Ist uns

unsere von Gott uns übertragene Berufsarbeit oft nur

eine lästige Bürde, die wir so schnell und leicht als möglich los

zu werden suchen, um unserer Bequemlichkeit und unserem Ver­ gnügen nachzugehen, als ob nicht wir zum Dienste der Brüder,

de- Staates, der Kirche berufen sehen, sondern als ob die An­ dern, als ob Staat und Kirche nur da seyen, um uns zu dienen,

dem trägen, lüsternen, unö?

selbstsüchtigen, fleischlichen Menschen in

Geschweige, daß uns der Eifer um das Reich des Herrn

verzehrte und wir bereit wären, als gute Hirten daS Leben zu lasten für den unö anvertrauten Beruf! — Und doch ist der Mensch, dem das leibliche Leben das Höchste ist, noch gar nicht zum Bewußtseyn seiner Würde gekommen, sondern eS erfüllt sich

an ihm das Wort des Herrn (Matth. 10, 39): „Wer sein Leben findet,

der wird eS verlieren!"

Durch die Sorge um die Er­

haltung und Pflege des vergänglichen Lebens geht er des ewigen Lebens verlustig.

Das höhere Leben geht in der That erst dann

dem Menschen auf, wenn er etwas gefunden hat, wogegen er fein Leben gering achtet, Biur, Predigten.

wofür er bereit ist, eS in die Schanze 23

3M zu schlagen.

Wenn wir hören,

daß in Judäa die Frau des

Brahminen dem Leichname ihres Mannes auf den Scheiterhaufen

folgt, so verbindet sich mit dem Schauder vor der Verirrung, womit diese That znsammenhängt, doch auch eine Ahnung der geistigen Kraft, welche den Menschen über den Dienst der Sinn­

lichkeit zu erheben vermag.

Wenn wir hören, wie unsere deut­

schen Vorfahren sich selbst den Tod gaben, weil sie den Verlust

ihrer Freiheit und ihres Vaterlandes nicht überleben konnten, so beklagen wir, daß sie die Kraft Gottes noch nicht kannten,

die auch erstorbenen Völkern neues Leben einzuhauchen vermag; aber wir können ihnen unsere Bewunderung nicht versagen; und

der Soldat, der bei seiner Fahne aushält, bis er todt auf sie

niedersinkt, er verdient unsere Achtung, und wenn er für ein Trugbild der Ehre und des Ruhmes gefallen wäre, denn er ist immer für die Ueberzeugung gefallen,

auf welcher der höhere

Werth des Menschen beruht, daß das Leben der Güter höchstes nicht ist.

Zum wahren Leben aber durchgedrungen und selig zu

preisen ist nur der, welcher treulich in dem Dienste des Herrn steht und, wenn es sehn muß, fällt, der uns den wahren Gott

hat anbeten lehren im Geiste und in der Wahrheit, der als ein guter Hirte sein Leben gelassen hat für seine Schafe und da­

durch dem Tode die Macht genommen und Leben und unver­

gängliches Wesen an's Licht gebracht hat.

Wer diesem Herrn

in rechter Hirtentreue folgt, wer mit dem Apostel allen Gewinn für das Zeitliche für Schaden achtet, wenn er ihn hindert Chri­

stum zu gewinnen, wer lieber das Leben läßt, als die Treue gegen ihn, dem erfüllt sich das andere Wort des Herrn : „Wer sein Leben verlieret um meinetwillen, der wird cs finden!"

indem er das zeitliche Leben gering achtet,

Leben zu Theil.

Und

wird ihm das ewige

Wer aber dieses Opfer scheut, der hat keinen

Theil an dem Heiland. — Zu solcher Treue mahnt uns das

Gleichniß vom guten Hirten, und der Gedanke an den, der für uns gekreuzigt

ist,

soll

uns Kraft geben dieser Mahnung zu

folgen, damit auch uns einst aus dem zeitlichen Tode das ewige

Leben erblühe!

in. Da- führt uns auf die Hoffnung, welche unser Gleichniß uns vorhält, und welche wir schließlich noch zu betrachten

haben.

„Darum liebet

mich

mein Vater,

so schließt

unser Text, daß ich mein Leben lasse, auf daß ich eS wieder nehme.

Niemand nimmt es von mir, sondern

ich lasse eS von mir selber.

Ich habe eS Macht zu

lassen und habe eS Macht wieder zu nehmen.«

Ihr

sehet, meine geliebten Freunde, da blickt in die ernste Charfrei-

tagSstimmung schon die selige Osterfreude freundlich und hoff­ nungsvoll herein.

Der gute Hirte, der seine göttliche Liebe da­

durch geoffenbaret hat, daß er sein Leben für die Schafe gelassen;

er konnte sein Leben wieder nehmen und hat es wieder genommen, indem er die Pforten des Todes zerbrach, und ist dadurch ge­

offenbaret in seiner göttlichen Macht.

Und wie.glücklich sind

wir, daß wir Charfreitag nicht feiern können ohne diese öfter«

gedanken.

Wenn wir

unter dem Kreuze unseres Herrn und

Heilandes stehen, so geschieht es nicht mit dem hoffnungslosen Schmerze, mit welchem die Mutter und der Jünger, den der Herr lieb hatte, zu den Füßen des Sterbenden standen; und

wenn wir zurücksehen auf den Leidens- und TodeSgang Christi,

so

seufzen

wir

nicht mit

den

beiden Jüngern von EmahuS

(Luc. 24, 21) : „Wir aber Hoffeten, er sollte Israel erlösen;" sondern wir wissen, daß er solches leiden mußte und zu seiner Herrlichkeit eingehen; wir wissen, daß er nicht blos als Prophet

mächtig in Thaten und Worten gewirkt, und als Hoherpriester, indem er sich selbst als vollkommenstes Opfer darbrachte, uns

mit Gott versöhnt hat, sondern daß er auch als König zur Seite des Vaters erhöhet ist und mit unveränderlicher Hirten­

treue über all die Seinen ewig wacht. — Auf einen recht schla­ genden

und

trostreichen Beweis von der fortwährend mächtig

wirkenden Hirtenthätigkeit unseres Herrn deutet er in unserem

Gleichnisse mit den Worten hin:

„Ich

habe

noch andere 23 •

856

Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle. selbigen muß

ich hersühren

Stimme hören."

Und die-

und sie werden meine

E- enthalten diese Worte die Verheißung,

daß da- Reich Gottes nicht auf das israelitische Volk sich be­

schränkn, sondern über alle Völker sich ausbreiten werde und

von der Erfüllung dieser Verheißung sind wir selbst der spre­ ES ist ein Theil jener Erfüllung, daß da-

chendste Beweis.

Evangelium zu unseren Voreltern sich verbreitet hat, daß wir

zu dem großen Hirten und Bischof unserer Seelen uns bekennen,

daß

wir hier

Todes.

versammelt sind zur Feier seines lebengebenden

Aber noch immer gilt das Wort :

»Ich habe noch

andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle."

Noch immer

sitzen viele Völker in Finsterniß und Schatten des Todes und irren umher wie Schafe, die keinen Hirten haben, und der Zer­

streuten sind mehr, als der Gesammelten.

Aber auch sie hat

der Herr mit seinem theueren Blute zum Eigenthum sich erkauft, und wir dürfen dem großen Hirten vertrauen, daß wie er unter ihnen die Seinen kennet, so auch sie ihn einst erkennen werden,

gleich wie wir ihn erkannt.

Mögen nur auch wir

durch den

Gedanken an das, was er für uns gethan hat, getrieben werden,

auch das Unsere nicht zu versäumen, und nicht als selbstsüchtige

Miethlingsseelen die Segnungen des Evangeliums nur genießen, son­ dern als Nachfolger des guten Hirten, das Verirrte dem gierigen

Wolf des Aberglaubens und der Sünde entreißen und es zu der

frischen Quelle des lebendigen Wassers leiten, damit wir dem Ziele immer näher rücken, Gleichniß

mit den Worten

Heerde und ein

auf welches der Herr in unserem hindeutet :

Hirte werden!«

»Und —

wird

eine

Eine Heerde und

ein Hirte! — ach, das ist ein noch gar fernes Ziel.

Denn

derer zu geschweige«, welche von dem guten Hirten noch gar

keine Kunde erhalten haben, so hat es ja jetzt mehr denn je den

Anschein, als ob auch die, welche unter seinem Namen bereits sich gesammelt haben, wieder auseinander gehen wollten in feind­ seliger Trennung.

Aber der Herr hat gesprochen : Und wird

eine Heerde und ein Hirte werden! und wir wissen, des Herrn

Wort ist wahrhaftig und wa- er zusaget, da- hält er gewiß (Ps. 33, 4) : er wird auch diese- Wort halten. In dieser Hoffnung laßt unS nicht müde werden, aber auch nicht mit menschlicher Hast drängen, wenn de- Herrn Stunde noch nicht gekommen ist; nicht mit äußerlichen Mitteln die Einheit er­ zwingen wollen, die im Geiste noch nicht gehörig vorbereitet ist, noch uns ängstigen über die äußere Macht einer der Gemeinschaften, die nach Christo sich nennen, als ob das der Maßstab der christ­ lichen Tüchtigkeit wäre. Der Herr selbst giebt in unserem Texte den Weg an, auf welchem man zu dem Ziele „Eine Heerde und Ein Hirte!" gelangt : Dieselbigen muß i ch herführen und sie werden meine Stimme hören! Die also, welche allein auf die Stimme des Herrn hören, und sich nicht irren lassen durch Menschenwort; die, welche der Führung des Herrn sich völlig hingeben und nicht vertrauen auf Menschenwerk, die nur sind ans dem rechten Wege, und sie werden da- Feld behalten! — Diesem guten Hirten also, meine evangelischen Mitchristen, der das Leben .für uns gelassen hat, damit er uns für das Leben gewinne, ihm laßt unö den Schwur der Treue heute erneuen! Wenn alle untreu werden. So bleib' ich dir doch treu; Daß Dankbarkeit auf Erden Nicht au-gestorben sey. Für mich umfing dich Leiden, Bergtengft für mich la Schmerz; Drum geb' ich dir mit Freuden Auf ewig diese- Herz.

Oft muß ich bitter weinen, Daß du gestorben bist, Und mancher von den Deinen Dich leben-lang vergißt. Bon Lieb» nur durchdrungen Haft du so viel gethan, Und doch bist du verklungen. Und keiner denkt daran.

S68 ®e stehst voll tnnn Liede Noch immer jedem bet; Und «em» dir keiner bliebe. So bleibst du dennoch treu; Die treust» Liebe steget. Am Lude fühlt mau sie; Leist bitterlich und schmieget Sich kiodltch an dein -nie. Ich habe dich rmpfnnden, Ol lasse nicht von mir; Laß innig mich verbunden Inf ewig sepn mit dir. Einst schauen meine Brüder Uuch wieder himmelwärtUnd finken liebend nieder. Und fallen dir an« Herzt Amen.

VI.

Die Lebensgemeinschaft zwischen dem Anserftandenen nnd denjenigen, welche an ihn glauben. Gletchniß vom Weinstock und den Reben. Joh. 15, 1—8.

Predigt am Sonntage nach Ostern. Der Gott des Friedens, der von den Todten auSgeführet hat den großen Hirten der Schafe durch das Blut des ewigen Testaments, unsern Herrn Jesum, der mache euch fertig in allem guten Werk, zu thun seinen Willen, und schaffe in euch, was vor ihm gefällig ist, durch Jesum Christum, welchem seh Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit (Hebr. 13, 20)! Amen.

Die freudige Osterbotschast : „Der Herr ist auferstanden!" welche zuerst von den bebenden Lippen jener frommen Frauen erscholl, da sie am frühen Ostermorgen das Grab de» Heilande» aufsuchten und leer fanden, — der Wiederhall dieser frohen Botschaft klinget in den Herzen der Gemeinde noch nach, meine

360 geliebten Freunde. Die Sonntage, welche zunächst auf das Oster­

fest folgen, sind bestimmt, diesen Wiederhall wach zu erhalten, damit mit dem Auserstandenen auch die Herzen seiner Gläubigen

zu neuem, höherem Leben erwachen; und wenn am Osterfeste die Predigt auf die Verkündigung der großen Thatsache sich grün­

dete, daß der Herr auferstanden seh, so soll sie sich jetzt vielmehr auf die große Wahrheit gründen, welche der Herr den Seinigen verkündigt, indem er spricht (Ioh. II, 25 u. 26) : „Ich bin

die Auferstehung und das Leben. .Wer an mich glaubet, der

wird leben, ob er gleich stürbe.

Und wer da lebet und glaubet

an mich, der wird nimmermehr sterben!"— „Glaubest du das?"

so fragte Jesu-, als er zum erstenmale diese tröstliche Verheißung aussprach, die durch den Tod ihres geliebten Bruders Lazarus

tiefbetrübte Martha, und mit derselben Frage: „Glaubest du das?" wendet er sich in der festlichen Osterzeit an seine Gemeinde. Run, Geliebte, unter uns, die wir zum Preise des Auferstande­

nen hier versammelt sind, wird ja wohl Niemand sehn, in dessen Herzen nicht der Kunde : „Der Herr ist auferstanden!" ein ent-

schiedeneS

und

freudiges :

„Er ist

wahrhaftig auferstanden I"

antworte; aber wie Diele sind doch unter denen, die durch die

heilige Taufe ausgenommen sind in die Gemeinde des Herrn, die als Antwort auf feine Frage:

„Glaubest du das?"

nur ein

verlegenes Schweigen, oder gar ein entschiedenes Nein! haben. Wie einst das Wort vom Kreuze den Juden ein Aergerniß war

und den Heiden eine Thorheit, so ist auch heute noch das Wort von

der Auferstehung eine Thorheit und ein Aergerniß für den heid­ nischen Sinn Vieler, die sich Christen nennen. Daß der Mensch Fleisch sey und nicht-, als Fleisch, und daß Alles, Alles aus

seh mit dem Tode dieses Lebens, das ist ja die Weisheit, die

man jetzt auf allen Gaffen hören kann, so laut und mit so viel Sicherheit ausgeschrieen, daß wohl auch manches fromme Ge­ müth dadurch beunruhigt und getrieben werden mag, in anderem

Sinne

die bange Frage der heiligen Frauen

zu wiederholen

(Marc. 16, 3) : „Wer wälzet uns den Stein von des Grabes Thür?"

Wer gibt uns unzweifelhaften und unumstößlichen Be-

36t

weis dafür, daß der Herr aufersttmden ist, und daß wir ewig mit ihm leben werden? —

Einen solchen lediglich auf Gründe

des Verstandes und äußere Thatsachen gestützten allgemein gülti­ gen Beweis gibt eS nun freilich nicht; denn Wahrheiten, die dem Gebiete des inneren und insbesondere des religiösen Lebens an­

gehören, werden überhaupt nicht auf diese Weise bewiesen, viel­ mehr

hat auf

die einzige in dieser Beziehung gültige Beweis­

führung der Heiland selbst hingedeutet, wenn er sagt (Joh.7,17): „So Jemand will deß Willen thun, der wird inne werden, ob meine Lehre von Gott seh, oder ob ich von mir selber rede." Die christliche Wahrheit muß erlebt und erfahren werden, wenn

wer seine unsterbliche Seele in den

sie geglaubt werden soll :

Dienst des Fleisches dahin gibt,

dem wird man durch äußere

Gründe schwerlich das Anerkenntniß abnöthigen,

daß

in dem

Geiste das Wesen und die Würde deö Menschen eigentlich be­

ruhe;

wer dagegen mit dem

darf :

„Unser Wandel ist im Himmel!" wer die vom Himmel

Apostel

(Phil. 3, 20)

sprechen

herabreichende Gnadenhand Gottes im Glauben ergriffen

und

die erlösende Kraft des Evangeliums an dem eigenen Herzen er­ fahren hat,

dem

wird der

schlechte Spott der Lästerer den

Glauben an den nicht rauben, der dem Tode die Macht genom­ men und Leben und unvergängliches Wesen an'S Licht gebracht

hat : seine Ueberzeugung ist mit seinem gesammten Lebe» und

Wesen verwachsen, sie ist ihm so gewiß, wie sein Daseyn selbst. — Möge denn der heutige Tag und der biblische Text, welchen ich,

der Bedeutung dieses Tages entsprechend, als Grundlage für un­ sere Andacht ausgewählt habe, eine kräftige Mahnung werden, in

stets innigere Lebensgemeinschaft mit dem Auferstandenen einzu­ gehen.

Der Text findet sich im Evangelium des Johan­

nes, wo er im 15. Capitel vom 1.—8. Verse also lautet : m1.

Ich biu ein rechter Weinstock, und mein Vater ein Wein­

gärtner.

2. Einen

jeglichen Reben an mir, der nicht

Frucht bringet, wird er wegnehmen; und einen jeglichen,

der da Frncht bringet, wird er

reinigen, daß er mehr

«8

Fracht bringt. 3. Ihr seyd jetzt rein am des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. 4. Bleibet i» mir, und ich in euch. Gleichwie der Rebe sann keine Frucht bringen von ihm selber, er bleibe denn am Weinstock; also anch ihr nicht, ihr bleibet denn in mir. 5. Ich bin der Weinstock, ihr seyd die Reben. Wer in mir bleibet, und ich in ihm, der bringet viele Frucht; denn ohne mich könnet ihr nichts than. 6. Wer nicht in mir bleibet, der wird weggeworfen, wie rin Rebe, und verdorret, und man sammlet fie, und wirft sie in'S Feuer, und muß bren­ nen. 7. So ihr in mir bleibet, und meine Worte in euch Metten, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. 8. Darinnen wird mein Vater geehret, daß ihr viele Frucht bringet, und werdet meine Jünger." Diese- Gleichniß von dem Weinstock und den Reben soll uns belehren über das Wesen der Le­ bensgemeinschaft zwischen dem Auferstandenen und denjenigen, welche an ihn glauben. Bei näherer Be­ trachtung werden wir uns überzeugen, wie wir außerhalb dieser Lebensgemeinschaft schwach und elend sind, wie dagegen innerhalb derselben das fruchtbarste Wir­ ken unS gewiß ist und der Genuß des höchsten Glückes.

I. Um' der wärmenden, stärkenden und belebenden Kraft deö edlen Weines willen wird die den Menschen durchdringende, heili­ gende und beseligende GotteSkrast in der heiligen Schrift öfter unter Bildern dargestellt, welche vom Weinbau entlehnt sind. Schon im alten Testamente wird das Volk Israel, welches Gott vor andern sich erwählt hatte, um es mit dem Samen seines ewigen Worte» zu befruchten, und zu tränke» mit dem Thau seiner Gnade, von dem Propheten Jesaja (Jes. 5, 1 ff.) gar

schSn

mit einem

wohlgehaltenen Weinberge verglichen.

Unter

demselben Bilde stellt das neue Testament (Marc. 12, 1 ff.) die Gemeinde des neuen Bundes dar, und auch der uns vorliegende Es war die Zeit de-

Text reiht sich diesen Darstellungen au.

JahreS eingetreten, von welcher das Hohelied so lieblich singt (Hohe!. 2, 11 ff.) : „Siehe, der Winter ist vergangen und der Regen ist weg und dahin.

Die Blumen sind hervorgekommen

im Lande, der Lenz ist herbeigekommen, und die Turteltaube lässet sich hören in unserm Laude.

Der Feigenbaum hat Knoten

gewonnen, und die Weinstöcke haben Augen gewonnen und geben

ihren Geruch."

Eben hatte der Herr bei dem heiligen Mahle

zum letztenmal mit den Seinen vom Gewächs des Weinstocks getrunken, da sprach er, an die Eindrücke der Zeit und der Um­ gebung anknüpfend, die Worte unseres Textes :

„Ich bin ein

rechter Weinstock und mein Vater ein Weingärtner."

ein rechter Weinstock,"

„Ich bin

das heißt ich bin der wahre Weinstock,

der Weinstock im höheren geistigen Sinne.

„Und ihr, so fährt

er weiter fort, indem er an seine Jünger und in ihnen überhaupt

an seine Bekenner sich wendet, ihr seyd die Reben."

Wie die

Reben zu dem Weinstock also, so verhalten sich zu dem Herrn

seine Bekenner : in ihm allein liegt die Quelle ihrer Kraft und

ihres Gedeihens, getrennt von ihm sind sie schwach und

unfruchtbar

und

müssen

elend

verkümmern.

Das

ist der erste Punkt, welchen der Text unserer Betrachtung vor­

hält. —

Sehen wir unsern Text uns näher an, so kann uns

nicht entgehen, daß er in der Entfremdung der Reben von ihrem Weinstocke zwei Stufen

unterscheidet.

Zuerst nämlich ist nur

von solchen Reben die Rede, die noch an dem Weinstock sind, aber keine Frucht bringen.

Das sind die weit vom Stocke hin­

weg üppig in bie Welt hinaus wachsenden Rauken, die an jedem Gegenstände, der sich ihnen darbietet, einen Halt suchen und ihn

umklammern, auch mit den grünen Blättern, die sie hervortreiben, ganz lustig aussehen, aber doch, weil sie vom Weinstocke zu weit

sich entfernt, der wahren Triebkraft entbehren, und darum ordent­ liche Früchte zu tragen außer Stande sind.

Ein treffendes Bild

jener Menschen, die sich vom Heiland noch nicht ausdrücklich

losgesagt haben, die vielmehr immer noch „Herr! Herr!" zu ihm sagen, aber freilich wenig Neigung haben, den Willen zu

thun

seines BaterS im Himmel.

Sie haben von der Quelle

lebendigen WafferS, das Er ihnen darbietet, sich hinüber gewandt

zu den trüben Pfützen der Weltlust, sie haben den festen Grund

des ewigen Heils unter den Füßen verloren und umllammern mit krampfhafter Hast die vergänglichen Güter, welche die Erde ihnen darbietet.

Auch entwickeln sie in dem Trachten darnach

einen lebhaften Eifer, und die Fülle von Macht und Reichthum und Wohlleben umgibt sie nicht selten mit dem glänzenden Scheine des Glückes.

Aber bei alledem bleiben sie schwach und elend,

denn sie sind unfähig, rechtschaffene Früchte der Gerechtigkeit her­ vorzubringen, und den heiligen Eifer, der Alles für Schaden

rechnet, auf daß er Christum gewinne, den kennen sie so wenig,

als die wahre Befriedigung, die nur der Friede Gottes gewährt. Ihr Zustand ist bedenklich,

aber er ist noch nicht hoffnungslos.

Mögen sie, so lange es noch Zeit ist, an der wahren LebcnS-

quelle Heilung und Stärkung suchen!

Möge ihnen das Wort

GotteS das geistige Schwert werden, das sie das Vergängliche

vom Ewigen scheiden lehrt, und die Leuchte, die auf dem Wege

zu den Schätzen voranleuchtet, verzehren!

welche Rost und Motten nicht

Mögen sie durch da- — ach so schmählich vernach­

lässigte — heilige

Mahl

der Gemeinschaft

des

Leibes

und

Blutes Christi die innige Lebensgemeinschaft mit dem Erlöser erneuern und lebendig erhalten, oder möge die züchtigende Hand

des gnädigen Gotte- die üppigen Ranken

zurück schneiden mit

degl scharfen Meffer der Trübsal, damit sie zunehmen an innerer Kraft!

Mag auch der Schnitt wehe thun und Thränen kosten :

es sind heilkräftige Thränen, wie die Thränen des Weinstocks; sie machen die blöden Bugen helle und reinigen j>a6 üppige Blut und machen die trägen Hände rüstig und wacker! — Weit schlim­

mer steht eS mit den Reben, von denen es heißt, daß sie nicht an dem Weinstocke bleiben, und darum verdorren und gesammelt

und weggeworfen werden in verzehrendes Feuer.

In ihnen sind

die unglücklichen Menschen vorgebildct, welche von dem Heiland sich geradezu loSgcsagt haben, oder in offener Feindschaft gegen

ihn sich befinden; welche auS dem Dienste Gottes in den Dienst der Welt, auS dem Dienste des Geistes in den des Fleisches übergetreten sind.

Was

di« Langmuth Gottes ihnen gelingen

läßt im äußeren Leben, das dient nur dazu, ihren Hochmuth zu

steigern und die Furchtbarkeit ihres endlichen Falles zu vermeh­ ren; und auch die Züchtigungen, welche die ewige Liebe über sie

verhängt, wirken nicht belehrend, sondern nur verbitternd auf sie.

In der Verhärtung ihres gottentfremdeten, selbstischen Herzens haben sie sich selbst völlig verschlossen gegen die befruchtenden Ströme des ewigen Lebens; so welken sie dahin, wie ein von seinem Stamme loSgeriffener Zweig, und gegenüber der Schreck­

gestalt des Todes, welche ihrem Erdenleben das Ende ankündigt, haben sie keinen Trost, als die Hoffnung völliger Vernichtung.

Und wenn die halbe Welt vor ihrer Macht sich gebeugt hätte : der heilige Weltenmeister zerschellt sie und das Gebäude ihrer

stolzen Pläne mit ehrenem Scepter, wie man des Töpfers Ge­ fäße zerschellt, und sie dienen im göttlichen Weltplane nur wie

die Asche

verbrannter Zweige

zur

Befruchtung des

Bodens,

worauf der Lenker der Welt seine Pflanzungen für das ewige

Leben zieht.

Das ist daö Ende desjenigen, der die Lebensge­

meinschaft mit dem Heilande verläßt. — Und wie nun, Geliebte,

spüret nicht ein Jeder von uns etwas von den Anfängen in sich,

die zu diesem Ende führen?

Wenn nicht von dem offenbaren

Abfall von Gott und Christus, doch von jenem oberflächlichen Christenthum,

Ranken?

das

hinauswächst in unfruchtbare Blätter und

Möchte doch die beschämende Antwort ans diese Frage

unS zugleich ein Antrieb werden zur Einkehr in uns selbst und zur Rückkehr zu dem himmlischen Weinstock,

ohne Antheil an

dessen treibender Kraft wir nicht wachsen und wirken können im höheren Leben.

II.

Aber wer in ihm

fruchtbarster

bleibet,

Wirksamkeit

der wird mit der Kraft

erfüllt.



Das

ist

die

Wahrheit, welcher der zweite Theil unserer Betrachtung gewidmet

ist.

„Wer in mir bleibet, so spricht unser Text, und ich in ihm,

der bringet viel Frucht, denn ohne mich könnet ihr nicht- thun."

Der himmlische Weingärtner, von welchem unser Gleichniß redet, hatte den Menschen in öen Garten Eden gesetzt, damit er, selbst ein rechter Weinstock, wachse und gedeihe, und, wie er nach dem

Bilde Gotte- geschaffen war,

lebe

so auch nach dem Bilde Gotte«

und reiche Früchte der Gerechtigkeit hervorbringe.

Aber

durch den Betrug der Sünde verleitet, entzog er sich selbst der göttlichen Pflege, und ward nun hinau-gesetzt, damit er ver­

suche, wie viel er ohile Gott thun könne durch eigne Kraft. Wir

wissen, meine geliebten Freunde, daß dieser Versuch zu einem

sehr traurigen Ergebniß geführt hat.

Unter der Herrschaft der

Sünde verwilderte der Mensch immer mehr.

Er trieb wohl

üppig wuchernde Ranken hervor und glänzende Blätter, aber

edle, herzerquickende Früchte vermochte er nicht hervorzubringen, und eS wäre ihm nur sein Recht widerfahren, wenn Gott dasselbe

Urtheil über ihn gesprochen hätte, wie dort der Herr de- Wein­ berge- bei dem Propheten Jesaja : „Waö sollte man doch mehr thun an meinem Weinberge, da- ich nicht gethan habe an ihm?

Warum hat er denn Herlinge gebracht, da ich wartete, daß er Trauben brächte? Wohlan, ich will euch zeigen, was ich meinem

Weinberge thun will.

Seine Wand soll weggenommen werden,

daß er verwüstet werde.

Ich will ihn wüste liegen lassen, daß

er nicht geschnitten, noch gehacket werde, sondern Disteln und

Dornen darauf wachsen; und will den Wolken gebieten, daß sie nicht darauf regnen 1"

Aber die unendliche Barmherzigkeit Got­

te- hielt den au-gestreckten Arm seiner strafenden Gerechtigkeit

auf : „So wahr, al- ich lebe, sprach der Herr, ich habe keinen

Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe" (Czech. 18, 23). Auch hatte

er seine Gnadenhand niemals völlig abgezogen, und nicht blo-

durch das Gute, was er im äußeren Leben ihnen geschenkt, hat er sich bezeugt, dadurch, daß er ihnen Regen und fruchtbare

Zeiten gegeben und ihre Herzen erfüllt mit Speise und Freude; sondern auch auf den Boden Samenkörner ausgestreut.

ihres Geistes hat er befruchtende

Es waren diese Samenkörner gleich­

sam einzelne Laute des ewigen Wortes, welches, wie unser Evan­ gelist sagt, vom Anfang an bei Gott war, und als das Licht

der Menschen in die Finsterniß schien, obwohl es die Finsterniß nicht begriff, das, bevor es in Jesu Christo Fleisch ward,

einzelnen

mehr

in

oder minder kräftigen Offenbarungen sich kund

that, damit doch auch in der Zeit der Gottentfremdung wenig­ stens die Ahnung der völligen

seligen Lebensgemeinschaft mit

ihm und die Sehnsucht nach ihr nicht fehle.

Diese Ahnung und

diese Sehnsucht bilden die Keime und Wurzelfasern des göttlichen Weinstocks, welche klein und unscheinbar bereits den Boden der

vorchristlichen Welt durchziehen; und was die vorchristliche Welt hervorbrachte,

hat "eben nur in soweit wahren und bleibenden

Werth, als es durch jene verheißungsvollen Keime mit dem rech­

ten Weinstocke in Verbindung stehet und dazu dient,

ihm den

Boden zu bereiten, bis denn endlich der fruchtreiche Zweig aus der Wurzel Jsai in seiner göttlichen Kraft hervorbrach.

Gar

lieblich singt ein altes Weihnachtslied :

ES ist tüt RoS entsprungen Aus einer Wurzel zart. Als uns die Alten fungen : Bon Jesse kam die Art, Und hat ein Blümlein bracht, Mitten im kalten Winter Wohl zu der halben Rächt. Ja wohl war der Winter kalt und die Nacht finster, da der himmlische Weinstock dort zu Bethlehem erwuchs; aber er brachte

368 rasch in die erkälteten Herzen und die verfinsterten Augen war­

mes Leben und göttliches Licht.

Wie viel ihn aufnahmen, denen

gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, in der innigsten Lebens­ gemeinschaft mit ihm, und durch ihn mit dem Vater verbunden zu werden, wie die Reben mit dem Weinstock. Die Macht, welche dies neue Leben ergreift, ist die Macht des Glaubens, des Glau­

bens, der

auf der durch eigene Erfahrung begründeten tiefen

Ueberzeugung ruht, daß der Mensch ohne Gott nichts kann, und

der nun in unbedingtem Vertrauen von der Fülle der göttlichen

Kraft das Heil erwartet, welche sich in Christo ihm so gnädig zugewandt hat.

Und mit der Macht eines solchen Glaubens ist

dann auch die Kraft der Liebe nothwendig und unmittelbar ver­

bunden, der empfangenden menschlichen Liebe, welche nicht mehr das Ihre sucht, sondern in innigster Hingebung dem Erlöser und

in ihm Gott sich zuwendet, und der gebenden göttlichen Liebe, die mit ihrer Kraft das ihr sich öffnende Herz des Menschen erfüllt, und ihn, wie unser Text sagt, reinigt, daß er immer­ reichere und vollkommnere Frucht bringe.

Was wäre auch der

Kraft dieser Liebe unmöglich? Wo menschliche Klugheit zwischen

Thun und Lassen unsicher schwankt, da hat sie, von dem göttlichen

Lebenstriebe in ihr geleitet, mit sicherem Blick und fester Hand das Rechte schnell gefunden und ergriffen.

Wo menschliche Kraft

ermüdet die Arme sinken läßt, da ist jene Liebe des Beistandes Gottes gewiß, der in dem Schwachen mächtig ist und über­ schwänglich thun kann über Alles, das wir bitten oder verstehen;

und wo das Gott entfremdete Herz verzagen müßte und mit bangem Pochen

einer

trübew,

ungewissen

Zukunft

entgegen­

harren, da hat jene Liebe neben dem Glauben auch die Hoffnung

zur Seite, die Hoffnung, daß der, welcher angefangen hat das

gute Werk, es auch vollenden, und komme auch, was da wolle,

es allezeit wohlmachen werde.

Sehet, Geliebte, so hat die in­

nige Gemeinschaft mit dem rechten Weinstock, der Leben und un­

vergängliches Wesen an's Licht gebracht hat,

die lebendigste,

fruchtbarste Wirksamkeit in ihrem Gefolge : der Glaube ist die Macht, welche die schwache Rebe mit dem Weinstocke verbindet,

die Liebe ist die göttliche Triebkraft, die sie belebend durchdringt,

und die Hoffnung ist die freundliche Sonne, in deren segnendem

Strahl die rechtschaffenen Früchte der Gerechtigkeit fröhlich ge­

deihen !

III. Mit der christlichen Hoffnung haben wir uns in dem drit­

ten und letzten Theile unserer Betrachtung noch etwas näher zu beschäftigen, denn wie die fruchtbarste Wirksamkeit, so verheißt

unser Gleichniß auch den Genuß des höchsten Glückes als

eine Folge der innigen Lebensgemeinschaft mit dem Auferstande­ nen.

„So ihr in mir bleibet, sagt unser Text, und meine

Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, waS ihr wollet, und es

wird euch widerfahren."

geliebten Freunde, aber

Das ist eine große Verheißung, meine doch

zugleich auch eine harte Rede.

Denn wenn nun ein weltlich gesinnter Mensch die Gemeinschaft mit dem Herrn sucht, in der Hoffnung, seine fleischlichen Gelüste nach Reichthum oder Ehre oder Sinnengenuß erfüllt zu sehen,

sollen wir ihm zureden?

Und wenn ein Frommer uuS sagt,

daß er doch so manchen unschuldigen Wunsch schon in heißem Gebete Gott vorgetragen habe und nicht erhört worden seh, wollen

wir es läugnen?

Was können wir jenem zur Belehrung sagen,

und diesem zum Troste?

liebte.

Wohl nichts Anderes, als dieses, Ge­

Es ist allerdings wahr, wie wir dies auch vorhin schon

ausgeführt haben, daß in der Gemeinschaft mit dem Herrn dem Gläubigen durch den Beistand Gottes die natürliche Kraft wächst

und ihm darum im Handeln wie im Dulden gar Manches ge­

lingt, was der auf sich selbst beschränkten natürlichen menschlichen Kraft unmöglich wäre.

wa- dem

Daß ihnen aber Alles erfüllt würde,

begehrlichen menschlichen Herzen nur möglich ist zu

wünschen, daran ist nicht zu denken, und davon ist auch in un­ serem Texte nicht die Rede; sondern nur insofern verheißt der

Herr den Seinen, daß ihnen was sie bitten widerfahren solle, Baur, Predigten. 24

370 al- sie in ihm bleiben und seine Worte in ihnen. Wer aber in ihm

bleibt und seine Worte im Herzen bewahrt, dessen Wille ist Ein- mit

dem Willen de- Erlöser- und de- Vater-, der ihn gesandt hat, Md wenn er e- noch nicht ist, so ist sein höchster Wunsch, daß er immer völliger mit ihm Ein-

werden möge.

Bezieht sich

auch sein Gebet einmal auf die- oder jene- Einzelne, so beginnt

e- doch nach dem Muster aller Gebete, da- Christus dort in Gethsemane sprach (Matth. 26, 39) : Herr, ist eS möglich, so ist eS möglich, so laß mir

gehe dieser Kelch vor mir vorbei; diese Gnade zu Theil werden!

und er schließt auch mit dem

betenden Erlöser : Doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe! Und so wäre denn das höchste Glück, welches dem Gläubigen in der innigen Lebensgemeinschaft mit dem Herrn zu Theil wird,

nicht sowohl die Erfüllung bestimmter, einzelner Wünsche, sondern

eben die fromme, stille Ergebung, womit er alle seine Wünsche

dem Willen Gottes

unterordnet, und im völligen Einswerden

mit diesem Ruhe findet für sein suchendes Herz. — Auf die

Seligkeit dieser völligen Ergebung in Gottes Sinn und Willen

enthält auch noch der letzte Vers unseres Textes eine Hindeutung, wenn es heißt :

„Darinnen wird mein Vater geehret, daß chr

viel Frucht bringet, und werdet meine Jünger." Wer den Sohn ehret,

indem er seine göttliche

trauensvoll

sich

zuwendet,

ihm

Sendung

der

und ver­

anerkennt

ehret

auch

den

Vater,

der ihn gesandt hat, und wer als eine lebendige Rebe mit der wird auch Einö

dem rechten Weinstock zusammenwächst, mit

dem

den ,

himmlischen

Geliebte in dem Herrn,

im Vergleich gering

Weingärtner.

mit

Sind

so sehr

diesem höchsten

wir

eS

geworden,

gewor­

daß wir

Glück alle anderen Güter

achten, Gut und Ehre, Leib und Leben, Vater und

Mutter, Weib und Kind, weil wir wissen, daß der allmäch­

tige und gnädige Gott reich

gänglichem Gute

genug ist, den Verlust an ver­

durch" unvergängliches zu ersetzen, und daß

die Lieben, die er uns gegeben hat, in ihm' ewig mit un­

verbunden bleiben?

Nun,

Geliebte, anerkennen werden wir

es wenigstens müssen, daß kein Glück über das Glück ist, in

so inniger Lebensgemeinschaft mit dem Erlöser und durch ihn mit seinem Vater im Himmel verbunden zu sehn.

Sind wir

ja doch geneigt, den glücklich zu preisen, welcher nur zufrie­

den ist, wenn auch zufrieden in ganz beschränktem Kreise, worin er mit den Gütern dieser Welt gar nicht bekannt werden konnte. Wie viel glücklicher, wer in seinem Gott zuftieden ist, weil

er

auf das klarste

dessen

sich bewußt ist,

mit diesem

daß

höchsten Gute kein Gut der Welt verglichen werden kann!

Auch

ist uns ja wohl in einzelnen Stunden der Weihe schon eine Ahnung geworden von dieser seligen Ruhe in Gott, wo das

bewegte Herz schweigt mit seiner Lust und seinen Schmerzen,

und alle einzelnen Wünsche untergehen, in dem tiefen Wunsche,

Ihm anzugehören,

in dem tiefen Gefühl, daß

Odem unsern Geist durchweht.

sein heiliger

O, daß diese Ruhe in Gott

die dauernde Grundstimmung unseres ganzen Wesens und Le­ Und sehen wir nun von dieser Stimmung aus

bens würde!

auf jene Frage zurück, die wir vorhin aufgeworfen haben : „Wer wälzt uns den

Stein von des

Grabes Thür?

Wer

gibt uns den unzweifelhaften, unumstößlichen Beweis, daß unser Herr auferstanden ist und wir ewig mit ihm leben werden?" —

sehet, Geliebte, so verstehen wir diese Frage kaum.

Wir füh­

len uns ja von dem göttlichen Leben, womit der Auferstandene über

und Grab

Tod

triumphirte,

selbst

unmittelbar durch­

drungen, wir sind Eins mit ihm, zu innigster Lebensgemeinschaft

zusammengewachsen mit dem himmlischen Weinstocke, und wissen, daß nichts uns scheiden mag von der Gemeinschaft seines Le­ bens und seiner Liebe.

Und was wäre für eine solche Stim­

mung selbst der Tod?

völlig

dahin

Mag er

gegeben haben an

Schreckensbote

seyn,

wenn

denen, welche ihren Sinn

die Güter dieser Welt,

ein

er ihnen den Abschied ankündigt

von ihren vergänglichen Schätzen : der treue Jünger des Herrn

darf

ihn

als

einen

fteundlichen

Boten

Gottes

willkommen

heißen, an dessen Hand er sich aus dem Vergänglichen in'S Unvergängliche völlig hinüber

leiten läßt;

denn er vertrauet

nicht umsonst auf die Fürbitte des himmlischen Hohenpriesters

24*

372

(Joh. 17, 24), der ihn mit seinem Blute erkauft hat: „Zater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir sehen, die bi mir gegeben hast, daß sie meine Herrlichkeit sehen, die du mr ge­ geben hast; denn du hast mich geliebet, ehe denn die Wtt ge­ gründet war." — Amen?

vn.

Pao Reich Voiles mit einem IMor« ner gliche». Gleichniß vom Senfkorn.

Marc. 4, 30—32.

Predigt am Sonntage Exaudi. Geh' aus, mein Herz, und suche Freud In dieser lieben Sommerzeit An deines Gottes Gaben; Schau an der schönen Gärten Zier, Und siehe, wie sie mir ünd dir Sich auSgeschmücket haben. Die Bäume stehen voller Laub, DaS Erdreich decket seinen Staub Mit einem grünen Kleide. Narzissus und die Tulipan, Die ziehen sich viel schöner an, Als Salomoni- Seide.

374 Drr Waizea wächset mit Gewalt, Darüber jauchzet jung und alt.

Und rühmt die große Güte, De-, drr so überflüssig labt, Und mit so manchem Gut begabt

Da« menschliche Gemüthe.

Ich sclbsten kann und mag nicht ruhn,

De« großen Gotte« große« Thun Erweckt mir alle Sinnen :

Ich finge mit, wenn alle« fingt,

Und lasst, was dem Höchsten klingt, Au« meinem Herzen rinnen I — Amen.

ES ist doch eine Wonne, meine geliebten Freunde, in die­ ser herrlichen Frühlingszeit hinauszuwandeln in die blühende,

prangende Natur;

aus dem Dust und der Blütenpracht der

Gärten, durch das gesegnete, hoffnungsgrüne Feld unter daS dichte Laubdach des schattigen Waldes!

Wir fühlen den vollen

Pulsschlag des warmen, neuerwachten Lebens der Natur an un­

serem Herzen, und jede Brust füllt sich mit Freud' und Wonne. Der Gesunde und Fröhliche fühlt sich gestärkt, erfrischt und er­

heitert ; der Betrübte athmet erquickenden Trost; und der Kranke

schlürft aus dem reichen Becher der Frühlingöwonne in vollen

Zügen Hoffnung der Genesung und Kraft der Gesundheit, und

in unser aller Herzen klingt

eS,

wie in dem Liede unseres

Dichters : Die Welt wird schöner mit jedem Tag, Ma» weiß nicht, wa« noch werden mag. Da« Blühen will nicht enden,

E« blüht da- fernste, tiefste Thal:

Nun, armes Herz, vergiß der Qual! Run muß flch Alle«, Alle- wenden.

Und doch, wie hinfällig und vergänglich ist eine solche Früh­

lingsherrlichkeit I

Wie lauert, gleich der Schlange im Paradiese,

unter dem Blütenschmuck die finstere Macht des Todes,

wie

streckt sie zuweilen so jäh und in so schrecklichem Gegensatze ihr Opfer nieder mitten in der prangenden Natur!

Kaum gedacht,

ist der Lust ein End' gemacht: die lieblichen Blüten welken, und was uns kaum noch eine Mahnung war zu lebensfroh aufath­

mender Hoffnung, es steht vor uns da als ein wehmüthige»

Sinnbild der Vergänglichkeit. ewig!

tur,

Aber des Herrn Wort bleibet

Laßt es uns mitnehmen, auf unserem Gange in die Na­

damit

es in dem Vergänglichen das Bleibende, in dem

Zeitlichen das Ewige uns finden lehre! Ja, Geliebte, der Herr ist ein ebenso freundlicher und liebreicher, als lehrhafter und

tiefsinniger Begleiter auf diesem Gange.

Wie er alle Kinder

seines Vaters im Himmel mit seiner göttlichen Liebe umfaßte, so hatte er auch für die Natur, wie kein Weiser des Alterthum-,

ein tiefempfängliches Herz und er wandte ihm gerne' seine sinnige Betrachtung zu, in welcher er mit wunderbarer Weisheit an das

Natürliche das Uebernatürliche anknüpfte.

Die Lilien auf dem

Felde und die Vögel unter dem Himmel werden ihm zu Verkün­

dern der fteundlichen, fürsorgenden Weisheit des himmlischen

Vaters.

Im Samenkorn sieht er die fruchtbare Kraft des gött­

lichen Wortes, und in dem guten und schlechten Boden, worauf

er fällt, die verschiedenen Grade der Empfänglichkeit deS mensch­ lichen Herzens für den göttlichen Samen.

Die auf weitausge­

dehnter Fläche der Erndte entgegenreifende Saat erinnert ihn an

das große Ackerfeld feines Reiches und an die geringe Zahl der Arbeiter; der unfruchtbar dastehende Feigenbaum dient, die Lang-

muth Gottes darzustellen, die zur Bekehrung de- Unbußfertigen

nicht- unversucht läßt; zugleich aber deutet der Tag der Erndte,

an welchem da- Unkraut von dem Waizen gesondert wird, hin auf da- unausbleiblich eintretende endliche Gericht.

„Ihr sollt

an der Erde lernen, fordert ein berühmter Prediger de» Mittel­ alters ,

und an den Bäumen und an dem Korne und an den

Blumen und an dem Grase,"

und der Heiland selbst hat die

schönste Belehrung in diesem Sinne gegeben; gerade dem deut­

schen Gemüthe aber, dem ihm eigenthümlichen Natur- undWaldkösinn, sagt eine solche Belehrung besonders zu.

Die ganze

376

Natur füllt sich

für diese Betrachtungsweise mit Sinnbildern

der übersinnlichen Welt, und Nichts ist im Reiche Gottes, was nicht in der Natur fein bedeutsames Gegenbild fände. — Das gilt auch von dem Ereignisse, welches in diesem Abschnitte des KirchenjahreS die christliche

Gemeinde vorzugsweise beschäftigt.

Wir haben die Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn ge­ feiert.

Wir haben seine Verheißung vernommen, daß er in der

Kraft seines heiligen Geistes bei den Seinen bleiben wolle bis an der Welt Ende.

Das liebliche Pfingstfest naht heran, an

welchem jene Verheißung zum ersten Male so glorreich sich er­

füllte, und welches durch die Aufnahme junger Christen in die Gemeinschaft seiner mündigen Bekenner uns aufs Neue daran erinnern soll, wie treu er seinem Worte bleibt.

Da wendet sich

denn die andächtige Betrachtung naturgemäß auf die Entstehung und das Wachsthum

des Reiches Gottes.

„Wem wollen wir

das Reich Gottes vergleichen?" so fragen wir mit dem Herrn, und der Herr antwortet uns auch darauf.

Frage und Antwort

finden sich im Evangelium des Marcus, wo es im 4. Capitel vom 30. — 32. Verse also lautet :

„30. Und er sprach : Wem wollen wir daü Reich GotteS ver­ gleichen? und durch welches Gleichniß wollen wir eS vor­

bilden ?

31. Gleichwie ei« Senflorn, wenn das gesäet

wird aufs Land, so ist eS das kleinste unter allen Samen auf Erden; 32. und wenn eS gesäet ist, so nimmt eS zu, und wird größer denn alle Kohlkräuter, und gewinnt große

Zweige, also daß die Vögel unter dem Himmel unter sei­

nem Schatten wohnen können." Dieses Gleich»iß vom Senfkorn steht in naher Beziehung

zu dem vom Sauerteige. Wenn dieses letztere zeigt, wie die Gottes-

kraft des Evangeliums, von innen heraus das Herz des Men­ schen und die ganze Menschheit allmählich, aber sicher und voll­

ständig durchdringen und heiligen soll,

wenn es gleichsam die

innere Geschichte des Gottesreiches darstellt, so bildet dagegen

das Gleichniß vom Senfkorn feine äußere Geschichte vor.

In

diesem Sinne also soll uns jetzt das Gleichniß vom Senf­

korn als ein Bild des Reiches Gottes dienen. werben zu betrachten

haben,

Mr

erstens seinen unscheinbaren

Anfang, dann sein bedeutendes Wachsthum und endlich

seinen herrlichen Ausgang.

I. Das Senfkorn, wenn es auch nicht wörtlich, wie unser Text sagt, „das kleinste unter allen Samen auf Erden" ist, war doch

als einer der kleinsten bei den Juden als Bezeichnung des

Allergeringfügigsten sprüchwörtlich geworden.

Jndein also der

Herr in unserem Texte das Reich Gottes mit einem Senfkorne vergleicht, will er damit auf die äußerste Unscheinbarkeit und Kleinheit seiner Anfängehindeuten: dies ist der nächste und

eigentliche Zweck dieser Vergleichung, auf welchen wir vorzugs­ weise unsere Betrachtung zu richten haben. « Wir wollen aber

doch darüber auch den Nebenzug nicht übersehen, welcher darin liegt, daß Christus das Reich Gottes überhaupt mit einem Senf­

korn vergleichet, welches von oben in den Boden gesäet wird.

Es ist damit die überaus wichtige Wahrheit angedeutet, daß die christliche Wahrheit nicht auf dem Wege natürlicher Entwicklung aus der Menschheit hervorgegangen, sondern als eine Kraft Got­

tes ihr von oben mitgetheilt worden ist.

Das Christenthum ist

nicht ein Erzeugniß der menschlichen Natur, sondern ein Ge­

schenk der göttlichen Gnade, für welches das Herz des Menschen

im glücklichsten Falle einen empfänglichen Boden darbot, welches aber aus eigner Kraft

war.

hervorzubringen er völlig außer Stande

Das ist allerdings tief beschämend und demüthigend für

uns, daß die in Sünden versunkene Menschheit nur durch Hin­ gebung des eingeborenen Sohnes vom ewigen Vater vom Ver­ derben errettet werden konnte, aber noch viel mehr liegt ein starker

Trost in dem Gedanken, daß der gnädige Gott doch uns Sün-

der für werth genug hielt, die rettende Baterhand uns darzu­ reichen; und nur wer in dem Glauben an das Christenthum al- einer von menschlicher Sünde und menschlichem Jrtthume

nicht verunreinigte und vom menschlichen Zweifel nicht zu er­ schütternden Gotteskraft, hoch über dem Treiben dieser Welt in dem ewigen höheren Leben seinen festen Halt- und Stützpunkt

gefunden hat, kann den Kampf mit der Sünde und der Welt und mit der Noth dieses Lebens guten Muthes übernehmen und

siegreich bestehen.

Daß aber das Christenthum diese ewige Got-

teskraft wirklich sey, das geht aus nichts so einleuchtend hervor,

seiner Anfänge.

als aus der Unschcinbarkeit

Wäre der Herr

als ein gewaltiger König aufgetteten in äußerem Glanze und

mit weltlicher Macht — was Wunder, wenn er Anhang und Erfolg fand?

So aber gehörte er dem verachteten Iudenvolke

an, auf welches namentlich die Herren der damaligen Welt, die Römer, mit vornehmer Geringschätzung herabsahen.

Und unter

diesem verachteten Volke zählte er wieder zu den Verachtetsten,

zu den Galiläern,

von welchen die Tonangebenden unter den

Juden meinten, daß nichts Gutes von ihnen Herkommen könne. Zwar war er dem königlichen Stamme Davids entsprossen, da­

bei aber von Ehre und Ansehen, von Allem entblößt, was bei der nach dem Aeußeren urtheilenden Menge Anspruch gibt auf

Anerkennung und auf Erfolg.

Und zu diesen niedrigen Ber-

hältnisien kam nun noch ein erniedrigendes Schicksal, das ihn endlich dem schimpflichsten Tode zuführte.

Dem schimpflichsten

Tode! — DaS Kreuz ist unterdessen für uns ein Gegenstand der

Ehrfurcht geworden; aber vergessen wir einmal auf einen Augen­ blick diese unsre christliche Auffassung, erinnern wir uns daran,

daß in den Augen der Juden, wie der Heiden, die Kreuzesstrafe die entehrendste von allen war, etwa dem gleichstehend, was bei

uns Galgen und Rad ist.

An den Gekreuzigten glauben, das

hieß damals, um es unserer Anschauungsweise näher zu bringen, ebensoviel, als in einem am Galgen gestorbenen Hochverräther

und Gotteslästerer den Begründer des Heils erkennen.

Ach, eS

war ja so vollständig das Wort des Propheten (Jes. 53, 3) an

ihm in Erfüllung gegangen : „Er war der Berachtetste unter

alle» Menschen!"

Und wenn nun Er, der von den Menschen

Verworfene, und, wie eS schien, von Gott selbst Verlassene, gleich­

wohl Anhänger, bis in den Tod treue Anhänger fand, so müssen diese ja wohl von einem eigenthümlichen göttlichen Leben in ihm ergriffen gewesen

seyn, das mit himmlischem Glanze und gött­

licher Kraft aus aller Beschränkung und Noth seine- irdischen Daseyns für den tieferen Sinn mit wunderbarer Herrlichkeit

hervorbrach.

Aber wer waren denn auch diese ersten Anhänger

und Bekenner?

Verachtete Galiläer, wie er selbst; arme und

ungelehrte Fischer, verhaßte Zöllner und Sünder, auf welche die schriftgelehrten und angesehenen Führer de- Volke- mit Gering­ schätzung und Haß hinsahen.

stel Paulus,

Und wenn ja einer, wie der Apo­

ausgerüstet war mit dem Rüstzeug menschlicher

Weisheit, so beeilte er sich, dieser Vortheile sich zu entäußern : „Da ich zu euch kam, schreibt Paulus an die Corinther (1 Cor. 2,1),

kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch zu verkündigen die göttliche Predigt.

Denn ich hielte mich nicht da­

für, daß ich etwas wüßte unter euch, ohne allein Jesum Christum,

den Gekreuzigten. —

Und mein Wort und meine Predigt war

nicht in vernünftigen Worten menschlicher Weisheit, sondern in Beweisung des Geistes und der Kraft; auf daß euer Glaube

bestehe, nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft." Gott wollte eben seine Ehre keinem anderen lassen; eS sollte nicht

den Schein haben, als ob er zur Gründung seine- Reicheder Unterstützung durch menschliche Klugheit und

menschliche-

Thun bedürfe, darum erwählte er das kleine, verachtete Häuflein der ersten Bekenner seines am Kreuze gestorbenen Sohne-, um

unter diesem Zeichen der Schmach und Marter alle die stolzen Mächte der widerstrebenden Welt siegreich zu Boden zu legen. ES war ein glücklicher und fruchtbarer Gedanke eine- namhaften

Theologen unserer Zeit, einmal die Frage zu erörtern, wa- denn die Stiftung

der Kirche durch einen

Gekreuzigten vorau-setze.

Sie setzt voraus, Geliebte, daß in diesem Gekreuzigten eine gött­ liche Kraft gewesen sehn muß,

stark genug, um die Schmach

seine» Tode» zu überwinden imb lediglich durch sich selbst wider

alle» menschlich« Erwarten and trotz allen menschlichen Wider­

streben» fein ewige» Reich zu gründen, da» die Pforten der Hölle nicht mehr überwältigen sollen, und eben darum ist nicht» so sehr geeignet, unsern Glauben an die Göttlichkeit de» Christen­

thum« zu stützen, al» die Betrachtung seiner so unscheinbaren, ja in tiefe Schmach gehüllten Anfänge.

n. Der zweite Theil unserer Betrachtung hat sich mit dem be­ deutenden

Wachsthum zu beschäftigen, zu welchem durch

die ihm inwohnende Kraft da» unscheinbare Senfkorn de» GotteSreiche» sich entfaltete.

„Wenn es gesäet ist, so nimmt e» zu

und wird größer, denn alle Kohlkräuter," so fährt unser Text

fort.

Bon jeher ist al« ein Hauptbeweis für die. Wahrheit und

Göttlichkeit de« Christenthums seine rasche Verbreitung angeführt worden.

Man hätte dies nicht so ohne Weiteres thun sollen;

denn e» gibt Religionen, die sich nicht minder schnell und weit verbreitet haben,

gleichwohl

und deren Unwahrheit und Ungöttlichkeit und

nicht zweifelhaft ist.

Die schnelle Verbreitung des

Christenthums beweist nur dann etwas, wenn man die Art, auf welche, und die Umstände, unter welchen eS sich verbreitete, mit

in Anschlag bringt.

Wie eS nämlich in Unscheinbarkeit und Un­

ehren und Noth gesäet worden war, so sollte eS auch fortwachsen

in beständigem Kampf

mit der Welt.

Aber daö Sprüchwort

sagt, daß die Saat im Gewitterscheine gedeihe, und an der himm­ lischen Frucht des Evangeliums wenigstens hat sich diese Regel

auf das Glänzendste bewährt : nach jedem Druck hat es nur kräftiger seine Zweige hinauSgetrieben, da» Feuer der Trübsal

hat die dürren Blätter und das wuchernde Unkraut verzehrt, und Alles, was die Menschen böse zu machen gedachten, das hat

der allmächtige Gott zum Segen gewendet.

Als die Jünger

ihren Herrn und Meister am Kreuze hatten erblassen sehen, und

sie aus Furcht vor den Juden im verschlossenen Kämmerlein sich zusammendrängten, da lag all ihre Hoffnung mit ihm im Grabe;

aber nach wenigen Tagen schon sehen wir sie mit der Sieges­

botschaft „der Herr ist auferstanden!" wieder kühn vor alle Welt treten.

Roch blieb der Auferstandene zu fortgesetzter Stärkung

und Reinigung ihres immer noch unreifen Glaubens bei ihnen, und da er endlich von ihnen schied, um seinen ewigen Thron zur

Rechten Gottes einzunehmen, da sahen sie ihm wieder sehnsüchtig und kleinmüthig nach; aber nach wenigen Tagen fühlten sie sich

ergriffen von der ttöstenden Kraft des heiligen Geistes, den er ihnen verheißen hatte, damit er als sein Stellvertteter sie in

alle Wahrheit leite, und in seiner Kraft verkündeten sie am heili­ gen Pfingstfeste mit feurigen Zungen den Auferstandenen, und wurden hinzugethan an dem Tage zur Gemeinde des Herrn bei

Dreitausend. Die andern freilich hatten es ihren Spott, und bei dem Spott blieb es nicht, sondern bald gieng er in Haß und

Verfolgung über, aber nur um so entschiedener hielten sie daran, daß man Gott mehr gehorchen müsse, denn den Menschen und

wollten und konnten eS nicht lassen, daß sie nicht reden sollten, waS sie gesehen und gehört hatten.

Die wachsende Verfolgung

vertrieb viele Bekenner des Herrn aus der heiligen Stadt, und

mußte so zur weiteren Ausbreitung der Gemeinde Christi dienen.

Und

als Stephanus unter den Steinwürfen seiner wüthenden

Verfolger zusammenbrach und voll heiligen Geistes zum Himmel aufsah und sprach :

„Siehe, ich sehe den Himmel offen, und

deS Menschen Sohn zur Rechten Gottes sitzen;" da mochte die­

ser verllärte Blick des ersten Märtyrers jenem Saulus in die verdüsterte Seele dringen, zu dessen Füßen die Steinigenden ihre Kleider abgelegt hatten;

er ward zum Paulus wiedergeboren,

der nun in heiligem Eifer weit und breit und bis in sein Ge­

fängniß in der stolzen Weltstadt Rom und bis zum Richtblocke

hin das Evangelium von Christo verkündete als eine Kraft Got­ tes, selig zu machen, alle, die daran glauben.

Jetzt aber er­

füllte sich auch erst recht das Wort des Psalmisten (Psalm 2, 2): „Die Könige der Erde treten zusammen, und die Fürsten ver-

Ä2 sammeln sich zu Haus, wider den Herrn und wider seinen Christ."

Die großen Christenverfolgungen brachen herein, aber,

vom Blute der Märtyrer getränkt, wuchs die heilige Pflanze

nur um so kräftiger empor, und der standhafte Tod der Blut­ zeugen gereichte manchem zweifelnden, oder schwachen, oder feind­

seligen Gemüthe zur Wiedergeburt im lebendigen Glauben an den, der seine Bekenner mit so freudigem TodeSmuthe zu erfül­

len vermochte.

So hatte das Bild unseres Textes : „Wenn es

gesäet ist, so nimmt eS zu und wird größer, denn alle Kohlkräu­

ter" lange bevor die weltliche Macht ihre Gunst ihm zuwandte,

in dem Wachsthum des Evangeliums sein Gegenbild gefunden : durch seine eigene innere Kraft war die verachtete jüdische Secte

eine bedeutende Macht in der menschlichen Gesellschaft geworden, die ihren siegesreichen Einfluß weit und breit ausübte.

Jene

Gunst der weltlichen Macht und der damit verbundene äußere

Glanz der Kirche gereichte ihrer inneren Reinheit und Kraft nicht eben zum Vortheile.

ES wurde dadurch im Laufe der Zeit

jene Erneuerung der Kirche nöthig, der wir eS verdanken, daß

wir uns eine evangelische Gemeinde nennen.

Bei dieser Erneue­

rung wiederholte sich, waS einst bei der ersten Gründung der

Kirche geschehen war : das Gleichniß vom Senfkorn fand auf's Neue Anwendung.

In Unscheinbarkeit und Unehren streute der

kühne Mönch zu Wittenberg das vom lebendigsten Glauben be­ fruchtete Samenkorn seines schlichten Wortes aus, unter Druck

und Verfolgung wuchs es heran.

Nach fünf Jahren fielen dem

evangelischen Glauben die ersten Märtyrer : zwei junge Augusti­

ner wurden am 1. Juli 1523 um ihres evangelischen Bekennt­ nisses

willen zu Brüssel verbrannt.

ES ist ein wunderbares

Trostschreiben, jener Sendbrief, den Luther damals Christen in Holland, Brabant und Flandern schrieb.

an die

Der Ton

der Klage und des Trostes geht in den des Dankes und des

Triumphes über.

„Wir hier oben, heißt es darin, sind noch

bisher nicht würdig gewesen, Christo ein solches theures, werthes

Opfer zu werden. —

Darum, meine Allerliebsten, seyd getrost

und fröhlich in Christo, und

laßt uns danken

seinen großen

368 Zeichen und Wundern,

so er angefangen hat unter uns zu

thun!" — und dann der gewaltige BerS des begleitenden Liede»: Die Aschen will nicht lassen ab, Sir stäubt in allen Landen.

Hie hilft kein Bach, Loch, Grub noch Grab; Sie macht den Feind zu Schanden. Die er im Leben durch den Mord Zu schweigen hat gedrungen, Die muß er todt an allem Ort Mit aller Stimm' und Zungen Gar fröhlich lassen fingen.

Ja, wie geflügelte Samenkörner stäubte die Asche der Mär­ tyrer durch alle Lande, und wo sie niederfielen, da trieb die weltüberwindende evangelische Wahrheit ihre Keime hervor.

DaS

Evangelium begann auf's Neue seinen Siegesgang über die Erde und sandte nach allen Weltgegenden seine Boten aus.

Zweihun­

dert Jahre darnach giengen von der Brüdergemeinde des from­ men Grafen Zinzendorf achtzehn Mitglieder aus,

um den

Negern auf den westindischen Inseln den Trost des Evangeliums

zu bringen. Mühen

Nach zwei Jahren schon

ihres Berufs

erlegen.

waren zehn davon den

Die Daheimgebliebenen

aber

sangen : „ES ist rin alter Gnadenrat-,

Daß erst gescheh die Thränensaat, Eh' man dir Erndte seh der Freuden, Jetzt tragen wir nach deinem Sinn

Auch diesen edlen Samen hin, Ein Korn der Thränen und der Leiden."

Und nachdem sie der schweren Anfänge der eigenen Gemeinde gedacht,

die doch

hernach recht selige Folgen gehabt,

sie fort : „ES werden Zehn dahin gesäet,

Al- wären fie verloren. Auf ihren Beeten aber steht, Das ist die Saat der Mohren!"

fahren

884 Auch diese Saat ist aufgegangen, Geliebte, und mit Recht

konnte bald die Brüdergemeinde sagen : „Aus Einem sind Tau­ send geworden!" —

Die mir zugemessene Zeit gebietet mir,

welche darthun, wie so

die Reihe von Zeugnissen abznbrechen,

herrlich der allmächtige Gott in seiner Kirche gerade dadurch sich bewährt, daß er sie unter Druck und Stürmen wachsen läßt,

daß er Furcht in Hoffnung, Leid in Freude zu verwandeln und aus dem Tode Leben zu erwecken weiß.

Angeführte schon genügen,

Auch wird ja wohl das

unser Vertrauen zu ihm zu stärken.

Ja, meine geliebten Freunde, wenn wir nur bei Ihm bleiben, so bleibt er auch bei unS, und wenn nur die Kirche treu an seinem

Worte hält,

so wird er auch der Kirche sein Wort halten

(Luc. 12, 32) : „Fürchte dich nicht, du Keine Heerde; denn eS

ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben!"

in. Auf die zum Theil bereits eingetretene, zum Theil noch zu hoffende Erfüllung dieser Verheißung weist der Schluß unseres

Textes hin, indem er von dem glorreichen Ausgang des

GotteSreicheS redet.

Da heißt es von dem mächtig emporge­

wachsenen Senfkorn : „und eS gewinnt große Zweige, also daß die Vögel des Himmels unter seinem Schatten wohnen können." Diese Worte enthalten einen offenbar von dem Herrn selbst be­

absichtigten Anklang an zwei Stellen des alten Testaments.

Die

eine steht im Buche Daniel (4, 7 ff.) und berichtet, wie der ge­ waltige Chaldäerkönig Rebukadnezar

sah,

im Traume einen Baum

der bis in den Himmel reichte und bis an das Ende des

ganzen Landes sich ausbreitete; seine Aeste waren schön und tru­ gen viel Früchte, davon Alles zu essen hatte; und alle Thiere auf dem Felde fanden Schatten unter ihm und die Vögel unter

dem Himmel saßen auf seinen Aesten.

Aber ein heiliger Wächter

vom Himmel fuhr herab, der rief überlaut und sprach : „Hauet

den Baum um, und behauet ihm die Aeste, und streifet ihm das

Laub ab, und zerstreuet seine Früchte, daß die Thiere, so unter

ihm liegen, weglaufen, und die Bögel von seinen Zweigen flie­ gen."

Der Baum bedeutete nach Daniels Auslegung den großen

und mächtigen König selbst; allgemeiner gesprochen : er bedeu­ tet, die auf die eigene Kraft trotzende menschliche Macht, die in ihrem Uebermuthe

von Gott, von dem sie doch Alles zu Lehen

trägt, sich lossagt, oder gar gegen ihn sich empört, und der eben

darum, während sie noch stolz und prangend steht, von dem heiligen Wächter über alle Menschen die Axt bereits an die

Wurzel gelegt ist.

Dagegen

verheißt

in

der anderen Stelle

Gott durch den Propheten-Ezechiel (17, 22 ff.), gerade da Israel durch Nebukadnezar'S Macht hoffnungslos darnieder zu liegen

schien, in Bezug auf das zarte Reis aus dem Stamme Jsai's:

„Auf den hohen Berg Israels will ich es pflanzen, daß

es

Zweige gewinne und Früchte bringe, und ein herrlicher Cedern-

baum werde, also, daß allerlei Vögel unter ihm wohne, und allerlei Fliegendes unter dem Schatten seiner Zweige bleiben

möge.

Und sollen alle Feldbäume erfahren, daß ich, der Herr,

den hohen Bauin erniedriget und den niedrigen Baum erhöhet habe, und den grünen Baum auSgedorret und den dürren Baum

grünezid gemacht habe.

auch."

Ich, der Herr, rede es, und thue eS

Der Herr hat es bereits gethan, die Drohung und die

Verheißung sind in Erfüllung gegangen.

Das Toben der Hei­

den ist verstummt vor dem, der im Himmel thront. Wie manche Gewaltige dieser Erde sind vor dem Hauche seines Mundes

plötzlich niedergestürzt, wie der Baum

vor dem Streiche der

Axt, und die eben noch scheu und in knechtischer Furcht unter ihre mächtigen Zweige sich flüchteten, fliehen eilig weg von ihnen,

um nicht

mit verflochten zu werden in ihren furchtbaren Fall.

Ueber ihre Trümmer aber breitet das zarte Reis vom Stamme

Jsai, breitet das himmlische Senflorn deö Evangeliums feine fruchtbaren Zweige aus.

Der Stein, den die Banlente verwor­

fen haben, ist zum Eckstein geworden. Die mächtigsten Herrscher

der Erde beugen sich jetzt vor den« Gekreuzigten, sie suchen etwas darin, unter ihren stolzen Titeln auch ihre Beziehung zu Ihm Baur, Predigten. 25

386

au-gedrückt zu sehe«, und sie sorgen in der That am beste« für

ihre eigene Wohlfahrt

und ihren eigenen Ruhm, wenn sie in

Wahrheit die Ehre des Herrn suchen.

Rege- bürgerliche- Leben­

ober und feste bürgerliche Ordnung, gründlicher Wohlstand und wahre- Wohl der Völker, wie de- Einzelnen gedeiht nur so wett, al- die Herrschaft de- Evangelium« sich au-gebreitet hat.

meine geliebten Freunde, unter dem Heilandes ist rS gut wohnen! —

Ja,

milden Scepter unseres

Aber da- liebliche Bild, mit

dem unser Gleichniß schließt, da« Bild von den Vögeln unter dem Himmel, die unter dem Schatten de- zu einem mächtigen Baume

mehr.

emporgewachsenen

heiligen SenflorneS

ES ist nicht nur ein Bild

eine-

wohnen,

mächtigen,

sagt

sicheren

Schutze«, sondern eS ist auch ein Bild davon, daß man diesen

Schutz gerne sucht, daß eS Einem nirgend- so wohl ist, al- bei

ihm, daß man in ihm fteudig seine wahre Heimath erkennt, zu welcher man au- dem wilden und wirren Treiben der Welt alle­

zeit mit Freuden sich wieder zurückwendet.

Und da- ist eS eben,

meine geliebten Freunde, woran es noch fehlt, warum die volle Erfüllung dessen, wa« unser Text von dem herrlichen Auögange

de- Gotte-reiche- verheißt, noch zögert.

Die äußere Herrschaft

der Welt hat Christus errungen, daß er auch die innere erringe,

dagegen sträubt sich unser trotzige-, oder unverständige- Herz. Wir Alle befinden unS täglich und stündlich im Genusse seiner Segnungen, wir können keinen Augenblick leben ohne sie, sie um­ geben unS wie die Luft, in der wir athmen; sie treten uns ent­

gegen in dem heiligen Bunde der christlichen Che, in der Ord­ nung unseres Familienlebens, in unseren bürgerlichen Gesetzen,

in den Schöpfungen unserer Kunst und Wissenschaft, sie drängen sich uns auf in den laut redenden Zeugnissen der Weltgeschichte,

in dem großen wunderbaren Gange der Entwickelung der Kirche de- Herrn, sie drängen sich unS auch auf in dem Leben des ein­ zelnen Menschen, in seinen Schicksalen in diesem kurzen Erden­

leben schon, und wie wird eS werden, wenn diese Spanne Zeit hinter uns liegt und die Ewigkeit sich vor unS aufthut? — wir

können es nicht läugnen : eS wohnt sich gut und sicher mir unter

dem mächtigen Schirm seine- Scepter- — und doch fehlt es noch so sehr an dem freudigen Bekenntnisse (Joh. 6, 58 f.): „Wohin

sollen wir gehen, du hast Worte de- ewigen Leben-, und wir haben geglaubt und erkannt, daß du bist Christus, der Sohn des

lebendigen Gottes!"

Doch »erfassen so viele ihn, die lebendige

Quelle, und machen ihnen hie und da au-gehauene Brunnen, die doch löchericht sind und kein Wasser geben (Jer. 2, 13). — Nun,

Geliebte, der gnädige Gott und der treue Heiland haben daIhrige gründlich gethan zur Begründung und Förderung ihres Reiches und unseres eigenen Heile-; möchten doch auch wir daS

Unsrige

nicht versäumen!

Möchte dem himmlischen Senfkorn

ein immer besserer Boden bereitet werden bei Hohen und Niedri­

gen , in unseren Herzen und in unseren Häusern, in unseren Kirchen und in unseren Schulen, in unserem bürgerlichen Leben, wie im Bereiche von Kunst und Wissenschaft, damit es immer

mächtiger seine Zweige au-breite,

immer mehr die noch in der

Wüste de- Unglaubens und in den fernen Wildnissen der Ab­ götterei

Herumirrenden unter

sein

schützendes Dach

sammle,

und vor Allem wir selbst als lebendige Reben immer inniger

zusammenwachsen mit dem himmlischen Weinstock IesuS Christus!

Amen.

vm. Pas Werde» o»d Wtftn des skligmchmde» Glaadeas. Gleichniß vom verlorenen Sohne.

Luc. 15, 11—32.

Predigt am Erndtefeste. Allmächtiger Gott, Vater aller Gnade!

Wir kommen vor dein

Angesicht mit Lob und Dank für den Reichthum von Güte,

welchen du auf uns ausgeschüttet hast.

Ja, du treuer Gott,

du hast dich auf'S Neue gar herrlich an uns bezeugt in diesem gesegneten Jahre; hast uns Frühregen und Spatregen gegeben

zu rechter Zeit und uns die Erndte treulich behütet; hast uns

viel Gutes gethan und unsere Herzen erfüllt mit Speise und Freude.

O, sieh auch heute gnädig auf uns herab und laß

dir Wohlgefallen das Opfer unseres Dankes!

Gib, daß die

reiche Erndte uns nicht blos zu leiblichem, sondern auch zu

geistlichem Segen gedeihe! Laß in den von Freude und Dank

380

den Samen

hewegten Herzen

deines

wohlvorbereiteten Boden finden!

ewigen Wortes einen

Laß ihn da feste Wurzel

schlagen und fröhlich wachsen und gedeihen, damit wir, als

dir wohlgefälligstes Dankopfer, rechtschaffene Früchte der Ge­

rechtigkeit auf deinem Altare niederlegen mögen.

Jg, dazu

hilf uns, gütiger Vater, durch die Kraft deines heiligen Geistes um deines lieben Sohnes, unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi willen!

Amen.

Wir haben uns,

geliebte Christen, zur Feier eines gar

freundlichen und lieblichen Festes

hier versammelt.

„DaS ist

der Tag, den Gott gemacht!" so dürfen wir von diesem Sonn­ tage des ErndtefesteS mit besonderem Nachdrucke, mit besonders

fteudiger Erhebung sagen;

zumal in diesem Jahre, wo durch

GotteS Güte ein so reicher Erndtesegen uns bescheert worden ist.

Und wenn an diesem Feste die Gemeinde in größerer Zahl, als

gewöhnlich, sich hier zu versammeln pflegt, so ist eS ja wohl nicht vorzugsweise der festliche Schmuck des Gotteshauses, was sie herbeizieht; sondern das lebhafte Gefühl, daß man unter den

Sorgen und Arbeiten der Erndtezeit am wenigsten versäumen dürfe, für alles Empfangene Ihm zu danken, von dem alle gute Gabe kommt.

Ja, Geliebte, wenn in Bezug auf das Gelingen

aller menschlichen Geschäfte das Wort gilt, daß an Gottes Se­

gen Alles gelegen seh, so doch ganz besonders von den so, wich­

tigen Geschäften des Landbaues. Wie manchmal wird die Frucht vieler Arbeit und Mühe durch einen Hagelschlag zerstört; und dann gibt uns wieder ein gedeihlicher Regen im Schlaf, was

alle Arbeit unter der Last und Hitze des Tages nicht zu Stande zu bringen vermochte.

Und darum, meine lieben Freunde, ist es

denn auch ganz wohl gethan, daß wir an diesem Tage die Kirche

mit Blumen und Bäumen schmücken und Aehren und Früchte auf den Altar niederlegen, zum Zeichen, daß wir das Alles dem

Segen des gnädigen Gottes verdanken.

Mögen doch unter den

grünen Maien und reifen Früchten auch wirklich dankbewegte,

offene, wohlbereitete Herzen sich ihm darbieten; möge, wie es im

890 Liede heißt, unser Herze ihm grünen in stetem Lob und Preis

und seinem Namen dienen, so viel eS kann nnd weiß! Denn unser Herz, Geliebte in dem Herrn, das ist das Ackerfeld GottesWie wir den Samen auf das Land ausstreuen, so hat er den

Samen seines Wortes auf den Boden unserer Herzen gesäet; und wie wir uns der Erndte freuen, die seine Güte uns bescheert, so freut er sich der Früchte der Gerechtigkeit, die jenem Boden entwachsen.

„Ein Säemann gieng aus zu säen," so beginnt daS

erste der Gleichnisse, in welchen unser Herr die Geheimnisse sei­

nes Reiches aufschließt; und wir haben gesehen, wie der himm­ lische Säemann herniederstieg auf den rauhen uud wüsten Acker

dieser Welt und in gewaltiger Predigt und unter wundervollen

Thaten den Samen seines göttlichen Wortes ausstreute, wie er dann selbst als heiliges Samenkorn in den Tod sich dahingab,

um zu neuem Leben aufzuerstehen und viele Früchte zu bringen

(Joh. 12, 24); wie er seinen heiligen Geist au-sandte, um die Herzen ihm zu bereiten und die Früchte der Gerechtigkeit in ihnen

zur Reife zu führen.

Die gegenwärtige Zeit der Erndte legt

uns sehr natürlich die Frage vor, ob denn auch in uns diese Früchte zur Reife gediehen sind.

mannigfaltiger Art.

ES sind aber diese Früchte

„Die Frucht deö Geiste-, belehrt unS der

Apostel Paulus (Gal. 5, 22), ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmuth, Keuschheit." Bün­

diger aber faßt er die Wirkungen de- Geiste- da zusammen, wo er al- die Grundclemente des christlichen Lebens den Glauben, die Liebe und die Hoffnung zusammenstellt; und darnach sind denn auch diese drei von Alter- her als die drei christlichen

Grundtugenden dargestellt worden : der Glaube,

welcher da«

Heil ergreift, die Liebe, in welcher da- ergriffene Heil sich

wirksam erweist, und die Hoffnung, welche gewiß ist, daß der, welcher da- Werk der Erlösung angefangen am Herzen des Ein­

zelnen, wie an der ganzen Welt, es auch vollenden werde, und

welche darum nicht zu Schanden werden läßt.

Auch das Wesen

dieser drei kostbaren Früchte christlicher Gerechtigkeit hat der Herr

in seinen Gleichnissen dargelegt, da- Wesen des Glauben«

am vollständigsten in dem Gleichnisse vom verlorenen Sohne.

Dieses soll denn die Grundlage unserer heutigen Be­

Es lautet

trachtung bilden.

Evangelium des Lucas im

im

15. Capitel vom 11. bis zum 32. Verse also :

//I I. Und er sprach : Ein Mensch hatte zween Söhne; 12. und

der jüngste unter ihnen sprach zum Vater: Gib mir, Va­ ter, das Theil der Güter, das mir gehöret. lete ihnen das Gut.

Und er thei-

13. Und nicht lange darnach famm-

lete der jüngste Sohn alles zusammen, und zog ferne über

und daselbst brachte er sein Gut um mit Prassen.

Land;

14. Da er nun alles, das Seine verzehret hatte, ward eine

gro^e Theuerung durch dasselbige ganze Land, und er stetig an zu darben;

15. und ging hin und hangele sich an

einen Bürger deffelbigen Landes, der schickte ihn auf seinen 16. Und er begehrete seinen

Acker, die Säue zu hüten.

Bauch zu fülle» mit Trabern,

Niemand gab sie ihm.

die die Säue aßen; und

17. Da schlug er in sich, und

sprach : Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brod die Fülle haben,

und ich verderbe im Hunger.

18. Ich

will mich aufmachen, und zu meinem Vater gehen, und zu

ihm sagen : Vater, und vor dir,

ich habe gesündiget in den Himmel

19. und bin hinfort nicht mehr werth, daß

ich dein Sohn heiße; mache mich als einen deiner Tage­ löhner.

20. Und er machte sich auf, und kam zu seinem

Vater.

Da er aber noch ferne von dannen war, sahe ihn

sein Vater, ttttb jammerte ihn, lief und fiel ihm um seinen

Hals, und küffete ihn. 21. Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, vor

ich

dir;

ich dein

habe

ich

bin

gesündiget

hinfort

Sohn heiße.

22.

in nicht

den

mehr

Himmel

und

werth,

daß

Aber der Vater sprach z«

seinen Knechten: Bringet das beste Kleid hervor, und thut ihn an, und gebet ihm einen Fingerreif an seine Hand, und Schuhe an seine Füße;

23. und bringet ein gemäste­

tes Kalb her, und schlachtet es, laßt uns essen und fröh-

M8 lich seyn; 24. toten dieser mein Sohn war todt, und ist wieder lebendig geworden; er «ar verloren, end ist gefun­ den worden. Und fingen an fröhlich zu seyn. 25. Aber der älteste Sohn war auf dem Felde, und als er nahe zum Hause kam, hörete er das Gesäuge und den Reigen; 26. und rief zu sich der Knechte einen, und fragte, was das wäre. 27. Der aber sagte ihm : Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat ein gemästetes Kalb geschlachtet, daß er ihn gesund wieder hat. 28. Da ward er zornig, und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus, und bat ihn. 29. Er antwortete aber, und sprach zum Vater : Siehe, so viele Jahre diene ich dir, und habe dein Gebot noch nie übertreten; und du hast mir nie einen Bock gegeben, daß ich mit meinen Freunden fröhlich wäre. 30. Nun aber dieser dein Sohu gekommen ist, der sein Gut mit Huren verschlungen hat, hast du ihm ein gemästetes Kalb geschlachtet. 31. Er aber sprach zu ihm : Mein Sohu, btt bist allezeit bei mir, und Alles, was mein ist, das ist dein. 32. Du solltest aber fröhlich uud gutes Muths seyn; denn dieser dein Bruder war todt, und ist wieder lebendig geworden, er war ver­ loren, und ist wieder gefunden."

ES bietet unS dieses Gleichniß eine wundervolle, tiefergrei­ fende Erzählung dar, tiefergreifend besonders deswegen, weil wir darin in so mancher Beziehung die Geschichte unsere- eigenen Herzens und Lebens lesen, und nicht mit Unrecht ist einmal be­ hauptet worden, daß um dieser einen Parabel willen Christus hätte auf die Erde kommen dürfen, daß nur um dieser Parabel willen alle Sterblichen und Unsterblichen ihre Kniee vor ihm beugen und alle Zungen bekennen sollten, daß er ein Sohn seh, wie Keiner, zur Ehre de- Vaters. Nach ihrer Anleitung also wollen wir das Werden und Wesen des seligmachenden Glaubens uns klar zu machen suchen. Es zerlegt sich aber das Gleichniß deutlich in drei Abschnitte : der erste schildert

das

des

Sündenleben

Bekehrung und

der

verlorenen Sohnes,

zweite

seine

dritte das Benehmen des älteren

Bru­

der

Dieser dritte Abschnitt enthält eigentlich einen Nebenzug,

ders.

der dazu dienen soll, im Gegensatze zu dem wahren, lebendigen Glauben,

den

äußerlichen,

unfruchtbaren Glauben

darzustellen, welcher nicht ist, wie er sehn soll.

darauf zuerst

Wir wollen

unsere Betrachtung richten, um dann auf dem

Grunde der beiden übrigen Abschnitte um so ungestörter zuerst das Werden und dann das Wesen des wahren Glaubens er­

örtern zu können, und den Eindruck davon, als den bedeutsamsten, schließlich festzuhalten.

I.

Den ältesten niß

Sohn

also,

von welchem das Gleich«

erzählt, und unter dessen Vater der Vater im Himmel

selbst dargestellt ist, betrachten wir als

Bild einer Glau­

bensweise, die nicht die rechte ist. Vater zu ihm :

Zwar spricht der

„Mein Sohn, du bist allezeit bei mir;

und

Alles, was mein ist, das ist dein," und darnach könnte es schei­

nen, als ob sein Verhältniß zu dem Vater als ein recht inniges, als das durchaus richtige solle gedacht werden;

bei näherer Be­

trachtung des Benehmens dieses älteren Bruders aber zeigt sich sofort deutlich,

daß dies eben nur Schein ist, und daß jene

Worte in ähnlichem Sinne zu verstehen sind, wie wenn der Herr die Pharisäer und Schriftgelehrten wohl auch als die Gerechten

bezeichnet und als die Gesunden, die keines Arztes bedürfen; nicht als ob sie wirklich gerecht und gesund wären, sondern als

Solche,

die es zu seyn sich dünken.

Der älteste Sohn stellt

eben den todten Glauben und die äußerliche Selbstgerechtigkeit der Pharisäer dar, die den Namen Gottes beständig im Munde

führt nnd mit der äußeren ErMung seiner Gebote sich brüstet,

ohne doch eigentlich seinen Willen zu thun, ohne in selbstverläugnendem Aufgeben des eigenen Willens einzugehen in Sinn

und Willen des Vaters im Himmel.

Diese SelLstgerechtigkeit

setzte der Begründung und Ausbreitung des Reiches des Herrn

den

hartnäckigsten Widerstand

entgegen,

und

namentlich das

Evangelium des Lucas enthält mehrere Gleichnisse, iu welchen

der Heiland sie in ihrer gefährlichen Verirrung zeichnet.

Sie war die Ursache, daß so viele Glieder des Volkes Israel, die doch, wie der älteste Sohn im Gleichnisse, zu dem Vater immer

in einem näheren Verhältnisse geblieben waren,

welchen,

wie

Paulus sagt (Röm. 9, 4 f.), gehörte die Kindschaft, und die

Herrlichkeit, und der Bund, und das Gesetz, und der Gottesdienst, und die Verheißung; welcher auch die Väter waren, aus welchen Christus herkommt nach dem Fleische, — daß so viele von ihnen jener großen Verheißung verlustig giengen, während die Heiden,

welche mit den Trübern der Welt vergebens getrachtet hatten, die Sehnsucht ihrer Seele zu stillen, und nun mit demüthigem, heilsbegierigem Sinne dem von den Aposteln verkündeten wahren

Gotte sich zuwandten, von seiner Fülle Gnade um Gnade nah­ men.

Die Schwächen jenes äußerlichen, auf die eigene Gerech­

tigkeit pochenden

Glaubens hebt

und treffend hervor.

unser Gleichniß sehr deutlich

Zunächst,

wie verhält sich der ältere

Bruder, da er nach Hause kommt, das Gesänge und den Reigen

höret, und nun erfährt, sein verloren geglaubter Bruder sey

wieder gekommen, und der Vater habe ein fröhliches Mahl be­ reitet, daß er ihn gesund wieder habe?

Eilt er, wie der Vater

gethan, dem Bruder entgegen, um ihm unter Küssen um den

Hals zu fallen? dem Rufe :

Stimmt er in die allgemeine Freude ein mit

„Dieser mein Bruder

war todt,

und ist wieder

lebendig geworden; er war verloren, und ist gefuuden worden?" Ach, nein! Tief verletzt durch die vermeintliche Bevorzugung des Bru­

ders, bleibt er, von eifersüchtigem Groll ergriffen, trotzig vor der

Thüre stehen; und da nun der Vater herauSgeht und ihn freund­ lich bittet, bricht er in lieblos übertreibende Urtheile über seinen

Bruder und in Vorwürfe gegen den Vater selbst aus.

O, Ge­

liebte, dies kalte Herz ist trotz der vieljährigen, treuen Dienste,

deren e- sich rühmt, niemals berührt worden von dem Hauche

jener Liebe, die lanzmüthig ist und freundlich, nicht eifert, sich

nicht blähet, sich nicht erbittern lässet, nicht nach Schaden trach­ tet ; sondern es regt sich in ihr etwas von jener finsteren Macht, die einst dem Kain die Hand gegen seinen Bruder Abel bewaff­

nete.

Er hasset den leiblichen Bruder, den er sieht, wie sollte

er Gott lieben, den er nicht sieht? DaS erste aller Gebote : Liebe

Gott deinen Herrn von Ganzem Herzen, und deinen Nächsten als dich selbst (Matth. 22, 36. 38), hat eine innere Geltung für ihn nie gehabt, und so kann denn ferner auch die Erfüllung aller

übrigen Gebote, auf welche er pocht, nur eine sehr unvollkom­ mene gewesen sehn;

denn die wahre Gesetzeserfüllung besteht ja

nicht in dieser oder jener äußeren Verrichtung, sondern darin,

daß der Mensch die Selbstsucht seines trotzigen, oder verzagten Herzens hinopfert und in liebevoller Hingabe an den gnädigen

Gott dessen Gesetz in das eigene Herz und den eigenen Sinn aufnimmt, und daß dann auch alles äußere Thun von der Kraft

der Liebe durchdrungen und geweiht ist.

Da ihm aber die Liebe

fehlte, so ist es freilich endlich anch natürlich, daß er selbst

darüber Nagt, es sey trotz all seines äußeren Diensteifers doch

zn einem recht innerlichen und nahen Verhältnisse zu seinem Va­ ter niemals gekommen, wovon denn freilich die Schuld nicht an

dem so liebevollen Vater, sondern an ihm selbst lag; denn wenn

er es nur über sich hätte gewinnen können, seinen eifersüchtigen

Trotz aufzugeben, so wäre er damit sofort in die innigste Lie-

beSgemeinschaft mit dem Vater eingetreten.

Sehet da, meine

geliebten Freunde, die Schwächen des todten Glaubens, der auf

feine guten Werke stolz ist : er entbehrt der Liebe und darum auch sowohl der rechten Erfüllung der Gebote Gottes, da eben

die Liebe des Gesetzes Erfüllung ist,

als der rechten lebendigen

Gemeinschaft mit Gott, die ebenfalls nur durch selbstverläugnende Liebe begründet wird. diesen Schwächen doch nicht

Und nun, Geliebte, laßt unS nach blos unter den Pharisäern und

Schriftgelehrtcn suchen, sondern lieber vor dem Pharisäer, der

in uns selbst sich regt, aus der Hut sehn!

Wie manchmal wer­

den irrende Brüder und Schwestern, die aus dem wüsten Trei-

396 tat der Welt reuig zum Vaterhaus« zurückkehren möchten, mit

pharisäischem Stolze und lieblosen UrtheLen zurückgestoßen von

solchen, welche doch nur die Gnade Gotte- vvr den Versuchungen bewahrt hat, denen jene zur Beute geworden sind!

Wie Man­

chem wird seine äußere Rechtschaffenheit ein Anlaß zum Hoch­

muth, während doch nur dadurch, daß e- au- einem demüthigen

Herzen hervorgeht, alles äußere Thun erst rühmenSwerth wird. Und wie sehr beweisen wir durch dies Alles, daß wir den alt-

testamentlichen Standpunkt gesetzlicher Aeußerlichkeit noch nicht überwunden haben; noch nicht durchgedrungen sind zum vollen evangelischen Leben, da wir im lebendigen Glauben in die Gemein­

schaft mit Christo und seinem Vater im Himmel eingehen!

II.

DaS Werden

dieses

lebendigen

Glaubens

und

den Weg, auf welchem man zu ihm gelangt, zeigt nun das Bei­

spiel des verlorenen Sohnes. — Des verlorenen SohneS? Also gienge nur durch

die

tiefsten Verirrungen und Abgründe des

Sündenlebens der Weg zum Glauben, und wir sollten wohl gar

in der Sünde beharren, werde (Röm. 6, 1)?

auf daß die Gnade desto mächtiger

Das nicht, Geliebte; sondern das Gleich-

niß trägt hier nur stark auf um deö Gegensatzes willen, um den

kalten Hochmuth, der auf sein Verdienst trotzt, zu demüthigen, um ihm zu sagen,

daß ein geängsteter Geist und ein geängstetes

und

Herz die

zerschlagenes

Opfer sind,

die

Gott

gefallen

(Pf. 51, 19), und wenn ein solches Herz auch durch daS tiefste

Verderben der Sünde hindurchgedrungen wäre zu der demüthig

hingebenden Rückkehr zum Vater.

Aber nothwendig ist dieser

Weg nicht, und wenn unter den treuesten Jüngern Jesu gewiß manche waren, die, wie jenes sündige Weib, daS im Hause des

Pharisäers Simon die Füße des Herrn mit Thränen netzte und mit den Haaren ihres Hauptes trocknete und seine Füße küßte

und mit Salben salbte (Luc. 7, 37 u. 38), im vernichtenden

Gefühle ihrer Verschuldung Vergebung ihrer Sünden von dem Heiland empfiengen und mit ihr die Kraft zu einem neuen Leben,

womit sie nun im eifrigsten Dienste des Herrn ihren Lauf be­ schlossen, den sie im schnöden Dienst der Sünde begonnen hat­ ten : so waren doch auch Seelen darunter, wie die jenes Natha­

nael, dem Christus das schöne Zeugniß gab (Joh. 1, 47), daß rechter Israelit gewesen seh, in welchem kein

er jederzeit ein

Falsch ist; und neben Paulus stehet Johannes in der Zahl der Apostel, der den Herrn und seine Gemeinde niemals verfolgt hatte, sondern in dessen sehnsuchtsvollem, heilsbegierigem Herzen der Erlöser

vom Anfang an eine wohlbereitete

Eins aber ist nothwendig,

der Mensch zum

Geliebte

in dem

Stätte

Herrn,

fand.

damit

lebendigen Glauben gelange, dieses nämlich,

daß er, wenn auch seine sündige Lust nicht gerade zur bösesten That geworden ist,

doch von der in ihm wohnenden sündigen

Lust selbst eine tiefe und lebendige Erkenntniß und die demüthi­

gende Erfahrung habe von seinem völligen Unvermögen,

aus

eigener Kraft die Fesseln der Sünde zu zerreißen und zum wah­ ren Leben zu gelangen.

Denn was heißt denn glauben anders,

als die zur Rettung uns dargebotene Gnadenhand Gottes er­

greifen, und wer griffe nach der rettenden Hand, wenn er nicht

erfahren hat, daß er selbst sich nicht zu retten vermag, wenn er nicht einstimmen muß in den zugleich angstvollen und vertrauens­ vollen Ruf : „Herr, hilf mir, ich versinke!" (Matth. 14, 30).

Wenn wir darum, meine lieben Freunde, absehen von dem größe­ ren oder geringeren Maße, sich

äußert,

und

in welchem die Macht der Sünde

nur Hinblicken auf

die

uns beherrschende

Macht der Sünde selbst, so mögen wir getrost in der Ge­

schichte vom verlorenen Sohne unsere eigene Geschichte erkennen,

denn

wir

fallen

dann

alle unter das Urtheil des Apostels

(Röm. 3, 23) : „Es ist hier kein Unterschied; sie sind allzumal

Sünder und mangeln des Ruhms, den sie vor Gott haben soll­ ten;" unser Gleichniß hat eine allgemeine Geltung : die Sünde ist in ihrem Anfang,

Fortgang und Ende im Wesentlichen im-

N6 mer so, wie sie darin sich zeigt.

fänge!

Zunächst also in ihrem An­

Der jüngste der beiden Söhne im Gleichnisse fordert

von dem Bater das Theil der Güter, das ihm gehöret, und zieht

damit fern über Land, um, getrennt von dem Vaterhause und von der väterlichen Leitung, mit seinem eigenen Vermögen nach eigener Einsicht und eigenem Willen zu schalten.

Damit fing

er an der verlorene Sohn zu werden; und daß auf solche

Weise der Mensch, getrennt von dem Vater im Himmel und im

Gegensatze gegen ihn, seinem eigenen Willen folgen und für sich etwas sehn will, das ist von jeher der Anfang der Sünde ge­ wesen,

von dem Sündenfalle des ersten Menschenpaares an,

welches, feinem selbstsüchtigen Gelüste folgend, von dem heilsa­ men Gehorsam gegen seinen gütigen Schöpfer sich lossagte und

so des Paradieses der seligen Gemeinschaft mit ihm verlustig

gieng.

Was ist bei einem solchen Anfänge für ein Fortgang

zu erwarten? Zuerst freilich geht es hoch und herrlich her, und vom frischen Winde der Lust beflügelt, segelt das Lebensschifflein

fröhlich auf den Wogen des Weltlebens dahin.

Bald aber ist,

ferne vom Vaterhause, wo alles Reichthum- Quelle ist, das Ca­ pital des sich selbst überlassenen Menschen verzehrt, und eS ent­ steht eine große Theuerung in dem ganzen Lande : nirgends ist

etwas zu finden, das die hungernde Seele dauernd befriedigen könnte.

Und wenn sie auch an einen Bürger dieser Welt sich

hinge, der reich ist an weltlichen Gütern und an weltlicher Weis­ heit — was kann ihr der helfen, der zwar vergängliche Schätze sich sammelt, aber nicht reich ist in Gott? Ja, wenn die Weis­

heit dieser Welt recht hätte mit der Lehre, die sie der vom Be­ wußtseyn ihres Abfalls vom Vater geängstigten Seele einreden

möchte, daß mit diesem irdischen Leben Alles, Alles aus ist, dann ließe sie sich den Rath : „Bis dahin iß und trink und seh guten Muthes!" wohl gefallen, und wohl mag sie manchmal versucht sehn, das unvernünftige Thier zu beneiden, das von solcher inneren Angst nichts weiß, sondern dumpf dahinlebt, bis

es dem Staube völlig anheimfällt.

Aber das ist eben der na­

gende Wurm, der nicht sterben will, die Erinnerung, daß sie vom

Himmel stammt und für den Himmel bestimmt, daß sie göttlichen Geschlechtes ist, und das Donnerwort „Ewigkeit" durchschüttert

sie immer und immer wieder, sobald einmal der Lärm des ver­ gänglichen, irdischen Treibens ein wenig verstummt.

Und wohl

der Seele, wenn sie diese ernst mahnenden Stimmen nicht über­ hört !

Dann ist noch Hoffnung vorhanden, daß die Sünde nicht

zum schlimmsten Ende führt, zu dem ewigen Tod, welcher der Sünde Sold ist; sondern zu dem Ende, bei welchem das Sün­

denleben des verlorenen Sohnes zuletzt ankam.

Bon ihm sagt

unser Gleichniß, daß er endlich in sich schlug und, des wüsten und elenden Lebens draußen in der Welt herzlich müde, mit tie­

fem, schmerzlichem Heimweh sich zurücksehnte nach dem lieben

Vaterhause, wo jeder Taglöhner Brod die Fülle habe, während er vor Hunger verderbe; und von diesem ernstlichen und tief­

gehenden reumüthigen Abwenden von der Sünde bis zum leben­ digen, seligmachenden Glauben ist nur ein Schritt.

III. Der verlorene Sohn säumt nicht, diesen Schritt zu thun. Er wird dadurch aus einem verlorenen Sohne zu einem bekehr­ ten, und als solcher lehrt er unS das Wesen des selig­

machenden Glaubens erkennen, womit der Schluß unserer Betrachtung sich noch zu beschäftigen hat.

Der Erkenntniß, wie

das Leben im Hause des Vaters doch so viel besser sey, als das

Leben draußen in der sündigen Welt, und der herzlichen Sehn­ sucht nach dem lieben Baterhause folgt unmittelbar der Entschluß

zur Rückkehr.

„Ich will mich aufmachen, spricht er, und zu

«einem Vater gehen, und zu ihm sagen : Vater, ich habe ge-

sündiget in den Himmel und vor dir, und ich bin fort nicht «ehr werth, daß ich dein Sohn heiße; mache mich als einen

teiner Tagelöhner;"

und dem Entschlüsse folgt sofort auch die

That : er machte sich auf und kam zu seinem Vater.

In die-

400

sen Zügen ist da- Wesen de- seligmachenden Glauben- dargestellt:

er bericht auf der lebendigen Erkenntniß de» Verderben- der Sünde und auf dem reumüthigen, offenen, auf jede Entschuldi­

gung, Beschönigung und Selbstrechtfertigung verzichtenden Be­

kenntniß, daß wir durch sie der Liebe de- Vater- un- unwürdig gemacht, und er besteht in der Erkenntniß, daß die Liebe dieseVater- gleichwohl unendlich

ist, in dem herzlichen Verlangen

nach der Rückkehr zu ihm und in dem Vertrauen, welche- die

vergebende und rettende Vaterhand getrosten Herzen- ergreift. Und siehe da, der gütige Vater wartet nicht einmal ab, bider reuige Sohn

im Hause wieder ankommt, sondern da er

chu von ferne sieht, jammert ihn und er läuft ihm entgegen und fällt ihm um seinen Hal- und küffet ihn.

Ach ja wohl,

Geliebte, hat unser gnädiger Vater im Himmel nicht abgewartet, bi- die verlorenen Kinder von selbst den Weg zur Heimath zu­

rück fänden, sondern er hat uns allezeit gesucht mit entgegen­ kommender Liebe, hat un- seine Stimme ins Gewissen gegeben,

daß wir ihn suchen und finden möchten, und da diese Stimme

im Treiben der Welt verscholl, hat er im Volke Israel durch

die Stimmen deö Gesetze- und seiner Propheten den Irrenden zugerufen und

hat

endlich in seinem

eingeborenen Sohn mit

liebenden Armen un- umfaßt und mit dem Himmelskuß seiner

unendlichen Liebe sich zu unö herabgeneigt; und wenn einer der Verlorenen der freundlichen Ladung folgt, dann ist Freude im Himmel, wie hier im Hause de- Manne- im Gleichnisse.

Aber

ist denn die Vergebung des Vaters sammt den herrlichen Gütern,

die sie im Gefolge hat, mit diesem bloßen Glauben des ver­

lorenen Sohnes nicht zu leicht erkauft? than,

Was hat er denn ge­

um das Wohlgefallen des Vaters sich zu

erwerben?

Das sind Fragen, wie sie wohl hie und da laut werden möch­ ten, und wie sie auch der ältere Bruder im Gleichnisse in seiner

äußerlichen Sinnesart ausgesprochen haben könnte.

Allerdings,

meine Freunde, weiß unser Text noch nichts zu sagen von be­

sonderen guten Werken des Heimgekehrten, auch konnte er etwas

Gottwohlgefälliges gar nicht thun, bevor er durch den lebendigen

Glauben

innerlich

umgewandelt

war.

Durch den lebendigen

Glauben aber ist er ja durch und durch ein anderer geworden,

wie sein Herz früher an der Welt hing, so hängt eS jetzt an dem gütigen Vater, und mit diesem Glauben ist auch nothwendig

die Liebe verbunden, die das Band der Vollkommenheit ist und mit ihrer lebendig wirkenden Kraft jegliche wahre Tugend her­

vortreibt.

Der gnädige Vater im Himmel zieht,

wie unser

Gleichniß andeutet, dem reuigen Sohne des befleckte Gewand des alten

sündigen Menschen auS und schmückt ihn mit dem besten

Kleide, er zieht ihm den neuen Menschen an, der nach Gottes

Ebenbilde geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heilig­

keit.

Er gibt ihm einen Fingerreif an seine Hand als Zeichen

und Unterpfand

seiner

jetzt

unzertrennlichen Gemeinschaft mit

Gott, in welcher er in und mit Gott lebet und wirket.

Er thut

ihm Schuhe an seine Füße, damit er fertig seh zu treiben das Evangelium des Friedens, der ihn selber nun beseligt, und an­

dere Irrende, welchen er den Weg zur Heimath gezeigt, einstim­

men mögen in daS Wort des Propheten (Jes. 52, 7) :

„Wie

lieblich sind die Füße der Boten, die da Friede verkündigen!" — ES ist unö ja wohl gestattet, unserem Gleichnisse im Gedanken

noch einige Züge beizufügen, uns das neue Leben zu vergegen­ wärtigen,

welches der heimgekehrte Sohn nun im Hause deS

Vaters führen wird.

Wie wird sein ganzes Wesen und Wirken

durchdrungen sehn von dem Geiste der Demuth, der Sanftmuth, der Liebe, deS hingebenden Eifers; wie wird er jetzt Alles thun,

was er dem gütigen Vater nur an den Augen absehen kann; wie muß in das ganze Haus ein neues, inniges und fteudigeS

Leben einziehen, ein Leben, welchem am Ende gewiß auch der eifersüchtige Groll des älteren Bruders weichen wird, also daß

er den todten Glauben der Selbstgerechtigkeit gegen den lebendi­

gen Glauben gerne vertauscht, durch welchen er in die liebevolle Gemeinschaft mit Gott und dem Bruder eintritt.

DaS ist Werden, Wesen und Wirken deS seligmachenden

Glaubens.

Das ist die herrliche Frucht der Gerechtigkeit, welche

auS dem Samen des göttlichen Wortes auf dem Boden unserer Baur, Predigten. • 26

402 Herzen

soll.

zur Freude unsere- Vater- im Himmel hervorwachsen

MSge der gnädige Gott sie zurüsten durch den besruchten-

den Hauch

seine-

heiligen Geiste- und durch die Wetter der

Trübsal, die er sendet, wie durch den erfrischenden Thau seiner Gnade, damit, wenn einst der große Erndtetag eintritt, wir nicht mit dem Unkraut verbrannt, sondern mit dem Waizen in seine

Scheuren gesammelt werden.

Dazu, du großer Herr der Erndte,

dazu hilf un- Allen um deine- Sohne- Jesu Christi willen! — Amen.

IX.

Das Wesen aad Wirken der Liebe.

Gleichniß vom barmherzigen Samariter. Lur. 10, 25 — 37.

Predigt am 20. Sonntage nach Trinitatis. Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes seh mit uns Allen! Amen.

Wir wollten, meine geliebten Freunde, in diesen Schlußwochen des Kirchenjahres, in dieser Zeit, da die reichen Früchte des gesegneten Jahres in Keller und Scheunen gesammelt werden, nach Anleitung der Gleichnisse de- Herrn, die Früchte der Ge­ rechtigkeit betrachten, welche der große Herr der Erndte von uns erwartet, und welche das Neue Testament unter dem Begriffe der drei christlichen Grundtugenden, des Glaubens, der Liebe 26*

Das Werden und Wesen des

und der Hoffnung, zusammenfaßt.

seligmachenden Glaubens haben wir vor kurzem aus dem Gleich­

nisse vom verlorenen Sohn uns klar gemacht; wir wenden uns

heute

zum Gleichnisse der Liebe, zu dem Gleichnisse

barmherzigen Samariter.

vom

Es wird uns sammt der Ver­

anlassung, bei welcher der Herr es darlegte, erzählt im Evan­

gelium des Lucas, im 10. Capitel vom 25—37. Vers :

»25. Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muß ich thun, daß ich das ewige

Leben

ererbe?

26. Er aber sprach zu ihm :

im Gesetz geschrieben?

Wie liesest du?

Wie stehet

27. Er antwor­

tete und sprach: Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von

ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüth; und deinen Nächsten, als dich selbst.

28. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet;

thue daö, so wirst du leben.

29. Er aber wollte sich selbst

rechtfertigen und sprach zu Jesu: Wer ist denn mein Näch­ ster?

30. Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein

Mensch, der gieng von Jerusalem hinab gen Jericho, und

fiel unter die Mörder; die zogen ihn

aus und schlugen

ihn, und giengen davon und ließen ihn halb todt liegen.

31. Es begab sich aber ohngefähr, daß ein Priester dieselbige Straße hinab zog; und da er ihn sah, gieng er vorüber.

32. Desselbigen gleichen auch ein Levit, da er kam bei die Stätte und sah ihn, gieng er vorüber.

33. Ein Samariter

aber reifete und kam dahin; und da er ihn sah, jammerte

ihn sein,

34. gieng zu ihm,

verband ihm seine Wunden

und goß drein Oel und Wein; und hob ihn auf sein Thier und führete ihn in die Herberge und pflegte sein.

35. Deö

andern Tages reifete er und zog heraus zween Groschen,

und gab sie dem Wirth und sprach zu ihm : Pflege sein; und so du was mehr wirst darthun, will ich dir's bezahlen,

wenn ich wiederkomme.

36. Welcher dünkt dich, der unter

diesen dreien der Nächste sey gewesen dem, der unter die

Mörder gefallen war?

herzigkeit an ihm that.

37. Er sprach : Der die Barm­ Da sprach JesuS z« ihm : So

gehe hin, und thue desgleichen.

Nun, Geliebte, über dieses Gleichniß ist ja wohl gut predigen! Denn wenn zugestandenermaßen der Glaube nicht Jedermanns Sache ist, so fordert man dagegen die Liebe von einem jeden, und mancher, der mit dem Glauben nichts zu schaffen haben

will, betont um so stärker das Gebot der Liebe, rühmt sich auch

wohl der Erfüllung dieses Gebotes, oder erkennt doch wenigstens seine allgemeine Gültigkeit bereitwillig an.

Aber gerade damit

wir es mit diesem Gebote nicht zu leicht nehmen und es nicht

zu äußerlich auffassen, ist uns dies Gleichniß erzählt und insbe­

sondere tritt uns aus der Betrachtung der Veranlassung desselben Der Schriftgelehrte, welcher,

diese Warnung deutlich entgegen.

offenbar in der tückischen Hoffnung, irgend eine gefährliche Neue­

rung zu vernehmen, mit der Frage : „Was muß ich thun, daß ich das ewige Leben ererbe?" an Jesum sich gewandt hatte und nun von diesem einfach auf das ihm längst bekannte Gesetz ver­ wiesen wurde, glaubte dem Gebote der Gottes- und Nächstenliebe

vollständig genügt zu haben, und die Aufforderung des Herrn,

„Thue das, so wirst du leben," welche ihn auf eine innerlichere und

gründlichere Gesetzeserfüllung

Hinweisen

und

damit zur

demüthigen Erkenntniß seiner Schwäche hinführen sollte, verstand er so wenig, daß er darin wieder nur eine gefährliche Ausdehnung des Begriffes des Nächsten witterte, welchen er lediglich auf seine

Volks- und Glaubensgenossen zu beschränken gewohnt war. In die­ sem Sinne erwiderte er jene Aufforderung im Tone trotziger Selbst­

gerechtigkeit mit der neuen Frage : „Wer ist denn mein Nächster?" und darauf erzählte Jesus unser Gleichniß, um das Wesen der

wahren Nächstenliebe darzustellen, die keine äußere Gränze kennt und aus einem von Barmherzigkeit innig ergriffenen Herzen her­ vorgeht.

Dieser Schriftgelehrte

erinnert

uns an den ältesten

Bruder im Gleichnisse vom verlorenen Sohn, beide sind Beispiele jener äußerlichen Sinnesart, die zwar die Göttlichkeit des Ge-

M setzes anerkennt und seiner äußerlichen Erfüllung sich rühmt, aber, innerlich unbekehrt und von dem belebenden Geiste Gotte- unbe­ rührt, weder eine- lebendigen Glauben-, noch wahrer herzlicher Liebe fähig ist; und wie die Geschichte de- verlorenen Sohnediesem äußerlichen Sinne gegenüber da- Wesen de- wahren Glaubens darstellen soll, der mit Abscheu von der Sünde sich wegwendet, reuig zu Gott zurückkehrt, chätig da- dargebotene Heil ergreift und eben dadurch ein seligmachender ist : so hält ihm da- Gleichniß vom barmherzigen Samariter da- Wesen der wahren Liebe vor. E- schließt sich auf diese Weise an die Pa­ rabel vom verlorenen Sohn gleichsam al- Fortsetzung an : dort verfolgten wir da- Werk der Erlösung, welche- die Gnade Gottean der Seele übt, bi- zu dem Augenblicke der Umkehr, der Wiedergeburt zu einem neuen Leben; hier wird uns die Art dar­ gelegt, wie nun dieses neue Leben sich äußern muß; und wie wir den Glauben jenes älteren Bruders nicht für den rechten halten konnten, weil ihm, wie sehr er sich auch rühmen konnte, immer in der äußeren Nähe des BaterS gewesen zu seyn, die selbstverläugnende, warme Bruderliebe fthlte, so dürfen wir auch sagen, daß diese rechte, warme, lebendige Samariterliebe, wie sie unser heutiges Gleichniß darstellt, nur in einem Herzen wohnen wird, das, wie der verlorene Sohn, von dem Gefühle der unendlichen verzeihenden Barmherzigkeit Gotte- in lebendigem Glauben innig durchdrungen ist. Versuchen wir nun an der Hand unsere- Gleichnisse- daWesen und Wirken der wahren Liebe un-llar zu machen, so werden wir un-zuerst über den Gegenstand, auf welchen sie sich bezieht, dann über den Grund, au- welchem sie hervorgeht, und endlich über da- Wirken, worin sie sich vollendet, zu belehren haben.

I. Die Frage, auf wen die Nächstenliebe sich zu be­ ziehen habe, beantwortet der erste Der- de- Gleichnisse-.

Wenn es nun hier von dem Unglücklichen, welchem der barm­

herzige Samariter Hülfe leistete, heißt, daß er von Jerusalem gekommen und nach Jericho gegangen seh, so liegt es am nächsten,

zu denken,

er seh ein Jude gewesen.

Aber wohl nicht ohne

Absicht drückte sich Christus ganz allgemein aus : „Es war ein

Mensch, der gieng von Jerusalem hinab gen Jericho," um darauf hinzudeuten, daß BolkSthümlichkeit und Bekenntniß hier

keine Gränze ziehen dürfe, daß vielmehr jeder Mensch, der unserer Hülfe bedarf, auf unsere brüderliche Liebe und Hülfe auch An­

spruch habe. Jericho.

Jener Unglückliche gieng also von Jerusalem gen

ES führte ihn sein Weg östlich von der heiligen Stadt

in der Richtung nach dem todten Meere hin zuerst an dem Oelberg, an Bethanien vorbei, an Orten, die uns Allen wohlbekannt

und theuer sind; bald aber in eine Gegend voll wilder Felsen­ klüfte und Bergschluchten, die von jeher als Aufenthaltsort zahl­ reicher Räuber für unsicher galt.

Wenn ihn nun der Herr in

dieser Gegend unter Mörder fallen läßt, so geschieht eS nicht,

als ob wir nur in den Fällen solcher höchsten Noth und Bedrängniß die hülfreiche Hand gegen die Brüder aufthun sollten,

sondern darum, weil solche Fälle die verschiedenen Bedrängnisse, welche Anlaß für unsere brüderliche Hülfleistung werden können,

am vollständigsten zusammenfassen.

Die Mörder zogen ihn aus,

wie der Text uns sagt, und schlugen ihn, und gingen davon

und ließen ihn halb todt liegen.

Er war also seiner Kleider

und der für die Reise nöthigen Lebensmittel beraubt, mit schmer­

zenden Wunden bedeckt, von aller Hülfe verlassen und dem Tode nahe.

O, Geliebte, an welch weites und mannigfaltig abgetheilteS

Feld

der Wirksamkeit für die thätige Bruderliebe werden wir

durch

den Blick

auf diesen

Nackten, die wir kleiden,

Unglücklichen erinnert!

Au die

an die Hungernden und Dürstenden,

die wir speisen und tränken, an die Verlassenen, die wir trösten, an die Kranken, die wir heilen, an die Sterbenden, die wir auf­

richten sollen

mit dem Troste des göttlichen

weiterer bedeutsamer Zug

Wortes!

Ein

in dem Gleichnisse ist, daß dieser

Mensch in so große Noth gerieth nicht etwa durch Bedrängnisse,

408

welche in

unabwendbaren

Naturursachen ihren Grund haben,

durch die Schwächen des Alters, durch den vergiftenden Hauch einer Seuche, durch Feuers- oder Wassersnoth, sondern daß er

unter die Mörder

fiel.

Es

weist uns dieser Zug auf die

traurige und uns tief beschämende Thatsache hin, daß bei weitem die meiste Noth im menschlichen Leben durch Menschen selbst entsteht, die doch vielmehr zu gegenseitiger Hülfleistung berufen sind, daß bei weitem die meisten Uebel der menschlichen Gesell­ schaft ihre Quelle haben in der menschlichen Sünde. wird

Und dadurch

der Blick der zur Hülfleistung bereiten Bruderliebe von

der Oberfläche des von ihr zu bearbeitenden Ackerfeldes hingewiesen auf seinen tieferen Grund.

Es kann nicht genügen, hier und da

eine welkende Pflanze zu begießen und ein schädliches Unkraut

auözureißen, so lange dieser Grund von der Art ist, daß er ein gedeihliches Wachsthum überhaupt nicht gestattet,

daß das

schädliche Unkraut aus ihm immer auf's Neue hervorwuchern muß.

Auch auf diesen Grund also,

welcher das menschliche

Herz selbst ist, muß die Nächstenliebe sich beziehen : es ist vor Allem eine Aufgabe christlicher Barmherzigkeit, daß sie die Macht

der Sünde in dem menschlichen Herzen zu brechen sucht.

Das

Mittel dazu ist uns in dem ewigen Gotteswort gegeben, welches in Jesus Christus Fleisch geworden ist und mit seiner reinigenden,

heiligenden und erweckenden Kraft wie ein Sauerteig die ganze

Menschheit durchdringen und verklären soll; aber daß dies Mittel zur vollen Wirksamkeit gelangt sey, dazu fehlt noch gar viel. Wie ist doch der düstere und wilde Schauplatz unseres Gleichnis­

ses für so viele Länder der Erde noch immer ein gar sprechendes

Bild!

Sie liegen fortwährend in Finsterniß und Schatten des

Todes

und ihre Bewohner verfolgen sich gegenseitig mit Raub

und Mord, denn das Gesetz der Liebe, welches von Zion aus­ geht, ist noch nicht bis zu ihnen gedrungen, und die Zinnen des

himmlischen Jerusalems

leuchten mit ihrem verheißungsvollen,

freundlichen Glanze nicht hinein in diese tiefe Nacht.

Sehet da,

ein weites Feld für die erbarmende Nächstenliebe!

Wiederum,

wie viele unserer evangelischen Glaubensgenossen seufzen, zumal

da, wo die Kirche herrscht, welche sich die alleinselig machende

nennt, unter schwerer Bedrängniß; und wenn auch mit Gottes Hülfe die Zeiten vorübergegangen sind, wo sie, gleich dem Men­

schen im Gleichnisse, der unter die Mörder fiel, geradezu dem Raub und Mord ausgesetzt waren, so wird ihnen doch der Genuß

der unentbehrlichsten Bedürfnisse ihres geistlichen Lebens so ver­ kümmert, daß, wenn wir nicht die thätigste Hülfe leisten, sie unserer Kirche verloren zu gehen drohen.

So thut sich denn hier

ein neues und höchst wichtiges Feld für die helfende Samariter­

liebe auf; denn über der Forderung unbeschränkter Nächstenliebe dürfen wir die Mahnung des Apostels (Gal. 6,10) nicht vergessen,

doch zumeist an den Glaubensgenossen Gutes zu thun; nicht um unsere Hülfe Andern

zu entziehen,

Ueberzeugung getragen,

sondern vielmehr von der

daß eben die evangelische Kirche das

Salz der Erde ist, daß sie die Kraft in sich trägt, welche allein im Stande ist, Allen gründlich zu helfen, indem sie durch Aus­

breitung des unverfälschten Gotteswortes und durch Begründung eines lebendigen Glaubens den Grund des Herzens umwandelt, aus welchem das Unkraut der bedenklichsten Uebel in der mensch­

lichen Gesellschaft hervorwächst.

Und dieser Grund ist endlich

auch inmitten der christlichen und evangelischen Gemeinschaft noch

lange nicht so, wie er sehn sollte.

Wir wissen ja nur zu gut,

meine geliebten Freunde, daß selbst um Zeuge zu sehn der wilde­

sten Ausbrüche roher und mörderischer Leidenschaft,

man nicht

zurückzugehen braucht in die vorchristliche Zeit, noch hinaus auf

den wilden Weg zwischen Jerusalem und Jericho, daß dergleichen auch

heute noch vorkommen kann und innerhalb der Mauern

und auf den Straßen einer christlichen Stadt.

Es ist eine For­

derung der christlichen Barmherzigkeit, daß man an solchen tiefen

Schäden der sich christlich nennenden Gesellschaft nicht, wie der Priester und Levit, gleichgültig oder feig vorüber geht, daß man

sie

vielmehr rücksichtslos aufdeckt und mit dem zweischneidigen

Schwerte des göttlichen Wortes auf- und ausschneidet, daß, bei

sich selbst anfangend, jeder das Seinige thue, um das verwilderte

Herz dem Fürsten der Finsterniß zu entreißen, der von Anfang

410

an ein Lügner und Menschenmörder war, und unter das Gesetz

christlicher Zucht und Sitte eö zu beugen.

Ja, meine Freunde,

das Arbeitsfeld der Nächstenliebe ist ein gar weites und mannig­

faltiges; es wirklich zu bebauen, wie er sollte, darf Niemand sich rühmen : möchte nur in Allen ein Ansatz vorhanden seyn zu

dem Grunde,

aus

welchem die hülfreiche Samaritergesinnung

hervorwächst!

II.

Ueber diesen Grund, aus welchem die wahre Liebe hervorgeht, soll die Betrachtung des zweiten Theiles unseres

Gleichnisses uns belehren.

Da stellt uns denn der Herr zunächst

in der Person des Priesters und des Leviten das Bild einer Gesinnung dar,-bei welcher jener Grund nicht zu finden ist : sie

zogen dieselbige Straße hinab, auf welcher der unglückliche Mensch unter die Mörder gefallen war, aber, da sie ihn sahen, giengen sie vorüber.

Es mögen noch Andere desselbigen Weges gezogen

seyn, welche so wenig wie der Priester und der Levit vom Er­ barmen bewegt waren, und welche nicht einmal, wie doch diese wohl, des göttlichen Gebotes sich erinnerten, das die erbarmende

Liebe gegen den Nächsten fordert; solche Menschen nämlich, die von den Geboten Gottes und den Ansprüchen der Brüder gar nichts wissen wollen, die nichts kennen, als ihr eigenes Ich, und auf das Hülfeflehen des Bedrängten keine Antwort haben, als

das harte : „Was geht das uns an, da siehe du zu! jeder zu, wie er sich selbst helfe.

Sehe ein

Ich habe genug arbeiten und

mich plagen müssen, bis ich es zu etwas gebracht; mache ein Anderer es auch so, und wie er's treibt, so wird's gehen!"

Von

solchen Menschen zu reden, hält Jesus gar nicht der Mühe werth;

denn von diesen harten Herzen versteht es sich von selbst, daß sie den Grund nicht bilden, aus welchem die thätige Nächstenliebe

hervorwächst.

Der Priester und Levit aber kannten doch so gut,

wie der Schriftgelehrte, welchem Jesus unser Gleichniß erzählte,

das höchste Gebot

„du sollst Gott,

deinen Herrn lieben von

41t ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von

ganzem Gemüthe und deinen Nächsten als dich selbst," sie trugen

die- Gebot auf ihren Denkzetteln an der Stirne und an dem Arme, aber in die Herzen war es nicht gedrungen und die Hände trieb

es nicht zu thätiger Hülfe an, sondern, obwohl sie den

Hülferuf

deS Hartbedrängten hörten

und ihn sahen in seiner

tiefen Noth, giengen sie vorüber und ließen ihn hülfloS liegen.

Nun, meine Freunde, das waren ja wohl Geistliche nach dem Sinne des Volkes.

Die Stadt Jericho war eine Levitenstadt,

worin zahlreiche Priester und Leviten wohnten, die dann, wenn die Reihe sie traf, nach Jerusalem giengen, um in dem Tempel ihre amtlichen Obliegenheiten zu erfüllen.

Das hatten auch die

Beiden im Gleichnisse gethan, und sie waren nunmehr im Begriffe, wieder nach Hause zurückzukehren; und so ist es ja wohl recht,

daß der Geistliche zur Kirche geht, oder wohin ihn sonst eine bestimmte amtliche Obliegenheit ruft, dort seine Handlung verrichtet und

dann ruhig wieder nach Hause geht, ohne sich um daö zu be­

kümmern, was auf dem Wege, oder sonst geschieht, daß er die Leute in Frieden läßt, damit er in Frieden bleibe.

ES mag dies,

wie gesagt, wohlgethan sehn nach dem Sinne der Menschen, aber

nicht

nach dem Sinne Gottes, der vielmehr seinen Predigern

gebeut (Mich. 3, 8), daß sie Jakob sein Uebertreten und Israel

seine Sünde anzeigen, und ihnen und allen Menschen, daß sie mit liebevollem Eifer das Ihrige thun, um die geistliche und die

meist

daraus

lindern.

hervorgegangene

leibliche Noth der Brüder zu

Was ist der Grund, daß der Priester und Levit im

Gleichnisse und daß so viele, gleich ihnen,

für die Regungen

dieser helfenden Bruderliebe sich unempfänglich zeigen?

ES ist

die selbstsüchtige Trägheit deö in dem eigenen sinnlichen Genügen

und Behagen gegen die Noth der Brüder und gegen die Anfor­ derungen des höheren Lebens stumpf gewordenen Menschen.

Der

Priester und Levit hatten einen Beruf in der Gesellschaft, welcher ihnen ein reichliches Einkommen sicherte, sie thaten waS dieser

Beruf bestimmt von ihnen forderte, aber auch nicht daS Geringste mehr und freuten sich dann im Genusse der Vortheile, welche

412

er ihnen gewährte.

In diesem gleichmäßigen bequemen und be­

haglichen Dahinleben fühlen sie sich unangenehm berührt von der

Erinnerung an die Noth und Bedrängniß Anderer und an die Forderung des noch nicht ganz erstickten höheren Menschen in

ihnen, ihre Bestimmung nicht in selbstsüchtigem Genusse, sondern

im

selbstverläugnenden Wirken zu

suchen, und sie suchen sich

jener störenden Eindrücke sobald als möglich zu entledigen. vielen von uns, Geliebte,

Wie

mag es nicht oft ähnlich ergehen!

Man braucht nicht gerade reich zu sehn, um die ernst mahnende Wahrheit des Wortes Jesu Christi, wie gar schwer eS seh, daß

ein Reicher in das Himinelreich komme, an sich selbst zu erfahren. Eine jede Lage, die uns der eigentlichen Sorge nm die unent­

behrlichsten Bedürfnisse deö Lebens überhebt, die uns gestattet, wie

man

sich

auszudrücken

pflegt,

unser Leben

zu

genießen,

schließt auch die Versuchung in sich, daß wir im Genusse ver­

gänglicher Güter daS frische Wirken versäumen, welches mit dem uns vertrauten geistigen Pfunde wuchert und Schätze im Himmel

sammelt, daß wir unempfindlich werden gegen Wohl und Wehe deS Nächsten, während im Gegentheil diejenigen, die täglich auf'S

Neue erfahren, was es heißt, fein Brod essen im Schweiße deS

Angesichtes, in der Regel auch für die Noch Anderer Herz und Hand am meisten offen haben. — In dieser Beziehung ist eS

denn auch bezeichnend, daß der Herr gerade einen Samariter

wählt, um

an seinem Beispiele das

wahren

helfenden Nächstenliebe

waren

jenes Mischvolk, welches

Wesen und Wirken der

darzustellen.

Die Samariter

nach Zerstörung deS Reiches

Israel durch die Asshrer in dem Gebiete dieses Reiches aus

den dort zurückgebliebenen Israeliten und aus den Heiden ent­ standen

hatte.

war,

Später

welche der König Salmanaffar dahin verpflanzt hatten sie sich auf dem Berge Garizim einen

eigenen Tempel erbaut als Mittelpunkt für ihren in mancher

Beziehung von dem jüdischen abweichenden Gottesdienst.

Den

strengen Juden, die auf Reinheit ihres Blutes und die Aechtheit ihrer Gottesverehrung stolz waren, waren diese Samariter ein Gräuel, und schon der Name Samariter war im Munde eines

Juden ein Schimpfwort.

Aber gerade der Mangel an äußerer

Ehre mag manchen von ihnen auf das innere Leben hkngewiesen haben, worin der wahre Werth des Menschen beruht; gerade

daß sie verachtet und verworfen waren vor den Menschen mag manchen angetrieben haben, um so inniger sich Gott zuzuwenden,

der kein ihn ernstlich suchendes Herz von sich stößt.

So sehen wir

denn jene Samariterin beim Brunnen von Sichar (Joh. 4, 5 ff.), als eine der ersten Jüngerinnen des Herrn mit aufmerksamem,

empfänglichem Sinne den Worten des ewigen Lebens lauschen, die

von seinen Lippen strömen; so hatten später die Apostel auf ihren Bekehrungsreisen gerade in Samarien einer gesegneten Seelen-

erndte sich zu erfreuen, und so zeigt auch hier der Samariter, während

der

Priester

und

Levit

in stolzer Selbstgefälligkeit

vorübergehen, für daö heilige Gebot der Nächstenliebe ein empfäng­

liches Herz.

sein.

Da er den Unglücklichen sahe, da jammerte ihn

Er mochte selbst erfahren haben, wie hart es ist, so von

aller Hülfe verlassen zu seyn; er mochte daran denken, wie bald

bei

der Hinfälligkeit aller

irdischen Güter auch

der scheinbar

Sicherste, auch er selbst in ähnliche Noth gerathen könne, und wie doch kein bleibender Trost zu finden sey, als in der Gnade

des allmächtigen Gottes, und so eilte er, für den Schutz und Segen, welchen der gnädige Gott ihm hatte zu Theil werden

lassen, durch die dem bedrängten Brnder

dankbar zu erweisen.

geleistete Hülfe sich

Sehet da, Geliebte, den Grund,

aus

welchem die wahre Liebe hervorgeht : es ist ein Herz, welches

im Gefühle der Hinfälligkeit aller irdischen Herrlichkeit in der erbarmenden Liebe Gottes seinen Trost und Halt gefunden hat,

und nun als ein Haushalter Gottes die Gnadengaben, die er ihm geschenkt, dankbar gegen Gott und mitfühlend mit den Brü­

dern, gerne anwendet, um die Noth des Nächsten zu lindern.

III.

Und welches ist endlich das Wirken, in welchem die au- solchem Grunde hervorgewachsene wahre Nächstenliebe

414

sich vollendet? Auf diese unsere letzte Frage gibt unser Gleichniß ausführliche Antwort, indem es in seinem Schlüsse daS weitere Verhalten des barmherzigen Samariter- schildert, vor Allem, wie er sich nicht damit begnügte, daß ihn des hartbedrängten Bruders jammerte, sondern zu ihm gieng mtb ihm half. Es muß weit mit einem Menschen gekommen sehn, wenn er für die Noth de- Nächsten gar kein Gefühl mehr hat, wenn er nicht einmal einen Ausdruck des Bedauerns dafür findet. Aber das ist eben der Fehler, daß wir uns nur zu leicht mit unserer müßigen Theilnahme und dem bedauernden Worte be­ gnügen, wohl gar auf unser leicht gerührtes Herz und die leicht fließende Thräne des Mitleid- uns etwas zu Gute thun, dann

aber etwa mit einem pharisäischen : Herr, ich danke dir, daß ich nicht bin, wie diese Unglücklichen! der helfenden That vergessen. Und wenn wir auch helfen, so geschieht eö nicht unter den Um­ ständen und in der Weise, wie dieser Samariter half. Der Ort, an welchem die Räuber und Mörder im Gleichnisse ihre Unthat verübt hatten, war, wie wir bereit- gesehen haben, ein unheimlicher Ort, der dem Helfenden Gefahr drohte. Daran mochten auch der Priester und Levit gedacht haben, und zum Theil auch darum scheu von dannen gegangen sehn. Nicht so der Samariter! Er überlegt nicht : Am Ende kommen die Mörder wieder und thuen an dir, wie sie an diesem gethan haben; ein Jeder ist sich selbst der Nächste, also fort von diesem Orte der Gefahr und des Entsetzens I Nein, er schlägt die wirk­ liche Gefahr de- leidenden Bruders höher an, als die mögliche für ihn, er denkt an nichts, als an das Gebet dessen, der ein Vater ist über Alles, das da Kinder heißt im Himmel und auf Erden : „Du sollst deinen Nächsten lieben, als dich selbst!" und geht ohne Säumen hin und hilft. Und wir? Wir geben wohl manchmal gegen unsere Ueberzeugung, wenn das Nichthelfen einige Gefahr droht, etwa die Gefahr etwas einzubüßen von der Gunst der Menge, von dem zweifelhaften Rufe einer allgemeinen schwachen Gutherzigkeit; aber wenn mit dem Helfen eine Gefahr verbunden sehn kann, nicht eine Gefahr für Lech und Leben,

sondern nur die Gefahr etwas entbehren zu müssen von unseren

gewohnten Bequemlichkeiten und Genüssen, oder vielleicht gar nur

die Gefahr einer üblen Nachrede, die uns etwa zusammenstellt mit dem Häuflein,' welches das Trachten nach dem Reiche Gottes für die wichtigste Angelegenheit des Menschen ansieht, welches

es für eine Christenpflicht hält, die Segnungen des Christenthums

den unglücklichen Brüdern in den fernen Wüsten des Unglaubens

und

der Sünde aufzuschließen,

den evangelischen Brüdern zu

helfen, welchen die unentbehrlichsten Bedürfnisse des kirchlichen Lebens fehlen, oder den verwahrlosten, an ihren Seelen bis auf den Tod erkrankten Gliedern der christlichen Gesellschaft selbst: dann ziehen

wir selbst gegen

helfende Hand zurück.

unsere Hülfe!

Weiter!

unsere bessere Ueberzeugung die Wie oberflächlich ist meist

Wir geben wohl ein Almosen hin, vielleicht nur,

um den uns unbequemen ungestüm Bittenden los zu werden. daß wir um den Bedrängten mit herzlichem Antheil uns

Aber

bekümmern, uns seiner annehmen in seiner besonderen Noth, daß wir, die eigene Unbequemlichkeit

nicht achtend, wie

hier der Samariter thut, selbst hingehen an den Ort des Jam­ mers, um uns mit eigenen Augen von einer Noth zu überzeugen,

von

der wir bei unseren glücklicheren Verhältnissen meist gar

keinen

Begriff haben, daß

Stärkung

und

wir ihn

aufrichten

mit

leiblicher

geistlichem Trost und aus seiner Jammerhöhle

hervorziehen, daran denken wir nicht,

als hätte der Herr uns

nicht geboten, die Hungrigen zu speisen, die Durstigen zu tränken, die Fremdlinge zu beherbergen, die Nackten zu kleiden, die Kran­ ken zu Pflegen, die Gefangenen zu besuchen; als hätte er nicht verheißen, daß er waö einem von diesen gethan werde als ihm

selbst gethan ansehen wolle.

Endlich!

Der Samariter begnügt

sich nicht mit der Hülfe für den Augenblick, sondern da er den

leidenden Bruder verlassen muß, sorgt er für dessen weitere Pflege, kommt wieder, sich zu erkundigen und seiner völligen Herstellung sich zu vergewissern.

liebe.

So vorschauend ist die wahre Nächsten­

Es genügt nicht, daß wir mittels einer augenblicklichen

Unterstützung mit dem Nothleidenden und mit unserem Gewissen

416

uns gleichsam abfinden; sondern wir müssen uns überzeugen, ob unsere Hülfe ihren Zweck erreicht,

oder ob vielleicht auf eine

andere Weise geholfen werden muß, damit der an Leib oder

Seele Kranke und Bedürftige dem Leben völlig wiedergegeben werde.

Ach, meine christlichen Brüder, wie beschämt müssen wir

uns neben den jüdischen Schriftgelehrten stellen, dem der Herr unser Gleichniß erzählte; wie schlecht wird es uns gelingen, uns

selbst zu rechtfertigen, wenn er auf das Beispiel des barmherzigen Samariters hinweisend auch uns zuruft: „So gehet hin, und

thuet desgleichen!" „So gehet hin und thuet desgleichen!" mit dieser

Mahnung unseres Heilandes könnte ich meine Predigt schließen.

Doch seh zum Schlüsse noch einer Deutung gedacht, die seit alter Zeit öfter, z. B. auch von Luther, unserem Gleichnisse ge­

geben worden ist.

Darnach wäre der unglückliche Mensch, von

welchem es erzählt, die gesammte Menschheit; die Räuber und

Mörder, denen er in die Hände fiel, die den Menschen seiner

werthvollsten

Güter

Sünde; der Priester

beraubende

und

Levit

seelenmörderische

Macht

der

das alttestamentliche Gesetz,

welches nicht im Stande war, aus den Banden dieser Macht ihn

zu befreien; der barmherzige Samariter aber, der mit Gefahr

des

eigenen

Lebens den

todtwunden Menschen errettete,

der

göttliche Erlöser selbst; Oel und Wein seine vergebende Gnade und die lebengebende Kraft seines heiligen Geistes; die Herberge, deren Schutz er den Geretteten übergab, die christliche Kirche; die zween Groschen das Wort Gottes und die Sacramente, in welchen, auch nachdem er leiblich von uns geschieden ist, seine

treue und starke Hülfe uns allezeit nahe bleibt.

Jesus Christus

selbst hat diese Deutung seines Gleichnisses gewiß nicht beab­ sichtigt;

aber darin hat sie doch ihre Wahrheit,

daß es ein

größeres, leuchtenderes Vorbild der erbarmenden Bruderliebe in

der That nicht gibt, als das, welches Er uns gelassen, indem er, um uns zu erlösen, sich selbst in den Tod dahingab.

Und

dieses Vorbild enthält zugleich die kräftigste Aufforderung, an unseren leidenden Brüdern zu vergelten, was er an uns gethan

hat.

Der barmherzige Samariter, von welchem das Gleichniß

erzählt, und der jüdische Schriftgelehrte, an welchen es zunächst

gerichtet.war, hatten diese Aufforderung noch nicht.

haben sie, meine christlichen Freunde!

Wir aber

Au unS ergeht also mit

verstärktem Nachdrucke die Mahnung des Herrn : „So gehet

hin und thuet desgleichen!"

«awr,

Predigten

Amen.

27

X.

Die christliche Hoffnung.

Gleichniß von den zehn Jungfrauen.

Matth. 25, 1 — 13.

Predigt am letzten Sonntage des Kirchenjahres, im akademischen Gottesdienste gehalten. Wachet auf! ruft uns die Stimme Der Wächter sehr hoch auf der Zinne : Wach' auf, du Stadt Jerusalem! Mitternacht heißt diese Stunde ! Sie rufen uns mit hellem Munde : Wo seyd ihr klugen Jungfrauen? Wohlauf, der Bräut'gam kömmt; Steht auf, die Lampen nehmt! Hallelujah I Macht euch bereit Zu der Hochzeit : Ihr müsset ihm entgegengehn!

Zioa hört die Wächter singen; Das Herz thut ihr vor Freuden springen : Sie wachet und steht eilend auf. Ihr Freund kommt vom Himmel prächtig, Bon Gnaden stark, von Wahrheit mächtig : Ihr Licht wird hell, ihr Stern geht auf. Run komme, du werthe Kron', Herr Jesu, Gotte- Sohn l Hosianna I Wir folgen all Zum Freudensaal Und halten mit das Abendmahl! — Amen.

Schade, daß diese Worte hier nur gesprochen werden können, daß sie nicht in unserem Gesangbuchs stehen und wir sie mit

einander singen können, das herrliche Lied mit seinem gewaltigen

Texte, der so ganz für den Zeitpunkt verfaßt scheint, bei wel­ chem wir jetzt angekommen sind,

und mit seiner ergreifenden

Weise, die uns gemahnt wie Posaunenschall, der zum Gerichte ladet!

Die heutige Sonntagsfeier, meine geliebten Freunde, ist

die letzte im gegenwärtigen Kirchenjahre.

Wir sind in dessen

Verlaufe zuerst auf'S Neue hingewiesen worden auf die Gnade des Vaters, der uns seinen eingeborenen Sohn gesandt, auf die

Liebe des Sohnes, der zu unserem Heile sich selbst dahingegeben hat, und auf die Kraft des heiligen Geistes, durch welche in uns

der Heiland geboren werden, der alte Mensch der Sünde sterben, und der neue Mensch auferweckt werden soll, der nach Gott ge­ schaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit;

wir

sind dann ermahnt worden, das dargebotene Heil im Glauben zu

ergreifen

und

diesen Glauben als

Werke der Liebe zu bethätigen.

einen lebendigen durch

Diese Früchte der Gerechtigkeit

aber sind nicht blos für diese Zeit, sie sind Früchte für'ö ewige

Leben : wie sie hervorgewachsen sind aus dem Samen des gött­ lichen Wortes, so werden sie selbst wieder ein Samen, und wie wir diesen Samen säen in der Zeit, so werden wir ärndten in

der Ewigkeit, nachdem auch wir in die Erde gelegt sind als eine Saat von Gott gesä't, dem Tage der Garben zu reifen.

27*

Das

420

seinem Ende zueilende kirchliche Jahr erinnert unS an da- Ende unserer eigenen irdischen Laufbahn, an da- jenseitige Ende deS diesseitigen Anfang-, auch an die Vollendung de- GotteSreichS in der Zukunft, dessen Anfang und Fortsetzung in Vergangenheit und Gegenwart vor unseren Augen liegen, und sehr natürlich drängt sich die Frage un- auf : Wie nun weiter? WaS wird mit uns geschehen, wenn wir nun — ach, wie bald! — diese unsere Hülle ablegen müssen und sie dem Staub anheimfällt, au- dem sie gebildet ist? Wie wird der Herr da- Werk der Erlösung, da- er längst begonnen und im Kampfe mit Welt und Sünde fortgeführt hat, endlich vollenden? — Auch hier, meine lieben Freunde, kommt dem Bedürfnisse unsere- Herzenuud dem Ansprüche de- kirchlichen Jahresschlusses der liebreiche Heiland fteundlich entgegen ; zu Glauben und Liebe gesellt sich

die christliche Hoffnung, um jene Fragen uns zu beantworten, soweit eS eben möglich ist, bevor der hoffende Glauben in seliges Schauen sich verwandelt hat. Unter den Gleichnissen des Herrn belehren uns über das Wesen der christlichen Hoffnung gerade diejenigen, welche er sprach, da auch das gnädige Jahr des Herrn (Jes. 61, 1 f., Luc. 4, 19) seinem Ende sich zuneigte, da er sich anschickte, aus dem Erdenleben zu scheiden, und nun die Seinen, denen er leiblich nicht mehr nahe sehn konnte, doch nicht ohne geistlichen Trost lassen wollte. Besonders gehört hierher das Gleichniß von den zehn Jungfrauen. Schon das alte kirchliche Herkommen hat dieses Gleichniß dem letzten Sonntage im Kirchenjahre als Text zugewiesen; es möge auch unserer heutigen Betrachtung zur Grundlage dienen. Es steht im 25. Capitel des Evangeliums des Matthäus und lautet daselbst vom 1.—15. VerS also : 1. Daun wird da- Himmelreich gleich seyn zehn Joogfrauen, die ihre Lampe« «ahme«, und gienge« aus, dem Bräutigam entgegen. 2. Aber fünf mtter ihnen waren thöricht, «ud fünf »»re« klag. 3. Die thörichten nahmen ihre Lampeu, aber sie uahme« nicht Oel mit sich. 4. Die klugen aber

«ahme« Del in ihren Gefäßen, sammt ihren Lampen. 5. Da nnn der Bräntigam verzog, wurden fle alle schläfn'g, nnd entschliefen. 6. Zur Mitternacht aber ward ein Geschrei : Siehe, der Bräntigam kommt; gehet an«, ihm entgegen! 7. Da standen diese Jnngfrane» alle ans, nnd schmückten ihre Lampen. 8. Die thörichten aber sprachen zu den klugen: Gebt ua« von eurem Del, denn unsere Lampen verlöschen. 9. Da antworteten die klugen, und sprachen; Nicht also; auf daß nicht uns and euch gebreche. Gehet aber hin zu de« Krämern, und kauft für euch selbst. 10. Und da sie Hingiengen zu kaufen, kam der Bräutigam; und welche bereit waren, giengen mit ihm hinein zur Hoch­ zeit; und die Thür ward verschlossen. 11. Zuletzt kamen auch die andern Jungfrauen, und sprachen: Herr, Herr, thue und auf! 12. Er antwortete aber, und sprach : Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht. 13. Darum wachet; denn ihr wisset weder Tag noch Stunde, in wel­ cher de« Menschen Sohu kommen wird. Nach Anleitung diese« Texte« also sollen wir da« Wesen der christlichen Hoffnung kennen lernen, und zwar zuerst, wa« ihr Inhalt ist, dann, worauf sie sich gründen muß, wenn sie nicht zu Schanden werden soll, und endlich, wie sie sich erfüllen wird.

I. Der Inhalt der Hoffnung! Da« ist ein sehr um­ fassender Gegenstand, meine lieben Freunde; denn auf wa- ist nicht Alle« da« nimmermüde menschliche Hoffen und Harren ge­ richtet ! Ist doch die Unzahl der Hoffnung«träume der Men­ schen fast zum Sprüchworte geworden! Zunächst, und leider müssen wir hinzusetzen auch vorzugsweise, beziehen sie sich auf die vergänglichen Güter dieser Erde. Der mit ihnen reich Ge-

422 segnete hofft, daß sein Gut sich immer noch mehren werde, und

wagt

in

dieser Hoffnung nicht selten ein gefährliches,

feinen

Glücksstand zerstörendes Spiel; der Besonnenere hofft wenigstens,

daß er das von den Bätern Ererbte, oder durch Fleiß und Umsicht Erworbene, durch seine Thätigkeit vermehrt, seinen Kindern was die Väter im Schweiße

hinterlaffen werde, damit diese

ihres Angesichts gesäet und gebaut, einst in Ruhe und Behagen erndten mögen.

Aber auch dem,

welcher von irdischen Gütern

verlassen und dagegen von irdischer Noth bedrängt ist, steht die

Hoffnung zur Seite, in vielen Fällen — Gottlob! — als Muth zusprechende Trösterin, in andern aber auch als gefährliche Ver­ führerin, vor welcher nicht ernsthaft genug gewarnt werden kann.

Da hofft der Mensch, daß in dieser in ewigem Wechsel kreisen­

den Welt doch endlich einmal

auch die Stunde kommen müsse,

die #in sein Leben und Schicksal den glücklichen Wechsel bringt. Vielleicht hat er sich lange vergeblich bemüht,

die Erfüllung

dieser Hoffnung durch eigene Kraft herbeizuführen, und endlich überdrüssig die Arme sinken lassen; denn da er zu Gott zu beten

verlernt, oder nie gelernt hat, so verlernt er auch mit Gott zu arbeiten.

Aber zu Gott zu hoffen, das gibt er nicht auf.

Er

hofft, daß ohne sein Zuthun durch ein Wunder daS Glück plötz­

lich glänzenden Einzug halten werde in

rütterten Hausstand;

seinen düsteren,

zer-

er rafft vielleicht die Reste seiner Habe

zusammen, um sie auf einen letzten verzweifelten Wurf zu wagen, und hofft dann, wie er meint, zu Gott, daß dieser die That

frevelhaften Leichtsinnes segnen werde, man an Orten,

wie die,

ohne zu bedenken, daß

welche der Mund des Volkes mit

Recht als Höllen bezeichnet, worin ein ftevelhafteS Spiel ge­

trieben wird,

Gottes Hülfe nicht suchen dürfe, der nur dem

treuen, unverdrossenen Arbeiter seinen Lohn verheißt; und so wirft er, von seiner trügerischen Hoffnung geblendet, das weg, was, wohlangewandt, die Grundlage eines wirklich besseren Zu­ standes für ihn werden könnte.

nung auf das Leben selbst.

Oder es richtet sich die Hoff­

Wir wissen, daß es siebenzig Jahre

und, wenn'S hoch kommt, achtzig währt, eine gar unscheinbare,

bald

völlig verschlungene Welle in dem ungeheuren Zeitstrom,

wir wissen, daß jenes Ziel nur die allerwenigsten erreichen, und doch : mit

jedem neuen Lebensjahre rückt uns die täuschende

Hoffnung das Ziel des Lebens weiter hinaus, und wenn uns

einmal eine hellsame Furcht anwandelt, mit der Mahnung, doch unser Ende zu bedenken, so wird sie von der Verführerin bald

wieder weggeschmeichelt, bis endlich der finstere Bote kommt mit der Ankündigung : „Diese Nacht wird man deine Seele von dir

fordern!" und dann die Hoffnung in angstvolles Zagen und in

Verzweiflung übergeht. Christen

Wir hoffen zu Gott, daß dieses unter

doch nur in den wenigsten Fällen geschieht; in den

meisten steht die Hoffnung auch noch an dem Sterbebett und an dem Grabe, die Hoffnung, daß eben mit diesem Leben nicht

Alles aus seh; aber auch diese an sich so wohl berechtigte Hoff­ nung ergeht sich leicht in wesenlosen Träumen von einem jenseittgen Leben, das nur in ähnlicher Weise das Erdenleben fort­

setze, und die rege Einbildungskraft fliegt von Stern zu Stern, um die künftige Wohnung aufzusuchen; und um darin in Herr­

lichkeit fortzuleben, scheint nichts nöthig zu sein, als daß der Mensch eben auf Erden nur sterbe.

Doch genug von dem man­

nigfaltigen Hoffen und Träumen der Menschen! erschöpfend darzustellen, ist nicht möglich,

Seinen Inhalt

und eS ist auch hier

gar nicht unsere Aufgabe; denn nicht von dem Inhalte der Hoff­ nung überhaupt,

sondern nur von dem Inhalte der christ­

lichen Hoffnung haben wir zu reden.

Was aber der Inhalt

der christlichen Hoffnung seh, ist einfach zu sagen : es ist in den Grundzügen unseres Gleichnisses ausgedrückt.

DaS Verhältniß

innigster persönlicher Gemeinschaft, welches in der Ehe sich dar­ stellt,

es ist von Jesus gewürdigt worden,

als ein Bild der

innigsten Gemeinschaft zwischen ihm und den Seinen zu dienen, und

durch die Mahnung

deö Apostels (Eph. 5, 25) : „ Ihr

Männer, liebet euere Weiber, gleichwie Christus auch geliebet hat die Gemeine" wird

der natürliche Ehestand im Christen-

thume zum heiligen Ehestand verllärt.

Auch in unserem Gleich­

nisse bedeutet der Bräutigam unseren Herrn nnd Heiland selbst,

424 die Braut feine Gemeine,

um die er geworben hat mit hinge-

bender, unendlicher Liebe, die er sich erkauft hat mit seinem Blut und die sich ihm in lebendigem Glauben anverlobt;

und die

zehn Jungfrauen stellen die einzelnen Glieder dieser Gemeine dar.

Die christliche Hoffnung aber hofft eben diese-, daß dieser Bund mit Christo einst zur innigsten Gemeinschaft de» Heilande- mit dem einzelnen Gläubigen sowohl, wie mit der Gemeinde führen

werde.

Zunächst

also

einzelnen

mit dem

Gläubigen.

Schon in diesem Leben genießt er den Segen dieser Hoffnung. Durch den Sohn weiß er sich auch mit dem himmlischen Bater verbunden zu einem Bunde väterlicher Liebe und kindlicher De­

muth ; und ob ihn der Bater auch dunlle und beschwerliche Wege führt : er befiehlt dem Herrn seine Wege und hofft auf ihn,

daß er e- wohl machen werde.

Und selbst der Tod kann ihn

von der Liebe Gotte- nicht scheiden;

sondern er hofft,

so unser

irdische- Hau- dieser Hütte zerbrochen wird, daß wir einen Bau

haben von Gott erbauet, ein Hau-, nicht mit Händen gemacht, da- ewig ist, im Himmel (2 Cor. 5, 1—2).

Da» Wort, das

der sterbende Heiland zu dem Schächer am Kreuze sprach (Luc. „Heute wirst du mit mir im Paradiese sehn!"

23, 43) :

er

weiß, daß e- auch für ihn gesprochen ist, ebenso wie da- Gebet

de- von der Erde scheidenden himmlischen Hohenpriester- (Ioh. 17, 24) : „Vater ich will, daß wo ich bin, auch die bei mir

sehen, die du mir gegeben hast!"

In welche unter den vielen

Wohnungen in seine- Vater- Hause wir einst eingehen werden, wie überhaupt im Einzelnen unsere Gemeinschaft mit dem Herrn sich vollenden werde, darüber lassen wir uns nicht in müßige

Grübeleien ein, sondern vertrauen auf die Verheißung de- Herrn,

daß diese Vollendung kommen werde, und zwar, wie für den Einzelnen,

so auch für die Gemeinde.

Denn auch darauf

harret die christliche Hoffnung, daß der himmlische Bräutigam zu seiner Braut, der Gemeinde, sich einst herabneigen werde,

nm sie au- ihrem Knechtsstande emporzuziehen zu seiner Herr­

lichkeit ;

daß seine Kirche, die jetzt eine gedrückte und kämpfende

ist, einst in die siegende sich verwandeln werde.

Daß wir davon

jetzt noch gar weit entfernt zu setzn scheinen, das irret uns nicht;

sind wir doch durch Christus selbst darauf vorbereitet, daß der

Erfüllung seiner Verheißung schwere Kämpfe vorangehen müssen. Aber daß dieser Kampf ohne Entscheidung in'S Unendliche fort­

dauere, das ist ja undenkbar, und der eingeborene Sohn Gotte­ würde sich in ihn nicht eingelaffen haben, wenn er nicht deS end-

lichen Sieges gewiß wäre.

Wann dieser Sieg eintritt,

unter welchen besonderen Umständen,

und

das wissen wir nicht,

aber eben darum halten wir fest am Bekenntniß der Hoffnung,

daß er eintreten werde; denn er ist treu, der sie verheißen hat (Hebr. 10,23)! Sie wird kommen die Zeit, da der SiegeSruf er­

schallt : „ES hat überwunden der Löwe vom Stamme Juda (Offenb. 4, 5)!"

da

er alle seine Feinde zu Boden legt, und

seine treue Gemeine die Sieges- und Friedenspalmen schwinget I — Wie sieht doch, von dieser Höhe der christlichen Hoffnung be­

trachtet, da- Leben und Treiben der Erde so klein und nichtig sich an!

Doch sollen wir es darum nicht verachten, meine ge­

liebten Freunde.

Die christliche Hoffnung

ist

ja

nicht

jene

weiche, schwächliche Sehnsucht, die dem Kampf deö Lebens nur

entrinnen möchte, sondern sie ist eine Kraft Gottes, die zu dem

lebendigsten Wirken begeistert;

wie der Apostel Paulus sagt im

Briefe an die Philipper, in diesem wundervollen, aus schwerer

Gefangenschaft geschriebenen Briefe, der recht eigentlich die Epi­ stel der Hoffnung ist und als solche für diese Zeit zu andächtiger

Bettachtung euch angelegentlichst empfohlen sey : „Ich habe Lust abzuscheiden

und bei Christo zu setzn,

welches auch viel besser

wäre; aber es ist nöthiger im Fleisch bleiben um euretwillen"

(Phil. 1, 23 f.).

Erst wenn so das Herz in der Hoffnung auf

die Ewigkeit seine Ruhe gefunden hat, dann kommt auch in das

irdische Treiben und Hoffen der rechte Halt, die rechte Ruhe, das rechte Maaß.

Das tolle Rennen und Jagen nach den Gü­

tern und Genüssen der Erde hört auf, man stehet getrost auf der Hoffnung deö Psalmisten (Ps. 37, 35) : „Ich bin jung ge­ wesen und alt worden und habe noch nie gesehen den Gerechten

verlaffen, oder seinen Samen nach Brod gehen, und man freuet

«6 sich, Gotte- Segen zu verwenden al- Gotte- Hau-Halter.

da- Leben ist der Güter höchste- nicht mehr,

letzte Zweck de- Daseyn-,

Auch

es ist nicht der

sondern nur ein Mittel nach dem

Willen Gotte- zu wirken, damit man da- ewige Leben ge­ Sehet Geliebte, wenn so da- Auge der Seele unverwandt

winne.

hingerichtet ist auf die herrliche Erfüllung der christlichen Hoff­ nung, dann strahlt auf unser ganze-Wesen und Leben ihr himm­ lischer Glanz verllärend zurück, also, daß wir, wiederum mit dem Apostel im Briefe an die Philipper (3, 20), inmitten dieseErdenleben- schon sprechen können: „Unser Wandel ist im Him­

mel !"

So viel über den Inhalt der christlichen Hoffnung!

II. Indem wir

un- nun zu unserer zweiten Frage wenden,

zur Frage nach dem Grunde, auf welchem die christliche

Hoffnung ruhen muß,

wenn sie nicht zu Schanden

werden soll, so ergibt sich zunächst die einfache Antwort, daß die christliche Hoffnung eben auf dem christlichen Glauben ruht. Auch die Verheißung der Theilnahme an der künftigen Herrlich­

keit des Herrn, welche unser Gleichniß einschließt, ergeht nur an

seine Braut, da- heißt an seine Gemeine, und an die, welche Sollen wir darum

durch gemeinsamen Glauben dieser angehören.

sagen, daß alle außerhalb des Christenthums Stehenden unbe­ dingt dem Verderben verfallen sind, auch wenn sie vor dem Er­

scheinen des Evangeliums

gestorben sind,

oder die christliche

Wahrheit ihnen niemals verkündet worden ist? Geliebte!

Das seh ferne,

Das von dem Bewußtseyn der unverdienten Gnade,

welche Gott an ihm selbst bewiesen hat,

bebt zurück vor einem so harten Spruch.

erfüllte Christenherz

Vielmehr — und ob

sie selbst in ihren vom Lichte de- Evangeliums nie erleuchteten

Seelen keine Hoffnung hätten — hoffen wir doch zu Gott, daß

seine erlösende Gnade auch zu ihnen ihren Weg finden werde, wenn wir auch bet unserem kurzsichtigen, in die Geheimniffe de-

Jenseit- nicht eindringenden Blick über die Art und Weise, wie

die- geschehen diese ob

mag, nicht- zu sagen wissen.

Hoffnung

uns selbst

für

für unS, die reichen

nicht

eine falsche

Christ

Nur

Beruhigung

darf uuS

werden,

als

oder Nichtchrist gleichgültig wäre,

wir die christliche Wahrheit kennen und von den

Früchten

ihre-

Wirkens

bereits

umgeben sind : wir

haben an der künftigen Herrlichkeit deS Herrn nur dann Theil,

wenn wir in diesem irdischen Leben in Gemeinschaft mit ihm

eingetreten sind.

Daran laßt unS festhalten, Geliebte, und statt

über das mögliche Schicksal derer,

die Christum nicht kennen,

hart abzusprechen, oder müßig zu grübeln, lieber darnach trachten,

daß wir, die wir Christum kennen, dasjenige thun, wovon wir ganz bestimmt wissen, immer

inniger

an

daß eS zum Heile führt, nämlich un­

ihn

anzuschließen.

äußere Theilnahme an seiner Gemeinde,

Denn nicht die bloße

nicht der bloße Chri­

stennamen verbürgt uns die Erfüllung unserer Hoffnung; sondern

ein thätiges Christenthum wird erfordert, und da laßt unö wohl zusehen, meine lieben Freunde, daß wir am Ende nicht selbst von

den fünf thörichten Jungfrauen beschämt werden!

Denn auch

die thörichten Jungfrauen giengen wenigstens dem Bräutigam

entgegen, nahmen ihre Lampen und schmückten sie ihm, und daß wir ihm so entgegengehn, das ist das Geringste, was der Herr

von uns verlangen kann.

Der treue Gott reicht in seinem ein­

geborenen Sohn den dem Verderben Hingegebenen

gnädig die

Hand zur Rettung dar, wir aber sollen die dargebotene Hand

ergreifen.

Er ist uns allezeit nahe mit seiner starken Hülfe, wir

aber sollen seine Hülfe suchen im Gebet.

Er offenbart sich unS

in seinem heiligen Worte, wir aber sollen durch fleißiges For­ schen in der Schrift in den Sinn dieses ewigm Wortes einzu­

dringen suchen.

Er spricht zu uns in der sonntäglichen Feier

und Predigt, wir aber sollen gerne aufsuchen und lieb haben die Stätte seines Hauses und den Ort, wo seine Ehre wohnt. Der

Heiland gibt sich selbst uns zur Seelenspeise hin in seinem hei­

ligen Mahle, wir aber sollen die Einladung zu seinem Tische nicht überhören, oder ausschlagen.

An sich freilich ist das Alles

438

nur ein äußere- Werk;

aber es ist ein von einer guten christ»

lichen Leben-ordnung gebotene- Werk,

da- auf den Geist eine

heilsame Zucht an-übt und ihn vorbereitet für den Einzug deHerrn : er wird nicht unterlassen, dem,

welcher ihm entgegen­

geht und ihn ernstlich sucht, sich zu offenbaren in der Kraft seine­ heiligen Geiste-, die dem äußeren Werk erst da- innere Leben

gibt.

Denn da- ist freilich die Hauptsache, Geliebte!

ES ist

nicht damit gethan, daß wir dem Herrn entgegengehen mit unse­

ren Lampen, mit den kalten, todten Leistungen eine- äußerlichen Gottesdienste-, sondern Oel muß auf unseren Lampen sehn, wenn wir theilnehmen wollen an dem Hochzeit-mahle deö himmlischen

Bräutigam-.

Vorbild.

Dafür

find

die fünf klugen Jungfrauen unser

„Die thörichten, so sagt unser Text,

Lampen, aber sie nahmen nicht Oel mit sich.

nahmen ihre

Die klugen aber

nahmen Oel in ihren Gefäßen sammt ihren Lampen", und Luther bemerkt dazu in seiner Auslegung: „Durch die Lampen ohne

Oel wird uns bedeutet ein auswendig Ding und eine leibliche Uebung ohne Glauben im Herzen, aber die Lampen mit dem Oel sind die inwendigen Reichthümer, auch die äußerlichen Werke,

mit dem wahren Glauben."

Der wahre Glaube also, da- ist

da- heilige Oel auf den Lampen,

ohne welche- die rechte Zu­

rüstung, um dem Tag de- Herrn zu begegnen, uns fehlt; und

ohne welches unsere Hoffnung,

Zukunft de- Herrn,

theilzunehmen an der herrlichen

zu Schanden werden muß.

Wie gewinnt

man da- unschätzbare Gut dieses wahren Glaubens?

Die thö­

richten Jungfrauen im Gleichniffe wenden sich an die llugen und sprechen :

verlöschen."

„Gebet uns von euerem Oel; denn unsere Lampen Sie bitten natürlich vergeblich, denn sie sind in dem

in einem großen Theile der Christenheit noch immer verbreiteten Irrthum befangen,

überflüssige

Verdienst

als ob in Sachen de- Heiles durch das

anderer Menschen

aufgeholfen werden könne.

der

eigenen

Armuth

Aber unser einziger Mittler ist Chri­

stus, ihm gegenüber steht kein anderer für uns ein, sondern jeder

hat sich selbst zu verantworten an dem Tage,

der klar machen

wird, welcherlei eine- jeden Werk seh (l Cor. 3, 12).

Auch

bei den Krämern richten die thörichten Jungfrauen nichts auS, und so wird auch wer auf jene Krämer sich

verläßt, die einen

Ablaß der Sündenstrafe aus Vollmacht desjenigen verkaufen zu

können wähnen, der sich den Stellvertreter Christi nennen läßt und von Petrus die Macht zu binden und zu lösen ererbt zu

haben behauptet, sich bitter täuschen, und einst vor der verschlos­

senen Thüre des Himmelreichs

mit Schrecken gewahr werden,

daß der Ablaßzettel dort nicht als Eintrittskarte gilt; denn der Herr läßt sich nicht mit Geld abfinden,

oder mit irgend einer

äußeren Leistung, sondern dein Herz will er haben, das ist da­

einzige Opfer, welche- vor ihm gilt.

Ueberhaupt aber taugt eine

Reue, wie die der thörichten Jungfrauen, zu der erst dann, wenn der Ruf erschallt, daß der Richter nahe, daS bebende Herz sich

entschließt, in der Regel nicht viel; sondern dem Beispiele der klugen Jungfrauen muß man folgen, bei Zeiten den Blick in die Zukunft wenden, aus der Zeit in die Ewigkeit, mit einem von

dem Vergänglichen unbefriedigten Herzen die Schätze suchen, die Rost und Motten nicht verzehren,

dann schaffet und erwecket

Gott im Herzen den wahren Glauben, der auch zugleich der feste

Grund ist, auf welchem die wahre christliche Hoffnung ruht.

Denn

durch diesen Glauben treten wir in die lebendigste und festeste geistige Gemeinschaft mit dem Herrn bereit- ein, und da- Be­ wußtseyn dieser Gemeinschaft ist unmittelbar auch von der festen

Zuversicht begleitet,

Werk,

daß der in unö angefangen hat da- gute

eS auch vollführen werde bis an den Tag Jesu Christi :

die christliche Hoffnung ist kein halt- und wesenloser Traum; sie

ist eben nur die gute Zuversicht, daß waö der Glaube bereitim Keime ergriffen hat, einst zu voller, herrlicher Entfaltung kommen werde.

III. Wie wird diese Hoffnung sich erfüllen?—Ueber

diese unsere letzte Frage hat Jesu- Christus sich weittäufiger

verbreitet in dem Capitel, welches unserem Gleichnisse voraugeht.

Er sagt dort, daß der Tag des Herrn plötzlich kommen werde, wie ein Dieb in der Nacht (Matth. 24, 43. 1. Thess. 5, 2. 4)

und daß gleichwie der Blitz auSgehet vom Aufgang und scheinet bis zum Niedergang, also auch seyn werde die Zukunft des

Menschensohnes (Matth. 24, 27).

Er sagt uns, daß von dem

Tage und von der Stunde Niemand wisse, auch die Engel im Himmel nicht, sondern nur sein Vater (Matth. 24, 36); daß er kommen werde an dem Tage, deß wir uns nicht versehen, und zu

der Stunde, die wir nicht meinen (Matth. 24, 60).

Und in

diesem Sinne schließt er auch unser Gleichniß mit der Mah­

wachet!

nung : „Darum

denn ihr

wisset

weder

Tag noch

Stunde, in welcher des Menschen Sohn kommen wird."

Ja,

Geliebte, wir wissen Tag und Stunde nicht, da der Herr jeden Einzelnen von uns aus diesem Leben abrufen wird, damit er vor seinem Richterstuhl offenbar werde; noch weiß die Gemeine

Tag und Stunde der großen Zukunft des Herrn, da des Men­

schen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle heiligen

Engel mit ihm,

lichkeit

und

da er sitzen wird auf dem Stuhle seiner Herr­

alle Völker um ihu versammelt werden

werden

Wir können uns dies nicht oft und nicht

(Matth. 25, 31. 32).

ernsthaft genug vorhalten, damit wir jederzeit bereit seyen, ihm entgegenzugehn, damit unsre Lampen geschmückt seyen und das

heilige Oel zur Hand, und hell ihm entgegen leuchte und brenne die Flamme des Glaubens, der Liebe, der Hoffnung; damit, wenn

sein Ruf erschallt, unser HauS wohlbestellt sey, unser HauS und unser Herz!

Oftmals schon

Leben der Einzelnen

ist

im Leben der Kirche und auch im

die Erwartung,

daß

das Ende jetzt

kommen werde und die Zukunft des Herrn nahe sey, eine heil­

same Mahnung zur Buße geworden; aber da der Herr verzog, so ergieng eS eben,

wie in unserem Gleichnisse : „Da nun der

Bräutigam verzog, wurden sie alle schläftig und entschliefen;" wohlgemerkt,

entschliefen,

meine Freunde :

auch

lebendigste Glauben

die

des

sie

alle wurden schläfrig und

klugen Iungftauen.

Denn

auch

der

treuesten Jüngers des Herrn über-

windet ja in diesem Leben nicht völlig die Trägheit de- Flei­ sches,

auch

er

bleibt stets

der Versuchung

au-gesetzt,

daß

der willige Geist dem schwachen Fleische nachgibt und daß er schläft, wo er wachen sollte.

Aber wie nach dem Gleichnisse ein Ge­

schrei laut wurde, um die Ankunft des Bräutigams zu verkün­ den, so läßt eS der treue Gott niemals an vernehmlichen Weck­

rufen fehlen.

Diese Weckrufe ergehen an uns, wenn wir einen

Menschen, der uns als ein Bild der Kraft und Gesundheit galt, dem menschliches Ermessen die längste Lebensdauer verhieß, plötz­

lich auf das Todbett niedergestreckt sehen; sie mahnen lauter, wenn ein plötzliches furchtbares allgemeineres Unglück mit Donnerstimme

uns predigt, daß alles Fleisch Heu ist und alle seine Güte wie eine Blume auf dem Felde (Jes. 40, 6), und daß die Hoffnung,

die man auf das Fleisch setzet, vergänglicher ist, als der Mor­ genthau, oder der Frühreif im Herbste.

Ist doch in diesen letz­

ten Tagen erst der Donner eines solchen Weckrufes über eine

uns nahe verwandte Stadt mit so furchtbarer Gewalt hereinge­ brochen, daß er auch hier uns alle auf das Tiefste erschüttert

hat, über eine Stadt, die

als eine «Stätte des Wohlstände-

und heiteren Lebensgenusses seit alter Zeit sprüchwörtlich war.

Wie manche von unseren verunglückten Brüdern und Schwestern mögen unvorbereitet so plötzlich vor den Thron Gotteö sich ver­ setzt gesehen haben, weil sie an nichts weniger dachten, als daß

sie im nächsten Augenblick schon vor seinem Richterstuhle sollten offenbar werden.

Sey der barmherzige Gott ihren Seelen gnä­

dig; aber auch unseren Seelen, meine geliebten Freunde! das erschütternde Ereigniß

Möge

uns nicht blos eine Mahnung wer­

den, mit barmherziger Samariterliebe den Bedrängten nach besten Kräften beizuspringen, wozu jetzt eben auch in unserer

Stadt

Veranstaltungen getroffen werden, die der Vater aller Güte reich­ lich segnen möge; sondern auch eine Mahnung zu der Barm­

herzigkeit gegen uns selbst, daß wir wirken, so lange e- Tag ist, um unsere eigene Seele von dem ewigen Verderben zu erretten!

Denn eS ist nicht- mit jener schwächlichen Hoffnung, mit jenem —

laßt mich den Au-druck brauchen — sentimentalen Unsterblichkeit--

482 glauben, der da wähnt, der Mensch brauche nur zu sterben, um

zu der ewigen Herrlichkeit einzugehn, sondern so erfüllt sich die christliche Hoffnung, wie unser Gleichniß lehrt : Welche bereit

waren giengen mit dem Bräutigam hinein zur Hochzeit; und die

Thür ward verschloffen.

Die anderen aber pochen vergeblich an

der verschloffenen Pforte und sprechen : „Herr, Herr, thue unS

Er antwortet ihnen : „Wahrlich, ich sage euch : Ich

auf!"

kenne euch nicht!"

ES gilt ja schon einer gerechten menschlichen

Regierung als unverbrüchliches Gesetz, daß auf einen höheren

Posten keiner befördert werde, der nicht auf dem niederen seine Schuldigkeit treulich gethan; wie viel mehr bei unserm Gott, bei

dem kein Unrecht ist, noch Ansehen der Person (2 Chr. 19, .7), sondern der jeglichem nach seinen Werken gibt (Röm. 2, 6).

Unser irdischer Beruf ist der niedrige Posten, auf welchem wir treu erfunden werden müssen, wenn die Herrlichkeit des Himmels

uns zu Theil werden soll.

Laßt uns also das vorgesetzte Ziel,

welches uns vorhält die himmlische Berufung Gotte- in Christo

Jesu, unverrückt im Auge behalten; und der Gott der Hoffnung

helfe unS mit der Kraft seines heiligen Geiste-, daß wir allezeit wach sind und gerüstet, seinem Rufe zu folgen, und daß, wenn der himmlische Bräutigam kommt, da- Oel auf unseren Lampen

nicht fehle, und wir eingehen mit ihm zu unsere- Herrn Freude! Amen.

Schlußgebet (nach dem Kirchenbuch für die evangelische Kirche in Württemberg, E. 176 ff.).

Barmherziger Gott, ewiger Vater, der du uns abermals ein Kirchenjahr vollenden lässest, wir danken dir für diese- Jahr

der Gnade, in welchem du uns mit großer Geduld und viel Ver­ schonen getragen, und durch Güte und Ernst zur Buße gerufen

hast.

Wie viel Mittel hast du uns durch deinen Sohn, Jesum

Christum, geschenkt, zu wachsen in deiner Gnade und Erkenntniß, wie reichlich daö Vermögen unS dargereicht, im Glauben fester,

deinem Bilde ähnlicher, und zu einem seligen Heimgang bereiter

zu werden.

Für alle diese Barmherzigkeit und Treue seh deinem

heiligen Namen Lob und Ehre und Preis von uns allen dar­

gebracht. Aber ach!

wie viele Stunden, besonders der heiligen Tage

dieses Jahres, werden gegen uns zeugen, und uns verklagen, daß

wir den Reichthum deiner Güte,

Geduld

und Langmüthigkeit

verachtet, und wohl dem Ende unserer irdischen Laufbahn, aber

nicht dem Ziele unserer himmlischen Berufung näher gekommen

sind.

Dein Auge, o Gott, hat unsere Herzen und Wege gesehen,

und du weißt, was aus manchem unter uns geworden wäre, wenn der Tod ihn übereilt hätte. O gedenke nicht der Sünden dieses Jahres

und unsrer

Uebertretungen, gedenke aber unser nach deiner Barmherzigkeit um Jesu Christi willen.

Habe noch Geduld mit den unfrucht­

baren Bäumen, auf denen du bisher vergeblich Frucht gesucht

hast, und gib ihnen Frist, bringen, die dir gefällt.

ob sie nicht endlich wollen Frucht

Höre nicht auf, barmherziger Vater,

alle Herzen zu suchen; erwecke hu selbst die Sicheren unter unS;

befestige die Wankenden, Frieden.

und

gib den Angefochtenen deinen

Laß das Gute nicht verloren gehen, das die Kraft

deines Wortes und die Zucht deines Geistes bisher an uns ge­ wirkt hat.

Die in diesem Jahre den Bund der heiligen Taufe

mit dir geschlossen oder erneuert haben, bewahre sie alle, tn deiner Liebe, zum ewigen Leben.

Stärke und erhalte in der Gemein­

schaft deines Sohnes, die sein heiliges Abendmahl empfangen haben, und laß die selige Frucht desselben an keinem verloren sehn.

Erneuere deinen Segen über allen Ehegatten, die deine

Hand zusammengefügt hat.

Heile gnädig alle Wunden, die du

im Laufe dieses Jahres geschlagen hast. Tröster der Wittwen und Waisen,

Seh ein Vater und

und erhalte uns durch die

Kraft des Glaubens und der Hoffnung in der Gemeinschaft des

Geistes mit unsern selig Vollendeten.

bleibe bei uns, o Vater, und erhöre freundlich die Gebete deines Volkes.

Laß ferner deine Gnade und Wahrheit walten

über deine Kirche, V a u r. Predigten.

über unserm Vaterland, und über deinem 28

434 Knecht, unserm Großherzoge, sammt seinem ganzen Hause. un« alle» neue Kraft zum Fleiß in der Heiligung,

Gib

daß Mr

wachsen in allen Stücken an dem, der da« Haupt ist, Christus, und ernstlicher, als bisher, trachten nach deinem Reiche und nach

seiner Gerechtigkeit. bedenken,

Kehre

uns die

Flüchtigkeit

unserer Zeit

daß wir unsere Jahre in deiner Furcht vollbringen,

und unser keines dahinten bleibe. Dir aber,

der überschwänglich thun kann über Alles, das

wir bitten und verstehen, nach der Kraft, die da in uns wirket,

dir seh Ehre in der Gemeinde, die in Christo Jesu ist, zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit!

Amen.

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