Drey Predigten [Reprint 2022 ed.]
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Drey

Predigten/ von

Dr. W. M. S. de Wette.

Berlin, bei

R 18 2 1

ei

m

er.

§u

der

Herausgabe

dieser

Verfasser nicht die Meinung,

was Ausgezeichnetes auf

nichts Anspruch,

daß

diese

in

Die

einer

Vorträge

Naren,

seyn,

dass

als

die

reine

faßlichen

daß sie

auf die

zu

Anerkennung,

evangelische

Lehre

enthalten.

gegründeten

reich

den

Er macht

Darstellung

dem

hat

er Hamit et­

liefere, bewogen.

erste Predigt wird

ausgesetzt

Predigten

Tadel

und ausführ-

lich sey, und natürlich mußte sie bey'm Vortrag etwas abgekürzt werden, was aber für den Druck

nicht nothwendig schien.

Weimar, im März iZsr.

Dr. de Wette.

r.

Predigt am zweyten Weihnachts - Tage.

Das Fest der Geburt Jesu Christi ist gestiftet zur Erneuung und Befestigung unseres Glaubens an die Menschwerdung Gottes, an die sichtbare Erscheinung des ewigen, unerschaffenen Wortes in der Welt des Fleisches. Aber so wie dieses Fest das erste ist im Kirchenjahr, und die andern darauf folgen und es voraussetzen: so hangt auch dieser Glaube an die Menschwerdung Gottes noth­ wendig mit unserm ganzen christlichen Glauben zusam­ men. Derselbe Christus, der geboren ist, hat auch gelit­ ten, und ist gestorben, begraben, auferstanden und gen Himmel gefahren, und sitzet zur rechten Hand Gottes. Und derselbe Christus, der gen Himmel gefahren, wird einst auch wiederkommen zum Gericht, und zur Auf­ erweckung der Todten. Aus diesem Ganzen unseres Glau­ bens läßt sich kein Theil wegnehmen, ohne daß das Ganze zusammenfalle; und kein Theil laßt sich erschüt­

tern und wankend machen, ohne daß das Ganze er­ schüttert und wankend gemacht werde. Hingegen wer an dem einen Theil festhalt, der halt auch an dem Gan­ zen fest.

s Wenn wir daher die Feier des heil. Christfestes dazu benutzen, wie wir sollen, usi uns im Glauben an die Menschwerdung Gottes zu starken und zu befestigen: so starken und befestigen wir uns in unserem ganzen christ­ lichen Glauben. Und da der Glaube in Werken lebendig werden soll, so wird der gestärkte und befestigte Glaube an die Menschwerdung Gottes uns auch für ein wahr­ haft christliches Leben in Heiligkeit und Liebe starken und befestigen.

Nun aber hat es von jeher Zweifler und Jrrlehrer gegeben, welche die Menschwerdung Gottes in der Per­ son Jesu läugnetcn, und deren giebt es noch. Die Juden nahmen es als Gotteslästerung, da Christus sich für den Sohn des lebendigen Gottes erklärte. Und noch jetzt verharren die Nachkommen jener Ungläubigen in dem Widerspruch gegen die Grundveste unseres Glaubens. Die Anhänger des Lügenpropheten Muhammed rühmen sich

eines reineren Glaubens, weil sie Christum, wie ihren Muhammed selbst, für einen bloßen Propheten halten,

und cs für Götzendienst erklären, an einen, in Menschen­ gestalt sichtbar gewordenen Gott zu glauben. Selbst in der christlichen Kirche hat es von Anbeginn solche Zweif­ ler gegeben. Die einen, welche sich noch sehr zum jüdi­ schen Glauben hinneigten, erkannten in Jesu einen Pro­ pheten, wie Mose, nur erhabener an Würde und mäch­ tiger in Worten und Thaten. Die anderen läugneten nicht die himmlische Erscheinung, die in Jesu sichtbar ge­ worden; aber sie sprachen dieser Erscheinung Fleisch und Mut ab, und schrieben Jesu keinen wirklichen, son­ dern einen scheinbaren Körper zu. Und bey uns können die Weltweisen nicht immer in den Glauben an die Menschwerdung Gottes einstimmen, und befinden sich zum Theil in einem ähnlichen Irrthum, wie jener erste ist: sie finden in Jesu nichts, als einen Weisen und Gerechten,

der ein Mensch gewesen,

wie wir, und nur von (Sott

mit hohen Gaben ausgestattet und in seinem Unterneh­ men auf eine ausgezeichnete Weise begünstigt.worden sey.

Solche Zweifel

vielen Schein für sich.

haben sehr

Die Schrift lehrt, daß Gott ein Geist sey; Und doch soll er im Fleisch erschienen seyn.

Gott ist unsichtbar, und

hat selbst zu Mose gesagt: „Mein Angesicht kann Niemand sehen;" und doch soll er in Christo sichtbar geworden seyn.

Gott ist ewig und unsterblich; und doch soll er in Christo erschienen seyn,

der geboren und gestorben ist.

Gott ist

selig und vollkommen; und doch soll er in Christo an den menschlichen Leiden und Schwachheiten Theil genom-i men haben. Gott ist allmächtig; und in Christo soll ex sich seiner Allmacht entäußert, und sich der Gewalt irdi­ scher Macht, der Verfolgung und Mißhandlung nnterwor-

fen haben. Ferner wissen wir, daß wir durch den Glauben selig werden, und der Apostel sagt: „Zm Glauben wandeln wir, nicht im Schauen;" und doch sollen wir an den­

jenigen glauben, den die Menschen schauten, als er noch auf Erden wandelte, und dessen irdische Geschichte für

uns, wenn auch nicht durch unmittelbares, so doch durch mittelbares Schauen, durch Ueberlieferung, erkennbar ist. Zm Geiste sollen wir wandeln und dem Fleische abster-

bcn; und doch sollen wir glauben,

daß Gott in's Fleisch

gekommen, und daß Christus einst

wieder kommen werde,

am unsere irdischen Leiber aufzuerwecken

zu einem neuen

Leben im Flessch.

Können wir diese Widersprüche 'nicht lösen, dann ist

unser Glaube

eitel,

eitel unser Glaube an die Geburt

unseres Heilandes, an seinen Tod, an seine Himmelfahrt und Wiederkunft. verwandelt,

Unsere Weihnachtsfreude ist in Trauer

west uns

der freudige Glaube genommen»

rind der niederschlagende Zweifel dafür gegeben ist.

Aber

Wir werden'diese Widersprüche lösen, und

sorget nicht!

zwar nach Anleitung unseres Evangeliums.

Wir werden

einsehen, daß der Glaube mit dem Schauen, der Geist mit dem Fleische auf eine richtige Weise verbunden seyn kann.

Evang. Luk. II, 15 — 20. Wenn wir diesen Abschnitt verbinden mit dem vori­ gen, dem gestrigen Evangelium, so finden wir in dieser Erzählung von der Geburt unsers Heilandes beydes mit

einander,

den

Glauben

und

das

Schauen.

Die

himmlische Klarheit, welche die Hirten umleuchtete, die Erscheinung der Engel, welche ihnen die Geburt des Hei­ landes verkündigten, war nichts Irdisches, was mit irdi­ schem Auge und Ohr hatte vernommen oder geschaut werden können; es mußte geglaubt, oder mit dem

innern, geistigen Auge und Ohr vernommen werden. Das himmlische Licht schaut kein irdisches Auge;

und Engel

haben keinen irdischen Leib, keine irdische Stimme, und können daher nicht mit irdischen Sinnen gesehen und ge­ hört werden.

Waren die Hirten nicht innerlich von Gott

erleuchtet gewesen,

so hatte sie die himmlische Klarheit

nicht umlcuchtct; und wäre ihr Herz nicht durch gei­ stige Erregung geöffnet und empfänglich gemacht wor­ den,

so würde ihnen die Erscheinung der Engel

als solche erschienen seyn,

nicht sie würden gezweifelt haben.

Aber sie zweifelten nicht, sondern, nachdem ihnen die Kunde geworden war, sprachen sie: Laßt uns nun gehen uni) die Geschichte sehen. Auf den Glauben folgte yun das Schauen. Die ihnen von oben im Geist

gegebene Kunde ward nun fleischlich bewährt, indem sie

das Kind in der Krippe liegen sahen, in fleischlicher Ge­ stalt und irdischer Umgebung. stand unserer Betrachtung seyn:

Hiernach soll der Gegen­

Die wahre Verbindung des Glaubens mit dem Schauen,

und des Geistes mit dem Fleische

in der christlichen Erkenntniß und im christ­ lichen Leben. I. Die wahre Verbindung des Glaubens mit dem Schauen

in der christlichen Erkenntniß, besteht darin, daß der Glaube dem Schauen vorangeht und es be­ gründet, unv daß das Schauen auf den Glaubern folgt und ihn bewahrt und belebt. So bei den Hirten: erst Glaube, dann Schauen, und dann «in bewahrter lebendiger Glaube, der in Ver­ kündigung und Danksagung sich äußerte 1) Der Glaube geht dem Schauen voran und begründet es. „Der Glaube ist eine gewisse Zu­ versicht dessen, waS man hoffet, und nicht zweifelt an dem, was man nicht siehet." Der Glaube ist auf das. Unsichtbare und Ewige gerichtet. Das Ewige aber ist der Grund des Zeitlichen, und das Unsichtbare die Quelle alles Sichtbaren. Durch das' ewige Wort Gottes sind alle Dinge gemacht, und aus dem schaffenden Hauch sei­ nes Geistes ist Alles hervorgcgangett. Gott sprach: „Es werde Licht, und es ward Licht." Der Geist schwebte über dett Wassern, und befruchtete und belebte die Grund­ stoffe der Dinge. Aber verborgen und unsichtbar ist die Kraft, durch welche Alles geworden ist und Alles-wird. Wir sehm nur das Werdende und Gewordene, aber nicht die Kraft, durch die Alles wird und geworden ist. Wir sehen überhaupt keine Kraft in der Natur, durch welche irgend etwas wird und besteht: nicht die Kraft, durch welche unser Leib erzeugt worden ist und erhalten wird, nicht die Kraft, welche das Thier bewegt, nicht die Kraft, durch welche die Pflanze sprosset und wächst; geschweige denn, daß wir die Kraft sehen sollten, aus welcher alle

Kräfte fließen, die ewige, allmächtige Kraft des göttlichen Geistes. Nur im Glauben erkennen wir diese Kraft, «nd nur im Glauben erheben wir uns zu dem Gedanken einer unsichtbaren Welt, von welcher die sichtbare der bloße Abdruck und Ausfluß ist

Im Glauben also, und nicht im Schauen, überzeu­ gen wir uns von der erhebenden und tröstenden Wahr­ heit, daß Gott der Schöpfer und Herr aller Dinge ist. Folgen wir der Erfahrung unserer Sinne, so finden wir immer nur ein Entstehen und Vergehen; aber die ewige Schöpfung der Welt kann nur der Glaube fassen: mit dem sinnlichen Verstände finden wir immer nur Anfang und Ende; aber das Uranfängliche, Ewige ist nur dem Glauben erkennbar. Von der Regierung der Welt durch Gottes Weisheit und Allmacht weiß der sinnliche Mensch nichts: überall sieht er nur den blinden Zufall oder die eiserne Nothwendigkeit, durch welche die Dinge so kom­ men müssen, wie sie kommen, während der Gläubige die weisen Fügungen eines liebenden Vaters, oder die gerech­ ten Gerichte eines heiligen Richters dankbar und demü­ thig erkennt. 3n Fällen, wo der sinnliche Mensch keine Hülfe sieht, weil er sie im Sichtbaren sucht, und verza­ get, ist der Gläubige voll Muth; denn er traut auf die Allmacht und Gnade Gottes, er hat eine feste Zuversicht dessen, was er nicht siehet» Ohne den Glauben, den Gott in die Herzen der Menschen gepflanzt, würde er ihnen sein Wort nicht ha­ ben offenbaren können. Dieses Wort, durch welches wir erleuchtet und gebessert werden, kann kein menschli­ cher Mund aussprechen, und was er davon ausspricht, ist nichts, als ein schwacher Nachhall: und so kann es auch kein menschliches Ohr vernehmen. Zwar hat Gott zu den Vätern des A. T. geredet in eigener Erscheinung, oder durch Engel und Propheten; aber ohne den Glau-

ben würde keine Gotteserscheknung, kein Gottesgesandter anerkannt worden seyn. Den Bogen, welchen Gott nach vorübergegangener Sündfluth in die Wolken gesetzt, würde Noah nicht als ein Zeichen des Friedens und der Versöh­ nung anerkannt, und die Verheißung Gottes, daß er hin­ fort die Erde nicht mehr verderben wolle, nicht für wahr genommen haben, wenn nicht durch innere, göttliche An­ regung in seinem Herzen die Hoffnung und ber Trost Wurzel geschlagen hätte. Mit Unglauben und Hoffnungs­ losigkeit, würde ihm jener Bogen als ein gewöhnlicher Regenbogen erschienen seyn. Und was hätte den Abra­ ham bewogen, sein Vaterland und seine Freundschaft zu berlaffen, wenn-nicht der Glaube? Die Stimme Gottes, wenn sie nicht eine innere im eigene» Herze» ge­ wesen wäre, hatte ihm als eine menschliche erscheinen kön­ nen, gegen die er nicht dieses Vertrauen und diesen Ge­ horsam bewiesen hätte. Ohne den Glauben, wäre ihm die Verheißung dessen, was unmöglich schien, daß sein betagtes Weib einen Sohn gebühren werde, unglaublich vorgökommen. Aber er glaubte, und dieß ward ihm zur Gerechtigkeit gerechnet. Mose würde nicht von Gott gesen­ det worden seyn zur Befreyung seines Volkes, wenn er nicht durch innere, göttliche Anregung in seinem hohen Geist schon die Hoffnükkg aüf diese Bcfteyung getragen hätte. Der brennende Dornbusch, obgleich em wunder­ bares Zeichen, würde, ohne diese Hoffnung, bei ihm ein

leeres Staunen erweckt haben. Daß, ohne den Glauben, alle Gottesoffenbarung vergeblich bleibt, zeigen viele Beispiele der heil. Schrift. Während Abraham der Verheißung eines Sohnes glaub­ te, lachte derselben fein Weib Sara. Jakob fuhr fort im Glauben seines Vaters Abraham, Esau aber ward durch seinen Unglauben verworfen. Most selbst, obgleich er der GotteSerschcinung im Dornbusch glaubte, hegte

doch anfangs noch ein muthloses Mißtrauen in sich selbst,, als ihm Gott das Werk der Befreyung seines Volks aus­ legte. Und wie ungläubig betrug sich das Volk Israel gegen die Offenbarungen Gottes! Sie machten sich ein goldenes Kalb, da sie ungeduldig waren über das lange Ausbleiben Mose's auf dem Berge, sie wollten einen sichtbaren Gott, der vor ihnen Herzöge, weil sie an den unsichtbaren nicht glaubten. Sie murrten und stifteten Aufruhr wider ihren Führer, und wenn nicht etliche Gläu­

bige noch unter ihnen gewesen waren, so hatte das ganze große Werk der Ausführung aus Aegypten, und der Ein­ führung in Canaan vereitelt werden können. In diesem

Unglauben fuhr der große Haufe des Volks immer fort, und selbst Könige, Priester und Richter versündigten sich durch gleichen Unglauben. Nach Mose sandte Gott Pro­ pheten zu seinem Volke; aber wie manche derselben sind verachtet, verspottet, verfolgt und getödtet worden; wie manche ihrer Weissagungen sind ungehört in den Wind verhallt! Es war das Wort Gottes, was sie verkündig­ ten; aber weit das Volk keinen Glauben hatte, so hörte es darin nur ein menschliches Wort, den Ausdruck mensch­ licher Bosheit und Leidenschaft. Aber weil es im Volk Israel immer, wenn auch we­ nige, gläubige Herzen gab, welche die Offenbarungen und Gebote Gottes aufnahmen , so fuhr Gott, vermöge seiner Gnade, fort, sich zu offenbaren und sich immer deutlicher zu offenbaren. Durch seinen Unglauben hatte sich das Volk schwere Strafen zugczogen, und den Seegen Gottes von sich abgewendet; dennoch verzagten die Gläubigen nicht. Im sehnsüchtigen Gebet flehten sie zu Gott um die Erlösung seines Volks von Sünde und Strafe, und richteten das hoffende Auge des Geistes in die ferne Zu­ kunft. „Ach! daß du den Himmel zerriffest und führest berab, daß die Berge vor dir zerflössen, daß dein Name

und die Heiden vor

kund würde unter demen Feinden, dir zittern müßten!"

verhieß

Und Gott erhörte ihr Gebet, und

feinem Volke einen Erretter

aus David's Ge­

schlecht, der es von allen seinen Feinden befreyen, von der Sünde erläsen, mit Gott versöhnen, und, ein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens aufrichten würde. Diese Verheißung fiel, wie ein erleuchtender und er­ wärmender Strahl, in die Gemüther der Gläubigen, und

richtete sie auf im Unglück und stärkte sie im Kampfe. Jammer deutlicher und reiner schauten die Propheten die­ ses schöne Bild der Hoffnung, und belebten immer mehr

den Glauben an die künftige Erlösung. Dieser Glaube war es, der die Menschen fähig machte zuu Anerkennung Jesu Christi.

In diesem Glauben

trat Johannes

der

Täufer aus mit der Predigt der Buße, und bereitete dem Herrn den Weg. Unsere Hirten selbst machte nur dieser Glaube fähig, die Kunde der Engel zu empfangen, und

die Weistagung des Propheten Micha, daß in Bethlehem der Erlöser Israels geboren werden solle, gab ihnen die Zuversicht,

mit der sie hin in diese Stadt giengen,

das neugeborne Kind zu

suchen.

um

In diesem Glauben

nahm der alte Simeon das Kind der Maria in die Arme, und sprach: „Herr, nttn lastest du deinen Diener in

Frieden fahren,

wie du gesagt hast;

denn meine Augen

haben den Heiland gesehen, den du bereitet hast vor al­ len Völkern." Ohne diesen Glauben, hätten die Jünger Nicht in Jesu den Erlöser und Sohn Gottes erkannt.

Sv sagte Philippus zu Nathanael: „Wir haben den funden, von welchem Mose im Gesetz und die Propheten geschrieben Habern"

„Wer saget ihr,

Und als Petrus

daß ich sey?"

auf Jesu Frage:

antwortete.- „Du bist

Christus, der lebendige Gottes-Sohn!" so sagte Jesus:

„Richt Fleisch und Blut

hat djr das offenbaret, son­

dern mein Vater im Himmel" — wdmit er sagen wollte-

daß nicht

dasjenige,

was Petrus mit den fleischlichen

Sinnen in ihm erkannt oder in ihm geschaut, ihm den Sohn Gottes gezeigt haben würde, sondern daß der Glaube, den Gott ihm in's Herz gepflanzt, ihm allein die Erkenntniß habe geben können, daß er der Sohn des lebendigen Gottes

sey.

So ist in der Geschichte der Offenbarungen Gottes immer der Glaube dem Schauen vorangegangen,

und so

gebt er bey jedem voran, der zu Gott und Christo ge­ langt. Ohne den Glauben, würden wir in der Person

unsers Erlösers nichts als einen Menschen und in seiner Wie Viele ha­

Geschichte nichts als Menschenwerk sehen.

ben diese Geschichte gelesen und lesen sie noch,

sten und Ungläubige unter den Christen,

Nichtchri­

ohne im Men­

schen den Gott, in dem Weisen und Gerechten daß ewige Wort Gottes und den Versöhner und Heiland zu sthen. Der Glanz und die Herrlichkeit, von welcher seine Person für den Gläubigen umstrahlt ist, verbirgt sich den Ungläu­

bigen, weil sie ihn nur mit dem sinnlichen Auge be­ trachten, nicht mit dem geistigen Auge des Glaubens.

beseligende Kraft

Die

nicht,

seines Wortes

berührt ihr Herz

weil es sich nicht im Glauben geöffnet hat;

der

welche das Kreuz des Erlösers

Trost und die Erhebung,

den Gläubigen giebt, ist ihnen versagt, weil sie es nicht mit gläubigen Gertranen und Demuth betrachten.

2) Aber auf den Glauben muß das Schauen folgen, damit der Glaube bewahrt und belebt werde.

dem die Hirten geglaubt hatten,

Nach­

gicngen sie hin und

schauten, und nun erst war ihr Glaube voll Und lebendig, daß sie verkündigten, was sie gesehen und gehört, und

Gott lobten für das Heil,

das er den Menschen bereitet

hatte. So ist es überall. entbehrt,

Ein Glaube, der des Schauens

ist todt und leer.

Nicht genug,

daß wir im

Gott habe durch sein Wort die

Glauben gewiß sind,

Welt erschaffen, und daß Alles aus dem Hauch seines Geistes hervorgegangen: wir müssen nun auch in der

sichtbare» - Gestalt der Dinge und ihrem Zusammenhang die göttliche Weisheit lebendig erkennen;

die Welt muß

uns in ihrer Ordnung und Schönheit ein Spiegel des

göttlichen Wortes seyn;

im Spiel der Kräfte der Natur,

in der stets sich erneuenden, ewig frischen Regung des Lebens müssen wir die ewig schaffende Kraft des gött­

lichen Geistes fühlen,

so daß der Hauch desselben,

von

dem auch wir Leben empfangen, uns gleichsam umwehet,

daß wir inne werden, daß wir in ihm leben, weben und sind. Nicht genug, daß wir eine göttliche Weltregierung glauben, wir müssen in den Ereignissen unsers Lebens

und der Geschichte seine leitende Hand wirklich erkennen und anbetend vor ihm niederfallen,

von dem Alles ab­

hangt, in dessen Hand auch unser Schicksal und Leben liegt; wir müssen seine Strafen und Züchtigungen demü­ thig - ergeben annehmen, reumüthig in uns gehen und uns

bessern, und für empfangene Wohlthaten müssen wir auf­

richtigen

Dank fühlen

sein Lob verkündigen.

lernt haben,

und

ihm

können wir auch da,

lebendig glauben.

die Ehre

geben

und

Dann erst, wenn wir schauen ge­

wo wir nicht schäum,

In Gefahr und Leiden stehen wir dann

muthig und geduldig, weil wir erfahren haben, daß Gott hilft, auch wo wir keine Hülfe sehen, und daß denen, die ihn lieben, alle Dinge zum Besten dienen.

Ohne den Glauben, wäre freilich den Menschen Gottes

Wort nicht geoffenbaret worden; aber ohne Offenbarung, ohne Schauen, wate-der Glaube todt und leer geblieben. Zn lebendiger, obschon nicht körperlicher Erscheinung, mußte sich Gott den Menschen darstellen, damit sie leben­

Nur indem auf die Verheißung die Er­ füllung folgte, wuchs der Glaube und die Hoffnung, und

dig glaubten.

ward Mmer mächtiger. Als Noah den schönen Bogen, schimmernd in allen Farben des Lichts, in der Stille, die aus Sturm und Regengüsse folgte, am Himmel stehen sah, da ward sein Glaube zur freudigen Gewißheit. Von dem lichten Bogen ergoß sich das Licht der Hoffnung in sein noch von Furcht umdüstertes Herz, und die heitere Ruhe des Himmels erfüllte es mir Trost und Frieden. Als Abraham, dem göttlichen Rufe folgend, in's Land Canaan gezogen war, und sahe, daß ihn Gott nicht ge­ täuscht hatte, da er ein gutes Land fand, bequem für seine Heerden, streßend von Milch und Honig; als der verheißene Sohn ihm wirklich geboren war: da faßte er Vertrauen zu dem wahrhaftigen Gort, midi glaubte und gehorchte ihm auch da, wo es dem schwachen Menschen schwer ward, zu glauben und zu gehorchen. Er bestand die harte Prüfung, und brachte seinen einzigen, geliebte» Sohn zum Opfer dar auf Moriah. Mose überwand fein zagendes Mißtrauen, als Gott sichtbare Zeichen in seine Hand legte, womit er sich vor dem Volke als Ge­ sandten Gottes bewähren konnte. Die Israeliten glaub­ ten ihm, als sie diese Zeichen von ihm sahen, und weil er sich ihnen als einen Mann von hohem Geist und gött­ licher Kraft bewies, weil sie auf seinem Antlitz einen Ab­ glanz des göttlichen Lichtes erblickren. Die Propheten fanden auch einigen Glauben, weil sie durch Zeichen und Wunder die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken wußten, und weil sie durch ein frommes Leben und..durch Weis­ heit und Geistesgaben sich Achtung, Vertrauen und Be­ wunderung erwarben, weil sie denen, die im Glauben schwach waren, durch das Schauen halfen.

Selbst die Verheißung und Hoffnung eines Erlösers

beruhte, außer dem Glauben an die Gnade Gottes, auf dem Schauen,, auf der Erfahrung. Schon von jeher hatte sich Gott als Erlöser und Retter seines Volks

bewiesen. Er hatte ihm in Mose einen Befreyer gesendet, der es aus Aegypten führte. Als dieser dahin geschieden, ließ er den Helhen Josua siegreich vor ihm hergehen, und in der unglücksvollen Zeit der Richter erweckte er, so oft die Israeliten Buße thaten und ficheten, Helden und Befreyer, und in David gab er ihnen einen König, der sie von allen ihren Feinden errettete, ihnen Macht und Ruhm verlieh, und eine glückliche Ruhe schenkte, so daß sie Gott in Frieden dienen konnten. Nachdem er sich nun so oft schon an ihnen verherrlicht hatte, war die Verheiss sung, daß aus David's Geschlecht ein König voll Weis­ heit, Kraft und Gerechtigkeit aufstehen und eine Zeit des Friedens und Segens herbeiführen werde, keine bloße Verheißung mehr: war die Erfüllung auch noch nicht vorhanden, schaute sie das Auge auch noch nicht gegen­ wärtig, so brauchte es doch nur rückwärts zu blicken, um die Gewähr derselben in der Vergangenheit zu fin­ den. Wie Gott ehemals gewirkt, so durfte man hoffen, daß er auch in Zukunft wirken werde. Denn seine Gnade währet ewig, und hat nie ein Ende, sondern ist alle Morgen neu; seine Verheißungen können nicht täuschen. Und sie haben nicht getäuscht. Der Erlöser, von welchem die Propheten längst geweiffagt hatten, erschien, er erschien in Jesu Christo. Und als er erschien, und die Menschen ihn sahen, als auf den Glauben das Schauen folgte, da wurden sie erst inne, was sie geglaubt und gehofft hatten, ja die Erfüllung übertraf die Erwartung.

Als die Hirten in der Krippe das Kindlein liegen sahen in lieblicher Schönheit, ein Bild der heiligen Unschuld, des seligen Friedens, umstrahlt von himmlischer Klarheit: da erst erkannten sie das Heil, und fühlten die große Freude, die ihnen verkündigt war. Als Johannes der Täufer Jesum zu sich kommen sah, um sich demüthig der

Taufe zu unterwerfen; als er ihn in's Vasser steigen, und über ihm den Himmel sich öffnen und den Geist, in B

Gestalt ein« Taube, auf ihn herabkommen sah:

da er-

kannte er in ihm den, von dem er gesagt, daß er mit Feuer und Geist taufen werde. Als nun Jesus umher­ zog, und predigte mit der Gewalt des göttlichen Wortes, und Wunder that mit der Kraft des heiligen Geistes, als er wohlthat und segnete, wo er seinen Fuß hmsetzte, und die Kranken gesund wurden, die Lahmen giengen, die Tauben hörten, die Blinden sahen, die Todten auferstanden; als die Menschen die hohe Gestalt unter sich wan­ deln sahen m der Unschuld und Würde eines unbesteckten, Gott geweiheten Lebens, in der Sanftheit und Milde der Liebe und des Erbarmens, in der Heiterkeit des reinen Seelenfriedens, in der Erhabenheit eines heiligen Muthes und Gottvertrauens: da erkannten sie in ihm den Erlöser von allem Uebel, den Heiligen Gottes, den Versöhner, den Führet zum seligen Leben. Und nun erst ward ihr

Glaube an das zu erwartende Heil rein und vollkom­ men. Vorher hatten sie noch fleischliche Vorstellungen von der Erlösung gehegt, und ein irdisches Reich gehofft. Nun aber wurden sie durch die Worte der Wahrheit, die aus seinem Munde giengen, durch das heilige Thun sei­ nes ganzen Lebens belehrt, daß das von ihm zu erwar­ tende Heil ein inneres und geistiges sey, und von der eignen Besserung beginnen müsse. So wie Christus mit der Sünde und dem Tode kämpfte, so sollten sie auch kämpfen, um mit ihm zu siegen. Je reiner aber der Glaube wurde, desto tröstender wurde er. Vorher hatten

die Menschen bey ihrer Hoffnung noch Furcht gehegt im Gefühle ihrer Sünden vor dem Zorne Gottes, und Sün­ denvergebung gehofft, ohne zu wissen, wie sie ihnen wer­ den sollte. Nun ward ihnen diese Sündenvergebung ge­ wiß durch den Tod Christi. Daß der Gerechteste der Menschen, den man keiner Sünde zeihen konnte, als daß er die Wahrheit verkündigt hatte, an's Kreuz geschlagen, wurde, daß er sich dahin gab, aus Liebe zu den Men-

schm,

die er von der Sünde und dem Irrthume erlösen schon dieß mußte im Gemüthe der Menschen ein

wollte,

tröstende? Gefühl der Erhebung und ein freudiges Be­

wußtseyn erwecken: aber daß in diesem Menschen der Sohn Gottes selber, aus Liebe zu dem Menschenge­ schlechte, den grausamen Tod litt, daß Gott also die Welt liebte, daß er seines ei'ngebornen Sohnes'nicht ver­

schonte, um sie selig zu machen, dieß mußte die niedergeschlagenen Sünder mit freudiger Zuversicht erfüllen,

und sie des vollkommenen Trostes der Sündenvergebung theilhaftig machen. „Ist Gott für uns, wer mag wider uns seyn?

Wer will die Auserwahlten Gottes beschuldi­

Gott ist hier, der da gerecht macht!"

Und als

Christus siegreich von den Todten auferstand,

durch die

gen?

Macht des Vaters,

in der Herrlichkeit

der Vollendung

durch Leiden, da vollendete sich der Glaube der ©einigen ganz. Nun erkannten sie in ihm denjenigen, der den Tod und die Hölle besiegt, dem alle Gewalt im Himmel und

auf Erden gegeben sey,

und selbst die Zweifelnden,

wie

Thomas, riefen, als sie ihn leibhaftig vor sich stehen sa­ hen : „Mein Herr und mein Gott!" Nun war die irdische Laufbahn des Herrn vollendet und er gieng zurück in den Himmel zum Vater,

wo er im Verborgenen seine Kirche

regiert.

Nun ist das Schauen wieder dem Glauben ge­

wichen,

wir glauben an den Unsichtbaren im Himmel;

aber einst soll das Schauen wieder folgen, wenn er zurückkchrt in der Herrlichkeit des Vaters, um das Reich Gottes auf Erden siegreich zu vollenden,

Feinde unter seine Füße zu legen, Seimgen

auf Erden aus

und alle seine

wenn das Leben der

dem Kampfe

übergeht zum

Sieg, und der Wille Gottes auf Erden herrschet, wie im

Himmel.

So vertragt sich also wohl in der christlichen Er­

kenntniß das Schauen mit dem Glauben, B 2

und in der

Verbindung des Einen mit dem Andern verbindet sich das Sichtbare mit dem Unsichtbaren, das Fleischliche mit -em Geistlichen, das Irdische mit dem Himmlischen. Aber wir schauen dennoch nicht das Unsichtbare, und der Geist ist nicht in's Fleisch, das Himmlische nicht in's Ir­ dische verwandelt; sondern im Sichtbaren, welches wir mit dem fleischlichen Auge schauen, erscheint dem geistigen Auge des Glaubens das Unsichtbare, das Fleischliche ist zum Geist, das Irdische zum Himmlischen verklart. In dem Menschen Jesu sehen wir nicht'den Sohn Gottes, das ewige Wort, sondern immer nur den Menschen; aber In dem Menschen erscheint uns, wenn wir glauben, der Sohn Gottes. Wir unterscheiden, nach unserer Glaubens­ lehre, in Christo die menschliche und die göttliche Natur, die aber beide in ihm innig verbunden sind. Gott war mit Christo, er und der Vater waren eins. Gott aber 'war mit dem Menschen Christo, weil er ein göttlicher

Mensch war; er war mit dem Vater eins, weil er den Willen des Vaters vollkommen erfüllte. Weil seine Seele rein war von aller Sünde, so finden wir in ihm den Heiligen Gottes, das Ebenbild des Vaters. Weil er den Tod überwunden und uns Unsterblichkeit erworben hat, so erkennen wir in dem sterblichen Menschen den unsterblichen Gptt. Weil er in Kampf und Leiden den unerschütterlichen Muth, den ungestörten Gvttesfrieden in seinem Gemüthe bewahrte, weil wir durch ihn denselben Frieden erlangen, so ist er uns ein Bild des vollkomme­ nen, seligen Gottes. Weil er durch die Kraft des Geistes Herrliches und Wunderbares vollbrachte, weil er die Welt und den Tod überwand und sich selbst im Leiden verherrlichte, so ist er uns ein Abglanz der Allmacht und Herrlichkeit Gottes. Seine Betrachtung erfüllt uns mit Ehrfurcht, Liebe, Vertrauen, Seligkeit, wir erkennen in ihm den Stellvertreter Gottes, wir nahen ihm mit hei­ ligem Schauer und freudiger Zuversicht, und folgen ihm

auf dem Wege, den er uns zum Vater führt, zum Anschaucn des göttlichen Angesichts, zur ewigen Seligkeit, zum ewigen Frieden. II. Wie in der christlichen Erkenntniß das Schauen mit dem Glauben sich verbindet, so im christlichen Leben das Fleisch mit dem Geist. So wie aber der Glaube dem Schauen vorangeht, und dem Glauben das Schauen solgt, so besteht die wahre Verbindung des Fleisches mit dem Geist im christliche« Leben darin, daß das Leben im Geist voran­ geht und das Leben im Fleische folget. Wer mit dem Fleisch anfangt, wer fleischlich säet, der wird auch fleischlich ärnten, das Verderben des Fleisches,

welches der Tod ist; wer aber geistlich anfangt und, geistlich säet, der wiro auch geistlich ärnten, ewiges Leben und Auferstehung im verklarten Fleische. 1) Das Leben im Geiste must vorangehe«. Der Apostel sagt Röm. 8, 5: Dio da fleischlich sind, die sind fleischlich gefinnet, die aber geistlich sind, die sind geistlich gefinnet. Fleischlich gesinnet seyn, ist Feindschaft wider Gptt, sinte­ mal es dem Gesetz Gottes nicht Unterthan ist, denn es vermag es auch nicht; die aber fleisch­ lich sind, die mögen Gott nicht gefallen. Fleisch und Geist sind wider einander. Das Gesetz des Fleisches ist die Lust dieser Welt, die Liebe zu dem Vergänglichendas Gesttz Gottes aber ist die Liebe des Ewige», die Liebe zu den unvergänglichen Gütern. Die Befolgung des Gesetzes des Fleisches gebiert eine vergängliche Freude, in welcher der Keim des Schmerzes und des Todes liegt; die Befolgung des göttlichen Gesetzes aster gebiert eine ewige Freude und Seligkeit. Wer nun das Gesetz Got­ tes verlaßt, und dem Gesetz des Fleisches dient, der sün-

rs

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digt. „Offenbar sind die Werke des Fleisches, als da fnb: Ehebruch, Hurerey, Unreinigkeit, Unzucht, Abgöt­ terey, Zauberey, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Rotten, Haß, Mord, Saufen, Fressen und dergleichen, von welchen ich euch habe zuvor gesagt, und sage noch zuvor, daß, die solches thun, werden das Reich Gottes nicht ererben." Da nun Fleisch und Geist so ein­ ander widerstreben, und das Fleisch nicht in's Reich Got­ tes eingehen kann: so muß der Christ dem Fleische ent­ sagen, und sich dem Geiste zu eigen geben. Er muß der Lust des Fleisches widerstreben, wenn sie ihn vom Gesetz Gottes absühren will. „Aergert dich dein Auge, so reiß es aus, und wirf es von dir!" Im Glauben das Ge­ setz des Geistes erkennend, sollen wir den Weg gehen, den uns der Geist zur Gerechtigkeit führt, und uns nicht ablenken lassen auf den Weg des Fleisches. Wir sollen nicht nach dem streben, was uns sichtbaren gegenwärtigen Vortheil und Freude bringt, sondern nach dem, was ewi­ gen Werth hat und ewige Freude gebiert, nicht nur für heute und morgen, sondern für alle Zeit und für die Ewigkeit. Den Tod im Auge habend, der aller irdischen Lust ein Ende macht, sollen wir schon hier im ewigen Le­ ben wandeln, in dem Leben, das dem Geiste bleibt, auch wenn der Leib zerfallen ist. Hierin ist uns Christus, un­ ser Herr und Meister, vorangegangen. Um der ewigen Liebe und Wahrheit willen, hat er das Fleisch und den Tod überwunden, indem er sich, aus Gehorsam gegen sei­ nen himmlischen Vater und aus Liebe zu den Menschen, aus Kreuz schlagen ließ. Am Kreuz hat er die Sünde im Fleische vernichtet, und den Sieg des Geistes gefun­ den. Wir aber, die wir auf ihn getauft sind, sind auf seinen Tod getauft; wir sollen, wie er, dem Fleische ab­ sterben, und das Fleisch kreuzigen, sammt den Lüsten und

Begierden. Können wir noch der Lust des Fleisches die­ nen, nachdem er um unsertwillen aller Fleischeslust ab-

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gestorben ist? - Können wir noch für trnfcr Fleisch lind

da er sein Fleisch für uns in den Tod gege­

Blut leben,

ben, und sein Blut für uns vergossen hat?

der Sünde dienen,

Können wir

da er die Sünde am Kreuz vertilgt

hat?

Können wir uns dem Vergänglichen, dem Tode wei­

hen,

da er den Tod überwunden und uns Lehen und

Seligkeit erworben hat?

Wenn der Christ noch dem Flei­

sche und der Sünde dient, so schlagt er Christum wieder an das Kreuz, und nimmt Theil an der Sünde derer, die se n unschuldiges Blut vergossen haben; er vernichtet an seinem Theile das Werk, das Er vollbracht hat, und giebt der Holle den Sieg zurück, den Er derselben ent­ rissen hat.

Nein ! geistlich wollen wir werden, und dem

Fleische absagen, durch den Tod des Fleisches wollen wir

emgehen in das Leben des Geistes, unserm Hohenpriester

wollen wir Nachfolgen, der durch den Vorhang des irdi­ schen Lebens in das Allerheiligste eingegangen ist.

2) Aber auf das Leben im Geiste muß ein Leben im

Fleische folgen.

Der Apostel sagt Röm. 8,

10:

So

aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar

todt um der Süirde willen, der Geist aber ist das Leben um der Gerechtigkeit

willen.

So

nun der Geist deß, der Jesum von den Todten auferwecket hat, in euch wohnt, so wird auch

derselbigc,

der Christum von den Todten auf­

erwecket bat, eure sterblichen Leiber leben­ dig machen um deßwillen, daß sein Geist iy euch wohnet.

Damit sagt der Apostel dieses.

So wie

Christus, um der Sünden der Menschen willen, seinen

Leib in den Tod hingab, Gott aber, zum Lohne seines Gehorsams und um unserer Gerechtigkeit willen, ihn durch die Kraft seines Geistes wieder auferweckte: so sollen auch wir, um unserer Sünde willen, unserm Leibe absterben, pder ihn gleichsam ertödten, und im Geiste leben, um der

Gerechtigkeit willen;

dann wird auch der Geist Gottes

uns vom Tode des Leibes auferwecken zu einem neuen

Leben. Wie aber haben wir solches zu verstehen? Das Fleisch ertödten wir durch Widerstreben gegen seine Lüste

und Begierden, dadurch, daß wir es durch Kampf über­ winden,

gehorchen:

und es zwingen, wiederbelebt und

dem Willen des Geistes zu gleichsam

auferweckt wird

es dadurch, daß der Kampf wider dasselbe in einen völ­

ligen Sieg übergeht,

daß der Geist über das Fletsch und

in demselben herrschet, daß der Wille des Geistes, auch

der Wille des Fleisches wird.

Zuerst soll der Wille des

Geistes vom Fleische vollzogen werden, uird sich offenba­ ren in Früchten der Gerechtigkeit.

Das innere Licht soll

hervorbrechen und leuchten vor den Leuten, daß sie un­ sere guten Werke sehen; der Glaube scll in Liebe thätig seyn. So verkörpert sich der Geist» und gehet rn's Fleisch

ein. Was das vom Geist bewegte Herz verlangt, soll der Arm gehorsam und ohne Widerstreben vollführen.

Aber noch mehr!

Der Leib soll nicht nur gezähmt und

dienstbar gemacht, sondern auch ganz gelautert und ver­ klärt werden durch die Kraft des Geistes. Die Lust soll nicht nur bekämpft und unterdrückt, sondern ganz ausge­ rottet werden, so daß allein der Trieb des Geistes im Menschen walte, und die sinnliche Begierde ihm gar nicht

mehr widerstrebe. Wir sollen gar nicht mehr begehren, was wider den Geist ist, sondern allein, was aus dem Geiste ist. Wenn das geschieht, dann ist der um der Sünde willen ertödtete Leib wieder auferweckt, um der Gerechtigkeit willen durch die Kraft des göttlichen Geistes.

Auch hier ist Christus unser Vorbild und unser - Vorgän­ ger. Schon wahrend seines irdischen Lebens kannte er die sündhafte Lust nicht, die Klarheit seiner reinen Seele

trübte sich nie durch den Schatten irgend einer Begierde. Er aß und trank und schlief, Iwie andere Menschen, aber ohne in solchem Genuß der Lust zu stöhnen, sondern nur

um der Ordnung bet Natur zu folgen und seinen Leib zu stärken'zu den Geschäften des Lebens. Er war fröh­ lich mit den Fröhlichen, und besuchte Hochzeiten und Gast­

mahler; aber, er that es nur aus Liebe zu Yen Menschen, um an Allein Theil zu nehmen und jede Gelegenheit zu .benutzen, die sich ihm barbot, die Menschen, zu sich zu lenken. Zwar ward er versucht, aber ohne Sünde, ohne dm Reiz der sündhaften Lust zu fühlen. Und als er das Fleisch am Kreuze vernichtet und die höchste Versuchung siegreich bestanden hatte: da erstand sein Leib zwar fleisch­ lich wieder, aber me mehr der Versuchung unterwor­ fen, gelautert und geheiligt durch die Kraft des göttli­ chen Geistes. So sollen auch wir darnach streben, von Lüsten rein und aller Versuchung los und ledig zu wer­

den. „Ihr esset oder trinket, oder was ihr thut, so thut cs alles zu Gottes Ehre." Selbst der irdische Genuß soll durch Danksagung und freudige Erbebung des Herzens geherligt seyn, und die sündhafte Lust nicht mehr unser Gemüth berühren. Wenn nun so jeder Christ in sich selbst geläutert und geheiligt ist, wenn seine innere Reinheit äußerlich hervor­ tritt in seinem reinen Wandel, wenn in seinem ganzen Leben und seiner ganzen Erscheinung sich der in ihm woh­ nende Geist spiegelt; und wenn dann Alle einander be­ gegnen und berühren in einer solchen werkthätigen leben­ digen Aeußerung des Geistes, und im Geiste einträchtig auch in Werken übereinstimmen; wenn die Gemeinschaft der Mmschen in allen Verhältnissen vom Geist der Ge­ rechtigkeit und Liebe durchdrungen und gehoben ist; wenn die rohen Kräfte der Natur bezähmt und dem Geiste dienstbar gemacht sind; wenn überall der Geist dem Geiste sich freundlich kund giebt und nichts Störendes dazwi­ schen tritt: dann geht das unsichtbare Reich Christi her­ vor in sichtbarer Erscheinung, die geistige Gestalt kleidet

sich mit Fleisch, das Himmlische steigt herab in's Irdi­ sche. Dann hört der Kampf und die Feindschaft unter den Menschen auf, weil sie nicht mehr ein jeder ihren Weg, den Weg der sündhaften Lust, gehen, sondern ein­ trächtig Alle dem Gesetz des Geistes folgen, und Alle durch dieselbe Liebe zum Ewigen und Unvergänglichen verbunden sind. Dann ist die Sünde und der Tod vernichtet, und ein neues geistliches Leben gehet an in Gerechtigkeit, Hei­ ligkeit und Seligkeit. Dann kommt Christus herab in sichtbarer Erscheinung, in verklärter Menschengestalt, um was todt ist zu erwecken zu einem neuen verklarten Leben im Fleisch; die zerstreuten todten Glieder regen sich und bekleiden sich mit Fleisch, und fügen sich zusammen zu einem neuen herrlichen Leib, der geschaffen ist nach dem Ebenbild Gottes, und die, so noch im Fleische wallen, wer­ den verwandelt zu einem geistlichen Leben im Fleische, in demselben Fleische, das aber verklärt ist zu höherer Klar­

heit. Dann steigt das himmlische Jerusalem herab, von welchem die Offenbarung Johannis weissagt, und mit ihm die Hütte Gottes, in welcher er fortan unter den Men­ schen wohnet. Zu ihr wallen die Frommen, die reinen Opfer heiliger Andacht bringend, anbetend im Geist und in der Wahrheit, einstimmend in die himmlischen Lobgesange der Engel. Und Friede und Seligkeit herrschet un­ ter den Bewohnern der Erde. „Gott wird abwischen alle Thränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr seyn, noch Leid, noch Geschrey, noch Schmerzen wird mehr seyn, denn das Erste ist vergangen und es ist Alles

neu geworden." So vertragt sich also wohl das Fleisch mit dem Geiste im christlichen Leben, wie das Schauen mit dem Glauben in der christlichen Erkenntniß. Der Glaube wird durch's Schauen erfüllt und bewährt, und der Geist im Fleische sichtbar, lebendig, thatkräftig. Erst müssen wir

glauben, um zu schauen; und erst' müssen wir dem Flei­ sche absterben und im Geiste wandeln, um dann geistlich im Fleische aufzuleben. Dazu ist Christus erschienen, da­ mit wir im Glauben schauen und im Schauen glauben, damit wir im Fleische geistlich leben sollen. Er hat das Fleisch angenommen, damit er uns lehrte, wie wir das Fleisch zum Geiste verklaren sollen; er hat das Fleisch am Kreuze vernichtet, damit wir Mit ihm unser Fleisch kreu­ zigen sollen; er ist wieder auferstanden, damit wir mit ihm auferstehen sollen zu einem neuen Leben. Er ist uns vorangegangen auf der Bahn zum Himmel, damit wir ihm folgen und mit ihm eingrhen sollen zu seiner Herr­ lichkeit.

Ja, himmlischer Väter, dA hast deinen Sohn in's Fleisch kommen lassen, und ihn in den Tod des Fleisches hingegeben, um uns zu erlösen und zu dir hinaufzuzie­ hen. Sende uns deinen Geist und gieb uns Kraft, daß wir das Werk der Erlösung an uns vollziehen und uns zu dir emporheben können, daß wir dem Fleische absterben im Geiste, und durch die Kraft des Geistes wieder im Fleische auferstehen. Du wirst das Werk der Erlö­ sung vollenden, denn du hast es begannen, du wirst un­ ser Gebet erhören, um deines Sohnes willen, den du uns zum Heil gesendet hast.

Amen.

II.

Predigt a m Sonntage Invocavit. Evang. Matth. 4, i —u.

Der vorgelesene evangelische Abschnitt ist einer der

belehrendsten und ermunterndsten in der ganzen evangeli­ schen Geschichte.

Christus,

unser Erlöser und Heiland,

ward, bey'm Antritt seines Lehramts, vom Teufel ver­ sucht, und widerstand dieser Versuchung mit nie wanken­

der Starke des guten Willens.

Christus erscheint also in

dieser evangelischen Erzählung als versuchbar, den Reizun­ gen des Bösen unterworfen, zugleich aber rein von jeder,

auch der leisesten Berührung der Sünde, indem die Reize des Bösen in seiner göttlich reinen Seele nicht hasteten, und wie Wolken vor der Sonne vorüberliefen. So be­ wahrt sich also das apostolische Wort: Wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte Mitleiden haben mit unserer Schwachheit, son­ dern der versucht ist allenthalben, gleich wie wir, doch ohne Sünde. Er ward in allen Stücken

versucht, wie wir, blieb aber rein von aller Sünde. Und

so steht er uns nahe als Menschensohn, nimmt Theil an unserer Schwachheit, tritt uns ermunternd und tröstend

zvr Seite, und Hilst uns im Kampfe mit den Lüste» des Fleisches; uud wir können Vertrauen zu ihm fassen, als zu unsers Gleichen, als zu einem Bruder, der mit uns fühlt, unser Elend kennt und sich desselben erbarmt, weil er es selbst erfahren hat. Und doch kann uns diese seine Demuth und Herablassung nicht träg zum Guten und gleichgültig gegen die Sünde machen, so daß wir uns

wegen unseres geistlichen Elendes mit seinem Beyspiele entschuldigten, und das Bestreben aufgäben, aus demsel­ ben gerissen zu werden. Denn so wie uns der Erlöser nahe steht, so steht er auch unendlich hoch über uns. Er, der Gottessohn, der als ein Mensch erschien, mit Fleisch und Mut, mit menschlicher Schwachheit, wie wir, wurde doch nie von sündhafter Lust befleckt, Wanste nie im Kampfe mit der Sünde, geschweige, daß er darin erle­ gen wäre. Unversehrt, wie Gold, gieng er durch das Prüfungsfeucr der fleischlichen Begierden; auch nicht ein leiser Hauch der Lust trübte den fleckenlosen Glanz seiner reine« Seele. So hat er uns ein Vorbild gelassen, das ewig unerreichbar vor «ns schwebt, das aber uns stets ermuntert, ihm nachzustreben. Indem er mitleidig und hülsreich uns die rettende Hand bietet, um uns vom Ver­ derben zu erlösen, steht er, von göttlicher Herrlichkeit umstrahlt, unendlich erhaben über uns; indem er uns

die Bahn zeigt, die wir wandeln sollen, hat er diese Bahn schon durchschritten, und steht mit der Palme des Siegers am Ziele. Wenn uns aber die Geschichte der Versuchung unse­ res Erlösers wahrhaft belehrend und ermunternd werden soll, so müssen wir darin eine menschliche Geschichte, ja

unsere eigene Geschichte finden. Was Er, der Menschen­ sohn, gethan und gelitten hat, ist der Inbegriff alles dessen, was ein jeder Mensch thun und leiden kann und soll. So wie das Böse und das Gute immer, unter ver-

anderter Gestalt, dasselbe ist, so ist auch der Kamps", den Christus mit dem Bösen siegreich bestanden hat, derselbe

Kampf, den ein jeder Mensch zu bestehen hat. freilich

der Einzige,

der Gottessohn,

Er war

der Erlöser der

Menschen; sein Berus und Geschäft auf Erden war ihm allein eigen: er erlöste, und wir können nur erlöst wer­ den;

er brachte die Hülfe,

können.

die wir uns bloß ancignen

Aber, was er war und vollbrachte, war und

vollbrachte er dadurch, daß er der vollkommene, sündlose.

mit Gott innig verbundene Mensch war, und das sosten auch wir werden, wenn wir es auch nur auf einer nie­

dern Stufe werden können:

und so ist er uns in Allem

Borbild geworden, und auch in dieser seiner Versuchung können wir uns und unsere Schwachheit wie in einem Spiegel beschauen. Wir wollen daher heute unsere Andacht damit be­

schäftigen,

daß wir das Menschliche in der Ver­

suchung Christi zeigen und erkenne»; wie nämlich die

Reize des Bösen, welchen Christus widerstand, dieje­ nigen sind,

welchen die Menschen gewöhnlich ausgesetzt

sind, und wie der Widerstand, den Christus dem Bö­

sen entgegensetzte, der einzige ist, den auch wir entgegen­

setze

können.

Es find drey VersuchunLerr, welche Zesus zu ber stehen hatte: von jeder derselben haben wir zu zeigen, dast

wir derselben unterworfen sind,

und wie wir uns dabey

zu verhalten haben. Alle drey Versuchungen beziehen sich aus das von Christo anzutretcnde Geschäft der Erlösuüg-, auf die zu Erreichung seines Zwecks anzuwendendm Mit­

tel und auf diesen Zweck selber. Christus war mit ho­ hen Gaben und Kräften ausgerüstet, deren er sich zum Heil der Menschen bedienen sollte: ihn zum Mißbrauch

derselben zu bewegen, war die erste Versuchung.

Chu-

stus, welcher den Willen Gottes auf Erden zu vollführe» erschienen.war, durfte auf den außerordentlichen Bey­ stand -es himmlischen Vaters rechnen: ihn zum Miß­ brauch dieses Vertrauens zu veranlassen, war die zweyte Versuchung. Endlich, nachdem das Unternehmen miß­ lungen war, Christum zum Mißbrauch der verliehenen Mittel unh zum Gebrauch falscher Mittel zu verleiten, unternahm es der Versucher, ihn von dem wahre» Zwecke selbst abzubringen, ihn zum Abfall von Gott zu bewegen: das war die dritte Versuchung. Wir alle stehen, wie Christus, im Dienste Gottes, und sollen die uns verliehenen Gaben und Kräfte und alle Mittel, die uns zu, Gebote stehen, nicht unnütz und frevelhaft ver­ schwenden , sondern allein zu Gottes Ehre gebrauchen, von dem Dienste Gottes aber uns durch nichts auf der Welt abwendig machen lassen. Wie Christus, sollen wir für das Reich GotteS aus Erden leben und wirken, durch dieselben Mittel denselben Zweck zu erreichen suchen. Daher ist, schon so allgemein betrachtet, die Versuchung Christi dieselbe, die auch wir zu bestehen haben; im Ein­

zelnen aber wird dieß noch klarer werden. I. Betrachten wir nun die erste Versuchung. Christus hatte vierzig Tage und vierzig Nachte gefastet, und es hungerte ihn. Da trat der Versucher zu ihm, und sprach: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, daß diese Steme Brod werden." Er benutzte das sinnliche Bedürf­ niß Christi, das Gefühl des Hungers, die Lust nach der

Speise» um ihn dadurch vom rechten Wege abzulocken5 und zugleich suchte er das Gefühl des Stolzes in ihm rege zu machen, indem er ihn aufforderte, sich als Sohn Gottes zu beweisen. Er faßte ihn also von einer doppel­ ten Seite bei der Eigensucht. Indem er zu ihm sagte:

spüch, daß diese Steine Brod werden, wollte er ihn zu einem unrechtmäßigen Gebrauch seiner Wunderkraft ver-

leiten;

er sollte vermöge derselben die in der Wüste lie­

genden Steine in Brod verwandeln und seinen Hunger damit stillen. Was sagt dagegen Christus? Er sagt nichts dagegen, daß ihm der Verführer eine solche Wundcrkraft zutraut, wie er sie denn auch anderwärts dadurch bewiesen hat, daß er Wasser in Wein verwandelte und mit wenigen Broden viele Tausend Menschen speiste. Aber er erklärt die Anwendung dieser Wunderkraft jetzt für unzeitig und unrechtmäßig, indem er antwortet: Der Mensch lebet nicht vom Brod allein, sondern van einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes gehet. Diese etwas undeutlichen Worte haben diesen Sinn: daß Gott den Menschen durch anoere Mittel, als durch die gewöhn­ liche Nahrung zu erhalten im Stande sey. Diese Worte werden im Alten Testament, 5. Mose 8, 3., zuerst gebraucht von der außerordentlichen Speisung der Israeliten durch das Manna. Damals zeigte Gott, daß er dem hungrigen Menschen neue unerwartete Quellen der Nahrung aufthun könne, und daß die Schöpfung, die fein Wort hervorge­ bracht und noch hervorbringt, reich genug sey, den Men­ schen zu erhalten, auch da, wo die gewöhnlichen Hülfsquellen versiegen. Indem Christus dem Versucher mit

diesem Spruche autwortete, sagte er eigentlich dieses: mein Hunger macht mich nicht so ungeduldig, daß ich nicht, im Vertrauen auf Gott und seine reiche Schöpfung, warten sollte, bis sich mir irgend rin natürliches Nah­ rungsmittel darbietet; ich brauche daher nicht zu dem letz­ ten, außerordentlichen Mittel zu greifen, und aus diesen Steinen Brod zu schaffen. Auf die Aufforderung, sich als Sohn Gottes zu zeigen, antwortete er gar nicht, und würdigte diesen Kunstgriff keiner Aufmerksamkeit, zum Beweis, daß er von der selbstsüchtigen Eitelkeit, als Wun­ derthäter zu glänzen, ganz frey war, und daß auch nicht der Gedanke daran in seiner Seele hastete. Nun aber hat Jesus späterhin wirklich Wunder und ähnliche Wun-

Per, wie hier der Versucher von ihm verlangte, gethan: wie verträgt sich dieses mit der gegebenen Erklärung? Wenn er solche Wunder that, so that er sie nie um sei­ netwillen, nicht zum eignen Vortheil, noch aus Eitelkeit und Prahlsucht, sondern allein aus Liebe und zum Nutze» -er Menschen. An sich, an seine Erhaltung und Ver­ herrlichung dachte er nie; seine Speise war, den Willen Gottes zu erfüllen und den Menschen zu dienen; er suchte nie seine Ehre, sondern allein Gottes Ehre« Die Selbst­ sucht, durch welche die Menschen immer nur sich, nicht aber Gott und den Menschen dienen, hat Christus durch -en Geist des Gehorsams und der Liebe in der menschlichenNatur auszurotten angefangen. Wie er den Jün­ gern die Füße wusch, so sollten sie es einander auch thun; wie er das Kreuz auf sich nahm, so sollten es Alle auf sich nehmen, welche ihm nachfolgen, und aus Gehorsam gegen Gott und aus Liebe zu den Menschen in den Tod

gehen.

Daß wir, meine rhn'stl. Zuhörer, in ähnliche Lagen kommen können, wie diese war, in welcher sich damals Christus befand, wird durch die tägliche Erfahrung be­

stätigt. Wie oft scheint dem Menschen jede Hilfsquelle Versiegt, jeder Weg der Rettung verschlossen zu seyn! Da geziemt dem Christen demüthiges, geduldiges Vertrauen zu Gott und seiner Vorsehung; er soll nicht gleich verza­ gen und verzweifeln, sondern wie Christus denken, daß Gott, wenn es ihm gefallt, aus dem reichen Vorrath seiner Schöpfung Hülfe und Rettung senden kann, ehe wir es erwarten. Wir sind nicht, wie Christus, mit außerordentlichen Wundergaben ausgerüstet, aber Gott hat einem Jeden gewisse Gaben und Kräfte verliehen. So wie nun Christus nicht mit ungeduldiger Selbstsucht seine außerordentlichen Gaben zur Befriedigung seines Bedürfnisses gebrauchte, so sollen auch wir nicht zu iiii(5

serer Erhaltung zu außerordentlichen Mitteln greifen, und mit Vorwitz den Gang der Vorsehung zu lenken suchen; sondern wir sollen die Spuren, welche uns Gott und Natur zeigt, verfolgend, erwarten, wohin sie uns führen werden. — Die außerordentlichen Mittel, welche die Menschen zu ihrer Rettung ergreifen» sind nicht selten unerlaubt, unlauter oder gar schlechthin böse. Sie mei­ nen, außerordentliche Lagen des Lebens berechtigten zu Betrug, Gewalt und Ungerechtigkeit; der Mensch sey Al­ les seiner Selbsterhaltung schuldig. Und was der Trieb der Selbsterhaltung nicht thut, das vollendet die Eitelkeit und die Hoffarth; sie halten sich für so wichtig, und ha­ ben von ihrem Werth und ihren Gaben und Kräften eine so übertriebene Vorstellung, daß sie schon allein, um sich in ihrer Wichtigkeit und in ihrem Glanze zu zeigen, ihre, Rettung durch jedes Mittel versuchen, damit die Menschen sie bewundern, und erkennen sollen, daß sie im Stande seyn, sich selber zu helfen. Nein, meine Freunde! Chri­ sti Beyspiel bewahre uns vor einer solchen sträflichen Un­ geduld und hoffärtigen Selbstsucht, und lehre uns das wahre Vertrauen zu Gott und die demüthige Ergebung in das, was er beschlossen hat. Wenn wir aber unsere Brüder in Noth und Gefahr sehen, dann laßt uns mit Anstrengung aller unserer Kräfte zu ihrer Hülfe arbeiten, und alle, auch die außerordentlichsten, nur aber immer reinen Mittel, ünwenden, sie zu retten. Dann wird Gott unsere Kräfte segnen, und wir werben auch Wunder thun, und das Unmöglichscheinende leisten, denn Gott ist in den Schwachen mächtig. II. Das menschliche Herz ist ein trotziges und verzagtes Ding. Nachdem der Versucher in Jesu Ge­ müth die Verzagtheit aufzurcgen gesucht, und ihn dadurch zu einem unerlaubten und unzeitigen Schritte zu verfüh­

ren gesucht halte: so faßte er ihn in der zweyten Der-

suchung bey dem menschlichen Trotze. Jesus hatte bett ersten Angriff durch ein unbedingtes Vertrauen auf die göttliche Hülse abgeschlagen; nun wollte ihn der Verfüh­ rer zu" dem Mißbrauch und der Uebertreibung dieses Ver­ trauens verleiten. Er führte ihn daher mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels, von welcher man in eine schauerliche Tiefe hinabsah, und sprach zu ihm: „ Bist du Gottes Sohn, so laß dich hinab." Er faßte ihn wieder bey dem Gefühl seiner höhe­ ren Würde, und wollte seinen Stolz und seine Eitelkeit rege machen. Zeige dich, wollte er sagen, als den Lieb­ ling Gottes, der auf seinen wunderbaren Beystand rech­ nen kann, damit dich die Menschen als solchen erkennen. Der Arglistige bediente sich dazu einer Bibelstelle, in welcher dem Gott vertrauenden Fromlnen dessen außer­ ordentlicher Beystand verheißen wird: „Er wird seinen Engeln über dir Befehl thun rc. rc." Da Christus ihm vorhin mit einer Bibelstelle geantwortet hatte, so wollte er ihn jetzt eben durch eine solche blenden. Christus hat nicht nur vorher bei der ersten Versuchung, sondern auch nachher, während seines ganzen Lebens ein zuversichtliches unwandelbares Vertrauen zu Gott bewiesen, und so sagte er einst zu seinen Jüngern: „Ihr werdet den Him­ mel offen sehen und die Engel Gottes hinauf und herabfahren auf des Menschen Sohn." Es war daher nicht Mangel an Vertrauen, wenn er die Auf­ forderung des Verführers ablehnte. Er antwortete ihm: „Wiederum stehet auch geschrieben: du sollst Gott deinen Herrn nicht versuchen." Er vertrante Gott und seinem Beystand in solchen Lagen, welche Gott selbst herbeygesührt; nicht aber wollte er sich selbst muthwillig in Ge­ fahr begeben, damit ihn Gott daraus auf wunderbare Art erretten sollte, er wollte Gott nicht versuchet; am wenigsten wollte er es in der Absicht thun, sich damit vor der Welt zu zeigen. Als er sich wahren» eines SturC 2

mes auf dem Schiffe befand, und die Wellen ihn sammt seine« Jüngern zu verschlingen droheten, da sprach er, im Vertrauen auf Gott, jene gebietenden Worte, durch welche «r Sturm und Wogen beschwichtigte. Hier versuchte er Gott nicht, denn Gatt hatte ihn in diese Gefahr geführt; und er bewies sein Gottesvertrauen nicht aus Eitelkeit und Prahlsucht, sondern im Drang der Nothwendigkeit und aus Liebe zu seinen Jüngern. Auch wir, meine Freunde, können oft gereizt werden, Gott zu versuchen, indem wir uns tollkühn in Gefahr der geben,, unserm guten Glücke zu viel vertrauen, und uns vermessen, daß uns Alles, was wir beginnen, wohl ge­ lingen müsse. Wie Christus versucht wurde, sich durch solche Vermessenheit als Gottes Sohn zu zeigen, so reizt uns die Eitelkeit, Manches über unsere Kräfte zu wagen, UM uns als Leute von Muth, als entschlossen und unter­ nehmend zu zeigen, um zu zeigen, daß wir die Gelegen­ heit zu ergreifen und das Glück zu benutzen verstehen. Wie Jesus versucht wurde, durch solche Vermessenheit Aufsehen unter den Menschen zu erregen, damit sie ihn als den erwarteten Heiland erkennen sollten, so reizt auch uns die Anmaßlichkeit, durch gewagte Unternehmungen Ruhm und Ansehen zu erlangen. In jedem, noch so ein­ geschränkten Kreise des Lebens kann ein so trotziges und anmaßliches Wesen sich kund thun; und zwar zeigt es sich nicht bloß in weltlichen Dingen und in Sachen der Weltklugheit, sondern auch in geistlichen Dingen. Auch da sollen wir Gott nicht versuchen, und uns nicht muthwillig in Gefahr begeben. Den Reizungen und Lockungen zur Sünde selbst entgegen gehen, ist eine ähnliche Toll­ kühnheit, wie jene» welche der Versucher von Jesu ver­ langte, sich von der Zinne des Tempels herabzustürzen. Wir beten täglich zu Gott: führe uns nicht in Versuchung, so laßt uns die Versuchung nicht selbst veranlassen, und Gott nicht versuchen!

III. Nunmehr, nachdem Christus die beyden ersten Angriffe abgeschlagen, unternahm der Versucher den Haupt­ angriff. Erst hatte er die selbstsüchtige Ungeduld und Verzagtheit, dann die selbstsüchtige Trotzigkeit und Anmaßlichkeit in Christo, und immer zugleich dessen Eitel­ keit, aufzuregen gesucht; nunmehr unternahm er es, ihn durch die Lust der Welt, durch die Aussicht auf die Welt­ herrschaft, zu verführen. Er führte ihn mit sich auf ei­

nen sehr hohen Berg, und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit, und versprach, ihm dieß Alles zu geben. Dadurch suchte er die Selbstsucht in ihrer ganzen Tiefe und in ihrer größten Starke auszuregen. Denn wenn der Mensch Alles nur thut, um weltliche Güter und weltliche Herrlichkeit zu gewinne«, so will er eben damit seiner Selbstsucht schmeicheln, und bcgiebt sich ganz in den Dienst derselben. Hatte Christus jetzt in der Wüste, und nachher in seiner öffentlichen Thätigkeit, aus selbstsüchtiger Ungeduld seine Wunderkraft gemißbraucht, oder aus anmaßlichem Vertrauen auf Gottes Hülfe .das Unmögliche unternommen und dadurch Aufsehen zu erregen gesucht: so wäre dieß allerdings verwerflich gewesen; er hätte aber doch, bey Anwendung solcher falscher Mittel, noch das Gute suchen, und für den mehren Zweff menn auch nicht mit dem reinsten Willen, wirken können; hatte

er aber die Weltherrschaft zum letzten und höchsten Zweck seines Strebens gemacht, so hätte er das Gute schlechthin aufgegebcn, und die Selbstsucht gleichsam auf den Thron gefetzt. Darum enthüllt sich auch jetzt erst die Absicht des Bösen ihn für seinen Dienst zu gewinnen, und vom Dienste Gottes abwendig zu machen. „Das Astes will ich dir geben, sagt er, so du niederfallst und mich anbetest."

Wir müssen aber genauer sehen, worin sich in Jesu Betragen die Liebe zur Welt und die weltliche Herrsch­ sucht würde gezeigt haben, wenn er der Versuchung erle-

Si gen wäre,

und worin sich im Gegentheil seine Treue ge­

gen Gott bewies. Allerdings war Christo die Herrschaft der Welt be­ stimmt, aber die geistliche, innere, nicht die irdische, äußere Herrschaft. Das Reich der Wahrheit, das Reich Gottes sollte er auf Erden aufrichten. Dieses besteht aber darin, daß der Geist über das Fleisch herrschet, das Fleisch ge­ dampft und seine Lüste ertödtet sind, daß der Mensch be­ gehret, was des Geistes, und nicht, was des Fleisches ist. Dieses geistliche Reich konnte nun Jesus nur dadurch auf­ richten, daß er selbst in sich frey war von der Lust des Fleisches und daß er an die Menschen die Forderung mach­ te, der Lust des Fleisches zu entsagen. Wer aber diese Forderung an die Menschen macht, der setzt sich mit den meisten in Feindschaft; er tastet an, was ihnen das liebste ist, und sie widersetzen sich. Nichts ist daher einein sol­ chen gewisser, als Nampf mit den Menschen, Verkennung, Verfolgung und Mißhandlung. Dieß war Christi Schick­ sal. Nur wenige Bessere hiengen ihm an, der große Haufe und die Inhaber der Gewalt verkannten ihn, und ruheten nicht eher, als bis sie ihn an's Kreuz geschlagen. Wer nun im Geiste lebt und die Herrschaft des Geistes befördern will, darf sich vor dieser Feindschaft der Men­ schen nicht fürchten, er muß unerschrocken und ungebeugt feines Weges gehen, und auf weltliches Glück und Ruhe und auf die gegenwärtige sichtbare Herrschaft der Welt Verzicht leisten, sich mit der unsichtbaren und zukünftigen Herrschaft begnügend. Dieß that Christus; anstatt der Königskrone trug er die Dornenkrone, sein Volk verwarf ihn, und er starb den schmählichen Tod am Kreuz. Da­ für aber ward er erhoben zum ewigen König des Reiches der Wahrheit, und sitzet mit göttlicher Herrlichkeit angethan zur Rechten des Vaters. Hatte er aber, der Lokkung des Bösen folgend, nach sichtbarer weltlicher Herr­ schaft gestrebt, so hätte er nicht nur selbst der Lust der

Wett gestöhnt,

sondern auch der Fleischeslust

der Men­

schen geschmeichelt, hätte sie sich auf diese Weise zu Freun­ den gemacht,

und wäre wohl zu seinem Zwecke gelangt,

alle Herrlichkeit der Welt wäre ihm zu Theil geworden;

aber eben dadurch wäre er dem Willen seines himmlischen

Vaters untreu geworden, und hätte sich dem Fürsten die­ ser Welt ergeben; er wäre nicht der Erlöser der Menschen, sondern ihr Verführer und Verderber geworden. Alle Sünde entspringt aus diesem Dienst

der Lust,

aus diesem Streben nach weltlicher Herrschaft,

und aus

der Scheu vor dem Kampfe mit der eigenen Lust und der Lust anderer Menschen. Daher entspringt der Geiz und

die Wollust:

irdische Güter,

irdische Genüsse sucht man,

anstatt des geistlichen Reichthums,

der geistlichen Selig­

keit; man will nichts entbehren, sich nichts versagen, man scheut d,ie Duldung und den Kampf.

Daher entspringt

alle Ungerechtigkeit: man beugt das Recht, um seiner Lust

zu stöhnen, um des schnöden Besitzes, Genusses willen.

um des schnöde»

Daher entspringt die sträfliche Nachsicht

gegen die Laster und die Ungerechtigkeit Anderer, die Trägheit und Feigheit in Vertheidigung der verletzten Rechte der Unschuld,

und die durch diese Trägheit und

Feigheit verschuldete Theilnahme an den Lastern und der Ungerechtigkeit Anderer. Immer ist es jene Versuchung: das Alles will ich dir geben,

so du niederfällst und mich

anbetest, welcher die Menschen erliegen, wenn sie sündigen. Der Glanz der irdischen Herrlichkeit blendet sie, und sie vergesset» Gott und sein heiliges Gesetz, und huldigen dem

Fürsten der Welt.

Gegen solche Versuchung hilft allein

das Wort Christi: „Hebe dich weg von mir, Satan, denn es stehet geschrieben: du sollst anbeten Gott deinen Herrn und ihm allein dienen."

Dieses Wortes laßt uns immer

gedenken, wenn uns der Fürst dieser Welt in Versuchung

führt.

Es ist nicht möglich, zweyen Herren zu dienen,

Gott und der Welt; Gott allein sollen wir dienen, hin­ gegen alle Herrlichkeit und allen Reiz der Welt verachten. Widerstehen wir so dem Teufel mit dem Gedanken an Gott, dann verlaßt er uns, die Versuchung ist vor­ über, und, wie zu Christo Engel traten und ihm dienten, so wird dann auch uns der göttliche Trost und Friede starken und erquicken. Was ist alle Herrlichkeit der Welt gegen dieses erhebende Gesüyl des Siegs im Kampfe mit der bösen Lust! Als Christus den Satan überwunden, und nun Engel zu ihm traten, und ihm dienten, da war er der Sohn Gottes und fühlte sich als solchen. Weil er demüthig und ergeben sich nicht angemaßt hatte, durch Aeußerung seiner außerordentlichen Kräfte und durch toll­ kühnes Vertrauen auf den göttlichen Beistand sich als

Sohn Gottes zu zeigen: so verherrlichte ihn Gott als solchen, durch den Dienst und Beystand seiner Engel. Und weil er bje irdische Herrschaft über die Welt verschmäht hatte und seinem himmlischen Vater treu geblieben war: so stellte ihn Gott als den König seines unsichtbaren Reiches dar, Engel brachten ihm ihre Huldigung, und dienten ihm. O möchte es uns gelingen, in jeder Versuchung so siegreich zu bestehen, wie Christus bestand! Möchten wir nie der Regung der Selbstsucht, nie den Lockungen der FleiAeslust nachgeben! Er hat uns gezeigt, daß dieß möglich ist, daß ei« menschliches Herz frey bleiben kann von aller sündhaften Neigung. Sem Beyspiel ttmuthigt

und stärkt uns. Er ist uns auf der Bahn vorangewan­ delt, auf der wir ihm folgen sollen. O Gott! stehe unserm schwachen Geiste bey mit deinem heiligen Geist, sende uns deine guten Engel, daß sie uns warnen und uns stärken. Kämpfe mit uns in dem Kampfe, den wir mit dem Flei­ sch« und der Welt führen: so werden wir siegen Und" Theil

nehmen an der Herrlichkeit oeines Sohnes Jesu Christi. Amen.

III.

Predigt am

zweyten

Oster tage.

Evang. Lue. 24, 13—35.

Christus ist anferstanden! Das Grab ist leer, und Engel sagen, er lebe. Er erscheint seinen Jüngern in le­ bendiger Gestalt, nachdem sie ihn als todt betrauert, hat­ ten, und wandelt mit ihnen. Er hat-em Tode die Macht genommen, und Leben und Unsterblichkeit gefunden für die, welche an ihn glauben, unter die auch wir uns zu zahlen so glücklich sind. Welche frohe Kunde! Welche Hoffnungen knüpfen sich daran, welcher Trost, welche Zu­ versicht! Alle Jahre an diesem schönen Feste wird uns diese Kunde erneuert, aller christliche Unterricht bezieht und gründet sich darauf, der Glaube an die durch Chri­ stum erworbene Unsterblichkeit ist der Mittelpunkt des christliche« Glaubens. Iß Christus nicht auferstanden, so ist unser Glaube eitel. Aber fassen und verstehen wir auch wohl diese Kunde recht, und begreifen wir den Sinn des darauf gegründeten Glaubens? Den Jüngern war diese Kunde auch geworden, aber sie faßten und verstan­ den sie nicht; und als Christus ihnen selbst erschien, so erkannten sie ihn nicht, weil ihre Augen gehalten waren.

Auch uns kann es geschehen, daß der auferstandene Chri­ stus mit und unter uns wandelt, ohne daß wir ihn er­ kennen; auch unsere Augen können gehalten seyn, und auch uns kann jene Thorheit und Herzenshartigkeit ge­ fangen nehmen, und uns hindern, zu glauben an das, was die Propheten geredet haben; ja, was noch schlim­ mer ist, wir können vielleicht sogar das nicht glauben, was Christus selbst geredet hat und was seine Geschichte noch täglich zu uns redet. Erst nachdem den Jüngern, bey Eröffnung des Verständnisses der Schrift, das Herz entbrannt war, nachdem ste von seiner Rede, von seiner Person so ergriffen waren, daß sie ihn nöthigten, bey ihnen einzukehren, bey ihm zu bleiben, als seine Nahe sie le­ bendig durchdrungen, die Eigenthümlichkeit seines Wesens, seiner Bewegungen und Geberden ihnen erschienen war: erst dann gierigen ihnen die .Augen auf, daß sie ihn er­ kannten. So wird auch uns die Kunde der Auferstehuüg Christi erst dann zur lebendigen Ueberzeugung werden, wenn unser Herz entbrennt bey dem Verständniß der Schrift und der Einsicht in dasjenige, wodurch diese Thatsache bedingt und herbeigeführt war; erst dann wer­ den wir den Auferstandenen erkennen, wenn uns seine lebendige Gestalt nahe tritt, und uns mit geistiger Ge­ walt ergreift; wenn er bey uns einkehrt, mit uns lebt, sich in seinem eigenthümlichen Thun und Wesen zeigt. Erst dann werden wir mit den versammelten Jüngern ausrufen: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden!" Dann werden uns auch die auf Christi Auferstehung gegründe­ ten Hoffnungen erst ganz klar werden, unser Gemüth le­ bendig durchdringen und uns wahrhaft erheben und trösten.

Alles kommt also bey dem Glauben an Christi Auf­ erstehung auf das Verständniß der Propheten an, und auf die Ueberzeugung,

daß Christus leiden mußte, lichkeit einzugehen.

um zu seiner Herr­

Dieses soll der Gegenstand unserer Festbetrachtung seyn, und zwar wollen wir zuerst diese Wahrheit an sich be­ trachten, und zweytens in Beziehung auf uns selbst.

1) Christus mußte leiden, um zu seiner Herr­ lichkeit einzugehen. Die Jünger hatten gehofft, Christus werde Israel erlösen; aber sein Tod, der schimpfliche Kreuzestod, den

er erlitten, hatten die faßt» und werde ein

hatte sie in dieser Hoffnung irre gemacht. Sie Weissagungen der Propheten nur einseitig ge­ sich an die frohe Verheißung gehalten: es Sprößling aus dem Stamm Jsai aufgehen,

ein Herrscher aus dem Hause Davids auftreten, welcher, mit Macht und Weisheit ausgerüstet, Israel von seinen Feinden befreyen, der llebermacht der Gottlosen ein Ende machen, und ein Reich -er Gerechtigkeit und Glückselig­ keit aufrichten werde. Aber sie- hatten die Weissagung nicht erwogen, welche jener zur Seite steht: „Er schießt auf, wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erd­ reich. — Er hat keine Gestalt noch Schöne — er ist der Allerverachteste, voller Schmerzen und Krankheit — er trägt unsere Krankheit und ladet auf sich unsere Schmer­

zen. — Er ist um unserer Missethat willen verwundet, und um unserer Sünde willen zerschlagen — die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Friede hatten." Es sind zweyerley Arten von Weissagungen auf Christum im A. T. Die einen schildern ihn als einen König voll Hoheit, Macht und Herrlichkeit, und verheißen die höchste Glückseligkeit, welche er über sein Volk verbreiten werde. Die andern reden von seinem Kampf und Leiden, von seiner Niedrig­ keit und Demuth, und stellen ihn als einen verfolgten und geplagten Verkündiger der Wahrheit dar. Beyde

Arten von Weissagungen sind wahrhaft, aber nur mit und durch einander, nicht einzeln und im Gegensatz mit «inander. Beyde zusammen enthalten das Bild einer durch Leiden errungenen Herrlichkeit. Es giebt eine Herrlichkeit, welche ohne Kampf und Leiden erlangt wird, das ist die Herrlichkeit der Welt, welche di« Geburt, der Zufall, oder List und Gewalt, er­ theilt. Diese Herrlichkeit aber ist in sich nichtig und ver­ gänglich , und schwindet im verzehrenden. Feuer der Prü­ fung. Die Gehurt hat einen Menschen zum Thron be­

rufen, er beherrscht Millionen Menschen, ist mit Macht und Herrlichkeit bekleidet, ein irdischer Gott an Majestät; aber ihm fehlen die Gaben des Geistes, welche dazu ge­ hören, um ein Herrscher der Völker zu seyn; es fehlt ihm der Geist der Gerechtigkeit und Liebe, womit er das Ganze zusammenhalten und beleben soll: und wenn nun der Sturm des Schicksals über ihn und sein Reich her­ einbricht, so stürzt er von seiner Höhe herab und sein Reich fallt zusammen. Verschwunden ist dann die Herr­ lichkeit, und der Glanz der Majestät ausgelöscht. Ein Anderer hat sich durch List und Gewalt zum Throne em­ porgeschwungen, und herrschet auch mit List und Gewalt; eine Zeitlang halt er die Welt unter seinem schweren Zepter gebeugt, und blendet sie mit dem Glanz der an­ gemaßten Herrlichkeit. Aber da er ohne Gerechtigkeit re­ giert, die Unschuld unter seine Füße tritt und die Frey­ heit in Ketten legt: so kommt der Tag der Rache, er wird herabgestürzt, und ist ein Gegenstand des Spottes für diejenigen, die vorher vor ihm zitterten. Denken wir uns auch eine irdische Herrlichkeit, welche mit aller Tu­ gend und Hoheit des Geistes gepaart ist, die durch Ge­ rechtigkeit und Liebe, durch Weisheit und Rath erhalten und geschützt wird: ist sie nicht demungeachtet vergäng­ lich? Die Welt hat manche gütige und gerechte Könige

gehabt, aber idas sie gethan und gewirkt haben, ist verschwundm. rmd vergessen,

und nur im Buche der Ge­

schichte ist noch davon zu lesen. Allerdings dachten sich die Juden, und mit Huen die Jünger, in dem Erlöser ihres Volks, für welchen sie

Christum hielten, einen eben so gerechten und frommen, als mächtigen und siegreichen König, und sein Reich dach­

ten sie sich nicht

bloß

äußerlich mächtig und glücklich,

sondern auch durch die innere Kraft des Geistes, durch Tugend und Frömmigkeit verherrlicht. Sie glaubten, dieser zukünftige König

werde die Bösen bestrafen, die

Guten' beschützen und Letohnen, Recht und Gerechtigkeit handhaben, mit seinem Beyspiel in jeder Art des Guten

und so ein wahres Reich Gottes auf Erden

vorleuchten, Herstellen.

Aber wäre Christus ein solcher Erlöser gewor­

den, so wäre er nicht zu seiner ewigen Herrlichkeit einge­ gangen, und nicht der Erlöser der Welt geworden, der noch jetzt seine Kirche auf Erden erhält und regiert» Wir können uns zwey Falle denken, wie. Christus der Erlöser seines Volks nach der Erwartung der Jünger hatte wer­

den können.

Im ersten Fall wäre Christus in einer sei­

ner königlichen Abstammung würdigen Lage, in Reichthum

und Herrlichkeit geboren worden, und hätte, vermöge sei­ nes Standes und seiner Macht, den Thron seiner Vater

eingenommen. Dann wäre seine Herrschaft, wenn er auch durch die Gaben seines Geistes vollkommen derselben wür­ dig gewesen wäre, doch nicht durch diese seine Würdigkeit erworben, und diese Würdigkeit nicht von Allen anerkannt

gewesen;

die Bösen hätten nur seine Gewalt gefürchtet,

aber nicht seine Gerechtigkeit geehrt, und selbst die Besse­

ren harten können an ihm irre werden.

Diese Herrlich­

keit wäre mithin eine sehr unvollkomrnene und wandel­ bare gewesen. Im zweyten Fall hatte Christus, arm und niedrig geboren,

die Herrschaft durch sein Verdienst er-

worben, was freylich schwer zu denken ist; Alle, was noch unwahrscheinlicher ist, hätten die Hoheit seines Gei­ stes anerkannt und ihm einstimmig gehuldigt: was würde aber dann die Folge gewesen seyn? Hatte er auch nie mit der Bosheit und Eigensucht der Menschen zu kämpfen gehabt, wäre es ihm gelungen, Alle fromm und tugend­ haft zu machen, hätte er ein glückliches gerechtes Volk in Ruhe und Gottseligkeit beherrscht: seine Herrlichkeit wäre doch nur irdisch und vergänglich gewesen-, man hätte ihn für den weisesten und gerechtesten der Menschen, aber nicht für Gottes Sohn gehalten, er hätte wie ein Mensch geendet, und wäre gestorben, ohne wieder aufzucrstehen, das Grab hatte ihn behalten, und sein Gedächtniß wäre unter den Menschen ausgelöscht, wie das anderer guter Könige. Er hätte einen Nachfolger in seinem Reiche ge­ habt, der seine Werke zerstört oder unvollendet gelassen hätte, daß von ihm hergestellte Reich Gottes wäre wieder von der Erde verschwunden, und er wäre nicht der ewige König des Reiches der Geister geblieben. O die Thorheit und Herzenshärtigkeit, welche eine solche Hoffnung hegen konnte! die nach einem trügerischen Schein griff, welcher, in der Nähe geschaut, in Nichts zerfließen mußte!

Ganz anders war es im Rathe Gottes beschlossen. Christus ward in Armuth und Niedrigkeit geboren, aber mit der unendlichen Fülle des Geistes ausgestattet. Unschein­ bar und anfangs kaum bemerkt, trat er auf als Lehrer, umgeben von wenigen Schülern. Er predigte gewaltiglich, das Wort der Wahrheit und des Lebens gieng aus seinem Munde, er erleuchtete, belebte, tröstete diejenigen, welche ihn hörten, er streute den guten Samen aus, wel­ cher hie und da auf einen empfänglichen fruchtbaren Bo­ den fiel. Er that wohl, wo ihm Elend begegnete, er machte Kranke gesund und erweckte Todte, und mit der Wärme der Liebe, die er in diesen Thaten ausströmte,

brach zugleich ein Strahl seiner verborgenen Herrlichkeit

durch und erleuchtete die dunkele Welt. Viele glaubten an ihn, am meisten seine Jünger. Es sammelten sich um ihn Haufen des Volks,

welche ihm huldigten und ihn zum Könige machen wollten. Ob er sich ihnen gleich ent­

zog, so zitterten doch vor ihm die Machthaber des VolksEr wich aus, um so lange

und legten ihm Schlingen.

als möglich zu lehren und zu wirken; endlich aber konnte

er nicht langer ausweichen,

ohne der Wahrheit, seinem

Berufe und dem Willen des Vaters, der ihn gesandt, un­

treu zu werden. Er mußte, um sein Werk zu vollenden, öffenttich vor der Welt bekennen, daß er Gottes Sohn sey, und ihr laut das Heil anbieten, das er ihr brachte, um

ihrem

Unglauben

keine

Entschuldigung

zu

lassen.

Dieß konnte er aber nicht thun, ohne als Opfer der Bos­

heit seiner Feinde zu fallen.

Er sah's voraus, und that

es doch, dieß forderte der Wille des himmlischen Vaters. Er sollte um der Sünde der Menschen willen leiden, als unschuldiges Lamm Gottes. Er, der von keiner Sünde wußte, den der Böse langst vergebens versucht hatte, blieb auch am Stamm des Kreuzes von der Sünde

unberührt;

er litt die größten Schmerzen,

und

erfuhr

den schnödesten Undank der Menschen, und doch blieb sein Herz der Liebe getreu; er murrte und wankte nicht; er fühlte und bekannte seine Hoheit auch in der grüßten

Schmach, welche die Bosheit der Menschen auf ihn häufte; der Tod lös'te seinen Leib auf, aber seine Seele berührte

er nicht, welche frey von Todesfurcht blieb; in seinem Lei­ den siegte der Geist über das Fleisch, das Leben über den Tod.

Unsterblicher ewiger Natur, wie der Vater,

der

ihn gezeugt, bewies er sich schon am Kreuze unsterblich, sein unüberwundener Geist knickte den Stachel des Todes,

und nahm der Hölle den Sieg. Schon am Kreuze war die Verherrlichung Jesu vollen­ det; wer ihn sah, mußte mit dem heidnischen Hauptmann

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ausrufenr „Wahrlich, das ist Gottes Sohn!" Aber nun ließ Gott die Herrlichkeit des erprobten Dulders auch sichtbar erscheinen; wie der Geist sich unsterblich bewiesen hatte, so gicng auch der Leib, durch Gottes Macht auferweckt, wieder aus dem Grabe hervor, erschien den Jüngern, «nd ward nach vierzig Tagen aufgehoben gen Himmel. So vollendet und verherrlicht, ist Christus nicht bloß Erlöser seiner Zeit und seines Volks, sondern des ganzen Menschengeschlechts geworden. Er siarb für Alle, erwarb Allen die ewigen Güter des Geistes und girng m. die Herr­ lichkeit des Vaters ein, zu dessen Hand er sitzet, um für uns sürzubitten und seine Kirche zu erhalten und zu regieren. 2) Wie Christus, so müssen auch wir zur Herr­ lichkeit durch Leiden eingehen, das ist es, was wir zweytens betrachten wollen. Es giebt Viele, welche die durch Christum erworbene Hoffnung der Unsterblichkeit und ewigen Seligkeit, wie die Jünger die Hoffnung der Erlösung, fleischlich und irdisch fassen, und die gleich diesen das Bild der Auferste­ hung, das ihnen Christus zeigt, nicht fassen und verstehen, indem sie nach einem andern trügerischen Bilde derselben hinschauen. Solche Christen lieben die Welt und ihre Güter und Freuden, und können darum das Neberirdische

nicht fassen. Wenn sie auch nicht gerade in schändlichen Lüsten, leben, so dienen sie doch einer gewissen fleischlichen Lust; nnd ist es mich nicht die grobe Lust des Fleisches, so wissen sie sich doch nicht zum reinen Leben des Griftes zu erheben. Sie hangen an den, an sich unschuldigen und edlen Freuden der Gatten-, Kinder- und Freundesliebe, die aber dadurch, daß man das Herz daran hangt, sünd­ haft und gottlos werden. Sie zittern, wenn ihnen-ei» Verlust von dieser Seite drohet; und wenn er sie trifft,

so sind sie untröstlich, und wissen sich nicht von der Trauer und Sehnsucht loszumachen. Sie sind nicht auf eine grobe Weise eigensüchtig, aber sie lieben doch ihr Glück,

und sind auf eine gewisse Weise davon abhängig; und verlieren sie es, so trösten sie sich nur mit der Hoffnung auf einstigen Ersatz. Sie sind in ihren Handlungen nicht auf eine grobe Weise eigennützig, sie wirken mit Eifer für das allgemeine Gute; aber ss wollen doch selbst daran Theil nehmen, sie können nicht sich und ihr Glück für das Allgemeine aufopfern. Legt ilnen nun die Pflicht große Entsagungen auf, so treten it scheu zurück, und suchen sich mit ihrem Antheil am Leben in Sicherheit zu brin­ gen. So eigensüchtig ist auch ihre Hoffnung auf die Ewigkeit. Sie möchten gern alles mit hinübernehmen, was ihnen hier am Herze» liegt; der Gedanke der Un­ sterblichkeit ist ihnen erfreulich, weil sie jenseits wieder zu finden hoffen, was sie hienieden schon verloren haben oder noch verlieren sollen; sie wollen die Geliebten wieder um­ armen, ihre Thränen sollen dort getrocknet, ihre Leiden durch ewige Wonne ersetzt werden. Solche Christen mö­ gen den Spruch Christi beherzigen: „Wer Vater und Mut­ ter, Sohn und Tochter mehr liebt, als mich, der ist mein nicht werth; wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt uud folget mir nach, der ist mein nicht werth; wer sein Leben findet, der wird es verlieren, und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden." Nur wer die Freu­ den und Güter dieser Welt mit Freuden aufopsern kann, der wird die ewige Freude, das ewige Gut der Seligkeit erlangen; nur wer den Verlust seiner Lieben mit Erge­ bung trägt, und in der Trauer die geistliche Heiterkeit bewahrt, der wird sie wirderfinden; nur wer sich und seine Persönlichkeit schon hier aufgeben kann, der wird zum

ewigen Leben erwachen; nur wer aller Herrlichkeit der Welt entsagen kann, der wird zur ewigen Herrlichkeit Christ» eingehen. Ja, wer dieß alles kann, der verliert

schon hier nichts von allem, was er liebt, dem kann der Tod nichts rauben, der lebt schon hier ein unsterbliches Leben. Laßt uns an Christo lernen, wie wir dieser HerrD

lichkeit theilhaftig werden können, imd uns-sein Beispiel zur Nachahmung vorsellen. Christus lebte aut Erden allein für das Ewige, für die Wahrheit, die Sieb*., die Vollziehung seines Werkes, das ihm Gott aufgeleg hatte. Er liebte die Menschen, aber nur um sie zu erlösm und selig zu machen, nicht um sie zu beherrschen und sie sich und seinem Nutzen-dienstbar zu machen. Er nahm Theil an ihren Freuden und Leiden, aber nur aus reiner himmischer Liebe-, nicht ajiö e-jgWsüchtigem Wohlgefallen. Dch Fleisch hatte keine Gewalt ay ihm-, die Reize der Welt giengen an ihm ohnmächtig vorüber. Seine Speise war, daß er den Willen seines Vaters that, und sein Vater u«d seine Mutter und seine Geschwister waren die, welche bm Willen seines himmli­ schen Vaters thaten. In diese» himmlischen Sinn der Liebe und des Gehorsams scheuete er kein Hpsrr der Enk sagung, und so litt er selbst den Tod am Kreuz. Weil er nun aber von jeher dem Ewigen gelebt hatte, so konnte ihm der Tod nichts rauben, und er war ihm nichts, als der Uebergang zur ewigen Herrlichkeit; weil er stets un­ sterblich gelebt hatte, so erlangte er auch im Tode Unsterb­ lichkeit. So sollen auch wir allein das Ewige lieben, und an nichts Irdisches unser Herz hangen. Zwar sollen wir das Irdische auch lieben, denn die Erde ist des Herrn und was sie erfüllt; aber wir sollen es nur um des Ewi­ gen willen lieben. An unseren Freunden und GesiMen; sollen wir nichts Vergängliches und Aeußerliches, sondern allein ihre unsterbliche Seele lieben, und nur für ihr ewi­ ges Wohl sollen wir sorgen. Wenn sie uns nun der Tod raubt, so hat er uns nur das Vergängliche an ihnen

genommen, nicht ihr unsterbliches Wesen, und mithin ha­ ben wir nichts verloren. Alles, was zum Glück unsers Lebens gehört, sollen wir nur lieben um Göttes willen, und uns nur daran freuen, um dafür Gott Dank zu sa­ gen.

Wir essen oder trinken, oder n>as wir thun, so sol-

len wir Alles zu Gottes Ehre thun. tigungen und Bestrebungen

sollen

Alle unsere Beschäf­ aus

der Liebe zum

Ewigen hervorgehen, und stets soll uns dabey die Gesin­

nung begleiten, daß wir auf die Freude des Erfolgs und

die Theilnahme an dem Genuß desselben Verzicht leisten. Für das Reich Gottes, das Ewige, Unvergängliche, sol­ len wir arbeiten, und die Früchte unserer Mühe gerne

Andern überlassen.

Ja, wenn der Ruf der Pflicht uns

zum Tode ladet für Wahrheit und Recht, so sollen wir nicht zagen, sondern unser Kreuz auf uns nehmen und Christo nachfolgen. Wenn wir in diesem Sinne leben»

so wird uns der Schrecken des Todes nicht berühren, und wir werden nicht ungeduldig und zweifelnd fragen, ob wir auch mit diesem unsern irdischen Wesen in das ewige Leben eingehen werden. Müßte auch alles dahinten blei, ben, was zu unserer Persönlichkeit gehört, wir würden

picht zagen, da wir uns zum Ewigen gelautert und alles Irdische von uns gethan haben.

Aber wer tiefen Sinn

hat, wird auch von solchewZweifeln nicht beumuhigt wer­

den.

Er versteht jenes Geheimm'ß, daß wir mit demsel­

ben Leibe, aber verklart, zur himmlischen Klarheit aufer­ flehen werden.

Die Liebe des Ewigen, in welcher er lebt,

hat sein ganzes Wesen durchdrungen, das Fleisch ist in ihm geheiligt und verklart, der Tod und die Verwesung hat keine Macht über ihn; er hat den Tod schon geschmeckt durch Kreu­ zigung des Fleisches, und ist zu einem neuen geistlichen Le­ hen auferstandep. Wer so gesümet ist,, dem brennt das Herz,

wenn er von dem Leiden und der durch Leiden, erworbene« Auferstehung des Herrn hört und liefet, der Auferstandene ist ihm nahe, sein Athem berührt ihn, das heilige Feuer sei­ ner Liebe durchdringt sein Herz; er ladet ihn zu sich ein,

wenn es Abend werden will, wenn die Schatten des Todes ihLUMschweben, und er sieht ihn in seiner lebendigen, verklar­

ten Gestalt, in seinen Bewegungen und Gebärden, und läßt

ihn nie von sich» sondern bleibt mit ihm vereint bis in Ewigkeit. D 2

Wer Son nn§, meine christlichen Zuhörer, noch m» den Vorurtheilen hangt, welche die nach Emmaus gehenden Jünger Christi hegten, wer von Christo und dem Glauben an ihn irdische Herrlichkeit erwartet, und das Irdische selbst in das Ewige ^übertragt, der schließe sich im Geiste an diese Jünger an, höre mit ihnen, wie ihnen Christus

den Sinn der heiligen Schriften aufschließt, und ihnen zeigt, daß Christus leiden mußte, um zu seiner Herrlich­ keit einzugehen, und erkenne, von seiner Thorheit und Tragheft des Herzens geheilt, dm durch Leiden Verherr­ lichten, fühle die stille, aber gewaltige Kraft seines Gei­ stes, und fasse den trostreichen Glauben, daß der Verlust des irdischen Lebens und der irdischen Güter, in der wah­ ren Liebe für das Ewige muthig und tapfer ertragen, das ewige Leben und die ewigen Güter zum Gewinn bringt, daß der Fromme durch das Feuer der Prüfung zur höhe­ ren Verklarung gelangt, daß durch freywillig übernomme­ nen Tod und durch Ertödtung der irdischen Lust Unsterb­

lichkeit und ewiges Leben erlangt wird. O erscheine unS, verklarter, durch Leiden verklarter Christus, in deiner le­ bendig geistigen Gestalt, entfessele unsere Augen von der Binde irdischer Liebe und Lust, befreye unser Herz von der fleischlichen Verzagtheit, und verleihe uns mit deinem heiligen Geist den Geist des heiligen Muthes und der Tapferkeit, wodurch wir in Leiden und Verlust die geist­ liche Heiterkeit und die himmlische Hoffnung bewahren, und uns ermuntert fühlen, mit dir durch Leiden einzuge­ hen in die ewige Herrlichkeit.

Amen.

Weimar, gedruckt in der Buchdruckern des Land. - Jnd. - Comptoirs.