Predigten und Reden [Reprint 2020 ed.]
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Predigten und Äeden von

D. H. A. MMn o. ö. Professor der Theologie an der Universität Gießen

Geh. Kirchenrat.

w

Gießen

I. Ricker'sche Verlagsbuchhandlung (Alfred Töpelmann)

1901.

Druck von E. G. Röder, Leipzig.

Den teuren Freunden im Amte zur Erinnerung

an die gemeinsame Arbeit in Friedberg, Darmstadt, Gießen

gewidmet

vom Verfasser.

Inhaltsverzeichnis. Seite

Vorwort................................................................................................................ VII Eingang. Pastorale Geleitsworte. I. „Wir möchten Jesus sehen." Joh. 12, 20—24 ................. 3 II. Das Evangelium Jesus' und das Evangelium von Jesus. Matth. 11, 28—30 ......................... '.............................. 6 III. Das Grundgebot der Liebe. Luk. 10, 29. 36 ..................... 8 IV. Der Schriftgelehrte, zum Himmelreich gelehrt. Matth. 13, 52 10 V. Glaube und Forschung. Hebr. 1, 1—3....................................... 14 VI. Neujahrsbitte und Neujahrsvorsatz................................................17 VII. Priester und Glaube. Ap.-Gesch. 6, 7....................................... 20 VIII. Sei wahr! Joh. 18, 37 b............................................................ 23 1. Predigt am Adventsfest. Matth. 21, 1—9 (Darmstadt 1893) . 29 2. Predigt am Weihnachtsfest I. Luk. 2, 15—20 (Darmstadt 1891) 36 3. Predigt am Weihnachtsfest II. Hebr. 2, 14. 15 (Friedberg 1886) 44 4. Predigt am Karfreitag I. Luk. 23, 46 (Darmstadt 1895) ... 50 5. Predigt am Karfreitag II. Joh. 19, 17 a (Friedberg 1886) . . 57 6. Predigt am Osterfest. Joh. 11, 25. 26 (Darmstadt 1895). . . 63 7. Predigt am Himmelfahrtsfest. Ap.-Gesch. 1, 4—11 (1876) . . 68 8. Predigt am Pfiugstfest. Joh. 14, 23—31 (Friedberg 1886) . . 75 9. Der Glaube ist Kraft. Predigt über Röm. 1, 16 (Gießen 1896) 82 10. Des Glaubens Verheißung. Predigt über Joh. 6, 47 (Gießen 1898) 88 11. Mit Jesus darf man Großes wagen. Predigt über Luk. 5, 1—11 (Gießen 1896).................................. '.......................... 95

12.

13.

14. 15. 16. 17.

Gebet Gott, was Gottes ist! Predigt über Matth. 22, 15—22 (Gießen 1895)............................................................................ Feierstunden und Leidensstunden. Predigt über 2. Kor. 12, 1—10 (Darmstadt 1895)........................................................................ Wir wissen... . Predigt über Röm. 8, 18—26 (Darmstadt 1895) Predigt am Erntedankfest. Joh. 6, 48 (Friedberg 1890) . . . Predigt am Totenfest. Röm. 8, 38. 39 (Friedberg)............ 130 Predigt am Reformationsfest. Ps. 116, 10 (Gießen 1896) . .

102

109 117 123 137

VI

19.

Seite Predigt am Jahresfest einer Bibelgesellschaft. 2. Tim. 3, 15—17 (Frankfurt a/'M. 1885)................................................................... 144 Predigt bei der 50. Jahresfeier des Württembergischen Haupt-Vereins

20.

der Gustav-Adolf-Stiftung. Jes. 43, 70 (Stuttgart 1893) . 152 Festpredigt bei der 50. Hauptversammlung des Evangelischen

18.

Vereins der Gustav - Adolf - Stiftung zu Berlin. Luc. 10, 38—42. 1897 ................................................................................ 160

21.

Predigt an einem Jahresfest der Inneren Mission. Joh. 13, 1.

22.

Predigt zur 25 jährigen Jubelfeier einer freiwilligen Sonntags­ schule (Kindergottesdienst). Luc. 2, 49 (Darmstadt 1891 . 176 Festpredigt am 3. deutsch - evangelischen Kirchengesangvereinstag

(Gießen 1887)................................................................................

23.

24. 25.

169

(Halle a/S. 1884)..................................................... 182 Predigt am Jahresfest des Evang. Protest. Missions-Vereins (Frankfurt a/M. 1898)................................................................... 189 Predigt am Missionsfest (Gießen 1899)............................................ 199

26.

Predigt bei der Trauerfeier für S. K. Hoheit den Großherzog Ludwig IV. von Hessen und bei Rhein (Darmstadt 1892) Ps. 39, 2 ......................................................................................... 206

27.

Predigt bei der erstmaligen Feier des Geburtssestes S. K. Hoheit des Großherzogs Ernst Ludwig (Darmstadt 1892) Ps. 84, 12 212

28. 29.

Predigt am Nationalfest. Mark. 7, 31—36 (Gießen 1897) . . 217 Predigt zur Feier der Kaiserproklamation. 2. Cor. 5, 17 (Villiers

30.

für Marne vor Paris 1871)...................................................... 225 Predigt bei der erstmaligen Geburtstagsfeier des Deutschen

Kaisers Wilhelms I. Ps. 21, 2. 3 (Rheims 1871) .... 233 Rede bei der 25 jährigen Gedächtnisfeier der Wiederaufrichtung des Deut­

schen Reichs (Gießen 1896)................................................................... 239 Rede bei der Feier des hundertjährigen Geburtstages Kaiser Wilhelms I. (Gießen 1897)................................................................................ 247 Gedächtnisrede auf Philipp Melanchthon zum 400jährigen Geburtstag

desselben (Gießen 1897)........................................................................ 256

Vorwort. Das vorliegende

Büchlein

möchte

als

Abschiedsgruß

des

nach 18 jähriger Wirksamkeit im Lehr- und Aufsichtsamt in die Stille zurückkehrenden

älteren Freundes

an

die

jüngeren

an­

gesehen werden. Daß ich hiezu gerade Predigten gewählt habe, findet darin

seine Erklärung und vielleicht auch Entschuldigung, daß es mir in den letzten zwei Jahren nicht mehr vergönnt gewesen ist, meiner

Pflicht als Prediger nachzukommen, für den Lehrer der praktischen

Theologie eine Entsagung schmerzlichster Art. Den jungen Freunden glaubte ich durch Darbietung einer

möglichsten Mannigfaltigkeit auf beschränktem Raume am meisten dienen zu können.

Deshalb habe ich davon abgesehen, einen

vollen Jahrgang von Predigten zusammenzustcllen und die Pre­ digt für besondere Gelegenheiten

(innere

und

äußere Mission,

Kirchengesangfest, Gustav-Adolfs-Fest, vaterländische Feste u. a.) be­ rücksichtigen zu sollen.

Daß die Predigten nicht Musterpredigten

sein wollen, brauche ich denen, die mich kennen, nicht zu sagen. Der Professor hat es, wenn er zur Gemeinde zu sprechen berufen

war, für seine höchste Aufgabe gehalten, der Gemeinde als Seel­ sorger zu dienen. Die den Schluß blldenden „Reden" möchten als Predigten

im weiteren Sinne gelten, sofern es zwar die Volksgemeinde, bezw. die akademische Genossenschaft ist, an die sie sich wenden, aber der Theologe, der evangelische Christ, der darin das Wort nimmt.

Daß ich den beiden „politischen Predigten" von 1896

VIII und 1897 die entsprechenden, aus der geschichtlichen Situation hervorgewachsenen „Feldpredigten" von 1871 habe vorausgehen

lassen, geschah im Blick auf die jüngsten unter meinen Freunden.

Ihnen in erster Linie gelten auch die „Pastoralen Geleits­ worte", die den Eingang bilden.

Es sind dies kurze Betrach­

tungen, mit denen ich im Wintersemester 1900/1901, meinem letzten, die Zusammenkünfte des homiletisch-katechetischen Seminares

einleitete.

In diesen behandelten wir die Stellung der Predigt

zum Alten Testament.

Dies wolle bei Nr. V und VIII freund­

lich berücksichtigt werden. Den Verlagshandlungen von Reuther und Reichard-Berlin,

H. Friedrich-Berlin, Greiner und Pfeiffer-Stuttgart, welche den Abdruck einzelner bei ihnen früher erschienenen Predigten gestattet

haben, sei hiefür herzlicher Dank gesagt.

Gießen, den 1. März 1901.

Aer "2j?erfaflTer.

Pastorale Geleitsworte.

I.

dir möchten Jesus sehen. Loh. 12, 20—24.

Lassen Sie mich unsere gemeinsamen Besprechungen, die wir diesmal hier wie im Familienkreise als eine geschlossene Haus­

gemeinde halten werden, mit einem kurzen Begrüßungsworte er­

öffnen, das ich anschließen möchte an die Worte, die wir im Ev. Joh. 12, 20—24 lesen: „Es waren aber einige Griechen unter denen, die

hinaufgingen, anzubeten am Fest;

diese nun kamen zu

Philippus, dem von Bethsaida in Galiläa, und baten ihn

also: ,Herr, wir möchten den Jesus sehen? Geht Philippus und sagt es

dem Andreas,

geht

Andreas mit Philippus und sagen es Jesus. Jesus kommen,

aber antwortete ihnen: ,Die Stunde ist ge­

daß

des

Menschen

Sohn

verherrlicht

werde.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und abstirbt, bleibt es eben ein Korn.

Wenn es aber abstirbt, bringt es viele Frucht?"

Jesus ist mit seinen Jüngern zur Feier des Passahfestes nach Jerusalem hinaufgereist.

Die Entscheidung steht unmittelbar

bevor. Zum ersten Male hat er es geduldet, daß begeisterte Volks­ massen ihn als den Messias mit Hosiannahruf einholten, und

damit sich als den bezeichnet, in dem die Verheißung der Pro­ pheten zur Erfüllung kommen sollte. Mund.

Sein Name war in aller

Er war recht der Mann des Tages, den einen der Gegen­

stand leidenschaftlichen Hasses, der unter allen Umständen weg 1*

4 mußte, jetzt weg mußte nach jenem doppelsinnigen, unbewußt

weissagenden Schlußwort ihres geistlichen Oberhauptes:

besser, daß Ein Mensch sterbe für das Volk,

„Es ist

denn daß das

ganze Volk zu Grunde gehe!" — den andern der Gegenstand

der Sehnsucht, an dem sie mit hochgespannter Erwartung empor­

schauten. Wir verstehen es, daß jene hellenischen Proselyten Jerusalem nicht verlassen wollen, ohne diesen Mann von Angesicht zu An­ gesicht gesehen zu haben, und daß sie sich an den ihnen bekannten

und zugänglichen Vertrauten wenden mit der Bitte: „Herr, wir möchten den Jesus sehen!" —

„Herr, wir möchten den Jesus sehen!" — drückt sich nicht

darin die Stimmung aus, in der wir Theologen von dem theoretischen Studium unserer

so

überaus

vielschichtig gewordenen

Wissenschaft an die praktische Arbeit herantreten,

die nun im

homiletischen Seminar, wenn auch erst in schüchternen Versuchen,

beginnen soll?

Wir sind seinerzeit Theologen geworden nicht um der theo­ logischen Gelehrsamkeit willen.

Wir haben uns vielmehr seiner­

zeit entschlossen, uns die theologische Wissenschaft anzueignen, um

dadurch in stand gesetzt zu werden, die Menschen zu Jesus zu führen und mit ihm

bringen.

in eine persönliche Lebensverbindung zu

Das können wir doch nur, wenn wir diesen Jesus selbst

kennen gelernt, wenn wir ihn gesehen haben, gesehen zwar mit

dem Auge des Glaubens, im Umriß, von der Ferne, aber doch

gesehen, wie er ist und wie er gesehen und verstanden sein will. Vielleicht ist es dem einen und andern unter Ihnen beim

Studium mitunter auch so zu Mute gewesen, als wollte ihm die

teure Gestalt des Jesus, um deswillen er sich seinerzeit zum Studium der Theologie hingezogen gefühlt hat, gerade über dem

Studium entweichen, als wollte sie ihm in nebelhafte, unerreich­ bare Ferne entschwinden über allen den Fragen der kritischen

Forschung,

über

allen

den Versuchen

der Formulierung

und

Organisation, worin die Menschen im Laufe der Geschichte sich bemüht haben, das, was ihnen an Ihm das Wichtigste war, festzuhalten und in bleibende Gestalt zu bringen.

5 Deshalb thut es jetzt, da wir an die praktische Arbeit heran­

treten, bei welcher es sich darum handelt, das, was uns geworden ist, weiterzugeben, das,

was wir erkannt haben, auszuwerten,

dringend not, uns recht kräftig und nachdrücklich zum Bewußtsein

zu bringen, daß den Leitstern aller Theologie, auch der kritischen, ja gerade der kritischen, das Wort bildet:

„Herr, wir möchten

den Jesus sehen!" Denn sie will mit ihrer mühsamen Arbeit ganz

gewiß nicht von ihm ab, sondern näher zu ihm hin führen, ihn

selbst uns zeigen und schauen lassen hinter allen den menschlichen Systemen und Theologumenen, die seine Herrlichkeit wie die Säulen­

gänge eines Tempels umschließen und sehr oft, zuinal für Augen, die gehalten sind, verschließen und verdecken. Auch die praktischen, sowohl die homiletischen wie die katechetischen Übungen sind nicht um ihrer selbst willen da, sie wollen nur die Mittel an die Hand geben, um das eigene, persönliche

Zeugnis von Jesus so zu gestalten, daß es sich homogen an das

Wort Jesus' anfügt, als sein Evangelium, als sein Wort, als dessen Weitergabe ausweist.

Sie haben ihren Wert nicht darin,

daß sie Fertigkeiten sind, sie haben nur Wert in der Hand dessen,

der den Jesus gesehen hat und sein Wort im Geiste trägt.

Was nun Jesus, übermannt von der Bedeutung der Stunde, zu den Jüngern sprach von dem Weizenkorn, das in die Erde fallen und absterben muß, daß es viele Frucht bringe, das zu erschöpfen fehlt jetzt, bei dieser Gelegenheit, die Zeit.

Von der

Seite aber mag es uns auch jetzt bedeutsam sein, daß es uns erkennen läßt: was Jesus ist und der Menschheit bedeutet, kann nur er selbst uns erschließen.

Denn was er dort von der Not­

wendigkeit seines Todes zur Erfüllung seiner Mission sagt, das war auch den vertrautesten Jüngern noch verborgen.

Die ver­

trautesten Jünger, geschweige wir Professoren, können Ihnen den Jesus nur zeigen.

Um ihn zu „sehen", müssen Sie ihm selbst

ins Auge schauen.

Deshalb gilt Ihnen jetzt, da Sie auf Ihre Berufsarbeit

hinausblicken, mehr noch, als bisher, der Rat: kein Tag ohne

Aufblick zu ihm, kein Tag ohne Umgang mit seinem Wort.

Wir wollen mit ihm reden, auch wenn wir ihn zeitweise nicht

6 sehen, an sein Wort uns halten, auch wenn es vielleicht vorerst

wenige Worte sind, die wir als wirklich von ihm gesprochen gelten lassen.

Er lebt nicht bloß in den von ihm wirklich gesprochenen

Worten, sondern auch in den Wirkungen, die von ihm ausgehen.

Wer in dem wenigen, das sich ihm während der Universitätsjahre als „echt" und probehaltig erwiesen hat, treu ist, mit den un­

bestrittenen Jesusworten Ernst macht bei sich selbst, der wird es erfahren: wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe. —

II.

Das Evangelium Jesus' und das Evangelium von Jelus. Matth. 11, 28—30. Unsere Stelle ist das Evangelium Jesus' von sich selbst.

Aus ihr erhellt, daß und warum in das Evangelium Jesus' das

Evangelium von und über Jesus, in die Frohbotschaft, die Jesus der Welt zu bringen hat, die Frohbotschaft, die sich auf seine Person bezieht, notwendigerweise hineingehört, die Verkündigung

des Jesus von der Verkündigung über Jesus schlechthin nicht zu trennen ist. Gewiß ist das, was Jesus uns sagt, an sich schon etwas

Großes, Gutes.

Seine Verkündigung — denken wir nur an die

Worte der Bergpredigt, an die Gleichnisse! — leuchtet durch sich selbst ein und

rechtferttgt sich durch sich selbst vor dem unbe­

stochenen Wahrheits- und Rechtssinn, dem theoretischen und prak­ tischen Gewissen.

Aber die Kraft der Nötigung erhält diese Ver­

kündigung doch erst durch die Persönlichkeit, die hinter den Worten

steht.

Zwingende Kraft erhält die Botschaft des Herrn erst durch

seine Botschaft über sich selbst. Jene Botschaft ist eine Frohbotschaft,

ist Evangelium durch ihren Inhalt, durch das, was sie uns in

Aussicht stellt.

Aber verbürgt ist dieser Inhalt durch das, was

der Redende von sich selbst aussagt: „Niemand kennet den Sohn,

6 sehen, an sein Wort uns halten, auch wenn es vielleicht vorerst

wenige Worte sind, die wir als wirklich von ihm gesprochen gelten lassen.

Er lebt nicht bloß in den von ihm wirklich gesprochenen

Worten, sondern auch in den Wirkungen, die von ihm ausgehen.

Wer in dem wenigen, das sich ihm während der Universitätsjahre als „echt" und probehaltig erwiesen hat, treu ist, mit den un­

bestrittenen Jesusworten Ernst macht bei sich selbst, der wird es erfahren: wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe. —

II.

Das Evangelium Jesus' und das Evangelium von Jelus. Matth. 11, 28—30. Unsere Stelle ist das Evangelium Jesus' von sich selbst.

Aus ihr erhellt, daß und warum in das Evangelium Jesus' das

Evangelium von und über Jesus, in die Frohbotschaft, die Jesus der Welt zu bringen hat, die Frohbotschaft, die sich auf seine Person bezieht, notwendigerweise hineingehört, die Verkündigung

des Jesus von der Verkündigung über Jesus schlechthin nicht zu trennen ist. Gewiß ist das, was Jesus uns sagt, an sich schon etwas

Großes, Gutes.

Seine Verkündigung — denken wir nur an die

Worte der Bergpredigt, an die Gleichnisse! — leuchtet durch sich selbst ein und

rechtferttgt sich durch sich selbst vor dem unbe­

stochenen Wahrheits- und Rechtssinn, dem theoretischen und prak­ tischen Gewissen.

Aber die Kraft der Nötigung erhält diese Ver­

kündigung doch erst durch die Persönlichkeit, die hinter den Worten

steht.

Zwingende Kraft erhält die Botschaft des Herrn erst durch

seine Botschaft über sich selbst. Jene Botschaft ist eine Frohbotschaft,

ist Evangelium durch ihren Inhalt, durch das, was sie uns in

Aussicht stellt.

Aber verbürgt ist dieser Inhalt durch das, was

der Redende von sich selbst aussagt: „Niemand kennet den Sohn,

7 denn nur der Vater, und niemand kennet den Vater, denn nur

der Sohn,

und

wem es

der Sohn will offenbaren".

Diese

Worte lassen uns einen tiefen Blick in das Geheimnis seiner Persönlichkeit thun, sie lassen uns den verborgenen Untergrund

und Hintergrund seines Bewußtseins ahnen. größte und

diese

So kann auch der

frömmste Mensch nicht von sich reden.

Aber was

wunderbaren Worte zum Evangelium stempelt, zu

einer

Frohbotschaft für uns macht, das ist das helle Licht, in welches

sie die Botschaft, die er uns zu bringen hat, rücken, das Gewicht, welches sie dieser verleihen, indenr sie diese Botschaft aus dem Bereich einer bloß menschlichen Meinung, über die sich doch immer noch diskutieren läßt, zum Rang einer unmittelbaren Offenbarung Gottes erheben.

Was diese Botschaft Jesus' von ihm selbst für

uns zum Evangelium macht, das ist also nicht ihr dogmatischer

Wert, so sehr dieser zu betonen ist, sondern ihr religiöser Wert,

ihre Bedeutung für das Gewicht, den Nachdruck, die Tragweite,

die sie seiner Heilandsverkündigung verleiht.

Wer das von sich

sagen kann, was Jesus hier von sich sagt, der muß Ernst ge­ nommen werden, dem darf man zutrauen, daß das, was er ver­

spricht, nicht haltlose Redensart, nicht ein menschliches Programm ist, über dessen Durchführbarkeit man streiten kann, sondern An­

kündigung dessen, was er wirklich bieten kann, wirklich leistet und durchführt. „Ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen!"

Es ist der

höchste und letzte Wunsch der Menschenseele, dem Jesus damit

Erfüllung zusagt.

Denken Sie an Augustins Wort: „cor nostrum

inquietum est, do nee requiescat in te!“

Für den künftigen

Seelsorger hat er ganz besonderes Gewicht. Wer andern ein Führer, ein Ratgeber, ein Halt, eine Zuflucht sein will, der muß selbst

jene Ruhe der Seele in sich tragen, die von Jesus ausströmt,

die seine Lebensworte atmen.

Wem wird sie?

„Nehmet auf euch

mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von

Herzen demütig.

So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen."

Sein Joch auf sich nehmen heißt: sich als sein Jünger willig in

seine Führung begeben, sich von ihm weisen lassen; nicht bloß sich von ihm passiv lenken lassen, sondern von ihm lernen, d. h. nicht

8 bloß spielend ihm etwas absehen, sondern mit Anstrengung des Geistes, des Willens, lernen; lernen, was das Geheimnis seiner

überlegenen Ruhe und Seelenstille ist, also lernen die Sanftmut und herzliche Demut, wie sie aus dem Gethsemanewort spricht:

„Vater,

nicht wie ich will, sondern

wie du willst".

Aus ihr

quillt dies Bewußtsein seliger Geborgenheit in Gott. Sie ist nicht

die unmittelbare Folge seiner Gottes-Sohnschaft, seiner „göttlichen Natur",

sondern

seines

Kindseins,

seines

Eingehens

auf

die

Sohnesstellung, seines Charakters, etwas Erworbenes (Phil. 2,6), also das an ihm, was wir von ihm lernen können. Wir wollen das nicht vergessen über dem, was wir über

ihn lernen! —

III.

Das Grundgebot der Liebe. Luk. 10, 29 und 36. Keines ist uns geläufiger.

Fast keine Kandidatenpredigt be­

kommt man zu hören, die es nicht an irgend einer Stelle bringt. Auch das Gleichnis, an dem es der Herr veranschaulicht, ist eines

der am meisten im Unterricht und in der Predigt verwerteten Stücke.

Wir wollen jetzt nicht darauf eingehen.

Ich möchte Ihre

Aufmerksamkeit jetzt nur einen Augenblick auf die Form der Frage

des Schriftgelehrten und der Gegenfrage Jesus' hinlenken. Die Frage des Schriftgelehrten lautet: „Wer ist denn mein

Nächster?"

Die Antwort auf die in dieser Form gestellte Frage

giebt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter V. 30—35 in aller Vollständigkeit und Deutlichkeit.

Dein Nächster, dem du „die

Barmherzigkeit erzeigen", dem du dich mit deiner Kraft und Gabe zur Verfügung stellen, zu Dienste sein sollst, das ist immer der­

jenige Mensch, der — er sei sonst, wer er wolle — im gegebenen Falle auf dich angewiesen ist, so daß, wenn du vorübergehst und

ihm die Hilfe versagst, deren er bedarf und die du ihm leisten ckannst, du die Verantwortung trägst, wenn er darüber zu Grunde

8 bloß spielend ihm etwas absehen, sondern mit Anstrengung des Geistes, des Willens, lernen; lernen, was das Geheimnis seiner

überlegenen Ruhe und Seelenstille ist, also lernen die Sanftmut und herzliche Demut, wie sie aus dem Gethsemanewort spricht:

„Vater,

nicht wie ich will, sondern

wie du willst".

Aus ihr

quillt dies Bewußtsein seliger Geborgenheit in Gott. Sie ist nicht

die unmittelbare Folge seiner Gottes-Sohnschaft, seiner „göttlichen Natur",

sondern

seines

Kindseins,

seines

Eingehens

auf

die

Sohnesstellung, seines Charakters, etwas Erworbenes (Phil. 2,6), also das an ihm, was wir von ihm lernen können. Wir wollen das nicht vergessen über dem, was wir über

ihn lernen! —

III.

Das Grundgebot der Liebe. Luk. 10, 29 und 36. Keines ist uns geläufiger.

Fast keine Kandidatenpredigt be­

kommt man zu hören, die es nicht an irgend einer Stelle bringt. Auch das Gleichnis, an dem es der Herr veranschaulicht, ist eines

der am meisten im Unterricht und in der Predigt verwerteten Stücke.

Wir wollen jetzt nicht darauf eingehen.

Ich möchte Ihre

Aufmerksamkeit jetzt nur einen Augenblick auf die Form der Frage

des Schriftgelehrten und der Gegenfrage Jesus' hinlenken. Die Frage des Schriftgelehrten lautet: „Wer ist denn mein

Nächster?"

Die Antwort auf die in dieser Form gestellte Frage

giebt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter V. 30—35 in aller Vollständigkeit und Deutlichkeit.

Dein Nächster, dem du „die

Barmherzigkeit erzeigen", dem du dich mit deiner Kraft und Gabe zur Verfügung stellen, zu Dienste sein sollst, das ist immer der­

jenige Mensch, der — er sei sonst, wer er wolle — im gegebenen Falle auf dich angewiesen ist, so daß, wenn du vorübergehst und

ihm die Hilfe versagst, deren er bedarf und die du ihm leisten ckannst, du die Verantwortung trägst, wenn er darüber zu Grunde

9 Nicht das ist maßgebend, was der unter die Mörder Ge­

geht.

fallene ist, welchem Volke,

welcher kirchlichen

welchem Stande, welcher Religion,

oder politischen Richtung und Partei er an­

gehört, ob er in irgend welcher Beziehung zu dir steht und in

welcher, ob er mit dir verwandt ist, ob ein Volks-, Glaubens-, Parteigenosse, sondern ganz allein der Umstand, daß er in Not

ist, daß dich dein Weg

mit ihm zusammenführt, daß du der­

jenige bist, der ihm helfen, ihm gerade die Hilfe gewähren kann, deren er bedarf.

Wer dein Nächster ist, brauchst du im gegebenen

Falle gar nicht erst zu fragen!

Darum höchstens kann es sich

noch handeln, welches die rechte Hilfe sei, mit der ihm auch wirklich

gedient ist.

Darüber nur brauchst du dich zu besinnen, wie du es

angreifen mußt, damit die Hilfe eine wirkliche und nachhaltige sei

(beachte V. 35!).

Wie lautet nun aber die abschließende Gegenfrage Jesus'? Sie lautet nicht, wie man nach V. 29 erwarten könnte: „Wem

war dieser Unglückliche der Nächste?"

Welcher von den Dreien

war derjenige, der am ersten verpflichtet und berufen war, ihm beizuspringen?

Die Antwort hätte vielleicht gelautet: zuerst der

Priester, nicht bloß, weil er der erste war, der des Weges kam,

sondern schon um seines Berufes willen, als Priester, der als

solcher auch Arzt war; nach dem Priester dann mindestens der Levit, schon als Volksgenosse und als Diener am Heiligtum,

zuletzt jedenfalls der Samariter — was ging den ein Jude an,

der am Wege verkam?

Samariter und Juden waren ja Feinde.

Aber der Herr fragt: „Welcher dünkt dich, der unter diesen

dreien der Nächste sei gewesen dem, der unter die Mörder gefallen war?"

Welcher von den dreien hat — nicht „den unter die Mörder

Gefallenen als seinen Nächsten betrachtet, anerkannt als einen, dem er zur Hilfe verpflichtet sei", sondern — sich als den Nächsten

betrachtet, auf den dieser angewiesen war, rechnen durfte, rechnen mußte?

Welcher unter den dreien hat sich als dessen Nächsten

nicht bloß gefühlt, sondern erwiesen, indem er die Barmherzigkeit

an ihm that, ihm die Hilfe leistete, die ihm not that? Will der Herr durch die Form der Gegenfrage nicht vielleicht daran erinnern, daß die Fragestellung: wer ist mein Nächster?

10 schon eine solche ist, die uns, als seinen Jüngern, überhaupt

nicht ziemt?

„Wer ist mein Nächster?" so ins Blaue hinein fragt

der Christ, der Jesusjünger überhaupt nicht. „Wem bin ich der Nächste?

Der Christ fragt:

Wer ist der, der meiner, gerade

meiner, gerade des Dienstes, den ich, vielleicht im gegebenen Falle

nur ich, leisten kann, bedarf?" So hat der Samariter gefragt.

Er hat im Geiste Jesu,

er hat im Sinne Gottes gefragt, darum auch sofort, ohne Be­

sinnen gehandelt, die Barmherzigkeit gethan. Bedürfen nicht auch wir dieses zarten Winkes?

Muß nicht

auch uns zu allererst die falsche Fragestellung von dem Herrn ver­

wiesen werden?

Fragen nicht auch wir so oft nur: „Wer ist mein

Nächster und hat als solcher ein Recht an mich?"

Und schränken

wir dann nicht unser Interesse, unsere Liebe, unsere Hilfsbereit­ schaft auf den Kreis der uns am nächsten Stehenden ein? auf die „Erweckten" oder auf die „Liberalen", auf die „Kirchlichen" oder

auf die „Gemeinschaftsleute", auf die, welche unserer Richtung oder Partei angehören?

Schieben wir nicht in unserem Thatendrang

die rechte Fragestellung von uns ab, indem wir hinausgreifen in die Weite, in die Ferne, den engsten Kreis aber vernachlässigen?

auf alle Konferenzen und Versammlungen reisen, die eigene Ge­ meinde, die eigenen Hausgenossen darben lassen (1. Tim. 5, 8!)? Gewiß sind die armen Heiden in der Ferne, die niedergetretencn Armenier, die Stiefkinder des vierten Standes, die Armen, Ver­

kürzten, Verlorenen „unsere Nächsten", und wessen Herz von der Liebe Jesu berührt ist, der kann es diesen allen nicht verschließen,

der muß es ihnen aufthun, für sie wirken, wo immer und wie

immer er kann, nach dem Maße seiner Gabe, seiner Kraft, seiner

Mittel.

Aber du bist der Nächste zu allererst demjenigen, der von

Gott auf deine Treue angewiesen ist: das ist deine Gemeinde, dein Haus, dein Freund.

Man bildet sich oft ein, man möchte in über­

wallendem Empfinden der Bruderliebe die „Millionen umschlingen, die ganze Welt küssen", damit man leichter an dem vorüberkommt,

den uns Gott vor die Thüre gelegt hat.

Man bildet sich auch

oft ein, man dürfe sich auf dieses oder jenes, was die Situation einer Gemeinde z. B. in sozialer Hinsicht unbedingt von ihrem

11

Pfarrer fordert, nicht einlassen, weil es der „Dienst" nicht erlaubt,

während die Unterlassung doch den Dienst lähmt, die Kraft des Auch der Priester und der Levit

Wortes unterbindet (Jak. 2,16).

waren auf einem „Dienstgange".

Hinderte sie das an der Er­

füllung der Liebespflicht? Also nicht ins Blaue hinein fragen:

Nächster?"

„Wer ist denn mein

sondern gewissenhaft sich besinnen: wem bin ich mit

meiner Gabe und Kraft der Nächste?

Der Nächste auch im Kreise

der Kommilitonen, der Nächste, auf dessen Hilfe einer vielleicht

angewiesen ist, so daß seine ewige Rettung an dem Worte hängt, das ich sprechen muß, an der That, dem Eingriff, der mir zusteht

und von mir erwartet werden kann?

IV.

Der öchriftgelebrte zum Dimmelreich gelehrt — alte und neue Theologie. Matth. 13, 52. Der Herr stellt in diesen Worten das Ideal eines Schrift­

gelehrten auf. Dieses ist ihm ein Schriftgelehrter, der zum Himmelreich ge­ schult ist ("fpaiijia-su; (ia{hjxsü-retc -qj ßaaiXetq: r