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German Pages 406 [408] Year 1969
Friedrich Schleiermacher Kleine Schriften und Predigti III
Friedrich Schleiermacher Kleine Schriften und Predigten
Herausgegeben von Hayo Gerdes und Emanuel Hirsch
Band 3
Walter de Gruyter 8c Co. Berlin 1969
Friedrich Schleiermacher Dogmatische Predigten der Reifezeit Ausgewählt und erläutert von Emanuel Hirsch
Walter de Gruyter & Co. Berlin 1969
Archiv-Nr. 30 01 692 © 1 9 6 9 by Walter de Gruyter 8c Co., vormals G. J . Gösdien'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp., Berlin 30 Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanisdiem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Otto v. Holten, Berlin 30
Inhaltsverzeichnis
Einführung
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Erster Teil Predigten in Bezug auf die Feier der Ubergabe der Augsburgischen Konfession 1 8 3 0 I. Warnung vor selbstverschuldeter Knechtschaft, 1 Cor. 7, 23 II. Die Ubergabe des Bekenntnisses als Verantwortung über den Grund der Hoffnung, 1 Petr. 3, 15 . . . . III. Das Verhältnis des evangelischen Glaubens zum Gesetz, Gal. 2, 16-18 IV. Von der Gerechtigkeit aus dem Glauben, Gal. 2, 19-21 V. Das vollendende Opfer Christi, Hebr. 10, 12 . . . VI. Ermunterung zum Bekenntnis der Sünden, Jak. 5, 16 VII. Vom öffentlichen Dienst am göttlichen Wort, Eph. 4 , 1 1 - 1 2 VIII. Von dem Verdammen Andersgläubiger in unserm Bekenntnis, Luk. 6, 37 I X . Daß wir nichts vom Zorne Gottes zu lehren haben, 2 Cor. 5, 17. 18 X . Das Ziel der Wirksamkeit unserer evangelischen Kirche, Phil. 1, 6 - 1 1
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Zweiter Teil Ausgewählte Festpredigten X I . Gott, der allen Dingen ihr Maß bestimmt (Neujahr), Hiob 38, ir X I I . Daß der Erlöser als der Sohn Gottes geboren ist (Weihnachten), Luk. 1, 31 f
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X I I I . Die Veränderung, welche seit der Erscheinung des Erlösers auf der Erde begonnen hat (Weihnachten), Apostelgesch. 17, 30 f X I V . Die Erscheinung des Erlösers als der Grund zur Wiederherstellung der wahren Gleichheit unter den Menschen (Weihnachten) Gal. 3, 27. 28 X V . Der letzte Blick auf das Leben (Passion), Joh. 19, 30 X V I . Die Gesinnung, in welcher Christus seinem Leiden entgegenging (Passion), Joh. 14, 30. 31 X V I I . Der Tod des Erlösers, das Ende aller Opfer (Charfreitag), Hebr. io, 8 - 1 2 X V I I I . Christi Auferstehung, ein Bild unseres neuen Lebens (Ostern), Rom. 6, 4-8 X I X . Weshalb die Apostel sich so besonders Zeugen der Auferstehung Christi nennen (Ostern), Apostelgesch. 3, 13~15 X X . Die Verheißungen des Erlösers bei seinem Scheiden (Himmelfahrt), Apostelgesch. 1, 6 - 1 1 X X L Predigt am zweiten Tage des Reformations-Jubelfestes 1 8 1 7 , Matth. 18, j u. 6 X X I I . Predigt am Totenfeste 1826, 1 Thessal. 5, 1 - 1 1 . . X X I I I . Predigt am Totenfeste 1828, Offenbar. 3, 1 1 . . .
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20 j 219 232 244 259
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7°
281 294 306 320
Anhang X X I V . Rede an Nathanaels Grabe 1. X I . 1829 X X V . Gott unser Vater auch im Sterben, Luk. 23, 46 .
Erläuterungen
.
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345
Einführung In der Glaubenslehre setzt sich Schleiermacher nach seiner eigenen deutlichen Erklärung eine ganz andre Aufgabe als die, von seinem eigensten innern Denken und Leben im Christusglauben ein Bild zu vermitteln. Sie durchdenkt den in der evangelischen Kirche seiner Zeit auf Grund von Uberlieferung und Gewohnheit vorhandenen Stoff von Lehraussagen, die dem Geistlichen für seine Predigt, Seelsorge und Jugendunterweisung den Rückhalt geben, kritisch von der Grundeinsicht in das Wesen der christlichen Religion her. Dabei ist ihr Ziel, diese Lehraussagen mit sauberer Begrifflichkeit zu durchprägen, alles Dunkle, Widersprechende und Unterchristliche aus ihnen auszuscheiden und die so geklärten und geläuterten Sätze zu einem in sich zusammenhängenden Ganzen zu verbinden. So ist Schleiermacher ein System von kühlen Formeln entstanden, die zu einem richtigen Gebrauch der überlieferten Lehraussagen anleiten, und die Umdeutungen, Richtigstellungen, Verwahrungen und Grenzziehungen geben dem Ganzen das Gepräge verstandesmäßiger Reflexion. Gewiß hätte er dies Werk nicht vollbringen können, wenn er nicht an dem innerlich in ihm lebendigen gläubigen Verhältnis zu Jesus von Nazareth als seinem Erlöser und weiter an der unbestechlichen Lauterkeit und Folgerichtigkeit seines Geistes sichere Führer durch das Chaos der Überlieferung besessen hätte. Es mag auch sein, daß sehr durchreflektierte und durchgebildete Theologen etwas von diesem hinter der Glaubenslehre stehenden lebendigen Geheimnis spüren. Den meisten heute aber bleibt dies Letzte verborgen. Man respektiert Schleiermachers Glaubenslehre als hohe Schule dogmatischer Kunst, kann jedoch im Grunde mit ihr nichts anfangen. Schleiermacher hat es selbst gewußt, wie wenig die Glaubenslehre für sich allein eine Einführung in sein christlich frommes Denken gewährt. Von je ist es ihm ein Bedürfnis gewesen, seine Wissenschaft-
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Einführung
liehen Arbeiten mit Predigtsammlungen gleichsam persönlich zu kommentieren. Allein in diesen Predigtsammlungen hat er seine Gedanken über das Verhältnis des Christlichen zum Menschlichen und seine Deutung der Wege Gottes mit den Menschen reich und frei ausgesprochen. Allein aus ihnen lernt man seinen unermüdlich durchs Leben fortgesetzten Umgang mit der heiligen Schrift und vor allem mit den Evangelien wirklich kennen. Allein aus ihnen wird einem deutlich, daß er auch eine sehr eigentümliche und genau durchdachte Geschichtsphilosophie sich erarbeitet hat. Mit alledem werfen die Predigten ein Licht auch auf die Hintergründe der Glaubenslehre. Viele ihrer scheinbar abstrakten Formeln offenbaren erst dem Leser der Predigten ihre Sinntiefe. Nun ist es aber nicht einfach, aus dem scheinbar uferlosen Meer der gedruckt vorhandenen Schleiermacherpredigten die wesentlichen und entscheidenden herauszufinden. Man sollte zunächst die häufig allein beachteten frühen Predigtsammlungen, die mehr Dokumente seiner Entwicklung als Zeugnisse seines reifen Christusglaubens sind, ausscheiden und darf auch getrost vorübergehen an den erst posthum veröffentlichten umfangreichen Predigtreihen, die Schleiermacher selbst des Drucks nicht für wert gehalten hat. So bleiben übrig die beiden Bände christlicher Festpredigten, welche Schleiermacher 1826 und 1833 herausgegeben hat, und die von ihm 1 8 3 1 veröffentlichte Reihe der Predigten, die 1830 anläßlich der Augustanafeier gehalten sind. Zu ihnen treten noch hinzu Einzeldrucke von Predigten aus seiner späteren Berliner Zeit. Damit wäre die Eingrenzung auf diejenigen Predigten vollzogen, die er selbst für wesentliche Zeugnisse seines ausgereiften Christentumsverständnisses angesehen hat. Aus diesem immer noch allzu umfangreichen Stoff galt es nun eine Auswahl zu treffen, die sowohl in seminaristischen Übungen wie beim Selbststudium als Einführung in Schleiermachers Glaubenslehre dienen kann. Soll aber eine solche Auswahl wesentlicher dogmatischer Predigten Schleiermachers diesem Zweck Genüge tun, so sind umfangreiche Erläuterungen nicht zu entbehren, welche zwischen Predigten und Glaubenslehre verbindende Fäden knüpfen und darüber hinaus alle mitschwingenden Beziehungen auf Schleiermachers Verhältnis zu Bibel, Reformation und zeitgenössischer Philosophie verdeutlichen. Dabei dürften auch die Hinweise auf Schleiermachers persönliche Frömmigkeit und auf die ihm innerlich eigene, aber lediglich in Predigten ausgesprochene christliche Geschichtsphilosophie nicht fehlen. Mit allen diesen Hilfen wird es dem Leser wohl ge-
Einführung
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lingen, in der eigentümlichen Gedankenwelt von Schleiermachers Predigten heimisch zu werden. Die Reihe der Augustanapredigten ist vollständig aufgenommen, obwohl Schleiermacher selbst sie als fast allzu dogmatisch empfunden hat. Eben dadurch sind sie ja die natürliche Brücke zwischen Glaubenslehre und Predigt. Zu den Augustanapredigten treten dann im zweiten Teil dieser Auswahl Festpredigten zu den Haupttagen des Kirchenjahrs, einschließlich Neujahr und Totensonntag. Nur auf Pfingstpredigten wurde verzichtet, da Schleiermachers Anschauung vom Wirken des göttlichen Geistes in der christlichen Gemeinschaft mit den Augustanapredigten hinreichend deutlich wird. Das Wichtigste ist mir gewesen, daß auch die in der Glaubenslehre nicht ganz deutlich werdenden Gedanken Schleiermachers über die Fülle der Zeit, über Leiden und Tod des Erlösers und über das ewige Leben dem Leser sich aufschließen. Auch die in der Anlage angefügte Rede am Grabe seines Sohns Nathanael durfte in diesem Auswahlbande nicht fehlen, da sie das entscheidende Dokument für Schleiermachers Verschmelzung von Wahrhaftigkeit und Frömmigkeit ist. Zur technischen Seite der Ausgabe ist Folgendes zu bemerken. Rechtschreibung und Zeichensetzung geben genau die Urdrucke wieder, obwohl an ihrer Gestaltung der Brauch von Schleiermachers Verleger Georg Reimer eine bedeutende Rolle gespielt hat. Reimer ist in der Rechtschreibung unserm heutigen Brauch näher, als es die Drucke jenes Zeitalters im allgemeinen zu sein pflegen. Vor allem aber passen sich die Groß- und Kleinschreibungen der Worte und die scheinbaren Willkürlichkeiten der Zeichensetzung in den Urdrucken dem verwickelten Satzbau und dem wechselnden Zeitmaß des freien mündlichen Vortrags Schleiermachers kunstvoll an. Änderungen und Ausgleichungen würden die Predigten schwerer lesbar machen. Der genaue Anschluß an die Urdrucke hat ferner den Vorzug, die gelegentlichen Glättungen und Druckversehen der nach Schleiermachers Tode erschienenen späteren Ausgaben der Predigten sicher auszuschalten. Wo die Wiedergabe des gesprochenen Worts in den Urdrucken Fehler oder Dunkelheiten veranlaßt hat, findet sich in den Erläuterungen des Herausgebers ein Hinweis. Die einzige kleine Abweichung, die ich mir gestattet habe, betrifft die in den Urdrucken gelegentlich unter dem Text gegebenen Schriftverweise. Sie sind aus Gründen der Raumersparnis in Klammern dem Text selbst eingefügt worden. Eigene neue Schriftverweise des Herausgebers dagegen stehen in dem erläuternden Anhang.
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Einführung
Der erläuternde Anhang wiederholt die Nummern und Überschriften der ausgewählten Predigten, gibt genau ihre Fundstellen an und bietet zu jeder einzelnen Predigt eine individuelle Einleitung. Auf die Einleitungen folgen dann jeweils Anmerkungen zu einzelnen Stellen. Diese Anmerkungen sind durch den ganzen Band hindurch fortlaufend beziffert worden. Die Stellung der wiederholten Predigtüberschriften und der Einleitungen zwischen die Abfolge der Anmerkungen mag ungewöhnlich sein, dient aber der Übersichtlichkeit. Der Leser findet so alles, was die Erläuterungen zur Erklärung der einzelnen Predigt bieten, an einer Stelle beieinander. Schleiermachers Glaubenslehre ist von mir nach den Paragraphen und Ziffern der zuerst 1830/31 erschienenen zweiten Fassung zitiert worden. Göttingen
E . HIRSCH
ERSTER TEIL
Predigten in Bezug auf die Feier der Übergabe der Augsburgischen Confession (Predigten 6. Sammlung Berlin G. Reimer 1 8 3 1 )
I.
Warnung vor selbstverschuldeter Knechtschaft. Am S o n n t a g v o r dem
Jubelfeste.
i C o r . V I I , 23. Ihr seid theuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte.
M. a. Fr. Ich war im Begriff, wie ich oft in diesem Theile des kirchlichen Jahres zu thun pflege, eine genauer zusammenhängende Reihe von Betrachtungen für unsere vormittägige Andacht zu beginnen. Aber da mahnte mich das Fest, das wie Euch allen bekannt ist, uns in diesen Tagen bevorsteht, daß es wohl wichtig sei und rathsam, unsere Gedanken schon jezt auf dasselbe vorbereitender Weise zu richten. Denn wie es ein großes und herrliches Fest ist, so ist es doch ein solches, das seine besondern Bedenklichkeiten hat und Gefahren 1 ; und das sind gerade die, in Beziehung auf welche uns die vorgelesenen Worte des Apostels warnen und den richtigen Weg zeigen. Schon wenn wir bedenken, was wir feiern sollen, sei die Ubergabe einer Schrift: so muß uns das den Eindrukk geben von einem großen Werth, der auf den Buchstaben gelegt wird. | Diese Schrift nun sollte eine Darstellung der Lehre enthalten, wie sie in den Kirchen der deutschen sich evangelisch bildenden Christenheit getrieben wurde; sie war bestimmt für die versammelten Fürsten unsers Volkes, und rührte her von denen, die zuerst vorangegangen waren auf dem Wege der gemeinsamen Erleuchtung aus dem göttlichen Wort. Wie natürlich also, daß sich hernach fast alle die, denen durch die göttliche Gnade das Licht des Evangeliums in demselben helleren Sinne aufging, mehr oder weniger an dieses Bekenntniß angeschlossen haben! Aber bedenken wir, wie wir uns eben deshalb noch immer in allen Verhandlungen und Streitigkeiten unter uns, so oft jemand einer Abweichung von der rechten Einfalt des Glaubens
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Predigten zur Übergabe der Augsburgisdien Confession
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beschuldigt wird, auf dieses Bekenntniß zu berufen pflegen: so ist allerdings die Gefahr nicht gering, da doch diese Darstellung nur ein menschlicher Ausdrukk der christlichen Lehre ist, daß wir uns in eine Knechtschaft des Buchstaben begeben, und aufs neue, wovor uns der Apostel warnt, Knechte der Menschen werden. Nur wenn wir uns bei dieser Feier hievon ganz frei wissen, nur wenn wir sowol in unserer Dankbarkeit gegen Gott für diese That unserer Kirche als auch in unserer Ehrfurcht gegen die, welche in diesem Glauben unsere Vorgänger geworden sind, die kräftige Richtung auf die Freiheit der Kinder Gottes festhalten, zu welcher wir berufen sind, und nicht der Menschen Knechte werden: nur dann werden wir dieses Fest zu unserm eignen Segen begehen, würdig der Erinnerung und Nachfeier der folgenden Geschlechter, auf daß es diesen auch wiederkehre in gleicher Dankbarkeit gegen Gott, in einem gleich würdigen Genüsse der nur noch weiter ausgebildeten evangelischen Freiheit. | Der unmittelbare Zusammenhang der verlesenen Worte, m. Fr., hat es freilich zu thun mit den äußeren, irdischen Verhältnissen derer, die in die Gemeinde Christi aufgenommen waren. Der Apostel sagt, ein jeder bleibe in dem Beruf, darin er berufen ist; ist einer ein Knecht berufen, so sorge er nicht, denn er ist ein Gefreiter Christi. Wenn er aber nun hinzufügt, Ihr seid theuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte! so kann er das nicht mehr in demselben Sinne nehmen; denn davor hatte es keine Gefahr damals, daß sich einer sollte freiwillig in das harte Joch der Knechtschaft des Einzelnen gegen den Einzelnen begeben haben. Aber vorher schon in diesem Briefe hatte der Apostel davon geredet mit großem Schmerz und starker Mißbilligung, daß sich so viele in jener Gemeinde an Einzelne, die ihnen Diener des göttlichen Wortes geworden waren, fast ausschließend festhielten, der Eine an diesen der Andere an jenen, und darüber des gemeinsamen Herrn, dessen Diener alle waren, fast zu vergessen schienen, so daß sie statt der Einheit des Geistes und Glaubens in allerlei Spaltungen zu gerathen in Gefahr waren. Und so groß war das Gewicht dieser Sorge bei ihm, daß er auch hier, obwohl er von etwas Anderm redet, doch wieder hierauf zurückkommt, und denen, welche gelöst vom Dienst der Sazungen zu Kindern Gottes berufen waren, zuruft, sie sollten bedenken, daß sie nicht wieder Knechte der Menschen würden, da sie so theuer erkauft seien. So laßt uns denn, m. Fr., diese W a r n u n g des Apostels v o r s e l b s t v e r s c h u l d e t e r K n e c h t s c h a f t recht zu Herzen
I. Warnung vor selbstverschuldeter Knechtschaft
Ii
nehmen und zwar so, daß wir uns erstlich den I n h a l t derselben recht vor Augen halten, und dann auch | besonders auf den B e w e g g r u n d , den der Apostel seiner Warnung hinzufügt, unsere Aufmerksamkeit richten. I. Wir werden aber, was das E r s t e betrifft, die Warnung, daß wir nicht möchten wieder der Menschen Knechte werden, nur dann in ihrem ganzen Umfange verstehen, wenn wir uns auch die vorhergehende Belehrung aneignen. Wer ein Freier berufen ist, der ist ein Knecht Christi; denn so, m. Fr., sind wir alle berufen, Knechte Christi zu sein. Wenn ich sage, wir alle, so meine ich jezt uns, die wir im Begriff sind, dieses schöne Fest der Erinnerung und des Dankes zu begehen, uns, die wir der erneuerten evangelischen Kirche angehören, die sich von Anfang an auch hingestellt hat als eine freie Kirche, um überall eine würdige und zuverlässige Stüze für die Freiheit der Kinder Gottes zu sein. Laßt uns doch um uns hievon zu überzeugen zunächst darauf zurükkgehen, wie wir alle in diese Gemeinschaft berufen worden sind2. Welches ist das Bekenntniß, das uns vorgelegt wurde, als wir in den Tagen unserer Jugend aufgenommen wurden in die Gemeinschaft evangelischer Christen? wovon handelt es? Es ist nichts als die Geschichte Christi, seine Thaten und sein Werk. Der ganze Kern dieses Bekenntnisses handelt nur von dem Erlöser, welchen wir alle erkannt haben in der Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, von dem Gott, den er uns selbst zuerst als seinen und unsern himmlischen Vater geoffenbart hat, von dem Geist, den er uns erst erbeten hat von seinem Vater, daß er ausgegossen würde über die Seinigen, von Christi Geschichte, seiner Geburt, seinen Thaten | und seinen Leiden - an nichts anderes wurden wir erinnert, und nichts anderes wurden wir etwa verpflichtet zu glauben, weil Andere es glaubten, oder als zu glaubendes aufstellten und anbefahlen; an keines Menschen Namen sind wir jemals gebunden worden, nach keinem Menschen haben wir uns jemals nennen wollen. Und wenn dies doch hier und da im gemeinen Gebrauch des täglichen Lebens vorzukommen pflegt, daß wir unserm Bekenntniß den Namen jenes göttlichen Rüstzeuges, jenes tapferen Streiters in diesem Kampfe des Lichts und der Wahrheit hinzufügen: so wissen wir wohl, daß dieses nie etwas anders hat bedeuten sollen als eine geschichtliche Erinnerung, nicht so, daß wir uns dadurch auf ihn oder gegen ihn auf irgend eine Weise hätten verpflichten sollen und wollen; denn das
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Predigten zur Übergabe der Augsburgischen Confession
Li¡7]
würde ganz gegen seinen und gegen jedes andern Dieners des Evangeliums Dank und Willen geschehen sein. Was ferner ist uns ausgehändigt worden, als wir in diese Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen worden sind? Nur das Wort Gottes in der Schrift 3 ist uns überwiesen worden zum freien Gebrauch nach bester Uberzeugung und als treuen Haushaltern über die Geheimnisse Gottes. Dieses Wort ist freilich ausgegangen von seinen ersten Augenzeugen, von denen, welchen er selbst seine Aufträge gegeben hatte, um seine Gemeinde zu sammeln und zu ordnen. Aber wie sie sie nur in seinem Namen, nicht in dem ihrigen leiten sollten und weiden: so ist auch dieses Wort der Schrift nicht unser Richtmaaß, sofern es das ihrige ist, sondern sofern der Geist, der sie trieb, es aus der Fülle Christi genommen hat. Zu solcher Freiheit von allem menschlichen Ansehen sind | wir aufgenommen in diese Gemeinschaft der evangelischen Christen. Aber zu welchem Ende? Auf daß wir Alle Knechte Christi seien, mit allen denen die gleich uns frei von jedem andern Dienst berufen sind zu dieser edlen Knechtschaft. Worin aber besteht nun diese? Der Erlöser äußert sich selbst über dieses Verhältniß auf so mannigfaltige Weise, daß es nicht leicht ist zu sehen, wie seine Ausdrükke zusammenstimmen. In wie mancher Gleichnißrede führt er seine Jünger darauf, daß sie Knechte sind, die sich nicht einmal rühmen dürften, wenn sie gethan hätten was sie schuldig waren (Luk. 17, 10), warnt sie, daß sie ja möchten wachend erfunden werden, wenn der Herr käme (Luk. 12, 37), und dieser Herr ist des Menschen Sohn. Wie sagt er ihnen voraus, sie würden gehaßt werden um seines Namens willen, und fügt hinzu, der Knecht sei nicht über seinen Herrn (Matth. 10, 24). Dann aber auch ganz entgegengesezt verheißt er, die Wahrheit mache frei, und giebt sich mit Recht das Zeugniß, daß er die Wahrheit geredet habe (Joh. 8, 32. 36. 40). Und die sollten nicht frei geworden sein, bei denen doch seine Rede gefangen hatte, und nicht leer zurükkgekommen war? Aber ja, er sagt ihnen auch anderwärts, sie seien nun nicht mehr Knechte sondern Freunde, denn er habe ihnen kund gethan alles was er von seinem Vater gehört (Joh. r 5, 1 j). So stimmt nun freilich dieses beides, der Sohn hat sie frei gemacht durch die Wahrheit, und weil diese sein innerstes Wesen ist, das | er ihnen zu erkennen gegeben, so sind sie nun seine Freunde. Wie stimmt aber dieses zusammen genommen mit dem ersten? Schwerlich wird wol jemand sagen wollen, damals als Christus das erste gesagt, seien
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I. Warnung vor selbstverschuldeter Knechtschaft
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seine Jünger noch Knechte gewesen, weil seine Rede noch nicht gefangen hatte unter ihnen; als er aber das lezte gesagt, seien sie schon Freunde gewesen. Denn wie hätte er dann ihr ganzes Verhalten als Knechte vorstellen können als den Gegenstand ihrer Rechenschaft bei seiner Wiederkunft? Sondern es verhält sich so. Jene ersten Reden sollen erinnern an den großen Abstand zwischen dem Meister und den Jüngern, gegen welchen jeder andere verschwand, damit sie die Gleichheit unter sich recht vollkommen feststellen möchten. Denn ein Knecht konnte viel scheinbare Vorzüge haben vor dem Andern, er konnte auch gesezt sein in mancher Hinsicht über die Andern; aber das Loos w a r und blieb dasselbe, die Knechtschaft. So sollten auch sie alle sich für gleich halten, jeder Vorzug des einei. vor dem andern verschwinden, keiner sollte sich Meister nennen lassen, Einer nur ist der Meister, Christus. Die andern Reden aber sind die Zeugnisse, welche Christus ablegt von sich selbst, von seiner Art und Weise mit den Menschen zu handeln, an welche sein Wort ergeht, und von seinen Leistungen f ü r uns. Ihr höchster Gipfel ist in dem Wort, daß der Sohn frei macht, und daß nur diejenigen recht frei sind, die der Sohn frei gemacht hat (Joh. 8, 36). Recht frei ist aber nur der, welcher auch frei bleibt. Der Sohn, wenn er uns frei gemacht, hält er uns auf keine äußerliche Weise fest. Wir gehören ihm an, | aber nur vermöge eines geistigen Bandes, welches nur fort besteht, sofern es sich durch unser Verlangen und unsere Zustimmung immer wieder erneuert. Wie es damals war (Joh. 6, 66 ff.) als der Herr bemerkte, daß Viele nicht mehr mit ihm wandelten sondern hinter sich gegangen waren, weil seine Rede ihnen zu hart war: so ist es auch noch. Er fragte seine Jünger, ob sie ihn auch verlassen wollten? darin lag also die Anerkennung, daß auch sie ihre volle Freiheit hätten; und sie fragten ihn dagegen, wohin sie wol gehen sollten da er Worte des Lebens habe? und darin lag, daß sie nichts besseres begehrten als in der beseligenden Verbindung mit ihm zu bleiben. Das ist die Geschichte, die sich immer wieder erneuert. Nie fehlt es an Menschen, welche ihm bis auf einen gewissen Punkt gefolgt waren, aber dann der eine aus diesem der andere aus jenem Grunde ihre eignen Wege gehen. Hören wir dann auch die Frage nicht aus Christi eignem Munde: so tritt sie uns aus der Sache entgegen. Wir können uns in die Stelle derer versezen, wenn uns anders nichts menschliches fremd ist, welchen seine Rede hie und dort zu hart erscheint, wir fühlen die Spuren von ähnlichen Regungen wenigstens lange Zeit in uns, wir sind uns eben darin unserer vollen
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Predigten zur Übergabe der Augsburgischen Confession
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Freiheit bewußt zu bleiben oder zu gehen, und wissen daher auch, es ist unser eigner Wille, der uns bei ihm festhält; es ist unser innerstes Selbst, welches sich nicht von ihm trennen kann. Ein anderes Band giebt es nicht zwischen ihm und den Menschen, als diese geistige Anziehung. Zu diesem Bande hat er freilich als der Ursprung solcher Liebe zuerst den Knoten geschürzt; | aber wider unsern Willen kann er uns nicht umschlingen, vielmehr mußte er ihn mit unserm Willen befestigen. Grade so singen wir das auch in einem unserer schönen Lieder, Aber wen die Weisheit lehret, Freiheit sei der Christen Theil, der sucht allein ohne Schein Christi freier Knecht zu sein4. Zu einer solchen freien Knechtschaft Christi sind wir also berufen, daß, nachdem er uns frei gemacht hat von jeder andern, wir nun nicht anders wollen können als bei ihm bleiben um seines Lebens durch sein Wort mitgetheilt zu erhalten, und dafür auch ihm zum Dienst gewärtig zu sein. An dieser Freiheit sollen wir denn festhalten, und nichts dürfe sich zwischen ihn und uns stellen! Unmittelbar müssen wir immer schöpfen können aus der Quelle des Lebens, ohne daß sie uns erst durch irgend etwas Anderes getrübt werde, und von irgend einer Vermittlung zwischen ihm und uns weiß er nichts. An ihm sollen wir bleiben wie die Reben am Weinstokk, zwischen diese stellt sich nichts; wie die Reben durchdrungen werden von der lebendigen K r a f t des Stokkes, an dem sie sind, so auch wir von Christi lebendiger Kraft, ohne daß einer zu theilen hätte den Dank gegen ihn, ohne daß eine fremde K r a f t dabei dürfe zu Hülfe kommen uns im Empfangen oder ihm im Geben. So, m. th. Fr., sind wir als Freie berufen zu der edlen Knechtschaft Christi! Wohlan, laßt uns die Warnung des Apostels zu Herzen nehmen, Werdet nicht der Menschen Knechte! Meint ihr nicht auch, der Apostel würde diese Worte nicht gesprochen haben, wenn nicht schon damals Gefahr gewesen wäre vor einer solchen Menschenknechtschaft? Wo war sie denn? Auf allen Blättern fast | der Geschichte der Apostel, fast in allen Briefen der Apostel vornehmlich dieses Apostels sehen wir sie. Wie klagt er nicht, daß es manche falsche Brüder gäbe, welche nur kämen die Freiheit der Kinder Gottes auszukundschaften um sie zurükkzuführen zur Knechtschaft5. Solche, die sich auf große Namen, auf die Namen der Apostel, die den Herrn gesehen und gehört beriefen, und indem sie doch nur ihre eignen Lehren verkündigten, fälschlich vorgaben, so habe Petrus gelehrt, so Jakobus, diese ersten Säulen der Kirche, so hätten diejenigen es gehalten in Lehre und Leben, welche die Ange-
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I. W a r n u n g v o r selbstverschuldeter Knechtschaft
legenheiten der ersten Mutterkirche leiteten! Aber w o f ü r erklärt der Apostel dieses? Für eine gefährliche Antastung der Freiheit der Kinder Gottes. Diese sollen nicht gebunden werden durch irgend ein Ansehen. Es sei Petrus oder Paulus, sagt er, es sei Leben oder Tod, Gegenwart oder Zukünftiges, es ist Alles euer, ihr aber seid Christi (i K o r . 3, 22). Alles, was der Geist Gottes bewirkt in seinen ausgezeichneten Rüstzeugen ist unser! Nicht daß wir ihnen dienen sollten; sondern wir sollen uns des ihrigen gebrauchen in der Freiheit der Kinder Gottes! nicht daß wir uns durch das Wort ihrer Lehre durch das Vorbild ihrer Thaten sollten binden lassen, sondern daß wir, was geistig ist, uns auch geistig aneignen und zu unserm eignen geistigen Leben ausbilden und entwikkeln. Was w a r das Ende, als die Apostel sich beriethen über die, welche den Christen aus den Heiden wollten die Last der Geseze des alten Bundes auflegen, hier eine Regel und dort eine Regel, hier eine Vorschrift und dort eine, hier ein Ge|bot und dort eins? Sie sagten einmüthig das solle nicht geschehen, denn der Herr habe die Seinigen zur Freiheit berufen vom Gesez, weil er das Ziel und Ende des Gesezes sei; und jenen solle nichts auferlegt werden, als was nothwendig sei, um das Band der Liebe unverlezt zu halten. So ist es also von Anfang an der Wille derer gewesen, weldie sich des größten Ansehens unter den Gläubigen mit Recht erfreuten, daß keine Knechtschaft und kein Dienst entstehen solle. Und so aus dem Munde des Herrn (Matth. 20, 25. 26) nimmt es der Apostel, welcher sagt (1 Petr. 5, 2. 3) die Heerde Christi solle nicht geweidet werden nach A r t einer Herrschaft über das Volk, sondern Vorbilder der Heerde sollten sie sein und Diener der Gemeine, Haushalter der Geheimnisse Gottes zum N u z und Frommen derer, die da schöpfen wollen aus der einen Quelle, aus der ihnen alle Wahrheit fließt, nämlich aus der Offenbarung Gottes in seinem Sohne. Darum, m. g. Fr., hat es auch nicht leicht ein größeres Beispiel gegeben von solcher Freiheit als das des Mannes, welcher zuerst in unsern Gegenden das Licht des reinen Evangeliums aufgestekkt hat®. J a wir dürfen es sagen und wollen es nicht bergen, daß er sehr weit gegangen ist im Gebrauche dieser Freiheit, und er hat sich der Worte des Apostels wohl bemächtigt, Es ist Alles euer, es sei Petrus oder Paulus, und so gebraucht er auch das Wort Gottes, insofern es enthalten ist in den Worten derer, welche Jünger des Herrn waren. Ohne Umschweif und ohne seine Worte sehr zu verzieren oder zu verwahren, sagt er von dem einen Buche, sein Geist könne sich nicht
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Predigten zur Übergabe der Augsburgischen Confession
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darin | schikken, und von einem anderen, es bedünke ihm strohern zu sein. M a g er sich darin geirrt haben, aber dieser Freiheit hat er sich bedient, und hat auch nicht von den Aposteln sich wollen binden lassen; sondern nur was er deutlich sah als von Christo kommend, betrachtete er als W o r t Gottes, das w a r der Führer seines Weges, das die Leuchte seines Fußes; und diese Freiheit w a r es, w o f ü r er sein ganzes Leben einsezte, um sie, wie er selbst sich ihrer gebrauchte, auch Andern wieder zu gewinnen und sicher zu stellen. Wenn wir, m. a. Fr., den Zustand, in welchem die christliche Kirche damals war, noch von einer andern Seite betrachten, wie nämlich ein großer wesentlicher Theil dieses Bekenntnisses, auf dessen Feier wir uns vorbereiten, dahin ging, daß die Christenheit sollte frei gemacht werden von der Knechtschaft der äußeren Werke, daß die Einbildung, als ob durch diese todten Werke ein Verdienst bei G o t t erworben würde, zerstört und so alles zurükkgeführt werden müßte auf die lebendige K r a f t des Glaubens, der in der Liebe thätig ist um die Menschen recht zu befreien von dem Joche der Knechtschaft, welches Menschen ihnen aufgelegt hatten: so können wir nicht läugnen, die waren Knechte der Menschen, welche sich die Last solcher todten Werke auflegen ließen von ihren Seelsorgern und Hirten. Wenn sie auch in ihnen die Vertreter der gesammten Kirche Christi, deren K r a f t ihnen vorzüglich einwohne, zu sehen glaubten: so machten sie sich doch eben dadurch zu Knechten der Menschen, daß sie nicht wagten, sich jenen gleichzustellen. Denn nur Einer ist unser Herr und Meister, w i r alle sind seine Diener und unter einander Brüder. W o h l ! gesezt nun, w i r wären von dieser Knechtschaft todter | Werke zurükkgekommen, wir ließen diese auch nicht wieder aufleben, aber wir ließen uns auflegen ein Joch todter Worte und eines todten Glaubens, wir ließen uns binden von einem der da sagte, so nur und nur so muß über dieses geredet werden, und wer anders redet und glaubt, sei Anathema; das wäre nicht eine mindergefährliche, ja ich muß es grade heraussagen, eine schlimmere Knechtschaft als jene 7 . Denn je edler das ist, was verdorben wird, um desto schädlicher ist auch das Verderbniß; nun ist aber das Wort Christi die Quelle des Lebens geworden, und so muß auch dieses vornehmlich rein erhalten werden. Die Worte, welche ich rede, sind Geist und Leben, sagt er; aber wenn das Wort, welches Geist und Leben sein soll, gebunden wird im Buchstaben der da tödtet, wenn das freie W o r t des Geistes, der sich in den Christen bei treuer Erwägung der Schrift hier und dort anders äußert, gehemmt werden soll durch irgend eine mensch-
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I. Warnung vor selbstverschuldeter Knechtschaft
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liehe Regel, die doch auch nur aus der Schrifterwägung anderer Einzelnen hervorgegangen ist; wenn uns befohlen werden kann, so und nicht anders unsere Vorstellungen über die Angelegenheiten des Heils auszudrükken, da dieses doch eben so wenig als irgend etwas anderes von Allen gleich aufgefaßt werden kann; wenn uns solche Lehren zugemuthet werden anzunehmen, von denen doch diejenigen, die so den Glauben beherrschen wollen, weder sich selbst noch Andern bestimmte Rechenschaft geben können, was sie sich dabei denken 8 : so ist das ein desto gefährlicheres Verderbniß, weil es uns die Quelle des geistigen Lebens selbst verdirbt. Das, m. th. Fr., ist die Warnung des Apostels, daß wir nicht sollen werden der Menschen Knechte, die wir frei berufen sind um nur Knechte | Christi zu sein in der Freiheit des Geistes. Und nun, m. th. Fr., laßt uns auch miteinander noch unsere Aufmerksamkeit richten auf den Beweggrund, den der Apostel seiner Ermahnung hinzufügt. II. Ihr seid theuer erkauft, sagt er, darum werdet nicht der Menschen Knechte, theuer erkauft aus jenem Zustande der Knechtschaft, in dem so viele Geschlechter der Menschen geseufzt haben; das ist sein einer Grund und sein einziger statt aller. Aber laßt uns ihn auch recht erforschen in seinem ganzen Umfange, was er damit meint, Ihr seid theuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte. An nichts anders können wir dabei denken als an den, welcher uns und das ganze Geschlecht der Menschen sich selbst erkauft hat zum Eigenthum. Aber wodurch, wodurch hat er uns erkauft? Nämlich wodurch hat er uns erkauft aus diesem Zustande der Knechtschaft, um uns zu versezen in das Reich der Freiheit der Kinder Gottes? Wodurch hat er uns erkauft aus dem Reich der Finsterniß, um uns zu versezen in das Reich des Lichts? Er sagt es uns selbst, daß die Freiheit kommt aus der Wahrheit, und die Wahrheit aus dem Worte seines Mundes. Davon legte er seinem Vater Rechenschaft ab in seinem lezten großen Gebet, er habe ihnen Alles kund gemacht was der Vater ihm gegeben, sein Wort habe er ihnen gegeben und sein Wort sei die Wahrheit, in der und durch die sie immer mehr sollten geheiligt werden, sie und alle, die durch ihr Wort an ihn glauben. Und, m. th. Fr., wäre es so gegangen, nur daß es immer thöricht ist, wenn wir uns etwas im göttlichen Rathschluß vereinzeln, und also scheiden wollen, | was Gott zusammengefügt hat, aber wäre es so gegangen, daß ohne alles andere er sein Wort den Menschen habe mittheilen können, so hätte auch können sein Wort die Menschen
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Predigten zur Übergabe der Augsburgischen Confession
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frei machen; aber es hat ihn gekostet theure Kämpfe, sein Leben hat er einsezen und lassen müssen, um alle die K r a f t des Lebens kund zu thun, die ihm sein Vater mitgetheilt hatte. Denn auch das war eine Wirkung seiner Kraft und seines Lebens, daß er sein Leben ließ, weil es eine freie That seiner Liebe war, und eine Äußerung seines göttlichen Wesens. Aber in demselben Sinne, m. g. Fr., sagt unser Apostel an einem andern Ort, daß er durch das, was er leide, ergänze was noch mangle an den Trübsalen Christi für dessen Leib (Kol. i, 24). Zu dem Worte des Herrn, das die Menschen frei macht, braucht nichts hinzuzukommen, erlöst aus der Knechtschaft sind durch ihn Alle, die sein Wort annehmen und sich von ihm segnen lassen mit der Freiheit der Kinder Gottes, und mit dem göttlichen Lichte der Wahrheit: aber damit dieses Reich der Freiheit und des Lichts bestehe, damit dieser geistige Schaz bewahrt bleibe und nicht untergehe, dazu hat es nicht nur der Leiden des Herrn bedurft, sondern auch der Leiden und Kämpfe aller derer, die von Anfang an Märtyrer Christi und Zeugen der Wahrheit geworden sind. So lange Licht und Finsterniß mit einander kämpfen, kämpfen auch die Kinder dieser Welt mit den Waffen dieser Welt gegen das geistige Schwerdt, dem sie sich nicht unterwerfen; und daher sind denn bald am Anfang der Kirche gekommen, und wir wissen nicht, ob nicht noch immer wieder entstehen | können, Kämpfe und Leiden solcher, die es für ihren Beruf achten die Segnungen des Reiches Gottes auf Erden zu verkünden und zu bewahren. Dieser Kampf mit den Waffen des Geistes ist ein ungleicher Krieg. Mit den Waffen, womit sie angegriffen werden, sei es die Gewalt sei es die List, das Schwerdt oder der Spott, können sich die Diener Christi nicht vertheidigen und dürfen es nicht, denn sein Reich ist nicht von dieser Welt: aber leiden können sie durch die Waffen; verwundet können sie werden, das irdische Leben können sie verlieren. Und wenn der Apostel sagt, ihr seid theuer erkauft, so hat dem, der da sagt, Alles ist euer, das Gegenwärtige und Zukünftige, auch gewiß vorgeschwebt, daß er nicht der einzige sei, der da zu ergänzen habe durch seine Leiden die Trübsale Christi, bis sein Reich feststehe, ohne daß einer mit den Waffen dieser Welt und der Finsterniß dawider kämpft. Solche Kämpfe haben denn auch zu bestehen gehabt, die in jenen Tagen der Reinigung und Besserung der Kirche sich dieser hingaben zu Werkzeugen, um die Einfalt des Evangeliums den Gemüthern der Menschen wieder nahe zu bringen; manches edle Blut ist geflossen in jenen Kämpfen, und hat auch noch ergänzen müssen, was da
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I. Warnung v o r selbstverschuldeter Knechtschaft
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fehlte an den Trübsalen Christi. So theuer sind wir erkauft! Darum, m. g. Fr., laßt uns nicht wieder Knechte der Menschen werden. Jeder Schritt in dieser Richtung ist gleichsam eine neue Herausforderung, daß noch mehrere K ä m p f e müssen gekämpft werden, daß noch mehrere Leiden müssen ergänzen das Leiden Christi, daß noch mehrere müssen Märtyrer werden f ü r die Wahrheit. Denn obwohl der Sieg nicht aus|bleiben kann, so wird er doch, je mehr die Wahrheit verdunkelt wird, um so mehr erschwert. Und so laßt uns audi das nicht übersehen, m. th. Fr., daß wir selbst auch mit in diesem K a m p f e stehen, und daß uns auch gebühret, den Preis mit zu bezahlen, f ü r welchen Andere erkauft werden sollen, die mit uns leben und nach uns leben werden, nicht freilich von der Knechtschaft der Sünde, aber zu ruhigem, heiterm, wo möglich ungestörtem Genuß aller Segnungen des Reiches Gottes. Was ist der Preis den wir zu bezahlen haben? Stehen uns Leiden und Trübsale bevor? Nein. Haben wir zu fürchten vor denen, die nicht den Namen Christi bekennen? Nein. Haben wir zu fürchten vor denen unserer christlichen Brüder, welche sich leider nicht desselben Lieh tos wie wir erfreuen, sondern noch immer an den alten Mißbräuchen und Menschensazungen haften, gegen die unsere Vorfahren gekämpft haben? Was wir von ihnen vielleicht zu besorgen haben können, das mag wohl nicht der Mühe werth sein es hier zu erwähnen. Aber doch bezahlen wir einen theuern Preis und wir sollen ihn gern bezahlen, damit das Reich des Lichts und der Wahrheit fortbestehe 9 . Wäre es möglich, daß wir, die wir berufen sind als Freie zu der edlen Knechtschaft Christi, daß wir alle könnten übereinstimmen in dem Ausdrukk unseres Glaubens, in den Gebräuchen unseres Gottesdienstes, in der Sitte und Anordnung des christlichen Lebens: dann möchten wir vielleicht frei sein und keinen Preis zu bezahlen haben. Aber wie viel Zertrennung der Gemüther, wie viele wenn audi mehr scheinbare als das innere Leben berührende Abweichungen in der Lehre, wie viele verschiedene Ansichten, die sich unter einan|der reiben, so daß sie sich fast entzünden zu einem bedenklichen Feuer! Wie viele sorgliche ängstliche Gemüther, die sich noch nicht gewöhnen können an die Freiheit der Kinder Gottes! Wie viele, deren Gang noch nicht so sicher geworden ist, daß sie nicht immer geneigt wären sich umzusehen nach äußern Stüzen, die doch nur gebrechlich sind und keine Sicherheit gewähren! Wie viel Anlaß zu großen Besorgnissen entsteht nicht hieraus in dieser unsrer freien christlichen Gemeinschaft! Soll uns das nicht zu Herzen gehen? Soll es uns nicht
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Predigten zur Übergabe der Augsburgischen Confession
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betrüben und schmerzen, wenn wir die, welche die heitere Luft der Freiheit athmen könnten, sich vergeblich abquälen sehen in ängstlichem Wesen? wenn wir sehen, wie die, welche sich frei und fest an die Kraft des Wortes Gottes halten könnten, sich selbst wieder einem menschlichen Joch darbieten, und so in dem gemeinsamen Gebiet unserer Kirche für sich die Knechtschaft wieder hervorrufen, die ja unter uns aufgehoben ist? O! wie muß uns das betrüben; zumal es kein Mittel dagegen giebt und keines geben darf als liebende Nachsicht. Und dieses schmerzliche Mitgefühl, diese scheinbar unthätige Geduld ist der Preis, den wir zu bezahlen haben. Denn wollten wir uns das Leben bequemer machen dadurch, daß wir die Freiheit beengen, indem wir entweder die aussondern, welche nicht mit uns übereinstimmen, oder indem wir durch äußere Gewalt diese Verschiedenheit zur Einheit zu zwingen suchten: o wieviel mehr würde dadurch verloren gehen für das Reich Gottes! Wie bedenklich würde das allgemeine Wohl der Christenheit bedroht sein! Welchen gefährlichen Stoß würde der Gesammtzustand unserer Kirche erleiden? Darum lasset uns um so mehr als wir ja doch nicht äulßerlich zu kämpfen haben, diese inneren Kämpfe und Leiden gern als unsern Preis bezahlen! Lasset uns in jener liebenden Geduld ausharren um eine Zeit der Gährung zu überwinden, durch welche die Herzen immer mehr auseinandergerissen zu werden drohen: so werden wir unsererseits dafür sorgen, daß das Band der Einigkeit des Geistes nicht aufgelöst werde durch diese Verschiedenheit der Richtungen. Lasset uns diesen Preis bezahlen, so werden wir mit Allen verbunden bleiben, die wie wir nach nichts Anderm streben, als zu beharren in der rechten Freiheit der Kinder Gottes, die nichts anderes ist als die edle geistige Knechtschaft Christi, so daß sie weder jemals wollen Knechte der Menschen werden, noch weniger je selbst Andere machen wollen zum Knecht irgend eines menschlichen Wortes, irgend einer menschlichen Sazung. Denn das ist unsere Freiheit, daß Alles unser ist, wir aber sind Christi. In diesem Geiste dann laßt uns dem festlichen Tage entgegengehen, und uns durch ihn stärken zu der rechten K r a f t des Glaubens, zu der rechten Freudigkeit derer, welche die Süßigkeit des Lichts, des geistigen Lebens gekostet haben, und sich nicht wieder entfernen wollen von der Quelle, aus welcher es ihnen strömt; dann wird dies Fest ein herrlicher und heiliger Tag sein, und nichts anderes als segensreiche Früchte werden uns und unsern Nachkommen daraus erwachsen. So gebe es der Herr! Amen.
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II. Die Uebergabe des Bekenntnisses als Verantwortung über den Grund der Hofnung Am
Jubelfeste
den
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Junius.
1 Petr. I I I , 1 5 . Seid aber allezeit bereit zur Verantwortung jedermann, der G r u n d fordert der H o f n u n g , die in euch ist.
Die Begebenheit, deren Andenken wir heute feiern, und die ein sehr bedeutender Schritt war zu der festen Gründung unsrer gereinigten evangelischen Kirche, war nichts anders, als eine in dem rechten Geiste der Schrift und des christlichen Glaubens gemachte Anwendung von den Worten unsers Textes. Die Fürsten und Stände des deutschen Reichs, in deren Gebiet am meisten der erneuerte Geist des reinen Evangeliums sich verbreitet hatte, und die sich in ihrem Gewissen gedrungen fühlten, das Werk Gottes ge|währen zu lassen, und die Reinigung der Lehre und des Gottesdienstes zu beschüzen, waren aufgefordert nach so vielen Mißdeutungen, nach so vielen Verläumdungen, wie sie bei solchen Gelegenheiten nicht ausbleiben können, nun einmal ein öffentliches Bekenntniß abzulegen, auf dessen Inhalt man sich verlassen könnte als Darlegung von dem, was bei ihnen abweichend von der römischen Kirche gelehrt und geübt werde. Und sie verbanden sich und legten ein solches Bekenntniß ab an dem heutigen Tage vor dreihundert Jahren in der allgemeinen Versammlung der Fürsten und Stände, vor dem Kaiser als dem Oberhaupt des damaligen deutschen Reichs. Aber die Ermahnung des Apostels ist eine allgemeine; und wenn wir sie nun so betrachten als auch uns angehend, so ist die heute zu feiernde Begebenheit für uns Alle von solcher Wichtigkeit, wir stehen mit ihr, weil sie das erste und das am meisten geltende und
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Predigten zur Übergabe der Augsburgischen Confession
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öffentliche Bekenntniß und Zeugniß der evangelischen Wahrheit zu Tage gefördert hat, in einem so genauen Zusammenhang, daß auch wir, wenn wir uns die Ermahnung unsers Textes aneignen wollen, an dieses Bekenntniß denken müssen, und wenn wir die Ablegung dieses Bekenntnisses feiern wollen, auch besonders auf die Erwähnung unseres Textes Rükksicht zu nehmen haben. Darum wird mein Vortrag zum G e d ä c h t n i ß d i e s e s g r o ß e n Ereigniss e s in zwei verschiedene Theile zerfallen. Laßt uns zuerst j e n e B e g e b e n h e i t s e l b s t in Beziehung auf den apostolischen Ruf des Textes ins Auge fassen, und dann u n s e r V e r h ä l t n i ß z u d e r E r m a h n u n g d e s T e x t e s in Beziehung auf jene Begebenheit vor Augen haben. | I. Was nun die heute gefeierte Begebenheit betrifft, so ist es wohl nicht nothwendig über das Werk selbst etwas zu sagen; wir können diese Schrift als allen Christen bekannt voraussezen und auch in neuester Zeit ist dieses Bekenntniß so oft öffentlich dargeboten, und so oft mündlich und schriftlich darauf zurükkgewiesen worden, daß wohl jeder, der an dem heutigen festlichen Tage zu reden hat, sich mit gutem Grunde hierauf beziehen kann. Aber was nun das Verhältniß derselben zu der apostolischen Regel unsers Textes betrifft: so müssen wir zweierlei wohl unterscheiden und jedes für sich betrachten, einmal das damals verfaßte Werk, die in Worten abgefaßte Schrift, und dann die That, durch welche dieselbe als eine öffentliche Verantwortung von dem Grunde der evangelischen Hoffnung zu Stande kam. Sehen wir nun zuerst auf das Werk dieses Tages, nämlich die Schrift des Bekenntnisses: so dürfen wir es wol in gewisser Beziehung nicht anders als mit großer Nachsicht beurtheilen. Wir haben seitdem vielfältige Erfahrungen davon gemacht, wie schwierig es ist, wenn streitige Punkte in der Lehre des Glaubens auseinander gesezt werden sollen, alsdann Ton und Ausdrukk in Worten und Formeln so zu treffen, daß einer die Zuversicht haben kann, er selbst und Andere werden sich lange daran halten können; so daß ein solches Bekenntniß das Wesen unseres Glaubens in dem rechten Licht der Wahrheit und im Zusammenhang mit allem, was uns eben so wichtig ist, möglichst rein und vollständig darstellt, und so daß die Beschäftigung damit selbst eine Erwekkung zu solchem Glauben sein kann. Diese Aufgabe kann an und für sich sehr leicht erscheinen, wenn wir bedenken, daß, wessen das Herz | voll ist, davon der
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Mund übergeht, und daß jedes solche Bekenntniß doch nur ein Sichaufthun des Herzens ist; sie zeigt sich aber doch als sehr schwierig, wenn wir auf die Geschichte der christlichen Kirche zurükksehen. Da hat es von Anfang an nicht an Streitigkeiten gefehlt; und die meisten bestimmt abgefaßten Punkte der christlichen Lehre sind nur in Folge solcher Streitigkeiten festgestellt worden. In Streitigkeiten sind aber immer die Leidenschaften aufgeregt, und wenn wir auch annehmen, dort habe immer nur ein sanftmüthiger Eifer gewaltet, so ist doch der Ausdrukk des Glaubens nie ein unmittelbarer, sondern bezieht sich auf den vorangegangenen oder noch schwebenden Streit, und muß Anderer Meinungen und Gedanken verneinen oder widerlegen; und diese Beziehungen werden, ohnerachtet sie nur einen so vorübergehenden Werth haben, mit in das Bekenntniß verflochten, was eigentlich nur ein durch den Mund in der schlichten Einfalt des Glaubens hervorbrechender Ausdrukk dessen sein soll, weß das Herz voll ist. Und doch war es nicht möglich auf die so entstandene Gestaltung der christlichen Lehre nicht Rükksicht zu nehmen, als ein neues Bekenntniß des Glaubens vorgelegt werden sollte. Nimmt man nun dazu, daß von diesen Vorstellungen viele sich gar nicht mehr im Leben der Christen bewegten, sondern veraltet waren: wie schwierig mußte es nicht sein zu sondern was bleiben konnte und was einer Umänderung bedurfte um nicht sich selbst und Andere mehr zu binden als billig war und recht10! - Hätten nun noch diejenigen Männer Gottes, die damals unser Bekenntniß abfaßten, schon lange Zeit gehabt alles nach allen Seiten abzuwägen und abzumessen! Aber es war erst eine kurze | Reihe von Jahren verstrichen seit dem Anfange der evangelischen Lehre; schnell hatte sich das Werk verbreitet, die Darlegung der bedenklichen Irrthümer und der gottesdienstlichen Mißbräuche hatte viele Gemüther ergriffen. Da hatten dann ganz andere Dinge Noth gethan, als auf Bekenntnisse zu sinnen. Da that es Noth, das von seinen Hirten verlassene Häuflein der Gläubigen zu ordnen; da gab es große Sorge um die richtige Auswahl der Lehrer für die neuen Gemeinden und um die ernstliche Aufsicht über sie; da mußte das große Geschäft so schnell als möglich vollendet werden, die heiligen Schriften in deutscher Zunge dem Volke zugänglich zu machen. Bedenken wir die wenigen Jahre, die vom Beginnen der Kirchenverbesserung bis zur Abfassung jenes Bekenntnisses verflossen waren, und die verhältnißmäßig geringe Anzahl derjenigen, die eigentlich an der Spize dieses Unternehmens standen; bedenken wir, wie sie Rükksicht nehmen mußten auf die
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Predigten zur Obergabe der Augsburgischen Confession
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vorher schon gegen sie eingenommenen Widersacher: so ist es nicht anders möglich, als daß, wie groß auch ihr Eifer gewesen sein möge, und wie sehr sie darnach strebten, den göttlichen Geist und ihre eigene Erfahrung von dem Wesen des christlichen Glaubens walten zu lassen, manche Unvollkommenheiten darin zum Vorschein kommen mußten. Allein wenn wir dies auch zugeben und sagen, daß nicht Alles in diesem Bekenntniß der Einsicht entsprechen kann, die wir jezt nach einer so langen ruhigen Zeit, die der Betrachtung der heiligen Schrift gewidmet war, besizen: so können wir uns doch, wenn wir uns nur an die Hauptsache halten, der großen Trefflichkeit des Werkes erfreuen. Diese ist eine zwiefache, einmal, es war eine mit | großer Umsicht und aus reicher christlicher Erfahrung abgefaßte Erklärung gegen alle das christliche Leben verderbende Mißbräuche im öffentlichen Gottesdienst und in der Lehre. J a so stark und kräftig und dabei doch so wahr und besonnen und von aller Übertreibung fern war diese Erklärung, daß sie der Sache viel Gemüther gewann und viel dazu beitrug, überall umher unter dem deutschen Volk immer mehrere der evangelischen Wahrheit zuzuführen, und der Tag eine reiche Erndte ward für die Verkündigung des Evangeliums. Die zweite Trefflichkeit ist die, daß diese Schrift mit rechter Klarheit, mit dem größten Ernst, Demuth und Treue des Herzens den einen großen Hauptpunkt des Glaubens aufgefaßt und dargelegt hat, daß nicht unvollkommenes äußeres Werk, nicht eigenes Verdienst den Frieden mit Gott bringen könne, sondern daß die Gerechtigkeit vor Gott dadurch erlangt wird, wenn wir im herzlichen Glauben den in uns aufnehmen, den Gott gesandt hat, auf daß wir in der Gemeinschaft mit ihm das Leben mögen haben, und wenn wir nun erwarten, daß aus dieser Gemeinschaft alles Gute entspringen müsse, ohne daß wir ja doch auf dieses Gute als solches einen verdienstlichen Werth legen. Dies ist der Hauptpunkt, der zu allen Zeiten die rechten evangelischen Christen zusammenhält; dagegen, wenn wir dies fahren lassen, wenn jemand in Bezug auf sein Heil sich auf sich selbst und auf seine Vernunft so verlassen will, daß er die Unterstüzung der göttlichen Gnade in Christo von sich abweiset und sich von dem Erlöser ablöst, dann hat alle sonstige äußere Uebereinstimmung keinen Werth. Diesen lebendigen Glauben an den Erlöser festhalten als an denjenigen, in welchem wir schauen | die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, und in welchem wir haben Frieden mit Gott und das Leben, und dagegen alles, worauf der Mensch
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sonst geneigt ist, einen Werth zu legen, von sich weisen, das ist der wahre Geist dieses Bekenntnisses11. Ist nun also schon das Werk ein solches, dessen wir uns, wenn wir billig sein wollen, in hohem Maaße erfreuen, und das wir uns seinem Wesen und Geiste nach immer noch aneignen müssen, mit dem Vorbehalt jedoch allerdings, daß uns der Buchstabe desselben nie den Weg zum Weiterfortschreiten in der Erkenntniß verschließen darf: vielmehr noch ist die That eine solche, deren wir uns von ganzem Herzen rühmen können. Es war aber jene That nichts anderes als jener Männer Bereitwilligkeit, Verantwortung zu geben von dem Grunde der Hoffnung, die in ihnen war. Wenn wir bedenken, wie es damals schon eine ziemliche Anzahl von deutschen Fürsten und Ständen gab, deren Unterthanen dem größten Theile nach dieser erneuerten Lehre des Evangeliums zugethan waren, und man die erfreuliche Hoffnung hegen durfte, daß sich dieselbe noch weiter verbreiten werde; wenn wir ferner bedenken, wie der Kaiser diese Sache ins Reine zu bringen suchte, um über eine desto größere Macht gegen einen auswärtigen Feind schalten zu können: so müssen wir freilich sagen, ein solcher Muth gehörte nicht zu dieser That, wie der den Luther zu Worms bewies. Aber laßt uns desto mehr in allen Aeußerungen der Fürsten und Stände in Beziehung auf ihr Verhältniß zum Kaiser, der immer noch ihr Oberherr war, die Art bewundern, wie sie zu Werke gingen in ihrer Verantwortung 12 . Sehr loben und preisen müssen wir die hohe | Bescheidenheit, die mit ihrem kräftigen Muthe verbunden war. Daher ists auch eine That, würdig an der Spize unserer Gemeinschaft zu stehen, da sie so deutlich zeigt, wie Unrecht die Gegner unsrer Kirche haben, wenn sie vorgeben, daß sie den Keim in sich enthielte zu verderblichen Neuerungen in der bürgerlichen Welt und zum Ungehorsam gegen die Fürsten. Denn es stand damals schon so, daß die Oberherrschaft des Kaisers über die Fürsten nicht mehr so streng und fest war, als ehedem. Dennoch ließen sich diese angesehenen Fürsten nicht verleiten zu irgend einer unehrerbietigen Äußerung; nicht mit einem Worte überschritten sie das Verhältniß, in dem sie zu ihrem selbstgewählten Haupte standen. Und darin sind sie uns ein Vorbild geworden, und wir mögen diese That ansehen als eine solche, die den Geist der evangelischen Kirche ausspricht. - Die That war ferner 13 deswegen so trefflich, weil wir in diesem Schritt überall die Neigung deutlich ausgesprochen finden, so viel an ihnen war, die beginnende Spaltung aufzuheben, sofern sie nur davor bewahrt bleiben konnten, daß sie
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Predigten zur Übergabe der Augsburgischen Confession
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ihr Gewissen nicht brauchten binden zu lassen durch Menschensazungen. In dieser Gesinnung spricht sich deutlich der Geist der evangelischen Kirche aus, und die That kann daher auch hierin ein Vorbild sein für alle Zeiten. Es ist gewiß eine richtige Ansicht dieses Schrittes, wenn man sagt, daß diejenigen, welche jene Mißbräuche rügten, doch nicht darnach strebten eine neue abgesonderte Gemeinschaft zu bilden, sondern nur ihr Gewissen nicht gebunden wissen wollten. Und dies bleibt immer der Geist und Sinn der evangelischen Kirche. Es war der göttlichen Weisheit nicht angemessen, jene Bemühungen mit einem glükklichen Erjfolge zu krönen, aber auch dadurch segnete der Herr, daß er wohlgemeinte Bemühungen scheitern ließ. Die römische Kirche, welche ihrerseits die Gemeinschaft mit den Anhängern der Reformation aufhob, hat es seitdem oft ihrem Interesse angemessen gefunden, fernliegenden einzelnen Gemeinden Abweichungen in der Lehre und den Gebräuchen zu gestatten, wenn sie nur die äußere Einheit mit der Kirche festhielten, und das Oberhaupt der Kirche zu Rom anerkannten. Hätte es so die römische Kirche auch damals gemacht in Bezug auf dieses Bekenntniß des Glaubens, so wären wir keine besondere Kirche geworden, und wären in jener Gemeinschaft geblieben; aber auf vielfache Weise wären wir dann dort gebunden geblieben, und unter vielen Fesseln hätte der forschende Geist geseufzt. Dank und Preis gebührt Gott, daß er es so geschikkt hat und nicht anders. Aber denselben Trost wollen wir uns auch bewahren in Bezug auf alle künftige Zeiten. Laßt uns dies festhalten, daß wir zu keiner Spaltung jemals anreizen, sollte denn nach Gottes Willen dennoch eine erfolgen, so können dann wir unser Gewissen beruhigen, die wir sie nicht gewollt haben; die andern aber, die darauf ausgingen eine Spaltung hervorzurufen, werden sich eines Segens daraus nicht zu rühmen haben, denn sie haben das Band der Gemeinschaft gelöst und ihr Gewissen verlezt. Das dritte Preiswürdige an dieser That war nun der Entschluß, welcher unter den Theilnehmern feststand nicht anders von dem, was sie gelehrt und in der Kirche geordnet hatten, abzugehen, es sei denn, daß sie widerlegt würden aus Gottes Wort, das nun wieder, nachdem es lange Zeit wenig beachtet gewesen, an die Spize alles christlichen Lebens ge|stellt wurde. Doch um allem Mißverstande auszuweichen muß ich meinen eigentlichen Sinn euch deutlicher erklären. Wenn wir die Schrift, wie man sich ja oft genug ausdrükkt, ansehen wollen als die Quelle des wahren Glaubens, so ist dies nicht
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ohne Irrthum; denn der Glaube ist älter als die Schrift 14 . Aber freilich ist die Schrift das erste auf uns gekommene Zeugniß des Glaubens. Der Glaube an Christum entstand durch Christum selbst, wie er lebte, redete und wirkte; und nachher erst entstand die Schrift, die aus dem Glauben hervorging. Immer also bleibt Christus die Quelle des Glaubens, auch jezt noch; und daran müssen wir festhalten. Entsteht aber ein Streit darüber, ob etwas im Einzelnen richtig gelehrt und geordnet ist in der christlichen Kirche oder nicht: so giebt uns die apostolische Schrift das Maaß, nach welchem dies beurtheilt werden kann, sofern sie zeigt, daß dasselbe von Anfang an aus dem christlichen Geist und Glauben hervorgegangen ist. In sofern also ist es eine große Sicherstellung für alle Zeiten, darüber daß wir wahrhaft nur im Glauben an Christum zusammenhalten, wenn alles menschliche Ansehen verschmähend, in der ganzen Entwikkelung der Lehre und der Anordnung des Lebens kein anderes Zeugniß gelten darf, als was sich in diesen Schriften ausspricht. Und so haben wir seit jenem Bekenntniß dieses gewonnen, daß wir frei bleiben von allen Banden irgend eines menschlichen Ansehens. Darum aber stehen auch Alle, die ausgehen vom lebendigen Worte des Erlösers und vom lebendigen Glauben an ihn, mit uns auf demselbigen Grunde; und es kann niemals eine Ursache geben, uns der Gemeinschaft mit ihnen zu entziehen. Daß aber die Erklärung der Schrift selbst oft streitig ist, dies soll kein neues menschliches Ansehn begründen, als ob dieser oder jener allein sie recht zu erklären wüßte, und wir sollen dem Geiste Gottes nicht vorgreifen, noch ihm Maaß und Ziel stekken, sondern das Wort des Apostels bedenken, Wenn aber einer anders hält, so wird es ihm Gott weiter offenbaren (Phil. 3, 15). So wird unsere Kirche fest und sicher stehen, so wird durch den Eifer für christliche Wahrheit nie die christliche Liebe unterdrükkt und durch diese nicht jener gelähmt werden 15 . — Endlich ist noch ein Stükk trefflich und erquikklich bei jener That, nämlich das Verhältniß zwischen den Fürsten und Obrigkeiten, welche die Gemeinden vertraten, zwischen den Lehrern, welche das Wort des Bekenntnisses aussprachen, und zwischen den Gemeinden, die sich zu Gott mit Gebet und Flehen wandten um Segen zu diesem Unternehmen. Nichts konnte wol damals stärker die Gemüther erregen als diese Angelegenheit; und gar leicht will dann Jeder mehr thun als das seinige, und greift ein in das Werk des Andern. Hier aber geschah es nicht so. Die Fürsten mischten sich nicht darein, wie die Lehrer das Bekenntniß stellen und anordnen sollten, die Art und das
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Maaß des Ausdrukks überließen sie ihnen als den Sachkundigen gern. Aber die Pflicht, mit der ihnen verliehenen Macht diese Lehre zu vertreten für ihre Unterthanen gegen Kaiser und Reich, sich allein auf Gott verlassend, der sein Werk werde zu schüzen wissen, diesen Beruf haben sie festgehalten und so das ihrige treulich erfüllt. Die Gemeinden, die es wußten, daß das Licht des Glaubens ihnen geschenkt w a r durch diese Lehre, die es dankbar anerkannten, daß durch dieses Wort ihnen die Augen des Geistes geöffnet waren, verließen sich auch im festen Vertrauen darauf, | daß der Herr die Lehrer auch bei diesem Werke mit Weisheit erfüllen werde; und ohne Besorgniß, ob sie nicht doch aufs neue die Gewissen würden beherrschen wollen, zweifelte niemand, daß er sich würde bekennen können zu dem, was jene als Bekenntniß aufstellten. Das w a r die schöne Frucht der Einigkeit des Geistes! Die Lehrer aber gingen mit Gebet und Flehen und großer Demuth an dies Werk, forschend stets, ob noch etwas dabei zu berichtigen sei, stets entschlossen zu bessern, wenn es nöthig sei, wie es auch nachher geschah. Sehet da, m. Fr., die schöne Gesinnung in allen damals wesentlichen Theilen unsrer evangelischen Kirche! ein recht von Gott gesegnetes Werk, wo jeder seine Stelle einnahm und sie erfüllte, ohne in das Werk des Andern einzugreifen. Möchte doch dies rechte Maaß, dies gegenseitige Vertrauen, wie es kein anderes ist, als das Vertrauen auf den Geist Gottes von dem alle Erleuchtung in der Christenheit ausgeht, nie weichen von unsrer evangelischen Kirche! Dann würde sie ruhig fortschreiten, fruchtbar sein in guten Werken, und unter dem göttlichen Segen sicher gestellt bleiben gegen alle Anfechtungen für alle Zeiten. I I . Laßt uns nun sehen, wie nun nach solchem Vorgange wir selbst uns verhalten müssen zu jener Ermahnung des Apostels, daß wir sollen bereit sein Verantwortung zu geben gegen Alle, die da fragen nach dem Grunde der Hofnung, die in uns ist. Wir müssen hierbei zweierlei unterscheiden, einmal unser Verhältniß zu demjenigen Theil der Christen, der nicht mit eingegangen ist in diese Reinigung des Glaubens und der Lehre und an welchen besonders auch damals dies Bekenntniß gerichtet war, und dann unser Verhältniß unter einander. | Laßt uns was das erste 16 betrifft dahin sehen, daß wir in demselben Maaß, als wir uns jenes Bekenntniß seinem Geist und Wesen nach aneignen, auch immer auf dieselbe Weise Verantwortung abzulegen im Stande seien von dem Grunde unsrer Hoffnung. Wenn
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zuerst seit jener Zeit immer bestimmter unter uns ausgesprochen wurde, daß keine Versammlung der Kirche befugt sei, das Gewissen des Einzelnen zu binden, ausgenommen sofern sie ihn bindet durch das göttliche Wort: so laßt uns doch ja darauf achten, daß die Zeit nicht wiederkomme, wo die Mitglieder der römischen Kirche uns mit Recht den Vorwurf machen können, daß auch wir Gehorsam forderten gegen etwas von Menschen Festgestelltes. Daß sie nicht wiederkomme, sage ich; denn leider dagewesen ist eine solche Zeit, wo man die Worte dieser Lehrer dieses unseres Bekenntnisses und dann auch besonders Luthers selbst hat gleichstellen wollen den Worten der Schrift, und dadurch den Geist, der in der Schrift forschen wollte, binden an menschliches Ansehen. Wenn zweitens damals so laut und besonnen ist ausgesprochen worden, daß wir uns auf nichts verlassen wollen in Bezug auf den Frieden unsrer Seele mit Gott, was äußerlich wäre, sondern nur auf das, was das Geistigste ist von allem, nämlich den Glauben: so laßt uns darauf feststehen, daß jene nie mögen sagen können, wir seien ihnen doch wieder gleich geworden, wenn auch auf etwas andere Weise; denn auch wir legten ja Werth auf äußerliches, Worte und Handlungen, und gründeten darauf unsere Sicherheit bei Gott. Große Ursache haben wir darauf zu achten, daß der Geist der Gemeine hierin feststehe. Welchen Theil der Geschichte unsrer Kirche wir auch betrachten | mögen, so hat es an Abweichungen nicht gefehlt. Daher laßt uns in diesem Hauptstükk uns an dem heutigen Tage aufs neue an jene Bekenner anschließen, daß wir durch die Gnade Gottes immer mehr suchen wollen von allem falschen Vertrauen auf gute Werke frei zu werden, von welcher Art sie auch sein mögen, gute Werke frommer Meinung, gute Werke äußerer Sitte, gute Werke des natürlichen Gesezes. Nichts dieser Art hat bei Gott einen Werth, sondern nur diejenige Gesinnung, welche dasselbe ist mit dem lebendigen Glauben an Christum. Wollen wir aber wieder ein äußerliches Maaß stellen für Worte oder Thaten: so sind wir dem Irrthum wieder anheim gefallen, von dem unsere Kirche bei ihrer Entstehung sich losgemacht hat. Es ist gewiß ein großer Segen, wenn die Christen übereinstimmen in der Art, wie sie ihren Glauben ausdrükken; aber das darf nicht erzwungen werden, sondern muß frei sein, wenn es einen Werth haben soll. Eben so gern müssen wir es sehen, wenn etwas Neues entsteht, so es nur festgehalten wird als begründet in der Schrift; denn dies veranlaßt zu neuem Forschen in der Schrift. Nur so können wir unsere Stellung behaupten gegen den andern Theil
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der Kirche, welcher damals das Werk der Verbesserung zurükkwies. Und damit hängt nun genau das andere17 zusammen, wie wir unter einander zu dieser Begebenheit stehen. Wir sollen Rechenschaft ablegen von dem Grunde der Hoffnung. Aber keiner wolle doch die Worte jenes Bekenntnisses selbst für den Grund unsrer Hoffnung halten. Nur Christus ist der Grund unsrer Hoffnung; ob nun der von Allen auf die gleiche Weise ausgedrükkt wird oder anders von Anderen, darin | laßt uns Freiheit gestatten. Kommen wir immer wieder einstimmig auf ein und dasselbe zurükk: so sei uns das ein neues Zeugniß, wie richtig schon Jene gesprochen haben, die zuerst die Fahne des Glaubens wieder aufpflanzten. Kommen wir auf etwas anderes: - nun, Jene bildeten sich auch nicht ein schon vollkommen zu sein. Daß aber dasselbe Verhältniß des Vertrauens, dieselbe Gemeinschaft des Geistes, dieselbe Mittheilung unter denen, die berufen sind im Worte Gottes zu forschen, bleiben möge unter uns, das ist der große Gegenstand unsrer Sorge, damit wir ebenfalls nicht nur jeder für sich, sondern auch als Eine Gemeinde bereit sein können zur Verantwortung. Wir haben in dieser Beziehung größeres zu leisten als damals zu leisten war. Klein war damals die Gemeinde, und neu der Geist derselben, und nicht so viele Veranlassung neben der Hauptsache weg auf vielerlei einzelnes zu sehen. Und doch waren auch damals schon Spaltungen, die lange fortdauerten; und schon damals bildeten sich nicht alle Christen, die gleichmäßig der römischen Kirche gegenüberstanden, zu Einer Gemeinschaft. Die eine uns zunächst betreffende dieser Spaltungen ist nun aufgehoben; aber eben deshalb haben wir auch noch größeres zu leisten, wenn wir feststehen wollen in diesen vorgezeichneten Grenzen. Daher laßt uns nicht besorgt sein, wenn wir auch noch Fehler finden an jenem Werk; denn so lange die evangelische Kirche nur festhält allein an Christo dem Anführer unsers Glaubens: so werden wir auch ganz einig sein im Geist mit unsern Vorgängern. So laßt uns denn nach unserer heutigen apostolischen Lection der Lehrer gedenken, die auch unsere Nachkommen noch sollen in Ehren halten als theure Rüstzeuge Gottes. | Aber wie es damals schon etwas Wesentliches in dem Bekenntnisse der evangelischen Kirche war, daß sie kein Priesterthum gelten ließ, wie es sich nach jüdischer und heidnischer Weise allmählich auch in der Christenheit gestaltet hatte, sondern alle Christen sollten Priester seien; und die Diener des Wortes Gottes nicht Beherrscher der Gewissen, sondern nur dazu berufen, um das Wort Gottes recht auszutheilen zum freien Gebrauch
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für einen Jeden: so ist auch seitdem in unserer Kirche der Unterschied zwischen denen, die das Wort Gottes verkündigen und denen, die es hören, immer geringer geworden. Darum wenn wir auch jener theuern Männer Gottes gedenken: so laßt uns das ja nicht vergessen, daß sie sich nach dieser Gleichheit selbst gesehnt und sie nach Kräften vorzubereiten gesucht haben. Und so gestalte sich unter uns immer mehr das ächt evangelische Verhältniß, daß die Diener des Wortes nur Haushalter seien der Geheimnisse Gottes um, wie es auch damals geschah, im Namen Aller das Bekenntniß des Glaubens auszusprechen und es auf das gemeinsame Leben anzuwenden. Dann brauchen wir auch nicht unser Vertrauen auf den oder jenen Namen zu sezen, sondern halten uns getrost an das Wort des Apostels, alles ist euer, ihr aber seid Christi. Dieser hat damals seine Heerde wohl geleitet; und das Werk, dessen Erinnerung wir heute begehen, wie unvollkommen es auch war, doch reichlich gesegnet. Er wird auch ferner nicht nur über unserer evangelischen Kirche wachen, sondern auch diejenigen, deren Christenthum noch unter den Verunstaltungen leidet, welche unsere Vorgänger damals abgethan haben, immer näher hinzuführen, daß sie sich des Lichtes erfreuen und an der Freiheit der Kinder Gottes | Theil nehmen. Wir aber wollen, unwissend dessen, was der Herr über die Zukunft beschlossen hat, ungetheilt feststehen und unsere Kraft vereinigen zu ächter Treue und zu wahrem Bekenntnisse des Herrn vor aller Welt, damit er sich auch zu uns bekenne, nicht nur an jenem Tage des Gerichts, sondern auch hier schon, auf daß auch wir dazu beitragen, daß ihm immer vollkommner das Geschlecht gehöre, das er sich erworben hat. Dieses Berufes laßt uns würdig sein, so werden wir in derselben Freiheit und demselben Gehorsam des Glaubens feststehen, wie jene Männer, und den Bau fördern der sich in unserm Vaterlande seit jenem Tage so sichtbar erhoben hat. Amen.
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III. Das Verhältnis des evangelischen Glaubens zum Gesez. Gal. II, 16-18. Doch weil wir wissen, d a ß der Mensch durch des Gesezes Werke nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesum Christum; so glauben wir auch an Christum Jesum, auf d a ß wir gerecht werden durch den Glauben an Christum, und nicht durch des Gesezes W e r k e ; denn durch des Gesezes Werke wird kein Fleisch gerecht. - Sollten wir aber, die da suchen, durch Christum gerecht zu werden, auch noch selbst Sünder erfunden werden, so wäre Christus ein Sündendiener. Das sei ferne! - Wenn ich aber das, so ich zerbrochen habe, wiederum baue: so mache ich mich selbst zu einem Übertreter. |
M. a. Fr. Wir haben neulich mit einander das Gedächtniß eines großen und für unsere ganze kirchliche Gemeinschaft bedeutenden Tages gefeiert; die Übergabe eines öffentlichen Bekenntnisses, in welchem Rechenschaft abgelegt wurde, vorzüglich von den Abweichungen in christlichen Lehren und christlichem Leben, wozu sich die damaligen Diener des göttlichen Wortes von denen die Kirchenverbesserung ausging in Verbindung mit mehreren christlichen Gemeinen in ihrem Gewissen gedrungen fühlten. Wenn nun in dem Sinn dieses Bekenntnisses ein neues christliches Leben sich gestaltet und nun weiter um sich gegriffen hat; wenn die aus dem alten Verbände gewaltsam abgetrennten Gemeinden nach dem was damals schon ausgesprochen wurde nur die Erbauung aus dem göttlichen Wort als das Wesen unseres christlichen Gottesdienstes unter sich aufgerichtet und zu großem Segen getrieben haben; wenn deshalb schon Alle nach Vermögen, vorzüglich aber die mit dem Lehramt beauftragten und deshalb vorzüglich als Diener des göttlichen Wortes bezeichneten Glieder der Gemeine von einem Geschlechte zum andern immer aufs neue mit dem größten Eifer in der heiligen Schrift geforscht haben, um unter des göttlichen Geistes Beistand in den Sinn des göttlichen
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III. Evangelischer Glaube und Gesetz
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Wortes immer tiefer einzudringen: wie wäre es nidit dem Lauf aller menschlichen Dinge gemäß und an und für sich gar nicht als ein Übel anzusehen, wenn unter vielen Christen unserer Gemeinschaft jenes Bekenntniß selbst seinem buchstäblichen Inhalt nach außer Übung und darum fast in Vergessenheit gekommen wäre! So nur der Glaube selbst als der Grund unserer Gemeinschaft, so wie das acht ] evangelische Bestreben, alles nach dem Geist und Worte des Herrn zu richten, unverrükkt dasselbe geblieben ist, könnte uns jenes gar nicht irren. Wir dürfen uns also keineswegs scheuen, wenn jene Feier uns antreibt auf dies erste evangelische Bekenntniß auch einmal genauer zurükkzugehn; vielmehr habe ich darum geglaubt, es werde nüzlich und vielen von uns genehm sein, daß wir eine Zeit dazu verwendeten, um bei den Hauptpunkten desselben ausführlicher als an jenem Tage möglich war zu verweilen; und zwar nicht etwa behutsam nur dasjenige auswählend, womit wir erwarten dürfen, daß Alle aus vollem Herzen noch immer übereinstimmen, sondern, wie es sich darbieten wird, das sowol was uns noch auf dieselbe Weise wahr und gültig ist, aber nicht minder auch das, was sich uns schon mehr entfremdet hat. Und einer von den Hauptpunkten dieses Bekenntnisses war, daß es keine Gerechtigkeit des Menschen vor Gott, und das heißt doch kein Wohlgefallen Gottes an dem Menschen, gebe durch Werke - und wir können gleich hinzufügen des Gesezes18, weil Werke nicht anders geschäzt werden können als nach einem Gesez - sondern nur durch den Glauben. Nun aber wäre es, dieses ganz zusammenzufassen, viel zu viel für e i n e solche Rede und Betrachtung; wir wollen also nur stehen bleiben bei dem einen Theile von dem, worauf uns unser Text hinweist, nämlich dem Verhältnisse des Gesezes zu dem rechten c h r i s t l i c h e n G l a u b e n . Das spricht nun der Apostel aus in den Worten unseres Textes auf zwiefache Weise, e r s t e n s nämlich, daß alle, die an Christum glauben, nicht der Meinung sein können, gerecht vor Gott zu werden durch Werke des Gesezes; z w e i t e n s daß, | wenn wir unter uns das Gesez wieder aufrichten, wir dadurch uns selbst als Übertreter bezeichnen. Das sei es also, m. g. Fr., worauf wir unter dem Beistande Gottes unsere Aufmerksamkeit richten wollen. I. Der Apostel also sagt erstens, und das sagt auch jenes Bekenntniß mit klaren Worten, daß kein Fleisch vor Gott gerecht werden könne durch Werke des Gesezes. Aber freilich würden ja wir uns
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Predigten zur U b e r g a b e der Augsburgischen Confession
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selbst betrügen, wenn wir dieses so zum Gegenstande unserer Betrachtung machen wollten, daß wir nur irgend etwas wahres und richtiges nachwiesen, was wir uns bei diesen Worten denken, sondern es muß uns vielmehr darauf ankommen, ob das, was wir nach unserer Uberzeugung wahres bei diesen Worten denken, auch dasselbe ist, was damals dabei gedacht wurde. Es könnte ja wohl sein, daß sie uns nicht mehr dasselbe bedeuten, was sie zu den Zeiten des Bekenntnisses sagen wollten, oder daß man sich damals schon unter den Werken des Gesezes etwas anderes dachte, als der Apostel damit gemeint hatte; und dann wären wir also immer in Gefahr eine falsche Anwendung von den Worten des Apostels zum Besten der Lehre zu machen, auf welche jene Lehrer ganz vorzüglich die Verbesserung der Kirche gegründet haben. Darum laßt uns vor allen Dingen sehen, ob der Sinn den wir diesen Worten beilegen, wenn wir uns die Ausdrükke unseres Bekenntnisses aneignen, auch mit dem zusammentrifft, wovon der Apostel in seinem Briefe reden wollte. Es ist nämlich bekannt, m. Fr., daß der Apostel diesen Brief an die Christen in Galatien vornehmlich deswe|gen geschrieben, weil sich nach der Zeit seiner Verkündigung Lehrer in diesen Gemeinen eingefunden hatten, welche behaupteten, Alle, die durch den Glauben an Christum der Seligkeit theilhaftig werden wollten, müßten sich dennoch auch dem Gesez Mosis verpflichten, und es beobachten. Daher ist freilich nicht zu läugnen, daß der Apostel bei diesem Wort vorzüglich das Gesez Mosis im Auge hatte. Davon konnte nun zu den Zeiten unserer Kirchen Verbesserung nicht mehr die Rede sein; sondern wogegen diese unsere Vorgänger eiferten, wenn sie neben dem lebendigen Glauben von keinen gesezlichen Werken wissen wollten, das war die große Menge von äußerlichen Handlungen, bald waren es Gebete und Wallfahrten, bald Fasten und Kasteiungen, bald wieder Spenden an Dürftige und kostbare G e r ä t schaften zur Ehre Gottes, welche die geweiheten Diener der Kirche den ihnen anvertrauten Seelen auflegen mußten, um dadurch Genugt u u n g zu leisten, und dann gerecht zu sein vor Gott. Gegen diese Sazungen und gegen das trügerische Vertrauen, welches dadurch genährt wurde, eiferten die christlichen Lehrer, welche unsere Kirchenverbesserung begründeten. Aber die Opfer und Gaben, die Gebräuche und Gebete, welche das Gesez Mosis und noch mehr die Sazungen der Väter verordneten, und diese Vorschriften des altkirchlichen Gesezes und der priesterlichen Vollmacht sind in der That nicht zweierlei, sondern Eins und dasselbe. Laßt uns nur dazu
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nehmen, was der Apostel an einer andern Stelle unsers Briefes (Gal. 3, 2 1 ) in ähnlichem Zusammenhange sagt, Wenn ein Gesez gegeben wäre, das | da konnte lebendig machen, dann käme in der That die Gerechtigkeit aus dem Gesez. Wenn er also hier sagt, es gebe keine Gerechtigkeit aus dem Gesez: so hat dies eigentlich darin seinen Grund, weil das Gesez nicht lebendig machen kann, und mithin alle Werke eines jeden Gesezes ihrer Natur nach tote Werke sind. Um nun dies in seiner ganzen Allgemeinheit aufzufassen, m. a. Fr., laßt uns zuerst bedenken, daß jedes Gesez zu einer Gemeinschaft gehört, die es ordnet, und in der es waltet 1 9 . Zuerst also alle die Gemeinschaften einzelner Völker um ohne Störung im freien Gebrauch und der zwekkmäßigen Vereinigung ihrer K r ä f t e zusammen zu leben, in denen waltet das bürgerliche Gesez. Aber außerdem gab es auch schon vor Christo unter den Menschen Gemeinschaften, die sie vereinigten in Beziehung auf ihr Verhältniß zu Gott, und diese hatten auch ihre Geseze. Ist nun der Inhalt solcher gottesdienstlichen Geseze freilich ein anderer, als der der bürgerlichen: so sind doch beide als Gesez von derselben Natur. Mit dem Geseze nun, welches durch Moses dem jüdischen Volke gegeben war, hatte es die besondere Bewandtniß, daß es beides war ungetrennt und in ungetheiltem Zusammenhange. Gott Jehovah w a r der König des Volkes, und ließ ihm als solcher Geseze bekannt machen, für die äußeren Verhältnisse seines Lebens; aber derselbe König, welcher die Angelegenheiten des Volkes ordnete, w a r Gott, und ließ bekannt machen, wie er und wodurch er wolle verehrt und angebetet sein. Was also der Apostel von dem Gesez Mosis sagt, das muß eben deshalb von beiden Arten des Gesezes gelten, weil in jenem beide vereinigt waren. Aber er giebt auch noch auf an|dere Weise zu erkennen, wie allgemein er dies verstanden wissen will. Denn in dem Briefe an die Römer, w o er ebenfalls davon handelt, daß die Menschen nicht konnten gerecht werden vor Gott durch die Werke des Gesezes, stellt er in dieser Hinsicht Juden und Heiden einander völlig gleich, indem wenn die Heiden auch kein Gesez empfangen hätten, sie sich doch selbst Gesez geworden wären 20 . Wodurch er dann deutlich zu erkennen giebt, daß bei aller Verschiedenheit des Inhaltes doch die bürgerlichen sowol als die gottesdienstlichen Geseze der Juden in Beziehung auf eine Gerechtigkeit, die daraus entstehen könnte, um nichts besser wären als die der Heiden. Der Apostel läugnet aber die Gerechtigkeit aus dem Gesez nicht ohne uns zugleich einen anderen Nuzen des Gesezes klar zu machen,
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Predigten zur Obergabe der Augsburgischen Confession
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und auf einen andern Zwekk desselben hinzuweisen, als Gerechtigkeit und Seligkeit. Und freilich nur unter der Voraussezung können wir ihm folgen, daß es doch irgend einen andern Grund und Zwekk des Gesezes geben muß, wenn es nicht die Seligkeit verschafft. Bedenken wir nun, daß jedes Gesez Belohnungen und Strafen ausspricht, und sehen zunächst auf das bürgerliche Gesez: so finden wir sehr leicht den Zwekk desselben in dem Schuz, den es den Guten verleiht gegen die Bösen. Aber zugleich sehen wir auch ganz allgemein, daß Alle, denen das Gesez gegeben ist, und die Gebrauch von demselben machen, nicht gerecht sind vor dem der das Gesez giebt. Denn dieser würde nicht drohen und verheißen, wenn er nicht Unlust voraussezte an dem, was er will, und Lust zu dem, was er nicht will; und wer in solchem Widerspruch ist mit ihm, der kann nicht gerecht sein vor ihm. J a auch jeder, | der das Gesez als solches erfüllt, bezieht doch seine Handlung auf das verheißene und angedrohte; mithin lebt nicht der Wille des Gesezgebers in ihm, sondern sein Leben ist nur in dem fremden, was jener zu Hülfe nimmt. Darum ist es auch so leicht, zwei Aussprüche des Apostels mit einander zu verbinden, die man auf den ersten Anblikk gar nicht leicht zusammen reimen kann. An dem einen Orte läugnet er, daß es ein Gesez gebe, welches lebendig machen kann, gerade in Beziehung auf das, was der Gegenstand desselben ist; auf der andern Seite behauptet er ausdrükklich, das Gesez sei Geist. Nun aber ist Geist und Leben dasselbe; ist also das Gesez Geist, so muß es auch Leben sein. Aber die Meinung die dabei zum Grunde liegt ist diese: Das Gesez ist geistig seiner Natur nach; es ist das innerste geistige Leben dessen, von welchem es ausgeht, das beste, was er weiß und will, hält er Andern vor und stellt es ihnen dar; und also, wenn er die Macht dazu hat, verpflichtet er sie auch dazu. So weit freilich ist das Gesez Geist; und wenn wir uns denken den oder die, welche Geseze geben in dem bürgerlichen Verhältnisse: so glauben wir, daß sie es in der That nur dadurch vermögen, daß sie den Geist des Ganzen in sich tragen, und von dem Leben und den Bedürfnissen desselben das klarste und reinste Bewußtsein haben. In denen ist also das Gesetz allerdings Geist. Wenn sie nun aber finden, daß das, was sie als zu dem Wohle des Ganzen nothwendig und gehörig erkennen, auch von Andern schon von selbst gethan wird, daß Lust dazu und Freude daran schon verbreitet ist unter denen, welche sie zu leiten haben: so werden sie sich der Ubereinstimmung zwischen ihnen den Leitenden und denen | die geleitet werden von Herzen freuen;
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warum aber sollten sie das Soll erst über das aussprechen, was schon ohnedies geschieht? warum Belohnungen und Bestrafungen damit verbinden, deren niemand bedarf? Darum in denen, von denen das Gesez ausgeht, ist es allerdings Geist und Leben; aber für die, an welche es gerichtet ist, ist es nur ein Buchstabe, der weil er sie an dem fremden, an Lohn und Strafe festhält, nicht vermag, sie lebendig zu machen. Sucht man aber irgend sonstwie ihnen Lust beizubringen, zu dem, worauf das Gesez geht, und gelingt es sie von der Heilsamkeit desselben so zu überzeugen, daß ihr Wille ergriffen wird: dann hat das Gesez ein Ende, sie aber fangen dann erst an gerecht zu werden vor dem, der das Gesez giebt, wenn sie seinen Willen thun von innen heraus ohne das Gesez, dessen Kraft nur besteht in Furcht und Hofnung. Darum können wir mit Recht mit dem Apostel sagen, daß der Mensch nicht gerecht wird durch die Werke des Gesezes; denn so lange sie Werke des Gesezes sind, sind sie auch todte Werke, weil das Leben nicht in dem ist, was gethan wird, sondern es wird gethan um eines anderen willen. Dasselbe, m. a. Fr., erkennen wir auch hieran. Das Gesez in dem umfassenderen Sinne des Wortes besteht überall aus einer Menge von einzelnen Sazungen, seien es nun Vorschriften oder Verbote. Aber wenn es nur auch in diesem Sinne wirklich e i n s ist, so muß doch dieses viele einzelne unter sich in genauem Zusammenhange stehn, das eine muß nicht gethan werden können ohne das andere, das eine nichts nüzen ohne das andere. Kurz, für die, in welchen der Geist des Gesezes ist, muß es auch e i n s sein; | warum also wird es nicht auch so ausgesprochen? Eben weil vorausgesetzt wird, daß dieser innere Zusammenhang in denen, welchen das Gesez gegeben wird, nicht ist; darum kann es nur ausgesprochen werden in einer Mannigfaltigkeit von Geboten, und man hält das Gesez für desto vollkommner, je mehr auf die verschiedensten Fälle und die mannigfaltigsten Umstände Rükksicht genommen ist. Wie wäre das wol nothwendig, wenn das Gesez in denen, welchen es gegeben wird, Geist und Leben wäre? Dann würde man es ihnen selbst überlassen, die Anwendung auf die einzelnen Fälle zu finden, und sich selbst zu bestimmen, wie sie jedesmal von dem Geiste des Gesezes aus handeln müssen. Mag man also auf das erste sehen, daß das Gesez überall Unlust an dem gebotenen voraussezt, und nur unter dieser Voraussezung gegeben wird, oder daß in einer Gesezgebung das, was in sich Eines ist und auch so gefaßt sein will, sich doch in eine große Mannigfaltigkeit von einzelnen Geboten und Verboten zerlegt: so folgt aus beiden
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zusammen, und aus einem wie aus dem anderen, daß das Gesez als solches kein Leben in sich hat, welches mitgetheilt werden könnte; und wie könnte es also eine Gerechtigkeit geben aus dem Gesez? Ist in uns jener Wiederspruch: so ist unser Wille gegen das Gesez, und wir sind also nicht gerecht vor demselben. Befolgen wir die einzelnen Vorschriften als solche: so haben wir den Zusammenhang derselben nicht in uns, der doch das eigentliche Wesen des Gesezes ist. Daher auch selbst in der bürgerlichen Gesellschaft genau betrachtet kein Gesezgeber jemals zufrieden sein kann mit seinen Untergebenen, wenn sie auch das Gesez auf das | genaueste befolgen. Sondern da sie ja doch gleicher Art und Natur mit ihm sind, wird er immer bei sich selbst denken 21 , Solche Untergebene möchte ich haben, daß ich nicht nöthig hätte meinen Vorschriften Verheißungen und Drohungen anzuhängen und sie also zum Gesez zu machen. Sie können freilich, weil sie nicht wie ich in den Mittelpunkt gestellt sind, auch nicht so wie ich erkennen, was ersprießlich ist für das gemeinsame Wesen; aber ich wollte, ich hätte nur nöthig ihnen zu sagen, Das ist heilsam, und sie thäten es, Das ist verderblich, und sie unterließen es. Solche nun handelten aus reiner Lust und Liebe zum Guten, und ständen nicht mehr unter dem Gesez, sondern nur unter der höheren Weisheit; und die Gerechtigkeit vor dem Gesezgeber, der diese Weisheit darstellt, fängt also auf alle Weise erst an, wenn die eigentliche Herrschaft des Gesezes zu Ende geht. Und nun kann ich vielleicht mit wenigen Worten eine Frage beseitigen, die wol den Meisten schon lange auf der Zunge schwebt, nämlich ob nicht außer dem bürgerlichen Gesez und dem geoffenbarten Gesez auch die Rede sein müsse von dem Gesez der Vernunft 22 , und ob es nicht auf diesem Gebiet wenigstens eine Gerechtigkeit gebe aus den Werken des Gesezes. Wir sind gewiß Alle darüber einig, daß das Wesen dessen, was wir so nennen, nichts anderes ist, als das Forschen des inwendigen Menschen nach dem Guten, das Fragen desselben nach Gott und einem göttlichen Willen. Diese Frage beantwortet Jeder sich, wie er kann, und sezt voraus, daß die Andern sie eben so beantworten, wo nicht, so sucht er sich mit ihnen auszugleichen. So ist es geschehen, daß die Heiden ihnen selbst ein Gesez geworden sind, und die reinste Antwort auf jene Frage hat sich überall geltend gemacht als eine göttliche Anweisung. Und eben diese Frage und Anerkennung ist auch überall die Quelle des bürgerlichen Gesezes. Aber außer diesem bestimmten Kreise, in welchen Fällen tritt dann jene innere Stimme als Gesez auf? Gewiß doch indem sie uns sagt, Wenn
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du so nicht handelst ja selbst so nicht gesinnt bist: so wird dein und der Andern innerstes Bewußtsein dich strafen, und indem diese Betrachtung uns trifft und bewegt. Heißt das nun nicht abermals, nur da wo der Widerspruch ist, und wo fremdes muß zu Hülfe genommen werden? Werden wir also nicht auch hier gestehen müssen, der Mensch sei zwar gerecht, sofern er sich das Gesez giebt, aber nicht sofern er es befolgt? Denn wenn das Fragen nach dem göttlichen Willen ihn so innerlich und ursprünglich bewegte, daß er, was er immer thut, nur K r a f t dessen thäte, dann wäre er gerecht, selbst wenn er es nicht richtig getroffen hätte; aber dann wäre auch von dieser geistigsten Strafe und Belohnung nicht die Rede, sondern sein Thun wäre davon ganz unabhängig. Daher gilt es denn auch hier nicht minder, daß so lange das Gesez noch als Gesez geübt wird, es keine Gerechtigkeit giebt aus der Befolgung des Gesezes. Dies ist also dasselbe auf jedem Gebiet, wo es ein Gesez giebt, und mit Recht sagt daher Paulus, daß in diesem Sinne keiner gerecht sei vor Gott, auch nicht Einer. Wenn daher die Worte unseres Bekenntnisses sich hierüber so ausdrükken, daß der Mensch nicht könne durch das Gesez gerecht werden, weil er nicht vermöge das Gesez Gottes zu halten, noch auch Gott von Herzen zu lieben: so ist offenbar das erste nicht die Hauptsache, sondern das zweite. | Denn wenn er auch noch so sehr vermöchte, das Gesez zu halten, sofern sich dieses nämlich aussprechen läßt in einer Menge von aufgestellten Vorschriften, von denen er sich wie Jener 2 3 das Zeugniß geben könnte, daß er keine jemals übertreten habe: so wäre er doch aller Gerechtigkeit baar, so das Andere fehlte - Gott von Herzen lieben. U n d so ist es überall. Denn unsere evangelischen Lehrer geben zwar zu, der Mensch könne aus eigenen Kräften die bürgerliche Gerechtigkeit erfüllen und also gerecht werden vor diesem Gesez. Allein auch das gilt nur von dem einen Theil, nämlich so weit kann er gerecht werden, daß er nicht gestraft werden kann nach dem Gesez, und so weit gilt es auch von jenem Gesez der Vernunft. Aber daß er auch ein Gegenstand des Wohlgefallens werde für den Gesezgeber, diese vollkommnere Gerechtigkeit kann nicht mehr erreicht werden durch des Gesezes Werke, sondern nur dadurch, daß der Mensch das Ganze, über dem das Gesez waltet, von Herzen liebt. Die Liebe aber kennt kein Gesez; denn weder steht sie unter der Willkühr des Menschen, daß er sich entschließen könnte zu lieben oder audi nicht, noch kann sie erwekkt werden oder gehemmt durch H o f nung oder Furcht, wie das Gesez den Menschen antreibt und abhält. Darum ehe die Liebe Gottes ausgegossen war, herrschte mit Recht
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das Gesez, nicht wie auch der Apostel sagt, daß die Menschen dadurch gerecht würden, sondern nur, damit das Bewußtsein in ihnen erhalten würde, daß dieser Zustand nicht der rechte sei, und das Verlangen genährt nach einem besseren. Nun aber die Liebe Gottes ausgegossen ist in die Herzen der Gläubigen, seitdem Gott durch die Sendung seines Sohnes seine Liebe verkündigt hat und gepriesen, | ist durch den Glauben an ihn eine andere Gerechtigkeit aufgerichtet. Darum, sollen wir uns in der That dieses vollkommenen Zustandes erfreuen und in demselben gefördert werden: so ist nothwendig, daß wir beiderlei Zeiten genau unterscheiden, die Zeit der Vorbereitung unter dem Gesez und die Zeit der Erfüllung über dem Gesez; denn die der Geist regiert, die sind nicht unter dem Gesez (Gal. j, 18). Darum wurde es mit Recht zur Zeit unsrer Kirchenverbesserung als ein großes Verderben des Christenthums empfunden, daß eine Ähnlichkeit mit jener Gefangenschaft unter den Sazungen immer mehr seit mehreren Jahrhunderten eingeschlichen war, und daß die Häupter der Kirche, die Lehrer der Gemeinen ihre anvertraute Heerde wieder zurükkführten in jene Zeit der Unmündigkeit. Denn es lag zu Tage, daß der größere Theil der Christen durch das Vertrauen auf diese äußere Genugtuungen zurükkgekommen war in der lebendigen Gottseligkeit, und daß der wahre Glaube an Christum in Schatten gestellt war, während ein nur äußerlicher Glaube mit zu den äußeren Werken gehörte. Darum that es noth, die Christen darauf zurükkzuführen, daß kein Fleisch gerecht werden kann durch äußere Werke, sie mögen sein, welche sie wollen; und daß beides nicht mit einander bestehen kann, in Christo eine neue Kreatur sein, und doch noch eine Nothwendigkeit äußerer Werke annehmen. II. Darum wollen wir als evangelische Christen uns besonders jenes z w e i t e Wort des Apostels zu Herzen neh|men, daß, so wir wieder aufbauen was wir zerstört haben, wir uns selbst für Übertreter erklären. So wir, die wir jene Lehre von der Gerechtigkeit aus dem Glauben aufgebaut haben, doch wieder die Werke eines äußeren Gesezes aufrichten: so gerathen wir in einen neuen Widerspruch mit uns selbst. Entweder haben wir Unrecht gehabt, den Glauben an Christum wieder als den einigen Grund der Gerechtigkeit hervorzuheben, oder wir haben Unrecht, wieder zu äußeren Werken zurükkzukehren. Denn wenn man auch sagen wollte, der Glaube solle ja bleiben als der erste Grund, und niemand könne einen anderen legen; aber außer dem seien doch noch diese und jene Werke und Übungen
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nöthig und heilsam: wohl, so ist uns doch Christus nicht genug; denn er hat dergleichen nicht aufgelegt. Ist Er uns aber nicht genug zur Gerechtigkeit und zur Seligkeit; trägt er auch nur dazu bei wie Andere, sei es audi noch so viel mehr: so ist doch der wesentliche Unterschied zwischen ihm und allen anderen Menschen aufgehoben; und dann giebt es auch einen Glauben an ihn nur in dem Sinn, wie man auch an Andere glaubt. Dies Wort der Ermahnung wollen wir uns einander also zurufen, festzuhalten an jenem Hauptstükke des Bekenntnisses, und kein Gesez äußerer Werke wieder unter uns aufzurichten. Wir müssen uns dazu um so dringender aufgefordert fühlen, als es nur zu gewiß ist, daß schon zu derselben Zeit als unser Bekenntniß abgelegt wurde, Viele sich zu der neuen Gemeinschaft hielten, die sich doch keineswegs ganz losgemacht hatten von der Anhänglichkeit an äußere Werke, und auch seitdem bis auf den heutigen Tag hat es nie gefehlt an Solchen nicht nur nicht in verwandten Kirchen|gemeinschaften, die sich gleichfalls von der römischen abgesondert haben, sondern auch unter uns selbst. Wie viel Vorschub muß also diese Neigung in der menschlichen Seele finden! wie schwer muß sie zu überwinden sein! Darum laßt uns zunächst nur darauf halten, daß nicht solche gesezliche Werkheiligkeit durch öffentliches Anerkenntniß unter uns wieder aufgerichtet werde. Unmittelbar so wie es damals gewesen war, kann das nun nicht leicht unter uns geschehen, weil die Diener des göttchen Wortes keine Gewalt haben, die Vergebung der Sünden oder die Theilnahme an irgend einem geistlichen Gut an äußere Werke zu knüpfen 24 . Aber was diese nicht von ihres Amtes wegen vermögen, das vermag der herrschende Sinn in unseren evangelischen Gemeinen selbst, und also auch alle diejenigen, Jeder in seinem Maaß, auf welche die Andern halten, und welche Einfluß ausüben können auf die Gemüther. Darum möchte ich Alle bitten zweierlei wohl zu beachten, woraus in unserer evangelischen Kirche solche Ansäze entstehen, Werke des Gesezes öffentlich aufzurichten, das Eine, wenn wir Andere nach ihren äußeren Handlungen beurtheilen, das Andere, wenn wir über die Lehre ein Gesez aufstellen, und durch gesezmäßige Reinheit der Lehre gerecht werden wollen. Diese beiden Stükke sind es vornehmlich, welche wir zu verhüten haben, wenn das Wesen unserer evangelischen Gemeinschaft ungefährdet bleiben soll. Was das Erste betrifft, so weiß ich wol, daß Manche sagen werden, es sei doch nothwendig auf die Handlungen der Menschen zu merken, weil wir nur so allmählig zu einem Bilde von ihnen gelangen können, welches nicht zu weit von der Wahrheit entfernt ist; nur wenn wir
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Achtung geben, | wie ihre Handlungen in ihnen entstehen, lernen wir allmählig mit einiger Wahrscheinlichkeit berechnen, worin und bis wie weit wir auf sie bauen können, und was wir hier und dort von ihnen zu erwarten haben, und auf dieser Kenntniß beruhe doch zum großen Theil unsere Sicherheit im eignen Handeln. Das alles ist richtig, und das gehe auch ungestört seinen Gang! Aber gerade damit es ungestört bleibe und unverfälscht: so laßt uns Lob und Tadel immer nur austheilen nach den Gesinnungen der Menschen, so weit wir bis zu denselben hindurchdringen können. Ob die Liebe Christi sie drängt und treibt, oder ob sie noch befangen sind von der Liebe zur Welt; wenn wir das zu ergründen vermögen, so muß es freilich unsere Meinung von ihnen bestimmen: aber niemals laßt uns aus äußeren Werken und Thaten einen Maaßstab machen um ihr Christenthum darnach zu schäzen. Sagen wir, wer unsere frommen Versammlungen nicht fleißig besucht, wer an gewissen Werken christlicher Wohlthätigkeit nicht theilnimmt, wer sich gewisser Vergnügungen nicht enthält, der ist auch kein guter Christ: so richten wir wieder ein Gesez der Werke auf 2 5 . Nur wenige Menschen von einigem Einfluß dürfen darüber einig sein, und streng und scharf ihr Urtheil laut aussprechen, so werden schon immer Mehrere sich demselben unterwerfen; und wenn sie das lange genug gethan haben, so überreden sie sich auch selbst von dem Gesez, und legen das Joch auch auf Anderer Nakken, und immer weiter greift der Schaden um sich. J a der Schaden! denn solche Gesezlichkeit kann nur die Oberhand gewinnen auf Kosten der inneren Wahrheit, und der Reinheit des evangelischen Sinnes. Haben solche Urtheile erst eine öffentliche Geltung: | so können wir von Andern gar nicht mehr wissen, ja bald wissen wir es kaum von uns selbst, was aus dem freien innern Triebe hervorgegangen ist, oder was die Macht und das Ansehn des öffentlichen Urtheils uns abgedrungen hat. Auf alle Weise aber sind wir dann Übertreter, wie auch der Apostel sagt, indem wir wieder aufbauen, was wir niedergerissen haben. Regiert uns der Geist noch nicht so, daß wir uns nur an den Früchten des Geistes erfreuen, und in froher Zuversicht wissen, er werde uns gestalten von einer Kraft in die andere: so hat auch der Glaube uns nicht frei gemacht, sondern wir sind als Übertreter ohne Fug und Recht dem Zuchtmeister entlaufen, und unser frevelnder Sinn hat nur Spott getrieben mit dem Glauben. Ist es aber wahr, daß der Geist Gottes über uns ausgegossen ist durch die Predigt vom Glauben; lebt eben dieser Glaube in uns, der durch die Liebe thätig ist, und wir wollen doch daneben ein Gesez der Werke aufrichten: so sind wir Übertreter, weil wir fleischlich voll-
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enden wollen was wir geistig begonnen haben, weil wir soviel an uns ist die Freiheit der Kinder Gottes beeinträchtigen. Soll man auch von unserer evangelischen Kirche sagen können, Ihr liefet fein, wer hat euch aufgehalten, daß ihr nicht länger der Wahrheit folgt? - Wie aber solches unter uns geschehen kann, das ist leicht zu sehn. Denn wenn von der Freiheit wirklich Mißbrauch gemacht, und Vieles als unbedenklich geübt wird, womit doch die Richtung des Gemüthes auf Gott und die wahre Besonnenheit und Freiheit desselben nicht bestehen kann, oder wenn wir gar glauben, daß sich viele falsche Brüder eingeschlichen haben, welche vom Gesez zwar los sein wollen, aber nicht weil sie vom ] Geist regiert werden, sondern um die Werke des Fleisches ungestört zu treiben: so meinen wir nicht schnell genug gegen wirken zu können, und suchen ein Maaß geltend zu machen als öffentliche Sitte; wodurch wir zwar beide Theile wenn es gelingt in Schranken halten, aber gebessert wird dadurch niemand, wol aber werden die Gewissen verwirrt und der evangelische Geist getrübt. Darum laßt uns statt solcher wolgemeinten Ungeduld lieber der Gerechtigkeit aus dem Glauben in der Stille warten. Laßt uns der ersten als schwacher Brüder wahrnehmen und sie aufmerksam darauf machen, wo sie sich selbst schaden, damit sie nicht sich selbst betrügen, aber nicht laßt uns ihnen ein Gesez stellen, welches ihnen nur sie selbst verbirgt. Laßt uns die Andern lieber fleißig ermahnen, wenn sie sich ihrer Macht so bedienen, wie es schwerlich immer frommen kann, daß sie uns um desto reichlicher zeigen müßten von den ächten und reifen Früchten des Geistes, damit wir nicht versucht würden, das für Werke des Fleisches zu halten, was wir nach ihrem Wunsch nur für Zeichen der Freiheit halten sollen. Aber laßt uns nicht um Einer Unvollkommenheit zu begegnen eine andere hervorrufen, die um so schlimmer ist, weil sie sich mit einem größeren Schein des Guten festsezt, und tiefer noch den Gemeingeist verdirbt. Das Zweite nun, wovor wir uns zu bewahren haben, ist dieses, daß wir uns einen festen Buchstaben der Lehre zum Gesez machen, und so den evangelischen Christen ein anderes nicht minder hartes Joch auflegen. Es ist ein arges Mißverständniß, wenn man Lehre und Glaube nicht gehörig von einander unterscheidet 28 . Der Glaube, auf den es uns ankommt, ist ganz einfach nichts anders als die | sich immer wieder erneuernde Bewegung des Gemüths, welche die uns von Christo angebotene Lebensgemeinschaft annimmt. Wer nun diesen hat, der muß freilich auch ein Bewußtsein davon haben, was diese Lebensgemeinschaft ihm gewährt: aber einer, der kaum soviel hierüber zu stammeln
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weiß, daß wir ahnden können, er stehe im Frieden Gottes, er genieße die Freude im heiligen Geist, er wirke in der Liebe mit der Christus uns geliebet hat, kann eben so kräftig in dieser Gemeinschaft leben als ein Anderer, der uns hierüber mit den schönsten und genauesten Reden erfreuen und erquikken kann; nur in der Lehre ist dieser besser beschlagen als jener. Und nun gar wenn wir rükkwärts sehen! Was für Bestimmungen sind in dem christlichen Lehrgebäude zusammengehäuft darüber, wie der Zustand der Menschen muß gewesen sein um solcher Hülfe zu bedürfen, und wie ein solcher Zustand muß entstanden sein! Eben so auf der andern Seite, wie Christus muß gewesen sein, um diese Hülfe leisten zu können, wie sich das göttliche in ihm zu dem menschlichen muß verhalten haben, und was noch alles sonst an diesem beiden hängt. Kann nun wol die Kräftigkeit des Glaubens, wie fest wir an Christo hangen, davon abhängen, wie weit sich Einer in solche Gedanken zu vertiefen versteht? Kann die Reinheit des Glaubens, wie ausschließend wir uns auf Christum verlassen, davon abhängen, daß sich in unsere Vorstellungen hierüber nirgend ein menschlicher Irrthum einschleiche? Kann nun das nicht sein: so sind ja Glaube und Lehre auf jeden Fall ganz verschiedene Dinge! Aber doch hat auch jenes gefeierte Bekenntniß zu einer Verwechselung beider Veranlassung gegeben. Man sagte den Gemeinen, das sei nun das | Bekenntniß ihres Glaubens, über dem müßten sie halten. Und als die darin enthaltene Lehre von manchen Seiten angegriffen ward, da wurde der behutsam abgewogene Buchstabe noch genauer gewogen und hier hinzugefügt und dort beschränkt; und indem man die genaue Lehrrichtigkeit, wenn sie es anders gewesen ist, die auf diese Weise entstand, fälschlich Rechtgläubigkeit nannte, so forderte man sie natürlich von Jedem, weil ja der rechte Glaube die Hauptsache unter uns sein sollte, und machte sie zum Maaß des evangelischen Christenthums. Hieß das nicht das Gesez eines Buchstaben aufrichten, der eben so todt ist, wie jene Werke des Gesezes? Denn muß er nicht todt sein für Jeden, der nicht alle die Streitigkeiten, worauf die Lehrbestimmungen ruhten, selbst mit durchleben kann: der sich nicht das Verhältniß der verschiedenen Lehrfassungen zu der einfachen Grundwahrheit des Glaubens klar vor Augen zu stellen weiß. Und ein solches Gesez aufstellen, hieße das nicht doch wieder die meisten Christen verpflichten zu einer blinden Annahme dessen, was die Gemeinschaft der Lehrer gesezt hat, was die Kirche befiehlt zu glauben? und wenig Gewinn blieb davon, daß man die äußern Werke, welche jene geboten hatte, verachtete! Denn was geschah: Andere von uns merkten es wol, daß es bei diesen vielen Mühen um die Lehre doch an
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III. Evangelischer Glaube und Gesetz
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der Kraft des lebendigen Glaubens fehle, und wollten nun das Wort geltend machen, Zeigt uns euren Glauben durch eure Werke. Und deshalb wurden die, welche nur auf die Kraft des Glaubens drangen, beschuldigt, sie wollten ihrerseits ein Gesez der Werke aufrichten, so daß der rechte evangelische Sinn überall theils verdunkelt war, theils unter Verdacht gestellt. Aber abgesehen | auch hiervon, wie weit mußte unsere Kirchengemeinschaft abirren von dem ursprünglich eingeschlagenen Wege durch diese Aufstellung eines Gesezes der Lehre! Wie unfruchtbar für die Gottseligkeit wurde die erneuerte Bekanntschaft mit dem göttlichen Wort, welche so segensreich hätte sein sollen, wenn doch alle Aussprüche desselben nur darauf angesehen wurden, ob und wie sie gebraucht werden könnten, um die gestellte Lehre zu vertheidigen, oder wie man sie umschanzen müsse, damit nicht ein Anderer sie gebrauche für diese oder jene abweichende Meinung! Und die große Verbesserung, daß wieder nur ursprünglich die Erklärung des göttlichen Wortes das wesentliche sein sollte in unsern gottesdienstlichen Versammlungen - wie ist der Nuzen derselben fast zu nichts zusammengetrokknet in dem Maaß, als man sie nur darauf richtete, den Buchstaben der Lehre richtig und unverfälscht einzuschärfen und fortzupflanzen. Ja auch unsere Kirchengesänge, von Anfang an ein so kräftiges Zeugniß von dem Wehen des Geistes in unserer Gemeinschaft, vertrokkneten unter diesem Gesez des Buchstaben. - Doch was soll ich diese untröstliche Abbildung noch weiter ausmalen. Denn das versteht sich wol von selbst, daß, wo man anfing dieses Joch abzuschütteln, dadurch allein nicht auch schon die Kraft des Glaubens wieder erstand, und der lebendige Geist die Stelle des todten Buchstaben einnahm; sondern nur allmählig konnten beide, wie sie, Gott sei Dank, nie verschwunden waren aus der evangelischen Kirche, ihre Stelle wieder einnehmen. Diese wenigen Züge, m. g. Fr., werden es hoffentlich Allen deutlich gemacht haben, wie diese beiden Verwirrungen nach der Seite des Gesezes hin, immer vorzüglich diejenigen sein werden, gegen welche wir uns zu verwahren haben. Die Neigung zu beiden hat tiefe Wurzeln in der menschlichen Natur! Konnte nahe genug hinter der schönen Glaubensthat, die wir neulich gefeiert haben, und in unmittelbarer Beziehung auf ein solches Bekenntniß, welches selbst und die nächsten Erklärungen darüber sich so kräftig äußerte gegen jede Gerechtigkeit aus dem Gesez, dennoch dieses zwiefache Verderben unter uns Raum gewinnen: wie werden wir nicht zu jeder Zeit aufmerksam auf dasselbe sein müssen! ja wer darf sich abläugnen, daß in geringerem Maaßstabe
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es uns in mannigfaltigen Erscheinungen immer umgiebt! Wollen wir aber, um uns desto besser dagegen zu verwahren, nach der Ursache desselben forschen: wir werden sie in nichts anderm finden, als darin, daß wir doch wieder Menschen stellen zwischen uns und den, mit welchem wir in einer unmittelbaren Lebensgemeinschaft stehen sollen durch den Glauben. Er hat keine andere Lehre verkündet, als den Glauben an ihn, den der Vater in die Welt gesendet; und Er selbst hat sich für den einzigen Meister erklärt, wir aber sollen unter einander Brüder sein, als seine Jünger und Diener. Bauen wir nun nicht selbst wieder ein menschliches Ansehn auf, und sezen uns selbst andere Meister neben ihm: wer könnte uns binden an einen Buchstaben der Lehre? Mag Einer mit noch so großer Zuversicht auftreten mit seiner Erklärung des göttlichen Wortes und Jünger und Schüler um sich sammeln wollen: wenn wir ihn nicht selbst zum Meister machen, so kann er uns auch nicht erwerben für sich, sondern er bleibt unser, daß Alle sich seiner wie jedes Andern gebrauchen können nach der | Ordnung, die der Apostel Paulus aufstellt. Aber freilich, wollen und müssen wir mehr Meister haben: nun dann freilich hilft es nicht, wenn auch jeder beste und einsichtigste mit der größten Demuth auftritt, wie ja auch Luther sich selbst gar nicht aufstellen wollte und geltend machen; er wird doch wider Willen auf den Stuhl gehoben. - Christus hat kein Gebot gestellt als das Eine, daß wir uns lieben sollen mit der Liebe, womit Er uns geliebt hat; und weder viel noch wenig einzelne Vorschriften lassen sich an die Stelle dieses Gebotes sezen, weder so daß wir ohne diese Liebe zu haben, doch das thun könnten, was durch dieses Gebot bewirkt werden muß, noch auch so daß wir das ganze Werk der Liebe in eine Anzahl bestimmter Handlungen fassen, und uns nach diesen prüfen und messen könnten. Bleiben wir also bei Christo, wer will uns wieder ein Gesez der Werke stellen? Wenn uns die Liebe zu ihm, in welchem wir den Vater schauen, drängt und treibt, so werden wir auch in jener Liebe wirksam sein; und wenn sich unser Glaube in der Liebe zeigt, was für eine Furcht und Sorge sollte uns befallen können, daß wir ein Gesez der Werke errichten müßten! Aber freilich, wenn wir auf Menschenwort hören, und uns Menschen zu Vorbildern nehmen, die etwa Vorliebe haben für dieses und Abneigung gegen jenes: mögen diese nun selbst daran arbeiten, auch Andere an ihre Lebensordnung zu binden oder nicht, immer richten wir uns dadurch wieder ein Gesez auf. Und wenn wir irgend etwas aufstellen zwischen Christo und uns, woher es auch sei, immer wird dadurch die Kraft des Glaubens | geschwächt. Darum laßt uns nicht wieder Übertreter werden und in die Knechtschaft menschlicher
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III. Evangelischer Glaube und Gesetz
Sazungen zurükkehren, sondern auf dem Grunde des Glaubens unsere evangelische Kirche fortbauen, auf daß wir uns recht erfreuen im Geist der wahren und lebendigen Freiheit der Kinder Gottes. Amen.
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IV. Von der Gerechtigkeit aus dem Glauben. G a l . II, 1 9 - 2 1 . Ich bin aber durchs Gesez dem Gesez gestorben, auf daß ich G o t t lebe. Ich bin mit Christo gekreuzigt, ich lebe aber; doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jezt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes, der midi geliebt hat, und sich selbst für midi dargegeben. Ich w e r f e nicht weg die G n a d e Gottes; denn so durch das Gesez die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.
M. a. Fr. Diese Worte sind der unmittelbare Verfolg derer, die wir neulich zum Gegenstand unserer Betrachtung gemacht haben. Der Apostel sezt einander entgegen das Streben gerecht zu werden durch das Gesez, was er als ein nichtiges bezeichnet, indem er sagt, kein Fleisch wird | gerecht durch des Gesezes Werk, und das Streben gerecht zu werden durch den Glauben an Jesum Christum. Wie nun diese Worte sich jenen anschließen, so auch unsere heutige Betrachtung der neulichen. Von jenem nichtigen haben wir neulich gehandelt, und ich habe dabei dieses als bekannt vorausgesezt, was Paulus sich und den Seinigen als das Wesen des Christenthums beilegt, das gerecht werden wollen durch den Glauben. Von diesem Wesen des Christenthums, worauf unsere Vorfahren in jenem Bekenntniß, welches immer noch der Gegenstand unserer christlichen Aufmerksamkeit in diesen Versammlungen ist, aufs neue zurükkgegangen waren, nachdem mannigfaltige Verirrungen davon in der christlichen Kirche überhand genommen hatten, enthalten die verlesenen Worte die eigentliche Beschreibung des Apostels. Er stellt ihr das gleichsam als Einleitung voran, daß er durch das Gesez dem Gesez gestorben und mit Christo gekreuzigt sei. Damit deutet er ja offenbar auf das gänzliche Ende seines frühern gesezlichen Lebens hin, und spricht sich also aufs bestimmteste darüber aus, wie unverträglich beides mit einander sei, dem Gesez leben,
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auf das Gesez hoffen, durch des Gesezes Werke gerecht werden wollen auf der einen Seite, und Gott leben, gerecht werden wollen durch den Glauben, und Christum in sich leben haben auf der andern. Ehe dieses beginnen konnte, mußte jenes erst völlig aufhören. Durch das Gesez, sagt er, bin ich dem Gesez gestorben, indem ich mit Christo gekreuzigt bin. Diese Einleitung zu der eigentlichen Beschreibung der Gerechtigkeit aus dem Glauben dürfen wir nicht übersehen, m. g. Fr. Freilich ist dieser Ausdrukk des Apostels etwas schwierig; Ich bin durch das Ge|sez dem Gesez gestorben. Wenn wir uns aber den ganzen Zusammenhang seiner Gedanken, wie er ihn in diesem Briefe und von einer andern Seite im Briefe an die Römer auseinandersezt, vergegenwärtigen 27 : so sehen wir sehr leicht, daß seine eigentliche Meinung diese ist. Christus war durch das Gesez gestorben; denn diejenigen, welche ihn zum Tode brachten, hatten dies nur im Namen des Gesezes gethan, wie denn auch der Apostel ihnen das Zeugniß giebt, daß sie nichts anderes seien, als Eiferer um das Gesez, aber nicht mit dem rechten Verstände. Und schlimmer bezeichnet sie auch unser Erlöser selbst nicht, indem er von ihnen sagt, Sie wissen nicht, was sie thun. Sie beriefen sich auch ausdrükklich auf das Gesez, indem sie sagten: Wir haben ein Gesez und nach diesem Gesez muß er sterben. Weil nun diejenigen, die das Gesez verwalteten, als solche seinen Tod verursachten: so konnte der Apostel mit Recht sagen, daß Christus durch das Gesez gestorben sei. Wenn er nun sagt, er selbst sei durch das Gesez dem Gesez gestorben, indem er mit Christo gekreuzigt sei: so meint er dies so, Weil das Gesez den Tod Christi habe hervorbringen können, und es also im Wesen des Gesezes liege, daß, wiewol es seinem Ursprung nach geistig ist, dennoch in der Anwendung desselben das wahre geistige Leben, welches der Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens ist, gänzlich verkannt werden könne: so habe er sich eben durch das Gesez von demselben losgesagt, sich durch dasselbe mit Christo kreuzigen lassen, und sei so ihm gestorben. Wie nun Paulus dem Gesez gestorben war, das wissen wir von anderwärts her. Sofern es für alle Nachkommen Israels die Bedingung war unter der sie wohnen sollten in dem | Lande, das ihnen Gott gegeben, insofern beobachtete er es, wenn er im Lande war, wie er audi jedes menschliche Gesez der Ordnung in weltlichen Dingen ehrte, und Gehorsam gegen die Obrigkeit lehrte: aber gerecht zu machen vor Gott, das stehe in der Macht keines Gesezes. Wie nichtig nicht nur das mosaische Gesez sondern jedes in dieser Hinsicht sei, das geht auch am klarsten aus
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solchen Beispielen hervor. Man sieht wie tiefes inneres Verderben sich doch kann in die Gesezlichkeit kleiden; und da jedes Gesez nur Handlungen fordern kann, so müßte Gott, wenn er nach dem Gesez richtete auch solche gelten lassen, die aus einem Gemüth kommen, dem jede gottgefällige Gesinnung fremd ist. Darum wie man auf der einen Seite sagen konnte, kein Fleisch würde gerecht durch des Gesezes Werke, weil niemand vermochte das Gesez vollkommen zu halten: so konnte man auf der andern Seite dasselbe auch deshalb sagen, weil einer es konnte vollkommen erfüllt haben, und doch von allen Ansprüchen auf Lob und Billigung vor Gott ganz entblößt sein. Und dies war nun der natürliche Ubergang von dem einen zu dem andern. Diese Ansprüche sah Paulus in höchster und einziger Vollkommenheit in dem, den das Gesez getödtet hatte; darum starb er mit ihm dem Gesez, und suchte gerecht zu werden durch diesen. Diese Gerechtigkeit aus dem Glauben beschreibt er nun so. Ich lebe zwar nach jenem Tode, aber eigentlich nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jezt lebe im Fleische, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dargegeben. Aus dieser Beschreibung nun, m. g. Fr., können wir ganz vorzüglich erkennen lernen, was wir unter der G e r e c h t i g k e i t a u s | d e m G l a u b e n zu verstehen haben, die als ein so wichtiges Hauptstükk in jenem Bekenntniß aufgestellt wird. Wenn wir zu diesen Worten noch die folgenden ebenfalls verlesenen hinzunehmen: so ist es zweierlei, worin das Wesen dieser Gerechtigkeit aus dem Glauben zusammengefaßt wird; erstlich, daß wir d a s L e b e n C h r i s t i i n u n s h a b e n , das sagt der Apostel in den Worten, Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir; und dies stellt er dem gleich, Was ich lebe im Fleische, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes. Zweitens, daß nur, wenn wir uns mit gänzlichem Ausschluß des Gesezes h i e r a u f a l l e i n v e r l a s s e n , wir die dargebotene göttliche Gnade wirklich annehmen. Dies sagt der Apostel ganz vornehmlich in den Worten, Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn so durch das Gesez die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben. I. Vielleicht ist es nicht ohne Schwierigkeit zu behaupten, das Wesen der Gerechtigkeit aus dem Glauben bestehe darin, daß wir d a s L e b e n C h r i s t i i n u n s h a b e n . Jeder gewiß denkt sich etwas, und zwar was jeder Christ haben muß unter dem Ausdrukk an Christum glauben; auch wol dabei, daß Christus in uns
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lebt, etwas das wenigstens die weiter gediehenen Christen von sich rühmen könnten: daß aber dieses dasselbe sei mit der Gerechtigkeit aus dem Glauben, das wird nicht leicht klar sein. Zunächst 28 haben wir uns nur darüber zu verständigen, daß sich niemand nach dem Gebrauch dieses Wortes im gewöhnlichen Leben unter dem Glauben etwas weit geringeres denke als der Apostel, und wozu seine kurze und kerjnige Beschreibung, daß im Glauben leben und Christum in sich lebend haben, einerlei sei, gar nicht passe! Denn fangen wir damit an, uns bei dem Glauben zu denken irgend ein Anerkennen oder Wissen um das, was Christus gewesen ist: so dürfen wir doch dabei nicht stehen bleiben; sonst kommen wir wieder zurükk auf das, was der Erlöser selbst sagt (Matth. 7, 2 1 ) , Nicht alle, die zu mir Herr, H e r r sagen, werden ins Himmelreich kommen, sondern die, welche den Willen meines Vaters im Himmel thun. Ein jedes Anerkennen Christi mit unserm Verstände, mögen wir ihm nun mehr oder weniger zuschreiben oder unumwunden das größte, wodurch wir seine eigentümliche Würde zu bezeichnen pflegen, wenn es nur das ist, so ist es nur ein solches Herr, H e r r sagen, welches niemanden in das Himmelreich bringt, und also auch keinen gerecht macht. Wenn aber nun der Erlöser sagt, Sondern die, welche den Willen meines Vaters thun: so erklärt er sich o f t darüber, daß der Wille seines Vaters sei, daß wir glauben sollen an den, den er gesandt hat. Folgt also nicht hieraus ganz deutlich, daß wenn wir auch zu jenem Anerkenntniß noch hinzurechnen, was, w o ein ausgezeichneter Werth anerkannt wird, nothwendig damit verbunden ist, nennen w i r es nun Wohlgefallen und Freude an dem Gegenstand oder Bewunderung und Verehrung desselben, wir doch weder den Glauben noch das Leben Christi in uns damit schon ergriffen haben. Der Unterschied zwischen beiden wird niemandem unter Euch entgangen sein, wer das mensch|liche Leben in der N ä h e eines ausgezeichneten Geistes beobachten konnte. Wieviel Anerkennung findet Jeder, ursprüngliche und solche, die sich in Andern wiederholt, weil sie einmal in das gemeinsame Leben eingegangen ist, wieviel Bewunderung auch f ü r jede eigentümliche That f ü r jedes ausgezeichnete Wort: aber wie Wenige sind es immer nur, die ein solcher in eine mit ihm übereinstimmende und doch freie Bewegung sezt, die sich so seinem Einfluß hingeben! So auch mit dem Erlöser! So, aber freilich in einem so ungeheuer anderen Maaßstab, daß eigentlich keine Vergleichung statt findet. Jene Anerkennung, die lebendigere sowol als die mehr überkommne sind etwas, sie haben auch eine
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Wahrheit, aber wenn es dabei bleiben kann, auch eine sich vor ihm beugende Verehrung mit dazu gegeben: so ist das nicht der Glaube. Der Glaube ist nur jenes sich seinem Einfluß hingeben; und er wäre also gar nicht, wenn E r ihn nicht hervorriefe 29 . Weil er aber sich unser bemächtigen will, weil er diese Gewalt jezt noch mittelbar eben so übt, wie er sie persönlich übte, als er auf Erden wandelte: so entsteht nun in denen, die sich diesem Einfluß hingeben, sein Leben. Mit einer solchen K r a f t und mit diesem Willen in Andern zu leben, mußte der Sohn Gottes angethan sein, und sich den Menschen darbieten, wie er es auch von Anfang seines öffentlichen Lebens an immer gethan hat. Er 3 0 bietet sich an als das Brodt des Lebens, und die ihn genießen, das sind die Gläubigen; er ladet zu sich ein, als zu einer Quelle lebendigen Wassers, und die aus ihm schöpfen sind die Gläubigen. So entsteht und gedeiht sein Leben in uns; was hieran Werk ist und That, das ist sein, nur das Aufnehmen ist unser. Und dieses sich immer | erneuernde Aufnehmen ist der Glaube, von dem Paulus sagt, daß er nun in ihm lebe, nachdem er mit Christo dem Gesez gestorben ist. Wie wir nun häufig genug auch unter unsern evangelischen Christen solche Vorstellungen vom Glauben finden, wie wir sie eben beschrieben und wie sie der Rede des Apostels nicht genügen können: so giebt es auch Viele, die sich nur etwas sehr einseitiges und unvollkommnes denken unter der Gerechtigkeit vor Gott, welche wie der Apostel sagt, nur aus dem Glauben kommen kann 3 1 . Viele nämlich halten das beides f ü r einerlei, gerecht sein vor Gott und Vergebung der Sünden haben. N u n ist Vergebung der Sünden in dem vollen Sinne des Wortes freilich auch nur in der Gemeinschaft mit Christo. Denn was der Apostel Johannes sagt ( i . Joh. 1 , 9 ) , So wir unsere Sünde bekennen, so ist Er treu und gerecht, daß er uns die Sünde vergiebt und reinigt uns von aller Untugend, das sagt er nicht von den Menschen im allgemeinen, sondern nur von denen, die Gemeinschaft mit Ihm haben und im Lichte wandeln. Und gewiß da Vergebung ein Bedürfniß des Menschen ist und nicht Gottes, so kann sie auch nur dem werden, der das Bedürfniß empfindet, welches ja sdion das Aussprechen desselben vor Gott in sich schließt; und empfinden wiederum kann es nur der, welcher die Sünde f ü r das erkennt, was sie ist. Was nun die Erkenntniß der Sünde betrifft, so sagt Paulus freilich, daß sie aus dem Gesez kommt, und dem stimmen wir wol Alle bei. Aber wenn er sagt, das Gesez vermöge nichts zu bewirken als Erkenntniß der Sünde: | so sagt er damit
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nicht zugleich, daß es die ganze Erkenntniß der Sünde bewirke. Denn das Gesez selbst ist unvollkommen, und bringt nur die Sünde, welche ihm geradezu durch die That widerspricht, zum Bewußtsein; und die Sünde kann mächtig genug sein, ohne daß sie auf solche Weise ans Licht tritt. Aber in Christo ist die vollkommne Erkenntniß der Sünde. Denn weil in ihm die Vollkommenheit ist: so wird uns je mehr E r uns gegenwärtig ist, auch alles Sünde, was wir uns in ihm nicht denken können, was seiner Vollkommenheit unähnlich ist; und so ist Er auch in dem Sinne das Licht, daß Er uns die ganze Sünde zeigt. Aber wenn wir nun auch durch solches Bekenntniß Vergebung haben, das heißt die Sünde übersehen wird: sind wir dadurch allein auch schon gerecht, und haben alle Forderungen erfüllt, welche Gott an uns machen kann? sind wir reich weil wir keine Schulden mehr haben? Werden wir nicht vielmehr gestehen müssen, daß wenn alles an unserm eigenen Thun übersehen werden soll, was mit der Sünde behaftet ist, dann gar nichts übrig bleiben wird, was wir aufweisen könnten? So ist es. Wenn freilich nur der Vergebung hat, der in der Gemeinschaft Christi steht, so hat auch nur der Vergebung, der gerecht ist vor Gott; aber keineswegs ist jenes schon an und f ü r sich auch dieses. - Eine nicht minder unzureichende Vorstellung von der Gerechtigkeit vor Gott ist die 32 , daß ja kein mit der Sünde behafteter Mensch vollkommen sein könne und heilig, und also auch keiner in Wahrheit gerecht vor Gott; unser Heil könne also auch nur darin bestehen, daß uns Gott für gerecht achte und uns dafür erkläre, wiewol wir es nicht sind. Und dazu habe er nun als Bedingung | den Glauben an Christum gestellt. Allein wenn es gleich wahr ist, daß gerecht machen und f ü r gerecht erklären an und f ü r sich nicht bestimmt unterschieden werden kann: so lehrt der Zusammenhang ganz deutlich, daß der Apostel hier nicht eine solche Erklärung gemeint haben kann. Denn er schließt damit, Wenn nicht etwa die Rechtfertigung oder Gerechtsprechung, sondern - die Gerechtigkeit käme aus dem Gesez, so wäre Christus umsonst gestorben; mithin ist auch vorher seine Meinung nicht, daß er wolle f ü r gerecht erklärt, sondern daß er wolle gerecht gemacht werden durch den Glauben. Und wenn der Apostel anderwärts sagt, die Menschen außer Christo wären alzumal Sünder, und mangelten des Ruhms, den sie bei Gott haben sollten (Rom. 3, 23); hier aber sagt, daß die, welche gerecht zu werden suchen durch den Glauben, nur als Sünder erfunden würden, wenn sie das Gesez wieder aufbauten (Gal. 3, 17): so muß doch seine Meinung sein, daß, die sich an den
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Glauben allein halten, auch jenen Ruhm bei Gott wirklich haben. Und wie könnte auch wol jene Meinung, daß wir nur für gerecht erklärt würden, zusammenstimmen mit unserm innersten Bewußtsein von Gott! Ist er nicht der wahrhaftige? Kann er also Einen für etwas ausgeben oder erklären, was er nicht ist? Kann er sagen, er wolle uns für gerecht erklären um des Glaubens willen, wenn der Glaube in gar keinem wesentlichen Zusammenhang steht mit der Gerechtigkeit, und also so wenig Wahrheit ist an dem Aufstellen dieser Bedingung, daß er eben so gut jede andere hätte aufstellen können? Nein! sondern giebt es eine Gerechtigkeit aus dem Glau- | ben vor Gott: so muß der Glaube auch wirklich gerecht machen. Allein freilich, denkt man sich den Glauben erst als ein solches Wissen und Annehmen, welches nichts in dem Menschen bewirkt: dann wol kann man sich auch nur eine solche willkührlich eingerichtete Gerechtsprechung durch den Glauben denken. Der Glaube aber, welcher das Leben Christi in uns ist, vermag gar wohl gerecht zu machen. Denn Christus ist gerecht; und lebt Er in uns, so müssen dann auch wir gerecht sein durch sein Leben in uns. Allerdings sind und bleiben wir auch in der Gemeinschaft mit Gott schwache Menschen, und diese Schwachheit offenbart sich täglich in der Unvollkommenheit unserer Werke ja auch unserer Gedanken und unserer einzelnen Vorsäze. Aber seitdem Christus erschienen ist, hält Gott nicht mehr den Menschen das Gesez der Werke vor, und richtet also auch nicht mehr nach dem, was äußerlich an das Licht tritt; also nur nach dem tiefsten innersten, da aber lebt Christus in uns, da werden wir von ihm bewegt, da ist unsere Gerechtigkeit. Und dies Leben Christi in uns ist nicht unser Maaß, so wie es sich in einem einzelnen Augenblikk zeigt, bald mehr bald weniger, sondern wie es im innersten, weil es die K r a f t Christi ist, auch ganz ist und eines und dasselbe. Das wechselnde das verschiedene rührt nur von dem her, was nun nicht mehr lebt an und für sich, und also auch kein Gegenstand ist für das göttliche Urtheil. Auch hier gilt, daß vor dem Herrn ein Tag ist wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag. Der Gegenstand seines Wohlgefallens ist das neue Leben, welches durch Christum über das menschliche Geschlecht gekommen ist 33 . Wo dies ist, da ist auch die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, da | sieht das göttliche Auge in dem gegenwärtigen das künftige, in dem Theil das Ganze. Denn wo Christus lebt, da gewinnt auch sein Leben immer mehr K r a f t ; das Ich aber, das nicht mehr lebt, der Leib des Todes, von dem uns alle Kämpfe herrühren, die wir zu bestehen
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haben, von dem wir seufzen ganz erlöst zu werden, der stirbt auch immer mehr; und dieses Wachsthum des Lebens Christi in uns, dieses Absterben des alten Menschen, das ist unsere Gerechtigkeit. Sie ist aber die Gerechtigkeit aus dem Glauben, weil das einzige was dabei als unsre ursprüngliche Lebensthätigkeit anzusehen ist, wodurch wir unsererseits die Verbindung mit Christo eingehen, nämlich daß wir ihn ergreifen, daß wir ihn in uns aufnehmen, sich auch immer erneuern muß. So dreht sich also alles um dieses eine, daß Christus in uns lebt. Wenn E r in uns lebt, und sein Licht in die Finsterniß der sündigen Natur überhaupt und unseres einzelnen Wesens insonderheit hineinleuchtet: so haben wir darin erst die ganze Erkenntniß der Sünde, und unser Mißfallen an der Finsterniß, die noch nicht von jenem Licht durchdrungen ist, wird unser Bekenntniß vor Gott; und dann ist es nicht etwa eine neue besondere einzelne Gnadenbezeugung, sondern es ist, wie Johannes sagt, nur die Treue und Gerechtigkeit Gottes, daß er uns die Sünde vergiebt, das Festhalten an dem Wort, mit dem er seinen Sohn in die Welt gesandt hat, es ist die Gerechtigkeit Gottes, die nun offenbart ist außerhalb des Gesezes in dem Übersehen der vorhergeschehenen Sünden, an denen die aus dem Glauben sind (Rom. 3, 2 1 - 2 5 ) . | Lebt Christus in uns, so sind wir gerecht durch den Glauben, mit welchem wir dieses Leben begehren und festhalten; wir sind gerecht vermöge des Gehorsams des Einen, der auch in uns und durch uns wirkt das Werk, welches Gott ihm gezeigt hat, nämlich daß er die Welt selig mache. Meinen wir Vergebung der Sünden zu haben ohne das Leben Christi in uns: so täuschen wir uns selbst, und auch die Wahrheit ist noch nicht in uns, welche die Sünde recht erkennt. Meinen wir die Gerechtigkeit aus dem Glauben zu haben, ohne daß Christus in uns lebt: so täuschen wir uns selbst. Wir glauben nicht, denn wir haben ihn nicht aufgenommen, wie sehr wir auch Herr, Herr zu ihm sagen; wir sind nicht gerecht, denn nur in denen ist nichts verdammliches, die in Christo Jesu sind (Rom. 8, 1). II. Sollte es in der That nun noch nöthig sein, m. g. Fr., daß ich mich ausführlich über das herauslasse, was ich als den zweiten Theil unserer Betrachtung im voraus hingestellt habe, nämlich daß wir nun auch a u f n i c h t s a n d e r e s u n s v e r l a s s e n sollen, als auf dies Leben Christi in uns? Kaum sollte ich es glauben! Zumal wir schon neulich gesehen haben, wie wir uns selbst als Übertreter
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bezeichnen, wenn wir neben dem Glauben auch das Gesez wieder aufbauen; und nachdem wir uns überzeugt haben, wie das nicht nur von jedem Gesez der Werke gilt, sondern auch von jedem Gesez der Worte und der Lehre. Aber doch wiederholt sich die Erfahrung zu oft, daß in diesem schönen Tempel Gottes auch wieder allerlei morsche und | gebrechliche Stüzen aufgeführt werden, als ob das feste Gewölbe, das auf solchem Grunde ruht, den Einsturz drohte, und als ob, wenn dies der Fall wäre, irgend ein Menschenwerk vermöchte dasselbe zu stüzen! zu oft wiederholen sich diese Erfahrungen, als daß ich ganz schweigend vorübergehen könnte an dem gewichtigen Wort des Apostels, Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes! und wie? weil nämlich, wenn ich irgend einer andern Gerechtigkeit nachtrachtete, Christus vergeblich gestorben wäre. Stärker läßt sich wol die ausschließende Wahrheit die unumstößliche Alleinherrschaft dieser Gerechtigkeit aus dem Glauben nicht bezeichnen, und darum laßt uns noch ein wenig bei diesen beiden Äußerungen des Apostels verweilen. In dem ersten, m. a. Z., liegt also offenbar dieses, Wer an der Gerechtigkeit aus dem Glauben nicht genug hat, der entsagt sich ihrer ganz, und wer sich dieser entsagt, der verwirft die Gnade Gottes überhaupt. - Es kann wol sein, daß ich Manchem unter Euch scheine hier mehr in die Worte des Apostels hineingelegt zu haben, als darin liegt. Denn der Apostel stellt immer nur Glauben an Christum und Gesez einander gegenüber; wenn ich hingegen im allgemeinen sage, Wer an der Gerechtigkeit aus dem Glauben nicht genug hat, so schließe ich zugleich alles andere aus, was jemand neben ihr suchen könnte. Wohl! aber glaubt Ihr, daß Paulus etwas von seinem Wort würde zurükkgenommen haben, wenn wir etwas anderes vorgeschlagen hätten, was wir neben den Glauben stellen wollten 34 ? Vielleicht wol, wenn es etwas gewesen wäre, was er nicht auch würde Fleisch genannt haben. Denn so | spricht er zu den Galatern (Gal. 3, 3): Seid ihr so unverständig? Im Geist habt ihr es angefangen, wollt ihr es denn nun im Fleisch vollenden? Also, was er auch hätte Fleisch nennen müssen, davon würde er auch dasselbe gesagt haben. Können wir nun wol irgend etwas aufzeigen, was er auch würde Geist genannt haben, und was doch nicht der Geist wäre, der durch Christum ausgegossen ist? Wohl erkennt er so etwas an, wenn er im allgemeinen sagt, daß in dem Menschen noch etwas ist außer dem Fleisch und außer der Sünde die in ihm wohnt, ein inwendiger Mensch, der Wohlgefallen hat an dem Gesez und Willen Gottes
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(Rom. 7, 23). Den würde er also wol auch ausdrükklich Geist und geistig nennen, wenn er etwas vollenden könnte oder auch nur anfangen! aber jener erstrekkt sich nicht weiter als auf ein unkräftiges Wohlgefallen. U n d hiebei laßt uns stehen bleiben und fragen, ob es sich seitdem gebessert hat mit dem Menschen, wie er an und für sich ist, so d a ß er etwas mehr in seinem eigenen Bereich hat, als jenes unkräftige Wohlgefallen, ohne welches er freilich weder ein Bedürfniß haben könnte nach dem Leben Christi, noch eine Empfänglichkeit für dasselbe. Doch nothwendig gehört dazu noch eine andere Frage, nämlich wie w i r doch dazu kommen sollen, daß uns das Leben Christi in uns nicht mehr genügte? Freilich haben sich seitdem er auf Erden lebte die menschlichen Dinge gar sehr verändert; wie hat sich der Wirkungskreis des menschlichen Geistes erweitert! welche Fülle von neuen Verhältnissen hat sich nicht entwikkelt! Sehr wahr, aber läßt uns Christus, wenn er in uns lebt, | irgendwo im Stich? Bedürfen wir einer größeren K r a f t als der, die Er uns gewiß mittheilt, wenn er in uns lebt, nämlich daß w i r jedes Werk Gottes thun, welches uns gezeigt wird? Ist die Liebe, mit der Er uns geliebt hat, die ganz geistige, ganz uneigennüzige, ganz sich selbst hingebende, nicht hinreichend, um überall das Böse mit Gutem zu überwinden, überall das Beste zu thun und nach Vermögen das Reich Gottes zu fördern? Das ist es also nicht, d a ß w i r ein Bedürfniß haben könnten über ihn hinauszugehen; sondern wenn Einigen die Gerechtigkeit aus dem Glauben nicht mehr genügt, so kommt es w o l daher, daß ihnen doch diese Einwirkung Christi das Bewußtsein von etwas fremdem giebt. U n d das scheint wol sehr zusammenzuhängen mit dieser großen Erweiterung der menschlichen Dinge, daß Jeder gern alles, dessen er sich bedienen muß, was zum Leben nothwendig gehört, auch will zu eigen haben. D a n n freilich muß es sich gebessert haben mit dem inwendigen Menschen. Seid ihr nun etwas mehreren mächtig in euch als des unkräftigen Wohlgefallens, d a ß ihr hoffen könnt für euch allein zu bestehn im geistigen Leben: so gedenkt ihr eigentlich nichts aufzurichten neben der Gereditigkeit aus dem Glauben, wie jene Lehrer, gegen welche Paulus in unserm ganzen Briefe warnt. Denn diese hielten fest an dem Glauben, daß Jesus der Christ sei, aber sie meinten, neben demselben sei doch auch nothwendig das Gesez zu halten. U n d wenn nun Paulus doch schon von diesen sagt, daß sie die Gnade Gottes wegwerfen: wie vielmehr muß es dann von Euch gelten! Denn Ihr müßt des Lebens Christi ganz entbehren wollen, wenn Ihr glaubt aus eigner K r a f t bestehn
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zu können, und nur | von da empfangen wollt, wohin ihr auch wieder vergelten könnt. Aber woher soll diese Verbesserung entstanden sein? ist sie auch unabhängig von dem Leben Christi und von dem Geist, den er ausgegossen hat auf die Seinigen? Soll neben ihm her das menschliche Geschlecht sich selbst erzogen haben gebessert und gekräftigt, und Er wäre eben auch nur zwischen eingekommen wie früher das Gesez, um diese innere Entwikklung zu beschleunigen und zu fördern? Sollte Jemand so kühn sein, ihm alles zurükkzugeben was von ihm herrührt, und doch bestehen zu wollen in einem Gott gefälligen und ihn selbst befriedigenden geistigen Leben? Das nun wagt wol keiner; aber wenn auch nicht ohne seine Mitwirkung, so seien nun doch höhere geistige Kräfte wirklich entwikkelt in der menschlichen Natur, sie eigneten ihr und brauchten nicht mehr auf sein Leben und seine Einwirkung zurükkgeführt zu werden. Nun ja, das heißt die Gnade Gottes ganz wegwerfen; aber seht wohl zu, was ihr übrig behaltet! Wenn ihr den Ursprung dessen, was ihr als euer Eigenthum in Anspruch nehmen wollt, verläugnet, werdet ihr bald auch nicht mehr haben was ihr hattet; wenn ihr Bild und Uberschrift austilgt, werdet ihr bald selbst irre werden an dem Werth eurer Münze. Brecht ihr den Zusammenhang mit Christo ab, so wird bald die Natur wie sie war zum Vorschein kommen; das reine Ziel werdet ihr nicht mehr erblikken, die Liebe wird zusammenschrumpfen, das Reich des Geistes wird in sich zerfallen. Und wenn ihr meint im Geist fortzufahren ohne ihn und von einer Klarheit zur andern zu steigen: so werdet ihr plötzlich merken, daß ihr nur im Begriff seid auch im Fleisch zu vollenden. Die Natur ist unverändert geblieben; nimmt sie nicht Christum immer wieder auf, so zeigt sie sich bald wieder als die Finsterniß, welcher nicht gegeben ist das Licht zu begreifen. Die Zeit der Unmündigkeit unter den Sazungen ist freilich vorüber; aber mündige Kinder Gottes zu sein, diese Macht erhalten und behalten wir nur, wenn wir ihn aufnehmen. Die Zeit dessen, der da kommen sollte, ist die lezte Zeit; wenn ihr euch von ihm abwendet in der Meinung noch eine andere Zeit, eine schönere Zeit größerer Selbständigkeit und also auch größerer Freudigkeit des menschlichen Geistes herbeizuführen, so irret ihr euch; denn es steht nun keine neue Zeit weiter bevor. In ihm ist alles vollendet, aus ihm soll sich alles entwikkeln. Brecht ihr mit Ihm, so kann euch nichts übrig bleiben als ein schrekkliches Warten des Gerichts (Hebr. ro, 27) und des Feuereifers, der die Widerwärtigen verzehren wird 36 . Aber wir versehen uns besseres zu
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IV. Von der Gerechtigkeit aus dem Glauben
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Allen, und daß vielmehr die Seligkeit näher ist (Hebr. 6, 9). Denn was von dem Gerechten überhaupt gilt, daß sein Recht immer wieder aufgeht wie der Mittag (Ps. 37, 6), das gilt noch viel mehr von dem Einen, der allein nicht nur gerecht ist, sondern auch gerecht macht. O f t schon hat sich der Himmel verdunkelt und Gewölk hat sich gehäuft; aber der Herr bringt sein Recht immer wieder hervor wie den Mittag. Und damit wir nicht aufhören, alles von ihm zu erwarten und nichts neben ihm zu suchen, so laßt uns auch noch an das andere Wort des Apostels gedenken, Wenn die Gerechtigkeit aus dem Gesez kommt, sagt er, wenn sie irgend anders woher kommt: so ist Christus vergeblich ge|storben. Fragen wir uns nun, wie der Apostel dazu kommt, hier gerade nicht im allgemeinen zu sagen, Christus ist vergeblich in die Welt gekommen, sondern so bestimmt er ist vergeblich gestorben? Da er hierüber gar nichts erklärend hinzufügt: so müssen wir es uns offenbar aus dem erklären, was er kurz vorher über den Tod Christi gesagt hatte. Seine Meinung ist also, Christus sei vergeblich gestorben, wenn wir dem nicht gestorben blieben, wodurch Er gestorben ist. Und das ist freilich nicht das Gesez allein, sondern alles wodurch überall ein Gesez nothwendig wird, alle Sünde und Unvollkommenheit, alles selbstsüchtige beschränkte Wesen. Dem allen sterben wir auch gewiß immer ab, wenn Christus in uns lebt, weil er nicht in uns leben kann, ohne daß wir alles eben so auf das allgemeine Heil Aller beziehen, und f ü r die große Gemeinschaft derer leben, die seinen Namen bekennen und noch bekennen sollen. Wer will es wagen sich von dieser zu trennen, und doch sicher sein, in demselben Gang fortzugehen, den Er sie führt. Wer, der es einmal recht empfunden hat, mag es wagen das fahren zu lassen als etwas fremdes das ihn nicht angeht, daß Christus um der Sünde willen gestorben ist, und doch sicher zu sein, daß er ihr nicht nachgeben wird hier oder da? Oder wer vermag eine Gerechtigkeit aufzurichten, die reiner wäre und größer als dessen, der gekommen ist, auf daß er Allen diene, und sich hingebe f ü r Alle? Nein, weder laßt uns eine Gerechtigkeit der Werke des Gesezes aufrichten, noch eine Gerechtigkeit aus eigner sittlicher K r a f t , damit uns Christus nicht vergeblich gestorben sei! Laßt uns festhalten mit unsern Vorfahren an dieser Gerechtigkeit aus dem Glauben, damit wir | auf das innigste mit dem in Verbindung bleiben, der uns zum Eigenthum erworben hat. Alle falschen Stüzen niederzureißen, auf die sich sonst noch mißleitete Christen verlassen hatten, und diese
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Gerechtigkeit aus dem Glauben allein wieder aufzurichten, das war eine der Haupttriebfedern jener Erneuerung der Kirche, die auf dieses Bekenntniß gegründet ist. Dazu wollen auch wir Mitarbeiter sein, sicher daß wenn Christus in uns lebt, wir und unsre Nachkommen aus seiner Fülle nehmen werden Gnade um Gnade. Amen.
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V. Das vollendende Opfer Christi. H e b r . X , 12. Dieser aber, da er hat ein O p f e r f ü r die Sünde geopfert, das ewiglich gilt, sizt er nun zur Rechten Gottes. Denn mit E i n e m O p f e r hat er in E w i g k e i t vollendet, die geheiliget werden.
M. a. Fr. Das neutestamentische Buch, woraus diese Worte genommen sind, beschäftigt sich größtentheils damit, eine Vergleichung auszuführen zwischen dem neuen Bunde und dem alten, also daß der Verfasser den alten als einen Schatten und ein Vorbild, den neuen aber als das eigentliche Wesen darstellt. Und wie nun das Vertrauen der Mitglieder des jüdischen Volkes im alten Bunde vorzüglich auf der ganzen Ordnung des Gottesdienstes und der priesterlichen Einrichtung beruhte: so hat er es auch vorzüglich mit diesen zu thun, und stellt den Erlöser dar als den einzigen wahren Hohenpriester des Menschengeschlechts, und [ sein Opfer als das einzige, welches auf alle Zeiten gilt für alles, was die Menschen entfernen könnte von Gott. Für uns, denen diese ganze Einrichtung so ferne liegt, und daher auch schon für die Christen überhaupt seit vielen Jahrhunderten, seitdem der jüdische Gottesdienst mit seiner Herrlichkeit verschwunden ist, für uns hat das immer etwas fremdes, daß wir uns den Erlöser denken sollen als einen Priester und zugleich als das Opfer, das er darbringt. Daher wäre es nicht zu verwundern gewesen, wenn wir in unsern Mittheilungen über die Angelegenheiten des Heils diese bildliche Darstellung, weil sie sich nur auf jene öfter im neuen Testament vorkommende Vergleichung bezieht, ganz verlassen und uns für diese so wichtige christliche Lehre lieber ausschließlich an solche Ausdrükke gehalten hätten, wodurch der Erlöser selbst sie in seinen Reden oft und vielfach bezeichnet hat. Dies,
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sage ich, könnte uns viel weniger befremden; aber wer von uns, wenn wir es nicht schon wüßten, würde sich so leicht entschließen zu glauben, man sei in der christlichen Kirche bei jener auf das jüdische bezugnehmenden Darstellung geblieben, wolle aber doch das Opfer, wovon unser Verfasser redet, nicht als ein solches gelten lassen, das allein und in Ewigkeit für alles genüge, sondern habe ohnerachtet der deutlichen Erklärung unseres Textes doch noch andere Opfer und andere Priester, die Opfer darbringen müssen für die Sünden der Menschen, als etwas nothwendiges aufgestellt. Dieses nun ist einer von den wichtigen Punkten, in welchen unser Bekenntniß den Mißbräuchen der Zeit entgegengetreten ist, und festgehalten hat an den Worten der Schrift, daß das Opfer Christi das einige sei, was in Ewigkeit gilt, wovon die Opfer des alten | Bundes nur ein Schatten gewesen, und durch welches alle vollendet sind, die da geheiligt werden. Darum laßt uns nun dieses h e i l i gende und vollendende O p f e r unsers Erlösers zum Gegenstande unserer Betrachtung machen. Es kommt vorzüglich auf zweierlei an, e r s t e n s nämlich wie es zu verstehen sei, daß die, die da geheiligt werden, durch das Opfer Christi vollendet sind; und z w e i t e n s , was für Folgen nothwendig daraus entstehen müssen, wenn man neben diesem Opfer noch andere Opfer in das Gebäude des neuen Glaubens einführt. I. Wenn wir uns nun fragen, wie das Opfer Christi, das er dargebracht, das Opfer, einmal geschehen am Kreuz, der Grund unserer Seligkeit geworden sei, wie denn d u r c h d a s s e l b e diejenigen, die da geheiligt werden, v o l l e n d e t s i n d : so giebt es freilich darüber auch unter den Christen unsers Bekenntnisses sehr verschiedene Vorstellungen, was natürlich damit zusammenhängt, daß der ganze Begriff des Opfers etwas fremdes und daher auch unbestimmtes und vieldeutiges für uns ist. Ohne uns daher über diese Verschiedenheiten ausführlich auszulassen, wollen wir lieber dabei stehen bleiben, was theils in unserm Texte selbst, theils im nächsten Zusammenhang mit diesen Worten in demselben Kapitel unseres Briefes über diesen Gegenstand gesagt ist, um uns mit dieser Behandlungsweise genauer zu befreunden, und uns über das Wesen der Sache auch so zu verständigen. Unser Verfasser fängt damit an, daß er als bezüglich auf die Erscheinung des Erlösers in dieser Welt Worte des alten Testamentes anführt, die der Erlöser gleichsam selbst müßte gesprochen haben bei seinem Eintritt in | die Welt 36 . Darum, sagt er,
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V. Das vollendende Opfer Christi
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da er in die Welt kommt, spricht er: Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, den Leib aber hast du mir zubereitet. Brandopfer und Sündopfer gefallen dir nicht, da sprach ich: Siehe ich komme, im Buche steht vornehmlich von mir geschrieben, daß ich thun soll Gott deinen Willen. Wir dürfen diese Worte selbst, und die weitere Erklärung die unser Verfasser hinzufügt, nur einer flüchtigen Aufmerksamkeit würdigen, um zu sehen, daß, indem er sie auf den Erlöser bezieht, seine Meinung keinesweges die sein konnte, daß der Leib des Erlösers auf dieselbe Weise ein Opfer gewesen sei, wie die Thiere, welche nach dem jüdischen Gesez geschlachtet und dargebracht wurden. Sonst hätte er sagen müssen, Weil du Opfer und Gaben willst, aber die früheren nicht hingereicht haben: so hast du mir den Leib bereitet, damit dieser nun das vollkommene Opfer werde. Dasselbe erhellt schon daraus hinreichend, daß er mehr als einmal ausdrükklich behauptet, die alttestamentischen Opfer hätten nicht gekonnt die Sünde wegnehmen, sie seien auch dazu nicht geordnet gewesen, sondern nur ein Gedächtniß der Sünden zu stiften; als den Zwekk des Opfers Christi aber giebt er eben diesen an die Sünden wegzunehmen. Es kommt also darauf an, wie er das meint, daß durch das Opfer Christi die Sünden weggenommen werden. Die Worte, Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, erläutert der Verfasser hernach aus den folgenden Worten desselben Psalms (Ps. 40, 7 ff.), denen er auch dieselbe Beziehung auf den Erlöser beilegt, D a sprach ich, siehe ich komme zu thun o Gott deinen Willen; und diese | erklärt er nun so, D a hebt er das erste auf, daß er das andere einseze. Was ist also seine Meinung, wozu Gott dem Erlöser den Leib bereitet habe, d. h. ihn auf Erden habe erscheinen lassen? daß er kommen solle zu thun seinen Willen; als eine solche heilige Stätte habe Gott den Leib des Erlösers bereitet, wo der heilige Wille Gottes erfüllt werden sollte. Wenn er nun fortfährt, Durch welchen Willen wir sind geheiligt, einmal geschehen durch das Opfer des Leibes Jesu Christi, an welche Worte sich denn - nur daß er noch einmal die täglichen Opfergottesdienste diesem einmaligen Opfer entgegenstellt - die Worte unsers Textes anschließen: so ist der Sinn unseres Verfassers also der. Wir werden geheiligt dadurch, daß der Erlöser sein ganzes Leben hindurch den Willen Gottes erfüllt, und seinen Leib, wie er dazu bereitet war, auch dazu geopfert hat. Eben so wird auch anderwärts in unserm Briefe das Leben des Erlösers so beschrieben, daß er Gehorsam gelernt an dem das er litt (Hebr. j , 8); so sagt auch Paulus (Phil. 2, 8), er sei gehorsam gewesen bis zum Tode am Kreuze, und
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noch an einer andern Stelle unser Verfasser, er sei durch Leiden vollendet worden (Hebr. z, 10). Seht da, m. Fr., das ist die Vorstellung, die sich dieser heilige Schriftsteller von dem Opfer des Erlösers macht. E r nennt es ein Opfer, nicht nur weil es ein Tod sondern auch überhaupt weil es eine Hingabe w a r ; aber den Werth desselben sucht er darin, daß es die Krone des Gehorsams Christi war, weil er überall vollkommen den Willen Gottes gethan und so ist er eine Ursache | geworden der Seligkeit allen denen, die ihm gehorsam sind (Hebr. 5,9). Dies ist also der Zusammenhang, in welchen der ungenannte Verfasser unsers Briefes uns einführt. Alles frühere, was Frieden stiften sollte zwischen Gott und den Menschen, ist nur ein Schatten gewesen und ein Vorbild dessen, was da kommen sollte. Als aber die Zeit erfüllt war, da sandte Gott seinen Sohn, da bereitete er diesen Leib des Wohlgefallens, damit in demselben und durch denselben die heilige Seele des Erlösers den heiligen Willen Gottes vollbrächte. Aber damit wir dieses ganz und vollkommen sähen, so war das der Wille Gottes, diesen seinen Sohn hinzugeben in den Tod, weil eben dieses, in der Erfüllung des göttlichen Willens auch das Leben zu lassen, der höchste Gipfel des Gehorsams ist. Darum sagt er, ist er durch diesen Tod am Kreuze vollendet worden. Aber nun sollen wir uns eben so an ihn reihen durch unsern Gehorsam gegen ihn; und dann wird er, nachdem er selbst vollendet ist, auch uns Ursache der Seligkeit. Und so wie Gott ihm den Leib bereitet hat, damit in diesem Leibe durch ihn der ganze Wille Gottes geschehe: so sind wir alle zu einem Leibe verbunden, welcher deshalb der seinige ist, weil wir in demselben gemeinsam, indem wir uns als Glieder unterstüzen in den mancherlei Aemtern, die der Eine Herr ( i . K o r . 1 2 , 4 ) austheilt, ebenfalls den Willen Gottes thun. So, sagt er, hat er mit Einem Opfer alle vollendet, die da geheiligt werden. Erwägen wir nun diesen ganzen Zusammenhang, so kann daraus wol kein schädliches Mißverjständniß entstehen, daß E r uns mit diesem Einen Opfer, welches freilich das Opfer seines ganzen Lebens war, vollendet hat, als wären wir etwa nun schon ihm gleich. Was bedeuteten sonst auch wol alle die schönen Ermahnungen zur Beständigkeit, alle die ernsten Warnungen vor dem Gegentheil, die unser Brief enthält! Aber doch hat E r uns mit diesem Einen Opfer vollendet, sein Dienst an uns ist vollbracht; weder braucht Er wieder zu erscheinen, noch bedürfen wir irgend eines Anderen. Aus dem, was E r gethan, entwikkelt sich nun alles andere in denen und f ü r die, welche ihm
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V. Das vollendende Opfer Christi
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gehorsam sind. E r ist uns geworden eine Ursache der ewigen Seligkeit, oder er hat uns vollendet, das ist eines und dasselbe. In der Fülle seines durch Leiden und T o d gekrönten Gehorsams schämt er sich nicht uns Brüder zu heißen; und in dieser Gemeinschaft mit Ihm sind wir los von dem bösen Gewissen (Hebr. 10, 22), denn w i r sind ihm ja nicht gehorsam, wenn nicht die Liebe, die E r zu uns trug auch uns bewegt und regiert. In seiner Gemeinschaft haben w i r Freudigkeit ins Heiligthum einzugehn, das heißt vor die Gegenwart Gottes zu treten, in welche er diejenigen bringt, die der Vater ihm gegeben hat 3 7 . So ist er uns geworden die Ursache der ewigen Seligkeit, als welche ja nothwendig anhebt in diesem Heiligthum. Z u diesem also hat er uns hingebracht, und uns so vollendet, als die da geheiligt werden. Denn so ist es! Nicht etwa geht die That vorher, nämlich die Heiligung, und die Seligkeit folgt erst nach; sondern wie es anderwärts heißt, daß Gott uns die Sünde vergiebt und reinigt uns von Untugend, so daß die Verge|bung vorangeht und die Reinigung folgt, so auch hier vollendet E r uns erst zur Seligkeit mit ihm, und die Heiligung folgt, das heißt er hat uns vollendet als solche, die geheiliget werden. U n d könnt Ihr ein Bedenken haben auch in den Ausdrukk einzustimmen, er hat uns durch dies eine O p f e r vollendet, in welchem er von A n f a n g an sich selbst Gott dargebracht? H a t Johannes, wenn er sagt ( 1 . Joh. 3, 8) Christus sei erschienen, daß er die Sünde wegnehme, er der doch öfter auch des Blutes Christi erwähnt, weniger auch an seinen T o d gedacht, als unser Verfasser - wenngleich das O p f e r uns vorzüglich seinen Tod ins Gedächtniß ruft, - zugleich auch an sein ganzes sich uns hingebendes Leben gedacht hat? U n d wie? werden w i r etwa geheiliget, ehe E r uns auf diese Weise vollendet hat? Heiligung ist nur, w o der Geist Gottes w i r k t ; aber w o der wirkt, da ist auch schon Friede und Freude. So ermahnt auch der Verfasser unseres Briefes diejenigen, welche schon vollendet sind, nun auch fortzuschreiten in der Heiligung; sie möchten, sagt er, nicht verlassen die Versammlungen, sondern sich unter einander ermahnen und gegenseitig einer des andern wahrnehmen mit Reizen zur Liebe und guten Werken (Hebr. 10, 2 3 - 2 5 ) . U n d darauf w a r auch jene Verbesserung der Kirche gerichtet, ein neues Band der Liebe und des Eifers um die Christen zu schlingen. Denn ist es nicht so? J e allgemeiner und ungetrübter die Freudigkeit ist zum Eingang in das Heiligthum der Gegenwart Gottes, je schöner die Gemeinde sich erbaut, je besser das Werk der Heiligung gedeiht: um desto fester w i r d auch unsere Ueberzeugung davon,
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daß wir in Wahrheit vollendet sind durch dies Eine Opfer. Müssen wir uns also nicht verwundern, wenn doch behauptet wird, es müsse noch etwas anderes hinzukommen? Muß uns nicht bange werden, dann müßte jene schöne Zuversicht unsers Textes zu dem Einen Opfer wieder verschwunden sein? J a so ist es, und nicht anders; und dies wollen wir im zweiten Theil unserer Betrachtung noch näher erwägen. II. Wenn ich mir denke, daß es in unsern Tagen leicht viele evangelische Christen geben kann, die nicht Veranlassung genommen haben, die Lehren und Einrichtungen der römischen Kirche kennen zu lernen 38 : so muß es große Schwierigkeiten haben diesen deutlich zu machen, wie man auf diese Vervielfältigung des Opfers Christi verfalllen ist. Was aber doch alle wissen ist, daß schon seit mehreren Jahrhunderten die Meinung in der Kirche allgemein geworden war, daß bei dem Mahle des Herrn Brodt und Wein in den Leib und das Blut Christi verwandelt werden; und hieraus läßt sich ohngefähr ahnden, wenn wir uns daran erinnern, daß wir in diesem Mahle zugleich den Tod Christi feiern, daß jene Verwandlung jedesmal als eine neue Hingebung Christi in den Tod angesehen werden kann. Diese wiederum konnte doch nicht umsonst erfolgen; und so hat sich jene Lehre gebildet, das Opfer Christi sei nur mit diesen immer fortgehenden Erneuerungen desselben zusammengenommen vollkommen hinreichend. Das ursprünglich wirklich am Kreuz Geschehene gelte nur für die innere allgemeine Sündhaftigkeit, welche wir auch die Erbsünde nennen; da aber nun, nachdem jenes gebracht worden, die wirklichen Sünden der Menschen sich immer erneuerten: so müsse auch das Opfer immer erneuert werden 39 , und das geschähe nun bei der Zurichtung des heiligen Mahles. Wie wenig Grund dieses in der Schrift hat, so daß wir mit der größten Zuversicht behaupten können, die ersten Jünger des Erlösers und die ältesten Gemeinen des christlichen Glaubens haben an so etwas auch im entferntesten nicht gedacht, das bedarf wol keines Beweises. Aber daher kam es nun, daß wiewol die Abweichung Luthers von jener Verwandlungslehre die geringste mögliche war, sie doch hinreichte um diesen Gedanken von einer Erneuerung des Opfers Christi für immer unter uns auszutilgen. Und daß wir von diesem Verderbniß frei geworden sind, müssen wir mit dem innigsten Dank erkennen, weil durch jene Lehre unser ganzes Verhältnis zum Erlöser theils unmittelbar theils vermöge der Ungleichheit, welche sie zwischen den Christen hervorruft, gänzlich verschoben und verworfen wird.
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Unmittelbar gefährdet jener Opferglaube unser ganzes Verhältniß zum Erlöser, weil uns die Kraft aus den Augen gerükkt wird, um derentwillen wir an ihn glauben, und weil die Sünde uns ganz anders erscheint, um derentwillen wir seiner bedürfen. Ist das nicht die gemeinschaftliche Wahrheit unseres inneren Bewußtseins, m. th. Fr., daß die menschliche Natur, wie wir sie überall finden, wo sie noch nicht unter dem Einfluß des Erlösers steht, nicht vermag sich zum Siege des Geistes über das Fleisch zu erheben, wie dies der Apostel Paulus recht aus unserm innersten Gemüth heraus darstellt 40 ? Kann nun einem solchen Mangel an Kraft, wie er sich kundgiebt in unserm nichts vollbringenden Wollen, in unserm unkräftigen Wohlgefallen an dem reinen und vollkommenen Gotteswillen, wenn er ganz allgemein ist in dem menschlichen Geschlecht, anders geholfen werden, als dadurch daß unter eben diesem Geschlecht eine höhere K r a f t ans Licht geboren wird, die sich, wie wir das in beschränkterem Maaße täglich erfahren, durch lebendige Gemeinschaft über die bedürftigen Theile ausgießt und unter denselben weiter verbreitet? Dazu nun war der Sohn des Wohlgefallens geordnet von Ewigkeit, und erschien, als die Zeit erfüllt war, mit der Fülle der göttlichen K r a f t ausgerüstet, aus welcher nun alle diejenigen, die ihn aufnehmen, Gnade um Gnade schöpfen. Aber damit wir ihn ganz aufnehmen als der er ist, mußte er erst indem daß er litt Gehorsam beweisen, und durch Leiden des Todes in seiner Vollkommenheit dargestellt und mit Preis und Ehre gekrönt werden; und so konnte er nur mit seinem Opfer uns vollenden. Wie greift, wenn wir so in diesen göttlichen Rathschluß hineinschauen, alles ineinander! wie klar erkennen wir die Beziehung eines jeden! aber wie verwirrt sich plözlich alles, was sich so klar auseinander legen ließ, wie verschwindet uns plözlich aller Zusammenhang, wenn wir den Tod Christi von seinem Leben trennen 41 , damit er so gesondert unzählige Male in einer bedeutsamen Handlung könne wiederholt werden! Kann nun der Tod für sicäi allein dem Leben die K r a f t mittheilen, die ihm fehlt? oder soll die Nachbildung des Opfers nicht nur den Tod wiederholen, sondern auch das Leben? Wer unter uns möchte wol behaupten, es gebe in jener Kirche keine lebendige Gemeinschaft mit dem Erlöser, keinen geistigen Genuß seines Fleisches und Blutes! Das sei ferne von uns. J a wer wollte leugnen, daß dieser sich auch dort verbinden | könne mit dem Genuß des wenngleich verunstalteten Sakramentes! Auch das sei ferne von uns. Aber gewiß muß, damit es geschehe, das Gemüth sich wieder in die Ursprüng-
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lichkeit der Sache zurükkversezen, und sich von dem entfernen was die Lehre der Kirche ist. Die Anbetung des Nichtmehrbrodtes, an dessen Stelle der Priester opfernd den Leib Christi herbeigeführt hat, welcher nun harrt genossen zu werden, das Ringen des Glaubens gegen das Zeugniß der Sinne, um sich von dem Genuß dieses Leibes unter der täuschenden Gestalt des Brodtes zu versichern nein, das ist zu weit entfernt von dem mächtigen Wort, welches Geist und Leben ist, um eine Förderung im Heil der Seele in sich zu schließen. Vielmehr je eifriger sich das Vertrauen auf diese Handlungen richtet, desto mehr muß das Bestreben erkalten, das Leben Christi geistig in sich aufzunehmen. Oder sollen wir eine andere Trennung zugeben, nemlich daß wir zwar leben durch das Leben Christi in uns, aber daß der Tod Christi uns vor dem Tode bewahren müsse, nämlich vor der Strafe der Sünde? und daß hiezu nicht nur das ursprüngliche Opfer Christi nöthig sei, sondern auch das wiederholte? Aber kann es denn etwas anders bedürfen um uns vor jenem Tode zu bewahren als das ewige Leben, welches wir ja mit dem Leben Christi besizen? Ist es nicht genug, daß wir mit Christo gekreuzigt sind, und so derjenige, welcher gestraft werden sollte, gar nicht mehr vorhanden ist, sondern nur der neue Mensch, in welchem sich nichts verdammliches findet? Kann etwas anderes nöthig sein um uns von der Furcht zu befreien als die Liebe? J a auf jede Weise muß, wer jener Lehre wirklich Raum giebt, irre werden an den Verheißungen, die der Erlöser selbst | gegeben, und an den mit diesen zusammenhängenden Erfahrungen des gläubigen Gemüthes. Und dasselbe geschieht auch auf der andern Seite, wenn so von einander geschieden werden soll die angestammte Sündhaftigkeit und die wirkliche Sünde, daß das ursprüngliche Opfer Christi sich nur auf jene bezieht, und die Wiederholung desselben nöthig wäre wegen dieser. Welche gefährliche Verwirrung nach allen Seiten hin! Ist jene angestammte Sündhaftigkeit, oder wenn ihr so lieber wollt jene Erbsünde, durch den Tod Christi durch jenes ursprüngliche Opfer ganz abgethan: so werden wir durch dasselbe vollendet nicht als solche die geheiliget werden, sondern als solche die schon geheiliget sind; denn wo sollte noch die wirkliche Sünde herkommen, wie sollte noch etwas anderes als der reine Gotteswille sein in allen unsern Werken, wenn jener innere Grund nicht mehr vorhanden wäre? Er bleibt also, aber er wird nicht mehr gestraft? Allein geht nicht so alle unmittelbare Beziehung des Todes Christi zu uns ver-
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loren, wenn wir den Werth desselben hierauf beschränken? Denn wir sind uns ja leider jenes innern Grundes der Sünde bewußt als eines Zustandes, der über unser Bewußtsein hinausreicht, der uns Allen schon mitgegeben ist in dieses Leben 42 ; und so muß das auch nur ein todter Buchstabe f ü r uns bleiben, es kann keine innere Wahrheit f ü r uns haben, daß wir f ü r diesen Zustand, in dem wir uns finden, hätten gestraft werden müssen, wenn auch keine wirklichen Sünden sich daraus entwikkelten. Ist doch dieser Zustand nur da f ü r uns, eben sofern er sich in der wirklichen Sünde offenbart. Wenn nun diese uns immer zu jenem nachgebildeten Opfer hintreibt, wie ganz | muß dann das ursprüngliche zurükktreten! und wie wenig daher von der unmittelbaren Beziehung zwischen dem Erlöser und dem einzelnen Christen übrig bleiben! Und wie gefährlich ist es anderntheils, wenn wir uns gewöhnen die wirklichen Sünden abgesondert von der angestammten Sündhaftigkeit als ihrem inneren Grunde für sich allein zu betrachten! gefährlich f ü r die Einen, weil es zum frevelnden Leichtsinn auffordert; gefährlich f ü r die Andern, weil sie Jedem preisgegeben sind, der es darauf anlegt ihr Gewissen zu beengen. Denn wie steht es doch mit unsern einzelnen Sünden? Müssen wir das bei näherer Betrachtung zugeben, daß in einem engverbundenen gemeinsamen Leben der Einzelne nur in einem sehr entfernten und untergeordneten Sinn ein besonderes Verdienst für sich haben kann denn je vollkommner in der Ausführung je fruchtbarer in ihren Folgen eine Handlung ist, um desto leichter finden wir auch jedesmal wieviel wir dazu empfangen haben von Andern: so gilt dasselbe gewiß eben so sehr von unsern Sünden. Keiner kann als der alleinige Schuldner angesehen werden, für das was er thut: sondern je verdammlicher es erscheint, um desto leichter wird sich in den meisten Fällen nachweisen lassen, wie vielfältig der Thäter von Andern ist versucht und gereizt, und wie lange das Böse in ihm durch die Sünden Anderer ist genährt worden. Mithin sind auch alle sündlichen Handlungen gemeinsames Werk und gemeinsame Schuld; und werden wir so sehr aufgefordert von dem innern Grund der Sünde in uns selbst abzusehen: so können wir gar leicht die Schuld ganz auf Andere werfen! Und was sich als eigner Antheil nicht ableugnen ließ an unsern und fremden Sünden: wie leicht läßt sich | der Leichtsinnige darüber durch die Theilnahme an der Wiederholung des Opfers beschwichtigen! Dagegen auch auf der andern Seite, sind wirkliche Sünden etwas abgesehen von ihrem Zusammenhang mit der innern Sündhaftigkeit: so ist auch nicht eines jeden eignes Ge-
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wissen der einzige Richter darüber. Es bedarf dann einer äußeren Bestimmung darüber, was Sünde ist; und wie ungeheuer können dann ängstliche Gewissen beschwert werden, und wie ganz der Wahrheit zuwider, wenn bald dies bald jenes zur Sünde gemacht wird, was in der That gar kein Zeugniß von der inneren Sündhaftigkeit ablegt. Und beweist nicht schon dieses Schwanken deutlich genug, daß durch eine solche Trennung auch das wahre Bewußtsein der Sünde ganz verloren geht? Denn da ist keine Wahrheit, wo sich eine solche Leichtigkeit zeigt von einem entgegengesezten zum andern überzugehn; da fehlt es an der rechten Kraft das Herz fest zu machen, wo mit demselben Recht ängstliche Gemüther Furcht und Schrekken einsaugen, und leichtsinnige Beschwichtigung für alles zu finden wissen. Und erwägen wir es genau, was für ein Schaden es ist dem innersten Grunde nach, welcher der christlichen Frömmigkeit erwachsen mußte durch einen solchen Zusaz zu dem vollendenden Opfer Christi, und wovon wir also wieder frei geworden sind: so ist es dieser, daß sowol was die Sünde als was die Erlösung betrifft, überall Willkühr an die Stelle der innern Wahrheit und des naturgemäßen Zusammenhanges tritt, den wir uns eben wieder vergegenwärtigt haben. Menschliche Willkühr kann auf diese Weise bestimmen, was Sünde ist und was nicht: und die Art, wie das Opfer Christi mit allen seinen tausend und aber tausend Erneuerungen uns vollendet, ist nicht mehr das, was der Natur der Sache nach geschehen müßte der Sünde wegen, sondern es muß uns gemahnen wie eine Einrichtung göttlicher Willkühr, an deren Stelle wol auch andere könnten gedacht werden. Und wieviel verliert unser Verhältniß zu dem Erlöser, wenn er uns so erscheint, wie ein Fremdling willkührlich in die Gesellschaft der Menschen hineingeworfen, und unser Heil nicht nach den natürlichen Gesezen des Lebens bewirkend, sondern auf eine unbegreifliche und ganz fremdartige Weise. Mittelbar aber müßte unser Verhältniß zu ihm auch noch dadurch leiden, daß diese Wiederholung seines Opfers und die damit verbundene Wirksamkeit menschlicher Willkühr eine Ungleichheit unter den Christen hervorbringt, welche den größten Theil derselben nur zu weit von dem Erlöser entfernt 43 . Denn wenn es wegen unserer wirklichen Sünden dieser Wiederholung seines Opfers bedarf: welcher gewaltige Unterschied zwischen allen übrigen und denen, welchen Er das Recht ausschließend verliehen haben soll ihn darzubringen! und wie natürlich, wenn es an ihnen hängt die wirklichen Sünden durch ihre Darbringung zu tilgen, daß auch sie, wenn eine
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solche Unsicherheit einmal eingerissen ist, allein bestimmen müssen, was wirkliche Sünde ist, und dann auch, denn das hängt nothwendig zusammen, was wahrhaft gutes Werk ist, also auch was für Denken und Glauben gut ist und heilsam und welches sündlich ist und verderblich. So haben denn diese die Gewissen der Andern in ihrer Hand, und nur sie sind eigentlich die Kirche, in welcher die Gabe des Geistes ruht, die Andern müssen Gebot und Lehre von ihnen annehmen; | und so giebt es denn nicht mehr Einen Meister, dessen Jünger alle unter einander Brüder sind, sondern unter seinen Jüngern viele Meister, deren Untergebene zuviel auf sie zu achten haben, als daß sie noch könnten viel unmittelbar von dem Erlöser empfangen. Solchem Verderben ist nun unser Christenthum glükklich entronnen dadurch, daß unsere Vorgänger im Glauben jenes Gewebe von Menschenerfindung zerrissen haben, und zu dem Einen vollendenden Opfer Christi als allein genügend für die, welche geheiligt werden, einfältig zurükkgekehrt sind. Laßt uns denn an diesem Beispiel ganz besonders erkennen, daß jene Zeit unserer Kirchenverbesserung und der Ablegung unseres Bekenntnisses eine solche gewesen ist, wie ein alter Lehrer der Kirche sich jene merkwürdige Gleichnißrede unseres Erlösers vom Unkraut auf dem Akker erklärt 44 . Er sagt nämlich jenes Unkraut solle nicht sowol die bösen Menschen bedeuten - und dafür läßt sich wol sagen, daß kein Mensch aus anderem Samen entsprossen ist als der andere - sondern es seien die verkehrten und verderblichen Gedanken. Und das ist wenigstens dem ganz gemäß, daß in andern Gleichnissen der gute Same ganz bestimmt das Wort Gottes und also die guten und göttlichen Gedanken bedeutet. Doch dem sei nun, was jene bildliche Rede des Erlösers betrifft, wie ihm wolle, jener Erklärung entspricht wenigstens die Geschichte gut genug. Denn es schießt von Zeit zu Zeit auch auf dem Boden der christlichen Kirche solches Unkraut verkehrter Gedanken auf, dessen Samen der göttliche Säemann nicht mit ausgestreut hat; sondern theils ruhte er noch von früher her in dem Boden, theils gehen ja aus dem trozigen und verzagten Herzen arge Gedanken | hervor. So waren es bald jüdische Menschensazungen und heidnische Erfindungen, die in anderer Gestalt wieder aufkeimten, bald ersann das beflekkte Gewissen falschen Trost, weil doch der menschliche Geist noch nicht ganz in das beseligende Geheimniß der Erlösung eingedrungen war. Und so war denn jene große Zeit der Kirchenverbesserung eine solche Zeit der Erndte, wo viele von den köstlichen Wahrheiten des Glaubens in die Scheu-
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ern gerettet wurden, wo sie nun sicher aufbewahrt liegen für alle künftigen Zeiten, und so wurde auch vielerlei Unkraut dafür erkannt was es war, also ausgejätet und verbrannt, daß seine Spur unter uns nicht mehr gefunden wurde. Dafür haben wir nun dem Herrn der Erndte Lob und Dank zu sagen, der damals seine Schnitter aussandte. Aber laßt uns auch wohl bedenken, daß es nicht die lezte alles ans Licht bringende und alles entscheidende Erndte war. Oder wer möchte sich noch einbilden - denn freilich es gab Zeiten, wo diese hochfahrende Meinung sehr weit verbreitet war unter uns; aber jezt, wer möchte sich noch einbilden, daß das Feld unserer evangelischen Kirche ganz rein sei, und nur der himmlische Waizen auf demselben wachse und gedeihe! Darum laßt uns immer noch wachsam sein und die Regel, die uns der Erlöser in jenem Gleichniß giebt, nicht außer Acht lassen. Diejenigen berathen unsere Gemeinschaft übel, welche zu jeder Zeit alles, was ihnen als Irrthum erscheint, auch sogleich ausjäten wollen. Nicht nur daß manche noch nicht festgewurzelte Pflanze, die auch dem göttlichen Samen entsprossen ist, Schaden leidet und vergeht unter diesen voreiligen Bestrebungen des Unkrauts Meister zu werden und es zu entfernen; sondern die darauf ausgehn alles, was | nicht guter Waizen ist, gleich im ersten Aufkeimen aus dem Boden zu reißen, die vergreifen sich auch, von ihrem Eifer verblendet, an manchem Waizenpflänzchen, das sie verkennen, das aber mit der Zeit schöne Frucht würde getragen haben. Darum laßt uns nicht in unverständigem Eifer dem Herrn anders dienen wollen, als er es begehrt. Er selbst will die Zeit der Erndte bestimmen, wir sollen uns nicht anmaßen sie zu kennen, und sollen nicht zu jeder Zeit im Felde rühren und stören um des Unkrauts willen. Laßt uns Alle, die mit uns ihr Heil in Christo allein suchen, und als durch sein einmaliges Opfer vollendet im Gehorsam gegen ihn geheiligt werden wollen, gern als Brüder und Genossen unseres Glaubens in herzlicher Liebe umfassen, und was uns als Irrthum in ihnen erscheint so in Liebe tragen, nicht daß wir ihnen unsere Meinung verhehlen, aber daß wir weit entfernt die Gemeinschaft mit ihnen aufzuheben, wenn sie nicht gleich das ihrige aufgeben wollen gegen das unsrige, fleißig gemeinsam mit ihnen die Wahrheit suchen: so wird uns auch der Herr einen durch den andern immer mehr erleuchten, und nichts wird uns mehr trennen von der lebendigen Gemeinschaft mit ihm, der allein, die er vollendet hat, auch heiligen kann zur reinen Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit. Amen.
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VI. Ermunterung zum Bekenntniß der Sünden. J a k . V , 16. Bekenne einer dem andern seine Sünden und betet f ü r einander.
M. a. Fr. In jenem ersten Bekenntniß unsrer evangelischen Kirche, mit dessen einzelnen bedeutendsten Lehren und Anordnungen wir uns jezt beschäftigen, ist auch eine wichtige und uns von der römischen Kirche unterscheidende Bestimmung in Bezug auf unser gemeinsames kirchliches Leben enthalten, welche sich auf denselben Gegenstand bezieht wie die verlesenen Worte der Schrift. Es bestand nämlich seit langer Zeit eine Nothwendigkeit für alle Christen in unsrer abendländischen Kirche, ehe sie zum Tische des Herrn gingen, denjenigen von denen sie sich wollten dieses heilige Mahl der Liebe darreichen lassen, eine so viel sie nur immer konnten vollständige Aufzählung der begangenen Sünden zu geben, also diesen ihre Sünden zu bekennen. Dieses nun ist schon damals als eine Quelle von mancherlei | Verirrungen und Verkehrtheiten angesehen worden, und es gehört zu dem, was abgestellt wurde beim ersten Anfang der evangelischen Gemeinschaft und dahin geändert, daß zwar allerdings der Natur der Sache gemäß zum Genuß des Mahles unsers Erlösers als einer neuen Versicherung der göttlichen Vergebung auch das Bekenntniß der Sünden gehöre, daß aber keineswegs von den Christen solle verlangt werden eine Aufzählung der einzelnen Vergehungen. Dies nun ist es, was wir heute zum Gegenstand unsrer Betrachtung machen. Die verlesenen Worte des Apostels aber enthalten eine Aufforderung und Ermunterung zum Bekenntniß der Sünden, und es ist darin allerdings, wie es die Worte selber und der ganze Zusammenhang angeben, das einzelne gemeint. Denn daß wir Alle die Sünde in uns tragen, das bedarf keiner erst dem andern
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zu bekennen, weil jeder wie er es an sich selbst weiß, so es auch von dem andern voraussezt. Hier also finden wir eine E r m u n t e r u n g z u m B e k e n n t n i ß d e r e i n z e l n e n S ü n d e n , die wir wirklich begangen haben einer gegen den andern, und zwar damit sie ein Gegenstand des Gebetes werden können. Denn so verbindet sich beides mit einander in unserm Text. Ich will nun in Beziehung auf diese Worte und auf jene Einrichtung in unsrer Kirche z u e r s t von dem Segen des Bekenntnisses, von welchem der Apostel hier redet, meine Meinung auseinandersezen, und z w e i t e n s damit vergleichen jene in unsrer evangelischen Kirche im Widerspruch mit der bisher bestandenen gemachte Einrichtung. I. Was nun das Erste betrifft, m. a. Fr., so vergönnt mir etwas weiter, als vielleicht unumgänglich nöthig ] zu sein scheint, in das ganze Verhältniß des Menschen als eines sündigen Wesens einzugehen. Zu dieser Sündhaftigkeit gehört unstreitig auch sehr wesentlich und leider sehr allgemein eine innere Unwahrheit im Menschen, die sich auf die mannigfaltigste Weise zeigt. Zuerst und am allgemeinsten alsdann, wenn er seine eigne Sünde als solche nicht anerkennt. Dies war derjenige Zustand des Verderbens, welcher dem Apostel Paulus, als er seine Briefe an die Römer 45 schrieb, in der ursprünglichen und ausgebildetsten Gestalt vor seinem geistigen Auge schwebte. Er erklärt ausdrükklich jene so allgemeine Verkehrung der natürlichen Gotteserkenntniß, in welcher sich das höhere Vermögen der menschlichen Vernunft kund geben sollte, nämlich die Vielgötterei, so daß schon die früheren Geschlechter der Menschen, statt in seinen Werken den einen Schöpfer und dessen allmächtige Kraft und Gottheit zu erkennen, sich das göttliche Wesen in eine Mehrheit zerspaltet und zersplittert hatte, wohlbedächtig in eine Mehrheit von solchen Wesen, an welche sie zugleich alles verkehrte Tichten und Trachten der Menschen vertheilen konnten, um es eben dadurch zu heiligen, daß sie es auch höheren Wesen beilegten. Das ist der Sinn des Apostels, wenn er sagt, die Menschen hätten die Wahrheit aufgehalten in Ungerechtigkeit, sidi selbst die Wahrheit verdunkelt, Gott nicht erkannt und nicht gepriesen, nur deswegen, weil sie, wenn sie sich dem Reinen gegenübergestellt hätten, auch ihr eignes Verderben hätten erkennen müssen. Wie sie aber dies hinübertrugen auf die höheren Wesen, so waren sie dessen überhoben die Sünde als Sünde zu erkennen. Es gab für sie nur eine Mannigfaltigkeit von Trieben und Richtungen in der menschlichen Natur, | und jede wurde
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durch ein solches Wesen vertheidigt, wiewol sie doch alle nichts Göttliches an sich trugen. Dies unstreitig können wir als die vollkommenste Ausbildung dieser innern Unwahrheit ansehn, gesezt auch alle jene Wesen wären nicht absichtlich hierzu erfunden, aber doch immer dazu gebraucht worden. Und nicht geringer fast prägte sich diese innere Unwahrheit aus bei dem jüdischen Volk, wenn es sich schon damit beruhigte, ein treuer Bewahrer des Gesezes zu sein. Darum nun, weil so die Menschen ihr geistiges Auge abgewandt hatten von der Sonne der Gerechtigkeit und nicht im Stande waren hineinzuschauen, sandte Gott seinen Sohn, um sie von diesem Verderben zu retten, damit sie Reinheit und Vollkommenheit in menschlicher Gestalt vor Augen sähen, und, indem er ihnen so vor Augen trat, genöthigt würden die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater zu erkennen. Wer ihn aber so erkannt hat, der kann nicht mehr in der Unwahrheit wandeln, sondern die Wahrheit, und wenn es auch nur unter tausend Schmerzen geschehen könnte, muß ihn frei machen. Daher können wir das voraussezen, wo nun lebendige Erkenntniß und Anerkenntniß des Erlösers ist, da ist auch eine Anerkenntniß der Sünde46, da muß im Allgemeinen jene Unwahrheit des menschlichen Herzens besiegt sein, und der Gegensaz zwischen dem heiligen Willen Gottes, der dann auch den Menschen mit dem Bilde Christi ins Herz geschrieben ist, und dem, was sie immer noch innerlich bald treibt bald hemmt, dieser Gegensaz muß von ihnen erkannt werden. Aber auch das nur im Allgemeinen, m. g. Fr. Denn wenngleich Paulus zunächst nur von den Heiden sagt, um zu beweisen, daß auch sie das | Wesen des Gesezes in sich trügen, daß ihre Gedanken sich untereinander bald entschuldigen bald verklagen (Rom. 2, 15): so kennt auch Jeder dasselbe aus seiner eignen Erfahrung, und weiß, daß der verklagende Gedanke gewöhnlich recht hat. Das Entschuldigen ist ein Verderben der menschlichen Seele, das nie ein Ende nimmt; auch nicht mit der vollständigsten Anerkenntniß der Sündhaftigkeit im allgemeinen. Unter Allen, denen es gar nicht schwer ankommt sich als Sünder zu bekennen, die mannigfaltig fehlen, werden nur Wenige sein, die sich nicht am liebsten in allen einzelnen Fällen, ausgenommen etwa, wo die Übereilung ganz klar zu Tage liegt, doch noch vertheidigten. Denn in allen andern Fällen will doch jeder richtig geurtheilt haben, und keiner will es auf sich kommen lassen, daß alte Gewöhnungen, die er doch für sündlich anerkennen muß, noch eine Macht in ihm hätten. Und doch ist es nicht möglich, daß es eine zusammenhängende Wirksamkeit des
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göttlichen Geistes, daß es ein wahres Leben Christi im Menschen gebe, wenn nicht die Neigung wenigstens zu dieser Unwahrheit gebrochen ist und überwunden, wenn es nicht das beständige Flehen des Herzens ist, daß der H e r r uns die Augen öffne f ü r Alles, was Sünde ist, damit auch überall im einzelnen w i r uns selbst recht erkennen, und auch das sündliche, was dem Guten, das hell genug in die Augen der Welt scheint, beigemischt ist, uns nicht entgehe. Was bleibt sonst unser Loos, als selbst in der Blindheit hingehen, und als blinde Leiter der Blinden uns vergeblich aufblähen. Wo aber diese Wahrheit im Herzen so befestigt ist, daß die Stimme Got|tes im Innern nicht mehr schweigt, oder zum Schweigen gebracht wird, wenn Unreines sich regt: da erst beginnt eigentlich der redliche K a m p f des Menschen gegen die Sünde, da wiederholt sich in ihm diese ganze Geschichte, die Paulus so lebendig darstellt in jenem Briefe (Rom. 7, 14—24), daß er den Willen Gottes erkennt in seinem Innern, aber daß er immer noch findet das andere Gesez in seinen Gliedern, welches ihn hindert das Gute, was er will und begehrt, zu vollbringen, und ihn nöthigt das zu thun was er nicht will, sondern verabscheut. Wenn nun der Apostel, nachdem er diesen innern K a m p f des Menschen dargestellt, und die Frage aufgeworfen hat, Wer w i r d mich erretten vom Leibe dieses Todes? keine andere Antwort giebt, als, Ich danke Gott, der uns den Sieg gegeben hat durch Jesum Christum: so stimmen wir darin gewiß alle mit ein, daß wie auch dieser K a m p f sich in Jedem anders gestalte, wie er sich verlängere und immer wieder erneuere, es einen andern Sieg in demselben immer nicht giebt, als durch den, der uns allen gemacht ist zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. J a das sollte die höchste Wahrheit eines jeden christlichen Gemüthes sein, und dem Wesen nach werden auch Alle in jenem einfachen Ausdrukke derselben übereinstimmen, Fällt mir etwas Arges ein, denk' ich gleich an deine Pein, diese wehret meinem Herzen mit der Sünde Lust zu scherzen 47 . Denn wenn w i r uns den Erlöser immer lebendig vergegenwärtigen könnten, dann würde gewiß auch der K a m p f immer glükklidi enden, und so würde sich dann in Wahrheit zeigen, daß nichts Verdammliches in uns ist, | wenn wir nur in Christo sind. U n d freilich sollen w i r auch keine andere H ü l f e suchen neben dem Erlöser, wie keine andere Götter neben dem Vater! Aber eben deswegen, weil w i r uns doch gestehen müssen, daß er, indem er nicht mehr leiblich unter uns wandelt, auch uns nicht immer so innerlich gegenwärtig ist, wie es sein sollte, eben deswegen hat der Apostel
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diese Worte unsers Textes geredet zu allen und für alle, welche in Christo Jesu sind, und ihnen gesagt, Bekennet einer dem andern eure Sünden und betet für einander. Und ich kann es nicht aussprechen, wie sehnlich ich wünsdie, daß recht Viele unter uns aus eigner Erfahrung ein Zeugniß davon mögen ablegen können, was für ein Segen in allen inneren Kämpfen, in denen wir so gern Sieger sein möchten, und in den schwersten am meisten auf einem solchen Bekenntniß ruht. Die schwierigsten aber sind die, welche Andern am meisten verborgen bleiben. Denn gegen eine äußerlich hervorbrechende Schwachheit haben wir immer schon Bundesgenossen an denen, welche ihrer inne werden, mögen sie uns nun freundlicher oder rauher zurechtweisen oder uns durch stille Theilnahme beschämen. Aber warum wollen wir bei allem, was wir nur innerlich durchkämpfen müssen, freiwillig allein stehen, da wir doch ein Recht haben auf brüderlichen Beistand von denen, welche Glieder sind an demselben Leibe. Freilich gehn wir gar ungern daran, Schwachheiten zu offenbaren, die niemand an uns kennt; und wenn der Erlöser mit uns wandelte, der immer schon wußte was in des Menschen Herzen war: so bekämen wir auch ohne Bekenntniß einen Blikk, wie Petrus ihn bekam. Aber eben weil ihm dieser Blikk soviel war: sollten wir nicht eilen durch redliches Bejkenntniß uns einen Bruder zum Freunde zu gewinnen, der ähnliches an uns thue wie Er am Petrus? Ach schon ein solches Bekenntniß, das freie Hervortreten der Wahrheit aus unserm eigenen Munde, wodurch wir uns nicht öffentlich aller Welt preisgeben, denn das kann nur selten frommen, aber in der Stille uns einem befreundeten Auge hingeben wie wir sind, schon das hat eine unbeschreiblich erleichternde reinigende und stärkende Kraft. Und dann das herzliche Mitgefühl eines engverbundenen Gemüthes, die besonderen Tröstungen der göttlichen Gnade aus einem freundlichen Munde, ein strafender Blikk ein warnendes Wort im Augenblikk der Gefahr, was für reiche gesegnete Hülfsleistungen für alle Wechselfälle unseres ringenden Lebens. Und wenn nun unser Text außer jenen heilsamen Anregungen, die uns aus dem Bekenntniß von selbst hervorgehen, noch hinzufügt, Und betet für einander: so stellt er uns dadurch erst die Kraft dieses Hülfsmittels der lebendigen Gemeinschaft auf ihrem Gipfel vor Augen. Denn gewiß, wenn wir wissen, daß ein Bruder die ihm bekannte Noth unsers Gemüthes, wie seine eigne nicht nur in seinem Herzen bewegt, sondern auch sie Gott vorträgt in seinem Gebet, wie sehr muß das den gebeugten Muth wieder erheben! Auch ohne
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daß wir an irgend eine übernatürliche Wirkung solchen Gebetes denken 48 , wie muß nicht unsere Freude an der Theilnahme unserer Brüder erhöht werden, und also auch unser Wunsch gesteigert, daß ihre Hofnung nicht möge getäuscht werden! Wie zeigt sich uns erst dadurch die Liebe in ihrer ganzen Herrlichkeit, wenn sie fremde Schwachheit wie eigne vor Gott bringt! und wie | muß es unsern Eifer im Kampf erhöhen, wenn wir wissen, daß wir mit solcher Liebe umfaßt werden! Diesen Segen, m. g. Fr., der uns aus dem besonderen Bekenntniß der Sünden an eine vertraute Seele entsteht, sollte sich keiner entgehen lassen; und sind wir nun Alle unter einander Brüder in Christo: so kann auch wol keinem, dem es Ernst darum ist ein solches Verhältniß fehlen. Auch der erfahrenste und geübteste wird freilich mehr Vertrauen zu empfangen haben als zu geben; aber auch er wird nicht nur lehrreich werden und erbaulich durch sein besonderes Bekenntniß, sondern auch sich selbst wird er noch dadurch fördern. Diese Allgemeinheit liegt in der Absicht unseres heiligen Schriftstellers, der in einem ganz allgemein an alle Christen gerichteten Briefe diese Vorschrift ertheilt. Und auch eine solche Gegenseitigkeit hat er sich gedacht. Denn er sagt nicht, Ihr Vielen bekennet eure Sünde den Wenigen auserwählten, auch nicht, Ihr Gemeinden bekennet eure Sünde den Ältesten, sondern unter einander. So ist es dann für uns Alle ein gemeinsamer Beruf, Bekenntniß zu geben und anzunehmen, und sollte daher auch eine allgemeine Ordnung und Übung unter uns sein, die, wenn sie auch äußerlich gar nicht hervorträte, sich doch in ihren segensreichen Folgen bemerklich machen würde. Ja überall ist es ein großer Beweis von zunehmendem christlichem Sinne, wenn sich ein solches christliches Vertrauen weiter verbreitet, und ein großer Beweis von der Wahrheit, mit welcher wir dem Ziel der Heiligung nachjagen; ja ein großer Fortschritt muß daraus der Gemeine des Herrn erwachsen, die sich ja nur in dem Maaß vor ihm ohne Tadel darstellen kann, als ihre einzelnen Glieder rein sind. | II. Und nun nachdem wir den großen Segen des einzelnen Bekenntnisses uns so deutlich vor Augen gestellt, laßt uns zweitens übergehen zur Betrachtung der in dieser Hinsicht durch die Kirchenverbesserung für uns eingetretenen Änderung. Zuerst warum ist in dieser Beziehung das Band zwischen den Gliedern unserer Gemeinen und den Dienern des göttlichen Wortes
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gleichsam mehr gelöst worden? Gewiß soll dadurch nicht gesagt werden, daß sie in den christlichen Gemeinden unsers Bekenntnisses etwa weniger als andere diejenigen sollten sein können, zu welchen die einzelnen Glieder der Gemeinden das Vertrauen hegen dürften, ihnen das innere des Gemüthes aufzuschließen und sich durch ihre Ermahnung und ihr Gebet zu stärken. Vielmehr sind sie auch dazu als Seelsorger gesezt, und Jeder kann Gehör und Zuspruch von ihnen verlangen. Es ist keineswegs die Absicht gewesen den heiligen Dienst im Worte so zu begrenzen in unsern Gemeinden, daß er sich nur auf die öffentliche Verkündigung des göttlichen Wortes in unsern Versammlungen und auf die Darreichung der Sakramente erstrekke; sondern die Diener des Wortes sollen einem jeden zum Trost und zur Hülfe bereit sein bei allem, was ihm auf seinem geistigen Lebensgange begegnen kann. Und wenn es eine allgemeine Erfahrung wäre, daß ein solches Verhältniß des Vertrauens zwischen beiden Theilen gar nicht Statt fände: so wäre das allerdings ein trauriges Zeichen, theils schon an sich, indem dann offenbar das Verhältniß ein nachtheiliges und unnatürliches sein muß, und gar viele Glieder des geistlichen Standes ihrem Beruf nicht gewachsen und von geringer Beschaffenheitj wenn sie nicht | verstehen sich die Gemüther zu befreunden, theils auch besonders, weil gar viele unserer Glaubensgenossen, wenn ihr Geistlicher nicht kann ihr Seelsorger sein, einen anderen besonderen Vertrauten für das Bedürfniß ihres Herzens schwerlich finden werden. Denn erfordert gleich dieses Vertrauen nicht eine besondere Würde, eine eigenthümlich höhere Stufe: so giebt es doch Jeder nur da, wo er eine reichere Erfahrung eine geübtere Kraft anerkennt. Wo also außer dem Diener des Wortes Alle einander ziemlich gleich sind auch in den Mängeln und Gebrechen, und Alle noch mit der Milch des Evangeliums genährt werden müssen: da werden sich solche Verhältnisse zwischen einzelnen Gemeingliedern nicht leicht ausbilden können. Allein wie sehr es auch zu wünschen ist, daß jeder Diener des Wortes recht Vielen seiner Gemeinglieder ein solcher vertrauter Herzensfreund sein möge: so durfte doch die Meinung nicht stehen bleiben, daß gerade sie es sein müßten, oder sie allein es sein dürften, an welche unsere Christen sich zu wenden haben. Nein! das war ein zu hartes Bedrängniß der christlichen Freiheit, zumal es an so manchen Veranlassungen nicht fehlt, um in das Verhältniß zwischen Geistlichen und einzelnen Gemeingliedern eine Verstimmung zu bringen. Darum ist es so wichtig, daß wir beides von einander getrennt haben. Mit
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diesem Bedürfniß des Bekennens soll niemand an einen Einzelnen gewiesen sein, sondern Jeder nur an seine freie Wahl aus der Gemeine. Und wenn es gar kein Amt des Wortes gäbe, wie es denn sehr geförderte Christen giebt, die ein solches nicht anerkennen: so müßte doch jeder einen Bruder finden können, in dessen Herz er sein Bekenntniß niederlegte. J a sollten wir nicht | behaupten dürfen, dies sei ein trefflicher Maaßstab um darnach zu beurtheilen, wie weit unser kirchliches Leben gediehen sei? Bedenkt wieviel herzliche Annäherungen es f ü r uns giebt im gesellschaftlichen Leben, wieviele Vereinigungen zu gottgefälliger Thätigkeit, wobei wir einander genauer in unserer eigenthümlichen A r t und Weise unterscheiden lernen; bedenkt wie o f t wir einander an merkwürdigen Stellen auf dem Wege durch dieses Leben begegnen, wie o f t wir von einerlei Empfindungen bewegt werden, und wie sich bei solchen Gelegenheiten das Herz aufthut; wenn dies alles doch nicht dahin führen sollte, daß Jeder auch einen Ort fände f ü r solches Vertrauen: so müßte uns doch noch etwas sehr wesentliches abgehen! Wenn nun das einzelne Bekenntniß etwas so wünschenswertes und heilsames ist, und wenn doch immer auch unter uns Viele sich damit vornehmlich an die öffentlichen Diener des Wortes wenden: so fragt sich zweitens, warum haben wir dies besondere Bekenntniß getrennt von der Feier des heiligen Mahles, mit der es seit mehreren Jahrhunderten schon war verbunden gewesen 48 ? Auf diese Frage, m. a. Z., sollte wol die einfache Antwort schon genügen, daß diese beiden Stükke, wie wichtig auch jedes f ü r sich ist, doch gar nicht zusammen gehören, und daß es nirgend - zumal aber in geistlichen Dingen nidit - ohne Bedenken sein kann, willkührlich zu verknüpfen was der Wahrheit nach nicht zusammenhängt. Und so ist es doch mit diesen beiden. Das Bedürfniß des Bekenntnisses kann uns im Leben jederzeit entstehen, und nur wenn es im rechten Augenblikk geschieht, ist es wirksam, darum kann es nicht warten auf das Mahl des Herrn, zu dem wir uns doch | nur zu bestimmten Zeiten vereinigen. Und unser Text weiß auch hievon eben so wenig, als der Apostel Paulus bei seinen Anweisungen über das heilige Mahl dem Wort der Mensch prüfe sich selbst (1. Kor. 1 1 , 28) noch irgend etwas von einem Bekenntniß an einen Andern hinzufügt. Und das liegt ja Allen zu Tage, daß diese willkührliche Verbindung das meiste beigetragen hat, um jene drükkende Herrschaft über die Gewissen zu begründen, unter welcher die Christenheit damals seufzte, und dadurch zugleich denjenigen, die nichts sein sollten als Verkündiger
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des göttlichen Wortes und Diener der gemeinsamen Andacht, einen Einfluß in weltlichen Dingen einzuräumen, welcher lange Zeit die Christenheit mit immer neuen Verwirrungen angefüllt hatte. Und leider war es natürlich genug, so wie diese Verbindung einmal bestand, daß die Christenheit sich an dieses Joch gewöhnte. Denn weshalb hätten die Sünden sollen vor dem heiligen Mahle bekannt und gerade denen bekannt werden, die diesem Mahle seinen geheimnißvollen Gehalt geben und es verwalten, wenn diese nicht das Recht haben sollten, die Sünden zu vergeben oder nicht zu vergeben, und somit auch zum Sakrament zuzulassen oder es zu verweigern? Darum haben wir das zwar behalten, daß die zugleich das Mahl des Herrn genießen, auch mit einander vorher sich die Gewißheit der Vergebung der Sünde erneuern, um sich dort als solche zusammenzufinden, die sich dieser göttlichen Gnade in frischer Erinnerung erfreuen; aber wir knüpfen diese Versicherung nur an ein solches allgemeines Bekenntniß der Sünde50, dem sich kein Christ zu irgend einer Zeit | entziehen kann, weil wir ja wissen, daß wir nicht in der Wahrheit sind, wenn wir sagen, wir haben keine Sünde. Und wer wollte nicht Allen zur Beruhigung vor solchem heiligen Werk auch gern von dieser Lüge sich feierlich lossagen? Vielmehr ist dies das natürliche Streben eines christlich frommen und liebenden Herzens. Betrachten wir aber die Sache von dieser wichtigen Seite: so giebt wol auch Jeder zu, daß die vollkommenste Sicherheit dagegen, daß keine solche ungebührliche Herrschaft über die Gewissen sich wieder einschleiche, in derjenigen Form dieser Handlung liegt, die jezt auch in unserer Gemeine üblich ist, daß nicht die Christen auch nur dieses allgemeine Bekenntniß ihrem Seelsorger ablegen, sondern daß er selbst es in Aller Namen thut vor Allen, und dann in des Herrn Namen die Vergebung ankündigt. Und wie freundlich schließt sich hier an, daß er sich Allen bereit erklärt, die seines Rathes und Trostes begehren möchten für irgend etwas, was sie innerlich beunruhigt! Wie schön und klar tritt uns hier das Verhältniß des allgemeinen Bekenntnisses der Sünde vor Gott und der einzelnen vertrauten Mittheilung an einen Mitchristen vor Augen! Und nun habe ich nur noch wenige Worte über das dritte zu sagen, weshalb wir nämlich in unserer evangelischen Kirche überhaupt eine Aufzählung der Sünde gar nicht für nothwendig erachten61, und keinen Christen dazu auffordern. Denn es muß Jedem bald einleuchten, daß ein solches Gebot der einzelnen Aufzählung der Sünden vielerlei Mißverständnisse hervorrufen und eine Quelle
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mannigfacher Verderbniß werden mußte, sowol in Beziehung auf das Bewußtsein der Sünde, als auf die A r t und Weise uns von derselben zu lösen. Zuförderst, m. G., seid Ihr gewiß darin mit mir einig, nur das sei das richtige Bewußtsein, [ mithin auch das wahre Bekenntniß der Sünde, nicht daß wir viel oder wenig einzelne Sünden begangen haben, sondern daß wir, wenn wir doch die Sünde haben, sie auch überall haben. Was kann es dann aber helfen, die einzelnen Sünden aufzählen, da wir ja, wenn wir es irgend genau nehmen wollten, alle unsere Handlungen aufzählen müßten, diejenigen gar nicht ausgenommen, von denen wir uns mit voller Wahrheit das Zeugniß geben können, daß sie von der Liebe zu Gott und zum Erlöser ausgegangen sind? Denn überall ist es ja nur die Sünde, wie sie sich in einem jeden besonders gestaltet, welche die Vollkommenheit unserer einzelnen Handlungen hindert, und eben in diesen Unvollkommenheiten werden wir am sichersten die Spur der Sünde auffinden, auch der die sich in besonderen Handlungen nicht zeigen würde. Darum ist das ganz gewiß ein wahres Wort, Wer kann wissen wie o f t wir fehlen? und darum hat auch der Psalmist schon das Gebet und die Hofnung, daß Gott auch die verborgenen Fehler verzeihen werde (Ps. 19, 13). Wozu daher die quälende Mühseligkeit die einzelnen Sünden aufzuzählen? Die Aufgabe wäre doch eine unendliche, der wir nie Genüge leisten könnten. Es könnte sich dabei ja gar nicht handeln um einzelne Thaten, sondern es müßte eine Aufzählung des ganzen Lebens sein, so wie sie wahrlich wenige von uns selbst würden geben können. Aber das ist auch gar nicht der Wille Gottes; das Leben mit seinen Unvollkommenheiten und Mängeln soll nur einmal gelebt sein. Sollen wir wahrhaft vergessen was dahinten ist, so müssen wir auch das unvollkommne | und sündliche darin vergessen, und wir dürfen es in dem redlichen Bewußtsein, daß die Gewalt des Fleisches von einer Zeit zur andern gedämpft worden ist, und daß wir wahrhaft streben nach dem, was da vor uns liegt. Aber immer wieder so genau in die Vergangenheit zurükkgehen, gleichsam J a g d machen auf alle einzelne Spuren des Verderbens, das wir doch in seinen großen Zügen kennen, das gewährt keinen wahren Wachsthum an Selbsterkenntniß; nur der Schein davon wird zu unserm großen Schaden eine Nahrung f ü r eine neue falsche Selbstzufriedenheit. Denn wie leicht kann es Zeiten geben, wo wir weniger Handlungen aufzuzählen wissen, wegen deren unser Gewissen uns gestraft hat; und doch sind es Zeiten der Geistesträgheit und Stumpfsinnigkeit gewesen, Zeiten, wo wir schliefen und der Feind
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Unkraut säen konnte in die Seele. Wie wird also nicht die Aufmerksamkeit durch diese scheinbare Gründlichkeit in vielen Fällen nur abgelenkt von dem, was uns eigentlich N o t h thäte zu wissen! und noch dazu wie leicht schmeichelt sich ein eitles Gemüth damit, als ob die Aufrichtigkeit und Leichtigkeit des Bekenntnisses selbst ein glükkliches Zeichen wäre von dem Ernst in der Heiligung, während doch der Inhalt des Bekenntnisses sich immer gleich bleibt, und keinen Fortschritt bekundet. - Und nun was dies andere betrifft, wie wurden durch diese Anordnungen die Christen irre geführt in Hinsicht des Loskommens von der Sünde! Welche Abwege eröffnen sich nach beiden Seiten hin! Wenn nun die Gewißheit der Vergebung abhängt von der Richtigkeit der Aufzählung, und der würdige Genuß des Sakramentes von der Vollständigkeit der erhaltenen Vergebung: welche Quaal wird ängstlichen Gemüthern bereitet, die sich nicht so leicht bei den verschiedenen Abstufungen, die unter den Sünden gemacht werden, beruhigen können. Und auf der andern Seite, welch ein gefährlicher Reiz f ü r die Leichtsinnigen! wie bewußtlos kann die Sicherheit, daß auf das Bekenntniß auch die Vergebung erfolge, doch darauf wirken, daß sie der Versuchung eher nachgeben, im Widerstande eher ermüden, und sich demnach in eine bedenkliche Ruhe einwiegen! Nehmen wir noch hinzu, wie genau dies beides zusammenhängt, die Sünde nur in den einzelnen H a n d lungen suchen, und die Vergebung derselben durch andere einzelne Handlungen bedingen wollen, welche jenen gleichsam das Gegengewicht halten sollen: so können wir uns freilich nicht wundern, wie auch dieser Wahn allgemein geworden war von dem genugthuenden Werth äußerer Werke. Aber das muß uns einleuchten, wie fast unvermeidlich hiedurch die Christen zu einer verderblichen Sicherheit über ihren innern Zustand mußten verleitet werden; und indem sie fast angewiesen wurden in solchen Werken ihre Beruhigung zu finden, die von gar keinem Einfluß auf das innere sein konnten, wie leicht sie mußten von dem rechten Wege der Heiligung abkommen. Darum laßt uns Gott danken, daß wir in unserer evangelischen Kirche gelöst sind von diesem gefährlichen Gebot einer Aufzählung der begangenen Sünden, und daß wir um so mehr zurükkgeführt werden auf den innersten Grund des Herzens. Prüfen wir den fleißig vor Gott, suchen wir ihn immer mehr zu reinigen, und uns, wie es uns vorgehalten wird, wenn wir gemeinsam unsere Sünde bekennen, der Hülfe Christi recht zu getrösten und unser Leben immer mehr Gott zu heiligen: so bedürfen wir | weder eines Bekenntnisses noch
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einer Vergebung einzelner Sünden vor Andern und von Andern, außer insofern wir gegen sie gefehlt haben, sei es unmittelbar oder sei es durch Anstoß und Ärgerniß. Vielmehr haben wir, was Vergebung des einzelnen betrifft, genug daran, wenn nur unser Herz uns streng und rechtschaffen verdammt (1. Joh. 3, 1 9 - 2 1 ) . Denn daran merken wir, daß wir aus der Wahrheit sind, und erfahren zugleich, daß Gott größer ist als unser Herz, und bedürfen keines Menschen weiter um wieder Freudigkeit zu Gott zu haben und unser Herz vor ihm zu stillen. Sind wir aber darin fest geworden, daß sich was unsre Vergebung und unser Heil betrifft, kein Mensch zwischen uns und unsern wahren Hohenpriester stellen darf, und daß wir f ü r keinen Segen, der irgend in Christo ist, noch eines Menschen bedürfen; sind wir fest geworden in dieser rechten Freiheit der Kinder Gottes, daß Jeder f ü r sich und Jeder für Alle freien Zugang hat zu dem unvergänglichen Gnadenstuhl: dann hebt sich auch der Segen in seinem unverfälschten eigenthümlichen Werth um desto herrlicher hervor, der auf einem freien Bekenntniß ruht, welches wir in ein festeres und kräftigeres Herz niederlegen. Und wie genau gehört beides zusammen! Habt ihr euch frei gemacht vom Wahn der Menschensazungen; ist es deutlich zu erkennen, daß ihr euch auf den einen Grund Christum allein erbauen wollt: wie sollte nicht Jeder desto bereitwilliger sein Euch in treuer christlicher Liebe anzufassen, und euer Vertrauen mit Trost und Beistand zu krönen, w o Ihr dessen nur irgend bedürft? Wenn unsere gesellschaftlichen Gewöhnungen auf so vielfältige Weise Menschen trennen, und statt daß das Gemüth sich nur nach eigner Wahl anschließen will oder absondern, mit eiserner Gewalt nach einem ganz andern Maaßstab Menschen zusammenschmieden oder voneinander scheiden, so zeigt sich die einigende K r a f t des christlichen Glaubens nicht stärker als in Verbindungen, die über alle jene Einhegungen hinschreitend nur durch das Vertrauen des Bekenntnisses und durch die Hülfsleistungen des Gebets und der Ermahnung bestehen. Möge dieser Segen des Bekenntnisses sich unter uns immer reichlicher erweisen, und sich so bewähren als die heilsame Frucht jener Befreiung von drükkenden Banden! Möge nun jedes Mitglied unserer Gemeinschaft rechten Fleiß daran wenden, sich entweder mit denen, welche ihm dazu als Diener des Wortes zunächst zugewiesen sind, auf eine solche Weise zu verständigen, daß sie mit Nuzen seiner Seele wahrnehmen können, oder den zu suchen in der Gemeine der Gläubigen, der ihm f ü r sein geistiges Bedürfniß am besten den gemeinsamen und höchsten
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Freund der Seele, der nicht mehr unter uns wandelt, nicht ersezen aber doch vergegenwärtigen kann: dann würde sich kein Schaaf mehr verirren von der Heerde, sondern alle würden in jedem bedenklichen Augenblikk seine Stimme hören und ihr folgen, und so die ganze Gemeine sich immer mehr gestalten zu seinem Wohlgefallen. Amen.
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VII. Vom öffentlichen Dienst am göttlichen Wort. Eph. I V , 11—12. U n d er hat Etliche zu Aposteln gesezt, Etliche aber zu Propheten, Etliche zu Evangelisten, Etliche zu Hirten und Lehrern; daß die Heiligen zugerichtet werden zum Werk des Amts, dadurch der Leib Christi erbauet werde.
M . a. Fr. Das, was wir eben mit einander gesungen haben (Lied 3 1 j) 6 2 , scheint mit diesen Worten des Apostels auf den ersten A n blikk in einem sonderbaren Widerspruch zu stehen. Unser Gesang verkündigt das volle, freudige Bewußtsein des Antheils an dem göttlichen Geist, dessen sich alle Christen erfreuen; das Bewußtsein der seligen Gemeinschaft, zu der sie vereinigt sind unter dem Schirm und der Leitung des göttlichen Wortes, welches in ihnen allen wirksam geworden ist zu einem wahren geistigen Leben. Wenn wir nun Alle in dieser Gemeinschaft stehen, wenn das in uns allen | Wahrheit geworden ist, was wir gesungen haben; wenn w i r uns so unter einander begrüßen, so o f t wir uns sehen, am meisten aber hier, w o wir uns als Glieder dieser Gemeinschaft versammeln: so werden wir z w a r glauben, was der Apostel in den Worten unseres Textes sagt, sei ohne Z w e i f e l eine weise Einrichtung gewesen f ü r jene erste Zeit der christlichen Kirche; daß sie aber auch jezt noch unter uns heilsam oder gar nothwendig sein solle, das scheint sich mit jenem Bewußtsein nicht wohl zu reimen. Wozu Apostel und Propheten, wenn in uns allen schon das göttliche Wort lebt? Wozu Evangelisten, wenn wir uns aus dem geschriebenen Worte Gottes das Leben des Erlösers und sein ganzes heiliges Bild überall vergegenwärtigen können? Wozu Hirten und Lehrer, wenn Alle des göttlichen Geistes theilhaftig und durch denselben von Gott gelehrt sind, wie der H e r r selbst (Joh. 6, 45) uns dieses, als die ganze, volle Herrlichkeit des neuen Bundes darstellt? Aber jenes Bekenntniß, welches am A n f a n g e
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unserer kirchlichen Vereinigung abgelegt worden ist, und mit dem wir uns seit der Jubelfeier desselben immer noch beschäftigt haben, stellt sich auf die Seite des Apostels. Es ordnet an, daß es auch in unserer Kirchengemeinschaft einen regelmäßigen Dienst des göttlichen Wortes, ein A m t der Hirten und Lehrer geben solle, und wer nicht auf die gehörige und ordentliche Weise zu diesem A m t berufen sei, der solle und dürfe auch nicht öffentlich das Wort Gottes auslegen, oder die heiligen Pfänder der Verheißung austheilen. So lasset uns dann, m. a. Fr., heute von diesem öffentlichen D i e n s t a m g ö t t | l i c h e n W o r t mit einander reden, und zwar so daß wir uns z u e r s t überzeugen, wie wohlthätig und heilsam eine solche Ordnung auch jezt noch ist, ohnerachtet wir Alle Theil haben an dem göttlichen Geiste, und deshalb zu einer freien nur auf brüderlicher Gleichheit ruhenden Gemeinschaft verbunden sind. Dann aber wollen wir uns auch z w e i t e n s zu überzeugen suchen, daß als diese Ordnung in jenen Tagen aufs neue für die eben entstehende Kirchengemeinschaft eingerichtet wurde, hinreichende Gründe vorhanden waren, von der Gestalt abzuweichen, welche das A m t der Hirten und Lehrer schon seit langer Zeit in diesen westlichen Gegenden unseres Welttheils angenommen hatte, damit wir uns mit der eigenthümlichen Gestaltung desselben in unserer Kirche um desto besser befreunden. I. Zuerst, m. a. Fr., lasset uns fragen, w e ß h a l b a u c h j e z t n o c h e i n solches ordentliches A m t d e r H i r t e n u n d L e h r e r in unserer Kirche e i n g e s e z t und für nothwendig erklärt i s t . Ich sage ausdrükklich das A m t der Hirten und Lehrer, indem ich dasjenige beseitige, was der Apostel vorher nennt 53 . Der N a m e der Apostel ist in der christlichen Kirche untergegangen nach jenen ersten Tagen derselben. Außer den Zwölfen, denen der Herr selbst wegen ihres innigeren Verhältnisses zu ihm und wegen des ihnen vorzüglich anvertrauten Berufs diesen N a m e n seiner Ausgesandten gegeben, theilten nur noch wenige theils auch auf eine besondere Weise berufene, theils vor allen anderen ausgezeichnete Lehrer und Verkündiger des göttlichen Wortes diesen Namen. Aber diese Wenigen waren noch Zeitgenossen der Apostel, und Keiner hat seitdem gewagt, sich dieselbe Würde | anzumaßen, so daß die Besizer dieses Namens ohne Nachfolger geblieben sind, wie sie ohne Vorgänger waren; denn auch Johannes der Täufer ist desselben nicht theilhaft gewesen. Auf die Apostel nun läßt unser Text die Propheten und
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Evangelisten folgen. Die ersten gab es wol nicht ganz in demselben Sinne wie die alttestamentischen so heißen; nicht nur weil das Weissagen f ü r uns ja viel weniger Bedeutung hat, da wir nicht nach irgend einem Erfolg unsre Handlungen einzurichten haben, sondern auch weil jene sich in großen gemeinsamen Angelegenheiten an das Volk und seine Fürsten wendeten, die Christenheit aber noch aus zerstreuten Häuflein bestand. Aber wol mag man mit diesem Namen solche begabte Christen bezeichnet haben, die, eben so wenig als jene ein bestimmtes Amt bekleidend, ihnen ähnlich waren in Gottbegeisterter Rede, durch welche sie hinrissen zu dem Glauben, daß Jesus der Christ sei und in ihm alle Gottesverheißungen J a und Amen. In diesem Sinne hat es in der Kirche Christi nie an Propheten gefehlt: aber sie gehören nicht zu dem regelmäßigen Dienste des Wortes. Evangelisten endlich sind wol solche genannt worden, welche theils selbst noch als Augenzeugen manches einzelne mit erlebt hatten in dem Leben des Erlösers, theils Gelegenheit gehabt vieles von andern Augenzeugen zu erfahren, und sichs nun zu einem lieblichen und heilsamen Geschäfte machten, dieses aufzubewahren, und dadurch, daß sie dies - auch weniger an einen bestimmten Ort gebunden - hie und da, wo die Verkündigung der Apostel wirksam gewesen war, den Neubekehrten mittheilten, die Lehre der Apostel gar wesentlich unterstüzten, indem ihre Erzählungen den Glauben belebten, und ein bestimmteres | Bild des Erlösers in den Seelen befestigten. Mögen wir nun den späterhin schriftlich verfaßten Erzählungen Solcher zum Theil wenigstens unsere Evangelienbücher verdanken oder auch nicht: so haben wir doch an diesem schriftlichen Schaze genug; denn f ü r hinreichend hat ihn die christliche Kirche, als sie die Sammlung unserer heiligen Schriften beschloß, dadurch erklärt, daß sie viele andere Erzählungen, welche noch vorhanden waren, nicht mit aufnahm. Und möchten wir gern, wie denn die Liebe selten genug hat, noch weit mehr wissen von seinem Leben auf Erden: so müssen wir doch selbst dem Zeugniß des Johannes beistimmen, daß die Welt zu klein wäre f ü r unser Verlangen (Joh. 2 1 , 25. 2 0 , 3 1 ) , und daß wir doch auch an dem vorhandenen genug haben zur Befestigung unseres Glaubens. So gab es denn Apostel nur unter dem ersten Geschlecht der Christen, so verlor sich der Unterschied zwischen Propheten und anderen Lehrern allmählig; so gab es Evangelisten nur bis die Erzählungen aus dem Leben Christi in schriftlicher Fassung zusammengestellt und in den Gemeinen verbreitet waren, so daß sie hernach mit übergehen konnten in die Sammlung
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der Schriften des neuen Bundes. Aber die Hirten und Lehrer, die Aeltesten und Diener, sind seit dem ersten Anfange an zu allen Zeiten geblieben, und so hat dann auch die evangelische Kirche dieses Amt nicht verstören wollen, sondern es in seiner Heilsamkeit anerkannt, und es, um diese sicher zu stellen und zu erhöhen, einer festen Regel und Ordnung unterworfen. Wenn wir nun freilich, wie wir vorher schon gethan, darauf hinsehen, was der Erlöser selbst aus dem alten projphetischen Wort als das unterscheidende Zeichen des neuen Bundes von dem alten darstellt, daß nämlich Keiner werde nöthig haben, daß sein Bruder ihn lehre, sondern daß Alle würden von Gott gelehrt sein (Joh. 6, 4 j ; Jes. J4, 13 u. Jerem. 3 1 , 34): so stellen uns diese Worte ein solches Ziel der Vollkommenheit vor Augen, bei welchem angelangt wir eines solchen besonderen Amtes wol gewiß sollten entbehren können. Wenn nun die evangelische Kirche dessen ungeachtet geglaubt hat, gleich von ihrem Anfange an erklären zu müssen, daß sie diese Ordnung, nur nicht gerade so wie sie damals war, sondern möglichst so wie sie von den Aposteln des Herrn gesezt und ursprünglich in der Kirche eingerichtet gewesen ist, auch unter sich bewahren wolle: hat sie dadurch zugleich erklären wollen, daß ihre Einrichtung auch nur etwas vorübergehendes sei, und nur so lange gut als wir an diesem Ziel noch nicht angelangt sind? M. g. Fr., ich bin weit davon entfernt behaupten zu wollen, daß in unserer kirchlichen Gemeinschaft alles so bleiben werde und müsse, wie es jezt ist. Aber ehe wir zugeben, daß der öffentliche Dienst am göttlichen Wort zu den Mängeln derselben gehöre, laßt uns doch ja die Sache genauer betrachten, ob denn das eine von beiden dem andern irgend Eintrag thut? ob unser evangelisches Lehramt voraussezt, daß nicht Alle von Gott gelehrt sind, oder vielleicht gar umgekehrt? und ob, wenn alle von Gott gelehrt sind, dann für dieses Amt nichts mehr zu thun bleibt, oder ob sich vielleicht auch dieses umgekehrt verhält? Gewiß werden wir finden, m. G., daß sich beides nicht nur sehr wohl mit einander verträgt, son]dern daß, wo die wahre christliche Vollkommenheit sein soll, beides sich mit einander vereinigen muß 54 . Nehmt nur gleich das erste, worauf der Name Lehramt uns hinführt. Unsere Jugend ist freilich in einem gewissen Sinn auch ursprünglich von Gott gelehrt, weil der lebendige Keim der Erkenntniß des Guten und Bösen in ihr ruht, weil auch sie das geistige Auge hat, welchem sich Gott durch seine Werke kund giebt 55 . Aber wie viele Hülfe und Pflege bedürfen diese Keime! Und dem Erlöser muß sie
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doch immer besonders zugeführt werden! Wenn nun Eltern recht von Gott gelehrt sind: wie sorgsam werden sie ihre Kinder vorbereiten! Wie rein und geistig werden sie ihre Kinder vorbereiten! Wie rein und geistig werden sie das Bewußtsein des höchsten Wesens, als der Alles ordnenden, der über Alles waltenden ewigen Liebe in ihren zarten Gemüthern erwekken! wie liebevoll, und doch wie wahr und streng werden sie sie allmählig aufmerksam machen auf alle Theile des menschlichen Verderbens! wie zeitig werden sie ihnen das reine und unbeflekkte Bild des Erlösers vorhalten, auf daß eine zarte Liebe zu ihm im voraus, ehe noch das Bedürfniß seiner H ü l f e ihnen recht lebendig geworden ist, entstehe in ihrem Herzen! Aber wird es nicht hiemit sein, wie mit allem anderen, daß die Eltern selbst nur den ersten Grund legen, hernach aber ihre Kinder Andern zur Lehre hingeben? Lassen ihnen in dieser Beziehung unsere bestehenden Lebensverhältnisse mehr Muße als in anderer? Und giebt es nicht auch hier, wenn doch unsere Jugend selbstständig werden soll in dem Gebrauch des göttlichen Wortes, manches worin Andere ihr reichlicher aushelfen und sie sichrer fördern können als Vater und Mutter? Und dies also ist das erste Geschäft f ü r unser öffent|liches Lehramt. Wir Diener des Wortes treten dann ein, recht so wie der Erlöser sagt, Dieser säet, der andere schneidet. Ich habe euch gesandt zu schneiden, das ihr nicht gearbeitet habt; Andere haben gearbeitet, und ihr seid in ihre Arbeit gekommen (Joh. 4, 37-38). Aber wie auch ihre treuste Vorbereitung nicht unsre Fortsetzung überflüssig macht, indem wir doch, wenn nicht einer ein ganz fauler Knecht ist, sondern auch wir von Gott gelehrt sind, besser im Stande sein müssen sie gehörig zu üben in dem Verständniß der Schrift, und ihnen den ganzen Zusammenhang der göttlichen Ordnung des Heils zu klarem Bewußtsein zu bringen, als auch die treusten selbstdenkenden Eltern es vermögen: so bekennen wir auch gern, daß wenn die Eltern uns nicht als von Gott gelehrt vorgearbeitet haben, oder gar durch ihre Denkungsart und Lebensweise uns im voraus entgegengearbeitet, wir dann zu wenig schaffen können um das Bedürfniß der Erlösung in ihnen zu wekken, und das theure Wort Gottes in ihren Herzen zur Wahrheit machen. Und so erscheint hier beides mit einander. Der gottgelehrten Eltern Arbeit genügt nicht, wenn wir nicht in ihre Arbeit kommen, und unsre Arbeit fördert nicht, wenn sie nicht als von Gott gelehrte uns mit ihrer Wirksamkeit vorangegangen sind. Ist nun dieses Geschäft so vollendet, wie es unter Gottes Segen immer sein sollte, wenn wir unsere Jugend in die Gemeinschaft der
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Christen aufnehmen, wiewol freilich zu wünschen wäre, daß dies im Allgemeinen in einem etwas reiferen Alter geschähe, als es die äußeren Umstände | nicht selten dringend verlangen, dann sollte die Jugend auch von Gott gelehrt sein. Denn was wir Gutes an ihnen geschafft haben, ist doch nicht unser Werk, sondern das Werk des göttlichen Geistes an ihnen. Kein Bruder soll sie dann weiter lehren müssen, wenn sie in dem Verständniß des göttlichen Wortes nach der rechten Art und Weise unterrichtet worden sind, und es ihnen nun zum freien gewissenhaften Gebrauch übergeben ist. Denn sie haben nun ihren Lehrer in sich; und mit Recht können wir von ihnen fordern, daß sie das Bewußtsein der seligen Gemeinschaft, zu welcher wir mit einander verbunden sind, in sich lebendig erhalten, und in dem Geist dieser Gemeinschaft auch ihr ganzes Leben in seinen mannigfaltigen äußerlichen Verhältnissen ordnen und behandeln sollten. Wenn wir uns aber fragen, ob wir wohl erwarten dürfen, daß sie alle dies leisten werden, auch wenn ihnen jede weitere Anleitung jede kräftige Anfassung versagt ist: so wird uns doch bange werden für sie, wenn sie sollten ganz für sich allein auf dieses oft so tobende und so stürmische Meer des Lebens hinausgesezt werden; wenn es ihnen ganz überlassen sein sollte, so oft es ihnen noth thut, selbst und für sich allein zu dem Worte des Herrn zurükkzukehren, um neue Kräfte des geistigen Lebens zu sammeln. Aber auch wir Anderen, die wir reifere Glieder der Gemeine sind, fühlen wir nicht alle das natürliche Bedürfniß der Mittheilung? Liegt es nicht in der Natur des Menschen, daß er sich aussprechen muß vor Andern, und über das wichtigste am meisten? Wenn wir auch die vollkommenste Gewißheit hätten von unserer ungestörten sich immer schöner erneuernden Gemeinschaft mit dem Erlöser, | ja wenn wir auch, was so natürlich damit zusammenhängt, zu mancherlei gemeinsamen Thaten und Werken der Gottseligkeit mit Andern verbunden wären: würden wir nicht doch noch immer eine bedeutende Lükke empfinden? J a auch in dem Worte, in der lebendigen Rede, wollen wir uns dessen, was in unser Aller Herzen lebt, zu unserer Freude bewußt werden, und fühlen uns dadurch inniger vereint, und zu unserm gemeinsamen Ziele gefördert. Aber ist Jeder gleich geschikkt, das, was wirklich Allen eignet, auszusprechen? und können Alle so gewekkt und gebildet werden zur Fertigkeit in zusammenhängender Mittheilung durch die Rede, daß jeder in dieser großen Gemeine sich es könnte zumuthen öffentlich aufzutreten, um seine Erfahrung vom christlichen Leben, seine Ansicht bald von die-
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sem bald von jenem Stükke des Glaubens, auf eine Allen lehrreiche und heilsame Weise mitzutheilen? Im Gespräch freilich verständigt sich wol Jeder einigermaßen über das, was ihn eben bewegt: aber wie wenig zusammenhängendes und ineinander greifendes nur kann dieses darbieten! Wie vielen Mißverständnissen ist auch dieses ausgesezt, wieviel Streit erregt es immer, so daß deshalb solche vertraute Kreise sich auch gewöhnlich bald aufs neue theilen und in kleinere zerfallen. So entstehen dann aus selbstgefälliger Verschmähung jenes öffentlichen Amtes, indem sie glauben reicher zu werden durch das vertraute Gespräch mit Gleichgesinnten, diejenigen, welche wir tadelnd als Separatisten, als Ausscheidlinge bezeichnen. Aber gesezt auch dieses Zerfallen wäre nicht nothwendig, und vertraute Kreise, die sich zu frommen Gesprächen vereinigen, könnten sich auf lange Zeit in Ruhe und Frieden erhalten: könnte es uns wol genügen, wenn | die Verbindung die sich auf unsern Glauben bezieht, nur in einer solchen Menge von kleinen wenig zahlreichen Gemeinschaften sich gestaltete, während wir in Beziehung auf das bürgerliche Leben in einer Gemeinschaft von Millionen stehen? Und wiederum, sollte in größeren Gemeinen ohne Ordnung und Auftrag jeder sich mittheilen, weil und wann er selbst sich am geschikktesten dazu hält: wie leicht könnte das eine Quelle von Streit und Eifersucht werden, wie sie es auch ehedem schon gewesen ist; und wie schwer würde es nicht zu vermeiden sein, daß Gott nicht als ein Gott der Unordnung erschiene in den Gemeinen ( i . K o r . 14, 33)? Darum, wo eine solche Ungleichheit ist unter den Gemeingliedern, wie sie bei uns besteht: da muß, damit eine größere Gemeinschaft sich erhalten könne, dieses hochwichtige ja unentbehrliche Geschäft der öffentlichen christlichen Rede mit allem was daran hängt, nur Einigen übertragen sein und auf bestimmte Weise geordnet. Deshalb, m. g. Fr., haben wir große Ursache dem Himmel zu danken, daß diese Ordnung in unserer evangelischen Kirche gleich von Anfang an aufgestellt wurde. Denn wie viele Zeiten einer größeren geistigen Aufregung sind nicht seitdem schon vorübergegangen; und in keiner hat es an solchen gefehlt, welche diese Einrichtung verschmähten, und darauf sich stüzend, daß Jeder von Gott gelehrt sein sollte, die Gemeine so gestalten wollten, daß Jeder der zu ihr gehört sie auch sollte öffentlich erbauen können. Das aber kommt daher, weil in solchen Zeiten auch die wahrhaft geistig bewegten doch nicht ohne Selbstgefälligkeit ihjren Zustand beschauen; und in solcher Stimmung überfliegt nur gar zu leicht das menschliche Herz
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das gehörige Maaß. Haben sich nun von Zeit zu Zeit von solcher Eitelkeit verführt, einzelne Häuflein von der großen Gemeinschaft gesondert: so blieb doch in dieser das natürliche Verhältniß fest, zu welchem sich Jeder zu jeder Zeit wieder zurecht finden konnte. Und darum w a r es ein preiswürdiges Werk des göttlichen Geistes, die Gemüther der ersten Ordner unserer Gemeinschaft zu einer solchen Besonnenheit zu erheben, daß sie diesen stürmischen Anläufen vorbauten, und die gute ursprüngliche Ordnung festhielten, welche Einige zu Hirten und Lehrern bestellt, und zwar ohne daß der Werth dieses Amtes deshalb überschäzt wurde. Denn auch der Apostel, wenn er in den Worten, die wir vorher in unserer heutigen Sonntagsepistel vernommen haben, von diesem Amte der Hirten und Lehrer sagt - denn er redet zwar von sich und von den Aposteln, aber doch nur in Beziehung auf dieses Amt der Lehre, wie es Eins und dasselbe ist f ü r Alle — wenn er von diesem sagt, es sei ein Amt, welches den Geist austheilt (2. Kor. 3, 8): so meint er dies allerdings so, wie er sich anderwärts äußert, der Glaube kommt aus der Predigt und der Geist kommt aus dem Glauben; die Predigt aber geht nur von denen aus, welche des Geistes theilhaftig sind, und ist das Werk des Geistes, welcher also selbst sich mittheilt und verbreitet durch das Wort. Aber ihr werdet wohl gemerkt haben, daß er dies keineswegs so sagt, als sollte das Wort den Geist denen mittheilen, welche schon Glieder der Gemeine waren, denn von diesen wußte | er, daß sie den Geist schon empfangen hatten: sondern er vergleicht nur hier den neuen Bund mit dem alten; das Amt, das den Geist mittheilt und belebt mit jenem Amte des Priesterthums im alten Bunde, welches durch den Buchstaben tödtet, und welches weil es nur Verdammniß predigt, indem daß es die Sünde nur zur Erkenntniß bringt, sich auch nicht konnte im Leben erhalten, sondern aufhören mußte. Auch er also hat eben so wenig als die Gründer unserer Gemeinschaft einen solchen Unterschied aufrichten wollen, als ob die, welche zu diesem Amte berufen wären, gleichsam Eigenthümer wären und Besizer des Geistes f ü r sich allein, die andern Christen hingegen ihn nur empfingen durch sie. Nein! sondern wer Christum einen Herrn nennt, ihn also wahrhaft bekennet, in dem lebt auch der Geist Gottes, weil Keiner dies thun kann als nur durch den heiligen Geist. Darum wenn wir mit einander uns versammeln, die wir Alle schon Christum bekennen, so wird der Geist nicht erst ausgetheilt durch das Wort. Aber wie er nicht in Allen, in welchen er lebt, dieselben Gaben wirkt, sondern andere in Anderen: so ist
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nun dies die Gabe, um derentwillen Einige zu Hirten und Lehrern gesezt werden in der Gemeine, daß sie das Zeugniß des Geistes, wie es sich in den Worten der Apostel und der älteren Lehrer kund gegeben, aufs neue lebendig machen und in den Gemüthern der Christen die Freude daran, daß sie Kinder Gottes sind, in den Stunden der Ruhe und der Sonderung von den Geschäften des äußeren Lebens zu einer neuen Verklärung bringen, eben so aber auch aussprechen öffentlich und einzeln, wo der heilige Geist ist betrübt worden, und dann die Traurigkeit wirken, welche keinen gereuet. | II. Aber nun lasset uns, m. g. Fr., auch zweitens sehen, daß indem die evangelische Kirche bei der Einrichtung des öffentlichen Lehramtes durch das Wort des Apostels geleitet wurde, daß Gott nicht sei ein Gott der Unordnung, sondern ein Gott der Ordnung und des Friedens in der Gemeine der Heiligen, doch zugleich hinreichende Ursache vorhanden war von der Art und Weise, wie dieses Amt damals in der Kirche bestand, gänzlich abzuweichen. Es ist wol eben so wenig nothwendig als es mir auch rathsam erscheinen würde, m. a. Fr., Euch ausführlich zu erinnern an die den Meisten ja doch bekannten großen Mißbräuche, an das mannigfaltige öffentliche und häusliche Unheil, welches die frühere unrichtige Gestaltung dieses heiligen Amtes in der christlichen Kirche hervorgebracht hat; Verwirrungen und Verderbnisse, durch welche die Welt zerrissen worden war, alle Grundsäulen des öffentlichen Wohls und der gesezlichen Ordnung zerstört, alle Gewissen auf der einen Seite verwirrt, und auf der andern unter tyrannische Gewalt gebeugt, Verwirrungen, welche diejenigen mit dem tiefsten Schmerz erfüllen mußten, welche die Gemeine Gottes gern wieder in ihrer ursprünglichen Gestalt darstellen wollten, so daß sie auch eine große Veränderung, deren schnelle Verbreitung leicht mancherlei bedenkliches herbeiführen konnte, doch nicht scheuten, um nur dieses Übel sobald als möglich an der Wurzel anzugreifen. Aber sie fanden dazu aucli kräftigen Beistand an der heiligen Schrift. Denn es ist sonderbar und merkwürdig, daß diejenigen, welche an der Spize jener großen Abstufung von Leitern und Hirten der Heerde standen, sich Nachfolger des Apostels Petrus nannten, und daß sich gerade in den Worten eben dieses ] Apostels ganz deutlich das Gegentheil von dem darstellt, was damals allgemein in der Kirche galt; und daß also grade bei ihm der Grund nachgewiesen werden kann zu derjenigen Gestaltung dieses Amtes, welche sich in der evangelischen Kirche überall geltend
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gemacht hat. So nämlich sagt Petrus in seinem ersten Briefe, Die Ältesten ermahne ich als ihr Mitältester - w o er sie also sich gleichstellt und nicht etwa von ihnen und zu ihnen redet als solchen, die ein untergeordnetes Geschäft führen, und über denen er stände - also er verkündigt ihnen als Mitältester, daß sie die Heerde weiden sollen nicht um Gewinnes willen, sondern von Herzensgrunde, und nicht über das Volk herrschen, sondern Vorbilder sein der Heerde (i. Petr. j , 1-3) 5 6 . Wohlan, auf eine zwiefache Weise stand die damalige Gestaltung des geistlichen Amtes in Widerspruch mit diesen Worten des Apostels. Einmal war eine Herrschaft über die Gewissen des Volkes daraus zubereitet, wovon wir schon neulich mit einander gehandelt haben, weil nämlich den Hirten und Lehrern alle Christen ihre Sünden bekennen mußten, und von ihnen die Anweisung empfangen, was sie zu thun hatten um zum Frieden der Vergebung zu gelangen. D a gab es kein eignes heilsames Verkehr der Christen mit dem Worte Gottes. Ja, so waren die Gewissen von diesen Banden umstrikkt, daß ihnen auch zugemuthet werden konnte, was dem göttlichen Wort am meisten zuwider läuft, daß die Unterthanen entbunden wurden von der Treue, die sie der Obrigkeit geschworen hatten. Da gab es auch keine freie Wirksamkeit der Liebe in dem schönen Kreise des häuslichen Lebens, denn überall waren die | selbigen als Richter und Leiter auch in dieses stille Heiligthum des häuslichen Lebens eingedrungen, so daß nichts geschehen durfte, als was ihnen genehm war, und alles geschehen mußte, was sie verlangten. Auf der andern Seite war es eben diesem Stande der Seelsorger unmöglich gemacht das zu werden, was sie doch sein sollten, nämlich Vorbilder der Heerde; indem er in ganz andere Verhältnisse gestellt war als die Glieder der Gemeinden, und aus der natürlichen Ordnung des menschlichen Lebens ganz hinausgerükkt. Wer möchte demohnerachtet behaupten, daß diese Verunstaltungen in allen Gliedern des kirchlichen Lehrstandes den guten Geist des Christenthums unterdrükkt hätten! Nein, immer gab es viele würdige Geistliche, welche durch die treuste und strengste Uebung aller Tugenden, wozu ihnen die Gelegenheit nicht abgeschnitten war, doch so verehrte Vorbilder ihrer Heerde wurden, daß ihr Rath und Zuspruch nun leicht das fehlende ergänzen konnte. Und eben so gewiß hat es immer Viele gegeben, welche die Heerde geweidet nach der Anweisung des göttlichen Wortes ohne Nebenabsichten und weltliche Zwekke, und welche keinen Mißbrauch gemacht von der gefährlichen ihnen über-
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tragenen Herrschaft über die Gewissen. Aber weil doch auch Viele nicht stark genug waren diesen Versuchungen zu widerstehen, und nicht weit genug vorgeschritten in der Heiligung, um troz der gänzlichen Verschiedenheit der Verhältnisse doch erregende und Ehrfurcht gebietende Vorbilder zu sein für ihre Heerden; und weil kein Grund war zu hoffen, daß es sich von selbst in Zukunft besser stelle: so war es nothwendig das Uebel bei der Wurzel anzugreifen. Und hieraus, m. g. Fr., ist nun zuerst das gegenwärtige Verhältniß der Seelsorger zu ihren Gemeinden in unserer | Kirche entstanden. Denn ist nun auf der einen Seite das einzelne Bekenntniß der Sünde erlassen, so daß auf das allgemeine einem jeden die Gewißheit der göttlichen Vergebung verkündigt wird, ohne daß der Seelsorger etwas aufzulegen oder anzuordnen hätte, woraus wieder eine Herrschaft über das Volk hervorgehen könnte: so geben auf der andern Seite die Seelsorger selbst den jungen Christen, nachdem sie sie unterrichtet, das Wort Gottes in die Hände und legen es ihnen ans Herz, daß sie selbst daraus die Regeln ihres Lebens entnehmen, und an dem Lichte, welches überall darin von Christo ausstrahlt sich selbst sollen prüfen und erkennen lernen. Wie genau hängt nun nicht damit zusammen, daß sie die so ausgerüsteten Christen nicht als Unmündige behandeln, sondern Achtung hegen vor deren eignem Urtheil; und daß sie deshalb zwar Jedem bereit sind zu Rath und That nach bester Einsicht, aber daß sie in das häusliche Leben ihrer Gemeinglieder keine Einmischung ausüben, als welche entweder von den Einzelnen selbst gewünscht wird, oder als öffentlich durch die Ordnung, welche die Gemeine sich selbst gegeben, bestimmt ist. - Zu eben dem Zwekk sind sie nun auch zweitens auf eine andere Art unter Aufsicht gestellt 57 . Einmal in allen Dingen, welche nicht ihr Amt betreffen, stehn sie überall mit allen Andern unter denselben Gesezen und derselben Obrigkeit, und können nun auch in diesem Gehorsam Vorbilder sein der Heerde. Die heilsame Aufsicht aber über ihre Amtsführung, welche hindert, daß die Hirten nicht selbst wie Schaafe in der Irre gehen, ist in unsern Gemeinden auf eine zwiefache Weise geordnet; die eine überwiegt in einigen die andere in anderen Gegenden der Kirche, und so nimmt | auch jede hie und da dies und jenes von der andern an. Bei beiden und bei allen ihren Vermischungen, wie sie sich hie und da gestalten, befinden sich unsere Gemeinden wohl; und so mögen immer die in der einen Verfassung leben, sich auch des Wohlseins der Anderen freuen, und überall gern auffassen, wo sie etwas finden, das zur Verbesserung ihres eignen
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Zustandes dienen kann. Was für eine wohlthätige Sache ist es doch überhaupt in allen menschlichen Dingen um ein wachendes Auge! Wie ist doch der am meisten zu beklagen, dem viel obliegt, und der für alles die Verantwortung allein auf sich hat! Wie unrecht haben die, welche solche Einrichtungen immer nur ansehen, als wären sie aus Mißtrauen und Argwohn entstanden, da sie doch ein solches Werk der Liebe sind, und eine so heilsame Vereinigung der Kräfte, wie alles was vom Geiste Gottes in der christlichen Kirche ausgeht. Der Hauptunterschied aber hierin ist dieser. Als zu jener Zeit diejenigen, die nach der damaligen Weise Aufseher waren oder Bischöfe, sich jeder Verbesserung entzogen, und also Andere mußten zur Aufsicht bestellt werden: da ist dies in einigen Gegenden so geschehen, daß die Hirten und Lehrer selbst in Verbindung mit der Gemeine oder deren Ältesten diejenigen wählten unter sich, welche in einem bestimmten Kreise der Kirche für eine gewisse Zeit diese Aufsicht führen sollten. So blieben also die Lehrer in dieser Beziehung einander gleich, wie der Herr selbst es geordnet hatte für seine Apostel, daß sie alle unter einander sollten Brüder sein, und keiner des andern Meister. Denn diese beaufsichtende Amtsführung währte nur eine gewisse Zeit, und Jeder konnte so gut dazu berufen werden, wie der Andere. Die andere | Ordnung bildete sich vorzüglich da, wo der größte Theil eines deutschen Landestheiles und der Beherrscher desselben gleichfalls dem evangelischen Glauben angehörten, so nämlich daß dann der Fürst die Aufsicht ordnete über das Amt der Hirten und Lehrer. Müssen wir uns nicht freuen, daß das so hervorging aus dem gegenseitigen herzlichen Vertrauen zwischen Fürst und Volk, wenn sie gleichen Kampf zu bestehen hatten gegen alte Verderbnisse, und gleiche Freude empfanden an einer reineren Gemeinschaft? und daß es sich für Alle so leicht verstand, der Mitgenosse der neuen Gemeinschaft, wenn er auch schon das weltliche Regiment führe, werde deshalb nicht auch geistig über das Volk herrschen wollen, sondern als der wahre Vertreter seiner Landesgemeine von Solchen und auf solche Weise Aufsicht über das Amt der Lehrer halten lassen, wie sie es selbst nur aufs beste hätte ordnen können? Auf beiderlei Weise aber, auf diese und auf jene, war nun dafür gesorgt, daß nicht eine Herrschaft über die Gewissen die weltliche Gewalt unter die geistliche bringen könne, so daß desto ruhiger und sicherer auf dem Wege der Belehrung und durch den freien Gebrauch des göttlichen Wortes das Evangelium seine Macht beweisen kann auch in denen, die das weltliche Regiment haben. Wieviel Unheil auf
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diese Weise sclion unter uns ist verhütet worden, was sonst nicht würde ausgeblieben sein, das kann niemand übersehen. Aber große Ursache haben wir Gott zu danken, daß diese Gefahr nun f ü r immer abgelenkt ist, und daß unsere kirchlichen Ordnungen jede Verbesserung aufnehmen können, welche der Zustand unsrer Gemeinschaft fordern kann. Das dritte endlich was geändert worden ist, ist dieses, | daß die Diener des göttlichen Wortes unter uns von dem Verbot befreit worden sind, welches sie von dem ehelichen Glükk und der Vollständigkeit des häuslichen Lebens ausschloß. Ich weiß, m. Gel., daß ich nicht nöthig habe, vor Euch mancherlei erst widerlegend zu beleuchten, was zu Gunsten jenes Verbotes ist gesagt worden, wie ich denn auch vielerlei üble Folgen übergehe, die demselben zugeschrieben worden sind, sei es mit mehr oder weniger Recht. N u r dabei laßt uns stehen bleiben, daß das ein gar großes Hinderniß war f ü r die Hirten und Lehrer, theils in dem Theil ihres Berufes, daß sie sollten Vorbilder der Heerde sein, theils auch in dem andern, was wir als ein Hauptstükk dieses Amtes ansehn, nämlich in der wirksamen Predigt des Evangeliums. Denn vergeblich würde man, was das erste betrifft sagen, es mache wenig Unterschied, ob die Diener des Wortes auch ein häusliches Leben hätten oder nicht, da sie ja doch nicht den Gliedern ihrer Gemeine ein unmittelbares Vorbild sein könnten in den so sehr weit auseinander gehenden Gebieten ihres Berufes in der Gesellschaft. Was sind doch diese Verschiedenheiten geringfügig! nichts als verschiedene Anwendungen o f t nur derselben Gaben; aber wenn auch verschiedener: so ist doch dabei das Gottgefällige, worin einer dem andern Vorbild sein kann, nur die Treue der Haushaltung mit dem Anvertrauten, und darin kann der Diener des Wortes gar wol ein gutes Vorbild sein f ü r alle Glieder seiner Gemeine, von welcher A r t ihr Beruf auch sei. Aber zeigt sich nicht die ganze K r a f t der Gottseligkeit in einem vollständigen häuslichen Leben und den Verhältnissen die sich daran knüpfen? Waltet hier nicht die Liebe in allen ihren Gestalten? | als der Ernst und die Strenge, welche das Ganze zusammenhält, als die Geduld, welche den Schwachen trägt, als die Sanftmuth, welche jede Anstekkung leidenschaftlicher A u f regungen fern hält, als die Freundlichkeit, welche den Müden erquikkt, als die Hofnung, welche den Gedrükkten erhebt, als das herzliche Vertrauen, welches Alle immer wieder zusammenbindet. Und vorzüglich überlegt auch noch dieses. Worauf gründet sich die Stärke eines großen Gemeinwesens, als auf die Hausväter die mit
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den Ihrigen fest gewurzelt sind in seinem Boden? Wo erzeugt sich die Liebe zum Vaterlande, als in dieser festen Ordnung des häuslichen Lebens? Und wo anders her erwarteten wol die Leiter der menschlichen Dinge ein neues Geschlecht bürgerlicher Tugenden und geistiger Kräfte? Darum ist es audi ein so natürliches Gefühl, daß diejenigen, die sich fern halten von eigner Häuslichkeit, und gleichsam loser stehen auf dem Boden, leichter sowol einem gemeinsamen Ungemach sich durch die Flucht entziehen, als auch sich mit fremdem verwikkeln und ihre Befriedigung darin finden können. Darum, wenn es auch gewiß viele treue Seelsorger gab, die mit rühmlichem Beispiel ihrer Heerde vorangingen, so weit ihr engbeschränkter Lebenskreis es zuließ: so konnten sie doch von den Erweisungen der Gottseligkeit im häuslichen Leben und in den bürgerlichen Verhältnissen immer nur in trokknen Worten reden, die wenig Eindrukk machen, weil sie nämlich keine begleitenden Werke zu zeigen hatten, welche auf ihre Worte ein helleres Licht werfen konnten, weil jeder wußte, daß ihre Zuspräche nicht auf eigner Erfahrung ruhte, welche Geist und Leben hätte hineinbringen können. Deshalb hing auch dies beides so natürlich zusammen, daß es wieder eine wesentliche Bestimmung des geistlichen Amtes wurde; die Christen aus dem Worte Gottes zu belehren über das christliche Leben, und es ihnen unter allen schwierigen und bedenklichen Umständen zuzurichten und zur Hand zu geben, daß es ihrem Fuß eine Leuchte sein kann auf einem Wege voller Anstoß und voll von mancherlei Hindernissen, dieses sage ich hing auf das natürlichste damit zusammen, daß nun auch den Mitgliedern des Lehrstandes der Eintritt in die natürlichen Verhältnisse des häuslichen Lebens wieder mußte eröffnet, und eben damit auch eine eigne lebendige Theilnahme an den großen Angelegenheiten des bürgerlichen Lebens in ihnen wieder erwekkt werden mußte. Denn nur zu oft hatten sie freilich bald mit mehr bald mit weniger Grund gestritten gegen diejenigen, in deren Händen die weltliche Gewalt war; aber das Wort Gottes recht auszutheilen zwischen denen, welche zu gebieten und denen welche zu gehorchen hatten, dazu mußte ihnen sowol die rechte innere Aufforderung fehlen, als auch die rechte Weisheit des Lebens, die sie nicht Gelegenheit gehabt hatten, sich zu erwerben, wenngleich eben jener Streit um die Herrschaft sie nur zu sehr mit der Klugheit dieser Welt befreundet hatte. Aber nicht nur um der Lehre willen war diese Wiederherstellung nothwendig, sondern eben so heilsam auch in Beziehung auf das Vorbild. Denn außer den eigentlichen Verrich-
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tungen des Amtes, in denen freilich die Reinheit und Vollkommenheit der Gesinnung zur Erbauung Anderer sich beweisen kann, konnten die Seelsorger immer nur Vorbilder werden in der Ausübung der einzelnen und zerstreuten vorkommenden Pflichten, die sich auf vorübergehende Verhältnisse eines Einzelnen zu einem andern beziehen; denn ein zusammenhängendes Leben und feste Verhältnisse hatten sie außerhalb ihres Amtes nicht. Was konnte daraus anders entstehen, als - wie es auch die Erfahrung sattsam bewiesen hat — eine ganz falsche Schäzung der Bestandtheile des menschlichen Lebens. Denn was ist natürlicher, als daß Christen diejenigen Erweisungen christlicher Gottseligkeit f ü r die wichtigsten halten, wozu ihr Seelsorger am meisten die Zeit und K r ä f t e anwendet, welche ihm von seinem Amt übrig bleiben, ohne daß ihnen das immer gehörig gegenwärtig wäre, daß er sich an diese halten muß, weil die andern ihm verschlossen sind. Daher eben wurden so sehr die Werke der zerstreuten Wohlthätigkeit an Einzelnen überschäzt; ohnerachtet sie um desto leichter wirklich Schaden stiften und die zwekkmäßige Anwendung menschlicher K r ä f t e hindern, je mehr ein so großer Werth darauf gelegt wird. Hingegen wurden die Pflichten des Hausstandes und des Bürgerthums theils nur als eine Sache der Noth angesehen, die f ü r die größere Heiligkeit jenes Standes zu geringfügig wäre, theils wurden sie aus demselben Grunde dafür angesehen, daß Jeder dabei mehr auf das seine sehen dürfe, und weniger verbunden sei das zu suchen, was des Anderen ist. Darum, auf welches von beiden wir auch sehen, müssen wir diese Veränderung segnen, und die Kirche, wenn sie gleich auch hieraus kein n o t wendiges Stükk gemacht hat, erwartet deshalb auch von Jedem, der in diesen Beruf eintritt, daß er sich dieser wieder errungenen Freiheit auch gebrauche. Und wem zum größeren Segen wird das wol geschehen, als Jedem selbst. Gewiß ist es schon eine große Sache, daß wir soviel Antriebe | haben zur Beschäftigung mit dem Worte Gottes in unserm stillen Kämmerlein: aber wieviel mangelhafter müßte doch das Verständniß desselben sein, wenn wir nicht Alle, ich will nicht sagen Vorbilder der Heerde wirklich wären, aber doch die Richtung hätten es von allen Seiten zu werden, und theilnähmen an Allem, worin sich die rechte K r a f t des christlichen Lebens offenbaren soll; wenn wir nicht auch im Verlauf eines reichhaltigen Lebens unser Theil erhielten an den mannigfachen Sorgen und Schmerzen, welche die Andern auf der Bahn des Lebens finden! Welch ein trokkenes, wie wenig aus dem inneren Leben hervorgehendes, und also auch
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wenig uns selbst erquikkliches oder Andere ergreifendes Geschäft könnte es sein, von dieser Stätte zu den Christen davon zu reden, wie die K r a f t des Glaubens uns überall aufrecht halten und leiten soll, wenn uns selbst das meiste fremd wäre! Nein, nicht in einer Ungleichheit zwischen dem Hirten und der Heerde, die man erst künstlich hervorrufen muß, liegt die K r a f t seines Berufs, sondern in der Gleichheit, welche beide mit einander vereinigt, daß sie dieselben Pflichten erfüllen sollen, daß sie denselben Versuchen widerstehen sollen, daß sie an dieselbe Ordnung des Lebens gebunden sind, daß sie von demselben mit leiden und durch dasselbe mit erfreut werden. Oder wer möchte sich wol herausnehmen, wenn er in dieser Hinsicht eben so zu den Ausnahmen gehörte, wie der A p o stel Paulus, doch eben so wie dieser von sich zu sagen, daß er mit ungeschwächter Theilnahme alle Lebensverhältnisse seiner Mitchristen umfaßt, wie Paulus sich in jenen herrlichen Worten ausspricht, daß er angelaufen werde täglich und Sorge trüge f ü r alle Gemeinen. Wo, spricht er, ist einer | schwach, und ich werde nicht mit schwach! w o w i r d Einer geärgert und ich brenne nicht (2. K o r . 1 1 , 28—29)? U n d das uns freuen mit den Fröhlichen und weinen mit den Weinenden, worin sich doch so sehr die wohlthätige K r a f t christlicher Liebe nicht nur zum Trost und zur Erquikkung Anderer, sondern auch zur seligen Bereicherung des eignen Lebens erweist: wie weit werden w i r darin hinter Andern zurükkbleiben, wenn das meiste, was sie am innersten bewegt uns ganz fremd bleiben müßte? U n d wenn, damit ich alles zusammenfasse, dieses A m t der Hirten und Lehrer eingesezt ist, daß die Heiligen zugerichtet werden sollen zum Werk der Dienstleistung, zur Erbauung des Leibes Christi bis wir Alle gelangen zur Einigkeit des Glaubens und der Erkenntniß des Sohnes Gottes (Eph. 4, 1 2 - 1 3 ) : wie können wir zweifeln, daß wenn das Ende dieses Geschäftes sein soll, daß Ihr und wir zu der gleichen Vollkommenheit gelangen sollen, da wir uns ja nicht anmaßen, dieselbe schon mitzubringen zu diesem Amt, dann auch der ganze Verlauf unseres Geschäftes nichts anderes sein kann, als ein gemeinsames Wachsthum in der Heiligung, w i r durch Euch und Ihr durch uns. Aber wie soll uns das Wachsthum in der Heiligung kommen, wenn nicht von daher, daß wir uns redlich bemühen alle uns mitgetheilte Gaben getreulich zu gebrauchen zu eurer Förderung, und daß sie uns durch den Gebrauch erhöht werden nach der Regel unsers Herrn, Wer da hat dem w i r d gegeben? U n d wie können w i r zu einer Förderung wirksam sein, wenn wir nicht wissen wessen Ihr
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bedürft? aber wie können wir das wissen, als nur wenn Ihr euch uns mit herzlichem Vertrauen hingebt? Und worauf anders kann dieses Vertrauen ruhen, als wenn Ihr voraussezen könnt, daß uns nichts menschliches fremd ist? Darum ist nur unter dieser Voraussezung alles unter uns auch auf solche Weise gemein, daß selbst das, was die Diener des göttlichen Wortes jeder seiner Gemeine leisten, eben so sehr das Werk der Gemeine ist als das ihrige. Und diese Weise ist doch die rechte, wenn ja auch wir nicht etwa außerhalb des Leibes Christi stehen, welcher erbaut werden soll, sondern auch Glieder desselben sind, und kein Glied des andern entbehren kann. Wieviel haben wir nun nicht in dieser Hinsicht gewonnen durch die Zurükkführung der ganzen Weise unseres Dienstes zu der ursprünglichen Einfalt! Wie gern entbehren wir sowol den Schein größerer Heiligkeit, der nur aus der Absonderung von den gewöhnlichen menschlichen Verhältnissen entstehen konnte, als auch das strengere gebietende Ansehen, welches aus der Herrschaft über die Gewissen hervorging! Denn so wie dies Amt jezt unter uns besteht68, ist dieses beides, was anfänglich einander zu widersprechen schien, nur Eins und dasselbe, daß der Herr gesezt hat Einige zu Hirten und Lehrern, und daß doch Alle von Gott gelehrt sind, daß der Leib des Herrn erbauet wird durch den Dienst Einzelner, und daß doch diese nichts vermögen ohne die Mitwirkung derer, zu deren Dienst sie gesezt sind. Denn sie vermögen freilich alles durch den, der sie mächtig macht; aber eben er, der die Seinigen zusammenbinden will zu einer solchen Einigkeit des Geistes, macht sie nicht anders stark und mächtig als durch das Vertrauen und die Liebe ihrer Brüder. So ist denn alles so gemein, wie der Apostel es meint, wenn er die Christen warnt, sie | sollten sich nach keinem Menschen nennen, und auf keinen Menschen halten. Denn, sagt er, Alles ist euer. Nicht nur euer, weil es zu eurem Besten da ist, und weil ihr Freiheit habt Gebrauch davon zu machen für euch nach eurer besten Uberzeugung; sondern es ist auch von Euch her, wie jedes Gliedes Kraft und gute Verrichtung aus der Lebenseinheit und dem Zusammenwirken aller anderen hervorgeht. Das bleibe in unserer evangelischen Kirche immer anerkannt, und die erstarrende Trennung, die sonst obwaltete, aufgehoben. Und so möge diese selige Gemeinschaft des Leibes Christi sich immer mehr verklären auch durch den treuen Dienst der Hirten und Lehrer! mögen diese immer mehr durch die ermunternde Liebe der Gemeinen gestärkt die Kirche fördern! mögen sie immer mehr das große Amt, das ihnen aufgetragen ist, auch zur Reinigung
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des Lebens und der Lehre verwalten! möge sich so in seliger Gemeinschaft der Leib des Herrn immer mehr erbauen, und in inniger Verbindung bleiben mit dem Haupte, das ihn allein beleben und regieren kann. Amen.
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VIII. Von dem Verdammen Andersgläubiger in unserm Bekenntniß. Luc. V I ,
37. Richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet, verdammet nicht, so
werdet ihr auch nicht verdammet.
M. a. Fr. Wir haben seit dem großen gemeinsamen Fest, das wir mit der ganzen deutschen evangelischen Kirche feierlich begingen, eine Reihe von unsern Betrachtungen dazu verwendet, das Große und Wesentliche in jenem Bekenntnisse, welches damals die Vorgänger in diesem unserm erleuchteten und gereinigten Glauben abgelegt haben, uns aufs neue zu vergegenwärtigen, und uns der ganzen Zustimmung unsrer Herzen dazu bewußt zu werden. Daraus wollte ich aber, wie ich auch gleich anfangs sagte, keineswegs gefolgert haben, daß wir etwa jenes Werk ansehen sollten, wie jedes andere menschliche Werk; sondern nur eben so, daß es auch seine Mängel und Gebrechen hat, und ebenfalls einen | Beweis davon giebt, daß alles Menschliche immer noch übrig läßt der Wirksamkeit des göttlichen Geistes in der Gemeinde des Herrn von dem guten zum besseren, von dem reinen zu dem noch mehr geläuterten und vollkommneren vorzuschreiten 58 . Darum schien es mir nun nothwendig, damit wir das rechte Gleichgewicht auch in dieser Hinsicht beobachten, nun noch auf der andern Seite aufmerksam zu machen auf einiges von dem mangelhaften und unvollkommnen, das jenem Werke anhängt. Wir finden nun gleich am Anfang desselben, daß die damaligen Verbesserer unseres kirchlichen Lebens sich zu einer Menge von Bestimmungen der christlichen Lehre unbedingt bekannten, welche aus längst vergangenen Jahrhunderten herrühren, und daß sie zu gleicher
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Zeit, wie es damals auch geschehen war, alle diejenigen, welche damit nicht übereinstimmten, laut und öffentlich verdammten. Sehet da, m. g. Fr.! hiergegen erklärt sich nun eben so deutlich als bestimmt das Wort unsers Erlösers, das ich in dieser besondern Beziehung zum Gegenstande unserer Betrachtung gewählt habe60. Es wird wol niemand daran zweifeln, daß eben deswegen, weil hier von dem Verhalten eines Jüngers Jesu zu andern Menschen, also auch gegen die andern welche denselben Herrn bekennen, die Rede ist, die Warnung vor dem Richten und Verdammen eben so sehr gehe auf das, was wir als irrig in den Vorstellungen und Meinungen eines Andern ansehen, als auf das, was wir für verkehrt halten müssen in der Führung seines Lebens und in seinen darin sich offenbarenden Gesinnungen. Wie nun also der Erlöser auf ganz allgemeine Weise sagt, Richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet; verdammet nicht, so | werdet nicht verdammet: so können wir wohl nicht anders als wünschen, daß jene erleuchteten Männer Gottes; jene auserwählten Werkzeuge in der großen Sache des Evangeliums sich von diesem Richten und Verdammen auch hätten frei gehalten; und wir müssen uns selbst mahnen, ihnen darin nicht nachzufolgen, sondern was sie noch von den Mängeln der früheren Zeit theilten, durch den Beistand des göttlichen Geistes von uns zu entfernen. Um nun dieses, d a ß wir Andersgläubige61 nicht verdammen sollen, uns allen eben so klar und gewiß zu machen, wie es mir selbst ist in meinem Innern: so laßt mich euch e r s t l i c h darauf aufmerksam machen, wie wenig hinreichenden Grund jene Männer hatten, allen solchen früheren Bestimmungen der Lehre, wie sie sie vorfanden, beizupflichten; dann aber z w e i t e n s , wie sehr sie dennoch Ursache hatten, wenn sie auch dem Allen mit voller Überzeugung beigestimmt hätten, doch sich an dieses Wort des Erlösers zu erinnern und sich des Verdammens zu enthalten. I. Indem ich mich nun, m. g. Fr., zu dem ersten Theile unserer Betrachtung wende, um darauf aufmerksam zu machen, w i e w e n i g ein hinreichender G r u n d vorhanden war, alle h e r g e b r a c h t e n B e s t i m m u n g e n d e r L e h r e und alle Ausdrükke aus längst vergangenen Jahrhunderten aufs neue und ohne weitere Prüfung i n d a s n e u e B e k e n n t n i ß des Glaubens a u f z u n e h m e n : so ist es keineswegs meine Meinung, euch auf den Inhalt aller jener Bestimmungen im einzelnen hinzuweisen. Denn darauf kommt es hierbei in der That gar nicht an, sondern | nur auf
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die Art, wie sie in der christlichen Kirche waren aufgestellt worden, welche Art aber jenen ersten Bekennern unsers Glaubens aus der Geschichte der Kirche ganz wohl und genau bekannt war 6 2 . Zuerst nämlich waren fast ohne alle Ausnahme alle jene Bestimmungen der Lehre, welche sie sich beeilten wieder aufzunehmen, aus einem heftigen und leidenschaftlich geführten Streite hervorgegangen. Muß nun nicht einem Jeden, wenn wir auch nur hierbei stehen bleiben wollen, sein gesundes und richtiges Gefühl deutlich genug sagen, es sei wohl schwerlich im voraus anzunehmen, daß die Wahrheit sich auf eine solche Weise Bahn gemacht, und daß sie auf diesem Wege habe in ihr richtiges Licht gesezt werden können. Es ist vielleicht nicht das erstemal, m. g. Fr., aber das schadet nicht, wenn es auch schon in derselben Beziehung geschehen wäre, daß ich euch an eine Erzählung aus den Zeiten des alten Bundes erinnere ( i . Kön. 19, 11-13), wo ein Mann Gottes ein Gebot erhielt, daß er vor den Herrn treten sollte auf einem Berge. Und er stieg hinauf, und siehe ein Sturmwind zerriß die Berge und spaltete die Felsen, aber er spürte nicht, daß der Herr in dem Sturm sei oder in dem Erdbeben, welches folgte. Dann ward ihm die Erscheinung eines heftigen Feuers; aber er fand auch in dem Feuer nicht den Herrn. Aber als er ein stilles sanftes Säuseln vernahm: da spürte er in dem lieblichen Wehen, in dem freundlich belebenden Hauche die Nähe des Herrn. So, m. g. Fr., ist es auch mit der Wahrheit in der christlichen Kirche. Wer sie sucht, was sucht er anders in ihr als den Herrn? was sieht er als den Preis seiner Bestrebungen an, als daß sich ihm eben | der Ewige, und die Verwandtschaft mit demselben, deren wir in unserm Geist und Gemüth inne werden, anschaulicher offenbare? Aber wie dort der Herr nicht im Feuer kam noch im Sturme - und womit wollen wir das Zusammenstoßen aufgeregter Gemüther, womit das Aufbrausen eines leidenschaftlichen Eifers besser vergleichen, als mit Sturm und Erdbeben und Feuerflammen? - so offenbart er sich auch den Menschen in diesen Zuständen nicht als die ewige Wahrheit 83 . J e genauer man nun die Geschichte jener Zeit der christlichen Kirche kennt, um desto mehr findet man überall diese Aufgeregtheit der Gemüther, diesen leidenschaftlichen hitzigen Eifer; und wir dürfen, was daraus hervorgegangen ist, eben so wenig als ewige Wahrheit ansehen, als wir solche Zustände selbst für das Werk des Geistes Gottes halten. Doch Ihr fragt vielleicht, Soll es keinen Eifer geben für das Haus des Herrn? Ist uns der Erlöser nicht darin vorangegangen mit seinem Beispiele, so daß auch seine
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Jünger sich nicht enthalten konnten eben jenes W o r t des alten Bundes auf ihn anzuwenden, der Eifer um das Haus des Herrn hat ihn verzehrt? Ihn freilich hat sein Eifer nicht verzehrt (Joh. 2, 17); der Erlöser blieb immer sich selbst gleich, immer derjenige, der den Frieden bringen wollte, wenn er gleich wohl wußte, d a ß er o f t nicht anders könne als das Schwert bringen; immer derjenige, der wie auch die Menschen sich gegen ihn betrugen, in ungeschwächter K r a f t aus seinem Innern heraus das Wesen und Wirken Gottes, den G l a n z des ewigen Lichts und die Macht der ewigen Liebe offenbarte. A b e r uns kann und darf w o l der Eifer um das Haus des Herrn | gewissermaßen verzehren. Ja wenn w i r sehen, daß die, welche in Liebe und Treue im gemeinsamen Glauben mit einander verbunden sein und bleiben sollten, sich unter einander, wie der Apostel sagt, beißen und verzehren (Gal. J, IJ): dann kann w o l eine innerlich verzehrende Trauer das Gemüth des wahren Christen ergreifen; da ja keiner von uns so in sich selbst gegründet ist wie der Erlöser, und jeder krankhafte Zustand in seiner Gemeine auch auf uns nachtheiligen Einfluß ausüben muß in dem M a a ß , als w i r nicht im Stande sind ihn zu heilen. A b e r wenn der Eifer des Herrn in jenem Augenblikk, worauf die Jünger jenes W o r t der Schrift anwandten in T h a t ausbrach: so waren es doch nicht Irrende, gegen welche er sich kehrte, sondern es waren die, welche die Richtung der Gemüther auf Gott in jenem besondern Heiligthum des Herrn, auf das sie in den Zeiten des alten Bundes vorzugsweise gewiesen waren, durch das Getümmel irdischer Geschäfte zu stören suchten. W o w i r also dasselbige wahrnehmen, w o unsern Brüdern die Erbauung und Stärkung durch die Gemeinschaft mit der Quelle des Heils verkümmert wird und gestört; wenn muthwillig ein Zunder der Z w i e tracht unter diejenigen geworfen wird, die in Friede und Liebe vereint waren um gemeinschaftlich ihre Seligkeit zu fördern, und die Zwietracht entbrennt wirklich: dann soll auch unser Eifer hervorbrechen. A b e r wenn er doch auch hier nicht leidenschaftlich sein darf, w o f e r n er christlich sein will: so darf er sich noch weniger auf leidenschaftliche Weise einmischen, weder in die Untersuchung dessen, was w a h r ist, noch in die Aus|mittelung dessen, was gut ist und gottgefällig. Diese kann nur das W e r k des göttlichen Geistes sein, wenn sie gedeihen soll, und der w i r k t einmal nicht in einem leidenschaftlich bewegten Gemüthe 6 4 . So aber waren jene Bestimmungen der Lehre entstanden, und schon das allein hätte Grund genug sein müssen, ihnen wenigstens in so weit zu mißtrauen, daß
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man nicht diejenigen verdammte, welche dieselben nicht annähmen. - Aber ein Zweites, und eben so bekannt, war dieses, daß jede solche Bestimmung das lezte Ergebniß war von einer zahlreichen Versammlung christlicher Lehrer, w o die verschiedenen und entgegengesezten Meinungen sich gegen einander erklärten. Aber wie kam nun der leztliche Beschluß zu Stande? Wie wurde nun das festgestellt, was hernach als Wahrheit des Glaubens in der Kirche geachtet und verbreitet ward? Nicht dadurch, daß es etwa den Einen gelungen wäre, die Andern zu überzeugen! sondern dadurch, daß sich am Ende die Mehrheit der Stimmen geltend machte, und die Minderheit den Plaz räumen mußte. Wie wenig giebt das überhaupt schon Bürgschaft f ü r die Wahrheit! Aber leider gesellte sich noch ein drittes Übel dazu, daß nämlich gar nicht selten diese Mehrheit dadurch bestimmt wurde, zu welcher Seite sich diejenigen Glieder der Gemeine schlugen, welche die weltliche Macht in Händen hatten. Das zeugt freilich von wenig Muth und Wahrheitsliebe, und noch trauriger ist es, wenn so die Wahrheit auch durch Menschenfurcht und Menschengefälligkeit getrübt wird. Wie leicht konnten grade die edelsten eben schon dadurch abgeschrekkt werden einer Lehre beizupflichten, weil sie sichtlich nur auf einem solchen Wege die Oberhand bekommen hatte! Deshalb nun haben | späterhin 65 jene Männer Gottes, aus deren Eifer und Bekenntniß unsere evangelische Kirche hervorgegangen ist, selbst diesen Saz aufgestellt, daß keine Versammlung von Christen, wie erleuchtet sie auch wären, wie viel Vertrauen man auch haben könnte zu ihrer richtigen Einsicht, befugt sein könne Glaubenslehren aufzustellen durch Mehrheit der Stimmen. Was sollen wir also sagen, als daß sie schon damals widerriefen, was sie hier sezten: Denn waren jene Versammlungen nicht berufen und befugt, durch Mehrheit der Stimmen die christliche Wahrheit festzustellen; so durften auch die ersten Verbesserer der Kirche jene Lehrbestimmungen nicht deswegen annehmen, weil sie Festsezungen solcher Versammlungen waren; und doch haben sie es nur hierauf hin gethan! Sie hatten, seitdem der Herr sie zu dem großen Werke der Verbesserung berief, keine Zeit gehabt sich in eine neue Untersuchung aller jener früher streitig gewesenen Punkte zu vertiefen; sie haben vor Abfassung unseres Bekenntnisses nicht aufs neue, was f ü r die eine und was f ü r die andere Parthei zu sagen oder was vermittelndes aufzustellen gewesen wäre, gegeneinander abgewogen. Sie haben nicht mit der höheren Erleuchtung des Geistes, die ihnen geworden war, aufs neue ge-
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VIII. Von dem Verdammen Andersgläubiger
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forscht in der Schrift, ob das, was diese über den Gegenstand sagt, mit der einen oder der andern Fassung der Lehre besser stimme; oder da sich die Schrift über viele von diesen Lehrpunkten gar nicht ausdrükklich äußert, wie sich diese streitigen Sazungen zu dem gesammten Inhalt unsrer heiligen Schriften verhalten. Daher können wir es ihnen nur als eine wohlgemeinte Bedächtigkeit hingehen lassen, wenn sie nur nicht zu viel auf einmal anregen wollten; wir dürfen uns auch nicht wun|dern, wenn sie im Drang ihrer Arbeiten weder Zweifel bekamen gegen Lehren, die sie von Jugend auf angenommen hatten und gegen die sich nicht zugleich ihr Gewissen regte, noch auch fern liegende Untersuchungen wieder aufnahmen, die nur bei großer Ruhe gedeihen konnten: aber das können wir ihnen nur als eine menschliche Schwäche verzeihen, daß sie, indem sie sich aufs neue zu jenen Lehren bekannten, auch zugleich das Verdammungsurtheil über alle Andersdenkenden wiederholten. Und dies muß uns um so mehr auffallen, als sie ja ihr eignes Werk in ganz entgegengeseztem Sinn einleiteten. Denn als die weltliche Macht jenem theuern Werkzeuge Gottes, unserm Luther 66 drohte, wenn er nicht widerriefe, wolle sie ihn ihre ganze Gewalt fühlen lassen: da zog er sich auf jenes große und herrliche Wort des Apostels zurükk, man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen, und sagte, er könne nicht anders widerrufen, als wenn er widerlegt würde aus heiliger Schrift oder menschlicher Vernunft. Aber jene früheren Andersdenkenden hatten sich nicht für überwunden erkannt durch die Gründe aus der Schrift und Vernunft, deren sich die Mehrheit bediente, und also hätte auch keine Macht geistliche oder weltliche sich herausnehmen sollen, sie auszuschließen oder zu verdammen; und so hätten auch unsere Lehrer dies nicht wiederholen sollen, da sie ja selbst das gute Recht in Anspruch nahmen nicht verdammt zu werden, wenn sie nicht überzeugt waren. Wenn wir nun, m. g. Fr., auf den gegenwärtigen Zustand 67 der Dinge in der christlichen Kirche sehen: so müssen wir freilich sagen, das eine von diesen Übeln scheint verschwunden, aber es scheint nur; das Andere übt noch | immer natürlicher Weise seinen Einfluß aus, und das kann auch nicht anders sein. Ich sage, das eine scheint verschwunden, weil es ja solche Versammlungen der Lehrer der christlichen Kirche zur Bestimmung dessen, was für wahr und recht gehalten werden soll, nicht mehr giebt; und eben zufolge dessen, was späterhin als allgemeiner Grundsaz unserer Kirche ausgesprochen worden ist, auch nicht mehr geben kann. Aber was haben wir
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statt dessen? Vergegenwärtigt euch doch diesen großen für Jeden zugänglichen Kampfplaz der Öffentlichkeit in Rede und Schrift, wo sich alle einander widersprechenden Meinungen vernehmen lassen auch über die Angelegenheiten unseres Glaubens, wo Jeder sich hinstellt seinen Saz zu behaupten, und seine Gegner gleichsam herausfordert. Welches Durcheinandertönen von mißhelligen Stimmen! welche eben so widersprechende begleitende Äußerungen von Beifall und Tadel, welche sich, einen Nachhall bilden nicht immer in dem Verhältniß wie der Anführer sich des Gegenstandes kundig zeigt! Spielen nicht auch hier die Leidenschaften ihre große Rolle? machen sich nicht auch hier unreine und fremdartige Einflüsse geltend, wenn der Eine trefflich versteht durch die Kunst der Rede zu blenden und zu täuschen, und der Andere durch Schüchternheit oder Unbeholfenheit der besten Sache schadet? Und übt nicht doch auch hier die Zahl oder die Stärke der Stimmen ein entscheidendes Übergewicht aus? nur daß freilich die Entscheidung zum Glükk nicht mehr Jahrhunderte lang geltend bleibt, sondern der Kampf sich gar bald wieder erneut! Aber ist es wol möglich, daß innerhalb dieses Strudels etwas könne erbaut werden, was wirklich feststeht? Und doch ruft jede Parthei | ihren Anführern und Bundesgenossen den Sieg zu, und verdammt den Widerpart, indem sie ihm sei es nun den gesunden Verstand abspricht oder den frommen Sinn! Könnte wol denen, welchen es um reinere Einsicht zu thun ist, ein besserer Rath gegeben werden, als fern von diesem Getümmel die Worte des Herrn in der Stille zu erwägen, und Gott um die Erleuchtung seines Geistes zu bitten für ein Herz, welches nur begehrt in Demuth die Wahrheit zu suchen und sich ihrer in Liebe und Frieden zu erfreuen? Kann es für unsere große Gemeine wol eher eine Sicherheit geben, nicht etwa daß sie für das Geheimniß des Glaubens das Wort gefunden habe, worin es ewig kann gebunden und zusammengefaßt bleiben, sondern nur, daß sie einen neuen Gewinn gemacht habe in dem Gebiet der christlichen Wahrheit, als bis diese Stürme sich wieder legen und diese Flammen verlöschen, und man nur das sanfte Säuseln vernimmt von friedfertiger Forschung und freundlichem Gespräch, wie es sein muß, wo Brüder einträchtig bei einander wohnen, und eine und dieselbe gemeinsame Sache jeder an seinem Theil zu fördern begehren, keiner aber dazwischen tritt, der sich selbst und das seinige sudit. Doch, m. g. Fr., was sollen wir erst dazu sagen, daß auch das andere Übel jener früheren Zeiten auch in unserer evangelischen
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Kirche sich von Zeit zu Zeit noch wieder gezeigt hat? Bald ist in solchem Streit der Meinungen gesezliche Bestätigung für die Einen und Verdammung für die Anderen gesucht worden bei der weltlichen Obrigkeit, bald hat sie es sich selbst zugesprochen die Entscheidung zu geben. Unmöglich kann der natürliche Lauf der Dinge fremdartiger gehemmt werden; und niemand kann an einem | solchen Verfahren theilnehmen, der von dem Geist unserer evangelischen Kirche durchdrungen ist. War es nicht von Anfang an ihr ausgesprochener Grundsaz, daß die kirchliche Gemeinschaft sidi alles Einflusses auf die Führung des bürgerlichen Regimentes entschlagen wolle, aber daß auch dieses wiederum dem geistlichen Schwert, nämlich der Verkündigung des göttlichen Wortes solle freien Lauf lassen? Und wie ganz übereinstimmend hiemit ist auch erklärt worden, ohnerachtet der innigsten Uberzeugung von der Allgemeinheit und Größe des menschlichen Verderbens, daß dennoch auch der natürliche Mensch im Stande sei, die bürgerliche Gerechtigkeit zu erfüllen, und also auch den heiligen Pflichten der Obrigkeit zu genügen68, während allerdings eben dieser natürliche das heißt zu der Erleuchtung des göttlichen Geistes noch nicht gelangte Mensch nicht vermöge auch nur im geringsten in den Angelegenheiten des Heils das Wahre zu finden und in der rechten Liebe zu Gott zu wandeln. Ist nun dieses unser Bekenntniß, und soll es auch bleiben: so können wir niemals in Gefahr kommen wegen irgend einer wenn auch noch so großen Verschiedenheit des Glaubens lau zu werden im Gehorsam gegen die Obrigkeit - und wie wichtig ist nicht dieses für unser und unsrer Nachkommen ganzes Leben! - aber eben so wenig können wir ja dann jemals ohne den schreiendsten Widerspruch gegen uns selbst auf den Gedanken kommen, der Obrigkeit als solcher die Entscheidung anheim zu geben in Angelegenheiten des Glaubens und der Lehre. Denn auch die gesegnetste Regierung der weltlichen Dinge enthält ja keine Bürgschaft dafür, daß diejenigen, die am Ruder sizen, sich auch der Erleuchtung des göttlichen Geistes in einem höhe|ren Grade erfreuen. Kann es daher auch unter uns noch solche Christen geben, die von einem nicht sehr verständigen Eifer für die göttliche Wahrheit getrieben in solchem Streit, der nur mit dem göttlichen Wort ausgefochten werden darf, mittelbar oder unmittelbar die weltliche Macht zu Hülfe zu rufen geneigt sind: so wird es ein großer Segen von der näheren Betrachtung unseres Bekenntnisses sein, wenn wir hingegen unsere Uberzeugung befestigen, sollten wir auch gestehen müssen, daß die Verfasser
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unsers Bekenntnisses, wenn wir den Grundsaz in seiner ganzen Strenge nehmen, selbst dagegen gefehlt haben, indem sie sich in ihrer Beipflichtung mancher Lehrbestimmungen auf jene Zusammenkünfte beriefen, deren Entscheidungen immer unter den Einflüssen der weltlichen Macht standen. II. Und nun, m. g. Fr., laßt uns in dem zweiten Theil unserer Betrachtung dem entscheidenden in den Worten unsers Textes näher treten, um, indem wir sie auf unsern heutigen Gegenstand anwenden, uns zu überzeugen, d a ß und in wie fern d i e j e n i g e n , welche Andere verdammen, eben dadurch sich s e l b s t v e r d a m m e n 6 9 . Wir müssen uns aber freilich zuvörderst über den Sinn dieses Wortes einigen, wie der Erlöser es gebraucht, und wie es in den Formeln und Säzen unseres und der älteren Bekenntnisse gemeint gewesen ist. Gewiß wohl nicht allgemein, sondern nur aus Mißverstand von Einzelnen in dem härtesten Sinn, daß denen, die anders dächten und meinten als festgesezt wurde, aller Antheil an dem Heil in Christo, und an der durch ihn erworbenen Seligkeit, hier nicht nur, sondern auch dort sollte abgesprochen werden. Nicht, sage ich, haben es alle | in diesem Sinne gemeint; und wir wollen uns gern an das gelindeste halten, was dabei gedacht werden konnte. Aber dies war gewiß auch nicht allein ein Mißbilligen, sondern es lag immer darin eine Aufhebung der Gemeinschaft. Blieben die Vertheidiger einer Lehre bei derselben, auch nachdem die Mehrzahl einer solchen Versammlung sie verworfen und eine andere aufgestellt hatte: so wurde alle Verbindung mit ihnen abgebrochen; und wenn sie nun nothgedrungen eine Gemeinschaft unter sich stifteten, so wurde diese angesehen als ganz außerhalb der Kirche des Herrn gelegen, in welcher allein der Geist Gottes sich geschäftig erweiset. Allerdings nun hat nicht Jeder ein Recht an die Gemeinschaft der Christen; und der Erlöser selbst, der hier sagt, Verdammet nicht so werdet ihr nicht verdammet, hat uns doch mehrere herrliche und lehrreiche Gleichnisse hinterlassen, die sich eben damit endigen, daß indem die Einen zu dem Mahl des Königs oder in die Freude des Herrn hineingerufen werden als würdige Gäste oder um den Lohn zu empfangen für ihre Treue, Andere im Gegentheil nach derselbigen Regel ausgeschlossen bleiben und hinausgeworfen werden in die Finsterniß; und solches Ausschließen ist allerdings das Verdammen. Wenn wir nun, m. g. Fr., das Herz haben wollen, auch nur in diesem Sinn Andere zu verdammen, deswegen
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weil sie anders lehren als wir: welcher Dünkel liegt denn nicht darin in Beziehung auf uns selbst? Oder wäre das nicht Dünkel, wenn wir uns einbildeten, die Wahrheit so gefunden zu haben, daß wir vollkommen sicher sind, sowol daß kein Anderer uns auf dieselbe Weise auch verdammen könnte, als auch, daß wir durch unser Zusammensein mit denen, die anders meinen, | die wir aber verdammen, nichts mehr gewinnen können, weder indem sie auf uns einwirken, noch indem wir auf sie? Oder hat eine solche Einbildung irgend einen Grund in der Verheißung, die der Erlöser den Seinigen gegeben hat in Beziehung auf die Erkenntniß der Wahrheit? der Geist der Wahrheit, der Tröster, sagt er, der nach mir kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten (Joh. 16, 13). Dieses Leiten nun, m. g. Fr., ist keine plözliche Mittheilung, schließt vielmehr eine fortgehende Thätigkeit nothwendig in sich, und der Erlöser hat nirgend auch nur im entferntesten eine Äußerung gethan, die uns schließen ließe, daß so lange seine Gemeinde hier auf Erden wandelt, jenes Werk des göttlichen Geistes je würde vollendet sein. Nicht nur deshalb, weil immer wieder ein neues Geschlecht geboren wird, welches seiner Anleitung bedarf; sondern auch für keinen Einzelnen kommt eine Zeit, wo er dieser Anleitung entbehren könnte, weil er nämlich im vollen Besiz der Wahrheit f ü r sich allein stände. Verhält es sich nun so, wie können wir besseres wünschen, als daß uns immer Gelegenheit gegeben werde, uns in der Erforschung der Wahrheit fleißig zu üben, und daß wir diese Gelegenheit benuzen? Schließen wir aber die, welche in einigen Stükken anders lehren, als wir, von unserer Gemeinschaft aus: so haben wir zugleich auch unsere Wirksamkeit auf sie aufgegeben. Natürlich beschäftigen wir uns dann auch nicht mehr mit ihnen, und so bleibt uns das größtentheils fremd, was mit ihren Lehren als Grund oder Folgerung zusammenhängt. Welche Übung in der Erforschung der Wahrheit ist es aber nicht | immer, wenn wir die Gedanken Anderer an dem Licht des göttlichen Wortes betrachten! Wieviel Erleuchtung entsteht uns daraus, wenn wir mit dem Blikk der Liebe untersuchen, mit welcher Wahrheit wol der Irrthum unserer Brüder zusammenhängt, um uns selbst diese recht anzueignen und zu befestigen, wie wir ja zumal in der Christenheit immer voraussezen müssen, daß der Irrthum sich nur an das Wahre anhängt. Haben wir aber einmal verdammt: so ist diese Voraussezung aufgehoben, so liegt jenes Werk der Liebe nicht mehr in unserm Kreise. Darum wie solches Verdammen nur von dem Dünkel ausgeht,
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als habe der Geist Gottes sein Werk an uns schon vollendet: so verdammen wir dadurch zugleich uns selbst, weil wir dieses Werk des göttlichen Geistes in unserm Gemüth stören, und ihn der Mittel es in uns weiter zu fördern muthwilliger Weise berauben. Wir verdammen uns selbst; denn wir entziehen uns den heilsamen Wirkungen des göttlichen Lichts in demselben Maaß, als wir uns den Kreis der christlichen Liebe muthwillig verengen, indem wir Andere verdammen. Denn diese beide sind immer neben einander, sie sind für ewige Zeiten auf das genaueste an einander gebunden, das göttliche Licht der Wahrheit und die göttliche Kraft der Liebe. Verhärtet sich das Herz und weicht die Liebe daraus, so erblindet auch das Auge gegen die Wahrheit; denn da alles in der Liebe des Höchsten seinen Grund und Zusammenhang hat, so kann es auch nur durch die Liebe erkannt werden. Verschließen wir das Auge des Geistes gegen die ewige Wahrheit, ja auch nur gegen irgend einen Strahl derselben: so muß auch aus dem falschen Schein, den wir dann erblikken, ir-| gend eine verkehrte Lust entstehen, welche sich auf Unkosten der wahren Liebe nährt, und diese beschränkt und erkältet. Daher erkennen wir denn auch dies als die Folge, die überall aus einem solchen lieblosen Verdammen hervorgegangen ist, daß nämlich der Lauf der Wahrheit durch eben dasselbe ist gehemmt worden, dem doch nichts als Eifer für die Wahrheit zum Grunde zu liegen schien. Denn eben der Buchstabe, den die Verdammenden aufstellten, als ein Zeichen des Heils das ewig gelten sollte und dem niemand widerstreiten dürfe, der mußte nothwendig versteinern, der Geist, der ihm allein Leben giebt, mußte entweichen, weil das Leben nicht mehr gepflegt und unterhalten wurde, und nur das tödtende des Buchstaben konnte zurükkbleiben. Das, m. g. Fr., ist die Verdammniß, in welche unausbleiblich die Verdammten sich selbst stürzen. Solche Gewaltsamkeit zerstört das geheimnißvolle Band zwischen dem Geist, der nur recht lebendig machen kann durch den Buchstaben, und dem Buchstaben, der nur dann nicht tödtet, wenn er nichts sein will als die Hülle dieses Geistes. So ist es denn auch geworden in den Fällen, von welchen hier die Rede ist. Schlagt das gefeierte Bekenntniß unserer Kirche auf und leset alle die Sazungen und Formeln, neben welchen ihr dieses findet, daß die anders lehrenden verdammt werden. Der Buchstabe, der dort aufgestellt wurde, ist noch vielen unserer Christen heilig; aber der eigentliche Sinn derselben kann sich immer nur denen aufschließen, welche sich die alten Geschichten jener Streitigkeiten zu vergegenwärtigen wis-
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sen. Auf welchen engen Kreis ist also der Werth dieses Buchstaben beschränkt! und wie wenig unmittelbar hängt dieser geschichtliche Werth mit unserer | christlichen Frömmigkeit zusammen! Alle andern Christen aber, wie heilig ihnen auch jener Buchstabe sei: mit wie geringer Theilnahme lesen sie ihn! Und wie natürlich ist dies auch, da ja, wenn wir in unsern Versammlungen oder auch unter uns die Liebe Gottes in Christo preisen und uns der Herrlichkeit des eingebornen Sohnes freuen, von diesen Ausdrükken und Formeln doch kein Gebrauch jemals gemacht wird. Der Buchstabe also, der in solchem Triumph aufgestellt worden ist, was ist er anders als ein todter für die große Gemeine? Ja auch diejenigen, welche bewandert sind in den feineren Unterscheidungen der Lehre, finden ihn nicht mehr tauglich um ihre eigenen Lehrverschiedenheiten daran zu messen. Wäre aber nicht verdammt worden: so wäre auch der Buchstabe nicht starr geworden, auf dem jezt solche Finsterniß lagert, der Gedanke hätte sein Kleid wechseln können nach dem Bedürfniß, wie ja auch sonst die Sprache wechselt, und der Buchstabe wäre dann immer die klar durchsichtige Helle des Geistes geblieben, und hätte nicht soviel von unserm christlichen Leben in seinen Tod mit hineingezogen. Das ist der Unsegen des Verdammens, der sich in jedem ähnlichen Falle immer wieder erneuern wird. Und die um einen so nachtheiligen Erfolg herbeizuführen sich durch Verdammen den Kreis ihrer Liebe und Wirksamkeit verengen: wie sollten sie nicht nach dem Wort des Herrn in unserm Text sich selbst verdammen? Wenn doch der Erlöser in seinem Gleichniß den verwirft, welcher sein Pfund vergraben hatte statt damit zu erwerben: wie wollen sie sich vertheidigen gegen die Anklage, daß ihnen ein großes Gebiet von Gemeinschaft anvertraut gewesen, und daß sie es, nicht etwa wie jener unvermehrt zwar aber doch | unversehrt, sondern gar verringert und zerbrochen hinterlassen haben? Wie gegen die, daß ihnen ein freudiger Gang christlicher Forschung überliefert worden; aber weit entfernt davon ihn seinem guten Ende näher zu bringen, sei es nun durch Ubereinstimmung Aller oder durch friedlichen Vertrag bis auf weiteres über das, worüber man sich jezt noch nicht einigen kann, hätten sie ihn vielmehr auf rohe und gewaltsame Weise abgebrochen. Und dieser Vorwurf trifft allerdings nicht nur diejenigen, welche in leidenschaftlichem Eifer zuerst solche Verdammungen aussprechen, sondern auch die Urheber unseres Bekenntnisses, welche sie übereilter Weise wiederholt haben. Denn dadurch haben sie im Voraus verhindert, daß nicht neues Gespräch und neue
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Untersuchung über diese Gegenstände in der evangelischen Kirche entstehen konnte, und haben also das innere Leben derselben gehemmt. Und indem sie diejenigen, die sich doch in ihrem Gewissen gegen jene Bestimmungen gebunden fühlten, schon im voraus von der Gemeinschaft der evangelischen Kirche trennten: so haben sie auch den Umfang derselben zu unserm nicht geringen Schaden beschränkt. Denn wir sind nun von gar vielen wahren und frommen Christen, die uns fördern konnten, wie wir auch sie, um solcher einzelnen Lehrbestimmungen willen ganz geschieden70. So lasset uns denn, m. g. Fr., die wir auch selbst noch in mancherlei ähnlichen Streit gestellt sind, wenn es auch unter uns eine große Verschiedenheit der Lehrmeinungen giebt, hiedurch gewarnt ein Beispiel nehmen und uns hüten vor einem solchen Verdammen, wodurch wir uns selbst verdammen; lasset uns recht zu Herzen nehmen, daß es, in Beziehung darauf mit wem wir in Gemeinschaft ste|hen sollen oder nicht, bei allen Bestimmungen über die Lehre uns genau genommen nur wenig auf den Inhalt ankommen kann. Denn das wissen wir doch, daß kein menschlicher Buchstabe die ewige Wahrheit erschöpft und ganz umfaßt; aber auch das wissen wir, daß, was aus guter Gesinnung doch gefehlt worden ist, am sichersten in der brüderlichen Gemeinschaft gebessert werden kann. Darum nun muß uns alles vielmehr darauf ankommen, woher unsern Mitchristen ihre Lehrmeinungen kommen, und wohin sie sie führen. Viele von denen, die damals verdammt wurden von jenen allgemeinen Versammlungen der Kirche, und deren Verdammung durch unser Bekenntniß wiederholt wurde, begehrten doch nichts anderes als Gott zu verherrlichen und ihre Ausdrükke so zu stellen, wie ihnen die Verherrlichung Christi am reinsten mit der Verherrlichung Gottes zusammenklang. Und solche müssen ja immer empfänglich bleiben f ü r freundliche Belehrung derer, die eben so gesinnt sind. Besteht unter Gleichgesinnten einmal eine solche Verschiedenheit der Meinung, daß der Eine Unrecht haben muß, wenn der Andere recht hat: so liegt die Sache auch allemal so, daß der Eine mit seiner Meinung vereinigen kann, was der Andere mit derselben nicht zu vereinigen weiß. Sehen wir nur, daß es Einem von Herzen geht, Christum einen Herrn zu nennen in der That und Wahrheit, was nach dem Wort des Apostels nur geschehen kann durch den Geist Gottes; und was er sagt, erscheint uns falsch: so müssen wir ja voraussezen, er wisse seine Darstellung mit seiner frommen Gesinnung zu vereinigen, und so lange er diese Voraus-
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sezung durch seine Beharrlichkeit in christlicher Frömmigkeit rechtfertigt, haben wir keine Ursache unsere Gemeinschaft mit | ihm abzubrechen, wegen dessen, was doch höchstens eine Schwäche seines Verstandes sein kann. Aber freilich, wenn Einer davon ausgeht oder seine Säze ihn selbst dahin bringen, daß er die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes nicht ertragen, sondern ihn allen Andern gleichstellen will, also auch möglicher Weise Andere über ihn hinaussezen: nun der freilich rechnet sich selbst nicht mehr zu uns, sofern wir eine Gemeinschaft von Christen bilden. Aber soweit er sich noch mit uns einlassen will, haben wir nicht Ursach ihm zu wehren; ja es muß uns lieb sein, wenn auch ein solcher sich nicht ganz von uns trennt, weil wir ihn dann noch anfassen und einen wohlthätigen Einfluß auf ihn üben können. Und eben so wenn einen seine Säze dahin führen, daß er den Glauben der Christen auf Leichtsinn zieht, und statt des Ernstes der Heiligung vielmehr dem Fleisch Raum giebt: dann freilich werden wir ihm widerstehen müssen, und wohl Acht haben, daß ein solcher, der gar nicht dem selbigen Ziele zustrebt, dem wir, nicht Andere verführe mit seiner falschen Weisheit. Aber eben dieser Widerstand kann ihm zur Züchtigung gereichen und also auch zur Besserung, wenn er in unserer Gemeinschaft bleibt; und darum wäre es auch nur eine unbrüderliche Trägheit, wenn wir ihn aus unserer Zucht entlassen wollten. Wie viel weniger also noch werden wir einen Grund zum Verdammen finden, wenn Behauptungen, die uns unverständlich sind oder mißfällig, doch Andere dahin führen, daß sie fest an dem Herrn und seinem Bekenntniß halten, wenn sie sie an nichts hindern, was zur christlichen Gottseligkeit gehört, vielmehr sie selbst ihnen das Zeugnis einer reinigenden und stärkenden Einwirkung geben. Nein, wie wenig uns auch solche Lehren | begründet erscheinen in dem Wort Gottes, auf welches sie sich doch berufen: immer haben doch solche Christen denselben Geist empfangen wie wir, immer streben sie ja zu demselben Ziele wie wir; wie sollten wir einen Mitknecht verdammen wollen, von dem wir hoffen dürften, daß sein Herr ihn immer werde wachend finden? wie sollten wir nicht gern mit ihm zu der Gemeinschaft der Lehre und der Untersuchung der Liebe und des Gebetes verbunden bleiben? Wenn wir die menschlichen oft so willkührlichen und wenig begründeten Trennungen in den Angelegenheiten des Heils aus diesem Gesichtspunkte betrachten: wie wahr werden wir dann das Wort des Erlösers finden, daß wer andere verdammt, sich selbst
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verdammt! wie wahr werden wir es finden, was er sagt gerade in dieser Beziehung, wer nur nicht wider ihn ist, wer nicht ohne ihn sein Heil suchen will sondern mit ihm und durch ihn, der ist auch für ihn! und wie gern werden wir dann alle die so gesinnt sind pflegen mit Liebe und Treue, und mit ihnen gemeinsam die Wahrheit suchen. Das war aber auch der innerste Geist derer, die Gott der Herr zur Verbesserung der Kirche berufen hatte; es waren nur vorübergehende Mängel, Verirrungen in Bezug auf das, worauf sie nicht hinreichende Aufmerksamkeit hatten wenden können, was sie in dieses Richten, in dieses Verdammen hineinführte. Wir mögen sie entschuldigen; aber wir dürfen ihnen nicht folgen. Wir können es ihnen vergeben, daß sie sich nicht gleich von Allem losmachen konnten, was das Werk einer so langen Zeit war; aber wir müssen nicht überschäzen, was das Werk menschlicher Unvollkommenheit und Schwäche war. Und dazu haben sie uns selbst das Recht gegeben; sie haben | keinen auf ihr Wort verpflichten wollen, sie haben nur das Werk des Herrn gesucht, und das lasset uns mit ihnen suchen und uns nur da zu ihnen gesellen, wohin sie von dem Geist der Gemeinschaft geführt sind. Aber haben sie etwas gethan, wodurch das Band der Liebe gelöst, und das Ganze zerspaltet und getheilt wurde: so kann doch darin nur menschliche Schwäche und Irrthum vorgewaltet haben, wovon wir immer mehr suchen müssen uns zu reinigen. Darum Wahrheit mit einander suchen in Liebe, ohne Störung des Friedens dem Heil entgegengehen, und das Wort des Herrn unter einander reichlich austheilen, damit es sich Allen immer deutlicher offenbare, das sei das schöne Werk der Gemeinschaft, zu der wir mit einander verbunden sind durch den Gnadenruf unsers Gottes und Heilandes. Amen.
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IX. Daß wir nichts vom Zorne Gottes zu lehren haben. 2 Cor. V , 17. 18. Darum ist Jemand in Christo, so ist er eine neue Creatur; das A l t e ist vergangen, siehe es ist Alles neu geworden, aber das Alles von Gott, der uns mit ihm selber versöhnet hat durch Jesum Christum und das A m t gegeben, das die Versöhnung predigt.
M . a. Fr. Es ist bei unserer heutigen Betrachtung nicht eigentlich mein Z w e k k uns in den ganzen reichen Inhalt dieser W o r t e des Apostels z u vertiefen; obgleich freilich so w i e er uns allen bekannt und eigen sein m u ß auf der einen Seite, so doch auf der andern er nie a u f h ö r e n k a n n der Gegenstand unserer beständigen V e r t i e f u n g im Geiste und unseres Lobes und Preises gegen G o t t z u sein. Ich habe vielmehr im Zusammenhange mit demjenigen, w o m i t | w i r uns seit einer Reihe dieser V o r t r ä g e beschäftigt haben nur eure A u f merksamkeit überhaupt darauf lenken wollen, w i e der A p o s t e l das Christenthum beschreibt als das A m t , welches die Versöhnung predigt und z w a r die v o n G o t t in Christo gestiftete Versöhnung, um nicht sich mit der W e l t , sondern die W e l t mit sich zu versöhnen, wie das ja so deutlich ist in den folgenden W o r t e n , w o der A p o s t e l hinzuf ü g t , G o t t w a r in C h r i s t o und versöhnte die W e l t mit ihm selber, noch einmal wiederholend w a s er schon gesagt hatte, d a ß A l l e s dieses v o n G o t t ausgehe, der uns mit ihm selber versöhnet hat durch Jesum C h r i s t u m 7 1 . N u n , m. a. Fr., gehört z u denjenigen U n v o l l kommenheiten unseres Glaubensbekenntnisses, w e s w e g e n ich nicht gerade wünschte, d a ß w i r es gleichsam aufs N e u e seinem ganzen wörtlichen Inhalt nach als unser eignes annähmen und bestätigten, auch dieses, d a ß darin noch viel z u viel die Rede ist v o n einem Z o r n e Gottes, w a s sich doch mit dieser v o m A p o s t e l selbst uns gegebenen Darstellung des Christenthums gar nicht verträgt, sondern mit
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derselben in offenbaren Widerspruch steht. Daher möchte ich dieses zum Gegenstand unserer heutigen Betrachtung machen, d a ß w i r g a r k e i n e V e r a n l a s s u n g h a b e n und gar keine Anweisung d i e s e V o r s t e l l u n g v o n e i n e m Z o r n e G o t t e s als in dem Christenthum begründet, als ein wesentliches Stükk unseres Glaubens, a l s eine eigenthümliche Lehre a u f z u s t e l l e n ; vielmehr, daß je mehr wir unsere und anderer Aufmerksamkeit darauf hinlenken, wir uns um so weiter von dem wahren Geist des Christenthums entfernen. Lasset uns zu dem Ende z u e r s t sehen, wie wir in dem Berufe, den uns der Apostel vorhält, nämlich alle zu die|sem Amte, das die Versöhnung predigt, zu gehören und darin zu arbeiten, gar keine Veranlassung finden können, von einem Zorne Gottes zu reden. Dann aber z w e i t e n s , wie in der That je mehr wir uns selbst und Andere damit beschäftigen, wir auch gewiß sind uns um so weiter von dem wahren Geiste des Christenthums zu entfernen. I. Wenn wir nun zuerst uns überzeugen wollen, daß wir durchaus keine Veranlassung haben den Zorn Gottes den Menschen vorzuhalten, und daß Christen auf keine Weise durch irgend eine Lehre die vom Zorne Gottes handelt gefördert werden können: so müssen wir uns vor allen Dingen daran erinnern, daß der Erlöser selbst dieses niemals gethan hat, daß es kein einziges uns von ihm aufbehaltenes Wort giebt, worin von dem Zorn Gottes die Rede wäre. Allerdings finden wir eines und anderes, was man dahin ziehen könnte wol hie und da in seinen Reden, und so auch in unserm heutigen Sonntagsevangelium (20. Sonntag p. Trin. Matth. 22, 1 - 1 4 ) , und ich habe eben deswegen lieber dieses zu unserer heutigen Vorlesung erwählt. Der Erlöser freilich sagt, Als der König den sah, der kein hochzeitliches Kleid anhatte, ward er zornig und sprach zu ihm, Wie bist du hinein gekommen? Aber es wird uns auch allen aus dieser Vorlesung erinnerlich sein, wie diese Gleichnißrede des Herrn ganz besonders und vor anderen ähnlichen reich ist an mancherlei Ausschmükkungen, ich meine an solchen Ausdrükken, die nicht zu der Lehre gehören, die er uns geben, nicht zu den Gedanken, die er mittheilen wollte; sondern nur zur Anschaulichkeit des Bildes, in welches er seine Lehre und Gedanken eingekleidet und verwebt hatte, gehört das, wenn er sagte, | Der König wurde zornig. Aber dasjenige was diesen Zorn veranlaßte und daraus hervorging, das sollte als der eigentliche Mittelpunkt seiner Rede wohl beherzigt
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IX. Vom Zorne Gottes
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werden - wie er auch selbst darauf hindeutet, wenn er am Ende derselben sagt, Viele sind berufen aber wenige sind auserwählt dieses nämlich, daß einer sich äußerlich schon da befinden kann, wo die Gaben der Milde des Königs gespendet werden, aber doch von der wahren Theilnahme daran hinweggewiesen werden dahin, wo von dem Allen nichts zu finden ist, wenn er nämlich nicht das hochzeitliche Kleid anhat. Wollen wir aber, was er von dem Zorne des Königs sagt, buchstäblich auf Gott übertragen: so müssen wir auch alles Andere, was hier vorkommt, daß der König seine Heere ausgeschikkt und viele Städte zerstört habe, eben so auf ihn anwenden. Nun ist freilich nicht zu leugnen, in den Schriften der Apostel, und eben auch des Apostels Paulus, der uns in den Worten unseres Textes das Christenthum darstellt als das Amt der Versöhnung, ist an mehreren Stellen vom Zorne Gottes die Rede. Lasset uns aber nicht übersehen, wie dies damit zusammenhängt, daß die Apostel zu solchen redeten, welche entweder unmittelbar dem Volk des alten Bundes angehörten, oder wenigstens durch ihre wenn auch entferntere Gemeinschaft mit demselben zu der Erkenntniß des Christenthums gelangt waren. In dem alten Bunde nun wissen wir, daß gar viel die Rede ist von dem Eifer und dem Zorne Gottes; das Gesez und die Propheten sind voll von Vorstellungen dieses Eifers und Zorns, und von Drohungen, welche davon ausgehen. Aber davon sagt der Apostel in den Worten unseres Textes; Wer in Christo ist, der ist eine neue Creatur; das Alte ist | vergangen, es ist Alles neu geworden. Und zu diesem Alten, das vergangen ist für alle diejenigen, die in Christo eine neue Creatur geworden sind, gehört vor allen Dingen jede solche Vorstellung von einem Zorne Gottes 72 . Damit aber hängt es genau betrachtet so zusammen, daß dies zu den Mitteln gehört, deren sich Gott bei dem damaligen Zustand der Welt und des menschlichen Geschlechts bedienen mußte. Es giebt einen natürlichen Zusammenhang, und die Menschen haben ihn von jeher von einer gewissen Seite betrachtet richtig, aber doch auch wieder gar leicht zu mancherlei Schaden aufgefaßt, nämlich die Verbindung zwischen der Sünde, das heißt dem was Gott mißfällt und den Übeln des menschlichen Lebens, d. h. dem was den Menschen mißfällig ist. Diesen hat Gott zu einem Übergang gebraucht, damit sie von dem was Gott mißfällig ist, durch eine beständige Furcht vor dem, was ihnen selbst mißfällig ist, wenigstens äußerlich abgehalten würden. So war nun das eine gewöhnliche Vorstellung des alten Bundes, daß alles Übel Folge der Sünden sei, daß Jeder jedes
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Übel, das ihn trifft, abzuleiten habe aus einer begangenen Sünde; daß der Mensch bei jeder Sünde im voraus denken solle an die Übel, die sie nach sich ziehen werde, um schon von dem ersten Augenblikk an kräftig gewarnt und für die Zukunft abgehalten zu werden von dem Bösen. Aber womit, m. Fr., hängt dieses genau genommen zusammen? Damit, was der Apostel selbst sagt, und auch der Erlöser öfter andeutet, daß das Gesez nur vermochte die Erkenntniß der Sünde zu geben, aber nicht die Kraft sie zu überwinden. Sollte also die Gewalt der Lüste und Begierden und alles dessen, was aus der Selbstsucht des | Menschen hervorgeht, nicht das ganze menschliche Leben zerstören: so mußte von außen dagegen gewirkt werden, und das geschah nun durch die Einsezung der eben deshalb das Gesez begleitenden und seine Ohnmacht ergänzenden Androhung von Strafen. Aber hiervon sagt ebenfalls der Erlöser selbst13, der neue Bund, den er aufzurichten, festzustellen und zu besiegeln gekommen sei, bestehe darin, daß das Gesez des Herrn nicht mehr äußerlich den Menschen vorgeschrieben werde, nicht auf Stein, nicht auf Tafeln, nicht in Buchstaben, sondern daß es in ihr Herz und in ihren Sinn geschrieben sei, d. h. daß sie innerlich eine Kraft haben, welche sie von dem Bösen zurükkhält und zum Guten treibt, das Alles aber, wie der Apostel sagt, von Gott, der in Christo war uns mit Gott zu versöhnen, nicht aus uns selbst, sondern durch den, der uns Christum gegeben hat als die Quelle des geistigen Lebens. Seitdem wir den aber haben, und wenn er in uns lebt, so daß der Wille Gottes der unsrige ist, wie er der seinige war, ist alles Alte vergangen, und wir haben nicht nöthig eines Zornes Gottes zu gedenken um uns abzuhalten von der Sünde. O! wie viel herrlicher finden wir die Abhaltung von der Sünde in dem neuen Bunde und in dem Erlöser selbst! Das wissen wir, daß er unsere Sünden geopfert hat an seinem Leib am Kreuz. So wir nun die Sünde wieder herrschen lassen in unserm Leben: so verachten wir dieses Opfer und machen es für uns vergeblich. Das wissen wir, daß wir in der Taufe begraben sind in seinen Tod dem alten Menschen nach um mit ihm aufzustehen zu einem neuen Leben. Aber so wir der Sünde leben, kreuzigen wir den Herrn aufs neue, indem wir den Lüsten und Begierden, | die er ans Kreuz getragen hat, und denen wir mit ihm sterben sollen, eine Gewalt einräumen in unserm Leben74. Da brauchen wir also nichts anderes als die Liebe zu Christo, und das Andenken an ihn, der uns mit Gott versöhnet hat, um uns zu einer neuen Creatur zu machen, damit das alte Leben der
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Sünde für uns ganz vergangen sei, und alles neu geworden und umgestaltet zu einem Leben, wie es dem Herrn gefällt. Nichts bedürfen wir als die Liebe Christi, die uns dränget zu dem Amt, das die Versöhnung predigt, und zu dem auch wir berufen sind, und diese allein kann uns auf die rechte Weise von dem Bösen abhalten und auf den Weg der göttlichen Gerechtigkeit führen. Darum können wir auch nicht einmal als eine Vorbereitung um die Menschen zu Christo gleichsam hinzutreiben die Darstellung des Zornes Gottes, also die Furcht vor göttlichen Strafen gebrauchen75. Denn die Furcht soll doch ausgetrieben werden durch die Liebe, also könnte auch der Glaube an Christum, der auf der Furcht beruhte, nicht bleiben, sondern ein anderer müßte erst an seine Stelle treten, und jener muß erst untergehen mit dem alten Menschen zugleich. Uberhaupt aber, m. g. Fr., laßt uns ganz im allgemeinen erwägen, daß diese Vorstellung von einem Zorne Gottes in der fruchtbaren Erkenntniß der Christen von Gott durchaus keinen Raum finden kann. Denn was sagt der Erlöser in dieser ganz eigenthümlichen Beziehung, als seine Jünger ihn fragten, woher er ihnen denn eine solche Kenntniß von ihrem Vater zutraue, wie er in seiner damaligen Rede an sie vorauszusezen schiene? Da antwortete der Herr dem | Frager, Du kennst midi so lange, und kennst den Vater nicht? Wer mich kennet, der kennet den Vater; denn der Vater ist und wohnet in mir (Joh. 14, 7-10). In ihm also, m. g. Fr., sollen wir den Vater schauen. Ja, ohne ihn, sagt er, komme niemand zum Vater. Und eben dieses ist das Größte und Herrlichste in der Erkenntniß Christi, nicht etwa daß sie die Erkenntniß Gottes überflüssig madit; eben dies das Herrlichste in der Liebe zu Christo, nicht etwa, daß sie die Liebe zu Gott überflüssig macht: sondern daß wir beides auf das vollkommenste in einander finden in der Liebe zu dem Sohn die Liebe zu Gott der ihn gesandt hat, und darin seine Liebe verkündet, daß Christus für uns gestorben ist, da wir noch Feinde waren; die Erkenntniß des Vaters in der Erkenntniß des Sohnes, in dem er sich uns allen offenbart hat. Aber wer weiß von einem Zorne Gottes, der sich in Christo offenbart hätte? Er sagt auf das bestimmteste, der Sohn sei nicht dazu gesandt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde (Joh. 3, 17). Er kennt nur Kranke, die er zu heilen wünscht, solche, die nicht wissen was sie thun, und denen er Vergebung erbittet, und solche, die nicht glauben, und eben deshalb schon durch sich selbst gerichtet sind ohne ihn. Indem er nun nicht richten will: so weist er
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auch alles das weit von sich ab, was am meisten als das eigentliche Werk und die Folge des göttlichen Zorns pflegt angesehen zu werden. Sehen wir also den Vater in ihm, und bleiben dabei, daß wir in ihm ihn sehen wollen, daß unsere Erkenntniß seines unsichtbaren Wesens nicht nur die sein soll, welche uns vermittelt ist durch | die Anschauung seiner Werke, denn das ist nur die Erkenntniß seiner ewigen Allmacht, sondern die, welche uns vermittelt ist durch die Erkenntniß des Sohnes, in dem wir erkennen das herrlichste und größte, nämlich den Abglanz der göttlichen Liebe; finden wir aber weder in dem was Christus uns überliefert hat, und was die Apostel als ihre eigenthümliche von ihm überkommene Lehre vortragen, noch in unserer Anschauung von ihm selbst, seinem Wesen und Wirken, ja nirgend in dem Bedürfniß und der Befriedigung unseres eigenen Herzens, insofern wir freilich immer noch zu kämpfen haben gegen die Regungen des Fleisches aber doch kämpfen in dem Gebiet der göttlichen Gnade; finden wir in keinem von diesen etwas, was uns auf die Vorstellung von dem Zorn Gottes hinführt: wo sollen wir denn in dem Umfang der christlichen Frömmigkeit einen Ort suchen, woher uns eine solche Lehre kommen, oder ein Gut welches sie uns verschaffen könnte? II. Um uns aber desto anschaulicher zu überzeugen, daß es dergleichen nicht giebt, so lasset uns zweitens sehen, w i e w i r in der That, j e m e h r w i r irgend e i n e V o r s t e l l u n g vom Z o r n e G o t t e s in uns a u f n e h m e n , und ihr Raum und Einfluß gönnen, u m d e s t o s i c h e r e r u n s v o m r e c h t e n G e i s t d e s C h r i s t e n t h u m s e n t f e r n e n , und in den alten Zustand, wie er war ehe das Amt der Versöhnung von Gott gegeben wurde, zurükkehren. Freilich, m. Fr., kann ich nun eine Schwierigkeit nicht länger bergen oder umgehen, die wir vielleicht gleich anfangs hätten aufregen sollen. Wir müssen uns nämlich jezt möglichst genaue Rechenschaft davon zu geben suchen, [ was denn nun eigentlich bei dieser Zusammenstellung von Ausdrükken, wenn wir Gott einen Zorn zuschreiben, wirklich gedacht werden soll oder kann. Aber ich kann auch nichts anderes sagen, als daß diese Frage meiner Uberzeugung nach, wenn man es genau nehmen will, gar nicht zu beantworten ist, weil nämlich in diesem Wort, wie wir es sonst im menschlichen Leben kennen und uns seiner gebrauchen, indem wir von menschlichen Dingen reden, gar nichts ist, dem in dem göttlichen Wesen
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IX. Vom Zorne Gottes
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irgend etwas entsprechen könnte. Es ist freilich unser gutes Recht, weil es unser Bedürfniß ist, daß wir dürfen von Gott nach menschlicher Weise reden, und mit Worten, welche menschliche Eigenschaften bezeichnen; aber wie leicht wir dabei auch Gefahr laufen uns aus den rechten Grenzen hinaus zu verirren und das Wahre ganz zu verfehlen; das zeigt sich gewiß hierin vorzüglich. Denn wir können dieses Wort nicht hören in menschlichen Dingen, ohne uns dabei eine Aufwallung des Gemüths zu denken, die freilich mehr oder weniger leidenschaftlich sein kann, nie aber hiervon ganz frei ist. Aber wie käme wohl in das höchste Wesen ein solcher Gegensaz oder Wechsel, wie der zwischen besonnener Ruhe und leidenschaftlicher Aufregung? Also dieses können wir nicht auf Gott übertragen. Denken wir ferner uns selbst dem Zorn eines Anderen ausgesezt: so wird wol immer einer von diesen zwei Fällen eintreten. Wir waffnen uns auf irgend eine Weise gegen denselben, wenn wir hoffen können den Kampf zu bestehen; wie könnten wir aber das gegen Gott? oder wir fürchten uns, wenn es eine überlegene Macht ist, der wir uns nicht entziehen können: aber wie könnten wir als Christen Gott so denken, daß wir Ur|sache hätten ihm gern zu entfliehen oder uns vor ihm zu fürchten? Was bleibt also übrig, das wir uns denken können bei einem solchen Ausdrukk wie Zorn Gottes, als zweierlei 76 , was aber freilich schon sehr abweicht von dem Gebrauch des Wortes in menschlichen Dingen, nämlich entweder 77 die Mißbilligung der Sünde, die wir uns ja nothwendig in Gott denken, aber nur ganz entfernt von Aufwallung und Leidenschaft denken dürfen, und warum sollten wir sie dann Zorn nennen? Gewiß um so weniger als wir ja auch uns selbst unter einander tadeln, wenn diese Mißbilligung auch nur anfängt sich als Leidenschaft zu gestalten. Denn wenn wir dem Zorn eines Bruders zutrauen, daß seine Persönlichkeit gar nicht dabei ins Spiel kommt, sondern daß er ganz von der Mißbilligung des Unrechts ausgeht: so behandeln wir ihn doch nur als eine menschliche Schwäche, mit der wir freilich Geduld haben müssen, weil sie sich in vielen edlen Gemüthern findet; aber wir achten und lieben diese doch nicht wegen solcher Leidenschaftlichkeit in ihrem Unwillen, sondern nur ohnerachtet derselben, und so müssen wir uns also billig scheuen auch in diesem Sinne den Ausdrukk Zorn Gottes zu gebrauchen, damit sich nicht doch etwas von jener Art mit in unsere Vorstellung mische. Zu einer solchen rein geistigen göttlichen Mißbilligung des Bösen bekennen wir uns freilich öffentlich und feierlich, so o f t wir einander bei dem
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heiligen Mahle ans Herz legen, daß Gott die Sünde nicht konnte ungestört herrschen lassen, und daß er nur deshalb alles unter die Sünde beschlossen hatte, damit die Verheißung käme durch den Glauben (Gal. 3,22). Sein Unwillen gegen die Sünde [ und die Liebe, welche Christum in die Welt gesandt hat, sind unzertrennlich. Je mehr uns daher dieser göttliche Unwille auf die göttliche Liebe in Christo zurükkführt: desto weniger werden wir im Stande sein uns dafür den Ausdrukk göttlicher Zorn anzueignen, um uns nicht von dem rechten Geist des Christenthums zu entfernen. Das zweite was noch übrig bleibt zu denken ist eben jenes alttestamentische Verhängen der Strafen, daß Gott die Sünden der Väter heimsucht auch an den Kindern und Kindeskindern. Uebersehen wir nun auch dieses, daß wenn göttliche Strafen und göttlicher Zorn vermischt werden, dabei immer ursprünglich eine gar unvollkommne Erkenntniß Gottes zum Grunde gelegen hat; geben wir zu, daß sich diese kann gereinigt haben, und der Ausdrukk doch beibehalten worden sein: werden wir wol selbst in diesem Sinn unter uns Gebrauch machen können von der Erinnerung an den Zorn Gottes, ohne uns ganz von dem Geist des christlichen Glaubens zu entfernen? Daß nun, ohnerachtet wir immer noch gegen die Sünde zu kämpfen haben, wir dennoch einer solchen Erinnerung nicht bedürfen, weil die göttlichen Kräfte des neuen Bundes uns Unterstüzung genug geben in diesem Kampf, das habe ich auch heute schon gesagt. Aber hier ist der Ort noch einen Schritt weiter zu gehen und uns zu fragen, ob wir wol eine Erinnerung an göttliche Strafen auch nur zu Hülfe nehmen dürfen in diesem Kampf, ohne auch schon dadurch abzuweichen von dem Geist des Evangeliums? Und ganz gewiß werdet auch Ihr es so befinden, daß wir es nicht dürfen. Gedenkt nur auf der einen Seite der apostolischen Ermahnung, Betrübet nicht den heiligen Geist, mit welchem ihr versiegelt seid (Eph. 4, 30); vergegenwärtigt euch die Schaam, die euch diese erregt, wenn Ihr sie euch aneignen müßt, die heilsame Traurigkeit, die euch überfällt, die neue Anstrengung, die daraus hervorgeht: und bekennt, ob Euch nicht das alles verunreinigt werden würde und in seiner heiligsten K r a f t geschwächt, wenn Euch nun noch einer dazwischen träte mit der Erinnerung an göttliche Strafen, und wäre auch die Veranlassung dazu noch so sehr verwandt mit denselben Verirrungen, von denen die Schrift sagt, daß um ihretwillen der Zorn Gottes komme über die Kinder des Unglaubens (Eph. 5, 6). Fragt Euch selbst, ob ihr weniger heilsam erschüttert werdet durch
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IX. Vom Zorne Gottes
das Bewußtsein den heiligen Geist betrübt, Christum noch einmal gekreuziget zu haben, wenn Ihr dabei an gar keinen Zorn Gottes denkt, ja wenn Ihr auch ganz klar darüber seid, daß der Zorn Gottes nur auf die Kinder des Unglaubens komme. Denen also überlassen wir auch allein die Furcht, die sich immer mit dieser Vorstellung verbindet; uns würde sie nur die rein geistige K r a f t einer göttlichen Traurigkeit durch eine sinnliche Beimischung schwächen, und wo wir einer solchen Raum gönnen, entfernen wir uns von der rechten Freiheit der Kinder Gottes, und kehren - gleichviel ob es H o f nung ist oder Furcht, die auf uns wirkt, in den alten knechtischen Zustand zurükk. - Bedenkt auf der andern Seite das herrliche Wort desselben Apostels, daß denen die Gott lieben alle Dinge zum besten dienen müssen (Rom. 8, 28). Muß das nicht auch von dem sündlichen in un|sern Handlungen gelten? Ja gewiß! denn wen unter uns sollte es nicht zum besseren führen, wenn das innere zum Vorschein kommt, das ihm vielleicht lange verborgen geblieben war? Und je gewisser das ist, um desto weniger brauchen wir diesen Spruch vorzüglich und eigenthümlich auf die widrigen Folgen unserer Sünde, die man gewöhnlich die natürlichen Strafen derselben nennt, anzuwenden. Denn wir werden schon zur Buße und Besserung geführt sein, ehe diese eintreten; und nur wenn wir auf diesem Wege schon vorher wandeln, können auch jene Folgen der Sünde uns rein und sicher mitwirken zum Guten, wogegen wenn sie uns erst zur Heiligung hinführen sollten, sie diese verunreinigen würden schon indem sie sie erwekkten. Und nun laßt uns eben so auch mit dem andern, was wir schon besprochen, einen Schritt weiter gehen. Denn ich hoffe, Ihr werdet gern mit mir behaupten, daß wir einer Lehre von göttlichem Zorn nicht nur nicht bedürfen um Andere zu Christo zu führen; sondern daß wir dadurch etwas dem Geist des Christenthums widersprechendes erst in sie hineinbringen würden. Es kann zwar sehr ansprechend klingen 78 , wenn gesagt wird, je stärker wir die Sünder einschrekken durch Darstellung des göttlichen Zornes wider sie: um desto sicherer werden wir Gehör finden, wenn wir ihnen sagen, es gebe keine andere Rettung vor diesem Zorn, als in den Schooß des eingebornen Sohnes zu fliehen; je näher die Seele der Verzweiflung über ihren Zustand gebracht sei, um desto gewisser ergreife sie die dargebotene Hülfe; aber welch ein mißliches und gewagtes Spiel ist dies, wie die Erfahrung deutlich lehrt! Wer kann sich zutrauen den Geist der Furcht wieder zu bannen, wenn er | ihn einmal in die
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Seele hinein beschworen hat! Wie oft kehrt er unerwartet zurükk, und bringt andere Geister mit, die schlimmer sind als er! Welche nagende und herzzerreißende Zweifel bemächtigen sich nur zu oft wieder eines so vom Schrekk durchzogenen Gemüthes, ob auch die Gewißheit über die göttliche Gnade und Vergebung, die es schon zu haben geglaubt hatte, nicht eine Täuschung gewesen, ob der Zorn Gottes auch wirklich gestillt sei; und so wandeln diejenigen noch in der Unsicherheit nächtlicher Dämmerung, die sich schon lange an dem vollen Licht des Evangeliums erfreuen könnten. Und die Apostel des Herrn sind uns mit einer solchen Seelenleitung nicht vorangegangen. Petrus hat diejenigen vor sich, denen er sagen konnte, Ihr, ihr seid es gewesen, die den, welchen Gott so unter euch erwiesen hatte, durch die Hände der Ungerechten erwürgt habt. Aber nicht ihnen zum Schrekken, sondern als tröstliche Einladung sagt er ihnen, daß Gott eben diesen zu einem Herrn und Christ gemacht hat. Und sobald die Rede ihnen zu Herzen ging, fügt er auch hinzu, sie dürften nur jezt noch ihren Sinn umwenden, diesen Christ Gottes annehmen und sich auf seinen Namen taufen lassen, so hätten sie sogleich Theil an den eben ausgegossenen Gaben des Geistes (Ap. Gesch. 2, 22-38). Paulus hat solche vor sich, von denen er anderwärts sagt, daß sie die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufgehalten und in Lügen verwandelt haben, daß sie wegen Vernachlässigung Gottes ganz vereitelt und verfinstert und zu Narren geworden seien, und dahin gegeben in verkehrten Sinn und schändliche Lüste (Rom. 1 , 2 1 - 3 2 ) . Aber wie spricht er zu diesen Abgöttern in | Athen (Ap. Gesch. 17, 2 2 - 3 1 ) ? Er tadelt ihren Aberglauben und verkündigt ihnen den unbekannten Gott: aber nicht als einen vor dessen Zorn sie erschrekken müßten, sondern als denjenigen, der freundlich von jeher alle menschlichen Dinge versehen, der auch bei ihnen die Zeiten der Unwissenheit übersehen wolle, und indem er sie zur Buße ruft, ihnen den Glauben vorhält*79. Bei keinem von beiden Aposteln finden wir also eine Vorbereitung durch den Zorn Gottes; sondern denjenigen, welche sie in das N e z des Reiches Gottes zu lokken wünschen, zeigen sie gleich den Gott der Liebe als einen und denselben von den ersten Anfängen des menschlichen Geschlechts an, und glauben nicht den Eindrukk dieser ihrer wahren und eigentlichen Verkündigung durch eine solche Drohung verstärken zu dürfen. Und doch war beiden dieser Ausdrukk nicht fremd; aber sie machen keinen Gebrauch davon, als nur wenn sie zu Christen redeten, die sich schon des Genusses der Liebe Gottes erfreuten, um sie an ihren früheren
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I X . Vom Zorne Gottes
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Zustand zu erinnern. Und sollten wir uns ein anderes Muster wählen als diese, wenn es darauf ankommt die Menschen zuerst herbeizulokken, damit sie die süße Stimme des Erlösers vernehmen? sollen wir uns sichrer dünken als sie, und es dreist darauf wagen die Seele erst mit Schrekken vor dem Zorne Gottes zu erfüllen, als ob es uns nicht fehlen könnte ihn, sobald wir wollen, wieder auszutreiben? Wie milde redet Paulus hier wenn wir vergleichen, was ich vorher aus dem Briefe an die Römer in Erinnerung gebracht habe, über die Vergangenheit des ganzen menschlichen Geschlechtes bis zur Erscheinung Christi! | Und haben wir Ursache die Vergangenheit einer einzelnen menschlichen Seele anders zu behandeln? Selbst wenn sie bisher unter Christen gelebt hat, aber fern geblieben ist von dem göttlichen Heil: ist es nicht grade dasselbe f ü r sie, als wenn Christus noch gar nicht erschienen wäre? Und kann es also auf etwas anderes ankommen, als frischweg Christum ihr vor Augen zu mahlen, so daß sie ihn nothwendig erkennen muß, und daß es ihr durchs Herz geht, daß sie den so lange übersehen hat und gering geschäzt, dessen Herrlichkeit und göttliche Bewährung in Wort und That ihr doch nahe genug gestellt war. So wollen wir es halten mit unserer Jugend, so mit allen, die auch einen größeren Theil ihres Lebens schon hinter sich haben ohne zu lebendiger Erkenntniß Christi gelangt zu sein. Und möge unsere evangelische Kirche um so weniger jemals diesen Weg verlassen, als sie ja das Verdienst hat, das Amt, welches die Versöhnung predigt, wieder in sein volles Recht eingesezt zu haben! Aber, werdet Ihr vielleicht fragen, soll denn dieser Ausdrukk, dessen sich die Apostel doch so oft bedienen, gar keine Wahrheit in sich schließen, und soll es gar keinen Gebrauch davon geben? Freilich ist die Wahrheit desselben der göttliche Unwille gegen die Sünde, der ja aber eben sich äußerte als das göttliche Erbarmen, welches Christum sendete den Sündern zum Heil; aber wie leicht mischen wir etwas anderes hinein! und darum wählen wir lieber minder gefährliche Ausdrükke. Freilich ist die Bedeutung desselben auf der andern Seite die, daß der Zustand der Menschen, welche fern sind von Gott, so beschrieben wird, daß sie unter dem Zorn Gottes stehen. Wie auch Johannes | sagt (Joh. 3, 33-36), Wer das Zeugniß von Christo annimmt, der versiegelt es, daß Gott wahrhaftig sei, dem wird damit zugleich der Zusammenhang aller göttlichen Verheißungen und Anstalten, die rechte Wahrheit Gottes klar. Wer an den Sohn glaubt der hat das ewige Leben; wer an
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den Sohn nicht glaubt der wird das ewige Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm. D a sehen wir es deutlich, wie dies beides dasselbe sagen wolle, daß einer, so lange er nicht glaubt, auch das ewige Leben nicht sieht, und daß der Zorn Gottes über ihm bleibt. Aber nicht als ob es einen solchen Grund dazu gebe in Gott, wie das was wir Zorn nennen bei uns, sondern nur weil die Wirkung uns dieselbe erscheint, weil ein solcher des Genusses der göttlichen Gnade und Liebe ganz entbehrt, und weil er eben deshalb in dem Maaß, als er ein Bewußtsein von Gott hat, auch alle Unseligkeit in seinem Leben immer dieser Entfernung zuschreibt. Wir aber wissen, daß in dem Menschen, der das Zeugniß von Christo nicht annimmt, an dem das Amt, welches die Versöhnung predigt, immer noch vergeblich seinen Dienst thut, ohnerachtet es nichts anderes darbietet, als die Fülle des Guten und Wahren, und die K r a f t beides zu erlangen und festzuhalten, nothwendig etwas sein muß, was sich gegen das Gute und Wahre empört; das ist, was der Apostel sagt, Fleischlich gesinnt sein ist eine Feindschaft gegen Gott (Rom. 8, 7). Es läßt sich nicht denken, daß der Mensch sich gegen das Wahre auflehnt, wenn nicht die fleischliche Gesinnung, in welcher Weise es auch immer sei, Augenlust oder Fleischeslust oder hoffährtiges Wesen ihre | ganze Macht hat in dem Menschen, und das ist immer Feindschaft gegen Gott. Wer aber Feindschaft gegen einen Andern hegt, der kann nicht an die Liebe desselben glauben; sonst würde die Freude an dieser Liebe seine Feindschaft überwinden. Feindschaft gegen Gott ist also Unglaube an die Liebe Gottes, und diese nothwendig Ahndung von dem Zorn Gottes über die Feindschaft, die in dem Menschen ist. Was wir also verstehen können unter dem Bleiben des Zornes Gottes über dem, der nicht an Christum glaubt, und eben deshalb auch, so lange er nicht glaubt, noch nicht das Leben haben kann, das ist nur ein Zustand, der aus seiner eignen Feindschaft gegen Gott hervorgeht. Und wenn in einer solchen Seele recht oft von selbst, oder grade aus der Wahrnehmung wie wir in der Freude am Herrn und in dem Genuß der göttlichen Gnade selig sind, das beugende Bewußtsein entsteht, daß sie selbst keine Ursache hat, auch nicht das erfreulichste, was ihr begegnet, als ein Zeichen des göttlichen Wohlgefallens anzusehen; wenn sie in diesem Sinne durchzukkt wird von einer Ahndung des göttlichen Zornes, das kann jedesmal eine heilsame Vorbereitung sein, um sie aus ihrem Zustand herauszureißen. Aber keineswegs dürfen wir uns schmeicheln, dieselbe Wirkung hervorzubringen oder gar die Feind-
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schaft wider Gott dadurch auslösdien zu können, weder wenn wir einer noch gar nicht innerlich aufgeregten Seele den Zorn Gottes als eine Wahrheit in Gott selbst verkündigen wollten 80 , oder auch eine schon aufgeregte künstlich in diesem Zustande zu erhalten suchten, als wüßten wir, daß sie noch mehr müßte gebeugt und zerknirscht werden. G a r leicht könnten wir auf diese Weise dahin kommen, die Trennung zwischen Men|schen und Gott wieder aufzurichten, die vielmehr aufzuheben unser Herr und Meister gekommen war! Daß sich doch keiner verleiten lasse durch die vergängliche unächte Klarheit des Amtes, welches durch den Buchstaben tödtet und die Verdammniß predigt, da wir doch alle sollten tüchtig gemacht sein das Amt des neuen Testamentes zu führen, in welchem sich des Herrn Klarheit spiegelt, und welches sich großer Freudigkeit gebraucht, weil es den Geist giebt, der sich durch den Dienst desselben mittheilt (2. Kor. 3 , 6 - 1 8 ) ! Denn alle Verkündigung göttlichen Eifers und Zornes hängt zusammen mit dem Gesez des Buchstaben, und wie auch damals aus solcher Verkündigung keine Seligkeit entstehen konnte, weder unter denen, die das Gesez empfingen unter Begleitung furchtbarer Zeichen, noch unter denen, die sich selbst ein Gesez aber auch ein Gesez des Buchstaben wurden: so kann sie auch jezt nicht die Grundlage der Seligkeit werden; denn das alte ist alles vergangen, und alles ist neu worden. Jezt ist die Zeit der Boten, die mit süßer Stimme den Frieden verkündigen und die Liebe Gottes, welche darin gepriesen wird, daß der Vater seinen Sohn in die Welt gesandt hat, auf daß wir durch ihn zum Vater kommen. Jezt ist die Zeit die Menschen aufzufordern, nicht daß sie sich vor dem Zorne Gottes flüchten sollen in den Schooß des Sohnes, sondern nur daß sie die Augen öffnen mögen, um in Christo die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, und also im Sohne den Vater zu schauen, und von dem Sohne die Macht zu empfangen, daß sie Kinder Gottes werden. | Durch solche Verkündigung predigen wir das Amt der Versöhnung in der That, und nehmen Theil an diesem herrlichen allgemeinen Beruf aller Christen. Und so wird denn die rechte K r a f t des Christenthums immer heller scheinen, je mehr sich alle falsche Furcht vor dem Zorne Gottes verliert, je mehr wir allen die allein seligmachende Erkenntniß öffnen davon, daß Gott die Liebe ist. Amen.
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X. Das Ziel der Wirksamkeit unserer evangelischen Kirche. Phil. I , 6 - n . U n d ich bin desselbigen in guter Zuversicht, daß, der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird es auch vollführen bis auf den T a g J e s u Christi. Wie es denn mir billig ist, daß ich dermaßen von euch allen halte; d a r u m d a ß ich euch in meinem H e r z e n habe in diesem meinem G e f ä n g n i ß , darinnen ich das E v a n g e l i u m v e r a n t w o r t e und bekräftige, als die ihr alle mit mir der G n a d e theilh a f t i g seid. Denn G o t t ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlanget von H e r z e n s g r u n d in J e s u Christo. U n d d a r u m bete ich, d a ß eure Liebe mehr und mehr reich w e r d e in allerlei Erkenntjniß und E r f a h r u n g , d a ß ihr p r ü f e n möget, w a s das Beste sei, auf d a ß ihr seid lauter und unanstößig bis auf den T a g Christi, erfüllet mit Früchten der Gerechtigkeit, die durch J e s u m Christum geschehen zur Ehre und L o b e Gottes.
M. a. Fr. Indem mich die Zeit mahnt, diese Reihe von Betrachtungen zu schließen, welche durch das große kirchliche Fest veranlaßt worden sind, das wir in der Mitte dieses Jahres mit einander begangen haben: so konnte ich wohl nicht anders, als von dem Anfange dieser unserer evangelischen Kirche bei jenem ersten Auftreten derselben auf das Ende unseres großen Berufes in der Vollkommenheit eines christlichen Lebens hinaus schauen. J e aufmerksamer wir jenes Bekenntniß der Wahrheit, welches damals abgelegt ward, mit einander betrachtet haben, um desto mehr mußten wir uns auf der einen Seite freuen, wie doch damals so viele Christen mit ihrer Frömmigkeit zurükkgingen auf den rechten einigen Grund des Glaubens, den die Menge der Menschensazungen verdunkelt hatte, auf welchem aber allein das Herz fest werden kann, nämlich auf die Gnade Gottes in Christo, welcher theilhaft geworden zu sein der Apostel auch in unserm Text jener Gemeine nachrühmt. Aber auf der andern Seite mußten wir allerdings auch gestehen,
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Vom Ziel der kirchlichen Wirksamkeit
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jenes Bekenntniß, und alles was im Zusammenhange mit demselben damals geschehen, sei doch auch nur ein unvollkommenes Werk, wie es ja dem A n f a n g e der R ü k k e h r zu dem rechten Geiste des Christenthums nach dem Geseze aller menschlichen Dinge angejmessen w a r . So bleibt es denn unser und unserer Nachkommen gemeinsamer B e r u f , das Werk fortzusezen und seinem Ziele näher zu führen; und dazu geben uns die gelesenen Worte des Apostels, die aus der heutigen epistolischen Lection (22. n. Trin.) entnommen sind, eine ganz besondere Veranlassung. E r äußert hier das Vertrauen, welches w i r in eben dieser Beziehung auch haben müssen, daß das gute Werk, welches G o t t angefangen hat, derselbe G o t t auch vollführen werde bis auf den T a g Jesu Christi. Wie jene Stifter unserer evangelischen Kirche nichts anderes begehrten, als nur, mit Verlassung aller menschlichen Sazungen und so mannigfaltigen sonst noch eingeschlichenen Verderbens, zurükkzukehren zu dem ursprünglichen Geist und der einfachen Wahrheit des Evangeliums: so ist also auch die Fortsezung ihres Bestrebens, worin w i r begriffen sind, kein anderes Werk, als eben das, von welchem der Apostel hier redet. U n d so wie w i r gewiß sind, es ist von A n f a n g an in der Person unseres Erlösers, der nicht nur dazu gekommen w a r , es zu beginnen, sondern der die Vollendung desselben in sich selbst trug, ein Werk Gottes gewesen: so sind w i r auch gewiß, daß nur derselbe, der es angefangen hat, es auch eben so, G o t t durch Christum, vollenden kann. Wie Alles in der geistigen Welt nur durch dieselben K r ä f t e fortbesteht, denen es auch seinen Ursprung v e r d a n k t : so kann auch die christliche Kirche, wie sie als ein Werk Gottes angefangen hat, auch nur als ein Werk Gottes vollendet werden; und er allein ist es, der sie vollenden kann. A b e r so wie das Wort Fleisch werden mußte, damit das Werk | Gottes geschähe, und es nur in dieser menschlichen Gestalt und Weise beginnen konnte: so kann es auch nur in menschlicher Gestalt und Weise vollendet werden. U n d wenn der Erlöser, als er v o n dieser E r d e schied, seinen Jüngern den T r ö ster, den Geist der Wahrheit als seinen Stellvertreter zurükkließ: so ist es eben dieser Geist, der dasselbe W e r k , wie es in Christo begonnen hat, zu seiner Vollendung führt. A b e r er w i r k t nicht anders, und ist nirgend anders als in den Gläubigen, er zeugt und sie zeugen auch (Joh. 1 5 , 26. 27), denn er zeugt durch sie; er w i r k t und sie w i r k e n auch, denn er w i r k t durch sie. U n d so ist denn die göttliche Vollendung dieses Werkes doch immer zugleich eine menschliche; nur durch den Dienst der Menschen, nur durch das w a s der göttliche
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Predigten zur Übergabe der Augsburgischen Confession
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Geist in den Gläubigen wirkt, kann das Werk des Herrn seiner Vollendung näher gebracht werden. Wenn wir also sagen mit dem Apostel, daß Gott es vollenden wird: so will das nicht sagen, daß wir irgend etwas von außen erwarten, oder gar unsere Hofnung auf irgend etwas Außermenschliches sezen sollen 81 , sondern Hand anlegen sollen wir. Freilich die Menschen sind schon, wenn sie zuerst das Licht der Welt erblikken, verschieden bereitet, nicht nur ihrem Leibe sondern auch ihrer Seele nach, indem Einer vor dem Andern schon ursprünglich begabt ist mit einem andern bald größeren bald kleineren Maaße geistiger Kräfte; und diese Mannigfaltigkeit geistiger Kräfte steht vor allem unter der höchsten und eigenen Leitung dessen, der, wie er ursprünglich Alles geschaffen hat, auch jezt noch fortfährt Alles ans Licht zu bringen. Keine menschliche | Kraft würde vermögen, zu einer Zeit, wo es besonders Noth thut, auch vorzügliche Kräfte hervorzurufen, wenn es nicht der Herr wäre, der sich in jeder Zeit die Werkzeuge im voraus zu bereiten weiß, deren er bedarf. Sind aber die Menschen gegeben, und wir fragen, welcher Mittel - daß ich av.f menschliche Weise rede - Gott sich bedient, um an diesen Menschen sein Werk zu fördern, und es so allmählig zur Vollendung zu bringen: so müssen wir immer wieder stehen bleiben bei menschlichen Gesinnungen, bei menschlichen Thaten und Werken; aber freilich nur bei solchen, die Gott durch seinen Geist in den Menschen wirkt, damit allerdings Alles sei sein Werk, aber vollbracht durch die, welche er bereitet hat ihm zu dienen. Und in diesem Sinne, m. a. Fr., lasset uns denn auf das Ziel des G l a u b e n s und der Wirksamkeit u n s e r e r e v a n g e l i s c h e n K i r c h e hinsehen, als auf die Vollendung dieses Werkes Gottes. Wir finden dazu in unserem Texte eine zwiefache Anweisung, e i n m a l indem der Apostel uns diese Vollendung selbst beschreibt, d a n n aber auch, indem er uns den Weg angiebt, auf dem allein wir, und die uns folgen werden als Arbeiter an diesem Werke, etwas beizutragen vermögen zu dessen Vollendung. Und das sei es, worauf wir mit einander unsere Aufmerksamkeit in dieser Stunde richten wollen. I. Der Apostel, m. a. Fr., beschreibt uns also zuerst d i e V o l l e n d u n g d i e s e s W e r k e s G o t t e s , welches er selbst angefangen hatte, indem er sagt, Auf daß ihr seid lauter und unanstößig bis auf den Tag Christi, erfüllet mit Früchten der Gerechtigkeit, die durch Jesum Christum | geschehen, zur Ehre und zum Lobe Gottes.
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Dieses beides zusammen, m. a. Fr., ist die vollständige Beschreibung der Vollendung, aber nicht der Einzelnen allein jeden f ü r sich betrachtet; denn der Apostel schreibt an eine Gemeine, die wiederum nur ein Abbild ist von der ganzen Kirche des Herrn. Also damit diese, der herrliche geistige Tempel, an welchem die Einzelnen nur die lebendigen Steine sind, sich vollende, müssen die Einzelnen so sein, wie Paulus hier vertraut. Zuerst also werden sie dann sein lauter und unanstößig. Das lautere, m. g. Fr., wissen wir alle, daß es das ist, dem nichts fremdes nichts ungehöriges anhaftet. N u r laßt uns das so genau nehmen, wie wir auch anderwärts gewohnt sind; nicht nur was verunreinigt, was überhaupt nirgend erträglich wäre oder zuläßig, sondern auch wogegen an und f ü r sich nichts zu sagen wäre, dadurch kann doch jedes Verhältniß und jede Handlung unlauter werden, wohin eben dieses nicht gehört. Und nun das unanstößige, ach, wie schwer ist das nicht zu entscheiden, ob alles auch unanstößig ist, woran niemand Anstoß nimmt; denn wie oft pflanzt sich nicht etwas verderbliches von einem zum anderen fort, dem bald würde gesteuert worden sein, wenn nur irgend Jemandes Gefühl dadurch wäre verlezt worden! H a t aber auf der andern Seite jemand Anstoß genommen, wie schwer ist es auch da die Schuld richtig zu theilen! wie leicht kann es auch nur seine Verkehrtheit gewesen sein, die sich aus einer unschuldigen Blume G i f t bereitete 82 ! wie oft kann die Gesinnung rein gewesen sein und die Meinung treu, und nur ein leichtes Versehen in der Ausführung hat doch einem Andern Anlaß ge|geben zu einer falschen Auffassung, die ihn mißleitet und in Schuld geführt hat! Darum ganz lauter sein, wessen vorüberziehende Gedanken mögen wol diese Prüfung bestehen! in der That und Wahrheit unanstößig sein, was für ein vollkommner Mann gehört dazu! noch viel mehr als der auch nicht mit Einem Worte mehr fehlt. Aber wir dürfen uns auch gestehen, m. th. Fr., daß wir es, mit allem was aus der Wirksamkeit des göttlichen Geistes in unserer Seele hervorgeht, und mit allem, was wir an einander thun und arbeiten, in diesem zeitlichen Leben doch zu dieser Vollendung nicht bringen können. Vollkommen unanstößig sein und ganz lauter, das heißt ohne Sünde sein; und so wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns (1. Joh. 1, 8). Darum lasse sich niemand von Einigen bethören, welche behaupten, der wahre Christ könne schon hier ohne Sünde sein! Denn auch der Apostel, von welchem die Worte unseres Textes herrühren, wußte
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das nicht anders wie wir, indem er ja sagt, dieses Werk, welches Gott angefangen hat müsse fortgeführt werden bis an den Tag Jesu Christi. E r selbst will also weder sich noch Andern damit schmeicheln, daß diese Vollendung des göttlichen Werkes in irgend einem früheren Zeitpunkt werde erreicht sein; sondern so lange wir und unsere Nachkommen nach uns noch hier wallen, wie weit auch schon vorgedrungen, werden wir immer dieses noch als unser Ziel vor uns haben. Aber das soll es auch bleiben! Und niemand verführe sich selbst auf die entgegengesezte Weise unter dem Vorwand einer falschen | Bescheidenheit, als ob jeder Einzelne zu wenig wäre um etwas dazu beizutragen! Nein, weder ein eitles Wohlgefallen an dem was schon geleistet ist, darf uns bethören, noch soll uns an dem Streben nach dem, was noch vor uns liegt, eine träge Verzagtheit hinderlich werden. Laßt uns vergessen was dahinten ist, damit wir desto weniger in Versuchung kommen still zu stehen oder müde zu werden. Denn auch was wir erreicht haben bleibt uns nur, inwiefern wir damit weiter streben, weil es nur insofern Geist und Leben in uns ist. Und wen reizte auch nicht diese Vollendung, der sie einmal recht ins Auge gefaßt hat, als die Aufgabe des Lebens für sich selbst, f ü r alle Einzelnen die seine Brüder sind in dem Herrn, und noch mehr f ü r das Ganze, dem wir Alle angehören, so Christi sein und Christum darstellen, daß wir alles fremde abgethan haben, so ganz dem Geist und nur ihm freien Lauf lassen, daß aller Anstoß aus dem Wege geräumt ist! Laßt uns nun aber der Sache näher treten und fragen, was ist denn das fremde, m. g. Fr., das wir von uns thun sollen? Ida denke, wir mögen auf unser einzelnes Menschenleben sehen oder auf den geistigen Leib Christi, das gute Werk, welches Gott angefangen hat, und welches er auch vollführen wird, ist die Schöpfung des neuen Menschen im einzelnen und im großen. Darum ja heißt auch der Erlöser zugleich der Erstgebohrene vor aller Kreatur (Kol. 1, 15), weil sein Leben und Wirken der Anfang sein mußte von diesem neuen Leben in dem menschlichen Geschlecht. D a ist nun leicht zu scheiden, was diesem angejhört und eignet, und wiederum was ihm fremd ist und ungehörig. Denn außer dem neuen Menschen, der geschaffen ist zur Heiligkeit und Gerechtigkeit, die immer mehr wachsen und gedeihen sollen, giebt es nur noch den alten Menschen. Wie nun der neue Mensch von Christo her ist, denn nur wer in Christo ist, ist die neue Kreatur: so eignet auch alles dem neuen Menschen und ist ihm angemessen und gehörig, was aus der Fülle
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M . a. Z . Die eben verlesenen Worte haben eine große Verwandtschaft mit dem, was wir bereits vor|her in unserer epistolischen Lection gehört haben (Apostelgesch. 10, 3 4 - 4 1 ) . Sie sind aus einer früheren Rede desselbigen Apostels, die er vor dem Volke hielt, als es sich voll Verwunderung um ihn her versammelte wegen des Zeichens, welches er im Namen Christi gemeinschaftlich mit dem Johannes an einem gelähmten Menschen verrichtet hatte. Diesen wunderbaren E r f o l g führt er hier zurükk auf seinen Herrn und Meister, damit nicht jemand irre geleitet werde, als ob er selbst oder der Genosse seiner Verkündigung dies vermocht hätte, sondern nur durch den Namen Jesu sei es geschehen. Aber noch bestimmter als in den Worten unserer epistolischen Lection tritt auch hier und in andern Reden desselben Apostels wie auch anderer dies hervor, daß die Apostel in ihrer Verkündigung des Evangeliums sich mit einem vorzüglichen und ausgezeichneten Nachdrukk, ja gewissermaßen ausschließend, Zeugen der Auferstehung Christi nennen. Sie sollten doch nun eigentlich s e i n e Zeugen sein, Zeugen der göttlichen K r a f t , die in ihm wohnte, und der göttlichen Wirksamkeit,
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X I X . Die Apostel als Zeugen der Auferstehung
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die von ihm ausging; aber von beiden war doch seine Auferstehung nur ein Theil,nur ein einzelnerAusdrukk: wie kommen sie dazu,sich gerade an diesen auf eine so ausgezeichnete Weise zu halten? Diese Frage, m. a. Fr., verdient es sehr wohl, uns an einem solchen Festtage wie der heutige zu beschäftigen, indem sie uns zu gleicher Zeit die wahre Bedeutung der Be|gebenheit, welche wir feiern, und die Richtung unserer eigenen Gedanken und Empfindungen in Beziehung auf dieselbe angiebt. So laßt uns also die Frage uns vorlegen und zu beantworten versuchen, W e s h a l b a u f s o l c h e ausgezeichnete Weise die A p o s t e l des H e r r n sich Z e u g e n s e i n e r A u f e r s t e h u n g n e n n e n ? Es hat aber diese Frage zwei Seiten: die e i n e bezieht sich auf sie selbst, die a n d e r e auf denjenigen, von welchem sie reden und Zeugniß geben. I. Wenn wir diese Frage also zuerst betrachten in Beziehung auf die Apostel des Herrn selbst, da sie doch vorher schon als seine Zeugen gelebt und gewirkt hatten, namentlich auch vorher schon noch während seines irdischen Lebens unter ihnen von ihm ausgesandt waren, um das Reich Gottes zu verkünden 1 3 1 : wie kommt es, daß sie das alles hintansezen, als ob nun etwas ganz neues angegangen wäre und von dem vorigen verschiedenes, weshalb sie sich nur Zeugen seiner Auferstehung nennen? War der Glaube an ihn, den sie vorher schon gehabt und bekannt hatten, nicht der rechte gewesen? Das können wir unmöglich annehmen; denn der Erlöser gab ihnen das Zeugniß, Fleisch und Blut habe ihnen das nicht offenbart, sondern sein Vater im Himmel (Matth. 16, 17), und also muß ihr Bekenntniß doch das wahre und wesentliche der Sache enthalten haben. N u n scheint | es freilich wohl, als ob dieser Glaube, wenn man allerdings zugeben muß, er sei schon der rechte und also auch ihr Zeugniß von ihrem Herrn und Meister eben auch das wahre gewesen, jezt durch den Tod des Herrn, wenn nicht verloren gegangen doch gar sehr verdunkelt worden wäre. Nämlich das sagt ihnen allerdings der Erlöser selbst in seinen lezten Reden mit ihnen, aber zu gleicher Zeit fügt er doch immer hinzu, er habe für sie gebeten, und sein Gebet sei auch hier, wie das immer geschah, erhört worden, so daß ihr Glaube nicht verloren gehen werde. Wie sollte es auch möglich sein, daß ihnen ihre eigene innere Erfahrung hätte verloren gehen können durch sein Leiden und seinen Tod? Wie? die ganze Zeit ihres Zusammenlebens mit ihm sollte wie weg-
A u s g e w ä h l t e Festpredigten
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gewischt worden sein, so daß sie aus dem höheren Leben, in welches sie durch ihn eingeweiht worden waren, plözlich wieder zurükkgesunken wären in das vorige? Die Wirkungen seiner Worte, von deren K r a f t sie so oft schon Zeugniß gegeben hatten, sollten plözlich verschwunden sein aus ihrer Seele, wie genau sie auch schon mit ihrem ganzen Leben zusammenhingen? Nein, das können wir nicht glauben! wie sollten wir sonst irgend ein Vertrauen behalten zu unserm eigenen Glauben? wie sollten wir sonst sicher sein können, daß Wahrheit sei in dem, was das Gemüth bewegt, wenn es sich auf den Erlöser hinwendet, und die Kraft seines Lebens erfährt? Nein! so gewiß sie im ganzen Sinne des Wortes gläubig an ihn gewesen waren: so gewiß | würden sie auch seine Jünger geblieben sein, auch wenn er nicht auferstanden wäre. Aber freilich, was sie selbst bestimmt genug sagen, ist dieses. Sie hatten gehofft, er sollte Israel erlösen 132 ; und diese Hoffnung war ihnen untergegangen durch seinen Tod. Das heißt, daß sie auch nun noch Gehör finden würden bei seinem und ihrem Volke, wenn sie fortführen zu predigen im Namen Jesu von Nazareth, das konnten sie nicht mehr hoffen, nachdem eben dieses Volk ihn, den Fürsten des Lebens, den Händen der Sünder überantwortet, an ein Holz gehängt und getödtet hatte; sie konnten nicht hoffen, daß sie mit ihrem Zeugniß für den Getödteten das Ärgerniß des Kreuzes überwinden würden. Deshalb also, können wir wol behaupten, nennen sie sich so vorzüglich die Zeugen seiner Auferstehung, weil, ohnerachtet sie freilich auch nach derselben nicht im Stande waren ihn Anderen zu zeigen - denn er offenbarte sich ja nur ihnen, wie der Apostel in unserer heutigen epistolischen Lection sagt, nur ihnen, den vorher erwählten und bestimmten Zeugen - sie doch, wie es hier geschah, im weiteren Verlauf der Erzählung, aus der unser Text genommen ist, im Namen des Auferstandenen Buße predigten, und nicht nur Vergebung sondern auch eine Zeit der Erquikkung verkündigten, und in seinem Namen Zeichen und Wunder thaten. Denn dadurch ging ihnen die zuversichtliche Hoffnung auf, daß ein so beglaubigtes Zeugniß davon, daß er wieder gelebt hatte nach seinem Tode, das Ärgerniß des Kreuzes wenn auch | nicht bei allen doch bei einigen werde überwinden können! Thaten sie nun etwa dieser so entscheidenden Begebenheit mehr Ehre an, als sie verdient, wenn sie deshalb sich selbst in Beziehung auf ihren Beruf von vorn herein Zeugen seiner Auferstehung nennen? Waren sie dies nicht sogar der Sache, der sie dienten, schuldig, um dadurch den für die gewöhnliche
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Meinung der Menseben widrigen und herabwürdigenden Eindrukk des Todes, den er erlitten hatte, zu überwältigen, und zugleich ihn darzustellen als den Überwinder des Todes? Allein wenn wir dies auch alle natürlich finden, m. a. Z . : werden wir nicht doch genauer erwogen sagen müssen, eben dieses, daß sie seiner Auferstehung nöthig hatten, wenn auch nur dazu, um wiederum in zuversichtlichem Muthe Zeugniß von ihm zu geben, sei doch zu gleicher Zeit ein Zeichen, wenn auch nicht davon, daß ihr Glaube ihnen verloren gegangen sei, doch von einer gewissen Schwachheit desselben, doch davon, daß er auch noch behaftet gewesen mit allerlei menschlicher Gebrechlichkeit? Wenn wir die Reden der Apostel erwägen, wie sie seit dem Tage der Pfingsten das öffentliche Zeugniß von dem Evangelium ablegten, indem sie das Volk zunächst immer darauf hinführten, wie schwer es sich an demjenigen versündigt hatte, den es nie auf eine andere Weise gekannt, als daß er umhergegangen um zu lehren und wohlzuthun; wenn sie ihren Zuhörern, so müssen wir wohl denken, eben diese K r a f t seiner Lehre, eben diese Fülle seiner wundervollen | Wohlthaten gegen alle Leidende in seinem Volke, auch ganz abgesehen von seiner Auferstehung recht vor Augen gemahlt und ins Gedächtniß zurükkgebracht hätten; wenn sie die innere Stimme des Gewissens recht erwekkt hätten durch die K r a f t des Wortes, die ihnen ja, seitdem sie beseelt waren von dem göttlichen Geiste, in so außerordentlichem Maaße zu Gebote stand: o, würden sie es nicht doch eben dahin gebracht haben, daß die Herzen der Menschen zerknirscht worden wären, wenn sie sie auch nur erinnern konnten an den Getödteten, und nicht an den Auferstandenen? hätte nicht der Zauber ihres Mundes so groß sein müssen, daß ihre Rede den Menschen auch ohne dieses Zeugniß von dem, was sie doch nicht sehen konnten, sondern immer nur glauben mußten, dennoch durchs Herz gegangen wäre, so daß sie zu Petro und den andern Aposteln dasselbe gesprochen hätten, Ihr Männer, lieben Brüder, was sollen wir thun, daß wir selig werden 1 3 3 ? würde nicht die Überzeugung, es müsse wol Wahrheit sein, was diese verkündigen, sich ihren Zuhörern dennoch aufgedrängt haben, wenn sie nun die Apostel mit gleichem Muthe das Werk Christi unter ihnen fortsezen sahen, um seinen Auftrag zu erfüllen? sollten die Jünger nicht mit diesem Muthe Glauben gefunden haben, auch ohne die Auferstehung des Herrn, auch ohne sein sichtbar geworden sein vor ihnen? Wir können wohl, m. a. Z., nicht anders glauben! Wenn wir dies
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verneinen wollten, das wäre unstreitig ein Zweifel an der allmächtigen K r a f t | des göttlichen Wortes selbst. Was sollen wir also anders sagen, als freilich so ist es; in Beziehung auf die Apostel ist dies, daß sie sich auf eine so ausschließende Weise Zeugen seiner Auferstehung nennen, zugleich ein Bekenntniß von der Schwachheit, mit welcher ihr Glaube noch behaftet war. Aber was doch auch daneben? Gewiß doch zugleich auch ein frohes Zeugniß davon, wie mitleidig der Vater im Himmel der menschlichen Schwachheit zu Hülfe kommt! Denn das that er auf eine ausgezeichnete Weise zuerst durch die Auferstehung des Herrn selbst, dann aber auch dadurch, daß er seinen Jüngern, da der Erlöser sich nicht mehr selbst mit der Welt einlassen, sondern nur für seinen engeren Kreis leben konnte, die K r a f t gab ihrem Zeugniß Glauben zu verschaffen durch die mitfolgenden Wunder, die sie dann verrichteten im Namen dessen, den die Welt verworfen und getödtet, den aber Gott auferwekkt und zum Herrn und Christ gemacht hatte. Wenn uns nun die Auferstehung des Herrn in diesem Lichte erscheint: was ist sie anders, m. a. Z., als das erste Glied einer großen, langen Reihe von ähnlichen Erweisungen der göttlichen Gnade und Milde 134 ? Alles wodurch Gott in dem Verfolg der Ausbreitung des Christenthums der Schwachheit des menschlichen Glaubens zu Hülfe kommt, es ist eben dasselbige, was in jenen ersten Tagen des Evangeliums die Auferstehung des Herrn war; und dieselbe Dankbarkeit sind wir Gott für alles übrige hieher gehörige schuldig, wie für die Auferstehung des Herrn | selbst. Und wie ist Gott dieser Schwachheit des Glaubens zu Hülfe gekommen? Durch das unscheinbarste und das widerwärtigste, wie durch das glänzendste und erhebendste. Durch das unscheinbare, daß es nämlich lange Zeit so blieb, wie der Erlöser einst zu seinem Vater im Himmel redete, Ich danke dir Gott, daß du es verborgen hast den Weisen dieser Welt, und hast es offenbart den Unmündigen (Matth. 1 1 , 25). Daß die Verkündiger des Reiches Gottes solche waren, die sonst wenig oder nichts galten in menschlichen Dingen, die unbekannt geblieben wären ihr ganzes Leben hindurch, wenn Gott sie nicht erwählt hätte zu Zeugen seines heilsamen Wortes, das mußte ja gewaltig unter den Menschen wirken, und den an sich schwachen Glauben daran befestigen, daß dieser Lehre eine göttliche Kraft einwohnen müsse, da sie ja durch so schwache Werkzeuge und doch mit solchem Erfolge verkündigt wurde. Durch das widerwärtige, wenn wir bedenken, wie das Evangelium sich nicht etwa nur unter
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Martern und Verfolgungen, sondern unter bitterem Spott und kalter Verachtung, ja unter den demüthigendsten Quälereien, welchen sich die unterwerfen mußten, welche das Kreuz annahmen, dennoch fortgepflanzt hat. Daß es sich unter solchen Demüthigungen dennoch so schnell ausbreitete: wie mußte das nicht zum Glauben aufregen, und der Schwachheit desselben zu Hülfe kommen? Aber eben so auch durch das glänzendste und erhebendste. Wenn wir, m.a.Fr., die menschliche Welt jezt betrachten, wie sie sich schon seit einer Reihe von Jahrhunderten gestaltet hat: wo sonst finden wir alle Wirkungen der geistigen Entwikkelung in solcher Pracht und Fülle, wo sonst die Herrschaft des Menschen über die Kräfte der Natur auf dieser Erde zu gleichem Gipfel gesteigert, so daß man kaum glauben sollte, es könne noch etwas größeres erreicht werden, und dennoch erhebt sie sich immer höher! Und wo hat sich das menschliche Leben von allem unwürdigen in der äußeren Sitte, in den gegenseitigen Verhältnissen der Menschen sowol den häuslichen als den öffentlichen, im Ausdrukk der Gedanken und Empfindungen mehr gereinigt als unter christlichen Völkern? Wie sehr ist dadurch Gott der Herr der Schwachheit des menschlichen Glaubens zu Hülfe gekommen, und hat auch für diejenigen gesorgt, die nicht umhin können, wenn ihnen das ewige verkündet wird, hinter sich zu sehen auf das nichtige und vergängliche, die, wenn sie auch zur guten Stunde in den geheimnißvollen Ort eintreten, wo sich des menschlichen Geistes Zusammenhang mit seinem ewigen Urquell darstellt, doch da nicht weilen können, wenn sie nicht zugleich gewahr werden, was ihnen von dannen herkommt im menschlichen Leben. Denn auch diesen in der sinnlichen Schwachheit des menschlichen Geistes befangenen muß es durch solche Beweise seiner Gnade deutlich in die Augen leuchten, daß diejenigen die Lieblinge des Höchsten sein müssen, über die er die Fülle solcher Wohlthaten aus|gießt, und in demselben Maaße ausgießt, als sie das Ewige suchend auch alle äußere Herrlichkeit immer nur wieder für dieses gebrauchen. Und eben in diesem ausschließenden Gebrauch, dessen wir uns freilich immer mehr befleißigen müssen, wenn auch wir jenem göttlichen Zeugniß Kraft geben wollen durch unsern Wandel, in diesem ausschließenden Gebrauch aller unserer Gaben und Güter zur Förderung des Reiches Gottes, darin sind wir auf eigene Weise das Abbild des erstandenen Erlösers, der, so wie er wiedererwacht war zu diesem neuen Leben, nur für den kleinen Kreis der Seinigen lebte, alle Augenblikke, die ihm gegeben waren, für sie benuzte, und sich um die Welt nicht
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ferner bekümmerte, weil er ihr einmal abgestorben w a r am Kreuz. So, m. a. Z., konnten sich denn wohl die Apostel des Herrn mit Recht in dem Bewußtsein ihrer Schwachheit und überhaupt der menschlichen Schwachheit, aber eben deswegen auch in der dankbaren Erhebung der Milde, mit welcher der himmlische Vater dieser Schwachheit zu H ü l f e kam, durch die sichtbare A u f e r w e k k u n g des Herrn aus dem Grabe, v o r allem Zeugen seiner Auferstehung nennen. I I . Aber laßt uns nun zweitens fragen, was diese Benennung Zeugen der Auferstehung f ü r eine Bedeutung hat in Bezug auf den Erlöser selbst? D a finden sich freilich in denselbigen ersten Verkündigungsreden der Apostel mancherlei Äußerungen, die, wenn wir sie nicht richtig verstehen, uns leicht | könnten auf einen falschen Weg verleiten. Gleich in seiner Pfingstrede drükkt sich der Apostel Petrus, nachdem er ebenfalls zuerst von der V e r w e r f u n g und Verurtheilung des Erlösers und dann von der A u f e r w e k k u n g desselben geredet hatte, so aus, Diesen Jesum, den ihr getödtet habt, hat Gott zu einem Herrn und Christ gemacht 1 3 5 . Sollte das seine Meinung haben sein können, daß der Erlöser erst durch die Auferstehung ein H e r r und Christ geworden wäre? So kann es wol im Zusammenhange manchem klingen; allein, m. a. Fr., dies würde gewiß eine sehr unrichtige Anwendung der Worte des Apostels sein. Der H e r r und Christ ist Jesus von Nazareth gewesen von A n f a n g seiner E r scheinung an; als das Fleisch gewordene Wort Gottes hat er das Licht der Welt erblikkt, und überall in seinem ganzen öffentlichen Leben hat er sich bewiesen als den Herrn und Christ. J a die Apostel selbst hätten ihren früheren Glauben an ihn als solchen dadurch verleugnet, wenn sie jezt hätten behaupten wollen, er sei erst ein H e r r und Christ geworden durch seine Auferstehung. U n d er selbst, der Erlöser, hat er nicht schon während seines irdischen Lebens vor seinem Tode eben so große Worte von sich selbst geredet, als die lezten, die er zu seinen Jüngern sprach, indem er ihnen sagt, Mir ist alle G e w a l t gegeben im Himmel und auf Erden? (Matth. 28, 18) H a t er nicht schon immer gesagt, der Vater habe dem Sohne gegeben das Leben zu haben | in ihm selber? (Joh. j , 26) der Sohn habe die K r a f t , die Todten zu erwekken, und sie zum Leben hinzuführen? (Joh. 5, 2 1 . 25) und das sei der Wille seines himmlischen Vaters, daß sie glauben sollten an den, den er gesandt hat? (Joh. 6, 29) Wenn diejenigen, die ihn hörten, damals hätten an seine Auferste-
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hung, auf die auch nicht die leiseste Anspielung vorkommt, denken sollen, um ihn recht zu verstehen: wie gegründete Ursache hätten sie gehabt zu klagen über die Dunkelheit seiner Worte! Auf der andern Seite aber konnte er eben dieses, daß er der Herr und Christ, der zum geistigen Herrscher gesalbte, der über alle früheren weit erhabene Gesandte Gottes sei, konnte er dies stärker als in solchen Worten ausdrükken? So hätten also die Apostel ihn selbst und seine Worte verleugnen müssen, wenn ihre Meinung gewesen wäre, daß er dies erst durch die Auferstehung geworden sei! Wenn wir nun fragen, ob denn eben dies, daß seine Apostel sich so ausgezeichnet die Zeugen seiner Auferstehung nennen, weil es diese Anwendung auf ihn selbst nidit haben kann, gar keine habe: so müssen wir zweierlei in Betrachtung ziehen; einmal den natürlichen Zusammenhang zwischen der Auferstehung des Herrn und seinem Tode, und dann den anderen, zwischen der Auferstehung des Herrn und seiner Himmelfahrt. Wenn ich aber hier sage, den natürlichen Zusammenhang, so kann ich darunter nur das | verstehen, was natürlich ist in dem ewigen Rathschluß Gottes. Auf die Frage nun, was denn die Auferstehung des Herrn in Beziehung auf seinen Tod gewesen sei, werden wir wol keine andere Antwort geben können als diese. Sie war das gleichsam laut ausgesprochene göttliche Urtheil über diejenigen, die ihn zum Tode gebracht hatten, eine außerordentliche göttliche That, wodurch eben jene menschliche Handlung widerrufen und aufgehoben wurde; also diejenige That, durch welche sich Gott nach menschlicher Weise und f ü r die Schwachheit der Menschen freilich, aber so deutlich und bestimmt wie es f ü r diese wohl auf andere Weise nicht hätte geschehen können, zu dem aufs neue bekannte, den die Menschen, an die er gesandt gewesen war, verworfen hatten und getödtet. Die Auferwekkung Christi war in dieser Beziehung, daß ich so sage, die lezte göttliche Stimme, welche ausrief, Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; und indem sie so den Sieg des Erlösers über den Tod darstellte, den die Menschen ihm zugefügt hatten, war sie die Vollendung seines irdischen Werks. Eben deswegen aber reden die Jünger des Herrn von seiner Auferwekkung auch oftmals so, als schließe sie die ganze göttliche Absicht mit dem Erlöser in sich; und gebrauchen eben denselben Ausdrukk, Gott habe ihn erwekkt, f ü r den ganzen göttlichen Rathschluß in Beziehung auf seine Person. So der Apostel Petrus am Ende derselbigen Rede, aus welcher die | Worte unsers Textes genommen sind, als er seine Zuhörer, nach-
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dem er sie niedergeschlagen, nun auch wieder aufrichten will, spricht er so zu ihnen, Nun euch zuvörderst hat Gott erwekket sein Kind Jesum und hat ihn zu euch gesandt, euch zu segnen (V. 26). Hier macht, wenn wir auch auf das vorhergehende gar nicht zurükksehen, schon die ganze Stellung deutlich, daß unter den Worten, er hat Jesum auferwekket, die ganze Ankunft Jesu in die Welt zu verstehen sei, indem der Apostel erst hernach hinzusezt, er hat ihn zu euch gesandt mit seinen Segnungen, mit seinen Wunderthaten. Wird also jenes vorausgestellt, so kann es nur die ganze Sendung des Herrn und sein gesammtes Verhältniß zur Welt bedeuten. Und auch in dieser Beziehung nennen sich die Jünger Zeugen seiner A u f erstehung. Dadurch daß er den Tod nicht nur gelitten, sondern auch besiegt hatte, erschien er erst in dem vollen Glanz seiner Bestimmung, und ging ihm selbst auch erst das Bewußtsein der vollen Zuversicht auf, die er erwekkte; und dadurch wurde er erst verklärt, wie Petrus in der heutigen epistolischen Lection sagt, Gott hat sein Kind Jesum verkläret, diese seine Verklärung war äußerlich erst vollendet durch seine Auferstehung. Und das ist nun die Ursache, warum dies Fest der Auferstehung des Herrn von A n f a n g an, seitdem es in der christlichen Kirche als ein besonderes Fest ist gefeiert worden, auch als das hauptsächlichste und erste aller Feste angesehn worden ist; es führet zunächst zurükk auf den Tod des Herrn, indem das göttliche Werk, das die Menschen vernichtet hatten, wieder aufgerichtet wurde, ja es ist das Fest des Herrn schlechthin von dessen erstem A n f a n g bis zu seinem lezten Ende, die ganze göttliche Führung mit ihm und alles, was der Herr selbst durch diese geleistet hat, in sich schließend. Aber es giebt zweitens auch einen Zusammenhang der A u f erwekkung mit der Himmelfahrt des Herrn. Denn dieser erwähnen die Apostel auch nach dem Tage der Pfingsten in ihren Verkündigungsreden gar nicht besonders, sondern übergehen sie ganz mit Stillschweigen, oder reden nur beiläufig davon, aber nicht als von etwas, das sichtbar zu erkennen gewesen, und wovon sie eben so Zeugen wären, nicht als von einer anschaulich zu erfassenden Thatsache. So sagt Petrus, diesen Jesus hat Gott auferwekket und nun, nachdem er erhöhet ist, hat er ihn gesezt zu einem Richter der Lebendigen und der Todten (Apostelgesch. 10, 40-42). Was Christus gestorben ist, sagt der Apostel Paulus, das ist er einmal gestorben der Sünde, und was er nun lebt, das lebt er Gotte (Rom. 6, 10). Der Auferstandene konnte nicht wieder sterben, und so verstand es
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sich gleichsam von selbst, daß er erhöht werden mußte von der Erde auf eine andere verborgene, unbegreifliche Weise; verborgen sage ich, denn sichtbar und anschaulich konnte immer nur der An-| fang dieser Erhöhung sein, das Ende nicht. Darum erwähnen auch die Apostel dieser nicht anschaulichen Handlung nicht, aber die Auferstehung des Herrn w a r ihnen zugleich schon seine Erhöhung, der Sieg über den Tod auch zugleich der Anfang seiner himmlischen Herrlichkeit 136 . Eben darum sagt Petrus, dadurch hat Gott ihn zu einem Herrn und Christ gemacht: nicht als ob er es geworden wäre, sondern durch seine Auferstehung habe Gott ihn den Menschen als solchen dargestellt, die Thatsache seiner Herrschaft beweise und bewähre sich erst von da an. Indem also nun die Auferstehung des Herrn den Anfang seiner höheren Macht darstellt, den Anfang der Herrschaft, welche er von oben herab über seinen geistigen Leib und durch denselben führt: mit wie großem Rechte erst haben sich, wenn wir dies erwägen, die Apostel die Zeugen seiner Auferstehung genannt! Seine Auferstehung aus dem Grabe und das Leben mit seinem geistigen Leibe, der lebendigen Gemeinschaft der Gläubigen, das gehört wesentlich zusammen; eine und dieselbe himmlische Macht, eine und dieselbe Herrlichkeit des Vaters, die er dem Einen und dem andern bereitet hat, in Einem und dem andern wieder zu erkennen und zu schauen. Und dieses, m. a. Z., ist denn auch ganz vorzüglich die eigenthümliche K r a f t , welche auch f ü r uns in der frommen Feier der Auferstehung des Herrn liegt. Ich habe das in meiner gestrigen Frühbetrachtung von der Seite angedeutet, wie uns aus | diesem erneueten menschlichen Leben in den Tagen der Auferstehung auf eine ganz besondere Weise die vollkommene Lauterkeit und Wahrheit entgegenleuchtet, in welcher alle Christen die festliche Zeit des Daseins seines geistigen Leibes auf Erden begehen sollen. Aber wohin wir auch sehen mögen, überall finden wir in dem, was uns die heiligen Bücher von den Tagen seiner Auferstehung erzählen, und zwar mit einem ganz eigenthümlichen geheimnißvollen Reiz aber zugleich auf die klarste und anschaulichste Weise das reine, göttliche, von der Welt gesonderte, von dem innern und unzerstörbaren ewigen Frieden erfüllte Dasein, in allen Erzählungen davon, wie der Erlöser in diesen Tagen mit seinen Jüngern zusammen gewesen, überall wird uns dies ganz augenscheinlich dargestellt. O da zeigt sich offenbar, wenngleich noch unter leiblicher Hülle, aber doch seine geistige Gegenwart auf Erden, wie sie kein Ende nehmen soll
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außer am Ende der Tage! da zeigt sich der Einfluß, den diese geistige Gegenwart auf uns ausüben soll, wie er ihn damals auf den kleinen Kreis seiner Jünger ausübte, wie sie da in herzlicher Liebe, aber zugleich in scheuer Ehrfurcht um ihn waren, wie er sie mit Schonung zurechtwies aus dem göttlichen Wort und alle Irrthümer von ihnen nahm, aber wie er sie eben so auch mit dem göttlichen Frieden erfüllte; das ist die Kraft des Einflusses seiner Gegenwart auf die Christenheit! | Und so, m. a. Fr., soll es dabei bleiben, daß in diesem Sinne wir alle, wir und unsere Nachkommen bis ans Ende der Tage, Zeugen sind von der Auferstehung des Herrn; Zeugen von dieser seiner geistigen von aller Gemeinschaft mit irdischer Gesinnung, von allem Widerstande des bösen wesentlich befreiten, das ganze Werk Gottes an dem menschlichen Geiste vollendenden Wirksamkeit, Zeugen von dieser sollen wir sein: dann sind wir auch unsererseits Zeugen seiner Auferstehung. Und wenn dann der Herr fortfährt, wie er es ja sichtbarlich thut, auch jezt noch durch Zeichen und Wunder, wenn gleich anderer Art wie ich es vorher erinnert habe, mit denen zu sein, die Zeugen seiner Auferstehung sind; wenn alle geistigen Gebrechen, alle Rohheit und Ungeschlachtheit immer mehr verschwinden, wo das ewige Wort des Lebens, von seinem heiligen Namen getragen, sich vernehmen läßt, und also Gott auf alle Weise dem Zeugniß von der Auferstehung des Herrn zu Hilfe kommt: so wird sich der Glaube auch immer mehr so verklären zu seiner vollen Reinheit, daß wir von Zeit zu Zeit weniger Unterstüzung dieser Art bedürfen, bis zulezt wie ganz von selbst das menschliche Leben verherrlicht ist zu der Gleichheit mit dem vollkommenen Mannesalter Christi, zu der Ähnlichkeit mit jener Lauterkeit und Wahrheit seiner menschlichen Erscheinung in den Tagen seiner Auferstehung, zur gänzlichen Befreiung von allem Zusammenhange mit dem eitlen und nichtigen, wie in jenen vierzig Tagen seine Jünger frei davon waren; und so werden wir uns seiner geistigen Gegenwart, seines Lebens in uns und für uns freuen können immerdar. Amen.
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XX. Die Verheißungen des Erlösers bei seinem Scheiden. Am
Himmelfahrtstage.
Apostelgesch. 1 , 6 - 1 1 . Die aber, so zusammengekommen waren, fragten ihn und sprachen, Herr wirst du auf diese Zeit wieder aufrichten das Reich Israel? Er sprach aber zu ihnen, Es gebühret euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat. Sondern ihr werdet die K r a f t des heiligen Geistes empfahen, welcher auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein zu Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde. Und da er solches gesagt, ward er aufgehoben zusehends, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. Und als sie ihm nach sahen gen Himmel fahrend, siehe, da standen bei ihnen zween | Männer in weißen Kleidern, welche auch sagten, Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr und sehet gen Himmel? Dieser Jesus, welcher von Euch ist aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fahren.
Die große Begebenheit, m. a. Fr., deren Gedächtniß wir heute feiern, war freilich für die damaligen Jünger des Erlösers etwas ganz anderes, als sie für uns ist. Bei seinem Tode hatten sie den Zustand der ersten Betäubung noch kaum überwunden, waren noch kaum zum ruhigen Bewußtsein des Schmerzes über seine Trennung von ihnen gekommen, gewiß wenigstens hatten sie diese noch nicht richtig ansehn gelernt, weil sie sie zugleich für die Zerstörung seines ganzen Werkes auf Erden hielten, als schon seine freudige Auferstehung sie tröstend und belehrend überraschte. Jezt aber, nachdem er vor ihren Augen gen Himmel erhoben denselben entrükkt wurde, sahen sie ruhig und besonnen und gewiß mit einem sehr gereinigten Schmerz, wie man das Ende eines völlig vollendeten Lebens betrachtet, das Ende ihres bisherigen Verhältnisses zu ihrem
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theuren Herrn und Meister vor sich. Für uns hingegen steht diese Begebenheit nur da als der Anfang desjenigen Verhältnisses Christi zu den Seinigen, welches seitdem immer bestanden hat, des einzigen, welches wir aus der unmittelbaren Erfahrung kennen. Wir können daher den Schmerz der Jünger zwar mitfühlen, aber | nicht unmittelbar als unsern eignen; und widernatürlich wäre es, wenn wir uns zu einer Empfindung hinaufspannen wollten, als vermißten wir etwas dadurch, daß uns der persönliche Umgang mit dem Erlöser nicht vergönnt ist. Darnach aber fragen wir billig heute besonders, ob wir wol alles gute und schöne dieses Verhältnisses, wie es zwischen dem Erlöser und den Seinigen nun seit seiner Erhöhung von der Erde besteht, recht im Herzen tragen und es in seiner ganzen Fülle, wie er es uns zugedacht hat, genießen. Gewiß hat dieses gute der Erlöser recht herausgehoben in den tröstlichen Verheißungen, die er seinen Jüngern gab, so oft er sich schon im Geiste zur Rechten seines Vaters erhöht erblikkte. Wenn es überhaupt wenig oder nichts giebt, selbst von dem, was Christus im vertrautesten Umgange mit den Jüngern geredet, das nicht auch auf uns seine Anwendung fände; wenn wir fast alle Rechte, die er ihnen gegeben, wie alle Pfliditen, die er ihnen auferlegt, mit ihnen theilen: wievielmehr werden wir das auf uns anzuwenden haben, was er zu ihnen geredet, um sie auf den Zustand vorzubereiten, welchen wir mit ihnen gemein haben. Wenn wir die bedeutungsvollen sich immer verständlicher entwikkelnden Äußerungen über den Geist und die A r t seines Reiches, die innigen Ergießungen seiner herrlichen Liebe im Vorgefühl seines Scheidens, die ernsten Ermahnungen und Warnungen an ihr unbefestigtes Herz gerichtet, wenn wir dieses alles auch uns gesagt sein lassen, die er mit gleicher Liebe umfaßt, und f ü r die | er eben wie f ü r jene, durch deren Wort wir glauben, gebeten hat; wie viel mehr noch dürfen wir unsern Theil hinnehmen von den erhebenden Verheißungen, durch welche er die Jünger über ihren Verlust beruhigen und ihnen ihren neuen Zustand werth machen wollte. Diese Verheißungen des Erlösers an seine Jünger in Bezug auf sein gänzliches Scheiden von ihnen finden sich zerstreut in seinen Reden, und aus vielen Stellen derselben müßten wir sie zusammensuchen, wenn wir sie einzeln und vollständig übersehen wollten. Aber wie die Gewohnheit unserer öffentlichen Vorträge erheischt Eine zusammenhängende Stelle der Schrift zum Leitfaden derselben zu nehmen: so befriedigt die verlesene Erzählung von der Himmel-
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fahrt eben in so fern unser Bedürfniß, als sie uns bestimmt an diejenigen Verheißungen erinnert, auf welche ich vornehmlich eure Aufmerksamkeit hinlenken möchte, und welche wir uns am unmittelbarsten zueignen können. Denn freilich, wenn der Erlöser den Aposteln sagt, sie sollten warten, bis sie angethan würden mit K r a f t aus der Höhe, und dann seine Zeugen sein: so können wir uns das besondere und eigenthümliche der Pfingstgabe, worauf Christus hier ohnstreitig zielt, nicht aneignen 137 . Aber jene K r a f t aus der Höhe war ja auch nicht der Geist Gottes überhaupt, mit welchem Jesus die Apostel schon in den ersten Tagen seiner Auferstehung angehaucht hatte, ja welchen er ihnen schon früher zuschreibt, wenn er sagt, daß sie ihn f ü r Christum | erkenneten, habe Fleisch und Blut ihnen nicht offenbart, sondern der Vater im Himmel; denn wenn dieser einem etwas offenbart, so geschieht dies eben durch den heiligen Geist, wie auch anderwärts gesagt wird, Niemand kann Jesum einen Herrn heißen, denn nur durch den heiligen Geist 1 3 8 . Bedenken wir nun noch wie hernach Viele seine Zeugen geworden sind, die an jener außerordentlichen Pfingstgabe keinen Theil hatten, wie auch wir es sind jeder nach seiner A r t : wie soll uns eben diese A u f forderung seine Zeugen zu sein nicht an die herrliche Verheißung erinnern, ohne welche Niemand diesen Auftrag zu erfüllen vermöchte, an die Verheißung, die ein anderes Mal der Erlöser demselben Auftrage, gehet hin und lehret alle Völker, hinzufügte, indem er sprach, Und ich will bei Euch sein alle Tage bis an der Welt Ende. Die Worte derer aber, welche, nachdem der Herr hinweggenommen war, zu den Aposteln traten, worauf anders konnten sie sich beziehen, als auf die Verheißung, welche der Herr in den lezten Tagen öfter und unter verschiedenen Gestalten ausgesprochen hatte, daß des Menschensohn wiederkommen werde in aller Herrlichkeit des Vaters, ein Herr und König ein Richter über alles, was da lebet. Wenn wir nun in dieser Stunde gemeinschaftlich der V e r h e i ß u n g e n d e s s c h e i d e n d e n E r l ö s e r s gedenken wollen, so sind es eben diese beiden, die wir ins Auge zu fassen haben, e r s t l i c h daß E r bei uns sein will bis an das Ende der Tage, und zweitens daß E r wieder kommen wird | zum Gericht. Aber, m. a. Fr., laßt uns mit diesen Verheißungen auch gleich umgehn, mit einer wie mit der andern! Wenn keine Zeit zu spät ist für die eine: so laßt uns auch glauben daß keine zu früh sei f ü r die andere. Wenn wir uns der einen als eines unmittelbaren lieben Besizes erfreuen: so laßt uns auch die andere nicht nur ansehn wie eine kaum
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Ausgewählte Festpredigten
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kenntliche Gestalt, die aus dunkler Ferne sich wenig sichtbar nähert. Sondern auf gleiche Weise wollen wir beide uns zueignen, nicht als etwas fremdes und fernes, sondern als etwas, was da ist, worin das Wesen seines lebendigen Verhältnisses zu seiner Kirche, seines wirklich schon aufgerichteten Reiches besteht, wovon er auch deshalb sagen konnte, Es gebührt euch nicht Zeit und Stunde zu wissen, weil es gar nicht an Zeit und Stunde hängt, sondern immer da ist von jener Zeit an, von einer Zeit zur andern aber immer mehr zur Vollendung kommen muß. Auf diese Weise also laßt uns über beide mit einander reden. I. Zuerst laßt uns gedenken der Verheißung des Erlösers, I c h bin bei euch alle T a g e bis ans E n d e der Welt. J a , m. Fr., das muß unser eigenes Bewußtsein, das muß unsere christliche Erfahrung uns sagen. E r ist bei uns immerdar und auf mancherlei Weise. E r ist bei uns in der Schrift, er ist bei uns in den heiligsten und erhebendsten Aufregungen des Gemüthes, er ist endlich bei uns in Gestalt derer, die sein Ebenbild tragen und mit Recht und Ehren seinen Namen führen. | E r ist bei uns in der Schrift. Was Er selbst schon von den Büchern des alten Bundes sagt, Ihr forschet in der Schrift, weil ihr meinet, ihr habt das ewige Leben darin, und sie ist es, die von mir zeuget 139 , wie viel herrlicher und in wie viel größerem Sinne ist dies wahr geworden, seitdem die Schrift des neuen Bundes vorhanden ist, seitdem die Erzählungen von seinen Thaten und Leiden von den Seinigen sind aufgezeichnet, seitdem die in dem Umgange mit Ihm gesammelten Lehren und Vorschriften von den Aposteln in seinem Geist dargestellt und angewendet der Christenheit sind hinterlassen worden. Wo wir auch suchen in diesen Büchern, wenn es mit reinem Herzen geschieht, überall kommt E r uns daraus entgegen, überall ist er vorgebildet, überall finden wir ein heiliges Vermächtniß, das E r uns zurükkgelassen. J a wie es Gemälde giebt, in denen alles Licht, durch welches die übrigen Gegenstände sichtbar werden, von Christo ausgeht: so ist die Schrift ein solches Gemälde, in welchem sein Bild alles andere, was sonst dunkel sein würde, mit einem himmlischen Glänze bestrahlt. Denn wie vieles in der Schrift findet man nicht unverständlich, bedenklich in seinen Folgen, oder übertrieben und unnatürlich, wenn man es aus dem gewöhnlichen Standpunkt der Menschen als allgemeinen Sittenspruch oder Lehre betrachtet, was ganz deutlich wird, wenn man es nur in Beziehung
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auf ihn auf sein Werk und sein Reich sezen will, wie das vom Vertrauen auf Gott vom Entschlagen aller Sorgen von der | Kraft des Gebetes vom ruhigen Erdulden 140 . Und manches, was uns zu hoch sein würde ohne ihn, vom Versöhnen Gottes von dem erbarmenden Reichthum der Gnade von der innigen Gemeinschaft der Menschen mit Gott und dem Wohnen Gottes unter uns: wie nahe tritt uns alles dieses, wie lebendig ergreift uns, was hiervon sich jedesmal mit den heiligen Zügen seiner Gestalt verbindet, so daß sein Thun es uns anschaulich macht, und es gleichsam aus seinem Munde in unser Gemüth hineinströmt. Und viel mag es noch zu erforschen geben in diesen Büchern für redliche Schriftgelehrte, was sie aber auch entdekken mögen, das Bild Christi kann dadurch immer nur heller werden; nie wird es sich verdunkeln oder verändern. Das Bedürfniß Christum auf diese Weise nahe und gegenwärtig zu haben wurde gefühlt, man kann sagen von dem Tage an, wo er hinweggenommen war. Nun sie Ihn selbst nicht mehr sehn und hören konnten, wurden die Gläubigen begierig aus den Erzählungen Anderer auch das zu erfahren, was sie nicht selbst gesehn und gehört hatten, und jeder wollte festhalten und mittheilen, was er besaß; und so entstanden auch bald die schriftlichen Aufsäze, aus denen die Lebensgeschichten Jesu in unsern heiligen Büchern erwachsen sind. Wer fühlt es nicht, wie wichtig für unser lebendiges Verhältniß zu ihm dies heilige Besizthum ist, wie unentbehrlich allen folgenden Geschlechtern dieser Ersaz war! wer fühlt es nicht, welchen Halt Glauben und Liebe gewinnen an diesen vielseitigen | Offenbarungen des Herrn! Und darum wird dieser Schaz uns auch bleiben, wie Er es verheißen hat; Er bleibt bei uns in der Schrift bis ans Ende der Tage. Wie sehr auch der dem Christenthum feindselige Geist diese Bücher hat zu verunstalten und herabzuwürdigen gesucht: sie werden wie bisher so auch künftig alles überstehen. Das Wort sie sollen lassen stahn, und keinen Dank dazu ha'n. Er ist ferner bei uns in den heiligsten und erhebendsten Aufregungen unseres Gemüthes. - Viele freilich sagen bedenklich, es sei nur eine Schwärmerei, wenn man in diesem Sinne von einer besonderen Nähe und Gegenwart des Erlösers redete, und wir hätten mit jener in der Schrift vollkommen genug 141 . Es mag auch sein, daß Einige schwärmen; aber wir wollen doch wünschen, daß auch jenen bedenklichen das nicht fehle, was an diesem Ausdrukk wahr ist; wir wollen nicht vergessen, daß ohne solche Augenblikke auch die Schrift selbst, und also auch unsere Art Jesum in der Schrift
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nahe zu haben nicht da sein würde. Wir kennen ja den Wechsel des menschlichen Lebens, daß auch ohne unmittelbaren Einfluß äußerer Umstände eine Stunde nicht gleich ist der andern, in mancher das Leben stumpfer gehaltloser, andere mit reicherem Segen begabt von Gott. Und gewiß nicht in den gleichgültigeren dürftigeren Stunden haben die Jünger des Herrn sich getraut etwas niederzuschreiben über sein Leben oder seine Lehre; sondern wenn Er ihnen in irgend einer Beziehung besonders lebhaft vor Augen stand, | und die göttliche Gestalt immer mehr in Licht und Glanz verklärt in ihrem Gemüth hervortrat; den Inhalt solcher reichen Augenblikke suchten sie durch die K r a f t des Wortes aufzubewahren. Eben darum ist die Schrift ein solcher Schaz, weil der Segen der ausgezeichneten Augenblikke der Gläubigen in ihr zusammengedrängt ist 142 . Und einen solchen Unterschied sollte es für uns nicht mehr geben? nur deshalb vielleicht nicht, weil ein leibliches Bild des Erlösers, da wir ihn nie mit leiblichen Augen gesehen haben, auch nicht unserm innern Sinne sich darstellen kann? Wir sehen an den ersten Zeiten der Kirche, wie natürlich und gleichsam unmerklich das eine in das andere überging, und also auch beides im Wesen Eins und dasselbe sein muß. So erschien Christus lange nach seiner Himmelfahrt dem Paulus, den er aussenden wollte zu erleuchten die Heiden, der ihn im Leben des Leibes vielleicht nie gewiß nur flüchtig und ferne gesehn hatte, der aber selbst diese Erscheinung als die lezte an die Erscheinungen Jesu in den Tagen seiner Auferstehung anreiht. So sah ihn Stephanus und nach ihm gewiß noch mancher Andere, ungewiß ob mit leiblichem oder geistigem Auge in der Begeisterung des Märtyrerthums zur Rechten des Vaters sizen. So erscheint er auch uns gewiß nur im geistigen Glanz seines friedebringenden Daseins oft in vorzüglicher Nähe und lebendiger Gegenwart, entweder ersehnt und erbetet bei besonderen Bedürfnissen des Herzens, oder auch gleichsam von selbst und unerwartet, wenn das | Leben uns unbemerkt wieder emporgestiegen und herangereift ist zu einem höheren Genuß. Und wie diese sichere Gegenwart Christi bei jenen mit den wichtigsten Augenblikken des Lebens zusammenhing; wie sie den Paulus aus einem obgleich wohlmeinenden Verfolger Christi und der Seinigen in seinen eifrigsten Verkündiger verwandelte, der hernach mit Recht von sich sagen konnte, er habe mehr gearbeitet, denn die andern alle; wie Stephanus entzükkt den Herrn in seiner Herrlichkeit schaute, eben als ihm die Krone des Märtyrerthums dargereicht ward: eben so wird diese unmittelbare
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Nähe des Erlösers auch bei uns bald die bedeutendsten Augenblikke hervorbringen, bald sie verherrlichend begleiten. Wenn wir redlich forschend lange gezweifelt haben, was hie oder da recht sei und wahr: dann wird in demselben Augenblikk der Zweifel sich lösen, und Christus wird uns besonders nahe sein zur Gewährleistung, daß das Herz fest geworden ist in Ihm und durch Ihn, daß, was wir gefunden oder beschlossen haben, seinem Geist und Sinn gemäß ist. Wenn wir irgend einer Versuchung glükklich widerstanden haben in der K r a f t des Glaubens und des Gebetes, dann wird uns auch Christus besonders klar sein und uns zurufen, Gehe hin in Frieden dein Glaube hat dir geholfen; oder auch noch im harten Kampf wird sein plözlich hervortretendes Bild uns mahnen, daß er gestorben ist um uns von der Sünde zu befreien, und das wird den Ausschlag geben für den guten Geist in uns. Wenn wir in uns fühlen eine | allen irdischen Schmerz besänftigende Ruhe, wenn wir mit einer höheren Gewalt der Liebe hingezogen werden zum Ganzen oder zu Einzelnen: dann ist uns auch Christus besonders nahe, der das Band aller Liebe ist, und der uns über alles irdische erhebt und zu sich zieht. Oder auch wenn wir uns seufzend befangen fühlen im irdischen, wird es ein sehnsuchtsvoller Blikk auf Ihn sein, der uns zuerst wieder zu jener reineren heiligen Stimmung emporhebt. Wie könnten wir sonst sagen, daß ein lebendiges Verhältniß zwischen ihm und uns besteht? wie könnten wir sagen, daß wir Theil haben an dem Segen, den E r doch auch uns besonders erbeten hat, daß wir in Ihm leben sollen und Er in uns? Diese seligen Augenblikke sind die Würze des Lebens, sie sind es, die Glauben und Liebe in uns fortleiten, und an denen sich das übrige Leben hält und stärkt; ja sie sind die zusammenhaltende K r a f t der ganzen christlichen Gemeinschaft, denn nur durch sie vermag irgend jemand auch Andere zu stärken und zu beleben. Daher ist Christus uns eben so auch nahe in der Gestalt derer, die sein Ebenbild tragen und mit Ehre und Würde seinen Namen führen. J e mehr nämlich jeder von uns solcher höheren Lebensaugenblikke sich erfreut, als wir hier beschrieben haben: um desto mehr wird er denen, die mit ihm leben, Christum zurükkrufen. Denn diese Augenblikke sind es, durch welche das geistige Leben fortschreitet; jede reine Gesinnung wird durch sie gestärkt, jede Tugend belebt; jedes Gute aber in uns, es trägt je mehr wir | Christen sind, je mehr es auf solche Weise durch die Gemeinschaft mit Christo entstanden ist, auch Christi Bild und Uberschrift; freilich
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in Vergleich mit ihm selbst nur schwach und in getrübtem Glänze, aber doch hilft es uns die wahren unverfälschten Züge seiner Gestalt festzuhalten. Jeder Einzelne freilich zeigt uns nur einzelne Züge des Urbildes, in welchem sich alle Vollkommenheit spiegelt; denn jeder von uns ist nur nach der einen oder der andern Seite hin frei ausgebildet zur Ähnlichkeit mit ihm, von andern Seiten ist wieder diese Ausbildung gehemmt durch die K r a f t der mitgebornen Sündlichkeit oder durch Blindheit und Trägheit. Aber eben darum ist so Christus, wie E r auch selbst verheißen, am vollkommensten unter uns, wo zwei oder drei oder mehrere versammelt sind in seinem Namen 1 4 3 , wo wir uns getrieben von dem Eifer Ihm die Ehre zu geben dankbar f ü r alles, was wir durch Ihn haben, gegen einander aussprechen, wo die brüderliche Liebe gern alles andere vergißt, und den Blikk nur auf dasjenige richtet, worin Er sich verherrlicht hat. O gewiß, diese Offenbarung Christi in seinen Ebenbildern ist ganz wesentlich f ü r unser Verhältniß mit ihm. So ist es uns augenscheinlich gegeben, daß er fortlebt und fortwirkt unter den Seinigen; so befestigt sich in uns, was auch die Welt sage, was sie auch mit höhnischem Frohlokken von der Ausartung des Christenthums von dem allmähligen Absterben seiner K r a f t entgegne, dennoch die tröstliche Uberzeugung, daß seine Gemeine unerschütterlich steht | und sein Bund derselbe bleibt, wieviel sich auch vielleicht in den äußeren Formen desselben ändern mag. Und das ist der Glaube, der die Welt überwindet, und der uns zu keiner Angst kommen läßt, ohnerachtet wir leiblich ganz von unserm schüzenden Herrn und Meister getrennt sind. So, m. Fr., ist Christus auch nach seiner Entfernung von der Erde und ohne leibliche Gestalt den Seinigen nahe. Jeder Christ fühlt dies, und es wird eben so erfahren werden auch bis ans Ende der Tage. II. Wenn wir aber nun auch noch zweitens der Verheißung gedenken, daß E r w i e d e r k o m m t z u m G e r i c h t : so habe ich es freilich schon bevorwortet, daß Ihr sie jener gleich stellen, und sie eben so als schon unmittelbar gegenwärtig und in der Erfüllung begriffen ansehn möget: aber die wenigsten werden dazu so leicht geneigt sein. Es gemahnt uns immer, als habe der Herr seinen Stuhl noch nicht aufgeschlagen zum Gericht; und wenn wir auch endlich wissen, daß das Reich Gottes nicht kommt mit äußerlichen Geberden 144 , so sind wir doch gewohnt von dem Gericht Gottes zu er-
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warten, daß es so kommen werde. Aber welches Recht haben wir eigentlich diesen Unterschied zu machen? Wie das Reich Gottes noch nicht vollendet ist, sondern immer herrlicheres bevorsteht, und noch nicht erschienen ist, was wir sein werden: so freilich ist auch das Gericht Gottes noch nicht vollendet. Dürfen wir es aber deshalb als etwas ganz fernes und nur | als ein künftiges ansehen? Die Schrift verbindet immer beides das Reich Gottes und sein Gericht; wie es um das eine steht, so auch um das andere. Der Erlöser selbst stellt es uns als etwas gegenwärtiges dar, indem er sagt, Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet. Denn ich bin nicht kommen die Welt zu richten sondern selig zu machen. Was wollen wir also warten auf künftiges? Wer unter dem Gericht steht, der ist auch schon gerichtet. Seitdem dies Wort gilt, ist Er auch da zum Gericht, wenn er auch nicht selbst richtet, und seitdem werden gerichtet die Geschlechter der Menschen. Dies Gericht besteht darin, daß zuerst kenntlich gemacht werden die Guten und Bösen, dann daß sie ihren Lohn davon tragen, und endlich daß sie hingehen jeder an seinen Ort. Der Herr also kommt auch jezt schon wieder zum Gericht, in wiefern es zuerst darin besteht, daß die Guten und Bösen kenntlich gemacht werden. - Es wird freilich viel geredet von der Kunst, mit welcher die Bösen sich zu verschleiern wissen, dem, was sie thun, überall einen guten Schein umzuhängen, und in ihren Reden sich als eifrige kräftige Verehrer alles guten und als Hasser des bösen darzustellen. Allein ich glaube nicht zu viel zu wagen, wenn ich behaupte, diese Kunst kann nur diejenigen täuschen, welche selbst das gute nicht fest und lebendig in sich haben. Das wahre und gute erkennet überall sich selbst, und so unterscheidet es auch | sein Gegentheil. Der Herr wußte, was in einem Menschen war, so daß, wenn auch viele an ihn zu glauben schienen, er ihnen doch nicht traute; und auch wir, je näher wir ihm sind, und je mehr wir schon von ihm empfangen haben, sollen und können das ebenfalls wissen. Freilich nicht im Augenblikk und in der Ferne schon; und wer sich heraus nimmt voreilig zu urtheilen, oder gar über Menschen, die ihm nicht nahe genug stehn, und nicht so viel Einfluß auf sein eigenes Leben haben, daß er nöthig hat über sie zu urtheilen, der trägt seine eigene Schuld, wenn er bethört wird, und selbst durch Verbreitung eines falschen Scheines dazu beiträgt den Bösen ihren Wirkungskreis zu vergrößern und ihr Ansehn zu erhöhen. Aber von
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Menschen die uns nahe genug stehn, deren Leben wir beachten können, so daß ein falsches Urtheil über sie uns nothwendig Schaden bringen müßte, von denen sollten wir nicht wissen können, ob sie gut sind oder böse, ob für den Herrn, dem wir folgen, oder wider ihn? Das einwohnende böse sollte sich nicht, wenn auch Lüge und Verstellung sich alles großen bemeistert hätten, doch desto sicherer im kleinen verrathen? nicht in einer Menge von unbewachten Äußerungen, die ihnen vielleicht selbst ganz inhaltlos und unbedeutend erscheinen, die aber die sicherste Kunde geben von dem Innern des Herzens? Gewiß, wandeln wir in solcher Dunkelheit: so thun wir es nicht schuldlos; jeder Tag muß uns hierin weiser machen, wenn anders das Wort des Herrn immer in uns wirkt, und wir uns Ihn | immer mehr aneignen. Was wäre es sonst, daß sein Licht uns erleuchtet, wenn es uns nicht kenntlich machte, wo im Menschen Licht ist und wo Finsterniß? Was wäre es, daß wir seine Stimme hören und ihr folgen, wenn wir nicht auch wahrnehmen könnten, wer ihr nicht mit uns folgt? Und wenn so jeder selbst in seinem Kreise zu unterscheiden weiß die Guten und die Bösen; und wir uns zugleich auf das wohlabgewogene Urtheil auf das sichere Gefühl unserer Brüder verlassen, wo es Noth und wie es recht ist: sind dann nicht überall, wo der Herr seinen Stuhl aufgerichtet hat, auch schon jezt kenntlich gemacht die Guten und die Bösen? Und eben so kommt er auch schon jezt wieder zum Gericht, in sofern es darin besteht, daß die Guten und Bösen geschieden werden. Freilich sind dem Räume nach beide unter einander gemischt, wir finden uns, und noch öfter scheint es uns so als es wirklich ist, auf allen Seiten umgeben von den Kindern der Welt und der Finsterniß, wir fühlen uns von ihnen gedrängt; ihr Anblikk betrübt uns, ihre Nähe ist uns nicht selten gefährlich, ihre entgegengesezte Thätigkeit hemmt die unsrige. Und diejenigen dagegen, die eigentlich zu uns gehörten, wie ferne stehen sie uns oft, daß es kaum möglich scheint einem von ihnen die Hand zu reichen! wie oft fehlt uns ihre Unterstüzung, wie scheint vorzüglich deswegen, weil sie ihre Kräfte nicht genug vereinigen können, das Werk Gottes auf Erden so langsam zu gedeihen! Das alles ist freilich wahr. Aber auf | der andern Seite, erfahren wir nicht immer, daß jeder, der wie wir dem Herrn angehört, uns nahe steht wie kein anderer? Haben wir einmal einen recht erkannt und ins Herz geschlossen: so trennt kein Raum mehr die Geister, keine Zeit verlischt das liebe Bild oder schwemmt den Segen hinweg, den seine Nähe unserm Leben
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gebracht. Die unsichtbare Kirche Christi ist wahrhaft überall Eine, eine lebendige Gemeinschaft ist unter allen ihren Gliedern gestiftet, in welche nichts fremdartiges sich hineindrängen kann 146 . Denn was vermögen die Bösen noch weiter, als daß sie unsere äußere Wirksamkeit anders bestimmen, als sie sich ohne sie und ohne ihr Zuthun würde bestimmt haben? Oder könnten sie wirklich unser inneres Leben stören, den geistigen Genuß, den Christus und der Bund der Seinigen uns gewährt und verbürgt, den Frieden Gottes, das stille Vertrauen, die innige Liebe uns verkümmern? Gewiß wenigstens nur in so fern, als noch etwas ihnen gleichartiges in uns ist: sind wir aber ganz Christi, so hat auch nichts was ihm entgegengesezt und feindselig ist eine Gewalt über uns so wenig als ein Recht an uns; denn hat er gesiegt, so muß er gewiß dem bösen diese Macht genommen haben. Was aber nicht auf mich wirkt, das ist von mir geschieden. Und wie gänzlich sind wir es auch in allem! Wie nahe uns auch einer von den doch nur wenigen ganz undankbaren Verläugnern oder Feinden Christi stehe: giebt es wol etwas worüber wir uns mit ihm verständigen könnten, irgend ein wenn | nur nicht ganz geringfügiges und äußerliches Unternehmen, was wir mit ihm theilen möchten, oder worüber wir, wenn wir eine Gemeinschaft versucht hätten, nicht gleich wieder zerfielen? Kann er uns, uns ganz wie wir sind, zu irgend etwas gebrauchen oder wir ihn? versteht er sich in uns, in unsere Freuden und Leiden, in unsere Ansichten und Gedanken, oder wir in die seinigen? Nein, Gemeinschaft ist uns nicht verliehen, eine Kluft ist zwischen uns befestiget146, welche eigentlich durch keine räumliche Scheidung größer werden kann! kein Wort kommt in der That von jenen zu uns herüber noch von uns zu ihnen; wir können nicht von ihnen sie nicht von uns irgend etwas Einzelnes annehmen, bis sie wirklich zu uns herüber kommen, bis sie das eine große von uns angenommen haben, was wir sie immer bitten an Christi Statt, daß sie sich sollen versöhnen lassen mit Gott. Aber endlich, was zu diesem Gerichte gehört, ja als die Hauptsache angesehen wird, daß nemlich die Gerechten eingehen in ihres Vaters Reich, und die Bösen gleichfalls an den Ort, der ihnen beschieden ist, auch das laßt uns nicht lediglich als eine Verheißung ansehen, die erst auf jenen Tag wartet. Greife vielmehr jeder in seinen Busen und schaue um sich her, daß und wie der Herr auch jezt schon richtet. Manche freilich meinen, dies liege sehr nahe und sei sehr leicht zu finden. Die Tugend, sagen sie, sei ihr eigener Lohn,
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der Fromme allein sei in sich selig, er fühle sich sicher unter Gottes Schuz, | ihm fehle nicht, auch in den Stürmen der Welt, der Friede des Höchsten; der Böse hingegen werde auch seines Glükkes nicht froh, ihm sei bange vor der Vergänglichkeit seiner Genüsse, seine Erinnerungen seien zernagt von dem Stachel des Gewissens, kurz überall sei inwendig der Wurm, der nicht stirbt. Aber wenn wir dann näher zusehn, so finden wir oft, daß die Kinder der Finsterniß, wie sie denn klug sind in ihrer Art, sich vor allem Schaden wohl zu hüten wissen, daß sie in natürlichem oder angelerntem Leichtsinn der Furcht vor der Zukunft entgehen, daß sie in der Gewohnheit des Ungehorsams verstokkt bald im innersten des Gemüthes keine Stimme mehr hören, die sie verdammt, so daß sie in ungetrübter Fröhlichkeit aus dem Becher ihrer unwürdigen Lüste schlürfen. Und eben so sehen wir, wie freilich der Fromme den Frieden Gottes in sich hat, aber wie dieser oft höher ist als die menschliche Natur, und das Herz sich sehnt nach einem Tage der Offenbarung des Herrn, an dem es auch sein Recht erhalte. Und sehen wir wie viele Thränen der Fromme weint um mißlungene Versuche das Gute auszubreiten und zu fördern, wie er sich verzehrt unter dem Hohn und Spott der Widersacher im oft vergeblichen Widerstand gegen sie: dann können wir doch nicht läugnen, daß noch nicht erschienen ist was wir sein werden, und daß der Herr seinen Stuhl noch nicht aufgerichtet hat zum Geridit. Darum laßt uns noch einen andern Standpunkt nehmen als diesen gewöhnlichen, einen solchen, den | uns der Erlöser selbst anweiset 147 , wenn er sagt, Ei du getreuer Knecht gehe ein in deines Herrn Freude, du bist über weniges treu gewesen, ich will dich über viel sezen; und wenn er sagt, Dem faulen Knecht aber nehmet was er hat, und werfet ihn hinaus in die äußerste Finsterniß, da wird sein Heulen und Zähnklappen. Was ist die Verdammniß des Gottlosen, in die er schon jezt eingeht? Daß er immer mehr verliert von dem, was ihm ursprünglich gegeben war, von dem allen Menschen angebornen göttlichen Ebenbilde, daß der göttliche Funke in ihm immer mehr verlischt, und er aus dem Reiche der geistigen Freiheit unter die Botmäßigkeit der Naturgewalt hinausgestoßen wird. Wollen wir noch eine ärgere Verdammniß für ihn begehren? Was hingegen ist das Reich, das uns beschieden ist, auf daß wir es ererben sollen, und in welches der getreue Knecht schon jezt eingeführt wird von seinem Herrn? Es ist eben das geschäftige wirksame Leben, in dem wir schon immer begriffen sind; in dem geht diese Verheißung Jesu in
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Erfüllung. Unter jenen Thränen und Seufzern verdienen wir doch immer etwas für unsern Herrn, und er sezt uns über mehr. Unter dem Widerstand und im Streit wächst uns die geistige Kraft, gestaltet sich herrlicher in uns sein Bild, sehen wir Ihn immer mehr wie Er ist, und werden immer mehr Ihm gleich. Wollen wir, denen es um keinen der Sache selbst fremden äußerlichen Ruhm zu thun ist, sondern nur um das Wohlgefallen unseres Herrn und die frohe Gemeinschaft mit Ihm, wollen wir noch mehr? So waltet der siegreiche Herr, der sidi gesezt hat zur Rechten Gottes! so segnet beglükkt und leitet Er nicht ferne sondern nahe und gegenwärtig alle, die seine Stimme hören und ihr folgen; und so läßt Er die Ungläubigen sich selbst richten jezt und immerdar! Laßt uns daher die Ermahnung zu Herzen nehmen, die jene Männer den Jüngern ertheilen, nicht in ungeduldiger Sehnsucht gen Himmel zu schauen; sondern mit den Jüngern laßt uns umkehren von der Betrachtung seiner Himmelfahrt zur lebendigen Anbetung im Geist und in der Wahrheit, und einmüthig bei einander sein wie sie: so wird Er auch uns begegnen in seiner Liebe und seiner Macht, so wird auch an uns in Erfüllung gehen, was Er seinen Jüngern verheißen hat 148 ; wir werden schmekken und sehen, wie freundlich Er uns gegenwärtig ist, und wir werden mit Ihm sizen, und nach Seinem Sinn und Gesez richten die Geschlechter der Menschen. Amen.
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XXL Predigt am zweiten Tage des Reformations-Jubelfestes 1817 (Einzeldruck)
Preis und Dank sei Gott, der uns sein Wort gegeben, daß es uns sei eine Leuchte auf dem Wege des Lebens. Amen.
M. a. Fr. Großer Begebenheiten Gedächtniß zu bestimmten Zeiten zurückzurufen, hat man von jeher als nothwendig und erhebend anerkannt, nicht nur um dasjenige, dessen unmittelbare Spuren schon im Wechsel der Zeit verweht und entschwunden sind, der Vergessenheit zu entreißen, sondern auch um für dasjenige das Gefühl zu erhöhen und aufs neue zu beleben, was noch immer da ist und fortwirkt; und dies letztere wird bezweckt durch die große Feier dieser Tage. Denn wie wir alle jeden Augenblick die Luft des Himmels athmen und nur in ihr und durch sie leben, doch aber heilsam finden und erquicklich sie, wenn der Himmel heiter lacht, in größeren Zügen einzuschlürfen und uns dieses Lebensverhältnisses inniger und reichlicher bewußt zu werden: so auch ohnerachtet wir täglich im freien Genuß der | herrlichen Wohlthaten leben, welche der Christenheit durch die Kirdienverbesserung zu Theil worden sind, dürfen wir und werden wir es Alle für einen großen Segen Gottes halten, daß er uns aufgespart zum Mitgenuß dieser dreihundertjährigen Feier, um uns inniger, als im gewöhnlichen Leben geschehen kann, durchdringen zu lassen von dem Gefühl der großen Segnungen die uns daher gekommen, und um uns, indem wir uns die göttlichen Fügungen zurückrufen, indem wir die theuren Rüstzeuge des Herrn uns vergegenwärtigen, unseres Zusammenhanges mit ihnen
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und ihrer großen kräftigen Zeit mit ihren Anstrengungen und Kämpfen lebendiger und freudiger bewußt zu werden. Aber wie der einzelne Mensch, dem die Gaben Gottes reichlicher zufließen, sie nicht f ü r sidi allein genießen soll, sondern sie mittheilen und über Andere verbreiten: so auch soll ein Geschlecht, auf welches ein Tag herrlichen Andenkens gekommen ist, nicht f ü r sich allein sich der göttlichen Wohlthaten erfreuen, sondern bedacht sein auch auf die künftigen Geschlechter seinen Genuß fortzupflanzen und sie zu demselben Bewußtsein so weit es möglich ist zu erheben. Überdies auch ist es ein merkwürdiges Kennzeichen alles großen und edlen in menschlichen Dingen, daß diejenigen welche den Grund dazu gelegt immer Freunde gewesen der Jugend, und auf das heranwachsende Geschlecht immer vorzüglich hingesehen haben mit ihren Wünschen und Bestrebungen. Denn da zwar, wo es nur darauf ankommt ein äußeres Joch abzuwerfen, eine augenblickliche Gefahr glücklich zu bestehen, da vermag wohl der Gedanke an uns selbst und unsere Zeitgenossen uns zu begeistern und wacker zu erhalten; wo es aber auf Erneuerung des innern Lebens ankommt auf Pflanzung eines neuen Heils f ü r die Menschen, da | haben immer alle, denen es am meisten am Herzen gelegen, eingesehen und gefühlt, daß ihre Hofnungen vorzüglich auf dem künftigen Geschlecht beruhen müßten. Darum w a r der Erlöser selbst der erste Kinderfreund, wohlwissend, daß wenn diese nicht sein Wort festhielten, dann seine Erscheinung vergeblich gewesen wäre auf Erden. Darum auch waren der selige Mann Gottes Martin Luther und seine Genossen bey dem großen Werk der Läuterung christlicher Lehren und Sitten ganz vorzüglich durchdrungen von dem schmerzlichen Gefühl, in welchem Zustande der Rohheit und Finsterniß, und mit wie wenigen Hülfsmitteln um den schlummernden göttlichen Funken zu erwecken das künftige Geschlecht heranwachse, und ein großer Theil ihrer Bemühungen w a r diesem gewidmet. Hätte derselbe Geist alle ihre Nachfolger und Schüler alle Theilnehmer der wiedergewonnenen Güter gleichmäßig beseelt, wären alle immer darauf bedacht gewesen das künftige Geschlecht leichter und reiner, frommer und kräftiger zu bilden als ihnen selbst wiederfahren w a r ; wieviel weiter verbreitet müßte unter uns sein ein fest im Herzen gewurzelter Glaube! wieviel allgemeiner ein frisches und in Gott fröhliches der geläuterten Lehre würdiges Leben! Wolan denn, wenn also wir und unsere Väter mannigfaltig müssen gefehlt haben in dem was der Christ dem künftigen Geschlechte schuldig ist: so ist uns nicht mit Unrecht
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heute hier vor Augen gestellt unsere Jugend, der theure Gegenstand unserer Liebe und Sorge und unserer heiligsten Pflichten, der Erbe aller unserer Güter und Segnungen in dem Maaß als wir sie ihnen mittheilen und sie zum Besitz und Genuß derselben einleiten; und so giebt es kein würdigeres Ende dieser hochfestlichen Tage, als das heilige Gelübde diesen Beruf | würdig und eifrig zu erfüllen. Dazu segne der Herr die Andacht dieser Stunde. Matth. 18, 5. u. 6. W e r e i n s o l c h e s K i n d a u f n i m m t i n m e i n e m Namen, der n i m m t mich auf. W e r aber ä r g e r t dieser K l e i n sten e i n e n d i e an m i c h g l a u b e n , dem w ä r e b e s s e r d a ß ein M ü h l s t e i n an s e i n e n H a l s g e h e n k t und er e r s ä u f t würde im M e e r d a es a m t i e f s t e n i s t .
Im genausten Zusammenhange mit dem, was wir eben in uns angeregt haben, stehn diese Worte. Unser Herr sagt uns darin ganz deutlich und unverhohlen, nicht der sei der größte im Himmelreich, der, wenn auch auf die reinste und geistigste Weise für seine Seele allein sorge, sondern der die Kinder aufnehme, und der strafbarste, der diese ärgere. Diese aufnehmen heiße ihn aufnehmen, und gewiß dies ist das größte, was dem Christen als Erfolg seiner Bemühungen kann verheißen werden. Was kann aber die Kinder aufnehmen bedeuten als sie in das Reich aufnehmen, welches der Erlöser gestiftet? was sie ärgern, als sie in dieser Beziehung vernachlässigen oder gar den Zug ihrer eigenen Herzen dorthin hemmen? Und so mahnen uns diese Worte an die Pflichten, welche uns allen gegen die Jugend obliegen. Aber indem wir diesen Gegenstand in nähere Verbindung bringen mit unserm Fest, so bleiben wir billig bei dem stehen, was sich auf die Güter besonders bezieht, welche uns durch die Verbesserung der Kirche anvertraut worden sind. Diese können wir aber vornehmlich zurückführen auf den wiedergewonnenen freien Gebrauch des göttlichen Wortes, und darauf, daß die große Lehre des Christenthums von der Vergeblichkeit aller äußern Werke und von der Gerechtigkeit allein durch den Glauben aufs neue unter uns ist festgestellt [ worden. So werden es demnach zwei Vorsätze sein, in denen unsere heutige Betrachtung vollendet wird, daß wir der Jugend wollen b e h ü l f l i c h sein zum f r e i e n G e b r a u c h des g ö t t l i c h e n Wortes, und d a ß w i r s i e e r z i e h e n w o l l e n z u d e r G e r e c h t i g k e i t , d i e a u s d e m G l a u b e n k o m m t . Zu dieser zwiefachen Betrachtung erbitten wir uns den Segen des Herrn.
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I. Aus den Geschichten, welche in diesen Tagen jeder sich aufs neue hat zu vergegenwärtigen gesucht, wissen wir alle, wie tief schon seit geraumer Zeit vor der Verbesserung der Kirche das Wort Gottes in Dunkelheit vergraben war. Schon in der Ursprache selten genug für die Schriftgelehrten, in der Muttersprache aber für das Volk so gut als gar nicht vorhanden, vernahmen die Meisten wenig mehr davon, als das, was nicht selten noch verstümmelt und mißverstanden, den Predigten zum Grunde gelegt wurde; und das Gedeihen des großen Verbesserungswerkes offenbarte sich vorzüglich durch die große Begier, mit welcher von vielen tausenden Luthers Ubersetzung der heiligen Schrift aufgenommen wurde. Nirgends jedoch, m. a. Fr., ist das Gefühl eines Zustandes, nachdem es schon Gewohnheit und Bedürfniß geworden ist, noch eben dasselbe, wie in seiner ersten Entstehung. Das Gefühl unserer Vorfahren als ihnen das Wort Gottes gleichsam neu und frisch vor Augen lag, können wir unmittelbar nicht theilen; aber doch müssen wir an einem Tage wie der heutige versuchen uns lebhaft vorzustellen, welch neues Licht ihnen auf einmal muß aufgegangen sein über das Wesen des Christenthums, wie das überstäubte und verloschene Bild des Erlösers plötzlich vor ihren Augen hergestellt ward, und sich in seiner ganzen Liebenswürdigkeit den Herzen eingrub. Und glaubt ihr nicht, daß auch die Jugend mit wird ergriffen worden sein von | diesen Eindrücken? glaubt ihr nicht, daß sie sehnsüchtig gefragt haben wird nach dem wodurch alle Herzen so erhoben wurden und geistig gesättiget? und Väter und Mütter sollten sie dann nicht willig und freudig hingeführt haben zu den Schätzen des göttlichen Wortes, und sie eingeladen auch zu sammeln und zu genießen? Gewiß haben sie es gethan! und m. Th. können wir auch nicht das ganze begeisterte Gefühl jener Zeit in unser Leben hinübertragen: o so wollen wir uns wenigstens hüten, daß wir hierin nicht nach einem entgegengesetzten Sinn und Geiste handeln. Darum halte ich es für meine theuerste Pflicht an dem heutigen Tage euch aufmerksam zu machen auf einen verderblichen Irrthum, der sich eingeschlichen hat in unsere Behandlung der Jugend 149 . Wir haben uns eingeredet, und bei den meisten ist auch das gewiß aus guter Meinung hervorgegangen, unsere Kinder könnten nur erst sehr spät die heilige Schrift verstehen; und wenn wir sie ihnen zu zeitig darböten, so werde ihnen dadurch nur auch für die Zukunft theils Lust und Liebe dazu geraubt, theils die heilige Ehrfurcht und Scheu, womit sie einst dem göttlichen Worte nahen sollten, im voraus untergraben. Und freilich
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Mio]
giebt es hier einen gefährlichen Mißbrauch, freilich ist es ein schwerer Frevel, wenn wir die heilige Schrift unsern Kindern zum gleichgültigen todten Wortgetön herabwürdigen! Aber daß wir nur nicht mit dem Mißbrauch zugleich den Gebrauch, mit dem Frevel zugleich den Segen weggeschafft haben. Wie meinen wir es, daß die Jugend erst fähig sein soll das Wort Gottes zu verstehen? Sollen wir es in dem vollen Sinne nehmen, daß sie erst fähig sein soll alles, was man ihr davon darbieten kann, seinem ganzen Zusammenhange nach mit genauer Bestimmung der Bedeutung eines jeden Wortes und jeder Redensart aufzufassen, damit nie zu viel oder zu wenig in ihren Seelen hängen bleibe? J a dieses Verstehen des göttlichen Wortes ist ja, wie wir gar wohl wissen, nur die Sache der Schriftgelehrten, und auch für sie eine Aufgabe, der ihre Bemühungen fortwährend gewidmet sind, indem sie sich nodi nicht rühmen sie vollständig gelöst zu haben. Sollen wir also darauf warten, so müßten wir ganz zurückkehren zu der Handlungsweise der Kirche, in welcher die Schrift nicht allgemein und frei geöffnet ist dem Gebrauch aller Christen; so dürften auch wir, die Verkündiger des göttlichen Wortes bei dem größten Theil unserer Zuhörer uns nicht auf ihre eigne Erfahrung vom Worte Gottes berufen, sondern müßten sie allein auf das verweisen, was wir darüber sagen, und wenn Ihr freie evangelische Christen vor diesem Gedanken schaudert, so ist er gewiß uns eueren Lehrern noch unerträglicher. Also das kann die Meinung nicht sein; mit einem unvollständigeren Verständniß begnügt ihr euch alle, und wundert euch darüber nicht bei einem Buch aus ferner Zeit und fremder Sprache; sondern nur so lange wohl soll die Jugend warten, bis sie wenigstens dieses unvollkommnen Verständnisses, das Eltern und Lehrer ihr geben können, fähig ist, bis sie, da doch alles auf Gott und des Menschen Verhältniß zu Gott zurückgeht, den Gedanken des höchsten Wesens fassen kann. Aber meine theuren Freunde, wer kann diesen fassen? Wohnet nicht der Ewige im unzugänglichen Licht 150 ? wissen und fühlen wir es nicht, daß unsere Vorstellungen von ihm, wie sehr wir sie auch zu reinigen suchen und wie genau abzumessen, doch immer uns selbst nicht genügen, und immer noch etwas darin bleibt von Bild und Gleichniß? Sollen wir die Jugend deshalb fern halten vom göttlichen Wort, weil ihre Vorstellungen noch etwas kindischer sind als die unsrigen? | Und wenn wir das immer aufs neue inne werden, daß niemand zum Vater kommen kann denn durch den Sohn; warum wollen wir sie gewaltsam von dem zurückhalten, der selbst die Kindlein zu sich
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gerufen hat? Viel eher gewiß als diejenigen glauben mögen, die am meisten jenen Bedenklichkeiten Gehör geben, entwickelt sich in unsern Kindern das Bedürfniß des höheren und göttlichen, und mit dem Bedürfniß auch die Fähigkeit es zu befriedigen. Warum sollten wir das auch nicht glauben? Wollen wir nichts darauf rechnen, daß das Wirken des göttlichen Geistes in uns ihnen vor Augen liegt? Nichts darauf, daß unsere eigene Frömmigkeit Ahndungen in ihnen erregt, die sich nicht mehr ganz beschwichtigen lassen? wollen wir so gar nichts darauf rechnen, daß sie schon durch die Taufe aufgenommen sind in die Gemeinschaft der Christen? Gewiß, verstehen sie nur erst unsere Ermahnungen und unsere Vorschriften und ist auch in ihnen aus der Lust die Sünde gebohren, werden sie in sich selbst inne den Unterschied von Gehorsam und Ungehorsam: so regt sich auch ihr Gewissen, die Stimme Gottes in dem Menschen die ihn lehrt nach Gott fragen; so werden sie auch bald aus dem in seinem ganzen Zusammenhange fast schwierigsten Buche des neuen Bundes dem Briefe Pauli an die Römer das herrliche Wort verstehen von dem Gesetz in den Gliedern das da widerstreitet dem Gesetz in dem Gemüthe 1 ® 1 . J a auch das kindliche Herz sobald in ihm der Streit des Geistes und des Fleisches erwacht ist, kann diese Schilderung auf sich anwenden; auch dieses hat seine Seufzer und Thränen unter denen es fragt, wer wird mich erlösen von diesem Leibe des Todes? Und merken wir nur auf diese Augenblicke: so werden wir sie auch bald, sei es auch zuerst nur auf kindliche Art, die Antwort verstehen lehren: ich danke Gott | der mir den Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesum Christum. - Ist es nicht das süßeste und liebste Geschäft der mütterlichen Liebe andächtig darauf zu merken, wie sich allmählig in dem jungen Geschöpf die menschlichen Kräfte entfalten, und jeder ersten Regung hülfreich entgegenzukommen, bis endlich das ganze Gemüth sich aufgeschlossen hat, und freudig seine Schößlinge und Knospen treibt? Und was ist in diesem selbst wieder das heiligste, als auf die ersten Spuren zu merken von der Empfänglichkeit für das Eine was Noth thut, auf das erste Verlangen nach einem höhern Leben? und was können wir, wo wir dies merken, besseres thun als ihm entgegenkommen mit der lauteren Milch des göttlichen Wortes? Danken wir also heute Gott dem Herrn inbrünstiger als je für die Wohlthat seines Wortes; wolan, so laßt uns auch das Gelübde ablegen, die heilsamen Wirkungen desselben nicht zu hemmen und zu verspäten! laßt uns die heilige Pflicht anerkennen, nicht mit allzubedenklicher Vorsicht un-
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sern Kindern das Wort Gottes vorzuenthalten, vielmehr was irgend davon das geistige Leben in ihnen erwecken, was irgend die Sehnsucht ihres Herzens stillen kann, zur guten Stunde unter väterlicher und mütterlicher Leitung ihnen anzubieten, damit wir sie nicht ärgern, sondern sie aufnehmen. Und Ihr, geliebten Kinder, die ihr auch in diesen Tagen bekannt gemacht seid mit der Veranlassung der großen heutigen Feier, bedenket welch ein heiliges Kleinod das Wort Gottes unseren Vätern war, und noch jetzt uns allen ist; bedenkt was für große herrliche Männer der Herr sich ganz eigen dazu ausbilden mußte und ausrüsten um sein Wort hervorzuziehen aus dem Staube der Vergessenheit; und was ihr hierüber gehört und gelesen, das laßt euch fleißig begleiten und vor Augen stehen bei der Lesung des göttlichen Wortes! | Ihr werdet es jetzt selbst fühlen, daß es viel zu groß und heilig ist um behandelt zu werden gleich andern menschlichen Büchern. Von diesen nehmt ihr so manches vor euch nur um einen müßigen Augenblick nicht unnütz auszufüllen; so greift nie nach dem Worte Gottes, sondern nur wenn ihr einen Drang und ein Bedürfniß fühlt, das nur dadurch kann gestillt werden. Andere menschliche Bücher werden euch gegeben um manches gute und nützliche daraus zu lernen; aber von dem Worte Gottes glaubt ja nicht, daß etwas damit gethan ist, wenn ihr nur lernt. Vielmehr was ihr eucii daraus auch eigen macht, es hilft nicht, sondern liegt nur todt in eurer Seele, wenn es euer Herz nicht bewegt. Aber wenn ein solcher Spruch warnend oder antreibend vor eure Seele tritt, darauf merkt, wenn er euch bestätigt ein Verbot eurer Eltern und Lehrer, wenn ihr darin wieder findet die väterlichen und mütterlichen Ermahnungen, dann werdet nur um so wachsamer und sorgfältiger. Thut das, und ihr werdet zeitig zu eurem Heil die K r a f t des göttlichen Wortes in eurem Herzen spüren, und die Liebe dazu, die Ehrfurcht dagegen werden in euch immer mehr wachsen und sich befestigen. Wir aber m. Th. die wir die Kinder vorzüglich aus unsern Schulen vor uns versammelt sehn zu dieser wichtigen Feier, nicht genug können wir wohl Gott bei dieser Gelegenheit dafür danken, daß in der Zeit des verderblichen Klügeins über göttliche Dinge des zerstörenden Meisterns an heilsamen Einrichtungen nicht auch der Zusammenhang zwischen Kirche und Schule unter uns ist aufgelöst worden; denn nur durch diesen ist ein großer Theil unserer Jugend zu einer frühen Bekanntschaft mit dem göttlichen Worte gelangt, an
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deren gesegnetem Einfluß wir nicht zweifeln dürfen. Wo diese | fehlt, wie viel leichter wird der Keim des Guten zurückgedrängt, wie viel leichter stürzt sich die Jugend in alle Verirrungen hinein! und welch ein kleiner Theil derselben kehrt wohl nach einer schmählichen Unterdrückung des frommen Sinnes auf den Weg des Lebens zurück! So laßt uns denn voll innigen Dankes aufs heiligste geloben soviel an uns ist die Jugend zu erziehen in der rechten Furcht und Erkenntniß des Herrn, und ihr frühzeitig sein Wort mitzugeben als eine Leuchte auf ihren Weg. II. Die zweite große Wohlthat der Kirchenverbesserung aber war, daß die Zuversicht auf äußere Werke, welche sich leider auch in die Christenheit eingeschlichen hatte, gebrochen, und die große Lehre von der Gerechtigkeit durch den Glauben ist hergestellt worden. Worin das Wesen dieser Lehre besteht, das ist mit Recht so oft der Gegenstand unserer Betrachtung, das finden wir in den Worten der Männer Gottes, deren Andenken uns in diesen Tagen erfüllt, so herrlich ausgedrückt, davon ist soviel die Rede in unsern kräftigsten und erbaulichsten Kirchenliedern, daß ich nicht nöthig halte jetzt davon, als wäre es etwas unbekanntes, zu reden. Aber was es heiße die Kinder dazu zu erziehen, das ist die Frage, die wir uns zu beantworten haben. Und hier ist ohne Zweifel das erste und wichtigste dieses, daß wir recht sorgsam verhüten, daß sich keine andere Gerechtigkeit in den Kindern bilde, damit sie empfänglich erhalten werden f ü r diese eine, die allein vor Gott gilt. D a ß dies gar sehr von uns abhängt, müssen wir wohl fühlen; denn an unseren Äußerungen der Zufriedenheit und der Mißbilligung bildet sich ja zuerst das Gewissen unserer Jugend; und auch in dieser Hinsicht habe ich vor einem sehr weit verbreiteten Fehler zu warnen 152 . In jeder Gesellschaft muß gar vieles geschehen | und unterbleiben, damit ein Glied nicht das andere störe, sondern jedes ruhig im Ganzen bestehe, und alles dies hat den gleichen Werth, es mag gern geschehen oder ungern, es mag Wahrheit sein oder Schein. Dergleichen ist gar vieles von dem was menschliche Ordnungen Gesetze und Sitten in der bürgerlichen Gesellschaft fordern und verbieten; und dergleichen giebt es auch viel im häuslichen Leben, und noch mehr natürlich wo eine größere Menge von Kindern zum Unterricht und zur Übung ihrer Kräfte versammelt sind. Wie nun offenbar in dem Maaß, als diese Ordnungen gehalten werden oder übertreten, Eltern und Lehrern ihr Geschäft leicht gemacht wird oder
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schwer: so ist es natürlich, daß die Übertreter müssen getadelt werden und bestraft, die Folgsamen aber gelobt und ausgezeichnet. Aber eben darin liegt, hüten wir uns nicht sehr, eine gar zu natürliche Verleitung für unsere Jugend einen zu großen Werth zu legen auf dasjenige, was doch nur äußerlich ist, und also nach einer falschen Gerechtigkeit zu streben, und nicht genug kann dieser Gegenstand der Aufmerksamkeit aller christlichen Eltern, und aller die an der Leitung der Jugend theilnehmen, empfohlen werden. Denn das wird unsere Kinder nie irre machen oder ärgern, daß Lohn und Strafe auf diese äußere Seite des Betragens gelegt sind, wenn wir sie nur darauf führen auch Lohn und Strafe nur als etwas äußeres anzusehn, wenn sie nur merken, daß auch das bestrafte Kind mehr geliebt werden kann und das belohnte weniger, und daß es also etwas höheres für uns giebt als diese äußern Tugenden. Wenn sie aber sehen daß alles, was wir von Liebe Anhänglichkeit Theilnahme spenden, immer den äußerlich folgsamen pünktlichen und bequemen Kindern am meisten zu Theil wird: werden sie dann nicht geärgert, wird nicht ihr erwachendes | Gewissen verwirrt und das Werk des göttlichen Geistes in ihnen gestört? Denn müssen sie nicht verleitet werden, wenn auch nicht der Furcht vor der Strafe und einem beschränkten Ehrtriebe allein zu folgen, wenigstens doch den natürlichen Sinn für Recht und Ordnung und für äußere Gesetzlichkeit als das höchste anzusehn? und sind sie dann nicht durch unsere Schuld auf dem Wege zu einer falschen und verkehrten Gerechtigkeit? Wird es nicht unsere Schuld sein, wenn sie einst dem strafenden Geist einen leeren und falschen Ruhm entgegenstellen? O so laßt uns ja allen Fleiß anwenden, daß wir hier das rechte nicht verfehlen! Danken wir heute Gott auf das innigste, daß er allen eitlen Ruhm von uns genommen, und dagegen uns hat theilnehmen lassen an der Gerechtigkeit aus dem Glauben: so laßt uns auch geloben unsere Jugend soviel an uns ist auf denselben Weg hinzuleiten. Auf uns sieht sie; laßt uns ihr immer zeigen, daß wir allem äußern Thun nur äußere Anerkennung gewähren, daß aber unser Herz darauf achtet und lauscht, wo sich etwas anderes und besseres in ihnen rege. Und in dem Maaß als sie ahnden können was in unserm Leben aus dem Glauben kommt, laßt uns ihnen zeigen, daß wir dafür am meisten Gott danken, daß wir nichts sehnlicher wünschen als auch sie in die Gemeinschaft dieser Gesinnung aufzunehmen; laßt uns ihnen zeigen, daß sie uns dann und in dem Maaß am liebsten sind, wenn dafür ihr Herz geöffnet ist, wenn das sie
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mit Ehrfurcht erfüllt, wenn sie bereit sind auch in ihrem Leben sich von diesem Geiste führen und leiten zu lassen. So thun wir gewiß das unsrige um sie aufzunehmen, und können getrost der göttlichen Gnade das übrige anheimstellen. Und ihr geliebten Kinder, die ihr schon Theil habt an dem gemeinsamen Leben des Unterrichts, nehmt dies | Wort wohl zu Herzen. Fühlt ihr es, wie innig wir uns in diesen Tagen darüber freuen, daß wir losgekommen sind von dem irrigen Wahn, als könne der Mensch durch äußerliches Betragen Gott und sich selbst zufrieden stellen: so bedenkt auch, daß eben so wenig ihr uns oder euch selbst auf diese Weise zufrieden stellen könnt. Wundert euch nicht, daß wir immerfort Gehorsam und Pünktlichkeit in allen äußeren Ordnungen von euch fordern, und daß doch unsere Freude an euch und unsere gute Hoffnung von euch auf ganz etwas anderm als diesem Gehorsam und dieser Pünktlichkeit ruhen. Lebt nur frisch und fröhlich in eurem Kreise: so wird sich auch bald in euch ein gemeinsames Gefühl entwickeln von ganz demselben Inhalt. Ihr werdet bald merken, daß diejenigen, welche sich auf Gehorsam und Pünktlichkeit etwas zu gute thun, nicht die sind, die ihr am meisten liebt und achtet; keinesweges etwa sofern ihr euch noch am Ungehorsam erfreut, sondern weil der Hochmuth auf dieses äußerliche Wesen nur da sein kann, wo das bessere fehlt, und weil, wo er einmal ist, und der Mensch also mit seiner äußeren Tadellosigkeit zufrieden, er gar kein Verlangen haben kann im wahren Guten zuzunehmen. Fragt ihr aber fleißig danach, ob ihr Gott im Herzen habt, ob ihr mit rechter Liebe denen zugethan seid, die Gottes Stelle an euch vertreten, dann werdet ihr auch bald merken, daß das Gottes Geist und Gabe in euch ist, und werdet mit uns ein Verlangen darnach tragen, daß diese fest in euch begründet und erhalten werde. Und so möge euch Gott aufbewahren, ohne daß ihr in die äußere Heiligkeit verstrickt werdet, bis auch ihr empfänglich werdet für die Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt. Wir alle aber m. Fr. wenn wir heute vorzüglich unserer Jugend gedenken, werden gewiß Ursache finden | uns auch besonders darüber zu freuen, daß auch unser bürgerliches und geselliges Leben darin bedeutend gewonnen hat durch Gottes Gnade, daß es dem Menschen wenig Veranlassung giebt sich auf das Äußere seines Thuns allein zu verlassen, um dadurch wenn auch nur der Menschen Achtung und Liebe zu gewinnen, daß es in seiner ganzen Gestaltung immer mehr den Eindruck macht, unser Volk bestehe aus solchen, welche ihren
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Werth und ihre Beruhigung nur in dem Besitz der Güter suchen, die dem Menschen im Glauben kommen und durch den Glauben, und daß alle äußeren Rechte und Ordnungen nur darauf hinzielen, diese Bestrebungen immer freier gewähren zu lassen und immer sichrer zu stellen. Möge noch immer mehr aller leere Schein hinsinken und zu Grabe getragen werden, alle Zuversicht nur ruhen auf der Eintracht der Gemüther im Guten, alle Achtung sich immer mehr der ächten deutschen Liebe und Treue und der wahren einfältigen Gottseligkeit zuwenden. Je mehr wir in diesem Sinne bauen, um desto mehr gestalten wir uns zu einem christlichen Volk, und um desto leichter muß es uns auch werden, indem die ganze Gestalt des Lebens mit unserer Lehre und Leitung übereinstimmt, unsere Jugend so zu führen, daß wo ein Keim des göttlichen Lebens sich hervorthut, dieser gewiß genährt und belebt werde, damit sie hindurchdringe zur wahren Freiheit der Kinder Gottes, die darin besteht, daß der Mensch sich ergebe ein Knecht zu sein der wahren Gerechtigkeit frei von jedem aufgeblasenen Wahn und eiteln Hochmuth. So demnach fortwährend das Leben zu reinigen, damit jedem künftigen Geschlecht noch vollkommner übergeben werde die große Wohlthat, deren Gedächtniß wir feiern, das sei unser heutiges Gelübde. J a Herr Gott, der du allein weise bist. Wie alle | deine Welten so zusammenhangen, daß nichts darin fehlen darf, wenn auch das übrige bleiben soll wie es ist, so auch alle deine Fügungen mit den Geschlechtern der Menschen. Und so fühlen auch wir, wie alles gute und herrliche, dessen wir uns erfreuen, in Verbindung steht mit der großen Wohlthat, deren Gedächtniß wir jetzt feiern, und wie alles sich immer mehr gestaltet zu einem großen Werke des Segens würdig der innigsten Dankbarkeit und der tiefsten Anbetung. O möchten alle die daran theilnehmen auch recht durchdrungen sein von dem Gefühl aus welchem Zustande der Erniedrigung sie sind errettet worden durch die treuen Diener deines Wortes, und fest halten über den so theuer erworbenen Gütern! Dir Herr, der du niemals deine Kirche verlassen hast, der du sie jetzt, wie wir gläubig hoffen, besonders bauest und segnest, deinen Kindern zum Trost und zur Freude, dir sei sie besonders von uns empfohlen an diesem Tage. Je weiter wir heute in die Vergangenheit zurücksehn und also des Wechsels menschlicher Dinge gedenken, desto weniger können wir uns des Gedankens erwehren, es könnten auch in Zukunft noch wiederkehren Tage der Betrübniß, der Dunkelheit und der Ver-
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wirrung. Aber der Geist deines Sohnes, den du uns gesandt, hat noch immer gewaltet in seiner Gemeine. Je mehr die Finsterniß verbreitet ist, um desto stärker bricht er hervor hie und da als der feurige Geist, der die Welt straft und die Verirrten sammelt; je ruhiger Licht und Freiheit herrschen, um desto milder waltet er unter den Gläubigen als der Geist der Wahrheit und der Liebe der aus dem Schatz des Erlösers nimmt und es den seinigen verklärt. So möge er reichlich auch unter uns walten, so möge er reden und lehren durch die Diener des gereinigten Evangelii, so möge er sein mit allen denen | welche arbeiten an dem künftigen Geschlecht. Größeres, das hat dein Sohn selbst gesagt, können wir nicht thun, als aufnehmen die Kindlein. Empfangen sie von uns dein Wort und werden sie geleitet zu einem christlichen Leben: dann leben und wirken auch wir fort unter einem würdigen Geschlecht, dann erfreuen wir uns nicht nur der Vergangenheit sondern auch der Zukunft und erlangen unser Theil an der Herrlichkeit des Herrn, daß er bei uns ist bis ans Ende der Tage. So sei es, Amen. |
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XXII. Predigt am Totenfeste 1826 (Einzeldruck)
Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes, unsres himmlischen Vaters und die trostreiche Gemeinschaft seines Geistes sei mit uns. Amen. 1. Thessalonich. 5, 1 - 1 1 . Von den Zeiten aber und Stunden lieben Brüder, ist nicht Noth euch zu schreiben. Denn ihr selbst wißt gewiß, daß der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Denn wenn sie werden sagen, es ist Friede, es hat keine Gefahr, so wird sie das Verderben schnell überfallen, gleidiwie der Schmerz ein schwangeres Weib, und werden nicht entfliehen. Ihr aber, lieben Brüder, seid nicht in der Finsterniß, daß euch der Tag wie ein Dieb ergreife. Ihr seid allzumal Kinder des Lichts und Kinder des Tages; wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsterniß. So laßt uns nun nicht sdilafen wie die Andern, sondern laßt uns wachen und nüchtern sein. Denn die da schlafen, die schlafen des Nachts, und die da trunken sind, die sind des Nachts trunken. Wir aber, die wir des Tages sind, sollen nüditern sein, angethan mit dem Krebs | des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung zur Seligkeit. Denn Gott hat uns nicht gesezt zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besizen durch unsern Herrn Jesum Christum, der für uns gestorben ist, auf daß, wir wachen nun oder sdilafen, wir zugleich mit ihm leben sollen. Darum ermahnet euch unter einander, und bauet einer den andern, wie ihr denn thut. M . a. F . diese W o r t e des Apostels beziehen sich allerdings zunächst auf die damals unter den Christen allgemein verbreitete und auch so natürliche E r w a r t u n g , daß der gen H i m m e l aufgehobene Erlöser b a l d wiederkommen w e r d e zur Beendigung aller menschlichen Dinge. S o verbreitet w a r diese E r w a r t u n g , daß w i r fast in allen apostolischen Briefen, in so verschiedene Gegenden sie auch gerichtet sind, die Spuren d a v o n antreffen. U n d aus den mannigfaltigen nicht immer der Sache gemäßen Ausschmükkungen derselben in den häu-
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figen Gesprächen der Christen über diesen Gegenstand folgte dieses, daß viele Christen eben deshalb, weil sie alle Herrlichkeiten dieser Wiederkunft des Herrn für sich und ihre Zeitgenossen erwarteten, die Besorgniß hegten, ob nicht die ganze bevorstehende Seligkeit denen entgehen werde, welche früher durch den Tod wären hinweggerafft worden 153 : worüber in den lezten Worten des vorhergehenden Kapitels der Apostel die Thessalonicher zu trösten sucht. Natürlich war diese Erwartung, denn sie hatte manches, nur zu buchstäblich aufgefaßte, Wort des Erlösers für sich; daran hielt sich die Sehnsucht der damaligen Verkündiger des Glaubens, welche den Erlöser von Angesicht gekannt hatten, und mit dem | Glauben theilte sich auch ihre Hoffnung denen mit, welche das Wort der Verkündigung annahmen. Uns aber m. g. F. ist dieses alles weit aus den Augen gerükt, und ohne daß wir deshalb zu denjenigen zu rechnen wären, von denen der Apostel sagt, daß sie schlafen als solche die der Finsterniß angehören, mögen wir wol alle die Uberzeugung hegen, daß noch manche Geschlechter der Menschen kommen und vergehen werden, ehe das Werk des Herrn auf dieser Erde wird vollbracht sein, und dasjenige eintreten können, was damals schon erwartet wurde. Aber doch m. g. F. gehen auch uns des Apostels Worte nicht minder nahe an als die damaligen Christen. Denn was für jene ihrer Meinung nach die Wiederkunft des Herrn sein sollte, das ist für uns alle der Augenblikk unseres Abschiedes aus diesem Leben. Denn nicht anders als ob alle menschlichen Dinge beendigt wären, tritt dann für jeden das Ende seines Wirkens hienieden und seines ganzen gewohnten Zustandes ein, auf die gleiche Weise ist dann alles für uns abgeschlossen, wovon wir Rechenschaft werden geben müssen vor dem Richterstuhle dessen, der als Richter auch damals schon erwartet wurde. Darum m. g. F. zeichnet auch für uns der Apostel die zwei in dieser Beziehung einander entgegengesezten Zustände. Einige, sagt er, welche von der Nacht sind und aus der Finsterniß, wird der Tag des Herrn ergreifen wie ein Dieb in der Nacht; Anderen, weil sie nicht von der Nacht sind noch aus der Finsterniß sondern Kinder des Tages und des Lichtes, kommt dieser Tag weder feindselig noch unerwartet. Wenn aber der Apostel dieses als ein Unheil darstellt, wenn der Tag des Herrn die Menschen ergreift wie ein Dieb in der Nacht: so ist gewiß seine Meinung in Beziehung auf unsre gegenwärtigen Verhältnisse keinesweges die, als ob, wenn der Tod nur allmählig
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herantritt, nachdem er sich lange vorher angekündigt durch Krankheiten und Schmerzen des seiner Auflösung entgegengehenden Leibes, dieses ein glücklicherer Zustand wäre, als wenn er plözlich hereintritt wie ein Bliz, den der Herr zu seinem Diener macht. O, wieviel Ursache möchten dann viele unter uns haben zur Trauer über mehr oder weniger befreundete Dahingeschiedene am Ende eines Jahres, in welchem wir, wie wir wol Alle oft genug vernommen haben, so ungewöhnlich viele Beispiele von ganz plözlichen nicht einmal geahndeten Todesfällen erlebt haben! Aber nein, m. g. F., hierauf nicht, sondern nur darauf kommt es an, ob der Tod uns erscheint wie eine unwillkommne und räuberische Gewalt, der wir gern ausweichen möchten, ob er hereinbricht wie ein gefürchtetes Übel, oder ob wir unsre Zustimmung dazu geben von hinnen zu scheiden, und also dem Boten nicht unwillig folgen, der da kommt uns abzurufen. Folgen wir unwillig: so sind wir nur um so länger im Widerspruch mit der göttlichen Fügung, je länger wir den Tod mit einiger Bestimmtheit voraussehn. Sind wir zufrieden: so erbauen wir desto länger durch unsere Ergebung. Doch meine ich es auch mit diesem Unterschied nicht so, wie er freilich am größten ist, wenn wir uns nämlich denken, Alle müßten unwillig sterben, welche, weil sie ganz den vergänglichen Dingen dieser Welt anhingen, auch mit dem irdischen Leben alles verlieren, Alle aber könnten sich in den Tod wol fügen, in deren Gemüth die frohe Zuversicht eines ewigen Heiles sich befestiget habe. Audi dies, m. g. F., wäre keine Betrachtung für uns, die wir uns | ja auch die Worte des Apostels aneignen können, Wir sind allzumal Kinder des Tages und des Lichtes, und wissen es, daß wir nicht gesezt sind zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besizen durch Christum. Sondern ich meine diesen Unterschied nur so, wie er auch zwischen solchen sich findet, welche auf gleiche Weise Ursache haben ruhig zu sein über ihr künftiges Heil. Auch unter diesen begegnet es nicht wenigen, so daß ich mich hierüber wol auf die Lebenserfahrung der Meisten unter uns berufen kann, daß die Annäherung des Todes sie überrascht wie ein Dieb in der Nacht, wenn auch nicht sofern sie ihn denken als den Ubergang in ein neues Leben, von welchem sie ja nichts als gutes erwarten, doch sofern sie in ihm das Ende ihrer bisherigen Wirksamkeit und die Trennung von allen ihren Verhältnissen erblikken. J a wir müssen wol gestehen, daß unter allen die im Lauf eines Jahres das Zeitliche gesegnet, nur wenige sind, welche uns das Bild in seiner ganzen Reinheit darstellen, welches der Apo-
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stel uns hier als dasjenige vorzeidinet, in welches alle Christen sich gestalten sollen. Deshalb also laßt uns m. g. F. nach der Aufforderung des Apostels in der gegenwärtigen Stunde uns, wie er sagt, i n B e z i e hung auf den A l l e n b e v o r s t e h e n d e n Abschied aus diesem Leben unter einander ermahnen u n d e r b a u e n . Wozu wir uns aber ermahnen sollen, das sagt er uns zuerst in den Worten, Laßt uns w a c h e n und n ü c h t e r n sein, und dieses sei also auch der erste Gegenstand unsrer Betrachtung. | I. M. a. F. Was der Apostel hier in geistigem Sinne Nüchternheit nennt, das will er doch jener traurigen Verirrung entgegensezen, wenn ein Ubermaaß des Genusses dem Menschen die Klarheit seines Bewußtseins und den vollen Gebrauch seiner Sinne geraubt hat. Wer wird also wol nach Paulus Sinn in Beziehung auf unsern A b schied aus diesem Leben der Nüchterne sein und wer nicht? Gewiß m. g. F. derjenige ist der Nüchterne, der sich des Vergänglichen in diesem Leben in einem jeden Augenblik als eines solchen bewußt ist, mag nun die Rede sein von den Werken, in welche er verflochten ist, von den Thaten die ihm aufgegeben sind, oder mag die Rede sein von dem, was ihm das Leben in seiner Fülle von außen bringt, nicht das Sinnliche meine ich, woran wir ja am wenigsten hängen, sondern die höheren und geistigen Genüsse, die aus dem Zusammenleben gleichgebildeter und gleichgesinnter Menschen entstehen, und der schönste und herrlichste Schmuk des Lebens sind; immer sollen wir schaffen und wirken so lange es Tag ist mit dem Bewußtsein, daß es jeden Augenblik Nacht für uns werden kann 154 , immer uns freuen und genießen mit dem Bewußtsein, daß wir hier Gäste sind und Fremdlinge. Vergessen wir auch nur auf kurze Zeit, daß der nächste Augenblik uns hinwegnehmen kann aus der ganzen Fülle unsrer Thätigkeit und unsres Besizthums: o, m. g. F., so ist das schon ein Zustand der Berauschung, denn wir haben kein wahres Bild mehr von dem, was um uns her ist und vorgeht, sondern eine immer unordentliche Richtung des Gemüthes hat das Bewußtsein getrübt und verworren gemacht. Erkennen wir aber das Irdische nicht mehr dafür, daß es auch wieder zur Erde werden muß; | so können wir auch nicht rein und wahr im Himmlischen
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leben. Und je öfter dieser Zustand der Vergessenheit wiederkehrt, je länger es anhält, daß uns in einem Leben, in welchem alles wechselt, doch das Ende desselben nicht nahe und gegenwärtig ist in der Seele: um desto mehr entwöhnen wir uns von dem heilsamen Zustande der Nüchternheit, und es kann nicht fehlen, daß wenn in diesem Rausche sich uns plözlich das Bild des Todes aufdrängt, uns dann auch ein stechender Schmerz unerwartet überfällt, und das ist der Schmerz, von welchem der Apostel sagt, daß solche ihm nicht entfliehen werden. Wollen wir uns aber nun ermahnen in diesem Sinne nüchtern zu sein und zu bleiben, so sage nur niemand bei sich selbst, es wäre wol leicht zu ermahnen und auch sich ermahnen zu lassen für diejenigen, welchen schon herannahendes Alter und zunehmende Schwäche manche Botschaft ins Ohr geflüstert haben davon, daß auch der Tod, der dem Alter folgt, nicht mehr fern sein könne; aber auf der Höhe des Lebens, wo der Wirkungskreis sich immer noch ausdehnt, w o die Thaten sidi drängen und die Gegenwart den Menschen so in Anspruch nimmt, daß wenigstens an seine eigne Zukunft zu denken ihm gar wenig Zeit übrig bleibt, sei diese Nüchternheit gar schwer. Und wie sie nun gar der Jugend zugemuthet werden könne, das sei noch schwerer zu glauben, ihr, die in sich selbst auch nicht die leiseste Mahnung findet an das Ende des Lebens, vielmehr, indem sie sich von einer K r a f t zur andern in freudiger Fülle entwikkelt, von jedem würdigen Ziele der Thätigkeit angelockt in Ahndungen und Vorbereitungen lebt, bei denen sie nicht anders kann, als eine lange Zukunft f ü r einen Besiz anzusehen, auf den sie die gerechtesten An-| sprüche hat. Dennoch m. g. Fr. spreche niemand so! Alle Lebensalter werden auf gleiche Weise an die Vergänglichkeit des irdischen gemahnt, da der Tod aus allen ohne Unterschied seine jährlichen Opfer fordert. Auch der frischesten Jugend in der Blüthe des Lebens und in der Fülle der K r a f t kann es nicht entgehen, wie manches Todesloos schon glücklich an ihr vorübergegangen ist, da ja die gute H ä l f t e von denen, welche in dem Zeitraum eines Jahres aus unsrer Mitte scheiden, von diesem Leben noch nichts gekannt haben, als die halb bewußtlosen Leiden und Freuden der ersten Kindheit. Und ach! auf der andern Seite das Alter zeigt sich auch keinesweges immer so geneigt selbst zu ermahnen und auch sich wiederum ermahnen zu lassen zur christlichen Nüchternheit! Denn sind auch schon Thätigkeit und Genuß auf mancherlei Weise beschränkt: so wird nur um so mehr das Leben selbst zur Gewohnheit; und je mehr schon Jahre
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verflossen sind, um so mehr scheint es sich von selbst zu verstehen, daß noch wieder eines sich an die anderen anreihet und das begonnene auch werde zu Ende gelebt werden. So berauscht sich auch das Alter, nur an geringerem Getränk. Darum ohne allen Unterschied, ob wir es schon weit in diesem Leben gebracht und viel davon zurückgelegt haben oder nicht, ja auch ohne Unterschied, wie sehr es uns erfreulich ist, und ob wir die Fortsetzung desselben zu allen Zeiten mit gleicher Liebe wünschen, oder ob es Augenblikke giebt, wo wir daran schon genug zu haben glauben und als Gesättigte meinen, es würde uns erwünscht kommen, wenn das Mahl aufgehoben würde - denn auch solche Anwandlungen verlieren sich gar bald wieder mit den vergänglichen Übeln und Unfällen selbst - also ohne allen | solchen Unterschied laßt uns unter einander uns ermahnen zur Nüchternheit, denn wir bedürfen es Alle, damit ja niemals, unter welchen Umständen und in welcher Gestalt er auch nahe, der Tod erst uns Schrekken einflöße vor der Vergänglichkeit, die wir ja immer vor Augen haben und deren wir uns immer bewußt sein sollten! Lieber laßt uns mitten im Leben ja bei allen seinen Geschäften und Freuden beständig das Bild des Todes vor uns tragen, wie ja gewiß in Jedem zu jeder Zeit schon der Keim desselben sich entwikkelt, damit wir weder erstaunen noch erschrekken, sei es auch wann es wolle, wenn die Stunde schlägt, die jedem unter uns der Herr bestimmt hat. Nur daß uns auf keine Weise diese Nüchternheit den Geschmack verderben soll an der Freude am Herrn, zu der uns derselbe Apostel anderwärts 155 so dringend ermahnt, oder gar uns eine Verleitung werden zur Trägheit, und unsere Thätigkeit lähmen in dem großen Werke des Herrn, als ob es nicht lohne an dem zu arbeiten, was wir doch nicht werden bis zu seinem Ende leiten können; sondern freuen sollen wir uns in dem Herrn allewege und wirken weil es Tag ist. Nein der Apostel hat uns nicht ermahnen wollen zu einer düstern und müßigen Todesbetrachtung, die uns von dem Schauplaz der uns aufgegebenen Thätigkeit, von der freudigen und wirksamen Theilnahme am Reiche Gottes zurükzieht, einen dem Moder entrissenen Schädel vor sich hinstellen muß um sich das Bild des Todes zu vergegenwärtigen, und statt des Friedens und der Freude in dem heiligen Geiste, in dumpfem in sich brüten und herben aber fruchtlosen Werken der Buße der Stunde harrt, die da kommen soll! Vielmehr wie die Nüchternheit immer der Zustand ist, in welchem der Mensch seiner | Sinne sowol als auch seiner Kräfte vollkommen
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mächtig ist: so soll diese geistige Nüchternheit uns freudiger machen in dem Herrn, indem unsre Freude von aller Beimischung des eitlen gereinigt wird, wenn wir das Vergängliche als solches erkennend unsere Sinne ganz dem bleibenden und ewigen zuwenden; und indem wir Verzicht darauf leisten, irgend etwas entschieden oder vollendet zu sehen von dem was wir begonnen haben und wofür wir kämpfen, soll unsere Thätigkeit um so gründlicher und kräftiger werden als sie reiner ist und unbefangener. Und das ist auch die Meinung des Apostels und die Ursache, weshalb er nicht zur Nüchternheit allein ermahnt, sondern Laßt uns w a c h e n , sagt er, und nüchtern sein! Wer gedenkt hier nicht bei den Worten des Apostels jener Rede des Herrn an seine Jünger, als er zu ihnen sagte, Wohl dem Knechte, den sein Herr, wenn er kommt, wachend findet156! Der wachende Mensch m. g. Fr. entgegengesezt dem schlafenden nicht nur, sondern auch demjenigen, der in einem träumerischen Zustande begriffen allerdings auch kaum verdient ein wachender zu heißen, ist derjenige, welcher offen ist für die ganze Gegenwart, die ihn umgiebt, dem nichts entgeht was um ihn her vorgeht, der also auch keine Aufforderung versäumt, je nachdem sich in dem Kreise seines Lebens und Wirkens etwas ereignet, sei es nun sich zu bewahren und zu schüzen oder Andern hülfreich zu sein. So lange wir nun in diesem Zustande des Wachens verharren, sind wir sicher, daß der Tag des Herrn, wie er auch käme, uns nicht überfallen wird wie ein Dieb in der Nacht; sondern weil immer alles gethan und im Werke ist, was uns obliegt, werden wir solche Knechte gewesen sein, die der Herr glüklich preist, weil | wenn er kommt er sie wachend findet. Überlassen wir uns aber öfter dem Schlaf und dem Träumen, so daß wir vieles von demjenigen unbeachtet versäumen, was der Herr auf den Weg unsers Lebens als unseren Theil Arbeit gelegt hat, weil wir das Auge des Geistes nicht mehr frisch und munter nach allen Seiten herumwenden: dann freilich haben wir zu besorgen, daß, wenn dereinst der Tag des Herrn kommt, und dann wie es zu geschehen pflegt die Flamme des Lebens zulezt noch einmal heller als gewöhnlich auflodert, und auch das geistige Auge weniger umschleiert ist und schärfer unterscheidet, so daß wir nun noch vieles sehen, was wir hätten thun können und sollen, es aber versäumt haben und verträumt, uns dieses zu einem stechenden Schmerz werde, dem wir nicht entfliehen, sondern er verbittert uns noch die lezten Stunden des Lebens.
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Wolan, so laßt uns denn unverdrossen wachen, jeder auf dem Posten wohin ihn der Herr gestellt hat, und immer bereit sein anzufassen wo es Noth thut! laßt uns aufmerksam auf jede innere Stimme lauschen, die uns auffordert zu irgend einem wohlgefälligen Werke des Herrn! Und wenn irgend etwas bedeutendes eintritt, dann besonders nicht müde werden zu forschen und zu fragen, welches da sei der wohlgefällige Wille Gottes an uns. Aber auch dann laßt uns nicht, wie es nur gar zu oft den schwachen Menschenkindern ergeht, über dem großen und wichtigen, das unser Gemüth vorzüglich beschäftiget und in Anspruch nimmt, die sich immer erneuernden Forderungen, die das gewöhnliche Leben in seinem alltäglichen und ruhigen Geleise an uns macht, gleichgültig übersehen, vielmehr nicht nur in Ermangelung des Großen sondern auch neben demselben das Kleine nicht zurükweisen und hintansezen! | Wem dies durch Gottes Gnade gelingt, m. g. Fr., der erfreut sich während jene weise Nüchternheit ihm das Bild des Todes immer vergegenwärtigt, doch zugleich, weil er wacht, des Bewußtseins eines vollen ungekürzten und gewiß auch gesegneten Lebens; der gewiß, wenn irgend einer, wird in jedem Augenblik bereit sein, wenn es so geboten wird, auch die Hand von seinem Werke abzuziehen, weil er weiß, daß er an seinem Theile nichts verdorben, sondern treu und redlich den Dienst des Herrn verrichtet hat, der wird keinen Schmerz fühlen und kein Schrekk wird ihn ergreifen, wenn der Augenblik aus diesem Leben abzuscheiden für ihn gekommen ist. Uns aber m. g. F. ist mit weiser Vorsicht ein besonderes Andenken an das Ende des Lebens und ein Gedächtniß derer, die von uns dahingegangen sind, an dem Ende jedes kirchlichen Jahres geordnet. Denn wenn das Ende des Jahres uns auf einen bedeutenden Theil unseres Lebens zurükweiset und uns mit Recht zu einer gründlichen Prüfung auffordert, wiefern auch wir nüchtern und wachsam gewesen sind, so muß uns das Andenken an diejenigen, welche in einem solchen Zeiträume von uns geschieden sind, zu einer besonderen Mahnung dienen, noch zuzunehmen im nüchternsein und wachen. Mögen es nun viele oder wenige sein, und aus den näheren oder nur den entfernteren Kreisen unseres Berufslebens und unserer christlichen Gemeinschaft, welche in diesem Jahre das Zeitliche verlassen haben: immer sind sie doch abgerufen worden von ihrem Werke. Haben sie es nun wohl verwaltet und sind wachsame Knechte gewesen, die der Herr niemals und auch in ihrer lezten Stunde nicht anders gefunden hat: was können wir ihnen lieberes thun, als nun
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in demselben Sinne | und auf dieselbe Weise ihr Werk als das unsrige aufzunehmen und es weiter zu führen, wie sie selbst dies auf eine uns erfreuliche und erbauliche Weise während ihres Lebens gethan haben. Sind sie hie und da weniger nüchtern und wach gewesen, wie wir alle die Schwachheit der menschlichen Natur theilen: was f ü r ein besseres Opfer der Liebe und der Dankbarkeit können wir ihrem Andenken weihen, als daß wir aus allen Kräften trachten zu ergänzen und nachzuholen was sie versäumt haben, damit das Werk Gottes sich doch immer weiter fördre, und der Herr mit seinen Knechten, denen ja alles gemein ist, wenigstens im Ganzen immer mehr könne zufrieden sein. So wollen wir uns jezt, und so auch täglich - denn jeder Tag ist ja ein Abschnitt des schnell dahin schwindenden Lebens - ermahnen nüchtern zu sein und zu wachen.
II. Wozu wir aber zweitens uns unter einander ermahnen sollen, und wovon es vorzüglich abhängen wird, ob wir uns unter einander auch durch Wachen und Nüchternheit erbauen werden, das lautet bei dem Apostel so, wir sollen angethan sein mit dem Krebs des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung des Heils. Warum m. g. F. vergleicht er wohl den Glauben und die Liebe einem Harnisch, der die Brust des dem Feinde gegenüberstehenden Kriegers bedekkt? Nicht ohne Anspielung ist diese Rede des Apostels auf ein prophetisches Wort aus den Schriften des alten Bundes, wo von dem Herrn gesagt wird, E r waffnet sich mit Gerechtigkeit als mit einem Panzer, um seinen Widersachern zu vergelten (Jes. 5 9 , 1 7 ) . | Das wollte der Apostel nicht auf uns Menschen anwenden; denn er wußte wol und hatte es o f t und laut genug verkündigt, daß die Gerechtigkeit des Menschen, sofern sie nicht auf dem Glauben ruht, sondern irgend ein gesezlicher Maaßstab angewendet werden soll, nur sein kann wie ein durchlöchertes Sieb. Statt einer solchen nun bietet er uns dar als einen festeren Panzer den Glauben und die Liebe, beide als Einen, wie er sie denn immer ungetrennt von einander begreift, denkt und darstellt. Denn der Glaube, der ohne Werke todt ist, wirkt nur durch die Liebe, und wiederum giebt es keine wahre und gottgefällige Liebe außer derjenigen, welche die Thätigkeit des Glaubens ist und aus ihm hervorgeht. Beide so ver-
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bunden empfiehlt uns also Paulus als den Harnisch Gottes, mit welchem angethan wir wandeln müssen, wenn unsre Brust soll geschüzt und geschirmt sein gegen die gefährlichen Pfeile des Todes, nicht nur gegen die, welche gleichsam mit unsicherer Hand abgeschossen nur als Warnungszeidien vor uns vorübergleiten, sondern auch gegen die, welche bestimmt sind uns abzurufen aus diesem Leben. Die schirmende K r a f t aber des Glaubens m. gel. Fr. liegt darin, daß wie derselbe Apostel an einem andern Orte sagt, der Glaube nichts anders ist als das Leben Christi in uns. Denn so spricht er, Was ich nun lebe im Fleisch, das lebe ich in dem Glauben des Sohnes Gottes; nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir (Gal. 2, 20). Sehet dieser Glaube, der das Leben Christi in uns ist, dieser und kein anderer ist es, vermöge dessen und in dessen K r a f t wir [ schon hindurchgedrungen sind durch den Tod; dieser ist es von dem der Herr selbst sagt, daß alle, die da glauben auch schon das ewige Leben haben, und dieser ist es eben deswegen, der uns gegen die Pfeile des Todes schüzt. Denn wie sollte nicht Christus, wenn er durch den Glauben in uns lebt, uns immer in dem nüchternen und wachen Zustande erhalten, den wir uns vorher angepriesen haben da er selbst ein so herrliches Vorbild desselben gewesen ist! Wie trug er immer das ganze Werk, welches ihm von seinem himmlischen Vater aufgetragen war, in seinem Herzen, und wie stand es ihm immer in allen Beziehungen vor Augen! Und auf der andern Seite wie fest und ruhig wandelte er immer im Bewußtsein des Todes, wissend welches Ziel des irdischen Lebens ihm gestekt war, aber auch immer in ungetrennter Gemeinschaft mit seinem Vater. Wenn also auch wir, sofern Christus in uns lebt, mit ihm auch schon des ewigen Lebens wahre Theilnehmer sind 157 , nicht nur es uns als eine ferne Hoffnung vorhalten, eben so gewiß aber auch mit ihm uns immer klar des Vergänglichen, daß es ein solches sei, bewußt sind: so ist dann der Himmel jetzt schon unser Vaterland, weil nur das ewige und göttliche wahrhaft in uns lebt; und indem wir jezt schon nur nach dem trachten was droben ist, so haben wir die irdische Hütte, mögen wir sie nun früh oder spät verlassen sollen, schon immer der Vergänglichkeit geweiht, indem wir auch in diesem Sinne in die Gemeinschaft des Todes Christi gepflanzt sind. So richtig zeigt sich die Behauptung des Apostels, daß der Glaube der H a r nisch ist, der unsre Brust schirmt, so daß der Tod uns nichts schaden kann. Sein Stachel ist gebrochen, und die Furcht vor ihm gehört nur der Welt, welche Christus überwunden hat. |
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Damit aber auch der Stachel des Vorwurfs uns nicht lange schmerze und nicht haften bleibe, da es ja bei der menschlichen Schwachheit nicht fehlen kann, daß nicht Jeder manches sollte versäumen und unterlassen: so nennt der Apostel noch besonders als einen Theil unseres Harnisches die L i e b e , wiewol jener Glaube ohne sie nicht zu denken ist; denn wie sollte sie nicht sein wo der lebt an welchem uns auf ganz besondere Weise die Liebe Gottes erschienen ist. Paulus nennt aber die Liebe, weil sie als der Stamm, auf welchem alle edle Früchte des Geistes allein wachsen, auch die wahre Erfüllung und Ergänzung des Gesetzes ist. Denn wollten wir, wo wir uns selbst Rechenschaft abfordern über unser Thun, uns, wie es die Weise des Gesezes mit sich bringt, nach einzelnen Werken messen, so würden wir niemals auch nicht vor uns selbst gerecht erscheinen können, sondern nur zur Erkenntniß auch der Sünden der Unterlassung gelangen. Wenn wir uns aber bewußt sind, daß die Liebe Christi uns zu allem gedrungen hat, was wir doch wirklich gethan: so wissen wir auch daß nichts verdammliches an uns ist, denn Christus ist da der gerecht macht 158 . Aber um so mehr ist unser Harnisch nicht nur der Glaube sondern Glauben und Liebe aus Einem Stück, als die Liebe vorzüglich wach und rege erhält, und das Auge des Geistes schärft. So gewiß Gott selbst die Liebe ist, kann auch nur der, welchen die Liebe treibt, überall erkennen, welches da sei der wohlgefällige Wille Gottes an ihn; eben wie sie es war, die auch den Erlöser alle Werke Gottes erblikken ließ. Wenn uns also mitten im Leben der Gedanke an den Tod zugleich an Versäumtes mahnt: so dürfen wir vertrauen, daß wir von einer Zeit zur andern mehr werden nüchtern und wachsam werden durch die | K r a f t der Liebe. Und wenn uns doch dieselbe Empfindung noch anwandelt auch in der entscheidenden Stunde: so werden wir Sicherheit finden in dem Bewußtsein, daß wenn wir nur gesucht haben die Liebe auch andern Gemüthern einzupflanzen und in ihnen zu pflegen, ihnen dann noch mehr als uns gelingen wird, durch Nüchternheit und Wachen die Mängel der früheren Zeit zu ergänzen. So sind wir denn auf diese Weise angethan gewiß Kinder des Lichts und des Tages, wenn die Liebe selbst der Tag ist in dem wir wandeln, das Licht welches uns überall scheint und leuchtet, und vermöge dessen wir sagen können, daß wir nicht von der Finsterniß sind und aus der Nacht. Aber warum bedürfen wir doch noch der Hoffnung des Heils, daß sie sei der Helm auf unserm Haupte? Ist auch die Brust wohl
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geschirmt, m.g. Fr., so ist doch unser Haupt verwundbar, weil es empfänglich ist für Bedenklichkeiten und Zweifel. Das sind gefährliche Streiche, die gegen dasselbe geführt werden und leicht auch den Arm entnerven und den Fuß lähmen können, wenn der Gedanke auf uns eindringt, ob nicht alle unsere Arbeit vergeblich sei, ob wir bei dem schwankenden und unentschiedenen in allen menschlichen Dingen wol jemals darauf rechnen können, daß christliche Weisheit und Tapferkeit den Preis davon tragen werden um den sie werben. Wo gäbe es wol Ein gutes Werk, was wir beginnen, woran wir arbeiten könnten mit der sichern Aussicht, daß wenn wir es auch nicht gradezu selbst vollenden, es doch werde in ununterbrochenem Zusammenhange mit unsern Bemühungen vollendet werden, und nicht so oft noch unterdrückt und hintertrieben, daß diese, wenn es auch zulezt gelingt, für gar nichts dabei zu rechnen sind! Wo gäbe es wol einen | Streit, in so viele wir auch hineingezogen werden können durch den Dienst des Herrn, von dem wir sicher sein dürften, unser Fechten werde den Sieg herbei führen, und nicht eben so gut besorgen müßten, daß er sich noch lange hinausspinnen könne, und alle Bestrebungen zurükgeschlagen werden, an denen wir selbst noch theilnehmen. — Aber die Hoffnung des Heils schüzt und schirmt gegen solche Anfälle des Versuchers unser Haupt als ein Helm der sich undurchdringlich bewährt. Das Heil nämlich ist dieses, daß das Reich Gottes unüberwindlich ist auch für die Macht der Hölle; und die Hoffnung, welche unser Haupt zugleich schüzt und hebt ist die, daß mittelbar oder unmittelbar alles was in dem Geiste Christi geschieht auch zu dem Siege seines Reiches beiträgt. Wer alles für Schaden achtet, auf daß er Christum gewinne, der gewinnt ihn auch gewiß, und zwar nicht nur für sich sondern auch für Andere. Wen die Liebe Christi dringt, der überwindet gewiß auch durch Unterliegen, wie der Erlöser selbst durch Sterben überwand, und jeder spätere Sieg der Sache Gottes ist für ihn eine glorreiche Auferstehung; denn das spätere könnte nicht werden was es wird ohne das frühere. Der die Thränen und Seufzer der Frommen zählt, läßt noch weniger ihre Dienste verloren gehn, und alles ist ihm ein Dienst, was im Namen dessen geschieht, der uns nicht nur zur Erlösung und zur Gerechtigkeit geworden ist, sondern auch so zur Weisheit und zur Heiligung, daß alles was in der Verbindung mit ihm geschieht auch an der Unvergänglichkeit und dem Erfolge seiner Thaten Theil hat. - So m. gel. Fr. laßt uns mit dem Harnisch des Glaubens und der Liebe angethan, durch den Helm der unver-|
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gänglichen Hoffnung geschüzt in froher Zuversicht immer wachsam sein und nüchtern. Aber m. g. Fr. wie wenn das Vaterland in Gefahr ist, und wir wohl gerüstet die geharnischten Krieger ausziehen sehen um dasselbe zu vertheidigen, auch uns Übrigen dann der Muth gestählt wird, und eine so frohe Hoffnung des Gelingens uns erfüllt, daß auch jeder bereit ist, insofern er den gleichen Muth bei Allen voraussezen muß, sich selbst mit williger Aufopferung alles andere und mit derselben Unerschrockenheit wie Jene dem Kampf anzureihen wenn es Noth thut und dem Feinde entgegenzugehen: so geschieht es auch, wenn diejenigen die eben zum Streite Gottes berufen sind, so bewaffnet mit dem Harnisch des Glaubens und der Liebe, so beschirmt mit dem Helm der Hoffnung einhergehen, daß auch allen Andern, welche die herrliche Rüstung bewundernd anstaunen und an dem Tritt der Männer erkennen, wie sie auf diese ihre Zuversicht sezen für den Rathschluß der göttlichen Gnade, und wie sie keiner trüben Muthlosigkeit Raum geben, sondern gutes ahnden für das Werk des Herrn, daß dann auch den Andern der Muth gestählt wird und sie zu der gleichen Wehr und Waffe greifen, um sich zu üben, und sie auf diese Weise erbauet werden zur Nüchternheit und Wachsamkeit. So sind wir dann im vollen Sinne Kinder des Lichtes und des Tages; indem wir nicht nur selbst sehen, sondern auch Allen um uns her den Weg des Lebens erleuchten. Das ist das Eine, was Noth thut wenn wir der Vergänglichkeit des Irdischen entfliehen wollen; das ist die Rüstung gegen alles, was die Menschen zaghaft machen kann oder kleinmüthig, das volle Bewußtsein des ewi]gen Lebens, wozu wir nicht nur selbst den Keim in uns haben, sondern auch Andre auffordern es auf demselben und auf keinem andern Wege zu suchen. Erbauen wir uns so unter einander: so komme dann der Abschied aus diesem Leben wann und wie er wolle, immer werden wir auch sterbend noch wirksamer als lebend unsre Brüder ermahnen wadisam zu sein und nüchtern, und auch fühlen die unverwüstliche Gewalt jener Rüstung Gottes, in welcher wir den Weg des Heils wandeln. Amen. Gebet.
Heiliger barmherziger Gott und Vater, dir sei Lob und Dank, daß
du uns deinen Sohn gegeben hast, der allein Unsterblichkeit und ewiges Leben an das Licht bringen konnte, um auch alle zu trösten, die du dies Jahr betrübt hast, daß wir um unsere Abgeschiedenen nicht trauern dürfen, wie die, welche keine Hoffnung haben. Dir sei Lob und Dank, daß du uns als solchen, die an ihn glauben,
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die Macht gegeben hast Kinder Gottes zu werden, in welchen er und du mit ihm lebst. J a so lehre uns immer mehr weise werden zur Seligkeit, indem wir bedenken, daß wir hier wandeln in einem vergänglichen Leben. In demselben hast du dir aber erbaut ein herrliches Reich der Gnade; hier in dieser sterblichen Welt wirkt dein Geist segnend und heiligend überall das Zeitliche durch Ewiges. O darum laß es uns hoch achten, daß auch wir dir zum Preise und zur Verherrlichung deines Sohnes in dieses dein irdisches Reich gestellt sind. Möchten wir uns immer bewußt sein hier auf Erden schon im Himmel zu wandeln, | dem Vaterland, weldies droben ist, anzugehören, in diesem zu leben und für dieses zu wirken. Dazu mache du uns immer mehr wachsam und nüditern, und laß überall die Verkündigung deines Wortes und alle Mittel, die du der Gemeine deines Sohnes um deiner Gnade theilhaftig zu werden, anvertraut hast, unter uns reichlich gesegnet sein, damit wir alle immer mehr dem Vergänglichen und Irdischen absterben, das Ewige aber und Unvergängliche wirken mögen. Amen.
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XXIII. Predigt am Totenfeste 1828 (Einzeldruck) Offenbarung 3, 1 1 . Siehe, ich komme bald. H a l t e was du hast, daß niemand deine K r o n e nehme.
Meine andächtigen Freunde! unter die irrigen und verwirrenden Vorstellungen und Übungen in der christlichen Kirche, von denen sie durch diejenige Reinigung und Verbesserung, zu welcher auch wir uns freudig bekennen, zum Theil frei geworden ist, gehört auch die, daß viele Jahrhunderte lang die Christen glaubten, durch opfernde Gebete, welche für die Dahingeschiedenen dargebracht würden, könnten die noch auf Erden wandelnden einen Einfluß haben auf das Geschikk derer, die von der Erde hinweggerufen worden. Die freudige Zuversicht zu demjenigen, dem wir alle leben und dem wir alle sterben, hat diesen Wahn verscheucht, der keinen Raum wieder unter uns gewinnen kann. Wenn wir also seit geraumer Zeit 159 am Ende unsers kirchlichen Jahres immer eine besondere Gedächtnißfeier begehen für die, welche die göttliche Vorsehung von diesem irdischen Schauplaz abgerufen hat: so wollen wir damit nichts anderes, als nur, was während des Verlaufes des Jahres die schmerzliche Angelegenheit der Einzelnen war, aus deren Lebenskreise der Herr bald diesen, bald jenen, bald so bald anders abgerufen hat, zu einer gemeinsamen Angelegenheit machen, um dadurch | zugleich dasjenige, was sie am Ende des Jahres noch schmerzlich bewegen kann, in ihnen selbst zu einem reinen und Gottes würdigen Gefühl umzuwandeln. So oft wir aber unsere Dahingeschiedenen an die Stätte der Ruhe begleiten, und es werden dort
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Worte des Trostes und der Beruhigung gesprochen: was ist es anders, meine Geliebten, womit sie auch wenn nur Wenige versammelt sind in des Herrn Namen bei solchen Gelegenheiten, allemal zu endigen pflegen, als daß wir bitten, der Herr wolle uns alle weise machen eben dadurch, daß wir bedenken das Ende, welches uns allen bevorsteht. Worauf sonst also sollen wir es auch an diesem feierlichen Tage absehen bei der großen Verschiedenheit der Umstände unter welchen, und der Art wie einzelne Familien unsrer Gemeinde betrübt worden sein mögen durch den Abruf ihrer Glieder? was können wir auch an diesem Tage besseres thun als das nämliche? Und darauf nun, meine geliebten Freunde, zielen die verlesenen Worte aus der Offenbarung Johannis ab. Sie gehören freilich einer Zeit an, welche an einen solchen Zustand wie der gegenwärtige, an eine so lange Reihe von Jahrhunderten, in denen sich die christliche Kirche in Ruhe und Frieden von einem Geschlecht zum andern bauen und immer mehr erweitern würde, nicht denken konnte, einer Zeit, als die ungeduldige Sehnsucht der Christen nach dem, der so zeitig wenngleich erst nach vollbrachtem Werke von der Erde erhöht worden war, allen Worten dieser Art, welche er zurükkgelassen hatte, die Bedeutung gab, daß er bald, auch nach menschlichem Maaße bald, wiederkommen werde in der ganzen vollen Herrlichkeit seines Reiches. Dieser Zeit gehört ganz besonders | das geheimnißvolle und schwer verständliche Buch an, aus welchem die verlesenen Worte genommen sind, und auf welches ich auch in unsern gemeinsamen Betrachtungen so überaus selten nur hinweise. Es sind auch die Worte unseres Textes nicht den Einzelnen gesagt, sondern sie sind aus jenen Sendschreiben an verschiedene christliche Gemeinden, welche dies Buch eröffnen, und sind, wie die auch dunkeln Worte lauten, an die Engel dieser Gemeinden gerichtet. Denen also wird gesagt, „Siehe ich komme bald," und der ganzen Gemeinde, „Halte was du hast, daß niemand deine Krone nehme." Aber eben, wenn wir, was zunächst und unmittelbar nur Einzelne und doch immer nur einen kleinen Theil unserer Gemeinde schmerzlich berührt hat, zu einer gemeinsamen Angelegenheit machen: wie sollten wir uns dann nicht diese Worte vorzüglich aneignen, ja, wie nicht auch sie auf die Einzelnen anwenden, welchen eben der Abruf aus diesem zeitlichen Leben das baldige Kommen des Herrn ist, welches uns allen bevorsteht? Und wir dürfen nicht eben einen baldigen schnellen Tod uns vor Augen halten; sondern,
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wenn wir auch nur an die, selbst das größte Maaß angenommen, doch schnell verlaufende Kürze des Lebens denken, dürfen wir uns nur erinnern, wie wir am Ende jedes Jahres geneigt sind zu glauben, daß von einem Jahre zum andern die Zeit schneller ihre Flügel schwingt und dahin eilt, um dem Worte, „Siehe ich komme bald" seine volle Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Aber wenn wir weiter hören, wie es hier lautet, - und das ist eben die Ermahnung in diesen Worten der Schrift, die wir uns heute ans Herz legen wollen, - wenn wir hören, es werde, damit | niemand unsere Krone nehme, nichts erfordert, als nur daß wir fest halten, was wir haben: so scheint dies so leicht und so sehr der Neigung jedes auch des natürlichen Menschen gemäß, und wir sehen außer dem, was zu einer besonnenen und muthigen Gegenwehr gehört, so wenig Schwierigkeit dabei, daß wir Bedenken tragen möchten, auf dies Wort allein unser festes Vertrauen zu sezen, zumal es aus diesem dunkeln Buche von nur zweifelhaftem Ursprünge genommen ist. Darum, wollen wir dennoch dieses Wort zur Richtschnur nehmen, so wird es sehr wohl gethan sein, daß wir zuerst andere denselben Gegenstand betreffende Worte der Schrift dagegen halten, um nach einer solchen Vergleichung desto sicherer zu sein, daß wir auch die richtige Anwendung davon für uns alle machen.
i. Wenn wir, meine andächtigen Freunde, uns erinnern, wie häufig unser Erlöser, zumal in der lezten Zeit vor seinem Leiden, wie uns die evangelischen Schriftsteller berichten, mit seinen Jüngern geredet hat von seiner Zukunft, von der Rechenschaft, die dann ein jeder von den Seinigen ihm werde abzulegen haben: so finden wir freilich dort so manche Aussprüche, die dem Ansehn nach dem unsrigen ganz entgegengesezt und gar nicht so leicht und gefahrlos klingen wie das Wort, welches wir hier vernehmen, und doch auch als ein solches, welches der Geist den Gemeinden sagt. Wenn es hier heißt, „Halte was du hast:" so unterscheidet der Erlöser in seinen Gleichnißreden dieser Art das, was wir haben von dem, was wir haben sollen, und sagt, Wer nicht hat, was er haben soll, was billig von ihm | erwartet werden kann, daß er es erworben haben sollte für seinen Herrn mit dem Pfunde, welches ihm verliehen war, dem
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wird auch genommen werden, was er hat. Von einem solchen Unterschiede aber scheinen die Worte unseres Textes nichts zu wissen. Hier wird nur von dem Festhalten eines Besizes geredet; dort ist die Rede von einer lebendigen, thätigen, angestrengten Wirksamkeit. Wer nur vorzeigen könne, was er besizt, und also nichts hat, als was er schon von Anfang an hatte, den erklärt der Herr für einen unnüzen Knecht, und läßt ihm auch das nehmen, was er hat 180 . Unser Text hingegen sagt, dem der da fest gehalten was er hatte, dem werde niemand seine Krone rauben können. Wie lösen wir nun, meine theuern Freunde, diesen Widerspruch? Sollten jene Worte des Herrn unter seinen Jüngern so gänzlich verklungen gewesen sein, daß schon der Jünger, dessen Werk dieses Buch ist, nicht mehr an eine solche Rede des Herrn sollte gedacht haben? Das können wir wohl nicht meinen, da ja eben jene Worte doch bis auf unsre Tage gekommen sind! Vielmehr sind sie gewiß von dem Augenblikk an, wo der Herr sie sprach, der Maaßstab gewesen, welchen seine Jünger sich untereinander vorhielten, um sich dadurch zu einer kräftigen Wirksamkeit zu erbauen. - Aber wir finden freilich auf der andern Seite auch dem unsrigen ähnliche Aussprüche in solchen Worten des Herrn, welche von dem Reiche Gottes handeln, und in welchen er die Menschen zum Tichten und Trachten nach diesem Reiche und nach dessen Gerechtigkeit ermuntern will 1 6 1 . Da sagt er, das Reich Gottes sei gleich der köstlichen Perle, die einer fand, und alles andere verkaufte, was er hatte, um sich den Besiz dieses Kleinods zu verschaffen, und bei ei|nem solchen Bilde können wir an nichts anderes denken, als an einen bloßen Besiz, der, wenn man ihn einmal hat, nur festgehalten sein will, an ein Gut, dessen Werth nicht darin besteht, daß noch etwas anderes dadurch erreicht oder erworben werde, sondern das ihn lediglich hat in sich selbst und in dem Wohlgefallen des Besizers an ihm als einem Kleinode. Diese Worte des Herrn stimmen nun ganz wohl mit denen unsers Textes überein, Halte was du hast, damit dir niemand deine Krone nehme. Aber wenn wir uns fragen, ob wol der Erlöser jemals sein Reich, die Segnungen seiner Erlösung, so könne angesehen und dargestellt haben als etwas, das man habe und behalten könne, und darin bestände denn alles? Nein, meine geliebten Freunde! das würde unser aller gemeinsamem Gefühle gar sehr widerstreiten. Wie also vereinigen wir beides? Die Reden, welche das Reich Gottes mehr als ein Kleinod darstellen, fallen größtent e i l s in die früheren Zeiten des Lehramtes unsers Herrn; wogegen
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diejenigen, welche eifrige Treue empfehlen und auf die abzulegende Rechenschaft hindeuten, späteren Ursprungs sind. In jenen redet er als der eben Aufgetretene; in diesen als der, welcher bald hingehn werde, aber nur um wieder zu kommen. So lange er umherging und verkündigte, das Reich Gottes nahe heran, konnte ihm nichts so sehr am Herzen liegen, als dem kleinen Häuflein, welches sich im frohen Glauben um ihn zu sammeln anfing, die Herrlichkeit dieses neuen Zustandes anzupreisen, und ihr Verlangen nach demselben aufzuregen und zu steigern. Als aber die Gemeinschaft der Gläubigen fest werden sollte, und seinen Jüngern bevorstand, ohne ihn für die Begründung und Ausbreitung seines Reiches thätig zu sein: da | mußte er ihnen den heiligsten Ernst und Eifer im Gebrauch der ihnen mitgetheilten höheren Kräfte ans Herz legen. Aber eben diese Kräfte des Geistes sind jener selige Besiz, und der kann nur festgehalten werden im treuen Gebrauch. Deswegen ist nun auch beides, dies Festhalten dessen, was wir haben, und jenes Wuchern mit dem anvertrauten Pfunde nicht zweierlei, sondern Eins und dasselbe. Und das liegt auch schon in den Worten unseres Textes selbst. Denn fragen wir, Was ist es, was wir hier ermuntert werden zu halten, weil wir es haben: so heißt es in diesem Briefe an die Engel der Gemeinde vorher 1 ® 2 , Dieweil du hast mein Wort behalten und hast meinen Namen nicht verleugnet. Was also fest gehalten werden soll, weil und wie die Gemeinde es hatte, das war eben das W o r t . Was sagt aber der Herr selbst von seinem Worte? Die Worte, die ich zu euch rede, sind Geist und Leben 163 , und alles andere, das liegt in dem hinzugefügten, wäre auch nur Fleisch und kein Nüz. Geist und Leben, meine andächtigen Freunde, wenn wir das hören, können wir dabei wol irgend an einen unthätigen Besiz denken, an einen in sich abgeschlossenen unfruchtbaren Genuß? Nein! wo Geist und Leben sind, da ist auch ein Heraustreten aus sich und Eindringen in anderes, da ist auch Schaffen und Wirken. Also nur in dieser Gestalt können wir festhalten, was wir haben; und so werden wir dann auch aufzuzeigen haben, was wir noch nicht hatten. Seliger Genuß und erfolgreiche Wirksamkeit ist hier nur eins und dasselbe. Das Festhalten ist nicht so leicht als es dem ersten Klange nach erscheint; aber das Wuchern und Erwerben ist auch eben so sicher, als unser gläubiges Vertrauen auf den, von welchem wir alles | haben, was wir halten können und halten sollen. Und nachdem wir sie uns so ergänzt haben, so laßt uns jezt näher mit einander betrachten, was in dieser immer doch tröstlichen und ermuthigenden Anweisung
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eigentlich enthalten ist, in welcher wir unsere Sicherheit finden müssen f ü r den Augenblikk, wenn auch f ü r uns der Herr kommt.
2. Und ich bin überzeugt, meine geliebten Freunde, wenn wir nur die Worte, die ich vorher aus dem Zusammenhange mit unsern Textesworten anführte, als die Bedingung, unter welcher schon das Festhalten dessen, was wir haben, uns unsere Krone sichern kann, wenn wir diese nur in ihrem tiefsten Sinne und ganzen Umfang auffassen, so brauchen wir auch nur ganz einfach bei ihnen stehn zu bleiben. Du hast mein Wort behalten und meinen Namen nicht verläugnet, so lauteten sie. So laßt uns denn zunächst fragen, wie sich das Wort des Herrn als Geist und Leben zu erkennen gab in seinem Leben unter uns, von den ersten Anfängen an bis zu seiner schönsten und seligsten Entwikkelung, damit wir in freudiger Erinnerung an das, was wir immer schon behalten haben, zugleich sehen, was wir auch in Zukunft festhalten sollen. Gehen wir nun zurükk zu dem ersten Auftreten des Erlösers auf dem Schauplaz dieser Welt, welches war das Wort, durch welches er sich gleichsam den Weg zu bahnen suchte zu den Herzen der Menschen 164 ? Kein anderes, als das freundlich einladende, Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will | euch erquikken; kein anderes, als das süße Versprechen, daß er ihnen statt des schweren Joches, unter welchem sie sich abquälten, buchstäbliches Gesez, äußerer Dienst, willkührliche Werke, fortan nur seine leichte Last auflegen wolle. Die Zeiten seien vorbei, wo man sich streiten mochte über ein hier und dort des göttlichen Dienstes; Anbetung im Geist und in der unmittelbaren Wahrheit, und das Eine Gebot, uns mit derselben befreienden Liebe zu lieben, das sei sein Joch und seine Last. Wohl uns, meine geliebten Freunde, wenn wir dies immer festgehalten und auf diese Weise uns haben frei machen lassen von dem Sohn! Aber wie reich auch unsere Erfahrung davon sein mag, wie diese von Ihm mitgetheilte Freiheit der Kinder Gottes auch über das irdische Leben der Menschen eine überschwengliche Freude auszugießen vermag: ich glaube doch, wir können kein J a h r unsers Lebens zurükkgelegt haben, ohne auf mancherlei Weise auch das erfahren zu haben, wie tief die Neigung sich unter ein anderes Joch zu beugen und andere Lasten auf sich zu nehmen in der menschlichen Seele liegt. So wie sie erschrikkt, sei es nun irgend
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über das, was im äußerlichen Leben die Unvollkommenheit der menschlichen Dinge herbeiführen kann, oder über ihre eigene Gestalt, wie sie sich im Spiegel des göttlichen Wortes beschaut, so geräth sie auch in die Besorgniß, ob das sanfte Joch wol genüge, und ist nur zu geneigt sich wieder fremde Lasten aufzubürden. Je mehr wir uns nun dafür, zumal in den Anfängen des christlichen Lebens, bewahren, und den Glauben, daß uns alles zum Besten diene, festhalten, und uns nicht überreden lassen, daß wir anders um Gottes Wohlgefallen zu dienen brauchen, als indem wir das Heil in Christo umfassen und in aller Freudigkeit der Kin|der Gottes leben: um desto weniger werden wir in Gefahr sein, daß, auch wenn der Herr kommt, uns jemand unsre Krone nehmen könne. Aber das Wort des Herrn war nicht nur dieses freundlich einladende, es war auch ein kräftig belebendes. Wenn er die Last von den Menschen genommen hatte und ihnen sagen konnte, Gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen, deine Sünden sind dir vergeben; wenn es in einer einzelnen Seele wahr geworden war, daß der Sohn allein durch die Wahrheit auch wahrhaft frei macht: so mußte sie auch ein ganz neues, seiner göttlichen Einwirkung würdiges, das neue Reich Gottes ankündigendes Leben durch ihn und für ihn beginnen. Auch in diesem Sinne sagt er, Alle die Worte, die ich zu euch rede, sind Geist und Leben; und eben dies meint er vorzüglich, wenn er sagt, Wer zu mir kommen wird und trinken, dem will ich lebendiges Wasser geben, daß in ihm ein Brunnen werden soll, der in das ewige Leben quillt. - So giebt Er; und wir Alle können wol nicht anders als das freudige Zeugniß ablegen, daß wenn das Herz voll geworden ist von der Liebe Gottes, die durch Ihn in uns ausgegossen ist, auch der Mund davon übergeht und Wort und That davon Zeugniß geben. Das ist das belebende Wort des Lebens, welches kein Anderer so hat wie Er; in diesem Sinne sagt er auch zu uns, Wenn du dich bekehrt hast, so stärke deine Brüder. So können wir die Gemeinschaft mit Ihm nicht festhalten, ohne auch den Menschen Gottes zu zeigen durch die Werke, zu denen er allein geschickt ist; wir können mit dem Wasser des Lebens nicht getränkt werden, ohne daß es auch von uns ausströme und auch Andere durch dasselbe erquikt werden. Wenn wir nun so in unserm Leben überall seinen Namen bekennen, meine geliebten Freunde: so thun wir nichts anderes als festhalten, was wir haben. Und wenn wir hiebei beharren ohne müde zu werden; wenn wir dieses lebendigen Wassers immer bei uns führen, das von selbst immer ausströmt, und sich
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auch aus der ursprünglichen Quelle immer wieder in uns erneuert bis der Herr kommt: wie sollte es dann wohl geschehen können, daß unsere Krone uns genommen würde? wie sollte denn wol der Herr, wenn wir ein solches Leben vor ihn bringen, den Ausspruch thun können, daß uns, weil wir nicht hätten, genommen werden solle was wir haben? Und so sehen wir denn auf alle Weise, wie dies beides einerlei ist, Festhalten was wir haben und treu sein in dem worüber wir gesezt sind - sei es nun wenig oder viel, denn es ist mancherlei Maaß, nach welchem der Herr seine Gaben austheilt. Wenn der Rebe am Weinstock bleibt: was thut er anders als nur festhalten, was er hat? und doch kann er auch nicht mehr thun als dieses, um viel Früchte zu bringen! Das köstliche Ding, daß das Herz fest werde, kann uns nirgend anders her kommen, als nur aus dem Festhalten an der lebendigen Gemeinschaft Christi; von daher aber auch gewiß. Denn diese besteht nur darin, daß wir Kräfte eines höheren Lebens von ihm empfangen; und von seinen Worten sagt er, daß sie Geist und Leben sind, weil wir vermittelst ihrer eben diese Kräfte überkommen. Halten wir also diese Gemeinschaft fest, und nähren uns immer wieder an seinem Wort: so bleiben wir eingefugt als lebendige Steine in jenen geistigen Tempel Gottes 166 , in welchem | allein er auf eine eigentümliche Weise wohnt, und erstarken mit diesem immer mehr, bis wir herangezogen werden zur Ähnlichkeit mit dem vollkommnen Lebensalter Christi. Und wie kann es dann anders sein, als daß der Herr, wenn er kommt, uns als treue Genossen seiner Thätigkeit und seiner Leiden auch beruft um einzugehen in seine Freude. Laßt mich jedoch zur vollständigen Erläuterung nur noch eines mit Kurzem erwähnen, aus dem Zusammenhange unserer Textesworte, das ich nicht gern übergehen möchte. Es heißt nämlich dort unmittelbar vorher, „Dieweil du hast behalten das Wort meiner Geduld, will ich auch dich behalten vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen die da wohnen auf Erden." Wohl, meine theuern Freunde, ist dies ein herrliches und ermuthigendes Wort! Was ich vorher mehr berührt und angedeutet habe, als daß ich es hätte ausführen können von den mancherlei Verleitungen die es geben kann, fahren zu lassen was wir haben und andere Wege einzuschlagen, andere Stüzen zu suchen, das beschränkt sich nicht nur auf die ersten Anfänge des christlichen Lebens, sondern es wiederholt sich unter gar mancherlei Gestalten
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immer während unserer ganzen irdischen Laufbahn, und dies alles wird hier, gleich als ob es ein einziger entscheidender Augenblikk wäre, ein einziges furchtbares Gericht Gottes 166 , durch den Ausdruck bezeichnet, die Stunde der Versuchung, welche kommen wird über alle die auf Erden wohnen. Und hier haben wir also schon vor der Ermahnung das trostreiche Versprechen, daß Er uns bewahren will vor der Stunde der Versuchung, nicht so zwar, daß wir überhaupt nicht versucht werden - 1 denn wenn sogar Ärgerniß nothwendig kommen muß, wie viel mehr noch Versuchung - aber doch so, daß wir nicht darin erliegen. Nur müssen wir solche sein, die das Wort seiner Geduld bewahrt haben. Fragt ihr nun, was das sagen will, das Wort seiner Geduld? Die Geduld unsers Erlösers, meine theuern Freunde, und seine Beharrlichkeit sind nur eins und dasselbe. Eine bloß leidende Geduld hat er selbst nur da geübt und insofern, als er gar nichts weiter zu thun und zu wirken hatte; und anders begehrt er eine solche auch nicht von uns. Seine eigentliche Geduld war die ruhige durch alle Schwierigkeiten hindurch fortgehende Ausführung des Werkes, wozu Gott ihn berufen hatte. Dieser Geduld können wir uns Alle getrösten, denn er übt sie noch an allen denen, die seinen Namen bekennen. Es ist die Beharrlichkeit des guten und treuen Hirten, mit welcher er alle, die seiner Stimme folgen, zusammenzuhalten sucht bei der gesunden Weide seines Wortes, mit welcher er allen nachgeht, welche im Begriff sind sich zu verirren. Wie nun aber auch dieses Wort Geist ist und Leben: so können wir uns dessen, daß wir das Wort seiner Geduld bewahrt haben, noch nicht schon deshalb rühmen, weil Er uns oft zur rechten Stunde Warnung und Trost, Erleuchtung und K r a f t geworden ist; sondern es muß auch in uns gewirkt haben dieselbe Beharrlichkeit und Treue in allem, wozu Er uns berufen hat. Und gewiß, je unausgesezter wir thätig sind in dem Werke des Herrn, und uns nicht abwendig machen lassen durch irgend eine Furcht oder Lust; je mehr wir auch Andere nach Vermögen suchen zu stärken und zu bewahren: um desto sicherer werden wir auch selbst bewahrt bleiben in jeder Stunde der Versuchung. | Wohlan denn, meine geliebten Freunde, das ist der Weg, der uns allen vorgezeichnet ist. Zu uns allen ohne Unterschied des Alters, der Umstände und der Fortschritte kann gesagt werden, Siehe, ich komme bald. Laßt uns desfalls gute Zuversicht hegen! Wir dürfen nur halten, was wir haben, daß auch das Wort seiner Verheißung an uns in Erfüllung gehe und die verheißene Krone uns gesichert
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bleibe. Laßt uns Fleiß anwenden, daß wir uns strekken nach dem Ziel, das vor uns liegt, ob wir es ergreifen möchten! Und wenn wir so sein Wort behalten, so hat es wol keine Noth, daß wir seinen Namen verläugnen sollten. Das Bewußtsein, was wir an geistigen Gütern haben, nur von ihm zu haben, wird zu bestimmt sein und zu mächtig, als daß es nicht unsre Freude sein sollte, seinen Namen vor aller Welt zu bekennen; der Preis des treuen Seligmachers wird auf unsern Lippen sein, weil er in unserm Herzen ist; und es wird uns ein eben so süßes als ernstes Geschäft, Sorge zu tragen, daß, bis der Herr auch zu uns kommt, jedermann erkenne daß wir seine Jünger sind. Aber, m. gel. Fr., laßt mich noch zum Schluß meiner Rede das Wort an diejenigen richten, die der Herr in diesem Jahre betrübt hat, indem er Einen oder den Andern aus ihrem nächsten Kreise abrief, und deren schmerzliche Gefühle zu theilen wir heute besonders berufen sind. Wie mannigfaltig aber, m. gel. Fr., sind die Umstände, unter denen dies geschehen ist! Wie verschieden waren gewiß von Anfang an die Empfindungen derer, die der Herr so geprüft hat! Wie frisch mögen bei Manchen noch die Wunden des Herzens bluten, und wie vieles hin|gegen sich bei Andern schon ereignet haben, wodurch der Schmerz gemildert ist. Wie fast unmöglich scheint es daher, ein allen gemeinsames und doch ergreifendes Wort des Trostes und der Beruhigung zu sagen! Laßt uns deshalb von allen äußeren Verschiedenheiten absehn, aber uns zu den inneren wenden, welche sich leicht übersehen lassen und für uns Alle zugleich die bedeutendsten sind. Ein großer Theil derer, welche im Verlauf eines Jahres das Zeitliche gesegnet, sind immer solche, deren Leben noch nicht entwikkelt war, deren geistige Kräfte noch schlummerten, und in denen daher auch die ihnen großentheils schon zugesicherte Gemeinschaft mit Christo noch nicht zu einem bewußten und wirksamen Leben hat gedeihen können. So vernehmet denn Ihr, denen solche Kleine entrissen worden sind, was der Herr, in demselben Zusammenhang aus welchem die Worte unseres Textes genommen sind, zu eurem Tröste sagt, Siehe ich habe vor dir gegeben eine offene Thür und niemand kann sie zuschließen! Er selbst, m. gel. Fr., wie er anderwärts 167 sagt, ist die Thüre, die immer offen steht, und niemand kann sie zuschließen. Auch der Tod vermag sie nicht zu schließen; er vermag nicht diejenigen, die des Herrn Eigenthum sind, aus seiner Hand zu reißen. Auch die von hinnen unentwikkelt scheiden müssen,
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Ausgewählte Festpredigten
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bleiben in seiner Hand; und so wie er die Thüre zum Leben ist, so wird er auch sie zu dem Leben einzuführen wissen, das er uns Allen geöffnet hat. Und wenn auch jezt noch in der Gemeinschaft der Christen es manche giebt unter den Dahingeschiedenen, deren natürliches Leben zwar vollkommen | entwikkelt ist und zur Vollständigkeit gediehen, aber kaum hat das Auge der Liebe und Hoffnung auch nur die ersten Keime des höheren Lebens in ihnen entdekkt! Das freilich, m. gel. Fr., das ist der tiefste Schmerz, wenn wir Angehörige verlieren, die sich noch in diesem Zustande befinden. Aber auch für die, welche diesen bittern Kelch im verflossenen Jahre haben leeren müssen, liegt der Trost in den Worten dieses Briefes an die Gemeinde. Oder wie, m. th. Fr., können wir von irgend einem, der, wenn auch nur im äußern Umfang der christlichen Kirche gelebt hat, zu behaupten wagen, daß das Wort des Herrn gar nicht an ihn ergangen sei? Und kann es irgendwo unwirksam sein, wo es doch angelangt ist? Ja, wenn es auch Viele giebt, in denen es noch nicht zur Kraft und zum Leben gediehen ist: wirkt es nicht auch in diesen Seelen dennoch als das strafende und mahnende Wort? Kann ihr Gewissen einen geringeren Maaßstab festhalten auf lange Zeit, denn vorübergehend können sich freilich oft die sträflichen Gedanken entschuldigen, - aber kann Einer unter uns einen andern Maaßstab in seinem tiefsten Innern für immer gelten lassen, als den das Wort Gottes, das Licht der Wahrheit, in der christlichen Gemeinschaft gestempelt hat? Und wenn das Wort Gottes wenigstens doch auf diese Weise im Innersten des Gewissens tief eingewurzelt ist: so dürfen wir gewiß vertrauen, der Herr werde das nicht vergeblich bleiben lassen, und auch noch jenseit vermögen, es zu einem schöneren Leben zu erwekken. Für uns alle hat es eine ähnliche Zeit gegeben, und auch uns hätte das Loos treffen können, schon damals von dieser Welt gerufen zu werden. Gewiß werden wir nicht glauben wollen, daß es nur von | einem solchen Umstände abhänge, ob die Barmherzigkeit dessen, der der Abglanz ist der ewigen Liebe und dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, ihr Ziel erreicht oder nicht. Und wenn es unter den Dahingeschiedenen Andere giebt, von denen wir ein froheres und besseres Zeugniß haben im Innern des Gemüths, und an denen die theilnehmende Liebe mehr Freude hatte, solche, von denen wir sagen können, sie haben nicht nur erkannt was der wohlgefällige Wille Gottes sei, sondern sie haben auch
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gewollt, sie haben dem inwendigen Menschen nach Lust gehabt an dem heiligen Willen Gottes, aber freilich des Vollbringens war nur wenig! Wie oft sind die guten Vorsäze fruchtlos wieder hingewelkt! und wo das wahrhaft Gute wirklich zum Vorschein kam, wie wenig Zusammenhang war dennoch in diesen Äußerungen des Lebens! Wohlan! was spricht zu diesen der Geist des Herrn? Denn du hast eine kleine Kraft, aber siehe, ich will machen, daß sie kommen sollen und anbeten zu deinen Füßen, und erkennen, daß ich dich geliebt habe. Auch die kleine Kraft, wie klein sie sei, ist doch ein Ausfluß aus jener göttlichen Kraft, die in dem war, den wir als Herrn und Erlöser verehren; sie drükkt einem jeden das Zeichen auf, daß der Herr ihn geliebt hat, und alle Mängel und Schwächen die noch übrig sind können es nicht auslöschen. Darum sollen wir Alle jezt schon auch in der kleinen Kraft den ewigen göttlichen Ursprung gern verehren. Aber wie sollte der Herr nicht diejenigen, die doch auf diese Weise auch seine Zeugen sind und seinen Namen nicht verleugnen, wie sollte er nicht auch sie für solche erkennen, die da halten, | was sie haben, wenn ihnen auch in diesem Leben nur wenig gegeben war! Aber endlich, m. gel. Fr., wird es ja auch niemals an solchen fehlen, von denen wir in einem höheren Sinne getrost sagen können, Sie haben gehalten, was sie hatten, und Niemand kann ihnen ihre Krone nehmen. Aber wie treu und emsig sie auch gewesen sind, wie frei sie auch gestanden, wie großartig sie auch gewirkt haben mögen im Reiche Gottes: der Herr kann sie doch nur rufen als Knechte, die da gethan haben, was sie schuldig waren 168 ; und auch wir können sie nur als solche ansehen, die Er bewahrt hat in der Stunde der Versuchung und die glükklich überwunden haben. So laßt uns denn auch hören, wie es von ihnen heißt 169 ! Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem geistigen Tempel Gottes, auf den er sich stüze, und der ihn tragen helfe. Aber der Tempel, in dem wir Alle schon hier lebendige Steine sind, das ist hier diese Kirche Christi auf Erden, die angefochtene, streitende, sich noch höher bauende und schöner schmükkende. Wie können nun für diese die Dahingeschiedenen erst nachdem sie überwunden haben noch stüzende Pfeiler werden? Nicht anders als dadurch, daß das Andenken der Gerechten im Segen bleibt, und sich als eine fortwirkende Kraft bewährt; also dadurch, daß wir ihr Andenken festhalten, daß ihr Bild uns vorschwebt, daß ihr Beispiel uns leuchtet. N u r dadurch können sie Pfeiler werden in dem Tempel Gottes, an denen er sich
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Ausgewählte Festpredigten
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höher aufbaut; nur dadurch kann dies Wort des Herrn an ihnen in Erfüllung gehen. So laßt uns denn festhalten das Andenken derer, die unsere Vorgänger gewesen sind in der K r a f t | des Glaubens und in den Werken der Liebe! Jeder treue Jünger des Herrn, jeder tapfere Vorkämpfer, wenn er dieser irdischen Arbeit und Mühe enthoben ist, bleibe nicht nur unvergessen in den Gemüthern derjenigen, welche die nächsten Zeugen seines Lebens gewesen sind; sondern gelöst von der irdischen Unvollkommenheit wirke sein Bild fort als eines solchen, f ü r den schon erschienen ist, was wir sein werden 170 . Oder fühlen wir nicht diese geheimen Kräfte der edlen Bilder, welche uns die Geschichte der Kirche Christi aufbewahrt? Nicht eben so auch derer, die in demselben Geist in einem stillen Kreise reich gesegnet wirkten? Verbreitet sich nicht der Segen dieser Arbeit der Vollendeten in unseren Seelen zulezt noch unbewußt woher er komme immer weiter über alle, die in der Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe mit uns stehen? Solches Bewußtsein von dem was uns bleibt, wenn der Tod unter uns seine jährliche Erndte gehalten hat; solche erneute Uberzeugung von einer kräftigen Gemeinschaft der vollendeten Gemeinde mit der irdischen, das ist der beste Segen dieser gottesdienstlichen Feier! Und damit dieser uns niemals fehle, so laßt uns noch einmal zu den Worten der Schrift zurükkgehen, die wir heute zum Grunde gelegt haben, wie sie ursprünglich und unmittelbar nicht den Einzelnen gesagt sind, sondern der Gemeinde des Herrn. „Halte was du hast" wollen wir uns zurufen am Ende dieses kirchlichen Jahres im Andenken an diejenigen, die im Verlauf desselben dahin gegangen sind! Auch sie hat der Herr aufgenommen nach Maaßgabe, wie sie eben das festgehalten hatten, was wir haben. Laßt uns halten, was wir | haben! und wenn wir uns bewußt sind nur eine kleine K r a f t zu besizen: so laßt uns desto treuer sein Wort behalten, seinen Namen bekennen und in seiner Schule bleiben, um von ihm immer aufs neue zu vernehmen das Wort des Lebens! Es gehe von Mund zu Munde, daß es jedem gegenwärtig sei, wenn er dessen bedarf, daß Jeder es dem Andern vorhalte in der Stunde der Versuchung, die es ihm verdunkeln möchte! Und wenn wir von jedem Jahresschluß wie von jeder sinkenden Sonne gemahnt der ungewissen irdischen Zukunft gedenken: so laßt uns feststehen auf dem Wort der Verheißung auch f ü r die kleine K r a f t , daß doch zuletzt Alle kommen sollen und anbeten vor denen, die den Namen des Herrn bekennen. Und keinem von uns sei das Wort „Siehe ich komme bald"
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ein Wort des Schrekkens, sondern eine freudige Botschaft, wie jedes Wort seines Mundes! Denn durch seine Gnade werden wir halten was wir haben und unsere Krone wird uns nicht genommen werden. Amen.
Anhang
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XXIV. Rede an Nathanaels Grabe den i. November 1829
Meine theuern Freunde, die Ihr hergekommen seid, um mit dem gebeugten Vater am Grabe des geliebten Kindes zu trauern! Ich weiß, Ihr seid nicht gekommen in der Meinung, ein Rohr zu sehen, das vom Winde bewegt wird. Aber was Ihr findet, ist doch nur ein alter Stamm, der so eben nicht bricht von dem Einen Windstoße, der ihn plötzlich aus heitrer Höhe getroffen hat. Ja, so ist es! Für einen zwanzigjährigen vom Himmel gepflegten und verschonten glücklichen Hausstand habe ich Gott zu danken; für eine weit längere von unverdientem Segen begleitete Amtsführung, für eine große Fülle von Freuden und Schmerzen, die ich in meinem Berufe und als theilnehmender Freund mit Andern durchgelebt habe; manche schwere Wolke ist über das Leben gezogen, - aber was von Außen kam, hat der Glaube überwunden, was von Innen, hat die Liebe gut gemacht: nun aber hat dieser Eine Schlag, der erste in seiner Art, das Leben in seinen Wurzeln erschüttert. Ach, Kinder sind nicht nur theure von Gott uns anvertraute Pfänder, für welche wir Rechenschaft zu geben haben, nicht nur unerschöpfliche Gegenstände der Sorge und der Pflicht, der Liebe und des Gebets: sie sind auch ein unmittelbarer Segen für das Haus, sie geben leicht eben so viel, als sie empfangen, sie erfrischen das Leben und erfreuen das Herz. Ein solcher Segen war nun | auch dieser Knabe für unser Haus. Ja, wenn der Erlöser sagt: daß die Engel der Kleinen das Angesicht seines Vaters im Himmel sehen, so erschien uns in diesem Kinde, als schaue ein solcher Engel aus ihm heraus, die Freundlichkeit unsers Gottes. - Als Gott ihn mir gab, war mein erstes Gebet: daß väterliche Liebe mich nie verleiten
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möge, mehr von dem Knaben zu halten, als recht sei; und ich glaube der Herr hat mir dieß gegeben. Ich weiß sehr wohl, es giebt weit ausgezeichnetere Kinder an geistigen Gaben, an regem Eifer, und auf die sich weit größere Erwartungen bauen lassen von dem, was sie in der Welt leisten werden, und ich freue mich, wenn es deren recht viele giebt. Als ich ihm den Namen gab, welchen er führte, wollte ich ihn durch denselben nicht nur als eine theure willkommne Gottesgabe begrüßen, sondern ich wollte dadurch zugleich den innigen Wunsch ausdrücken: daß er möge werden, wie sein biblischer Namensahn, eine Seele, in der kein Falsch ist; und auch das hat mir der Herr gegeben. Redlich und treuherzig, wie der Knabe war, schaute er voll Vertrauen Jedem in's Auge, zu allen Menschen sich nur Gutes versehend, und Falsches haben wir nie in ihm gefunden. Und eben deßhalb, meine theuern Kinder, die ich hier um mich sehe, weil er wahrhaft war, blieb er auch frei von manchem Trüben, was sonst auch euren Jahren schon naht, war ihm auch selbstisches Wesen fern, und trug er Liebe und Wohlwollen zu allen Menschen. So lebte er unter uns als die Freude des ganzen Hauses; und als die Zeit gekommen war, da es nöthig schien, ihn in eine größere Gemeinschaft der Jugend und in weitere Kreise des Unterrichts einzupflanzen, fing er auch da an, sich einzuleben und zu gedeihen, und auch der verdiente und wohlgemeinte Tadel seiner Lehrer fiel auf guten Boden. So gedachte ich ihn noch weiter zu begleiten mit väterlichem Auge und erwartete ruhig, in welchem Maße seine geistigen Kräfte sich weiter entwickeln und nach welcher Seite menschlicher Thätigkeit hin seine Neigung sich wenden würde. Ja, wenn ich mir oft sagte, in ganz anderm Sinne, als nun geschehen ist: daß es mir nicht gegeben sein würde, seine Erziehung zu vollenden, war ich doch gutes Muths. Ich sah auch das als einen schönen Segen meines Berufs an, daß es ihm dereinst nie fehlen würde, treuen väterlichen Rath und kräftigen Beistand zu finden um meinetwillen; aber ich hoffte, er werde ihm audh nicht entstehen um seinetwillen. Diese mir über Alles wichtige Aufgabe für mein ganzes übriges Leben, an der mein Herz mit voller Liebe hing, ist nun unaufgelöst | durchstrichen, das freundlich erquickende Lebensbild ist plötzlich zerstört, und alle Hoffnungen, die auf ihm ruhten, liegen hier und sollen eingesenkt werden mit diesem Sarge! Was soll ich sagen? Es giebt einen Trost, durch den sich viele fromme Christen beschwichtigen in solchem Falle, den auch mir schon mancher liebe, freundliche
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Mund in diesen Tagen zugerufen hat, und der um so weniger zu übersehen ist, als er von einer richtigen Schätzung der menschlichen Schwachheit ausgeht; es ist nämlich der: daß Kinder, die jung hinweggenommen werden, doch allen Gefahren und Versuchungen dieses Lebens entrückt und zeitig in den sichern Hafen gerettet sind. Diese Gefahren wären auch gewiß dem Knaben nicht ganz erspart; aber doch will dieser Trost nicht recht bei mir haften, wie ich bin. Wie ich diese Welt immer ansehe als die, welche durch das Leben des Erlösers verherrlicht und durch die Wirksamkeit seines Geistes zu immer unaufhaltsam weiterer Entwicklung alles Guten und Göttlichen geheiligt ist, wie ich immer nur habe sein wollen ein Diener des göttlichen Wortes in freudigem Geist und Sinne: warum denn hätte ich nicht glauben sollen, daß der Segen der christlichen Gemeinschaft sich auch an ihm bewähren würde, und daß durch christliche Erziehung ein unvergänglicher Same in ihm wäre niedergelegt worden? Warum sollt' ich nicht auch für ihn, selbst wenn er strauchelte, auf die gnädige Bewahrung Gottes hoffen? Warum nicht fest vertrauen, daß Nichts ihn werde aus der Hand des Herrn und Heilandes reißen können, dem er ja geweiht war und den er auch aus kindlichem Herzen schon angefangen hatte zu lieben, wie denn noch eine seiner letzten besonnenen Äußerungen in den Tagen der Krankheit eine freundliche Bejahung war auf die Frage der Mutter: ob er auch seinen Heiland recht liebe? - Und diese Liebe, wäre sie auch nicht gleichmäßig fortgeschritten, hätte sie auch bei ihm ihre Störungen erfahren, - warum sollte ich nicht doch glauben, daß sie ihm nie würde verloschen sein, daß sie ihn doch dereinst würde ganz beherrscht haben? Und wie ich Muth gehabt hätte, das Alles mit ihm durchzuleben, ihn dabei zu ermahnen, zu trösten, zu leiten, so ist mir jene Betrachtung nicht so tröstlich, wie vielen Andern. Auf andre Weise schöpfen viele Trauernde ihren Trost aus einer Fülle reizender Bilder, in denen sie sich die fortbestehende Gemeinschaft der Vorangegangenen und der Zurückgebliebenen darstellen, und je mehr diese die Seele erfüllen, um desto mehr müssen alle Schmerzen über den Tod gestillt werden. Aber dem Manne, der zu sehr an die Strenge und Schärfe des Gedankens gewöhnt ist, | lassen diese Bilder tausend unbeantwortete Fragen zurück und verlieren dadurch gar viel von ihrer tröstenden Kraft. So stehe ich denn hier mit meinem Tröste und meiner Hoffnung allein auf dem bescheidenen aber doch so reichen Worte der Schrift: Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden; wenn es aber erscheinen wird, werden wir Ihn sehen,
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wie Er ist! und auf dem kräftigen Gebete des Herrn: Vater, ich will, daß wo ich bin, audi die seien, die du mir gegeben hast. Auf diesen starken Glauben gestützt und von kindlicher Ergebung getragen, spreche ich denn von Herzen: Der Herr hatte ihn gegeben, der Name des Herrn sei gelobt dafür, daß er ihn mir gegeben, daß er diesem Kinde ein wenn auch kurzes doch helles und heiteres und von dem Liebeshauche seiner Gnade erwärmtes Leben verliehen, daß er es so treu bewachet und geleitet hat, daß sich nun dem theuern Andenken nichts Bitteres beimischt, vielmehr wir bekennen müssen: daß wir reichlich gesegnet worden sind durch das liebe Kind. Der Herr hat es genommen; sein Name sei gelobt, daß er es, wiewohl genommen, uns doch auch gelassen hat; daß es uns bleibt auch hier in unauslöschlichen Erinnerungen ein theures und unvergängliches Eigenthum. Doch ich kann mich nicht trennen von diesen der Verwesung geweihten Uberresten der lieblichen Gestalt, ohne nun auch noch, nachdem ich den Herrn gepriesen, den gerührtesten Dank meines Herzens auszusprechen vor Allen der theuern Hälfte meines Lebens, durch welche Gott mir dieses Kind geschenkt, für alle mütterliche Liebe und Treue, die sie ihm bewiesen von seinem ersten bis zu seinem letzten in ihren treuen Armen ausgehauchten Athemzuge, und meinen lieben ältern Kindern Allen für die Liebe, mit der sie diesem Jüngsten zugethan waren und es ihm erleichterten, heiter und froh seinen Weg zu gehen in den Schranken der Ordnung und des Gehorsams, — und allen lieben Freunden, die mit uns sich an ihm gefreut und mit uns um ihn gesorgt haben, zumal aber Euch, liebe Lehrer, die Ihr es Euch zur Freude machtet, an der Entwicklung seiner Seele thätigen Theil zu nehmen, und Euch, ihr lieben Gespielen und Mitschüler, die Ihr ihm in kindlicher Freundschaft zugethan wäret, denen er so manche von seinen froheren Stunden verdankte, und die Ihr auch um ihn trauert, weil Ihr gern auf dem gemeinschaftlichen Wege noch weiter mit ihm fortgegangen wärt, und allen denen Dank, die mir diese Stunde des Abschieds schöner und feierlicher gemacht haben. Aber mit dem Danke verbindet sich ja immer gern eine Gelgengabe; und so nehmet denn Ihr Alle zum Andenken an diesen mir so schmerzlich bedeutenden Augenblick noch eine wohlgemeinte Gabe christlicher Ermahnung. Meine Gattinn und ich, wir haben Beide dieses Kind herzlich und zärtlich geliebt, und überdieß sind Freundlichkeit und Milde der herrschende Ton unsers Hauswesens; und
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doch zieht sich durch unsere Erinnerungen an das Leben mit dem geliebten Knaben hie und da ein leiser Ton des Vorwurfs hindurch; und so glaube ich denn, es geht vielleicht Keiner dahin, gegen den diejenigen, die am meisten mit ihm zu leben hatten, sich, wenn sie sich vor Gott prüfen, vollkommen genügten, wäre auch das anvertraute Leben nur eben so kurz gewesen, wie dieses. Darum laßt uns doch uns Alle untereinander lieben, als Solche, die uns bald, und ach wie bald! könnten entrissen werden. Ich sage das euch Kindern, und glaubt mir: dieser Rath, wenn Ihr ihm folgt, wird Euch keine unschuldige Freude trüben, aber Euch gewiß vor vielen, wenn auch nur kleinen Verschuldungen bewahren. Ich sage es euch Eltern; denn wenn Ihr nicht in meinen Fall kommt, werdet Ihr Euch desto ungetrübter der Frucht dieses Wortes erfreuen. Ich sage es mit meinem besten Danke euch Lehrern; denn wenn Ihr auch zu sehr im Großen mit der Jugend zu thun habt, um Euch mit dem Einzelnen besonders in Verhältniß zu setzen, so wird doch immer mehr Alles, was Ihr thun müßt, um Ordnung und Gesetz aufrecht zu halten, von dem rechten Geiste heiligender christlicher Liebe durchdrungen sein. Ach ja, lasset uns Alle einander als Solche lieben, die bald von einander können getrennt werden! Nun du Gott, der du die Liebe bist, laß midi auch jetzt nicht nur deiner Allmacht mich unterwerfen, nicht nur deiner unerforschlichen Weisheit mich fügen, sondern auch deine väterliche Liebe erkennen! Mache mir aucii diese schwere Prüfung zu einem neuen Segen in meinem Berufe! Laß für midi und alle die Meinigen den gemeinsamen Schmerz ein neues Band, wo möglich noch innigerer Liebe werden und ihn meinem ganzen Hause zu einer neuen Anfassung 171 deines Geistes gereidien! Gieb, daß auch diese schwere Stunde ein Segen werde für Alle, die hier zugegen sind. Laß uns Alle immer mehr zu der Weisheit reifen, die, über das Nichtige hinweg sehend, in allem Irdischen und Vergänglichen nur das Ewige sieht und liebt, und in allen deinen Rathschlüssen auch deinen Frieden findet und das ewige Leben, zu dem wir durch den Glauben aus dem Tode hindurch gedrungen sind. Amen.
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XXV. Gott unser Vater auch im Sterben Charfreitagsbetrachtung.
Lukas 23, 46. U n d Jesus rief laut, und sprach: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände. U n d als er das gesagt, versdiied er.
. . . Hier im irdischen Leben steht von jedem Augenblikk zum andern der Lebenshauch, die Seele des Menschen, in der Hand des Herrn; was sich aus jedem entwikkeln soll und wie, das ist in seiner Ordnung gegründet, und dem Menschen kann nur wohl sein, wenn er diesem ordnenden Herrn befohlen ist und sich ihm in jedem Augenblikk aufs neue befiehlt. Aber eben so, das ist der Gedanke des Erlösers, steht auch am Ende des Lebens, was sich aus diesem Ende entwikkeln soll, in derselben Hand und ist nach denselben Gesezen geordnet, so daß auch hier aus derselben Hingebung und Empfehlung ihm dieselbe Freudigkeit entstand; und dieselbe Stimmung ihn hinübergeleitete, die uns hier gleichmäßig durch alles hindurchführt. Scheint euch dieses zu viel, nun so bedenkt, daß freilich nicht diese ganze tröstliche Weisheit des Herrn schon in jenen Worten aus der früheren un|vollkommnen Zeit des alten Bundes liegt, welche der Erlöser hier anführt; sondern Eines, Eines sezt er hinzu, was nicht einheimisch ist im alten Bunde, nämlich das große vielumfassende Wort, Vater! Vater, dieses sezt der Erlöser von seinem eigenen hinzu, Vater in deine Hände befehle ich meinen Geist. Darin also liegt, so müssen wir wol glauben m. th. Fr., der tiefste Grund dieser heitren Zuversicht, in dem bestimmten Bewußtsein des Erlösers von seiner innigen Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater. Auch in dem Augenblikk seines Todes fühlt er sich als der Einiggeliebte und Erstgeborne vom Vater. Daher kam ihm
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X X V . Gott unser Vater audi im Sterben
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unter allen Umständen seines Lebens jene ungetrübte Gleichmäßigkeit der Gemüthsstimmung, die das unverkennbare Zeichen der Göttlichkeit seines Wesens ist; daher war er in keinem Augenblikk aus Furcht der Dinge die da kommen konnten auf eine knechtische Weise befangen, noch durch eine lokkende und glänzende Aussicht je auf eine eitle Weise angeregt, weil es immer in ihm rief Vater, und er sich dabei immer Eines wußte mit dem Vater. Und fragen wir nun nach dem Grunde der gleichmäßigen Stimmung und der festen Zuversicht, mit welcher der Erlöser nun aus dem menschlichen Leben scheidet, nidit anders angeregt als wie andere fromme Verehrer des Herrn von einem wohlverbrachten Abschnitt desselben scheiden, und einem bedeutenden neuen Augenblikk entgegengehen: so dürfen wir auch nicht weiter nach etwas besonderem suchen, sondern die einzig richtige | Antwort liegt allein in diesem Worte, welches er zu jenen Worten aus den Psalmen hinzufügt. Er war der Sohn des Vaters; seine Gemeinschaft mit diesem war es, was ihm den Übergang aus dem irdischen Leben in den Zustand seiner Erhöhung nicht eben anders erscheinen ließ, als jeden Wechsel wie er ihm schon oft im Leben vorgekommen war. Dieser Unterschied, der uns Allen so groß erscheint, verschwand ihm nämlich so gänzlich, weil das Eine nicht mehr und nicht weniger ist als das Andere für den, in welchem und mit welchem er allein lebte, und der mit gleicher Weisheit den Zusammenhang des irdischen unter sich und den Zusammenhang alles irdischen mit seinem ganzen unendlichen Reiche geordnet hat. Wie nun diese feste Zuversicht des Erlösers bei dem Abschiede aus dieser Welt damit unmittelbar zusammenhing, daß er so ganz eingetaucht war in die Gemeinschaft mit seinem Vater, daß ihn der Anblikk des Todes eben so wenig davon scheiden konnte, als irgend etwas in der Mitte dieser irdischen Dinge: so laßt uns zu unserm Tröste nicht vergessen, daß der Erlöser uns in dieselbe Gemeinschaft mit seinem Vater einweiht, und daß er nur deswegen auch hierin unser Vorbild sein kann, so daß wir derselben festen Zuversicht fähig sind, wie sich denn durch diese der Christ besonders unterscheiden soll. Welche Abstufung von der knechtischen Todesfurcht derer, welche nur in ein Dunkel hineinsehen, worin ihnen nichts von dem erscheint, was | allein ihre Augen auf sich gezogen hat, von der stumpfen Gleichgültigkeit, die eben so sehr in der Übersättigung des sinnlichen Bewußtseins, als in der Aufreibung der sinnlichen Kräfte gegründet ist, zu der gefaßten Ergebung eines ernsten Ge-
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müthes in ein unbekanntes zwar, aber eben so allgemeines als unvermeidliches Loos, aber dann noch mehr zu dieser Zuversicht, welche auf der Gemeinschaft mit Gott ruht, vermöge deren der allgemeine Ordner und Herrscher über Alles uns nicht nur ein Wesen außer uns ist dem wir vertrauen, sondern er in uns ist und wir in ihm, und wir also auch unsern Willen von dem seinigen und seinen von dem unsrigen nicht zu trennen vermögen, indem nach der großen Verheißung für den neuen Bund sein Gesez und also auch das Gesez seines Waltens und Ordnens in der Schöpfung so in unser Herz geschrieben ist, daß mit Wahrheit gesagt werden kann, wie es der Erlöser denn sagt, daß der Vater Wohnung mache in unsere Herzen. Hierhin aber, m. g. Fr., giebt es keinen andern Weg, sondern Christus allein ist der Weg, wie er denn auch sagt, der Vater komme mit dem Sohne, und niemand kenne den Vater als nur der Sohn und wem er ihn offenbaren will. Aber wie er verheißen hat, daß er diejenigen die an ihn glauben nach sich ziehen wolle, wenn er werde erhöht sein von der Erde: so zieht er auch die Seinigen nach sich zu diesem festen und innigen Vertrauen, ja was mehr sagen will, zu dieser gänzlichen Willenseinheit mit dem Vater, in | welcher er aus diesem irdischen Leben scheiden konnte, daß wir Alle in demselben Maaß als wir ihm dem Sohne verbunden sind, auch mit derselben einfältigen und kindlichen Zuversicht unsern Geist in die Hände dessen befehlen, dem das geistig lebendige nicht verloren gehen kann, und der wie der alleinige und ewige Herr und Erhalter aller Dinge, so auch der rechte zuverläßige Vater ist über alles was Kind heißt.
Erläuterungen
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i. Teil Predigten in Bezug auf die Feier der Übergabe der Augsburgischen Konfession 1 8 3 0 I
Warnung vor selbstverschuldeter Knechtschaft, 1 Cor. V I I , 23 (Druck 1831 S. 1-19) Die Predigt ist gehalten am 20. V I . 1830 (2. po. Trin.). Sie legt mit ihrer Darstellung der christlichen Freiheit die religiöse Wurzel der Aussagen der Glaubenslehre über das Verhältnis des protestantischen Christen zur Kirche bloß. So wird sie zur Erläuterung der Aussagen der Glaubenslehre darüber, daß für den Protestanten das Verhältnis des christlich Frommen zu Christus dem Verhältnis zur Kirche als dieses bedingend übergeordnet sei (§ 24), wie auch darüber, daß die Kirche in ihrer Lehre irrtumsfähig und stets der Berichtigung bedürftig sei, also mit ihren Lehrformeln keinerlei die Gewissen bindende Norm aufstelle (§ IJ3-155). Auch wird man erst von dieser Predigt her die sehr vorsichtigen Aussagen der Glaubenslehre § 27 über den vom freien Geist des evangelischen Glaubens getragenen und alle Mittel freier wissenschaftlicher Reflexion und Exegese benutzenden Gebrauch der symbolischen Bücher und der neutestamentlichen Schriften verstehen. Schleiermacher versucht Glaubenslehre § 27 eine Bestimmung der noch mit evangelischer Freiheit verträglichen Weisen des Gebrauchs von Schrift und Bekenntnis so zu geben, daß für alle Spielarten evangelischer Frömmigkeit freier Raum ausgespart wird. - Die Abkürzungen für die Predigtanreden, in denen Schleiermacher die Hörer als seine andächtigen oder geliebten Freunde oder Zuhörer anspricht, habe ich so, wie sie sich im Urdruck finden, stehen lassen. 1
Die wider die Aufklärung kämpfende beginnende Repristinationstheologie zielte darauf, den alten reformatorischen Bekenntnissen, voran der Augustana, eine neue, die Geistlichen streng bindende gesetzliche Geltung zu verschaffen. Die königlichpreußische Verordnung für die Feier des 25. 6. 1830 wahrte diesen Bestrebungen gegenüber um der kirchlichen Einheit willen eine gewisse Zurückhaltung. Schleiermacher hatte schon im Reformationsalmanach 1819 einen Aufsatz über die symbolischen Bücher veröffentlicht, welcher ihren inhaltlichen Aussagen jede verpflichtende K r a f t absprach und ihre Bedeutung allein in der Richtung nach außen, d. h. in der Ver-
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neinung der Autorität der römischen Kirche und der von dieser gehegten Irrtümer, Bräuche und gesetzlichen Werke fand. Allein die Tat der Ubergabe des Bekenntnisses, durdi welche die Trennung der neugeordneten evangelischen Gemeinden von dem gesetzlichen alten Kirchenwesen Wirklichkeit wurde und also der Grund zu dem ganzen die evangelische Freiheit wahrenden neuen Kirchenwesen gelegt wurde, ist schon in diesem Aufsatz Sdileiermachers dasjenige, was der Augustana und ihren nachfolgenden Schwesterbekenntnissen gegenwärtige Bedeutung verleiht. Schleiermacher tritt damit in die Fußstapfen Herders, der in seinen „Provinzialblättern für Prediger" das gegenwärtige Erleben des großen Geschehens vom 25. 6. 1530 im Saal des Augsburger Reichstages zum Entscheidenden macht und so den Buchstaben der Augustana mit der Neologie in die zweite Linie drängt. Auch Hegel hat in seiner Augustanarede 1830 alles auf die Tat der Übergabe als den ersten großen Akt evangelischer Freiheit gestellt. Schleiermadiers Herder an begrifflicher Schärfe übertreffende Scheidung der Tat der Übergabe von dem Werk der Bekenntnisschrift ist in der „Evangelischen Kirchenzeitung" 1831 scharf angegriffen worden. Die Predigten hier zeigen, daß diese Scheidung für ihn gerade die Bekundung des Einsseins mit dem Geist des Protestantismus und die Bejahung des freimachenden reformatorisdien Christusglaubens bedeutet. 2
Schleiermacher spricht im Folgenden von der Konfirmation als der Aufnahme in die Gemeinschaft evangelischer Christen. E r setzt eine Gestaltung der Konfirmationshandlung voraus, in welcher den Konfirmanden das Apostolikum als christliches Bekenntnis vorgelegt und eine Bibel zu persönlichem Gebrauch ausgehändigt wird. Das Apostolikum deutet er dabei streng diristozentrisch, so daß Jesu Geschichte als das Werk unsrer Erlösung der Kern des Bekenntnisses wird und die Beziehung auf den Vater im ersten Artikel als Beziehung auf den Vater Jesu Christi, der nun unser Vater wird, die Beziehung auf den Geist im dritten Artikel aber als Beziehung auf den im hohenpriesterlichen Gebet von Jesus für die Seinen erbetenen Geist der christlichen Erlösungsgemeinschaft verstanden wird. Diese Deutung des Apostolikums zeigt, wieso Schleiermacher der neuen Agende gemäß das Apostolikum am Altar sprechen konnte, obwohl er zum Beispiel die Jungfrauengeburt für äußerst problematisch hielt und die Auferstehung Jesu als Rückkehr aus einem todesähnlichen Zustande in ein mit dem wirklichen Tode endendes zweites kürzeres Erdenleben deutete. Er konnte sich als ein vom Buchstaben des Apostolikums Freier mit dem wahren Sinn- und Glaubensgehalt des Apostolikums im Geiste einig wissen. Damit fällt der Vorwurf der „Evangelischen Kirchenzeitung", Schleiermadiers Sprechen des Apostolikums am Altar sei Jesuitismus und Heuchelei, zu Boden. Durch diese neue und großartige Deutung des Apostolikums im liturgischen Gebrauch hat Schleiermacher den freier gesinnten evangelischen Theologen das Heimatrecht in der sich unter dem Einfluß der Repristination starrere Formen zulegenden deutschen evangelischen Kirche gerettet. Wichtig für diese Deutung der Konfirmation ist auch, daß Schleiermather in dem Rückgang auf das Apostolikum die Freiheit von allen Sondergesetzen einzelner Kirchentümer hineinlegt. Die dabei geschehende Wendung gegen einen lutherischen Konfessionalismus entspricht der Zeitlage. Daß Schleiermacher die
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Bezeichnung einer evangelischen Kirche als „lutherisch" als unangemessen und höchstens äußerlich-historisch zu rechtfertigen ansieht, entspricht der Meinung von Luther selbst; vgl. Treue Vermahnung 1 5 2 2 W. A . V I I I 68$ (Stud. Ausg. 2, 308). 3
Schleiermacher deutet die Aushändigung der Bibel an die Konfirmanden als
Sinnzeichen d a f ü r , daß der mündige evangelische Christ in seinem Gebrauch der Bibel persönlich frei und an keine Auslegung seitens theologischer und kirchlicher Stellen gebunden ist. E r stellt außerdem den einzelnen Christen heute in das gleiche freie und unmittelbare Verhältnis zu dem in der christlichen Erlösungsgemeinschaft waltenden Geiste Jesu Christi, das die Apostel hatten. N u r dem Christus, auf den die Apostel weisen, nicht den Aposteln und ihren Schriften als solchen kommt es zu, die durch das Evangelium zur Gotteskindschaft Berufenen zu leiten. Schleiermachers Glaubenslehre § 128 ff sucht näher zu bestimmen, in welchem Sinne angesichts dieser evangelischen Freiheit das neue Testament N o r m der christlichen Lehre genannt werden kann. 4
Verkürzte, aber in den Stichworten getreue Wiedergabe eines Verses aus dem
Liede des Justus Falkner (gest. 1 7 2 4 ) : „ A u f , ihr Christen, Christi Glieder", in dem von Schleiermacher mit bearbeiteten Berliner Gesangbuch von 1829 N o . 450 Vers 6. Die schöne und tiefe Analyse des Verhältnisses zu Jesus, in dem w i r uns als seine „freien Knechte" finden, bedeutet eine Abgrenzung der Christonomie Schleiermachers, welche f ü r ihn die frei bejahte innere Abhängigkeit von Leben und Person des geschichtlichen Erlösers zur w a h r h a f t e n Gestalt religiöser Autonomie macht, wider die radikale Autonomie, z. B . des Christentumsverständnisses Fichtes. Für Fichte ist der geschichtliche Jesus wohl die Stelle, an welcher die freie Gotteskindschaft als aus der Knechtschaft erlösende Potenz sich in die Geistes- und Religionsgeschichte hineinbildet, aber so, daß das damit entstehende autonome Gottesverhältnis frei von jeder inneren Verbindung mit dem historischen Urheber des neuen Gottesverhältnisses w i r d . Fichte hätte die innere persönliche Bindung Schleiermachers an den Erlöser als eine des Menschen nicht würdige Knechtschaft verachtet. D e r „freie Knecht" Christi, der Schleiermacher sein wollte, w ä r e f ü r ihn eine durch A b e r glauben verunstaltete heteronome Geistesgestalt gewesen. Die Scheidung von Fichte, die hier v o n Schleiermacher vollzogen wird, bedeutet selbstverständlich auch eine Scheidung von Hegel und von dem vulgären liberalen Protestantismus. Schleiermacher hätte sowohl zu Bultmann wie zu Tillich selbstverständlich nein gesagt und den V o r w u r f versteckter Heteronomie, den diese ihm hätten machen müssen, mit Gelassenheit getragen. 5
Schleiermacher bezieht sich hier auf G a l . 2 und v e r k n ü p f t dies Kapitel mit
Apostelgesch. 1 $ . 6
Die Aussagen Schleiermachers über Luther treffen mit historischer Genauigkeit
zu. V g l . f ü r Luthers Verwahrungen gegen alle die Gewissen bindende Kirchengesetzlichkeit in K ü r z e E . H i r s c h , H i l f s b u d i zum Studium der Dogmatik 1938 u. ö. § 3 1 0
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bis 319, und für Luthers Freiheit im Urteil über die heilige Schrift ebenda § 1 1 5 - 1 2 8 . 7 Mit dieser Stelle ist Schleiermacher der Urheber der dem deutschen freien Protestantismus eigenen und z. B. von Wilhelm Herrmann leidenschaftlich vertretenen religiösen Beurteilung der Bindung des Glaubens an einen Bekenntnisbuchstaben als einer „intellektuellen Werkgerechtigkeit". 8
Aus Schleiermachers Auseinandersetzungen mit rationalistischen Gegnern geht hervor, daß er an dieser Stelle die Worte des Apostolikums „der empfangen ist vom heiligen Geist" im Sinne hat. E r hat gemeint: da es nach christlicher Lehre eine anstößige Ketzerei sei, sich den heiligen Geist als bei der Erzeugung Christi die männliche Funktion übernehmend zu denken, so könne weder er noch sonst irgend ein Mensch mit diesen Worten des Apostolikums einen klaren Gedanken verbinden. B
Das Folgende spricht einen der kühnsten theologischen Gedanken Schleiermachers aus. Es ist an sich schon ungewöhnlich, daß er - damit alle magische Versöhnungslehre vernichtend - die Einheit der Gläubigen mit ihrem Erlöser auch gemäß Col. 1, 24 auf das erlösende Leiden Christi erstreckt und so die altkirchlichen und die evangelischen Martyrien als eine Ergänzung der erlösenden Leiden Christi versteht. Immerhin, dieser mystische Gedanke ist biblisdi belegbar. Nun aber reiht er unter diese Martyrien der Jünger Christi audi ein das Leiden der in der Freiheit der Gotteskindschaft stehenden folgerichtigen evangelischen Christen unter dem Zwiespalt und der Zertrennung, welche die Gesetzlichkeit, Ängstlichkeit und Knechtschaft vieler nur halb frei Gewordener und wider die ganze evangelische Freiheit sich erhitzender Glieder über die evangelische Christenheit bringt. Wir haben diesen Zwiespalt in Lehren, Riten und frommen Gewohnheiten trotz allem, was er uns persönlich an Haß, Hohn und Verleumdung bereitet, um der Einheit der Kirche willen zu tragen. Die ganze Gedankenverknüpfung ist einerseits ein Ausdruck der bittern und schmerzhaften Empfindungen, welche die niederträchtige und ihm an die persönliche Ehre greifende Bekämpfung durch die ihm feindlichen theologischen Richtungen in Schleiermacher ausgelöst hat. Andererseits wird sie zum plastischen Ausdruck seiner Anschauung, daß es in der evangelischen Kirche eine bekenntnismäßige Einheit in Lehre und Frömmigkeit nicht geben kann, daß es also zum Wesen des Protestantismus gehört, den Streit um die ganze Freiheit der Kinder Gottes ohne Zersprengung der kirchlichen Gemeinschaft in seiner eigenen Mitte fortführen zu müssen bis ans Ende der Tage. Diese unumgängliche kirchliche Toleranz verbietet es nach Schleiermacher den wahrhaft frei gewordenen Knechten Christi jemals in der evangelischen Kirche etwas anderes sein zu wollen als eine unter dem Ganzen der kirchlichen Gemeinschaft leidende Gruppe.
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II Die Ubergabe des Bekenntnisses als Verantwortung über den Grund der Hoffnung, 1 Petr. III, 1 j (Drude 1 8 3 1 S. 20-36)
Diese am Festtage des 25. V I . 1830 gehaltene Predigt ist unter allen Predigten Sdileiermadiers die einzige, die auf unmittelbare Erbaulichkeit ganz verzichtet. Sie gibt unter Ausgang von dem Unterschied zwischen Werk der Bekenntnisschrift und Tat der Ubergabe (vgl. über diesen Untersdiied Anm. 1 zur ersten Predigt) Rechenschaft von dem Sinn, in welchem Schleiermadier ein wahrhaft evangelisches J a zu dem am 25. V I . 1530 Geschehenen als einem noch gegenwärtig Bedeutsamen findet. Dabei kann er mit der Neologie „Geist und Wesen" des in der Augustana seinen ersten Ausdruck findenden evangelisdien Glaubens herausheben aus den bestimmten Lehraussagen dieses Bekenntnisses, die für ihn mitbedingt sind durch eine von der unsrigen sich unterscheidende vergangene Denkgestalt, zudem mit der durch drei Jahrhunderte reich entwickelten neuen protestantischen Auslegung der Schrift im Mißverhältnis stehn und auch nach den Maßstäben jener Zeit, wie Sdileiermacher hart ausspricht, ein durdi notgedrungene Eile etwas redit Unvollkommnes bieten. Die Bedeutung der Predigt aber besteht darin, daß sie über die blasse neologische Formel von „Geist und Wesen" weit hinausführt und mit dem Leitbegriff einer frei gewagten, von allen Menschensatzungen unabhängigen neuen Rechenschaft und Verantwortung des Glaubens an Christus das noch gegenwärtig Giltige an diesem ersten evangelisdien Bekenntnis erfaßt. 10
Sdileiermacher deutet hier an, daß er die Rezeption der dogmatischen Festsetzungen der altkirdilichen Konzilien durch die Augustana für sehr fragwürdig hält und als der Rechenschaft vom evangelischen Glauben nur zufällig-historisdi anhängend betrachtet. Demgemäß hat er in der Glaubenslehre z. B. die noch dazu stark umgedeuteten und vereinfachten alten christologischen Lehrformeln seiner eigentlichen Christologie nur als eine immerhin zulässige Christologie zweiter Ordnung folgen lassen. 11 Die im Vorhergehenden an der Augustana bejahten beiden Punkte hat Schleiermacher in der Bestimmung des rechten Verhältnisses zum Inhalt dieser Bekenntnisschrift im Reformationsalmanadi 1 8 1 9 S. 376 durch den Vorschlag folgender Formel für die Bekenntnisverpflichtung der Geistlichen ausgedrückt: „Ich erkläre, daß ich Alles, was in unsern symbolischen Büdiern gegen die Irrtümer und Mißbräuche der römischen Kirche - besonders in den Artikeln von der Rechtfertigung und den guten Werken, von der Kirche und der kirchlichen Gewalt, von der Messe, vom
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Dienste der Heiligen und von den Gelübden - gelehrt ist, mit der heiligen Schrift und der ursprünglichen Lehre der Kirdie völlig übereinstimmend finde; und daß ich, solange mir das Lehramt anvertraut ist, nicht aufhören werde, diese Lehren vorzutragen und über den ihnen angemessenen Ordnungen in der Kirche zu halten." Es hat sich also an der sachlichen Stellungnahme zum Inhalt der Augustana seit 1819 nichts geändert. 12
Es ist noch etwas Tieferes als gegenrevolutionärer Konservativismus, wenn Schleiermacher im Folgenden als ersten Zug an der Tat der Übergabe der Augustana die Wahrung des Gehorsams der evangelischen Fürsten gegen ihren Oberherrn und Kaiser hervorhebt. Er denkt hier ganz ebenso wie damals Luther, und der Grund dafür ist bei ihm wie bei Luther der tiefe Ernst, der gemäß dem von Paulus Rom. 13 Gesagten es für eine dem Evangelium widersprechende Verunreinigung des Glaubens hält, gegen eine im Glauben abweichende Obrigkeit revolutionär zu werden. Hier liegt der tiefe Gegensatz Schleiermachers gegen die Verquickung evangelischer Freiheit mit politischem Linksradikalismus, wie er sich bei den freigesinnten Protestanten im Menschenalter nach seinem Tode so häufig gezeigt hat. 13
Es gehört zu Schleiermachers Begriff von der sichtbaren Kirche, daß man das Band mit ihr um ihrer Mißstände und Gesetzlichkeiten willen nicht mutwillig bricht, solange sie einen nicht behindert in der Freiheit, das Evangelium gemäß dem eigenen Gewissen zu verkündigen und sich von allen Menschensatzungen und falschen Ceremonien frei zu halten. Gemäß diesem Begriff von der Kirche hat er es für seine Pflicht gehalten, sich der neuen preußischen Agende zu beugen, nachdem das gewissensmäßig ihm Unabdingliche in der Freiheit ihres Gebrauchs zugestanden worden war. Von daher gewinnt er nun das J a zur Friedensliebe der Augustana. Dem evangelischen Christen ist es wichtig, daß der Bruch von der römischen Seite ausgegangen ist. Der Reiz aber seiner Betrachtung an dieser Stelle ist, daß er, der Urprotestant, zugleich seinen Dank an die göttliche Vorsehung bezeugt, welche die alte Kirche so intolerant gegen das Evangelium machte und damit die Gründung einer neuen freien Kirche ermöglichte. Dieser Dank macht zugleich einen meist übersehenen Zug an Schleiermachers Vorsehungsglauben deutlich. Schleiermacher teilt mit Luther den Sinn für jene unergründliche Paradoxie des göttlichen Waltens, für die der aufgeklärte Verstand blind gewesen ist. 14
Glaubenslehre § 128 Leitsatz: „Das Ansehen der Heiligen Schrift kann nicht den Glauben an Christum begründen, vielmehr muß dieser schon vorausgesetzt werden, um der Heiligen Schrift ein besonderes Ansehen einzuräumen." 15
Schleiermacher versteht mit Luther das protestantische Schriftprinzip als die Befreiung jedes einzelnen an Christus Glaubenden von der Lehrgewalt der sich:baren Kirche. Darum ist für ihn, ebenso wie für Luther, das J a zum Schriftprinzip verbunden mit dem J a zur kirchlich nicht normierten freien Erforschung und Auslegung der Schrift. Daß diese Freiheit der Erforschung und Auslegung der Schrift uns aus dem Altprotestantismus herausgetrieben und uns eine neue Gestalt evange-
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lischer Lehre mit vielen und mannigfaltigen Abweichungen und Streitigkeiten der Einzelnen eingetragen hat, muß nach ihm v o n dem, der es aufrichtig mit dem Schriftprinzip der Augustana meint, als göttliche Fügung hingenommen werden. 16
Die Darlegungen der Glaubenslehre § 23 und 24 drücken Schleiermachers Uber-
zeugung aus, daß erstens
der Unterschied von römisch-katholischem und evange-
lischem Christentum auf einer bis in die tiefsten Wurzeln reichenden wesentlichen Gegensätzlichkeit im Verständnis des Christlichen beruhe, und daß zweitens
die
weitere geschichtliche Entwicklung beider Konfessionen bei Folgerichtigkeit nur auf eine immer vollständigere Durchbildung dieses Gegensatzes in allen Einzelheiten zu zielen habe. Die Aussage der Predigt, daß jegliche Annäherung an die römische Kirche in Lehre und Frömmigkeit das evangelische Christentum in tödliche G e f a h r bringe, daß es also zur Wahrung der evangelischen Freiheit nötig sei, den K a m p f der R e f o r m a t i o n wider alle Bedrohungen des Evangeliums in der eigenen Mitte immer noch weiter zu führen, gibt dem K a m p f e Schleiermachers wider die Repristination den feierlichen Ernst. E r ist um 1 8 3 0 wohl der einzige evangelische Theologe gewesen, der eine Witterung besessen hat f ü r das damals erst noch bevorstehende Aufsteigen des Katholizismus zur Großmacht in der modernen Gesellschaft. 17
M i t dem Folgenden spricht Schleiermacher das Programm eines auf inner-
protestantischer Toleranz größten Ausmaßes beruhenden allgemeinen freien Zusammenschlusses aller evangelischen Christen und Kirchen aus. Die preußische Union, die nach seinem Willen ja die Individualität der einzelnen in ihr zusammenlebenden Gemeinden und Richtungen nicht auslöschen sollte, ist in seinen Augen nur der erste Schritt zu einer um der Selbstbehauptung des Protestantismus willen nötigen evangelischen Ökumene gewesen. Die Bestrebungen zu einer großen evangelischen Allianz, welche dann teils an der konfessionalistischen Enge der deutschen Repristination, teils an dem im 19. Jahrhundert erwachenden Anglo-Katholizismus gescheitert sind, durften sich mit Recht auf Schleiermacher berufen.
III Das Verhältnis des evangelischen Glaubens zum Gesetz, Gal. II, 1 6 - 1 8 (Druck 1 8 3 1 S. 3 7 - 6 1 )
Schleiermacher beginnt die Reihe von Predigten über einzelne Aussagen der Augustana mit dem vierten Artikel „ V o n der Rechtfertigung" und unterscheidet, dem Artikel selber folgend, an ihm die Verneinung der Gerechtigkeit aus Werken des Gesetzes und die Bejahung der Gerechtigkeit aus dem Glauben. So ergeben sich ihm zwei Predigten (3. und 4. Predigt). Die Verneinung der Gerechtigkeit aus Wer-
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Erläuterungen
ken des Gesetzes gibt ihm nun Anlaß, die eigentümliche Stellung seiner Glaubenslehre zum Begriff des Gesetzes unter Beziehung auf Paulus und auf die Reformation zu entfalten. Damit wird diese Predigt zu einem wichtigen Dokument für das Verhältnis von Schleiermachers romantisch bestimmter Geistigkeit und Frömmigkeit zur paulinisch-reformatorischen Lehre von Gesetz und Evangelium. Aus der Glaubenslehre sind vor allem zu vergleichen: § 66, 2 (Sünde darf nicht bestimmt werden als Übertretung eines von Gottes Wesen abgetrennten, durch einen Sonderakt von ihm über uns verhängten Gesetzes); § 68, 3 (Der Widerstand unserer Natur gegen das Gottesbewußtsein erweckt in uns ein sicheres und klares Bewußtsein der Sünde allein durch das Gegenbild der unsündlichen, zur reinen Geisthaftigkeit aus und in Gott vollendeten, das eine Gute uns zeigenden Menschheit des Erlösers); § 83, 2 (Das Gewissen Ausdrude der dem Gesamtleben des menschlichen Geschlechts vor und außer Christus eignenden und als die eine Seite in der christlichen Frömmigkeit mitgesetzten Erlösungsbedürftigkeit); § 1 1 2 , 5 (Sündenerkenntnis und Heiligungsstreben zutiefst nicht gesetzesbedingt). Ein Vergleich der aus diesen Aussagen der Glaubenslehre näher erläuterten Predigt mit der nodi rein romantischen Selbstdarstellung in den „Monologen" 1801 ist lehrreich für das inzwischen geschehene Hineinwachsen Schleiermachers in den christlichen Glauben. Der Wendepunkt liegt in den letzten Monaten des Jahres 180$; vgl. auch E. Hirsch, Schleiermachers Christusglaube 1968. 18 Der Wortlaut des Artikels 4 der Augustana spricht einfach von „Werken" und Schleiermacher merkt gewissenhaft an, daß er - was im Übrigen der Meinung Luthers genau entspricht - die Worte „des Gesetzes" interpretierend hinzugefügt habe. Noch beispielhafter als dieser kleine Zug aber ist die Gewissenhaftigkeit, mit der Schleiermacher darauf verzichtet, das Wort Gesetz einfach als gangbare theologische Münze zu verwenden, sondern scharf und genau die Frage stellt, ob seine Bestimmung des Verhältnisses des Gesetzes zum Glauben bei allem durch den Wandel der Jahrhunderte gegebenen Wechsel der konkreten Sinnbezüge noch wirklich mit den paulinisdien und reformatorischen Aussagen übereinstimme.
19 A n die Stelle eines wunderhaft geoffenbarten Gesetzes tritt bei Schleiermacher das im geschichtlichen Werden der Menschheit sich bildende, aus Geist und Vernunft des Menschen geborene und jeweils individuell ausgeprägte, mehr oder minder vollkommene Gesetz, mit welchem Staatengründer und Religionsstifter, sowie deren Nachfahren eine bestimmte weltlich-bürgerliche oder gottesdienstliche oder auch allumfassende Gemeinschaft ordnen, indem sie deren Geist teils aussprechen, teils bestimmen. Im Sprachgebrauch seiner philosophischen Sittenlehre würde Gesetz also zu bestimmen sein als Ordnung einer vom höchsten Gut umfaßten bestimmten gemeinschaftlidien Weise des Zusammenseins von Sein und Vernunft. Daß hinter diesem geistig-vernünftigen Gesetz Gott steht als der Allwaltende und Allbedingende, der den Menschen zu seinem Bilde durdi alles irdische Geschehen hindurch erschafft, braucht nicht erst gesagt zu werden. Das Gesetz hat somit für Schleiermachers Denken einen verborgenen ewigen Grund, bei den Heiden ebenso wie bei den Juden.
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Rom. 2,14 ff.
21 Schleiermacher spricht hier als irrealen Wunschtraum der Staatenordner und Gesetzgeber aus, was bei Fichte als Vollendung der bürgerlichen Gesellschaft zur rein sittlichen Gemeinschaft aller Menschen das reale Endziel des Geschichtsprozesses ist. 22
Die innere Autonomie des Menschen als eines wesenhaft das höchste Gut mit seiner Wahrheit, Gerechtigkeit, Lebensfülle und Seligkeit bejahenden gottesebenbildlichen Geschöpfs, die für Schleiermacher selbstverständlich ist, wird philosophisch - z. B. bei Kant - oft geltend gemacht, um gegen den christlichen Erlösungsglauben die Vollendung des Menschen zum reinen Guten durch Selbstgesetzgebung und Selbsttätigkeit der Vernunft für idealiter möglich zu erklären. Schleiermacher macht im Folgenden gegen diese Betrachtung geltend, daß eine solche rein im Innern gegründete Gesetzgebung des vernünftigen Wesens behaftet sei mit einem dem vollendeten Leben im Guten fremdartigen unreinen Moment. Ein solches autonomes Streben begehrt den Genuß eines selbstgefälligen Vollendungsbewußtseins. Nicht Gerechtigkeit und Leben, sondern ein erhöhtes Würdegefühl ist allem selbsttätigen Streben nach höherer Idealität der Antrieb. 23
Matth. 19, 20. Im unmittelbar Folgenden spielt Sdileiermacher auf Art. 18 der Augustana an. 24
Für das Folgende ist Glaubenslehre § 144 und § 14J zu vergleichen. Sdileiermacher versucht dort die Gesetzgebung und Verwaltung, die von der Kirche als einer in der Welt stehenden geordneten geschichtlichen Gemeinschaft unabtrennlidi ist, einzuordnen in die Freiheit des Geistes und Glaubens, die einem jeden Christen aus der inneren Gemeinschaft mit dem Erlöser eigen ist. Man kann das dort Gesagte vereinfachend in drei Sätze fassen. Erstens, die Bindung durch irdisch-kirchliche Gemeinsdiaft hat christlich zur Begleiterin eine Lösung, nämlich eine Selbstbegrenzung, welche die Freiheit der einzelnen Glieder der Kirche in der Gestaltung ihres Glaubens und Lebens ehrt. Zweitens, alles Walten und Ordnen in irdisch-kirdilicher Gemeinschaft muß von den einzelnen Gliedern als ein durch Zeit und Umstände bedingter wandelbarer Ausdruck des lebendigen diristlichen Gemeingeistes anerkannt werden können, welcher sich aus Geist und Willen des Erlösers stets neu gebiert. Drittens, es steht keiner irdisch-kirchlichen Stelle zu, die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft durch die Taufe zu verweigern oder Getaufte aus der christlichen Gemeinschaft auszuschließen wegen gegensätzlicher Urteile über kirchliche Fragen. 26
Dies ist Sdileiermadiers Kritik an einem zum Konventikeldiristentum entartenden Pietismus. 28
Sdileiermadiers Kampf gegen die intellektuelle Werkgerechtigkeit (vgl. Anm. 7) verdichtet sich hier zu der scharfen neuprotestantischen Unterscheidung von Lehre
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Erläuterungen
und Glaube. Die folgenden Ausführungen malen Schleiermachers Stellung zum Streit zwischen Orthodoxie und Pietismus. Tote Rechtgläubigkeit und fromme Werkhaftigkeit sind zwei entgegengesetzte Fehler, von denen immer der eine den andern auf den Plan ruft. Angesichts der Fremdheit aber, welche die evangelische Freiheit für den natürlichen Menschen hat, wird wahrhafter evangelischer Glaube in der Geschichte unsrer Kirchentümer immer einen schmalen Weg zwischen beiden Entartungen sich bahnen müssen.
IV Von der Gerechtigkeit aus dem Glauben, Gal. II, 1 9 - 2 1 (Drude 1 8 3 1 S. 62-81)
Diese zweite Predigt über den von der Rechtfertigung handelnden Art. 4 der Augustana, mit der vorhergehenden aufs Engste zusammenhängend, behandelt die bejahende Seite, d. h. den Begriff der Glaubensgerechtigkeit. Sie ist der maßgebliche Kommentar zu den Aussagen der Glaubenslehre über Rechtfertigung und Wiedergeburt. Es folgen hier zum Vergleidi die Leitsätze von § 107 und § 109: „107. Das Aufgenommenwerden in die Lebensgemeinschaft mit Christo ist als verändertes Verhältnis des Menschen zu Gott betrachtet seine Rechtfertigung, als veränderte Lebensform betrachtet seine Bekehrung. 108. Die Bekehrung, als der Anfang des neuen Lebens in der Gemeinschaft mit Christo, bekundet sich in jedem Einzelnen durch die Buße, welche besteht in der Verknüpfung von Reue und Sinnesänderung und durch den Glauben, welcher besteht in der Aneignung der Vollkommenheit und Seligkeit Christi. 109. Daß Gott den sich Bekehrenden rechtfertigt, sdiließt in sich, daß er ihm die Sünden vergibt und ihn als Kind Gottes anerkennt. Diese Umänderung seines Verhältnisses zu Gott erfolgt aber nur, sofern der Mensch den wahren Glauben an den Erlöser hat." Die schwierige Beurteilung des Verhältnisses, in welchem Sdileiermachers Rechtfertigungslehre zur reformatorischen steht, wird erleichtert durch die theologiegeschichtlichen Angaben bei Walter Bodenstein, Die Theologie Karl Holls Berlin 1968, S. 1 3 2 - 1 8 3 . 27
In den nächsten Sätzen bezieht sich Schleiermacher auf folgende Schriftstellen: Rom. 10, 2; Luk. 23, 34 (von Schleiermacher auf die bei Pilatus das Urteil erzwingenden Pharisäer und Schriftgelehrten statt auf die Jesus kreuzigenden Soldaten bezogen); Joh. 19, 7; Phil. 3, 6; Gal. 1, 14. In der Schilderung des Bruches Pauli mit dem väterlichen Gesetz macht Schleiermacher dann - anknüpfend an Apostelgesch. 2 1 , 20 ff. und an das Wort Pauli, daß er den Juden ein Jude sei - die Einschränkung, daß Paulus in Palästina das Gesetz als äußerliches bürgerliches oder obrigkeitliches Gesetz, aber ohne jede Beziehung auf das Gottesverhältnis, gehalten habe. Diese Einschränkung soll im Zusammenhang der Predigt jedoch nur um so deutlicher
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machen, wie radikal Paulus als Christ dem Gesetz im religiösen Sinne abgestorben war. Indem Schleiermacher so die Bekehrung des Paulus als den in jedem wahrhaft Glaubenden geschehenden Obergang von Gesetzesdienst zum Leben in Christus deutlich macht, brennt er zugleich den Hörern ein, daß der christliche Erlösungsglaube zur alttestamentlichen Gesetzesreligion in unaustilglichem Gegensatz stehe; vgl. dazu die religionsphilosophischen Abschnitte aus der Einleitung in die Glaubenslehre. Es wird für Schleiermacher zur tiefsten Begründung des reformatorisdien Rechtfertigungsglaubens, daß das mosaische Gesetz gemäß der Natur aller Gesetzesreligion seine Diener für die erlösende Liebe Gottes blind gemacht und den Erlöser als einen Frevler getötet hat. 28 Der im Folgenden von Schleiermacher entwickelte Glaubensbegriff hat eine starke Anknüpfung bei Luther. Vgl. z . B . Kleiner Galaterkommentar, 1519, zu Gal. 4, 4 f, W. A . II 535: „An Christus glauben heißt ihn anziehn, eines werden mit ihm. Aber Christus ist Sohn. Derhalben sind in ihm auch die, so glauben, Söhne mit ihm"; außerdem auch noch Großer Galaterkommentar zu Gal. 2, 20 (also zu eben der Stelle, über die Schleiermacher hier predigt), W. A. 40 I 285 f : „Jene glauben mit historischem Glauben an Christus wie der Türke. Aber der rechte Glaube macht aus dir und Christus Eine Person, daß du nicht gesondert bist von Christus, sondern in ihm h a n g e s t . . . Also sind wir vereinigt zu Einem .Fleisch und Bein' mit einem Bande, das viel fester ist als das zwischen Mann und Weib. So ist solcher Glaube audi nicht müßig, denn er macht das ganze Prangen dunkel, mit dem sich die Lehre von der Werkgerechtigkeit rühmt." D a Schleiermacher den wahren, Christus innerlich ergreifenden Glauben ebenso wie Luther gegen den keine Gerechtigkeit bringenden historischen Glauben abgrenzt, ist zu vermuten, daß er Luthers Großen Galaterkommentar in der Fassung von 1535 gekannt hat. Die Erweiterung gegen Luther besteht darin, daß er - auf zeitgenössische Bildungsreligion anspielend - nicht nur den toten historischen Glauben für unzureichend erklärt, sondern auch den verehrenden Glauben, der keine ganze persönliche Hingabe an den Erlöser bedeutet.
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Man hat fromme Werkhaftigkeit, welche der Gerechtigkeit aus dem Glauben widerspreche, darin finden wollen, daß Schleiermacher den Glauben beschreibt als eine fort und fort sich erneuernde, die Persönlichkeit von Grund auf neu bestimmende innere Hingabe, mit welcher das Leben des Erlösers ergriffen und aufgenommen wird. Die Predigt hier zeigt, daß Schleiermacher diese innere Hingabe oder Aufnahme versteht als ein mit subjektiver Freiwilligkeit durchformtes Erleiden der zwingenden K r a f t , Hoheit und Gewalt, welche Jesus bei Lebzeiten unmittelbar, jetzt in der christlichen Erlösungsgemeinschaft durch seinen sein persönliches Leben gegenwärtig machenden Geist ausübt. Glaube ist bejahtes Erleiden Gottes, der mit seiner Liebes- und Schaffensmacht in dem Erlöser gegenwärtig ist. Alles, was dies Erleiden an Leben und Gehalt in sich trägt und dem Glaubenden zueignet, quillt aus Leben und Geist des Erlösers. Nur das rein formelle Bejahen dieses Erleidens als einer göttlichen Liebestat muß logisch auf das Subjekt des Glaubens bezogen werden, und dies nicht im Sinne einer Ursacherklärung, sondern rein als einer die
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subjektive Lebendigkeit des Glaubens ehrende Beschreibung. Schleiermacher hat also seinem strengen Prädestinatianismus nicht widersprochen. 30
Vergleiche zum Folgenden Joh. 6, 3 j und Joh. 4 , 1 4 .
31 Zu der Polemik über die Gleichsetzung der Glaubensgerechtigkeit mit der Vergebung der Sünden vgl. die in der Einleitung zur vorhergehenden Predigt genannten Äußerungen der Glaubenslehre über das Verhältnis der Sündenerkenntnis zum Gesetz und zu Christus. Außerdem aber den Leitsatz zu Glaubenslehre § m , nadi welchem die Sünden der Wiedergeborenen die Vergebung immer schon mit sich bringen. Es lebt hier in Schleiermacher die Verneinung des Halleschen Bußkampfes mit seinem Ringen um Sündenvergebung fort, welche f ü r die Herrenhutische Frömmigkeit bezeichnend ist. Für das Verhältnis der Buße zu Gesetz und Evangelium ist außerdem an Luthers Streit mit Eck zu erinnern; vgl. E. Hirsch, Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik § 273-276.
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Wie bei Schleiermachers Verneinung der mit der Imputationstheorie verbundenen einseitig forensischen Rechtfertigungslehre Melanchthons und der Lutherischen Orthodoxie eine Versöhnungslehre aufgebaut werden kann, zeigen die Paragraphen 1 0 1 und 104 der Glaubenslehre. Schleiermachers Argument, daß eine rein forensische Rechtfertigungslehre der Wahrhaftigkeit Gottes widerspreche, hat in vielerlei Gestalt auf die neuere Lutherforschung eingewirkt; vgl. darüber W. Bodenstein, a.a.O., S. 138 fr. 33 Nach Schleiermacher ruht also das göttliche Wohlgefallen, k r a f t dessen der das Leben Christi als neuen Lebensgrund aufnehmende Glaube mit Wahrheit unsre Gerechtigkeit heißen darf, auf überzeitlichem Grunde. Der ewige Gott, dessen erlösende und vollendende Liebe das neue göttliche Leben des Erlösers in Zeit und Geschichte hineingestiftet hat, sieht das Werden und Wachsen der christlichen Erlösungsgemeinschaft sowohl unter den Geschlechtern der Menschen wie in jedem einzelnen von ihr ergriffenen Glaubenden als ein in sich vollendetes Ganzes, welches die mannigfachen Wechselfälle und Wandelbarkeiten des irdisch-menschlichen Lebens trägt und immer mehr in sich aufnimmt. In jedem Punkte menschlich-geschichtlichen Lebens, das durch den Glauben den Ursprung dieser Erlösungsgemeinschaft, das Leben Christi, in sich aufnimmt, ist sub specie aeternitatis die ganze Fülle und Vollkommenheit, die Jesus als dem Sohne eignet, schon da. Mathias Schneckenburger hat gezeigt, wie in diesem Gedanken Schleiermachers die reformierte Einordnung der Rechtfertigung des einzelnen Glaubenden in den allgemeinen göttlichen Erlösungsratschluß einen neuen Ausdruck gewonnen hat. E r prägt dafür die Formel, daß nach der reformierten Rechtfertigungslehre das göttliche Rechtfertigungsurteil einfach das überzeitliche Teilhaben des Einzelnen an der Vollkommenheit des Erlösers feststelle und insofern analytisch sei; vgl. W. Bodenstein a.a.O., S. 158. Gegen diese Deutung der Rechtfertigungslehre läßt sich vom Standpunkt Luthers aus nur der Einwand Karl Holls erheben, daß sie mit ihrer reinen Oberzeitlichkeit den Bedingungen zeit-
Erläuterungen
359
gebundenen menschlichen Trauens und Wagens auf die göttliche Gnade nicht gerecht werde und also notwendig durch eine zweite andere Betrachtung ergänzt werden müsse, welche das göttliche Erbarmen mit dem von Sünde, Tod und Hölle angefochtenen Sünder als ein unbegreifliches Wunder verstehe. 34 Schleiermacher macht im Folgenden sich und den Hörern klar, daß die Voraussetzung für das Ja der gläubigen Hingabe an Christus in einer nach Gott und dem Guten verlangenden Empfänglichkeit des inwendigen Menschen liegt. Mit dem scholastischen Terminus gesprochen: das Ja der gläubigen Subjektivität zu Christus gebiert sich in dem verborgenen Grunde der Syntheresis, die unbestimmt, aber unentrinnlich uns zum Wohlgefallen am Göttlichen und Guten ruft. In der modernen dialektischen Theologie, z. B. bei Gogarten und Bultmann, wird die Lehre von einer solchen Syntheresis verfemt als Lehre von einem besten Teil des Menschen, die im Widerspruch zur Erbsündenlehre stehe und dem paulinischen Satz, daß der Mensch abgesehen von Christus nichts als Fleisch sei, abschwäche. Schleiermacher sucht nun zu zeigen, daß eine solche Syntheresis zwar an sich geisthaft sei, aber den Menschen wegen ihrer Unkräftigkeit nicht aus der Gefangenschaft im Fleisch herausnehme. Damit ist die Erlösung durch das gläubige Empfangen des Lebens Christi als ein schlechthin unbegreifliches Wunder gesetzt. Schon dies würde genügen, um die Anklage der dialektischen Theologie wider Schleiermacher und alle, die irgendwie die Lehre von der Syntheresis erneuern, als Verleumdung zu erweisen. Es gehört zu der in dieser Predigt sichtbar werdenden unvergleichlichen Tiefe Schleiermachers, daß er das unkräftige Wohlgefallen des inwendigen Menschen am Göttlichen und Guten und die radikale Erlösungsbedürftigkeit des sich als Fleisch vorfindenden Menschen wirklich ineinander gedacht hat. Diese Tiefe steigert sich noch dadurch, daß er die fruchtbare Entfaltung der menschlichen Vernunft von ihrem syntheretischen Grunde her, d. h. das gesamte geistige Werden und Wachsen des Menschengeschlechts zu einer weltumgestaltenden Vollmacht der Vernunft ausdrücklich in die gleichen Grenzen bannt, die in dem blassen Wohlgefallen der unsre Vernünftigkeit tragenden Syntheresis am Göttlichen und Guten gesetzt sind. Schleiermacher ist der Theologe, der mit wirklichem Ernst darum gerungen hat, das in der Aufklärungszeit aufgebrochene stolze Selbstbewußtsein der Menschheit zu bejahen, ohne dem reformatorisch streng gefaßten christlichen Erlösungsglauben etwas abzubrechen. Erleichtert wird ihm die Lösung der Aufgabe dadurch, daß er ebenso wie Fichte und Hegel in ihrer Geschichtsphilosophie die Entwicklung der Schaffensmacht der Menschheit seit dem Erscheinen Christi als eine von dem persönlichen Empfangen der Erlösung unabhängige allgemeine Rückwirkung der christlichen Erlösungsgemeinschaft auf das Menschengeschlecht versteht, also neben der eigentlichen Erlösung auch eine mittelbare Steigerung der menschlichen Anlagen durch das Christentum annimmt. Doch ist sein Grundgedanke auch abgesehen von dieser Interpretation der Menschheitsgeschichte seit der Zeitenwende tragkräftig.
35
Man beachte, wie Schleiermacher in seiner Geschichtsphilosophie die Terminologie der neutestamentlichen Eschatologie aufnimmt und umdeutet.
Erläuterungen
V Das vollendende Opfer Christi, Hebr. X , 1 2 (Druck 1831 S. 82-100) Es ist nicht eigentlich in der Augustana begründet, daß Schleiermacher unmittelbar auf die Erläuterung der reformatorischen Rechtfertigungslehre die Besprechung des reformatorischen Nein zum Meßopfer folgen läßt. Dies Nein ist von Melanchthon in den 2. Teil der Augustana abgeschoben (Art. 24). Leitend ist für Schleiermacher hier gewesen die in ihm lebende leidenschaftliche Abneigung gegen das Meßopfer. Man darf daran denken, daß er als Reformierter hier mitbestimmt ist von der Erinnerung an den brutalen Zwang zum Meßopfer, der von Ludwig X I V . geübt worden ist und zahlreichen Gliedern der französischen reformierten Kirche das Martyrium eingetragen hat. Immerhin hat Luther - sauberer und klarer als Melanchthon - im 2. Teil seiner Sdimalkaldischen Artikel den unversöhnlichen Widerstreit zwischen Rechtfertigungsglauben und Meßopferdienst zum Hauptpunkt in der Scheidung des reformatorischen Christentums von der Papstkirche gemacht, so daß auch vom Standpunkt des Luthertums her die Herausarbeitung des reformatorischen Nein zum Meßopfer durch Schleiermacher als streng folgerichtig anerkannt werden muß. Aus der Glaubenslehre sind vor allem § 104 und § 1 4 1 , 2 zu vergleichen. 36 Hebr. 10, 7-9 und Ps. 40, 7-9. Im Folgenden finden sich bei Schleiermacher zahlreiche einzelne Bezugnahmen auf Hebr. 9 und 10. 37
Dadurch, daß Schleiermacher von dem „Treten vor die Gegenwart Gottes" spricht, zu dem der Glaube an Christus uns Freudigkeit gibt, und daß er im Folgenden die durch den Glauben an Christus uns gewährte Seligkeit des Gottesverhältnisses vor unsre von Christus getragene Heiligung ausdrücklich vorordnet, bringt er auf seine Weise die Wahrheit zu Ehren, die der forensischen Form der Rechtfertigungslehre zugrunde liegt. Nur dies fällt bei ihm aus, daß der Glaube, der in und mit Christus vor die Gegenwart Gottes tritt, unter Zweifel und Anfechtung immer neu sich zu gebären hat. Die Stelle hier ist eine Erläuterung zu dem Glaubenslehre § 107 gebrauchten Ausdruck des veränderten Gottesverhältnisses. 38 Von der durch Schleiermacher erwähnten mangelhaften Kenntnis der römischen Lehre vom Meßopfer ist heute auch der Großteil der evangelischen Geistlichen betroffen. Daher sei verwiesen auf die ausführliche Darstellung des - zu den amtlichen die Gewissen bindenden Lehrkundgebungen der römischen Kirche gehörenden Catechismus Romanus (Pars secunda, Caput I V , Quaestio 54/67). Nach ihr ist am angeführten Orte Quaestio 63 der durch die Darbringung der Hostie vom Priester vollzogene Opferakt im Ernst ein Sühnopfer, welches den beleidigten Gott versöhnt und ihm für unsre Sünden Genugtuung leistet. Die Frucht dieses Sühnopfers kommt
Erläuterungen
361
nach ebenda Quaestio 64 nicht nur den lebenden, sondern auch den bereits abgeschiedenen Gläubigen zugute. Diese Frucht ist einerseits die Besänftigung des Zornes Gottes und ein Nachlaß zeitlicher Sündenstrafen (einschließlich von Fegfeuerstrafen), anderseits ein an Gott sich richtendes Erflehen aller Gnaden, deren w i r f ü r Leib und Seele bedürfen. Jeder umfangreichere katholische Katechismus legt diese Lehren ausführlich dar. 39
Mit dem Wort „wirkliche Sünde" gibt Schleiermacher, an die Sprache des
katholischen Katechismus sich anlehnend, den Ausdruck peccatum actuale wieder. Seine Darstellung drückt aus, daß nach römischer Lehre die sündenstrafentilgende Wirkung des Meßopfers unmittelbar nur den Gläubigen zugute kommt, welche die heiligmachende G n a d e besitzen. Es sdiwingt in ihr aber noch die kirchenhistorische Tatsache mit, daß das Meßopfer als Sühnopfer, welches den Z o r n Gottes von der schuldbeladenen Christenheit abwendet, klar zuerst v o n Bischof C y p r i a n von K a r thago gedacht worden ist unter dem Eindruck der Tatsache, daß in der dezianischen Christenverfolgung die Mehrheit der Gemeinde in die Todsünde des Götzendienstes gefallen w a r und durch das kirchliche B u ß v e r f a h r e n wieder in den Gnadenstand zurückgeführt werden mußte. Die gottesdienstliche Gemeinde, die nach diesem großen G n a d e n a k t das Gedächtnis des Todes des H e r r n feierte, w a r niedergedrückt durch die Erinnerung an eine z w a r vergebene, aber unendliche Beleidigung Gottes. 40
Anspielung auf R o m . 7 in der Auslegung auf den Menschen außer Christus.
41
Schleiermachers Glaubenslehre ist in ihren Abschnitten über Christi Person
und Werk die erste dogmatische Darstellung des Protestantismus, welche Jesu Leben und Jesu Sterben völlig ineinandergedacht hat. Golgatha w i r d zum vollendeten Ausdruck des Sinngehalts von Jesu Person, Leben, Wort und Geschichte, gewissermaßen zur ewigen Gegenwart des gesamten Lebens und Wirkens Jesu von Nazareth. Die Antithetik zwischen einer rein auf die Predigt des Evangeliums blickenden V e r gegenwärtigung des Lehrers Jesus und einer über dem Kreuzestod den K ü n d e r des Evangeliums vergessenden halbmythischen Versöhnungslehre ist bei Schleiermacher überwunden, so daß er w a h r h a f t jenseits des Streits von liberaler Leben-Jesu-Forschung und orthodoxem Dogmatismus steht. 42
V g l . Glaubenslehre § 6 9 - 7 1 und § 73. Das in der Predigt Folgende ist die
anschauliche Erläuterung der These Schleiermachers von der Bedeutung des Gesamtlebens und der Gesamtsdiuld f ü r einen w a h r h a f t christlichen nicht moralisierenden Sündenbegriff. 43
Glaubenslehre § 1 2 1 - 1 2 5 bezieht die Mitteilung des heiligen Geistes so auf
die Gesamtheit aller Wiedergeborenen, daß jeder Einzelne ohne Unterschied unmittelbarer E m p f ä n g e r und unmittelbarer Mitträger des in der christlichen Erlösungsgemeinschaft lebendig wirkenden göttlichen Geistes ist.- Die heutige römische Kirche deckt den ungeheuren Unterschied zwischen dem die O p f e r g e w a l t und Sakraments-
362
Erläuterungen
gewalt besitzenden Priester und den von der priesterlichen Vollmacht in ihrem Gnadenbesitz abhängigen Laien sehr gerne durch Formeln zu, welche der reformatorischen Kritik an diesem Unterschiede scheinbar Rechnung tragen. So läßt sich z. B. unter Verallgemeinerung des Opferbegriiis sagen, daß die dem priesterlichen Meßopfer beiwohnende Gemeinde durch ihre Andacht und ihr Gebet sich selber in und mit Christus zum Opfer bringe. Genauere Analyse entsprechender erbaulicher Reden und sorgfältiges Studium der Literatur, welche der religiösen Erziehung der Priester gilt, zeigt jedoch, daß die Sondergewalt des Priesters unter alledem ungeschwädit fortlebt. 44
Der Manichäer Faustus hat im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen, Matth. 13, 24 ff, die vom bösen Feind eingesäten zizania gedeutet als die „falsa veris scripturae inmissa". Augustin hat Contra Faustum 18 dem gegenüber die Beziehung von Weizen und Unkraut auf die lebendigen Menschen wiederhergestellt, welche als Gute und Böse, wahre Christen und Heuchelchristen, zusammen die äußeren Glieder der über die Welt verbreiteten Kirche bilden. Calvin hat in seiner Evangelienharmonie zur Stelle grundsätzlich die augustinische Deutung gegen die des Faustus aufgenommen. Der Herr wolle der durch das Evangelium gesetzten Kirche nicht den Kampf wider eingedrungene Irrtümer und Menschenlehren verbieten, sondern verwerfe lediglidi den wahnhaften Versuch, durch Ausrottung der Bösen oder Heuchelchristen die Kirdie zu jener reinen Gemeinschaft des Geistes und der Liebe zu läutern, die erst in der Endvollendung wirklich werde. Calvin entdeckt jedoch, daß eine unmittelbare Beziehung des Säens von gutem Samen und Unkrautsamen auf die Kirchenglieder nicht möglidi ist, ohne der manichäischen Lehre von zwei ursprungsmäßig geschiedenen Mensdienklassen zu verfallen. Es handelt sidi nach ihm allein um die Bildung der sichtbaren Kirche in der vorhandenen allgemeinen Menschenwelt. Das Säen des guten Samens ist die Predigt des Evangeliums, die aus göttlichem Wort und Geist sündige Menschen zu Gliedern des wahren Gottesreichs wiedergeboren werden läßt. Das Säen des Unkrautsamens ist also das Einstreuen falscher Lehren und menschlicher Irrtümer in die Kirche, welches die sie annehmenden Menschen zu Scheingliedern und Heuchelchristen werden läßt und so den unvollkommenen unreinen Zustand der Gute und Böse umfassenden Kirche Christi bedingt.
VI Ermunterung zum Bekenntnis der Sünden, Jak. V, 16 (Drude 1 8 3 1 S. 1 0 1 - 1 1 9 )
Neben die Verneinung des Meßopfers stellt Schleiermadier nun als zweite kirchenumgestaltende Tat der Reformation die Aufhebung des Zwangs, vor einem Priester mindestens einmal im Jahr vor der österlichen Kommunion alle seit der letzten Beichte begangenen Todsünden zu beichten. E r knüpft dabei an Augustana
Erläuterungen
363
Art. i i und Art. 25 an. Wenn er die Freiwilligkeit des Beichtens, die freie Wahl des christlichen Bruders, von dem man sich den Trost des Evangeliums holt, ohne Rücksicht auf ein Amt rein nach dem persönlichen Vertrauen, und endlich die Begrenzung einer solchen Beichte auf die heimliche Herzensnot lehrt, so spricht er ganz im Sinne Luthers, der viel von dem tröstenden Zuspruch der Vergebung hielt und eben deshalb allen gesetzlichen Zwang verneinte. Der starke Sinn, den er dabei für die persönliche Aussprache in heimlidier Sünden- und Herzensnot bekundet, verrät herrnhutische Erziehung. 45
Das Folgende nimmt Bezug auf Rom. 1 und 2. Daß Schleiermacher von den Briefen des Paulus an die Römer in der Mehrzahl spricht, ist Fehler der Nachschrift oder des Drucks. - Schleiermadiers Urteil, daß der Polytheismus die Reinheit und K r a f t des sittlichen Bewußtseins verderbe, steht in wahrscheinlich bewußtem Gegensatz zu David Hume's Natural History of Religion, welche die im Polytheismus ausgedrückte Verwandtschaft der Menschen mit den Göttern für sittlich erhebend und befreiend erklärt und dem im Monotheismus ausgedrückten Abstand zwischen Gott und Mensch für eine sittlich gefährliche Zerknickung unsers Selbstbewußtseins ausgibt. 46
Vgl. Glaubenslehre § 68, 3 und § 1 1 2 , 5.
47
Aus dem Liede „Jesu, deine tiefen Wunden" (von Joh. Heermann gest. 1647), im Berliner Gesangbuch von 1829 Nr. 182 Vers 1). 48
Schleiermachers Analyse der Gebetserhörung findet sich Glaubenslehre § 147.
49 Die dem Gewissen auferlegte Einzelbeichte vor dem Priester ist insofern in der römischen Kirche mit der Kommunion gekoppelt, als es die Todsünde des Gottesraubs bedeuten würde, anders denn als ein durch die Beichte von Todsünde frei Gewordner zur Kommunion zu gehn. Diese Koppelung ist von Luther radikal zerschnitten worden. Für Luther ist gerade ein nach der Vergebung verlangendes tiefes Schuldgefühl die natürliche Vorbereitung für die Feier des heiligen Abendmahls, weshalb denn auch die freie Verkündigung der Sündenvergebung der natürliche Anfang der Abendmahlsfeier geworden ist. 60
Die Aufhebung der Verpflichtung, dem Priester seine Sünden einzeln zu offenbaren und das christliche Bewußtsein, als ein Sünder rein aus Gnaden die Gemeinschaft mit Christus neu besiegelt zu bekommen im Abendmahl, haben dazu geführt, daß ein persönliches J a zu einem allgemeinen Sündenbekenntnis auf irgend eine Weise mit zur evangelischen Feier des Abendmahls gehört. In der preußischen Agende von 1 8 2 1 , welche Schleiermacher nicht allzu lange vor der Augustanafeier auch f ü r sich und seine Dreifaltigkeitsgemeinde angenommen hatte, wird dem dadurch Rechnung getragen, daß ein Beicht- und Bußgebet des Geistlichen, welches dieser zugleich für sich und für die Gemeinde spricht, und welches dann von den Teil-
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nchmern durch ein gemeinsames J a deutlich bestätigt wird, den liturgischen A n f a n g der Abendmahlsfeier bildet. Zweifellos ist diese von Schleiermacher als besonders sinntief empfundene, den Geistlichen und die Gemeinde zusammenschließende liturgische Beichte das schönste Stück der preußischen Agende von 1 8 2 1 . Wenn jetzt unsere kultischen R e f o r m e r diese liturgische Beichte im Interesse einer Annäherung an die römische Liturgie zu zerstören begonnen haben, so verdunkeln sie den inneren Z u sammenhang von Sündenvergebung und Kommunion. 51
Die in allen lutherischen Bekenntnissen so stark unterstrichene Verneinung
des Gebots der A u f z ä h l u n g aller Sünden in der Beichte w i r d von Luther in den Schmalkaldischen Artikeln (3. Teil, Abschnitt „ V o n Schlüsseln") damit begründet, daß allein Gott, der ins Verborgene schaut, wirklich die Sünden seiner Christen kennt. Luther f ü h r t dabei Ps. 19, 1 3 und R o m . 7, 23 an, d. h. Stellen, auf die auch Schleiermacher in seiner Entwicklung des Sündenbegriffs sich bezieht.
VII Vom öffentlichen Dienst am göttlichen Wort, Eph. I V , 1 1 - 1 2 (Druck 1 8 3 1 S. 1 2 0 - 1 4 6 )
Die Predigt nimmt in ihrer Einleitung ausdrücklich Bezug auf Augustana A r t . 14. Sie erwähnt die Epistel des 1 2 . Sonntags nach Trin., 2. Cor. 3, 4 - 9 , als am A l t a r verlesen, ist also an diesem Sonntag, der 1 8 3 0 auf den 29. August fiel, gehalten. Danach datieren sich, da Schleiermacher in vierzehntägigem Abstand zu predigen pflegte, die dritte bis sechste Predigt auf die Tage 4. V I I . , 18. V I I . , 1 . V I I I . und 1 5 . V I I I . Schleiermacher ist in seinen Aussagen über das Predigtamt deutlich abhängig von C a l v i n , Institutio 15 $9, Buch I V K a p . 3 ff. Auch C a l v i n geht von Eph. 4, 1 1 f aus, nur daß er die Stelle in größerem Zusammenhang zitiert. Auch C a l v i n tut dar, daß die Ämter der Apostel, Propheten und Evangelisten lediglich der Anfangszeit der Kirche zugehören, und kommt so wie Schleiermacher dazu, das A m t der Hirten und Lehrer als das eine H a u p t a m t der christlichen Kirche darzustellen und von daher sowohl den päpstlichen Primat wie die Unterscheidung von Priestern und Laien als schriftwidrig nachzuweisen. 52
Unter der von Schleiermacher im Urdruck angegebenen N r . 3 1 5
steht im
Berliner Gesangbuch von 1829 das ganz von herrnhutischem Geist geprägte Lied „Uns bindet, H e r r , dein Wort zusammen". D a das Lied aus allen bequem erreichbaren Gesangbüchern verschwunden ist, setze ich den ersten und den dritten Vers hierher: „ 1 . Uns bindet, H e r r , dein Wort zusammen, in der Gemeinschaft fest zu stehn, so daß der Liebe heil'ge Flammen stets in den Gläub'gen sind zu sehn. Wir werden durch dies Wort der Gnaden auch zur Gemeinschaft jener Schaar, die längst
Erläuterungen
365
v o r uns hienieden w a r , gelockt und k r ä f t i g eingeladen. 3. Was f ü r ein reich beseligt Leben, mit Gott und seinem heil'gen Geist durch Christum in Gemeinschaft schweben und haben, was er uns verheißt! Was glühen da f ü r sel'ge Triebe! H i e r schüttet in sein geistlich Haus G o t t seine G n a d e n f ü l l e aus, hier wohnet er, die heil'ge Liebe." 53
Es ist überflüssig, Schleiermachers Aussagen über die Apostel, Propheten und
Evangelisten der A n f a n g s z e i t einer historischen K r i t i k zu unterziehen. 54
D a s Wesentliche über das Verhältnis der Kirche als Gemeinschaft aller G l ä u -
bigen im heiligen Geist zu der Kirche als der durdi den Dienst am göttlichen Wort geordneten in der Welt stehenden Gemeinschaft, ist zu ersehen aus dem Vergleich von Glaubenslehre § 1 2 3 - 1 2 5 mit Glaubenslehre § 1 3 3 - 1 3 5 (unter Heranziehung auch von Glaubenslehre § 144). Indem Schleiermacher A m t und Ordnung der bestehenden Kirche auf das königliche A m t Christi zurückführt, drückt er auch in der Glaubenslehre die Überzeugung aus, daß das Teilhaben an den Bedingungen menschlichgeschichtlidier Gemeinschaft, so sehr es auch die erscheinende Kirche mit U n v o l l kommenheiten verflechten möge, als solches keinen Mangel und keine U n v o l l k o m menheit der christlichen Erlösungsgemeinschaft bedeutet. 55
M i t den Wendungen „ K e i m der Erkenntnis des Guten und Bösen" und „gei-
stiges A u g e (für G o t t ) " bezeichnet Schleiermacher das, was ich oben (Anm. 34) die Syntheresis genannt habe. 56
D i e kritische Beurteilung
der Papstkirche und ihrer Einrichtungen
durch
Schleiermacher, sowie die dahinter stehende evangelische Anschauung von A m t und Kirche kann als echt reformatorisch leicht nachgewiesen werden an den Lutherstellen, welche bei E . Hirsdi, Hilfsbuch zum Studium der Dogmatik 1938 § 3 1 1 bis § 330 gesammelt sind. 57
Die folgende Skizze aller w a h r h a f t evangelischen Ordnung des sichtbaren
Kirchenwesens stellt mit Luther und den übrigen Reformatoren die Geistlichen in allen bürgerlich-rechtlichen Dingen vorbehaltlos unter die Herrschaft der Obrigkeit und versteht - mit dem preußischen Landrecht - die vom Geistlichen geführte Einzelgemeinde als eine Eigenstand besitzende Korporation, deren
vermögensreditliche
und wirtschaftliche Beziehungen zur U m w e l t mit souveräner Gleichgültigkeit übergangen werden. D a s einzig f ü r Schleiermacher Wichtige ist die Frage, auf welche Weise ein geordnete Aufsicht gestattender Zusammenschluß solcher Einzelgemeinden zu einem größeren Ganzen geschehen kann, ohne daß hierarchische Oberordnung und Unterordnung unter den Geistlichen entsteht und zu einem tyrannischen K i r chentum hinüberleitet. Dabei stellt er zwei Möglichkeiten einander gleich. Wo die einzelnen Gemeinden sich über ein Gebiet hinstreuen, hat sich die reformierte O r d nung ausgebildet, nach welcher die Geistlichen, begleitet von ihren Ältesten, einen Kirdienkreis bilden, f ü r den sie aus ihrer eigenen Mitte die zur Vermeidung von Unordnung nötigen Aufsichtspersonen mit befristetem A u f t r a g e bestellen. Geht ein
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Erläuterungen
größeres Territorium als Ganzes zum evangelischen Kirchenwesen über, so entsteht die lutherische Gestalt übergreifenden Zusammenschlusses. Es ist nun ja eine Art von Landesgemeinde da, als deren Vertreter und vorzüglichstes Glied der Landesfürst die aufsichtführenden Kirchenbehörden bestellt. Das Eigentümliche von Schleiermachers Betrachtung ist, daß er die reformierte Synodalordnung und die vom Landesfürsten nach dem Kollegialsystem eingerichteten lutherischen Kirchenbehörden einander gleichstellt und für die Ergänzung der einen Ordnung durch die andere sich einsetzt. Dies ist das aus seiner Unionsgesinnung erwachsene Programm für die Neuordnung des deutschen evangelischen Kirchenwesens. Man darf es als eine sinngemäße Weiterbildung des friederizianischen Kirchenregiments bezeichnen. 68 Mit dem nun folgenden überraschenden Schlußgedanken erreicht die Predigt erst ihren letzten Höhepunkt. Allein die mit der Verehelichung der Geistlichen eintretende Gleichheit im natürlichen Lebensstande mit allen seinen bürgerlichen und menschlich-irdischen Bindungen stellt die besondere Bestimmung Einzelner zum Dienst am göttlichen Wort mit ganzem wahrhaftigem Ernst in die Gemeinschaft aller von Glaube und Geist regierten Christen. Ohne die natürlich-irdische Gleichheit des Lebens wäre die von der Reformation behauptete religiöse Gleidiheit von Geistlichen und Nichtgeistlichen nur eine abstrakte halbwahre Idee. Damit bekennt sich Schleiermacher zu der aufgeklärten Verneinung einer besonderen geistlichen Standesmoral.
VIII Von dem Verdammen Andersgläubiger in unserm Bekenntnis, Luk. VI, 37 (Druck 1 8 3 1 S. 147-169)
Zwischen der siebenten und dieser achten Predigt liegt eine Ferienreise Schleiermachers. Ein Brief Schleiermachers an de Wette am 8. 9. 1830 ist gegen Ende eines Aufenthalts in Lindau (Bodensee) geschrieben und blickt auf mehrere frühere Reisestationen zurück. D a die neunte Predigt am 24. X . 1830 gehalten ist und Schleiermacher vierzehntägig zu predigen pflegte, wird die achte Predigt auf den 10. X . 1830 zu setzen sein. - Melanchthon hat in der Augustana jede nur mögliche Gelegenheit benutzt, um sich den Verdammungsurteilen der altkirchlidien Konzilien gegen Häresien anzuschließen und so die im Werden begriffenen reformatorischen Kirchentümer dem Kaiser und der katholischen Mehrheit der deutschen Fürsten als orthodox zu empfehlen; vgl. Augustana Art. i , 2, 8, 12. Dadurch ist die Rezeption der altkirchlichen Lehrentscheidungen der ersten fünf Jahrhunderte sowohl im Luthertum wie bei den Reformierten für mehr als zweihundert Jahre eine kirchliche Selbstverständlichkeit geworden. Mit der deutschen Neologie des 18. Jahrhunderts beginnt dann der Abbau der alten trinitarischen und christologischen Lehrtümer. Die aus der
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Erweckungstheologie erwachsene Repristinationstheologie hat dann unter der Führung Hengstenbergs, zum Teil ausdrücklich mit einer Spitze gegen Schleiermacher, den Versuch unternommen, unter Benutzung der Rezeption der altkirchlichen Verdammungsurteile durch die Augustana, jede Abweichung von der altkirchlichen Trinitätslehre und Christologie als einen die evangelische Kirche tödlich bedrohenden A b f a l l vom Glauben an Gottes Offenbarung in der heiligen Schrift zu brandmarken. Schleiermachers Stellungnahme in dieser Predigt zeigt ihn deutlich als Erben der neologisdien Kritik am alten Dogma und zugleich doch als einen f ü r die Einheit der evangelischen Kirche sich verantwortlich wissenden weitherzigen Christen und Theologen, dessen größte Sorge es ist, daß der Streit der theologischen Richtungen nicht zur Zerreißung des Bandes des Glaubens und der Liebe führe. 59 Der Satz ist bezeichnend für Sdileiermachers Geschichtsphilosophie. Nach dieser ist die zweite und letzte mit dem Erscheinen des Erlösers anhebende Weltzeit ein unendlicher, immer noch fortschreitender Vollendungs- und Verklärungsprozeß, in welchem der in der christlichen Erlösungsgemeinschaft wirksam gegenwärtige Geist des Erlösers alles Denken und Leben der Menschheit in sich aufnimmt und durchdringt und so seine ewige göttliche Fülle und Hoheit immer noch herrlicher offenbart. Geistesgeschichtlich darf diese Geschichtsphilosophie Schleiermachers als eine von der aufgeklärten Perfektibilitätsidee getragene, christlich vertiefte Spielart der ausgereiften Geschichtsphilosophie J . G. Fichtes eingeordnet werden. Für die Beurteilung der Kirche, welche sich aus dieser Geschichtsphilosophie ergibt, ist bezeichnend Glaubenslehre § 1 J 7 : „ D a die Kirche in dem Verlauf des menschlichen Erdenlebens nicht zur Vollendung gelangen kann, so hat die Darstellung ihres vollendeten Zustandes unmittelbar nur den Nutzen eines Vorbildes, welchem wir uns nähern sollen."
60
Sdileiermachers Glaubenslehre unterscheidet Ketzerei im eigentlichen Sinne ( § 2 1 f.), die aus Fremdeinflüssen auf die erst entstehende christliche Gemeinschaft sich erklärt, und innerhalb der Kirche selbst sich erzeugende Irrtümer (§ 153—ijy), die bei der Unvollendetheit der sichtbaren Kirche unvermeidlich sind, aber von der in ihr dennoch wirksamen Wahrheit immer wieder auch berichtigt und aufgelöst werden. Die Predigt hier beschränkt sich auf den nach Schleiermacher im theologischen Streit praktisch allein in Betracht kommenden Bereich der Irrtümer, die nach ihm nicht als unchristlich ausgeschieden werden dürfen, sondern durch ein in der Gemeinschaft der Liebe geschehendes Ringen innerlich überwunden werden sollen. 61
Das Wort „andersgläubig" ist bei Schleiermacher Eindeutschung des Fremdwortes „heterodox". 62
Schleiermacher bedient sich im Folgenden einer in der Neologie sehr beliebt gewesenen Methode der Abwertung des altkirchlichen Dogmas, indem er mit der pragmatischen Kirchengesdiiditssdireibung auf die widerwärtigen Erscheinungen hinweist, unter denen die altkirchlichen Streitigkeiten um Trinitätslehre und Christologie durchgekämpft und in den Lehrentscheidungen der großen Konzilien zu einem
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Abschluß gebracht worden sind. E r sagt dabei kein Wort zuviel. In der T a t sind gerade die Entscheidungen von N i c a e a und Chalcedon ein Produkt aus der C h a r a k terlosigkeit der Konzilsväter und dem hart, ja brutal zugreifenden politischen Willen der christlichen Kaiser. Schleiermacher übersieht jedoch, daß hinter den Wirren und häßlichen Ereignissen eine verborgene Macht der Idee am Werke ist. Erst Ferd. Christ. B a u r und nach ihm A d . Harnack haben gezeigt, daß die endgültigen E n t scheidungen immerhin unter den vorhandenen menschlich-geschichtlichen Bedingungen unvermeidlich waren und der christlichen Wahrheit eine f ü r die Kirche der hellenistisch-römischen Welt sinnvolle Fassung gegeben haben. Diese richtigere Ansicht der Dogmenhistorie setzt aber voraus, daß man sich die Oberwindung der p r a g m a tischen Geschichtsschreibung zu eigen macht, welche in Hegels Geschichtsphilosophie vollzogen worden ist, und das liegt jenseits der Denkmöglichkeiten Schleiermachers. ® 3 Schleiermachers Deutung der Bewegungen der Geschichte in der Zeit nach der Entstehung der christlichen Erlösungsgemeinschaft setzt ein bei der Polarität von Kirche und Welt. Dabei ist die Kirche, obwohl sie nach ihrem wahren Wesen als die vom lebendigen Geist des Erlösers getragene Erlösungsgemeinsdiaft gedacht ist, nach ihrer sichtbaren erscheinenden Seite hin mit der durch die unerlöste N a t u r des Menschen geprägten Welt, die sie in sich aufnehmen und mit dem Geist des Erlösers durchdringen soll, gemäß den Bedingungen menschlich-geschichtlichen Lebens zusammengeflochten. Freilich geht alles geschichtliche Fortschreiten zur Vollendung hin allein von ihr und den von ihrem Geist schon getragenen K r ä f t e n und Regungen aus. Deshalb aber ist die unerlöste Welt nicht ohne störenden und hemmenden Einfluß auf sie, und w i r können also in allen Erscheinungen des kirchlichen Lebens das unablässig wogende Ringen zwischen dem Geist der Erlösungsgemeinschaft und dem sündigen Aufbegehren der Menschennatur wahrnehmen. G e m ä ß seinem Begriff v o m Wirken des Geistes fallen dabei f ü r Schleiermacher alle mit Sturm, Erdbeben und Feuer vergleichbaren Erscheinungen der Kirdiengeschichte unter das Urteil, daß in ihnen nicht der Geist der Erlösung sondern die unerlöste sündige Menschennatur der Unruhestifter ist. Dies ist die Grenze und Schwäche der Geschichtsdeutung Schleiermachers. M a n vergleiche f ü r die formalen Bestimmungen vor allem Glaubenslehre §§ 148 f. 1 5 7 . 164 f . 64
Die Verkehrtheit dieses Satzes wird anschaulich, wenn man an Martin Luther
denkt. 65
Gemeint ist die 1 5 3 3 auf einer Tagung zu Schmalkalden auf G r u n d theologi-
scher Gutachten von den Mitgliedern des Schmalkaldischen Bundes erteilte A n t w o r t auf die Konzilseinladung, welche dem K u r f ü r s t e n zu Sachsen von einem päpstlichen Nuntius in Begleitung eines kaiserlichen Gesandten überbracht worden w a r . Die Schmalkaldener lehnen darin die von Papst Clemens V I I . in bestimmten Artikeln formulierten Bedingungen der Einladung ab. Unter diesen Bedingungen ist die f ü r die evangelischen Fürsten anstößigste die, daß das K o n z i l in hergebrachter Weise gehalten werden solle, und daß die zur Teilnahme daran Zugelassenen sich im voraus
Erläuterungen
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verpflichten sollen, Konzilsabschied und Konzilsbeschlüsse unverbrüchlich zu halten. Da unter den Fürsten, welche diese Bedingungen zurückweisen, die Unterzeichner der Augustana sind, sieht Schleiermacher in der Erklärung von 1533 einen Rechtsakt, welcher die Stellungnahme der Augustana zu den altkirchlichen Konzilsbesdilüssen praktisch aufhebt. 66
Bezugnahme auf Luthers Erklärung vor Kaiser und Reich Worms April 1 5 2 1 . Luther hat von I J 1 9 an folgerichtig und ohne Wanken die Konzilsbeschlüsse unter die Mensdienlehren gerechnet, denen gegenüber jedem Christenmenschen die Freiheit zusteht, sie gemäß seinem Gewissen aus dem nach eigener Einsicht ausgelegten Wort Gottes zu beurteilen. 67
1827 hatte Hengstenberg mit der Gründung der „Evangelischen Kirchenzeitung" den Großkampf um die Ausfegung aller freier gesinnten Theologie aus der evangelischen Kirche begonnen, und 1830 hatte Schleiermachers Kollege Neander, der für seine Person der pietistischen Orthodoxie sich zuzählte, öffentlich mit der Evangelischen Kirchenzeitung gebrochen, weil diese unchristliche Kampfmethoden anwende und auch seinen Freund Schleiermacher nicht schone. 68
Vgl. Augustana Art. 18 und auch Art. 16.
69 Schleiermacher legt das Gericht und die Verdammnis, denen die Richtenden und Verdammenden ihrerseits verfallen, gemäß den Grundsätzen seiner Theologie auf das immanente Gericht und die immanente Verdammnis aus. Durch liebloses Richten und Verdammen scheidet sich der Mensch innerlich von dem göttlichen Geist, der als ein Geist der Liebe in uns ein aus Gott geborenes freies Schaffen und Wirken entbindet. Eine Kirche, welche alte Lehrformeln zu einem für immer bindenden Gesetz erhebt, ertötet in sich den Willen, in der Erkenntnis Christi immer wieder von grund auf neu zu werden, und dieser Wille ist unabtrennlidi von rechter Frömmigkeit.
10
N a d i Sdileiermachers Ansicht erstreckt sich die Gemeinschaft evangelischen Glaubens nicht bloß auf die beiden Hauptkonfessionen der Lutheraner und Reformierten, sondern auch auf alle dissentierenden Gruppen bis hin zu den Unitariern. Vielleicht hat er an dieser Stelle besonders an die radikalen deutschen Pietisten gedacht.
37°
Erläuterungen
IX Daß wir nichts vom Zorne Gottes zu lehren haben, 2. Cor. V , 1 7 . 1 8 (Druck 1 8 3 1 S. 170-190) Die Predigt erwähnt das Evangelium des 20. Sonntags nach Trin. als „unser heutiges Sonntagsevangelium". Sie ist also am 24. Okt. 1830 gehalten. - In Augustana Art. 3 wird vom Sohn Gottes gesagt, er sei gekreuzigt und gestorben, „daß er ein Opfer wäre, nicht allein für die Erbsund, sunder auch für alle andere Sunde, und Gottes Zorn versöhnet". Daß Schleiermacher ein Moment dieser Aussage mit so entschiedener Energie als unterchristlich bekämpft, hat seinen Grund in seinem Gegensatz zur pietistischen Neuorthodoxie seiner Zeit. Die entscheidenden Verneinungen der Vorstellung vom Zorn Gottes in der Glaubenslehre finden sich § 104 Ziffer 4 und § 109 Ziffer 4. Daneben heranzuziehen ist noch die genaue Bestimmung der göttlichen Gerechtigkeit als der den Zusammenhang von Sünde und Übel setzenden Ursächlichkeit, Glaubenslehre § 84, vor allem Ziffer 2. Nach diesen Stellen ist der Zusammenhang von Sünde und Übel in der unerlösten Menschheit eine allgemeine göttliche Schöpfungsordnung, welche sich auf den Einzelnen lediglich als auf ein Glied des der Erlösung bedürftigen sündigen Gesamtlebens des Geschlechts bezieht und von einem wahren Gottesbewußtsein nicht unter der primitiven Idee der Vergeltung oder Radie verstanden werden kann. Die Hingabe des Erlösers aber an das von Sünde und Übel beherrschte Gesamtleben des Geschlechts ist Tat der im Erlöser gegenwärtigen Liebe Gottes und bewirkt eine Veränderung unsers Gottesverhältnisses dadurch, daß sie den von dieser Liebe Gottes ergriffenen Gläubigen an der Gemeinschaft Christi mit dem Vater teilhaben läßt und ihn so erst wahrhaft zum Personsein in Gott erschafft. 71
Diese Deutung von 2. Cor. j , 17 ff. ist von A. Ritsehl aus Schleiermacher aufgenommen und mit Recht als exegetisch zwingend beurteilt worden. 72 Als erster hat Joh. Gottl. Fichte in der 7. Vorlesung seiner „Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters" 1804 den Gegensatz zwischen dem von unserm innersten Gefühl bejahten wahren Gotte des Evangeliums und dem im Alten Testament geglaubten Gotte des Zorns und des Eifers geltend gemacht. In seiner Staatslehre von 1 8 1 3 wird dieser Gegensatz dann von ihm benutzt, um das Verhältnis der mit Jesus zur Grundlage der neuen zweiten Weltzeit gewordenen wahren Gotteserkenntnis zu dem von Entfremdung und Entzweiung bestimmten Gottesbilde der vorchristlichen Weltzeit zu beschreiben. Daß Schleiermacher hier von Fichte gelernt hat, dürfte kaum zu bezweifeln sein. E r hat jedoch die Aussagen Fichtes dadurch vertieft und gereinigt, daß er an die Stelle der von ihm mit der radikalen Neologie und Fichte abgelehnten Sühnopfertheorie ein neues tieferes Verständnis des Versöhnungsopfers
Erläuterungen
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gesetzt hat. Dadurch wird es ihm möglich im Gegensatz zu Fichte ein Ja zu Paulus zu gewinnen. 73
Die Stellen, auf welche Schleiermacher hier hindeutet, finden sich Jes. 3 1 , 3 1 - 3 4 , 2. Cor. 3, 3-9 und Hebr. 8, 8-10. In den Worten der Predigt „hiervon sagt ebenfalls der Erlöser selbst" steckt also ein Fehler. Audi schließen sie formell schlecht an den vorhergehenden Satz an. Alles käme in Ordnung, wenn man statt der fehlerhaften Worte schriebe: „Hingegen sagt er von dem Erlöser selbst". - Für die unterschiedliche Beziehung, welche das Gesetz und Christus auf die Erkenntnis der Sünde und die Scheidung von der Sünde haben, ist die dritte Predigt der Augustana-Reihe zu vergleichen. Bei dieser sind hier auch die Vergleichsstellen aus der Glaubenslehre vermerkt worden. 74
Vgl. Rom. 6, 1 -6 und Hebr. 6, 4-6.
75
Luther hat im Streit gegen Eck den Satz vertreten, daß die Gerichts- oder Gesetzes- oder Zornesbuße die inwendige Entzweiung mit Gott und dem Guten nicht breche, sondern steigere. Im Zusammenhang solcher Gedankengänge bezieht sich Luther auch gern auf die in dieser Predigt Schleiermachers häufig aufklingenden Paulusworte wie Rom. 4, 15; 5, 5 ff. und 2. Cor. 5, 14. 76
Die beiden Aussagen über Gott, die Schleiermacher meint, heißen in der Glaubenslehre die Heiligkeit als diejenige göttliche Ursächlichkeit, kraft deren in jedem menschlichen Gesamtleben mit dem Zustande der Erlösungsbedürftigkeit zugleich das Gewissen gesetzt ist (§ 83), und die Gerechtigkeit als diejenige göttliche Ursächlichkeit, kraft deren in dem Zustand der gemeinsamen Sündhaftigkeit ein Zusammenhang des Übels mit der wirklichen Sünde geordnet ist (§ 84). Dabei grenzt Schleiermacher die beiden Begriffe so sorgfältig ein, daß sie lediglich ein Teilhaben des Gottesbewußtseins des Einzelnen an dem allgemeinen Verhältnis aussprechen, welches die ewige Allmacht zur menschlich-geschichtlichen Welt überhaupt hat. Erst im christlichen Erlösungsglauben ist für Schleiermacher das Gottesbewußtsein zu individuell-personhafter Lebendigkeit entfaltet. Außerdem werden durch den vermittelnden Begriff der göttlichen Ursächlichkeit sowohl die Heiligkeit wie die Gerechtigkeit Gottes bewußt in den Bereich einer dem unmittelbaren frommen Gefühl fremdartigen Reflektiertheit gesetzt. Die Predigt führt dies bei der zunächst von ihr besprochenen Heiligkeit Gottes insofern mit äußerster Folgerichtigkeit durch, als sie die Heiligkeit unter Abstreifen alles Mysteriums rein negativ als Mißfallen an der Sünde bestimmt. 77 Das »oder" zu diesem „entweder" fehlt. An seine Stelle tritt etwa eine Seite weiter der Neueinsatz: „Das zweite was noch übrig bleibt zu denken". Diese Unebenheit erklärt sich aus der Lebhaftigkeit der mündlichen Rede. 78
Schleiermacher schildert hier die ihm widerwärtige Methode der wirksamsten Erweckungsprediger des Neupietismus. Zugleich trifft er damit die vor allem von
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Tholuck mit seiner „Lehre von der Sünde und vom Versöhner" (zuerst 1823) in Schwang gebrachte theologische Apologetik des 19. Jahrhunderts, welche mit Hilfe der Lehre von der uns in Verzweiflung stürzenden Sündenschuld wider den angeblichen Pantheismus von Hegel, Schleiermacher und de Wette die Anselmische Satisfaktionstheorie als unentbehrlichen Hüter echten christlichen Glaubensernstes geltend macht. 79
In einer der im zweiten Teil dieses Auswahlbandes abgedruckten Weihnachtspredigten hat Schleiermacher die Rede des Paulus zu Athen näher ausgelegt und das göttliche „Übersehen" der „Unwissenheit" der vorchristlichen Religion anschaulich dargestellt. 80
Luther hat die Schwierigkeit, mit welcher Schleiermacher hier ringt, auf tiefere Weise gelöst. Auch er glaubt, daß die uns vom Evangelium gezeigte, sidi unser annehmende göttliche Liebe in Wahrheit das allein dem göttlichen Wesen entsprechende Werk Gottes an uns ist, anders gesprochen, daß Gott allein in der erlösenden Liebe Christi uns wahrhaft offenbar ist. Er meint jedoch, daß das Walten des göttlichen Zorns über dem mit Gott verfeindeten Herzen des Sünders wirklich ein Werk des göttlichen Willens ist, daß der Sünder also, wenn er in der Anfechtung und Angst Gott als den ihm Fremden und Feindlichen erlebt, in verhüllter Gestalt von Gott die Wahrheit über seine Gottentfremdung erfährt. Dies Wirken der Erfahrung von Gottes Zorn und Gericht nennt Luther Gottes fremdes Werk. Solange es an uns sich vollzieht, ahnen wir nicht, daß die tiefste Wurzel dieses uns Gottes Liebe verhüllenden fremden Werks eben die uns suchende und rufende Liebe Gottes ist. Schleiermachers Beurteilung der Zornes- und Gerichtserfahrung als eines unwahren menschlichen Wahns ist viel zu einfach, um der Dialektik der Anfechtung gerecht zu werden. Dies hängt damit zusammen, daß er das Wiederkehren der Anfechtung und Angst im Herzen des Christen immer nur als eine Schwäche und Unvollkommenheit angesehen hat und der Meinung war, das christlich Normale sei ein ungebrochenes fröhliches Atmen in der Gemeinschaft mit dem Träger der erlösenden Liebe Gottes. Er hat nicht gewußt, daß jede Stufe des in uns wachsenden und werdenden ewigen Lebens durch die Krise neuer Anfechtung hindurchgeht, so wie er denn auch nichts weiß von den Anfechtungen Jesu selbst.
X D a s Ziel der W i r k s a m k e i t unserer evangelischen K i r d i e , Phil. I, (Druck 1831 S. 191-220)
6-11
Die Predigt ist laut der Angabe ihrer Einleitung am 7. X I . (22. Sonntag nach Trin.) 1830 gehalten. Sie ist bezeichnend für die Geschichtsdeutung, welche Schleiermacher als das Ergebnis der in ihm sich vollziehenden Verschmelzung von christlichem Erlösungsbewußtsein und universaler idealistisch durdiprägter Humanität in
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sich getragen, aber eigentlich nur in Predigtskizzen ausgesprochen hat. Über allem sittlich-vernünftigen und religiösen Streben und Ringen und Schaffen der Menschheit steht ein Bild vom Endziel oder Hochziel der die Erde umspannenden menschlichen Entwicklungsgeschichte, ein Bild, welches in keinem Zeitmoment vollendete Wirklidikeit werden wird, aber jedem geschichtlichen Augenblick und allem menschlichen Sinnen und Trachten höherer Art die Spannung einer unendlichen fortschreitenden Annäherung verleiht und damit dem Einzelnen wie der Gemeinschaft die Aufgaben des Handelns stellt. In diesem Bilde sind für Schleiermacher die Vorstellung eines am Ende der Tage sich offenbarenden Reiches Christi als einer Einheit des Geistes und der Liebe und der philosophische Gedanke einer vollendeten Gemeinschaft aller Menschen in einem alle K r ä f t e des Einzelnen wie des Ganzen entfaltenden Idealreidie ineinander aufgegangen. Man kann das von ihm Gemeinte ebenso gut ansehen als die geistig-vernünftig durchgeklärte Spielart der urchristlichen Erwartung eines Endreichs wie audi als die vom Bewußtsein der erlösenden Liebe Gottes in Christus getragene christonome Spielart jener spekulativen Geschichtsteleologie, welche Fichte in seinen Jenenser Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten 1795 gemalt und dann in immer neuen Gestaltungen dargestellt hat. Die idealistische Herkunft zeigt sich in dem von der Predigt hier klar ausgesprochenen Gedanken, daß alles, was im Werden auf dies letzte und höchste, niemals ganz verwirklichte Ziel zu geschieht, vom göttlichen Geist rein durch Menschen, rein durch Entfaltung und Läuterung natürlicher menschlicher Anlagen und Kräfte, also auch rein durch menschliches Handeln und Wirken sich vollbringt. Das Christonome an der Vorstellung Schleiermachers aber drückt sich aus in dem Glauben, daß die wahre Fruchtbarkeit und Gerechtigkeit und Schaffenstiefe sich allein in den Menschen entbindet, welche als Glieder der christlichen Erlösungsgemeinschaft von dem Geist und der Liebe Gottes belebt sind, wie sie in Jesus sich in die Geschidite eingesenkt haben. Vermöge dieses christonomen Quellpunkts der zweiten, mit Jesu Sendung auf Erden beginnenden Schöpfung wird die christliche Erlösungsgemeinschaft die ganze Menschheitsgeschichte hineinziehen in die Bewegung auf die ewige Vollendung zu. Das Wirken der evangelischen Kirche aber liegt zutiefst jenseits aller Ämter, Ordnungen und Einrichtungen der bestehenden äußeren Kirchentümer. Nur durch die lebendigen Einzelnen und deren rein in Geist und Liebe ohne allen Machtgebrauch geschehendes Schaffen und Handeln wird die christliche Erlösungsgemeinschaft zu der Seele, welche alles weltlich-vernünftige Tun und Treiben heiligt und durchdringt. Der Ursprung dieser in vielen Predigten des reifen Sdileiermacher aufklingenden Geschichtsdeutung liegt in der „Weihnachtsfeier" von Ende 1805. 81 Diese Verwahrung streicht das ganze wunderhafte Gepräge der urchristlichen Enderwartung mit festem Griff als eine vergängliche, uns nichts angehende Mensdienmeinung der ersten christlichen Generationen hinweg und schafft so den Raum für die Einschmelzung moderner Humanität in das Bild vom Reiche Christi. 82
Sdileiermacher hat im Jahre 1830 mit seiner wohlüberlegten Stellung zur Bekenntnisfrage sowohl den Neuorthodoxen wie den Rationalisten schweren Anstoß
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Erläuterungen
gegeben. Seine Hörer wissen natürlich, daß er in den letzten Monaten als Jesuit und Lügner beschimpft worden ist. 83
Man greift gewiß nicht fehl, wenn man in diesen Worten über die unbewußte Unlauterkeit und deren Wirkung auf andere ein vorsichtig abwägendes Urteil Schleiermachers über Hengstenberg und seine Gefolgsleute findet. 84
Schleiermacher ist, wie schon seine »Weihnachtsfeier" zeigt, darin echter Protestant, daß er eine die Einheit des ganzen Menschseins wahrende christliche Humanität bejaht, in welcher jede zerstückende Trennung des Religiösen und des Weltlichen, des Heiligen und des Profanen innerlich überwunden ist durch eine Gesinnung, welche weltliches Wirken und Schaffen als Gottesdienst vollbringt. Der weiter unten von ihm angeführte Spruch Col. 3, 23 („Alles, was ihr tut, das tut von Herzen, als dem Herrn, und nicht den Mensdien") ist von ihm mit einer bewunderungswürdigen Divinationsgabe seinem Konfirmanden Otto v. Bismarck auf den Lebensweg mitgegeben worden. E r drückt sowohl Bismarcks spätere innere Haltung in seinem Dienst als Staatsmann wie Luthers Verständnis einer christlichen Führung des Fürstenamts aus. Schleiermacher teilt hier ganz Luthers Anschauung, daß zur gesegneten Amtsführung zugleich ein Herz voller christlicher Liebe und ein strenger rein sachlicher Vernunftgebrauch gehören. An diesem Punkte zeigt sich, daß seiner Verschmelzung der Idee des Reiches Christi mit dem menschlich-vernünftigen Idealreich nach der subjektiven Seite hin ein Wahrheitsmoment zugrunde liegt. 85
Der hier beginnende lange Abschnitt über das „Reichwerden an Erkenntnis" ist dadurch schwierig, daß er zwei Gedankenkreise ineinandersdilingt. Der erste sammelt sich darauf, daß der Protestantismus eben deshalb Träger aller Entfaltung der menschlichen Anlagen und der gesamten geistig-vernünftigen Höherentwicklung der Menschheit ist, weil er in der vom Gesetz freimachenden Liebe Christi seine Grundkraft und sein Richtmaß hat. Er wird nur so lange die von ihm aufgebaute christliche Gemeinschaft von dem durch ihn verneinten unterchristlichen gesetzlichen und werkhaften Unwesen rein erhalten, als er lebendig genug bleibt, um die frei machende Liebe des Erlösers immer tiefer sich anzueignen und in stetig fortschreitendem Erkennen des geistigen Bildes Jesu die Glaubenden zu tieferer Einsidit und Geistesvollmacht heranzubilden. Er darf nicht erstarren in dem, was er hat. Wird er von dem zum Verharren im alten Wesen neigenden trägen Sinn des natürlichen Menschen übermocht, so verliert er nicht nur seine Kulturbedeutung, sondern geht auch als Kirche unter. Ist die Reformation ein Werk Gottes, so ist sie noch immer im Werden auf die Vollendung zu. Mit diesem Gedankenkreis aber verbindet sich nun ein zweiter, der an die ersten Verse von 1. Kor. 13 anknüpft. Wirklich fruchtbringend für die Vollendung der Gemeinschaft, wirklich reich machend an Einsicht und Erfahrung ist der rastlose Trieb nach Erkenntnis nur da, wo er Organ und Träger der uns zu sich erhebenden ewigen Liebe wird. Der Protestantismus hat freilich recht getan, wenn er die Menschen zu freiem selbständigem Forschen in der Schrift erzogen und damit nicht nur eine neue die Gestalt Jesu reiner erkennende
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Bibelwissenschaft erzeugt sondern überhaupt in seinem Geschichtskreise den Mut zur Wahrheit wachgerufen hat. E r hat aber audi einen Dogmatismus herausgebildet, in welchem der Trieb zur Erkenntnis leerer Dienst der Eitelkeit geworden ist, und diesem Dogmatismus ist in den frei gemachten Mensdien eine vom Ewigen sich lösende tote Verstandesbildung entgegengetreten. Nur wenn er sich von beiderlei Unwesen kritisch befreit, wird er das ihm von Gott bestimmte Werk in der Menschheitsgeschichte vollführen können. 80 Der Wunsch, daß in Angelegenheiten der evangelischen Kirche die gemeinsame Beratung durch sachverständige Theologen eine Übereilung einzelner über die Ordnung des Ganzen waltender Persönlichkeiten verhindern möge, bezieht sich deutlich auf die damalige kirchliche Situation. Schleiermacher widerruft nicht etwa den in der zweiten Predigt ausgesprochenen Satz, daß kirchliche Versammlungen keine Befugnis haben, das Gewissen des Einzelnen zu binden. E r meint beratende Geistlichkeitssynoden, die dem Kirchenregiment des Landesherrn und seiner Kirdienräte und Konsistorien Grenzen ziehen, denkt also überhaupt nicht an Uniformierung durdi Lehrentscheidungen. Er steht aber unter der durch die Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts widerlegten Illusion, daß Geistlichkeitssynoden weniger zu unzweckmäßigen Eingriffen neigen als landesherrliche Kirchenbehörden.
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2. Teil Ausgewählte Festpredigten
XI Gott, der allen Dingen ihr Maß bestimmt, Hiob 38, 1 1 (Festpredigten I 1826 S. 1 3 8 - 1 7 0 ) In der Ende I8OJ verfaßten „Weihnachtsfeier" kennzeichnet Schleiermacher durdi den zweiten der Redner, Ernst, den Neujahrstag als gleichsam z u f ä l l i g im Wechsel der Zeit stehend und also im Gegensatz zu dem einen ewig gegenwärtigen Weihnachtswunder lediglich an die allgemeine a u f - und niederwogende Vergänglichkeit alles Erdendaseins erinnernd. Die Neujahrspredigt hier richtet demgemäß folgerichtig den Blick auf das Verhältnis der im unablässigen Werden und Wandel befindlichen Welt zu dem Einen und Unbedingten. Sie ist die umfassendste predigtmäßige D a r stellung des im christlichen Glauben mitschwingenden und durchleuchteten allgemeinen menschlichen Gottesbewußtseins. Aus der Glaubenslehre sind v o r
allem
§ j o f f . und § 164 ff. zu vergleichen. Die Eigentümlichkeit der in der Predigt dargestellten Deutung des Geschehens in N a t u r und Geschichte w i r d dem Leser am anschaulichsten werden, wenn er es den entsprechenden Aussagen Hegels gegenüberstellt. Schleiermacher versteht die Welt in N a t u r und Geschichte als eine in jedem Lebensgebiet neu sich bekundende Polarität entgegengesetzter K r ä f t e , und die überall die polaren Gegensätze zu dem Ganzen der Welt zusammenschließende ewige A l l macht kann nur in transzendierenden Gedanken und nur vermöge eines lebendigen und tathaften Ergriffenseins durch Gottes Liebe erahnt werden. Schleiermacher kennt nicht die in Begriffen sich vollendende Synthesis der die Transzendenz in die I m m a nenz aufhebenden Philosophie Hegels. 87
V g l . die Beziehung auf E l i a in der achten Augustana-Predigt mitsamt der
erläuternden Anmerkung 63. - Die Weise, in welcher Schleiermachers Neujahrspredigt das sich uns zeigende Naturgeschehen mit seinem gesetzlich geordneten Spiel p o l a r entgegengesetzter K r ä f t e als unmittelbaren Ausdrude des allbedingenden göttlichen Willens versteht, erläutert die Aussagen der Glaubenslehre darüber, daß w i r die göttliche Ursächlichkeit und den natürlichen Daseinszusammenhang streng ineinanderzudenken haben. 88
Verallgemeinerung von J o h . 1 1 , 50. Vielleicht denkt Schleiermacher im F o l -
genden mit an die Geschichte der französischen Revolution und Napoleons und dann weiter an die von den Zeitgenossen damals als Geschichtswende erlebte christlichromantische A b k e h r von der atheistischen Pariser Philosophie.
Erläuterungen
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88
Apostelgesch. 10,34 f. Im Folgenden Hindeutung auf das Apostelkonzil, Apostelgesch. ij. 90
Joh. 14, 23. Zu der folgenden umfassenden Beschreibung alles christlichen Handelns vgl. die zehnte Augustanapredigt mit ihrer universalen, das Weltliche in sich einbeziehenden Bestimmung des Ziels der christlichen Erlösungsgemeinschaft. Auffallend ist vor allem, daß Schleiermacher bei dieser von Fichte gelernten Ausweitung der christlichen Ethik zur Kulturethik die Einbeziehung der Naturbeherrschung in das Vollbringen des Guten fast noch radikaler betont als Fichte selbst. 91
Nach der Gewohnheit der reformierten Kirche spricht der Geistliche das auf die Predigt folgende große Hauptgebet frei und mit eigenen Worten. Schleiermacher hatte bei der Herausgabe des ersten Bandes seiner Festpredigten 1826 für sich und die Dreifaltigkeitskirche noch nicht die neue preußische Agende angenommen. Er bekundet mit der Anfügung dieses großen Neujahrsgebets bewußt seinen liturgischen Eigenstand. Es ist nicht ganz deutlich, ob die Worte in Schleiermachers Gebet „und seine Gemahlin" auf den Kronprinzen oder auf den König gehen. Der Kronprinz, der spätere Friedrich Wilhelm der Vierte, hat 1823 geheiratet, sein Vater aber, Friedrich Wilhelm der Dritte, 1824 als Witwer in morganatischer Ehe Gräfin Auguste Harras sich antrauen lassen. Denkt man an die Kronprinzessin, so kommen als Datum für die Predigt die Neujahre 1824, 1825 und 1826 in Betracht. Denkt man an die zweite unebenbürtige Gemahlin des Königs, so fällt von den drei Jahren das erste als mögliches Datum der Predigt fort.
XII Daß der Erlöser als der Sohn Gottes geboren ist, Luk. 1 , 3 1 f. (Festpredigten I 1826 S. 87-110) Schleiermadiers Verständnis der Geburt des Erlösers zeigt schon in der 1805 verfaßten »Weihnachtsfeier" jene, vielen paradox erscheinende, Verknüpfung einer radikal kritischen und einer das Weihnachtswunder bejahenden Aussage, an der er lebenslänglich festgehalten hat. Einmal, er hält die Geburtsgeschichten des Matthäus und des Lukas für in ihrer Herkunft dunkle fromme Legenden, die mit dem neutestamentlichen Zeugnis von Christus so gut wie keinen Zusammenhang haben und kritisch verneint werden können, ohne daß dem Glauben an den Erlöser eine Schwächung widerfährt. Nur als sinntiefe poetische Verklärung des die Person Jesu umhüllenden Geheimnisses sollten sie gebraucht werden. Sodann aber, die Hineingeburt des Erlösers in die sündendurchwobene Erdenwelt ist und bleibt ihm eine unbegreifliche Wundertat Gottes, die als Anfang und Ursprung einer neuen zweiten Schöpfung den Wende- und Angelpunkt der ganzen Menschheitsgeschichte darstellt. Aus Glaubenslehre § 97 Ziff. 2 ergibt sich, daß er die Jungfrauengeburt als überflüssiges, ja
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Erläuterungen
störendes Erzeugnis dichtender Einbildungskraft verneint, aber den Begriff der übernatürlichen Zeugung im geistigen Sinne für eine zutreffende Beschreibung des Weihnachtswunders hält, und in Glaubenslehre § 98 legt er dem Menschen Jesus im Unterschiede von uns Unsündlichkeit und Vollkommenheit bei. Dieser Doppelschlag einer verneinenden und einer bejahenden Aussage führt ihn in der hier mitgeteilten Predigt dazu, Luk. 1, 31 f., d. h. ein Wort aus der Weihnachtslegende, durch den Satz Joh. 1, 14, der für ihn die diristologisdie Grundaussage ist, zu interpretieren. 92 Joh. 6, 60. Deutlicher als in der Glaubenslehre § 91 - § 98 wird in der Predigt, wie sehr Schleiermacher sich dessen bewußt ist, mit seinen Aussagen über die Person Jesu Christi ein unbegreifliches, die Grenzen menschlich-vernünftiger Reflexion erschöpfendes Geheimnis zu berühren. Die verwickelten logischen Gedankengänge, mit denen er hier die für ihn unzureichenden christologischen Aussagen der Neologen und Rationalisten unter sich läßt, wollen nicht demonstrieren oder postulieren, sondern lediglich wahrhaftige Rechenschaft von dem geben, was ihm der geschichtlich wirkliche Mensch Jesus als der ihm die Gemeinschaft mit Gott innerlich aufschließende Erlöser in Wahrheit ist. Wer wirklich von dem Geist und Leben des geschichtlichen Erlösers ergriffen ist und sich dadurch im verborgenen Quellpunkt seines Lebens zu einem neuen Menschen, der frei in der Liebe Gottes atmet, erschaffen weiß, der kann und muß nach Schleiermacher über das persönliche Geheimnis des Erlösers, der mit seiner geschichtlichen Wirklichkeit ihn bezwungen und begnadet hat, auch Aussagen machen, die über das geschichtlich Wahrnehmbare hinausgehen und die verborgene Geschichte Jesu mit Gott deuten. Der Glaube an den Erlöser umfaßt ahnend und trauend auch die unserm Wissen und Begreifen entzogene Ursprünglichkeit seines Sohnesverhältnisses zum Vater. So mühsam auch die Gedankenentwicklung dieser Predigt scheinen möge, sie lichtet dennoch den hinter die kunstreichen Formeln der Glaubenslehre sich versteckenden Christusglauben Schleiermachers auf.
93
Vgl. zur Erläuterung Glaubenslehre § 94 Ziff. 3.
94
Dieser Satz ist zum Leitmotiv der vermittlungstheologischen Leben-JesuForschung geworden. Vgl. Karl Ulimann „Über die Sündlosigkeit Jesu" 1863. 95
Der hier einsetzende große Abschnitt begründet auf eine über die Glaubenslehre weit hinausgehende Weise Schleiermachers christologische Grundaussage durch eine den ewigen alles Mensdienwesen betreffenden Sinngehalt herausarbeitende Interpretation des im Tode sich vollendenden Zwiespalts Jesu mit den Gerechten und Frommen der israelitisch-jüdischen Gesetzesreligion. Die unter der Herrschaft der Sünde liegende Menschheit ist zerrissen von dem Gegensatz einer das Gute verleugnenden und so ins Niedere abgleitenden natürlichen Liebe und eines die natürliche Liebe brechenden und zerstörenden herben und strengen Bewußtseins vom Guten und Bösen. Die reine ungefärbte Gottesliebe aber, deren Träger und Künder Jesus ist, steht auf eine unbegreifliche Weise jenseits dieses Gegensatzes. Sie wird mit gött-
Erläuterungen
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lidier Vollmacht zu einer durch Vergeben und Verzeihen umschaffenden und heiligenden Güte und Hoheit, welche gnadenhaft die Sünde mit dem Guten überwindet. Der Träger einer solchen, das Menschengeschlecht erneuernden Gottesliebe nun muß von Ursprung an jenseits des Widerstreits von Liebe und Gesetz stehen. E r muß sich beim Aufwachen seines höheren Selbstbewußtseins schon vorfinden als ganz dem Vater gehörender Sohn, mit welchem eine neue Art des Menschseins und ein neues Gottesverhältnis sich einpflanzt in unser Geschlecht. So wird für Schleiermacher die Oberwindung des Gesetzes durch das Evangelium der Schlüssel der Christologie. Sein Bild vom Erlöser ist echte Deutung der evangelischen Geschichte. 96
In dem hier beginnenden zweiten Abschnitt des zweiten Hauptteils der Predigt vermischen sich eine religionsgeschichtliche und eine allgemein weltgeschichtliche Betrachtung. Nach der religionsgeschichtlichen Seite hin wird mit einem in Schleiermachers Predigten häufig wiederkehrenden Gedankengang die Universalität der christlichen Erlösungsgemeinschaft, in welcher die Liebe des ewigen Gottes auf das ganze Menschengeschlecht sich erstreckt, gegen den Partikularismus der irdischnational eingeschränkten jüdischen Messiashoffnung gestellt. In der weltgeschichtlichen Betrachtung aber wird auf eine mit Hegel übereinstimmende Weise herausgearbeitet, daß die christliche Erlösungsreligion der wirksame Träger der Idee der einen Menschheit geworden ist. Zweifellos stützt sich diese weltgeschichtliche Betrachtung auf geschichtliche Tatsachen. In der näheren Fassung durch Schleiermacher aber ist sie in Gefahr, den christlichen Glauben an das ewige Gottesreich aufgehen zu lassen in der säkularisierten Vernunftidee eines idealen Endziels der Erdgeschichte.
XIII Die Veränderung, welche seit der Erscheinung des Erlösers auf der Erde begonnen hat, Apostelgesch. 17, 30 f. (Festpredigten II 1833 S. 74-99)
Schleiermachers unbeugsamer christlicher Ernst bekundet sich besonders deutlich in seinen Weihnachtspredigten. Sie durchprägen die unmittelbare Weihnachtsfreude, die er bei seinen Hörern voraussetzt, mit der Vergegenwärtigung der erschütternden und zermahlenden Tiefen des Erlösungsgeheimnisses, sind also ganz in die Stimmung des vierten Evangeliums getaucht, für welches das Geheimnis der Todesstunde überall in Jesu Wort und Geschichte als Sinntiefe gegenwärtig ist. Eine der Weihnachtspredigten Schleiermachers (Festpredigten I 1826 S. i n ff.) trägt die Uberschrift: „Die Freude an der Erscheinung Christi bei der Betrachtung, daß er gekommen ist das Schwert zu bringen." Die hier ausgewählte Predigt, verhaltener und eben dadurch vielleicht noch strenger, bietet die umfassendste Sinndeutung der Gesamtgeschichte des menschlichen Gottesbewußtseins, die wir von Schleiermacher
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Erläuterungen
besitzen. Sie macht klar, in welchem Sinne für Schleiermacher die geschichtliche Erscheinung Christi religiöse Weltenwende und eben damit zweite vollendende Schöpfung des Menschen ist. 97
Offb. 2 i , 1 ; 2. Kor. 5, 17. Schleiermachers christliche Geschichtsphilosophie versteht die christliche Erlösungsgemeinschaft, in welcher Geist und Leben Christi zum Quellpunkt und Mittelpunkt der zweiten die Menschheit vollendenden Schöpfung wird, mit Paulus und dem Urchristentum als die „letzte Zeit". Er drückt mit dieser Formel dreierlei aus: Erstens, daß Christus das vollkommene Wort Gottes ist, mit und in dem Gott vollendet offenbar ist, so daß ein Neues an Erkenntnis und Leben über ihn hinaus nicht denkbar ist; zweitens, daß alles geschichtliche Werden und Wachsen nichts ist als eine die Menschheit ganz in sich aufnehmende Ausbreitung und Entfaltung der christlichen Erlösungsgemeinschaft; drittens, daß das die Menschheit in sidi vollendende ewige Gottesreich dem Geist und der Wahrheit nadi als lebendige Macht unter den geschichtlichen Bewegungen der zweiten letzten Weltzeit verborgen sdion da ist. Die „profetischen Lehrstücke" in Schleiermadiers Glaubenslehre sind auf ihre Weise ein Ausdruck dieser kühnen Verschmelzung von Geschichtsphilosophie und Eschatologie. In der Predigt „Der Lohn des Herrn" (Über Offbg. 2 2 , 1 2 ; Festpredigten I I 1833 S. 1 7 0 f f . ) sagt Sdileiermacher, daß die im neuen Testament sich findende Erwartung eines baldigen Wiedererscheinens Christi auf Erden von uns nicht mehr geteilt werde, und arbeitet dann als den wahren ewigen Sinn des „Ich komme bald" die Gewißheit heraus, daß der Herr dem an der Vollendung des Gottesreiches auf die ihnen gemäße Weise arbeitenden Gläubigen immer neu die ihre Treue segnende Seligkeit seiner geistigen Gegenwart schenke. 88
Vgl. die Charfreitagspredigt über das erste Kreuzeswort Jesu: „Über das Geheimnis der Erlösung in ihrem Verhältnis zur Sünde und zur Unwissenheit" (Festpredigten II 1833 S. 269 ff.). Der zweite Teil dieser Predigt über die auf Mangel an rechter Gotteserkenntnis beruhende Unwissenheit der vorchristlichen Welt läuft der Darstellung der Weihnachtspredigt parallel. 99
Hegel hat in dem Abschnitt seiner Phänomenologie über die Religion der Kunst und in dem seiner Religionsphilosophie über die Religion der Schönheit gezeigt, daß der Vermählung von Frömmigkeit und Kunst in den großen künstlerischen Werken des hellenischen Heidentums etwas weit Tieferes als bloße Vergötterung der Sinnlichkeit sich kundtut. Schleiermacher ist hier ganz durch das missionarische Urteil des Paulus Rom. 1 bestimmt. 100
Matth. 22, 37-40. In der Glaubenslehre wird der Begriff der ursprünglichen Offenbarung Gottes in Christus und durch Christus § 103 Ziff. 2 nach Form und Inhalt erläutert und gegen neologische Abschwächungen aufs Engste mit dem Geheimnis der Gottessohnschaft des Erlösers verknüpft, jedodi ohne daß dabei dieser Offenbarungsbegriff so wie in der Predigt hier zum Centrum aller Aussagen über Christus würde.
Erläuterungen
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101
Für die ethisch-religiöse Beurteilung der Jugendzeit ist Glaubenslehre § 66 bis § 68 zur Erläuterung heranzuziehn. 102
Matth. 19, 8.
103 Glaubenslehre 5 108, Leitsatz: „Die Bekehrung, als der Anfang des neuen Lebens in der Gemeinschaft mit Christo, bekundet sich in jedem Einzelnen durch die Buße, welche besteht in der Verknüpfung von Reue und Sinnesänderung und durch den Glauben, welcher besteht in der Aneignung der Vollkommenheit und Seligkeit Christi."
XIV Die Erscheinung des Erlösers als der Grund zur Wiederherstellung der wahren Gleichheit unter den Menschen, Gal. 3, 2 7 . 28 (Festpredigten II 1833 S. 123-146)
Diese Weihnachtspredigt ist besonders bezeichnend für Schleiermachers Verschmelzung von innerlichstem christlichen Erlösungsglauben und weltgestaltender moderner Humanität. Er weiß mit den Reformatoren, daß die wesenhaft in Glaube und Geist gegründete wahre Gleichheit, kraft deren alle Einzelnen in Freiheit und Unabhängigkeit als Kinder des einen ewigen Gottes und Vaters brüderlich zu lebendiger Gemeinschaft verbunden werden, audi unter der Decke der äußeren Ungleichheit von Anlage, Schicksal, Beruf und Dienst wahrhaft wirklich zu sein vermag, also wohl ein neues inneres Verhältnis zwischen den Ungleichen begründet, jedoch die gesellschaftliche Ungleichheit bestehen lassen kann. Er hält es jedoch für eine dem Geist des Christentums gemäße Zielsetzung der vom Christentum zu durchdringenden Gestaltung aller menschlichen Lebensverhältnisse, daß die wesenhafte innere Freiheit und Gleichheit aller Menschen im Sinne der Ideale Rousseaus und Fichtes zu einer immer mehr fortschreitenden Aufhebung aller äußeren Ungleichheiten führe, bejaht somit die Annäherung an eine radikale Neugestaltung aller politischen und sozialen Ordnungen. 104 Schleiermacher gebraucht in der Regel die - durch einen Textfehler im griechischen neuen Testament des Erasmus bedingte - Fassung, welche die Doxologie Luk. 1, 14 in der Lutherbibel erhalten hat. Vor diese Predigt jedoch stellt er eine an den richtigen griechischen Text sich anschließende andre Übersetzung, welche den ursprünglich gemeinten Sinn haargenau trifft, nur daß der Friede unter den von Gottes Gnade besuchten Menschen doppeldeutig wird. Er ist für Schleiermacher sowohl der Friede und die Freude des Erlösungsglaubens wie auch der ewige Friede in dem der Geschichte als Aufgabe gestellten menschheitlichen Idealreich.
Erläuterungen
382 105
Anspielung auf den Discours Rousseaus über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen 17 j 5 und dessen Bedeutung für die politischen und sozialen Ideen jener Zeit. 106
Anspielung auf Gottfried Arnolds Erstlingswerk von 1696 „Die erste Liebe, d. i. wahre Abbildung der ersten Christen nach ihrem lebendigen Glauben und heiligen Leben". 107 Schleiermacher folgt der kühnen Ubersetzung, die Luther von i . K o r . 7, 21 gibt. Weizsäcker gibt das heute als richtig geltende Verständnis des Verses so wieder: „und wenn du auch frei werden kannst, so bleibe nur um so lieber dabei".
XV Der letzte Blick auf das Leben, Joh. 19, 30 (Festpredigten I 1826 S. 230-251)
Schleiermacher hat in seiner Passions- und Charfreitagspredigt gern die in den Evangelien sich findenden Kreuzesworte Jesu behandelt; vgl. über seine Stellung zu ihnen E.Hirsch, Schleiermachers Christusglaube 1968 S. 81 ff. Die hier ausgewählte Predigt gehört zu den tiefsten, die wir von ihm besitzen. Sie stellt klarer als die Glaubenslehre Golgatha in den Mittelpunkt der Geschichte Gottes mit den Menschen. 108 Unter den überlieferten Kreuzesworten sind das vierte („Mein Gott, warum hast du midi verlassen") und das siebente („Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände") Psalmenworte, und Sdileiermacher deutet das vierte Wort ganz von seiner alttestamentlichen Wurzel her. In Festpredigten II 1833 S. 195 ff. findet sich eine Predigt über Mark. 9, 12 mit dem Thema: „Welchen Wert es für uns habe, daß das Leiden des Erlösers vorhergesagt ist." Eine Bezugnahme auf die messianischen Weissagungen des Alten Testaments findet sich Glaubenslehre § 103 Ziff. 3, eine allgemeine Beziehung auf das Verhältnis von Christus und den Aposteln, vor allem zu Profeten und Psalmen ebenda § 1 3 2 Ziff. 3.
108
Matth. 12, 20 nach Jes. 42, 3. Zum Folgenden siehe Matth. 27, 46 und Ps. 22, 2 und 26, und dazu E. Hirsch, Schleiermachers Christusglaube 1968 S. 87 ff. - Zu den Worten über den Gottesknecht Jes. 42, 3 fügt Schleiermacher dann auch Jes. 5 3 , 4 f. und gibt dabei dem Urteil Ausdruck, daß Jesus selbst sich als den leidenden Gottesknecht empfunden habe. Dies ist eines der vielen Zeugnisse dafür, mit welchem Ernst Schleiermachers Erlösungsglaube sich auf die geschichtliche Wirklichkeit Jesu selbst bezogen weiß.
Erläuterungen
383
110
Schleiermacher trifft hier, trotz den Unvollkommenheiten seiner philologischhistorisdien Methode, haargenau den Punkt, an welchem die messianische Erwartung der jüdischen Frommen jener Zeit und Jesu eigenes Bewußtsein, eben als der Verheißene und Erwartete nach dem Willen seines Vaters der von den Führern der jüdischen Gemeinde dem Schandtode preisgegebene Menschensohn zu sein, am engsten sich berühren und am schärfsten sich scheiden. Er hat die Umbildung der ReichGottes-Idee und der Messias-Idee durch Jesus sowohl in ihrer konkreten historischen Wirklichkeit wie in ihrer die Vollmacht und Gestalt des christlichen Glaubens tragenden Entscheidungshaftigkeit mit vollendeter Klarheit wahrgenommen. 111
1. Kor. 15, 50; 2. Kor. j , 16. Schleiermacher hat die zweite Stelle, welche von Bultmann und seiner Schule in ihrem Sinn verzerrt worden ist, richtig verstanden. 112
Joh. i 7 > 12.
113
1. Kor. 1 , 3 0 .
114 Nach Glaubenslehre § 61 Ziff. 4 ist der Ausdruck „Ebenbild Gottes" auf die Idee und Bestimmung des Menschen zu beziehen, und es ist nur folgerichtig, wenn Christus, dem nach Glaubenslehre § 93 Urbildlidikeit eignet, hier der einzige Träger vollendeter Gottesebenbildlichkeit heißt.
XVI Die Gesinnung in welcher Christus seinen Leiden entgegenging, Joh. 14, 30. 3 1 (Festpredigten I I 1833 S. 248-268)
Zur genauen Erkenntnis von Schleiermachers Glauben an den Erlöser gehört auch das in seiner Glaubenslehre nicht sichtbar werdende lebendige Bild, das er sich von der geschichtlichen Erscheinung Jesu auf grund seines ständigen grübelnden Umgangs mit den Evangelien gemacht hat. Das für jedes geschichtliche Verständnis Jesu entscheidende Moment ist sein in freiem Gehorsam gegen den Vater ergriffener Entschluß, den Weg in den Schandtod auf sich zu nehmen. Diesen Entschluß nun vergegenwärtigt die hier mitgeteilte Passionspredigt an den Worten, mit denen das 4. Evangelium ihn von Jesus aussprechen und erklären läßt. Auch wer das dichterische Gepräge der Worte Joh. 14, 30 f. durchschaut, darf der Meinung sein, daß sie etwas von dem deutlich machen, was Jesus zu seinem Gang in den Tod bewogen hat. 116
Für unser geschichtliches Verständnis Jesu heute liegt die innere Freiwilligkeit seines Gehorsams gegen den Vater, die sein Sterben in Jerusalem als wahrhaft
3
Erläuterungen
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als die seine Sendung vollendende Tat erscheinen läßt, in dem nadi dem Scheitern der galiläischen Wirksamkeit im Lande des Philippus sidi gebärenden Entschlüsse, nach Jerusalem zu ziehen und dort die Führer der israelitisch-jüdischen Religionsgemeinde zur feierlichen Entscheidung wider ihn, die nur seinen Tod bedeuten konnte, gleichsam zu zwingen. Der Zug nach Jerusalem ist klar gewußter und gewollter Zug in den ihn als leidenden Menschensohn und Bringer des wahren Gottesreichs vollendenden Tod gewesen. Es bekundet ein Gespür für das Wesentliche und Entscheidende, daß Schleiermacher auch ohne historisch-kritische Analyse rein aus der Vertiefung in die Darstellung des vierten Evangeliums die freiwillige und tathafte Seite von Jesu Todesgehorsam verstanden hat. Nur muß er bei seinem Bilde von der äußeren Seite des Geschehens das Entscheidende rein als Ausdeutung des kurzen Gangs von der Stätte des letzten Mahls zum Orte des Verrats zur Geltung bringen. 118 In der Glaubenslehre § 104 Ziff. 4 kritisiert Schleiermacher die Lehre von der stellvertretenden Genugtuung, welche Gott um seiner Gerechtigkeit willen Christus habe auferlegen müssen von der Grundanschauung her, daß die in ihr behauptete Notwendigkeit des stellvertretenden Strafleidens Christi sowohl die väterliche Liebe Gottes wie die dieser Liebe Gottes zum Spiegel und Werkzeug werdende leidende Liebe Christi unter einem fremden, dem christlichen Glauben an Gottes Liebe widersprechenden, geradezu barbarischen und rohen Begriff von göttlicher Gerechtigkeit stelle. Das der Predigt hier Eigentümliche ist, daß sie die mit jener Theorie gegebene Verzerrung des leidenden Gehorsams Christi zu einer seine Menschlichkeit zerstörenden ethischen Sinnwidrigkeit schärfer herausarbeitet.
117
Vgl. z . B . Joh. 8, j8 und 59. Im Folgenden bezieht sich Schleiermacher auch auf Joh. 7, 30-32. 44 ff. 118
In Schleiermachers Worten schwingt sowohl Luthers Lehre von dem auch Unrecht leidenden Gehorsam gegen die weltliche Obrigkeit als auch das von Piaton im Kriton gezeichnete Bild von des Sokrates Gehorsam gegen das Landesgesetz leise mit. 119 Es ist wohl nötig, Aufbau und Gedankengang dieser über die Glaubenslehre Schleiermachers weit hinausführenden Predigt näher zu erläutern. Der Grundgedanke ist der, daß der Erlöser mit seinem leidenden Gehorsam ein J a zu dem Ratschluß Gottes vollzieht, der ihn sein Hineingestelltwerden in die unter der Sünde liegende Welt erfahren ließ als Bindung unter das auf dem jüdischen Volke lastende Gesetz und als den todbringenden Haß der Eiferer um das väterliche Gesetz. Der erste Hauptteil der Predigt läßt diesen Ratschluß Gottes mit seinem Sohn in seiner ganzen Rätselhaftigkeit und Verborgenheit stehen. E r sagt nichts anderes, als daß eben dies nach der geschichtlich erscheinenden Seite hin der Weg gewesen sei, den Gottes erlösende Liebe ging. Der Sinn dieses ersten Teils ist, alle vorhandenen theologischen Spekulationen über die Genugtuungsleistung oder das Strafleiden des Erlösers abzu-
Erläuterungen
385
tun. Man hat es einfach als zur Geschichtlichkeit des Erlösers gehörend hinzunehmen, daß sein menschliches Dasein nach der Art des Erdenlebens gesetzesgebunden war. Diese Betrachtung jedoch läßt an dem göttlichen Erlösungsratsdiluß das Geheimnisvolle und Verborgene allein sichtbar werden und droht zu verhüllen, daß er für Christus und die von ihm Ergriffenen als Erweis der göttlichen Vaterliebe offenbar ist. So wird es die Aufgabe des zweiten Hauptteils der Predigt zu zeigen, daß Christus seinen Leidensweg nicht in nacktem stummem Gehorsam gegangen sei, sondern als ein der Liebe seines Vaters innerlich mit Liebe Hingegebener und daß also das Licht dieser Liebe, die den Vater mit dem Sohn verbindet, auch in unserm Teilhaben an Geist und Leben des Erlösers leuchtet. Dies geschieht in einem ersten Unterteile durch Aufnahme von Aussagen des Paulus, welche den göttlichen Ratschluß des Leidens und Todes Christi in Beziehung auf das Gesetz, unter das er getan war, beschreiben (Gal. 2, 19 f.; 3, 1 3 ; 4 , 4 f.). Die Macht des Gesetzes über das Gottesverhältnis der an Christus Glaubenden ist dadurch zerbrochen, daß der Erlöser in der Gewißheit der göttlichen Vaterliebe den Tod, den es ihm bereitete, mit freiem Entschluß hinnahm und so Gottes erlösende Liebe vollmächtig offenbarte. Dieser Vorgang wird von Schleiermacher im Anschluß an Paulus als die große Wende in der Geschichte des menschlichen Gottesbewußtseins zur letzten ewigen Offenbarung Gottes. Schleiermacher macht dies dann im zweiten Unterteile des zweiten Hauptteils daran klar, daß in den Abschiedsreden des Johannes das durch alle Zeiten bleibende Zeugnis von der todüberwindenden Liebe Christi zu uns spricht und uns der erlösenden Liebe Gottes gewiß macht. Nun sind uns diese johanneischen Reden freilich aus geschichtlichen Worten des dem Tode entgegengehenden Jesus zu einer glaubenden Ausdeutung seines Sohnesverhältnisses zum Vater geworden. Aber Schleiermacher wird damit Recht haben, daß ein Glaube an Jesus von Nazareth uns heute nur möglich ist, wenn wir das Leidensgeheimnis Jesu auf diese Weise verstehen. Der ganze zweite Hauptteil dieser Predigt führt sowohl religionsgeschichtlich wie systematisch über die Ausdeutung der Erlösung in der Glaubenslehre hinaus.
XVII Der Tod des Erlösers das Ende aller Opfer, Hebr. 10, 8 - 1 2 (Festpredigten I 1826 S. 269-294)
Die Predigt kann zur Erläuterung von Glaubenslehre § 86, 1 und § 104 dienen. Von den Augustana-Predigten bezieht sich die fünfte auf das Opfer Christi, die neunte auf die Vorstellung vom Zorn Gottes. Der Unterschied von Schleiermacher und A. Ritsehl wird sehr deutlich, wenn man mit Schleiermachers Predigt die Ausführungen von A. Ritsehl, Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. II § 26 f. vergleicht. Es ist nötig zum Verständnis der Predigt, daß man sich die Ausführungen des Hebräerbriefs über das Opfer Christi im Zusammenhang vergegenwärtigt und auch
Erläuterungen
386
die Christus in den Mund gelegten Worte Psalm 40, 7 ff. nachliest mit genauer Rechenschaft über die Umdeutung, die der Hebräerbrief vollzieht. 120
Rom. 3, 20. Über Erkenntnis der Sünde im Verhältnis zum Gesetz und zu
Christus vgl. Glaubenslehre § 68 Ziff. 3; § 108 Ziff. 2 und § 1 1 2 Ziff. j . 121
J o h . i i , 50. Schleiermacher legt mit Redit das W o r t so aus, daß die Gesetzes-
diener das heilige Gesetz des Bundesvolkes, das in seinem Bestand durch Jesus bedroht ist, schützen und erhalten wollen. E r führt den T o d Jesu auf die letzte Entzweiung des Gottesbewußtseins zurück und versteht damit die Geschichte Jesu besser und richtiger als die heutige Evangelienkritik. 122
Es ist Johannes der Täufer gemeint. I m Folgenden Beziehung auf Matth. 1 1 , 2 5 .
123
In Schleiermachers Ausdruck fließen mehrere Schriftstellen zusammen; vgl.
1. K o r . 10, 16; Phil. 3, 10; Eph. 3, 9; Rom. 6,3 f. 124
Schleiermadier hat (Festpredigten I 1826 S. 3 1 4 ff.) im Anschluß an Luk. 24,
3 0 - 3 2 das Thema behandelt: „Der Zusammenhang zwischen den Wirkungen der Schrift und den unmittelbaren Wirkungen des Erlösers." Dabei gibt er ein anschauliches Bild davon, wie das persönliche Verhältnis zu Christus in Glaube und Geist und der Umgang mit der heiligen Schrift neuen Testaments sich in der die christliche Gemeinschaft tragenden Frömmigkeit miteinander verbinden sollen. Sie ist deutlicher als die Aussagen der Glaubenslehre § 120 ff. 125 y g i Glaubenslehre § 109.
XVIII Christi Auferstehung ein Bild unseres neuen Lebens, Rom. 6, 4 - 8 (Festpredigten I 1826, S 2 9 5 - 3 1 3 )
Schleiermacher scheidet Glaubenslehre § 99 Christi Auferstehung und Himmelfahrt aus der Lehre von Christi Person aus und erläutert dies durch den Satz, daß der Glaube an Christus als den eingebornen Sohn Gottes und den Erlöser keinerlei innere Beziehung zu Auferstehung und Himmelfahrt habe. Jede Deutung der neutestamentlichen Berichte über die Ostergeschehnisse steht dem Bibelleser frei, wenn er nur die Hypothesen eines Selbstbetrugs oder eines Schwindelmanövers der Berichterstattenden vermeidet. Aus Schleiermadiers Vorlesung über das Leben Jesu wissen wir, daß er selbst gemeint hat, die Sterbensnot des Gekreuzigten habe in einer todesähnlichen Betäubung geendet, und aus dieser sei der Erlöser zu einem zweiten,
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sehr kurz währenden und der Welt verborgen gebliebenen Erdenleben erwacht, in welchem er die Jünger in das Geheimnis des durch seinen Kreuzestod vollendeten göttlichen Erlösungsratsdilusses eingeweiht und zu geistesvollmächtigen Trägern der die Welt erneuernden und seine lebendige Gegenwart in sich bergenden diristlidien Erlösungsgemeinschaft bereitet habe; vgl. zu alledem E.Hirsch, Sdileiermadiers Christusglaube 1968. Sdileiermadiers Oster- und Himmelfahrtspredigt zeigt nun, wie er diese durch seine Wahrhaftigkeit abgezwungene Deutung der Osterberichte zum Element einer aufrichtigen Verkündigung des christlichen Erlösungsgeheimnisses hat braudien können. Bewundernswert ist es, wie er mit keiner Silbe gegen die Pflicht der Wahrhaftigkeit verstößt und nichts ihm unwahr Scheinendes in die Rede von Christi Auferstehung hineinlegt, dennoch aber die Freiheit seiner Hörer zu eigenem Deuten und Urteilen respektiert. - Das von Sdileiermadier eingangs erwähnte Predigtlied ist wahrscheinlich Klopstocks „Auferstehn, ja auferstehn" gewesen. 126
Joh. J , 2 4 .
127
Kol. 2 , 1 3 .
128
Der Terminus stammt aus der deutschen Mystik. - Für die Schilderung der Bekehrung ist Glaubenslehre § 108 zu vergleichen. Sdileiermadier sagt auch dort, daß ohne eine innere Bekehrungsgesdiichte, welche den Menschen seinem alten Wesen ersterben und ein neues Leben aus der Gnade Christi empfangen läßt, es kein Teilhaben an der wahren von Christi Geist und Leben getragenen Erlösungsgemeinschaft gibt. Das Geheimnisvolle des Vorgangs liegt ihm darin, daß er ein vom Menschen selbst nach der letzten Tiefe rein leidentlidi empfangenes inneres Geschehen ist. Diese Aussage wird aber scharf abgegrenzt wider alle pietistischen Schematisierungen und Regulierungen der Bekehrung. In der Regel wird die Geburtsstunde des neuen Lebens dem es Empfangenden selbst verborgen bleiben. Man darf die Schilderung der inneren Lebensverwandlung in der Predigt als ein mit Silberstift gezeichnetes Bild von Sdileiermadiers eigener innerer Geschichte lesen. E r hat in jahrelanger Pein sowohl intellektuell wie persönlich das Ersterben aller ihm in seiner Werdegesdiidite erwachsenden Ideen, Gedanken, Wünsche, Träume und Empfindungen als eine innere Todeskrise erfahren und dies Vergehen seiner natürlichen menschlichen Lebendigkeit in Geduld als Fügung verborgenen göttlichen Willens hinnehmen müssen. Bis er dann eines Tages, fast mit Verwunderung, entdeckte, daß in ihm aus der Macht des Erlösers ein neues, ihn von Grund auf verwandelndes Leben erweckt worden war und begonnen hatte, alle Kräfte seines Geistes und Herzens in Dienst zu nehmen. 129
Die Predigt zeigt durch sich selbst - wie auch die Vorlesungen über das Leben Jesu es tun, daß Sdileiermadier, unbeschadet seiner das „zweite Leben" des Erlösers gegen den Sinn der Osterberichte ins Irdisdi-Ersdieinende hineinziehenden Gesamtdeutung, den Einzelheiten der Osterberichte mit sehr weitgehendem Konservativismus gegenübersteht. Zu diesem Konservativismus aber gehört es nun, daß er die
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388
Berichte über die einzelnen Erscheinungen des zu einem zweiten Leben wiedererwachten Erlösers nicht durch Erklärungen und Zureditlegungen zu einem verständlichen Ganzen rundet wie so manche seine Grundhypothese teilenden Schriftsteller getan haben, sondern sie unergänzt in ihrer Bruchstückhaftigkeit stehen läßt. 130 Der Vergleich des neuen Lebens der einzelnen Christen mit dem Leben des Auferstandenen stellt dem Glaubenslehre § 1 1 0 Ziff. 3 Ausgeführten gegenüber eine Bereicherung und Vertiefung dar.
XIX Weshalb die Apostel sich so besonders Zeugen der Auferstehung Christi nennen, Apostelgesch. 3 , 1 3 — 1 5 (Festpredigten II 1833 S. 330-349)
Die hier vorangestellte Osterpredigt (Nr. 18), deren Einleitung und Anmerkungen über Schleiermachers Verständnis des Ostergeschehens genauere Auskunft geben, hat ihre Aufmerksamkeit ganz auf das ewige Ostern gerichtet, welches mit Bekehrung und Wiedergeburt jedem Christen noch heute das Teilhaben an Christi sünden- und todüberwindendem Leben gewährt. Dies führt den Nachdenkenden unvermeidlich auf die in der Oberschrift dieser zweiten mitgeteilten Osterpredigt gestellte Frage. Die Antwort auf sie macht klar, was Schleiermacher an dem vom ewigen Ostern unterschiedenen historischen Ostern für wichtig zur Klärung der mit dem Christusglauben gegebenen Sinnbezüge hält. Die Predigt ist, wie die Beziehung auf die epistolische Lektion zeigt, am Ostermontag gehalten worden. 131 Schleiermacher hält bei seiner Beurteilung der evangelischen Überlieferung die Aussendung der Zwölf Matth. 10 für eine geschichtliche Tatsache. 132
Luk. 24, 21.
133
Apostelgesch. 2, 37.
134 Der hier einsetzende Versuch Schleiermachers, die Oster- und Pfingstgeschichte als den Beginn der von Gott zum dienenden Werkzeug in der Ausbreitung des Geistes und Lebens Christi bestimmten erscheinenden Kirche zu verstehen und damit die Grundlegung für die Deutung der christlichen Epoche der Menschheitsgeschichte zu schaffen, hat in der Glaubenslehre keine Entsprechung. Er klammert auf zwiefache Weise polare Spannungen der Betrachtung zusammen. Einmal, er hält es fest, daß allein das innere wesentliche Ergriffensein von Geist und Leben des Erlösers als ein sich über alle äußerlichen Stützen erhebendes rein inneres
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Geschehen uns der erlösenden Liebe Gottes in Christus teilhaftig macht, und bejaht es dennodi, daß Gottes Milde Erweisungen vorbereitender Gnade kennt und auch mit diesen die Menschheitsgeschichte trägt. Sodann, er sieht sowohl die stillen verborgenen Gemeinschaften der Frommen und Erweckten, die von der Welt verachtet werden, als auch alle kultursdiaffenden freien vernünftigen Kräfte in Wissenschaft, Kunst und Staatsbildung als dienende Träger der vorbereitenden Gnade an, mit deren Hilfe der Geist des Erlösers als belebende und vollendende Macht die geschichtliche Menschheit in sich hineinzieht. Auf diese Weise bindet Schleiermachers Betrachtung der Menschheitsgeschichte einerseits reformatorische Geisthaftigkeit und Verstehen menschlicher Erdgebundenheit, anderseits pietistische Erweckungsfrömmigkeit und universale Humanität auf unnachahmliche Weise zusammen. 138
Apostelgesdi. 2, 36. Die von Schleiermacher als unrichtig abgelehnte Deutung dieses Worts ist die ursprüngliche, die auch für Paulus Phil. 2, 9 - 1 1 bezeugt ist. Schon neutestamentliche Aussagen aber streben über diese urtümliche Christologie hinaus und das christologische Dogma der alten Kirche hat sie auf ganz ähnliche Weise wie hier Schleiermacher korrigiert. 136 Mit diesem Satze kommt Schleiermacher der dem ursprünglichen noch nicht verendlichten Osterglauben eigenen Gleichsetzung von Auferstehung und Erhöhung zu Gottes Thron am nächsten. E r hat recht damit, daß für die ursprünglichen A u f erstehungszeugen einschließlich Paulus der Auferstandene gerade der mit der himmlischen Herrlichkeit seines Vaters ihnen sich gegenwärtigmachende Erhöhte ist, welcher die ganze Ewigkeit in sich trägt und nicht erst noch in die Ewigkeit einzugehen hat. Auch darin, daß die Berichte wohl eine feierliche Abschiedserscheinung des Erhöhten kennen, die mit einem Nichtmehrgesehenwerden endet, daß also nach ihnen kein Zeuge die Himmelfahrt mit Augen gesehen hat, hat er zweifellos exegetisch recht. (Vgl. darüber auch Glaubenslehre § 99 Ziff. 2). So erklärt sich das Gefühl Schleiermachers, daß er mit seiner Hypothese von einem zweiten, mit einem natürlichen Vergehen im Verborgenen endenden Leben Jesu den Kern des ursprünglichen Osterglaubens trotz allen Verschiebungen im Äußeren festhält. Dies zweite Leben Jesu mit seinem die Apostel durchleuchtenden Wunderglanz ist auch f ü r Schleiermacher das tiefste und herrlichste Gegenwärtigwerden der ewigen erlösenden Liebe Gottes in menschlichen Herzen, also Ewigkeit in der Zeit. Nur wer dies sich klar macht, wird den folgenden Abschnitt über das Teilhaben aller Christen an der den Aposteln geschenkten Gegenwart des Auferstandenen wahrhaftig finden, obwohl Schleiermacher bewußt das historische Ostern als von uns an der Vergegenwärtigung der Osterberidite nacherlebbar in das ewige Ostern auflöst.
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XX Die Verheißungen des Erlösers bei seinem Scheiden, Apostelgesch. i, 6-n (Festpredigten I I 1833 S. 417-438) Ober Schleiermachers sehr kühle Stellung zu der Geschichte von der Himmelfahrt Jesu ist der zweite Teil der vorhergehenden Predigt und Anm. 136 zu vergleichen. In dieser Predigt dient die Anknüpfung an jene Geschichte allein der Vergegenwärtigung der urchristlichen Vorstellungen von Jesu nach dem Scheiden von der Erde ausgeübter Herrschaft über die Welt und von seiner Wiederkunft am Ende der Tage. Schon die Einleitung der Predigt sagt, daß Schleiermacher die erste Vorstellung auf das Wirken von Geist und Leben Christi in der die Menschheitsgeschichte in sich aufnehmenden christlichen Erlösungsgemeinsdiaft bezieht und die zweite Vorstellung auf ein jeden Augenblick neu wirklich werdendes geistiges Kommen des Erlösers zu den Herzen seiner Gläubigen umdeutet. Beides zusammen ergibt eine radikale Verwandlung der neutestamentlichen Eschatologie. Sehr anschaulich spricht sich diese Verwandlung in einer Neujahrspredigt über Offenb. 22, 1 2 aus. („Der Lohn des Herrn", Festpredigten II 1833 S. 170 ff.) 137
Schleiermachers Stellung zur Pfingstgeschidite wird klar aus den Themen von zweien seiner Pfingstpredigten: „Daß die Erhaltung der christlichen Kirche noch auf dieselbe Weise erfolgt wie ihre erste Begründung" (Über Apostelgesch. 2, 41 f. Festpredigten I 1826 S. 363 ff.) und: „Das Ende der wunderbaren Äußerungen des göttlichen Geistes in der christlichen Kirche" (Über i . K o r . 1 2 , 3 1 Festpredigten I I 1833 S. 439 ff.). 138
1. Kor. 12, 3.
139
Joh. j , 39 mit einer sachlichen Korrektur eines Irrtums der Lutherbibel (Abänderung des Imperativs „suchet" in den Indikativ „ihr forschet"). Vgl. zum Folgenden die Aussagen der Glaubenslehre § 128 - § 130 über die Schriften des neuen Testaments. 140 Glaubenslehre § 147 zeigt für Gebet und Gebetserhörung wie Sdileiermacher durch die strenge Rückbeziehung der einzelnen neutestamentlichen Aussagen auf Geist und Leben Christi alle magischen oder primitiven Vorstellungen von der K r a f t des Gebets aus der christlichen Frömmigkeit ausläutert. Allein eine streng christozentrisdie Betrachtung nimmt nach ihm von vielen Worten des neuen Testaments den Schein des Anstößigen und die Verführung zu einer geist- und vernunfttötenden religiösen Praxis hinweg.
Erläuterungen
391
141
Die hier von Schleiermadier abgelehnte Betrachtung ist die in der neologischen und rationalistischen Frömmigkeit herrschende gewesen. Das dem Leser am bequemsten zugängliche Beispiel für sie ist Kants „Religion innerhalb der Grenzen der blo£en Vernunft". 142 Diese Aussagen geben ein lebendiges Bild von Schleiermadiers Verständnis der göttlichen Eingebung (Inspiration) der neutestamentlichen Schriften. Vgl. Glaubenslehre § 130. - Die folgende lebendige Schilderung des gegenwärtigen Erlebens von Jesu Nahesein, des Erscheinens seines Bildes vor unserm inneren Auge müssen selbstverständlich auch als persönliches Zeugnis Schleiermachers von den Geheimnissen seines inneren Lebens mit Christus gelesen werden, und so darf man, seinen Beziehungen auf Stephanus, Paulus und die christlichen Märtyrer folgend, von einem verborgenen Fortleben eines sublimierten urchristlichen Enthusiasmus bei ihm sprechen. Daß er über die inneren Erfahrungen seines Herzens allermeist Stillschweigen geübt hat, rechtfertigt nicht ihre Ignorierung durch die Schleiermacherforschung. Es wird ja wohl auch sonst theologischen Grüblern widerfahren, daß sie als Prediger mehr von ihrem Glauben offenbaren als in Alltag und Schriftstellerei.
143
Matth. 18, 20.
144
Luk. 17, 20 f . ; 1. Joh. 3, 2; Joh. j , 24; Joh. 3, 17 f.; Joh. 2, 2 3 - 2 J .
145
Glaubenslehre § 149.
146 Luk. 16, 26, gemäß dem Grundgedanken dieser Predigt aus dem Jenseitigen und Künftigen ins Gegenwärtige übersetzt und mit 2. Kor. j , 20 verbunden. 147
Luk. 19, 1 2 - 2 6 ; Matth. 25, 14-30.
148
Ps. 34, 9 und vor allem Matth. 19,28 mit der Umsetzung des Esdiatologischen ins Gegenwärtige.
XXI Predigt am zweiten Tage des Reformationsjubelfestes 1 8 1 7 , Matth. 18, j f. (Einzeldruck Berlin G. Reimer 1818) Während Schleiermacher die Augustana-Predigten 1830 unter dem Kreuzfeuer der Angriffe der Neuorthodoxen und Spätrationalisten halten mußte, hat er in dieser Reformationsfestpredigt von 1 8 1 7 sein Verhältnis zur Reformation noch mit der Unmittelbarkeit unbefangener Freude ausgesprochen. Der Vergleich läßt das Gleichbleibende seiner Gesinnung im Wechsel der Situationen deutlich hervortreten. Albrecht
Erläuterungen Ritsehl (Gesammelte Aufsätze 1893 S. 234 ff.) hat in seinem Aufsatz »Uber die beiden Prinzipien des Protestantismus" die Frage erörtert, seit wann der freie Gebrauch der heiligen Schrift und die Gerechtigkeit allein aus dem Glauben als die beiden tragenden Prinzipien des Protestantismus aufgestellt worden sind. E r hat dabei gezeigt, daß am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts Gabler, Bretsdineider, Wegscheider und de Wette sich mit mancherlei Unbeholfenheiten zu dieser Aufstellung hingetastet haben und Schleiermacher sie in seinem Aufsatz von 1 8 1 9 über die symbolischen Bücher voraussetzt. Es ist ihm entgangen, daß Schleiermachers Predigt von 1 8 1 7 mit ihrer schlichten Vereinfachung und ihrer Sammlung auf die Frage, was unserm evangelischen Christentum seine Lebenskraft für die folgenden Gesdilediter erhalten werde, das Entscheidende für diese Art protestantischen Selbstverständnisses geleistet hat. Da Schleiermacher dabei die Ausdrücke Materialprinzip und Formalprinzip vermeidet, entziehen sich seine Aussagen auch der von Ritsehl geübten logistischen Kritik. 149
Grundsätzliche pädagogische Bedenken dagegen, der Jugend früh die Bibel in die Hand zu geben, sind wohl durch Rousseau's Emil aufgeweckt worden. Schon unter dem Einfluß des Pietismus aber war es im deutschen evangelischen Christentum Brauch geworden statt der Bibel eine Auswahl von vereinfacht erzählten biblischen Geschichten - fünfzig alttestamentlichen und fünfzig neutestamentlichen - dem Religionsunterricht zugrunde zu legen. 150
i . T i m . 6,16.
151
Rom. 7, 23 ff.; vgl. Glaubenslehre § 66.
152 Was von hier ab folgt, ist der Schlüssel zu Schleiermachers Pädagogik und darüber hinaus zu Schleiermachers Bestimmung des Verhältnisses von weltlicher oder äußerlicher und geistig-persönlicher oder innerlicher und christlicher Gemeinschaft. Schleiermacher sieht klar die schwere Frage, welche aller ernsthaft die Wirklichkeit ins Auge fassenden Erziehung und Ausbildung in Haus und Schule zugrunde liegt, die Frage nämlich, ob nicht das unentrinnliche Anordnen und Gebieten und Lohnen und Strafen in den Kindern ein gebrochenes und unechtes Verhältnis zu allem Guten und Höheren entstehen lassen muß. E r hat den Mut, im Gegensatz zu unklaren modernen Schulreformern das folgerichtige Walten des ordnenden Gesetzes in Unterricht und Erziehung zu bejahen, und zeigt dann, daß es innerhalb der äußerlichen gesetzlichen Bindung eine aus dem Evangelium quellende religiöse Freiheit vom Gesetz gibt, welche die schädlichen moralischen Folgen des Anordnens, Lohnens und Strafens ausschaltet. Dies Verhältnis von Gesetz und Evangelium aber in Schule und Erziehung wird ihm das große Paradigma für das richtige Verhältnis von Gesetzesbindung und innerlicher Freiheit im ganzen weltlichen und bürgerlichen Leben. Aus dieser Durchdringung der Ethik mit der Dialektik von Gesetz und Evangelium beruht die Tiefe von Schleiermachers Gesellschafts- und Sittenlehre. Er ist hier zweifellos den Äußerungen auch des reifen Fichte weit überlegen.
Erläuterungen
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XXII Predigt am Totenfeste 1826,1 Thess. 5, x-i 1 (Einzeldruck Berlin G . Reimer 1 8 2 7 )
Schleiermacher hat im zweiten Bande seiner Festpredigten vom „Gedenktag der Verstorbenen" gesprochen und die in Berlin für den Totensonntag übliche volkstümliche Bezeichnung „ T o t e n f e s t " , die auf dem Titelblatt dieser Predigt sich findet, v e r mieden. - Eine Kenntnisnahme von Predigten, die der alte Schleiermacher am Totensonntag gehalten hat, ist nötig, um die Frage zu klären, ob er die in seinen jüngeren Jahren bekundete Gleichgültigkeit gegen eine individuell persönliche Unsterblichkeit bis zuletzt festgehalten habe. Die Aussagen der Glaubenslehre über die letzten Dinge § 1 5 8 ff. sind als eine der frommen Phantasie Grenzen ziehende Normierung der gängigen kirchlichen Betrachtungsweise von ihm unter Vorbehalt gegeben. Überall in seinen Predigten spricht er von der ewigen Vollendung des Gottesreichs, an der wir durch die Lebensgemeinschaft mit Christus Anteil haben, auf eine Weise, welche sich über alles partikulare Interesse der endlichen Individualität zu dem Gesamtziel des Erlösungswerks erhebt und deutlich betont, daß die uns in Glaube und Geist zum G r u n d unsers Lebens werdende Seligkeit und Vollkommenheit der Gemeinschaft mit G o t t das ewige Leben schon ganz und vollständig in sich trägt. A n den Predigten zum Totensonntag muß die Entscheidung über Schleiermachers letzte persönliche Stellungnahme abgelesen werden. D i e hier ausgewählten im Einzeldruck erschienenen beiden Predigten sind wegen ihrer unmittelbaren Lebendigkeit den beiden
von
Schleiermacher in den zweiten B a n d der Festpredigten aufgenommenen vorzuziehen. 153
V g l . auch 1. K o r . 1 5 , 1 2 ff.
154
J ° h . 9, 4.
155
Phil. 4 , 4 f.
156
Luk. 12, 37.
167
In einer Passionspredigt über das zweite Kreuzeswort Jesu ( „ D i e tröstliche
Verheißung Christi an seinen Mitgekreuzigten", Festpredigten I heißt es: „ D e n n indem der Erlöser Heute
1 8 2 6 S . 204 ff.)
sagt, hat er gewiß seine Verheißung nicht
auf irgend einen Zeitraum beschränken wollen, wie das W o r t in seinem gewöhnlichen Gebrauch einen solchen bedeutet, und er hat eben so wenig ein E n d e als einen A n f a n g zu bezeichnen beabsichtigt, sondern nur die unmittelbare Gegenwart, die immer auch
Erläuterungen
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durch diesen Ausdrude angedeutet wird. Und dies Heute ist eben, indem es uns an keine Vergangenheit und an keine Zukunft denken läßt, sondern uns ganz in den unmittelbaren Genuß versenkt, für uns die einzig richtige Bezeidinung der Ewigkeit, weil die einzige die der Mensch in sich aufnehmen kann." 168
Rom. 8, 33 f.
XXIII Predigt am Totenfeste 1828, Offenbar. 3 , 1 1 (Einzeldruck Berlin G. Reimer 1829)
Diese Predigt hat Schleiermacher am 23. 1 1 . 1828, zwei Tage nach Vollendung seines 60. Lebensjahrs gehalten. Für die Gesichtspunkte zu ihrer Beurteilung ist die Einleitung zu der hier vorhergehenden Predigt nachzulesen. 159 Die Feier des Totensonntags ist 1816, nadi den Befreiungskriegen gegen Napoleon, eingeführt, ursprünglich veranlaßt durch das Bedürfnis, der für damalige Begriffe sehr zahlreichen Kriegstoten zu gedenken. Vgl. Schleiermacher S.W. 1. Abtl., Bd. V , S . 513 f. 160
Luk. 19, 26.
161
Matth. 6, 33; Matth. 13, 4$ f.
162
Offenbar. 3, 8.
163
Joh. 6, 63.
M4
Vgl. zum Folgenden Matth. 1 1 , 28 ff.; Joh. 4, 21 ff.; Matth, j, 44 ff.; Joh. 8, 31 f. und 36; Joh. 4, 13 f.; Matth. 12, 34; Luk. 22, 32. 165
2. Kor. 6, 16.
166
Schleiermadier übersetzt die urchristliche Erwartung des jüngsten Tages in eine Sdiau der ganzen Menschheitsgeschichte, in welcher das Kommen des Herrn als ein ständig seinen Gläubigen gegenwärtig werdendes gedacht ist; vgl. hierüber die Neujahrspredigt über Offenbar. 22, 12 („Der Lohn des Herrn", Festpredigten II 1833 S. 170 ff.). 167
Joh. 10, 7 ff. u. 28.
Erläuterungen 168
Luk. 1 7 , 1 0 .
169
Offenbar. 3, 11.
170
395
1. Joh. 3,2. Schleiermacher hat (Festpredigten II 1833 S. 306 ff.) über Luk. 24,5 f. eine Osterpredigt gehalten mit dem Thema: „Wie das Bewußtsein des unvergänglichen den Schmerz über das Ende des vergänglichen besiegt." Aus dem dritten Teil dieser Predigt sei folgendes Stück mitgeteilt: „Uns aber, die wir seiner (des Erlösers) leiblichen Gegenwart uns nie erfreut haben, und sie also auch nicht vermissen, indem wir nur an jene geistige Gegenwart des Herrn gewiesen sind, vermöge deren er verheißen hat unter uns zu sein bis an der Welt Ende, uns sind nun die liebste und theuerste Erscheinung auf Erden diejenigen unserer Brüder, in denen sein Geist am kräftigsten lebt, in denen sich sein Bild am reinsten gestaltet, die sich bewähren als die Starken unter den Schwachen, als die christlich Weisen unter den noch auf mannigfache Art in ihrem Gemüth unklaren und verworrenen, als diejenigen welche, soviel sie vermögen, jedermann durch die Kraft ihres geistigen Lebens zu dem Urheber desselben hinzuleiten suchen. Wenn aber ein solcher aus den näheren Kreisen unsres Lebens das Loos aller Irdischen erfährt, und seine zeitliche Erscheinung aus der Mitte seiner Lieben zurücktritt: so ist es freilich nicht ganz derselbe - denn wer dürfte sich ihm vergleichen? - aber es ist ein dem Schmerz jener heiligen Frauen sehr verwandter und ähnlicher Schmerz, mit welchem wir dann bei der entseelten Hülle stehen. Und eben wie jene Frauen, die den Leichnam des Erlösers salben wollten, ebenso suchen wir dann auch das Andenken der hingegangenen Geliebten auf alle Weise zu befestigen in unsrer Seele, es uns einzuprägen durch jedes sinnliche Hülfsmittel, welches uns zu Gebote steht, es festzuhalten in wenn auch unvollkommenen Zügen eines äußeren Bildes, und jedes theure Andenken an den Hingeschiedenen sorgfältig zu bewahren. Aber das geschieht uns nicht, was jenen Frauen geschah. Wieviel Achtung sich unser Schmerz auch erwirbt; wie viele auch uns ihre Theilnahme schenken über unsern Verlust: niemand ist, der uns so tröstend erscheinen könnte wie jener Engel den Frauen, und in demselben buchstäblichen Sinne uns zurufen, Was suchet ihr den Lebendigen unter den Todten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden; sehet euch um, er wird vor euch hergehen. Wenn es uns nun aber so gut nicht wird: so sollten wir doch in jedem solchen Falle uns untereinander ermuntern, wie löblich auch unser Schmerz sei, uns doch in das Gefühl des Verlustes, den wir erlitten, nicht allzutief zu versenken, sondern, nur in einem mehr geistigen und weniger unmittelbaren Sinne, uns dennoch auch an dem tröstlichen Worte erquicken, Was suchest du den Lebendigen bei den Todten? er ist nicht hier, er ist auferstanden! Ja, das ist wahr und gewiß, zu einer geistigen Wirksamkeit in unserer Seele und auf unser Leben, die von allen leiblichen Schranken und Zufälligkeiten befreit ist, ersteht ein jeder von unseren dahingegangenen Freunden uns auch gleich unmittelbar nach seinem Tode wieder. Darum haftet nicht an der entseelten Hülle, hanget auch nicht an den sinnlichen Zeichen und an der leiblichen Erinnerung: sondern eben, wie jene Engel den Frauen geboten, sie sollten seinen Jüngern sagen, er werde vor ihnen hergehen in Galiläa, da würden sie ihn sehen; eben das sollen auch wir uns gebieten. -
396
Erläuterungen
Galiläa nämlich war der Schauplatz der größten und erhabensten Wirksamkeit des Erlösers, es war die Gegend, w o sich die näheren Verhältnisse mit den meisten seiner Jünger angeknüpft oder befestigt hatten. Wie nun die Jünger des Herrn angewiesen wurden dorthin zu gehen: o so laßt auch uns das Bild des Todes verlassen, und im Geiste hineilen zu dem Schauplatz der ausgezeichnetesten Thätigkeit unserer vor uns hingegangenen theuren Brüder; dahin wo sich das Verhältniß der Liebe und Theilnahme mit ihnen angeknüpft hat, dahin laßt uns gehen, alle schönen Erinnerungen auffrischen und uns das Bild ihres Lebens und ihrer Wirksamkeit zurückrufen! Dann werden auch sie unter uns sein mit ihrem Geiste und mit der K r a f t , womit sie auf uns gewirkt haben. - Aber freilich wie es nur Vierzig kurze Tage waren, während deren unser Erlöser, und zwar immer unterbrochen und nur auf kurze Zeit unter seinen Jüngern sich sehen ließ, und mit ihnen redete vom Reidie Gottes: so wird auch uns, verdrängt von mancherlei andern Verhältnissen, das Bild unserer theuren Entschlafenen allmählig erbleichen und sich tiefer in das Innere unseres Gemüthes zurückziehn, so daß es immer seltner und nur bei besonderen Veranlassungen hervortritt. Und wie nach jenen Vierzig Tagen der Herr leiblich gar nicht mehr auf Erden zu finden war: so kommt mensdilidierweise wenigstens in vielen Fällen zulezt auch für diese geistige Gegenwart unserer Verstorbenen eine Zeit, wo sich uns ihr Bild nicht mehr unmittelbar darstellt, eine Zeit scheinbarer Vergessenheit. Wir wissen, daß wenige Mensdien dieser ganz entgehen, ja warum sollen wir nicht sagen, sie kommt für Alle, audi für die deren Thaten die Gesdiichte erzählt, auch für die deren Rede sich durch die Schrift auf ferne Geschlechter fortpflanzt, nur die heiligen Schriftsteller ausgenommen, die auf eine für alle Zeiten gültige Weise die Rede des Erlösers verklärt haben; und welche ihnen hierin am nächsten stehen, für die kommt auch jene Zeit am spätesten. Darüber dürfen wir uns nicht wundern; denn es ist nur der Erlöser, mit welchem wir in einem unauflöslichen Verhältniß stehen; jedes andere kann uns früher oder später entfremdet werden. Wenn uns nun dieses geschieht, daß wir an geliebte Todte selten oder gar nicht mehr auf bestimmte Weise denken, und es scheint, als müßten wir sie nun wieder bei den Todten suchen: so laßt uns bedenken, daß doch auch dies eine Täuschung ist. Denn die Wirkung, welche unsere dahingegangenen Brüder auf unsere Seele ausgeübt haben, hört nicht auf; vielmehr ist ihr Geist und ihre K r a f t dadurch in unsre eigene Seele gleichsam übertragen, und sie sind und leben in uns und mit uns. Und wie der Zustand des Erlösers in den Tagen seiner Auferstehung die Bürgschaft war, daß, wie er noch nicht aufgefahren war zu seinem Vater im Himmel, so er doch gewiß auffahren werde, weil er hinfort nicht mehr verwesen sollte (Apostelgesch. 1 3 , 34): eben so ist jene fortwährende Wirksamkeit unserer schon länger entschlafenen Brüder uns die sicherste Bürgschaft, daß eine K r a f t , deren Wirkungen immer noch fortdauern auch ohne alle äußere Hülfe und Vermittelung, daß diese auch selbst nicht erstorben ist, als ihre äußere Hülle starb, sondern daß sie, wenn gleich auf eine uns undenkbare und unbegreifliche Weise zusammengehalten wird und bewahrt von dem Ewigen, der sie mit den Gütern des Heils ausgestattet und zu seinem Werkzeuge bereitet hat."
Erläuterungen
397
Anhang XXIV Rede an Nathanaels Grabe, i. XI. 1829 (Fr. Schleiermadier, Predigten, N e u e Ausgabe Bd. I V Berlin 1844, S. 880-884)
Nathanael, Schleiermachers jüngstes Kind und einziger Sohn, ist als Schüler im Herbst 1 8 2 9 einer Krankheit erlegen, und mit der K r a f t ruhiger Selbstbeherrschung, die ihm sein Leben hindurch eigen war, hat Schleiermadier selbst ihm die Grabrede gehalten. Seine Niederschrift der Grabrede ist erst nach seinem Tode allgemeiner bekannt geworden. Diese Rede geht bei aller gefühlsdurchzitterten echten Menschlichkeit mit keiner Silbe über diejenigen Aussagen vom ewigen Leben hinaus, welche Schleiermacher als Denker und Prediger für die allein erlaubten gehalten hat. Ein Vergleich mit der Totensonntagspredigt von 1 8 2 8 w i r d dies dem Leser anschaulich machen. S o zeigt die Grabrede auf Nathanael, daß es auch für einen hinsichtlich des ewigen Lebens in die Nacht der Bildlosigkeit versenkten nüchtern-kritischen M e n sdien einen Trost der Ewigkeit gibt. 171
Wahrscheinlich ist das W o r t „Anfassung" ein Lesefehler, vielleicht für „ A n -
fachung".
XXV Gott unser Vater auch im Sterben, Luk. 23, 46 (Festpredigten I 1 8 2 6 S. 2 5 7 - 2 6 1 )
Dies Teilstück einer Charfreitagspredigt über „Christi letztes W o r t an seinen himmlischen
Vater"
(Luk. 2 3 , 4 6 )
ist
die anschaulichste
Schilderung
christlichen
Sterbens, die wir von Schleiermacher besitzen. In dem diesem Teilstück vorhergehenden Abschnitt der Predigt hat Schleiermacher das Verhältnis des von Lukas berichteten letzten Worts Jesu zu Psalm 3 1 , 6 erläutert. Es ist für ihn wichtig, daß der Psalmist nicht im Blick auf den Tod, sondern im Blick auf eine ungewisse bange Z u k u n f t seinen Geist in Gottes Hände befiehlt und die Anrede „ V a t e r " an Gott nicht gebraucht. Daraus ergibt sich für Schleiermacher, der Luk. 2 3 , 46 für geschichtlich hält, daß Jesus mit der Anrede „ V a t e r " und mit der Beziehung auf das Sterben
398
Erläuterungen
einen ganz neuen, den Frommen des alten Bundes unerreichbaren Sinn in das Psalmwort gelegt hat, einen Sinn, in welchem das ganze Geheimnis seiner Gottessohnsdiaft schwingt. Da wir durch den Glauben an Christi Leben und Sterben Anteil haben, leuchtet in dem letzten Wort Jesu an seinen himmlischen Vater für Schleiermacher also das Bild eines vollendeten christlichen Sterbens auf. E N D E
399
S y n o p s e der Seitenzahlen aus „ F r i e d r i c h Schleiermacher's sämmtliche Werke.
Zweite
Abteilung.
u n d „ V i e r t e r B a n d . Berlin
Predigten. Z w e i t e r B a n d .
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Berlin
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vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu
Fürsten 1 u n d h a n g 1 mit malchen ablöst, 1 dann diese 1 T h a t gewesen, 1 an sich 1 zu an 1 welchen in 1 der solllen
613 613/614 614/615 615/616 616/617 617/618 618/619 619/620 620/621 621/622 622/623 623/624 624/625 626 626/627 627/628 628/629 629/630 630/631 631/632 632/633 633/634 634/635 635/636
11 vu 9 vu 10 vu 11 vu 12 vu
christlilches an 1 C h r i s t u m geweihelten 1 dem er 1 sie
637 637/638 638/639 639/640 640/641 641/642
6 vu 5 vu 5 vu 8 vu 12 v u 12 vu 14 vu 14 vu 15 vu 17 vu 17 vu 17 v u 5 5 5 5 5 5 7 7 6 8
1834"
1835".
dem 1 Wege auch 1 hier k o m m e n 1 pflegt 1 denen Anerkenlnung Knechte! 1 Meint über 1 das 1 Wohl! woldurch die 1 Segnungen t h e u e r n 1 Preis Band 1 der
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vu vu vu vu vu vu vu vu vo vo
Geboten, 1 u n d Gerechtigkeit geben 1 zwar 1 welche der 1 Sünden immer 1 weiter ihlnen einer 1 Verwech Lehre 1 richtig freilich 1 hilft
9 8 7 10 10 10 12 12 14 17 16 19
vu vu vu vu vu vu VU VU VU VU vu vu
Versammllungen war, 1 das denn 1 so Anerlkennung Menlschen Recht 1 fertig weil 1 es uns, 1 welche Ihr, I daß es 1 wol anldern auch 1 gewiß
6 5 7 II 14 15 16 16 15 15 IJ 14
vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu
wir 1 in das 1 Wesen Verlfassers Einem 1 O p f e r wie? 1 werden sünde 1 nennen dar ¡gestellt Verheißunigen 1 wieviel göttlilcher ganz 1 gemäß Ider
4 5 6 8 8 6 6 7
vu vu vu vu vu vu vu vu
eine 1 A u f f o r auch 1 ihr einlzelnen w ü r d e 1 gewiß Anregunlgen 1 II. U n d sein I m ü ß t e n das 1 heilige
642/643 643/644 644/64; 645/646 646/647 647/648 648/649 649/650 650/651 651/652 653 653/654 654/655 655/656 656/657 657/658 658/659 659/660 660/661 661/662 662/663 663/664 664/665 666 666/667 667/668 668/669 669/670 670/671 671/672 672/673 673/674 674/675 675/676 676/677 677/678 679 679/680 680/681 681/682 682/683 683/684 684/685 685/686 686/687
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vu vu vu vu
des 1 allgeist, 1 und von 1 gar Glaubens 1 nicht
9 10 9 11 12 13 14 16
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wendig 1 sein ihnen 1 vorselbst 1 dem dann 1 f ü r die 1 treusten dem 1 Erlöser unientbehrliche neuen 1 Bund O r d n u n g 1 zer Leiter 1 audi das 1 häusliche dem 1 evangeli ihres 1 Berufes auf 1 einem des 1 Anderen darin 1 hinter 1 diese
vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu
auflmerksam drükke 1 aus desto 1 mehr hier 1 nidit hatlten das lAndere freundllichem nur 1 mit nach 1 dersel der 1 Christen ihr 1 dieses welche 1 in Geist 1 Gottes aus 1 die-
vu vu vu vu vu vu vu
Jelsum anderen lähnli Schaden 1 aufge seinen 1 Tod Chrilstus 1 Freilich lidikeit 1 gar
IOI
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112 113 114 IT 5 116 "7 118 119
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12 IJ 17 19 19 18
vu vu vu vu vo vo
1 Gedenkt lUnd und 1 schändliche zu 1 sein fleischlliche das 1 Gesetz
12 13 12 II 13 14 14 13 II 12 IJ 17 16 16 17 17 17 16 12
vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu
jenem 1 ersten das 1 Wort 1 Vollendung mehr 1 als welches 1 Gott jelner Kirche 1 nach der 1 Überzeuder 1 Gerechtig er 1 sagt des 1 Geistes gelüstet 1 wider bringen! 1 Aber in 1 welcher gemeinen 1 Nuz auf 1 dem zuzugreifen worlaus immer 1 mehr
7 9 9 8 7 6 4 2 1 2 3 4 5 7 8 8 7 3
vu vu vu vu vu vu vu vu vo vo vo vo vo vo vo vo vo vu
Liebe 1 zum 11. Ein O f t 1 noch zertheilt 1 sich der 1 wilde Eigendünlkels neu 1 überkommen wiederholte 1 sich ziehen; 1 Maaß unerlforschden 1 erkennen uns 1 darin die 1 Zahl 1 denen alles 1 Fleisch eine 1 milde unlseres der 1 Jugend
732/733 733/734 734/735 735/736 736/737 737/738 739 739/740 740/741 74i/742 742/743 743/744 744/745 745/746 746/747 747/748 748/749 749/750 750/751 75i/752 752/753 753/754 754/755 755/756 756/757 757/758 85 85/86 86/87 87/88 88/89 89/90 90/91 91/92 92/93 93/94 94/95 95/96 96/97 97/98 98/99 99/100 100/101 101/102 102/103
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3 214 2IJ 216
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Sämmtlidie Werke, 2. A b t . , Bd. II Seite
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vu vu vu vu vu vu vu vu vu vo vo vo vo
später 1 w ä r e sollen 1 m i t u n s 1 nicht doch 1 n u r als 1 ein hat, 1 daß Unumlstößlichkeit u n s r e I/Brüder guter 1 Wahrheit hindern, 1 daß der 1 Liebe welches 1 die i h m ! Fleisch
9 vu 8 vu 8 vu 7 vu 6 vu 4 vu 2 vu 1 vu 2 vu 3 vu 4 vu 5 vu 5 vu 4 vu
bei 1 d e m wurde, 1 und d e n n 1 damals auch 1 die o f f e n b a r t , 1 welche des 1 Erlösers verlbreitet k l i n g t , 1 m.g. T e x t 1 noch jelner verlborgen gereinigt 1 w e r d e n v o r ü b e r 1 gehende W e l t 1 des
7 6 6 6 4 3 2 2 1 1 1 1 2
9 7 6 6 5 5 4 4 4 3 5 7 5
vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu
6 vu
Einlfluß ihm 1 zusammen z u 1 untersch entlgegne 1 soviel denn 1 wenn 1 ewiger sehr 1 gewichtigen ich 1 ü b e r 1 Aber müssen 1 wir w e r d e n , 1 so k o m m t 1 sondern der, 1 welcher
55 55/56 56/57 57/58 58/59 59/60 60/61 61/62 62/63 63/64 64/65 65/66 66/67 67/68 3M 3M/3I5 315/316 316/317 317/318 318/319 319/320 320/321 321/322 322/323 323/324 324/325 325/326 326/327 327/328 343 343/344 344/345 345/346 346/347 347/348 348/349 349/350 35o/35i 35r/352 352/353 353/354 354/355 355/356 138 138/139
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Sämmtliche Werke, 2. Abt., Bd. II Seite
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7 228 229 230 232 232 233 2 34 *3J 236 237 238 239 240 241 242 243 244 244 M5 246 247 248 249 250 251 252 253 254 M5 256 257 259 259 260 261 262 263
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1 tung vor 1 die und 1 Meister er 1 nicht der 1 göttliche Redilnung des 1 Lesers die 1 Zeit die 1 Verhältnisse seiner 1 besonderen Beifestigung
vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu
wo 1 E r wie 1 E r unsrilgen die 1 Grenzen E r 1 es greilfen Zulstimmung offenbar 1 worden Als 1 aber siegreilchen A r t , 1 wie Selligkeit
5 vu 1 1 vu 13 vu 12 vu 14 vu 13 vu 12 vu M vu 14 vu 14 vu 13 vu ' 5 vu 14 vu 17 vu
Seigen sind, 1 als der 1 strafwür den 1 Opfern können, 1 unter beugen 1 muß vorzüglich 1 seine 1 Dasein ihm 1 zu müssen 1 wir Schuld 1 der reilner alle 1 vollendet befangen 1 sind
12 vu 12 vu 1 1 vu 9 vu 9 vu
auferstanlden der 1 A u f getrieben 1 werde und 1 W e is e beleihende
5 3 3 2 2 3 3 3 2 f 7 9 9 9 9 12 14 15 14 18 18 20 7
139/140 140/141 141/142 142/143 143/144 144/14$ 145/146 146/147 147/148 148/149 149/150 417 417/418 418/419 419/420 420/421 421/422 422/423 423/424 424/425 425/426 426/427 427/428 428/429 161 161/162 162/163 163/164 164/165 165/166 166/167 167/168 168/169 169/170 170/171 171/172 172/173 I73/I74 I74/I75 176 176/177 177/178 178/179 179/180 180/181
405
Synopse der Seitenzahlen Diese Ausgabe Seite 264 265 2 66 267 268 270 270 271 272 V3 274 27$ 276 ¿17 278 279 280 281 281 282 283 284 28J 286 287 288 289 290 291 292
S'ämmtliche Werke, 2. Abt., Bd. II Seite
Zeile 9 vu 8 vu 9 vu 7 vu 6 vu 9 vu 10 vu 9 vu 8 vu 9 vu 8 vu 7 vu 1 r vu 12 vu 14 vu 7 vu 13 M 13 12 12 11 10 9 9 9 8 7
vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu vu
kein 1 Geist dem 1 andern aufdrinlgen 1 beschränkt neue 1 mit Genosse 1 seiner Meilster Wunlder werlden solche 1 waren desIsen ist 1 alle daß 1 ich 1 erweckung Auferstelhung Ähnlichkeit 1 mit iDie gerichltet ausgesprochen 1 hatte in 1 diesen sie 1 werbesonderen 1 Bed 1 Daher 1 II. Wenn sind, 1 und zu 1 reichen die 1 Hauptdie 1 Bot-
181/182 182/183 183/184 184/185 185/186 466 466/467 467/468 468/469 469/470 470/471 471/47* 472/473 473/474 474/475 475/476 476/477 519 519/520 520/521 521/522 522/523 523/5M 524/525 525/526 526/527 527/528 528/529 529/530 530/531 Sämmtliche Werke, 2. Abt., Bd. IV
294 294 295 296 297 298 299 300 302 303 304 3°5
1 vu 2 vu 3 vu 4 vu 3 vu 3 vu 2 vu 1 vo 1 vo 2 vo 4 vo
und 1 ihrer nicht 1 mit wolllen zu 1 zeitig lUnd uns 1 auch Theil 1 unserer schwer: 1 so ihrem 1 Leben Glauben 1 kommen 1 feurige
65 65/66 66/67 67/68 68/69 69/70 70/71 71/72 72/73 73/74 74/75 75/76
40 6
Synopse der Seitenzahlen Diese Ausgabe Seite
Sämmtliche Werke, 2 . Abt., Bd. IV Seite
Zeile
306
13 vu 1 6 vu 1 6 vu 1 2 vu 1 2 vu 12 VU II vu II vu 10 vu 12 VU 12 VU 12 VU II VU
Seliglkeit alle 1 menschl Betrachtung 1 für und 1 wirken seine 1 jährlichen leiten 1 können lauf nüch Item laut 1 genug auch 1 mit denden 1 Stunde windet 1 gewiß wir 1 uns
3^3
vu 3 vu I vo
324
2
vo 6 vo 7 vo 7 vo 7 vo 9 vo 10 vo II vo
anders 1 ab1 eben was 1 er In 1 jenen lUnd 1 wir lUnd der 1 Stunde bekennen; 1 der Angehörige 1 verdie 1 in Kirche 1 Christi
10 vu 10 vu 8 vu 6 vu
1 Pfänder Beilstand müssen 1 alle Gelgen-
306 3°7 308 309 310 311 312 313 314 315 316 317 318 320 320 321
3*5 326 3^7 328 329 33° 331 33* 337 337 338 339 340
157 157/158 158/159 159/160 160/161 161/162 162/163 163/164 164/16J 165/166 166/167 167/168 168/169 169/170 182
6
VO
4
182/183 183/184 184/185 185/186 186/187 187/188 188/189 189/190 190/191 191/192 192/193 193/194 836 836/837 837/838 838/839 839/840
Sämmtliche Werke, 2 . Abt., Bd. II 342 342
6
343
7
344
8
vo vo vo
1 . . . Hier immer 1 Eines Bund 1 sein
vu = von unten vo -- von oben
151 154 i54/i55 155/156
Schleiermacher, Sämmtliche Werke 3 Abtheilungen. Oktav I. Abtheilung. Z u r Theologie i 3 Bände. z836-1920. II. Abtheilung. Predigten 10 Bände. 1834-18¡6. I I I . Abtheilung. Zur Philosophie 9 Bände. 1833-1862. Preis und Liefermöglichkeit auf Anfrage
Aus Schleiermachers Leben • In Briefen 4 Bände. Oktav. Nachdruck geplant. Subskriptionspreis Ganzleinen DM 280,-. Band I. Von Schleiermadiers Kindheit bis zu seiner Anstellung in Halle, Oktober 1804. 2. Auflage. Mit Schleiermachers Bildnis. VIII, 407 Seiten. 1860. Band II. Von Sdileiermachers Anstellung in Halle, Oktober 1804, bis an sein Lebensende, den 12. Februar 1834. 2. Auflage. ¡13 Seiten. 1860. Band III. Sdileiermachers Briefwechsel mit Freunden bis zu seiner Übersiedlung nach Halle, namentlich der mit Friedrich und August Wilhelm Schlegel. Zum Druck vorbereitet von Ludwig Jonas, nach dessen Tode herausgegeben von Wilhelm Dilthey. X, 43J Seiten. 1861. Band IV. Sdileiermachers Briefe an Brinckmann. Briefwechsel mit seinen Freunden von seiner Übersiedlung nach Halle bis zu seinem Tode. Denkschriften. Dialog über das Anständige. Rezensionen. Vorbereitet von Ludwig Jonas, herausgegeben von Wilhelm Dilthey. XV, 646 Seiten. 1863.
Schleiermachers Christliche Sittenlehre im Zusammenhang seines philosophisch-theologischen Systems. Von Hans-Joachim Birkner. Oktav. Seiten. 1964. DM 22,- (Theologische Bibliothek Töpelmann 8).
Schleiermachers Einleitung in die Glaubenslehre Eine Untersudiung der „Lehnsätze". Von Doris Offermann. Oktav. Etwa 332 Seiten. 196$. Etwa DM 48,- (Theologische Bibliothek Töpelmann 16). Walter de Gruyter & C o • Berlin 30
FRIEDRICH
SCHLEIERMACHER
Der christliche Glaube Nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt. 7. Auflage. Auf Grund der 2. Auflage und kritischen Prüfung des Textes neu herausgegeben und mit Einleitung, Erläuterung und Register versehen von Martin Redeker. 2 Bände. Groß-Oktav. Ganzleinen DM ¡8,-. 1. Band. XLII, 459 Seiten, i960. - 2. Band. ¡80 Seiten, i960.
Leben Schleiermachers von Wilhelm Dilthey. 2 Bände. Groß-Oktav. Ganzleinen Band I. 3. Auflage auf Grund des Textes der 1. Auflage von 1870 und der Zusätze aus dem Nachlaß herausgegeben von Martin Redeker. 1. Halbband (1768-1802). Im Druck. Band II. Schleiermachers System als Philosophie und Theologie. Aus dem Nachlaß von Wilhelm Dilthey mit einer Einleitung herausgegeben von Martin Redeker. 2 Halbbände. LXXX, IV, 811 Seiten. 1966. DM 98,-. (Erscheint gleichzeitig als Band XIV der „Gesammelten Schriften Wilhelm Diltheys" im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen)
Friedrich Schleiermacher Leben und Werk (1768-1834) von Martin Redeker. Mit 3 Bildnissen. 320 Seiten. 1968. DM ¡,8o. (Sammlung Göschen Band 1177/11773) Schleiermacher - Sonderheft Neue Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie. (Band 10, 1968, Heft 3) Inhalt: Friedrich Kaulbach, Sdileiermadiers Idee der Dialektik - Werner Schultz, Das griechische Ethos in Schleiermachers Reden und Monologen - Wolfgang Trillhaas, Der Mittelpunkt der Glaubenslehre Sdileiermadiers - Siegfried Keil, Die christliche Sittenlehre Friedrich Sdileiermadiers - Versuch einer sozialethischen Aktualisierung - Ernst Lichtenstein, Schleiermachers Pädagogik - Martin Doerne, Theologie und Kirchenregiment. Eine Studie zu Schleiermachers praktischer Theologie - Walter Schütte, Die Ausscheidung der Lehre vom Zorn Gottes in der Theologie Sdileiermadiers und Ritsdils. Erscheint in drei Heften und einem Gesamtumfang von etwa 384 Seiten pro Jahrgang. Abnahmeverpflichtung für den ganzen Jahrgang. Bezugspreis des Bandes DM 3 6 - , Walter de Gruyter £c C o • Berlin 30