Pragmatische Quellen der kirchlichen Rechtsgeschichte 9783412214500, 9783412208172


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Pragmatische Quellen der kirchlichen Rechtsgeschichte
 9783412214500, 9783412208172

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Pragmatische Quellen der kirchlichen Rechtsgeschichte

Rechtsgeschichtliche Schriften Im Auftrage des Rheinischen Vereins für Rechtsgeschichte e. V. zu Köln Band 28

Herausgegeben von Hanns Peter Neuheuser

Pragmatische Quellen der kirchlichen Rechtsgeschichte

Herausgegeben von

Hanns Peter Neuheuser

2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit finanzieller Unterstützung des Landschaftsverbandes Rheinland

und des Erzbistums Köln

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf säurefreiem Papier gemäß ISO 9706 ISBN 978-3-412-20817-2

Inhalt

Vorwort ..................................................................................................................... VII EINLEITUNG Kanonistik, Pragmatik, Archivistik, Historik. Vom kanonistischen Alltagsdokument zur kirchenrechtsgeschichtlichen Quelle .....................

1

HANS-JÜRGEN BECKER Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen für die rechtswissenschaftliche Forschung ..................................................

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KERSTIN HITZBLECK Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen für die geschichtswissenschaftliche Forschung ..........................................

39

STEPHAN HAERING OSB Kanonistik als Quellenarbeit ..........................................................................

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WILHELM JANSSEN Ein Kempener Sendweistum aus dem Jahre 1392 ..................................... 87 JOACHIM DEETERS Stiftung zweier Officia am Josephsaltar der Pfarrkirche zu Kempen .... 107 HANS BUDDE Diplomatische Untersuchungen der Suppliken an den Legaten Gasparo Contarini und den Nuntius Girolamo Muzzarelli im Propsteiarchiv Kempen ................................................................................. 119 RICHARD HARDEGEN Die Studienstiftung Hutteriana des Kanonikers Adam Ferber aus Kempen ............................................................................................................ 145 KLAUS MILITZER Bruderschaften im spätmittelalterlichen Kempen. Mit einem Quellenanhang zur Nikolausbruderschaft . ............................ 173

VI

Inhalt

SABINE KÖTTING Rechtsdokumente und Rechtsrituale bei Übertragungen des Küsteramtes in Kempen und Oedt ..................................................... ........ 205 HANNS PETER NEUHEUSER Reliquienauthentiken als kirchenrechtliche und kulturgeschichtliche Quellen. Das Beispiel eines neuzeitlichen Urkundenbestandes im Propsteiarchiv Kempen .................................................................................. 233

JÜRGEN BÄRSCH Libri Ordinarii als rechtsrelevante Quellen. Zum normativ-rechtlichen Charakter hoch- und spätmittelalterlicher Gottesdienstordnungen ...... 277 THOMAS SCHÜLLER Das kirchliche Archivwesen im geltenden Kanonischen Recht .............. 309 MANFRED BALDUS Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen für die staatskirchenrechtliche Rechtsprechung ....................................... . 335 Verzeichnis der Mitwirkenden .............................................................................. 383 Abkürzungsverzeichnis .......................................................................................... 387

Vorwort

Mit dem Begriff der kirchenrechtsgeschichtlichen Quellen werden allzu häufig lediglich die Traktate der berühmten mittelalterlichen Kanonisten sowie ggf. noch einzelne Werke barocker Autoren assoziiert. So berechtigt es ist, diese Texte aufgrund ihres juristischen und sogar literaturgeschichtlichen Gewichtes in den Fokus zu nehmen, so wird durch diese einseitige Betrachtungsweise doch der Blick verstellt auf diejenigen Quellengattungen, die den pragmatischen Kontext des Kirchenrechts ausmachen. Dabei sind es die eher „schlichten“ Urkunden und Akten, welche die Anwendung kirchenrechtlicher Normen im Alltag anzuzeigen in der Lage sind: Dokumente aus dem alltäglichen Handeln der Bistums- und Pfarrverwaltungen belegen die Realität der Rechtsanwendung, die Reflexion über die Besonderheiten von Einzelfällen, die über den kirchlichen Raum ausgreifende Gestaltungskraft der Normen, aber auch die internen Verschränkungen von Zuständigkeiten und hierarchischen Ebenen. Diese Anwendungsdetails sind es letztlich, die uns die Farbigkeit der Aktionen präsentieren und die Handlungsweise vergangener Zeiten vergegenwärtigen. Der vorliegende Aufsatzsammelband bietet eine ganze Palette solcher Rechtsanwendungen über die Jahrhunderte hinweg, jeweils anhand einzelner Quellen veranschaulicht. Ein Weistum zum Pfarrsend, Stiftungen von Altaroffizien, Suppliken bezüglich der Ämterverleihung, die Errichtung einer Studienstiftung, Statuten von Bruderschaften, Urkunden über die Übertragung von Küsterämtern, die Ausstellung von Reliquienauthentiken, die Fertigung von Libri ordinarii als Quellen des Liturgierechtes – solche Dokumente verkörpern eine weitgehend unterschätzte, eigene, hier erstmals näher umrissene, auch kulturgeschichtlich bedeutsame Quellengattung der Kanonistik. Ihre Beschreibung soll daher im Mittelpunkt unserer Publikation stehen. Die Beiträge ausgewiesener Fachleute werden gleichsam umrahmt von Abhandlungen, die den größeren Zusammenhang aufweisen, indem sie die Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen für die rechtswissenschaftliche und geschichtswissenschaftliche Forschung sowie für die Praxis der Rechtsprechung darlegen. Ein weiterer Aufsatz betont den Wert der kirchlichen Archive, worin die Quellen lagern und ohne deren Funktionieren diese Quellen nicht überliefert und zugänglich gemacht werden können.

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Vorwort

Bereits diese vorstehende Übersicht belegt die hier erprobte interdisziplinäre Zusammenarbeit. Für die Mitwirkung an diesem Projekt und die wechselseitige Bereicherung, von der nun auch die Leserschaft profitieren mag, sei allen Beteiligten sehr herzlich gedankt – den Autorinnen und Autoren, Herrn Propst Dr. Thomas Eicker für die Bereitstellung von Quellen aus dem Propsteiarchiv Kempen, Frau Dr. Astrid van Nahl für die Satzherstellung sowie dem BöhlauVerlag für die verlegerische Betreuung, nicht zuletzt dem Erzbischöflichen Generalvikariat für eine Finanzbeihilfe des Erzbistums Köln sowie dem LVRInstitut für Landeskunde und Regionalgeschichte für einen Druckkostenzuschuss des Landschaftsverbandes Rheinland.

H. P. Neuheuser

HANNS PETER NEUHEUSER

Kanonistik, Pragmatik, Archivistik, Historik Vom kanonistischen Alltagsdokument zur kirchenrechtsgeschichtlichen Quelle

1. Das kontinentaleuropäische Ideal der Rechtsentwicklung geht davon aus, dass sich der Fortschritt bei der Ausbildung rechtlicher Normen in einer zunehmenden Abstraktion erweist, um diese so auf eine möglichst große Zahl von Einzelfällen anwenden zu können. Mit der schrittweisen Realisierung dieses Ideals erhöht sich jedoch zugleich der Adaptionsaufwand auf der pragmatischen Ebene und nehmen die Dokumente zur rechtlichen Beurteilung und Regelung rechtlicher Sachverhalte an Umfang und ggf. an Substanz zu. Diese Beobachtungen, die sich auf alle Rechtsgebiete und somit auch auf die Kanonistik beziehen, verlangen danach, dass neben den abstrakten Normen ebenso den pragmatischen Dokumenten die Aufmerksamkeit der Forschung gebührt, auch wenn die Alltagsschriftstücke zunächst unspektakulär oder sogar unattraktiv anmuten. Nimmt man alle Einsatzfelder – die Rechtssetzung, die Reflexion, die Exekutive und die Rechtssprechung – zusammen und betrachtet man die Instanzen und Akteure der Kanonistik, nämlich die Kurie, die Teilkirchen mit dem Partikularrecht, die Universitäten, die Autoritäten der einzelnen gelehrten Kanonisten, die Gerichte, die Orden, die kirchlichen Verwaltungen bis hin zur Ebene der Pfarren und Klöster, so wird die Komplexität der Gattungen hier erstellter Texte und des auf diesen Ebenen gewonnenen Schriftgutes deutlich. Die formale Scheidung des Materials in literarische und pragmatische Texte, die dann entsprechend dem Bibliothekswesen oder dem Archivwesen zuzuordnen wären, ermöglicht einen ersten Überblick, während als gemeinsame Klammer die Kulturtechnik der Verschriftlichung fungiert. Mittelalterliche und frühneuzeitliche Traktatliteratur wird man sich auf der lokalen Ebene der Pfarren und Klöster nur in überschaubarem Umfange vorzustellen haben. An Handschriften und Drucken finden sich hier hauptsächlich die aus der Entfaltung liturgischer Vollzüge typologisch zu entwickelnden, ebenfalls liturgierechtlich relevanten liturgischen Bücher1, sodann rechtliche Werke, jedoch auf der Grundlage der praktischen Theologie, also eher Bußbücher und dergleichen, während auch theologische Kerndisziplinen wie die Dogmatik auf 1

Vgl. Hanns Peter Neuheuser, Typologie und Terminologie liturgischer Bücher, in: Bibliothek. Forschung und Praxis 15 (1991), 45–65.

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Hanns Peter Neuheuser

Predigthilfen reduziert sind. Entsprechend fragt bereits das Sendbuch des Regino von Prüm nach dem Vorhandensein von bestimmten liturgischen Büchern, nach „alii libri“, welche ebenfalls dem liturgischen Kontext zuzuordnen sind, nach dem Vorhandensein einer schriftlichen Auslegung des Credos und des Vaterunsers oder nach dem Vorhandensein eines Martyrologiums2. Traktate werden erfragt hinsichtlich des Athanasius und der Predigten des Papstes Gregors I.3 Für den Bereich des Kirchenrechts wird lediglich das Vorhandensein eines römischen Poenitentiales, dasjenige des Theodor von Canterbury und des Beda, erfragt4. Trotz der geringen Zahl der in einer Pfarrkirche erwünschten resp. erwarteten Bücher muss diese Liste bereits als für den Anfang des 10. Jahrhunderts anspruchsvoll bezeichnet werden. Man sollte dieses Idealverzeichnis also nicht als tatsächlichen Befund ansehen und noch weniger vermuten, die im späten Mittelalter sprunghaft ansteigende Produktion kanonistischer Literatur5 habe auch eine Verbreitung auf der lokalen Ebene gefunden. Es darf angenommen werden, dass in vielen Landpfarreien zumindest Manualien mit Exzerpten aus Bußbüchern zum Beichtehören vorhanden waren6. Einen entsprechend realen Befund liefert hingegen die Analyse mittelalterlicher Pfarrbibliotheken7, wobei natürlich zwischenzeitlich eingetretene Verluste ebenso in Anrechnung zu bringen sind wie die Tatsache, dass sich in Pfarrbibliotheken nicht selten auch Teile von Privatbibliotheken amtierender Geistlicher finden lassen. Einen einschlägigen Überblick liefern jene quellenbasierten Forschungszweige, die entweder von den Werken kanonistischer Traktatliteratur ausgehen8, das Material auf regionaler Ebene sichten9 oder aber die Corpora der Archive und Bibliotheken als Ganzes in den Blick nehmen10. 2

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Vgl. Regino von Prüm, Sendhandbuch, Fragen 10, 11, 82 und 94 (hg. von Friedrich Wilhelm Hermann Wasserschleben und Wilfried Hartmann, Neuausgabe Darmstadt 2004, 26/27, 36/37 und 38/39). Vgl. Regino, Sendhandbuch, Fragen 86 und 95 (36/37 und 38/39). Vgl. Regino, Sendhandbuch, Frage 96 (38/39). Vgl. Uwe Neddermeyer, Von der Handschrift zum gedruckten Buch. Schriftlichkeit und Leseinteresse im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Quantitative und qualitative Aspekte, Wiesbaden 1998, Band 1, 482–483. Vgl. Carl I. Hammer, Country churches. Clerical inventories and the Carolingian renaissance in Bavaria, in: Church history 49 (1980), 5–17. – Vgl. auch Leonard E. Boyle, Pastoral care, clerical education and canon law 1200–1400, London 1981. – Leonard E. Boyle, The fourth Lateran council and manuals of popular theology, in: The popular literature of medieval England, hg. von Thomas J. Heffernan, Knoxville 1985, 30–43. Vgl. Ladislaus Buzas, Deutsche Bibliotheksgeschichte des Mittelalters, Wiesbaden 1975, 107–110. Als Beispiele seien genannt Otto Meyer, Überlieferung und Verbreitung des Dekrets des Bischofs Burchards von Worms, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte kan. Abt. 24 (1935), 141–183. – Hubert Mordek, Handschriftenforschungen in Italien.

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Dort, wo in den Altbeständen von Pfarrbibliotheken auch andere Literaturgattungen stark vertreten sind, wie etwa im schweizerischen Zug11, finden sich dann überdurchschnittlich viele kanonistische Werke. Auch die niederrheinische Pfarre St. Marien in Kempen darf wohl zu diesen eher besser ausgestatteten Landpfarreien gezählt werden: Ihr alter, bis in die Zeit um 1800 reichender Buchbestand umfasst heute 389 Werke, davon 23 liturgische Drucke; in diesem Bestand befinden sich ferner dreizehn, ggf. mehrbändige Werke der Kanonistik12. Für die „Handschriftenzeit“ ist die Situation anders einzuschätzen. Der hohe Beschaffungsaufwand hat dazu geführt, dass man auf Pfarrebene, aber teils auch auf Diözesan- und Ordensebene, nur die zur Lösung von Alltagsfragen unerlässliche Literatur beschaffte und nicht etwa systematischen Vorstellungen einer Vollständigkeit nachhing. Finden sich auf Ortsebene Werke der kanonistischen Traktatliteratur, so wird sich in der Regel aus dem Werk der konkrete Bedarf rekonstruieren lassen. Dabei sollte freilich zu prüfen sein, ob das Vorhandensein auch dem Zufall geschuldet sein kann. Auch zur Erörterung dieser Frage sei ein konkretes Archiv zur Veranschaulichung herangezogen. Das Kempener Bernhard-von-Pavia-Fragment13 findet sich zum Beispiel als Einband eines Archivstücks Kempener Provenienz, d. h. der Bernhard-Text zu den auch kanonistisch hoch relevanten Verwandtschaftsgraden ist vermutlich durchaus auf Ortsebene konsultiert worden. Das Kempener Fragment einer Dionysio-Hadriana-Handschrift14 hingegen gelangte ebenfalls als Einbandmaterial an den Niederrhein, jedoch mitsamt einem barocken Manuskript, dem das eigentliche antiquarische Interesse des Pfarrers galt; dieses Fragment muss also unter dem Vorbehalt zufälliger Überlieferung Beachtung finden.

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Teil 1: Zur Überlieferung des Dekrets Bischof Burchards von Worms, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 51 (1971), 626–651. Als Beispiel sei genannt: Kirchenrechtliche Texte im Bodenseegebiet. Mittelalterliche Überlieferung in Konstanz, auf der Reichenau und in St. Gallen, hg. von Johanne Autenrieth, Raymund Kottje, Sigmaringen 1975. Leider noch unpubliziert ist die 2007 in Wolfenbüttel veranstaltete Tagung „Da heime in miner Pfarre. Identitätsbildung und Kulturtransfer im europäischen Niederkirchenwesen vor 1600“ mit einschlägigen Beiträgen. Einschlägig war auch die Tagung des Konstanzer Arbeitskreises von 2009 zum Thema „Die Pfarrei im späten Mittelalter“, welche ebenfalls der Veröffentlichung harrt. Vgl. den Ausstellungskatalog: Vil gute Bucher zu Sant Oswalden. Die Pfarrbibliothek in Zug im 15. und 16. Jahrhundert, hg. von Michele C. Ferrari, Zürich 2003. Vgl. Hanns Peter Neuheuser, Kempen. Bibliothek des Propsteiarchivs, in: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Band 4: Nordrhein-Westfalen, hg. von Severin Corsten, Hildesheim u. a. 1993, 24–26. Propsteiarchiv Kempen (PAK), AA 50, fol. 1 und 18. PAK, H 41.

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Hanns Peter Neuheuser

Kann für das Kempener Dionysio-Hadriana-Fragment aufgrund des in der Neuzeit antiquarisch erworbenen Trägerbandes die Herkunft aus der Fremde – so genannte Provenienz II – plausibel dargestellt werden, so beweist dies noch nicht grundsätzlich, dass ein kirchenrechtlicher Text am Niederrhein nicht vorhanden gewesen sein soll: Spektakuläres Beispiel für einen solchen Nachweis ist die erweiterte Dionysio-Hadriana im Pfarrarchiv Dülken, ein Handschriftenfragment des 8. oder 9. Jahrhunderts15, das ebenfalls als Einband einer Archivalie überliefert wurde und damit die Annahme einer echten Rezeption wenigstens nahelegt. Denn die alte Verknüpfung eines makulierten Textes mit einer pragmatischen Quelle ist in der Tat ein schlagendes Indiz für die frühere aktive Rezeption eines Textes, d. h. auch für seine erneute Beheimatung. Zwar bleibt immer ein gewisser Unsicherheitsfaktor – bezüglich der zufälligen Zweitverwendung – in der Beurteilung zurück, doch gestalten sich die Verhältnisse innerhalb der (kirchlichen) Exekutive und ihrer Schreibpraxis anders als beim Buchbinder, welcher die Pergamente ausschließlich des Materialwertes halber wieder verwendet. Als Zentrum einer solchen Beheimatung am mittleren Niederrhein ist stets mit Vorzug das Benediktinerkloster Gladbach angenommen worden. Es ist evident, dass der Ausbau eines solchen Netzwerks an Filialen, wie dies Gladbach für seine Einzugsgebiet gelang16, einer kirchenrechtlich-theoretischen und organisatorisch-praktischen Leitung bedurfte, die ihrerseits auf schriftlichen Grundlagen beruhen musste. Die 974 gegründete Abtei hat daher gewiss schon seit ihrer Erstausstattung auch über kanonistische Traktatliteratur und Quellensammlungen verfügt, erst recht seit dem späten Mittelalter und in der Barockzeit, wie die Rekonstruktion der Abteibibliothek gezeigt hat17. Unsicherer werden unsere Aussagen zu anderen kanonistischen Fragmenten, die auf sekundärem Wege, etwa über Buchbindermakulatur, den Weg in die Thomasstadt gefunden hatten, da hier meist unklar ist, ob der – hinsichtlich 15

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Vgl. Codices latini antiquiores. A palaeographical guide to latin manuscripts prior to the ninth century. Supplement, hg. von Elias Avery Lowe, Oxford 1971, Nr. 1230, 5 und 63. – Vgl. die paläographische Erwähnung bei Bernhard Bischoff, Panorama der Handschriftenüberlieferung aus der Zeit Karls des Großen, in: Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, Band 2: Das geistige Leben, hg. von Bernhard Bischoff, 3. Auflage Düsseldorf 196, 233–245, hier 253, Anmerkung 151. – Vgl. auch Die Handschriften von St. Vitus [Gladbach], bearb. von Christine Winkelmann-Giesen, Köln 1998, Band 1, 148. Vgl. den Überblick bei Leo Peters, Kirchenrechtliche Einflüsse der Abtei Gladbach am Niederrhein, in: Die Abtei Gladbach 974–1802. Ausstellung zur Jahrtausendfeier der Gründung (Ausstellung Städtisches Museum Mönchengladbach), Mönchengladbach 1974, 105–110. Vgl. Der Bücherbesitz des Klosters St. Vitus in Gladbach von der Gründung bis zur Auflösung des Klosters (974–1802), hg. von Raymund Kottje, Ernst Manfred Wermter, Köln 1998.

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Persönlichkeit, aber auch Wirkungskreis – oft unbekannte Buchbinder aus örtlich vorhandenem Material schöpfte oder die Makulatur packenweise und aus fremden Beständen angekauft hatte. Unter den Kempener Fragmenten wären an dieser Stelle zu nennen einen Text aus den Dekretalen Gregors IX. aus dem 4. Viertel des 13. Jahrhunderts18 und einen Text aus dem Apparatus Innocenz IV. aus dem 14. Jahrhundert19. Unabhängig jedoch von der Frage nach dem Vorhandensein von kanonistischer Traktatliteratur oder von Rechtssammlungen und dergleichen auf der lokalen kirchlichen Ebene ist freilich zu bedenken, dass jene unausweichlich von diesen Normen berührt wurde. Ggf. wurden die Amtsträger erst im konkreten Fall mit Vorschriften konfrontiert, die sie dann zu studieren und anzuwenden hatten. Insoweit kann die Schnittstelle zwischen der Kanonistik und der kirchlichen Pragmatik markiert werden. 2. Mit der Frage nach dem Stellenwert von Dokumenten innerhalb der kirchlichen Verwaltung einschließlich der pragmatischen Benutzung von kanonistischer Traktatliteratur gehen wir den Schritt von den statischen Texten hin zu den dynamischen Handlungen, zum konkreten Umgang mit ihnen, d. h. vom Heranziehen der Texte zur Lösung von individuellen Problemen hin zur Interpretation und Zitation sowie letztlich zur realen Umsetzung. Am Abschluss einer Kette von Vorstufen stehen dann die „feierliche Urkunde“ oder ein rechtlich relevanter Realakt, z. B. die Errichtung eines Altars, die Beschaffung eines Gegenstandes oder die Bestallung eines Amtsträgers. Es ist aber davon auszugehen, dass zumindest seit der spätmittelalterlichen Zeit alle wesentlichen Rechtsakte des kirchlichen Umfeldes nicht nur in den „endgültigen Beurkundungen“ ihre Fixierung erfuhren, sondern von zusätzlichen Schriftstücken inferioren Niveaus begleitet wurden. Diese sind nicht nur lediglich ausnahmsweise archiviert, sondern bislang von der Forschung auch weitgehend übersehen worden. Einen sprechenden Beleg für diese Gruppe pragmatischer Quellen im Archiv unserer Kempener Beispielpfarre bietet jenes Begleitschreiben zu einer päpstlichen Ablassurkunde von 1477, die im Original jedoch verloren ist20, d. h. dass die Nachricht über diese Ablassurkunde ansonsten nur noch einer chronikalischen Quelle entnommen werden könnte21. Ein anderes Beispiel vermittelt das Schreiben des päpstlichen Kubikulars Heinrich Dailmann, der im Jahre 1470 in einem Privatbrief von seinem erfolgreichen Versuch berichtet, der Kempener 18 19 20 21

PAK, H 49. PAK, H 50. PAK, A 3206. Vgl. Johannes Wilmius, De pastoratu Kempensi liber, hg. von Gerhard Terwelp, Kempen 1896, XLIII–XLIV.

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Kirche einen von vielen Kardinälen ausgestellten Ablassbrief zu vermitteln22. Im gleichen Schriftwechsel finden sich auch Aussagen über die nichtoffiziellen Bemühungen um die Besetzung eines Kapellenrektorats23; derartige Quellen sind unverzichtbar, wenn die Hintergründe eines Vorgangs erhellt werden sollen. Der Blick auf die pragmatische Ebene ermöglicht es also – vorausgesetzt die Quellen sind überliefert und erschlossen –, eine geschichtliche Gegebenheit nicht nur vom Ende, d. h. vom Ergebnis her zu betrachten, sondern auch die Einflussfaktoren, die Zusammenhänge, die Irrwege, die Zwischenstationen einer Entwicklung etc. kennen zu lernen und bei der Bewertung zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit einer solchermaßen gestalteten Betrachtung wird vor allem deutlich, wenn ein Zitat von Seiten des Empfängers auf seine einschlägige Aussagefähigkeit und seine Autorität hin geprüft wird, wenn widersprechende oder offensichtlich fehlerhafte oder unvollständige Aussagen vorliegen, wenn eine Seite ihr wahres Anliegen zu verbergen trachtet etc. Solche Vorgänge sind – zumindest auf der Ortsebene von Landpfarreien – nur äußerst selten dokumentiert. Mochte die Konsultation lokaler Quellen, z. B. Urkunden und ortsbezogene Erlasse, bereits mit erheblichen Umständen verbunden gewesen sein24, so offenbarte der Umgang mit zitierten theoretischen Schriften – insbesondere wenn sie in streitigen Verfahren von der Gegenseite als Argument eingesetzt wurden – einen hohen Interpretationsbedarf. Hierzu musste gelegentlich externer Sachverstand einbezogen werden. Dies ist gewiss öfter geschehen als es dokumentiert wurde. Ein solcher Fall lag vor, als im 17. Jahrhundert in der Pfarre Kempen ein Streit um den rituellen Vortritt des als Pfarrkaplan wirkenden Religiosen vor den Vikaren aus dem Säkularklerus entbrannte. Ein erzbischöflicher Erlass untersagte diesen Vortritt zwar entsprechend dem geltenden Recht, doch wurde der Streit mit vielen Schriftwechseln vorbereitet und fortgesetzt. Die Angelegenheit war insoweit problematisch, da hier eine andernorts bestätigte Gewohnheit gegen das Recht verstieß und sich der Weihbischof gegen die kanonistischen Normen und für die Beachtung der Gewohnheit ausgesprochen hatte. Dieser Konflikt konnte innerhalb der lokalen Pfarrebene nicht mehr aufgelöst werden, so dass Rat eingeholt werden musste. In diesem Kontext ist ein interessanter Brief überliefert, welcher hinter die Kulissen der Rechtsanwendung und Rechtsfindung blicken lässt; es handelt sich um die Gattung pragmatischer Schriftstücke, eben jene kanonistischen Alltagsdokumente. Im vorliegenden 22 23 24

PAK, AA 14, fol. 36. PAK, AA 14, fol. 37. Vgl. ein Beispiel bei Hanns Peter Neuheuser, Das Sakrileg an einer spätmittelalterlichen Messbuchhandschrift. Maßnahmen zur Erneuerung des Sakralschutzes und zur präventiven Sicherung von Rechtsaufzeichnungen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte kanonistische Abteilung 93 (2007), 434–451.

Kanonistik, Pragmatik, Archivistik, Historik

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Zusammenhang interessieren weniger die dort angesprochenen Details als vielmehr die beiläufigen Aussagen dieses eher privaten Schreibens, das über eine solche Rechtskonsultation berichtet: Der Kempener Pfarrer als Parteigänger seines Kaplans hatte versucht, diesem bei der Interpretation der diversen Verfügungen zu helfen und einen Rechtsbeistand um entsprechende Vermittlung und Verteidigung zu bitten. Mit Schreiben vom 3. Oktober 1680 erstattete dieser Wilhelm Friessen Bericht über seine Rücksprache mit dem für den Erlass inhaltlich zuständigen erzbischöflichen Kommissar Dr. Haes25. Dieser nun erläuterte die Aussagen des Erlasses als mit den Bullen der Päpste, der Konzilsbeschlüsse und mit allen Auffassungen der führenden Kirchenrechtslehrer übereinzustimmen (convenire cum bullis pontificum, conciliis et omnium principaliorum canonistarum sententiis). Dann berichtete Friessen anschaulich weiter, dass der Kommissar zur Bestätigung seiner Aussagen durch einen Diener aus seiner Bibliothek die entsprechende Literatur heranschaffen ließ, darunter das Werk „De officio parochi“ des Agostinho Barbosa. Anhand dieses Autors habe der Kommissar seine Meinung untermauert. Dann habe der Kommissar die gleiche Argumentation mit Hilfe des Werks „De iure abbatum“ von Ascanio Tamburini fortgesetzt und den rituellen Vortritt des Religiosen vor Weltgeistlichen als Missbrauch (abusus) nachgewiesen. Friessen bekannte erstaunt gewesen zu sein, diese Einschätzung bei so vielen Autoren deutlich zu lesen und die Niederlage der von ihm bislang verteidigten Position mit eigenen Augen lesen und widerspruchslos zugeben zu müssen. Der Kommissar habe dringend empfohlen, von einer Appellation an den Offizial abzusehen, es sei vielmehr besser, den Eindruck zu erwecken, die Kempener Pfarre habe sich für das Gut des Friedens und die Beseitigung des Skandals eingesetzt und den Vikaren aus dem Weltklerus den Vorrang eingeräumt (clericis vicariis praecedentiam concedere). Solche Beispiele, bei denen neben den normativen Quellen und deren Rechtsanwendung auch das Auslegungsverfahren – etwa in Privatbriefen – dokumentiert ist, sind als extrem selten zu bezeichnen. Dieser Befund ist wiederum mit der Ausgestaltung der Pragmatik verknüpft: Die Wege der Beschaffung dieser Normen, das Einholen von mündlichem und schriftlichem Rat, das Formulieren von Gegenpositionen, die Vorstufen von Schriftstücken usw. erfüllen in der Regel noch nicht das Charakteristikum der Rechtsgestaltung und bringen dem entsprechend keine Archivquellen im engeren Sinne hervor; es sind vielmehr Dokumente im Status von provisorischen und temporären Notizen, die 25

PAK, AA 14, fol. 91–92. – Bei dem Kommissar handelt es sich um den am 5. Mai 1682 verstorbenen Priesterkanoniker am Kölner Dom, Dr. iur. Johannes Joseph de Haes, vgl. Hermann Heinrich Roth, Das kölnische Domkapitel von 1501 bis zu seinem Erlöschen 1803, in: Der Dom zu Köln. Festschrift zur Feier der 50. Wiederkehr des Tages seiner Vollendung, hg. von Erich Kuphal, Köln 1930, 257–294, hier 292.

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nach konventioneller Auffassung keinen Eingang in die Archive gefunden haben. Die vorstehenden Aussagen betreffen nicht nur spektakuläre Einzelfälle, sondern auch den häufig kirchenrechtsgeschichtlich unterschätzten Alltag der kirchlichen Exekutive. Erst in jüngerer Zeit sind bestimmte Dokumentengruppen, etwa die Fabrikrechnungen oder Belege der Kirchenbaurechnungen sowie Themen aus der „materiellen“ Kirchenverwaltung – denken wir an die Baulast kirchlicher Gebäude – in den Fokus geraten, aber kaum in Bezug auf ihre kirchenrechtliche Bedeutung hin ausgewertet worden26. Es wäre interessant zu sehen, wie sich die „großen Umbrüche“ (tridentinische Reform, Reformation und Konfessionalisierung, Barockisierung, französische Revolution, Säkularisierungen etc.) auf den Alltag der kirchlichen Verwaltung und ihre Aktenführung ausgewirkt haben. Das Beispiel der gelegentlichen Umgestaltungen der Kempener Marienkirche mag hierfür aussagekräftig sein; gemeint sind nicht nur die einfachen Renovierungen des Kirchengebäudes, sondern auch komplexere Maßnahmen, die vom Ergebnis her die Kirche in einem anderen Erscheinungsbilde offerieren. Sobald jedoch – wie in unserem Beispielfall – die im 18. und 19. Jahrhundert virulenten Niederlegungen und Translozierungen von Altären hinzukommen, sollte die Forschung Ausschau nach möglichst vielen, und auch den sog. „unscheinbaren“ Quellen halten. Bereits die Frage nach dem Anlass der Niederlegung eines Altars, der bislang mit einer Vikariestiftung oder mit einem einnahmeträchtigen Wallfahrtsbild verbunden war, müsste sensibilisieren, nach dem rechtlichen Schicksal der Stiftung, nach dem Verbleib des Altarretabels und des Sepulkrums, nach der Neukonsekration etc. zu fragen. Die Antwort liegt dann zwar zunächst in den bischöflichen Dekreten, jedoch auch in den Rechnungsbelegen zu den baulichen, künstlerischen und handwerklichen Maßnahmen. Die Umgestaltung eines Kirchenraumes erweist sich aus der Sicht der kirchlichen Exekutive als ein äußerst komplexes Geschehen, das eine kulturhistorische Dimension aufweisen kann. Die gleiche Einschätzung könnte an dem Streit um einen um das Kirchengebäude gelegenen Friedhof veranschaulicht werden, dessen Verlegung die neue französische Regierung angeordnet hatte und im Anschluss noch zu Rechtsstreitigkeiten um das Eigentum an dem Grundstück führte27. Aus diesen Beispielen wird deutlich, wie man zu der Auffassung gelangen kann, dass letztlich jedes Schriftstück, das aus der amtlichen Tätigkeit einer (kirchlichen) Verwaltung stammt, Ausfluss des (kanonischen) Rechtes ist, ein26

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In Hinsicht auf die wirtschaftsgeschichtlich interessanten Quellen eines Stifts sind die einschlägigen Publikationen zu Xanten, insbesondere zu den 1957 und 1975 von Carl Wilkes und Guido Rotthoff veröffentlichten mittelalterlichen Baurechnungen, zu nennen. Vgl. PAK, AA 35, verschiedene Dokumente und Gerichtsurteile.

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schließlich jener unscheinbaren Begleitbriefe und Rechnungsbelege, die nur indirekt Zeugnis von den komplexeren Handlungen ablegen. Der abschließende Rechtsakt wird also durch die aktuelle Ausfertigung einer verbindlichen Urkunde bezeugt (Amtsübertragung, Altarweihe, Privilegienverleihung etc.), doch bleibt ihr häufig formelhafter Text28 viele – aus heutiger historischer Sicht erwünschte – Informationen schuldig, abgesehen davon, dass diese unikalen Dokumente oft genug der Vernichtung anheim gefallen sind. Sachlich hinzugehörende Schriftstücke vermögen hingegen Hintergrundinformationen bereit zu stellen und ggf. eine verlorene Urkunde inhaltlich zu ersetzen. Aus dieser pragmatischen Arbeit, also aus den alltäglichen Schriftstücken, entwickelte sich organisch das Archivwesen, aus den kirchenrechtlich relevanten Dokumenten somit das lokale Archivgut der Bistümer und Orden, der Pfarren und Klöster. 3. Alle einschlägigen Werke zur Archivistik betonen das Merkmal der rechtsgestaltenden Intention der archivischen Quellen – ein Charakteristikum, das dieses Material gegenüber banalen Mitteilungen oder von Fixierungen mündlicher Erzählungen etc. abgrenzt. In einer modernen Urkundenlehre heißt es zu diesem Thema: „Als Rechtsdokumente enthalten sie [die Urkunden] alle Informationen, die für das jeweilige Rechtsgeschäft von Interesse sind [...]. Sie wollen ein Rechtsgeschäft in rechtlich eindeutige und unmissverständliche Formulierungen fassen und dieses Geschäft einer rechtlichen Überprüfung standhalten lassen.“29 Nach dieser Distinktion und bei Betonung dieses Rechtsbezugs wären alle Archivquellen unabhängig von ihrem konkret zu regelnden Inhalt allein formal zugleich Quellen der Rechtsgeschichte. Im kirchlichen Kontext muss sich diese Aussage auch auf das Verhältnis zwischen kirchlichen Archivquellen und Kanonistik beziehen. Wenngleich dieser Bezug und insgesamt die Konsequenzen der Verschriftlichung für das Verhältnis von Kanonistik und kirchlicher Pragmatik – etwa im Gegensatz zur Situation im Staat und bei den Kommunen30 – noch zu 28 29

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Zur Gattung der Formularbücher vgl. etwa: Der Liber quondam notarii Wilhelmi Ysbrandi de Clivis, hg. von Friedrich Wilhelm Oediger, Köln–Bonn 1978. Thomas Vogtherr, Urkundenlehre. Basiswissen (Hahnsche Historische Hilfswissenschaften, 3), Hannover 2008, 10. – Vgl. ausführlicher bei Josef Hartmann, Urkunden, in: Die archivalischen Quellen, hg. von Friedrich Beck, Eckart Henning, 4. Auflage Köln– Weimar–Wien 2004, 9–39, hier 9–11. Vgl. zum staatlichen und kommunalen Bereich etwa Axel Jürgen Behne, Geschichte aufbewahren. Zur Theorie der Archivgeschichte und zur mittelalterlichen Archivpraxis in Deutschland und Italien, in: Mabillons Spur. Zweiundzwanzig Miszellen aus dem Fachgebiet für Historische Hilfswissenschaften der Philipps-Universität Marburg. Festschrift für Walter Heinemeyer, hg. von Peter Rück, Marburg 1992, 277–297. – Speziell zur Geschichte des kommunalen Archivwesens vgl. Ernst Pitz, Schrift und Aktenwesen der

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wenig systematisch erforscht ist, so liegen doch einzelne Spezialstudien vor, welche die Ansatzpunkte zumindest umreißen, etwa für den Bereich der Orden, Klöster und klosterähnlichen Einrichtungen31. Darstellungen zu kirchlichen Archiven ergeben sich meist aus Spezialuntersuchungen zu einzelnen Instituten, so etwa zu Kloster Pforta32. Die Archive der Bischöfe und ihrer Kurien33 sind auch für die kirchliche Ortsverwaltung von Interesse, da die für die Aufsicht über Pfarren und Klöster zuständigen Diözesanverwaltungen hier aufgipfelten. Zur Erfassung der Funktionen zwischen den archivisch-diplomatischen und ggf. auch kodikologischen Gegebenheiten einerseits und der Organisationsform der lokalen kirchlichen Verwaltung andererseits müssen diese Aspekte miteinander verknüpft werden: Dann kann der Befund der Archivsituation auf die Rekonstruktion der entsprechenden Hierarchiestufe angewendet und umgekehrt können die administrativen Strukturen als Provenienz des Schriftguts betrachtet werden. Bezogen auf die Erzdiözese Köln ist aufschlussreich zu sehen, wie sich im späten Mittelalter das Pfarrsystem rechtlich und tatsächlich entfaltete34. Parallel zur Kirchenverwaltung entwickelte sich das regionale Urkunden- und Ar-

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städtischen Verwaltung im Spätmittelalter. Köln – Nürnberg – Lübeck. Ein Beitrag zur vergleichenden Städteforschung und zur spätmittelalterlichen Aktenkunde, Köln 1959. – Raymund Kottje, Mittelalterliche Anfänge der Archivierung in niederrheinischen Städten, in: Bonn und das Rheinland. Beiträge zur Geschichte und Kultur einer Region, hg. von Norbert Schloßmacher, Manfred van Rey, Bonn 1992, 9–18. – Verwaltung und Schriftlichkeit in den Hansestädten, hg. von Jürgen Sarnowsky, Trier 2006. Vgl. Heinrich Meyer zu Ermgassen, Tempore capituli generalis. Frühe Beispiele ordensinterner Urkundstätigkeit bei den Zisterziensern, in: Archiv für Diplomatik 31 (1985), 351– 381. – Gerd Melville, Zur Funktion der Schriftlichkeit im institutionellen Gefüge mittelalterlicher Orden, in: Frühmittelalterliche Studien 25 (1991), 391–417. – Klaus Schreiner, Verschriftlichung als Faktor monastischer Reform. Funktionen von Schriftlichkeit im Ordenswesen des hohen und späten Mittelalters, in: Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen, hg. von Hagen Keller (Münstersche Mittelalter-Schriften, 65), München 1992, 37–75. – Nikolaus Staubach, Pragmatische Schriftlichkeit im Bereich der Devotio moderna, in: Frühmittelalterliche Studien 25 (1991), 418–461. Vgl. Harald Schieckel, Pertinenz und Provenienz in den alten Ordnungssystemen mitteldeutscher Stifts- und Klosterarchive, in: Archivar und Historiker. Studien zur Archivund Geschichtswissenschaft. Festschrift für Heinrich Otto Meisner, Berlin 1956, 89–106. Vgl. etwa Walter Scherzer, Die Anfänge der Archive der Bischöfe und des Domkapitels zu Würzburg, in: Archivalische Zeitschrift 73 (1977), 21–40. Vgl. Wilhelm Janssen, Das Erzbistum Köln im späten Mittelalter, Teil 1 (Geschichte des Erzbistums Köln, 2.1), Köln 1995, insb. 374–394. – Vgl. bereits zuvor Wilhelm Janssen, Zur Differenzierung der Pfarrorganisation in der spätmittelalterlichen Erzdiözese Köln, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 55 (1991), 58–83.

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chivwesen, hauptsächlich am Sitz und in der Kanzlei der Erzbischöfe35, zudem durch die Abgrenzung der Zuständigkeiten von Offizial, Weihbischof und Generalvikar36, dann aber in abgeleiteter Form auch auf der Ebene der Pfarren, wo sich die örtliche Verwaltung in zugegeben oft bescheidener Form manifestierte37. Die Pfarrarchive wirken gleichsam als Spiegel der lokalen kirchlichen Verwaltung und sind entsprechend geeignet, der lokalen kirchengeschichtlichenund kirchenrechtsgeschichtlichen Forschung zu dienen38. Das Propsteiarchiv Kempen bietet im Hinblick auf kirchenrechtliche Quellen im pragmatischen Kontext Anschauungsmaterial für den Bereich einer ländlichen Mittelpunktpfarrei. Das aus der Zeit vom Spätmittelalter bis in die Neuzeit zu einem hohen Prozentsatz noch erhaltene Material behandelt alle wesentlichen Facetten der Pfarrverwaltung, von den Seelsorgeaufgaben bis hin zur Vermögens- und Finanzverwaltung, von der Erhaltung der Gebäude bis zur Bewahrung der reichlichen Kunstschätze, die Anstellung des Personals vom Pfarrer über die Kapläne bis hin zum Küster oder bis zum Wirken der Vikare. Testamente und Stiftungen, Beschwerdebriefe und Eingaben, Visitationsprotokolle und Sitzungsniederschriften, Ernennungsurkunden und notarielle Grundstücksübertragungen – dieses und vieles mehr zeugt von der Aufgabenwahrnehmung der kirchlichen Lokalverwaltung, soweit sie in den inventarisierbaren Zeugnissen überliefert sind39: Die Aufgaben entsprechen dem Profil einer Pfarrei im Zusammenhang der niederrheinischen Kirchenstruktur, näherhin innerhalb des Archidiakonats Xanten und des Erzbistums Köln, sowie innerhalb der 35

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Vgl. Erich Wisplinghoff, Die Kanzlei der Erzbischöfe von Köln im 10. Jahrhundert, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 28 (1953), S. 41–63. – Wilhelm Janssen, Die Kanzlei der Erzbischöfe von Köln im Spätmittelalter, in: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung, 35), München 1984, 147–169. – Manfred Groten, Das Urkundenwesen der Erzbischöfe von Köln vom 9. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, in: Die Diplomatik der Bischofsurkunde vor 1250, hg. von Christoph Haidacher, Werner Köfler, Innsbruck 1995, 97–108. – Hans Fuhrmann, Das Urkundenwesen der Erzbischöfe von Köln im 13. Jahrhundert, Siegburg 2000. Vgl. Janssen, Erzbistum Köln, 336–373. – Vgl. früher Robert Haaß, Die Verwaltung des Erzbistums Köln im 12. und 13. Jahrhundert, in: Die Kirche. Ihre Ämter und Stände. Festschrift für Kardinal Josef Frings, hg. von Wilhelm Corsten u. a., Köln 1960, 434–440. Vgl. Wilhelm Janssen, Spätmittelalterliche Kirchenverwaltung und Pfarrseelsorge im Kölner Archidiakonat Xanten, in: Köln und die Niederrheinlande in ihren historischen Raumbeziehungen, hg. von Dieter Geuenich, Mönchengladbach 2000, 117–135. Vgl. Wilhelm Janssen, Bemerkungen zum Wert der Pfarrarchive für die historische Forschung, in: Pfarrarchive und Überlieferungsbildung (Beiträge zum Archivwesen der Katholischen Kirche Deutschlands, 7), Speyer 2003, 21–29. Vgl. Inventar der ältesten Akten des Propsteiarchivs Kempen, bearbeitet von Hanns Peter Neuheuser (Inventare nichtstaatlicher Archive, 37), Köln–Bonn 1995.

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kirchenrechtlich verankerten Zuständigkeiten. Das für unser niederrheinisches Fallbeispiel Kempen vorgelegte Inventar, das provisorische Handschriftenverzeichnis40 sowie die maschinenschriftlichen Findbücher des Akten- und Bibliotheksgutes belegen die bereits formulierte Arbeitshypothese: Man könnte das gesamte Kempener Pfarrschriftgut somit nach der oben vorgelegten Definition pauschal als pragmatische Kirchenrechtsquellen der örtlichen Ebene ansprechen. 4. Die erschließende Aufbereitung der Quellen und der begleitende Service der Archive ermöglichen allererst die Auswertung und historische sowie systematische Einordnung der Inhalte; soweit es sich um kirchenrechtsgeschichtlich relevante Quellen handelt, bezieht sich diese Aussage auf die historisch arbeitende Kanonistik. Durch entsprechende, über die archivische Arbeitsleistung hinausgehende Analysen wird es möglich, die handelnden Akteure zu identifizieren, ihre Intentionen zu erkunden, Einflüsse und Hintergründe zu erhellen, Dokumente miteinander in Bezug zu setzen, fehlende Informationen zu rekonstruieren, Handlungsergebnisse zu interpretieren und die Wirkungen zu verfolgen. Im Hinblick auf das Verhältnis von Normen und Pragmatik kann nunmehr kritisch geprüft werden, in welchem Umfang die Zielvorgaben einer kanonistischen Norm durch das Handeln der Instanzen erreicht wurden resp. aus welchen Gründen eben nicht. Da sowohl die Normen als auch die Pragmatik abstrakte Bezeichnungen für differenzierte Prozesse sind, kommt es darauf an, die Entwicklungen in kleinere Schritte zu zerlegen und insoweit die Dokumentenbasis offenzulegen: Damit ist unmittelbar die unterste Ebene der Einzelschriftstücke angesprochen, die sich bei unendlich vielen Einzelfragen als unverzichtbar erweist. Die historisch arbeitende Kanonistik ist also in einem sehr erheblichen Umfang auf die Auseinandersetzung mit einzelnen schriftlichen Quellen und auf das Funktionieren der zuständigen Archive angewiesen. Diese Feststellung negiert keinesfalls, dass es Fragestellungen gibt, welche ausschließlich oder zusätzlich auf andere, nämlich auf nichtschriftliche Geschichtszeugnisse zurückgreifen müssen, seien es auf archäologische Grabungsergebnisse oder kunsthistorische Forschungen41; auch die Kirchenrechtsgeschichte enthält entsprechende Aspekte kulturgeschichtlicher Dimension. Hinzuzufügen wäre zudem, dass die histo-

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Vgl. Inventar (wie vor) und Kurzverzeichnis der Handschriftensammlung im Propsteiarchiv Kempen, bearb. von Hanns Peter Neuheuser, in: Die Handschriften des Propsteiarchivs Kempen. Interdisziplinäre Beiträge, hg. von Hanns Peter Neuheuser, KölnWeimar-Wien 1999, 349–374. Vgl. die Problematisierung bei René Noël, Un moyen âge sans textes?, in: Fonti medioevali e problematica storiografica. Atti del congresso internazionale 1973, Band 2, Rom 1977, 85–116.

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risch arbeitende Kanonistik als theologische Disziplin immer auch zur Erforschung der Theologiegeschichte beiträgt. Die Bedeutung pragmatischer Quellen für die kirchenrechtsgeschichtliche Forschung – auch im Bereich der örtlichen kirchlichen Verwaltung – ist bereits seit einiger Zeit erkannt worden. In einer 2001 veranstalteten Ausstellung konnten entsprechende Geschichtszeugnisse als „Schätze des Alltags“ präsentiert werden42. Die zugehörige Publikation ist freilich keine Dokumentation der archivarischen Arbeit und beschreibt die Quellen auch keineswegs in ihrem organischen Zusammenhang, sondern als ausgesuchte, auch optisch attraktive Einzelstücke innerhalb einer „Zimelienschau“. Indes handelt es sich bei dieser Präsentation um eine historische Zugangsmöglichkeit, welche, das Interesse einer breiten Öffentlichkeit bedienend, nur wenige kanonistische Dokumente von Bedeutung aufführt, immerhin die Urkunden über die Bistumsgründungen von Brandenburg (948) und Fulda (1829). Insbesondere wurde aber seitens der Forschung die Aussagekraft pragmatischer Texte für die Analyse administrativer und wirtschaftlicher Aspekte der Kanonistik in ihren Zusammenhängen betont. Es brauchen nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen genannt zu werden, welche die Aufgabenvielfalt der lokalen kirchlichen Hierarchieebene und die vorstehenden Zusammenhänge um die pragmatischen Gegebenheiten anhand der Quellensituation systematisch erläutert haben43. Grenzen und Möglichkeiten der Historik, kirchenrechtlich relevante Quellen auszuwerten und für die Lokal- und (kirchliche) Rechtsgeschichte nutzbar zu machen, können ebenfalls durch Beispiele bereits publizierter Forschungen zu unserem Kempener Fallbeispiel veranschaulicht werden. Hierzu gehören Untersuchungen, welche Schriftdokumente aus der kirchlichen Exekutive behandeln, etwa die oben genannten Maßnahmen um die Besetzung eines Kapellenrektorats44 und zu dem Privatbrief Dailmanns in Bezug auf die Ablassurkunde45, aber

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Vgl. Schätze als Alltag. Dokumente aus kirchlichen Archiven und Bibliotheken, hg. von Jochen Bepler u. a., Regensburg 2001. Vgl. etwa Wolfgang Schöller, Die rechtliche Organisation des Kirchenbaues im Mittelalter vornehmlich des Kathedralbaues. Baulast, Bauherrenschaft, Baufinanzierung, KölnWien 1989, speziell 345–359. – Werner Freitag, Pfarrer, Kirche und ländliche Gemeinschaft. Das Dekanat Vechta 1400–803, Bielefeld 1998, etwa 59–62, 242–252, vgl. auch 341–342. – Zu unserer Fragestellung von besonderer Bedeutung ist Arnd Reitemeier, Pfarrkirchen in der Stadt des späten Mittelalters. Politik, Wirtschaft und Verwaltung, Wiesbaden 2005. Vgl. Hanns Peter Neuheuser, Ämterhandel und Laienkollation am Niederrhein. Der Streit um die Besetzung der Kapelle zu St. Hubert, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte kan. Abt. 80 (1994), 249–280.

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auch in Bezug auf die Projekte der Translozierung von Altären46 oder hinsichtlich des ebenfalls erwähnten Streits um das Eigentum am Kirchhof47. Des Weiteren liegen bereits einige wenige Forschungen zu normativen Texten aus dem Kempener Propsteiarchiv vor, so zum Dionysio-Hadriana-Fragment48 und zu Fragmenten aus zwei dekretalistischen Handschriften49. Gerade die beiden letztgenannten Arbeiten erörtern zudem die Problematik der inhaltlichen und formalen Überlieferungsgeschichte solcher Fragmente, thematisieren also auch methodologische Aspekte der Erschließung. Auf diese Weise wird deutlich, dass die Forschungen zu Einzeldokumenten – hier anhand kirchenrechtlicher Bezüge aufgewiesen – die rechtliche Facette umfassenderer Darstellungen beleuchten können und neben der Erörterung der literarischen Textgeschichte auch zu einer ganzheitlichen Perspektive auf die lokale Geschichte beitragen: Kirchenrechtsgeschichte im Dienste der Kirchengeschichte. Im Hinblick auf unser Kempener Fallbeispiel heißt dies, dass augenscheinlich die bisher vorgelegten Überblicke über die kirchliche Lokalgeschichte dieser niederrheinischen Pfarre50 auch immer Beiträge zur Kirchenrechtsgeschichte des Raumes verkörperten. Diese Bezüge an Beispielen zu verdeutlichen, ist Aufgabe auch des vorliegenden Bandes. Dieser gruppiert kirchenrechtsgeschichtliche Aufsätze zu drei Komplexen: Einleitend werden Stellenwert und Bedeutung der einschlägigen Quellen aus den Perspektiven der juristischen, geschichtswissenschaftlichen und kanonistischen Forschung angeboten. In einem zweiten Komplex finden sich Beiträge zu einzelnen Dokumenten vom Mittelalter bis zur Neuzeit; Aufgabe dieser Aufsätze ist es, die unterschiedlichen Herangehensweisen bei der Präsen45

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Vgl. Hanns Peter Neuheuser, Der illuminierte Ablassbrief zugunsten der Kempener Pfarrkirche, in: Campunni – Kempen. Geschichte einer niederrheinischen Stadt, Band 2, hg. von Friedhelm Weinforth, Viersen 1993, 35–66. Vgl. Hanns Peter Neuheuser, Zur Restaurierung und Translozierung der Altäre in der Kempener Pfarrkirche. Rechnungsbelege und liturgierechtliche Verfügungen als Quellen der Restaurierungsgeschichte, in: Quellen und Beiträge I, 27–48. Vgl. Hans Günter Heesen, Vom Kirchhof zum Kirchplatz. Der Eigentumsstreit um den Kempener Kirchplatz als rechtsgeschichtliche Quelle, in: Quellen und Beiträge I, 49–63. Vgl. Hanns Peter Neuheuser, Das Kempener Fragment einer Dionysio-Hadriana aus dem 10. Jahrhundert als Aufgabe der kirchenrechtsgeschichtlichen Forschung, in: Quellen und Beiträge I, 81–119. Vgl. Joachim Vennebusch, Fragmente aus zwei dekretalistischen Handschriften im Propsteiarchiv Kempen. Beschreibung und Hinweise zur Methode der Fragmentbearbeitung, in: Quellen und Beiträge aus dem Propsteiarchiv Kempen, hg. von Hanns Peter Neuheuser, Band 2, Köln–Wien–Weimar 1998, 141–171. Vgl. Wilhelm Janssen, Pfarre und Pfarrgemeinde Kempen im Mittelalter, in Campunni (wie oben), 9–33. – Hanns Peter Neuheuser, Grundriss der Kempener Kirchengeschichte, Köln–Bonn 1995.

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tation und Interpretation der Quellen aufzuzeigen. In einer letzten Gruppe wird die Aktualität kirchenrechtsgeschichtlicher Texte und die Relevanz für die moderne Kanonistik bezeugt. Auf diese Weise belegen die Bearbeiterinnen und Bearbeiter ihr spezielles Interesse an den mit den Quellen verbundenen Fragestellungen, bringen ihre ureigene Kompetenz zur Erhellung der Hintergründe der Texte ein und arbeiten doch an dem gemeinsamen Ziel, nämlich, den Weg vom kanonistischen Alltagsdokument bis zur Erweisung seiner Aussagekraft als kirchenrechtsgeschichtliche Quellen nachzuverfolgen. Hiermit ist auch für künftige Untersuchungen – speziell im Bereich der lokalen kirchlichen Administration – eine ergiebige Forschungsperspektive aufgezeigt.

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H Han nns P Peterr Neeuheeuserr

Abb b. 1.. Fraagm mentt ein ner Dio D nysiio-H Hadrrian na-H Hand dsch hriftt dess 100. Jahrhund dertss aus dem mP Prop psteiarch hiv Kem K mpeen (P PAK K, H 411) (F Foto o: Kurt K Lüb bke,, Keemp pen)..

Kaanon nistikk, Prragm matikk, Arrchivvistik, H Histo orik

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Abb. 2. Frag F gmeent eeiner Beernaarduus-P Paviaa-Haanddschrrift der Zeiit um m 12000 auss deem Pro opsteiarrchivv Keemp pen (PA AK, AA A 50, foll. 1rr) (F Foto o: Kurt K Lüb bke,, Keempen)..

H A N S -J Ü R G E N B E C K E R

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen für die rechtswissenschaftliche Forschung

1. Rechtsgeschichtliche Forschung als Grundlagenforschung Ein Fach „Rechtsgeschichte“ wurde an den alten Rechtsfakultäten Europas bis ins 18. Jahrhundert hinein nicht gelehrt. In der Fakultät der Juristen - neben der theologischen und der medizinischen eine der drei höheren Fakultäten - arbeitete man vorwiegend mit Rechtsquellen, die zwar Jahrhunderte alt waren und die bereits in Bologna, wo die moderne Rechtswissenschaft seit etwa 1100 ihren Anfang genommen hatte, Gegenstand des Unterrichts waren: mit den Büchern des Corpus Iuris Civilis und des Corpus iuris canonici. Eine Beschäftigung mit der Geschichte dieser Quellen erschien damals nicht erforderlich. Erst im Zeitalter des Humanismus setzten im 15. und 16. Jahrhundert Reflexionen über die Herkunft und die Überlieferung jener Rechtsquellen ein, mit denen man bislang unbefangen gearbeitet hatte. Doch darf man diese neue textkritische Ausrichtung nicht überschätzen. Mit Recht stellte bereits Karl Heinz Burmeister fest, „dass die Veränderungen, die der Humanismus für das Studium der Rechts gebracht hat, niemals so stark gewesen sind, dass dadurch die Schöpfungen eines Bartolus oder Baldus in Frage gestellt worden wären“1. Eine stärkere Hinwendung zur Erforschung der Geschichte der Rechtsquellen ist in jener Epoche zu beobachten, als die Lehre vom ius publicum an den Rechtsfakultäten heimisch wurde. Als einer der ersten hat sich Hermann Conring (1606-1681) der origo der Rechtsquellen zugewandt. Diesem Gelehrten ging es aber nicht um „Rechtsgeschichte“ in einem Sinn, wie dies die Historische Rechtsschule im 19. Jahrhundert verstanden hatte. Conring sollte deshalb auch nicht als „Begründer der deutschen Rechtsgeschichte“ bezeichnet werden2. Ihm, der von der Urkundendiplomatik her dachte, ging es darum, die Ursprünge und Grundlagen der salus publica herauszuarbeiten. Dazu bedarf es aber nach Conring nicht der genauen Kenntnis von irgendwelchen Rechtsregeln aus dem römischen oder dem kanonischen Recht, sondern es kommt auf die Kenntnis der antiqua monumenta und 1 2

Karl Heinz Burmeister, Das Studium der Rechte, Wiesbaden 1974, 2. So aber schon Otto Stobbe, Hermann Conring, der Begründer der deutschen Rechtsgeschichte, Berlin 1870. Vgl. auch Alberto Jori, Hermann Conring (1606-1681), der Begründer der deutschen Rechtsgeschichte, Tübingen 2006.

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damit verbunden auf die Analyse der origo iuris an, also auf die Erforschung des Rechtsgrundes, auf denen der Staat beruht3. Mit der von Friedrich Karl von Savigny (1779–1661) und Karl Friedrich Eichhorn (1781–1854) begründeten Historischen Rechtsschule gewinnt die Erforschung der Geschichte des Rechts in Deutschland einen neuen Stellenwert. Im Vordergrund steht hier die Gewinnung eines in sich stimmigen Rechtssystems. An Stelle einer Kodifikation soll das geltende Recht mit Hilfe der Historischen Rechtswissenschaft entwickelt werden. Als Zweig dieser neuen Rechtswissenschaft ist auch die Wissenschaft der deutschen Rechtsgeschichte entstanden4. Die späteren Häupter der Historischen Rechtsschule haben in der Folge ein System des Pandektenrechts – unter Einbeziehung auch des rezipierten kanonischen Rechts - entwickelt, das für viele Jahrzehnte die Ausbildung der Juristen in Mitteleuropa dominierte. Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Jahre 1871 öffnete sich dann der Weg zur Schaffung moderner nationalstaatlicher Kodifikationen. Damit verlor die Pandektenwissenschaft, insbesondere nach dem Inkrafttreten des BGB am 1.1.1900, ihre ursprüngliche Bedeutung. Was blieb und eine neue Funktion einnahm, war die Wissenschaft der Rechtsgeschichte: Von nun an ist sie nicht mehr ein Teil der Lehre des geltenden Rechts, sondern wird – ähnlich wie die Rechtssoziologie und die Rechtsphilosophie – ein Fach, das versucht, über die Grundlagen der Rechtsordnung Rechenschaft abzulegen. Gerade in einer Zeit, wo die Rechtswissenschaft sehr positivistisch ausgerichtet war, nahm die Rechtsgeschichte als Wissenschaftsgeschichte eine wichtige Kontrollfunktion ein. Sie war und ist nicht etwa darauf beschränkt, dem Juristen historische Argumente zu liefern, sondern übt eine kritische Kontrollfunktion aus. Sie stellt sich dar als Normen-, Dogmen- und Wissenschaftsgeschichte. Seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert kommt der Rechtsgeschichte noch eine weitere Aufgabe zu. In einer Zeit, in der die Europäische Gemeinschaft schon viele europäische Staaten umfasst und der Erweiterungsprozess noch nicht abgeschlossen ist, sind die Forderungen, die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten stärker anzugleichen, sehr verständlich. Die Forderung, eine völlig neue Kodifikation des europäischen Rechts zu schaffen, dürfte aber utopisch sein. Umso wichtiger ist es, den Versuch zu wagen, die europäische Rechtsangleichung durch Rückbesinnung auf die gemeinsamen historischen Wurzeln voranzutreiben5. Diese historischen Wurzeln finden sich im ius commune, das 3 4 5

Hans-Jürgen Becker, Diplomatik und Rechtsgeschichte, in: Hermann Conring (1606– 1681). Beiträge zu Leben und Werk, hg. von Michael Stolleis, Berlin 1983, 335–353. Vgl. nur Karl Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte, Band 1: Bis 1250, 13. Auflage Köln u. a. 2008, 1–3. Hierzu insbesondere Reinhard Zimmermann, Das römisch-kanonische Ius Commune als Grundlage europäischer Rechtseinheit, in: Juristenzeitung 47 (1992), 8–20. – Vgl. auch

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einige Jahrhunderte die Rechtsordnungen der Königreiche und Republiken Europas bestimmt hat. Das ius commune ist die Grundlage des europäischen Rechts.

2. Die Funktion des kanonischen Rechts für das ius commune Es ist allgemein bekannt, dass das mittelalterliche ius commune im Zusammenwirken von römischem und kanonischem Recht entstanden ist, wobei in den Werdeprozess des „Gemeinen Rechts“ am Rande auch Elemente des Gewohnheits- und des Lehnrechts aufgenommen worden sind. Der erhebliche Anteil des kanonischen Rechts wird jedoch heute leider nicht immer genügend berücksichtigt. Als Beleg für diese Einengung des historischen Blickfeldes mag eine moderne, vielbändigen Enzyklopädie dienen, wo man als Definition des Faches „Rechtsgeschichte“ den Satz liest: „Institutionell zählt die Rechtsgeschichte zur Rechtswissenschaft. Kennzeichnend ist die klassische Aufteilung in deutsche und römische Rechtsgeschichte“6. Weder wird hier die kirchliche Rechtsgeschichte erwähnt noch findet sich etwa ein Verweis auf das Stichwort „Kanonisches Recht“. Diese Ausblendung des kirchlichen Anteils an der Rechtsgeschichte ist symptomatisch. Dabei sollte jedem bewusst sein, dass die Entwicklung eine ius commune in Europa ohne den Beitrag des kirchlichen Rechts nicht denkbar ist. .Auf diesen Missstand ist häufig hingewiesen worden Zu nennen ist hier insbesondere Hans Liermann (1883-1976). Bereits 1955 hatte er sich diesem Thema gewidmet7. In einem Festvortrag anlässlich des 500. Gründungstages der Universität in Freiburg im Breisgau griff er 1957 dieses Thema erneut auf und führte aus: „Das kanonische Recht [...] ist nicht nur ein historisches Recht, das einmal geblüht hat, nur noch Vergangenheit ist und Gegenstand gelehrter historischer Forschung sein kann. Das ist es auch. Aber es wirkt zugleich noch heute in unzähligen Verästelungen und Ausstrahlungen und ist in dieser

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Reinhard Zimmermann, Savignys Vermächtnis. Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und die Begründung einer europäischen Rechtswissenschaft, in: Norm und Tradition, hg. von Pio Caroni, Gerhard Dilcher, 1998, 281–320. ― Wolfgang Ernst, Kanonisches Recht in Savignys „System“, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 127 (Kanonistische Abteilung 96) 2010, 275–313. Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Band 18, 19. Auflage, 1992, 150. Hans Liermann, Das kanonische Recht als Gegenstand des gelehrten Unterrichts an den protestantischen Universitäten Deutschlands in den ersten Jahrhunderten nach der Reformation, in: Studia Gratiana 3 (1955), 541–566 [Nachdruck in: Hans Liermann, Der Jurist und die Kirche, hg. von Martin Heckel, Klaus Obermayer und Dietrich Pirson (Ius ecclesiasticum, 17), 1973, 108–131].

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Gestalt unentbehrlich“8. Leider kann man nicht sagen, dass sich auf Grund dieser Hinweise die Sichtweise entscheidend geändert hätte. Immer wieder wurde und wird auf das bleibende Defizit in der Wahrnehmung des Beitrags des kanonischen Rechts zur europäischen Rechtskultur hingewiesen9. So richtig es ist, die Bedeutung des kanonischen Rechts für die Entwicklung des ius commune zu betonen, so sollte nicht außer Acht bleiben, dass der Erfolg des Gemeinen Rechts nur dem Zusammenwirken beider Rechte, der Durchdringung von ius canonicum und ius civile, zu verdanken war. Eine einseitige Beschränkung nur auf die leges oder nur auf die canones reicht nicht aus, wie schon die mittelalterlichen Rechtssprichwörter andeuten: „Legista sine canonibus rarum valet, canonista sine legibus nihil“10 oder „Purus canonista, magnus asinista“11 oder „Ius canonicum et civile sunt adeo connexa, ut unum sine altero vix intelligi possit“12. Die Frage, wie die beiden Rechtsbereiche von einander zu abzugrenzen seien, spielte schon im Spätmittelalter eine Rolle, doch wurde diese Frage in der Reformationszeit und in der Epoche der Aufklärung immer nachdrücklicher gestellt13. Dennoch muss man sehen, dass die Bedeutung der kirchlichen Rechtsquellen und des kanonischen Rechts auch in Ländern der Reformation beachtlich geblieben ist14. 8 9

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Hans Liermann, Das kanonische Recht als Grundlage europäischen Rechtsdenkens, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 6 (1957/58), 37–51, insbes. 50 f. Gerhard Göbel, Der Beitrag des Kanonischen Rechts zur Europäischen Rechtskultur, Archiv für katholisches Kirchenrecht 159 (1990), 19–37. – Peter Landau, Der Einfluß des Kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, in: Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte, hg. von Reiner Schulze, Berlin 1991, 39–57. – Axel von Campenhausen, Christentum und Recht, in: Christentum und europäische Kultur, hg. von Peter Antes, Freiburg u. a. 2002, 96–115. – Der Einfluß der Kanonistik auf die europäische Rechtskultur, hg. von Orazio Condorelli u. a., Band 1: Zivil- und Zivilprozeßrecht (Norm und Struktur, 37), Köln u. a. 2009. Friedrich Merzbacher, Die Parömie „Legista sine canonibus parum valet, canonista sine legibus nihil“, in: Studia Gratiana 13 (1967), 275–282. Angeblich von Cinus de Pistoia (geg. um 1270) stammend wird diese Redensart auch noch von Martin Luther zitiert: „Ein grosser Kanonist – ein grosser Esel ist“; vgl. Deutsches Sprichwörter-Lexikon, hg. von Karl Friedrich Wilhelm Wander, Band 2, Leipzig 1870 (Nachdruck Darmstadt 1977), 1131. Durch Ersetzung des Wortes „purus (reiner)“ durch „magnus (grosser)“ wird die Redensart polemisch umgeformt. Nachweise bei Winfried Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte der Frührezeption, Wiesbaden 1962, 24. – Vgl. hierzu auch Karl Kroeschell, Albrecht Cordes u. Karin Nehlsen-von Stryk, Deutsche Rechtsgeschichte, Band 2: 1250–1650, 9. Auflage Köln u. a. 2008, 12–14. Udo Wolter, Ius canonicum in iure civili. Studien zur Rechtsquellenlehre in der neueren Privatrechtsgeschichte im Rahmen der europäischen Rechtsentwicklung, Köln u. a. 1975, 91–128. Rudolf Schäfer, Die Geltung des kanonischen Rechts in der evangelischen Kirche Deutschlands von Luther bis zur Gegenwart. Ein Beitrag zur Geschichte der Quellen, der

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3. Die Bedeutung der kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen und der kanonistischen Wissenschaft für die Entwicklung des öffentlichen Rechts und des Strafrechts Zunächst soll kurz dargelegt werden, auf welchen Ebenen das kanonische Recht auf das Verfassungsrecht eingewirkt hat. So beruhte die Verfassung des Heiligen Römischen Reiches – bei einer grundsätzlichen Trennung der Gewalten – auf einer engen Beziehung von ecclesia und regnum. Dass dieses schwierige Mit- und Nebeneinander funktionsfähig war, ging nicht zuletzt auf Rechtsquellen zurück, die man dem Bereich der Kirche zurechnen kann. Am Anfang standen die Verabredungen im Vordergrund, die das so genannte karolingisch-ottonischen Reichskirchensystems gestaltet hatten. Es folgten die rechtlichen Regelungen in den Konkordaten, angefangen vom Wormser Konkordat (1122), über die am Endes des Konstanzer Konzils abgeschlossenen nationalen Konkordate des Jahres 1418 bis zum Wiener Konkordat von 1448, das dann zu den Reichsgrundgesetzen gezählt worden ist15. Auch noch das kirchliche Reichsrecht des 17. und 18. Jahrhunderts verdankt viele seiner rechtlichen Institutionen dem kanonischen Recht16. Darüber hinaus aber sind überall in Europa wesentliche Elemente der Lehre von der Repräsentativverfassung, Normierungen des Wahlrechts und insbesondere die Theorie des Mehrheitsprinzips durch das kanonische Recht geprägt worden17. Das Gleiche lässt sich vom Völkerrecht, also insbesondere über das Recht des Krieges und des Friedens, sagen18.

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Literatur und der Rechtssprechnung des evangelischen Kirchenrechts, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 36 (Kanonistische Abteilung 5), 1915, 165–413. – Richard H. Helmholz, Roman canon law in reformation England, Cambridge 1990. – Canon Law in Protestant Lands, hg. von Richard H. Helmholz, Berlin 1992. Wilhelm Bertrams, Der neuzeitliche Staatsgedanke und die Konkordate des ausgehenden Mittelalters, Rom 1942. – Andreas Meyer, Das Wiener Konkordat von 1448 – eine erfolgreiche Reform des Spätmittelalters, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 66 (1986), 108–152. Zum Reichskirchensystem vgl. etwa Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 4. Auflage Köln u. a. 1964, 233–253. – Zum staatskirchenrechtlichen System des Alten Reiches in der Neuzeit grundlegend Martin Heckel, Staat und Kirche nach den Lehren der evangelischen Juristen Deutschlands in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Ius ecclesiasticum, 6), München 1968, 14–72 und zur Rolle des kanonischen Rechts in diesem System insbesondere 35–43. Hierzu etwa Brian Tierney, Medieval Canon Law and Western Constitutionalism, in: Catholic Historical Review 52 (1966), 1–17. – Brian Tierney, Religion, Law and the Growth of Constitutional Thougt 1150–1160, Cambridge 1982. – Peter Landau, Der Einfluß des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, in: Europäische Rechtsund Verfassungsgeschichte. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, hg. von Reiner Schulze, Berlin 1991, 39–57, insbes. 49 ff. – Théologie et droit dans la science politique

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Auch im Strafrecht ist die Rolle, die das kanonische Recht bei der Ausbildung der modernen Dogmatik gespielt hat, in den letzten Jahrzehnten deutlicher geworden, obgleich hier noch viel für die Forschung zu tun bleibt19. Sehr bedeutsam sind die Anregungen, die für die Ordnung des gerichtlichen Verfahrens vom kirchlichen Recht ausgegangen sind20. Dies gilt z.B. für die Entwicklung des Inquisitionsprozesses21, für die Fragen des Beweisrechts22, die Herausbildung der Appellation als Rechtsmittel23 und für die Fixierung von grundsätz-

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de l'État moderne, hg. von der École Française de Rome (Collection de l’École Française de Rome, 147), Rom 1991. – Piero Bellini, Influenze del diritto canonico sul diritto pubblico europeo, in: Diritto canonico e comparazione, hg. von Bertolino, Turin 1992, 35– 88. – Alexander Glomp, Sententia plurimorum. Das Mehrheitsprinzip in den Quellen des kanonischen Rechts und im Schrifttum der klassischen Kanonistik, Köln u. a. 2008. James Muldoon, A Canonistic Contribution to the Formation of International Law, in: Canon Law, the Expansion of Europe, and World Order, hg. von James Muldoon, Aldershot 1998, 265–279. – James Muldoon, The Contribution of the Medieval Canon Lawyers to the Formation of International Law, in: Canon Law, the Expansion of Europe, 483–497. – Markus Schrödl, Das Kriegsrecht des Gelehrten Rechts im 15. Jahrhundert. Die Lehren der Kanonistik und der Legistik über De bello, de represaliis et de duello, Hamburg 2006. Sehr anregend war Stephan Kuttner, Kanonistische Schuldlehre von Gratian bis auf die Dekretalen Gregors IX., Vatikanstadt 1935 (Nachdruck 1973). – Vito Piergiovanni, La punibilità degli innocenti nel diritto canonico dell'età classica, Mailand 1971. – Jean-Marie Carbasse, Introduction historique au droit pénal, Paris 1990, insbesondere 164 ff. – Nunmehr grundlegend Lotte Kéry, Kirchenrechtliche Grundlagen des öffentlichen Strafrechts, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 122 (Kanonistische Abteilung 91) (2005), 128–167. – Lotte Kéry, Gottesfurcht und irdische Strafe. Der Beitrag des mittelalterlichen Kirchenrechts zur Entstehung des öffentlichen Strafrechts, Köln u. a. 2006. Knut Wolfgang Nörr, Kanonisches Recht und modernes Gerichtsverfahren aus der Distanz eines ausgehenden Jahrtausends, in: Festschrift für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen 1999, 197–205. Dietrich Oehler, Zur Entstehung des strafrechtlichen Inquisitionsprozesses, in: Gedächtnisschrift für Hilde Kaufmann, hg. von Hans Joachim Hirsch u. a., Berlin 1986, 847–861. – Winfried Trusen, Der Inquisitionsprozeß. Seine historischen Grundlagen und frühen Formen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 105 (Kanonistische Abteilung 74) (1988), 168–230. Harold J. Berman, Recht und Revolution. Die Bildung der westlichen Rechtstradition, Frankfurt am Main 1991, 405 ff. Joseph R. Strayer, On Medieval Origins of the Modern State, Princeton 1973 (deutsche Übersetzung unter dem Titel: Die mittelalterlichen Grundlagen des modernen Staates, Köln u. a. 1975). – Antonio Padoa-Schioppa, Note sul ruolo del diritto canonico e sulla storiografia giuridica, in: Die Bedeutung des kanonischen Rechts für die Entwicklung einheitlicher Rechtsprinzipien, hg. von Heinrich Scholler, Baden-Baden 1996, 49–80, insbesondere 71 f.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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lichen Prozessmaximen, z.B. Vermutung der Unschuld, oder Gewährung des rechtlichen Gehörs24. Gerade das jeweils im zweiten Buch von Liber Extra und Liber Sextus kodifizierte Prozessrecht war für Jahrhunderte nicht nur im kirchlichen, sondern auch im weltlichen Bereich unentbehrlich geworden und bewirkte, dass auch noch nach der Reformation das kanonische Recht zumindest in Teilen seine Gültigkeit in nahezu allen Ländern Europas behielt25.

4. Die Bedeutung der kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen und der kanonistischen Wissenschaft für die Entwicklung des Zivilrechts Welche Bedeutung das kanonische Recht auch für die Entwicklung privatrechtlicher Institute hatte, wurde in den Lehrbüchern der deutschen Privatrechtsgeschichte lange ausgeklammert. Die enge Orientierung an den nationalen Kodifikationen und eine weit verbreitete ideologische Befangenheit der rechtsgeschichtlichen Forschung des 19. und auch noch des 20. Jahrhunderts in einem mehr oder minder stark ausgeprägten Nationalismus führte überall in Europa und ganz besonders in Deutschland zu einer Betrachtung der jeweiligen Privatrechtsgeschichte, in der kirchliche Einflüsse auf das heimische Recht weitgehend ausgeblendet wurden. Immerhin hat das Reichsgericht in Leipzig in der Zeit vor Inkrafttreten des BGB im Rahmen seiner auf dem Gemeinen Recht beruhenden Rechtsprechung auch kirchenrechtliche Quellen herangezogen26. Es bleibt jedoch das große Verdienst von Winfried Trusen (1924-1999), die Defizite dieser Wissenschaftsrichtung deutlich aufgezeigt zu haben27. Während die Autoren der Privatrechtsgeschichte seitdem von einem ius commune ausgehen, das auf der Grundlage des römischen und des kanonischen Rechts gewachsen ist und das die Grundlage einer einheitlichen europäischen Rechtswissenschaft 24

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Hierzu vor allem Kenneth Pennington, The Prince and the Law 1200–1600. Sovereignty and Rights in the Western Legal Traditions, Berkeley 1993. – Kenneth Pennington, Due Process, Community and the Prince in the Evolution of the „ordo iudiciarius“, in: Rivista Internazionale di Diritto Comune 9 (1998), 9–47. – Hans-Jürgen Becker, Das rechtliche Gehör. Der Beitrag des kanonischen Rechts zur Entstehung einer grundlegenden Maxime des modernen Prozeßrechts, in: Zur Erhaltung guter Ordnung. Festschrift für Wolfgang Sellert, Köln u. a. 2000, 67–83. Karl Heinz Burmeister (wie Anm. 1), 89–96. – Canon Law in Protestant Lands, hg. von Richard H. Helmholz, Berlin 1992. Nachweise der Quellen zum Kanonischen Recht: Generalregister zum 1. bis zum 30. Bande der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen, Leipzig 1893, 893; Generalregister zum 31. bis zum 40. Bande, Leipzig 1899, 608; Generalregister zum 41. bis zum 50. Bande, Leipzig 1902, 622. Winfried Trusen, Anfänge des gelehrten Rechts in Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte der Frührezeption, Wiesbaden 1962.

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bilden kann28, sucht man in den Darstellungen des aktuellen Privatrechts in aller Regel noch immer vergeblich nach Hinweisen auf Zusammenhänge zwischen den modernen Institutionen und dem römisch-kanonischen Recht29. Im Folgenden können nur einige Andeutungen zu den Verbindungslinien gemacht werden, wobei in methodischer Hinsicht zu beachten ist, dass die Zielvorstellungen des kirchlichen Rechts, das durch die Sorge um die salus animae bestimmt ist, und die des modernen weltlichen Rechts, das die Rechte des Individuums in einer liberalen und säkularen Gesellschaft sichern will, sehr unterschiedlich sind30. Im Personenrecht ist die Frage der so genannten Rechtsfähigkeit (vgl. § 1 BGB) von grundlegender Bedeutung. Im Hinblick auf die Rechte einer natürlichen Person hat sich der Gedanke, dass jeder Mensch kraft seiner angeborenen Würde berufen ist, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, erst in der Zeit der Aufklärung wirklich durchsetzen können31. Der Einfluss der Kirche ist hier eher gering einzuschätzen. Das römisch-kanonische Recht hat allerdings die Rechtsstellung der Sklaven, wie die Glossen zeigen, teilweise deutlich verbessern können32. Wenn Eike von Repgow in seinem Sachsenspiegel unter Berufung auf die Gottesebenbildlichkeit des Menschen Kritik an der Rechtsauffassung seiner Zeit äußert und feststellt, „nach rechter Wahrheit hat Unfreiheit ihren Ursprung in Zwang und Gefangenschaft und unrechter Gewalt, die man seit alters zu unrechter Gewohnheit hat werden lassen und die man nun als Recht haben möchte“, so dürfte er diese 28

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Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Band 1: Älteres Gemeines Recht (1500 bis 1800), München 1985, 7–42. – Manlio Bellomo, L'Europa del diritto comune, 8. Auflage 1998 [deutsche Übersetzung: Europäische Rechtseinheit: Grundlagen und System des Ius Commune, München 2005]. Bezeichnend ist etwa das im Übrigen so kenntnisreiche Werk von Gustav Boehmer, Grundlagen der Bürgerlichen Rechtsordnung, 3 Bände, Tübingen 1950–1952, das Begriffe wie „Kanonisches Recht“ oder „Kirchenrecht“ nicht einmal nennt. – Eine vorläufige Orientierung zum Einfluss des kanonischen Rechts auf die nationalen Rechtsordnungen bieten für das englische Recht Richard H. Helmholz, Canon Law and English Common Law, London 1983. – Richard H. Helmholz, Canon Law and the Law of England, London 1987. – Für das französische Recht vgl. Anne Lefebvre-Teillard, Le droit canonique et la formation des grands principes du droit privé français, in: Scholler (wie Anm. 23), 9– 22. – Für das deutsche Recht geben erste Informationen Gerhard Wesenberg, Gunter Wesener, Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte im Rahmen der europäischen Rechtsentwicklung, 4. Auflage Köln u. a. 1985. – Udo Wolter (wie Anm. 13), 10–19. Zu dieser Problematik grundlegend Knut Wolfgang Nörr, Il contributo del diritto canonico al diritto privato europeo, in: Bertolino (wie Anm. 17), Riflessioni dal punto di vista della identificazione del concetto di diritto, 13–33. Thomas A. Roth, Ausgestaltungen der Rechtsfähigkeit im 19. und 20. Jahrhundert (Rechtshistorische Reihe, 367), Frankfurt am Main u. a. 2008. Vgl. Coing (wie Anm. 28), 167 ff. und 195 ff. – Hans Carl Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Band I, 1. Halbband, 15. Auflage Tübingen 1959, 477–479.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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kritische Sicht dem Besuch einer kirchlichen Schule verdanken, an der vermutlich auch ein rudimentärer Rechtsunterricht erteilt worden ist33. Besonders wichtig für die Entwicklung der Lehre von der Rechtsfähigkeit der natürlichen Person war der Beitrag des Francisco de Vitoria, der in seinem Werk De Indis recenter inventis von 1539 energisch dafür eintrat, dass auch Heiden und Ungläubige, nämlich die Eingeborenen Amerikas, ebenso wie unmündige Kinder und Unzurechnungsfähige fähig seien, Eigentum an ihren Besitzungen zu haben34. Die Vertreter der spanischen Spätscholastik haben den Lehrern des aufgeklärten Naturrechts auch auf diesem Gebiet den Weg bereitet. Es ist allerdings auf der anderen Seite nicht zu übersehen, dass auch das Kirchenrecht viele Einschränkungen der Rechtsfähigkeit hingenommen und bis in die neueste Zeit tradiert hat. Hier haben erst die Kodifikationsbewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts jene Schranken endgültig beseitigt, die im Hinblick auf den Status der Person mit der Religionszugehörigkeit, dem Eintritt in eine kirchliche Gemeinschaft und durch die Ablegung von Ordensgelübden gegeben waren35. Besonders deutlich ist der Einfluss des kanonischen Rechts auf die Entwicklung der Juristischen Person. Die beiden Modelle des BGB, nämlich der rechtsfähiger Verein (§§ 21 ff., 55 ff. BGB) als Vereinigung von Personen und die Stiftung des Privatrechts (§§ 80 ff. BGB) als verselbständigte Vermögensmasse, verdanken viele Elemente ihrer dogmatischen Konstruktion den Lehren der mittelalterlichen Juristen36. Die Gedankenwelt der mittelalterlichen Kanonistik 33 34

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Eike von Repgow, Der Sachsenspiegel, hg. von Clausdieter Schott, Zürich 1984, 191 (Landrecht III 42). Franciscus de Victoria, De Indis recenter inventis et De iure belli Hispanorum in Barbaros relectiones, hg. von Walter Schätzel (Klassiker des Völkerrechts, 2), Tübingen 1952, 29 ff. – Vgl. hierzu Hans-Jürgen Becker, Die Stellung des kanonischen Rechts zu den Andersgläubigen: Heiden, Juden und Ketzer, in: Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, hg. von Ludger Grenzmann u. a., Berlin u. a. 2009, 101–123, insbesondere 120 ff.. Vgl. Nipperdey (wie Anm. 32), 557–560. – Hans-Jürgen Becker, Vermögensfähigkeit und Freiheit der Person. Zur Rechtsgeschichte des § 310 BGB, in: Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, hg. von P. Hofmann u. a., Köln 1986, 485–496. Pierre Gillet, La personnalité juridique en droit ecclésiastique, Malines 1927. – Pierre Michaud-Quantin, Universitas. Expressions du mouvement communautaire dans le moyenâge latin, Paris 1970. – Zur Stiftung vgl. insbesondere Hans Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Band 1: Geschichte des Stiftungsrechts, Tübingen 1963. – Michael Borgolte, Die Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 105 (Kanonistische Abteilung 74) (1988), 71– 94. – Robert Feenstra, Foundations in Continental Law since the 12th Century. The Legal Person Concept and Trust-like Devices, in: Itinera Fiduciae. Trust and Treuhand in Historical Perspective, hg. von Richard H. Helmholz, Reinhard Zimmermann, Berlin 1998,

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ist den Vätern des BGB insbesondere durch die Forschungen von Otto von Gierke zugängig gemacht worden37. Das von diesem Gelehrten erschlossene Material hat die Diskussion des 19. Jahrhunderts ungemein bereichert, wenn auch nicht zu übersehen ist, dass die Konstruktion eines spezifisch deutschen Genossenschaftswesens, das sich getrennt und im Gegensatz zur Kanonistik entwickelt habe, auf eine im Zeitgeist befangene Fehldeutung zurückzuführen ist, die der historischen Kritik nicht standhalten kann38. Auch viele Rechtsregeln, die die Grenzen der Privatautonomie aufzeigen, finden ihre Vorbilder im kanonischen Recht. Dies gilt zunächst für § 138 BGB und die dort angeordnete Nichtigkeit von sittenwidrigen Rechtsgeschäften. Peter Landau hat die Bedeutung der regulae iuris des Liber Sextus für die Entwicklung von einheitlichen Rechtsprinzipien herausgestellt und dabei auch aufgezeigt, dass die aus dem römischen Recht stammenden Maximen betreffend die turpis stipulatio durch das kanonische Recht fortentwickelt wurden und in dieser neuen Gestalt die moderne Lehre von der Sittenwidrigkeit geformt haben39. „In malis promissis fidem non expedit observari“, heißt es in der Regula LXIX, die damit ein Prinzip formuliert, das auch in § 138 BGB zum Ausdruck kommt40. In § 139 BGB ist der moderne Gesetzgeber zwar von der entsprechenden Maxime des kanonischen Rechts abgewichen, die in Regula XXXVII formulierte: „Utile non debet per inutile vitiari“, doch wird in der Rechtspraxis Auslegung § 139 BGB

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305–326. – Hans-Jürgen Becker, Die Steinerne Brücke zu Regensburg als Juristische Peron, in: Colloquia für Dieter Schwab zum 65. Geburtstag, hg. von Diethelm Klippel, Bielefeld 2000, 105–116, insbesondere 111 ff. – Helmuth G. Walther, Die Konstruktion der juristischen Person durch die Kanonistik im 13. Jahrhundert, in: Contradictio. Studien zur Philosophie und ihrer Geschichte 6 (2005), 195–212. – Axel von Campenhausen, Geschichte und Reform, in: Werner Seifart, Axel von Campenhausen, StiftungsrechtsHandbuch, 3. Auflage München 2009, 75 ff. Otto Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Band 3: Die Staats- und Korporationslehre des Altertums und des Mittelalters und ihre Aufnahme in Deutschland, Berlin 1881 (Nachdruck Graz 1954). Zur methodischen Problematik dieses Werks vgl. Coing (wie Anm. 28), 167–168, Anm. 1. Vgl. hierzu Peter Landau, Otto Gierke und das kanonische Recht, in: Die deutsche Rechtsgeschichte in der NS-Zeit, ihre Vorgeschichte und ihre Nachwirkungen, hg. von Joachim Rückert, Dietmar Willoweit, Tübingen 1995, 77–94. Peter Landau, Die Bedeutung des kanonischen Rechts für die Entwicklung einheitlicher Rechtsprinzipien, in: Scholler (wie Anm. 23), 23–47, insbesondere 39–40. – Vgl. auch Albrecht Foth, Gelehrtes römisch-kanonisches Recht in deutschen Rechtssprichwörtern, Tübingen 1971. Liber Sextus 5.12. reg. 69.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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inzwischen soweit abweichend ausgelegt, dass der so gefundene Sinn der regula iuris sehr nahe kommt41. Ganz deutlich ist das kanonistische Vorbild im Bereich der direkten Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB), die dem römischen Recht weitgehend fremd war. Hier finden sich zwei Maximen im Liber Sextus, die den Gedanken der Stellvertretung klar formuliert haben. In Regula LXVIII heißt es: „Potest quis per alium, quod potest facere per se ipsum“ 42. Und Regula LXXII fährt fort: „Qui facit per alium, est perinde ac si faciat per se ipsum“ 43. Das kanonische Recht hat sich zwar im weltlichen Bereich lange nicht durchsetzen können, weil das römische Prinzip „alteri stipulari nemo potest“ 44 dem zu eindeutig entgegenstand, doch hat die Existenz des im kirchlichen Bereich praktizierten Grundsatzes, z.B. bei der Eheschließung durch Stellvertretung, die Entwicklung des Rechts der Stellvertretung im 18. und 19. Jahrhundert gefördert45. – Auch die Lehre vom „falsus procurator“ (§§ 177 ff., 184 f. BGB) geht auf das kanonischen Recht, nämlich die Regulae IX und X, zurück46, wo es zunächst heißt: „Ratum quis habere non potest quod ipsius nomine non est gestum“ 47, wo dann aber ergänzt wird: „Ratihabitionem retrotrahi, et mandato non est dubium comparari“ 48. Wenn man sich dem Vertragsrecht zuwendet, so sind auch hier die Spuren des kanonischen Rechts an vielen Stellen zu erkennen Da ist zum einen der Vertragsschluss, der nach kirchlichem Recht auch formlos verpflichtend ist. Aus der kirchlichen Praxis, durch Eid bekräftigte formlose Verträge als verbindlich anzusehen, entwickelte die Kanonistik den Grundsatz, dass ein pactum nudum ein-

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Liber Sextus 5.12. reg. 37. – Vgl. hierzu Landau (wie Anm. 23), 40–41. – Zum Prinzip des römischen Rechts vgl. Hans Hermann Seiler, Utile per inutile non vitiatur. Zur Teilunwirksamkeit von Rechtsgeschäften im römischen Recht, in: Festschrift für Max Kaser zum 70. Geburtstag, hg. von Dieter Medicus, Hans Hermann Seiler, München 1976, 127– 147. Liber Sextus 5.12. reg. 68. Liber Sextus 5.12. reg. 72. Vgl. Digesten 45.1.38.17; Inst. 3.19.4. – Vgl. hierzu Mathias Schmoeckel, §§ 164-181. Vertretung und Vollmacht, in: Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, hg. von Mathias Schmoeckel u. a., Band 1, Tübingen 2003, 916–956, insbesondere 920. Hierzu Anton Kradepohl, Stellvertretung und kanonisches Eherecht (Kanonistische Studien und Texte, 17), Bonn 1939. – Ulrich Müller, Die Entwicklung der direkten Stellvertretung und des Vertrages zugunsten Dritter, Stuttgart 1969. – Antonio Padoa-Schioppa, Sul principio della rappresentanza diretta nel diritto canonico, in: Proceedings of the Fourth Congress of Medieval Canon Law, Vatikanstadt 1976, 107–131. – Coing (wie Anm. 28), 423–430. Landau (wie Anm. 39), 41. Liber Sextus 5.12. reg. 9. Liber Sextus 5.12. reg. 10.

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Hans-Jürgen Becker

klagbar sei49. Zum anderen ist die Vertragsethik anzusprechen, wie sie in den Generalklauseln der §§ 242, 138 und 826 BGB zum Ausdruck kommt. Die Gerechtigkeitsidee des kanonischen Rechts, die Lehre von der aequitas canonica, hat es ermöglicht, Formalismen des älteren Rechts zu überwinden50. Es ist nicht zu übersehen, dass durch das kanonische Recht die Vertragsethik auf einen hohen Standard gebracht wurde. Das kanonistische Zinsverbot und die kirchliche Wucher-Lehre haben die europäische Rechtsordnung tief greifend beeinflusst. Allerdings muss zugleich hinzugefügt werden, dass das rigide Zinsverbot ein Hindernis zur Entfaltung moderner Wirtschaftsformen darstellte, das nur mühsam überwunden werden konnte51. Überhaupt muss man die Ambivalenz beachten, die mit dem Einfluss des kanonischen Rechts gegeben war. Manche dogmatischen Institute wurden in der Tat durch die ethische Grundhaltung der Kirche so umgeformt, dass sie in der bürgerlichen Rechtsordnung mit großem Gewinn verwendet werden konnten. Andere Umformungen haben jedoch bedenkliche Nebenwirkungen mit sich gebracht. Ein Beispiel hierfür stellt das Prinzip der Naturalrestitution im Recht des Schadensersatzes dar (§ 249 Satz 1 BGB). Wie Udo Wolter (1939-1993) überzeugend nachgewiesen hat52, konnten sich die Kirchenväter mit dem römisch-rechtlichen Prinzip der notwendigen Verurteilung zu Geldersatz nicht abfinden, sondern bestanden nach der Maxime „non remittetur peccatum, nisi restituatur ablatum“53 auf einer generellen Restitutionspflicht. Das kanonische 49

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Vgl. hierzu Emilio Bussi, La formazione dei dogmi di diritto privato nel diritto comune, Band 1: Diritti reali e diritti di obligazione, Padua 1937, 217 ff. – Piero Bellini, L’obbligazione da promesso con ogetto temporale nel sistema canonistico classico, Mailand 1964. – Wolter (wie Anm. 13), 11 und 100–103. – Lefebvre-Teillard (wie Anm. 29), 16 f. – Landau (wie Anm. 17), 55. – Harold J. Berman, Recht und Revolution. Die Bildung der westlichen Rechtstradition, Frankfurt am Main 1991, 398 ff. – Hans Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 2. Auflage München 2000, 72–73. Eugen Wohlhaupter, Aequitas canonica. Eine Studie aus dem kanonischen Recht, Paderborn 1931. – Ferdinand Elsener, Gesetz, Billigkeit und Gnade im Kanonischen Recht, in: Summum ius – Summa iniuria. Individualgerechtigkeit und Schutz allgemeiner Werte im Rechtsleben, Tübingen 1963, 168–190. – Pier G. Caron, „Aequitas“ romana, „misericordia“ patristica ed „epicheia“ aristotelica nella dottrina dell’„aequitas“ canonica, Mailand 1971. Winfried Trusen, Spätmittelalterliche Jurisprudenz und Wirtschaftsethik, Wiesbaden 1961. – Harald Siems, Handel und Wucher im Spiegel frühmittelalterlicher Rechtsquellen (Monumenta Germaniae Historica, Schriften, 35), Hannover 1992, insbesondere 500– 848. – Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band 5, 1998, 1538–1539: Art. „Wucher“ (Hans-Wolfgang Strätz); 1707–1713: Art. „Zins“ (Peter Landau); 1719–1722: Art. „Zinsverbot“ (Hans-Jürgen Becker). Udo Wolter, Das Prinzip der Naturalrestitution in § 249 BGB. Herkunft, historische Entwicklung und Bedeutung (Schriften zur Rechtsgeschichte, 36), Berlin 1985. Das Augustinus-Wort wird rezipiert im Decretum Gratiani C.14 q.6 c.1.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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Recht hat sodann diese Restitutionslehre im Liber Extra54 und im Liber Sextus55 übernommen. Durch die Spätscholastik und die naturrechtlichen Kodifikationen vermittelt gelangte der Grundsatz schließlich in das Bürgerliche Recht. Die Ambivalenz des Grundsatzes zeigt sich in den unterschiedlichen Auswirkungen bei immateriellen Schäden. Für den Schutz des Persönlichkeitsrechts und für den zivilrechtlichen Ehrenschutz wird mit dem Prinzip der Naturalrestitution die Möglichkeit eröffnet, durch den Anspruch auf Widerruf von unrichtigen Behauptungen dem Verletzten sinnvoll zu helfen. Bei der Bemessung des Schadensersatzes nach § 249 S. 2 BGB und bei der Ausweitung der Ausnahmen zu § 253 Abs. 1 BGB hat der Grundsatz allerdings dazu beigetragen, den Ausgleichsgedanken und das grundsätzliche Verbot der Kommerzialisierung im Schadensrecht auszuhöhlen. Wenn man zum Sachenrecht übergeht, so ist zunächst auf den Besitzschutz zu verweisen, der gleichfalls stark durch das kanonische Recht geformt wurde. Insbesondere ist der Anspruch wegen Besitzentziehung zu nennen (§ 861 BGB). Ausgangspunkt war der Canon Redintegranda56, der abgesetzten und strafrechtlich verfolgten Bischöfen einen privilegierten Besitzschutz im Hinblick auf ihren Grundbesitz gewährte57. Auf der Grundlage dieser und anderer Rechtsquellen58 entwickelte sich die actio spolii mit dem Inhalt, dass der spoliatus gegen jeden bösgläubigen Inhaber einen Herausgabeanspruch geltend machen konnte. Der Klaganspruch wurde sodann auf bewegliche Sachen ausgedehnt und konnte auch gegen beteiligte Dritte (Mitwisser, Helfer) und den Rechtsnachfolger des Spolianten durchgesetzt werden. – Auch die Ausdehnung der Auffassung vom Rechtsbesitz ist auf das kanonische Recht zurückzuführen59. Und nicht gering zu achten ist die kanonistische Lehre vom ius ad rem, in dem erste Ansätze für die dogmatische Konstruktion des Anwartschaftsrechts (§§ 455, 929, 158 Abs. 1, 161 BGB) sichtbar werden60. 54 55 56 57

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Liber Extra 2.13; 3.13; 5.19.5. Liber Sextus 5.12. reg. 4: "Peccatum non dimittitur, nisi restituatur ablatum." Decretum Gratiani C.3 q.1 c.3 (aus Pseudo-Isidor). Zum Besitzschutz vgl. Wolter (wie Anm. 13), 12. – Francesco Ruffini, L’actio spolii. Studio storico-giuridico, 1889 (Nachdruck 1972). – Harold J. Berman, Recht und Revolution. Die Bildung der westlichen Rechtstradition, Frankfurt am Main 1991, 392–398. – Jessica Jacobi, Besitzschutz vor dem Reichskammergericht (Rechtshistorische Reihe, 170), Frankfurt am Main 1998, 51–54. Liber Extra 2.13.18 (Canon Saepe contingit). Gunter Wesener, Zur Dogmengeschichte des Rechtsbesitzes, in: Festschrift für Walter Wilburg zum 70. Geburtstag (Grazer Rechts- und Staatswissenschaftliche Studien, 31), Graz 1975, 453–476, insbesondere 460 ff. Karl Groß, Das Recht an der Pfründe. Zugleich ein Beitrag zur Ermittlung des Ursprungs des ius ad rem, Graz 1887. – Peter Landau, Zum Ursprung des „ius ad rem“ in

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Hans-Jürgen Becker

Bei der Ersitzung (§ 937 ff. BGB) lässt sich sodann ebenfalls der Einfluss des kanonischen Rechts erkennen. War im römischen Recht für die Ersitzung guter Glaube nur im Zeitpunkt der Besitzergreifung erforderlich, so war in der Sicht der Kanonisten ein fortdauernder Besitz trotz nachfolgenden bösen Glaubens sündhaft. Wie in § 937 Abs. 2 BGB forderte man die ganze Zeit der Ersitzung hindurch das Fortdauern der bona fides61. Auf dem IV. Laterankonzil von 1215 (Kap. 41) wurde beschlossen: „Quoniam omne, quod non est ex fide, peccatum est, synodali iudicio diffinimus, ut nulla valeat absque bona fide praescriptio tam canonica quam civilis […] Unde oportet, ut qui praescribit, in nulla temporis parte rei habeat conscientiam alienae“62. Wie stark der Einfluss der Kirche auf das Eherecht gewesen ist, braucht nicht besonders ausgeführt zu werden, hat sich doch die staatliche Gesetzgebung erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der kirchlichen Vorherrschaft gelöst63. Die Spannungen, die das Personenstandrecht und das staatliche Ehe- und Ehescheidungsrecht ausgelöst haben (Kölner Wirren, Kulturkampf), werden noch im Bürgerlichen Gesetzbuch sichtbar, wenn der so genannte „Kaiserparagraph“ des § 1588 BGB, der einen eigenen Titel im ersten Abschnitt „Bürgerliche Ehe“ ausfüllt, bestimmt: „Die kirchlichen Verpflichtungen in Ansehung der Ehe werden durch die Vorschriften dieses Abschnitts nicht berührt“64. Wenn auch die Bestimmungen des BGB über die Ehe somit in bewusster Abkehr vom Kirchenrecht formuliert worden sind, so lassen sich dennoch Spuren des kanonischen Rechts feststellen65. Dies gilt zum einen von der Auffassung, dass die Ehe auf einem consensus der Partner beruht (vgl. §§ 1310 Abs. 1 Satz 1, 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB). Im Gegensatz zum römischen Recht wird allerdings nicht auf den fortdauernden Bestand dieses consensus abstellt, sondern auf den Zeitpunkt der Begründung der Ehe: „Matrimonium autem solo consensu contrahitur“66. Das im 12. Jahrhundert einsetzende Verständnis der Ehe als Sakrament ver-

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der Kanonistik, in: Proceedings of the Third International Congress of Medieval Canon Law, Vatikanstadt 1968, 81–102. – Coing (wie Anm. 28), 175–176. Francesco Ruffini, La buona fede in materia di prescrizione. Storia della teoria canonistica, Turin 1892. – Padoa-Schioppa (wie Anm. 45), 75. – Wolter (wie Anm. 13), 12. Liber Extra 2.26.20 (Canon Quoniam omne) (Dekrete der ökumenischen Konzilien, hg. von Giuseppe Alberigo, Josef Wohlmuth, Band 2, 3. Auflage Bologna 1973 u. Neuauflage mit deutscher Übersetzung, Paderborn u. a. 2000, Kap. 41, 253–254. Dieter Schwab, Grundlagen und Gestalt der staatlichen Ehegesetzgebung in der Neuzeit, Bielefeld 1967, 15 ff. u. 33 ff. – Harold J. Berman (wie Anm. 57), 372–378. Zur Entstehungsgeschichte vgl. Hans-Jürgen Becker, Der so genannte Kaiser-Paragraph (§ 1588 BGB), in: Perspektiven des Familienrechts. Festschrift für Dieter Schwab zum 70. Geburtstag, hg. von Sibylle Hofer, Bielefeld 2005, 269–285. Jean Gaudemet, Le mariage en Occident, Paris 1987. Liber Extra 4.1.14.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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stärkt den Konsens-Gedanken und führt zu einer erheblichen Besserstellung von Schwachen, die auf den Schutz der Rechtsordnung angewiesen sind: Frauen konnten auf einem Ehefeststellungsverfahren bestehen und so ihren Status bewahren67, die Ehe von Unfreien konnte nunmehr Anerkennung finden68. Die rechtliche Situation der nichtehelichen Kinder ist durch die Kirche in vielerlei Hinsicht durch die Lehre vom defectus natalium erschwert worden, doch darf man nicht übersehen, dass die soziale Lage der Unehelichen in mancher Hinsicht verbessert worden ist. Dies gilt zum einen im Hinblick auf die Alimentationspflicht (vgl. §§ 1615 a ff. BGB der alten bis zum 30. Juni 1998 geltenden Fassung) selbst für spurii, die unter Berufung auf misericordia und aequitas canonica von der Kirche durchgesetzt werden konnte69, zum anderen für die durch das kanonische Recht eröffnete Möglichkeit, uneheliche Kinder ganz allgemein (nicht nur – wie im römischen Recht – filii naturales) durch nachfolgende Ehe (vgl. §§ 1719 ff. BGB in der alten Fassung) zu legitimieren70. Das moderne Personenstandswesen geht im Wesentlichen auf die kirchlichen Vorschriften zur Registrierung von Taufen und Eheschließungen zurück. Im Dekret „Tametsi“ des Konzils von Trient71 wurde am 1563 die Anlage von Eheregistern und – damit verbunden – von Taufbüchern angeordnet. Das Rituale Romanum von 1614 enthielt dann Formulare für die Führung von Tauf-, Eheschließungs- und Sterbebüchern. So entwickelte sich mit den Kirchenmatrikeln 67 68

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Landau (wie Anm. 17), 56 (mit weiteren Nachweisen). Peter Landau, Hadrians IV. Dekretale „Dignum est“ (X 4.9.1) und die Eheschließung Unfreier in der Diskussion von Kanonisten und Theologen des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Studia Gratiana 12 (1967), 511–553. – Peter Landau, Sakramentalität und Jurisdiktion, in: Das Recht der Kirche, Bd. II: Zur Geschichte des Kirchenrechts, hg. von Gerhard Rau, Hans-Richard Reuter, Gütersloh 1995, 58–95, insbesondere 85. Liber Extra 4.7.5; vgl. hierzu Coing (wie Anm. 28), 251–252. Liber Extra 4.17.1 und 13. – Vgl. Ferdinand Kogler, Beiträge zur Geschichte der Rezeption und der Symbolik der legitimatio per subsequens matrimonium, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 25 (Germanistische Abteilung) (1904), 94–171. – Horst Hermann, Die Stellung unehelicher Kinder nach kanonischem Recht (Kanonistische Studien und Texte, 26), Amsterdam 1971. – Wolter (wie Anm. 13), 14. – Coing (wie Anm. 28), 252–253. – Hans-Jürgen Becker, Art. „Uneheliche“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band 5, 1998, 452–456. Der Text des Dekrets der 24. Sitzung in: Dekrete der ökumenischen Konzilien, hg. von Giuseppe Alberigo, Josef Wohlmuth, Band 3, 3. Auflage Bologna 1973, Neuauflage mit deutscher Übersetzung, Paderborn u. a. 2002, 755–759. – Hierzu Hubert Jedin, Das Konzil von Trient und die Anfänge der Kirchenmatrikeln, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 63 (Kanonistische Abteilung 32) (1943), 419–494. – Heinrich Börsting, Geschichte der Matrikeln von der Frühkirche bis zur Gegenwart, Freiburg 1959. – Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 4. Auflage Köln u. a. 1964, 512– 514 und 543 f.

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eine Praxis, die im säkularen Staat von den Standesämtern fortgeführt worden ist. Selbst das Erbrecht verdankt manche dogmatische Einzelheit dem kanonischen Recht. Zwar haben sich gerade auf diesem Gebiet viele Einzelregelungen nicht gegenüber dem hier dominierenden römischen Recht durchsetzen können. Doch ist insbesondere das moderne Testierrecht (§§ 1937, 2064 ff. BGB) ohne den in der Spätantike und im Mittelalter zu beobachtenden Einfluss der Kirche kaum denkbar72. Die von der Kirche gebilligten Möglichkeit, von der Familienerbfolge in Fällen wie den Seelgerätstiftungen (piae causae) und der donatio pro anima abzusehen, gestaltete das römische Testierrecht in Form und Inhalt um. Das kirchliche Testament diente weniger der Erbeinsetzung als der Zuwendung einzelner Güter. Deshalb war es erforderlich, das Amt des Testamentsvollstreckers zu entwickeln. Die Kirche erwies sich als ein Vorkämpfer des Testaments und trug mit ihrer moralischen Autorität dazu bei, die tradierte Ordnung des strikten Familienerbrechts aufzubrechen. Diese wenigen Hinweise mögen genügen, um auf den Stellenwert hinzuweisen, den das kanonische Recht ganz allgemein für die Entwicklung des zivilen und des öffentlichen Rechts in Europa hat. Die Epoche des aufgeklärten Naturrechts und auch noch die folgende Epoche eines den Kirchen distanziert gegenüber stehenden Liberalismus haben freilich viel dazu beigetragen, diese Spuren zu verwischen. Mit Recht hat Helmut Schnizer bemerkt, dass auf diese Weise die dogmatischen Vorarbeiten der Kanonistik aus den Blick geraten sind: „Diese Verdienste des kanonischen Rechts werden auch dadurch nicht entwertet, dass das aufgeklärte Naturrecht Schlachten ein zweites Mal schlug, die das kanonische Recht bereits gewonnen hatte“73.

5. Der Zugang zu den kirchenrechtsgeschichtlichen Quellen Die Spezialisierung der rechtswissenschaftlichen Forschung bringt es mit sich, dass ein Zugriff auf Quellen, die nicht dem eigenen Forschungsgebiet angehören, nicht selten Schwierigkeiten bereitet. Deshalb soll zum Abschluss ein knapper Hinweis gegeben werden, wie man sich den Zugang zu kirchenrechtlichen 72

73

Vgl. hierzu Wolter (wie Anm. 13), 17–18. – Emilio Bussi, La formazione dei dogmi di diritto privato nel diritto comune, Band 2: Contratti, successioni, diritti di famiglia, Padua 1939, 92 ff. – Coing (wie Anm. 28), 560 f. und 571 f. – Hans Hattenhauer, Grundbegriffe des Bürgerlichen Rechts, 2. Auflage München 2000, 205–208. Helmut Schnizer, Differentienliteratur zum kanonischen Recht. Eine unbekannte Literaturgattung als Beleg zur dialektischen Kraft des kanonischen Rechts in der Privatrechtsentwicklung der Neuzeit, in: Festschrift für Walter Wilburg zum 70. Geburtstag, 1975, 335–353, insbesondere 348.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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Quellen erleichtern kann. Die Auswahl der Literatur ist sehr beschränkt und stellt nach subjektiven Gesichtspunkten eine Art von nützlicher Handbibliothek zusammen.

a) Quelleneditionen Die Canones-Sammlungen zwischen Gratian und Bernhard von Pavia, hg. von Emil Friedberg, Leipzig 1897 (Nachdruck Graz 1958) Corpus iuris canonici, 2 Bände, hg. von Emil Friedberg, Leipzig 1879 und 1881 (Nachdruck Graz 1959) Codicis iuris canonici fontes, 10 Bände, hg. von Pietro Gasparri, Rom 1923– 1948 Raccolta di concordati su materie ecclesiastiche tra la Santa Sede e le autorità civili, 2 Bde., hg. von Angelo Mercati, Rom 1954 Conciliorum oecumenicorum decreta, hg. von Giuseppe Alberigo u. a., 3. Auflage, Bologna 1973 (Nachdruck dieser Ausgabe mit deutscher Übersetzung von Josef Wohlmuth, Dekrete der ökumenischen Konzilien, 3 Bände, Paderborn u. a. 1998–2002)

b) Lehrbücher zur kirchlichen Rechtsgeschichte Paul Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts mit besonderer Rücksicht auf Deutschland, 6 Bände, Berlin 1869–1897 (Nachdruck Graz 1959) Johann Friedrich Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts, 3 Bände, Stuttgart 1875–1880 (Nachdruck Graz 1956 und Frankfurt am Main 2009) Paul Fournier, Gabriel Les Bras, Histoire des collections canoniques en occident depuis les fausses décrétales jusqu’au Décret de Gratien, 2 Bände, Paris 1931– 1932 (Nachdruck Aalen 1972) Alphons van Hove, Prolegomena ad Codicem iuris canonici, 2. Auflage Mecheln–Rom 1945 Alfons Maria Stickler, Historia iuris canonici, Band 1: Historia fontium, Turin 1950 (Nachdruck Rom 1985) Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die katholische Kirche, 5. Auflage Köln u. a. 1972 Jean Gaudemet, Les sources du droit de l’église en occident du IIe au VIIe siècle, Paris 1985 Jean Gaudemet, Les sources du droit canonique VIIIe-XXe siècle, Paris 1993 History of medieval canon law, hg. von Winfried Hartmann, Kenneth Pennington, Washington DC 1999 ff. (bisher 3 Bände)

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Hans-Jürgen Becker

Péter Erdő, Die Quellen des Kirchenrechts. Eine geschichtliche Einführung (Adnotationes in ius canonicum, 23), Frankfurt am Main u. a. 2002

c) Institutionengeschichte Lucius Ferraris, Prompta bibliotheca canonica, juridica, moralis, theologica nec non ascetica, 9 Bände [zahlreiche Auflagen seit 1746], letzte Auflage Rom 1885– 1899 Johann Baptist Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, 2 Bände, Freiburg im Breisgau 1914 Histoire du Droit et des Institutions de l’Église en Occident, 18 Bände, hg. von Gabriel Le Bras, Paris 1955–1984 Willibald M. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts, 5 Bände, 2. Auflage Wien u. a. 1960–1970

d) Lexika zum Kirchenrecht Dictionnaire de droit canonique, 7 Bände, hg. von Raoul Naz, Paris 1935–1965 Nuovo dizionario di diritto canonico, hg. von Carlos Corral Salvador, 2. Auflage Cisinello Balsamo 1996 Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, 3 Bände, hg. von Axel von Campenhausen u. a., Paderborn 2000–2004

e) Lexika zur Papstgeschichte Enciclopedia dei papi, 3 Bände, hg. von Massimo Bray, Rom 2000 Dictionnaire historique de la papauté, hg. von Philippe Levillain, Paris 2006

f) Indizes Lotte Kéry, Canonical collections of the early Middle Ages (ca. 400–1140). A bibliographical guide to the manuscripts and litterature (History of medieval canon law, 1), Washington DC 1999 Linda Fowler-Magerl, Clavis canonum. Selected canon law collections before 1140; access with data processing (Monumenta Germaniae Historica, Hilfsmittel, 21), Hannover 2005 (mit CD-ROM) Wortkonkordanz zum Decretum Gratiani, 5 Bände, hg. von Timothy Reuter, Gabriel Silagi (Monumenta Germaniae Historica, Hilfsmittel, 10), München 1990

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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Index titulorum decretalium ex collectionibus tam privatis quam publicis conscriptus, hg. von Stephan Kuttner (Ius Romanum medii aevi, subsidia, 2), Mailand 1977 Indices titulorum et legum corporis iuris canonici, hg. von Javier Ochoa, A. Diez, Rom 1964 Francis Germovnik, Michel Thériault, Indices ad Corpus iuris canonici, 2. Auflage Ottawa 2000 Generalregister zur Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung, Bände I–XXV (1911–1936), bearb. von Siegfried Reicke, Weimar 1937; Bände XXVI–L (1937–1964), bearb. von Josef Hemmerle, Hermann Hoffmann, Elmar Wadle, Weimar 1968; Bände LI–LXXV (1965–1989), bearb. von Christian Barth, Weimar 1994; Inhaltsverzeichnisse und Mitarbeiterverzeichnisse aller drei Abteilungen Bände 100–125 (1983–2008), Wien u. a. 2008 (mit CD-ROM mit elektronischer Suchfunktion)

KERSTIN HITZBLECK

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen für die geschichtswissenschaftliche Forschung

1. Einleitung Ulrich Stutz, der Altmeister der modernen Kanonistik, forderte bei seiner Begründung einer kirchlichen Rechtsgeschichte als wissenschaftlicher Disziplin die Zusammenarbeit von Historikern und Rechtshistorikern, da seiner Meinung nach die Geschichte des Kirchenrechts nur in „steter Fühlung mit der Kirchengeschichte“ erfolgreich geschrieben werden könne. Dieses fachübergreifende Projekt stellt sich bei ihm in einem recht martialischen Bild als der Zug unterschiedlicher Truppen zum selben Schlachtfeld dar: „[D]em vereint Schlagen wird [...] ein getrennt Marschieren vorangehen müssen“1. Und damit meint der Rechtshistoriker Stutz eines nicht: Daß nämlich die erstrebte Interdisziplinarität in Personalunion zu betreiben sei, daß jeder Rechtshistoriker auch Historiker, jeder Historiker auch Jurist sein solle. Er mahnt aus juristischer Perspektive vielmehr eine prinzipielle Offenheit für die Methoden und Erkenntnismöglichkeiten des anderen Fachs an und warnt die Juristen vor einer einseitigen Betrachtung vergangener Wirklichkeit, wenn er in Hinblick auf die frühe Kirche meint: „Hier heißt es für den Juristen wirklich bis zu einem gewissen Grad: „,Ziehe deine Schuhe aus, denn der Ort, darauf du stehest, ist heiliges Land.‘ Hier kommt ihm noch mehr als sonst zum Bewusstsein, daß er mit der rechtlichen Seite nicht die ganze Wahrheit zu erfassen vermag“2. Implizit verteidigt er damit allerdings auch den Anspruch der Fachwissenschaftler auf rein juristischem Terrain, das entsprechend der Historiker auf Socken zu betreten habe. Ulrich Stutz schwebte eine Zusammenarbeit der beiden Disziplinen vor, welche die je eigenen Methoden und Erkenntnismöglichkeiten in den wissenschaftlichen Diskurs einbringen sollen. Dabei stand für ihn allerdings außer Frage, daß es sich um zwei getrennte Disziplinen mit je eigenen Erkenntniszielen handelt. Vor diesem Hintergrund konstatiert der Rechtshistoriker und -philosoph Wolfgang Schild in seinem knapp einhundert Jahre später erschienen Beitrag zur Anwendbarkeit des konkreten Ordnungsdenkens nach Carl Schmitt für 1 2

Ulrich Stutz, Die kirchliche Rechtsgeschichte. Rede zur Feier des 27. Januar 1905, Stuttgart 1905, 31. Stutz, Rechtsgeschichte (wie Anm. 1), 32.

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Kerstin Hitzbleck

rechtshistorische Fragestellungen allerdings alarmierendes: „Die Rechtsgeschichte ist nicht mehr in den Händen der Juristen. Zunehmend befassen sich Historiker mit dem vergangenen Rechtsleben, (...) und entwerfen bunte Bilder einer faszinierenden Vergangenheit in ihren vielfältigen Lebensformen.“ Er beklagt nicht weniger als die Usurpation eines ureigenen Forschungsfelds, wenn er zugesteht, daß die Arbeiten der Historiker gezeigt hätten, daß es mit der „normierenden Kraft“ frühmittelalterlicher Normen nicht besonders weit hergewesen, weshalb die „Verdrängung der Juristen – und ihres methodischen Blickes auf die Normen – gerechtfertigt“ sei, sich sogar „als Gewinn für eine spannende Geschichte(n) erzählende Disziplin“ erweise3. In den Worten von Ulrich Stutz hätten sich wohl die unterschiedlichen Armeen auf dem Weg zum selben Schlachtfeld bereits vor Erreichen desselben vereinigt, die Historiker sich in einseitiger Anmaßung des rechtshistorischen Forschungsgegenstands bemächtigt. Offenbar haben sich die Verhältnisse zwischen den beiden Fachdisziplinen verschoben: Der Einladung zur Zusammenarbeit ist die Geschichte so bereitwillig gefolgt, daß die Rechtswissenschaft sich überrannt und um die Ergebnisse ihrer Forschungs- und Denktradition gebracht fühlt. Dabei mögen die Spannungen im Verhältnis von Historie und Rechtsgeschichte4 ihren Ursprung auch in den gemeinsamen Anfängen der beiden Fächer haben. Denn mit der Hinwendung zur Untersuchung der historischen Quellen des Rechts integrierten Friedrich Carl von Savigny und die auf seinen Arbeiten basierende 3

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Wolfgang Schild, Das konkrete Ordnungsdenken als Methode der Rechtstheorie, in: Rechtsgeschichte und Interdisziplinarität, hg. von Marcel Senn, Claudio Soliva, Bern u. a. 2001, 143–154, hier 143. – Bezeichnenderweise akzentuiert der Historiker Frank Rexroth demgegenüber das positive Fazit funktionierender interdisziplinärer Zusammenarbeit sogar auf dem Gebiet des Strafrechts: „Überschaut man die Forschungsgeschichte der vergangenen Jahre, dann wird man mit der Kooperation zwischen Rechtshistorikern und Historikern zufrieden sein dürfen. Interdisziplinarität wurde nicht nur gefordert, sondern praktiziert (...)“. Frank Rexroth, Sprechen mit Bürgern, sprechen mit Richtern. Herrschaft, Recht und Kommunikation im spätmittelalterlichen London, in: Praxis der Gerichtsbarkeit in europäischen Städten des Spätmittelalters, hg. von Franz-Josef Arlinghaus, Ingrid Baumgärtner u. a. (Rechtsprechung. Materialien und Studien, 23), Frankfurt am Main 2006, 83–109, Zitat 83. Ein beredtes Zeugnis für den vor allem von Seite der Rechtswissenschaft immer noch gepflegten Argwohn ist die Einleitung von Martin Bertram zu einem von ihm selbst herausgegebenen Band zur Entwicklung des Kirchenrechts im 14. und 15. Jahrhundert. Bertram bemüht sich geradezu um eine Rechtfertigung und Apologie des Historikers, der – notgedrungen – seine „Sichel an fremde Ernte“ auf dem Feld der Rechtshistoriker legt. Martin Bertram, Einführung, in: Stagnation oder Fortbildung? Aspekte des allgemeinen Kirchenrechts im 14. und 15. Jahrhundert, hg. von Martin Bertram (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 108), Tübingen 2005, 1–8, Zitat 5.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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Historische Rechtsschule die Idee der geschichtlichen Bedingtheit, des Einflusses historischer Entwicklungen auf die Entwicklung des Rechts in die wissenschaftliche Jurisprudenz5. Die moderne Rechtswissenschaft misst der Rechtsgeschichte allerdings nicht mehr den einstigen Wert bei, so daß die Geschichtswissenschaft gezwungen ist, in diese Lücke einzutreten: Das Studium der Rechtswissenschaft setzt Prioritäten, die in einem Mangel an Fachleuten für die Geschichte des Rechts resultieren. Da aber die Fragen nach vergangenen Rechtszuständen und nach vergangenem Rechtsleben mit der Zuwendung der Geschichtswissenschaften zu Aspekten der Alltagsgeschichte eher zu- denn abgenommen haben, wird dieser Mangel umso deutlicher spürbar. Daß sich durch die neuen, fachfremden Fragestellungen und Methoden auch die Disziplin selbst verändert, gereicht ihr – siehe Wolfgang Schild – allerdings nicht ausschließlich zum Nachteil.

5

Es gehörte zu den erklärten Zielen Savignys, die Wandlung des antiken Römischen Rechts durch die Geschichte hindurch zu verfolgen. In der Begründung seines grundlegenden Werkes zur Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter geht er davon aus, daß das Römische Recht weder mit dem Untergang des Weströmischen Reiches verschwunden ist, noch daß man eine Geschichte des römischen Rechts schreiben könne, ohne seine Bearbeitung im Mittelalter zu berücksichtigen. Er tadelt weiter die „verwerfliche“ Unterscheidung zwischen einer Rechtsgeschichte im eigentlichen Sinne, die „allein von den Gesetzen als der Entstehung des Rechts (...)“, und einer „juristische(n) Literargeschichte“, die „lediglich von der wissenschaftlichen Verarbeitung dies gegebenen Stoffes zu handeln hätte“. „Überzeugt man sich aber von der Nichtigkeit dieser beiden Gränzbestimmungen, so wird es für vorteilhaft erkannt werden müssen, den Anfang der Untersuchung auf einen viel früheren Zeitpunkt zu versetzen, so daß dann die Aufgabe seyn wird zu zeigen, wie der Rechtszustand neuerer Zeiten, soweit er auf Römischem Grunde beruht, aus dem Zustand des bestehenden Weströmischen Reichs durch bloße Entwicklung und Verwandlung, ohne Unterbrechung, hervorgegangen ist“. Friedrich Carl von Savigny, Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter, 2. Auflage, Berlin 1834 (Nachdruck Darmstadt 1956), VIf. Den gemeinsamen, fachlich erst noch auszudifferenzierenden Urgrund der verschiedenen historischen Fachschulen des 19. Jahrhunderts ruft Johann Gustav Droysen in seiner „Historik“ in Erinnerung: „Dem [sc. den Beiträgen zur Entwicklung der historischen Methode durch Lessing, Kant u.a.] zur Seite ging dann die großartige historische Tätigkeit der jungen Universität Göttingen, wo Schlözer, Gatterer, Spittler, Michaelis, Heyne, Pütter, bis Hugo hinab, also Theologen, Juristen, Philologen und Staatsrechtslehrer, alle im wesentlichen in derselben Richtung wirkten. Das ist die erste recht eigentlich historische Schule; daher stammt die historische Schule in der Jurisprudenz ([Gustav von] Hugo), in der Philologie (Heyne), in der Theologie (Joh. Dav. Michaelis)“. Johann Gustav Droysen, Historik. Rekonstruktion der ersten vollständigen Fassung der Vorlesungen (1857), Grundriß der Historik in der ersten handschriftlichen (1857/1858) und in der letzten gedruckten Fassung (1882). Textausgabe hg. von Peter Leyh, Stuttgart–Bad Cannstatt 1977, Zitat nach der Fassung von 1857, 50.

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Denn es kann kein Zweifel daran bestehen, daß bei aller Begeisterung für Rituale und Randgruppen zum Verständnis vergangener Lebenswirklichkeit und menschlicher Handlungsmotive die Kenntnis der rechtlichen Vorstellungen und Normen unumgänglich ist. Dies trifft besonders den Bereich des Kontakts der Menschen mit rechtlichen Institutionen aller Art – sei es das städtische Ratsgericht, das bischöfliche Offizialat oder die päpstliche Rota – aber auch das Verhalten von Menschen im Konflikt um Recht oder Besitz. Als soziales System6 fordert und erzwingt das Rechtswesen – auch im Mittelalter – Handlungsweisen, die aus den Modalitäten dieses Systems motiviert sind und sich damit einem rein intuitiven Zugang verschließen. Als Beispiel sei die Rezeption des wiederentdeckten Römischen Rechts im Mittelalter genannt: Das Denken in Tatbeständen und actiones schuf neue Modi der Beschreibung und Begriffe für lebensweltliche Gegebenheiten, die durch die Transformation vom Alltags- zum Rechtsphänomen erst judiziabel wurden, – allerdings auch nach Maßgabe des neuen Bezugsrahmens interpretiert werden wollen7. Dies gilt auch auf der Ebene der Sprache: Die verwickelte Urkundenprosa des Mittelalters wird erst vor dem Hintergrund der zeitgenössischen juristischen Grundlagen dieser Rechtsdokumente verständlich – also in Kenntnis der Frage, auf welche die Formeln und Klauseln in den Schreiben die Antwort sind. Mögen diese Feststellung für sich nur wenig originell sein, werfen sie doch die Frage nach ihren Folgen für die geschichts- und rechtswissenschaftliche For6

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Niklas Luhmann begreift das Gerichtsverfahren als System, das sich durch „Ausdifferenzierung, durch Festigung von Grenzen gegenüber der Umwelt“ konstituiert. Im Gerichtsverfahren wird eine „Sinnsphäre“ konstruiert, „so daß selektive Prozesse und Verarbeitung von Umweltinformationen durch systemeigene Regeln und Entscheidungen gesteuert werden können, daß also Strukturen und Ereignisse der Umwelt nicht automatisch auch im System gelten [...]“. Er etabliert damit einen eigenen Aktionsraum, in dem die Akteure nach den Regeln des Systems handeln müssen, um in diesem erfolgreich zu sein. Das Verfahren leistet damit eine Reduktion der unendlichen Vielfalt möglicher Verhaltensweisen, die dadurch eine innerhalb des Systems spezifische Bedeutung erhalten. Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 3. Auflage, Frankfurt am Main 1978, bes. 9–135, Zitate 59. Massimo Vallerani hat anhand der Gerichtsbarkeit in oberitalienischen Städten den Einfluß der Rezeption römischrechtlicher Vorstellungen auf den Gerichtsprozess nachvollzogen und dabei parallel zum Einzug des römischen Prozesses mit seinen abstrakten actiones, den Klageformeln, in die örtlichen Gerichtsprozesse den ordnungsgenerierenden Einfluß des Rechts auf das gesellschaftliche Zusammenleben generell beobachten können. „Il processo divenne molto presto un sistema ordinatore delle relazioni sociali tra i cives e delle relazioni fra i cives e le istituzioni communali. Una funzione politica che ne farà per lungo tempo un insostituibile strumento di governo dei poteri pubblici“. Massimo Vallerani, Tra astrazione e prassi. Le forme del processo nelle città dell’Italia settentrionale del secolo XII, in: Praxis der Gerichtsbarkeit in europäischen Städten des Spätmittelalters (wie Anm. 3), 135–153, Zitat 151.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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schung auf: Denn der spezifisch rechtshistorische, systematische „Blick auf die Normen“8 geht dem „Profanhistoriker“ mangels einschlägiger Denkstilbildung meist ab. Die Rechtsgeschichte des Historikers geht eher von der Ebene der beobachteten Fakten aus, für die er mit seinen Mitteln keine hinreichende Erklärung finden kann. Der Weg zu den Normen und damit zur Rechtsgeschichte ist deshalb bisweilen aus der Not geboren, historisches Handeln verstehen zu wollen – und bei den genuinen Rechtshistorikern keine Antwort erhalten zu haben9. Der Zugriff des Historikers zeigt sich sensibler für die lebensweltlichen Implikationen vergangenen Rechtslebens: Die Abweichung von der vermeintlichen Norm ist ihm weniger Imperfektion und Störung als Ausdruck der Variabilität menschlichen Lebens. Er wird versuchen, die Normen aus ihrer praktischen Bewährung, aus ihrem „Sitz im Leben“ zu rekonstruieren und zu untersuchen10. Der Zugang des Historikers zur Materie der Rechtsgeschichte erfolgt von den spannenden Geschichten und den vielfältigen Lebensformen her und schlägt den Bogen zurück zu den Normen und ihrer sozialgeschichtlichen Rückbindung. Die Historiker haben sich in den vergangenen Jahrzehnten der ihnen zugewachsenen Aufgabe angenommen und Bereiche der Rechtsvergangenheit für eine wissenschaftliche, objektivierte Betrachtung geöffnet, die mit einem nur rechtsgeschichtlichen Zugriff nur systematisch, mit einem konfessionell geprägten Blick zudem nur polemisch zu betrachten waren. Zu denken ist etwa an die Erforschung des päpstlichen Benefizialwesens, das seit der Reformation als Paradebeispiel für alle Typen moralisierender und interessegleiteter Kirchenund Klerikerkritik herhalten mußte: Unzählig sind die Vorwürfe zu Günstlingswirtschaft, Nepotismus, päpstlichem Zentralismus, Fiskalismus, klerikalem 8 9

10

Schild, Konkrete Ordnung (wie Anm. 3), 143. Martin Bertram schildert das Problem anschaulich anhand der Bearbeitung des Repertorium Germanicum, der Sammlung aller Personen, Orte und Kirchen des deutschen Reiches, die sich in den Registerserien der päpstlichen Kurie des Spätmittelalters finden lassen. „Es liegt in der Natur der Sache, daß die Bearbeiter immer wieder mit kirchenrechtlichen Problemen konfrontiert werden, wenn sie sich bemühen, die juristisch relevanten Elemente der Suppliken [...] korrekt zu regestieren. Entsprechende rechtsgeschichtliche Informationsbemühungen stoßen freilich bald an Grenzen. Auch bei bestem interdisziplinären Fortbildungswillen müssen die Bearbeiter oft genug feststellen, daß sie bei konkreten Fragen von den verfügbaren rechtsgeschichtlichen Handbüchern im Stich gelassen werden und in einer Art von wissenschaftlichem Neuland enden.“ Die Konsequenz liegt auf der Hand: Der Historiker wird zum „canonista fai da te“ [kursiv bei Bertram. KH]. Bertram, Einführung (wie Anm. 4), 1–8, Zitate 2 und 6. Auf diesem Wege läßt sich seit einigen Jahren auch „gemeinsames Marschieren“ der beiden Fachwissenschaften der Rechtsgeschichte und der Geschichte beobachten. Siehe dazu etwa den kurzen Forschungsüberblick von Rexroth, Sprechen mit Bürgern (wie Anm. 3), 84f.

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Gewinnstreben, Vernachlässigung der Seelsorge und sittlicher Verwahrlosung des Klerus11. Demgegenüber standen die Arbeiten von Rechtshistorikern, die sich dem Benefizialrecht systematisch zuwandten und hier Rechtsgedanken und -figuren durch die Geschichte verfolgten12, ohne die Brücke zur vergangenen Lebenswirklichkeit zu schlagen. Unnötig anzuführen, daß die beiden Forschungsrichtungen nur selten miteinander über ihre Vermutungen und Erkenntnisse sprachen. Erst der neueren historischen Forschung ist es gelungen, die Diskussion auf der einen Seite zu entideologisieren und zu entemotionalisieren – auch zu entmoralisieren –, auf der anderen Seite der Geschichte des Benefizialrechts eine Geschichte der Benefizialrechtsanwendung gegenüberzustellen und jene so aus der Praxis zu ergänzen13. Und erst auf diese Weise konnte 11

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Die Reformbedürftigkeit des Systems wurde schon im frühen 15. Jahrhundert durch den westfälischen Juristen Dietrich von Nieheim gesehen, der dabei über seine eigene pfründenkumulierende Vergangenheit freilich großzügig hinwegsah. Siehe etwa seine Ausführungen über die Pfründenjagd (ambire aut consequi ecclesiasticas dignitates) in den Avisamenta pulcherrima de unione et reformacione membrorum et capitis fienda, in: Quellen zur Kirchenreform im Zeitalter der großen Konzilien des 15. Jahrhunderts. Erster Teil: Die Konzilien von Pisa (1409) und Konstanz (1414–1418), hg. von Jürgen Miethke u. a. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, 38a), Darmstadt 1995, 246–293, bes. 256ff. Im gleichen Ton aus moderner Perspektive Heinrich V. Sauerland in seinen Urkunden und Regesten zur Geschichte der Rheinlande aus dem Vatikanischen Archiv, Band 1, Bonn 1902, XVIf.: „Hier soll nur noch kurz hingewiesen werden auf die immer massloser werdende Benefizienjägerei und Benefizienspenderei an der päpstlichen Kurie, auf die immer mehr sich steigernden Ansprüche der päpstlichen Kammer an die Geldleistungen des Klerus, auf die immer mehr zunehmende Häufung wichtiger rheinischer Curatbenefizien auf die Personen der Avignoner Kurialen oder der in Aufträgen fest regelmäßig hin und herreisenden Kurtisanen, auf die kirchenrechtswidrigen Häufungen unvereinbarer Benefizien auf nachgeborene Söhne des höheren und niederen Adels und auf die ungescheute Versorgung adeliger Bastarde mit fetten Kirchenpfründen“. Ähnlich Anton Störmann, Die städtischen Gravamina gegen den Klerus am Ausgange des Mittelalters und in der Reformationszeit (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 24/26), Münster 1916, 229f.: „Elemente von sehr zweifelhaftem Charakter, von wenig einwandfreiem Vorleben, die in der Heimat kaum Aussicht auf ein Amt hatten, niedrige Streber, denen der Kirchendienst nichts mehr war als Broterwerb und Versorgung, zogen nach Rom und kehrten mit Ernennungen heim“. Carl Gross, Das Recht an der Pfründe. Zugleich ein Beitrag zur Ermittlung des Ursprungs des Jus ad Rem, Graz 1887. – Michèle Bégou-Davia, L’interventionnisme bénéficial de la papauté au XIIIe siècle. Les aspects juridiques, Paris 1997. – Siehe auch die Arbeiten von Geoffrey Barraclough, der nicht zuletzt in der Darstellung des Reskriptwesens viel Zutreffendes beobachtet hat, allerdings von einen sehr rechtssystematischen Blick auf die Quellen geprägt ist. Zu seinen Arbeiten siehe unten, Anmerkungen 15 und 17. Besonders sind hier die zahlreichen Stiftsgeschichten zu nennen, welche die Pfründenbesetzung an einzelnen Kirche der partes zwischen partikularem und päpstlich-zentralistischem Einfluß untersuchen. Siehe etwa die Arbeiten der Germania Sacra, die sich der

Stellenweert und Bedeutuung kirchenrechttsgeschichtlicher Quellen

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dieser zentrale Asp pekt spätmitteelalterlicher klerikaler k Leb benswirklichkeeit ForD päpstlichee Benefizialwesen ist schunggsgegenstand eigener Digniität werden: Das damit ein Bereich, der zwischen n Rechts- und d Profangesch hichte durch den in Personalunion interddisziplinären Zugang Z des Historiker H an Plastizität gew wonnen hat. Diee Erforschungg dieser Lebeenswirklichkeiit beginnt bis heute bei deer Auswertun ng der päpstlicchen Auslaufrregister, in den nen sich in Fo orm von Abscchriften eines Großteils deer abgehendeen Urkunden n die Benefizieninteresseen der A mit der Überliefe ferungsChristeenheit niederggeschlagen haben. Der Abgleich situatio on vor Ort – Nekrologien, N Kanonikerlistten, Erwähnuungen in Urkuunden – läßt dan nn Erkenntniisse über Erfo olg und Nichteerfolg des päp pstlichen Einggriffs in die örttlichen Kollaationsrechte zu z 14. Die Historiker lerntten, die päpsstlichen

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Erfo orschung der DomD und Kolllegiatstifte im deutschsprachig d gen Raum widm met. Die neueere Kapitelsforrschung nahm – nach der frühen Arbeit von v Rudolf Meeier, Die Dom mkapitel zu Go oslar und Halb berstadt in ihreer persönlichen Zusammensetzzung im Mitttelalter (mit Beiträgen über diie Standesverhäältnisse der bis zum Jahre 12000 nachweissbaren Hildesheeimer Domherrren) (Veröffentliichungen des Max-Planck-Inst M tituts für Geschichte, 5; Studdien zur German nia Sacra, 1), Gö öttingen 1967 – ihren Ausgangg von der nierarbeit von Andreas A Meyer über einen Zürrcher Stift: Andreas Meyer, Züürich und Pion Rom m. Ordentliche Kollatur und Päpstliche P Provvisionen am Frrau- und Grosssmünster 13166–1523 (Biblioth hek des Deutsch hen Historischen n Instituts in Ro om, 64), Tübinggen 1986. Von n den jüngeren Arbeiten A sind zuu nennen Karl Borchardt, B Die römische Kuriee und die Pfrüündenbesetzungg in den Diözeesen Würzburg,, Bamberg undd Eichstätt im späteren Mitttelalter, in: Jahrrbuch für fränkkische Landesfo orschung 57 (19997), 71–96. – Gerhard Fouquet, Das Speeyerer Domkap pitel im späten n Mittelalter (cca. 1350–1450). Adlige ndlungen Freuundschaft, fürstlliche Patronagee und päpstlichee Klientel (Quelllen und Abhan zur mittelrheinischen Kirchengescchichte, 57), Mainz M 1987. – Michael M Hollmaann, Das Main nzer Domkapiteel im späten Miittelalter (1306– –1476) (Quellen und Abhandlun ngen zur mitttelrheinischen Kirchengeschich K hte, 64), Main nz 1990. – Brrigitte Hotz, Päpstliche Stelllenvergabe am Konstanzer K Dom mkapitel. Die avvignonesische Periode P (1316–13378) und die Domherrengem meinschaft beim m Übergang zum m Schisma (13778) (Vorträge uund Forn 2005. – schuungen. Konstanzzer Arbeitskreiss für mittelalterliiche Geschichtee, 49), Ostfildern Tho omas Willich, Wege W zur Pfrün nde. Die Besetzuung der Magdeeburger Domkanonikate zwisschen ordentlich her Kollatur un nd päpstlicher Provision 12955–1464 (Bibliotthek des Deuutschen Historisschen Instituts in Rom, 102),, Tübingen 20005. – Thomas Ulbrich, Päpstliche Provisio on oder patronaatsherrliche Prääsentation? Der Pfründenerwerrb Bambergger Weltgeistlich her im 15. Jahrhuundert (Historissche Studien, 455), Husum 19988. Das Bemühen, vor Ort den Erffolg päpstlicherr Providierungsstätigkeit nachzzuweisen, kenn nzeichnet auch die d genannten Arbeiten A zur Stifftsgeschichte. Zuuletzt hat Jörg E Erdmann anhaand von mehrerren krichlichen Institutionen vo ornehmlich auff dem Gebiet dees Deutscheen Reichs versucht, die Erfo olgsquote päpsttlicher Provision nsreskripte im geographisschen und diach hronen Vergleich h faßbar zu macchen. Jörg Erdm mann, Quod estt in actis, non est in mundo. Päpstliche P Benefizialpolitik im ‚sacrum ‚ imperiuum‘ des 14. Jahrh hunderts bliothek des Deeutschen Historischen Institutss in Rom, 113),, Tübingen 20006. Aller(Bib

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Urkunden, die zur Einsetzung in eine Pfründe oder ein kirchliches Benefizium führen sollten, als Reskripte zu lesen, als von der Empfängerseite initiierte Rechtsdokumente, die eben nicht als päpstlicher Befehl zu verstehen sind, auch ungeeignete Bewerber willkürlich in gut dotierte kirchliche Versorgungsstellen einzusetzen15. Im Gegenteil: Sie wurden nur auf Initiative des Petenten überhaupt ausgestellt und standen stets unter dem Vorbehalt der veritas precum, der Wahrheit der in der Supplik geäußerten Bitte. Der ordentliche Kollator oder andere Kleriker als Konkurrenten um eine Stelle standen dem päpstlichen Besetzungsansinnen nicht mit gebundenen Händen gegenüber, konnte vielmehr ihr Recht vor Ort und an der Kurie verteidigen: denn der Papst war als Oberster Richter der Christenheit prinzipiell für jeden da, nicht etwa nur für die Inhaber päpstlicher Provisionsreskripte. Der rechtliche Gehalt der Provisionsurkunden selbst ist in den letzten Jahren vertieft erforscht und dargestellt worden16. Erheblich seltener wurden die Ur-

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dings sollte man sich davor hüten, im Erfolg einer päpstlichen Provision allein die Durchschlagskraft päpstlicher plenitudo potestatis zu sehen: Erfolg und Scheitern eines Benefizialreskripts hingen mit der örtlichen Konkurrenzsituation um die Pfründen ebenso zusammen wie mit der Person des Kandidaten und seiner lokalen Wertschätzung bzw. Erwünschtheit, dazu spielten biologische oder dynastische Faktoren wie der Tod oder die Rückkehr in den Laienstand eine Rolle, außerdem biographische Aspekte wie ein Studium oder die Anbindung an einen Fürstenhof. Siehe Hotz, Konstanz (wie Anm. 13), 379–397. Geoffrey Barraclough, Papal Provisions. Aspects of Church History Constitutional, Legal and Administrative in the Later Middle Ages, Oxford 1935; Derselbe, The Executors of Papal Provisions in the Canonical Theory of the Thirteenth and Fourteenth Centuries, in: Acta congressus iuridici internationalis 1934, Band 3, Rom 1936, 109–153. Wiederaufgenommen und in der Benefizialforschung etabliert wurde die Reskripttheorie durch Ernst Pitz, Papstreskript und Kaiserreskript im Mittelalter (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 36), Tübingen 1971. Zu den kirchenrechtlichen Implikationen siehe auch Harry Dondorp, Review of papal rescripts in the canonists’ teachings, in: ZRG kan. Abt. 76 (1990), 172–253; 77 (1991), 32–110. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Typen päpstlicher Provisionsreskripte sind besonders von Brigitte Hotz und Thomas Willich thematisiert worden. Hotz, Konstanz (wie Anm. 13), 41–63, bes. Exkurs I, 59f., Willich, Magdeburg (wie Anm. 13), 181–206. Da die Darstellung der Urkunden in den Regestenwerken der Ecole française auf Einzelheiten meist zugunsten einer knappen und platzsparenden Präsentation verzichtet, ältere Urkundenwerke gerne die vermeintlich nichtssagenden Formeln weglassen (Siehe zum Beispiel Sauerland, Urkunden und Regesten (wie Anm. 12); Vatikanische Akten zur deutschen Geschichte in der Zeit Ludwigs des Bayern, hg. von Sigmund Riezler, Innsbruck 1891), waren die tatsächlich tiefgreifenden Unterschiede zwischen den päpstlichen Provisionsurkunden ohne Einsichtnahme in die Register kaum zu erkennen. Zu dieser Frage siehe auch Kerstin Hitzbleck, Exekutoren. Die außerordentliche Kollatur von Benefizien im Pontifikat Johannes’ XXII. (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 48), Tübingen 2009, Kapitel III: Der Exekutionsprozeß, 133–245, bes. 138–191.

Stellenweert und Bedeutuung kirchenrechttsgeschichtlicher Quellen

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kunden n in die Unterrsuchung mit einbezogen, die d auf die Auusstellung derr päpstlichen littera l folgten und erst den eigentlichen Einsetzungspr E rozeß, die praaktische Umsetzzung und die lebensweltlich hen Konsequeenzen des päp pstlichen Einggriffs in die Ko ollationslage vor v Ort enthallten17. Dies hat h seinen Gr und in der füür weite Teile Europas E schleechten Überllieferungslagee einerseits, im Desinteressse der Forschuung anderersseits: So müßßten sich in den d italienisch hen und süddfranzösischen n Notarsimbreeviaturen nocch zahlreiche Urkunden aus dem Bereeich der Umsetzzung päpstlich her Reskripte erhalten habeen, doch wurdde diese Quellle noch nicht syystematisch daraufhin unteersucht18. Diees ist umso beedauerlicher, als diese Urkkunden Einbliick in verschieedenste Aspektte des Umgaangs mit den n päpstlichen n Schreiben gewähren uund die Organiisations- und Personalstruukturen enthüüllen, die für die Umsetzuung des päpstlicchen Rechtstiitels nötig warren. In der un nter weltgesch hichtlichen Gesichtspunkten meist unbeedeutenden Notarsurkunde N e bildet sich die Wirklichkkeit des 17

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Meyyer, Zürich (wiee Anm. 13), 78ff. und Willich,, Magdeburg (w wie Anm. 13), 2206–226, erwäähnen den Prozzeß, der auf die Ausfertigung deer päpstlichen liittera folgte. Sabiine Weiß hat anhand eines benefizialrechtli b chen Traktats den d Weg zur Pfründe P nachgezzeichnet, Sabiine Weiss, Päpsstliche Expektan nzen in Theoriee und Praxis, in n: Ecclesia pereegrinans. Joseef Lenzenweger zum 70. Gebuurtstag, hg. von Karl Amon u. a., a Wien 1986, 1143–152. Geo offrey Barraclouugh hat diesen klleinen Traktat nach mehreren Handschriften H eddiert und auch h das Formelbuuch der Kurienn notare der Forscchung vorgestelllt. Leider sind F Formular und Inhalt der Urkkunden darin kaum k zu erkenn nen. Geoffrey Barraclough, M Modus et ma procedendi ad a executionem m seu protestatio onem gratiae aliccui factae per ddominum form papaam, in: Studi in n onore di Enrrico Besta III, Mailand 1939, 279–300; Derss., Public notaaries and the pap pal curia. A caleendar and a stud dy of a Formulaarium notarioruum curiae from m the early yearrs of the 14th century, c London n 1934. Zu den n einzelnen Schrritten im Kolllationsprozeß siehe s Kerstin Hitzbleck, Verri et legitimi vicarii v et proccuratores. Beobachtungen zu Provisionsweseen und Stellverttretung an der Kurie von Aviggnon, in: oren (wie Anm m. 16), Kapitel III: Der QFIIAB 86 (2006),, 208–251 und Dies., Exekuto Exekutionsprozeß, 133–245, Kapittel IV: Exekutoren und Subexekkutoren, 246–2884. Ein Überblick überr die Thematik bietet b Armin Wolf, Wo Das öffentliiche Notariat, in n: Handh der Quellen und u Literatur derr neueren europ päischen Privatreechtsgeschichte,, hg. von buch Helm mut Coing, Band B 1: Mittelaalter (1100–15000). Die geleh hrten Rechte und die Gesetzgebung, Mün nchen 1973, 4044–514. – Andreeas Meyer hat siich der Erforsch hung des N zugewandt, vgl. v Andreas Meyer, M Felix et inclitus oberritalienischen Notariatswesens notaarius. Studien zuum italienischen n Notariat vom 7. bis zum 13. Jahrhundert J (Biibliothek des Deutschen Historischen Instiituts in Rom, 92), Tübingen 2000. – Derseelbe, Ser battus. Imbreviaature lucchesi del d Duecento, Regesti, R Band 1:: 1222–1232 (Strumenti Ciab per la ricerca, 7), Lucca L 2005. – Derselbe, D Wie heeiratet man rich htig? Der Prozesss zweier Frauuen um den Luccheser L Notarr Bonansegna (1234–1238), in n: Worte des R Rechts – Wörrter zur Rechtsggeschichte. Festsschrift für Dieteer Werkmüller zum z 70. Geburttstag, hg. von Stephan Buchholz, Heiner Lück, L Berlin 20007, 247–266. Siiehe auch Il reggistro di Anddrea Sapiti, proccuratore alla cuuria avignonesee, hg. von Barb bara Bombi (R Richerche dell'Istituto Storico Germanico di Roma, R 1), Rom 2007. 2

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mittelalterlichen Rechtslebens ab – soweit es etwa den Umgang mit dem päpstlichen Gerichtsapparat und päpstlichen Urkunden angeht. Ein Beispiel, das die immensen Chancen dieser Urkundengruppe verdeutlichen kann, hat sich im Diözesanarchiv im niedersächsischen Osnabrück erhalten. Es handelt sich um die Abschriften von Notarsinstrumenten, die in den 30er Jahren des 14. Jahrhunderts am St. Johannsstift in Osnabrück Neustadt angefertigt worden sind. Sie entstammen dem prozessualen Kontext einer Pfründenstreitigkeit zwischen Kanonikern an dieser Kirche, die an der römischen Rota in Avignon verhandelt worden ist19. Es handelt sich erstens um das Instrument, in dem die abschließende Sentenz des Richters des päpstlichen Gerichtshofs festgehalten worden ist, und zweitens um die processus genannte Urkunde, mit der das richterliche Urteil durch den Exekutor vollzogen wird. Damit liegen unsere Urkunden im Fokus unterschiedlichster historischer Disziplinen: Außer in die Geschichte des Benefizialrechts und seiner Anwendung ermöglichen sie einen Einblick in die Organisation der römischen Kirche zwischen Rom und den partes und zeigen Handlungsräume und -optionen hier norddeutscher Kleriker auf, die sich nicht auf den unmittelbaren, regionalen Nahbereich beschränken. Unser Fall liegt bietet damit Chancen für die Rechtsgeschichte, wie aber auch für die Kirchen- und die Landesgeschichte und trägt zu einem schärferen Bild geistlichen Lebens im Spätmittelalter bei. Seit langem ist bekannt – zu nennen sind insbesondere die Forschungen von Brigide Schwarz –, daß die Kleriker der Christenheit im Mittelalter in unterschiedlicher Intensität das päpstlichen Provisions- und Rechtsangebot nutzten. Den ,kuriennahen‘ Ländern und Regionen wie Italien und (Süd)frankreich können ,kurienferne‘ Gebiete gegenübergestellt werden, in denen die päpstliche Zentrale kaum oder zumindest in erheblich geringerem Maße zur Besetzung von Präbenden und Benefizien an den kirchlichen Institutionen herangezogen, den lokalen Mechanismen der Pfründenkollatur der Vorzug gegeben wurde. Besonders die skandinavischen, aber auch die osteuropäischen Länder fallen in den Provisionsstatistiken zurück. Der deutsche Raum partizipiert ebenfalls nur eingeschränkt am päpstlichen Benefizialwesen: Zwar treten die großen rheinischen Erzbistümer in den päpstlichen Registern häufiger auf, doch sind besonders der Osten und Norden des Deutschen Reiches kaum präsent20. 19

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Osnabrück, Diözesanarchiv, Rep. 5, Nr. 226, 231 künftig zitiert als OS, Rep. 5, 226, 231); für Regesten der Urkunden siehe Regesten der in Niedersachsen und Bremen überlieferten Papsturkunden 1198–1503, bearb. von Brigide Schwarz (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 37; Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Niedersachsens im Mittelalter, 15), Hannover 1993, 200f., Nr. 820, 821. Christiane Schuchard hat die geographische Herkunft deutscher Kleriker an der Kurie zwischen 1378 und 1447 aufgeschlüsselt und in mehreren Karten prägnant dargestellt.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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Leicht könnte sich dieser Befund unzureichend reflektiert mit der Vorstellung von einer allgemeinen Rückständigkeit des deutschsprachigen Raumes in seinen jenseits des römischen Limes gelegenen Bereichen verbinden, die sich im 14. Jahrhundert zum Beispiel in einer nur schleppenden Anbindung an das internationale Finanznetz niedergeschlagen haben soll21. Doch gilt es zwischen Quantität und Qualität zu unterscheiden, und dies führt uns zu unserem Osnabrücker Beispiel: Zweifelsohne ist Osnabrück in den päpstlichen Registern nur sehr schwach repräsentiert22, was außer auf eine finanziell und infrastruk-

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Deutlich zeigt sich die überragende Bedeutung der Bistümer Mainz, Köln, Lüttich und Utrecht als Herkunftsregion deutscher Kleriker am päpstlichen Hof, während die übrigen Diözesen im Untersuchungszeitraum zu einem großen Teil auf nicht mehr als 20 Kleriker im Kuriendienst kommen. Christiane Schuchard, Die Deutschen an der Kurie im späten Mittelalter (1378–1447) (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts Rom, 65), Tübingen 1987, bes. 169ff., Karten 177ff.; Brigide Schwarz hat sich besonders den Kontakten zwischen dem norddeutschen Raum und der römischen Kurie gewidmet, siehe etwa Brigide Schwarz, Norddeutschland und die römische Kurie im späten Mittelalter (1250–1450): Probleme der Kommunikation, in: The Roman Curia, the Apostolic Penitentiary and the Partes in the Later Middle Ages, hg. von Kirsi Salonen und Christian Krötzl (Acta Instituti Romani Finlandiae, 28), Rom 2003, 3–22; Dieselbe, Alle Wege führen über Rom. Eine „Seilschaft“ von Klerikern aus Hannover im Späten Mittelalter, I, in: Hannoversche Geschichtsblätter NF 52 (1998), 5–87; Dieselbe, Alle Wege führen über Rom. Eine „Seilschaft“ von Klerikern aus Hannover im Späten Mittelalter, II, in: Jahrbuch der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft 1999, 47–50; Dieselbe, Eine „Seilschaft“ von Kleriker aus Hannover im Spätmittelalter, in: QFIAB 81 (2001), 256–277; Dieselbe, Die römische Kurie und das Bistum Verden im Spätmittelalter, in: Immunität und Landesherrschaft. Beiträge zur Geschichte des Bistums Verden, hg. von Bernd Kappelhoff, Thomas Vogtherr (Schriftenreihe des Landesverbandes Stade, 14), Stade 2002, 107–174. Siehe etwa die Schilderungen der Finanzwege des 14. Jahrhunderts bei Yves Renouard, Les relations des papes d’Avignon et des compagnies commerciales et bancaires de 1316 à 1378 (Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome, 151), Paris 1941, bes. 138ff., 208ff., 300ff.; Für die mühevolle Organisation des Zahlungsverkehrs mit Osteuropa siehe etwa Markus A. Denzel, Kleriker und Kaufleute. Polen und der Peterspfennig im kurialen Zahlungsverkehrssystem des 14. Jahrhunderts, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 82 (1995), 305–331. Für die Probleme der päpstlichen Kollektoren, Gelder aus den Gebieten östlich des Rheins an die Kurie zu transferieren siehe Christiane Schuchard, Die päpstlichen Kollektoren im späten Mittelalter (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 91), Tübingen 2000, bes. 68ff., resümierend 324f. Die Verfasserin hat in ihrer Dissertation die Exekutoren päpstlicher Benefizialreskripte auf ihre rechtliche Natur, ihre Amtsausführung als delegierte Richter und ihre Wahl durch die Petenten untersucht und dazu die Benefizialurkunden aus jedem zweiten Jahr des langen Pontifikats Johannes’ XXII. (1316–1334) elektronisch erfaßt. In den neun Jahren des Untersuchungszeitraums gehen gerade 36 Urkunden in diese norddeutsche

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turell weniger attraktive Kirchenlandschaft auch auf fehlendes Verständnis für die Segnungen des feinziselierten päpstlichen Rechtsangebots hindeuten könnte: Man nahm nicht teil, weil man nicht damit umzugehen verstand. Doch deutet schon die Petenten- und Nachfragestruktur in Osnabrück darauf hin23, daß durchaus Interesse einheimischer Kleriker an den päpstlichen Urkunden bestand. Unsere beiden Transsumpte bestätigen diesen Eindruck. Sie konfrontieren uns mit einem über viele Jahre geführten Rechtsstreit, bei dem es im Kern um den Konflikt zwischen dem ordentlichem und dem außerordentlichem Kollator einer Pfründe, zwischen dem lokalem und dem durch den Papst präsentierten Bewerber geht. Der Prozeß wird durch drei Instanzen hindurch geführt, die mit einem Urteil zugunsten des päpstlicherseits providierten Kandidaten enden. Der Fall wirft damit ein Schlaglicht auf die – durchaus selbstverständliche – Nutzung des päpstlichen Provisions- wie Justizangebots auch durch Kleriker aus den traditionell kurienfernen Gebieten Norddeutschlands: Denn auch der lokale Bewerber greift auf den päpstlichen Gerichtshof zurück, um sein lokal erworbenes Recht auf eine Pfründe in Osnabrück zu verteidigen. Die Frage nach Quantität und Qualität ist damit auf das engste mit der Frage nach Überlieferungszufall und Überlieferungschance verknüpft. Im Folgenden wird dieser Fall auf seine Aussagekraft für unterschiedliche historische Fragestellungen untersucht. Am Anfang steht die Frage nach dem prozessualen Ablauf und dem rechtlichen Hintergrund des Pfründenstreits, soweit er aus der Sentenz- und der Exekutionsurkunde rekonstruierbar ist. Daran schließt sich die Frage nach den beteiligten Personen an: Es geht also nicht zuletzt um die Organisation des Prozesses durch die Betroffenen und führt so über ein rein juristisches Erkenntnisinteresse hinaus.

2. Der Prozeß an der Rota Die Abfassung der ersten unserer beiden Urkunden24 fällt auf den 2. April 1337, also in den Pontifikat Benedikts XII. Es handelt sich um ein Notarsinstrument, das in Avignon aufgesetzt worden ist und die Sentenz, das Urteil, in

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Diözese. Zum Vergleich mögen die ermittelten Werte für die Diözesen Lüttich und Köln dienen: Während Lüttich in demselben Zeitraum einen europäischen Spitzenwert von 308 Provisionsmandaten erreicht, muß der Sprengel Köln immerhin 245 päpstliche Benefizialreskripte verkraften. Hitzbleck, Exekutoren (wie Anm. 16), 395f., 418ff., 421f. Die Interessenten für Stellen in Osnabrück kommen sämtlich aus dem näheren geographischen Umfeld von Osnabrück. Kein einziger kurialer oder ausländischer Geistlicher interessiert sich im Untersuchungszeitraum für eine Stelle in der niedersächsischen Peripherie. Hitzbleck, Exekutoren (wie Anm. 16), 418f. OS, Rep. 5, Nr. 226.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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einem Appellationsverfahren enthält, das an der Kurie zwischen Magister Herbordus dictus Mahe25 und Bernardus de Bretleve geführt worden ist. Das zweite Transsumpt26 enthält eine Abschrift des Exekutionsprozesses zu dieser Sentenz, mit der das richterliche Urteil auf Befehl des Papstes vollzogen worden ist27. Diese Urkunden geben damit erstens Aufschluß über die Streitsache und den Instanzenzug, den die beiden Streitparteien an der Kurie durchlaufen haben, und beleuchten zweitens den Weg der richterlichen Sentenz an den Bestimmungsort Osnabrück. Dabei will es die strukturelle Eigengesetzlichkeit dieser Urkunden, daß die Vorgeschichte des Rechtsfalls sich nur im Initialdokument zur Exekution der Sentenz, der späteren der beiden Urkunden, findet.

2.1. Der Grund des Konflikts Der Prozeß, von dem hier nicht mehr als das Urteil der dritten Instanz28 vorliegt, nahm seinen Ausgang bereits im Pontifikat Johannes’ XXII., als dieser einem Hermannus Theoderici de Buren, der bereits Kanoniker mit Pfründenexpektanz an St. Johann in Osnabrück Neustadt war, am 26. Juli 1329 die Erlaubnis erteilte, an diesem Stift, an dem es Minor- und Maiorpräbenden gibt, direkt eine Maiorpräbende anzunehmen, ohne vorher Inhaber einer Minorpräbende gewesen zu sein – ein Verfahren, das gegen die Statuten der Kirche verstößt und deshalb päpstlicher Erlaubnis bedarf29. Es ist also davon aus25

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Die Schreibweise dieses Namens ist in den Dokumenten nicht einheitlich. Der Vorname Herbordus findet sich sowohl mit „d“ wie mit „t“. Sein Nachname wird in beiden Instrumenten mit „k“, also dictus Make geschrieben. Da unser Kanoniker jedoch im Regestenwerk von Brigide Schwarz, Regesten (wie Anm. 19), 200f. als Herbordus dictus Mahe eingeführt wurde, wurde die Schreibweise beibehalten. OS, Rep. 5, Nr. 231. Die päpstliche littera de iustitia, mit der Benedikt XII. die Exekution des richterlichen Urteils anordnet, findet sich nicht in den päpstlichen Auslaufregistern. An der Rota hatten sich zu Beginn des 14. Jahrhunderts drei Instanzen herausgebildet, wobei das Dienstalter der Auditoren für ihren Grad verantwortlich war. In der dritten und letzten Instanz urteilten die ältesten und erfahrensten Richter. Franz Egon Schneider, Die Römische Rota nach geltendem Recht auf geschichtlicher Grundlage, Band 1: Die Verfassung der Rota (Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland, 22), Paderborn 1914, 54f. – Guillaume Mollat, Contribution à l’histoire de l’administration judicaire de l’Eglise romaine au XIVe siècle, in: Revue d’Histoire Ecclesiastique 32 (1936), 877–982, bes. 888–891. – Stefan Killermann, Die Rota Romana. Wesen und Wirken des päpstlichen Gerichtshofes im Wandel der Zeit (Adnotationes in ius canonicum, 46), Frankfurt a. M. 2009, 56f. Lettres communes analysées d'après les registres dits d'Avignon et du Vatican. Jean XXII (1316–1334), hg. von Guillaume Mollat, Paris 1904–1947, Nr. 45815: [F]acultas obtinendi

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zugehen, daß Hermannus schon längere Zeit vergeblich auf eine Pfründenvakanz an seinem Stift gewartet und deshalb zur Vermehrung seiner Chancen die päpstliche Erlaubnis eingeholt hatte, auch sofort eine höherwertige Pfründe annehmen zu dürfen – und damit womöglich den Inhaber einer Minorpräbende bei der Kollation zu überholen, der das Recht auf eine höherwertige Pfründe auf dem statutarisch vorgeschriebenen Weg erworben hatte. Wahrscheinlich ist es diese Sonderbewilligung, die auf den Widerstand des Herbordus dictus Mahe stößt, der schon zu Lebzeiten Johannes’ XXII. gegen die Kollation einer Maiorpräbende an Hermannus Theoderici de Buren Einspruch erhebt, die am Johannesstift durch den Tod des Hermannus de Haren frei geworden ist30. Herbordus selbst, dessen Herkunftsdiözese laut der Sentenzurkunde der Sprengel Köln ist, taucht in den Auslaufregistern Johannes’ XXII. nicht auf, ist also möglicherweise ein Kandidat des örtlichen Kapitels, der wegen der päpstlichen Sondererlaubnis für Hermannus Theoderici bei der Kollation einer Maiorpräbende das Nachsehen hat. Gegen diese Benachteiligung appelliert Herbordus noch während des Pontifikats Johannes’ XXII. (1316–1334) an den Papst, der den Fall in der ersten Instanz an den Rotaauditor und päpstlichen Kaplan Magister Johannes de Sinemuro31 überweist. Allerdings stirbt Hermannus Theoderici, bevor der

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unam ex majoribus praebendis ecclesiae praedictae, non obst. statuto quo cavetur ne ullus aliquam ex majoribus praebendis adipiscatur nisi prius minores praebendas gradatim assecutus fuerit. OS, Rep. 5, 231: Dudum inter vos, Herbordum dictum Make ex parte una et quondam Hermannum Theoderici de Buren canonicos ecclesie sancti Johannis Osnaburgensis super una de maioribus dicte ecclesie prebendis in qua maiores et minores prebendis existant, per mortem quondam Hermanni de Haren eiusdem ecclesie canonici vacante ex altera questione suborta et causa appellationis eiusdem ad sedem apostolicam per appellationem vestri Herborti legitime devoluta [...]. [...] Johannes papa xxii causam appellationis huiusmodi venerabili viro domino Johanni de Sinemiris (!) preposito de Beligneyo in ecclesia Eduensi capellano dicte sedis et auditori causarum domino (?) primi gradus palatii apostolici audiendam et devidendam commisit. OS, Rep. 5, 231. Interessanterweise erwähnt Busolus de Parma in seiner Sentenz auch noch den Auditor ersten Grades und Archidiakon von Tarentaise Johannes de Alotiis, vor dem die Parteien ebenfalls ihre positiones et articulos präsentiert hätten. Seine Rolle im Prozeß bleibt allerdings unklar. OS, Rep. 5, 226. Cerchiari erwähnt Johannes de Sinemuro erst im Pontifikat Benedikts XII. als Auditor, siehe Emmanuele Cerchiari, Capellani papae et apostolicae sedis auditores causarum sacri palatii apstolici seu Sacra Romana Rota ab origine ad diem usque 20 septembris 1870, Band 2, Rom 1920, 28 Nr. 144. Zu seiner Arbeit und Wirkung als Kanonist siehe Paul Fournier, Jean de Semur, Canoniste, in: Histoire littéraire de la France, Band 36, Paris 1927, 473–480. Johannes de Alotiis wird bei Cerchiari ebenfalls genannt, Band 2, 26, Nr. 121. Er wird im Jahre 1326 als professor legum bezeichnet und stirbt bereits im Jahre 1336 als päpstlicher Kaplan an der Kurie. Siehe Mollat, Lettres de Jean XXII (wie Anm. 29), Nr. 25598. Vgl. auch Lettres communes analysées d'après les registres dits d'Avignon et du Vatican. Benoît XII (1334–1342), hg. von Jean-Marie Vidal,

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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Richter zu einem Urteil kommen kann. Davon kann Herbordus jedoch in keiner Weise profitieren, weil es bereits einen neuen päpstlichen Anwärter auf die Stelle gibt: Johannes XXII. hatte bereits am 28. Mai 1330 einen Bernardus de Bretleve mit einem Kanonikat am Kollegiatstift St. Johannes in Osnabrück Neustadt providiert und ihm eine Anwartschaft auf eine Präbende ausgestellt, die er eineinhalb Jahre später von einer weiter nicht spezifizierten Präbende ebenfalls auf eine Maiorpräbende umschrieb32. Das Problem von Herbordus hat damit den Namen, nicht aber die Gestalt gewechselt. Bernardus, der also bereits seit 1330 Kanoniker der Kirche ist, reklamiert die freigewordene Maiorpräbende wahrscheinlich im Jahr 1332 für sich, asserente dictam prebendam ad se de iure spectare et suo interesse causam huiusmodi defendere et prosequi33. Wiederum übergibt Johannes XXII. den Fall in eo statu in quo tempore mortis eiusdem Hermanni remanserat an seinen Kaplan und Rotaauditor Johannes de Sinemuro34. Doch der Tod greift ein weiteres Mal in den Prozeß ein, als Johannes XXII. im Jahre 1334 stirbt, bevor Johannes de Sinemuro zu einem Urteil gekommen ist. Papst Benedikt XII. (1334–1342) überweist35 den Fall darauf an seinen Kaplan Petrus Burgundionis de Romanis36, der an der Rota ebenfalls als auditor primi gradus wirkt. Petrus Burgundionis hat in seinem Urteil offenbar den Anspruch des Bernardus de Bretleve unterstützt und ihm die Stelle zugesprochen. Doch wollte Herbordus dieses Urteil nicht anerkennen und 32 33 34

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Paris 1903–1911, Nr. 2770. Mollat, Lettres de Jean XXII (wie Anm. 29), Nr. 49711 (28. Mai 1330), Nr. 55862 (5. Dezember 1331). OS, Rep. 5, 231. Leider ist es kaum möglich festzustellen, wann der Prozeß um die Stelle in Osnabrück Neustadt begonnen wurde. Zwar mußten die Interessenten ebenso um die Verhandlung ihrer causa vor einem Auditor beim Papst supplizieren wie etwa die pfründensuchenden Kleriker um ein Benefizialreskript, doch genügte die bloße Signatur der Supplik durch den Pontifex, um den Prozeß zu beginnen. Eine Ausfertigung als littera fand ebensowenig statt wie eine Registrierung der Supplik. Siehe Patrick Zutshi, Petitions to the Pope in the Fourteenth Century, in: Medieval Petitions. Grace and Grievance, hg. von William Mark Ormrod, Gwilym Dodd, Anthony Musson, Woodbridge 2009, 82–98, bes. 84. Guillaume Mollat hat allerdings einige wenige ausgefertigte und registrierte Bullen nachweisen können, Mollat, L’administration (wie Anm. 28), 883f. Wahrscheinlich hat nicht Benedikt XII. die Supplik signiert, sondern der Vizekanzler, in diesem Falle Pierre Des Préz. Zu Ausfertigung der commissiones siehe Gero Dolezalek, Rechtsprechung der Sacra Romana Rota – unter besonderer Berücksichtigung der Rotamanualien des Basler Konzils, in: Stagnation oder Fortbildung? (wie Anm. 4), 133–157, hier 135f. Erwähnt bei Cerchiari, Rota (wie Anm. 31), Band 2, 28, Nr. 145. Am Ende des Pontifikats Johannes’ XXII. ist er als päpstlicher Kaplan belegt, nachdem er zuvor bereits als legum doctor und Familiar des Kardinals Petrus de Mortuomari auftritt. Mollat, Lettres de Jean XXII (wie Anm. 29), Nr. 55006 und Nr. 63367.

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appellierte ein weiteres Mal, so daß Benedikt XII. den Fall in zweiter Instanz an einen auditor secundi gradus, Magister Willelmus de Norwico, überwies. Auch dieser entschied gegen Herbordus, was diesen aber nicht daran hinderte, ein drittes Mal zu appellieren, worauf er in dritter Instanz an den auditor tertii gradus Busolus de Parma verwiesen wurde, dessen Sentenz uns abschriftlich vorliegt37. Auch Magister Busolus de Parma, dessen Urteil am 2. April 1337 ergeht, entschied zugunsten des Bernardus, dem Herbordus dictus Mahe nicht nur die Präbende überlassen, sondern auch die Prozeßkosten ersetzen muß38.

2.2. Der Instanzenzug an der Kurie Die päpstliche Rota39 war der wichtigste kirchliche Gerichtshof des Mittelalters und bot den Rechtssuchenden ein Forum, das den lokalen politischen und sozialen Abhängigkeiten entzogen war40. Die Urteile der Rota gaben häufig die Rechtsentwicklung in der Christenheit vor41, und die Richter, deren Entscheidungen später gesammelt und verbreitet wurden, definierten den Maßstab der Rechtssprechung. Obwohl die Rota ihre über Jahrhunderte gültige Form gerade

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Qui [sc. Petrus Burgundionis] cognitis huiusmodi cause meritis et iuris ordine observato primam, et subsequenter venerabilis vir dominus Willelmus de Norwico, archidiacono Norwicensi, secundam, ac demum venerabilis vir dominus Busolus de Parma canonicus Tornacensis tercii graduum dicti palatii causarum auditor cause suprascripte ab eodem domino pape auditori successive et specialiter deputati tertiam pro dicto domino Bernardo et contra vos Herbortum diffinitivas sentencias promulgarunt. OS. Rep. 5, 231. Zu Busolus als Standardexekutor für deutsche Petenten siehe Hitzbleck, Exekutoren (wie Anm. 16), 497–505. Er wird erwähnt bei Cerchiari, Rota (wie Anm. 31), Band 2, 25, Nr. 118. OS, Rep. 5, 226. Zur Geschichte des Gerichtshofes zuletzt: Killermann, Die Rota Romana (wie Anm. 28). Gero Dolezalek hat die Bedeutung der Rota für die Organisation der mittelalterlichen Kirche als „Rechtsstaat“ hervorgehoben: „Ohne die Rechtsprechung der Rota hätte die Abendländische Kirche nicht wirksam als Rechtsstaat regiert werden können. (...) [U]m diese Möglichkeit [sc. der Organisation als Rechtsstaat] auch wirklich nutzen zu können (...), brauchte die Kirche ein straff organisiertes, zentral kontrollierbares Gerichtswesen, das große Mengen von Verfahren bewältigen konnte.“ Dolezalek, Rechtsprechung der Rota (wie Anm. 35), 133. Gero Dolezalek, Knut Wolfgang Nörr, Die Rechtssprechungssammlungen der mittelalterlichen Rota, in: Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, hg. von Helmut Coing, Band 1: Mittelalter (1100–1500). Die gelehrten Rechte und die Gesetzgebung, München 1973, 852: „Mindermeinungen wurden [...] zur herrschende Lehre, sobald die Rota ihnen beitrat (opinio Rotae facit communem opinionem). So konnte die Rota Romana eine Autorität gewinnen, die das Ansehen vergleichbarer anderer Gerichtshöfe in den Schatten stellte.“

Stellenweert und Bedeutuung kirchenrechttsgeschichtlicher Quellen

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erst geefunden hattee42, sind scho on aus den 30er 3 Jahren des d 14. Jahrhuunderts 4 , die in der großen Komp Sammlungen von ricchterlichen Voten Vo greifbar43 pilation a Decisioness Rotae Romaanae bis des deuutschen auditoor Wilhelm von Horborch als in das Zeitalter dess Buchdrucks hinein tradieert wurden44. Die Sentenzzen des päpstlicchen Gerichtts wurden nicht dauerhaft archiviert, so daß heuute nur Zufallsfunde einen Einblick in das d Spektrum m an der Rotta verhandelteer Fälle ermögllichen. Leidder enthalten die wenigen überlieferten n Urteile des päpstlichen p G Gerichts die Urrteilsbegründuung nicht45, sondern beeschränken sich s auf diee reine Mitteiluung der richteerlichen Senteenz, so daß auuch in unsereem Osnabrückker Fall die Arggumentation der Parteien und die Urteeilsbegründun ng des Richterrs nicht 42

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Erstt Johannes XX XII. promulgierrte mit seiner Konstitution „Ratio „ iuris“ vvom 16. Novvember 1331 diee erste schriftlicche Ordnung dieeses wichtigen Gerichtes, G siehe Michael Tanggl, Die päpstlich hen Kanzleiorddnungen vom 12200–1500, Innsb bruck 1894 (Naachdruck Aaleen 1959), 83–91. – Johann Baptist Sägmüller, Die D Entwicklungg der Rota bis zzur Bulle Johaanns XXII: „Raatio iuris“ a. 13266, in: Theologiscche Quartalschrrift 77 (1895), 977–120. – Mich hael Tangl, Einee Rota-Verhandllung aus dem Jaahr 1323, in: MIIÖG, Ergänzunggsband 6 (19001), 320–332. – Mollat, L’admin nistration (wie Anm. A 28). – Chaarles Lefebvre, U Un texte inéddit sur la procéédure rotale au XIVe siècle, in: i Revue de Droit D Canoniquue 10/11 (19660/61), 174–1911. – Knut Wolfggang Nörr, Ein Kapitel aus derr Geschichte deer Rechtspreechung: Die Rotta Romana, in: Iuus commune 5 (1975), 192–2099. – Ein Überbllick über die Geschichte derr Rota auch beii Hans-Jörg Giilomen, Die Ro otamanualien dees Basler nzils. Verzeichniis der in den Handschriften H deer Basler Univeersitätsbibliothekk behanKon delteen Rechtsfälle, Tübingen T 1998, XIII–XVIII. – Killermann, Die D Rota Romaana. (wie Anm m. 28), für den hier h interessieren nden Abschnitt der Geschichte der Rota beson nders 13– 93, zu z „Ratio iuris“ 62ff. John n H. Baker, Dr Thomas Fasto olf and the Histtory of Law Reeporting, in: Caambridge Law w Journal 45 (19986), 84–96. – Gero G Dolezalekk, Die handschriiftliche Verbreittung von Rech htsprechungssam mmlungen der Rota, R in: ZRG kan. k Abt. 58 (19972), 1–106. – D Derselbe, Bern nardus de Bosqqueto, seine Quaaestiones motae in Rota (1360––1365) und ihr A Anteil an den Decisiones Antiquae, in: ZRG G kan. Abt. 62 (1976), ( 106–1722. – Auch die connsilia des A an der Rota R entstanden n. Zu Person un nd Werk Oldrradus de Pontee sind aus der Arbeit siehe stellvertretendd für andere Tilm mann Schmidt, Die D Consilien des d Oldrado da P Ponte als Geschichtsquelle, in n: Consilia im späten Mittelalteer. Zum historisschen Aussagew wert einer di, 13), Sigmarin ngen 1995, 53–664. – Zu Queellengattung, hg.. von Ingrid Bauumgärtner (Stud den bei Oldradus behandelten b Ben nefizialmaterien siehe auch Hitzzbleck, Exekuto oren (wie Anm m. 16), 112–131. Dolezalek weist w darauf hin n, daß die Sam mmlungen vor dem 16. Jahrrhundert im streengen Sinne kein ne decisiones, son ndern quaestiones motae in rota beeinhalten, also „private Notizzen von Rota-R Richtern zu Rech htsfragen“. Dollezalek, Rechtsp prechung der Rota R (wie Anm.. 35), 139. Dolezalek, Nörr, Reechtsprechungsssammlungen (w wie Anm. 41), 849–856. Übeer das generelle Problem der Quellenlage, Q daß es schwierig maacht, Prozeßverllauf und -einzzelheiten zu rekkonstruieren sieh he Dolezalek, Rechtsprechung R d Rota (wie A der Anm. 35), 135fff.

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mehr vorliegt. Trotzdem bietet die Urkunde zahlreiche Informationen, die es erlauben, den Prozeß vor dem Richter der dritten Instanz, Busolus de Parma, nachzuverfolgen, den Ablauf zu rekonstruieren und die beteiligten Personen zu identifizieren. Dies ist in diesem Falle besonders gewinnbringend, da der Prozeß über viele Jahre geführt wurde und zudem Kleriker involviert, die weder geographisch noch persönlich im direkten Umfeld der Kurie zu vermuten sind: Die Protagonisten kommen aus dem norddeutschen Bereich, so daß der Weg an die Kurie mit großen Kosten verbunden gewesen ist, und nicht die bequemste Lösung für ein Rechtsproblem darstellte. Da der römisch-kanonische Zivilprozeß jedoch die persönliche Anwesenheit der Parteien nicht forderte, setzten beide Parteien Prokuratoren ein, die sie an der Kurie vertraten. Anders als man erwarten könnte, handelt es sich bei den Prokuratoren allerdings ebenfalls um deutsche Kleriker, einen Magister Gerardus de Rostock und einen Magister Menricus Galli, von denen ersterer nachweislich in Bologna studiert hat46. In diesem Fall können wir also nicht nur die Interaktion der Prozessparteien aus den partes an der Kurie beobachten, sondern auch die Organisation der Prozeßführung über die große Entfernung wie über die lange Zeit verfolgen. Interessant ist ferner der Einblick in die nicht unmittelbar im Prozeß betroffenen, aber doch beteiligten Personen wie Zeugen und Notare, scheint in ihnen doch der Personenkreis auf, der einem deutschen Kleriker im 14. Jahrhundert an der Kurie zur Verfügung stand.

2.3. Die Terminsequenz der dritten Instanz Wie bereits erwähnt, hält die Sentenzurkunde des Richters der dritten Instanz zwar nicht die Urteilsbegründung fest, doch immerhin die insgesamt sieben Einzeltermine des Prozesses sowie die Streitsache, die dabei verhandelt worden ist, außerdem die involvierten Personen. Unklar ist auch die Gesamtdauer des dritten Prozesses, da sich die Beauftragung des Richters durch Benedikt XII. als frühestmöglicher Beginn des Prozesses nicht erhalten hat. An einem ersten Termin erscheint nur Magister Gerardus de Rostock, der Prokurator des Bernardus de Bretleve, der den Richter bittet, den Prokurator der Gegenseite zu zitieren, damit dieser mögliche Einwände gegen die Einsetzung des Richters vorbringen könne47. An diesem Termin hat dann Magister Menricus Gallus auf Einwände gegen die päpstliche commissio ver46 47

Zu Gerhard von Rostock siehe unten. Comparente itaque coram nobis Magistro Gerardo de Rostoch procuratore prefati Bernardi, ad eiusdem procuratoris instantiam Magistrum Meridum Galli procuratorem supradicti Herbordi ad dicendum et proponendum quicquid dicere et proponere vellet contra comissionem nobis in huiusmodi causa factam citari fecimus ad certam diem per quendam domini pape cursorem [...]. OS, Rep. 5, 226.

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zichtet, woraufhin der Richter den beiden Parteien einen dritten Termin nennt, an dem sie loco libellorum coram nobis petitiones vorlegen sollen. Quo adveniente termino legen dann die Parteien ihre petitiones vor48, wobei die Partei des Herbordus dictus Mahe die Position vertritt, daß der Richter der zweiten Instanz, Willelmus de Norwico, in hac causa (...) fuisse et esse male et perperam processum et sententiatum und deshalb von seiner Seite zu Recht gegen das Urteil appelliert worden sei. Magister Gerardus de Rostock als Vertreter des Gewinners der ersten beiden Prozesse bittet entsprechend um die Anerkennung des Urteils und die Auflage, daß Herbordus dictus Mahe für die Prozeßkosten aufkommen solle49. Nach dem Schwur des Calumnieneids setzt Busolus de Parma einen neuen, vierten Termin, an dem die Parteien ihre positiones et articuli aus den vorhergehenden Instanzen noch einmal vorstellen50, worauf der Richter einen weiteren Termin festlegt, an dem die Parteien ihre jeweiligen Ansprüche beweisen (probare) 48

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Hinsichtlich der prozessualen Notwendigkeit der im römischen Zivilprozeß wie im römischkanonischen Prozeß ursprünglich geforderte oblatio libelli, der Einreichung der Klageschrift, kam die Kanonistik bis zum Ende des 13. Jahrhunderts überein, daß diese nicht zu den substantialia des Verfahrens gehöre. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts hatte sich – neben dem summarischen Prozeß – auch die Haltung durchgesetzt, daß eine petitio ad acta anstelle eines Klaglibells ausreichend sei. Siehe dazu Knut Wolfgang Nörr, Prozeßzweck und Prozesstypus. Der kirchliche Prozeß des Mittelalters im Spannungsfeld zwischen objektiver Ordnung und subjektivem Interesse, in: ZRG kan. Abt. 109 (1992), 183–209, Nachdruck in: Knut Wolfgang Nörr, Iudicium est actum trium personarum. Beiträge zur Geschichte des Zivilprozeßrechts in Europa (Bibliotheca Eruditorum, 4), Goldbach 1993, 87*–113*, hier 194ff. = 98*ff. – Zur Entwicklung der litis contestatio, der Streitfeststellung, allgemein Steffen Schlinker, Litis Contestatio. Eine Untersuchung über die Grundlagen des gelehrten Zivilprozesses in der Zeit vom 12. bis zum 19. Jahrhundert (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 233), Frankfurt am Main 2008, zum kanonischen Recht besonders 146– 221, zur Einreichung der Anträge (petitiones) 171. – In der durch Guillaume Mollat edierten Sentenz des Rotaauditors Étienne Hugonet (Stephanus Hugonis) wird eine summaria petitionum seu libellum vorgelegt: Comparentibus igitur magistris [...] in judicio coram nobis, nos eisdem procuratoribus ad dandum et recipiendum petitionum summariam seu libellum in causa predicta certum terminum duximus assignandum. Mollat, L’administration (wie Anm. 28), 893. [...] Magister Gerardus petiit contrarium pronunciari, decerni, et declarari et partem adversam per eundem dominum auditorem in expensis ac fructibus condempnari. Die litis contestatio war im Prozeß der dritten Instanz nicht mehr notwendig. Siehe Dietrich von Nieheim, Der Stilus palatii abbreviatus, in: Dietrich von Nieheim, Der Liber cancellariae apostolicae vom Jahre 1380, hg. von Georg Erler, Leipzig 1888, Nachdruck Aalen 1971, 217–234, hier 227: Termini in tercia instancia per omnia servantur, ut supra, sed ad primum diem termini substanciales tenentur, excepto termino ad articulandum, qui ad X. diem consuevit fieri, et in tercia instancia, non obstante, quod prophana existat, non curabit auditor litis contestacionem fieri in causa [...]. OS, Rep. 5, 226: In quo termino procuratores prefati positiones et articulos cum eorum declarationibus alias per eos utrocitroque in causa huiusmodi datos coram venerabilibus viris [...] auditoribus necnon exceptiones alibi datas per procuratores eosdem contra positiones et articulos supradictos coram nobis producere curaverunt.

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können. Ein letztes Mal legen die Parteien ihre positiones und exceptiones vor und der Richter gibt ihnen einen sechsten Termin ad conducendum in causa huiusmodi vel ad assignandum causam rationabilem, quare conclusio in eadem fieri non deberet, de ipsorum procuratorum assensu certum et peremptorium terminum statuimus ut iuris et moris existit. Bei diesem vorletzten Termin präsentiert Magister Gerardus die Sentenzen aus den beiden vorherigen Instanzen, worauf die Prokuratoren ihre Schlußplädoyers halten und der Richter das Verfahren schließt: Subsequenter procuratores prefati in causa presenti concorditer concluserunt, quam conclusionem merito acceptantes cum eisdem procuratoribus in causa conclusimus et habuimus pro concluso. Abschließend setzt Busolus noch einen letzten Termin zur Verkündung des Urteils an, an dem sich die beiden Prokuratoren bei ihm einfinden und Gerardus um die Verkündung des Urteils bittet, Gerardo sententiam per nos fieri cum instantia postulante. Busolus entscheidet – die Niederlage des Herbordus dictus Mahe ist damit endgültig –, in der dritten Instanz, daß durch den Richter der zweiten Instanz korrekt entschieden worden sei und bestätigt dessen Urteil. Außerdem verurteilt er Herbordus zur Zahlung der Prozeßkosten. Allerdings geht Herbordus doch mit einem kleinen Vorteil nämlich gegenüber seinen Konkurrenten in partibus aus dem Prozeß heraus: Zwar bekommt Bernardus de Bretleve die Stelle, die durch den Tod des Hermannus de Haren freigeworden war, doch überträgt der Richter dem Prozeßverlierer das Recht an einer Maiorpräbende, die zur Zeit der Urteilsverkündung frei ist oder die als erstes frei werden sollte, reservantes prout de iure possumus ius in una de prebendis maioribus in ecclesia memorata (...) vacante ad presens vel proximum (!) vacatura. Damit erhält Herbordus nun seinerseits einen Vorteil gegenüber anderen, lokalen Kandidaten, da er mit der Urteilsverkündung das ius in re an einer schon freien, das ius ad rem an der ersten freien Stelle innehat, so daß sein Anspruch kaum mehr abzuweisen ist, auch wenn die Vakanz sich noch nicht konkretisiert haben sollte51. Damit ist die Gerichtsverhandlung in diesem Pfründenstreit zwischen Herbordus und Bernardus beendet und Busolus de Parma läßt vor Zeugen das Urteil durch seinen scriba Nicolaus quondam domini Omneboni de Parma, einen notarius publicus apostolica et imperiali auctoritate, aufschreiben und verkünden.

3. Die Sentenzexekution Mit der Abfassung dieses Instruments ist das Verfahren zwar beendet, doch steht die Exekution der Sentenz noch aus: Um rechtskräftig zu sein, bedarf es noch des päpstlichen Befehls zur Exekution des Urteils, der durch eine päpstliche littera de iustitia erfolgen muß. 51

Hitzbleck, Exekutoren (wie Anm. 16), 148–170.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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3.1. Die päpstliche littera de iustitia Dieses päpstliche Reskript ist nicht registriert und auch nicht im Original erhalten, doch ist es zumindest auszugsweise in dem Instrument überliefert, das der Sentenzexekutor die sotero (?) im Juni 1337 hat aufsetzen lassen. Das päpstliche Reskript war auf den 26. April 1337 datiert und setzte den Bischof von Verden, den Dekan des Marienstifts in Utrecht und den Scholaster von Toul als Sentenzexekutoren ein52. Die päpstliche Urkunde enthielt zunächst noch einmal eine Schilderung des Falls mit der Konstellation der Personen und Ansprüche auf eine Stelle an St. Johann in Osnabrück. Außerdem gibt der Exekutor in seinem Instrument den päpstlichen Auftrag wieder, mit dem er in sein Amt eingesetzt wird. Der Papst erkennt die Urteile der drei Richter zunächst an und beauftragt die Exekutoren gemeinsam oder einzeln53, Bernardus oder seinen Prokurator in die corporalis possessio der Stelle einzuführen und Herbordus aus ihr zu entfernen, außerdem dafür zu sorgen, daß Bernardus auch die Einkünfte aus der Stelle bekommt. Zudem erhält der Exekutor in der Formel Contradictores per censuram ecclesiasticam appellatione postposita compescendo den Auftrag, Widersacher mit kirchlichen Strafen zum Einlenken zu zwingen54.

3.2. Die Sentenzexekution Der Papst nennt dem Petenten bei Sentenz- und bei Benefizialreskripten drei Exekutoren, die gemeinsam oder einzeln für die Umsetzung des päpstlichen Mandats sorgen müssen, sich dabei allerdings vertreten lassen dürfen. Der Petent braucht nicht alle Richter zur Erfüllung des fürstlichen Auftrags zu versammeln, sondern es genügt, wenn er einen von ihnen anspricht. Unser Petent, Bernardus de Bretleve, geht zum Dekan des Marienstifts in Utrecht, Johannes de Slavick, um nach vielen Jahren nun doch noch zu seiner Pfründe zu kommen. Dieser wendet sich in seinem Exekutionsprocessus zunächst an Propst, Dekan und Kapitel des Johannesstifts sowie den Prozeßverlierer und informiert diese über seinen Auftrag. Sodann schildert er noch einmal den Instanzenzug, der zu dem endgültigen Urteil für Bernardus de Bretleve geführt hat und 52 53

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Zu den beteiligten Personen siehe unten. Zur solidarischen und kollegialen Mandatierung von Konservatoren und Exekutoren siehe May, Konservatoren, 191f.; Hitzbleck, Exekutoren (wie Anm. 16), 185f. – Bonifaz VIII. hatte in seiner Dekretale „Cum plures“ (VI I.14.8) festgesetzt, daß Delegierte Richter und Exekutoren, ein entsprechendes Mandat vorausgesetzt, nicht gemeinsam handeln müssen. Zur Verhängung kirchlicher Strafen durch Exekutoren siehe Hitzbleck, Exekutoren (wie Anm. 16), 222ff.

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inseriert die päpstliche Urkunde, die ihn zum Exekutor in diesem Fall macht. Außerdem erwähnt er die rechtmäßige Besiegelung der päpstlichen Urkunde und die Tatsache, daß ihm die drei richterlichen Sentenzen in Form von Notarsinstrumenten (instrumentis publicis) vorgelegen hätten. Sodann befiehlt er dem ordentlichen Kapitel, Bernardus de Bretleve unter Androhung von Exkommunikation, Suspension und Interdikt innerhalb von sechs Tagen nach Erhalt des Schreibens in die Präbende einzusetzen. Er erklärt weiter, daß er Herbordus – et quolibet alio detentore! – aus der Stelle entferne und verbietet den Empfängern jegliche Unterstützung des Gegners. Sodann wendet sich der Exekutor an die laboratores et cultores agrorum, terrarum, bonorum, possessionum et iurium ac distributores portionum, fructuum, reddituum, proventuum et obventionum spectancium et pertinencium ad canonicatum et prebendam predictos, – also alle, die mit der Einkommensgeneration und -verwaltung dieser Pfründe beschäftigt sind –, und befiehlt, Bernardus de Bretleve den problemlosen Genuß der Präbendalfrüchte zu ermöglichen. Jegliche Zuwiderhandlung wird mit kirchlichen Zensuren bestraft, die der Exekutor bereits in seinem Instrument ankündigt. Sodann zieht sich der Exekutor aus dem Prozeß zurück, indem er eine größere Anzahl von Subexekutoren genannten Stellvertretern ernennt, die seine Aufgabe vor Ort ausführen sollen. Auch diese werden unter Androhung der Exkommunikation zur Kooperation verpflichtet. Abschließend wendet sich Johannes de Slavick noch einmal direkt an die Kollatoren vor Ort, indem er ihnen bei fortgesetzer Hartnäckigkeit die aggravatio der Exkommunikation ankündigt, die dann auch in den Kirchen der Umgebung von der Kanzel verkündet werden soll55. Der Rest des Dokuments betrifft nur noch den Umgang mit den Urkunden. So sollen die Instrumente und die Papsturkunde selbst in den Händen des Bernardus de Bretleve verbleiben, doch dürfen sich die ordentlichen Kollatoren vestris tamen sumptibus et expensis Abschriften anfertigen lassen – was diese offensichtlich getan haben, denn es dürften diese Abschriften sein, die uns den interessanten Osnabrücker Rechtsfall überliefert haben. Außerdem hält der Exekutor noch fest, daß sein Einsatz seine Kollegen nicht aus dem Verfahren ausschließen und daß die Aufhebung etwaiger Zensuren nur durch ihn selbst oder seinen superior, also den Papst, erfolgen soll. Zuletzt befiehlt der Exekutor dem Thilmannus quondam Ludolphi de Vilica, einem Kleriker der Diözese Köln und öffentlichem Notar, ein Instrument über den Fall aufzusetzen und sein richterliches Siegel anzuhängen. Es folgt die Angabe von Ort und Datum und die Nennung der Zeugen, die bei diesem Rechtsgeschäft anwesend waren.

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Siehe auch Hitzbleck, Exekutoren (wie Anm. 16), 224ff.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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3.3. Bedeutung und Bewertung Die drei vorgestellten Urkunden machen, so selten sich derlei in den nordeuropäischen Archiven erhalten hat, nur einen Bruchteil des Urkundenverkehrs aus, der zwischen der Kurie und den partes im Mittelalter zirkulierte. Zu den Provisionsurkunden, die sicher den größten Teil des päpstlichen Urkundenausstoßes ausmachen, kamen erstens noch zahlreiche weitere Urkundentypen – zu denken wäre etwa an Dispense und Delegationsreskripte –, welche die Verbindung der päpstlichen Zentrale mit der Christenheit erhielten und schufen. Dazu kamen zweitens noch die Menge von Urkunden, die erst durch den päpstlichen Eingriff in die örtlichen Kollationsrechte sozusagen in zweiter Reihe produziert wurden: Zu unserem Rechtsfall konnte es nur kommen, weil zumindest einer der beiden Kandidaten sich mit einem päpstlichen Provisionsreskript ausgerüstet hatte und so mit einem (vermutlich) örtlichen Anwärter in Konflikt gekommen war. Der Überlieferungszufall56 hat uns in diesem Beispiel die Einzelheiten der Streitsache in die Hände gespielt, die sich in den päpstlichen Registern nicht auch nur annäherungsweise nachvollziehen lassen: Mehr als die Ausgangssituation im Jahr 1330/1331 wird uns dort nicht mitgeteilt, die Verwerfungen, die das Interesse des Herbordus dictus Mahe hervorrufen sollte, waren zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht absehbar. Eine Überlieferungschance hatte dieser Rechtsstreit nur, weil das Johannesstift in Osnabrück als die betroffene kirchliche Institution Abschriften von den für die Rechtssituation wichtigsten Dokumenten hat anfertigen lassen: Wie im Instrument selbst vermerkt wird, sollten die Originale in den Händen der erfolgreichen Streitpartei verbleiben, was eine Überlieferung über die Lebenszeit des Bernardus de Bretleve hinaus äußerst unwahrscheinlich machte. Aus demselben Grund, aus dem nur wenige päpstliche Provisions- und Delegationsreskripte außerhalb der päpstlichen Register erhalten sind, sind auch Nachrichten über die Konflikte zwischen Pfründenprätendenten rar. Trotzdem sind es gerade diese Quellen, welche die aktive Nutzung und lokale Aktualisierung des päpstlichen Rechtsangebots illustrieren. Zudem wird hier einmal mehr deutlich, daß jedes einzelne päpstliche Provisionsreskript mehr Personen betraf als nur den Petenten, den Papst, den Kollator und gegebenenfalls den Provisionsgegner: Es involviert schon im Normalfall darüber hinaus die Exekutoren und die Subexekutoren und gibt im Konfliktfall auch den Richtern an der Kurie wie den Zeugen und Notaren Raum: Das Benefizialwesen stellt sich als komplexes institutionelles und soziales Geflecht dar, das nur auf der Grundlage einer ganzen Provisionsinfrastruktur 56

Arnold Esch, Überlieferungs-Chance und Überlieferungs-Zufall als methodisches Problem des Historikers, in: Historische Zeitschrift 240 (1985), 529–570.

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denkbar ist. Dies zu verdeutlichen ist Aufgabe des folgenden Kapitels, das sich mit den unmittelbar beteiligten Personen allein in diesem Streitfall beschäftigt. Dabei ist eines zu beachten: Überliefert hat sich nur die Sentenz, das Exekutionsmandat und der Exekutionsprocessus, nicht jedoch die Sentenzen der ersten Instanzen, nicht die Prozeßunterlagen in Form der petitiones, positiones et articulos der Streitparteien, ebenfalls nicht die Prokuratorien und protestationes, die notwendigerweise zum kanonisch-römischen Zivilprozeß gehörten. Bedenkt man zudem, daß sich insgesamt vier Richter und drei Streitparteien über mehrere Jahre hinweg um diese eine Stelle gestritten haben, so sollte deutlich sein, daß selbst unser Prozeß in keiner Weise vollständig überliefert ist.

4. Personen, Ort, Zeit In den beiden Urkunden lassen sich 25 Personen identifizieren, die bis zur Urteilsfindung und Urteilsvollstreckung in den Fall verwickelt gewesen sind, zu denen sich noch beinahe ebenso viele Kleriker gesellen, die als Subexekutoren57 die Vollstreckung des Urteils vor Ort durchführen sollten. Nicht alle diese Personen sind auf gleiche Weise am Ausgang des Prozesses beteiligt – die Rolle eines Notars ist nicht vergleichbar mit der eines Zeugen, der Papst spielt zwangsläufig eine andere Rolle als der Richter, doch bietet die Ansammlung dieser Personen Möglichkeiten, Personengruppen und ihre Interaktion an der Kurie zu untersuchen und auch die informellen Verbindungen zwischen den Klerikern der partes und ihrem Netzwerk an der päpstlichen Zentrale zu beleuchten. Dabei fällt zunächst eines ins Auge: Beide Instrumente, das über die richterliche Sentenz wie das über die Einleitung des Exekutionsprozesses sind im päpstlichen Palast in Avignon respektive in Villeneuve bei Avignon aufgesetzt worden. Was bei der richterlichen Sentenz nicht weiter verwundern will – die Rota hatte ihren Sitz im Papstpalast, läßt bei dem processus aufmerken. Diese Urkunde, die auf Befehl von Johann von Slavick, dem Dekan des Utrechter Marienstiftes aufgesetzt worden ist, ist nicht etwa in partibus entstanden, sondern datum et actum apud Villamnovam in hospicio habitationis nostre Avinionensis diocesis58, also in der Wohnung des Johannes de Slavick in Villeneuve jenseits der Rhône in der Nähe des päpstlichen Palastes59! Ein deutscher 57 58 59

Über die Redundanz bei der Einsetzung der Subexekutoren siehe Hitzbleck, Exekutoren (wie Anm. 16), 277. Zu den hier benannten Subexekutoren siehe unten. OS, Rep. 5, 231. Der Notar spricht von sich stets in der ersten Person Singular, so daß seine Wohnung als Abfassungsort der Urkunde ausfällt.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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Kleriker war an der Kurie des frühen 14. Jahrhunderts also nicht auf sich allein gestellt: Es gab vielmehr eine Infrastruktur, die den Petenten die Navigation im Labyrinth der römischen Kurie erleichterte. Vor dem Hintergrund der schieren Dauer, die ein Prozeß am römischen Gericht haben, die der Weg von der Supplik zur Provisionsurkunde in Anspruch nehmen konnte, scheint es allerdings nur natürlich, daß sich lokale Seilschaften an der päpstlichen Zentrale etablierten60. Zur Vorstellung von der Kurienferne eines geographischen Raumes paßt der Befund freilich weniger.

4.1. Die Richter In den Prozeß sind drei, möglicherweise vier Richter involviert, die an der römischen Rota gewirkt haben. Ein persönlicher Kontakt zu den Petenten ist bei ihnen nicht anzunehmen, da die Streitfälle den Richtern vom Papst oder dem Vizekanzler zugeteilt wurden. Zur Abfassung des Instruments mit seiner richterlichen Sentenz greift Busolus auf seine eigene Entourage an der Kurie zurück, die ihren Namen nach wie er aus Parma bzw. dem oberitalienischen Raum zu kommen scheint: Neben seinem scriba Nicolaus quondam Omneboni de Parma, der das Instrument aufsetzt, werden als Zeugen der notarius supradicti domini Bossoli Ventura de Adria erwähnt, außerdem Harlinus de Cremona und ein Rogerius de Mediolano, die als advocati in Romana Curia auftreten sowie ein Ricardus de Tormencon, der als procurator in Romana Curia fungiert. Die Konstellation von Personen erklärt sich aus der Gerichtssituation an der Kurie, wo neben dem Richter auch weiteres kuriales Personal anwesend war. Auffällig ist indes, daß kein 60

Unsere beiden Urkunden sind nicht die einzigen Indizien für diese internationale Organisiertheit der Kleriker. So hat Gero Dolezalek in einer heute in Berlin befindlichen Handschrift aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts mit den quaestiones motae in rota des Bernardus de Bosqueto als Vorsatzblatt ein Notarsinstrument von 1346 über einen Kredit zwischen zwei Klerikern an der Kurie in Avignon gefunden. Auch in dieser Urkunde, die von einem Notar aus Aachen aufgesetzt worden ist, treten ausschließlich Deutsche aus den Diözesen Magdeburg, Mainz, Halberstadt, Hildesheim (Goslar) und Osnabrück auf, darunter auch ein Laie Conradus dictus Kake de Gotingen. Ein Magister Henricus de Halberstadt fungiert als in Romana curia procurator, ebenso ein Gerardus Nemffin, dessen im Instrument ebenfalls erwähnter, mutmaßlicher Verwandter Nicolaus Nemfem Domkanoniker in Magdeburg ist. Magister Johannes Aurifaber, Kanoniker am Paulusstift in Halberstadt, hat seine Wohnung in Avignon für den Rechtsakt zur Verfügung gestellt. Dolezalek berichtet ferner, daß die Urkunde als „Konzept“ für eine weitere Schuldurkunde zwischen einem Mainzer und einem Magdeburger Kleriker gedient habe, die im Pontifikat Urbans V. (1362–1370) aufgesetzt worden ist. Als „Prozeßbevollmächtigter“ tritt ein Conradus de Cassele auf, offensichtlich ebenfalls ein Deutscher. Dolezalek, Bernardus de Bosqueto (wie Anm. 43), 113f.

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Kerstin Hitzbleck

Landsmann der Petenten erwähnt wird: Die Prokuratoren der Streitparteien scheinen entweder ohne weitere Begleitung oder rechtliche Unterstützung aufgetreten zu sein, oder man empfand ihre Nennung als Zeugen als überflüssig. Völlig anders stellt sich die Situation im anschließenden Exekutionsprozeß dar, der vor Johann von Slavick als Richter stattfindet61. Zunächst ist zu beachten, daß insgesamt drei Richter bestellt werden, neben dem genannten Dekan des Marienstifts in Utrecht der Bischof von Verden und der Scholaster von Toul. Bei dem Bischof handelt es sich62 um den Mediziner Johannes Hake von Göttingen, der als Arzt und Gesandter äußerst erfolgreich war, als Oberhirte von Verden jedoch mit Schwierigkeiten bei der Inbesitznahme und Leitung seines Bistums zu kämpfen hatte. Als Leibarzt Benedikts XII. hielt er sich meist an der Kurie in Avignon auf, wo er 1349 auch starb63. Der Scholaster von Toul ist dagegen, anders als der eher unscheinbare Titel vermuten lassen würde, keineswegs ein lokaler Kleriker aus Lothringen: Es handelt sich um den päpstlichen Kaplan, Professor des Zivilrechts und auditor causarum Magister Franciscus de Amelia64. Während Johannes Hake sich wie Johannes de Slavick als Verbindungsfigur zwischen Norddeutschland und der Kurie durchaus anbietet, ist die Beauftragung des Auditors nicht als persönlich motivierte Wahl interpretierbar. Wie sein Vorgänger auf der Stelle, der päpstliche Kaplan und Auditor Jacobus de Attis de Mutina, fungiert Franciscus de Amelia eher als Standardexekutor ohne näheren Kontakt zum Begünstigten. 61 62

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Über die Rolle der Exekutoren als Richter siehe Hitzbleck, Exekutoren (wie Anm. 16), 90f. und öfter. Zu der Bezeichnung der Richter in den Urkunden siehe Hitzbleck, Exekutoren (wie Anm. 16), 158, 249 mit weiterer Literatur. Die Namen von Stelleninhabern wurden in den Urkunden nicht genannt, damit beim Tod des Inhabers sein Nachfolger in dessen Rechte eintreten konnte. Zumindest in den Registern – die Urkunden sind bekanntlich meist verloren – wird diese Vorgabe jedoch bei den Exekutoren oft nicht eingehalten und der Amtsinhaber mit Namen genannt. Zu Vita und Wirken des Johannes Hake von Göttingen siehe Arend Mindermann, Der berühmteste Arzt der Welt. Bischof Johann Hake, genannt von Göttingen (1280–1349) (Göttinger Forschungen zur Landesgeschichte, 3), Bielefeld 2001. – Thomas Vogtherr, Manfred Heim, Johannes Hacke, in: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198– 1448, hg. von Erwin Gatz, Berlin 2001, 197f. Brigide Schwarz faßt unter diesem Titel noch den päpstlichen Kaplan und Auditor Jacobus de Mutina, der allerdings im Jahre 1335 zum Bischof von Brescia ernannt wird und die Scholasterie in Toul bis 1337 auch tatsächlich aufgegeben hat. Franciscus de Amelia erhält die Stelle am 29. Juli 1335 und wird bereits am 7. März 1336 ausdrücklich in einem Exekutionsmandat als Inhaber genannt, siehe Vidal, Lettres de Benoît XII, Nr. 214, 2887, 4203 u. ö. Vgl. Schwarz, Regesten (wie Anm. 19), 201, Nr. 820. Zu Jacobus de Mutina als Standardexekutor für das Deutsche Reich im Pontifikat Johannes’ XXII. siehe Hitzbleck, Exekutoren (wie Anm. 16), besonders 489–494. Franciscus wird erwähnt bei Cerchiari, Rota (wie Anm. 31), Band 2, 225, Nr. 108.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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Interessanter fast als die Person des Johannes de Slavick selbst sind die Personen, die sich als Notare und Zeugen dieses Prozesses eingefunden haben: Denn nicht nur der Dekan des Utrechter Marienstift hat sich offenbar auf Dauer in der Nähe der römischen Kurie eingerichtet. Es zeigt sich, daß er auf eine ganze Entourage von deutschen Klerikern zurückgreifen kann. Dabei wäre zunächst der Kölner Geistliche Thilmannus quondam Ludolphi de Vilica zu nennen, der als öffentlicher notarius apostolica et imperiali auctoritate den Initialprozeß aufgenommen und geschrieben hat. Johann von Slavick muß sich also nicht an einen einheimischen Notar wenden. Und unser Thilmannus war offenbar nicht der einzige deutsche Kleriker, der sich im Umfeld der Kurie aufgehalten hat: Als Zeugen werden weiter benannt ein Godefridus de Tule, Kanoniker am Petersstift in Utrecht, außerdem Otto de Wischel, ein Kleriker der Diözese Köln, und Mengerus de Buren, ein Kleriker der Diözese Paderborn65. Es ergibt sich geradezu das Bild einer deutschen Seilschaft im südfranzösischen Avignon, die als Anlaufstelle für deutsche Kleriker aus dem Norddeutschen Raum fungiert haben könnte. Damit treten die Deutschen an der Kurie nicht als versprengter Haufen auf, sondern es offenbart sich eine Organisation, wie sie nicht anders von französischen Würdenträgern bekannt ist: Auch der päpstliche Kaplan und Kanzleinotar Bernardus Stephani konnte im Pontifikat Johannes’ XXII. auf eine eigene Organisation von Familiaren und Assoziierten vertrauen, die nicht nur in seinem Haus ein- und ausgingen, sondern ihn auch bei der Verwaltung und Bewirtschaftung seines Pfründenpools unterstützten sowie vor Gericht vertraten66. Es spricht alles dafür, in unserem Kreis von deutschen Klerikern eine vergleichbare Organisation zu erkennen. Der besondere Wert unserer Urkunde liegt deshalb, wie auch bei dem Imbreviaturfragment des Petrus de Mossaco, in der Beleuchtung der sonst unsichtbaren Teile der Kurie von Avignon: Keiner unserer Zeugen und Notare ist in den Registern der Kurie faßbar und damit der Untersuchung weitgehend entzogen. Unser unscheinbares Transsumpt eines Exekutionsprocessus zeigt deshalb mehr als nur die Nutzung des kirchlichen Rechtsangebots auch durch norddeutsche Kleriker: Es macht deutlich, daß nicht nur die gut organisierten, rechtlich fortschrittlichen Südfranzosen und Italiener an der Kurie präsent waren, sondern daß auch norddeutsche Kleriker ohne irgendeinen höheren Rang an der päpstlichen Zentrale organisiert waren und von ihrem Rechtsangebot profitierten. Die Partizipation mag in der Menge weniger bedeutend gewesen sein als die der „klassischen“ kuriennahen Nationen, zu leugnen ist sie jedoch nicht. Auch die norddeutschen Kleriker hatten 65 66

OS, Rep. 5, 231. Siehe die Darstellung der Entourage des Bernardus Stephani bei Hitzbleck, Procuratores (wie Anm. 17).

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ihre Kommunikationsstrukturen, die sich bemerkenswert wenig von denjenigen südfranzösischer Kleriker unterschieden67.

4.2. Die Subexekutoren Wie gesehen wurde der Exekutionsprozeß der Sentenz gegen Herbordus dictus Mahe bereits in Villeneuve bei Avignon eingeleitet, doch muß sich der Exekutor für den weiteren Vorgang der Exekution vor Ort wegen anderweitiger Verpflichtungen entschuldigen, aliis arduis nostris et ecclesie nostre negociis occupati68. Dieses Verfahren ist auch aus anderen Exekutionsprozessen bekannt, in denen der Hauptexekutor nach der Initiierung des Prozesses seine vices delegiert. Auch die Begründung – arduis negotiis – ist stereotyp. Durch die Stellvertretung erlaubt das Kirchenrecht die pragmatische Ausführung von rechtlichen Angelegenheiten auch über große Entfernungen hinweg. Die zahlreichen von Johann von Slavick eingesetzten Subexekutoren zeigen eine Charakteristik, die bereits aus der Imbreviatur des Petrus de Mossaco bekannt ist: Neben einigen wenigen, hierarchisch höherstehenden Klerikern wird eine sehr große Zahl von Pfarrklerikern mandatiert, was kirchenrechtlich prinzipiell nicht vorgesehen, praktisch allerdings problemlos möglich war69. Die Liste beginnt mit Prälaten70 am Dom von Osnabrück und in Emmerich, 67

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Siehe auch die Arbeiten von Barbara Bombi, die sich mit der Kommunikation zwischen dem englischen König, englischen Klerikern und der Kurie von Avignon beschäftigt. Bombi, Sapiti (wie Anm. 17); Dieselbe, Petitioning between England and Avignon in the First Half of the Fourteenth Century, in: Medieval Petitions. Grace and Grievance, hg. von W. Mark Ormrod, Gwilym Dodd, Anthony Musson, Woodbridge 2009, 64–81. Bombi stellt hier besonders die herausragende Bedeutung des personellen Netzwerks heraus, das erst die Verbindung zwischen der Kurie und der Region schaffte. Auch hinsichtlich des Umgangs mit der kurialen Bürokratie stehen die Vorteile eines örtlichen Netzwerks außer Frage: „Petitions were an important part of what has been defined as diplomatic correspondence. Nevertheless in order to be fruitful this exchange of documents and envoys needed to be based on the use of a common bureaucratic language (...). In this respect the presence of expert representatives both in England and at Avignon was vital“, 80. OS, Rep. 5, 231. Zu Mandatierung und Kompetenzen der Subexekutoren siehe Hitzbleck, Exekutoren (wie Anm. 16), Kapitel IV: Exekutoren und Subexekutoren, 246–284. Der südfranzösische Kanonist Guillaume de Montlauzun hat sich über diese Frage ausführlich Gedanken gemacht und eine Begründung gefunden, warum niedere Kleriker mit jurisdiktionellen Aufgaben betraut werden können, obwohl ihnen dies aufgrund ihres Ranges eigentlich vorbehalten bleibt. Siehe dazu Hitzbleck, Exekutoren (wie Anm. 16), 108ff. Leider scheint die Liste nicht fehlerfrei zu sein. Im Transsumpt findet sich bei der Aufzählung der Prälaten folgender Wortlaut: [...] venerabilibus et discretis viris dominis .. maioris Osnaburgensis .. Embricensis et .. [gemipunctus über der Zeile] Stenwicensis, .. decano, .. scholastico Alberto Loyf, Swedero de

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darunter der Dekan und der Scholaster am Dom. Außerdem werden die Kanoniker Albertus Loyf71 und Suederus de Godelinchen am Dom von Osnabrück eingesetzt. Die Liste wird vervollständigt durch die Magister Andreas dictus Ghyr, der ein Kanonikat in Bielefeld innehat und den Paderborner Domherrn Magister Johannes Lamberti de Montemartis Orientalis. Die übrigen Subexekutoren sind die erwähnten niederen Kleriker, die sich nur schwer namentlich identifizieren lassen, bei denen jedoch offensichtlich ist, daß nicht nur räumliche Nähe zur Pfründe den Ausschlag für Ihre Bestellung gegeben haben kann: So findet sich etwa der Rektor einer Kirche in Almelo in der Diözese Utrecht. Die Situation bei den Subexekutoren verrät durch ihre räumliche Disparatheit, die keinen ausschließlich zweckrationalen Gründen folgt, einmal mehr, daß die Kleriker in ein Netz eingebunden waren, das ihnen den Rückgriff auf ihnen bekannte Personen zur Umsetzung ihrer an der Kurie erworbenen Rechte ermöglichte. So erklärt sich auch die große Menge der Mandatierten: Da aus der Entfernung nicht unbedingt absehbar war, wer für die Ausführung des Auftrags vor Ort tatsächlich zur Verfügung stand, sicherte die redundante Einsetzung der Subexekutoren die Umsetzung der Sentenz in partibus.

4.3. Die Prokuratoren In diese Gruppe von norddeutschen Klerikern gehören auch die beiden Prokuratoren, die für die Kontrahenten Herbordus dictus Mahe und Bernardus de Bretleve den Prozeß an der Kurie führen, wobei Bernardus einmal persönlich in Avignon vor dem Richter erscheint: Busolus de Parma vermerkt in seiner Sentenz, daß am fünften Termin, als von beiden Seiten noch einmal die exceptiones vorgelegt werden, Bernardus principalis pro se ipso aufgetreten sei, dadurch aber nicht intendiert habe, seinem Prokurator das Mandat zu entziehen.

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Godelinchen eiusdem maioris, Magistris Andree dictus Ghyr Bileveldensis, ac Johanni Lamberti de Montemartis orientalis Paderburnensis canonicis [...]. Die Position des gemipunctus, der im Mandat die Personennamen ersetzt, um den Auftrag vom tatsächlichen Inhaber einer Stelle unabhängig zu machen, verrät, daß sowohl an der Domkirche von Osnabrück wie an den Stiften in Emmerich und Steenwijk Prälaten angesprochen waren, zu denen sich der Dekan und der Scholaster am Osnabrücker Dom hinzugesellen. Nach Maßgabe der Ämterhierarchie am Stift wäre hier mit den jeweiligen Pröpsten zu rechnen. Zum Stift in Emmerich siehe Ulrike Spengler-Reffgen, Das Stift St. Martini zu Emmerich von den Anfängen bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts (Bonner Historische Forschungen, 57), Siegburg 1997. Zu diesem siehe Mollat, Lettres de Jean XXII (wie Anm. 29), Nr. 21885, 30. März 1325. Albertus erhält zu seinem Kanonikat an SS. Petrus und Andreas in Paderborn mit Unterstützung des Königs Johann von Böhmen eine Pfründenexpektanz am Dom von Osnabrück.

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K Kerstin Hitzblecck

M Geraardus de Rosttock als Bei derr Urteilsverküündung ist daann wieder Magister Vertretter des Bernarrdus im Gerich ht72. Beddenkt man diee Zeit, die ein n Gerichtsprozzeß – wie ja auch a im vorlieegenden Beispieel – in Ansp pruch nehmen konnte, sccheint es nurr natürlich, ddaß ein Klerikeer die verschiiedenen Schriitte vor Gericcht einem Ein ngeweihten üüberließ, um selb bst seinem Taagesgeschäft nachgehen n zu können. Enttsprechend wiird man davon ausgehen kön nnen, daß aucch unsere beid den Kontraheenten nicht diee ganze or Ort in Aviignon geweseen sind. Verm mutlich ist aucch das Intereesse am Zeit vo Ausgan ng des Prozeesses ein eher grundsätzzliches gewesen, als daß es zur persönllichen Verfolggung der einzzelnen Prozeß ßschritte mottiviert hätte: B Bei der Urteilsvverkündung der dritten Instanz, I sicheer einem zen ntralen Schrittt nach Jahren des Prozessieerens, war kein ne der Parteien persönlich anwesend. a Bei beiden Prokkuratoren fälltt auf, daß sie den Titel ein nes Magisters tragen, n akademisch hes Studium zumindest z anggefangen hab ben73. Ebenso o haben also ein beide Prokuratoren P einen nordddeutschen Hin ntergrund: Gerardus G de R Rostock kommtt aus Rostockk in der Diö özese Schwerrin, und ist auch a vorwiegeend im norddeeutschen Raum m bepfründet74. Er schein nt geradezu ein e Spezialist für die Prozeßßführung an der d Kurie zu sein: s Nicht nuur hat er in Bo ologna studierrt, er ist auch 1321 wie 13333 als procurattor audientiae curiae romanaee75 belegt, haat seine 72 73

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OS, Rep. 5, 226. Wäh hrend die Bezeeichnung doctor tatsächlich einen Universitätslehrer bezeichn nete, der notw wendig auch stuudiert haben muußte, war der Tittel eines magisterr unschärfer undd konnte auch h generell auf eine Person angeewandt werden,, „die etwas gut konnte“. „Selbst einem erfo olgreichen, fortggeschrittenen Schüler oder Unteerrichtsabsolven nt konnte der E Ehrentitel einees Magisters zuggeschrieben werdden. Nicht nur diese d Begriffsverwirrung warnt im übrigen davor, von ko ontextfrei erwäh hnten Titulaturren auf das daamit Gemeinte rückzuschliiessen, so etwa von einem Maggister-Titel auf ein vermeintlich hes Universitätssstudium des betreffenden“, vgl. Martin Kin nzinger, Instituttionalität „akadeemischer Gradee“ an der niversität, in: Examen, Titel, Promotionen. P A Akademisches un nd staatmitttelalterlichen Un lichees Qualifikationswesen vom 13.. bis zum 21. Jah hrhundert, hg. von v Rainer C. Scchwinges (Verröffentlichungen n der Gesellsch haft für Universsitäts- und Wisssenschaftsgeschiichte, 7), Baseel 2007, 55–88, Zitate 84f. Gerardus dictus de Rozstroch R erhält im i Jahre 1324 ein Kanonikat mit m Präbende an n St. Paul W obwohl er bereits eine Kollaturexpektan K nz in Magdeburrg hat, aus der aallerdings in Worms, bislaang keinerlei Nuutzen hat ziehen n können. Mollaat, Lettres de Jeaan XXII (wie A Anm. 29), Nr. 20801. Im folggenden Jahr erhäält er zu Kanon nikaten in Worm ms und Magdeb burg eine Pfrüündenexpektanzz an einem Kolleegiatstift in Maiinz (Nr. 22076). Im Jahre 1330 erhält er einee Befreiung von der Pflicht zur Residenz, um sich s entweder an n der Kurie auffzuhalten oderr zu studieren (Nr. ( 49306). Ess folgen Provisionen für ein Kanonikat K am D Dom von Hilddesheim sowie am Stift in Hameeln in der Diözeese Minden (Nr. 51344, Nr. 51606). Das Erzbistum Maggdeburg, bearb. von Gottfried Wentz, Berent Schwineköper, S B Band 1: Die Kollegiatsstifteer St. Sebastian, St. Nicolai, St. Peter und Paaul und St. Gangolf in Maggdeburg (Germaania Sacra, Abteeilung 1: Die Bisstümer der Kircchenprovinz Maggdeburg,

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Dienste also über Jahre hinweg rechtssuchenden Personen zur Verfügung gestellt76. Menricus Gallus ist ebenfalls norddeutscher Herkunft: Am 17. Juli 1327 wird ein Menricus dictus Gallus von Johannes XXII. für ein Kanonikat mit Pfründenexpektanz am Dom von Münster providiert77. Damit ergänzen auch diese beiden Personen das Bild, das sich anhand der übrigen Personen abzeichnet: Wir haben es mit einem Kreis von deutschen Klerikern zu tun, die sich offenbar für längere Zeit an der Kurie aufgehalten haben – zu denken ist etwa auch an die päpstliche Dispens von der Residenzpflicht für Gerardus de Rostock – und in die bürokratischen Prozesse des päpstlichen Hofes eingeweiht und involviert sind. Wie selbstverständlich die Nutzung des päpstlichen Justizangebots auch für norddeutsche Kleriker gewesen ist, beweist übrigens Herbordus dictus Mahe noch im Jahr 1362: Urban V. bestätigt eine Urkunde Innocenz’ VI., in der dieser unserem Prozeßverlierer das Dekanat des Patroklusstifts in Soest zuspricht, um das er sich wiederum diutius vor dem päpstlichen Gericht mit einem Anthonius Spiringh gestritten hatte78.

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4,1.2), Berlin 1972, 713. Damit hat Bernardus de Bretleve sich genauso verhalten, wie Johannes Andreae in seiner Additio zum Speculum Iudiciale des Guillelmus Duranti empfiehlt: Sciendum quod ars articulandi inter causidicos summum tenet gradum in curia Romana, et maxime in beneficialibus devolutis. Et caveant curiam intrantes quantumcunque sint magni Iuriste, ne suo capite in principio suo hanc artem assumant, sed antiquis advocatis assistant vel secum habeant procuratores expertos. Johannes Andreae, Additio, 1.4 de teste § nunc videndum; zitiert nach Knut Wolfgang Nörr, Reihenfolgeprinzip, Terminsequenz und „Schriftlichkeit“. Bemerkungen zum römisch-kanonischen Zivilprozeß, in: Zeitschrift für Zivilprozeß 85 (1972), 160–170, Nachdruck in: Knut Wolfgang Nörr, Iudicium est actum trium personarum. Beiträge zur Geschichte des Zivilprozeßrechts in Europa (Bibliotheca Eruditorum, 4), Goldbach 1993, 19*–29*, hier 165 = 24*. Mollat, Lettres de Jean XXII (wie Anm. 29), Nr. 29323. Einige Monate später folgt eine Kollaturexpektanz in Münster, Nr. 30550. Möglicherweise begegnet er noch einmal im Jahr 1334, als Johannes XXII. einem Menricus Hane, Kanoniker am Patroklus-Stift in Soest, eine Minorpräbende an dieser Kirche überträgt. Die Nonobstantien entsprechen exakt den älteren Provisionen für Menricus dictus Gallus, zudem ist der Name Menricus in den päpstlichen Registern so selten, daß Identität der Personen angenommen werden kann. Über ihn scheint darüber hinaus wenig bekannt, siehe seinen Eintrag bei Wilhelm Kohl, Das Domstift St. Paulus zu Münster, Band 2 (Germania Sacra, NF, 17,2; Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln: Das Bistum Münster, 4,2), Berlin–New York 1982, 486f. Lettres communes analysées d'après les registres dits d’Avignon et du Vatican. Urbain V (1363–1370), hg. von Michel Hayez u. a., Paris 1954–1974, Nr. 5865.

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5. Fazit Unsere beiden Osnabrücker Transsumpte geben erst im gemeinsamen Zugriff von Rechts- und Fachhistoriker ihre Geheimnisse preis. Ohne die genaue Kenntnis der benefizialrechtlichen Theorie des 14. Jahrhunderts wäre eine juristische Bewertung des Falls auf seine Bedeutung für die Rechtspraxis der Zeit kaum möglich. Was in einer konfessionellen oder moralisierenden Perspektive aussehen könnte wie der Kampf eines durch den Papst um seine Pfründenanwartschaft gebrachten Klerikers, dem der Pontifex Maximus einen eigenen Kandidaten nicht nur bei der Kollation vorgezogen hat, sondern dem er sein Recht womöglich auch vor Gericht noch verweigert, stellt sich mit den entsprechenden Kenntnissen völlig anders dar: Nicht der Papst hat einen eigenen Kandidaten in eine Versorgungsstelle gedrückt, vielmehr hat ein lokaler Konkurrent sich das päpstliche Providierungsangebot zunutze gemacht und sich einen stärkeren Titel gegen den des örtlichen Kollators erwirkt. Da der Papst wie das päpstliche Gericht für die ganze Christenheit da sind, können sich entsprechend beide Parteien an der Kurie um ihr Recht bemühen. Daß der stärkere Anspruch des päpstlichen Kandidaten ohne Zweifel einen Nachteil für den lokalen Bewerber darstellen mußte, steht dabei außer Zweifel – nur ist es nicht als willkürliche Bevorzugung eines womöglich päpstlichen Günstlings zu verstehen. Im Gegenteil: Der Papst hat Bernardus de Bretleve mit Sicherheit nicht gekannt und die Initiative zur Provision ging allein von dem Petenten selbst aus. Die Kenntnis des päpstlichen Benefizialrechts hilft hier zu verstehen, in welchem Verhältnis die handelnden Personen zueinander stehen und verortet die Geschehnisse im rechtlichen Bezugsrahmen ihrer Zeit. Umgekehrt hilft der konkrete Fall – sozusagen das bunte Bild der prallen Lebenswirklichkeit –, das Benefizialrecht historisch zu kontextualisieren: Neben der Norm werden die Menschen sichtbar, die mit dieser Norm umgehen müssen. Und dabei wird die europäische Dimension des kanonischen Rechts im Mittelalter greifbar, die nicht auf vermeintliche Kernzonen der Modernisierung beschränkt gewesen ist. Vielmehr zeigt sich, daß die Kleriker im norddeutschen Osnabrück die Chancen des päpstlichen Rechtsangebots in gleicher Weise nutzten wie ihre Standesgenossen in den kuriennahen Gegenden in Frankreich oder Italien – ein Unterschied ist allein hinsichtlich der Quantität feststellbar, weniger bezüglich der Qualität. Diese Einsicht ermöglichte freilich erst der Zufallsfund zweier lokal überlieferter Notarsinstrumente, welche den Befund der päpstlichen Register ergänzen und vertiefen. Damit ergibt sich erst aus der Zusammenschau von normativer Theorie, päpstlich-zentraler Verwaltungsproduktion und lokaler Überlieferung ein vollständigeres Bild der mittelalterlichen Rechtswirklichkeit, das die Erkenntnismöglichkeiten der Einzelaspekte deutlich überschreitet.

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Diese Zusammenschau ist freilich auch durch den Quellentyp selbst gefordert: Eine Urkunde, erst recht ein Notarsinstrument, das mehr als das päpstliche Reskript der Alltagsschriftlichkeit zuzurechnen ist, kann nicht eindeutig der Rechtsgeschichte oder der Geschichte zugewiesen werden. Als Dokument alltäglichen Rechtslebens reflektiert es Rechtshandlungen und vermittelt zwischen den Ebenen der juristischen Theorie, der Rechtsanwendung und der Umsetzung im Alltag. Doch vermittelt es sie nur insoweit, wie sie für die Lebenswelt der Akteure relevant waren – die Benefizialtheorie der Zeit und das Prozeßrecht bilden nur den Hintergrund, vor dem diese Urkunden entstanden sind und vor dem die Personen agieren. Entsprechend rufen sie zu einem interdisziplinären Zugriff auf, welcher die juristische Norm wie die historische Lebenswirklichkeit integrieren kann.

S T E P H A N H A E R I N G OSB

Kanonistik als Quellenarbeit

1. Einleitung Der Arbeitsalltag eines Kirchenrechtlers ist geprägt vom Umgang mit schriftlichen Quellen. Dies gilt für den Praktiker des Kirchenrechts ebenso wie für den wissenschaftlichen Kanonisten. In der Regel geben diese Quellen aktuelles kirchliches Recht wieder, denn die weitaus meisten Fachkollegen setzen sich mit Fragen des geltenden Rechts auseinander. Die einen tun es vorwiegend zur Lösung praktischer Rechtsfragen, die anderen unter den Gesichtspunkten der theoretischen Durchdringung und kritischen Erläuterung der Rechtsordnung. Eine besondere Bedeutung kommt bei dieser Arbeit den kirchlichen Gesetzbüchern als Rechtsquellen zu. Es handelt sich vor allem um den für den großen lateinischen Rechtskreis geltenden Codex Iuris Canonici (CIC)1 aus dem Jahr 1983 und um den Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO)2, der die katholischen Ostkirchen betrifft und im Jahr 1991 in Kraft getreten ist. Wenngleich also der größte Teil des Interesses und der Arbeitskraft der Kirchenrechtler Fragen des aktuellen Rechts zugewendet wird, darf doch nicht übersehen werden, dass sich das Fach Kirchenrecht auch mit historischen Quellen zu befassen hat. Für das rechte Verständnis des kanonischen Rechts ist der Blick auf den historischen Hintergrund der geltenden Normen erforderlich, denn gemäß c. 6 § 2 CIC und ähnlich c. 2 CCEO besteht die Pflicht, das Gesetz im Licht der kanonischen Tradition auszulegen3. In diesem Sinne eignen dem kanonischen Recht eine besondere historische Orientierung und die Verwiesen-

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Vgl. Karl-Theodor Geringer, Heribert Schmitz, Codex Iuris Canonici, in: Lexikon des Kirchenrechts, hg. von Stephan Haering, Heribert Schmitz, Freiburg–Basel–Wien 2004, Sp. 155–160 (Literatur). Vgl. Richard Potz, Heribert Schmitz, Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, in: Lexikon des Kirchenrechts (wie Anm. 1), Sp. 150–155 (Literatur). Vgl. dazu Helmut Schnizer, Canon 6 und der Stellenwert des alten Rechts, in: Fides et ius. Festschrift für Georg May zum 65. Geburtstag, hg. von Winfried Aymans, Anna Egler, Joseph Listl, Regensburg 1991, 75–80; wieder abgedruckt in: Helmut Schnizer, Rechtssubjekt, rechtswirksames Handeln und Organisationsstrukturen. Ausgewählte Aufsätze aus Kirchenrecht, Rechtsgeschichte und Staatskirchenrecht (Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat, 42), Fribourg 1995, 613–618.

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heit auf die historischen Rechtsquellen4. Außerdem weist der kirchliche Gesetzgeber in c. 17 CIC (c. 1499 CCEO) darauf hin, dass Gesetze auch im Blick auf deren Zweck, die Umstände des Erlasses und die Absicht des Gesetzgebers zu interpretieren sind. Auch in dieser so genannten historischen oder genetischen Interpretation5 ist ein Ansatzpunkt für historisches Arbeiten des Kanonisten gegeben. Diese historische Ausrichtung kommt nicht nur in der Berücksichtigung historischer Rechtsquellen zum Ausdruck, die – wie beispielsweise das bedeutende Corpus Iuris Canonici 6 – in Druckausgaben vorliegen, sondern auch in der Aufarbeitung und Berücksichtigung weiteren Quellenmaterials, das (noch) ungedruckt in Bibliotheken und Archiven verwahrt wird. Dabei ist nicht nur an kirchenamtlich-normative Quellen zu denken, sondern auch an akademische Texte zur Erläuterung und Darstellung des kirchlichen Rechts. Der vorliegende kleine Beitrag will auf diese Bereiche kirchenrechtlichen Arbeitens aufmerksam machen und die Vielfalt kirchenrechtlicher Quellen wenigstens ansatzweise benennen. Dies geschieht, indem zum einen ein laufendes Projekt zur Edition bedeutender kirchenrechtlicher Schriften des hohen Mittelalters vorgestellt wird. Dabei kann auch auf einige allgemeine Aspekte editorischen Arbeitens eingegangen werden. Zum anderen sollen über die Präsentation des Editionsprojektes hinaus einige weitere Gesichtspunkte zur Bedeutung ungedruckter Quellen und zum wissenschaftlichen Wert und möglichen Ertrag der Arbeit mit handschriftlich überlieferten Quellen für den Bereich der Kirchenrechtswissenschaft zur Sprache gebracht werden.

2. Die editorische Erschließung handschriftlicher kirchenrechtlicher Quellen: Werke der anglo-normannischen Schule als mediävistisches Fallbeispiel In seinem Handbuchbeitrag zu Eigenart, Gegenstand und Aufgaben der Kirchenrechtswissenschaft stellte der bekannte Mainzer Gelehrte Georg May im Jahre 1999 mit gewissem Bedauern fest: „Die Edition der Quellen des Kirchenrechts hat Fortschritte gemacht, ist aber, vornehmlich was das Mittelalter an4

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Vgl. dazu Georg May, Kirchenrechtsquellen, I. Katholische, in: Theologische Realenzyklopädie, Band 19, Berlin–New York 1990, 1–44. – Péter Erdő, Die Quellen des Kirchenrechts. Eine geschichtliche Einführung (Adnotationes in ius canonicum, 23), Frankfurt am Main 2002. Vgl. Georg May, Anna Egler, Einführung in die kirchenrechtliche Methode, Regensburg 1986, 203–206. Vgl. Richard Puza, Corpus Iuris Canonici, in: Lexikon des Kirchenrechts (wie Anm. 1), Sp. 165–171 (Literatur).

Kanonistik als Quellenarbeit

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geht, noch nicht entscheidend vorangekommen“7. Rund ein Jahrzehnt später stellt sich die Forschungslage zwar etwas günstiger dar als zum Ausgang des 20. Jahrhunderts, doch wesentlich anders zu beschreiben ist sie noch nicht. Mays Urteil kann auch heute insgesamt noch aufrechterhalten werden. Zwar wurden zwischenzeitlich durchaus einige mittelalterliche Traktate zum Kirchenrecht im Druck publiziert, doch handelt es sich teilweise um modernen Ansprüchen entgegenkommende Neueditionen bereits gedruckt vorliegender Werke8; nur zum Teil wird bislang ungedrucktes Material völlig neu erschlossen. Gleichwohl nehmen manche Initiativen ihren Fortgang, die einen Beitrag leisten, dem von Georg May benannten Desiderat abzuhelfen. Die gegenwärtig verfolgten großen kanonistisch-mediävistischen Editionsvorhaben werden vom Stephan Kuttner Institute of Medieval Canon Law mit Sitz in München international koordiniert9. Das Institut benennt auch Projekte, deren Bearbeitung dringlich und lohnend ist, und versucht, aus der vergleichsweise kleinen wissenschaftlichen Fachwelt, die sich mit mittelalterlichem kanonischem Recht befasst, geeignete Bearbeiter zu gewinnen. Die Einrichtung ist benannt nach dem bedeutendsten Forscher auf dem Gebiet der kanonistischen Mediävistik des 20. Jahrhunderts, Stephan Kuttner (1907–1996)10. Der gebürtige Deutsche Kuttner, der nach seiner Emigration aus Deutschland im Jahr 1933 den größten Teil seines Lebens in den USA verbracht hat, hatte bereits zu Beginn seines dortigen Wirkens begonnen, die Zusammenarbeit der Fachleute des mittelalterlichen kanonischen Rechts zu fördern und über das von ihm geschaffene Institut zu bün-

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Georg May, Kirchenrechtswissenschaft und Kirchenrechtsstudium, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 2. grundlegend neubearbeitete Auflage, hg. von Joseph Listl, Heribert Schmitz, Regensburg 1999, 90–101, hier: 99. Nur ganz exemplarisch sei genannt: Gerhard Schmitz, De presbiteris criminosis. Ein Memorandum Erzbischofs Hinkmars von Reims über straffällige Kleriker (Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte, 34), Hannover 2004. http://www.kuttner-institute.jura.uni-muenchen.de/ (05.03.2010); vgl. auch Peter Landau, Kanonistische Editionsvorhaben, in: Vom Nutzen des Edierens. Akten des internationalen Kongresses zum 150-jährigen Bestehen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, hg. von Brigitte Merta, Andrea Sommerlechner, Herwig Weigl (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Erg. 47), Wien–München 2005, 301–302. Vgl. Peter Landau, Kuttner, Stephan, in: Lexikon des Kirchenrechts (wie Anm. 1), Sp. 1110–1111 (Literatur).

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deln11. Er ist auch der Verfasser des quellengeschichtlichen Standardwerks zur Dekretistik12. Zum Arbeitsprogramm des genannten Instituts zählt auch das nachfolgend vorgestellte Projekt. Es ist der Herausgabe einiger wichtiger kirchenrechtlicher Texte des hohen Mittelalters gewidmet, die der so genannten anglo-normannischen Schule zuzuordnen sind13.

2.1. Zum Gegenstand des Projekts Im Rahmen des Projekts, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird, werden die wichtigsten Werke der französischen und anglonormannischen Kanonistenschulen des 12. Jahrhunderts in modernen historisch-kritischen Editionen erschlossen und auf diese Weise leichter zugänglich gemacht14. Es handelt sich um drei bedeutende Texte, die aus dem genannten wissenschaftlichen Umfeld erwachsen sind15. Im einzelnen haben wir es zu tun mit der so genannten Summa Lipsiensis, der Quaestionensumme des Magister Honorius und der anonym überlieferten, aber wahrscheinlich von demselben Magister Honorius verfassten Dekretsumme De iure canonico tractaturus. Letztere liegt im Jahr 2010 vollständig ediert in drei Bänden vor16. Von der Summa 11

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Vgl. Andreas Hetzenecker, Stephan Kuttner in Amerika 1940–1964. Grundlegung der modernen historisch-kanonistischen Forschung (Schriften zur Rechtsgeschichte, 133), Berlin 2007. Stephan Kuttner, Repertorium der Kanonistik (1140–1234). Prodromus corporis glossarum I (Studi e testi, 71), Vatikanstadt 1937 (Nachdrucke 1972, 1981). Vgl. Stephan Kuttner, Eleanor Rathbone, Anglo-Norman Canonists of the Twelfth Century, in: Traditio 7 (1949/51), 279–358; Neudruck mit Retractationes in: Gratian and the Schools of Law 1140–1234 (Variorum Reprints CS 185), London 1983, Nr. VIII. – Rudolf Weigand, The Transmontane Decretists, in: The History of Medieval Canon Law in the Classical Period, 1140–1234. From Gratian to the Decretals of Pope Gregory IX, hg. von Wilfried Hartmann, Kenneth Pennington, Washington DC 2008, 174–210. Vgl. Waltraud Kozur, Karin Miethaner-Vent, Martin Petzolt, Kanonistische Editionen der anglo-normannischen Schule des 12. Jahrhunderts, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 174 (2005), 113–118. Zum aktuellen Kenntnisstand über Eigenart und wechselseitige Beziehungen der drei Texte vgl. Waltraud Kozur, Karin Miethaner-Vent, Martin Petzolt, Vorwort, in: Magistri Honorii Summa ‘De iure canonico tractaturus’, tom. II, hg. von Peter Landau, Waltraud Kozur, Stephan Haering, Heribert Hallermann, Karin Miethaner-Vent, Martin Petzolt (Monumenta Iuris Canonici. Series A: Corpus Glossatorum, 5,2), Vatikanstadt 2010, XIX–LXIII, hier: XIX–XLIII. Magistri Honorii Summa ‘De iure canonico tractaturus’ (wie Anm. 15), tom. I–III, 2004– 2010.

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Lipsiensis konnte 2007 der erste Band der Öffentlichkeit übergeben werden17. Die Grundlage der Editionen bilden handschriftlich überlieferte Texte der genannten Werke, die in Bibliotheken in verschiedenen europäischen Ländern verwahrt und überliefert werden. Die wechselseitige Nähe der drei Texte konnte durch die Forschung in den vergangenen Jahrzehnten erkannt und nachgewiesen werden18. Die Summa Lipsiensis ist formal und inhaltlich die Basis der Dekretsumme des Honorius19. Als Verfasser der Dekretsumme und der Quaestionensumme gilt Magister Honorius, der Ende des 12. Jahrhunderts in Oxford lehrte20. Im Rahmen des Projekts sollen insgesamt zehn Bände publiziert werden, nämlich drei zur Dekretsumme, zwei zur Quaestionensumme und fünf zur Summa Lipsiensis. Die Bände erscheinen in der von Kardinal Alfons Maria Stickler (1910–2007)21 begründeten Reihe Monumenta Iuris Canonici, die bei der Apostolischen Vatikanischen Bibliothek herausgegeben wird. Die genannten Werke gehören zu den wichtigsten Erzeugnissen der französischen und anglo-normannischen Schule der Kanonisten, die im 12. Jahrhundert zusammen mit Rechtsschulen der Provence und des Rheinlandes am Anfang der Geschichte der Rechtswissenschaft außerhalb Italiens steht. Sie erlangten zentrale Bedeutung für die europäische Rechtsentwicklung und Rechtskultur. Ein Zweig der genannten Schule schuf die Dekretsumme Elegantius in iure divino, auch Summa Coloniensis genannt, die durch Gérard Fransen (1915–1995)22 und Stephan Kuttner in den Jahren 1969, 1978, 1986 und 1990 in vier Teilbän-

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Summa ‘Omnis qui iuste iudicat’ sive Lipsiensis, tom. I, hg. von Rudolf Weigand, Peter Landau, Waltraud Kozur, Stephan Haering, Karin Miethaner-Vent, Martin Petzolt (Monumenta Iuris Canonici. Series A: Corpus Glossatorum, 7), Vatikanstadt 2007. Vgl. Kozur, Miethaner-Vent, Petzolt, Vorwort (wie Anm. 15), XX–XXI. Vgl. Kozur, Miethaner-Vent, Petzolt, Vorwort (wie Anm. 15), XXIV–XXV, XXXIII– XXXIV. Vgl. Waltraud Kozur, Die Dekret- und die Quaestionensumme des Magister Honorius im Lehrbetrieb des 12. Jahrhunderts, in: Proceedings of the Thirteenth International Congress of Medieval Canon Law, Esztergom, 3.–8. August 2008, hg. von Péter Erdő, Sz. Anzelm Szuromi (Monumenta Iuris Canonici. Series C: Subsidia, 14), Vatikanstadt 2010, 419–429. Vgl. Stephan Haering, Zum Gedenken an die Kardinäle Rosalio José Castillo Lara und Alfons Maria Stickler, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 176 (2007), 483–489, hier: 486–489. Vgl. Antonio García y García, Balance de la aportacíon científica de Gérard Fransen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 114. Kanonistische Abteilung 83 (1997), 1–11.

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den ediert worden ist23. Diese Edition wurde in nachfolgenden dogmengeschichtlichen Studien zur Entwicklung des kanonischen Rechts durch verschiedene Fachgelehrte ausgewertet. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang etwa die Namen von Rudolf Weigand, Hubert Müller, Knut Wolfgang Nörr und Peter Landau. Für eine vertiefte Kenntnis der Bedeutung und Eigenart der anglo-normannischen Schule werden die neuen Editionen aus diesem Bereich künftig eine überaus wichtige Bezugsgröße bilden. Die forscherische Auseinandersetzung damit hat bereits ihren Anfang genommen, getragen von den Editoren selbst, die naturgemäß mit den Texten besonders vertraut sind. Peter Landau hat Überlegungen zur Verfasserschaft der Summa Lipsiensis publiziert24. Waltraud Kozur und Karin Miethaner-Vent haben Erkenntnisse zu Aufbau und Abfassung der Quaestionen- und der Dekretsumme des Honorius vorgelegt25. Bei dem jüngsten Internationalen Kongress für mittelalterliches kanonisches Recht, der im August 2008 in Esztergom in Ungarn stattfand26, wurden zwei weitere Beiträge präsentiert. Karin Miethaner-Vent verfasste einen Beitrag zur Verwertung systematischer Dekretalensammlungen in der Dekretsumme des Magisters Honorius27. Von Waltraud Kozur stammen Überlegungen zur Stellung der Dekretund der Quaestionensumme des Honorius im akademischen Lehrbetrieb28. Diese Früchte der Forschung sind bereits ein erster erfreulicher Ertrag und lassen weitere Veröffentlichungen erwarten. Eine breitere Entfaltung des Interes-

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Summa „Elegantius in iure diuino“ seu Coloniensis, hg. von Gérard Fransen, Stephan Kuttner (Monumenta Iuris Canonici. Series A: Corpus Glossatorum, 1. I–IV), New York 1969, Vatikanstadt 1978, 1986, 1990. Peter Landau, Rodoicus Modicipassus – Verfasser der Summa Lipsiensis?, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 123. Kanonistische Abteilung 92 (2006), 341– 354. Waltraud Kozur, Karin Miethaner-Vent, Titel in der Quaestionen- und Dekretsumme des Magister Honorius, Neues zu Aufbau und Abfassung der beiden Summen, in: Proceedings of the Eleventh International Congress of Medieval Canon Law, Catania, 30 July– 6 August 2000, hg. von Manlio Bellomo, Orazio Condorelli (Monumenta Iuris Canonici. Series C: Subsidia, 12), Vatikanstadt 2006, 153–168. Vgl. Stephan Dusil, Kerstin Hitzbleck, 13th International Congress of Medieval Canon Law, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 126. Kanonistische Abteilung 95 (2009), 722–730. Karin Miethaner-Vent, Die Rezeption der systematischen Dekretalensammlungen in der Quaestionensumme De questionibus decretalibus tractaturi und in der Dekretsumme De iure canonico tractaturus des Magister Honorius, in: Proceedings of the Thirteenth International Congress of Medieval Canon Law (wie Anm. 20), 437–455. Kozur, Die Dekret- und die Quaestionensumme des Magister Honorius im Lehrbetrieb des 12. Jahrhunderts (wie Anm. 20).

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ses der Fachleute wird nach Abschluss der Edition eintreten29. Man darf davon ausgehen, dass diese wichtigen Texte der anglo-normannischen Kanonistik, durch welche beispielsweise die bedeutsame Unterscheidung zwischen Weiheund Jurisdiktionsgewalt erstmals entwickelt wurde30, intensiv studiert und forscherisch ausgewertet werden. Eine wesentliche Erweiterung und Vertiefung unserer Kenntnisse des klassischen kanonischen Rechts und dessen zeitgenössischer Bearbeitung und Interpretation kann daraus erwachsen.

2.2. Zur Trägerschaft des Projekts Die Aufgabe, die genannten mittelalterlichen Rechtstexte fachgerecht zu edieren, wurde vor rund vier Jahrzehnten im Rahmen des Arbeitsprogramms des Kuttner-Instituts von dem Würzburger Kirchenrechtler Rudolf Weigand (1929– 1998) übernommen31. Weigand arbeitete seit Mitte der 1970er Jahre an dem Vorhaben, kam damit allerdings aufgrund vielfacher anderweitiger Beanspruchung nur langsam voran. Finanziell gefördert wurde das Projekt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Mittel für Bibliotheksreisen, die Anschaffung von Handschriftenfilmen und die Beschäftigung einer Hilfskraft bereitstellte. Die editorische Arbeit hatte Weigand aber letztlich persönlich zu leisten. 1997 wurde Rudolf Weigand als Universitätsprofessor emeritiert und ging daran, sich nun ganz dem Editionsvorhaben zu widmen. Er äußerte damals die Einschätzung, noch gut zehn Jahre mit der Edition beschäftigt zu sein. Es war Rudolf Weigand indes nicht mehr vergönnt, selbst auch nur einen einzigen Band des Projekts zum Abschluss zu bringen. Er verstarb unerwartet bereits am 21. Juni 1998. Um die Fortführung der Arbeiten, die Rudolf Weigand begonnen hatte, bemühten sich nach dessen Tod der Münchner Rechtshistoriker Peter Landau32 29

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Entsprechende Erwartungen hegt beispielsweise auch der Tübinger Kirchenrechtler Puza, wie aus seiner Besprechung zum ersten Teilband der Dekretsumme des Honorius (wie Anm. 16) hervorgeht; vgl. Richard Puza, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 117 (2006), 351–352. Vgl. etwa Peter Landau, Die Internationalität der Bologneser Kanonistik in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 176 (2007), 26–45, hier: 32. Zu Weigand neuerdings: Stephan Haering, Rudolf Weigand und die kirchenrechtliche Mediävistik. Ein Überblick, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 127. Kanonistische Abteilung 96 (2010), 381–406; dieser Beitrag erfasst auch die gesamte ältere Literatur zu Weigands Wirken. Vgl. Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 2009, Bio-bibliographisches Verzeichnis deutschsprachiger Wissenschaftler der Gegenwart, 22. Ausgabe, Band 2: H–L, München 2009, 2351.

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und der Berichterstatter Stephan Haering33. Landau kam als Präsidenten des Institute of Medieval Canon Law, zu dessen Arbeitsprogramm die Editionen zählten, eine besondere Verantwortung zu; Haering hatte 1997 die Nachfolge Weigands auf dem Würzburger Lehrstuhl für Kirchenrecht übernommen. Nach Haerings Berufung an die Ludwig-Maximilians-Universität München im Jahre 2001 trat auch der zweite Nachfolger Weigands als Kirchenrechtler der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg, Professor Heribert Hallermann34, in das Projekt ein. Das Vorhaben wird nunmehr in der Verantwortung der drei genannten Professoren aus München und Würzburg betrieben. Es handelt sich um ein universitätsübergreifendes Projekt, für das die DFG die insbesondere zur Beschäftigung qualifizierten wissenschaftlichen Personals erforderlichen finanziellen Mittel bereitstellt. Der Abschluss der Arbeiten wird in den kommenden Jahren erfolgen35.

2.3. Zur bleibenden Bedeutung der originalen Handschriftenüberlieferung trotz kritischer Editionen Wenn künftig die drei vorgestellten kirchenrechtlichen Quellen einmal vollständig in kritischen Editionen vorliegen, werden diese Bände eine wichtige Basis für die kirchenrechtshistorische Forschung bilden. Sie werden dazu beitragen, unsere Kenntnisse über das Verständnis und die Pflege des kanonischen Rechts im hohen Mittelalter im so genannten anglo-normannischen Raum zu vertiefen, und dabei, im Vergleich mit den entsprechenden Gegebenheiten des italienischen Bereichs, gewiss auch eigene Prägungen und Unterschiede hervortreten lassen. Insgesamt können wir damit wohl gründlichere und differenziertere Einsichten in eine Wissenschafts- und Rechtskultur gewinnen, die in Europa bis heute prägende Auswirkungen zeigt. Auch wenn die Forschung durch das Vorliegen einer guten Edition neue Möglichkeiten erhält, wird dadurch die originale Handschriftenüberlieferung der 33 34 35

Vgl. Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 2009 (wie Anm. 32), 1381. Vgl. Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender 2009 (wie Anm. 32), 1408. Ein anderes über lange Zeit laufendes Editionsprojekt des Kuttner-Instituts, dessen Ergebnisse auch in den Monumenta Iuris Canonici erscheinen, ist die Edition der gleichfalls gegen Ende des 12. Jahrhunderts anzusetzenden Dekretsumme des Huguccio († 1210); davon ist vor wenigen Jahren der erste Band erschienen: Huguccio Pisanus, Summa decretorum, tom. I: Distinctiones I–XX, hg. von Oldřich Přerovský (Monumenta Iuris Canonici. Series A: Corpus Glossatorum, 6.I), Vatikanstadt 2006; vgl. dazu die Besprechung von Knut Wolfgang Nörr (mit Hinweisen auf die langwierige Geschichte dieses Projekts), in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 126. Kanonistische Abteilung 95 (2009), 615–618.

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edierten Texte nicht völlig ersetzt36. Die vorliegenden Manuskripte müssen aus verschiedenen Gründen weiter bewahrt und gehütet werden. Zum einen handelt es sich zumal bei mittelalterlichen Manuskripten um altehrwürdiges und wertvolles Kulturgut, das schon um seiner selbst willen bewahrt zu werden verdient. Die Manuskripte schaffen – auch wenn es sich wenigstens bei mittelalterlichem Material selten um Autographe des Verfassers selbst handelt – einen näheren Kontakt zum Ursprung dieser geistigen Erzeugnisse. Dazu trägt auch die unmittelbare Wahrnehmung einer Handschrift mit allen Sinnesorganen des Benutzers bei. Die Handschriften mit ihren individuellen Merkmalen und Eigenheiten erlauben nicht selten auch einen Einblick in den Überlieferungszusammenhang der Quelle und können sogar Rückschlüsse auf das „intellektuelle Klima“ ermöglichen, in dem sie entstanden und in dem sie rezipiert worden sind. Dies gilt vor allem dann, wenn es sich um Überlieferungen in Sammelcodices handelt, die mehrere Texte nebeneinander vereinen, die gegebenenfalls aus verschiedenen Zeiten stammen und unterschiedlichen Inhalts und unterschiedlicher Provenienz sind. Unter Umständen kann auch die Überlieferung eines Textes als Palimpsest indirekt Hinweise zu Fragen um dessen Bedeutung und Ansehen enthalten. Eine digitale Erfassung und Speicherung, wie sie bei umfangreichen modernen Quellen am Platz sein mag, stellt bei alten Manuskripten gleichermaßen keinen Ersatz für die Bewahrung und Konsultierung des Originals dar. Die Digitalisierung alter Manuskripte ist zwar eine überaus nützliche Methode zu deren Erschließung. So ist es, um nur ein Beispiel anzuführen, schon allein durch die Farbigkeit der digitalen Reproduktionen möglich, verschiedene Schreiberhände und deren unterschiedliche Tinten zu unterscheiden. Das digitale Medium ermöglicht eine unbegrenzt häufige Benutzung einer Handschrift, ohne das Original zu beeinträchtigen, und erlaubt es den Forschern, gegebenenfalls sogar vom eigenen Schreibtisch aus das Manuskript anzusehen und so zumindest Antwort auf einen großen Teil ihrer Fragen zu finden. Die Qualität der Darstellung ist bei den modernen Digitalisaten regelmäßig um ein vieles besser als bei den früher üblichen Mikrofilmen. Dennoch bleibt auch bei einer optisch sehr hochwertigen digitalisierten Wiedergabe der Handschrift notwendigerweise eine Distanz zum Objekt, das so eben nur über die Zwischenstufe eines Mediums wahrgenommen werden kann. Auch lassen sich bestimmte Fragen, wie zum Beispiel die der Lagenzählung für eine Handschriftenbeschreibung, nur an der Originalhandschrift selbst klären. Nur hier ist erkennbar, ob eine Lage vollständig ist 36

Vgl. zu den folgenden Überlegungen auch Walter Pohl, Von Nutzen und Methodik des Edierens, in: Vom Nutzen des Edierens. Akten des internationalen Kongresses zum 150jährigen Bestehen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (wie Anm. 9), 349–354 passim.

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oder nicht, ob das Pergament der einzelnen Lagen unterschiedlich ist, ob die einzelnen Blätter schon in vergangenen Zeiten beschnitten wurden und vieles mehr. Ferner sind Untersuchungen der Provenienz eines mittelalterlichen Manuskriptes anhand digitaler Dateien nur eingeschränkt möglich. Ein Grund für die Notwendigkeit der Bewahrung originaler Manuskripte trotz Editionen liegt schließlich in der Eigenart der Edition selbst. Jede, auch die beste Edition hat ihre Grenzen. Sie liegen in den vielen Entscheidungen des Editors, die im Lauf eines solchen Vorhabens getroffen werden müssen; damit wird – trotz aller Professionalität der Editoren und der Orientierung an den üblichen wissenschaftlichen Standards – jeder Edition auch gewisse subjektive Prägung vermittelt. Es ist auch zu bedenken, dass die Erwartungen an eine Edition nicht völlig einheitlich sind und dass sich im Lauf der Zeit die entsprechenden Standards verändern. Aus der Sicht des Benutzers ist festzuhalten, dass jede Edition auch kritisch gesehen werden darf; und dem kritischen Benutzer soll der Weg zu den Handschriften selbst zur Klärung seiner Fragen an die Edition offen stehen. Ferner darf man nicht vergessen, dass bereits publizierte Editionen durch die Entdeckung neuer relevanter Handschriften überholt werden können. Solche Entwicklungen machen unter Umständen eine völlige Neuedition einer Quelle erforderlich, zu der auf die diversen bereits bekannten Handschriften von neuem zurückgegriffen werden muss. Es gilt also – nicht nur für kirchenrechtliche Quellen –, alte originale Überlieferungen sorgfältig zu bewahren und sie sowohl um ihres Wertes als Kulturgut willen als auch künftiger forscherischer Auswertung wegen für kommende Generationen bereitzuhalten.

3. Weitere Überlegungen zur Arbeit mit kirchenrechtlichen Quellen Die Erarbeitung von Editionen kirchenrechtlicher Quellentexte ist nur ein Aspekt kanonistischer Quellenarbeit. Der Umgang mit ungedrucktem Quellenmaterial, dessen Edition nicht vordringlich oder sogar unnötig ist, kommt in anderen Aufgabenstellungen kanonistischen Arbeitens sogar weit häufiger vor als im Zusammenhang mit Editionen. Zu denken ist etwa an die Auswertung ungedruckter amtlicher Akten, an Korrespondenzen oder auch an persönliche Nachlässe, die kirchenrechtlich bedeutsam sind. Eingangs wurde bereits darauf hingewiesen, dass für die Interpretation des Gesetzes auch dessen Genese wichtig

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sein kann, die sich wiederum möglicherweise mit Hilfe solcher Quellen erhellen lässt37. Ungedrucktes Quellenmaterial ist nicht zuletzt dann von Bedeutung, wenn man die geschichtliche Gestalt und Entwicklung kirchenrechtlich gefasster Institutionen und Ämter untersucht. Bei solchen Themen überschneidet sich das Arbeitsfeld des historisch interessierten Kanonisten mit den Interessengebieten der allgemeinen Historiker, der Kirchenhistoriker und der Rechtshistoriker. Unter den kanonistischen Fachkollegen des deutschen Sprachraums hat in den vergangenen Jahrzehnten vor allem der Mainzer Forscher Georg May eine große Zahl von Studien vorgelegt, die auf der Grundlage ungedruckter Quellen die Geschichte und Entwicklung kirchlicher Rechtsinstitute untersuchen und darstellen38. Zu denken ist beispielsweise an die große Studie Georg Mays zur Gerichtsbarkeit und Verwaltung des Mainzer Erzbistums durch rund sechs Jahrhunderte, die auch sehr viel ungedrucktes Archivmaterial erschließt39. Weitere ähnlich ausgerichtete Untersuchungen anderer Autoren lassen sich nennen40. Auch einzelne geistliche Institutionen oder Ämter können auf der Grundlage ungedruckter Quellen rechtshistorisch behandelt werden41. Der Kanonist hat nicht zuletzt mit ungedruckten Quellen zu arbeiten, wenn er sich mit der Geschichte seiner Disziplin befasst. Gewiss haben auch Arbeiten, die sich nur auf gedrucktes Material beziehen, je nach Themenstellung ihre eigene Berechtigung. Wenn es etwa darum geht, einen handbuchartigen Über37

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Die offiziellen Akten der Organe, die mit der Vorbereitung der kirchlichen Gesetzbücher (CIC, CCEO) betraut waren, sind teilweise auch im Druck publiziert. Dies geschah und geschieht in den Zeitschriften Communicationes (1969 ff.) und Nuntia (1975–1990). Das ungemein umfangreiche Werk Mays (bis 2006) wurde zusammengestellt von Anna Egler: Bibliographie der wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Prof. Dr. Georg May, in: Dienst an Glaube und Recht. Festschrift für Georg May zum 80. Geburtstag, hg. von Anna Egler, Wilhelm Rees (Kanonistische Studien und Texte, 52), Berlin 2006, 809– 857. Georg May, Die Organisation von Gerichtsbarkeit und Verwaltung in der Erzdiözese Mainz vom hohen Mittelalter bis zum Ende der Reichskirche, 2 Bände (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, 111), Mainz 2004. Hans Paarhammer, Rechtsprechung und Verwaltung des Salzburger Offizialates (1300– 1569) (Dissertationen der Universität Salzburg, 8), Wien 1977. Vgl. etwa Hans Paarhammer, Das Kollegiatstift Seekirchen. Eine Institution bischöflichen Rechts im Dienste der Gemeindeseelsorge, Thaur/Tirol o. J. (1982). – Georg May, Die kirchliche Eheschließung in der Erzdiözese Mainz seit dem Konzil von Trient (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte, 97), Mainz 1999. – Georg May, Der Provikar vornehmlich in der Erzdiözese Mainz, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 125. Kanonistische Abteilung 94 (2008), 159–210. – Georg May, Die Erfurter Klöster im 18. Jahrhundert im Spiegel der Akten des Mainzer Generalvikariats (Vikariats), in: Jahrbuch für Erfurter Geschichte 4 (2009), 73–189.

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blick über ein weiter gefasstes Thema darzubieten, muss man sich im Wesentlichen auf gedruckte Arbeiten beziehen42. Richtet sich das wissenschaftsgeschichtliche Interesse jedoch auf bestimmte einzelne Fachvertreter oder akademische Einrichtungen, wird es unumgänglich sein, sich auch mit archivarischen Quellen auseinandersetzen, um wirklich ertragreiche Studien vorzulegen. Exemplarisch sei hier bezüglich der Fachvertreter auf eine kürzlich erschienene Studie zu Stephan Kuttner hingewiesen43. Es liegen aber auch kleinere und größere neue Arbeiten zu anderen deutschen Kanonisten der jüngeren Vergangenheit vor, die ungedrucktes Material auswerten und neue Kenntnisse darbieten44. Schließlich sei auch noch darauf hingewiesen, dass Quellenzeugnisse originär kirchenrechtlicher Natur auch für scheinbar entfernt liegende Sachgebiete bedeutsam werden können. Dies gilt etwa für die als rechtsgültiger Nachweis der Erfüllung der Osterbeichtpflicht ausgestellten Beichtzettel, die auch als Gegenstände der Frömmigkeitsgeschichte und der religiösen Volkskunde Beachtung finden und entsprechend sachkundig erschlossen werden können45. 42

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Vgl. etwa Stephan Haering, Die Kanonistik in Deutschland zwischen dem I. und dem II. Vatikanischen Konzil. Skizze eines Jahrhunderts Wissenschaftsgeschichte, in: Die katholisch-theologischen Disziplinen in Deutschland 1870–1962. Ihre Geschichte, ihr Zeitbezug, hg. von Hubert Wolf (Programm und Wirkungsgeschichte des II. Vatikanums, 3), Paderborn u. a. 1999, 321–349. Hetzenecker, Stephan Kuttner in Amerika 1940–1964 (wie Anm. 11); vgl. dazu die Besprechungen: Stephan Haering, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 177 (2008), 295– 299; Patrick Hersperger, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 126. Kanonistische Abteilung 95 (2009), 680–685. Siehe exemplarisch: Georg May, Ulrich Stutz nach seinem Briefwechsel mit Pater bzw. Abt Ildefons Herwegen von Maria Laach, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht 145 (1976), 59–151. – Georg May, Franz Gescher nach seinen Briefen an Ulrich Stutz, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 99. Kanonistische Abteilung 68 (1982), 419–440. – Stephan Haering, August Hagen (1889–1963) als Professor des Kirchenrechts in Würzburg (1935–1947). Ein Schwabe an der Alma Julia, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 69 (2007), 175–204. – Martin Rehak, Heinrich Maria Gietl (1851–1918). Leben und Werk (Münchener Theologische Studien. Kanonistische Abteilung, 65), St. Ottilien 2011. – Bezüglich akademischer Institutionen exemplarisch: Alexander Hollerbach, Zur Geschichte der Vertretung des Kirchenrechts an der Universität Freiburg im Breisgau im 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 90. Kanonistische Abteilung 59 (1973), 343–382; wieder abgedruckt in: Alexander Hollerbach, Jurisprudenz in Freiburg. Beiträge zur Geschichte der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität (Freiburger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, 1), Tübingen 2007, 157–191. Vgl. Franz Kalde, Vom kirchenrechtlichen Zeugnis zum frommen Andenken – Osterbeichtzettel in der Erzdiözese Salzburg, in: Salzburger Miszellen. Gewidmet Hans Paarhammer, hg. von Stephan Haering, Josef Kandler, Salzburg 1996, 101–130; auch in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 135 (1995), 101–130.

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4. Abschließende Bemerkungen Die Vielfalt schriftlich niedergelegter kirchlicher Rechtsquellen ist groß. Dies gilt sowohl für das heute aktuelle Recht, das sich vor allem in den kirchlichen Gesetz- und Amtsblättern46 findet, als auch – vermehrt – für historische Rechtsquellen. Die Concordia discordantium canonum, die der Magister Gratian47 etwa 1140 abgeschlossen hat und die als Decretum Gratiani zur bedeutendsten Rechtsquellensammlung des hohen Mittelalters wurde, vereint Texte verschiedenster Art48. Da begegnen neben Zitaten aus der Heiligen Schrift etwa Texte von Kirchenvätern, Synodalbeschlüsse und päpstliche Dekretalbriefe sowie Texte aus dem römischen Recht. Mit der Entfaltung der Kirchenrechtswissenschaft seit dem 12. Jahrhundert wird die kirchliche Rechtsbildung zwar stärker formalisiert, doch bleibt bis in die Gegenwart herauf eine große Vielfalt der Rechtsquellen für das Kirchenrechts kennzeichnend. Diese Vielfalt gilt es wahrzunehmen und in der wissenschaftlichen Arbeit zu berücksichtigen und zur Geltung zu bringen. Dies geschieht etwa durch die Edition wichtiger handschriftlich überlieferter Texte aus der Quellen- und Literaturgeschichte vor allem des mittelalterlichen kanonischen Rechts. Es geschieht aber auch durch die Auswertung anderen Quellenmaterials für die Darstellung der Geschichte kirchenrechtlicher Institutionen oder der Entwicklung der eigenen wissenschaftlichen Disziplin. Die Vertreter der wissenschaftlichen Kanonistik dürfen also nicht nur die unmittelbaren Quellen des geltenden Rechts im Blick haben, sondern müssen, um die ganze Breite ihres Faches abzudecken und sicherzustellen, auch auf historische Quellen zurückgreifen und sich mit diesen auseinandersetzen. Auf diese Weise wird die ganze Fülle des Faches erkennbar. Und schließlich sollte auch nicht übersehen werden, dass historisches Arbeiten und der Umgang mit historischen (Rechts-)Quellen vor einer gewissen unfruchtbaren Kurzatmigkeit im wissenschaftlichen Geschäft bewahren und gegebenenfalls sogar für die Lösung aktueller Fragen kreative Perspektiven eröffnen kann.

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Vgl. Lothar Wächter, Amtsblatt, in: Lexikon des Kirchenrechts (wie Anm. 1), Sp. 39–40. Vgl. Rudolf Weigand, Gratian, in: Lexikon des Kirchenrechts (wie Anm. 1), Sp. 1083 (Literatur). Vgl. Stephan Haering, Gratian und das Kirchenrecht in der mittelalterlichen Theologie, in: Mittelalterliches Denken. Debatten, Ideen und Gestalten im Kontext, hg. von Christian Schäfer und Martin Thurner, Darmstadt 2007, 127–141; zuerst in: Münchener Theologische Zeitschrift 57 (2006), 21–34.

WILHELM JANSSEN

Ein Kempener Sendweistum aus dem Jahre 1392

Am 8. Februar 1392 versammelten sich nachmittags in der Kempener Pfarrkirche zahlreiche Pfarrangehörige, an ihrer Spitze die namentlich genannten beiden amtierenden Bürgermeister der Stadt Dietrich Vulheringh und Johann an den Iseren, die Schöffen Gottfried von Honnichausen, Konrad ter Burgh, Heinrich Bremken und Heinrich Budener sowie die Bürger und Parochianen Johann Stolten, Johann Hoerbeck, der Küster Johann Hundt1, Dietrich und Gobelin Sartoris. Durch Glockengeläut waren sie hierhin zur Feier des heiligen Send (sanctae synodi) zusammengerufen worden. Ihnen standen bzw. saßen gegenüber die Pfarrer Johann von Willich2 und Johann von Anrath3 sowie der Kölner Domvikar Heinrich Schaffraidt, alle drei Priester. Sie waren beauftragt, anstelle des Kempener Pastors Johann von Broile 4 und für ihn dem Send vorzusitzen, wofür sie eine besiegelte Vollmacht vorwiesen. Zugegen war außerdem – er saß auf einem Stuhl neben den genannten Geistlichen – der Kanoniker des Stifts Münstereifel Lambert Korff von Rees5, der versicherte, von dem Xantener 1

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Er ist am 30. März 1391 von Pfarrer Johann von Broile auf Verwendung des Erzbischofs Friedrich von Saarwerden zum (gut dotierten) Küster an der Kempener Kirche bestellt worden und hat sich später auf Anweisung desselben Erzbischofs als Kempener Amtskellner Verdienste um den Ausbau der Burg zu Kempen erworben; vgl. Die Regesten der Erzbischöfe von Köln, Band 10, bearb. von Norbert Andernach, Düsseldorf 1987, Nr. 23, 1062. Johann von Drynhausen; vgl. Gerhard Rehm, Der Willicher Raum während des Mittelalters, in: Geschichte der Stadt Willich und ihrer Alt-Gemeinden, Willich 2003, 49–102, hier 86. Johann Koestert aus Iserlohn; vgl. Gottfried Kricker, Aus der ältesten Geschichte der Pfarre Anrath, Anrath 1960, S. 30; auch Regesten der Erzbischöfe, Band 10 (wie Anm. 1), Nr. 2222. Johann von Broile bzw. Bruele, vermutlich aus Brühl stammend, ist 1359 zum ersten Mal als Pfarrer von Kempen bezeugt. Er war zugleich, und zwar schon seit 1353, erzbischöflicher Zöllner in Rheinberg. Im Januar 1395 wird er als verstorben vermeldet; vgl. Wilhelm Janssen, Pfarre und Pfarrgemeinde Kempen im Mittelalter, in: Campunni – Kempen. Geschichte einer niederrheinischen Stadt, Band 2: Aufsätze (Schriftenreihe des Kreises Viersen, 39,2), Viersen 1993, 9–33, hier 26. Wolfgang Löhr, Kanonikerstift Münstereifel. Von den Anfängen bis zum Jahre 1550 (Veröffentlichungen des Vereins der Geschichts- und Heimatfreunde des Kreises Euskirchen, A 12), Euskirchen 1969, 104.

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Propst Hugo von Hervorst6 kommissarisch mit dem Vorsitz auf dem Send beauftragt worden zu sein. Die Pfarrgemeinde sah sich also mit zwei konkurrierenden Sendherren konfrontiert. Die Situation war für sie allerdings nicht neu; denn im Jahre zuvor, am 9. Februar 1391, hatte sich in der Kempener Kirche das gleiche Schauspiel geboten, wenn auch mit einer zum größeren Teil anderen personellen Besetzung. Die Prozedur lief dann auch fast genau so wie im Jahre zuvor ab. Der Pfarrer von Willich, in liturgischer Gewandung neben einem Tisch stehend, der mit einem Leinentuch bedeckt war und auf dem brennende Kerzen standen sowie ein Kreuz, eine Rute und eine Schere lagen, forderte die versammelten Bürger und Pfarrgenossen unter Berufung auf ihren schuldigen Gehorsam auf, „die rügepflichtigen Mängel und Verfehlungen in Bezug auf die Sakramente, die Kirche und die Menschen“ (defectus et excessus sacramentorum, ecclesiae et hominum accusabiles)7 vorzubringen. Dasselbe tat nach der Verlesung seiner Bestallung zum Kommissar des Xantener Propstes auch Lambert Korff aus Rees. Die Pfarrgenossen zogen sich daraufhin zur Beratung zurück und gaben anschließend durch den Mund des Johannes Stolten ihre – vom Notar in direkter Rede wiedergegebene – Stellungnahme ab, dass sie zur Feier des Send bereit wären, wenn sich die Herren Kommissare darüber einigen würden, wer von ihnen dabei den Vorsitz führen sollte. Angesichts der bestehenden strittigen Rechtsansprüche aber wären sie nicht bereit, irgendetwas in der Sache zu tun. Auf die Nachfrage des Pfarrers Johann von Willich, wem die Pfarrangehörigen selbst den Vorsitz im Send zuerkennen würden und wer diesen Vorsitz in der Vergangenheit geführt hätte, gaben sie nach kurzer Beratung zur Antwort, sie würden keinen anderen Sendrichter in Kempen kennen als den jeweiligen Pfarrer und hätten auch von ihren Vorfahren nichts anderes gehört. Wem aber der Vorsitz im Send zu Kempen von Rechts wegen (de iure) zustände, wüssten sie nicht. Daraufhin forderte der Pfarrer Johannes von Willich als einer der Kom6

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Wahrscheinlich aus Hervest bei Dorsten stammend, seit 1389 Propst von Xanten, päpstlicher Protonotar, Rat des Erzbischofs Friedrich von Saarwerden und von 1390 bis zu seinem Tod 1399 sein Generalvikar, vielleicht der erste ständige Generalvikar im Erzbistum Köln überhaupt; vgl. Wilhelm Classen, Das Erzbistum Köln. Archidiakonat von Xanten (Germania sacra, III.1), Berlin 1938, 89f. – Arnold Güttsches, Die Generalvikare der Erzbischöfe von Köln bis zum Ausgang des Mittelalters, Teildruck Köln 1931, 31; Franz Gescher, Aus der Frühzeit der erzbischöflichen Generalvikare von Köln, in: AHVN 130 (1937), 1–21; Regesten der Erzbischöfe, Band 10 (wie Anm. 1), Nr. 68, 234, 265f., 533, 538, 852, 935, 984, 1012, 1043, 1099, 1315, 1340f., 1557, 1600, 1610, 1617, 1627, 1646, 1658, 1765, 1793, 1838, 2095. Denkbar, wenngleich unwahrscheinlich, wäre auch eine andere Interpretation dieser Formulierung, bei der ecclesiae auf sacramentorum und nicht auf defectus bezogen würde, was die Übersetzung ergäbe: Mängel und Verfehlungen in Bezug auf die Sakramente der Kirche und die Menschen.

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missare des Kempener Pastors den Lambert Korff als Vertreter des Xantener Propstes auf, sich zu entfernen und die Abhaltung des Send nicht weiter zu hindern. Da dieser sich weigerte, sahen die Kommissare des Pfarrers sich außerstande, das Sendverfahren in Gang zu setzen. Sie baten vielmehr um die Anfertigung eines notariellen Protokolls über den ganzen Vorgang. Diesem Verlangen schloss sich Johann Stolten namens der Pfarrmitglieder bezüglich des abgegebenen Weistums (responsio) an, um Strafen zu vermeiden, die ihr Verhalten eventuell nach sich ziehen könnte. Dieses Notariatsinstrument hat sich als eine Abschrift des 17. Jahrhunderts in einem Aktenkonvolut erhalten, das heute im Propsteiarchiv in Kempen liegt8; die Abschrift ist als übereinstimmend mit einem Manuskript aus dem Besitz des Johannes Wilmius, des Autors einer Kempener Pfarrgeschichte aus dem 17. Jahrhundert9, notariell beglaubigt10. Bei dem „Manuskript“ des Johannes Wilmius handelt es sich um eine Abschrift im ‚Liber variorum instrumentorum, testamentorum, fundationum tam de ecclesia nostra Kempensi et vicinarum ecclesiarum’, den dieser hauptsächlich in den Jahren 1630/31 zusammengestellt hat und der heute im Kreisarchiv Viersen liegt11. Ein Abgleich beider Texte ergibt, dass alle Lesefehler in unserer Vorlage aus dem Propsteiarchiv Kempen schon zu Lasten des gelehrten Wilmius gehen. Diese Lesefehler lassen sich verhältnismäßig leicht durch einen Vergleich mit der Notarsurkunde vom 9. Februar 1391 aufspüren, die als Original im Stadtarchiv Kempen liegt und – von den Namen abgesehen – weitestgehend gleichlautend mit dem Text von 1392 ist12. Das kann insofern nicht verwundern, als es beide Male um den gleichen Sachverhalt geht und derselbe Notar, nämlich Bernhard von Rheinberg (Berck), 1391 mit dem Zunamen de Hobule, das Instrument aufgesetzt hat. Inhalt beider Urkunden ist die Dokumentation eines sich wiederholenden öffentlichen Streits darüber, wer in Kempen als kompetenter Sendherr bzw. 8

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Propsteiarchiv Kempen, Aktenbestand, A 200 (Codex Jansen), fol. 618-621; vgl. Inventar der ältesten Akten des Propsteiarchivs Kempen, bearb. von Hanns Peter Neuheuser (LV Rheinland. Inventare nichtstaatlicher Archive, 37), Köln 1995, 216. Druck: Anton Josef Binterim, Joseph Hubert Mooren, Die alte und neue Erzdiözese Köln … , Band 4, Mainz 1831, Nr. 401, 309–313. Johannes Wilmius, De pastoratu Kempensi liber, hg. von Gerhard Terwelp (Wissenschaftliche Beilage zum Programm des Kgl. Gymnasium Thomaeum zu Kempen. Schuljahr 1896–97), Kempen 1896. Quod praesens copia ex veris manuscriptis reverendissimi domini Joannis Wilmius inferioris dioecesis Coloniensis in spiritualibus [commissarii] fideliter extracta et cum praemissorum tenore ubique conformis reperta sit, hisce attestor ego Joannes Theodorus Hermes notarius … (wie Anm. 8, fol. 620f.). Kreisarchiv Viersen, Orte: 1, hier Bl. 10b-12a. Kreisarchiv Viersen, Dep. Stadtarchiv Kempen, Urk. 109; vgl. AHVN 64 (1897), 14. Druck: J(oseph) Mooren, Nachrichten über Thomas a Kempis nebst einem Anhange von meistens noch ungedruckten Urkunden, Krefeld 1855, 219-222.

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-richter zu gelten hat: der dortige Pfarrer, d. h. der Inhaber der Pfarrpfründe und nicht der die Seelsorge tatsächlich ausübende Priester, oder der Propst von Xanten als zuständiger Archidiakon, wie der Text von 1391 den Rechtsgrund seines Anspruchs zutreffend erläutert. Um diesen Streit verstehen und richtig einordnen zu können, ist etwas weiter auszuholen. Der Pfarrsend (synodus laicalis)13 ist im Zusammenhang mit der bischöflichen Pfarrvisitation in der Karolingerzeit aufgekommen. Auf ihm nahm der Bischof sein innerdiözesanes Aufsichtsrecht (bzw. Aufsichtspflicht) über die Amtsführung der Pfarrgeistlichkeit, über die angemessene Ausstattung der Kirchen und Verwaltung des zugehörigen Kirchenguts sowie über ein den göttlichen und kirchlichen Geboten entsprechendes Leben der Laien wahr. Dass angesichts der oft übergroßen Diözesen, insbesondere in Deutschland, der Bischof mit der persönlichen Erfüllung dieser Aufgabe überfordert und eine administrative Untergliederung des Bistumsgebietes unerlässlich war, begreift sich. In der Erzdiözese Köln – auf deren Betrachtung wir uns fortan beschränken wollen – kam es zu einer Verwaltungsaufteilung in drei Bezirke, denen als Chorbischöfe bzw. Archidiakone (älterer Ordnung) der Dompropst sowie die Pröpste der Stiftskirchen in Bonn und Xanten vorstanden14. Dabei waren die Bonner und Xantener Pröpste für den Süden und Norden des Diözesansprengels zuständig, der Dompropst für die Mitte und das rechtsrheinische Bistumsgebiet. Gegen deren Bestrebungen, eine eigenständige Stellung als Quasi-Bischöfe aufzubauen und zu befestigen, stärkten und förderten die Erzbischöfe des 11. Jahrhunderts, allen voran Erzbischof Anno II. (1056– 13

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Literatur zur Übersicht: ʻSend/Sendgerichtsbarkeit’, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 9, 3. Auflage 2000, Sp. 456f. (Herbert Kalb); Send/Sendgericht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band 4, 1990, Sp. 1630f. (Hans-Jürgen Becker). – Grundlegend: Paul Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts, Band 5, Berlin 1895, 425–448 und Albert Michael Koeniger, Die Sendgerichte in Deutschland, Band 1, München 1907. – Aus regionaler Perspektive: Otto Reinhard Redlich, Jülich-Bergische Kirchenpolitik am Ausgang des Mittelalters und in der Reformationszeit, Band 1, Bonn 1907 (Nachdruck Düsseldorf 1986), 66*f., 116*–118*. – Wolf-Heino Struck, Die Sendgerichtsbarkeit am Ausgang des Mittelalters nach den Registern des Archipresbyteriats Wetzlar, in: Nassauische Annalen 82 (1971), 104–145. – Rosi Fuhrmann, Kirche und Dorf. Religiöse Bedürfnisse und kirchliche Stiftung auf dem Lande vor der Reformation, Stuttgart–Jena–New-York 1995, 43–54. – Wilhelm Janssen, Das Erzbistum Köln im späten Mittelalter, Teil 2 (Geschichte des Erzbistums Köln, Band 2.2), Köln 2003, 131–145 (ʻPfarrsend’). Friedrich Wilhelm Oediger, Das Bistum Köln von den Anfängen bis zum Ende des 12. Jahrhunderts (Geschichte des Erzbistums Köln, Band 1), Köln, 2. Auflage 1972, 199-210. –Manfred Groten, Priorenkolleg und Domkapitel von Köln im Hohen Mittelalter (Rheinisches Archiv, 109), Bonn 1980. – Franz-Reiner Erkens, Die Bistumsorganisation in den Diözesen Trier und Köln – ein Vergleich, in: Die Salier und das Reich, hg. von Stefan Weinfurter, Band 2, Sigmaringen 1991, 267–302.

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1075), die kleinräumige Untergliederung des Bistums in Dekanate, indem sie die Dechantenwürden mit Dignitäten (Würdenstellen) an herausgehobenen Stiftskirchen verbanden15. Diesen „geborenen Dechanten“ (decani nati) übertrugen Erzbischof Anno II. und seine Nachfolger – und das war eine die Kölner Erzdiözese von allen anderen Diözesen unterscheidende Besonderheit – ihr bischöfliches Sendrecht16. Und dieses Sendrecht verblieb den Landdechanten auch im späten Mittelalter, als die vornehmen decani nati ihre Funktion längst an Geistliche abgegeben hatten, die von den Pfarrern des jeweiligen Dekanats aus ihrem Kreise in dieses Amt gewählt wurden17. Die Archidiakone hatten sich allerdings keineswegs völlig aus dem Send zurückdrängen lassen. Vielmehr verstanden sie es schon im 12. Jahrhundert, sich mit Hilfe päpstlicher Privilegien den vierten Teil des Sendrechts zu sichern, nämlich den Send in den Schaltjahren18. In der Erzdiösese Köln war inzwischen zu den drei Archidiakonen der älteren Ordnung der Domdechant dazugekommen, dem der Dompropst das Dekanat Neuss als eigenes Archidiakonat hatte abtreten müssen. Fortan bildeten Dompropst, Domdechant sowie die Pröpste von Bonn und Xanten den Kreis der kölnischen Großarchidiakone jüngerer Ordnung. Der Begriff des Großarchidiakonats fordert als Kontrast oder Ergänzung den des Kleinarchidiakonats, worunter – eine im 13. Jahrhundert einsetzende und sich im 14./15. Jahrhundert durchsetzende Entwicklung – Dekanate zu verstehen sind, deren Inhaber archidiakonale Rechte für sich reklamierten und usurpierten19. Ein solches Kleinarchidiakonat in der Nähe war das Dekanat des Xantener Stiftsdechanten. Mit Archidiakon und Landdekan war die Gruppe der möglichen Sendherren des Spätmittelalters aber noch keineswegs vollzählig. Seit dem 12. Jahrhundert, vermehrt dann im 13. Jahrhundert, meldeten auch die Ortspfarrer Ansprüche auf diese Stellung und Funktion an. Schon 1189 bei der Gründung der Pfarre St. Marien in Duisburg durch Erzbischof Philipp von Heinsberg wurde das Sendrecht dem Pfarrer der Mutterkirche St. Salvator, dem Propst von Xanten als zuständigem Archidiakon und dem Propst von St. Kunibert in Köln als gebore15 16 17 18

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Franz Gescher, Der kölnische Dekanat und Archidiakonat in ihrer Entstehung und ersten Entwicklung (Kirchenrechtliche Abhandlungen, 95), Stuttgart 1919. Gescher, Dekanat (wie Anm. 15), 97–106. Wilhelm Janssen, Das Erzbistum Köln im späten Mittelalter, Teil 1 (Geschichte des Erzbistums Köln, Band 2.1), Köln 1995, 325–331. Gescher, Dekanat (wie Anm. 15), 167–172. – Groten, Priorenkolleg (wie Anm. 14), 57f. – Ein entsprechendes Privileg für den Xantener Propst von 1155: Peter Weiler, Urkundenbuch des Stiftes Xanten, Bonn 1935; noch im 15. Jahrhundert war dieses Privileg nicht vergessen: Carl Wilkes, Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des Archidiakonats und Stifts Xanten, Bonn 1937, Nr. 5, 10. Janssen, Erzbistum Köln, Band 2.1 (wie Anm. 17), 315–317.

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nem Dechanten des Dekanats Duisburg zuerkannt20. Die weitere Entwicklung lief dann dahin, dass zunächst die Archidiakone nach und nach als aktive Sendherren ausschieden, die Landdekane ihren Platz einnahmen und sich mit dem Send in den Schaltjahren begnügten, wie es die Xantener Dekanatsstatuten von 1397 als generelle Regel festhalten21 und wie es auch sonst häufig bezeugt ist22, und die Pfarrer in die Rolle der „normalen“ Sendherren einrückten. Man darf annehmen, dass sie üblicherweise auch den Landdechanten in den Schaltjahren zu vertreten pflegten. Das ist die Situation, wie sie in den beiden Kempener Weistümern von 1391 und 1392 als gewohnheitsrechtlich sanktioniert vorausgesetzt wird. Der weitgehende Verzicht der Archidiakone auf die Ausübung des Sendrechts wird dadurch erklärlich, dass ihnen die fälligen Sendgebühren (petitiones et procurationes) als fixe, von den Pfarrkirchen zu leistende Abgaben erhalten blieben23, deren Zusammenhang mit dem Send im Bewusstsein dann immer mehr verblasste. Was ihnen dabei allerdings entging, waren die Sendbußen, d. h. die in Geldstrafen umgewandelten Bußleistungen verschiedener Art. Über deren Ertrag wissen wir nicht allzu viel, dürfen aber unterstellen, dass die das Urteil fällenden Sendschöffen die Strafgelder, wenn sie denn dem Archidiakon zugeflossen wären, wohl eher knapp bemessen hätten. Zu den Sendbußen ist im Übrigen nachher noch etwas zu sagen. Während Joseph Löhr in seiner Untersuchung über die Verwaltung des Großarchidiakonats Xanten von 1909 noch die Meinung vertreten hatte, der Xantener Archidiakon habe im Spätmittelalter seine Tätigkeit als aktiver Sendrichter (nicht persönlich, sondern durch Vertreter ausgeübt, wie sich versteht) ganz eingestellt24, sind späterhin vereinzelte Belege beigebracht worden, dass das als Pauschalfeststellung nicht zutrifft. So hat z. B. der Archidiakon durch seine Kommissare 1480 den Send in Bislich und 1483/88 in Rheinberg gehalten. Am Gesamteindruck ändern diese aus Rechnungen zusammengeklaubten Notizen allerdings nur wenig. Zeittypischer dürfte die gleichzeitig bezeugte Ablehnung des zum Send anreisen-

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Urkundenbuch der Stadt Duisburg, bearb. von Werner Bergmann, Hans Budde, Günter Spitzbart, Band 1, Düsseldorf 1989, Nr. 18. Binterim–Mooren, Erzdiözese Köln (wie Anm. 8), Band 2, 261. Etwa Urkundenbuch der Abtei Steinfeld, bearb. von Ingrid Joester, Köln-Bonn 1976, Nr. 231 (1320); AHVN 28/29 (1876), 201 (1472). – Redlich, Jülich-Bergische Kirchenpolitik, Band 1 (wie Anm. 13), Nr. 175 (1502) und Nr. 336 (1553). Joseph Löhr, Die Verwaltung des kölnischen Großarchidiakonats Xanten (Kirchenrechtliche Abhandlungen, 59–60), Stuttgart 1909, 241. Löhr, Verwaltung (wie Anm. 23), 238, 271.

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den archidiakonalen Kommissars durch die Pastöre in Beeck und Meiderich gewesen sein, die dieses Recht für sich selbst reklamierten25. Das ist genau die gleiche Konstellation, die unser Kempener Sendweistum schildert. Der Versuch des Xantener Propstes und Archidiakons, sein – so dürfen wir unterstellen – seit langem ruhendes Sendrecht in Kempen zu reaktivieren, stößt auf den Widerstand des dortigen Pfarrers, der dabei von seiner Gemeinde unterstützt wird. Warum der Propst-Archidiakon diesen Versuch gleich zweimal hintereinander unternommen hat, kann vielleicht damit erklärt werden, dass 1392 im Unterschied zu 1391 ein Schaltjahr war, in dem sein Rechtsanspruch durch ein päpstliches Privileg von 1155, das dem Propst von Xanten das Sendrecht in den Schaltjahren ausdrücklich bestätigte26, besser begründet erschien. Aber auch in der Wiederholung kam das ius, das verbriefte Recht, gegen die consuetudo, das durch die lange Geltungsdauer legitimierte Gewohnheitsrecht, nicht an. Infolge der geschilderten Zwistigkeiten fiel der Pfarrsend in Kempen, der dort üblicherweise alljährlich am Donnerstag nach Mariä Lichtmeß gefeiert wurde27, in den Jahren 1391 und 1392 also aus – auch wenn Wilmius das Gegenteil behauptet28. Ob es das erste Mal der Fall war, wissen wir nicht. Es war jedenfalls nicht das letzte Mal. 1549 nämlich sah sich Albert Hardenberg, der im Zuge der von Erzbischof Hermann V. von Wied angestoßenen Reformation des Erzstifts Köln als protestantischer Pfarrer in Kempen eingesetzt worden war, zu der Feststellung veranlasst, der von ihm beklagte sittliche Verfall der Kempener Einwohnerschaft sei unter anderem auf das Ausbleiben des Send zurückzuführen29. Andererseits hat sich unter den Papieren des Propsteiarchivs

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Johannes Ramackers, Franz Gescher, Zum ersten Bande der Germania sacra für die Kirchenprovinz Köln, in: AHVN 137 (1940), 1-72, hier 45-47. – Friedrich Wilhelm Oediger, Niederrheinische Pfarrkirchen um 1500, in: Derselbe, Vom Leben am Niederrhein. Aufsätze aus dem Bereich des alten Erzbistums Köln, Düsseldorf 1973, 263-350, hier 264f. Anm. 9 (zuerst veröffentlicht 1939). Wie Anm. 18. Wilmius, De pastoratu (wie Anm. 9), XI. Wilmius, De pastoratu (wie Anm. 9), XXIV: … hac lite interveniente synodus non parum retardata fuit. Supradicti tamen pastores reiecta Lamberti protestatione synodum more consueto servarunt et finierunt, uti videre licet in libro meo variorum fundationum. Dort ist über den Send aber nur die in Anm. 11 zitierte und in diesem Beitrag behandelte Notarsurkunde zu finden, deren unbefangene Interpretation keinen anderen Schluss zulässt, als dass der Send nicht stattfand, weil die Pfarrangehörigen ihre Mitwirkung verweigerten. Stephan Laux, Reformationsversuche in Kurköln (1542-1548). Fallstudien zu einer Strukturgeschichte landstädtischer Reformation (Neuss, Kempen, Andernach, Linz) (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 143), Münster 2001, 49f. – Zur kurzzeitigen Wirksamkeit Hardenbergs in Kempen siehe auch Leo Peters, Wilhelm von Rennenberg (†

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aus dem 16. Jahrhundert eine Aufzeichnung von Klagepunkten erhalten, die Bürgermeister, Schöffen und Rat von Kempen gegen ihren Pastor auf dem Send vorzubringen beabsichtigten, der jairlichs … gehalden wirdt 30. Das lässt nur den Schluss zu, dass der Send damals noch, wenn auch nicht regelmäßig, so doch von Zeit zu Zeit gehalten wurde31. So war es jedenfalls bis 1565, als nach dem Zeugnis des Johannes Wilmius der Laiensend in Kempen endgültig in Abgang kam32. Das lag im Zuge einer allgemeinen Entwicklung, die dazu führte, dass in der frühen Neuzeit die Institution des Laiensends in der herkömmlichen Form unterging; das geschah in einem regional wie lokal unterschiedlichen Tempo, hier früher, dort später33. Dieser Prozess hatte allerdings schon im Spätmittelalter eingesetzt, wozu einige erläuternde Worte zum Wesen und zu den Erscheinungsformen des Sendgerichts vonnöten sind. Der Laiensend war ein Relikt der altkirchlich-frühmittelalterlichen Bußpraxis, die nur die öffentliche Buße des Sünders gekannt hatte. Die Einführung und Verbreitung der Einzelbeichte mit ihren drei Elementen des privaten Sündenbekenntnisses, der sakramentalen Lossprechung durch den priesterlichen Beichtvater und einer eher symbolischen Satisfaktionsleistung, die den Bußakt zunehmend in den Bereich des Gewissensgerichts (forum internum) abdrängte, beschränkte die öffentliche Buße auf die öffentlichen, d. h. notorischen, Sünden, die weiterhin gerichtsförmlich, also vor dem forum externum, geahndet wurden34. Das war das Sendgericht, das nach dem Vorbild des germanischen Rügegerichts besetzt war und verfuhr35: Einem (Send)Richter stand eine bestimmte

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1546). Ein rheinischer Edelherr zwischen den konfessionellen Fronten (Schriftenreihe des Kreises Viersen, 31), Kempen 1979, 106, 113, 148, 153. Inventar (wie Anm. 8), 124. So ist z. B. die Abhaltung des Send für 1466 oder 1467 in den Kempener Stadtrechnungen belegt: Laux, Reformationsversuche (wie Anm. 29), 189 Anm. 154. Wilmius, De pastoratu (wie Anm. 9), LXIV. Gehalten oder vielmehr wieder belebt bis in die Neuzeit hat er sich nur gebietsweise, und zwar infolge einer erneuten Verbindung mit der Pfarrvisitation durch die kirchlichen Vorgesetzten, aus der er sich im Hochmittelalter gelöst hatte. Damit verloren die Pfarrer ihre Funktion als Sendrichter, und der Laiensend nahm unter dem gleichen Namen einen anderen Charakter an: Thomas P. Becker u. a., Visitation und Send im Archidiakonat Bonn. Die Protokolle des Bonner Offizials aus den Jahren 1683–1697 (Ortstermine, 11), Siegburg 2000, 25–36. – Hansgeorg Molitor, Das Erzbistum Köln im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1515–1688) (Geschichte des Erzbistums Köln, Band 3), Köln 2008, 314, 330. Albert Michael Koeniger, Die Beicht nach Caesarius von Heisterbach, München 1906, 55f. – Bernhard Poschmann, Buße und Letzte Ölung (Handbuch der Dogmengeschichte, IV.3), Freiburg 1951, 72. Jürgen Weitzel, Dinggenossenschaft und Recht (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich, 15), Köln–Wien 1985, 1124–1135.

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(örtlich wechselnde) Anzahl von zunächst ernannten, später gewählten (Send-) Schöffen als Rügezeugen und Urteiler zur Seite. Die Rügepflicht, modern ausgedrückt: Denunziationspflicht, hinsichtlich der offenkundigen Mängel und Verfehlungen innerhalb der Pfarrei lastete aber nicht nur auf den Sendschöffen, sondern auf dem ganzen Gerichtsumstand, was heißt auf der Gesamtheit der versammelten sendpflichtigen Pfarrgenossen. Dabei konnte der Sendbezirk größer als der aktuelle Pfarrsprengel der Sendkirche sein und auf diese Weise ältere Verhältnisse und Abhängigkeiten konservieren. So gehörten zum Sendbezirk der Kempener Pfarrkirche neben einigen Pfarrangehörigen von Anrath und Willich auch die Kirchspielseingesessenen von Oedt, Vorst und Hüls, deren Kirchen einstmals von der Kempener Pfarrkirche abhängige unselbständige Kapellen gewesen waren, sich inzwischen aber – was ihre Funktionen und Kompetenzen anging – zu selbständigen Pfarrkirchen entwickelt hatten36, auch wenn sie in der Urkunde von 1392 noch kirchenrechtlich korrekt als Kapellen mit Seelsorgerecht (capellae curatae) firmieren. Die Anwesenheit und Zeugenschaft der Pastöre an den fünf genanten Kirchen bei dem verhinderten Send von 1392 lässt vergangene Rechtszustände durchscheinen und macht den Umfang des Kempener Sendbezirks, der mit dem hochmittelalterlichen Kempener Pfarrsprengel identisch ist, sichtbar. Was aber war nun Gegenstand des Sendgerichts, oder anders gefragt: was wurde dabei gerügt bzw. musste oder sollte gerügt, angezeigt, werden? Unser Sendweistum gibt dazu nur die sehr summarische Auskunft: Mängel und Verfehlungen in Bezug auf die Sakramente, die Kirche und die Menschen (defectus et excessus sacramentorum, ecclesiae et hominum). Anderswo haben sich weitaus ausführlichere und detailliertere Fragebögen mit einer Auflistung der „rügbaren“, also anzeigepflichtigen Tatbestände erhalten, die zum Teil so wort- und inhaltsreich sind, dass man an ihrem Wert für die Rügepraxis zweifeln kann und geneigt ist, sie eher für Produkte kirchenrechtlicher Gelehrsamkeit denn als Verfahrenshilfen einzuschätzen. Solche Zusammenstellungen von Sendfragen haben sich etwa – um nur in der Erzdiözese Köln zu bleiben – aus dem Jahre 1452 in Paffrath37 bei Bergisch Gladbach, nach 1475 in Würselen38 und 1512 in St. Ge-

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Janssen, Pfarre Kempen (wie Anm. 4), 10–13. – Hanns Peter Neuheuser, Zur Entwicklung der Kempener Pfarre vom Hochmittelalter bis zur Neuzeit, in: Inventar (wie Anm. 8), 9–52, bes. 17–23. – Hanns Peter Neuheuser, Grundriss der Kempener Kirchengeschichte, Köln 1995, 16–20. Ferdinand Schmitz, Das Messbuch zu Paffrath. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Send- und grundherrlichen Gerichtswesens, in: AHVN 87 (1909), 1–39, bes. 15–18. – Albert Michael Koeniger, Quellen zur Geschichte der Sendgerichte in Deutschland, München 1910, Nr. 32.

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reon zu Köln39 erhalten. Ein Fragenkatalog aus Xanten, der wegen der räumlichen Nähe gut passen würde, stammt allerdings aus dem fortgeschrittenen 16. Jahrhundert, trägt unverkennbar nachreformatorisch-konfessionspolitische Züge und lässt eine Verwandtschaft mit der auf der Kölner Diözesansynode von 1550 publizierten Visitationsordnung erkennen40. Er kommt deshalb wie andere Sendordnungen aus späterer Zeit als Orientierung für den Kempener Send um 1400 nicht in Frage. Eher dürfte da schon das Paffrather Weistum von 1452 passen, das dem Kempener Weistum von 1392 zeitlich am nächsten steht. Die Aufzählung der auf dem Paffrather Send anzeigepflichtigen Sachen zeichnet sich durch eine völlige Systemlosigkeit aus. Es geht hier alles wie Kraut und Rüben durcheinander, so wie es demjenigen, der den Text zu Papier brachte, gerade in den Sinn kam. Wenn wir mit den Mängeln hinsichtlich der Sakramente beginnen, so lassen sich darunter aus der Paffrather Liste allenfalls folgende Punkte subsumieren: Kirchenbesuch von Wöchnerinnen vor der Aussegnung (die damals praktisch wie ein Sakrament eingestuft und behandelt wurde); Verzögerung der Kindertaufe; Versäumnis der jährlichen Pflichtkommunion mit vorhergehender Beichte; Behinderung des Sakramentenempfangs durch Kranke und Abhängige u. ä. Bezeichnenderweise fehlt die kritische Überprüfung der pflichtgemäßen Sakramentenspendung durch den Pastor, die sonst unter der Rubrik defectus sacramentorum obenan steht. Das deutet darauf hin, dass es in Paffrath der Ortspfarrer selbst war, der diesen Katalog unter Ausblendung selbstkritischer Gesichtspunkte nur mit Blick auf die Laien zusammengestellt hat. Dass im Allgemeinen auf dem Send auch das Verhalten und die Amtsführung des Pastors bzw. des Seelsorgers (curatus) zur Diskussion standen, belegt neben anderen Einzelzeugnissen nicht zuletzt die von Bürgermeistern, Schöffen und Ratmannen zu Kempen konzipierte Beschwerde über ihren Pfarrer, von der weiter oben die Rede war41, deren Gegenstand und Anlass wir leider nicht kennen. Allerdings durften Verfehlungen des Pastors und anderer Geistlicher nicht wie die der Laien auf dem Send selbst geahndet werden – das war kirchenrechtlich untersagt – , sie muss-

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Koeniger, Quellen (wie Anm. 37), Nr. 40; dazu Franz Kerff, Das Würselener Sendgericht von der Karolingerzeit bis zum 16. Jahrhundert, in: Würselen. Beiträge zur Stadtgeschichte, hg. von Margret Wensky, Franz Kerff, Band 1, Köln 1989, 63–88, hier 74f. Koeniger, Quellen (wie Anm. 37), Nr. 23. Statuta seu decreta … synodorum s. ecclesiae Coloniensis, Köln 1554 [gedruckt bei Johannes Quentel], 470-505 = Joseph Hartzheim, Concilia Germaniae … , Band 6, Köln 1765, 622–653; vgl. Molitor, Erzbistum Köln, Band 3 (wie Anm. 33), 314f. Siehe oben S. 94.

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ten vielmehr an den zuständigen geistlichen Richter, d. h. in erster Instanz an den Archidiakon, zur Beurteilung und Bestrafung überwiesen werden42. Unter die „Mängel und Verfehlungen in Bezug auf die (Pfarr-) Kirche“ lassen sich aus dem Paffrather Katalog von 1452 folgende Fragen einordnen: nach der korrekten Amtsverrichtung von Küster und Kirchmeistern; nach der angemessenen Kirchenausstattung und ihrer Instandhaltung; nach dem Respekt vor dem Kirchengut und geweihten Orten; nach der Bestattung ungetaufter Kinder auf dem Kirchhof; nach der Entrichtung der Kirchenzehnten und -abgaben; nach dem vorgeschriebenen Besuch der Pfarrkirche (wobei die Betonung auf ʻPfarr-ʼ liegt) an den vier kirchlichen Hauptfesten u. ä. Noch umfangreicher ist die Gruppe der menschlichen bzw. zwischenmenschlichen Verfehlungen (excessus hominum), die wir zur Unterscheidung zu den schon zur Sprache gebrachten Verstößen wohl als sittlich-moralische Verfehlungen zu qualifizieren haben. Dazu zählen: Handgreiflichkeiten gegen Eltern, Ehepartner, Priester und Kleriker; das Vorenthalten des täglichen Brotes gegenüber der Familie; die aus Geiz resultierende Verweigerung von Seelenmessen für die verstorbenen Eltern; die aus Bosheit erfolgende Erfindung von Ehehindernissen in Bezug auf Paare, die heiraten wollen; das Herumstehen auf dem Kirchhof während der Messfeier; „Unkeuschheit“ mit Verwandten oder an geweihten Stätten; Meineid; Wucher; (laut geäußerte) Glaubenszweifel und Kirchenverachtung; Verletzung der Sonn- und Feiertagsheiligung; Übertretung der Zehn Gebote und betrügerische Geschäfte mit falschen Münzen, Maßen und Gewichten. Die summarische Angabe, dass Übertretungen der Zehn Gebote sentwrogig seien, zeigt einmal die fehlende Unterscheidung von „privaten“ und „öffentlichen“ Sünden und die Furcht des Verfassers, irgendwelche möglichen sündhaften Verfehlungen übersehen zu haben. Darin dürfte auch die Systemlosigkeit dieses Katalogs begründet sein, der für die sendgerichtliche Praxis wohl wenig taugte.

42

So enthalten die spätmittelalterlichen Xantener Archidiakonatsrechnungen eine Rubrik Recepta de correctionibus excessuum presbiterorum (Wilkes, Quellen [wie Anm. 18 ], Nr. 7 und 8, 11–27); dazu Wilhelm Janssen, Spätmittelalterliche Kirchenverwaltung und Pfarrseelsorge im Kölner Archidiakonat Xanten, in: Köln und die Niederrheinlande in ihren historischen Raumbeziehungen, hg. von Dieter Geuenich (Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein, 17), Mönchengladbach 2000, 117–135, hier 117f. – Eine von den Landdekanen beanspruchte Korrektionsgewalt gegenüber den ihnen untergebenen Geistlichen blieb umstritten. – Das Verbot, Kleriker mit öffentlichen Bußen und Strafen zu belegen, ist 1310 durch ein Diözesanstatut ausdrücklich eingeschärft worden: Die Regesten der Erzbischöfe von Köln (wie Anm. 1), Bd. 4, bearb. von Wilhelm Kisky, Bonn 1915, Nr. 498 (10).

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Eine etwas durchdachtere Struktur weist die dreigliedrige Rügeliste aus St. Gereon auf, in der die einzelnen Delikte allerdings nur stichwortartig angedeutet sind. Der erste Abschnitt zielt auf die schweren sittlich-moralischen Verfehlungen, reichend vom Ehebruch bis zum Meineid; der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der Ausstattung und Instandhaltung von Kirche und Friedhof; der dritte hat die Kircheneinkünfte sowie den Sakramentenempfang und die Beachtung anderer Kirchengebote im Blick. Die Paffrather Auflistung der rügepflichtigen Vergehen enthält außerdem noch einige aus dem Rahmen fallende Delikte wie verschwiegener Aussatz und versäumte Instandhaltung der Kirchwege. Das hatte mit Sünde und Kirche nur noch wenig, desto mehr aber mit obrigkeitlicher bzw. kommunaler Gesundheits- und Wegepolizei zu tun. Und das steht im Zusammenhang damit, dass spätestens seit dem 14. Jahrhundert, teilweise schon während des 13. Jahrhunderts sich die weltliche Gerichtsbarkeit in den Kirchensend hineindrängte und ihn für ihre Interessen instrumentalisierte, wozu nachher noch etwas zu sagen ist. Es ist jedenfalls bezeichnend, dass dem zitierten Weistum zufolge das Paffrather Sendgericht im Namen der geistlichen wie weltlichen Autorität, nämlich des Erzbischofs von Köln und des Herzogs von Berg, „gehegt“ wurde! Aus dem breiten Spektrum der Mängel und Fehler, die auf dem Send zur Verhandlung anstehen konnten und von denen wir soeben erfahren haben, hatte für die Realität des kirchlichen Lebens in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Erzdiözese Köln nur eine schmale Auswahl praktische Bedeutung. Es waren – wie schon gesagt – die sogenannten öffentlichen Laster: Ärgernis erregende Verstöße gegen kirchliche und gesellschaftliche Normen wie Ehebruch, nichteheliches Zusammenwohnen, Bigamie, Hurerei, Entheiligung von Sonn- und Festtagen und – etwas seltener genannt – Wucher und Zauberei in ihren verschiedenen Formen43. Den Löwenanteil stellten Verletzungen der Sexualmoral und der kirchlichen Ehegesetzgebung dar44; und insofern griff die Sendgerichtsbarkeit spürbar in den Alltag der Gläubigen ein. Das schließt nicht aus, dass hier und dort auch einmal andere Sünden angezeigt wurden. Doch die auf uns gekommenen Zeugnisse, insbesondere die flächendeckenden und sys43

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Eine knappe, aber wohl vollständige Aufzählung der auf dem Send anzeigepflichtigen und zu ahndenden Vergehen bietet die kleve-jülich-bergische Amtleuteordnung (!) von 1559 in ihrem 41. Abschnitt: Johann Joseph Scotti, Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in dem Herzogthum Cleve und in der Grafschaft Mark … ergangen sind vom Jahre 1418 bis … im Jahre 1816, Band 1, Düsseldorf 1826, Nr. 58 (41). Sie sind es, die stets konkret genannt werden, wenn es um die „rügepflichtigen Sachen“ geht: z. B. Theodor Josef Lacomblet, Archiv für die Geschichte des Niederrheins 7 (1869), 103; Redlich, Jülich-bergische Kirchenpolitik, Band 1 (wie Anm. 13), Nr. 80, 151, 220, 226, Bd. 2.1, Bonn 1911, 163, 187f., 529, 561.

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tematischen Erhebungen der landesherrlichen Visitationen in den Herzogtümern Jülich und Berg aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, lassen keinen Zweifel daran, dass in unserem Raum der Send sich schon im ausgehenden Mittelalter zu einem gemeindlichen Sittengericht entwickelt hatte. Man kann sich vorstellen, dass das nicht dazu führte, ihn bei den Pfarrangehörigen beliebt zu machen. Zu dieser ablehnenden Haltung trug gewiss bei, dass die weltliche Obrigkeit in Territorium und Stadt, geleitet von dem Bestreben, die Kompetenzen der geistlichen Gerichtsbarkeit zugunsten der weltlichen Justiz zu beschneiden und einzuschränken, die Sendgerichtsbarkeit teilweise oder ganz usurpierte. Unter Beibehaltung der überlieferten zeremonialen Formen übten etwa in Neuss45, Duisburg46 und Soest47 die Stadtmagistrate faktisch den Send aus und überließen dem geistlichen Sendrichter nicht mehr als den passiven Beisitz und einen Anteil an den Bußgeldern. In Köln, wo schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts um die Kompetenzabgrenzung zwischen geistlichem und weltlichem Gericht gestritten wurde48, scheinen die Amtleute der mit den Pfarreien räumlich weitgehend identischen Sondergemeinden den Send in ihre Zuständigkeit gezogen zu haben49. Wie das Beispiel Soest zeigt, griffen die weltlichen Autoritäten auch in den Katalog der auf dem Send rügepflichtigen excessus ein. Durch ein städtisches Statut aus der Mitte des 14. Jahrhunderts wurde verboten, ‚Unzucht’ zwischen unverheirateten Leuten sowie eine nachmittägliche Sonntagsentheiligung künftig auf dem Send anzuzeigen50. Offenbar glaubte man, durch diese Einschränkungen den zu schützenden Gütern ‚Ehe’ und ‚Gottesdienstbesuch’ hinreichend Genüge getan zu haben, ohne dem innerstädtischen Gerüchtewesen zu viel Raum zu geben und der notwendigen Wirtschaftstätigkeit zu enge Zügel anzulegen. 45 46

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Erich Wisplinghoff, Geschichte der Stadt Neuss, Teil 4: Das kirchliche Neuss bis 1814, Neuss 1989, 26–28. Heinrich Averdunk, Geschichte der Stadt Duisburg bis … 1660, Duisburg 1894, 151. – Wilhelm Janssen, Kirche und Religiosität im spätmittelalterlichen Duisburg, in: Duisburger Forschungen 47 (2001), 1-19, hier 17. Manfred Wolf, Kirchen, Klöster, Frömmigkeit, in: Soest. Geschichte der Stadt, hg. von Heinz-Dieter Heimann, Band 2, Soest 1996, 771–898, hier 803. – Auszüge aus den Soester Stadtbüchern mit Beilagen, bearb. von Theodor Ilgen (Die Chroniken der deutschen Städte, 24), Leipzig 1895, 17, 169. – Die Chroniken der deutschen Städte, bearb. von Joseph Hansen, Band 21, Leipzig 1889, 383f. Dieter Strauch, Der Große Schied von 1258. Erzbischof und Bürger im Kampf um die Kölner Stadtverfassung (Rechtsgeschichtliche Schriften, 25), Köln–Weimar–Wien 2008, 69–80. Die Kölner Schreinsbücher des 13. und 14. Jahrhunderts, bearb. von Hans Planitz, Thea Buyken, Weimar 1937, 106. Wolf-Herbert Deus, Das Soester Recht, Teil 1: Statuten, Soest 1969, 116.

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In den Territorien sah es nicht anders aus als in den Städten. Die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erhobenen Befunde lassen sich dabei durchaus – wie es die soeben angeführten städtischen Beispiele nahe legen – auf die Zeit des späten Mittelalters zurückprojizieren. Im Herzogtum Jülich waren es häufig Pastor und Amtmann, die gemeinsam den Send hielten51. Im bergischen Amt Blankenberg und im jülichschen Embken wurde über „sendbare“ Sachen im Brüchtenverhör bzw. im Vogtding entschieden52. Die hier zutage tretende Durchlässigkeit zwischen weltlichem und geistlichem Gericht bzw. deren sich überschneidende Zuständigkeit begründete sich in der immer wirksameren Verchristlichung der sozialen und politischen Ordnung, die den Unterschied zwischen Vergehen (oder gar Verbrechen) und Sünde immer mehr einebnete. Wenn Gotteslästerung und Ehebruch deshalb als Verbrechen qualifiziert wurden, weil sie den Zorn des dadurch beleidigten Gottes auf Stadt oder Land herabrufen konnten, lag es in der Logik dieser Glaubensüberzeugung, dass die weltliche Obrigkeit sie mit Strafen belegte und gerichtlich verfolgte. Und je mehr sich die Obrigkeit für das zeitliche und ewige Wohl und dementsprechend für das soziale und moralische Wohlverhalten der Untertanen, die so genannte „gute Polizei“, verantwortlich fühlte, umso mehr deckten sich auch die Bereiche der kirchlichen Sendgerichtsbarkeit mit denen der weltlichen Ordnungsgerichtsbarkeit. Dazu kam ein Weiteres: Die Kirche hatte ursprünglich die im Send schuldig gesprochenen Beklagten mit Bußstrafen belegt, angefangen vom Verbot des Kirchenbesuchs über Schandstrafen wie das Steinetragen bis hin zu Schlägen mit der Rute. Die 1392 beschriebene zeremonielle Zurüstung der Sendgerichtsbank in der Kempener Pfarrkirche, auf der neben brennenden Kerzen und Kreuz eine Rute und eine Schere (zum Haarabschneiden) lagen, erinnert in symbolischer Form daran. Schon früh aber konnten als Bußleistungen verhängte Schand-, Leibes- und andere Strafen (wie etwa Wallfahrten) in Geldzahlungen umgewandelt, „redimiert“ werden, wie der entsprechende Kirchenrechtsbegriff lautet53, und das wurde schon bald sogar die Regel. Damit verschwand im Bewusstsein der Betroffenen der Unterschied zwischen der von der Kirche auferlegten redimierten Buße und dem von der weltlichen Autorität verhängten 51

52 53

Etwa Redlich, Jülich-Bergische Kirchenpolitik, Band 2.1 (wie Anm. 44), 202, 371, 795; auch Redlich, Jülich-Bergische Kirchenpolitik, Band 1 (wie Anm. 13), 376, 411–423. – Eine kritische Stimme gegen die Beteiligung der weltlichen Obrigkeit am Send: Redlich, Jülich-bergische Kirchenpolitik, Band 2.1 (wie Anm. 44), 858–859. Redlich, Jülich-Bergische Kirchenpolitik, Band 1 (wie Anm. 13), Nr. 341, Band 2.1 (wie Anm. 44), 604. Koeniger, Sendgerichte (wie Anm. 13), 175–179. – Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, 636–643. – Redemption, in: Lexikon des Mittelalters, Band 7, 1995, Sp. 535 (Ludger Körntgen).

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Strafgeld (Brüchte), beides fiel in einer Geldstrafe zusammen, für deren Eintreibung der weltliche Arm zuständig war. Vergeblich hat die Regierung der Vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts den Versuch unternommen, das Rad der Entwicklung zurückzudrehen und die Sendbußen in den budel zu verbieten54, um die auf Versittlichung und moralische Besserung des Volkes zielende Funktion des Sends, der offenkundig an innerer Auszehrung und schwindender Akzeptanz litt, wieder deutlicher in Erscheinung treten zu lassen. Der finanzielle Aspekt der Sendgerichtsbarkeit kann deshalb nicht hoch genug angeschlagen werden. Nicht umsonst protestierte 1392 der Vertreter des Kempener Pastors, der an der Ausübung seines Sendrechts durch die Dazwischenkunft eines archidiakonalen Kommissars gehindert wurde, nicht nur gegen diese Behinderung, sondern auch wegen des ihm dadurch entstandenen pekuniären Schadens. Neben den von den sendpflichtigen Pfarrgenossen zu zahlenden, mehr oder weniger fixen Sendgebühren in Geld oder Naturalien (iura synodalia)55 waren es vor allem die in Geld zu entrichtenden Sendbußen, die in wechselnder Höhe dem Sendrichter zufielen – eine Einnahmequelle, auf die dieser nicht verzichten wollte. So ist der Streit von 1391/92 zu erklären. So ist es auch zu erklären, dass der Pfarrer von Kempen sich beim Send durch einen eigens dazu bestellten Kommissar und nicht durch den Vizepastor vertreten ließ, der sonst an seiner Stelle die Seelsorge in Kempen ausübte; und der Send gehörte zweifelsfrei zur cura animarum56. Mit der praktischen Seelsorge allerdings hatten beide Konkurrenten um das Sendrecht in Kempen wenig im Sinn; wohl aber dürften sie beide als Karrierebeamte in der erzbischöflichen Territorialund Kirchenverwaltung, in der sie „hauptberuflich“ tätig waren, einigen Sinn für Geld und Gewinn gehabt haben. Kehren wir nach dieser knappen Umschau über das spätmittelalterliche Sendwesen in unserer Region, seine kirchenrechtlichen Voraussetzungen und seine tatsächliche Entwicklung noch einmal resümierend zu unserer Urkunde von 1392 zurück. Sie ist eines der spärlichen Zeugnisse, die wir überhaupt vom Pfarrsend in Kempen haben. Damit steht Kempen aber immer noch besser da als etwa Krefeld, wo es überhaupt keinen Nachweis für ein Sendgericht gibt57. Wenn wir in Anlehnung an andere einschlägige Quellen fragen, wie in Kempen das Sendverfahren ablief, welche Klagen vorgebracht und welche Bußen verhängt wurden, so bekommen wir keine Antwort. Wir erfahren lediglich, dass der Kempener Pfarrer Johann von Broile und der Xantener Propst und Archidiakon 54 55 56 57

Redlich, Jülich-Bergische Kirchenpolitik, Band 1 (wie Anm. 13), 234, 262, 301. Janssen, Erzbistum Köln, Band 2.2 (wie Anm. 13), 142. Die Regesten der Erzbischöfe von Köln, Band 4 (wie Anm. 42), Nr. 1752. Guido Rotthoff, Das Mittelalter, in: Krefeld. Die Geschichte einer Stadt, hg. von Reinhard Feinendegen, Hans Vogt, Band 1, Krefeld 1998, 299–492, hier 348.

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Hugo von Hervorst, die beide nicht in eigener Person erschienen waren, sondern sich durch Kommissare vertreten ließen, um die Sendherrschaft, d. h. um den Vorsitz im Sendgericht, stritten. Die versammelten Pfarrgenossen hielten auf Befragen den Anspruch ihres Pastors für besser begründet, weil durch die unvordenkliche Gewohnheit legitimiert58. Auch Erzbischof Wilhelm von Gennep – um das hier einzuflechten – war 1362 davon ausgegangen, dass dem Kempener Pfarrer Johann von Broile die correctio excessuum seiner parochiani, also die Sendgerichtsbarkeit vel de iure vel de consuetudine zustehe59. Mehr gibt das Weistum nicht her. Denn da der Gerichtstermin ausfiel, weil sich die Rechtsvertreter der prätendierten Sendherren nicht einigen konnten, gibt es über das Sendverfahren auch keine weiteren Informationen. Das wäre vermutlich auch dann nicht der Fall gewesen, wenn die Verhandlung stattgefunden hätte, sie wurde nämlich mündlich geführt. Es gibt aus dieser und etwas späterer Zeit nur wenige Sendprotokolle, die die Namen der Delinquenten, ihre Vergehen und die Geldstrafen schriftlich festhalten. Letzteres, die Rechnungslegung über die eingenommenen Bußgelder, dürfte der eigentliche Beweggrund für diese Aufzeichnungen gewesen sein, für die sich in der spätmittelalterlichen Erzdiözese Köln nur ein Beispiel aus Würselen erhalten hat60. Die oben zitierten Andeutungen aus dem 16. Jahrhundert61 lassen vermuten, dass wie anderswo auch beim Send in Kempen, wenn er denn gehalten wurde, Probleme der Sittenzucht und des pfarrlichen Kirchenregiments auf der Tagesordnung standen. Das ist aber nicht mehr als eine Vermutung ohne konkreten Anhaltspunkt. Ob sich unter den 1392 aufgelisteten Pfarrangehörigen die Sendschöffen befunden haben – an anderen Orten kommen zwei bis zehn solcher Sendschöffen vor62 – wissen wir nicht. Wenn ja, dann dürfte Johann Stolten, der 1402 unter den Schöffen des Gerichts in Kempen genannt wird63, der Sprecher dieses Gremiums gewesen sein. Die Anwesenheit der beiden Bürgermeister und von vier Gerichtsschöffen könnte darauf hinweisen, dass Stadtmagistrat und weltliche Gerichtsgemeinde am Sendverfahren kraft eigener Gewalt beteiligt waren64 und auch für Kempen die in den landesherrlichen Visitationsprotokol58 59

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Siehe unten S. 105. Binterim–Mooren, Erzdiözese Köln, Band 4 (wie Anm. 8), Nr. 373 = Die Regesten der Erzbischöfe von Köln (wie Anm. 1), Band 6, bearb. von Wilhelm Janssen, Köln–Bonn 1977, Nr. 1500. Kerff, Würselener Sendgericht (wie Anm. 38), 73, 79. Siehe oben S. 93f. So gab es z. B. 1553 in Euskirchen zwei, in Münstereifel sieben und in Jülich aus jeder Straße einen Sendschöffen: Redlich, Jülich-Bergische Kirchenpolitik, Band 1 (wie Anm. 13), 412f. AHVN 64 (1897), 19, Nr. 157. Laux, Reformationsversuche (wie Anm. 29), 49, 189.

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len des 16. Jahrhunderts für das Herzogtum Jülich häufig begegnende Feststellung zutreffen würde: „Der Send wird vom Pastor und dem Gericht gehalten“65. Das aber längstens bis 1565, als man in Kempen den Kirchensend als eine lästige und wohl allseits unbeliebte Veranstaltung eingehen ließ.

Anhang Notarielles Protokoll über den Send zu Kempen am 8. Februar 1392 (Zur Überlieferung siehe oben S. 89) In nomine Domini amen. A nativitate66 eiusdem millesimo trecentesimo nonagesimo secundo, indictione quintadecima, mensis Februarii die octava67 hora vesperarum vel quasi constitutis in parochiali ecclesia Kempensi Coloniensis dioecesis in mei notarii publici et testium infrascriptorum praesentia honorabilibus et discretis viris dominis Joanne a Willich, Joanne in Anrad ecclesiarum parochialium dictae dioecesis rectoribus et Henrico dicto Schaffraidt vicario in ecclesia Coloniensi presbyteris, procuratoribus seu commissariis68, ut dicebatur, honorabilis viri d. Joannis de Broile pastoris dictae ecclesiae Kempensis ad praesidendum suo nomine et pro ipso sanctae synodo eotunc in eadem ecclesia Kempensi more solito celebrandae, de quorum69 etiam procurationis et commissionis mandato per litteram dicti domini Joannis pastoris patentem sigillo ipsius impendente sigillatam illic in medio exhibitam70, publicatam et expositam sufficienter constitit, ex una parte necnon Theoderico Vulheringh, Joanne an den Iseren proconsulibus de praesenti, Godefrido de Honnichausen, Conrado ter Burgh, Henrico Bremken, Henrico Budener scabinis, Joanne Stolten, Joanne Hoerbeck, Joanne dicto Hundt campanario dictae ecclesiae, Theoderico Sartoris, Gobelino Sartoris et quamplurimis71 aliis oppidanis et parochianis ibidem in 65 66 67 68 69 70 71

Wie Anm. 51. Wilmius (wie Anm. 11) hat: Anno a nativitate Im Sendprotokoll vom 9. Februar 1391 (wie oben Anm. 12) folgendes Datum: Anno nativitatis eiusdem millesimo trecentesimo nonagesimo primo, indictione quartadecima, mensis Februarii die nona. 1391: … discretis viris domino Theoderico de Anroide pastore ecclesie de Lynne eiusdem diocesis presbytero, procuratore seu commissario … 1391: … de cuius … 1391: … sigillatam hodie ibidem infra missarum solempnia de ambone coram populo exhibitam … 1391: … necnon Geldolfo de Hulse armigero, Theoderico proconsule, Godefrido de Honynchusen, Henrico Budener, Conrado ter Burch, Johanne Besteder scabinis, Johanne Stolt, Johanne de Vairhusen, Theoderico Vuylherinck, Adam dicto Bollich de Vairhusen, Johanne Bollich, Arnoldo Gertrudis, Johanne Husechin, Theoderico Heyne, Godefrido Vuylherinck, Theoderico filio Guede ingen Royde et quamplurimis …

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multitudine numerosa congregatis, illic per pulsum campanae ipsius ecclesiae convocatis et ad celebrationem dictae synodi convenientibus parte ex altera, praesente etiam eotunc ibidem in scamno72 illic aptato iuxta praefatos dominos Joannem et Henricum commissarios residente honorabili viro domino Lamberto dicto Korff de Rees canonico Monasterii Eifliae dictae dioecesis asserente73 se commissarium ad praesidendum eidem synodo nomine et ex parte venerabilis viri Hugonis de Hervorst praepositi ecclesiae Sanctensis eiusdem dioecesis ab eodem74 domino praeposito ad hoc specialiter deputatum. Quibus75 omnibus sic ibidem consistentibus supradictus dominus Joannes rector ecclesiae in Willike illic cum et in habitu religionis iuxta scamnum unum linteo contectum ac cereis ardentibus, cruce, virga et forfice suprapositis aptatum una cum dictis dominis Joanne et Henrico collegis suis residens vocatisque suo et eorum nomine supradictis proconsulibus, scabinis et parochianis illic in multitudine, ut praefertur, comparentibus requisivit eosdem, ut ad loca sua consueta se reponerent sibique et dictis collegis nomine et ex parte domini sui pastoris praedicti defectus76 et excessus sacramentorum, ecclesiae et hominum accusabiles iuxta eorum conscientias ut alias legitime accusarent et super hiis77 eos in virtute sanctae obedientiae requisivit eosdem. Deinde etiam dominus Lambertus commissarius, ut dicebat, supradicti d. praepositi illic similiter comparens, lecta prius ibidem et publicata littera commissionis suae78, eosdem parochianos, ut sibi tanquam dicti domini praepositi commissario et eius nomine praesidendo huiusmodi synodo parerent et accusationes facerent, similiter requisivit. Memorati vero parochiani hiisce auditis ad partem secedentes et post79 habitam inter se aliqualem deliberationem reversi respondendo dixerunt – supradicto Joanni Stolt verba responsionis eorum suo et eorum nomine ac de iussu et ratihabitatione eorundem in hunc vel consimilem modum80 proferente – : Vos domini, hodie iuxta morem ad hunc locum venimus et parati sumus ac paratos nos offerimus facere circa celebrationem ipsius synodi 72 73 74 75 76

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1391: scampno. 1391: … honorabili viro domino Hermanno de Aldenroyde pastore ecclesie sancte Columbe Coloniensis asserente … 1391: … prepositi ecclesie Xanctensis, loci ipsius archidiaconi, dicte Coloniensis diocesis, ab eodem … Vorlage: Civibus, 1391: Quibus. 1391: … dominus Theodericus commissarius dicti domini pastoris Kempensis et eius nomine illic cum et in habitu religionis iuxta scampnum unum lintheo contectum ac cereis ardentibus, cruce, virga et forfice suprapositis aptatum residens vocatis primo ad se supradictis parochianis illic in multitudine, ut prefertur, comparentibus requisivit eosdem, ut ad loca sua consueta se reponerent sibique nomine domini sui pastoris predicti defectus … Vorlage: his, 1391: hiis. 1391: Deinde etiam et in continenti memoratus dominus Hermannus commissarius, ut dicebat, supradicti domini prepositi illic absque tamen habitu religionis comparens eosdem parochianos … Vorlage: propter. fehlt in Vorlage.

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ea, quae debemus et tenemur de iure, dum tamen vos concordes fueritis in hoc, ut unus vestrum ipsi synodo praesideat et accusationes faciendas recipiat et corrigat iuxta consuetudinem introductam. Vobis autem in discordia et sub diversis titulis praesidere volentibus parere seu ad aliquem actum procedere non intendimus, quia ita non est introductum nec apud nos hactenus observatum81. Requisiti insuper a praefato domino Joanne commissario parochiani, cui ipsi confiterentur et recognoscerent82 ius praesidendi synodo in ipsa ecclesia et quis vel qui retroactis temporibus praesederit vel praesederint aut praesidere consueverit83 seu consueverint ibidem synodo memoratae. Ad haec praefati parochiani habita iterum super his per et inter se aliquali deliberatione respondendo dixerunt at Joannes Stolt dictus nomine et de84 mandato et ratihabitatione, ut supra, dixit, quod ipsi neglexerint unquam alium vel alios praeterquam pastorem suum pro tempore ecclesiae Kempensis et ipsius commissarios in ipsa ecclesia sanctae synodo praesedisse, quando utique ipsi semper eidem pastori et commissariis suis duntaxat et nulli alteri in celebratione dictae synodi assedissent ac eisdem in accusationibus suis et alias omnimode paruissent; de iure85 quidem vel non iure ipsarum partium, quae scilicet earum potiore in hac parte iure fruatur, dixit sibi vel parochianis in aliquo non constare. Quibus86 auditis dominus Joannes87 commissarius dicti d. pastoris et eo nomine memoratum Lambertum88 gerentem se pro commissario dicti domini praepositi requisivit, ut abinde discederet89 et eum officium sibi commissum libere et absque impedimento exequi et exercere permitteret. Et quia ipse d. Lambertus

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1391: … reversi dixerunt, nonnullis eorum ipsa verba proferentibus, quod ipsi ad hoc venissent et utique parati essent facere circa celebracionem ipsius synodi ea que deberent et tenerentur de iure, dum tamen ipsi domini commissarii concordes essent et esse vellent in hoc, ut unus eorum synodo presideret et accusationes reciperet et corrigeret iuxta consuetudinem introductam; nam eis ambobus in discordia et sub diversis tytulis presidentibus parere seu ad aliquem actum procedere non intenderent, quia ita non fuisset introductum nec apud eos hactenus obervatum. 1391: … domino Theoderico, cui ipsi confiterentur et recognoscerent … Vorlage: constituerint, 1391: consueverit. 1391: … ac supradictus Johannes Stolte oppidanus suo et aliorum omnium nomine ac de … 1391: … et ratihabitatione expressis eorundem dixit, quod ipsi nec sciant nec sciverint neque viderint nec eciam a progenitoribus eorum audiverint vel intellexerint, alium vel alios preterquam pastorem suum pro tempore dicte ecclesie Kempensis et ipsius commissarios umquam in ipsa ecclesia sancte synodo presedisse, quando utique ipsi semper per tempora sua eidem pastori aut commissario suo dumtaxat et nulli alteri in celebracione dicte synodi assedissent ac eidem in accusationibus suis et alias omnimode paruissent; de iure … Vorlage: Civibus, 1391: Quibus. 1391: Theodericus. 1391: Hermannum. 1391: recederet.

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facere90 recusavit, ipse d. Joannes91 protestatus fuit de iniuria et gravamine et appellando quandoque per eum et dominum suum, ipsius ecclesiae pastorem, non stabat neque staret, sed per ipsius d. Lamberti impedimenta, quominus ipse d. Joannes et eius collegae ea vice procedere possent et procederent in exercitio et celebratione92 synodi memoratae. Protestabatur etiam de damnis, expensis et interesse occasione huiusmodi impedimenti93, requirens per me notarium publicum subscriptum desuper fieri in meliori forma94 publicum instrumentum. Consimili modo d. Lambertus praefatum dominum Joannem, ut abscederet, requisivit protestatusque fuit ac per me notarium sibi desuper instrumentum fieri postulavit. Similiter etiam antedictus dominus Joannes Stolt suo et aliorum omnium parochianorum nomine protestatus fuit de responsione sua facta, ut praefertur, ad finem, ut ipsi poenas in mandatis et processibus publicatis contentas non incurrant et nihilominus instrumentum etiam desuper a me notario fieri requisivit95. Acta fuerunt haec sub anno Domini, indictione, mense, die, hora et loco ut supra, praesentibus ibidem una mecum notario ac partibus et personis supramemoratis honorabilibus et discretis viris domino Hermanno in Oede, Conrado in Vorst, Arnoldo in Hulse capellarum curatarum96 seu divinorum in eisdem rectoribus, Godefrido ter Burg in ecclesia Kempensi presbyteris, Henrico rectore scholarum ibidem clerico et aliis quamplurimis fidedignis testibus in numerosa multitudine, testibus ad praemissa vocatis97. Et me Bernardo de Berck clerico Colon[iensis dioecesis] notario etc.98

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1391: … ; quod quia dictus dominus Hermannus facere … 1391: Theodericus. 1391: …iniuria et quod per eum seu dominum suum ipsius ecclesie pastorem non stabat neque staret, sed per impedimenta ipsius domini Hermanni quominus ipse dominus Theodericus ea vice procedere posset et procederet in exercicio et celebracione synodi memorate, requirens per me … Protestabatur … impedimenti fehlt 1391. in meliori forma fehlt 1391. Consimili modo … fieri requisivit fehlt 1391. Vorlage: curatorum. 1391: … discretis viris dominis Johanne de Drynhusen rectore parochialis ecclesie in Wylike, Bernardo de Setterich, Godefrido ter Burch, Thoma Wassenberg altaristis in ecclesia Kempensi predicta, Hermanno in Oyde, Conrado in Voirste, Arnoldo in Hulse capellarum curatarum seu divinorum in eisdem rectoribus presbiteris dicte Coloniensis diocesis et quampluribus aliis testibus ad premissa. 1391: Et me Bernardo de Berke alias de Hobule clerico antedicte Coloniensis diocesis publico apostolica et imperiali sacra auctoritate ac venerabilis curie Coloniensis iurato notario, qui una cum prenominatis testibus supradictis requisitionibus, confessionibus, protestationibus et aliis premissis, dum, ut supra narratum est, per et inter dominos Theodericum et Hermannum commissarios ac parochianos supradictos agebantur, interfui ac fieri vidi et audivi eaque omnia diligenter in notam recepi et ad requestam ipsius Theoderici presens hoc instrumentum exinde confeci, quod signo meo consueto signavi et in publicam hanc formam redegi in fidem et testimonium rei geste.

JOACHIM DEETERS

Stiftung zweier Officia am Josephsaltar der Pfarrkirche zu Kempen

Unter den Akten zu den Vikarien an der Kempener Marienpfarre befinden sich auch die Unterlagen über die Stiftung eines 1520 April 20 errichteten Offiziums am Josephsaltar der Pfarrkirche. Die Stiftung erfolgt als Vermächtnis des Juristen Dr. Gerhard Sistrop (Systrop) und ist in einer notariellen Urkunde im Kopiar der Pfarre (Propsteiarchiv, A 200, pag. 186–205) überliefert. Der Text wird nachstehend als Regest und in Transkription der lateinischen Fassung wiedergegeben.

Stiftung zweier Officia zu Ehren des Hl. Joseph in der Pfarrkirche zu Kempen.

Tenor fundationis duorum officiorum sancti Josephi in ecclesia parochiali Kempensi.

[1] Martin van Oedt aus Kempen, Doktor im Kirchenrecht und Offizial an der Kölner Kurie, Arnold von Tongern, Professor der Artes und der Theologie und Kanoniker an Mariengraden, Degenhard Witte, Doktor im Kirchenrecht, Kanzler des Hermann Erzbischof zu Köln und Kanoniker am Dom, Johann von Busto, Lizentiat der Theologie und Vizecurat an St. Paul in Köln, und Johannes Sistrop, Kölner Priester, machen als Exekutoren des Testaments des Magisters Gerhard Sistrop, Doktoren der Rechte und zu Lebzeiten Einwohner von Köln, Folgendes öffentlich bekannt

[1] In nomine Domini amen. Universis et singulis praesentes litteras sive hoc praesens publicum instrumentum inspecturis, lecturis seu legi audituris Nos Martinus van Oedt de Kempis, decretorum doctor, officialis curie Coloniensis, Arnoldus de Tongri, artium et sacrae theologiae professor, Beatae Maria ad Gradus, Degenhardus Witte, decretorum doctor reverendissimi in Christo patris et illustrissimi principis ac domini domini Hermanni archiepiscopi Coloniensis principisque electoris etc. cancellarius et maioris Coloniensis ecclesiae canonici, Joannes de Busto 1, sacrae theologiae licentiatus, vicecuratus ecclesiae sancti Pauli Coloniensis, et Joannes Sistrop, presbyter Coloniensis diocesis, executores testamenti sive ultimae voluntatis quondam egregii viri magistri Gerardi Sistrop, legum doctoris, incolae dum viveret civitatis Coloniensis, notum facimus publice attestantes,

1

Man erwartet Busco (= Buscoducis?), es steht aber eindeutig Busto im Text.

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[2] Sie hatten erfahren, daß in der Pfarrkirche zu Kempen, Kölner Diözese, ein Altar zu Ehren des Erlösers, seiner Mutter Maria und des Hl. Joseph seit langem besteht und geweiht ist, aber nicht mit jährlichen Einkünften oder Gütern dotiert ist; sie wünschten deshalb, zu Ehren der genannten Heiligen, zur Mehrung des Gottesdienstes in der Kempener Pfarrkirche und zum Heil des Erblassers Magister Gerhard, seiner Eltern, Verwandten, Freunde, Wohltäter und aller Verstorbenen Irdisches in Himmlisches und Vergängliches in Ewiges zu wandeln durch einen glücklichen Handel, indem sie den genannten Altar mit den Gütern und jährlichen Einkünften ausstatteten, die der Erblasser Magister Gerhard Sistrop hinterlassen und durch sein Testament und die Beauftragung der Aussteller hierzu bestimmt hatte.

[2] quod nos attendentes quoddam altare in honore Salvatoris nostri Jesu Christi ac divae virginis Mariae eius genitricis ac sancti Josephi in parochiali ecclesia Kempensi dictae Coloniensis diocesis dudum fuisse et esse constructum, erectum et consecratum, nondum tamen [pag. 187] aliquibus reditibus annuis seu bonis haereditariis dotatum, cupientes propterea ad laudem, gloriam et honorem eiusdem Salvatoris nostri et beatissimae Mariae virginis eius genetricis ac sancti Josephi divinique cultus in praefata parochiali ecclesia Kempensi augmentum atque praedicti quondam magistri Gerardi testatoris suorumque parentum, consanguineorum, amicorum et benefactorum ac omnium Christi fidelium defunctorum animarum salutem terrena in coelestia ac transitoria in aeterna felici commercio commutare, ac altare praedictum de et cum bonis ac perpetuis annuis reditibus per ipsum quondam magistrum Gerardum Sistrop testatorem relictis et ad hoc ordinatis iuxta piam ultimam eiusdem quondam magistri Gerardi testatoris voluntatem et testamentariam ordinationem nec non specialem commissionem nobis in vita sua desuper factam sufficienter dotare,

[3] Also haben die Aussteller ein geistliches Officium in Form von 6 Messen, die vor dem genannten Altar wöchentlich auf ewige Zeiten von zwei Priestern zu feien sind, gestiftet. Als Morgengabe und zum Nutzen der beiden Priester haben sie die unten aufgezählten jährlichen Einkünfte und Güter zusammen mit den zugehörigen Urkunden, die unten mit ihrem Anfangs-. und Endwortlaut angeführt sind, geschenkt. Die Aussteller haben alle Berechtigungen und Rechtsgeschäfte, die ihnen als Testamentsexekutoren zu-

[3] unum perpetuum officium ecclesiasticum sex missarum in altari praedicto singulis septimanis perpetuis futuris temporibus per duos presbyteros celebrandarum fundavimus, instituimus et ordinavimus ac ad illud pro dote, usu et competentia eorundem duorum presbyterorum huiusmodi sex missas septimanatim in dicto altari celebraturorum reditus annuos perpetuos et bona inferius descripta et specificata una cum literis patentibus desuper confectis, quarum singularum literarum principia et finis inferius annotantur, perpetuo assignavimus, approbavimus, contulimus, dedimus et donavimus, ac omne ius omnemque actionem, quod et quae nobis executorio nomine praedicto in illis seu ad

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stehen, auf dieses Officium und dessen Bediener übertragen, so wie sie es laut dieser vorliegender Urkunde jetzt tun2.

ea quomodolibet competit et competunt 3 in et ad usum ac utilitatem officii praedicti et officiatorum eiusdem effectualiter transtulimus, illisque omnino cessimus et renuntiavimus, prout praesentium tenore fundamus, instituimus, ordinamus, assignamus, appropriamus, conferimus, damus, donamus, cedimus et renuntiamus.

[4] Die Aussteller ordnen an, wie Magister Gerhard es schon zu Lebzeiten wollte, daß ihr Mit-Exekutor Johannes Sistrop wegen verschiedener Dienste, die er Magister Gerhard zu Lebzeiten freundlich geleistet hat, der erste und einzige Rektor wird und, solange er lebt, verpflichtet wird, wöchentlich drei Messen selbst zu lesen oder durch einen anderen lesen zu lassen, auch soll er die Einkünfte erhalten und darüber quittieren.

[4] Volumusque, disponimus et ordinamus, prout dictus quondam magister Gerardus [pag. 188] testator in vita sua voluit, disposuit et ordinavit, quod supradictus dominus Joannes Sistrop coexecutor noster propter diversa gratuita servitia et obsequia eidem quondam magistro Gerardo testatori in vita sua benigni impensa, erit et esse debeat primus dicti officii rector solus, et quoad vixerit, ad celebrandum singulis septimanis tres missas per se vel alium arbitrio suo sit astrictus, ac dictos annuos reditus inferius descriptos singulis annis percipiet et de illis quitabit.

[5] Gleichfalls wird Johannes auf Lebenszeit das Haus des Magisters Gerhard, in der Stadt Kempen gelegen, erhalten mit allem Zubehör, das Gerhard hinterlassen hat. Nach seinem Tod werden seine Nachfolger im Rektorenamt es erhalten, die es bewahren und bessern sollen, worüber sie bei ihrer Einführung einen Eid in die Hände des Pfarrers von Kempen oder seines Stellvertreters ablegen sollen.

[5] Item idem dominus Joannes ad vitam suam habebit domum praedicti quondam magistri Gerardi Sistrop testatoris in praedicto oppido Kempensi situatam ac quaecumque domus utensilia per eundem quondam magistrum Gerardum testatorem relicta, et post eius obitum successores illius praedicti officii rectores pro tempore existentes, qui eam et ea fideliter conservare et meliorare tenebuntur, nec illam distrahent, alienabunt, deteriorabunt aut quovis modo damnificari permittent sub eorum corporalibus iuramentis desuper tempore suae assumptionis et admissionis ad huiusmodi officium in manibus rectoris pro tempore dictae parochialis ecclesiae in Kempen aut eius vicecurati apud ipsam parochialem ecclesiam residentis praestandis 4.

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Das Wort „tun“ ersetzt 10 lateinische Verben. So am Rand für competunt et competit. Am Rand als Korrektur für praesidentis nachgetragen.

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[6] Die Aussteller ordnen an, daß die Rektoren sogleich nach Antritt ihres Dienstes und Besitznahme des Hauses ein Inventar über die Gegenstände im Haus erstellen. Die Exekutoren eines verstorbenen Rektors haben im Beisein der Patrone und zweier älterer Mitglieder des Stadtrates von Kempen über die Utensilien in Haus Rechenschaft abzulegen und für Verluste Ersatz zu leisten.

[6] Volumus etiam et ordinamus, quod rectores pro tempore dicti officii in continenti post admissiomen eorum et adeptam per eos eiusdem officii ac domus praedictae possessionem debeant et quilibet eorum debeat facere inventarium de dictae domus utensilibus, ac executores defuncti rectoris eius in dicto officio successoribus in praesentia patronorum pro tempore et duorum seniorum de consulatu dicti oppidi Kempensis de huiusmodi domus utensilibus inventis, repertis, deterioratis et deperditis computum, calculum et rationem ac restitutionem et restaurationem facere et reddere tenebuntur.

[7] Ferner ordnen die Aussteller an, daß die Rektoren auf Dauer jedes Jahr von den Einkünften zwei Memorien in der Pfarrkirche zu Kempen bedienen sollen zum Seelenheil des Erblassers Magister Gerhard, seines Onkels Peter Sistrop und aller verstorbenen Verwandten, und zwar die eine am Fest des Hl. Alexius, an dessen Vortag5 Magister Gerhard starb, und die andere am Neujahrstag; bei jeder Memorienfeier soll der Rektor oder sein Stellvertreter jedem der Vikare an der Pfarrkirche, die zur Vigil und Messe singen, 2 Rader-Weißpfennige und denen, die nur bei der Vigil anwesend sind, 1 Weißpfennig geben, die aber, die bei der ersten Nokturn nicht zugegen sind, erhalten nichts.

[7] Insuper volumus et ordinamus, quod rectores pro tempore praedicti officii singulis annis perpetuis futuris temporibus servabunt et servari [pag. 189] facient ac procurabunt de dictis annuis redditibus duas memorias in praedicta ecclesia parochiali Kempensi pro salute animarum praefati quondam magistri Gerardi testatoris et domini Petri Sistrop patrui ac parentum, amicorum et benefactorum suorum omniumque Christi fidelium defunctorum, unam videlicet in festo sancti Alexii confessoris, in cuius profesto ipse quondam magister Gerardus testator obiit, aliam vero memorias huiusmodi alteram circumcisionis Domini, in quarum qualibet memoria dictus dominus rector ipsius officii seu eius locum tenens pro tempore dabit cuilibet vicariorum dictae parochialis ecclesiae Kempensis cantantium vigilias et celebrantium missam duos albos rotatos, et illis, qui solum interfuerint vigiliis, unum album pro praesentiis, et quicumque eorum non fuerit praesens in primo nocturno, ille de vigiliis nihil habebit.

[8] Außerdem ordnen die Aussteller an, daß nach dem Tod des ersten Rektors Johannes Sistrop und bei jeder weiteren Vakanz zwei ältere

[8] Praeterea volumus. disponimus et ordinamus, quod defuncto praefato domino Joanne Sistrop primo praedicti officii rectore, quoties ex tunc idem officium vacare seu rectore et deser-

5

Juli 16.

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Blutsverwandte weltlichen Standes aus der legitimen Nachkommenschaft in männlicher Linie der Brüder Konrad und Dietrich Sistrop oder, falls solche nicht vorhanden, aus der weiblichen Linie, und falls auch solche nicht vorhanden, zwei Bürgermeister und ein Ältester aus dem Stadtrat von Kempen für die Nachfolge folgenderweise sorgen sollen: aus der Verwandtschaft des Magister Gerhard, in rechtmäßiger Ehe gezeugt, oder, falls nicht vorhanden, aus Kempen und Umgegend sind zwei Personen, in rechtmäßiger Ehe geboren, zu wählen, die Priester sind oder sich in dem Alter befinden, daß sie binnen einen Jahres nach ihrer Nominierung Priester werden können; die Gewählten sind dem Pfarrer der Pfarrkirche von Kempen oder seinem residierenden Stellvertreter zu präsentieren, damit er sie in das Officium einführt.

vitore carere contigerit, duo seniores proximiores consanguinei saeculares ex quondam Conrado et Theoderico Sistrop fratribus naturalibus et legitimis, dum viverent, per lineam masculinam et illis deficientibus seu non existentibus per lineam foemininam descendentes et ex legitimo matrimonio procreati, quibus etiam masculina et foeminina lineis descendentium consanguineorum deficientibus, duo burgimagistri et senior pro tempore de consulatu dicti oppidi Kempensis duos habiles idoneos de sanguine praedicti quondam magistri Gerardi testatoris existentes de legitime matrimonio procreatos et illis non extantibus seu etiam extantibus et non petentibus duos alios ex dicto oppido seu districtu Kempensi in legitimo matrimonio genitos actu presbyteros aut in tali aetate constitutos, quod infra annum a tempore suae nominationis sive assumptionis et ad[p. 190]missionis computandum se ad presbyteratus ordinem rite possent facere promoveri ad praedictum perpetuum officium ecclesiasticum sex missarum singulis septimanis perpetuis futuris temporibus in ecclesia et altari praedicto celebrandarum nominare, assumere et deputare ac honorabili domino rectori pro tempore praedictae parochialis ecclesiae Kempensis seu eius vicecurato et locum tenenti apud eandem ecclesiam residenti, ut per eum admittatur, praesentare seu exhibere possint et debeant;

[9] Sollten im Falle einer Vakanz die zur Wahl vorgesehenen Nachkommen der Brüder sich nicht einigen können, so ist der Bürgermeister beizuziehen und seine Übereinstimmung mit einem der Nachkommen entscheidet die Wahl.

[9] in casum vero et eventum, quod dictum officium sex missarum vacaverit, et praedicti duo seniores consanguinei praefatorum quondam Conradi et Theoderici Sistrop fratrum in nominatione et assumptione seu praesentatione duarum personarum ad ipsum officium admittendarum discrepaverint, tunc burgimagister pro tempore de consulatu dicti oppidi Kempensis jure assumendi, nominandi seu praesentandi personas idoneas ad dictum officium tunc vacans accedet, et cum quo ex dictis senioribus consanguineis idem burgimagister in nominatione,

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assumptione seu praesentatione duarum personarum ad huiusmodi officium sex missarum concordaverit et assenserit, illius nominatio, assumptio seu praesentatio valida esse censebitur et reputabitur; [10] Die auf diese Weise gewählten beiden Personen soll der Pfarrer der Kempener Kirche oder sein Stellvertreter ohne Widerspruch und ohne Geldforderung zulassen, die Zugelassenen hingegen dem Pfarrer bzw. seinem Stellvertreter für die Zulassung und das Recht zu siegeln aus Freundlichkeit einen rheinischen Goldgulden geben.

[10] quas quidem duas personas sic nominatas, assumptas seu praesentatas ad huiusmodi officium sex missarum singulis septimanis in altari praedicto, ut praemittitur, celebrandarum pastor pro tempore dictae parrochialis ecclesiae Kempensis seu eius vicecuratus apud eandem residens absque contradictione seu etiam aliqua pecuniaria exactione admittet, sed dicti nominati et admissi praedicto domino pastori seu eius vicecurato pro huiusmodi admissione et iure sigilli unum florenum Rhenensem aureum ex urbanitate et pro honesta recognitione dare et exsolvere tenebuntur;

[11] Sollten sich mehrere aus der Nachkommenschaft der Brüder Konrad und Dietrich um das Officium bewerben, so sollen die älteren unter ihnen den Vorzug erhalten, ebenso die, die schon Priester sind, vor denen, die noch innerhalb eines Jahres Priester werden müssen. Im letzteren Fall sollen andere Priester das Officium und die Memorien in der Pfarrkirche versehen.

[11] et si plures forent de sanguine dictorum [pag. 191] quondam Conradi et Theoderici Sistrop fratrum, qui occurente vacatione dicti officii se peterent ad huiusmodi officium sex missarum assumi et admitti, tunc duo seniores inter eos modo praemisso qualificati aliis eis iunioribus praeferri debeant, qui si actu sacerdotes fuerint, huiusmodi officium personaliter respicient et officiabunt, si vero sacerdotes non fuerint, tunc se infra annum a die assumptionis seu admissionis eorum ad sacerdotium rite promoveri et interim per alios honestos sacerdotes huiusmodi sex missas singulis septimanis celebrari et praedicto officio laudabiliter deserviri, necnon dictas duas memorias in praedicta parochiali ecclesia Kempensi singulis annis diebus praeexpressis diligenter observari facient, ut praefertur.

[12] Die Aussteller ordnen an, daß die Rektoren und sonstigen Kräfte die wöchentlichen sechs Messen für das Seelenheil des Stifters Gerhard und seines Oheims Peter Sistrop

[12] Volumus etiam et ordinamus, quod ipsi rectores et deservitores pro tempore officii praedicti debeant singulis septimanis dictas sex missas pro salute animarum ipsius quondam magistri Gerardi testatoris et fundatoris suo-

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andächtig halten und nach der Messe Bußpsalmen, Miserere mei Deus und De profundis zusammen mit den üblichen Bittgebeten lesen.

rumque parentum ac domini Petri Sistrop patrui et aliorum coniunctorum amicorum et benefactorum suorum devote celebrare, et post finem cuiuslibet missae psalmos poenitentiales, Miserere mei deus etc. et de profundis etc. attenti legere cum orationibus et collectis pro defunctis legi consuetis.

[13] Ferner ordnen die Aussteller an: im Falle, daß die Rektoren noch nicht Priester sind, auch sich binnen eines Jahres nicht weihen lassen oder nach ihrer Primiz ohne ausdrückliche Erlaubnis des Pfarrers von Kempen oder seines Stellvertreters das Messelesen vernachlässigen oder ein unstetes und unehrenhaftes Leben führen und auch nach liebevoller Ermahnung durch den Pfarrer nicht davon ablassen, dann sollen diese Personen ihres Amtes entsetzt und andere eingesetzt werden.

[13] Item volumus et ordinamus, quod si duo rectores ad huiusmodi officium assumpti et admissi presbyteri non existentes se non fecerint infra annum a die assumptionis et admissionis suae ad sacrum presbyteratus ordinem promoveri, et postquam sacerdotes fuerint et primitias celebraverint, dictas sex missas in praedicto altari singulis septimanis legere et huiusmodi officio per se ipsos in divinis laudabiliter deservire non curaverint absque speciali dictorum patronorum ac pastoris seu vicecurati pro tempore dictae parochialis ecclesiae Kempensis licentia desuper petita ac obtenta, sed in praemissis negligenter reperti fuerint aut si vagam, inho[pag. 192]nestam et dissolutam vitam duxerint, ac per dictum dominum pastorem seu eius vicecuratum super hoc correpti et charitative admoniti se non emendaverint vel non reformaverint, ex tunc iidem rectores sic assumpti et admissi omni iure per assumptionem, admissionem huiusmodi ipsis in praedicto officio acquisito seu quomodolibet competenti ipso facto privati esse debeant et alii idonei modo praemisso qualificati absque alicuius eorundem contradictione ad huiusmodi officium libere et licite assumi, praesentari et admitti.

[14] Die Aussteller wünschen, daß alle Gaben auf dem besagten Altar dem Pfarrer bzw. seinem Stellvertreter ohne Abzug zukommen.

[14] Volumus etiam, quod oblationes, quas in altari praedicto fieri contigerit, praefato domino pastori seu eius vicecurato apud dictam parochialem ecclesiam Kempensem pro tempore residenti cedent et absque diminuatione praesentabuntur.

[15] Die Aussteller ordnen an, daß die zugelassenen Rektoren einen Eid

[15] Insuper volumus et ordinamus, quod dicti rectores ad huiusmodi officium assumpti et

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in die Hände des Pfarrers bzw. seines Stellvertreters abzulegen haben des Inhalts, das ihnen übertragene Officium nicht an andere weiterzugeben oder zu resignieren, sich auch nicht von diesem Eid befreien zu lassen weder durch den Papst noch einen Legaten und selbst ein päpstliches Motu Proprio dazu nicht zu verwenden und überhaupt Änderungen dieser Anordnungen auf keine erdenkliche Art anzustreben, es sei denn mit Erlaubnis der Patrone und des Pfarrers.

admissi in manibus eiusdem domini pastoris Kempensis seu eius vicecurati iurabunt ac quilibet eorum iurabit, quod huiusmodi officium in et ad manus seu utilitatem alterius cuiuscunque sive aliorum quorumcunque simpliciter vel permutationis aut alia quavis ex causa non resignabunt neque dimittent nec illud quovis modo quam de praesenti existit, mutari seu variari neque se a iuramento huiusmodi quacunque etiam apostolica vel legatorum eius authoritate absolvi facient vel fieri procurabunt seu etiam absolutione huiusmodi, siqua motu proprio summi pontificis ipsis concessa fuerit seu concedi contigerit, non utentur nec alias quicquam, quod in praesentis ordinationis variationem seu immutationem tendere possit, quomodolibet attentabunt per se vel alium vel alios, publice vel occulte, directe vel indirecte, quovis quaesito colore, nisi ad praedictorum patronorum et pastoris Kempensis seu eius vicecurati apud ipsam parochialem ecclesiam residentis plenus et expressus [pag. 193] accesserit consensus.

[16] Die Aussteller ordnen ferner an, daß die Rektoren des Officiums in die Hände des Kempener Pfarrers oder seines Stellvertreters und über der Heiligen Schrift einen Eid ablegen des Inhalts, dem Pfarrer treu zu sein, nichts zu seinem Nachteil zu tun, sondern die Pflichten ihres Dienstes zu erfüllen und keine Befreiung von diesem Eid zu suchen, auch ein Motu Proprio dafür nicht zu verwenden.

[16] Item volumus etiam et ordinamus, quod rectores pro tempore ad dictum officium sex missarum assumpti et praesentati, antequam ad illum admittantur, in manibus praedicti domini Kempensis pastoris seu eius vicecurati tactis per eos scripturis sacrosanctis ad sancta Dei evangelia iurabunt ac quilibet eorum iurabit, quod ipsi in licitis et honestis erunt praefato domino pastori Kempensi et eius vicecurato pro tempore fideles et obedientes ac in ipsius parochialis ecclesiae Kempensis et rectoris eiusdem et in praesentis ordinationis praeiudicium nihil facient seu fieri procurabunt per se vel alium seu alios publice vel occulte, directe vel indirecte, quovis ad hoc quaesito colore, sed onera dicti officii supportabunt et duas memorias supradictas singulis annis diebus praeexpressis legitimo cessante impedimento observari facient et fieri procurabunt, ut praefertur, nec absolu-

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tionem ab huiusmodi iuramento impetrabunt seu impetrari facient, et si forsan motu proprio concessa fuerit seu concedi contigerit, ea non utentur, sed ordinationes praescriptas, quantum quemlibet eorum concernit, diligenter adimplebunt et observabunt ac reditus quoscunque ad huiusmodi officium sex missarum donatos, assignatos et appropriatos non alienabunt, sed illos fideliter conservabunt, omnibus dolo et fraude exclusis et semotis. [17] Ferner ordnen die Aussteller an, daß die gegenwärtige und die folgenden Urkunden über das Vermögen in ein Kistchen gelegt werden, das mit zwei Bändern und zwei verschiedenen Schlüsseln versehen ist, deren einen die Rektoren, den anderen die Patrone haben sollen, und daß dieses Kistchen in der Urkundenkiste der Kempener Pfarrkirche verwahrt wird, in die sie nach jedem Gebrauch wieder zurück zu legen ist.

[17] Etiam volumus et ordinamus, quod praesentes literae una cum literis redituum inferius designatorum et specificatorum in et ad capsulam ad hoc ordinandam cum duabus seris et duabus clavibus distinctis, quarum unam praefati rectores dicti officii, aliam vero patroni eiusdem officii habebunt, custodient et fideliter conservabunt et huiusmodi capsula cum literis praedictis in cista praefatae ecclesiae Kempensis, ubi aliae ipsius ecclesiae ac vicariarum ac beneficiorum sive officiorum ecclesiasticorum literae sunt repositae et conservantur, poni, custodiri et conservari debet, ita tamen, [pag. 194] quod quoties huiusmodi literae originales necessariae fuerint, exhiberi debeant ad transsumendum et illis transsumptis iterum ad dictam cistam reportabuntur et in dicta capsula recludentur et fideliter conservabuntur.

[18] Ferner ordnen die Aussteller an, daß bei Verkäufen das gewonnene Geld in das Urkundenkistchen zu legen ist, bis es wieder andernorts, wo gute Erlöse zu erwarten sind, ausgegeben wird auf einmütigen Beschluß des Pfarrers, des Rektors und der Patrone zu Nutzen des Officiums.

[18] Item volumus et ordinamus, quod si reemptionem aliquorum huiusmodi residuum iuxta tenorem literarum emptionis et venditionis eorundem fieri contigerit, tunc pecuniae ex reemptione huiusmodi provenientes debeant in et ad dictam capsulam in locum literarum emptionis et venditionis redituum huiusmodi reponi ac ibi recludi, custodiri et conservari, donec cum huiusmodi pecuniis iterum alii similes reditus in aliis locis, ubi bona solutio sperari et haberi poterit, de unanimi consilio et assensu domini pastoris seu vicecurati pro tempore dictae ecclesiae Kempensis ac rectoris ipsius officii necnon patronorum praefatorum emantur et comparentur in et

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ad usum altaris officii praedicti ac rectorum eiusdem, et quaedam litterae desuper conficiendae, et postquam confectae fuerint, ad cistam et capsulam praedictam reponantur et ibidem sub fida custodia conserventur cum coeteris eiusdem altaris et officii litteris ac iuribus quibuscunque. [19] Schließlich ordnen die Aussteller an, wie es auch der Erblasser Gerhard zu Lebzeien wollte, daß im Falle die Rektoren in der Ausübung ihres Officiums gestört werden, sie mit Zustimmung der Patrone die sechs Messen im Hospital von Kempen oder einem anderen ihnen geeignet erscheinenden Ort lesen dürfen, ebenso die beiden Memorien, und dort auch ohne Widerspruch alle Pflichten und Rechte des Officiums wahrnehmen sollen.

[19] Postremo volumus et ordinamus, prout etiam praedictus quondam dominus Gerardus testator in vita sua voluit et ordinavit, quod, si rectores pro tempore dicti officii sive altaris imposterum ullo unquam tempore de et super huiusmodi altari sive officii turbari seu molestari aut lites ipsis desuper moveri contigerit, ex tunc iidem rectores dicti officii de consensu patronorum eiusdem huiusmodi sex missas in hospitali praedicti oppidi Kempensis aut alio in loco eis magis apto et convenienti libere et licite celebrare ac praedictas duas memorias ibidem observare et alia onera, ut praescriptum est, supportare necnon reditus et obventiones eiusdem officii contradictione quacunque non obstante percipere et levare et in suos et ipsius officii usus et voluntatem convertere, perceptis quoque et levatis quoscunque quitare, liberare et absolvere [pag. 195] ac desuper, si opus fuerit, agere et in iure experiri ac se defendere et tueri contra quoscunque coeteraque omnia et singula facere et gerere et exercere, quae in praemissis et circa ea necessaria fuerint, seu quomodolibet opportuna et prout ipsis vel eorum alteri visum fuerit expedire.

[20] Zum Zeichen der Wahrheit haben die Aussteller das gegenwärtige Notarsinstrument schreiben und mit den Siegeln des Offizials Martin von Oedt und des Arnold von Tongern, beide Doktoren im Kirchenrecht und Exekutoren, deren Siegel alle übrigen Exekutoren anerkennen, versehen lassen. Gegeben und geschehen in Köln in der Wohnung des Degenhard Witte, Doktor im

[20] In quorum omnium ac singulorum fidem et testimonium praemissorum praesentes litteras sive hoc praesens publicum intrumentum exinde fieri et per notarium publicum infrascriptum subscribi sigillorumque nostri Martini van Oedt officialis et Arnoldi de Tongris doctorum canonicorum et executorum praefatorum, quibus nos coeteri executores memorati pro praesenti utimur, fecimus appensione communiri. Datum et actum Coloniae in domo habitationis nostrae Degenhardi Witte doctoris canonici et cancella-

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Kirchenrecht, Kanzler und einer der Exekutoren, die innerhalb der Domimmunität gelegen ist, im Jahr 1520 am 20. April, im 18. Jahr des Papstes Leo X., in Gegenwart des Johannes Witte von Lünen und des Gerlach Schorn von Linz, Kölner bzw. Trierer Kleriker, als hierzu gebetenen Zeugen.

rii, alterius executoris eorundem, sita infra immunitatem dictae maioris ecclesiae Coloniensis sub anno a nativitate Domini millesimo quingentesimo vicesimo, indictione octava, die vero vicesima mensis Aprilis, pontificatus sanctissimi in Christo patris ac domini nostri domini Leonis divina providentia papae decimi anno octavo, praesentibus ibidem honorabilibus viris ac dominis dominis Joanne Witte de Lunen et Gerlaco Schornn de Lins clericis dictae Coloniensis et Trevirensis diocesis respective testibus ad praemissa vocatis specialiter atque rogatis.

[21] Es folgen wie angekündigt 32 Urkunden, die das Vermögen des Officiums ausmachen, mit Inhaltsangabe und Wortlaut je ihres Anfangs und Endes.

[21] .... [pag. 196–203]

[22] Gerhard von der Eine von Bocholt, Münsterer Klerikers und kaiserlicher wie apostolischer Notars, gibt bekannt, daß er bei allen vorgenannten Handlungen und Erklärungen zugegen war und die vorliegende Urkunde mit eigener Hand geschrieben, unterzeichnet und mit seinem Signet versehen hat zusammen mit den Siegeln des Martin von Oedt und des Arnold von Tongern.

[22] Et ego Gerardus von der Eine de Bocholdia, clericus Monasteriensis diocesis, publicus apostolica et imperiali authoritatibus notarius, quia supradicti perpetui officii ecclesiastici necnon memoriarum antedictarum fundationi, executioni, dispositioni et dotationi reditumque et bonorum praespecificatorum ac domus utensilium et domus eiusdem ad usum huiusmodi officii 6 et rectorum illius et observandarum memoriarum praetactarum perpetuae collationi, donationi, appropriationi, assignationi, cessioni, renuntiationi et ordinationi omnibusque aliis et singulis praemissis, dum sic, ut praemittitur, per venerabiles et egregios ac honorabiles viros dominos dominos executores praefatos fierent, ordinarentur et agerentur, una cum praenominatis testibus interfui eaque sic fieri vidi et audivi, ideo praesentes literas sive hoc praesens publicum instrumentum manu mea propria scriptas sive scriptum exinde confeci, subscripsi, publicavi ac in hanc publicam formam redegi signoque et nomine meis solitis et consuetis una cum sigillorum supradictorum dominorum do-

6

Der Text hat fehlerhaft officium.

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Joachim Deeters

minorum Martini van Oedt, officialis, et Arnoldi de Tongris, doctorum, canonicorum et executorum appensione signavi, in fidem et testimonium omnium et singulorum praemissorum rogatus et requisitus. [24] Im Jahr 1661 am 17. Dezember bezeugt Johannes Scheutt, kaiserlicher und im Kurfürstentum Köln immatrikulierter Notar und Sekretär des Gerichts, der Stadt und des Amtes Kempen, daß die vorliegende Abschrift mit dem Original auf Pergament und mit 2 Siegeln besiegelt übereinstimmt.

[pag. 204] ................

[25] Die Übereinstimmung dieser Abschrift auf 19 Seiten7 mit der ihnen vorgelegten Kopie bezeugen die Schöffen Peter Eicker und Peter Schmaber8 und Heinrich Herckenrath, kaiserlicher wie apostolischer Notar und Sekretär des Gerichts, der Stadt und des Amtes Kempen am 1. Aug. 1706.

[25].......

[26] Die Übereinstimmung der obigen Abschrift mit der authentischen Kopie bezeugt Nikolaus Kayser, kaiserlicher und in der kurfürstlichen Kanzlei zu Bonn immatrikulierter Notar9, mit eigener Hand. Die Abschrift des Notars Kayser bezeugt Johann Theodor Hermes, kaiserlicher wie apostolischer Notar und eigens hierzu gebeten, mit seiner Unterschrift und seinem Notarssignet10.

[26] [pag. 205]

7 8 9 10

pag. 186–204. Text in diesem Abschnitt bis hierhin deutsch. Schreiber des Textes von pag. 186 bis hierhin. In Oblatenform aufgedrückt pag. 205.

HANS BUDDE

Diplomatische Untersuchungen der Suppliken an den Legaten Gasparo Contarini und den Nuntius Girolamo Muzzarelli im Propsteiarchiv Kempen

1. Einführung Das Ziel einer jeden diplomatischen Untersuchung besteht in der Beurteilung der Echtheit oder Unechtheit von Urkunden. Den quellenkritischen Untersuchungen stehen die Methoden des Vergleichs der äußeren und inneren Merkmale zur Verfügung. Die äußeren Merkmale erfassen die Schrift, den Beschreibstoff, das Format, den Erhaltungszustand und die Siegel, die inneren Merkmale den Text mit seinen einzelnen Abschnitten und seine Zusammenhänge mit Vorlagen. Josef Hartmann1 hebt in seinem Beitrag zum jüngst erschienenen Lehrbuch für archivalische Quellen diese Methoden hervor, die Theodor Sickel (1826–1908) als Grundlagen für die Studien zu den äußeren und inneren Merkmalen entwickelte2. Die Untersuchungen werden durch den Vergleich der überlieferten Ausfertigungen geführt und gewinnen an Verbindlichkeit in den Ergebnissen durch eine vollständige Erfassung der überlieferten Urkunden eines Ausstellers. Im Bereich der Papsturkunden geht Thomas Frenz3 auf die Suppliken als päpstliche Urkunden ein, deren Überlieferung im 14. Jahrhundert *

1

2

3

Ich möchte Frau Prof. Dr. Elke Freifrau von Boeselager (Berlin) für die wertvollen Ratschläge bei der Analyse des Supplikenformulars danken. Für die intensive Unterstützung bei der Abfassung des Aufsatzes und die zahlreichen Hilfen bei den Transkriptionen der beiden Suppliken, insbesondere den standardisierten Abschnitten, danke ich Herrn Archivdirektor a. D. Dr. Hubert Höing (Neustadt am Rübenberge). Josef Hartmann, Urkunden, in: Friedrich Beck, Eckhart Henning, Die Archivalischen Quellen mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, 4. Auflage, Köln– Weimar–Wien 2004, 9–40, hier 19–20. Hartmann (wie Anm. 1), 20; diese Methoden werden in der neuen Diskussion hinterfragt. Peter Rück, Mabillons Spur, Marburg 1992, 1–20; hier insbesondere 13–14. Rück merkt an, dass die vergleichende Methode zum Ziel hat, Zusammenhänge zu finden, die zur Bestimmung etwa der Kanzleimäßigkeit oder der Bestimmung von Händen führt. Diese Methode, die keine spezifische „historische Methode“ darstellt, ist rein deskriptiv und findet ihre Anwendung in anderen Disziplinen. Thomas Frenz, Papsturkunden des Mittelalters und der Neuzeit, 2. Auflage, Stuttgart 2000, 34.

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verstärkt einsetzt. Als Vorläufer sind eingereichte Bittschriften an die Kurie seit dem 12./13. Jahrhundert zu bewerten, denen eine persönliche und mündliche Vorbringung der Wünsche durch den Bittsteller voranging. Die Suppliken sind in der frühen Zeit ihres Aufkommens nur selten im Original überliefert. Ihre Eintragung mit den entsprechenden behördlichen Genehmigungsvermerken in den Supplikenregistern4 und die auf ihrer Grundlage ausgestellten päpstlichen Urkunden mit den getroffenen Entscheidungen erübrigten die Aufbewahrungen der Originalsuppliken5. Barbara Bombi hebt die Bedeutung der Supplikenregister mit den Belegen von Urkunden von Papst Benedikt XII. nachdrücklich hervor, „nach der die Supplikenregister dazu geschaffen wurden, um eine Fälschung der Originalurkunden zu vermeiden, die auf diese Weise abschriftlich an der Kurie verblieben“6. Die Überlieferung dieser päpstlichen Urkunden in Archiven setzt mit Ausfertigungen des 15. Jahrhunderts ein, und Harry Bresslau7 weist darauf hin, dass die Suppliken gegen eine Gebühr von den Petenten oder ihren Prokuratoren behalten werden konnten und auf diese Weise „eine ganze Anzahl“ in die Empfängerarchive gelangt sind. Die Lehre von den Papsturkunden wird von Frenz um ein Kapitel „VII. Die nichtpäpstlichen Papsturkunden“ ergänzt; zu diesen Urkunden zählen die Beschlüsse der Konzilien, die Urkunden des Kardinalkollegiums in Zeiten der Sedisvakanz, die Sammelablässe der Kardinäle, die Legatenurkunden und die Urkunden kurialer Behörden8. Die Urkundenüberlieferung der Legaten setzte in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts ein, und die Angleichung an die Papsturkunden in den äußeren und inneren Merkmalen vollzog sich beginnend vom zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts an9. Die folgenden Ausführungen verstehen sich als diplomatische Untersuchungen zur Erforschung von Legatenurkunden und ihrer Vergleichbarkeit mit den päpstlichen Urkunden. Durch die Erschließung der Bestände im Propsteiarchiv in Kempen und deren Nutzbarmachung durch das Inventar zu den ältesten 51 Akten10, bestehend aus 21163 Blättern, geordnet nach Pertinenzen, die mit ihrer Überlieferung bis in das 15. Jahrhundert zurückgehen, konnten zwei 4

5 6 7 8 9 10

Barbara Bombi, Der Geschäftsgang der Suppliken im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts. Einige Beispiele anhand des Registers des Kurienprokurators Andrea Sapiti, in: Archiv für Diplomatik 51 (2005), 253–285, hier 276. Harald Müller, Brigide Schwarz, Zwei Originalsuppliken in communi forma pauperum des 14. Jahrhunderts, in: Archiv für Diplomatik 51 (2005), 285–305, hier 285. Bombi (wie Anm. 4), 276. Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Band 2, 4. Auflage, Berlin 1968, 22–-23. Frenz (wie Anm. 3), 110–-117. Frenz (wie Anm. 3), 115. Inventar der ältesten Akten des Propsteiarchivs Kempen, bearb. von Hanns Peter Neuheuser (Inventare nichtstaatlicher Archive, 37), Köln 1995.

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Suppliken des 16. Jahrhunderts der Forschung zur Verfügung gestellt werden, die den Legatenurkunden zuzuordnen sind: 1. die Supplik von 1541 an den Legaten Gasparo Contarini, Bischof von Belluno11 und 2. die Supplik von 1554 an Girolamo Muzzarelli, Erzbischof von Conza und päpstlicher Nuntius am Kaiserhof Karls V.12 Nach erster, durchaus nicht flüchtiger Durchsicht dieser Archivalien, legen diese Quellen einen Vergleich in den äußeren und inneren Merkmalen mit den päpstlichen Suppliken nahe. Frenz13 bildet eine Supplik an Papst Gregor XIII. von 1573 März 7 ab, die mit ihrer Aufteilung in fünf große Abschnitte, die Supplik mit dem Textkorpus und den Klauseln mit den Genehmigungsvermerken sowie die Datierung samt den Kanzleivermerken am oberen und unteren Rand des Papiers, einen Vergleich mit den Suppliken aus dem Propsteiarchiv zulassen. Wenn das Ziel der vorliegenden Untersuchungen im Nachweis der Echtheit der beiden Suppliken besteht, so bedürften die Untersuchungen einer möglichst vollständigen Materialsammlung der beiden Aussteller. Diese Recherchen sind im Rahmen der vorliegenden Untersuchung angesichts des zu erwartenden Empfängerkreises, verteilt auf eine unbekannte Anzahl von Diözesen, nicht zu leisten. Dem Anspruch, möglichst vollständig die überlieferten Suppliken zu erfassen, hätte nur dann entsprochen werden können, wenn die entsprechenden Register der beiden Aussteller nachgewiesen worden wären, die Rückschlüsse über die verschiedenen Empfänger und damit auch auf die infrage kommenden Archive als heutige Lagerungsorte zugelassen hätten. Stefan Weiss14 geht von der Annahme aus, dass sich die Legatenurkunden in ihren inneren und äußeren Merkmalen nach den päpstlichen Vorgaben richten. An dieser Stelle sei kurz auf die zurzeit aufgenommenen Diskussionen eingegangen, die Suppliken den Akten und nicht den Urkunden zuzuordnen. Elke Freifrau von Boeselager15 geht auf die Bedenken ein und weist diese zurück, da die Originalsuppliken in der 11 12 13 14

15

Inventar der ältesten Akten des Propsteiarchivs Kempen (wie Anm. 10), 213, Nr. AA 51, fol. 16. Inventar der ältesten Akten des Propsteiarchivs Kempen (wie Anm. 10), 123: Nr. AA 17, fol. 39. Frenz (wie Anm. 3), Abb. 6. Stefan Weiss, Die Urkunden der päpstlichen Legaten von Leo IX. bis Coelestin III. (1049–1198) (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, 13), Mainz–Köln–Weimar–Wien 1995, 323. Elke Freifrau von Boeselager, Fiat ut petitur. Päpstliche Kurie und deutsches Benefizwesen im 15. Jahrhundert, Düsseldorf 1999, 147–148 (Habilitationsschrift eingereicht bei der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf im Oktober 1999), http://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-3680/Habilvon-Boeselager.pdf (Zugriff 8. Juni 2010).

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Hans Budde

Regel durch den Eintrag in das Supplikenregister ersetzt wurden; damit wird das Einzelschriftstück, das alle formalen Merkmale einer Urkunde aufweist, in einen Amtsbucheintrag übertragen. Die folgenden Untersuchungen schließen sich dieser Auffassung an und sehen in der Anwendung der Untersuchungen der äußeren und inneren Merkmale der beiden Suppliken ihre methodischen Grundlagen. Die folgenden Ausführungen wenden sich der Aufarbeitung des Forschungsstandes zu, dem sich die Untersuchungen der beiden Suppliken aus dem Propsteiarchiv anschließen werden.

2. Methodische Überlegungen und Stand der Forschung Die Untersuchungen gelten den Suppliken an den Kardinal Contarini und den Erzbischof Muzzarelli. Wie in einer diplomatischen Untersuchung üblich, werden die äußeren und inneren Merkmale der Urkunden betrachtet, die allerdings im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen nicht mit anderen Urkunden derselben Aussteller verglichen werden können, sondern mit den in der Forschung bekannten Merkmalen der in etwa zeitgenössischen päpstlichen Suppliken. Das Ergebnis dieser Studie zu Legaten- und Nuntienurkunden basiert also auf den Untersuchungen von zwei Urkunden, die zeitversetzt im Abstand von 14 Jahren entstanden sind. In Anbetracht des fehlenden Vergleichsmaterials kann folglich kein Anspruch geltend gemacht werden, generalisierende Aussagen über die Urkunden dieser Ausstellergruppen zu treffen. In diesem Zusammenhang muss ebenfalls die Frage der „Kanzleimäßigkeit“ beider Suppliken angesprochen werden, ein Frage, zu deren Beantwortung diese Studie ebenfalls nur erste Anregungen vermitteln kann. Bresslau16 geht auf die personelle Entwicklung der päpstlichen Kanzlei seit dem Ende des 13. und dem Beginn des 14. Jahrhunderts ein, in der bei Petitionen die Bearbeitung der Urkunden von den Notaren auf die Referendare, unter Papst Martin V. (1417–1431) dann wieder auf die Notare und ihre Privatbeamte, die Abbreviatoren, übertragen wurde. Die Kardinäle nahmen bei der Erledigung ihrer amtlichen und privaten Korrespondenzen und der Abfassung von Urkunden an der Kurie die Dienste öffentlicher Notare in Anspruch und „galten als ihre besten Auftraggeber“17; insofern wäre dieser Beurteilung, die für die Feststellung der „Kanzleimäßigkeit“ der Suppliken von Bedeutung wäre, nachzugehen. 16 17

Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Band 1, 4. Auflage, Berlin 1969, 292–295. Peter Herde, Öffentliche Notare an der päpstlichen Kurie im dreizehnten und beginnenden vierzehnten Jahrhundert, in: Peter Herde, Diplomatik, Kanonistik, Paläographie (Studien zu den Historischen Grundwissenschaften, Gesammelte Abhandlungen und Aufsätze, 3), Stuttgart 2008, 485–505, hier 494.

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Im Folgenden werde die äußeren und inneren Merkmale päpstlicher Suppliken des 15. Jahrhunderts zusammengefasst; zu den äußeren Merkmalen zählen: – Der Beschreibstoff der „klassischen Supplik“, die im 14. Jahrhundert einsetzt und dem 15. Jahrhundert im wesentlichem vorliegt, ist ein Blatt Papier im Format vergleichbar dem heutigen DIN A 418. – Das Blatt ist in vier Teile gefaltet. Auf den beiden mittleren Vierteln steht die vorgetragene Bitte einschließlich der Narratio und den Klauseln. Beide Teile werden in der Regel von einem Schreiber geschrieben; derselbe setzt an den linken Rand den Namen des Bittstellers19. Die weiteren Merkmale fasst Ernst Pitz20 wie folgt zusammen: – Die Klauseln, ungefähr halbbrüchig geschrieben, sind vom Text durch zwei bis drei freie Zeilen abgesetzt; damit werden sie links unter dem Textkorpus mit der Bitte vermerkt. Bei der Einfügung mehrerer Klauseln findet sich stets die halbbrüchige Anordnung und jede Klausel beginnt mit einer neuen Zeile. – Am oberen Rande finden sich eine Inhaltsangabe und eine rechtliche Bewertung, um die Unbedenklichkeit zu attestieren. – Hinter dem letzten Wort des Textkorpus der Supplik steht der Genehmigungsvermerk. Lagen mehrere Klauseln vor, so setzte der Papst um diese eine Klammer und an ihre Seite den Genehmigungsvermerk. – Von der Hand, die den Genehmigungsvermerk schrieb, konnten Streichungen vorgenommen werden. – Unterhalb der Klauseln stand die Datierung; eine Vordatierung bedurfte der Genehmigung des Papstes. – Auf der Rückseite der Supplik findet sich ein Registraturvermerk, der den Band und die Blattzahl über den Eintrag im entsprechenden Supplikenregister sowie den Namen des Korrektors angibt. – Die Schrift der Suppliken ist sehr flüchtig21. Bei den inneren Merkmalen wird im Folgenden das Formular in den einzelnen Abschnitten zusammengefasst. Mit den Untersuchungen von Elke Freifrau von

18 19

20 21

Frenz ( wie. Anm. 3), 34. Repertorium Germanicum I, Verzeichnis der in den Registern und Cameralakten Clemens VII. aus Avignon vorkommenden Personen, Kirchen und Orten des Deutschen Reiches, seiner Diözesen und Territorien 1378–1394, bearb. von Emil Göller, Berlin 1916, 66; vgl. auch Frenz (wie Anm. 3), 34. Ernst Pitz, Supplikenregister und Briefexpedition an der Römischen Kurie im Pontificat Calixt III., Tübingen 1972, 42–45. Frenz (wie Anm. 3), 34.

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Boeselager22 zum Benefizialwesen in den Zeiten der Pontifikate von Martin V. (1417–1431) und Pius II. (1458–1464) liegen eingehende Kenntnisse über die Beziehungen zwischen päpstlicher Kurie und der Ortskirche und die Entscheidungen bei der Vergabe von kirchlichen Ämtern vor. In den Vergleichen der Verhältnisse in den beiden Pontifikaten werden ebenfalls die kanzlei- und verwaltungsgeschichtlichen Veränderungen aufgezeigt. Wenn in den vorliegenden Untersuchungen beabsichtigt wird, einen Beitrag zu den Suppliken an Legaten und Nuntien zu leisten, der auf dem Vergleich mit den päpstlichen Suppliken beruht, so können keine Aussagen über die weiteren Veränderungen der äußeren und inneren Merkmale seit Calixt III. (1455–1458) und Martin V. getroffen werden; diese weitere Einschränkung muss zur Ergänzung der methodischen Überlegungen berücksichtigt werden. Folgende Bestandteile des Supplikenformulars führt von Boeselager23 im Einzelnen auf: – Adresse: Die Anrede des Papstes ist in der Regel „Beatissime pater“ bei einfachen Provisionen oder „Dignetur sanctitati vestre“ bei den Suppliken, denen in der Kurie bereits ein Dokument vorausging; eingeleitet wird mit „Supplicat“, z. B. eine Bitte um Provision mit einem Benefizium. Eine Bitte kann durch die Formulierung „Supplicat humiliter“ verstärkt werden. – Inscriptio: Der Petent stellt sich als „devotus vester“ vor oder leitet eine längere Narratio mit der Formel „nuper cum devotus“ ein. Bei den Suppliken, die mit „Beatissime pater“ beginnen, folgt meist zunächst die Narratio mit der Namensnennung des Petenten. In der Supplik wird der Name wiederholt. In der Inscriptio wird deutlich, ob der Petent oder ein Dritter für ihn die Supplik einreicht. Die Schreibung der Namen des Petenten weist oftmals innerhalb derselben Supplik Abweichungen auf und bei gängigen Vornamen wird stark gekürzt. – Narratio: Die Narratio ist sehr offen in der Formulierung und damit wenig an Vorgaben gebunden. Oftmals wird die Narratio direkt mit „alias“ an die Intitulatio, die sich rein auf den Namen und Titel des Petenten beschränkt und daher nicht gesondert ausgewiesen wird, angeschlossen. – Supplikation: Die Supplikation ist der dispositive Teil der Supplik; das Petitum wird mit der Formulierung „supplicat sanctitati vestre“ eingeleitet. Ferner findet sich dort die Formulierung „supplicat“ oder „supplicat igitur“ in den Fällen, in denen bei einem Petenten bereits eine Supplik voraus ging. Das erbetene Benefizium wird wie folgt beschrieben: rechtliche Gestalt, Patrozinium, Ort und Diözesanzugehörigkeit. Ferner gehört zu diesem Teil auch die Nennung des Vakanzgrundes mit dem Namen des Vorbesitzers und der finanzielle Wert der Pfründe. 22 23

Boeselager (wie Anm. 15). Boeselager (wie Anm. 15) zur „Supplikensignatur“ 88–95, zum „Supplikenformular“ 147–155.

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– Vakanzgrund: Nach der Beschreibung der erbetenen Stelle folgen Formeln mit dem kirchenrechtlichen Hintergrund; möglich ist eine Reduzierung auf die Worte „tunc certo modo vacante“. – Nonobstanzien: Zusammengefasst ist dies der Ort, an dem all das deklariert wird, das einer Verleihung entgegen stehen könnte, wäre es nicht als Hinderungsgrund ausgeschlossen. In diesem Teil werden die Benefizien angegeben, die im Besitz des Petenten sind und weiterhin die Rechtstitel, Prozesse oder gewährte Dispense. – Signatur: Die Signatur des Papstes, die direkt hinter dem letzten Satz der Supplik mit seiner Entscheidung einsetzt, lautet „Fiat“ oder „Fiat ut petitur“; der Vizekanzler signiert mit „Concessum“ oder „Concessum ut petitur“. Von Boeselager geht insbesondere auf die Schreibung der signaturbeteiligten Personen ein. Hier ist an erster Stelle nach dem Papst der Vizekanzler oder sein Vertreter zu nennen. Da päpstliche Signaturen eindeutig zahlenmäßig überwogen, ist davon auszugehen, dass weiteres Personal herangezogen wurde. An erster Stelle sind die Sekretäre seit Papst Martin V. zu beobachten. Möglicherweise haben auch Sekretäre die Signatur – etwa zur Zeit Papst Pius II. – im Krankheitsfall des Papstes geschrieben, ohne eine eigene Signaturformel anzuwenden. Ebenfalls sind die Referendare zu beachten, die Suppliken für das Genehmigungsverfahren vorbereiteten. Die Referendare setzten die Kurzfassung der Bitte, ein Schlagwort sowie die Diözese, in deren Bereich die Supplik fiel, mit zusätzlicher Nennung des eigenen Namens an den oberen Rand. Die Referendare entstammten in der Regel aus dem höheren Klerus und sind dem Amtsbereich der Protonotare zuzurechnen. Von Boeselager stellt in Anbetracht des zahlenmäßig umfangreichen Schriftguts die Frage, ob nicht generell die Signatur der Päpste seit Pius II. von Referendaren in den Fällen von Provisionen und Expektanzen geschrieben wurden24. Der Entscheidung „Fiat ut petitur“ oder ausschließlich „Fiat“ durch den Papst, in seiner Vertretung durch den Vizekanzler, folgte bei den Päpsten seit dem Johannes XXII. (1316–1334) als Signaturzeichen ein Großbuchstabe, der als Anfangsbuchstabe des Taufnamens des Papstes, seines Herkunftsortes oder seines Zunamens verstanden werden muss25; Bresslau26 spricht vom Signaturbuchstaben, der, als Majuskel geschrieben, bei Päpsten vor Bonifaz IX. (1389–1404) als Anfangsbuchstabe des Beinamens verstanden wird; in einigen Fällen können aber keine Übereinstimmungen zwischen Buchstaben und Namen festgestellt werden. Bei den Suppliken, die der Vizekanzler signierte, fehlte der Signaturbuchstabe27. 24 25 26 27

Boeselager (wie Anm. 15), 93. Göller (wie Anm. 19), 75. Bresslau (wie Anm. 7), 105–106. Göller (wie Anm. 19), 76.

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– Klauseln: Der Signatur folgen durch ein Spatium abgesetzt die Klauseln, die stets mit „Et“ eingeleitet werden. Diese Klauseln dienen in der Regel etwa zur Vorbereitung der Ausstellung einer Bulle, der Expeditionsform der Urkunde, der Erteilung von Ausnahmen von Kanzleiregeln und dem Nachtrag von Informationen. Ferner können die Klauseln den Inhalt der Supplik betreffen und einzelne Rechte näher modifizieren. Von Boeselager28 bewertet die Klauseln als wichtiges Kriterium zur Beurteilung des Kanzleibrauchs, der sich im Alltag auf den Einzelfall bezog und sich hierdurch von den Kanzleiregeln unterschied, die schriftlich vorgegeben waren. – Datierung: Die Datierung als Bestandteil der Signatur besteht aus der Nennung des Verhandlungsortes und den Angaben zu Tag und Monat auf der Grundlage des römischen Kalenders sowie der Zählung nach Pontifikatsjahren. Nach der Darstellung der äußeren und inneren Merkmale der an die Päpste gerichteten Suppliken folgen nun die Untersuchungen der Suppliken aus dem Propsteiarchiv Kempen, beginnend mit der Supplik an den Kardinal Gasparo Contarini.

3. Die Suppliken des 16. Jahrhunderts im Propsteiarchiv Kempen 3.1.

Die Supplik an Kardinallegat Gasparo Contarini 3.1.1.

Biografische Angaben

Gasparo Contarini, geboren am 16. Oktober 1483 in Venedig, entstammte einer venezianischen Patrizierfamilie29. Nach dem Studium der Mathematik und Philosophie in Padua trat er in den Dienst der Republik Venedig. Als Botschafter nahm er am Wormser Reichstag teil und wurde Gesandter von Papst Clemens VII., ein Amt, das er von 1528-1530 ausübte. Papst Paul III. ernannte ihn als Laien 1535 zum Kardinal30. Im Regensburger Religionsgespräch bewertet Stephan Skalweit31 die Rolle von Contarini als die eines Vermittlers, „der wie kein zweiter geeignet war, eine Verständigung mit den Abgewichenen anzubahnen“32; seine Bemühungen, Verständigung herbeizuführen und die entstandene 28 29 30

31 32

Boeselager (wie Anm. 15), 155. Klaus Ganzer, Artikel „Contarini, Gasparo“, in: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 2, 3. Auflage, Freiburg–Basel–Rom–Wien 1994, Sp. 1305–1306. Conradus Eubel, Hierarchia catholica medii aevi sive summorum pontificium. S. R. E. Cardinalium ecclesiarum antistitum series, Band 3: saeculum XVI ab anno 1503 complectens, Münster 1910, 26, Nr. 8. Stephan Skalweit, Reich und Reformation, Berlin 1967, 301–305. Skalweit (wie Anm. 31), 301.

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Glaubensspaltung zu überwinden, waren jedoch ohne Erfolg und das Jahr 1541, „das die größte Annäherung der Geister zu bringen schien, leitet in Wahrheit ihre endgültige Trennung ein“33. Wenn Skalweit von dem vermittelnden Wirken Contarinis auf dem Reichstag spricht, so werden in den Forschungen von Peter Matheson34 und Albrecht Luttenberger35 jedoch die Einschränkungen seiner Entscheidungskompetenzen als Legat deutlich: Vom Kaiser anerkannt, von der Kurie jedoch nicht uneingeschränkt unterstützt, genoss Contarinis Autorität im Reichstag Anerkennung; die Vorgaben aus Rom schränkten seine Befugnisse allerdings ein und, so Matheson36, gehörte er nicht zu denjenigen, die selbstständig entscheiden konnten. Matheson spricht den Beteiligten ernsthafte Bemühungen zu Verhandlungen ab und in seiner Gesamtbeurteilung stellt er resümierend fest, dass die Gespräche auf dem Reichstag nicht fehlschlugen, sondern niemals stattfanden37. Luttenberger geht in der Beurteilung des eingeschränkten Verhandlungsspielraums von Contarini noch weiter und spricht ihm nur ein notwendiges Minimum an Kompetenzen zu. Die Instruktionen für die Verhandlungen gingen im Gegensatz zu freien Verhandlungen dahin, den Protestanten keine weitreichenden Konzessionen zuzugestehen, und im Falle des Scheiterns die Einberufung eines Generalkonzils anzukündigen und den Kaiser auf seine Verpflichtung, den Ablauf zu sichern, hinzuweisen38. Der Kompromiss von Regensburg führte zu Verdächtigungen gegen Contarini, der sich rechtfertigen musste39. Contarini starb am 24. August 1542 in Bologna. In der Zeit der Vorverhandlungen des am 5. April 1541 von Kaiser Karl V. eröffneten Reichstags in Regensburg genehmigte Contarini eine Supplik, deren Text im Folgenden in einer Transkription wiedergegeben wird. In dieser Transkription werden die Klauseln nicht berücksichtigt und der Text wird auf die hervorgehobenen Abschnitte reduziert, deren jeweiliger Anfang in eckigen Klammern mit der Bezeichnung des Formularteils kenntlich gemacht wird. Ebenfalls werden alle Auflösungen im Text mit eckigen Klammern [ ] gekennzeichnet, um den Gesamteindruck der ausgeschriebenen Geschäftsschrift zu verstärken.

33 34 35

36 37 38 39

Skalweit (wie Anm. 31), 304. Peter Matheson, Cardinal Contarini at Regensburg, Oxford 1972. Albrecht P. Luttenberger, Kaiser, Kurie und Reichstag. Kardinallegat Contarini in Regensburg 1541, in: Reichstage und Kirche. Kolloquium der Historischen Kommision bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 9. März 1990, hg. von Erich Meuthen (Schriftenreihe der Historischen Kommision, 42), Göttingen 1991, 89–137. Matheson (wie Anm. 34), 37. Matheson (wie Anm. 34), 181. Luttenberger (wie Anm. 35), 99. Ganzer (wie Anm. 29), Sp. 1306.

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Abb. 3. Supplik an den Kardinal Contarenus von 1541 aus dem Propsteiarchiv Kempen (PAK, AA 51, fol. 16r) (Foto: Kurt Lübke, Kempen).

Dip plom matiscche Unttersuuchuungen deer Suuppliiken n

1299

Ab bb. 4. 4 Suupp plik ((Rückseeite)) an den n Kardi K inal Con ntarrenuus von 154 1 1 auus dem Prop P psteeiarcchiv Keempen (PA ( K, AA A 51, fol.. 16vv) (F Foto o: Kurt K t Lüübkee, Kemp K pen)).

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3.1.2. Transkription der Supplik 1541 März 26 Regensburg Gobelinus Paeß, Kleriker Kölner Diözese, dem eine Provision mit der Vikarie des „Integri Refectorii” in der Kollegiatkirche zu den Heiligen Cassius und Florentius in der Stadt Bonn, Kölner Diözese, nachdem sie durch den Tod des Gotfridus de Bercka frei geworden war, vom Ortsbischof verliehen wurde, gefolgt von der Inbesitznahme, bittet den päpstlichen Legaten Kardinal Gasparo Contarini um die erneute Provision mit der genannten Vikarie, deren jährliche Einkünfte 4 Mark Silbers betragen. Genehmigt wie erbeten, Kardinal Contarenus, päpstlicher Legat. Propsteiarchiv Kempen, Akten, AA 51, fol. 16. Nova provisio

Colonien[sis]

H. Niger

[Adresse] R[everendissi]me in [Christo] p[ate]r. [Narratio] Al[ia]s seu nuper vic[ari]a integri refectorii nu[n]cupata in coll[egia]ta ecc[lesi]a s[anc]tor[um] / Cassii et Florentii opidi Bonne Colonien[sis] dioc[esis] [Vakanzgrund] per obitum q[uondam] Gotfridi de Bercka / illi[us] ultimi rectoris aut al[ia]s tu[n]c certo modo vacan[te] fuit de ead[em] devoto or[atori] v[est]ro / Gobelino Paeß cl[e]rico d[i]c[t]e Colonien[sis] dioc[esis] per loci ordinariu[m] p[ro]visu[m] poss[essio]ne / forsan subsecuta. Cum aut[em], R[everendissi]me p[at]er, dictus o[rato]r dubitet coll[ati]o[n]e[m] et p[ro]vision[em] / et indesecuta ex cert[is] ca[us]is viribus no[n] subsistere sed vicariam eand[em] adhuc / ut p[re]fertur vacare, [Supplikation] sup[plica]t igit[ur] humiliter, R[everendissime] p[ater], v[ester] or[ator] p[redic]tus, quat[inus] veru[m] et / ultimu[m] d[i]c[t]e vic[ari]e vac[ationi]s mod[um], et[iam]s[i] ex ill[o] q[ue]vis g[e]n[e]ralis res[ervati]o et[iam] in corp[ori]s iur[is]/ cl[ausul]a resultet, p[ro] express[o] habent[es] sibiq[ue] sp[eci]alem gra[ti]am facien[tes] vic[ari]am p[re]dictam, / cui[us] fruct[us] et[cetera] iiii mar[carum] argenti se[cundum] co[mmunem] ex[timationem] va[lorem] an[nuum] no[n] exced[un]t, [andere denkbare Vakanzgründe] sive / p[re]misso sive alio q[u]ovis mo[do] aut ex alterius cuiuscu[m]q[ue] p[er]sona seu p[er] libera[m] / resig[natio]ne[m] d[i]c[t]i defuncti vel cuiusvis alterius de illis in Ro[mana] cu[ria] vel ex[tra] eam et[iam] / cor[am] not[ari]o pu[bli]co et testib[us] spon[te] fact[am] assec[utionem] et[cetera] vaceta et[iam]si devoluta affect[a] curat[a] / elect[iva] sp[eci]aliter vel al[ia]s g[e]n[er]aliter res[er]vat[a] litig[iosa] cui[us] lit[is] stat[us] et[cetera] ex[ist]at, eid[em] or[ator]i / [con]ferre ac de illa et[iam] de novo p[ro]videre seu [con]ferri et p[ro]vi[de]ri ma[nda]re [Nonobstanzien] non obstan[tibus] / [con]st[itutioni]b[us] et ord[ini]b[us] ap[ostolicis] statut[is] [con]formation[ibus] et innoc[uis] quib[us] o[mn]ib[us]

Diplomatische Untersuchungen der Suppliken

131

illoru[m]q[ue] tenor[em] / et[cetera] p[ro] exp[re]ss[is] h[abe]nt[es] lat[issim]e dero[ga]re et suffi[cienter] derogat[um] et[iam] decernere dig[nemini] de gra[tia] / sp[eci]ali ceterisq[ue] [con]trariis quibuscu[m]q[ue] cum cl[ausul]is op[portun]is et [con]suet[is]. [Signatur] Concessu[m] ut petitur. G [asparus] car[dina]lis Contarenus legatus p[a]p[e] [Es folgen die Klauseln]. Rechts am Rande: G[asparus] car[inalis] legatus. [Datierung] Dat[um] Ratispona[e] septimo k[a]l[endas] aprilis pont[ificatus] s[anctissimi] D[omini] n[ostri] Pauli p[a]p[e] III an[n]o septimo. a

Folgen gestrichen nach vace zwei nicht mehr lesbare Buchstaben vor t.

3.1.3. Die Untersuchungen der äußeren und inneren Merkmale Die Supplik an den päpstlichen Nuntius Contarini 1541 März 26 ist auf Papier geschrieben und hat mit: 310 mm Höhe × 211 mm Breite vergleichbare Maße wie das von Frenz beschriebene Format40. Ein erster Knick des Papiers erfolgt 153 mm unterhalb des oberen Blattrandes, ein zweiter teilt 35 mm unterhalb des ersten das Blatt ein zweites Mal ab. Oberhalb der ersten Textzeile steht links am Rande der Kurzbetreff „Nova provisio“, in der Mitte „Coloniensis“ und am rechten Rand „H. Niger“. Mit „H. Niger“ wird mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Hieronimus Negri nachweisbar, der seit 1539 im Bistum Belluno als Stellvertreter von Kardinal Contarini gilt41. An das Textkorpus mit Einbeziehung der Nonobstanzien schließt sich in derselben Zeile, so dass keinerlei Nachtrag möglich war, die Signatur von Contarini an. Etwa halbbrüchig geschrieben und durch eine Klammer zusammengefasst, folgen die Klauseln, an deren rechtem Rand der Genehmigungsvermerk des Legaten geschrieben steht. Auf der Rückseite befindet sich ein Vermerk „primo folio 2o“ und eine Paraphe, die etwa gleichzeitig mit der Supplik geschrieben worden sind. Die Schrift ist als flüchtig und ausgeschriebene Geschäftsschrift zu bezeichnen, deren Gesamteindruck durch die Kürzungen bestimmt wird.

40 41

Frenz (wie Anm. 3), 34. Franz Dittrich, Regesten und Briefe des Cardinals Gasparo Contarini (1483–1542), Braunsberg 1881 (Nachdruck LaVergne, TN USA, 2010), 139. Negri hat als Stellvertreter des Bischofs zu gelten, wie durch seinen Brief von [1541 ?] belegt wird, in dem dieser dem Contarini mitteilt, dass er den Nuntius nach Deutschland zum Reichstag begleiten werde, die endgültige Entscheidung aber über die Teilnahme an der Mission wegen der Erkrankung seines Vaters erst bei der Durchreise von Contarini in Belluno fallen werde.

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Hans Budde

Den über das Textkorpus gesetzten Bearbeitungsvermerken folgt die Adresse „Reverendissime in Christo pater“, eine Anrede, die sich eindeutig von der Adresse an den Vizekanzler des Papstes unterscheidet42. Mit „alias“ schließt die Narratio an, die den Antragsteller, den Kleriker Gobelinus Paeß, nennt, der bereits eine Provision vom Bischof auf die Vikarie im Stift der Heiligen Cassius und Florentius erhalten hat. In der anschließenden Supplikation, die mit den Worten „supplicat igitur humiliter, reverendissime pater“ eingeleitet wird, steht zunächst die Angabe des finanziellen Wertes von jährlich 4 Mark Silbers der Pfründe, „vicariam predictam, cuius fructus et cetera IIII marcarum argenti secundum communem extimationem valorem annuum non excedunt“. Die Supplikation wird von einer Formulierung unterbrochen, die bei von Boeselager43 wie folgt lautet „sive premisso sive alio quovis modo aut ex alterius cuiuscunque persona seu per liberam resignationem NN aut alterius in dicta Romana curia vel extra eam etiam coram notario publico et testibus sponte factam“. Danach wird eine Vakanzformel eingeleitet, die sich auf Reservationen des Kirchenrechts bezieht. Auch dieser Abschnitt des Vakanzgrundes in der Supplik des Gobelinus Paeß lässt sich bis in Detailformulierungen mit dem Formular päpstlicher Suppliken vergleichen. Nach diesem Einschub folgt der Abschluss der Supplikation „eidem oratori conferre ac de illa etiam de novo providere seu conferri et provideri mandare [...] dignemini“; zwischen den Worten „mandare“ bis „dignemini“ eingeschoben stehen die Nonobstanzien. Die Signatur von Gasparo Contarini weist seinen päpstlichen Titel „legatus pape“ aus. Es fehlt in der Unterschrift sein Titel, der ihn als Bischof des Bistums von Belluno44 ausweist, ein Amt, das ihm am 23. Oktober 1536 verliehen wurde; am 2. Juni 1537 kündigte Contarini dem dortigen Kapitel an, dass er von seinem Episkopat Besitz ergreifen werde45. Auch die Klauseln, die nun folgen, werden mit seinem Namen, der auf den Anfangsbuchstaben seines Vornamens gekürzt zu lesen ist, und seinem Titel, „cardinalis legatus“, rechts am Rande genehmigt. Die abschließende Datierung lässt keinen Schluss zu, dass die Echtheit dieser Supplik in Zweifel zu ziehen ist. Der Legat Contarini, der am 8. Januar 1541 vom Papst für die Teilnahme am Reichstag bestimmt wurde, brach am 28. Januar von Rom auf46 und sein feierlicher Einzug in Regensburg ist für den 12. März belegt47. In die Zeit der Vorverhandlungen zum Reichstag fällt also die Ausfertigung der hier untersuchten Supplik; so wendet sich Contarini ebenfalls am 26. März in umfangreichen Schreiben an den Bischof von Wien und den Senat von 42 43 44 45 46 47

Boeselager (wie Anm. 15), 148. Boeselager (wie Anm. 15), 151. Ganzer (wie Anm. 29), Sp. 1305. Dittrich (wie Anm. 41), 99. Matheson (wie Anm. 34), 36. Luttenberger (wie Anm. 35), 104.

Diplomatische Untersuchungen der Suppliken

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Venedig48. Das Formular der Urkunde für Gobelinus Paeß schließt sich im Aufbau und in Detailformulierungen eng an die Vorgaben für Suppliken an, die in den päpstlichen Kanzleien während des 15. Jahrhunderts entstanden sind. Abschließend sei noch kurz auf die inhaltliche Bewertung der Supplik eingegangen. Dietrich Höroldt49 hat die einzelnen Vikarien des Stifts näher untersucht. Demnach wurden die Inhaber der Vikarie „integri refectorii“ als „vicarii principales“ bezeichnet. Die Amtsträger, die zusammen mit den Vikaren der „semipraebendati“ vor dem Hauptaltar bis 1381 alle Messen und danach nur die Totenmessen und Horen an allen Tagen außer den Sonn- und Feiertagen zu halten hatten, wurden auch „vicarii hebdomadales“ genannt, da sie wöchentlich alternierend ihre Aufgaben wahrnahmen. Im Urkundenbestand des Stifts50 und auch in der von Höroldt zur Vikarie „integri refectorii“ veröffentlichten Liste der Amtsinhaber finden sich keine Hinweise auf Gobelinus Paeß51.

3.2. Die Supplik an Nuntius Girolamo Muzzarelli 3.2.1. Biografische Angaben Mit dem Namen „F[rater] Hiero[nymu]s Bon[oniensis] Arch[iepiscopus] Consa[nensis] Nuncius Ap[osto]licus” unterzeichnete Girolamo Muzzarelli eine auf den 3. November 1554 datierte Supplik des Klerikers Edmund Brincker aus Vorst, Diözese Köln. Konrad Eubel52 gibt seinen Namen mit „Hieronymus Mozzarellus O. Praed.“ an; Jacobus Quétif53 führt als Überschrift zu dem Artikel mit den biografischen Angaben den Namen als „F. Hieronymus Muzzarellus“ an, ohne den Bestandteil F. zum Vornamen aufzulösen und beschreibt seine Aufgaben als Nuntius wie folgt: „[...] ad Carolum V. imperatorem de gravissimis negotiis nuntius apostolicus missus [...]“. Durch die Forschungen von Heinrich Lutz54 stehen biografische Angaben zu seinem Leben, insbeson48 49 50 51 52 53 54

Dittrich (wie Anm. 41), 160–161. Dietrich Höroldt, Das Stift St. Cassius zu Bonn von den Anfängen der Kirche bis zum Jahre 1580 (Bonner Geschichtsblätter, 11), Bonn 1957, 107. Findbuch im Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, Bonn, St. Cassius, Urkunden. Höroldt (wie Anm. 49), 302–303. Eubel (wie Anm. 30), 191. Jacobus Quétif, Jacobus Echard, Scriptores ordinis Praedicatorum, Band 1, Teil 1: 1499– 1639, Paris 1719 (Nachdruck New York 1925), 179. Heinrich Lutz, Nuntiaturberichte aus Deutschland 1533–1559 nebst ergänzenden Aktenstücken. Nuntiatur des Girolamo Muzzarelli, Sendung des Antonio Agustin, Legation des Scipione Rebiba (1554–1556), Band 14, Tübingen 1971, XI–XXIX.

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dere seinem Wirken als päpstlicher Nuntius in Brüssel bereit. Im Folgenden werden einzelne, von Lutz aufgeführte Daten zusammengestellt, die für die Auflösung der Kürzungen in der verwendeten Supplikensignatur und der Datierung der Supplik von Bedeutung sind. Muzzarelli entstammte einer Familie aus Bologna und trat 1525 in den Konvent S. Domenico in Bologna ein. Papst Julius III. ernannte ihn 1533 zum Maestro del sacro palazzo, ein Amt, so Lutz55, dessen Inhaber „in besonderer Weise der theologische Berater und Gewährsmann des Papstes“ ist. Am 22. Dezember 1553 übertrug der Papst Muzzarelli das Bistum Conza und ernannte ihn zum Nuntius bei Kaiser Karl V. Versehen mit den notwendigen Instruktionen brach er nach dem 21. Januar 1554 nach Brüssel auf und traf dort am 15. März ein. Muzzarelli übte dieses Amt bis zum August 1556 aus; er starb 1561 in Salerno. Über seine Tätigkeit im Erzbistum Conza liegen nur wenige Nachrichten vor; auch das Bistumsarchiv, das bis in die 70er Jahre des 16. Jahrhunderts Bestände vorhält, enthält keine Urkunden und Akten von Kardinal Muzzarelli. 3.2.2. Die Transkription der Supplik 1554 November 3 Brüssel Edmund Brincker aus Vorst, Kleriker Kölner Diözese, der früher durch den ordentlichen Kollator auf die ewige Vikarie am Altar „Zur Hl. Jungfrau Maria“ in der Pfarrkirche „Zum Hl. Gotthard“ in Vorst, Kölner Diözese, nachdem diese durch den Verzicht des Edmund Roicks aus Vorst frei geworden war, eine Provision erhalten hat, bittet den Nuntius Girolamo Muzzarelli um die erneute Provision mit der Vikarie, deren jährliche Einkünfte vier Mark Silbers betragen. Genehmigt wie erbeten, Hieronimus Erzbischof von Conza, apostolischer Nuntius. Propsteiarchiv Kempen, Akten: AA 17, fol. 39. Rückvermerk (16. Jahrhundert): Edmundus Brincker supplicat nuntio apostolico pro nova provisione ad altare B[eate] Marie V[irginis] in Vorst si forte prior per resignationem oblata viribus non subsisteret.

55

Lutz (wie Anm. 54), XIII.

Dip plom matiscche Unttersuuchuungen deer Suuppliiken n

Abb b. 5. Suuppliik aan deen Nun N ntiuss Muuzzaarelli vo on 1554 1 4 auus deem Pro P psteeiarcchivv Kem mpeen (P PAK K, AA A 17, fol. 39rr) (F Foto o: Kurt K Lüb bke,, Keemp pen)..

1355

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Haans Buddde

A Abb. 6. SSupp plik (Rüücksseitee) an n deen Nun N tius Muuzzaarellli vo on 15544 auss deem Prop P psteeiarcchiv Keempen (PA ( K, AA A 17, fol.. 39vv) (F Foto o: Kurt K t Lüübkee, Kemp K pen)).

Diplomatische Untersuchungen der Suppliken

Nova Provisio

Colonien[sis]

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Aug. Capitaneus

[Adresse] R[everendissi]me d[omi]ne. [Narratio] Al[ia]s p[er]petua vicaria ad altare b[ea]te Marie v[ir]g[inis] sit[um] in p[ar]rochiali ecc[lesi]a sa[n]cti / Gothardi in Vorst Colonien[sis] dioc[esis] [Vakanzgrund] p[er] libera[m] resignatione[m] devoti v[est]ri o[rato]ris Emu[n]di Roicks a Vorst / illius ultimi possessor[is] in manibus ordinarii collatoris spo[n]te fact[am] vacan[te] de illa sic vacan[te] / devoto or[ator]i v[est]ro Emundo Brincker de Vorst clerico eiusdem Colonien[sis] dioc[esis] ordinaria auct[oritat]e / provisu[m] possessione illius forsan subsequuta. Cum autem R[everendissi]me d[omi]ne dict[us] or[ator] cert[is] ex / causis dubitet p[ro]vi[sio]ne[m] hu[ius]mo[d]i cu[m] indesequut[is] virib[us] no[n] subsistere dicta[m]que vicariam / adhuc ut p[re]fertur seu al[ia]s quovismodo vacare [Supplikation] sup[pli]cat igitur humiliti[er] […]a / dictus Emundus or[ator], qu[a]t[inu]s veru[m] et ultimu[m] dicte vicarie vacation[is] modu[m] etia[m]si ex illo / quevis generalis res[ervati]o resultet pro express[o] h[abe]ntes sibiq[ue] specialem gra[tia]m facien[tes]b de dicta vi/caria cuius fruct[us] [etcetera] iiiior mar[carum] ar[genti] p[e]n[sionem] se[cundum] co[mmunem] ex[timationem] an[nuam] no[n] excedu[n]t, [weitere denkbare Vakanzgründe] sive ut premittitur sive al[ia]s / quovismo[do] aut ex alterius cuiuscu[m]que p[er]sona seu per si[mi]lem dicti Jo[hann]isc vel liberam cuiuscu[m]q[ue] alte/rius de illa ex[tra] Ro[manam] cu[riam] et[iam] cor[am] notario publico et testibus sponte facta[m] resignatione[m] aut asse/cutione[m] [etcetera] vacet et[iam]si devolut[a] affect[a] sp[eci]alit[er] vel al[ia]s ex quavis causa lat[issi]me exp[ri]men[da] g[e]n[er]al[ite]r / reservat[a] litig[iosa] cuius lit[is] stat[us] [etcetera] ex[ist]at eid[em] or[ator]i de novo p[ro]videre seu p[ro]videri ma[n]dare dignemi(ni) / de gr[ati]a sp[eci]ali [Nonobstanzien] no[n] obstan[tibus] [con]sti[tutioni]b[us] et ord[ini]b[us] ap[ostoli]c[is] statut[is] et consuetudinib[us] privilegiis indult[is] / l[itte]ris ap[postoli]c[is] fundation[e] jurato [etcetera] roborat[o] ceterisq[ue] [contra]riis quibuscumq[ue] cu[m] cl[ausul]is oportun[is] et [con]suet[is]. [Signatur] Conces[su]m ut petit[ur]. F[rater] Hiero[nimu]s Bon[oniensis] Arch[iepiscopus] Consa[nensis] Nu[n]cius Ap[osto]licus. [Klauseln] Et cu[m] ab[olitio]ne a cen[suris] ad effectu[m] p[rese]ntiu[m]. Et quod obstan[tia] or[ator]is ac ver[us] / et ultim[us] dicte vic[ari]e vaca[tion]is modus etiamsi ex illo quevis g[e]n[er]alis / res[ervati]o resultet necno[n] ius et t[i]t[uli] dictor[um] co[m]p[er]mutan[tium] et alior[um] quo/ru[m]cumq[ue] ac tenores resignation[um] h[uius]mo[d]i h[ab]eantur p[ro] exp[r]essis / seu exprimi possi[n]t in totum seu p[ro] parte. Et cu[m] cl[ausul]a qua[m]cu[m]q[ue] / g[e]n[er]alem vel spe[ci]alem res[ervatio]nem importan[tem] ex quavis causa / lat[issi]me exp[r]imendum. Et cum derogation[e] quoru[m]cu[m]q[ue] statutor[um] et [con]sue/t[udi]nu[m] p[r]ivilegior[um] indultor[um] l[itte]rar[um]

138

Hans Budde

ap[osto]licar[um] fundation[um] alioru[m]q[ue] / quo[modo]l[ibet] [contra]rior[um] lat[issi]me extenden[dum]. Et q[uo]d l[itte]re et[iam] in forma nove p[ro]vi/sion[is] gr[ati]ed si neutri si nulli si alteri surrogation[is] et[iam] quo/ad possession[em] p[er]inde seu et[iam] valere liceatq[ue] or[ator]i si videbitur infice[re] / t[i]t[ulum] suu[m] et c[aus]as infection[is] exp[r]ime[re] aut alio utiliori via expe[ri]ri / possint. Et q[uo]d p[re]missor[um] omn[ium] et singulor[um] et[iam] fruct[us] [etcetera] aug[en]do / vel mi[nuen]do innot[us] q[u]e lit[is] deno[m]i[n]ation[is] no[minandu]m ag[endu]m annex[us] et dependen[dum] / alior[um]q[ue] circa premissa quo[modo]l[ibet] necessarior maior et verior spe[cificati]o / etiam expressio fieri possit in l[itte]ris. [Es folgt am Rande der Genehmigungsvermerk:] Conces[su]m ut s[upra] f[rater] Hiero[nimus] Bon[oniensis] Arch[iepiscopus] Consa[nensis] Nu[n]cius Ap[osto]licus. [Datierung] Bruxellae Cameracen[sis] dioc[esis] tertio [die ante] Nonas Novembris pont[ificatus] s[anctis]s[i]mi d[omini] n[ostri] Julii p[a]p[e] iii anno quinto [etcetera]. Folgt „E“, das nicht eindeutig aufzulösen ist. Dann „R[everendissi]mu[m] d[ominum]“; korrekt wäre „R[everendissi]me d[omi]ne“; danach zwischen zwei Punkten ein v, das als v[ester] gelesen werden könnte.

a

Von „Reverendissime domine“ bis „facientes“ von einer ersten Hand geschrieben; danach Textkorpus von zweiter Hand.

b

c

Vermutlich Vorname Johannes anstelle von Edmund.

d

Folgt gestrichen von der selben Hand „lat[issi]me“. 3.2.3. Untersuchungen der äußeren und inneren Merkmale

Bei den äußeren Merkmalen entspricht die Supplik im Hinblick auf den Beschreibstoff und das Format der Supplik von 1541. Das Papier hat die folgenden Maße: 319 mm Höhe × 212 mm Breite; das Blatt ist in vier Teile eingeteilt. Ein erster Knick erfolgt 160 mm unterhalb des oberen Blattrandes, ein zweiter Knick teilt das Blatt 79 mm unterhalb des ersten ab. Im oberen Teil steht die Supplikation einschließlich der Signatur, die sich den Nonobstanzien, getrennt durch eine Zeile, anschließt. Die Klauseln folgen zwei Zeilen unterhalb der Signatur, schließen links unter dem oberen Text an und sind etwas mehr als halbbrüchig durchgehend geschrieben. Der obere Text der Supplik reicht bis an den rechten Blattrand, die Klauseln werden von einer Klammer eingefasst. Die Datierung erfolgt etwa 85 mm unterhalb der Klauseln. Erzbischof Muzzarelli setzte neben die Klauseln die zweite Genehmigungssignatur. Am oberen Rand steht links die Zusammenfassung des Inhalts mit den zwei Worten „nova

Diplomatische Untersuchungen der Suppliken

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provisio“, die Diözese Köln in der Mitte und rechts davon der Name „Aug. Capitaneus“, der mit einiger Wahrscheinlichkeit mit der an der Bearbeitung beteiligten Person gleichzusetzen ist. Das Textkorpus der Supplik stammt von einer ersten Hand bis zu den Worten „gratiam facientes“, danach einschließlich der Klauseln von einer zweiten Hand. Auf der Rückseite befindet sich oberhalb des Rückvermerks eine Angabe „primo L[ibr]o 213o“. Beide Hände schreiben eher flüchtig, ein Eindruck, der durch die große Anzahl von Kürzungen verstärkt wird. Die folgenden Ausführungen wenden sich den inneren Merkmalen und den Auswertungen in den einzelnen Abschnitten in der Supplik zu. So folgt der Adresse „Referendissime Domine“ mit dem Wort „alias“ eingeleitet die Narratio, in die auch die Intitulatio mit dem Antragsteller „Edmundo Brincker de Vorst clerico“ einbezogen ist. Die Gestaltung dieses Teils ist – wie üblich – am wenigsten standardisiert und führt ein in die Schilderung der Ausgangsbedingungen für die Vergabe der Vikarie, die durch die Resignation des Edmund Roicks frei geworden war. Edmund Roicks, der wie sein Bruder Gottfried 1547 eine Vikarstelle an der St. Andreas Kirche in Köln erhielt56, erweiterte eine Stiftung seines Bruders und gründete eine eigene Armenstiftung. Edmund starb am 30. März 158757. Es folgt die Supplikation, eingeleitet mit der Formulierung „supplicat igitur humiliter dictus Emundus orator“; auch der Schätzwert der Pfründe wird mit den maximal jährlichen Einkünften von 4 Mark Silbers angegeben. Diese Formulierung ist fast identisch mit derjenigen, die von Boeselager58 nennt „cuius fructus [...] marcharum argenti (puri) communi extimatione valorem annuum non excedunt“. Nach den Vakanzgründen schließt sich die Petition „eidem oratori de novo providere seu provideri mandare dignemini“ an, und es folgen die Nonobstanzien. Mit der Signatur „Concessum ut petitur F. Hieronymus Bononiensis Archiepiscopus Consanensis Nuncius Apostolicus” folgt die Entscheidung über das Gesuch. Muzzarelli verwendet also den Genehmigungsvermerk, der dem Vizekanzler vorbehalten war unter Hinzufügung seines latinisierten Namens59. Girolamo Muzzarelli setzt seine Signatur mit einem großen F., für dessen Auflösung „Frater“ mit einiger Wahrscheinlichkeit wegen seiner Ordenzugehörigkeit angenommen wird, fort und schließt seinen Vornamen, seine Herkunftsstadt „Bononiensis“, seinen Amtstitel, Erzbischof 56 57 58 59

Franz Dohr, Vorst. Aus der Geschichte einer Gemeinde, hg. von der Pfarrgemeinde St. Godehard, Vorst 1979, 50. Dohr (wie Anm. 56), 52. Boeselager (wie Anm. 15), 151. Als Beispiel wird an dieser Stelle der Vizekanzler von Pius II. (1458–1664) genannt, der mit „Concessum ut petitur R. Valentinus” signierte. Seiner Signatur schloss sich die Nennung des Ausstellungsortes, die Datierung nach dem Römischen Kalender und die Angabe der Pontifikatsjahre an. Vgl. Boeselager (wie Anm. 15), 88–89.

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von Conza, und den Titel als apostolischer Nuntius, an. Es folgen die Klauseln und weiterhin abgesetzt die Datierung60. Die Datierung nennt den Ausstellungsort Brüssel mit der dazugehörigen Diözese, die Datierung nach Römischem Kalender, den Titel „Sanctissimi Domini Nostri“, den Namen des Papstes und die Angabe seiner Pontifikatsjahre. Durch die Veröffentlichungen der Nuntiaturberichte von Kardinal Muzzarelli61 liegen Nachrichten über seine Korrespondenzen vom 28. Oktober 1554, 4. November 1554 und 7. November 1554 vor, die als Ausstellungsort einheitlich Brüssel nennen. Auch wenn als Lagerungsort der Supplik das Propsteiarchiv Kempen bekannt ist, ist mit einiger Sicherheit davon auszugehen, dass Edmund Brincker, der die genehmigte Supplik wahrscheinlich empfangen hat, nicht die Vikarie erhielt. Wie aus einer Urkunde aus 1554 Oktober 762 zu entnehmen ist, erhielt Edmund ther Bruggen die Marienvikarie „ [...] In mei notarii presbiteri testiumque infrascriptorum ad hec specialia vocatorum et rogatorum presentia personaliter constitutus honorabilis dominus Henricus Robers de Creueldia pastor sive rector parrochialis ecclesie in Vorst Coloniensis diocesis vicariam novi altaris beate Marie virginis […] per liberam resignationem honorabilis domini Christiani Mercatoris sacellani in Anrait legitimi procuratoris et eo nomine honorabilis domini Emundi Roicks de Vorst presbiteri dicte diocesis illius vicarie possessoris in manibus dicti pastoris libere factam, de qua ipse procurator sufficiens mandatum habuit […] cuius collatio, provisio et quevis alia dispositio [...] ad ipsum pastorem ratione ecclesie sue pleno iure ut asseruit […] dinoscitur: discreto viro Emundo ther Bruggen de Vorst, clerico Coloniensis diocesis”; auch der Rückvermerk, der etwa gleichzeitig geschrieben wurde, bestätigt die Inbesitznahme der Vikarie durch Emund ther Bruggen. Hanns Peter Neuheuser63 weist in der Archivalie AA 17 weitere Verpachtungsurkunden in Abschriften aus, die diese Abfolge der Inhaber der Marienvikarie bestätigen64. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Supplik mit der Genehmigung des Nuntius Muzzarelli auf eine Provision für Edmund Brincker zu spät ausgestellt wurde; die Entscheidung war bereits am 7. Oktober 1554 gefallen. Der Erhalt einer Supplik, selbst mit einer Signatur des päpstlichen Nuntius versehen, bedeutete 60

61 62 63 64

Ein Vergleich mit der Abb. 6 bei Frenz (wie Anm. 3) macht deutlich, dass die Abfolge: Textkorpus mit Signatur, Klauseln und danach abgetrennt durch ein Spatium die Datierung mit der Aufteilung der vorliegenden Supplik vergleichbar ist. Lutz, Heinrich (wie Anm. 54), 156–160, Nr. 63–65. Propsteiarchiv Kempen, Urkunden Nr. 37. Inventar der ältesten Akten des Propsteiarchivs Kempen (wie Anm. 10), 123. Propsteiarchiv Kempen, Akten AA 17, fol. 31 (1535 Juli 16); fol. 33 (1537 Juli 12); fol. 34 (1537 Juli 12); fol. 36 (1546 Mai 17); fol. 38 (1556): „[...] kann ich her Emundt ther Bruggenn rektor des neuwen altars zu Vorst [...]“; fol. 40 (1569 Oktober 10); fol. 41 (1579 November 23).

Diplomatische Untersuchungen der Suppliken

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nicht, dass die bereits gefällte Entscheidung wieder aufgehoben wurde und der Kleriker Brincker in den Besitz der Vikarie gelangen konnte. Abschließend werden die Ergebnisse der Untersuchungen der äußeren und inneren Merkmale der beiden Suppliken 1541 und 1554 zusammengefasst.

4. Zusammenfassung der Ergebnisse In der Schlussbetrachtung geht von Boeselager65 auf das Verfahren ein, das vom Bewerber eingeleitet werden konnte, um ein kirchliches Benefizium zu erlangen. Für die Gesamtbeurteilung ist es wichtig, die „Konkurrenzsituation“ zwischen der Kurie und den örtlichen Entscheidungsträgern in den Diözesen zu beachten. Der Antragsteller – und an dieser Stelle setzt die initiative Bedeutung der Supplik ein – bemühte sich mit der Hilfe eines Prokurators, der ihm eine Supplik formulierte, die den Anforderungen der Kurie entsprach, eine päpstlichen Provision zu erlangen. Mit dem entscheidenden Vermerk „Fiat ut petitur“ auf der Supplik sollten günstige Voraussetzungen geschaffen werden, um den Erwerb eines Benefiziums zu realisieren. Die erhaltene, genehmigte Supplik bedeutete aber nicht mehr, als dass der Empfänger für die Inbesitznahme in Frage kam. Am Ort wurde entschieden, welcher Petent mit dem Amt betraut wurde; an der Kurie wurde eine Supplik genehmigt oder abgelehnt, ohne die Angaben in der geschilderten Ausgangslage zu überprüfen. Keinesfalls bedeutete die Zustimmung der Kurie, dass die örtlichen Kollatoren an diese Vorgaben gebunden waren. Diese Einschätzung über den Verfahrensablauf gilt zunächst für die Zeit des 15. Jahrhunderts. Die vorliegenden Untersuchungen beschäftigten sich als diplomatische Studie mit zwei Suppliken, die sich an den Legaten Contarini 1541 und den Nuntius Muzzarelli 1554 richteten. Warum, so stellt sich die Frage, wandten sich zwei Kleriker aus Kempen am Niederrhein mit ihren Bitten an zwei hohe Geistliche, von denen der eine von Rom aus als Legat zum Reichstag nach Regensburg entsandt wurde und der andere im nicht weit entfernten Brüssel als Nuntius residierte? Die Kenntnisse des Gobelinus Paeß um den bevorstehenden Reichstag und das Eintreffen Contarinis in Regensburg waren zeitlich gut berechnet, wurde die Supplik doch kurz vor der Eröffnung des Reichstages, in einer Phase geprägt von intensiven Vorverhandlungen, vorgelegt; auch die Supplik an den Nuntius in Brüssel kam in einer Zeit an, in der Muzzarelli mit den Geschehnissen am Kaiserhof in seinen Dienstgeschäften stark gebunden war, wie die zeitlich enge Abfolge seiner Berichte zeigt. Beide Suppliken erhielten das „Concessum ut petitur“. Von der Supplik des Paeß an den Kardinal Contarini ist nichts über die Auswirkung der Provision auf die Vikarie in Bonn 65

Boeselager (wie Anm. 15), 727.

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Hans Budde

bekannt; Edmund Brincker, der sich an Kardinal Muzzarelli wandte, scheiterte mit Sicherheit in Vorst. Die Beurteilung von Boeselager, dass die Entscheidungen von der Ortskirche vorgenommen wurden, trifft zumindest mit Sicherheit auf einen Kleriker aus Kempen uneingeschränkt zu, für den selbst die genehmigte Supplik nicht zum Erfolg führte66. Sind deshalb Zweifel an der Echtheit der Suppliken anzumelden? Die Untersuchungen basierten auf dem Vergleich der beiden Suppliken, ihren äußeren und inneren Merkmalen mit den päpstlichen Suppliken, für die im 15. Jahrhundert ein gesicherter Forschungsstand vorliegt; auch eine Abbildung der Supplik an Papst Gregor XIII., datiert 1573, wurde ergänzend zu den Beschreibungen der äußeren Merkmale67 berücksichtigt. Basierend auf diesen Grundlagen konnten keine generalisierenden Ergebnisse erzielt und zukünftige Forschungen können daher an dieser Stelle als wünschenswert angemeldet werden. Dennoch liegen nach vorsichtiger Einschätzung keine Kriterien vor, die zu dem Schluss führen müssten, die Suppliken aus dem Propsteiarchiv Kempen in ihrer Echtheit in Frage zu stellen. Bei den Untersuchungen der äußeren Merkmale konnten folgende übereinstimmende Einzelergebnisse herausgearbeitet werden: Der Beschreibstoff ist jeweils Papier mit dem Format, das in etwa dem heutigen DIN A 4 zu vergleichen ist. Der Text ist in vier Abschnitte aufgeteilt: So folgen den über dem Textblock eingefügten Bearbeitungsvermerken des „H. Niger“, der als Stellvertreter Kardinal Contarinis und Teilnehmer der Gesandtschaft am Reichstag nachgewiesen werden konnte68, und des „Aug. Capitaneus“ die eigentlichen Suppliken, die mit den Nonobstanzien abschließen. Den anschließenden Signaturen wurden die halbbrüchig geschriebenen, mit einer Klammer umfassten und gesondert genehmigten Klauseln angefügt, denen deutlich durch mehrere freie Zeilen abgetrennt die Datierungen sich anschließen. Korrekt durchgeführte Streichungen im Text sind vorhanden ebenso wie Rückvermerke, die als Registraturvermerke verstanden werden könnten. Die an den Reinschriften beteiligten Hände verzichten auf die in 66

67 68

In beiden Fällen wären die Vorlagen weiterer Suppliken, um erneut die Provisionen auf die Vikarien zu erbitten, möglich gewesen, wie an einer Supplik vom 26. August 1476 nachgewiesen werden kann: Ein Georg Balthasar ließ sich vom Papst mit derselben Pfarrkirche in Dillingen, Diözese Augsburg, erneut providieren, da er die Provision durch einen päpstlichen Legaten für nicht ausreichend hielt. Den Hinweis auf diese Quelle und das Regest verdanke ich Herrn Dr. Hubert Höing, Neustadt a. Rübenberge. Diese Supplik wird der Forschung zugängig sein in: Repertorium Germanicum, Band 10: Verzeichnis der in den Registern und Kameralakten Sixtus IV. vorkommenden Personen, Kirchen und Orten des Deutschen Reiches, seiner Diözesen und Territorien (1471–1484), bearbeitet von Ulrich Schwartz u. a., in Bearbeitung (erscheint voraussichtlich 2012); eine Nummer ist noch nicht vergeben. Vgl. oben Anm. 13. Vgl. oben Anm. 41.

Diplomatische Untersuchungen der Suppliken

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feierlichen Privilegien typischen Zierelemente, wie z. B. die vergrößerte Schrift in der Adresse und der Intitulatio. Der Gesamteindruck der Schriften, die als Geschäftsschriften zu bezeichnen sind, wird in beiden Fällen durch die bevorzugte Verwendung von Kürzungen geprägt69; am weitesten ist bei der Hand, die den zweiten Teil und die Klauseln in der Supplik an Nuntius Muzzarelli geschrieben hat, die Rechtsneigung als hervorzuhebender Eigenschaft der Kursive zu beachten. Die einzelnen Formularabschnitte in den päpstlichen Suppliken des 15. Jahrhunderts sind ebenfalls in den Suppliken aus dem 16. Jahrhundert wiederzufinden. In den Abschnitten der Supplikationen, der Angaben der Vakanzgründe, der Nonobstanzien und der Datierung finden sich ebenfalls stark standardisierte, unveränderte Formulierungen. Insbesondere auch die entscheidenden Signaturen enthielten die zu erwartenden Angaben und Formulierungen wie etwa das „Concessum ut petitur“, dem in der Signatur von Erzbischof Muzzarelli der vollständige Vorname, der Geburtsort, der Amtstitel „Archiepiscopus“ mit der dazugehörigen Diözese Conza und der verliehene Titel „Nuntius“ folgten; das dem Vornamen vorangestellte „f.“ wurde als „Frater“ aufgelöst. Bei Kardinal Contarini wurden die Angaben auf den Anfangsbuchstaben des Vornamens, auf den Amtstitel „Cardinalis“, den Nachnamen und die Nennung des päpstlichen Auftrages als Legat reduziert. Auch die Klauseln wurden gesondert genehmigt. Aufgrund der Kenntnisse über die Itinerare von Kardinal Contarini in Regensburg und von Erzbischof Muzzarelli in Brüssel stehen auch die Datierungen nicht in Frage. Unter Berücksichtigung der Änderungen in den Formulierungen einzelner Abschnitte, – hier sei insbesondere auf die Adresse, die Signatur und die Datierung verwiesen –, die durch den Rang der jeweiligen Amtsträger als Legat und Nuntius erfolgen mussten, stellen die beiden Suppliken des 16. Jahrhunderts eine Kontinuität päpstlicher Vorlagen des 15. Jahrhunderts dar. Auf der Grundlage eines möglichst umfangreichen Quellenmaterials70 gilt es weiterhin zu prüfen, ob sich die Suppliken des 16. Jahrhunderts, die nach

69

70

In einem anderen Zusammenhang mit der Schrift der Florentiner Behörden im 15. Jahrhundert werden die „radikalen Kürzungen bei Standardformeln“ als Bestandteil einer „aller kalligraphischen Merkmale“ entbehrenden Gebrauchsschrift gekennzeichnet. Vgl. Peter Herde, Die Schrift der Florentiner Behörden in der Frührenaissance (ca. 1400–1460). Ein Beitrag zur Frage des Übergangs von der gotischen zur humanistischen Schrift, in: Herde (wie Anm. 17), 581–619, hier 590. Mit den systematischen Recherchen nach weiteren Suppliken wurde begonnen. An dieser Stelle danke ich Herrn Dr. Alexander Koller, Deutsches Historisches Institut Rom, für die Vermittlung einer Recherche, die Herr Dr. Pier Paolo Piergentili freundlicherweise durchführte und welche ergab, dass von Suppliken des Legaten Contarini und des Nuntius Muzzarelli keine Registerüberlieferungen im Archivio Segreto Vaticano vorliegen.

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Frenz71 den „nichtpäpstlichen Papsturkunden“ zuzurechnen sind, grundsätzlich in ihren inneren und äußeren Merkmalen auf Vorlagen der römischen Kurie stützen. In diesem Zusammenhang wird die Frage der „Kanzleimäßigkeit“ der Suppliken zu untersuchen und zu überprüfen sein, ob Legaten oder Nuntien im 16. Jahrhundert eigenes, ständig verfügbares Kanzleipersonal besaßen und bei ihren Missionen mit sich führten. Denkbar wäre ebenfalls, dass bei Beurkundungsgeschäften auf in der Nähe befindliche Kanzleien geistlicher Würdenträger oder verfügbare Schreiber am Ort zurückgegriffen wurde; in diesen Fällen könnte durch das Begleitpersonal im Gefolge, das mit Kenntnissen aus der päpstlichen Kanzlei vertraut war, eine Anleitung erfolgt sein.

71

Vgl. oben Anm. 8.

RICHARD HARDEGEN

Die Studienstiftung Hutteriana des Kanonikers Adam Ferber aus Kempen

Im Propsteiarchiv zu Kempen befindet sich in einem Kopiar eine Urkunde vom 10. November 15771. Es handelt sich um eine authentische Abschrift der Originalurkunde, in der der Vorname des vierten Testamentsvollstreckers fälschlicher Weise mit Joannis statt Jacobus angegeben worden ist2. Dass es sich nur um einen Schreibfehler handelt, ergibt sich aus der Urkunde selbst. Bei der persönlichen Vorstellung der Testamentsvollstrecker in der Einleitung der Urkunde wird er als „cognatus“3 des Erblassers bezeichnet. An anderer Stelle wird dargestellt, dass der Schwester des Testators und deren Sohn Jakob, dem Lizentiaten und „supradicto executore“ Zuwendungen gemacht werden, auf die weiter unten noch einzugehen sein wird. Des Weiteren ergibt sich aus der Urkunde, dass die Bibliothek des Erblassers „post mortem Domini Hutteri supradicti sui cognati“4 dem Gymnasium Laurentianum zu Eigentum übertragen werden soll, damit sie von den Studenten im Hause zu eifrigem Studium genutzt werden könne. Schließlich wird in einer Abschrift dieser Urkunde, die unter dem 15. Oktober 1630 von anderer Hand gefertigt worden ist, der Name Jacobus Hutter als Mittestamentsvollstrecker genannt5. Dass es sich bei der Urkunde um eine authentische Abschrift aus der Entstehungszeit des Originals handelt, ergibt sich aus ihr selbst. Die Testamentsvollstrecker haben verlangt (cupimus), dass eine „authentica et collationata copia eiusdem fundationis Pastori Kempensi“ übergeben werde6, da er geeignete Stipendiaten präsentieren sollte7. Die Authentizität ergibt sich schließlich aus der Überschrift der Urkunde, die lautet: „Tenor fundationis in gymnasio Laurentiano Colonia pro sex pauperis studiosis Kempensibus fundatore D[omi]no Adamo Ferber Kempensi 1577 mortuo“8. 1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Propsteiarchiv zu Kempen, im Folgenden zitiert PAK; PAK, A 200, pag. 408–420. Vgl. PAK, A 200, pag. 408, siehe Anhang, Einleitung. Vgl. PAK, A 200, pag. 408, siehe Anhang, Einleitung. Vgl. PAK, A 200, pag. 414, siehe Anhang, siebte Anordnung. Vgl. PAK, AA 31, fol. 205. Vgl. PAK, A 200, pag. 419, siehe Anhang, Anordnung zur Sicherung. Vgl. PAK, A 200, pag. 411, siehe Anhang, fünfte Anordnung. Vgl. PAK, A 200, pag. 408, siehe Anhang, Überschrift.

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Formalrechtlich handelt es sich bei dieser Urkunde um die Vollziehung (executio) des letzten Willens des am 16. März 1577 verstorbenen Kanonikers Adam Ferber9. Nach der letztwilligen Verfügung des Erblassers waren dazu vier Testamentsvollstrecker benannt worden. Hierbei handelt es sich um Dr. leg. Joannis von Kempis10, Priesterkanoniker des Metropolitankapitels in Köln und Offizial der erzbischöflichen Kurie, Wilhelm Nyenhaus aus Horst11, Kanoniker 9

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11

Adam Ferber, latinisiert auch Adamus Tinctoris ex Kempis genannt, wurde in Köln im Jahre 1525 an der Universität immatrikuliert. Im Jahre 1543 wurde er Baccalaureus Artium und später Lizentiat der Theologie. Bis zu seinem Tod im Jahre 1577 war er Professor am Gymnasium Laurentianum in Köln. Im Jahre 1557 erhielt er ein Kanonikat 2. Gnade am Stift St. Gereon, war gleichzeitig Pastor der Pfarrkirche St. Laurentius, die innerhalb der Römerstadt lag und deren Pfarrangehörige das Kirchspiel St. Laurenz bildeten. Vgl. auch Johann Christian Nattermann, Die goldenen Heiligen, Köln 1960, 547. – Gerhard Schoenen, Die kölnischen Stiftungen, Köln 1892, 228. Joannis von Kempis war der Sohn des Bonner Senators Johann von Kempis und dessen Ehefrau Nesgin. Er wurde 1525 in Bonn geboren. Schon 1554 in Alter von gerade 29 Jahren wurde er Offizial für den rheinischen Teil des Erzstifts Köln. Er wurde dazu von Erzbischof Adolf III. von Schaumburg berufen, dem einzigen im 16. Jahrhundert, auf den nach Konrad Repgen, Der Bischof zwischen Reformation, katholischer Reform und Konfessionsbildung (1515–1650), in: Der Bischof in seiner Zeit, hg. von Peter Berglar, Odilo Engels, Köln 1986, 245–324, hier 250, das Bischofsideal des Tridentiner Konzils zugetroffen hätte. Er blieb auch unter den Nachfolgern Anton von Schaumburg (1556– 1558), Gebhard I. von Mansfeld (1558–1562), Friedrich IV. von Wied (1562–1567), Salentin von Isenburg (1567–1577), Gebhard von Waldburg (1577–1582) und Ernst von Bayern ab 1583 bis zu seinem Tod im Jahr 1602 Offizial. Zum Dr. leg. ist er zusammen mit dem Dechanten von St. Andreas Johann Swolgen und dem jülichschen Rat Walter Fabrizius am 26. August 1572 promoviert worden. Die an der Domkirche frei gewordene Universitätspräbende erhielt er am 20. September 1560. Dreimal bekleidete er das Amt des Rektors der Universität, nämlich in den Jahren 1574, 1592 und 1597; vgl. Anton Fahne, Geschichte der kölnischen, jülischen und bergischen Geschlechter in Stammtafeln, Wappen, Siegeln und Urkunden, Köln–Bonn 1848, Band 1, 216. Er scheint ab dem Jahre 1596/1597, 71 Jahre alt, an Altersdemenz gelitten zu haben, so dass ihm auf Intervention des Dechanten von St. Mariengraden Hubert Reetz als Adjunkt zur Seite gestellt wurde. Am 12. Oktober 1596 schrieb Ferdinand von Wittelsbach als Adjunkt des Erzbischofs Ernst von Wittelsbach an den Herzog Wilhelm von Jülich: „Der Offizial ist gar alt und gar zu einem Kinde word, er begehe viele enormes errores“; vgl. Felix Stieve, Wittelsbacher Briefe aus den Jahren 1590–1607, II. Abt., in: Abhandlungen der historischen Klasse der Münchener Akademie 18.1 (1888), 113–217, hier 200, Nr. 95. Ob die Familie ihren ursprünglichen Stammsitz in Kempen gehabt hat und dies der Grund für die Ernennung zum Testamentsvollstrecker gewesen ist, vermag man nicht festzustellen, da das Familienarchiv und die Bibliothek der Familie nach Fahne im Jahre 1689 im Kloster der Kapuziner verbrannt seien. Wilhelm Nyenhaus war zusammen mit Adam Ferber Kanoniker am Stift St. Gereon, ohne zum Hochadel zu gehören. Er stammte aus Horst. Dabei könnte es sich um die zu Ansehen gekommene Unterherrschaft im Vest Recklinghausen gehandelt haben; vgl.

Die Studienstiftung Hutteriana des Kanonikers Adam Ferber aus Kempen

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am Stift St. Gereon, Quirinus Swicker12, Kanoniker am Stift St. Aposteln sowie nach der Urkunde Joannis, tatsächlich aber Jacobus Hutter13 aus Kempen, Professor Artium, Lizentiat und Verwandter des Erblassers. Das Gremium setzte sich demnach aus Bekannten und Verwandten (wie Jakob Hutter) des Erblassers zusammen. Für die Bestellung des Joannes von Kempis scheint dessen Stellung an der erzbischöflichen Kurie von Bedeutung gewesen zu sein. Bei Wilhelm Nyenhaus handelt es sich um einen Mitkanoniker am Stift St. Gereon, der wie der Erblasser selbst nicht dem Adel angehörte. Eine sichere Einordnung des genannten Quirinus Swicker ist nicht möglich. Einiges spricht für ein verwandtschaftliches Verhältnis; denn in der Urkunde selbst wird bei der Zuteilung der Legate bei dem genannten „Domino Quirino Stoicker“ von einem „ante memorato“ gesprochen. Der Name Stoicker kommt aber nur an dieser Stelle der Urkunde vor. Ist er aber ein Vorerwähnter (ante memorato), kann es nur der in der Einleitung genannte Quirinus Swicker sein. Nach kanonischem Recht waren die Testamentsvollstrecker gehalten, den Willen des Erblassers, insbesondere wenn es sich um eine Stiftung handelte, genau zu respektieren, auch wenn dieser Grundsatz erst durch eine Konstitution Papst Clemens VIII. aus dem Jahre 1604 seine scharfe Ausprägung erhalten

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Heinz Finger, Das kurkölnische Vest Recklinghausen und seine Beziehungen zu Dompropst und Domkapitel im Zeitalter der Reformation und katholischen Reform, in AHVN 212 (2009), 203–233, hier 205. Im Stift St. Gereon ist Nyenhaus für die Orgel zuständig gewesen. Sie war überarbeitet worden. Die Fertigstellung der Arbeiten gab er am 1. Februar 1575 bekannt. Nach der von ihm gefertigten Aufstellung verursachten die notwendigen Arbeiten einen Aufwand von 2.000 Gulden; vgl. Johannes Christian Nattermann, Die goldenen Heiligen, Köln 1960, 337. Quirinus Swicker war Kanoniker am Stift St. Aposteln. Er muss in engerer – verwandtschaftlicher? – Beziehung zum Erblasser gestanden haben. Ein Quirinus Stoicker, Kanoniker am Stift St. Aposteln und dessen Bruder Heinrich, Mönch zu Kamp erhielten nach der vorliegenden Urkunde jeweils bis zum Lebensende Zuwendungen, nämlich Quirinus vier Goldfloreni und Heinrich deren zwei, vgl. PAK A 200, pag. 412, Anhang Anordnung 9. Es ist wenig wahrscheinlich, dass zur gleichen Zeit zwei Kanoniker mit dem Namen Quirinus und einem Zunamen gewesen sind, die sich nur in drei Buchstaben unterschieden haben. Jakob Hutter ist ein Neffe (cognatus) des Erblassers. Er wurde 1548 in Kempen geboren. Seine Ausbildung erhielt er, möglicherweise unter Anleitung seines Onkels Adam Ferber, in Köln. Wie dieser war er Professor am Laurentianum, und zwar von 1567 bis 1591. Er war Lizentiat und Dr. theol. Dekan der Artistenfakultät war er 1577 und 1590 Dekan der theologischen Fakultät. Er war Kanoniker am Stift St. Maria ad Gradus und Pfarrer von St. Peter. Rektor der Universität war im Jahre 1598.

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hat14. Schon nach gemeinem kanonischem Recht war der Wille des Erblassers, der im Testament zum Ausdruck gekommen war, zu achten15. In der Urkunde, die aus zehn Abschnitten besteht, wird diese Rechtsregel beachtet. Alles, was der Erblasser angeordnet und verfügt hat, beginnt mit den sich wiederholenden Worten „voluit, statuit et ordinavit“16. Verfügungen der Testamentsvollstrecker werden dagegen in der Präsenzform zum Ausdruck gebracht, wie: „volumus, nolimus, cupimus etc.“. Die Urkunde wird mit der Anrufung Gottes, was der mittelalterlichen Form entspricht, eingeleitet. Danach folgt die Mitteilung, dass die aufgeführten Personen als Testamentsvollzieher (executores testamenti) des Herrn Adam Ferber handeln (notum facimus). Nach dieser Einleitung wird der Testator als Person charakterisiert. Er sei kein nachlässiger Kanoniker gewesen, sondern ein sehr wachsamer (vigilantissime) Pastor und Kanoniker, der sich um das Wohl der Kirche auch noch über seinen Tod hinaus kümmere und deren Nutzen (utilitatem) fördere17. Adam Ferber wird als leuchtendes Beispiel eines guten Presbyters im Dienste der Kölner Kirche in einer Zeit dargestellt, in der der Klerus, gleich ob Kanoniker, Seelsorgepriester oder auch Ordensmitglied in schlechtem Ruf standen. Untauglichen Personen wurde die Priesterweihe erteilt. Das leichtfertige Leben und Treiben der Geistlichen wurde angeprangert. Gottesdienst und Katechese wurden vernachlässigt. Die Konzilsversammlung von Trient hatte sich mit diesem Zustand in der 24. Session befasst und neue Richtlinien für das Priesteramt erlassen18. Diese sollten nach dem Willen des Erblassers zum Leitbild werden, ohne dass es in der Urkunde ausdrücklich erklärt wird. Um gute und fähige 14 15 16 17 18

„Omnia integre adimpleantur ad mentem fundatorium vel dantium eleemosynam“. Vgl. Hans Liermann, Geschichte des Stiftungsrechts, 2. Auflage Tübingen 2002, 119. Clem. 3.6. „Ordinarius loci rationem exigit ac religiosis, etiam exemptis, de testamentorum exsecutionibus, quas gesserint, et, si circa id delinquerint, illos punit“. Vgl. PAK, A 200, siehe Anhang, Anordnungen 2, 3, 4, 5, 6, 7 mitten im Text, 8, 9 und 10. Vgl. PAK, A 200, siehe Anhang, Einleitung, Abs. 1: „olim Canonici et Pastoris vigilantissime“. Vgl. Con. Trid. sess. XXIV c. 14 de. ref. „Qui pie et fidelite in ministeriis ante actis se gesserint, et ad Presbyteratus Ordinem assumuntur, bonum habeant testimonium, et hi sint, qui non modo in Diaconatu ad minus 1. annum integrum, nisi ob Ecclesiae utilitatem, ac necessitatem aliud Episcopo videretur, ministraverint, sed etiam 2. ad populum docendum ea, quae scire omnibus necessarium est ad salutem, ac ministranda Sacramenta, diligenti examine praecedente, idonei comprobentur: atque ita pietate, ac castis moribus conspicui, ut praeclarum bonorum operum exeplum et vitae monita ab eis possint expectari. 3. Curet Episcopus, ut ii saltem diebus Dominicis et festis solemnibus, si autem curam habuerint animarum, tam frequenter, ut suo muneri satisfaciant, Missas celebrent. 4. Cum promoris per saltum, si non ministraverint, Episcopus ex legitima causa possit dispensare“.

Die Studienstiftung Hutteriana des Kanonikers Adam Ferber aus Kempen

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Priester in der nachreformatorischen Zeit zu gewinnen, musste eine fundierte Aus- und eine ordentliche Persönlichkeitsbildung erfolgen, die auch Kindern aus armen Familien offen stehen musste. Der äußere Rahmen zur Erreichung dieses Ziels sollte durch eine bestimmte finanzielle Unterstützung (subsidia) sowie durch Unterkunft und Studium an einem bestimmten Gymnasium, dem Laurentianum, erfolgen („in sustentationem studiorum certa quodam subsidia, quas Portionas19 vocant, de Dei munere sibi concessis instituerit et fundaverit“). Obwohl Adam Ferber als Stifter genannt wird, ist die Stiftung als Hutteriana bekannt geworden. Unter diesem Namen wurde sie unter den Stiftungen der alten Universität und der Gymnasien geführt. Schoenen20 bezeichnet die Namensgebung als zu unrecht erfolgt, ohne nach den Gründen zu fragen. Das ist Stand der bisherigen Forschung geblieben. Eine Urkunde aus dem Jahre 1630 ist des Rätsels Lösung21. Das Ursprungskapital hatte an Wert verloren22 und erbrachte nicht mehr die erforderlichen Erträge. Das führte zu einer Umstrukturierung durch Jakob Hutter und der Namensänderung, obwohl auch danach in Präsentationsschreiben der Name Ferber noch mit genannt wurde23. Materiellrechtlich enthält die Urkunde 1. den Entschluss, eine Studienstiftung von Todeswegen zu gründen und die dazu gehörenden Satzungsbestimmungen, 2. eine Zustiftung oder Dotation zur Errichtung von Räumen für die Stipendiaten und den für diese verantwortlichen Präfekten, 3. die Dotation der 19 20 21

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23

Portio ist der Rechtsbegriff für einen festen Anteil an einem Gesamtvermögen. Vgl. Schoenen, Kölnische Studienstiftungen (wie Anm. 9), 228. Vgl. PAK, AA 31, fol. 208; „Haec Fundatio mutatis omnibus reditibus transiit tandem in Hutterianam, uti sequens Extractus, ex testamento Domini Doctoris jacobi Hutterus anno 1630. [dezem]bris condito, patet“. Vgl. PAK, AA 31, fol. 208: „Insuper quia reditus annui, in usum fundationis D. Avunculi mei, pro sex Portionistis in gymnasio Laurentiano erectae deputati et dati, in sorte principali ad mille trecentos septuaginta quinque thaleros imperiales et centum florenos aureos sortis quoque principalis se extendentes, fere omnes sunt redempti: sic eandem Domini Avunculi mei fundationem augendo, in locum thelerorum imperialium hujus modi substituo, et reddo florenos aureos in subsequentibus antiquis reditibus apud Capitulum Metropolitanum per me emptis, in diversis literis desuper erectis, comprehensis, quorum primus redditus in utroque termino, videlicet nativitatis Christi et Joannis Baptistae viginti tres aureos unam marcam, quinque solidos, et quatuor obulos, alter in utroque termino Nativit[atis] Christi quoque et Joannis Bapt[istae] sex aureos, duas marcas et quatuor obulos, tertio addo duos alios redditus, in antiquis quoque redditibus, quorum unus in utroque termino habet viginti tres aureos, alter vero in utroque termino sexdecim aureos faciunt hi redditus in utroque termino. Ex hac Summa Dominus regens gymnasii Laurentiani accipiet annue pro mercede et distribuenda pecunia attento, quod non magnam habebit molestiam apud Ecclesiam Metropolitanam decem florenos aureos et novem daleros imperiales annui reditus apud Monasterium in Dunwald emptos“. Vgl. etwa PAK, AA 29, fol. 3 vom 3. Mai 1641 oder PAK, AA 29, fol. 52r vom 12. Oktober 1791.

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Bibliothek unter Auflagen und 4. Legate für Familienangehörige, durch die die Erfüllung des Stiftungszwecks auf Zeit beeinträchtigt wird.

1. Die Gründung einer Studienstiftung von Todeswegen Nach dem Willen des Stifters Adam Ferber sollen durch die Stiftung zum Nutzen der Kirche sowie zur Ehre und zum Lobe Gottes optimale Studienbedingungen für einige Theologiestudenten geschaffen werden24. Die Stiftung ist mit dem Gymnasium Laurentianum25 verbunden, das seinen neuen Standort „prope monasterium franciscanorum“ hatte. Für die Wahl dieses Gymnasiums dürfte neben der Lehrtätigkeit des Stifters selbst und ab 1567 seines Neffen an diesem auch die Überlegung gewesen sein, an diesem das Seminar zur Ausbildung von Priestern im Sinne der Beschlüsse des Konzils von Trient einzurichten26. Dazu kam, dass die lateinische Sprache als Sprache der Bildung an diesem Gymnasium sehr gepflegt wurde. Die Hausordnung des Laurentianer-Gymnasiums sah noch im 17. Jahrhundert ausdrücklich vor, dass die Scholaren sich in den Studienhäusern, die sie bewohnten, in Latein zu unterhalten hatten27. Durch die Stiftung sollten sechs Arme in den Genuss einer Unterstützung (subsidia) kommen. Die Voraussetzungen wurden festgelegt. An erster Stelle 24

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26 27

Vgl. PAK, A 200, pag. 408, siehe Anhang Einleitung, „[…] quodam subsidia […], ea ad die rursus honorem et gloriam Ecclesiae Catholicae utilitatem, studiorumque optimorum conservationen et pauperum sustentationem grato animo refunderet“. Das Gymnasium Laurentianum war eines von drei Gymnasien in Köln. Es war, wie die anderen Gymnasien in die Artistenfakultät eingebunden. Es war somit wie die Universität eine städtische Einrichtung, auch wenn der Lehrkörper aus Theologen bestand. Das erfolgreiche Studium der Artes war erforderlich, wenn jemand Jura oder Theologie studieren wollte. Gründer des Gymnasiums, „vulgari nomine bursae Laurentii“, war ein Schüler und Nachfolger des Rektors der Universität, Laurenz – von daher der Name – Beringen aus Groeningen, Domkapitular in Köln. Er kaufte in der „schmier straß“ – heute Komödienstraße (vgl. Peter Glasner, Lexikon der mittelalterlichen Straßennamen Kölns, Köln 2002, 153) – aus eigenen Mitteln ein großes Haus. Dieses herabgekommene Haus übernahm 1569 der Kölner Magistrat, der seinerseits für das Gymnasium an der Minoritenkirche Gebäude erwarb. Der damalige Regens Paul Kuckhoven, Domkapitular zu Köln, steuerte aus eigenen Mitteln 2.000 Gulden zur baulichen Verbesserung bei. In diesen Gebäuden blieb das Gymnasium bis zur Auflösung in der Franzosenzeit. Während am Gymnasium Montanum Philosophie nach den Thesen des hl. Thomas von Aquin gelehrt wurde, richtete sie sich im Laurentianum nach der Doktrin des hl. Albert. Adam Ferber hat am Laurentianum noch in den alten Gebäuden doziert und den Umzug in das Neue miterlebt. Vgl. Alois Schröer, Das Tridentinum und Münster, in: Das Weltkonzil von Trient, hg. von Georg Schreiber, Freiburg 1951, Band 2, 295–370, hier 354. Vgl. HASt Köln, Universitätsakten 762.

Die Studienstiftung Hutteriana des Kanonikers Adam Ferber aus Kempen

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waren die sittlichen und moralischen Eigenschaften der Bewerber gefragt (bono ingenio, bonisque moribus). Sie mussten ehelich geboren sein und von katholischen Eltern abstammen28. Sie sollten wie später in der Urkunde ausgeführt wird, Theologie studieren, um als gute Priester in der Pfarrei tätig sein zu können. Als solche, nämlich Träger eines geistlichen Amtes, sollten sie personae dignae et idoneae sein29. Bei der erforderlichen Vorbildung begnügte sich der Erblasser nicht mit Kenntnissen in Lesen und Schreiben wie es der Beschluss des Konzils vorsah. Er verlangte Kenntnis der Grundzüge der Grammatik. Sie gehörte zu den „septem artes“30, die in den Einrichtungen der Artistenfakultät, als der Eingangsstufe zu weiteren Studien besucht werden musste. Durch diese Forderung steht fest, dass die Stipendiaten ein höheres Alter als zwölf Jahre hatten31. Bei der Auswahl geeigneter Bewerber hatten Verwandte des Erblasser, die in Kempen wohnten, ein Vorrecht32. War aus dem Kreise der Familie kein geeigneter Bewerber vorhanden, folgten als Nächste geeignete Interessenten aus katholischen Familien aus Kempen, die nur geringes Vermögen besaßen. Waren auch darunter keine geeigneten Kandidaten zu finden, sollte der Kreis der Bewerber nach der Urkunde zunächst auf Verwandte aus dem Umland von Kempen und sodann auf andere Personen aus den Nachbarorten erweitert werden33. Die Testamentsvollstrecker, die die Satzung ausformuliert haben, dachten weiter. Sie schlossen nicht aus, dass aus dem Kreis, den der Erblasser vorgesehen hatte, zeitweise niemand gefunden werden könnte. Sie schlossen diese Lücke, in dem sie dem Regens die Freiheit ließen (liberum facimus), die Unterstützung einem anderen nicht an Kempen gebundenen geeigneten Kandidaten zukommen zu lassen. In diesen Fällen wurde die Unterstützung von ihnen im In28

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Vgl. PAK, A 200, siehe Anhang, erste Anordnung. Beide Eltern mussten katholisch sein. Bewerber aus Mischehen fielen aus. Das Erfordernis der ehelichen Geburt hatte seine Grundlage in den Beschlüssen des Konzils von Trient, sess. VII c1.3. de ref. und sess. XXIII. C. 18.5. de ref. „ex legitimo matrimonio nati sint ac legere et scribere competenter noverint“ und „et ex legitimo matrimonio nati sint; non spurii, etiamsi essent legitimati“. Corp, I. C. X. 3. 5. 29. Es sind: Grammatik, Rhetorik und Dialektik als Trivium und Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik als Quadrivium. Der Besuch der Gymnasien begann im Regelfall mit dem 12. Lebensjahr. In den ersten drei Jahren fanden die Grammatikkurse (Infima, Secunda und Syntax) statt. Daran schlossen sich die beiden höheren Kurse Humaniora oder Poetika und Rhetorik an. Die Studiendauer betrug bis dahin 5 Jahre. Was der Scholar in jedem Falle können musste, war Latein. Es war nicht unüblich, dass Familienangehörige bei privaten Familienstiftungen mit Vorrechten bedacht wurden. Häufig lag das Präsentationsrecht und das Recht der Verwaltung in Händen von Angehörigen des Stifters. Vgl. PAK, A 200, siehe Anhang, 2. Anordnung.

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teresse des Stifterwillens auf jeweils sechs Monate beschränkt. Die Frist konnte verlängert werden, wenn nach Ablauf des halben Jahres kein geeigneter Kandidat aus der Familie oder der Gegend um Kempen präsentiert wurde34. Als weitere Rahmenbedingung wurden die Dauer der Unterstützung und das Ziel des Studiums festgelegt. Der Stipendiat hatte dem Studium der Artes bis zum Magistergrad zu obliegen. Der Abschluss dieses Studiums war Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums der Theologie, was eigentlicher Stiftungszweck war. Das Studium der Theologie sollte in der vorgegebenen Zeit von sieben Jahren als Lizentiat abgeschlossen werden. Wer von den Stipendiaten nach dem Abschluss des Artistenstudiums das der Theologie nicht aufnahm, erhielt keine weitere Unterstützung35, musste aber das bisher Erhaltene auch nicht erstatten. Das Auswahlverfahren war zweispurig. Schon beim Vorschlag des Bewerbers war darauf zu achten, dass charakterliche Mängel nicht vorlagen. Eine zweite Prüfung erfolgte durch den Regens des Gymnasiums, der den Kandidaten im Regelfall nicht kannte. Er sollte mit dem Bewerber ein persönliches Gespräch über dessen Studien- und Lebensplanung führen. Waren die Bewerber dazu noch nicht reif, sollte die Befragung zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden. Da die Lebensplanung des Studenten nicht außer acht gelassen werden konnte, hatte es der Stifter für sinnvoll gehalten, seine Motivation für die Gründung in der Urkunde ausführlich darzustellen. Daraus ergibt sich, dass er in all seinem Denken und Tun auf dem Fundament der Beschlüsse des Tridentinums stand. Er sah die Zustände der Seelsorge auf dem Lande. Die Kirche litt darunter. Sie ist „infinitis haeresibus misserime afflictam“36. Diesem Zustand konnte nur abgeholfen werden, wenn taugliche, fromme und gelehrte Männer als Hüter der Herde eingesetzt werden konnten. Um dieses Ziel „facilius“ zu erreichen, hatte er die Stiftung gegründet. Erziehung und Studienunterstützung verlangen nach Disziplin. Der Stifter unterstellte die Stipendiaten der Disziplinargewalt des Regens und der Professoren des Laurentianer-Gymnasiums. Unselige Ausschweifungen wie Kartenspiel, Würfelspiel, Saufen und Waffenspiele (divagando, potitando, negligenter lectiones visitando, chartarum lusoriarum, talorum aut armorum) sollten nicht geduldet werden. Wer sich so verhalte, diene weder dem Ansehen der Wissenschaft, noch der Kirche oder dem Vaterland. Kirche und Vaterland genießen den gleichen Stellenwert, wenn es um den Nutzen geht (fore illos aliquando Ecclesiae ac patriae suae utiles). Nach der Satzung wurde als Disziplinarstrafe für diese Fälle 34 35 36

Vgl. PAK, A 200, siehe Anhang, 1. Anordnung. Vgl. PAK, A 200, siehe Anhang, 2. Anordnung. Vgl. PAK, A 200, siehe Anhang, 2. Anordnung.

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als einzige Strafe der sofortige und endgültige Entzug des Stipendiums angedroht. Vom Regens wird erwartet, dass er seiner Disziplinaraufgabe gerecht wird und über Verfehlungen aus was auch immer für Gründen nicht hinwegsieht. Die Testamentsvollstrecker ergänzen die Anordnungen des Stifters. Verlässt ein Student die Schule, weil die Pest oder eine Seuche ausgebrochen ist, soll er die Unterstützung nicht verlieren, wenn er an einer anderen katholischen Universität oder einem anderen Gymnasium das Studium fortsetzt und dies durch ein Zeugnis des Rektors nachweist. Die Testamentsvollstrecker haben diese Anordnung in eigener Verantwortung getroffen, „volumus, statuimus et ordinamus“. Stiftungen des Mittelalters und der frühen Neuzeit haben zumindest auch das Motiv, den Totenkult in der Form von Gebetsverpflichtungen zu gestalten37. Zur Sicherstellung eines solchen Wunsches bedurfte es einer Organisation, die unabhängig vom Bestand oder Nichtbestand einer Familie war. Darauf wird in der Satzung nach Festlegen von Zweck und Ziel folgerichtig eingegangen. Ist in der Einleitung zur Satzung schon erklärt worden, dass der Erblasser „in testamento pietissimo ad salutem annimae suae constituit“, so werden nun die Mittel aufgeführt, durch die dem Seelenheil gedient werden soll. Es handelt sich um Gebete, die von den Stipendiaten täglich zu seinem und seiner Eltern und Verwandten sowie der Priester und der Wohltäter Heil verrichtet werden sollen. Die vorgeschriebenen Gebete sind der römischen Liturgie entnommen, die nach den Erwägungen des Tridentinums für die ganze Kirche verbindlich werden sollte, de facto aber nicht geworden ist38. Auch wenn in der Satzung der Stiftung die Gebetsverpflichtung enthalten ist, wird die Stiftung nicht zu einem zweiseitigen Geschäft. Für den Stipendiaten entsteht keine schuldrechtliche Verpflichtung. Auch der Zusatz „pro salute animae“ in der Urkunde enthält weder eine rechtsgeschäftliche noch eine obligatorische, sondern allenfalls eine moralische Verpflichtung, die Auflage des Stifters zu erfüllen, wenn man dessen unter einer Auflage gemachtes Geschenk angenommen hat. In der Urkunde ist auch keine echte Kontrolle vorgesehen, noch angegeben, wann und bei welcher Gelegenheit die Gebete, deren Text in das Gebetbuch einzutragen war, verrichtet werden sollten. Man begnügte sich mit der Erwartung und der Hoffnung, dass die Auflage erfüllt werde. 37 38

Vgl. Michael Borgolte, Die Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht, in: ZRG. Kan. Abt. 74 (1988), 71–94, hier 87. In der Erzdiözese Köln gab es Schwierigkeiten, die römische Liturgie einzuführen. Vgl. HAStK Prot. VI. 1460, Cong. 477, vom 15.11.1611. Der erste Entwurf eines Missale war als zu römisch verworfen worden, vgl. Richard Hardegen, Das Kanonikerstift Maria ad Gradus zu Köln (1056–1802), Aachen 2008, 150.

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Nach der Darstellung der Motive des Fundators und des Zweckes der Stiftung sowie der Festschreibung der persönlichen und sachlichen Voraussetzungen, die der Stipendiat zu erfüllen hatte, und des einzuhaltenden Studienganges wird das Verfahren zur Präsentation geeigneter Bewerber festgelegt. Die Präsentation ist eine wesentliche Stufe im Auswahlverfahren. Vor der Präsentation fand eine erste Prüfung durch den Pfarrer der Stiftspfarrei statt. Er übernahm damit auch Verantwortung. Allerdings war das Recht bis zu deren Tod den Testamentsvollstreckern vorbehalten39. Ihnen waren keine Verhaltens- und Formvorschriften gemacht worden. Anders wurde das Verfahren nach deren Tod. Der Pastor von Kempen hatte ein formelles Verfahren einzuhalten. Er hatte das Präsentationsschreiben zu siegeln und die Richtigkeit des Inhaltes zu beeiden. Damit bekam das Schreiben einen amtlichen Charakter. Damit bei Ausscheiden von Stipendiaten die Plätze bewusst oder unbewusst nicht unbesetzt blieben, hatten die Testamentsvollstrecker verfügt, dass der Regens vakante Plätze dem Pfarrer rechtzeitig schriftlich bekannt zu geben hatte (quod Regens pro tempore per litteras certiorem fieri curabit). Sie wiesen ausdrücklich darauf hin, dass bei der Präsentation weder Zuneigung noch Hass eine Rolle spielen dürften. Neben der Satzung bedarf die Stiftung eines entsprechenden Vermögens. Der Stifter hatte in Pfandbriefen angelegtes Kapital bereitgestellt. Dabei handelte es sich zum einen um Kapital im Nennwert von 1.000 Reichstalern und zum anderen um ein solches von 775 Reichstalern. Dieses erbrachte nach der Urkunde einen zu verteilenden Jahresertrag von 5 Reichstalern je 100 Reichstaler Kapital. Das ergab einen Jahresertrag von 88,75 Reichstalern. Daneben brachte er einen weiteren Betrag in Höhe von 300 Goldgulden ein, von denen der Betrag von 250 Goldgulden einen jährlichen Ertrag von 10 Goldgulden erbrachte und die restlichen 50 Goldgulden einen solchen von 2 ½ Gulden, insgesamt 12,5 Goldgulden. Über diese Beträge konnte die Stiftung verfügen. Unterschiedliche Währungseinheiten waren keine Seltenheit40. Der Jahresertrag war, da nach dem Zweck und dem Inhalt der Satzung sechs Studiosi pauperes unterstützt werden sollten, in sechs gleiche Anteile aufzuteilen, portiones41 genannt. Jede Portio sollte nach der Urkunde jährlich mit 15 Reichstaler ausgestattet sein. Bei sechs Portionen wurde jährlich ein Betrag in Höhe von 90 Reichstalern benö39 40

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Das Präsentationsrecht wurde durch die Satzungsbestimmung bis zum Jahre 1637 von Jakob Hutter ausgeführt. Erst danach war der Pfarrer von Kempen zuständig. Im Römischen Reich deutscher Nation gab es keine Währungseinheit. In Österreich und Bayern war der Gulden die maßgebliche Einheit, während in Mittel-, Nord- und Westdeutschland jedenfalls ab 1566 der Reichstaler die gebräuchliche Währung war. Beide Münzeinheiten waren überall einsetzbar. Im Rheinland gab es daneben den Gulden rheinisch, der auch geprägt worden ist. Der Taler hatte einen höheren Wert als der Gulden. Portio ist jeweils der Anteil des erzielten Ertrages, der einem Berechtigten zugeteilt wird.

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tigt. Der Ertrag aus dem Kapital an Reichtalern betrug nur 88,75 Reichstaler, so dass der Restbetrag aus dem Ertrag der Goldgulden genommen werden musste. Nach der Umrechnung in der Urkunde verblieb danach noch ein Betrag in Höhe von sechs Goldgulden, ein Betrag, der nach dem Willen der Testamentsvollstrecker dem Professor zustehen sollte, der die Stipendiaten „privatim diligenter instituat“. Der Betrag schien ihnen allerdings zu bescheiden zu sein, denn er war geringer als der Betrag, den die Stipendiaten erhielten. Aus diesem Grunde fühlte sich Jakob Hutter als Testamentsvollstrecker seines Onkels verpflichtet, wenn auch unter dem Vorbehalt, dazu in der Lage zu sein, einen weiteren Betrag von 300 Reichstaler, die einen Ertrag von 15 Reichstaler erbringen sollten, hinzuzustiften. Der Stifter hatte, wie die Urkunde ausweist, nicht nur die Portionen und deren Höhe für die einzelnen Stipendiaten festgelegt, sondern auch deren Verwendung. Von den 15 Reichtalern je Portion erhielt das Gymnasium, zu dem auch ein Internat gehörte, für Beköstigung, Unterkunft und Verwaltung einen Betrag von 10 Reichstalern. Schließlich hatte der Stifter im Rahmen der Stiftungsanordnungen sich Gedanken darüber gemacht, wie die Werte erhalten bleiben. Er legte deshalb fest, dass der Regens, der erste Professor des Gymnasiums und der Dekan der Artistenfakultät dafür sorgen sollten, dass das Kapital immer ausreichend gewinnbringend angelegt werde42. Diese Personen sollten auch als Patrone, Defensoren und Konservatoren der Stiftung und damit deren Verwalter tätig werden. Damit sind alle Tatbestandsmerkmale, die eine Stiftung ausmachen, erfüllt. Der Rechtscharakter stiftungsartiger Verfügungen im Mittelalter und der frühen Neuzeit ist allerdings strittig43. Dabei geht es wesentlich um die Frage, ob die privatrechtliche Stiftung44 eine juristische Person sei. Nur als solche konnte sie über Eigentum verfügen. Nach römischem Recht konnten Privatpersonen keine Stiftungen mit eigenem Vermögen errichten. Sie konnten nur Vermögen einer bereits bestehenden juristischen Person, etwa der Stadt, als Legat mit Auflagen übertragen45. Rechtlich handelte es sich dabei um eine unselbstständige Stiftung. Die Vermögenswidmung hatte lediglich obligatorischen Cha-

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Vgl. PAK, A 200, pag. 414; siehe Anhang, 8. Anordnung. Vgl. Frank Theisen, Mittelalterliches Stiftungsrecht (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht, 26), Köln 2002. – Hans Liermann, Geschichte des Stiftungsrechts, 2. Auflage Tübingen 2002. – Hans-Jürgen Becker, Kirchliche Stiftungen von der Reformation bis Neuzeit, in: Theologische Realenzyklopädie, Band 32, 170–174 mit umfangreicher Literaturangabe. Juristische Personen des öffentlichen Rechts waren dem römischen Recht bekannt. Vgl. Rudolf Sohm, Ludwig Mitteis, Leopold Wenige, Institutionen, Geschichte und System des römischen Privatrechts, 17. Auflage München–Leipzig 1923, 203–204. Vgl. Ludwig Mitteis, Römisches Privatrecht, Leipzig 1908, Band 1, 414–416.

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rakter. Das Vermögen gehörte nicht der Stiftung, sondern etwa bei Studienstiftungen, der Universität. In der christlichen Kaiserzeit nimmt die durch private Personen geschaffene Stiftung im Rechtssinn in der Form der pia causa allmählich Gestalt an46. Das zu diesem Zweck hingegebene Vermögen wurde zu einer Art Kirchengut47. Damit unterlag die pia causa dem Kirchenregiment. Sie nahm an der Kraft allgemeinen Rechts bestehenden Vermögens-fähigkeit der kirchlichen Anstalt teil. Aus diesem Grund bedurfte es keiner besonderen Verleihung der juristischen Persönlichkeit. Andere Autoren kamen mit anderer Begründung zu einem gleichartigen Ergebnis. So vertrat Kaser48 die Meinung, in der Antike sei die Dogmatik einer Rechtsfigur nicht entwickelt worden. Dennoch habe die Kirche als Rechtssubjekt am Rechtsverkehr teilgenommen. Das dogmatische Nichtvorhandensein einer juristischen Person des Privatrechts ist der Grundtenor aller Erörterungen zum Stiftungsrecht der Antike bis zur frühen Neuzeit49. Dennoch kommen sie zu dem Ergebnis, dass sich für Stiftungen eine Art juristischer Persönlichkeit herausgebildet habe. Sicherlich ist die Diskussion in der deutschen kanonistischen Forschung zu dieser Frage gegen Ende des 19. Jahrhunderts vom modernen Stiftungsrechtsbegriff beeinflusst worden. Das errichtete Gedankengebäude hat allerdings die tatsächliche historische Grundlage nicht genügend berücksichtigt. Einen anderen Ansatz versuchte die sozialhistorische Forschung50. Sie versteht die Stiftung als Personenverband51. Bedeutsam für diese Meinung ist, dass 46

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Vgl. Manfred Baldus, Der Rechtsstatus des Bischöflichen Priesterseminars zu Münster unter besonderer Berücksichtigung seiner Vertretung in Vermögensangelegenheiten, in: ZSG Kan. Abt. 92 (2006), 494 – 535, hier 500. Vgl. Rudolf Sohm, Institutionen, Geschichte und System des römischen Privatrechts, 15. Auflage München–Leipzig 1917, 229. Vgl. Max Kaser, Das römische Privatrecht, 2. Abschnitt, 2. Auflage München 1975, 157 und Anm. 49. Er führt unter Hinweis auf eine Reihe von Reskripten der frühen Spätantike aus, dass die Kirche eindeutig als Personenverband definiert worden sei. Vgl. in der deutschsprachigen Literatur: Kaser, Das römische Privatrecht (Anm. 47), 467 und 566. – Franz Wieacker, Besprechung von: Eberhard F. Bruck, Kirchenväter und soziales Erbrecht, in: ZRG Rom. Abt. 74 (1957), 482. – Artur Steinwenter, Die Rechtsstellung der Kirchen und Klöster nach den Papyri, in: ZRG, Kan. Abt. 19 (1930), 1–50, hier 3. Vgl., Stiftungen für das Seelenheil, in: Gedächtnis, das Gemeinschaft stiftet, hg. von Karl Schmid (Schriftenreihe der katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg), München– Zürich 1985, 51–73. – Otto Gerhard Oexle, Die Gegenwart der Lebenden und der Toten. Gedanken über Memoria, in: Gedächtnis, das Gemeinschaft stiftet (wie vor), 74–89. – Michael Borgolte, Die Stiftungen des Mittelalters in rechtsgeschichtlicher und sozialgeschichtlicher Sicht, in: ZRG Kan. Abt. 105 (1988), 71–94. Vgl. Borgolte, Die Stiftungen des Mittelalters (wie Anm. 50), 85.

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es soziale Wechselbeziehungen zwischen Lebenden und Toten gebe. Der Tote habe in Alteuropa einen Status, der, wie Oexle52 erklärt, nicht vom subjektiven Andenken bestimmt werde, das im Belieben des Lebenden stehe, sondern eine objektive Gegebenheit sei. Die Toten seien Personen im Rechtssinne. Sie seien Rechtssubjekte und von daher auch Subjekte von Beziehungen zur menschlichen Gesellschaft. Die rechtlichen Voraussetzungen scheinen mir nicht bedacht worden zu sein, die metaphysischen, transzendentalen Verbindungen dagegen überbetont. Von Campenhausen scheint die Meinung zu vertreten, bei den Stiftungen an den Kölner Gymnasien habe es sich ursprünglich um rechtlich unselbstständige Stiftungen gehandelt. Er erklärt dann aber weiter, das Recht der unselbstständigen Stiftungen komme im normalen Stiftungsrecht gar nicht vor53. Wäre diese Auffassung bei der Aufhebung der Gymnasien herrschend gewesen, hätten sie ihren Bestand während der Besetzung durch die Franzosen nicht behalten. Näher als die bisher angesprochenen Konstruktionen liegt m. E. der Gedanke an ein Gewohnheitsrecht. Gewohnheitsrecht hat es in der Kirche immer gegeben. In der Kirche bildeten sich zur Regelung von Sachverhalten rechtlich bedeutsame Gewohnheiten, ohne dass ein Gesetz erlassen wurde. Unter Gewohnheitsrecht versteht man eine durch wiederholtes Tun des christlichen Volkes bei Zulassung durch den Gesetzgeber begründete Rechtsnorm54. Im Corpus Juris Canonici fand das Gewohnheitsrecht seinen Niederschlag. Zur Entstehung von Gewohnheitsrecht ist erforderlich: 1. Die Gewohnheit muss in einem Bezirk bestehen, in dem ein kirchlicher Oberer Recht schaffen kann, und die Gewohnheit muss von der Mehrheit in diesem Bezirk ausgeübt werden55. 2. Die Gewohnheit muss rationabilis sein. Sie darf weder dem göttlichen noch dem Naturrecht widersprechen56. 52 53

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Vgl. Otto Gerhard Oexle, Die Gegenwart der Toten, in: Death in the Midele Ages, hg. von Herman Braet, Werner Verbeke, Leuven 1983, 19–77, hier 22. Vgl. Axel Freiherr von Campenhausen, Zwischen Selbständigkeit und staatlicher Rechtsaufsicht, zur Sonderstellung der öffentlich-rechtlichen Stiftungen, in: Bildung stiften, hg. vom Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds, Köln 2000, 172–176, hier 174. – Axel Freiherr von Campenhausen, in: Seifart, Axel von Campenhausen, Handbuch des Stiftungsrechts, 2. Auflage 1999, 80–84. Vgl. Johann Baptist Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts, 3. Auflage Freiburg 1914, Band 1, 111–115. Vgl. X.1.4.7, „Non potest induci ex consuetudine, ut quis possit dimittere dignitatem sine superioris licentia, vel ut possit, electus administrare, non abita confirmatione a superiore”. Vgl. X. 1. 4, 11, „Consuetudo non derogat iuri naturali sei divino, cuius transgressio peccatum inducit; nec positivo, nisi sit rationabilis et praescripta”.

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3. Die Gewohnheit muss auf der irrtumsfreien Überzeugung beruhen, so und nicht anders handeln zu können. 4. Das Gewohnheitsrecht muss anerkannt und ausgeübt werden. 5. Das Gewohnheitsrecht muss canonice praescripta sein Alle diese Voraussetzungen sind bei der Stiftung Hutteriana gegeben. Studienstiftungen für arme Studenten waren bekannt und nicht unüblich. Die Stifter waren überzeugt, so handeln zu dürfen, zumal die Konzilsväter beim Konzil von Trient das Anliegen, armen (pauperes) Studenten das Studium der Theologie in guter Qualität zu ermöglichen, gefordert hatten. Eine zu diesem Zweck gegründete Stiftung widersprach weder göttlichem Recht noch dem Naturrecht, der offenbarten Glaubens- und Sittenlehre oder der Verfassung der Kirche. Nach dem Inhalt des Gewohnheitsrechts war die Stiftung (fundatio) eine juristische Person, der vom Stifter Vermögenswerte auf Dauer anvertraut worden waren mit der einzigen Auflage, die Erträge aus dem Vermögen nach den Auflagen des Stifters, die in der Urkunde festgeschrieben worden sind, zu verwenden und das Stammvermögen zu mehren oder wenigstens zu erhalten. Zur Sicherstellung des Stifterwillens waren Verwaltungs- und Kontrollmechanismen auf Dauer eingerichtet worden57. Die Stiftung hat, so wie in der Urkunde festgelegt, bis zum Einmarsch der Franzosen in die Stadt Köln bestanden. Das Gebäude des Gymnasiums wurde nach dem Frieden von Campo Formio vom 17.10.1797 für militärische Zwecke genutzt. Das Gymnasium Laurentianum wurde durch Beschluss vom 12. Vendemaire VII (3.10.1797) aufgehoben58. Damit war das Ende des Gymnasiums besiegelt. Die auf Kosten des Stifters errichteten und eingerichteten Schlafgemächer sowie die Stuben wurden dem Eigentumswechsel folgend, eingezogen. Die Bibliothek wurde beschlagnahmt. Die mit der Verwaltung und Aufsicht betrauten Personen verloren mit der Aufhebung der Schule ihr Amt. In Frankreich war das Stiftungsvermögen ohne Rücksicht auf die Entstehungsgeschichte durch Gesetze vom 8.3. und 5.5.1793 zu Staatseigentum erklärt worden59. Vier Jahre später wurde diese Bestimmung wieder abgeändert, nämlich durch Gesetz vom 25. Messidor des Jahres V (13.7.1997). 57 58

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Vgl. PAK, A 200, pag. 414, siehe Anhang, 8. Anordnung. Vgl. Franz Joseph von Bianco, Versuch einer Geschichte der ehemaligen Universität und der Gymnasien der Stadt Köln, Köln 1833, 536–537. „Art. 1. Le collège des ci-devant Jesuites, l ´ècole dite Schola domestica vulgo: Seminaire, les gymnases des Laurentiens et des Montaines sont supprimés dans la commune de Cologne“. Vgl. auch Schoenen, Die kölnischen Studienstiftungen (wie Anm. 9), 3. Vgl. Schoenen, Die kölnischen Studienstiftungen (wie Anm. 9), 10. „Art. 1. Décret de 8. Mars 1793: Les biens formant in dotation des collèges, des bourses et de tous autres établissements d´instruction publique francois, sons quelque dènomination quíls existent, se-

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Das Stiftungsvermögen war freies Eigentum des französischen Fiskus geworden. Bei der Verfügung darüber war die Verwaltung zurückhaltend gewesen, so dass tatsächlich keine Verluste beim Stiftungskapitalvermögen eingetreten sind. Als an die Stelle der aufgelösten Gymnasien neue Schöpfungen zur Bildung entstanden, folgten diesen die Studienstiftungen. In Köln wurde durch Verordnung des Regierungskommissars Rudler vom 11. Brumaire VII (1.11.1798) am 21.11.1798 die „école centrale“ errichtet. Der Lehrkörper wurde als Kollegium mit der Verwaltung der ganzen zugewiesenen Vermögensmasse betraut. Er verfügte auch über das Stiftungsvermögen, zu dem auch die Stiftung Hutteriana gehörte. Das ergibt sich aus dem Beschluss der Professorenversammlung vom 17. Pluviose VII60. Durch die nicht stiftergerechte Verwendung der Stiftungsgelder erlitten die Stiftungen Verluste. Die Verwaltung durch die Professoren erwies sich als nicht sachgerecht. Die Klagen häuften sich. Der Generalregierungskommissar Shée sah sich veranlasst einzugreifen. Zur Verwaltung des Studienstiftungsvermögens setzte er am 20.7.1800 eine aus Kölner Bürgern zusammengesetzte „commission administrative“ aus fünf Mitgliedern ein. Durch die darauf folgende Verordnung des Präfekten Simon vom 8. und 12. Frimaire a. IX (8.12.1800) wurden Stiftungs- und Schulvermögen getrennt. Die in den Stiftungsurkunden vorgesehenen Mitwirkungsrechte (etwa Präsentation) wurden aufgehoben, soweit nicht Familienangehörige betroffen wurden. Die Hutteriana gehörte zu denjenigen Stiftungen, die von der Maßnahme betroffen waren. Die vorgesehenen Verwalter und der Präsentator verloren ihr Amt. Diese Regelung blieb bestehen, als das Rheinland im Jahre 1815 unter preußische Verwaltung kam. Die Bestätigung befindet sich in einer Verlautbarung des Königlichen Ministeriums für geistliche Angelegenheiten vom 25.10.183261.

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rout dès-a-présent vendus dans la même forme et aux mèmes conditions que les autres dominaines de la république“. Vgl. Schoenen, Die kölnischen Studienstiftungen (wie Anm. 9), 11. Vgl. Amtsblatt der Regierung zu Köln von 1834, 41. Die Verfügung des ProvinzialSchulkollegiums vom 31. Januar 1834 hat folgenden Wortlaut: „Nachdem durch Verfügung des Kgl. Ministeriums der geistlichen etc. Angelegenheiten vom 25.Oktober 1832 ein eigener Verwaltungsrath der Stiftungsfonds in Köln angeordnet, und derselbe mit einer seine Funktion bestimmenden Instruktion versehen worden ist, so bringen wir in Beziehung auf die zur Verwaltung des gedachten Verwaltungsrathes gehörenden Stiftungen hierdurch in Erinnerung, dass das durch die betreffenden Gesetze erloschene, Präsentations- und Inspektionsrecht an den Verwaltungsrath der Stiftungsfonds zu Köln übergegangen ist, die Ausübung desselben jedoch für die stiftungsmäßig berufenen Descendenten der Stifter auch fernerhin bestehen bleibt“.

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Die „école centrale“, untergebracht in den Räumen des Triconoratum, hat nicht lange bestanden. Sie wurde am 22.12.1803 geschlossen, um einer neuen Schulform Platz zu machen, Dabei handelte es sich um eine Sekundarschule auf der Grundlage des Unterrichtsgesetzes vom 11. Floreal X62. Sie wurde am 1. Frimaire XII (23.11.1803) als Gemeinschaftsschule in den Gebäuden des Gymnasiums Laurentianum eröffnet. Die Verwaltung wurde der „commission administrativ“ übertragen. Bei Errichtung dieser Schule war auch angeordnet worden, dass die Zöglinge, welche durch Familienstiftungen eines der drei Gymnasien in Köln (ab infima usque ad philosophicam) besuchen mussten, nunmehr die Gemeindeschule (vierklassig) zu besuchen hatten, wenn sie in den Genuss des Stipendiums kommen wollten63. Eine Neuregelung erfolgte sodann durch Erlass Napoleons vom 22. Brumaire XIV (13.11.1805), der Gesetzeskraft hatte. Er enthielt ausschließlich für die Stadt Köln bestimmte Anordnungen64. Dadurch wurden die Stiftungen als solche anerkannt. Eine Eingliederung in den Staatshaushalt fand nicht statt. Sie unterstanden nur einer eigenen Verwaltung, die allerdings, wie nach französischem Recht üblich, vom Staat kontrolliert wurde65. Die Stipendiaten selbst waren verpflichtet, eine der in Köln errichteten Sekundarschulen zu besuchen. Die von den Stiftern auferlegten Verpflichtungen blieben bestehen66. Als Dienstnorm für die Verwaltungskommission war festgelegt worden, dass die Erträge aus dem Stiftungsvermögen nur an die urkundlich 62

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Vgl. Gesetz vom 11. Floreal X, Art. VI: „Toute école établie par les communes on tenue par les particuliers, dans laquelle en enseignera les langues latine et francaise, les premiers principes de la géographie, de l´histoire et des mathématiques, sera considerée comme école, comme école sécondaire“. Vgl. Schoenen, Die kölnischen Stiftungen (wie Anm. 9), 16. Die amtliche Veröffentlichung erfolgte im Recueil des actes de la Préfecture du departement de la Roér 1806, 213 im Auszug und 309 vollständig. Eingerichtet wird die Kommunal-Sekundarschule ersten Grades und die Sekundarschule zweiten Grades. Diesen wurde alle Güter und Kapitalien und Einkünfte aus den Stiftungen der ehemaligen Gymnasien einschließlich der des aufgehobenen Jesuitenkollegs in Köln zugewiesen. „Art. 3. Tous les biens capitaux et revenus des fondations et bourses d´étude des ci–devant Gymnases et tous les biens capitaux et revenus provenant des Jésuites supprimés, spécialement et originairement affectés aux établissemens d´instruction publique de Cologne, sont destinés á l´entretien des école des premier et second degrés de cette ville“. Die Verwaltung des Vermögens wurde einer besonderen Verwaltungskammer übertragen. Dadurch und durch die Zweckbestimmung schied das Vermögen aus dem Staatsfonds aus und erhielt vermögensrechtliche Selbständigkeit. Damit war de facto die Eigenschaft einer juristischen Person gewonnen worden. Vgl. „Art. 30. Le bureau d´administration, après avoir reconu les droits du titulaire, inscrira son enfant sur le tableau des bousiers. Ce tableau sera arrrété tous les ans par le préfet du departement“. Vgl. „Art. 31. Les candidats admis aux fondations devrout, pour eu jouir, frequenter l´une ou l´autre des écoles et remplir toutes les obligations imposées par les fondateurs“.

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berufenen Anwärter verteilt werden durfte. Das privatrechtliche Verteilungsverfahren war durch ein öffentlich rechtliches Verwaltungsverfahren ersetzt worden. Die Verwalter handelten nicht mehr als Vertreter oder Beauftragte des Stifters, sondern als mit besonderen Befugnissen ausgestattete Behörde, wie das Königliche Obertribunal durch Entscheid aus dem Jahre 1861 bestätigt hat67. Dennoch blieben die Stiftungen samt Stiftungsvermögen und Stiftungszweck, wenn auch unter anderen Verwaltungsstrukturen, erhalten. Das Bewerbungsverfahren ist durch Gesetz geändert worden. Die Bewerber etwa aus Kempen wurden nicht mehr vom Pfarrer in Kempen präsentiert, sondern bewarben sich bei der Verwaltungskammer. Dabei ist zu beachten, dass die Verleihung durch die Verwaltungskammer kein Recht auf ein Stipendium schuf, sondern lediglich in der Feststellung bestand, was nach der Stifterurkunde rechtmäßig war. Napoleon nennt diese Tätigkeit im Erlass „avoir reconnu les droits du titulaire“. Nach diesen Grundsätzen hat die preußische Verwaltung in jedem Falle bis zum Jahr 1868 gehandelt. In den Jahren bis dahin wurden die Gesetze nicht geändert, aber die Sekundarschulen, für die die Gesetze erlassen worden waren. Es entstanden in Köln zwei Gymnasien, nämlich das katholische Gymnasium und das Friedrich Wilhelm Gymnasium. Mit dem Erlass vom 25.5.1868 trat eine Änderung bei der Verwaltung ein. Sie wurde umbenannt in „Verwaltungsrath der Gymnasial- und Stiftungsfonds“. Der Erlass hatte folgenden Wortlaut: „§ 13. Dagegen können die StudienStipendien, welche bei jenen ehemaligen Gymnasien der Stadt Köln gegründet worden sind, oder deren Genuss stiftungsmäßig an den Besuch eines dieser Gymnasien gebunden war, fortan bei allen katholischen Gymnasien und Progymnasien des Inlandes so wie bei allen denjenigen inländischen Gymnasien und Progymnasien genossen werden, bei welchen für die Erteilung katholischen Religionsunterrichts und für katholische Seesorge der Zöglinge gesorgt ist“. So wurde die Ortsgebundenheit für den Stipendiaten aufgehoben, nicht aber für den Sitz der Stiftung. Diese Veränderung war im Jahre 1860 von Bedeutung. Die Stadtgemeinde Kempen errichtete in diesem Jahr ein Gymnasium. Sie suchte aus diesem Grunde beim Minister für geistliche Angelegenheiten nach, die Stiftung Hutteriana an das neu errichtete Gymnasium zu überweisen. Der Antrag wurde auf Weisung des Ministers vom Provinzial-Schulkollegium am 28.2.1860 abgelehnt. Es erklärte, die Abtrennung der Stiftung Hutteriana von Köln nach Kempen sei nicht möglich. Es handle sich um eine Stiftung an einem ehemaligen Kölner Gymnasium. Die Stiftungsmasse sei nach dem napoleonischen Dekret vom 22. Brumaire a, XIV (13.11.1805) vom Gymnasium Laurentianum auf die in der Stadt neu gegründeten höheren Lehranstalten beigelegt worden. Außerdem habe der Stif67

Vgl. Archiv für Civil- und Kriminalrecht 56, Abt. 2, 71–72.

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ter den Willen erklärt, dass der Ort Köln sein soll, an dem die Zöglinge ihre Ausbildung erhalten sollten. Diese Begründung ist sehr vordergründig. Nicht der Studienort dürfte den Willen des Erblassers beeinflusst haben, sondern die Tatsache, dass er selbst und auch sein Neffe an dieser Schule unterrichtet haben. Die Stiftung Ferber68 besteht auch heute noch. Schoenen bezifferte das Kapital 1892 auf 50.800 RM und den Ertrag mit jährlich 1.920 RM. Um bessere Erträge zu erzielen, sind die Kapitalien einzelner Stiftungen zu einem Sammelfonds vereinigt worden. Die Berechtigten werden bis heute, auch wenn die Stiftung nun eine öffentlich-rechtliche ist, unter Beachtung des Stifterwillens ausgewählt69.

2. Die Zustiftung von Räumen Nach dem Testament, dessen Inhalt sich aus der Urkunde ergibt, hatte der Stifter Adam Ferber70 angeordnet, dass für Stipendiaten aus seiner Studienstiftung drei komplette Nachtlager im Gymnasialgebäude bereitgestellt werden sollen, für deren Ausstattung er das notwendige Kapital bereit stellte. Besonders bemerkenswert ist die Anordnung, dass der Regens für schwarz gewordene und verschlissene Decken Ersatz zu beschaffen hatte. Das scheint nicht Allgemeingut gewesen zu sein. Die Testamentsvollstrecker hatten, wozu sie berechtigt waren und was sich aus der Urkunde ergibt, eine bessere Lösung gefunden. Der Stifter wollte in jedem Falle drei Wohnplätze für die Stipendiaten seiner Stiftung gesichert wissen. Die Testamentsvollstrecker sicherten im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung mit dem Regens, Schlaf- und Aufenthaltsplätze für alle sechs Stipendiaten und außerdem für den für diese zuständigen Präfekten. Nach dem Vertrag mit Regens Euchovius wurden am Ostteil (versus orientem) des Gebäudes zwei Schlafräume und zwei Stuben übereinander liegend erbaut. Im oberen Bereich wurden vier Schlaflager für Studenten untergebracht und in den Räumen darunter der für die Stipendiaten zuständige Lehrer und zwei Studenten. Nach der Vereinbarung standen diese Räume immer für Stipendiaten der Stiftung Ferber (Hutteriana) bereit. Die Errichtung dieser Räume und deren Einrichtung war nicht Gegenstand der Studienstiftung, sondern eine separate Dotation an den Träger des Gymnasiums. Das war wie bei der Universität der Magistrat der Stadt Köln. Mit der Annahme der Dotation war die Verpflichtung verbunden, diese Räume ausschließlich im Sinne der von den Testamentsvoll68 69

70

Vgl. Bildung stiften, hg. vom Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds, Köln 2000, 178. Vgl. Thomas Erdle, Moderne Betriebswirtschaft mit Traditionsbewusstsein, Stiftungsspezifische Vermögensverwaltung des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds, in: Bildung stiften, hg. vom Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds, Köln 2000, 148–165, hier 149. Vgl. PAK, A 200, pag. 412, siehe Anhang, siebte Anordnung.

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streckern geforderten Auflagen zu nutzen. Alleinige Eigentümerin der errichteten Gebäudeteile wurde und blieb die Stadt Köln. Rechtlich handelte es sich um eine Zustiftung unter Auflagen.

3. Dotation einer Bibliothek Adam Ferber war Besitzer und Eigentümer einer umfangreichen und wertvollen Bibliothek71. Diese hatte er zur Nutzung auf Lebenszeit seinem Neffen Jakob Hutter, der noch zu Lebzeiten Professor am Gymnasium Laurentianum geworden war, zur Verfügung gestellt. Nach dessen Tod sollte sie dem Gymnasium gehören. Rechtlich handelte es sich dabei um eine von der Studienstiftung unabhängige Dotation. Sie war mit Auflagen verbunden worden. Danach sollte die Bibliothek in einem besonderen Raum untergebracht werden und den Studierenden, insbesondere denen seiner Studienstiftung, zur Förderung des Studiums der Theologie bereitgestellt werden. Zur Sicherung des Bestandes sollte sie in dem Raum untergebracht werden, in dem sich der für die Stipendiaten zuständige Lehrer aufhielt. Über den Bestand war ein Inventarverzeichnis zu erstellen. Der Regens hatte jährlich zu einem bestimmten Zeitpunkt die Bibliothek auf Vollständigkeit und Zustand zu prüfen. Aufgetretene Verluste mussten ersetzt und der Bestand ergänzt werden. Da die Bibliothek nicht zur Stiftung gehörte, wurde sie nach der Auflösung des Gymnasiums freies Eigentum der Eroberer und der Stadt Köln72.

4. Die Legate Nach der Urkunde hat der Testator sein Vermögen aus seiner Tätigkeit für die Kirche erworben (ut quo Dei Beneficio ex laboribus suis et Ministris Ecclesiasticis perceperat)73. Über dieses Vermögen kann er rechtlich frei verfügen. Er kann es auch vererben. Andererseits betonten die Konzilsväter des Konzils von Trient, dass für Geistliche die Gewissenspflicht bestehe, die über die Kirche erzielten Einkünfte nicht zur bloßen Bereicherung der Verwandten und Hausgenossen zu verwenden, sondern zu guten Zwecken74. Der Charakter dieser Verpflichtung ist in der Literatur umstritten. Dabei geht es um die Frage, ob die 71 72

73 74

Vgl. PAK, A 200, pag. 413, siehe Anhang, siebte Anordnung. Vgl. Wolfgang Schmitz, Die Kölner Gymnasialbibliothek, Buchbestände und Handschriften aus sechs Jahrhunderten, in Bildung stiften, hg. vom Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds, Köln 2000, S. 84–93, hier 86. Vgl. PAK, A 200, pag. 408, siehe Anhang, Einleitung. Vgl. Con. Trient. Sess. XXV, de. ref. C. 1., siehe auch X.3.26.9 „De bonis propriis vel acquisitis intuitu personae clerici testari possunt, de acquisitis intuitu ecclesiae non“.

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Verpflichtung rechtsverbindlich oder nur als moralisch zu betrachten sei. Bestünde eine Rechtspflicht, so hätte das zur Folge, dass abweichende Verfügungen eine Restitutionspflicht des verfügenden Geistlichen oder des von ihm Bedachten auslösen würde. Klaps75 vertritt wohl richtigerweise dazu die Ansicht, dass der Geistliche nicht nach Gratian und Dekretenrecht, wohl aber nach dem Gewohnheitsrecht sein gesamtes Pfründeneinkommen zu eigen erwerbe. Sein Eigentum sei aber darauf beschränkt gewesen, über die „bona superflua“ nicht zu weltlichen Zwecken verfügen zu können, vielmehr rechtlich (ex iustitia legali) verpflichtet gewesen sei, diese für gute Zwecke zu verwenden. Eine gegenteilige Verfügung hätte nach kirchlichem Recht angefochten werden können. War das Erbe gesetzlichen Erben zugeflossen, konnten sie es behalten. Adam Ferber hatte den Erben keine Sache vererbt, sondern nur den Nutzen an einem Teil überlassen, der mit dem Tod des Längstlebenden endgültig endete. Sie konnten darüber nicht weiter verfügen. Der in der Urkunde als Legat ausgewiesene Ertragsanteil am Stiftungsvermögen fiel an die Stiftung zurück. Die Legate an Schwester und Neffen hatten allerdings zur Folge, dass bis zu deren Tod nur vier Stipendien an Studenten vergeben werden konnten und bis zum Tod der Brüder Stoicker als Zuteilung für den die Aufsicht führenden Präfekten aus den Vermögenserträgen der Stiftung nichts verblieb, es sei denn Jakob Hutter hätte die von ihm selbst zugesagte Ergänzung der Stiftung um 300 Reichsmark schon erfüllt. Durch die Legate ist die Stiftung selbst in ihrem Bestand nicht betroffen gewesen. Lediglich über deren Erträge ist für absehbare Zeit anderweitig verfügt worden. Das stand im freien Ermessen des Erblassers und Stifters.

Zusammenfassung Die Stiftung, Hutteriana genannt, besteht seit 1577 bis auf den heutigen Tag, wenn auch unter geänderter Rechtsstruktur. Der in der Verfügung der Testamentsvollstrecker niedergelegte Stifterwille hat nicht nur die Zeit, sondern auch politische und rechtliche Veränderungen überdauert. Studenten aus Kempen können auch heute noch Stipendien zum Studium der Theologie beim Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds beantragen. Sie erhalten auch einen positiven Bescheid, wenn die sachlichen und persönlichen – dazu gehört nicht mehr die legitime natus – Voraussetzungen, niederlegt in der Stiftungsurkunde, vorliegen. 75

Vgl. Johannes Klaps, Das Testamentsrecht der Weltgeistlichen und Ordenspersonen in Rechtsgeschichte, Kirchenrecht und Bürgerlichem Recht Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, München 1958, 53 und 56.

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Anhang Text der Urkunde aus dem Kopiar des Propsteiarchivs Kempen PAK, A 200, pag. 408–42076 Tenor fundationis in gymnasio Laurentiano Colonia pro sex pauperibus studiosis Kempensibus fundatore D. Adamo Ferber Kempensi 1577 mortuo.

[Einleitung:] In nomine Domini amen. Universis et singulis praesentes litteras77 visuris, lecturis aut legi audituris, Nos Joannes a Kempis Ss. legum doctor, Archiepiscopalis Curiae Coloniensis Officialis, necnon Metropolitanae Ecclesiae presbyter78 Canonicus, Guilielmus Nyenhaus Horstanus, S. Gereonis, Quirinus Swicker Ss. Apostolorum Canonici, et Joannes79 Hutterus Kempensis artium liberalium Professor et sacrae Theologiae Licentiatus tanquam Executores Testamenti atque ultimae voluntatis et respective Cognati, quondam pietate atque doctrina praestantis viri Domini Adami Ferber Kempensis, S. Theologiae licentiati, insignium collegiatae S. Gereonis et parochialis S. Laurentii Ecclesiarum olim Canonici et Pastoris vigilantissimi, cuius anima per dei gratiam aeterna pace fruatur, notum facimus et praesentibus attestamur; quod dictus Dominus Adamus inter alia, quae suo testamento pientissime ad salutem animae suae constituit in sustentationem studiosorum certa quaedam subsidia, quas portiones vocant, de bonis Dei munere sibi concessis instituerit et fundaverit: ut, quae Dei beneficio ex laboribus suis et ministeriis ecclesiasticis perceperat, ea ad Dei rursus honorem et gloriam, ecclesiae catholicae utilitatem, studiorumque optimorum conservationem et pauperum sustentationem grato animo refunderet.

[Erste Anordnung:] Imprimis itaque voluit, statuit et ordinavit, quod in Gymnasio Laurentiano prope monasterium Franciscanorum bonis litteris operam dabunt sex pauperes bono ingenio bonisque moribus adulescentes ex oppido Kempensi, iustis nuptiis, catholicis parentibus oriundi Grammaticae praeceptis satis imbuti, eos primum 76

77 78 79

Es wird auf die Auflistung der Bücher der gestifteten Bibliothek und die Aufzählung der einzelnen Vermögenswerte verzichtet, die Grundlagen der Stiftung sind. Sie sind aufgeführt in PAK, A 200, pag. 415-417. In der Abschrift des Urkundenbuchs der kölnischen Gymnasialstiftungen, Köln 1915, 312, mit einem „t“ geschrieben. Abschrift Urkundenbuch Anm. 2: „praesbyter“. Abschrift Urkundenbuch Anm. 2: „Jacobus“.

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ex genere et familia sua eligi et assumi voluit, sic ut iis deficientibus aliorum tenuioris fortunae civium catholicorum filii cooptentur, sed si tot adolescentes sicut praemittitur, qualificati neque ex cognatione necque ex patria Dni. Fundatoris oppido Kempensi haberi possint; tunc admittendi sunt primum cognati extra oppidum Kempensi nati, inde non cognate sive ex vicinis pagio assumendi, qui in litteris, moribus et religione catholica pie liberaliterque educati sint, quod si ne sic quidam Dno. Regenti intra duos menses post decessum unius aut plurium portionistarum quisquam praesentatus fuerit, liberum ei facimus, ut de huiusmodi subsidio sive portione alii alicui adolescenti pio et studioso provideat, quia gaudere poterit, minimum ad semestre, sed non ultra, si alios legittime praesentari contigerit.

[Zweite Anordnung:] Item voluit, statuit et ordinavit, quod sex isti studiosi hoc subsidio litterario uti frui poterunt ad septennium, sic ut studia sua diligentissime persequantur, primum in bonis (artibus)80 usque ad gradum Magisterii; deinde vero in Sacra Theologia usque ad ad Ss.81 Theologiam animum applicare, dimittendi erunt, quin antequam admittantur, licentiam inclusive, sic tamen illud limitando, quod simul cum aequalibus suis progredi atque istum cursum82 studiorum ac promotionum in artibus et S. Theologia intra septennium absolvere debeant, ac si qui erunt, qui artium studio conferto, nolint per Regentem de scopo vitae ac studiorum serio rogandi sunt, si fuerint mediocriter corroboratae aetatis, ut de genere studiorum et vitae apud se deliberare et constituere aliquid possint, si minus, exspectandum donec longius aetate et studio processerint, quicunque aut a sacris ordinibus et sacro Sanctae Theologicae studio his temporibus omnium maxime necessario se esse alienos declaraverint, suscipiendi non sunt, atque adeo semel suscepti continuo dimittendi, Mens enim Domini fundatoris et intentio fuit, hac fundatione per aliqualem sustentationem piamque et liberalem institutionem bonae indolis adolescentum juvare catholicam Ecclesiam infinitis haeresibus miserrime afflictam; ut cum aliis in locis, tum in patria sua oppido Kempensi, vicisque et pagis vicinis haberi possint ad curam animarum gerendam viri idonei, gregisque dominaci pastores et doctores et pii et eruditi eum finem quo facilius consequeretur summopere desideravit et optavit antedictus Dnus. Testator a gradu Magisterii in nummerum Professorum ex his studiosis legi et assumi eos, qui ad istam provinciam Dni. Regentis et praeceptorum judicio in posterum non indigni videbuntur, ut per gymnasticas exercitationes ad sacra studia et Ecclesiastica munera obeunda rite praeparentur. 80 81 82

Abschrift aus dem Jahre 1630 (PAK, AA 29, fol. 205v): „in bonis artibus“. Abschrift aus dem Jahre 1630 (PAK, AA 29 fol. 205v): „sacrosanctam“. Abschrift PAK, A 200, pag. 409: „Curoum“, in der PAK, AA 29, fol. 205v: „cursum“.

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[Dritte Anordnung:] Item voluit, statuit et ordinavit, et (quod)83 praedicti sex studiosi toto illo tempore quo portione ista gaudebunt, manebunt legibus et disciplinae Regentis et Professorum Gymnasii Laurentiani per omnia subjecti, ista ut si, quod absit, male se gesserint, nec officium liberalium et studiosorum adolescentum fecerint divagando, potitando, negligenter lectiones visitando, chartarum lusoriarum, talorum aut armorum magis quam bonarum artium studium sectando, Praeceptoribus suis et Regenti obstrependo praedicto, aut alias turpiter haeretici et luxuriose vivendo, Regens possit et ex officio debeat hujusmodi adolescentes praedicto subsidio litterario sive portione statim sine ulla gratia privare, ac curare, ut in eorum locum meliores succedant, de quibus certior spes sit, fore illos aliquando Ecclesiae ac patriae suae utiles. Noluit enim Dnus. Testator suos labores et sudores ab adolescentibus haereticis inertibus, ebriosis, luxu et libidine perditis, aut alias male vitam instituentibus, turpiter dilapidari et consumi; ne sua liberalitate cuiusquam foveri nequita atque inertia ali videretur. In quo Dnus. Regens suam gravatam, ne patiatur, ut sua negligentia aut indulgentia studiosi corrumpantur, ipseque Dnus. Testator sua spe ac expectatione, quam de fructu hujus fundationis concepit, defraudetur. Sed si propter pestem84 aut alium morbum contagiosum studiosos Colonia decedere et gymnasia ad tempus claudi contingat, volumus, statimus et ordinamus, quod sua studiosis portio nihilominus tribui debeat; si modo in alia universitate vel schola particolari catholica se studiorum causa agere testimonio rectoris docuerint.

[Vierte Anordnung:] Item voluit, statuit et ordinavit, quod pro salute animae suae, parentum, propinquorum et benefactorum suorum singuli portionistae quotidie precabuntur Psalmum: Miserere mei Deus et de profundis cum conclusione: Requiem aeternam dona eis domine, et deinde Kyrie eleison; Christe eleison; Kyrie eleison; Pater noster; Ave Maria; Requiem aeternam etc., Credo videre bona Domini; in terra viventium. A porta inferi. Erue Domine animas eorum. Domine exaudi orationem meam. Et clamor meus ad te veniat. Deinde addent quinque collectas; primam pro sacerdote defuncto: Concede quaesumus omnipotens Deus animae famuli tui sacerdotis; et secundam pro parentibus: Deus qui nos patrem et matrem honorare, et tertiam pro fraternitate: Deus veniae largitor et quartam pro benefactoribus: Deus cujus misericordiae non est numerus; quintam genera83 84

Abschrift PAK, AA 29, fol. 205v, steht anstelle von „et“: „quod“, was zutreffender sein dürfte. Viele Studierende hatten im Zusammenhang mit der Pest Köln 1530 und folgende verlassen und das Studium an anderen Universitäten fortgesetzt.

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lem pro omnibus defunctis: Fidelium Deus omnium conditor et redemptor et concludendo: Requiescant in pace. Has preces et collectas curabit Dnus. Regens, ut singuli ordine descriptas in libello suo precario habeant. Studiosi vero operam dabunt, ut easdem quotidie recitent, nec ullo unquam die negligant. Quod si tamen praeter spem Domini fundatoris nostramque expectationem factum fuerit, altero die majore attentione ac diligentia supplebunt, quod pridie neglectum fuerat.

[Fünfte Anordnung:] Item volut, statuit et ordinavit, quod ius eligendi, nominandi et praesentandi adolescentes praedictos post obitum nostrum suorum executorum omnium et singulorum esse debeat penes Pastorem parochialis Ecclesiae Kempensis catholicum, qui sub sigillo suo praesentabit Regenti studiosos adolescentes observatis conditionibus et qualitatibus supradictis mediante jure jurando; id quo fiat in tempore volumus, quod Regens pro tempore Pastorem per litteras certiorem fieri curabit, quotiescunque locum aliquem per cessum vel decessum aut alio quovis modo vacare contigerit; eiusdem Pastoris in hac praesentatione facienda instituendaque conscientiam oneratam voluit Dnus. Testator, nec ullius aut gratia aut odio aliquem admittat aut repellat contra ipsius Dni. Testatoris mentem et supremam voluntatem, neve divites pauperibus. Extraneos Cognatis Dni. anteponat, aut ullo modo haereticos et spurcos promoveat, sed perpetuo consanguinitatis, pauperitatis, ingenii et religionis in praesentando accuratam rationem habeat, ni faciat, Deus vindex erit.

[Sechste Anordnung:] Porro ut nec studiosi, nec ipse Dnus. Regens graventur, observare supradicta ad hanc fundationem instituendam et perpetuandam saepius antedictus Dominus Testator dedit, contulit et legavit sortem mille thalerorum imperialium. Item adhuc septingentos septuaginta quinque thaleros, unde quinque daleri de singulis centenariis annue sublevantur. Item adhuc trecentos aureos florenos, de quorum ducentis et quinquaginta decem floreni annue solvuntur de quinquaginta reliquis duo dimidio, quae quidem pecuniae summa ad annuos reditus in territorio oppidi Kempensis sub bonis pignoribus est collocata, secundum diversas desuper confectas et sigillo scabinorum Kempensium munitas litteras, ex hac summa annuorum reddituum voluit, statuit et ordnavit Dnus. Adamus testator, quod Regens Gymnasii Laurentiani sex studuiosis praedictis numerabit et unicuique eorum de quindecim daleris communibus pro aliquali subsidio studiorum in singulos annos providebit; decem thaleros pro institutione et pro oneribus coquendi, emonendaeque et Studiosis praedictis distribuendae pecuniae sibi reservabit. Quibus ad eum modum fideliter distributis sex floreni aurei, qui restant, nume-

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rabuntur alicui Professori Gymnasii Laurentiani, quem Sacrae Theologiae candidatum esse volumus, qui studiosos supradictos privatim diligenter instituat, sed quoniam istud nimis exile est pro tanto labore praemium. Idcirco Jacobus Hutterus firmiter in animo suo constituit, nisi gravi aliqua causa impediatur, quod ad ornandam hanc Dni. Testatoris avunculi et patroni sui fundationem, et ad promovendum studiosorum profectum, atque ad excitandam renumerandamque praeceptoris in instituendis sex portionistis industriam addere velit trecentos daleros imperiales, unde quindecim daleri imperiales quotannis recipiuntur.

[Siebte Anordnung:] Item voluit, statuit et ordinavit Dnus. Testator, quod in usum sex studiosorum iam saepe antedictorum tria lecti sternia cum tribus lectis, codicibus et stragulis caeterisque necessariis suo aere curari, attritta usu et consumpta per Regentem resarciri deberent; sed nos Executores non tantum studiosorum negligentiam in istis rebus conservandis aliaque incommoda metuentes, sed etiam Regentem onere resarciendi sublevare cupientes. Certo pretio dato cum Reverendo et doctissimo Dno. Paulo Ruchovio Ruremundano, S. Theologiae licentiato ac Metropolitanae Coloniensis Ecclesiae Canonico, dictique Gymnasii Laurentiani Regente convenimus, ut duo cubicula nova proxime ad Bibliothecam ejusdem Gymnasii aedificaret versus orientem, ubi portionistae perpetuis retro temporibus habitarent, locique commoditate efficerentur ad studia alacriores, quae quidam cubicula cum duobus hypocaustis adjunctis subalternatim unum super aliud aedificata sunt, manebuntque usui et inhabitationi portionistarum Kempensium perpetuo addicta et mancipata, ita ut inferius cubiculum et hypocaustum Praeceptor, cui eorundem portionistarum instituendorum cura demandabitur cum duobus portionistis; superius autem caeteri quatuor portionistae Dno. Adamo fundatore istituti inhabitent. Nolumus autem ut ad horum cubiculorum inhabitationem aut convictores Dni. Regentis portionistae ab aliis olim istituti vel instituendi admittantur, neve sex portionistae Kempenses supradicti aliorum in angulum aliquem, ubi nisi cum taedio et impedimento studiorum agere nequeant, retendantur. Item ad juvanda studia adolescentum praedictorum universam suam Bibliothecam post mortem Dni. Hutteri supradicti sui cognati, cui eam ad dies vitae legavit, in gymnasio Laurentiano voluit asservari in peculari aliquo conclavi per Dnum. Regentem deputando, ut in studio sacrae Theologiae, cuius omnes candidatos esse voluit, tanto maiores progressus facere valeant. Videtur autem in inferiori hypocausto, ubi Professor ille aget, qui curam portionistarum habebit, commodissime Bibliotheca in asseribus disponi atque asservari posse, ut ille cum studiosis portionistis communem Bibliothecae usum habeat. Regentis erit providere atque Praeceptorem et studiosos portionistas acriter admonere, imo juramento obstringere, ne maximum vel minimum librum alienent aut alio-

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rum ex suo loco tranferant, neve aliis commodato concedant, ob id Cathalogum librorum omnium et singulorum ad finem praesentium duximus subnectendum et eundem descrivi atque inconclavi supradicto, in quo Bibliotheca asservabitur. Suspendi volumus: secundum quem Dnus. Regens singulis annis circa festum Nativitatis beati Joannis perlustrabit Bibliothecam, ut videat, num integra sit, et ut perditos libros restituere aut novos substituere cogat eos, quorum negligentia perierunt.

[Achte Anordnung:] Insuper voluit, statuit et ordinavit supra nominatus Dnus. Testator, quod ex praedicto redditu suae sorori Sophiae Hutter viduae una cum filio eius Jacobo licentiato supradicto Executore quorum studiorum portio id est, daleri tringenta annue numerari debeant. Similiter Dno.85 Quirino Stoicker ante memorato Ss. Apostolorum Canonico, quatuor floreni aurei eiusque fratri Dno. Henrico coenobitae Campensi duo floreni aurei, pari ratione persolvi in singolos annos debeant. Idque hac conditione, ut ipsi tantum ad dies vitae suae fieri valeant annuo reditu in hunc, qui sequitur, modum, postremo vivens e sorore Sophia et filio eius Licentiato utetur ad dies vitae legato mortui. Itemque postremo vivens e duobus fratribus Dno. Quirino et Henrico gaudebit legato mortui quoad vixerit, qui vero novissime ex his quatuor superstes fuerit, habebit, sublevabit et percipiet legatum trium mortuorum ad vitam suam; mortuis denique quatuor his legatariis ad duos studiosos et ad Professorem aliquem collegii, legatum eorundem devolvetur, ac studiosi quidem singuli quindecim daleros pro portione et subsidio ad studia, Professor vero sex florenos aureos habebit. In casu redemptionis redituum praedictorum sive omnium sive aliquorum occurente voluit, statuit et ordinavit, quod Dnus. Regens et Professor primarius gymnasii Laurentiani cum Decano facultatis artium post mortem omnium nostrum suorum Executorum laborare debeant, ut sors in usum annui reditus, apud bonae fidei homines sub certis pignoribus quam citissime et rectissime collocetur, quos eosdem D. D. D. Decanum facultatis artium, Regentem et Professorem primarium Gymnasii Laurentiani elegit, constituit et designavit huius suae fundationis et Eleemosynae perpetuos patronos, defensores et conservatores, in Dei nomine rogans et obsecrans, ut in collocanda pecunia secundum suam conscientiam et Dni. Fundatoris voluntatem, id agant sedulo: quod ex re erit studiosorum, pro mercede autem et qualicumque praemio laboris sui accipient singuli dimidium dalorum vulgarem, quem simul atque alias impensas solvet Regens ex portionibus annuis portionistarum, quotiescunque laboratum fuerit in reditibus redemptis, sive ex toto sive ex parte denuo collocandis et non alias. 85

Abschrift PAK, AA 29, fol. 206v: „Domino“.

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[Neunte Anordnung:] Postremo ut praedicta omnia et singola tanto accuratius observentur, voluit, statuit et ordinavit saepedictus Dnus. Testator, quod suus in Canonicatu ad S. Gereonem de secunda gratia successore, debeat esse visitator et tanquam superintendens, qui singulis annis circa festum Paschae die sibi magis opportuno ad Gymnasium Laurentianum veniet, ut apud Regentem et Professores in vitam, mores, studia, profectum, fidem et pietatem studiosorum diligenter inquirat, simulque ex ipsis studiosis perscrutetur, num preces pro anima defunti Dni. Fundatoris quotidie recitent, et num plenam atque integram portionis seu eleemosynae suae solutionem accipiant, ut omnis negligentia et defectus seria admonitione visitatoris Dnus. Regens praeter prandium sex albos rotatos quotannis de suo legato dabit. Caeterum ut redditus supradicti et libri cuiusmodi sint tanto certius cognoscantur, visum est hoc loco singulos ordine sufficere86. [Es folgt die Aufzählung der Vermögenswerte, die in die Stiftung eingebracht werden. Dabei handelt es sich um 13 Schuldverschreibungen. Danach folgt die Aufzählung der Titel, die sich in der Bibliothek befinden. Es waren über 60 Autoren.]

[Anordnungen zur Sicherung des Urkundentextes:] Poro praesentis fundationis authenticum Exemplum cum litteris originalibus redditum deponi et asservari cupimus in Archivo Capituli insignis Collegiato Ecclesiae Divi Gereonis, cuius dictus Dnus. Testator, dum viveret, presbyter Canonicus. Exstitit, authenticas tamen et Collationatas copias eiusdem fundationis tum Pastori Kempensi, ut Praesentatori tum Canonico de secunda gratia ad S. Gereonem ut visitatori perpetuo. Regenti vero Laurentiani Collegis praeter fundationis exemplum etiam copias litterarum Scabinalium collationatas et subscriptas communicari volumus, ut quisque eorum exinde quod sui erit muneris et officii cognoscere et percipere valuit. In quorum omnium et singulorum praemissorum et Testimonium nos Executores praedicti hanc fundationem et ordinationem sigillis nostris communivimus, eam sic in omnibus et singulis punctis observandum iri Dnus. Regens supradictus pro se suisque successoribus spospondit, suoque signo praesentibus appenso testatus est, anno Domini Millesimo quingentesimo septuagesimo septimo, die quidem decimo Mensis Novembris.

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Abschrift PAK, AA 31, fol. 207, steht an Stelle von „sufficere“: „subjicere“.

KLAUS MILITZER

Bruderschaften im spätmittelalterlichen Kempen Mit einem Quellenanhang zur Nikolausbruderschaft

Bruderschaften standen bislang nicht im Mittelpunkt der historischen Forschung über die Geschichte Kempens. Die Aussage gilt auch für viele andere Städte Kurkölns, abgesehen von Neuss, aber auch für Orte außerhalb Kurkölns. Kempen selbst gehörte zum kurkölnischen Territorium und hatte und hat noch heute eine Burganlage, die der Sitz eines kurkölnischen Amtmanns gewesen ist1. Der Ort selbst wurde 1294 nach der Schlacht bei Worringen wieder aufgebaut. Deren Bewohner erhielten alle Freiheiten Uerdingens und galten fortan als Stadt mit eigenem Recht2. Die Einwohnerzahl soll im 15. Jahrhundert 4.000 überschritten haben. Aber das bleibt ungewiss. Immerhin zählte Kempen im 15. Jahrhundert wie auch das größere und mit mehr Kirchen und geistlichen Institutionen begabte Neuss zu den „Hauptstädten“ Kurkölns. Da die Bevölkerung von Neuss um 1500 allenfalls auf 4.500 geschätzt wird3, mag man die Einwohnerzahl Kempens wohl unter 4.000 ansetzen wollen. Immerhin kam Neuss bis zum Ende des Mittelalters auf wenigstens 15 Bruderschaften, vielleicht auch einige wenige mehr4. Allerdings erreichte keine rheinische Stadt je eine solche

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2

3 4

Zur Burg: Friedhelm Weinforth, Campunni – Kempen. Geschichte einer niederrheinischen Stadt, 2 Bände (Schriftenreihe des Kreises Viersen 39,1–2), Viersen 1993, hier: Band 1, 51–52. – Marianne Gechter, in: Kurköln. Land unter dem Krummstab (Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe C: Quellen und Forschungen 22), Kevelaer 1985, 98. Theodor Josef Lacomblet, Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins, Band 4, Düsseldorf 1855, Nr. 677, S. 811. – Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Band 3,2, bearb. von Richard Knipping (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 21), Bonn 1913, Nr. 3427. – Klaus Flink, in: Kurköln (wie Anm. 1), 146 f., 162 f. Erich Wisplinghoff, Geschichte der Stadt Neuss, Band 1, Neuss 1975, 194. Erich Wisplinghoff, Geschichte der Stadt Neuss, Band 4, Neuss 1989, 35–48. Dazu: Karl Remmen, Bruderschaften im mittelalterlichen Stadtraum von Neuss (Libelli Rhenani 19), Köln 2007, 62–164, der allerdings nur 14 mittelalterliche Bruderschaften behandelt, aber andere als fraglich gelten lässt.

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Klaus Militzer

Fülle an Bruderschaften wie die größte Stadt des Rheinlands und des Deutschen Reichs, eben Köln5. Trotz aller Einschränkungen gestaltete sich zum Ausgang des Mittelalters das Kempener Bruderschaftswesen recht vielfältig. Immerhin lassen sich wenigstens sieben Laienbruderschaften nachweisen. Alle hatten ihren Mittelpunkt, soweit wir wissen, in der Pfarrkirche St. Marien in Kempen. Dazu mag man noch eine Rosenkranzbruderschaft zählen, von der aber aus dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit keine Nachweise erhalten sind6. Wenn es sie gegeben haben sollte, hatte sie ihren Sitz kaum in der Pfarrkirche. Gleichgültig ob man die Rosenkranzbruderschaft mitzählt oder nicht, erreichte Kempen eine Anzahl an Bruderschaften, durch die der Ort aus der Masse der Mittel- oder gar Kleinstädte herausragte7. Die älteste der fraglichen Genossenschaften scheint die Nikolausbruderschaft gewesen zu sein. Jedenfalls hat sich von ihr der älteste Nachweis aus dem Jahr 1395 erhalten8. Für sie haben sich die meisten Belege aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit erhalten, neben den Urkunden und einer Rechnung ein Statut, das allerdings, wie noch zu zeigen sein wird, in der vorliegenden Form kaum, sondern allenfalls in Teilen in das Mittelalter zurückreichen kann, vielmehr in den Beginn des 17. Jahrhunderts gehört9. An zweiter Stelle ist eine Marienbruderschaft zu nennen, die seit 1429 nachzuweisen ist10. Eine Sebastiansbruderschaft soll schon 1429 zu belegen sein, wie Terwelp und Klöckner geschrieben haben11. Die Behauptung beruhe aber laut Wilhelm Janssen auf einem „Missverständnis“12. In der Tat ließ sich kein entsprechender Nachweis ermitteln. Jedoch ist die Bruderschaft spätestens 1452

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11 12

Quellen zur Geschichte der Kölner Laienbruderschaften vom 12. Jahrhundert bis 1562/63, 4 Bände, bearb. von Klaus Militzer (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 71), Düsseldorf 1997–2000, hier: Band 1, XXV–XXIX.. Vgl. Gerhard Terwelp, fortgesetzt vom Stadtarchivar Peter Anton Klöckner, Die Stadt Kempen im Rheinlande, Band 3, Kempen 1923, 195. Immerhin rühmte sich der Gründer der Rosenkranzbruderschaft, der Dominikanerprovinzial Jakob Sprenger, der weiten Verbreitung der Bruderschaft; Militzer, Quellen (wie Anm. 5), Band 1, CXIX ff. Vgl. die Zahlen bei Militzer in: Quellen (wie Anm. 5), Band 1, XXV–XXVI. Stadtarchiv (StA) Kempen, U 1395 Januar 17; vgl. Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 172. – Wilhelm Janssen, Pfarre und Pfarrgemeinde Kempen im Mittelalter, in: Weinforth (wie Anm. 1), Band 2, 19. Markus Grünewald, Handwerk und Stadtverfassung Kempens vom ausgehenden Mittelalter bis zur französischen Verwaltung, Diss. jur. Bonn 1995, 45. Stadtarchiv zu Kempen, bearb. von Hermann Keussen, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein 64 (1897), S. 25, Nr. 205. – Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 148. – Janssen, Pfarre (wie Anm. 8), 19. Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 193. Janssen, Pfarre (wie Anm. 8), 19 Anm. 56.

Bruderschaften im spätmittelalterlichen Kempen

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urkundlich belegt13. In derselben Urkunde von 1452 ist eine Jakobsbruderschaft genannt, die sonst nicht wieder vorkommt und in der Literatur auch nicht genannt ist14. 1454 schließlich ist eine Matthiasbruderschaft bezeugt15, über die sonst wenig zu ermitteln ist. Der zeitlich folgende Nachweis bezieht sich auf die Annenbruderschaft, die spätestens seit 1470 bezeugt ist, aber wahrscheinlich schon vorher bestanden hat. Sie ist nicht nur in Urkunden nachzuweisen, sondern von ihr hat sich auch ein relativ frühes Rechnungsbuch von 1489–1559 erhalten16. Schließlich ist 1490 eine Josephsbruderschaft belegt, allerdings nicht durch eine Urkunde, sondern durch eine Nachricht von Wilmius17. Im Allgemeinen wird der Beleg als glaubwürdig eingestuft. Die Josephsbruderschaft war oder wurde eine Vereinigung der Schreiner- und Zimmermannszunft. Zumindest ist sie 1554 als solche zu ermitteln18. Die von Terwelp und Klöckner eigens angeführte Elendiger-Seelen-Bruderschaft dürfte mit der Annenbruderschaft identisch sein19, zumal deren Vorstände identisch sind, soweit sie sich nachweisen lassen20, und weil sich die Annenbruderschaft der Armen und der Fremden und deren Seelenheil besonders angenommen hatte21. Ob es in Kempen damals schon eine Rosenkranzbruderschaft gegeben hat, bleibt, wie schon angedeutet, ungewiss. Zumindest haben sich für das 15. Jahrhundert keine Belege für eine solche Gemeinschaft erhalten. Lediglich durch einen Hinweis auf die weite Verbreitung der Bruderschaft durch den Dominika13 14

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StA. Kempen, U 1452 Oktober 3. In einer Urkunde von 1493 November 10 sind deren Dekane bezeugt. StA. Kempen, U 1452 Oktober 3. Stattdessen führen Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 155, eine Matthiasbruderschaft an, die laut Janssen, Pfarre (wie Anm. 8), 19 Anm. 56, nicht existiert habe, jedoch 1454 bezeugt ist. Sodann nennen Terwelp und Klöckner eine Michaelsbruderschaft zum Jahre 1486. In der Urkunde des Transfixes von 1495 Februar 14 ist aber nur von einem Matthiasaltar und einem dort tätigen Vikar die Rede; StA Kempen, U 1486 März 16. StA Kempen, U 1454 Februar 19, und unten, Anhang 2; vgl. auch oben Anm. 14. Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 148. – Janssen, Pfarre (wie Anm. 8), 19. – Inventar der ältesten Akten des Propsteiarchivs Kempen, bearb. von Hanns Peter Neuheuser (Inventare nichtstaatlicher Archive 37), Köln–Bonn 1995, 27. – StA. Kempen, C 145 (Rechnungsbuch der Annenbruderschaft). Johannes Wilmius, De pastoratu Kempensi liber, hrsg. von Gerhard Terwelp, Kempen 1896-1897, 76. – Janssen, Pfarre (wie Anm. 8), 19. Grünewald (wie Anm. 9), 44. Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 195. Für die These der Identität beider Bruderschaften sprechen auch die für beide tätigen Dekane oder Provisoren namens Peter von Well und Gerhard Wyman gen. to Wege. – StA Kempen, U 1497. – Rechnung der Annenbruderschaft, StA Kempen C 145, fol. 45r, zum Jahr 1498 Peter van Wel und Gerhard to Weghe. Vgl. auch Janssen, Pfarre (wie Anm. 8), 19.

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nerorden und seine Vertreter22 lässt sich das Bestehen einer solchen Bruderschaft in Kempen nicht erhärten23. Die Antoniusbruderschaft der Schneider ist noch anzuführen. Denn zu ihren Aufgaben zählte das Totengeleit, die Totenmesse, das Gedenken an Verstorbene wie auch die Sorge um einen Altar und die Messe an dem Altar. In diesem Fall ging es um den Antoniusaltar in der Töniskapelle im erhöhten Teil der Pfarrkirche durch den Glockenturm rechter Hand24. Ob aber die Antoniusbruderschaft schon im 15. Jahrhundert bestanden hat, ist nicht zu erhärten. Immerhin gehörten Totengeleit, Totenmesse, Totengedenken, Teilnahme an Prozessionen und die Sorge um einen Altar auch sonst zu den allgemeinen Aufgaben einer Zunft oder vergleichbarer Handwerkergenossenschaften25. Beide Zusammenschlüsse, die Rosenkranz- und die Antoniusbruderschaft, bleiben also außer Betracht. Schließlich ist zu betonen, dass ich mich in meinem Beitrag nur auf einen Teil des vorhandenen Materials stützen werde, da der Beitrag sonst sehr umfangreich ausgefallen wäre. Daher werde ich mich in den folgenden Ausführungen auf die Nikolausbruderschaft konzentrieren, weil von ihr zudem die meisten und aussagekräftigsten Dokumente erhalten sind. Am 7. Januar 1339 fundierten und dotierten Kempener Bürger den Nikolausaltar in der Pfarrkirche26. Bereits am 27. April desselben Jahres genehmigte Erzbischof Walram von Köln die Dotierung27. Am 14. Mai 1341 investierte der Xantener Offizial den ersten Rektor des gestifteten Altars28, der an der Südwand am Anfang des Chorumgangs in der Kempener Pfarrkirche St. Marien stand29. Mit der Altarstiftung war aber noch keine Bruderschaft verbunden. Sie 22 23

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Vgl. die Statuten der Kölner Rosenkranzbruderschaft von 1475 in: Militzer, Quellen (wie Anm. 5), Band 1, 517. Propsteiarchiv Kempen, A 1794: „Liber confraternitatis s. Rosarij Jesu et beatissime virginis comparatus Colonia sub Henr. Recke rectore dictae fraternitatis et consuli Jacobo Voitz profecto anno dni. 1653 mense Februario“ lässt keine Anklänge an die in der zweiten Hälfte gestifteten Bruderschaft mehr erkennen. Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 237, 240 f. – Grünewald (wie Anm. 9), 67 ff. – Weinforth (wie Anm. 1), Band 1, 146 und 157. – Zur Stiftung des Altars durch die Nikolausbruderschaft siehe unten. Vgl. beispielsweise Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter (UTB für Wissenschaft: Große Reihe), Stuttgart 1988, 308 f. Stadtarchiv Kempen (wie Anm. 10), S. 5, Nr. 29–30. Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Band 5, bearb. von Wilhelm Janssen (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, 21), Köln–Bonn 1971, Nr. 648. Stadtarchiv Kempen (wie Anm. 10), S. 6, Nr. 32. Weinforth (wie Anm. 1), Band. 1, 157. – Godehard Hoffmann, Das Antwerpener Antoniusretabel in Kempen, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 68 (2007), 271, mit einem Grundriss der Kirche und der Lage der Altäre.

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muss erst später gegründet worden sein. Ihr erster urkundlicher Nachweis lässt sich zu 1395 ermitteln30, also mehr als 50 Jahre nach der Altardotierung. Nach Weinforth dürfte die Bruderschaft nicht lange Zeit vor 1395 gestiftet worden sein31. Für die Nikolausbruderschaft ist nicht nur der erste Bruderschaftsnachweis in Kempen zum Jahr 1395 möglich, für sie haben sich auch die meisten Nachrichten aus dem Mittelalter erhalten. Insgesamt sind aus diesem Zeitraum 18 Urkunden zu nennen, durch die die Bruderschaft bedacht wurde32. Eine Urkunde fehlt inzwischen33, während zwei nur in Abschriften überliefert sind34. In einer weiteren Urkunde ist die Bruderschaft lediglich als Anstößer genannt35, ansonsten spielte sie im dispositiven Teil keine Rolle. Hinzu kommen ein Rechnungsband der Bruderschaft von 1482 bis 156936 und eine Kopie der Statuten der Nikolausbruderschaft aus dem Beginn des 17. Jahrhunderts37. Bei dem Statut handelt es sich eindeutig um eine nicht mehr vollständige Abschrift, wie schon Terwelp und Klöckner festgestellt haben38. Beschäftigen wir uns zunächst mit der zeitlichen Einordnung der Statuten. Einige ihrer Aussagen könnten in das 15. Jahrhundert zurückreichen. Insofern sind sie auch für die mittelalterlichen Verhältnisse heranzuziehen. Die Vorlage der unvollständigen Abschrift selbst gehört aber eindeutig in das Ende des 16. oder den Beginn des 17. Jahrhunderts, wie beispielsweise der zehnte Paragraph belegt, laut dem ein neu gewählter Dechant für das Bruderschaftsgelage 12 Taler bezahlen, die übrigen Kosten aber die Bruderschaft begleichen solle39. Taler kamen aber erst seit der Mitte des 16. Jahrhundert in Umlauf und wurden seitdem häufiger genannt40. Gewiss gab es in manchen Gegenden schon vor 1650 Taler, aber im Rheinland doch wohl erst seit frühestens 1540 und später zumindest in solchem Umfang, dass sie in den Bruderschaftsrechnungen genannt 30 31 32

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StA Kempen, U 1395 Januar 17. Weinforth (wie Anm. 1), Band 1, 128. StA Kempen, U 1395 Januar 17, 1410 Februar 16, 1421 Dezember 21, 1422 August 17, 1425 März 28, 1425 Oktober 17, 1428 Januar 3, 1428 November 12, 1429 Mai 13, 1429 Juli 25 als Transfix an 1374 März 28, 1431 Januar 9, 1435 Februar 10, 1441 Februar 23, 1452 Oktober 3, 1454 Februar 19, 1486 Oktober 1, 1490 März 1, 1494 Oktober 19. StA Kempen, U 1429 August 9, laut Findbuch. Propsteiarchiv Kempen, AA 51, fol. 102r, 103r: 1421 Juli 6, 1432 Januar 11. StA Kempen, U 1484 Februar 4. – Vgl. Stadtarchiv Kempen (wie Anm. 10), S. 55, Nr. 485. StA Kempen, C 152. StA Kempen, B 61 (Senatsbuch), fol. 47r–48v. Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 176–178. StA Kempen, B 61 (Senatsbuch), fol. 48r, § 10. Konrad Schneider in: Von Aktie bis Zoll. Ein historisches Lexikon des Geldes, hg. von Michael North, München 1995, 389–391.

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werden konnten41. Nicht ganz so eindeutig ist das Ergebnis für die Nennung eines Raderalbus und der Stüber42. Beide Münzen oder Münzsorten fanden eigentlich erst im 16. Jahrhundert im Rheinland und auch am Niederrhein eine weitere Verbreitung, wenn auch vergleichbare Angaben schon früher auftauchen, was insbesondere für den Stüber in den Niederlanden zutrifft43. Gegen eine Einordnung des Schriftstücks in das 15. Jahrhundert spricht auch die Wendung guitter politischer ordnungh, die eher in das 16. Jahrhundert oder eine noch spätere Zeit gehört44. Das Statutenfragment stammt also schon wegen einzelner Ausdrücke und der erwähnten Münzsorten aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und dürfte in der gegenwärtig vorliegenden Form kaum früher, eher später entstanden sein. Markus Grünewald hat nun dargelegt, dass die Abschrift auf eine Vorlage zurückgehen müsse, die auf den 29. Mai 1615 datiert gewesen sei45. Mit dieser Datierung in den Anfang des 17. Jahrhunderts sind auch die Schriftzüge in Übereinstimmung zu bringen. Freilich wird man davon ausgehen können, dass viele Bestimmungen so oder so ähnlich auch für das vorangegangene Jahrhundert oder auch für noch frühere Zeiten gegolten haben können. Die erhaltenen Urkunden und die Abschriften von nicht mehr nachweisbaren Dokumenten legten in der Regel vermögensrechtliche Bestimmungen fest, und betrafen vor allem Schenkungen an die Bruderschaft, ohne dass aus dem Wortlaut der Schriftstücke etwas über die Bruderschaft und deren Aufgaben oder inneres Leben zu erfahren wäre. Dabei können wir die Urkunde, in der die Bruderschaft nur als Anstößer genannt ist, von vornherein beiseite lassen. Immerhin bieten diese urkundlichen Nachweise im Allgemeinen, wenn auch nicht immer, die Namen der Leiter der Bruderschaft und sagen damit etwas über die Verwaltung der Gemeinschaft aus. Die Namen der Leiter der Bruderschaft werden mehr oder weniger regelmäßig auch in den Rechnungen seit 1482 erwähnt46.

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In Kölner Bruderschaften beispielsweise tauchten die Taler erst seit 1541 vereinzelt auf; vgl. Militzer, Quellen (wie Anm. 5), Band 2, 1131. StA Kempen, B 61 (Senatsbuch), fol. 47rv, §§ 2, 5. Konrad Schneider in: North (wie Anm. 40), 21 f., 386. StA Kempen, B 61 (Senatsbuch), fol. 47r; vgl. etwa Karl Härter, Von der Friedenswahrung zur „öffentlichen Sicherheit“: Konzepte und Maßnahmen frühneuzeitlicher Sicherheitspolicey in rheinländischen Territorien, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 67 (2003), 162 ff. Grünewald (wie Anm. 9), 45. Er schreibt zwar, dass es der 27. Mai 1615 gewesen sei. Aber das falsche Tagesdatum beruht auf einem Lesefehler. Das Datum steht in StA Kempen, RP 1797, fol. 221v. Grünewalds Angabe: RP 1790, fol. 2, konnte ich nicht verifizieren. Vgl. unten in Anhang 1 die Liste der Dechanten der Bruderschaft.

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Die ausführlichsten Auskünfte über die Nikolausbruderschaft liefern dagegen die den Bürgermeistern und dem Rat vorgelegten und von jenen wohl auch genehmigten Statuten von 1615. Auf diese unvollständige Abschrift haben schon Terwelp und Klöckner aufmerksam gemacht, allerdings in einer hochdeutschen Übersetzung der in rheinischem Dialekt gehaltenen Vorlage47. Markus Grünewald hat sie in ihrer Mundart im Großen und Ganzen zutreffend in einem Anhang zu seiner Dissertation abgedruckt48. Nach Aussage der Abschrift haben die Dekane und die Brüder der Nikolausbruderschaft den Bürgermeistern und dem Rat Kempens die Statuten zur Genehmigung eingereicht49. Ob diese Genehmigung erteilt worden ist oder nicht, geht aus dem Schriftstück nicht hervor. Allerdings darf man annehmen, dass die Statuten so, wie sie vorgelegt worden sind, genehmigt und anschließend in Kraft gesetzt worden sind. Denn die Leitung der Stadt hatte nur Vorteile von diesen Regelungen zu erwarten50. Die Vorlage von 1615 unterbreiteten etzliche dechanten und gemeiner bruder der bruderschafft St. Nicolai. Die Bruderschaft wurde also von Dechanten, Dechen oder Dekanen geleitet, wie das in Kempen üblich war, und wir schon aus den Urkunden erfahren haben. In Kempen hießen auch die Meister, die den Zünften vorstanden, Dechanten oder Dechen51. Der Vorstand der Nikolausbruderschaft bestand aus zwei Dechen oder Dechanten, die im Allgemeinen jeweils ein Jahr ihr Amt ausübten52. Der jährliche Wechsel der Meister oder Vorsteher war also auch in Kempen der Regelfall bei Bruderschaften wie bei Zünften. Die Nikolausbruderschaft zeichnete sich allerdings gegenüber anderen durch eine Besonderheit aus, die zumindest in den Statuten festgehalten ist und so auch genehmigt worden sein dürfte. Der Ende des Jahres abtretende Bürgermeister sollte nämlich einer der Dechanten sein. Er wurde von den Brüdern nicht gewählt und erhielt sein Bruderschaftsamt automatisch nach dem Ende seiner Bürgermeisterzeit am 10. Dezember53. Es handelte sich um den abtretenden Ratsbürgermeister54. Jedoch kann der ausscheidende Ratsbürgermeister erst am 47 48 49 50 51 52 53 54

Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 176–178. Danach: Weinforth (wie Anm. 1), Band 1, 128 f. Grünewald (wie Anm. 9), Anhang 1 (ohne Seitenangabe). StA Kempen, B 61 (Senatsbuch), fol. 47r–48r. Vgl. Grünewald (wie Anm. 9), 45. Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 199. – Grünewald (wie Anm. 9), 78. Vgl. auch die Liste der Dechanten in Anhang 1. Grünewald (wie Anm. 9), 13, 46. Rats- und Gemeindebürgermeister hat es schon vor der Bruderschaftsstiftung gegeben. Während vor 1388 nur einzelne Namen bekannt sind, hat Terwelp ab 1388 eine fast vollständige Liste der Bürgermeister erstellen können. Der Ratsbürgermeister wurde jeweils am 27. Dezember von den Ratsherrn gewählt, während der Gemeindebürgermeister am

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28. Dezember sein neues Amt als Dechen der Nikolausbruderschaft angetreten haben. Der andere Dechen oder Dechant wurde jedes Jahr am 28. Dezember, dem Tag der unschuldigen Kinder, nach dem Rechenschaftsbericht der abtretenden Dechanten angeblich in der Annenkapelle55 vor den regierenden Bürgermeistern und den Mitbrüdern aus den Reihen der Mitbrüder gewählt. Über die Art der Wahl ist kaum etwas zu erfahren. Wahrscheinlich haben die Brüder einen der ihren gewählt. Jedenfalls hatte dieser gewählte Dechant zwölf Taler für das anschließende Bruderschaftsmahl auszulegen. Was über die zwölf Taler an Kosten für das Fest hinausging, hatte die Bruderschaft zu tragen. Das Mahl wurde mingelsglach genannt56, eine Bezeichnung, die in anderen Städten oder Regionen anscheinend nicht wiederzufinden ist. An dem Tag der unschuldigen Kinder, dem 28. Dezember jedes Jahres, fand also die wichtigste Versammlung der Bruderschaft statt. Am 28. Dezember wurde der Bruderschaftstag begangen und nicht etwa, wie man vermuten könnte, am Nikolaustag, also dem 6. Dezember. Das mag damit zusammengehangen haben, dass die Wahl des Rats wie des Gemeindebürgermeisters am Tag zuvor, am 27. Dezember, stattgefunden hatte57. Am 28. Dezember also hatten die abgehenden Dechanten ihre Rechenschaft über die Einnahmen und Ausgaben laut dem Statut von 1615 vor Bürgermeistern und Brüdern abzulegen. Danach wurde der neue Dechant aus den Reihen der Brüder gewählt. Anschließend fand das Bruderschaftsmahl statt, wie schon erläutert worden ist. An dem Tag blieben die Brüder weitgehend unter sich. Nach Terwelp und Klöckner sei der Tag mit einem Hochamt begonnen worden, das durch Orgelmusik und Violinenspiel feierlich erhöht worden sei. Anschließend hätten die Brüder in schwarzen Mänteln mit gedrehten Kerzen, den Torzen, einen Umzug durch die Kirche veranstaltet und die Torzen im Chor in dafür bestimmte Löcher gesteckt. Erst danach habe die Rechnungslegung und die Wahl des Dechanten stattgefunden. Das Bruderschaftsmahl habe sich erst am Nachmittag angeschlossen58. Der geschilderte Ablauf mag schon vor 1615 eingehalten worden sein, auch wenn er so aus

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selben Tag nach einem komplizierteren Verfahren aus der Gemeinde gewählt wurde; Weinforth (wie Anm. 1), Band 1, 75–76. – Gerhard Terwelp, Die Stadt Kempen im Rheinland, Band 1, Kempen 1894, 79–80. Die Annenkapelle liegt oder lag an erhöhter Stelle in der Pfarrkirche beim Eintritt durch den Glockenturm links. StA Kempen, B 61 (Senatsbuch), fol. 48r. – Vgl. Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 178. Das könnte man mit „Vereinigungsgelage“ übersetzen. Denn in „mingel“ steckt Vermengen, Vereinigen. Der gesamte Tag wurde in den Rechnungen 1491 beispielsweise myngeldach genannt; StA Kempen, C 152, fol. 22v; ebenso 1497, ebd., fol. 35r. Weinforth (wie Anm. 1), Band 1, 76. Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 178 f. Ob dieser Brauch allerdings in das Mittelalter zurückreichte, bleibt ungewiss, da eindeutige Quellenbelege dazu fehlen.

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dem Mittelalter nicht überliefert, übrigens auch in dem Statut von 1615 so nicht beschrieben worden ist. Teile der im Statut festgehaltenen Zeremonie lassen sich aber in den Rechnungen wiederfinden, sofern sie Kosten verursacht hatten. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Außer dem 28. Dezember hatten die Bruderschaft oder deren Dechanten weitere wichtige Termine zu beachten. Zu Ostern musste der gewählte Dechant den Kommunikantenwein der Pfarrkirche zur Hälfte bezahlen und konnte die Summe anschließend der Bruderschaft in Rechnung stellen. Am Abend vor dem sogenannten „Holzfahrtag“, dem Donnerstag nach Pfingsten59, hatte der Dechant Brot backen zu lassen und auf dem Nikolausaltar der Pfarrkirche unter die „Hausarmen“ zusammen mit Speck zu verteilen, und zwar drei Fass Roggen, 20 Pfund Speck und Weißbrot im Wert von 30 Albus. Am Tag vor St. Nikolaus, also am 5. Dezember, musste ebenfalls Brot gebacken und verteilt werden, und zwar von zwei Maltern Roggen. An Silvester waren wiederum drei Fass Roggen, 20 Pfund Speck und Weißbrot im Wert von 30 Albus fällig. Über die Menge des Weißbrots sind keine Angaben zu machen. Dagegen belief sich die Menge an Roggen auf rund 370 kg. im Jahr. Die Kosten für die Reichnisse trug jeweils die Bruderschaft. Die Nikolausbruderschaft hat also einige Aufwendungen für die „Hausarmen“ der Stadt unternommen60. Unter den „Hausarmen“ verstand man die Einheimischen, die in Not geraten waren und sich selbst ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht zur Gänze verdienen konnten, sondern auf Zuwendungen Dritter angewiesen waren61. Ob diese Form der Armenfürsorge allerdings in die Anfänge der Bruderschaft zurückreicht, bleibt noch zu untersuchen.

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Der Holzfahrtag fand am Donnerstag statt. Am Tag vorher war der Mittwoch, an dem die Bruderschaftsdechanten tätig werden mussten. Den Holzfahrtag gab es auch in Köln am selben Donnerstag nach Pfingsten; vgl. Joseph Klersch, Volkstum und Volksleben in Köln, Band 1 (Beiträge zur kölnischen Geschichte, Sprache, Eigenart 43), Köln 1965, 211–212. Vgl. Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 178: Hervorhebung der Armenfürsorge durch die Bruderschaft. Über Armenspenden an die Hausarmen Kempens vgl. Janssen, Pfarre (wie Anm. 8), 23. Diese Form der Armenfürsorge wurde vor allem durch die Reichsgesetzgebung des 16. Jahrhunderts gefördert; vgl. Robert Jütte, Obrigkeitliche Armenfürsorge in deutschen Reichsstädten der frühen Neuzeit (Kölner historische Abhandlungen 31), Köln–Wien 1984, 337–367. – Bronisław Geremek, Geschichte der Armut, München–Zürich 1988, 182–189. – Erich Maschke, Die Unterschichten der mittelalterlichen Städte Deutschlands, in: Gesellschaftliche Unterschichten in den südwestdeutschen Städten, hg. von Erich Maschke, Jürgen Sydow (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B 41), Stuttgart 1967, 62–63. – Klaus Militzer, Kölner Bruderschaften am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 65 (2001), 250–251.

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Der unterbreitete Vorschlag von 1615 enthielt Vorschriften über die Versammlungen der Brüder. Wenn die Dechanten die Brüder auf einen bestimmten Tag und Ort zu einer Zusammenkunft luden, waren alle Mitglieder zum Erscheinen verpflichtet. Fehlte jemand unentschuldigt, hatte er zehn Albus Strafe zu zahlen. Die Entschuldigung musste allerdings stichhaltige und akzeptable Gründe enthalten. Lud der Bote der Bruderschaft die Brüder oder nur einen Bruder nachweislich nicht, hatte jener die Strafe zu entrichten. Jedoch dürfte mit dem „Boten“ keineswegs ein ausschließlich für die Bruderschaft tätiger Mann gemeint gewesen sein, sondern der Gemeindebote, der auch sonst die Nachrichten oder Ladungen überbrachte62. Während der Versammlungen war Streit unter den Brüdern untersagt. Sollte dennoch eine Auseinandersetzung ausarten, hatten die Dechanten mit Hilfe der Amtsbrüder (amptsbrudere) den Streit zu schlichten. Derjenige, der sich im Unrecht befunden habe, sollte der Bruderschaft ein Ohm Bier schuldig sein. Allerdings behielt sich die städtische Obrigkeit ihr Recht auf eine zusätzliche Strafe vor. Der Bote sollte ferner sechs Raderalbus erhalten. Waren der Dechant oder ein anderer Bruder in ein Vergehen gegen die Obrigkeit verstrickt, hatte der Schuldige und nicht die Bruderschaft die verhängte Strafe zu begleichen. Sollte der jeweilige Schuldige seine Strafe nicht zahlen wollen, hätten der unschuldige Dechant oder beide den Bürgermeister und den Boten anzuhalten, den Schuldigen die Fenster zu vernageln oder eine andere Pfändung durchzuführen, bis die Buße hinterlegt sei. Dem Säumigen sollte also sein Handel in der Stadt unterbunden werden, worauf noch zurückzukommen ist. Die Nikolausbruderschaft war keine einfache Laienbruderschaft, sondern auch ein Zusammenschluss von Kleinhändlern. Terwelp und Klöckner sprachen von einer „Kaufmannszunft“63, Grünewald dagegen von „Krämern“64. Man wird also nicht an Fernkaufleute zu denken haben, sondern vor allem an solche, die ihre Waren am Ort selbst anboten65. Darunter konnten auch Fernkaufleute sein. Die meisten Mitbrüder dürften sich aber auf den Detailhandel in Kempen und Umgebung beschränkt haben. Gleich der erste Paragraph des Vorschlags 62

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Anders Grünewald (wie Anm. 9), 78–79. Er mag wohl für das 17. und 18. Jahrhundert Recht haben, jedoch für das Mittelalter und wohl auch noch für das 16. Jahrhundert scheint der „Bote“ nicht nur für eine Bruderschaft oder eine Zunft tätig geworden zu sein, jedenfalls sind der Vorlage von 1615 keine Hinweise zu entnehmen, dass der „Bote“ nur für die Nikolausbruderschaft zuständig gewesen sei. Die Nachweise zu dem „Boten“ sprechen eher dafür, dass er auch anderen Genossenschaften, aber auch der Stadt, gedient habe. Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 172. Grünewald (wie Anm. 9), 45–49. Das passt am besten zur Beobachtung Weinforths (wie Anm. 1), Band 1, 132–133, der nur wenige Kempener im Fernhandel nachweisen kann.

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sollte festlegen, dass kein „fremder Bürger“ oder „Fremder“ ihre Waren in Häusern ausstellen oder verkaufen und dafür die Fensterläden (vensteren) aufschlagen dürften, wenn sie nicht vorher die Bruderschaft erworben und dieses dem oder den Dechanten mitgeteilt hätten66. Jeder Verstoß sollte mit einem Ohm Bier bestraft werden. Das etwas merkwürdig klingende „fremde Bürger“ dürfte aufzulösen sein in solche Bürger Kempens, die die Bruderschaft eben noch nicht erworben hatten. Im Übrigen sind unter „Fremden“ mehrere Personengruppen denkbar, etwa solche, die nach Kempen kamen, aber dort nicht wohnten, oder solche, die als Einwohner in Kempen lebten, aber das Bürgerrecht nicht erworben hatten. Der Text lässt vielerlei Deutungen zu. Da sich jedoch niemand in Kempen niederlassen durfte, ohne das Bürgerrecht erworben zu haben, dürfte dort kaum ein sogenannter „Eingesessener“ wie in Köln gewohnt haben. Sodann sollte verfügt werden, dass „Fremde“ an Sonn- und Feiertagen und während der Woche außer am Montag, Dienstag und Mittwoch, je nachdem wie die entsprechenden Privilegien es ihnen gestatteten, ihre Waren zum Verkauf anbieten könnten. Gemeint sein dürften die Wochenmärkte jeweils montags und dienstags und die Jahrmärkte, die teilweise an drei Tagen stattfanden67. Nur an den genehmigten oder „privilegierten“ Tagen sollten „Fremde“ ihre Waren under der hallen, auf dem Markt, feilbieten oder in den Straßen hausieren gehen dürfen. Allerdings hatten zuvor zwei sogenannte „Churmeister“ die Waren zu begutachten. Erst anschließend durften die angebotenen Güter ausgerufen und angepriesen werden. Die Begutachtung kostete für jeden Antragsteller oder „Kaufmann“ je „Churmeister“ zwei Albus, also insgesamt jeweils vier Albus. „Fremde“ hatten für einen „Ausrufer“ ihrer Waren zwei Stüber, Bürger dagegen nur 1 ½ Stüber zu zahlen. Zuwiderhandlungen wurden mit einem Goldgulden Buße belegt. Wenn eine Ware einmal von den „Churmeistern“ besichtigt und begutachtet worden war, durften weder Mitbrüder noch Bürger oder „Fremde“ den Preis dafür erhöhen. Den „Churmeistern“ oblag also auch die Festsetzung des Preises für eine begutachtete Ware. Ein Verstoß sollte mit einem Goldgulden geahndet werden. Das Verfahren galt auch unter den Mitbrüdern selbst. Übertretungen sollten dem Dechanten mitgeteilt werden. Die anschließend ausgesprochene Buße bestand ebenfalls in der Zahlung eines Goldguldens. Da die Bruderschaft Kleinhändlern eine Organisation bot, gewerbliche Fragen regelte und sich damit dem Charakter von Zünften angenähert hatte, war das Beitrittsgeld – ähnlich wie bei Handwerkerkorporationen üblich – gestaf66

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Zur vergleichbaren Krämergilde und Copludegilde in Goslar vgl. Klaus Militzer, Bruderschaften als Ausdruck der Volksfrömmigkeit. Das Beispiel Goslar, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 77 (2005), 134. – Ernst Koch, Die Geschichte der Copludegilde von Goslar, in: Zeitschrift des Harz-Vereins 45 (1912), 241 ff.; 46 (1913), 1–47. Klaus Flink in: Kurköln (wie Anm. 1), 153 Tab. 5.

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felt68. Wollte der Sohn eines Dechanten oder Mitbruders beitreten, hatte er einen Goldgulden zu zahlen, der Stadt aber einen Ledereimer zu stellen. Die an sich unübliche Verpflichtung der Stadt gegenüber erklärt sich daraus, dass jeder Bürger zum Feuerlöschen verpflichtet war und dafür eines Ledereimers bedurfte. Der Ledereimer diente also als Brandeimer zur möglichen Bekämpfung einer Brandkatastrophe. Der Sohn eines Bürgers, der kein Mitglied der Bruderschaft war, hatte der Bruderschaft 1 ½ Goldgulden zu entrichten und für die Stadt zwei Ledereimer zur Verfügung zu halten. War der Kandidat der Sohn eines Fremden oder eines „Ausländers“, also eines Mannes, der bislang nicht in Kempen gewohnt hatte und kein Kempener Bürgerssohn war, zahlte er der Bruderschaft drei Goldgulden. Den Dechanten hatte er ferner zwei Viertel Wein zu reichen. Der Stadt aber sollte er eine Feuerbüchse mit einem Bandelier nachweisen, wobei das Bandelier vor allem als Behältnis für den Schießbedarf diente. Dazu erhielt der „Bote“ drei Raderalbus. Die nicht ganz vollständig erhaltenen Statuten von 1615 geben uns ein Bild von der Bruderschaft aus dem Beginn des 17. Jahrhunderts. Eine andere Frage ist, wie weit einzelne Bestimmungen in die Vergangenheit zurückprojiziert werden können und inwieweit sie für eine frühere Zeit gültig gewesen sein mögen. Zur Beantwortung dieser Fragen helfen die erhaltenen Rechnungen von 1482 bis 1569 einen Schritt weiter. Zunächst ist festzuhalten, dass die Bestimmungen über den Handel und das Hausieren der Fremden, die Kontrolle der Waren, die Ansprüche der Bruderschaft an fremde Kaufleute und Kleinhändler und die Kontrolle des Marktes kaum zu verifizieren sind. Jedenfalls sind keine eindeutigen Hinweise darauf zu finden, dass die Nikolausbruderschaft schon während des Mittelalters oder zu Beginn der frühen Neuzeit, also vom Ende des 14. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts derartige Funktionen ausgeübt hätte. Die Rechnungen der Bruderschaft bestätigen daher nur zum Teil die Angaben aus der Vorlage von 1615. Es ist auch nicht zu verifizieren, ob das Amt des ersten Dekans am 10. oder am kommenden 28. Dezember an den abtretenden Ratsbürgermeister gefallen sei. Die Namen der ersten fassbaren Dekane der Bruderschaft seit 1395 geben keine Anhaltspunkte für eine solche Aussage69. Der 1428, 1429 und 1431 bezeugte erste Dekan der Bruderschaft hatte zwar 1428 das Bürgermeisteramt bekleidet, aber weder seine Vorgänger noch seine Nachfolger, ganz zu schweigen von den zweiten Dekanen, sind als solche Amtsträger in den Jahren vor ihren Bruderschaftsdekanaten bezeugt. Da die Nikolausbruderschaft die bedeutendste Bruderschaft in Kempen war, die sich auch auf die vornehmsten Familien stützte, kann es nicht verwundern, wenn ein Dekan oder Dechen gleichzeitig das 68 69

Vgl. Isenmann (wie Anm. 25), 312. Vgl. die Liste der Dekane der Nikolausbruderschaft in Anhang 1.

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Bürgermeisteramt ausgeübt hatte. Das mag immerhin auch noch auf Heinrich ten Hoeve zutreffen, der 1483 der erste Dekan der Bruderschaft und im Jahr zuvor das Amt eines Gemeindebürgermeisters bekleidet hatte. Die Regel änderte sich allerdings spätestens 1489. Leider sind zwischen 1486 und 1489 keine Dekane nachzuweisen, so dass für diese Jahre auch kein Nachweis erbracht werden kann. Ab 1489 war ein Dekan, meistens der erste Dekan, immer auch Ratsbürgermeister und nur einmal Gemeindebürgermeister. Seit 1498 kann man bei wenigen Ausnahmen behaupten, dass der erste Dekan auch ehemaliger Ratsbürgermeister gewesen war. Von dem Jahr 1539 an ist der Zusammenhang völlig klar, weil der erste Dekan in den Rechnungen stets auch „Bürgermeister“ genannt worden ist, eben weil er ehemaliger Ratsbürgermeister gewesen war. Daraus kann man ableiten, dass spätestens 1489 eine Regelung gefunden worden sein muss, einen Bürgermeister, insbesondere den abtretenden Ratsbürgermeister, in die Verwaltung der Bruderschaft einzubinden. Spätestens seit dem Ende des 15. Jahrhundert wird man also davon ausgehen können, dass das Amt des ersten Dekans am 10. oder 28. Dezember automatisch – bei wenigen Ausnahmen – an den jeweils abtretenden Ratsbürgermeister fiel. Die Brüder wählten dagegen den zweiten Dekan am 28. Dezember. Diese Wahl fand auch in den Rechnungen ihren Niederschlag. Bereits zum Jahr 1485 wurde an dem Tag abgerechnet: myt sint Claes brodern, da men deychen gekaeren haedt, verdaen 6 Mark 5 Schillinge 8 Pfennige70. Es ist unklar, ob damals noch zwei oder nur ein Dekan gewählt worden ist, da die Namen der Gewählten nicht angegeben worden sind. In den folgenden Jahren ab 1489 wurde jedenfalls am 28. Dezember jeweils nur noch ein Dekan gewählt, wie auch aus den Rechnungen hervorgeht. Am selben Tag, dem 28. Dezember, wurde die Rechenschaft abgelegt, aber nicht in der Kirche, in der Annenkapelle, wie Terwelp und Klöckner meinen71, sondern in Häusern der Brüder oder zumindest von Einwohnern Kempens. In einem dieser Gebäude fand auch die Wahl statt. 1485 waren es die Häuser Johann Sistrops und Johanns von Oedt (Oede)72. Ob vor der Wahl Orgel und Violinen mit ihrem Spiel die Feierlichkeit des Tages gehoben haben, wissen wir nicht. In den Rechnungen ist dazu bis zum Ende des Tridentinums (1563)73 nichts dergleichen zu finden. Es mag sein, dass die Brüder vor der Wahl und der Rechenschaftsablegung ein Hochamt besucht haben. Das könnte man sogar für 70 71 72 73

StA Kempen, C 152, fol. 9v. Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 178. StA Kempen, C 152, fol. 9v. Zu den Änderungen infolge des Tridentinums und den Auswirkungen auf Bruderschaften vgl. Militzer, Quellen (wie Anm. 5), Band 1, XVI f. – Rebekka von Mallinckrodt, Struktur und kollektiver Eigensinn. Kölner Laienbruderschaften im Zeitalter der Konfessionalisierung (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 209), Göttingen 2005, 77–83.

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wahrscheinlich halten, bezeugt ist es nicht. Offenbar verursachte die Messe keine Kosten insofern, als sie die Bruderschaft als Gesamtheit betroffen und in den Rechnungen ihren Niederschlag gefunden hätten. Allerdings ist 1485 tatsächlich ein Orgelspieler entlohnt worden. Er spielte aber am Nikolaustag, am 6. Dezember. Derjenige der den Blasbalg bediente, erhielt auch eine Belohnung74. Zu anderen Jahren habe ich keine derartigen Ausgaben an einem Nikolaustag finden können. Möglicherweise wurden sie anders verbucht, oder der Bruderschaftstag am 28. Dezember hat andere Tage überschattet und schließlich an den Rand gedrängt und überflüssig gemacht, was auch für den Nikolaustag zutreffen könnte. Aber dazu bedürfte es eingehenderer Untersuchungen. Ein weiteres wichtiges Element der Bruderschaft war laut der Statutenabschrift von 1615 die Verteilung von Nahrungsmitteln an die Hausarmen oder die Armen der Bruderschaft. An drei Terminen sollte Brot und an weiteren zwei zusätzlich Speck gespendet werden, nämlich am Abend vor dem Holzfahrtag, also dem Abend vor dem Donnerstag nach Pfingsten, dann am Tag vor St. Nikolaus, also am 5. Dezember, und an Silvester. Da diese Spenden mit Ausgaben verbunden waren, müssen sie in den Rechnungen wiederzufinden sein. In der Tat sind genau die in den Statuten angeführten Spenden in der angegebenen Höhe und Verteilung seit dem Jahr 1518 in den Abrechnungen zu ermitteln75. Seit 1494 sind außerdem Löhne für das Backen von Brot aus zwei Maltern Roggen für die Armen verzeichnet76. Daraus könnte man schließen, dass zumindest schon seit 1494 der Armen am 5. Dezember, also dem Tag vor dem Nikolaustag, in einem geringeren Ausmaß gedacht worden ist. Ob diese Armenspeisung auf eine Spende zurückzuführen ist, bleibt ungewiss. Eine entsprechende Nachricht hat sich nicht erhalten. Warum die Bruderschaft dann 1518 die erweiterte Armenspeisung eingeführt hat, bleibt ebenso ungewiss, da sich keine zusätzlichen Nachrichten für die Umstellung erhalten haben. Die Ausführungen mögen Zweifel daran wecken, ob die Bruderschaft schon seit 1395 eine umfangreichere Armenfürsorge betrieben habe77. Hinzu kommt, dass sich im allgemeinen erst im Laufe des 15. Jahrhunderts und vor allem seit dem 16. Jahrhundert viele Bruderschaften in zahlreichen Städten der Armenfürsorge zugewandt und in dieser Aufgabe fortan einen wesentlichen Zweck ihrer Gemeinschaft gesehen haben78. Im Laufe des 16. Jahrhunderts verengte sich die Fürsorge aber auf die 74 75 76 77 78

StA Kempen, C 152, fol. 9v. StA Kempen, C 152, fol. 71v–72r. StA Kempen, C 152, fol. 24v (1494), 27v (1495). Freilich ist für das Jahr 1498 kein Backlohn mehr abgerechnet worden, ebd., fol. 38r–39r. Daher bezweifelt Janssen, Pfarre (wie Anm. 8), 19, auch ein verstärktes Engagement der Bruderschaften für Arme. Militzer, Quellen (wie Anm. 5), Band 1, XCV ff. – Militzer, Bruderschaften (wie Anm. 61), 250. – Militzer, Laienbruderschaften in Köln im 16. Jahrhundert, in: Köln als Kom-

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jeweiligen in der Stadt selbst lebenden Armen79, so dass erst seit dieser Zeit in größerem Umfang die Unterstützung einheimischer „Hausarmer“ zu konstatieren ist. Hinzu kommt, dass 1390/1421 ein Spital errichtet worden ist, die Stadt selbst bereits 1429 eine Montagsspende für die Hausarmen eingerichtet hatte, die 1503 durch die Freitagsspende ergänzt wurde80. Die Nikolausbruderschaft hat also nur eine zusätzliche Armenfürsorge betrieben und das mit wachsender Intensität wahrscheinlich erst seit dem Ende des 15. Jahrhunderts. Damit sind die Aussagen, die die Rechnungen zu bieten haben, keineswegs erschöpft. Sie legen über die in den Statuten von 1615 festgehaltenen Hinweisen weitere Sachverhalte zum Leben und Treiben der Bruderschaft dar. Wichtig für die Brüder war wohl vor allem ihre Beteiligung an der Marienprozession der Pfarrkirche, an der übrigens auch alle übrigen Bruderschaften, soweit es sich nachweisen lässt, teilgenommen haben. 1486 etwa erhielten die Mitbrüder der Nikolausbruderschaft eine Belohnung, aber nur die Brüder, die während der Pfarrprozession das Marienbild auf ihren Schultern zur Peterskapelle außerhalb der Stadt Kempen getragen haben. In der Kapelle selbst bedienten sich die Mitbrüder auf Kosten der Bruderschaft mit Brot und Bier81. Außerdem erhielten Brüder, die die Nikolausstatute oder das Nikolausbild trugen, eine Entschädigung. Bei dieser Prozession am Nikolaustag kann es sich nur um einen kleineren Umgang in der Stadt oder in der Pfarrkirche selbst gehandelt haben82. Daneben waren im Leben der Mitglieder der Nikolausbruderschaft der Himmelfahrtstag und das Fronleichnamsfest von besonderer Bedeutung. An beiden Tagen wurden Ausgaben fällig, die in den Rechnungen auftauchen83. An den Donnerstagen in den Quatemberwochen, also nach Invocavit, nach Pfingsten, dann aber auch vor dem 24. Juni, nach Michaelis und am 6. Januar entstanden oft Ausgaben für das Begängnis der Brüder und Schwestern84. An Ostern hatte der Dechen der Bruderschaft die Hälfte des Messweins zu zahlen. Die Ausgaben erhielt er von der Bruderschaft ersetzt. In der Tat tauchen derartige Ausgaben in den Rechnungen immer wieder auf. 1482 waren zu Ostern 15 Quart zu zahlen, 1486 12 Quart, 1489 10 Quart, 1490 13 ½ Quart, 1491

79 80 81 82 83 84

munikationszentrum, hg. von Georg Mölich, Gerd Schwerhoff (Der Riss im Himmel, 4), Köln 1999, 262 f. Jütte (wie Anm. 61), 337. Janssen, Pfarre (wie Anm. 8), 23 mit Anm. 89-90. StA Kempen, C 152, fol. 11r. – Vgl. Janssen, Pfarre (wie Anm. 8), 21. StA Kempen, C 152, fol. 11r. StA Kempen, C 152, fol. 1v, 5r, 9r und öfter. StA Kempen, C 152, fol. 11r (1486), 24r (1494), 27r (1495) usw.

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11 Quart usw.85. Die Bestimmung der Statuten von 1615, dass die Bruderschaft zu Ostern die Hälfte des Kommunikantenweins zu begleichen habe, scheint also sehr alt gewesen zu sein. Zumindest reicht die Pflicht in die Zeit vor der Aufzeichnung der erhaltenen Rechnungen zurück. Ob die Verpflichtung schon seit der Gründung der Bruderschaft bestanden haben mag, ist nicht mehr zu ermitteln. Wenn ein Kandidat der Bruderschaft beitreten wollte und die Mitbrüder dem zustimmten, hatten sie laut den Statuten von 1615 abgestufte Eintrittsgelder zu entrichten und außerdem der Stadt Ledereimer oder Rüstungsgegenstände vorzuzeigen und zu unterhalten. Davon ist den Rechnungen, soweit ich sehe, nichts zu entnehmen, jedenfalls nicht bis zu dem Tridentinum und einer möglichen Umgestaltung der Bruderschaft. In den Bruderschaftsrechnungen wird man allerdings kaum den Nachweis von Ledereimern oder Rüstungsgegenständen vermuten dürfen. Sie könnten allenfalls von den Stadtschreibern in den städtischen Akten vermerkt worden sein. Aber die abgestuften Eintrittsgelder hätte man doch in den Bruderschaftsrechnungen wiederfinden müssen. Das ist jedoch nur bedingt der Fall. Erstens finden sich in ihnen nur selten Eintrittsgelder als solche verzeichnet. Vielleicht hat man die Einkünfte unter anderen, nicht ohne Weiteres einsichtigen Rubriken eingetragen. Im Jahr 1500 aber sind ausdrücklich mehrere Kandidaten aufgenommen worden, die zu unterschiedlichen Zahlungen verpflichtet worden waren. Die Geldsummen erstreckten sich von vier bis 18 Albus. Andere sollten ¼ bis 1 ½ Pfund Wachs liefern86. Derartige Abgaben sind jedenfalls mit den in den Statuten von 1615 vorgesehenen Eintrittsgeldern nicht in Übereinstimmung zu bringen. Man wird also, was die Eintrittsgebühren nach den Statuten von 1615 angeht, von einer Neuerung nach dem Tridentinum ausgehen können. Die Rechnungen seit 1482 gestatten nun auch die Aussage, dass tatsächlich Frauen Mitglieder der Bruderschaft werden konnten. Denn 1491 ist vermerkt, dass ein Mahl auch mit Frauen ausgetragen worden sei87. Immerhin ist auch 1454 in einer Urkunde festgehalten, dass Frauen der Bruderschaft beigetreten sind, wie im folgenden noch näher ausgeführt wird. Allerdings sind Schwestern in den Rechnungen oder gar in den Urkunden nur selten gesondert erwähnt. Die Bruderschaft war und blieb fest in den Händen der Mitbrüder, die nicht nur die Dekane stellten, sondern auch die Politik der Gemeinschaft bestimmten. Die meisten Ausgaben verursachte aber wohl der Ankauf von Wachs. Anfangs scheinen die Kosten dafür noch nicht ins Gewicht gefallen zu sein. Jeden85

86 87

StA Kempen, C 152, fol. 1r, 11r, 16r, 17r, 20r usw. 1 Ohm umfasste 100 Quart. – Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 273. Die Quart hätte dann etwa 1 ½ Liter betragen. StA Kempen, C 152, fol. 43r. StA Kempen, C 152, fol. 20r.

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falls sind sie zunächst nicht gesondert aufgeführt worden. Aber bereits 1490 finden sich Ausgaben für 14 ½ Pfund Wachs. Davon ließ man Kerzen drehen, die in den Kronleuchter über dem Nikolausaltar gesteckt wurden, sodann in die „Becken“ vor dem Altar oder im Chor, was nicht eindeutig zu entscheiden ist, und für die Bahre88. Im Jahr 1494 kam ein Doppelleuchter (doebelluter, doebelluchter), also wohl ein zweiarmiger Leuchter, hinzu, der wahrscheinlich vor oder an dem Nikolausaltar stand89. Die Bahre wurde gelegentlich auch balck genannt90 und die Kerzen auf der Bahre hin und wieder selen kertsen91. Der Kronleuchter über dem Nikolausaltar ist schon etwas älter. Denn bereits 1395 stiftete Adelheid oppen Dijck ½ Pfund Wachs für eine Kerze up die croene vor dem Nikolausaltar der Bruderschaft92. In derselben Urkunde ist auch zum ersten Male die Nikolausbruderschaft erwähnt. Der Kronleuchter dürfte also älter als die Schenkung von 1395 sein, ob er auch schon vor der Stiftung der Bruderschaft vor dem Altar gehangen hat, ist unbekannt. Ebenso wichtig wie die Rechnungen, die teilweise die Bestimmungen der Statuten von 1615 bestätigen können, ist eine Urkunde vom 19. Februar 145493. Sie ist insofern etwas kompliziert, als in ihr drei Urkunden enthalten sind. Erstens erteilte der Kölner Erzbischof Dietrich von Moers dem Wennemar Gruter von Wachtendonk, Doktor des Kaiserrechts, Propst von St. Suitbert in Kaiserswerth und Offizial der Kölner Kurie94, am 5. Januar 1454 den Auftrag, die Angelegenheit wegen zweier neuer Altäre in der Kempener Pfarrkirche zu regeln. Es ging um den Altar zu Ehren der Heiligen Hubertus, Antonius und Lambertus und um der Heiligen Martin, Sebastian und Fabian95. In der Folge ging es aber nur noch um den Hubertus- und Antoniusaltar. Lambert als weiterer Patron entfiel, wurde aber später wieder genannt. Die Beauftragung schrieb 88 89 90 91 92 93

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StA Kempen, C 152, fol. 17v; ebenso 1491, fol. 20v. StA Kempen, C 152, fol. 24v. StA Kempen, C 152, fol. 39r. StA Kempen, C 152, fol. 32r; 1505 auch sall kertsen, fol. 53r. StA Kempen, U 1395 Januar 17. StA Kempen, U 1454 Februar 19. Vgl. die Abschrift in Anhang 2. – Stadtarchiv Kempen (wie Anm. 10), 326 f., Nr. 315-316 sind in Wirklichkeit eine Urkunde, die der Bearbeiter Keussen unter zwei gesonderten Nummern aufgeteilt hat. Eine Abschrift der Urkunden findet sich im Propsteiarchiv Kempen, A 200, fol. 79–85, dazu der Anfang einer deutschen Übersetzung fol. 86–87. Zu dem Offizial vgl. Heinrich Molitor, Die Verwendung der Amtsbezeichnung „Generalvikar“ und „Offizial“ bei der Kölner Kurie während des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein 166 (1964), 181. – Klaus Militzer, Kölner Geistliche im Mittelalter, Band 1: Männer (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 91), Köln 2003, 669. Zu dem Altar vgl. Janssen, Pfarre (wie Anm. 8), 48. – Der Altar ist aber schon 1452 bezeugt; Stadtarchiv Kempen (wie Anm. 10), S. 35, Nr. 303.

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der erzbischöfliche Kanzleischreiber Emund, dessen Nachnamen wir nicht kennen96. Anschließend genehmigte Wennemar ein vom Notar Jakob Welingh97 ausgestelltes Instrument vom Freitag, dem 8. Februar 1454 und ließ es inserieren. Danach hatte die Nikolausbruderschaft, vertreten durch die beiden Dechanten Heinrich ten Have und Dietrich von Via, zu Ehren der heiligen Hubertus und Antonius einen Altar in der Pfarrkirche Kempens98 gestiftet und dotiert. Die Dotierung hatte die Bruderschaft nicht nur aus eigenen Mitteln zusammengebracht, sondern zusätzliche Einkünfte von Bürgern der Stadt und auch von der dortigen Matthiasbruderschaft eingeworben. Zunächst sollte Johannes ten Haeve, offenbar der Sohn eines Dechanten der Bruderschaft, die Pfründe erhalten. Das bezeugten ein Karmeliter, der Kempener Vizekurat, mehrere Kempener Bürger, Johann von Beeck, der kurkölnische Rentmeister, Bonner Scholaster und Pfarrer von Kempen99, und der Ritter Dietrich von Beissel. Diese Schenkungen waren in Kempen teils in der Pfarrkirche und teils auf der Kempener Kuhstraße vom Notar aufgenommen worden. Die Einschaltung eines Notars war erforderlich, weil die Dotierung und Stiftung eines Altars von dem Erzbischof bzw. seinem Offizial genehmigt und kirchenrechtlich abgesi-

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Emund ist in der erzbischöflichen Kanzlei vom 7. November 1450 bis zum 25. Mai 1461 nachzuweisen: Landesarchiv NRW, Abt. Westfalen, Hzt. Westfalen Zugang 18/1961, Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, Kurköln 4109, fol 8r, und ebd., Paderborn Urk. 1894. Allerdings hat Emund schon die letzte Urkunde nicht mehr selbst geschrieben. Die letzte von ihm geschriebene Urkunde stammt von 1461 Februar 25, Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, Kurköln Urkunde 2486. Er – wie seine Vorgänger und Nachfolger auch – verbarg seinen Namen meist unter dem Umbug. Der Notar hatte sich 1417 an der Kölner Universität immatrikuliert und war 1429 Schulrektor und 1441 Stadtschreiber geworden, bevor er 1456 gestorben ist; vgl. Die Matrikel der Universität Köln, Band 1, bearb. von Hermann Keussen (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, 8), Bonn 19282, S. 194, Nr. 114, 53. – Gerhard Terwelp, Die Stadt Kempen im Rheinland, Band 2, Kempen 1914, 7. – Weinforth, Campunni (wie Anm. 1), 189. Der Altar wurde auch Huperti et Anthonii super ossorio genannt. Johann von Beeck war Pfarrer von St. Marien in Kempen 1440-1472. – Neuheuser (wie Anm. 16), 52, aber auch kurkölnischer Rentmeister 1445–1457, Kanoniker von St. Cassius in Bonn 1423–1474, Kantor dort 1441–1444 und schließlich dortiger Scholaster 1446–1450, muss jedoch noch länger das Amt ausgeübt haben. Darüber hinaus war er 1457 Kanoniker von St. Andreas und 1460–1474 Propst von St. Georg in Köln. Er ist 1474 gestorben. – Klaus Militzer, Die Versorgung des kurkölnischen Hofes, in: Alltag bei Hofe, hg. von Werner Paravicini (Residenzenforschung 5), Sigmaringen 1995, 16. – Dietrich Höroldt, Das Stift St. Cassius zu Bonn von den Anfängen der Kirche bis zum Jahre 1580 (Bonner Geschichtsblätter 11), Bonn 1957, 221, 224. – Janssen, Pfarre (wie Anm. 8), 27.

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chert werden sollte. Die Kölner Kurie erkannte aber fast ausschließlich Notariatsinstrumente als vollgültige Beweismittel an100. Anschließend begab man sich nach Köln in das Wohnhaus Wennemars an der Trankgasse und ließ dort am Dienstag, dem 19. Februar 1454, weitere Bedingungen für die Versorgung des Altars durch einen Priester festlegen. Danach sollte die Stelle nur einem gebürtigen Kempener, der die Priesterweihe erhalten habe, übergeben werden. Er sei von den Bürgermeistern, dem Rat und den Dechanten der Bruderschaft auszuwählen und dem Pfarrer Kempens zu präsentieren. Offenbar war das schon im Falle des ersten Altaristen Johanns ten Haeve geschehen, da Johann, wie schon gesagt, einer angesehenen Kempener Familie entstammte. Die Pflichten des Altaristen wurden ebenfalls schriftlich festgelegt. Er habe stets in Kempen zu residieren und jeweils eine Messe in der Woche, und zwar jeweils morgens am Donnerstag und am Samstag zu lesen. Diese Verpflichtungen wurden dem Altaristen als Entlohung für die Einnahmen aus dem Stiftungsgut auferlegt. Sodann legte der Offizial fest, was zu geschehen habe, wenn das Stiftungsgut anwachse. Sollte es um zehn oberländische rheinische Gulden steigen, habe der Altarist jeweils am Montag zwischen der ersten und zweiten Messe eine Totenmesse zu singen. Der Schulmeister und die Schüler sollten als Messdiener fungieren und von ihm dafür entlohnt werden101. Steige das Einkommen über die zehn Gulden hinaus, sei der Pfarrer an den Einnahmen, aber auch an der Totenmesse zu beteiligen. Wenn die Einkünfte 58 Gulden über die ursprünglichen Einnahmen und die zehn zusätzlichen Gulden anwachsen sollten, sei die Hälfte der zusätzlichen Gelder dem Altaristen und die andere Hälfte den Armen der Bruderschaft zu reservieren. Unter den „Armen“ wird man wieder die „Hausarmen“ zu verstehen haben, auf die schon hingewiesen worden ist. Ferner war der Altarist verpflichtet, die Memorie für die verstorbenen Pfarrer von St. Marien, die Wohltäter der Kirche und des Altars und Brüder und Schwestern102 der Bruderschaft zu lesen. Der Altarist war grundsätzlich dem Pfarrer zu Gehorsam verpflichtet, hatte Schaden von der Pfarrkirche abzuwenden und dem Pfarrer Stolgebühren, Einnahmen aus der Beichte und von anderen dem Pfarrer zustehenden Rechten an den zuständigen Pfarrer

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Vgl. Peter-Johannes Schuler, Fortleben des Notariats in Verwaltung und Urkundenwesen im spätmittelalterlichen Deutschland, in: Notariado público y documento privado: de los orígenes al siglo XIV. Actas del VII Congreso Internacional de Diplomática Valencia, 1986, Band 2, Valencia 1989, 1227–1228. – Peter-Johannes Schuler,. in: Lexikon des Mittelalters, Band 6, Sp. 1272–1273. Wenn die Schüler das Sakrament am Tag des Heiligen, eben des Antonius, trugen, erhielten sie gelegentlich Geld von der Bruderschaft; StA Kempen, C 152, fol. 1v (Rechnung von 1482). An dieser Stelle wurde schon mit Frauen als Mitgliedern der Bruderschaft gerechnet.

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abzugeben. Es ist ausdrücklich vermerkt, dass Pfarrer Johann von Beeck mit den Bestimmungen zufrieden gewesen sei. Das Dokument ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Erstens lässt es einen kleinen Einblick in das spätmittelalterliche Leben der Bruderschaft zu. Zweitens bestätigt es unzweideutig die wichtige Funktion dieser wie auch anderer Bruderschaften hinsichtlich des Totengedenkens, der Memoria103. Zwar sollte der Altarist der Pfarrer und Wohltäter, aber ebenso der Brüder und Schwestern der Bruderschaft gedenken. Drittens bestätigt die Urkunde die Tatsache, dass Bruderschaften den Gottesdienst durch Mess- und Altarstiftungen vermehrten und bereicherten. Viertens gingen Bruderschaften oft, wenn auch nicht immer, gegen das insgesamt wenig zufriedenstellende System der Stellvertretung, des „Mietlingswesens“, vor104, indem sie den Altaristen zur Residenz und damit zur Feier der Messe in eigener Person zwangen. Fünftens ist in der Urkunde bezeugt, dass der Bruderschaft auch Frauen beigetreten waren, wie sich auch anhand der Rechnungen nachweisen ließ. Durch einen Einkauf in die Bruderschaft konnten sich diese Frauen ein Totengedenken und eine Memoria sichern105. Sechstens gibt das Dokument einen Hinweis darauf, dass auch in Kempen die Mitbrüder eine Art Aufsicht über ihren Altaristen ausübten106 und nicht gestatteten, dass er seine ihm obliegenden Aufgaben einem Stellvertreter übertrug, wenn das auch nach dem Wortlaut der Bestimmungen des Offizials nicht ausdrücklich ausgeschlossen war. Offenbar glaubte man aber, einen gebürtigen Kempener besser als einen von auswärts kommenden Geistlichen kontrollieren zu können. Letztendlich und siebtens ist die Altarstiftung ein weiterer Beleg für das vermehrte Interesse an der Messe und dem Messopfer und die gestiegene Ergriffenheit der Laien und ihrer Hinwendung auf religiöse Fragen gerade im 15. Jahrhundert107. Die Nikolausbruderschaft stiftete zusammen mit anderen Bürgern Kempens einen Altar, der später vor allem als Antoniusaltar bekannt sein sollte, ursprünglich wohl in der sogenannten „Töniskapelle“ hinter dem Eingang durch den 103 104

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Wilhelm Janssen, Das Erzbistum Köln im späten Mittelalter, 2 Bände (Geschichte des Erzbistums Köln 2,1–2), Köln 1995–2003; hier: Band 2, 501–502. Dazu Janssen, Erzbistum (wie Anm. 103), Band 1, 400 f.; Band 2, 51 ff. 1454 war der Pfarrer von Kempen ein solcher Mietling. Denn Johann von Beeck dürfte sich als Rentmeister und Inhaber zahlreicher Pfründen kaum in Kempen aufgehalten haben. Die eigentliche Seelsorge oblag seinem Vizekurat Johann de Via aus einer vornehmen Kempener Familie. Vgl. Militzer, Quellen (wie Anm. 5), Band 1, LXII–LXIII. Vgl. Militzer, Laienbruderschaften (wie Anm. 78), 259. – Janssen, Pfarre (wie Anm. 8), 23, spricht von einer „gemeindlichen Mitwirkung“ im „Bereich der Kirchenadministration“. Vgl. auch Janssen, Pfarre (wie Anm. 8), 22.

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Glockenturm auf der rechten Seite gestanden hat und nun im nördlichen Seitenschiff vor der Sakristei steht108. Diesen von der Nikolausbruderschaft gestifteten oder zumindest auf deren Veranlassung gestifteten Altar wählte sich die Antoniusbruderschaft der Schneider zu ihrem Bruderschaftsaltar und feierte an ihm die Messen, die Exequien und die Totengedächtnisse für ihre Mitglieder. Die Nikolausbruderschaft wird kaum viel älter als ihre anfängliche Nennung gewesen sein. Man wird wohl davon ausgehen können, dass sie eine Laienbruderschaft wie andere in Kempen auch gewesen ist. Erst im Laufe der Zeit übernahm sie Handelskontrollen und regelte den Zugang zum Markt, wie wir es aus dem Statutenfragment von 1615 kennen gelernt haben. Ihre Hauptaufgabe bestand anfangs jedoch in der Memoria und dem Totengedächtnis der verstorbenen Brüder und wohl auch Schwestern und deren Exequien. Ihre Mitglieder setzten sich aus Angehörigen der vornehmeren Kempener Familien zusammen, soweit sich Aussagen machen lassen. Zwei Dechanten oder Dechen leiteten die Bruderschaft. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurde stets am 10. oder 27. Dezember der abgehende Ratsbürgermeister einer der beiden Dechanten oder Dechen, und zwar fast immer der an erster Stelle genannte. Der andere Dechen, meist der an zweiter Stelle genannte, wurde jeweils am 28. Dezember von den Mitbrüdern gewählt. Eine wichtige Aufgabe wuchs der Bruderschaft im Laufe der Zeit zu, nämlich die Versorgung ihres Bruderschaftsaltars in der Kempener Pfarrkirche mit Kerzen. Ein Kronleuchter hing schon sehr früh über dem Altar, vielleicht schon, bevor die Bruderschaft gegründet worden war. Jedenfalls spricht die erste erhaltene Urkunde, in der die Bruderschaft genannt ist, bereits von einem solchen Kronleuchter, der mit Kerzen versehen werden sollte. Es kamen weitere hinzu, und zwar die, die für einen zweiarmigen Leuchter seit 1494 zu beschaffen waren. Ferner hatte die Bruderschaft wohl schon immer Kerzen für die Bahre zu stellen, sogenannte „Seelenkerzen“. Nach einigen wenigen Nachweisen bereits im 15. Jahrhundert setzte im 16. Jahrhundert vermehrt eine Versorgung der Armen mit Lebensmitteln ein. Eine Armenfürsorge war bereits in der Urkunde von 1454 vorgesehen gewesen. Allerdings werden Bedürftige von den Gaben kaum ihren gesamten Ernährungsbedarf haben decken können. 108

Terwelp/Klöckner, Band 3 (wie Anm. 6), 237. – Weinforth (wie Anm. 1), Band 1, 146, 157.; dazu Hoffmann, Antwerpener Antoniusretabel (wie Anm. 29). Godehard Hofmann, Infrarotuntersuchungen: der flämische Jakobus- und Antoniusaltar, in: Denkmalpflege im Rheinland 12 (1995), 4–11. – Godehard Hofmann, Die Rückseite des Antwerpener Antoniusretabels in der Kempener Propsteikirche, in: Denkmalpflege im Rheinland 22 (2005), 168–170. Hoffmanns Meinung nach sei der Altar aber erst um 1520 angefertigt worden. Sollte die Datierung stimmen, kann der flämische Altar nicht mit dem 1454 gestifteten Altar identisch gewesen sein. Der 1454 gestiftete müsste dann im 16. Jahrhundert durch einen flämischen Altar ersetzt worden sein.

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Andere Angaben aus den Statuten von 1615 lassen sich für frühere Jahre oder Jahrhunderte nicht belegen. Dazu gehört das gestaffelte Eintrittsgeld, das sehr an die Gewohnheiten der Zünfte erinnert, die Haltung von Ledereimern oder Rüstungsteilen für neu eintretende Mitbrüder. Es ist auch nicht zu beweisen, dass die Brüder vor der Wahl am 28. Dezember eine Messe besucht oder ausgerichtet hätten. Immerhin mag das noch für wahrscheinlich gehalten werden. Ob jedoch in unserem Untersuchungszeitraum bis 1563 jeweils am 28. Dezember zur Messe die Orgel und Violinen erklangen, ist ganz ungewiss. Den Einsatz dieser Instrumente werden weitere Untersuchungen verifizieren müssen. Sicher haben weder die Wahl noch die Rechenschaftslegung in dem genannten Zeitraum bis zum Ende des Tridentinums (1563) in der Annenkapelle der Pfarrkirche stattgefunden. Beide Angelegenheiten wurden in jeweils wechselnden Häusern von Mitbrüdern oder Bürgern Kempens erledigt. Ungewiss bleiben auch die Ladungen zu Bruderschaftstreffen und die fälligen Bußen für die Missachtung von Ladungen oder über die Beilegung von Streitigkeiten innerhalb der Vereinigung. Zwar hatte jede Genossenschaft für Frieden innerhalb ihrer Gemeinschaft Sorge zu tragen, aber die Zuziehung der obrigkeitlichen Gewalt und der Vorbehalt obrigkeitlicher Strafen deutet doch auf eine späte Zeit und dürfte nicht ohne weiteres in das Mittelalter und vielleicht auch nicht in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts zurückprojiziert werden109. Wenn auch trotz einer gewissen Fülle der Überlieferung nicht alle Wünsche zu erfüllen gewesen sind, mag die vorliegende Untersuchung doch die eine oder andere Erkenntnis gebracht haben. Wenn sie zu weiteren Arbeiten anregen sollte, hat sie schon einen Teil ihrer Aufgabe erfüllt.

109

Vgl. Isenmann (wie Anm. 25), 315–318.

Bruderschaften im spätmittelalterlichen Kempen

195

Anhang 1: Liste der Dekane der Nikolausbruderschaft110 Jahr 1. Dekan 1395 Hermann oppen Vorst 1410 Hermann oppen Voerst 1421 Heinrich Raven

BM

1441 Johann Corner

Dietrich de Via

1454 Heinrich ten Have

Dietrich de Via

1482 Friedrich Hoiffsleger 1483 H. ten Hoeve

Jakob ter Schuren

Nachweis U 1395 I 17 U 1410 II 16 U 1421 VII 6 U 1425 III 28 U 1428 I 3 U 1429 V 13 U 1431 I 9 U 1435 II 10 U 1441 II 23 U 1454 II 19 C 152 f. 0

Clais Hermans

C 152 f. 1r

Johann Mangelman

GBM 1482

1486 Kersgens

110

111

Dietrich Stertken Jakob oppen Mass Hennes Bloymken Johann Bloymken Sander inden Holt

Gortz onder Noeten Peter van [Wege]

1489 Heinrich Plonis

1491 Hennes ten Haeffe (gest. 1491)

BM

Gobel to Wegher

1425 Hermann to Vaerhuysen 1428 Heinrich Raven 1429 Heinrich Raven BM 1428 1431 Heinrich Raven 1435 Hennes Papen

1490 Dietrich Visß

2. Dekan -

RBM 1489

Heinrich van Arssoj Hennes van Ude

GBM 1485111 RBM 1488 RBM 1490

C 152 f. 11r C 152 f. 16r C 152 f. 17r C 152 f. 20r

Die Bezeichnung 1. und 2. Dekan richtet sich nach der Stellung in den Urkunden bzw. in dem Rechnungsbuch (C 152). Die Rechnungen sind seit 1482 erhalten, aber nicht ganz vollständig. Die Lücken sind durch urkundliche Nachweise nicht zu schließen. In der Rubrik BM (Bürgermeister) finden sich die für die Bruderschaft wichtigen Jahre des Bürgermeisteramts. Eine Liste der Bürgermeister findet sich in Terwelp, Band 1 (wie Anm. 54), 80–91. GBM bedeutet Gemeindebürgermeister und RBM Ratsbürgermeister. Bei Terwelp, Band 1 (wie Anm. 54), 82: Gottfried Noeten genannt.

Klaus Militzer

196 1493 Friedrich Hofslegere 1494 Jan van Ude 1495 Daym Weyrver 1496 Gort under Noeten 1497 Clays Burgermyster 1498 Heinrich ten Haeyff 1499 [Ausriss der Namen] 1501 Heinrich Heyne 1504 Gort under Noetten 1505 Heinrich ten Haeiff 1506 Heinrich ten Haeiff 1507 Hennes Paep 1515 Heinrich Haen 1516 Gordt Huyssken 1518 Peter Vysscher 1519 Peter ingen Rade 1520 Gordt ingen Huyssken 1521 Peter van Well 1522 Peter Plonis

112 113 114

RBM 1492 RBM 1493 GBM 1494 RBM 1495

Heyne Verwers Jan to Wege Jan Muser Jan ter Schueren Jan to Vegh

RBM 1497

Friedrich ter Schuren

RBM 1500 RBM 1503112

Goyrdt Kruyshoifft

RBM 1496

Jakob van Anrad

113

Jan Kallen

RBM 1505 RBM 1506 RBM 1514 RBM 1515 RBM 1517 RBM 1518 RBM 1519114 RBM 1520 RBM 1521

Heinrich Yrkys Jan Hoet Ryckell Jakob Hermann to Graeff Jan Roick Lenx Haen Gysß Bols Gerhard Pyper Hennes Koiffman

Bei Terwelp, Band 1 (wie Anm. 54), 83: Gottfried Noeten genannt. Keine zutreffenden Angaben möglich. Bei Terwelp, Band 1 (wie Anm. 54), 83: Gottfried ingen Huißgen genannt.

C 152 f. 22r C 152 f. 24r C 152 f. 27r C 152 f. 31r C 152 f. 35r C 152 f. 38r C 152 f. 41r C 152 f. 44r C 152 f. 49r C 152 f. 53r C 152 f. 56r C 152 f. 60r C 152 f. 64r C 152 f. 68r C 152 f. 71r C 152 f. 75r C 152 f. 79r C 152 f. 83r C 152 f. 87r

Bruderschaften im spätmittelalterlichen Kempen

1525 Geldolf van Huls 1528 Gordt ingen Huysken 1529 Peter Plonis 1530 1531 1532 1533 1534 1535 1536 1537 1538 1539 1540 1541 1542 1543 1544 1545

115 116

RBM 1524 115

RBM 1528 Rembold HoifRBM sleger 1529 Konrad Hurstges RBM 1530 Johann van Huls RBM 1531 Johann Peylman RBM 1532 Gottfried Huyss- RBM ken 1533 Peter van Well RBM 1534 Rembold HuffRBM sleger 1535 Peter Ploenis RBM 1536 Johann Huls RBM 1537 RBM BM Konrad 1538 Hurstgen BM Rembold van RBM Oedt 1539116 BM Peter Ploenis RBM 1540 BM Peter Plonis d. RBM J. 1541 BM Heinrich Joyst RBM 1542 BM Severin Huls RBM 1543 BM Derick ingen RBM Blaesbalch 1544

Thyssken to Pasch van Suchtelen Gerhard Nouwe Hoet Jan Donck Heyn Ffytt Kengemar Heinrich under den Noeten Hermann Back (Vack?) Gerhard de Well Konrad Pull Jakob Ticheler Heinrich Plaetmecher Gerhard Bonartz Matthias Weell Otto up der Portzen Aloff Plate Horst Thys Peter van Kollen Johann Bonacker Heinrich Hoeffnagels

197 C 152 f. 91r C 152 f. 95r C 152 f. 99r C 152 f. 103r C 152 f. 107r C 152 f. 111r C 152 f. 115r C 152 f. 119r C 152 f. 123r C 152 f. 127r C 152 f. 131r C 152 f. 135r C 152 f. 139r C 152 f. 143r C 152 f. 147r C 152 f. 151r C 152 f. 155r C 152 f. 159r C 152 f. 163r

Keine Angabe möglich. Rembold Houffsleger war 1539 Ratsbürgermeister. Er dürfte mit Rembold von Oedt identisch gewesen sein.

198 1546 BM Rembold Houffsleger 1547 Konrad Hurstigis

Klaus Militzer

RBM117

RBM 1546 RBM 1548 Severin 1547118 Broyckhuiß 1549 BM Wilhelm RBM Hadde 1548 1550 BM Peter Vyscher RBM 1549 RBM 1551 BM Hermann 1550 Buscops RBM 1552 BM Konrad 1551 Huesgen 1553 BM Heinrich Nou RBM 1552 1555 BM Theus ingen RBM Raedt 1554 RBM 1556 BM Johann 1555 Huysken RBM 1558 BM Johann 1557 Duyker RBM 1559 BM Heinrich Verwer 1558 RBM 1560 BM Severin 1559119 Brouckhuys RBM 1561 BM Heinrich 1560120 Kopken 1562 BM Johann RBM Warrenborch 1561

117 118 119 120

Ulrich Schagen Andreas Pletgen Hennes tho Peisch Wilhelm Buntges Gerhard Steynfouder Adam Ensingen (?) Hermann in der Waegen Gaert Haemspaem Donck Peter Anthonius Ketelsleger Johann Now Peter Soemers Louff Wynner Wilhelm Gemulhuyß Albert Slaitzmerckers

C 152 f. 166r C 152 f. 170r C 152 f. 174r C 152 f. 179r C 152 f. 185r C 152 f. 189r C 152 f. 193r C 152 f. 197r C 152 f. 201r C 152 f. 204r C 152 f. 207r C 152 f. 210r C 152 f. 213r C 152 f. 217r C 152 f. 221r

Er ist zwar für 1545 nicht, aber davor als Ratsbürgermeister bezeugt. Er ist 1545 auch nicht als Gemeindebürgermeister belegt. Severin van Hüls war 1546 Ratsbürgermeister. Er dürfte mit Severin Broyckhuiß identisch gewesen sein. Ratsbürgermeister 1559 war Andreas ter Buicken. Jedoch übte Severin Brouckhuys alias van Hüls das Amt vorher aus. Ratsbürgermeister von 1560 war Heinrich Schloißmecher. Jedoch könnte Heinrich Kopken mit dem Bürgermeister identisch gewesen sein.

Bruderschaften im spätmittelalterlichen Kempen

199

Anhang 2: Stiftung des Hubertus- und Antoniusaltars von 1454 In nomine sancte et individue trinitatis, patris scilicet et filii et spiritus sancti, amen. Universis et singulis tam presentibus quam futuris presentes literas inspecturis Wynmarus de Wachtendonck, legum doctor, prepositus ecclesie sancti Swiberti Werdensis Coloniensis diocesis, officialis curie Coloniensis ac a reverendissimo in Christo patre et domino nostro Theoderico, sancte Coloniensis ecclesie archiepiscopo, sacri Romani imperii per Italiam archicancellario, Westfalie et Angarie duce, apostolice sedis legato etc., commissarius ad infrascripta specialiter deputatus, salutem in domino. Cum infrascriptorum noticia veritatis, literas commissionis supradicti reverendissimi domini nostri archiepiscopi etc., eius vero sigillo de cera viridis coloris in pressula pergamenis impendente sigillatas, sanas et integras omnique prorsus vicio suspicionis carentes pro parte militarium ac proconsulum, consulum, scabinorum, aliorum opidanorum opidi et parrochianorum ecclesie parrochialis Kempensis dicte diocesis nobis presentatas nos ea, qua decuit, reverencia recipisse noveritis unacum quodam instrumento publico per discretum virum Jacobum Welingh, notarium publicum signato et subscripto, nobis presentato et exhibito tenorum successive subsquentium. Theodericus, dei gracia sancte Coloniensis ecclesie archiepiscopus, sacri Romani imperii per Italiam archicancedllarius, Westfalie et Angarie dux, apostolice sedis legatus etc., honorabili Wynmaro de Wachtendonck, legum doctori, officiali curie nostre Coloniensis, consiliario et devoto nostro dilecto salutem in domino. Commisse novit desuper, sollicitudinis exposit officium, ut piis Christi fidelium votis hiis, precipue que divini cultus augmentum concernunt et saluti suffragantur animarum, benigne amamus. Oblata siquidem nobis subditorum nostrorum opidi nostri Kempensis peticio continebat, quod nonnulla bona ipsis a deo collata transitoria in eterna commutare desiderantium, altaria duo, unum in honore sanctorum Huperti, Anthonii et Lamberti, aliud sanctorum Martini, Sebastiani et Fabiani, martirum in ecclesia parrochiali opidi nostri predicti nostre diocesis construenda seu constructa, consecranda, dotanda et in perpetua beneficia ecclesiastica erigenda sumopere cuperent, et ut dotacionem huiusmodi admittere et authorizare, bona eciam dictis altaribus deputata seu deputanda, conferenda et assignanda eximere et ecclesiastice libertati asscribere ac eisdem altaribus applicare necnon ipsa altaria consecrari, mandare et in beneficia ecclesiastica auctoritate nostra ordinaria creare dignaremur. Nos igitur devotis prefatorum subditorum supplicacionibus favorabiliter inclinati, premissorum autem plenariam informacionem non habentes ac nostris et ecclesie nostre negociis arduis prepediti, de tuis legalitate et industria confidentes, tibi harum tenore committimus, quantus vocatis vocandis de meritis fundacionis predicte et singulis circumstanciis eatenus attendendis inquiras et te diligenter informes. Et si equum, racionabile seu iustum fuerit, fundacionem predictam auctoritate nostra

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approbes et confirmes. Dandi tibi plenariam potestatem omnia et singula faciendi, que in premissis et circa ea necessaria fuerint seu quomodolibet oportuna et que nos ipsi facere possemus, iusticia mediana, iuribus plebani et matricis ecclesie semper salvis. Datum in castro nostro Frystroym nostro sub sigillo presentibus appenso, quinta Januarii anno domini millesimo quadringentesimo quinquagesimo quarto [1454 Jan. 5], de mandato domini Coloniensis Emundus. In nomine domini amen. Quoniam tunc recte et cum quiete temporum ordo dirigitur, que scripti munimento ea, que sunt in tempore, ita roborantur apud modernos, ut eciam cana posteritas a noticia gestorum nullatenus oberret, universis igitur et singulis per hoc presens publicum instrumentum pateat evidenter, quod anno a nativitate domini millesimoquadringentesimo quinquagesimo quarto, indiccione secunda, mensis Februarii, die Veneris octava [1454 Februar 8], hora vero nona ante meridiem vel quasi, pontificatus siquidem sanctissimi in Christo patris et domini nostri domini Nicolai, divina providencia pape quinti, anno eius septimo, in mei notarii publici subscripti testiumque infrascriptorum ad id vocatorum specialiter et rogatorum presencia constituti in suis propriis personis Henricus ten Have et Dericus de Via, pridem provisores fraternitatis sancti Nicolai in opido Kempense in finem, ut cultus divinus augeatur in ecclesia Kempensi ac ut ibidem in perpetuum dotetur altare beatorum Huperti et Anthonii super ossorio vice et nomine omnium et singulorum fratrum eiusdem fraternitatis ad id plenarie licenciati et per eosdem atque deputati, libere et spontanee ad manus Johannis ten Have, clerici Coloniensis diocesis, in usum perpetuum sui et successorum eius eidem altari presidentium, resignarunt et supportarunt certas literas scabinales Kempenses cum perpetuatis annuis censibus in eisdem descriptis. Decem videlicet marcis Brabantinis in evum eidem altari pro primo in dotem asscribendis. Insuper constitutus providus Henricus de Oede, cirurgicus, sui et Cunegundis uxoris sui nomine ad idem altare deputavit quatuor maldra siliginis annui census solvendi de sex iurnalibus terrarum arabilium iuxta arborem sancti Huperti prope Pesch ante opidum Kempensem situatis, per quondam Stiinam Ludowici suis in extremis ad id ipsum deputata. Preterea constituti discreti coniuges Sanderus in Ligno et Sophia uxor eius, contulerunt donacione irrevocabili ad idem altare unum florenum superioris monete iuxta literam scabinalem super eo loquentem, quem ad manus prelibati Johannis ten Have eciam libere super eo resignarunt. Constitutusque Henricus de Kynnaide ad idem assignavit medietatem novem quartalium terrarum arabilium sitorum prope curtem dictam Busscherhoff, per quondam Drudam te Kynnade, genitricem suam, ad idem deputatam. Necnon constituta eciam Bela Busschoff ad idem asscripsit peciam terre arabilis quinque vel circa quartalium, sitam prope curtem Hinrici oppen Stonck, quam tolit Conradus de Drenen, quam legavit in eundem finem pretactum quondam Henno Busschoff, frater germanus dicte Bele, dum vixit. Ad idem quoque altare eciam proventum deputarunt fratres fraternitatis

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sancti Mathie apostoli in opido Kempense duas marcas Brabantinas perpetuati census, unam in quadam litera scabinali descriptam et aliam in promptis denariis pro altera comparanda. Ad idem quodamque eciam Druda Manss in eundem finem legavit in extremis suis dimidium maldrum siliginis perpetuati census, solvendi annue de domo Johannis Rotificis in opido Kempense pro eo obligata. Que quidem bona suprascripta in dotem et pro perpetua elemosina coram me notario et testibus infranominatis in subsidium presbiteri presidentis prescripto altari legata, donata atque deputata existunt omnibus melioribus via, iure, modo, causa et forma, quibus de iure id melius fieri poterit vel debuerit, quovis modo super quibus omnibus et singulis premissis et ea quomodolibet concernentibus memoratus Johannes ten Have, clericus Coloniensis diocesis, a me notario publico subscripto unum vel plura publicum seu publica et in meliori forma ad dictamen cuiuscumque sapientis ingrossari, fieri, confici et describi petiit instrumentum seu instrumenta. Acta sunt hec in opido Kempense partim in ecclesia ibidem, partim in platea Vaccarum eiusdem opidi, anno indiccione, mense, die, hora et pontificatu quibus supra, presentibus ibidem quoque religioso fratre Gotfrido Gruter, Carmelita, ac domino Johanne de Via, vicecurato Kempense, et Johanne Birman, notario, necnon honestis viribus Hinrico Altgot, Geirkino Rotificis, Henkino Busschoff, Heisone ten Broike, Jacobo oppen Vaer ac Petro Amplonii et Johanne de Campendonck, opidanis opidi Kempensis pluribusque aliis et singulis viris notabilibus et circumspectis, qui dudum ante tres menses et ultra eciam interfuerunt, dum prescripta bona in dotem dicti altaris deputata fuerunt et presertim dominis Johanne de Beeck, reddituario graciosissimi domini nostri archiepiscopi Coloniensis, scolastico Bunnense et pastore in Kempen, strenuoque milite Theoderico Beeisßel, testibus fidedignis ad premissa videndum et audiendum vocatis pariter et rogatis. Et ego Jacobus Welinck de Kempen, clericus Coloniensis diocesis, sacra imperiali auctoritate approbatus notarius, quia premissis omnibus et singulis unacum prenominatis testibus ea sic fieri videns et audiens presens interfui ideoque presens publicum instrumentum manu mea propria scriptum et subscriptum exinde confeci, quod signo et nomine meis solitis et consuetis signavi in testimonium veritatis requisitus omnium et singulorum premissorum. Quarum quidem literarum vigore pro parte prefatorum opidanorum et parrochianorum ac Johannis ten Have, clerici, fuit nobis expositum et significatum, qualiter nonnulle persone presertim in preinserto instrumento publico nominate desiderantes aliqua sua bona temporalia in eterna felici commercio commutare, illa prout in eodem instrumento publico designata sunt et inserta ad altare quoddam in honore sanctorum Huperti, Anthonii et Lamberti confessorum super ossorio in dicta parrochiali ecclesia Kempensi constructum et consecratum ad finem, ut illud in perpetuum beneficium ecclesiasticum erigatur, deputassent, pro suarum et aliorum animarum salute donassent, deputassent et assignassent

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in subsidium sacerdotis illi preessentis. Quapropter iidem exponentes pro suo interesse ac eciam pro desiderio pro personarum predictarum exequendo nobis humiliter supplicari fecerunt, quatenus altarem pretactum in ecclesiasticum beneficium perpetuum erigere, creare ac bona huiusmodi illi pro dote seu in dotem assignare auctoritate nobis in hac parte commissa illaque et alia successu temporis deo favente illis subroganda et dicto altari applicandi mortificare necnon ecclesiastice libertati asscribere dignaremus cum pactis, modis et condicionibus infrascriptis, videlicet, quod ius presentandi ad illud quotiens et quandocuiusque vacabit in rectorem illius personam ydoneam, actu presbiterum vel infra annum a die sue presentacionis ad dictum altare, postquam redditus et bona illius pro competentia presbiteri suffecerint et ad vigintiquinque florenos Renenses superiores monete singulis annis se extenderint, in presbiterum promovendum de opido vel parrochia Kempensi natum, rectori sive pastori pro tempore dicte parochialis ecclesie in Kempen spectabit, perpetuis futuris temporibus ad pro tempore burgimagistros ac dominos de consulatu dicti opidi Kempensis in huiusmodi officio seniores ac ad provisores seu decanos fraternitatis beati Nicolai ibidem. Quiquidem rector altaris huiusmodi obligatus erit, in perpetuum ad residenciam in opido Kempense predicto personalem et ad unam missam singulis septimanis et feriis quintis et sabbatibus in dicto altari et in aurora per se vel alium celebrandus. Et postquam redditus altaris predicti per surrogacionem aliorum bonorum ultra bona pretacta in predicto instrumento publico contenta creverint ad valorem decem florenorum Renensium monete superioris extunc singulis septimanis et feriis secundis infra primam et secundam missas hora sibi per pastorem ecclesie parrochialis predicte vel eius vicesgerentem deputanda tenebitur cantare per se vel alium missam pro defunctis in altari supradicto vel alio altari secundum disposicionem pastoris seu eius vicesgerentis et parrochianorum comemmoracioni. De quibus quidem decem florenis iamdictis tenebitur singulis annis duos ministrare, distribuere et assignare rectori pro tempore scolarium et scolaribus in Kempen huiusmodi missam pro defunctis cantare imminentibus aliis octo sibi ipsi retentis et reservatis. Insuper quoque si predicti redditus ipsius altaris ultra bona predicta in predicto instrumento descripta necnon decem florenos huiusmodi creverint seu augmentati fuerint, extunc pro singulis octo florenis similibus in quibus sint annuatim excreverint seu fuerint augmentati, prefatus rector altaris predicti tenebitur et erit obligatus in perpetuum singulis septimanis et aliis feriis missas in altari predicto vel alio prout prefertur convenienti inter primam et secundam missas celebrare. Ita quod si redditus huiusmodi in tantum excreverint seu augmentati fuerint, quod ad summam seu valorem quinquaginta octo florenorum Renensium consimilium pro singulis annis ascenderint unacum redditibus et bonis in instrumento publico suprascripto contentis et decem florenis suprascriptis inclusive, rector altaris sepedicti tenebitur et erit obligatus ad missas cottidianas locis et hora videlicet inter primam et secundam

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missas, ut premittitur, celebrandus. Si vero redditus et bona dicti altaris ultra summam quinquaginta octo florenorum huiusmodi, quod deus contendat, contigent augmentari, extunc pro huiusmodi augmento et eius medietates dent et spectabunt ad rectorem altaris pro tempore sepedicti reliqua vero medietate cedent et spectabunt ad usus pauperum de fraternitate beati Nicolai suprascripti tunc pro tempore existencium, quibus idem rector eos et ea pro huiusmodi medietate distribuere tenebitur in elemosina prout secundum deum et suam propriam conscienciam detentius et utilius noverint esse faciendum. Preterea prefatus pro tempore rector altaris predicti in missis per eum, ut prefertur, celebrandis et earum qualibet servabit memoriam pastoris sive rectoris ecclesie parrochialis prescripte necnon omnium benefactorum tam eiusdem ecclesie quam altaris sui predicti ac eciam omnium et singulorum fratrum et sororum de fraternitate beati Nicolai supradicta. Erit insuper idem rector eiusdem altaris obediens in licitis consuetis et honestis pastori pro tempore parrochialis ecclesie predicte, cui eciam in divinis et aliis assistere tenebitur et reverenciam et honorem exhibebit necnon oblaciones ad altare predictum tam infra quam ante et post missam deferendas eidem pastori vel eius vicesgerenti presentabit seu presentari sine contradictione promittet quemadmodum ceteri vicarii seu altariste ecclesie sepedicte, ita tamen quod nullo modo, quicquam faciet aut attemptabit in ecclesia predicta, quid in detrimentum ipsius pastoris aut eciam eiusdem ecclesie cedere possit. Neque prefatus rector altaris sepedicti de confessoribus audiendis aut sacramentis ecclesiasticis ministrandis in ecclesia parrochiali predicta seu infra parrochiam illius se quomodolibet intromittet sine speciali licencia pastoris eiusdem ecclesie sive locum tenentis pro tempore existentis super hoc obtenta nec eciam permutabit altare predictum sine licencia speciali dicta pastoris ac pronorum laicorum altaris eiusdem, qui pro tempore erunt supra designatorum. Nos itaque huiusmodi supplicacionibus et laudabili proposito prefatorum exponentium et non immerito favorabiliter annuentium et tamen in hac re procedere nosque taliter habere volentes, ut ius aliorum, quorum interest, non ledatur, super singulis in expedicione huius negocii necessariis et presertim, an in premissis seu ad ea consensus honorabilis domini Johannis de Beke, pastoris sive rectoris ecclesie parrochialis predicte, accesserit, inquisivimus diligenter. Et quia per et post huiusmodi inquisicionem comperimus consummacionem huius rei, modo et forma suprascriptis, fiendam in augmentum divini cedere cultus et ad illa et premissa omnia et singula dicti domini Johannis de Beke, pastoris, consensu accedente, redditus et bona supratactes et supratacta in predicto publico instrumento contentes et contenta unacum ceteris redditibus et bonis successu temporis subrogandis supradicto altari ad usum rectoris illius pro dote duximus applicandos et applicanda. Necnon id ipsum altare, quod per illos et illa iuxta modum et formam suprascriptos, quos tenore presencium auctoritate nobis in hac parte commissa admittimus et approbamus sufficienter dotatum extimamus

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in perpetuum beneficium ecclesiasticum erigimus atque creamus. Et insuper redditus et bona predictos et predicta tam in prescripto publico instrumento contentes et contenta quam alios et alia sic, ut premittitur, domino concedente subrogandos et subroganda mortificamus et ecclesiastice libertati asscribimus necnon omnibus et singulis privilegiis, indultis, exepcionibus, libertatibus et tutelis exnunc in antea gaudere volumus quibus alia bona ecclesiastica tam de iure communi quam ex forma privilegiorum, indultorum, exepcionum, libertatum et tutelarum et huiusmodi possent uti quomodolibet et gaudere memoratum decretum desuper interponentem auctoritate predicta per presentes. In quorum omnium et singulorum fidem et testimonium premissorum presentes literas exinde fieri fecimus sigillique nostri iussimus appensione muniri. Datum et actum Colonie in domo habitacionis nostre sita in vico Potus anno a nativitate domini millesimo quadringentesimo quingagesimo quarto die vero Martis decima nona mensis Februarii [1454 Februar 19]. Pergament 55 cm breit, 45 cm hoch, Umbug: 3 cm, Latein, Siegelurkunde mit Inserten, Siegel ab, Pergamentstreifen dafür vorhanden. Auszeichnungsschrift für die erste Zeile und die Anfänge der inserierten Urkunden und des Anfangs der Schlussurkunde. RV: Fundatio S. Anthonii altaris R [17. Jh.]; 1454 19/2 S. 38 E 39 [19. Jh.]. Reg.: Stadtarchiv Kempen (wie Anm. 10), S. 36–37, Nr. 315–316. StA Kempen, Urkunde 1454 Februar 19.

SABINE KÖTTING

Rechtsdokumente und Rechtsrituale bei Übertragungen des Küsteramtes in Kempen und Oedt

Der größere Rahmen Amtseinsetzungen geistlicher und weltlicher Machthaber wurden von jeher machtvoll und bildgewaltig inszeniert. In öffentlichen Einsetzungsritualen1 wurde der versammelten Gemeinschaft der Antritt des neuen Potentaten vor Augen geführt. Der einwandfreie, symbolbeladene Ablauf des Einsetzungsrituals war nicht nur für den Einsetzenden und den Eingesetzten, sondern auch für die jeweilige Gesellschaft von großer Wichtigkeit. Denn deren Aufbau und Zusammenhalt war, da ein Teil ihrer Selbst fehlte, in der Zeit der Vakanz eines Amtes bis zur rechtlich gültigen Neubesetzung, unterbrochen. Dies wiederum barg die Gefahr, zu einem unsicheren Zustand der Gemeinschaft zu führen. Diese Situation musste durch Einsetzungsrituale überbrückt und beendet werden. Gleichzeitig war es immer genauso wichtig, die bereits bestehenden gesellschaftlichen Gefüge zu bestätigen und zu festigen2. Die bestehende gesellschaftliche Ordnungen konnte durch den Vollzug solcher Rituale Bestätigung und Sicherung erfahren, da die „persönliche und soziale Identität der Beteiligten, die

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Zu den Begrifflichkeiten „Symbol“ und „Ritual“ verweise ich auf die Publikationen von Gerd Althoff und Barbara Stollberg-Rilinger. Insbesondere den Forschungsbericht von Barbara Stollberg Rilinger, Zeremoniell, Ritual, Symbol. Neue Forschungen zur symbolischen Kommunikation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000), 389–405 und den Überblicksartikel Barbara Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Thesen – Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000), 489–527. – Außerdem als neueste zu erwartende Literatur: Barbara Stollberg-Rilinger, Die Welt als Symboluniversum. Zur neueren Forschung über symbolische Kommunikation, in: Religiosità e Civiltà. Le comunicazioni simboliche. Atti della prima Settimana della Nuova Mendola, hg. von Giancarlo Andenna (im Druck) und Barbara Stollberg-Rilinger, On the Function of Rituals in the Holy Roman Empire, in: The Holy Roman Empire, hg. von Robert Evans (im Druck). Peter A. Winn, Rechtsrituale, in: Andréa Belliger, David J. Krieger, Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch, 4. Aufl. Wiesbaden 2008, 447–466, hier 466.

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Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder der ganzen Gesellschaft ausgedrückt und zugleich verwirklicht“3 wurde. Während eines Einsetzungsrituals wurde eine Person „aus einer genau definierten Situation in eine andere, ebenso genau definierte“4, welche vorher durch die Vakanz des Amtes entstanden war, hinübergeführt. Dies betraf nicht nur den sozialen, sondern auch den rechtlichen Status der Person. Durch dieses Ritual wurde beispielsweise aus einem Herzog ein König oder Kaiser und aus einem Bürger einer Stadt oder eines Dorfes konnte der Küster einer Pfarrkirche werden5. Es zeigt sich, dass immer die Interessen mehrerer Parteien, wenn nicht sogar der jeweiligen Gemeinschaft als Ganzes, berührt waren. Dementsprechend hat der Vorgang der Amtsübernahme mittels Aufzeichnung der Ereignisse durch anwesende Zeitgenossen, oder solche, die darüber berichtet bekamen, für einen reichen schriftlichen Nachlass gesorgt, welcher es der gegenwärtigen Forschung erlaubt, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen. Erst jüngst verschrieb sich die Ausstellung „Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800–1800“ in 2009 in Magdeburg den Einsetzungsritualen in Mittelalter und Früher Neuzeit. Neben Beschreibungen von Amtseinsetzungen bleiben vor allem die vorher ausgestellten, diesen Rechtsakt legitimierenden Urkunden zur Untersuchung für die Nachwelt vorhanden. Der Frage nach dem „Grund des Rechts“6 – ob nun aus Gewohnheit und Herkommen oder Satzung von außerhalb – interessiert in dieser Untersuchung weniger. Angesichts der Niederschrift von Einsetzungsritualen auf der Ebene von Königen und Kaisern, wird hier untersucht werden, wie sich dieser Vorgang bei kirchlichen Amtsträgern auf lokaler Ebene gestaltete. Für den Bereich der Kirchendiener mit Weihen sind beispielsweise Pfarrer7, Vikare und Kapläne zu nennen. Küster und Glöckner standen ebenfalls im Dienst der Kirche, waren aber nicht geweihte Personen. Wurden sie auch mittels Einsetzungsritualen in ihr Amt gehoben und 3

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Dorothee Linnemann, Rituale der Einsetzung. ,Äußere Formen’, Funktionen und Bedeutung, in: Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800–1800, hg. von Gerd Althoff u. a. (Ausstellungskatalog Magdeburg, Kulturhistorisches Museum), 2. Auflage Darmstadt 2009, 68–75, hier 68. Linnemann, Rituale (wie Anm. 3), 68. Für die Beziehung zwischen Recht und Ritual im Mittelalter mit Ausblicken auf die Frühe Neuzeit siehe den Aufsatz von Gerhard Dilcher, Mittelalterliches Recht und Ritual in ihrer wechselseitigen Beziehung, in: Frühmittelalterliche Studien 41 (2007), 297–316, vor allem 311–312. Siehe zu diesem Komplex den Aufsatz von Jürgen Weitzel, Der Grund des Rechts in Gewohnheit und Herkommen, in: Die Begründung des Rechts als historisches Problem, hg. von Dietmar Willoweit, München 2000, 137–152. Zu Amt und Person des Pfarrers sowie seiner Einsetzung in das Amt siehe Werner Freitag, Pfarrer, Kirche und ländliche Gemeinschaft. Das Dekanat Vechta 1400-1903 (Studien zur Regionalgeschichte, 11), Bielefeld 1998.

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wurde dieser Vorgang zeitgenössisch dokumentiert? Wie gestaltet sich auf dieser Ebene das Verhältnis von Ritual zu Schrift? War die Ausstellung von Urkunden als Voraussetzung für die Stellenbesetzung konstitutiv für den Erwerb eines Amtes? Gab es Kämpfe um Stellenbesetzungen, die von mehreren Parteien ausgefochten wurden? Eine Antwort auf diese Fragen – mit dem Fokus auf dem Küsteramt – versucht der folgende Aufsatz zu geben. Zunächst ist festzustellen, dass es an übergreifenden Darstellungen des Küsterdienstes in der katholischen Kirche – im Gegensatz zum Amt des Pfarrers – fehlt. Einzelne Arbeiten, beschäftigen sich mit lokalen Ausformungen, meist wird hier der Küster nur als Annex des Pfarrers gesehen. Es muss jedoch davor gewarnt werden, die Verhältnisse einfach zu übertragen, denn das Amt des Pfarrers und der Dienst des nichts geweihten Küsters stellen theologisch gesehen zwei völlig unterschiedliche Ebenen des Dienstes am Altar dar. Vertraut ist Kennern der Kempener Pfarrgeschichte der jahrhundertelange Streit um die Besetzung der Pfarrerstelle in Kempen, in welcher der Erzbischof von Köln sich bemühte, Rechte diesbezüglich durchzusetzen. Sogar die päpstliche Kurie schaltete sich zeitweise ein und setzte eigene Kandidaten in das Kempener Pfarramt. Dieses mündete in einem zähen Ringen mit zahlreichen personellen Wechseln. Erst im Vertrag von Kaiserswerth vom 25. Februar 1554 ging der Abt von Gladbach, der Patronatsherr der Pfarrkirche, als Sieger hervor und konnte nun, in seinen Rechten ungestört, die Pfarrstelle von Kempen mit einer Person seiner Wahl besetzen, welches meist ein Mitbruder aus dem Gladbacher Konvent war8. Der aufreibende Kampf um diese Stelle der Kempener Marienkirche erklärt sich unter anderem aus der Tatsache, dass sie eine der größten und einträglichsten im ganzen Xantener Archidiakonat war, weswegen selbst die Erzbischöfe von Köln sowie der Papst darauf bedacht waren, eigene Gefolgsmänner oder Verwandte mit diesem nicht nur würdevollen, sondern auch lukrativen Amt zu bedenken9. Diese Sachlage lässt den Schluss auf eine ähnlich gut dotierte Küsterstelle zu. So verwundert es nicht, dass auch um die Einsetzung des Küsters in Kempen ein Prozess geführt wurde. Der Chronist Johannes Wilmius berichtet, dass in den Jahren 1377, 1391, 1440 sowie 1445 allein der Pfarrer von Kempen das Recht besaß, dem Abt von Gladbach einen neuen Küster als Kandidaten zu 8

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Davon berichtet u. a. Johannes Wilmius, De pastoratu Kempensi liber, hg. von Gerhard Terwelp, Kempen 1897, u. a. XXXV–XLII; eine gute Zusammenfassung der Auseinandersetzung gibt: Stefan Laux, Reformationsversuche in Kurköln (1542–1548). Fallstudien zu einer Strukturgeschichte landstädtischer Reformation (Neuss, Kempen, Andernach, Linz), Münster 2001, 189–198. – Vgl. auch Ernst Brasse, Geschichte der Stadt und Abtei Gladbach, Band 2: Neuzeit, Mönchengladbach 1922, 14–19 und 33–35. Vgl. Friedhelm Weinforth, Campunni – Kempen. Geschichte einer niederrheinischen Stadt, Viersen 1993, 94.

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präsentieren10. Im Jahre 1490 wollte sich der Rat der Stadt das Recht der Präsentation aneignen und schlug eine Person aus seinen Reihen für dieses Amt vor. Der damals amtierende Pfarrer Laurents von Bibra bestritt dieses vermeintliche Recht, musste aber schlussendlich dem Rat Mitspracherechte bei der Präsentation der Kandidaten zugestehen11. Hier spielte sicherlich eine Rolle, dass der Rat über das Amt der Kirchmeister, welche von Ratsmitgliedern der Stadt bekleidet wurden, eine starke Stellung innerhalb der Pfarrei besaß und somit auf die kirchlichen Verhältnisse einwirken konnte12. Für die Kirchmeister war eine gute Zusammenarbeit mit einem Küster, dem sie trauen und vertrauen konnten wichtig, denn ihre Arbeitsbereiche überschnitten sich teilweise und sie waren für einen reibungslosen Ablauf auf einander angewiesen (z.B. die Anschaffung, Aufsicht bzw. Pflege der oft kostbaren liturgischen Geräte bzw. kirchlichen Austattungsgegenstände; die Verantwortung über die Kirchenschlüssel etc.)13. Der Streit um das Präsentationsrecht des Küsteramtes ist ein Beispiel dafür, dass nicht nur um die Einsetzung der Mächtigen gefochten wurde, sondern dass es sich auch auf Pfarrebene um wichtige und einträgliche Positionen, die die Interessen mehrerer Parteien berühren konnten, handelte. Es spielte hier nicht nur die Versorgungsfunktion für die eingesetzte Person eine Rolle, sondern durch das Präsentationsrecht, konnte man auch Einfluss auf das kirchliche Leben nehmen. Mittels der Einsetzung „seines“ Mannes in eine solche Stelle wurde zudem der Zugang zu den Einkünften der Stelle frei, vor allem wenn es sich, wie bei Kempen um eine inkorporierte Pfarrei handelte14. Bei einer Inkorpora10 11 12

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Wilmius, De pastoratu (wie Anm. 8), XXII, XXIII und XXVII. Zum Akt der Präsentation vgl. den entsprechenden Abschnitt in diesem Aufsatz. Siehe dazu die Akten im: Kreisarchiv Viersen, Stadtarchiv Kempen, E 182, fol. 66r–70v. Vgl. dazu Hanns Peter Neuheuser, Grundriß der Kempener Kirchengeschichte, Köln 1995, 28–29. – Ähnliches stellt Tobias Ulbricht für Bamberger Verhältnisse fest, vgl. Tobias Ulbrich, Päpstliche Provision oder patronatsherrliche Präsentation. Der Pfründenerwerb Bamberger Weltgeistlicher im 15. Jahrhundert, Husum 1998, 49. Vgl. zum Amt der Kirchmeister in der spätmittelalterlichen Stadt das Werk von Arnd Reitemeier, Pfarrkirchen in der Stadt des späten Mittelalters. Politik, Wirtschaft und Verwaltung, Stuttgart 2005; zur gegenseitigen Zuarbeit Küster – Kirchmeister siehe vor allem 228–229, 302–303. – Zur Mitverwaltung der Kirchen und ihrer Ausstattung durch Laien im Erzbistum Köln vgl. auch Wilhelm Janssen, Das Erzbistum Köln im späten Mittelalter 1191–1515, Teil 2, Köln 2003, 37 mit dem Hinweis auf die Mitwirkung bei der Anstellung von Küstern. Darauf weisen auch die zahlreichen weiteren Auseinandersetzungen um die Präsentationsrechte für Pfarrer und Vikare von Kempen hin, vgl. Inventar der ältesten Akten des Propsteiarchivs Kempen, bearb. von Hanns Peter Neuheuser, Köln 1995, vor allem 123– 125. – Vgl. zu den Motiven auch Wilhelm Janssen, Das Erzbistum Köln im späten Mittelalter 1191–1515, Teil 1, Köln 1995, 390–391: „Aber auch die Pfarrpfründe selbst oder – bei inkorporierten Pfarreien – die daraus entnommene portio congrua, der angemessene

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tion hatte die Mutterpfarrei das uneingeschränkte Recht an allen „Spiritualien“ und „Temporalien“ der Pfründe15. Zudem ging eine erfolgreiche Besetzung einer Stelle oft auch mit der Zahlung von Geldern und Gebühren (z. B. eine Aufnahmegebühr) an Patron und Kirchenobere einher16. Der Abt von Gladbach hatte somit als Leiter der Mutterpfarrei Abtei Gladbach ein dezidiertes Interesse, die Stelle mit einer Person, welche mit ihm verbunden war, zu besetzen. Letztlich gehört zu den Vorteilen eines Patronats der Einfluss, den der Patron durch Einsetzung einer Person seiner Wahl auf das kirchliche Leben vor Ort und dessen Gestaltung hatte. Dies war vor allem dann von Vorteil, wenn die Mutterpfarrei weit auseinander lag oder der Patron weit entfernt residierte. Die Amtsübernahme in der Frühen Neuzeit war ein Vorgang mit verschiedenen Akteuren, der sich durch verschiedene Rechtsträger und Phasen konstituierte. Drei Stufen musste ein Kandidat durchlaufen, um rechtskräftig in seinem Amt wirken und dessen Erträge genießen zu dürfen17:

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Anteil für den Seelsorgepriester, war ein so wertvolles Objekt, dass bei deren Neufestsetzung nicht nur die Interessen des Präbendaten, sondern auch die desjenigen auf stärkste berührt wurden, der diese Pfründe zu vergeben hatte. Der Inhaber des Kollationsrechts für die matrix ecclesia war deshalb stets bestrebt, seine Zustimmung zur Abtrennung einer selbständigen Filialkirche an die Bedingung zu knüpfen, auch dafür das Besetzungsrecht zu behaupten.“ Ein Beispiel mag die Nutzung dieser Rechte illustrieren: Nach dem Tod des Kempener Pfarrers Paulus Mauß nahm der Abt von Gladbach das ius spolii, ein eigentlich verbotenes, aber de facto von Patronatsherren oft ausgeübtes Recht an den Gütern verstorbener Kleriker, an dieser Pfründe wahr und nahm aus dessen Besitz 15 Ohm Wein und seine „Leibskleidung“ an sich, ließ aber „all übriges ohne Ausnahm aber auf der Pastorat, respective dem neuen Pastor […] welches einen ansehentlichen Wert betraget, da der Verlebte bei 30 ahmen Wein, sehr vieles und gutes Leinwand, Silberwerck, Hausgeräthe, auch an einzufürenden Rückstünden bei hundert karolinen hinterlaßen hat“ (Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland, Kurköln VIII 423/2, fol. 25rv). – Zum Spolienrecht vgl. auch Ulbrich, Päpstliche Provision (wie Anm. 12), 45. Zu den Rechten des Patrons siehe Peter Landau, Ius Patronatus. Studien zur Entwicklung des Patronats im Dekretalenrecht und der Kanonistik des 12. und 13. Jahrhundert, Köln–Wien 1975, 128–144. – Auf der Ebene der Benefizialverfahren der päpstlichen Kurie vgl. Elke Freifrau von Boeselager, Fiat ut petitur. Päpstliche Kurie und deutsche Benefizien im 15. Jahrhundert, Habil. Düsseldorf 1999, 7 und 467. Viele Amtsübernahmen in der Frühen Neuzeit scheinen nach diesem oder einem ähnlichen Schema ausgeführt worden zu sein, siehe dazu die Arbeiten von Freitag, Pfarrer (wie Anm. 7) und Lena Krull für das Amt des Pfarrers: Lena Krull, Lutherische Pfarrer in Lemgo. Kirche und Geistliche in einer konfessionalisierten Stadt des 17. Jahrhunderts, Münster 2009.

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1. Präsentation – Vorschlag, 2. Kollation – Übertragung, 3. Investitur – Einweisung. Das Verfahren hatte sich in den Bistümern des Deutschen Reiches über Jahrhunderte eingespielt und war im Grunde eine Abbildung des Benefizialverfahrens der päpstlichen Kurie in kleinerem Maßstab18. Denn im Ursprung war der Papst als oberste Vergabeinstanz aller kirchlichen Benefizien und Ämter zu sehen, dessen Befugnisse immer wieder von verschiedenen Personen herausgefordert und in Frage gestellt worden war sowie zu heftigsten Diskussionen und Konflikten geführt hatte (so z. B. im Investiturstreit)19. Während die höheren mit Jurisdiktionsgewalt ausgestatteten Ämter (beneficia maiora) gewöhnlich noch vom Papst verliehen wurden, konnten die niederen Ämter ohne Jurisdiktionsgewalt (beneficia minora) vom Bischof verliehen werden (libera collatio)20. Doch de facto wurde diese Jurisdiktionsgewalt durch Dritte, wie z. B. Patronatsherren oft durchbrochen, wie auch am Oedter und Kempener Beispiel deutlich wird21. Zur Dokumentation des tatsächlichen Durchlaufens der oben genannten drei Schritte wurden in Oedt und Kempen mindestens22 seit Ende des 16. Jahrhunderts entsprechende Belege, welche eine kirchenrechtsgeschichtlich wertvolle Quelle sind, verfertigt. Diese Dokumente wurden gesammelt und an einer gesonderten Stelle – meist in der Kirche und zusätzlich eine Abschrift im Archiv des Ausstellers – aufbewahrt, um in späteren (Streit-)Fällen auf altes Recht zurückgreifen zu können. In Kempen ist beispielsweise 1484 und 1536 von einer Kiste die Rede, in welcher diese Schriftstücke verwahrt wurden. Auch ist eine kleine Registratur der Pfarrer im Pfarrhaus bekannt, die sich aber eher auf die direkt die Pfarrseel-

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Vgl. von Boeselager, Fiat ut petitur (wie Anm. 16), 668–669. Vgl. von Boeselager, Fiat ut petitur (wie Anm. 16), 669. Vgl. Adolf Frank, Das Präsentationsrecht in der katholischen und evangelischen Kirche, jur. Diss. Greifswald 1912, 9. Allgemein dazu Frank, Präsentationsrecht (wie Anm. 20), 10. Hier jedenfalls setzt die erhaltene Überlieferung ein. Da der Chronist Wilmius in der Mitte des 17. Jahrhunderts aber von Dokumenten über geschehene Einsetzungen aus dem 14. Jahrhundert spricht, kann man annehmen, das mindestens seit diesem Datum die Verschriftlichung der Akte begonnen wurde. Wilmius, Chronicon, 22, 23 und 28. Nicht das sprichwörtlich „verbriefte Recht“ aber den Beginn der Verschriftlichung von Ritualen (zumindest der Liturgie) datiert Arnold Angenendt in das frühe Mittelalter. Von nun an sei „ein Ritualismus zu beobachten, eine strikte Befolgung des nunmehr schriftlich festgelegten Ritus.“ Vgl. Arnold Angenendt, Verschriftlichte Mündlichkeit – vermündlichte Schriftlichkeit. Der Prozess des Mittelalters, in: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Heinz Duchhardt, Gerd Melville, Köln–Weimar–Wien 1997, 3–25, hier 17–18.

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sorge betreffenden Schriftstücke bezog23. Schriftlichkeit und Ritual standen so in beständiger Wechselwirkung und bedingten sich gegenseitig24. Die über Amtseinsetzungen verfertigten Dokumente folgen einem Schema, da sie um rechtskräftig wirksam zu sein, bestimmte textliche Formeln und Beglaubigungsmittel (z.B. Siegel und Unterschrift) einhalten bzw. enthalten mussten25. Die Wichtigkeit der besonderen Beglaubigung zur Sicherung von Fälschung und Darstellung von Authentizität wird zudem dadurch ersichtlich, dass die Besiegelung und eigenhändige Unterschrift im Text ausdrücklich erwähnt wurde26. Da die Vergabe der niederen Kirchenämter, wie oben bereits erläutert, in den Diözesen und Bistümern in verschiedenen Händen lag und nicht einheitlich bei der päpstlichen Kurie, entwickelten sich keine einheitlichen Genehmigungsformeln27, sondern die Aussteller von Präsentations- und Kollationsurkunden orientierten sich entweder an dem päpstlichen Vorbild28, an lokalen Vorbildern (die evtl. schon in den Archiven gelagert waren) oder an Mustersammlungen von Gelehrten des Kanonischen Rechts. Aufbau und Inhalt der Urkunden konnte die jeweilige ausstellende Institution von zuvor ausgestellten Urkunden, die in ihrem Archiv lagerten, oder aus Formelsammlungen entnehmen. Diese waren Sammlungen von Mustern für Urkunden, die für den Abschluss von Rechtsgeschäften ein unerlässliches Hilfsmittel waren, um die nötigen Formeln für die Gültigkeit der Beurkundung einzuhalten29. Auch in der 23

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Vgl. Neuheuser, Grundriß (wie Anm. 12), 73 und 76 (so z. B. die Aufzeichnungen und Brieftagebücher des Pfarrers Anselm Genneper). Die die Kirchenfabrik betreffenden Aufzeichnungen, deren Aufsicht den Kirchmeistern unterlag, werden von Hanns Peter Neuheuser in einer separaten Aufbewahrungsstelle, evtl. im Rathaus, vermutet, da die Kirchmeister aus dem Rat der Stadt rekrutiert wurden, ebd. 76–77. Dies erläutern Christoph Friedrich Weber, Christoph Dartman: Rituale und Schriftlichkeit, in: Ausstellungskatalog zu: Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800–1800 (wie Anm. 3), 51–55. Vgl. grundlegend dazu Ahasver von Brandt, Werkzeug des Historikers, 15. Auflage 1998, 81–107. Siehe z. B. den Zusatz zum Urkundentext, den der erst vor kurzem erwählte Abt von Kempen Ambrosius Steingens am 29. März 1681, anfügen ließ: „Zu urkundt der warheit haben Wir abt obgemelt dieses eigenhändig unterschrieben, und mit unserem großen conventssiegell /: weilen Unser abbatial in siegell noch nit verfertigt :/ Vor dießmahl ohn unserem praeiudit[er] und consequent[er] bestättigt und bekräfftigt“ (Propsteiarchiv Kempen (PAK), Bestand AA 17, fol. 267r). So die Darstellung bei von Boeselager, Fiat ut petitur (wie Anm. 16), 8. Mit Beispielen bei von Boeselager, Fiat ut petitur (wie Anm. 16), 721–722. Vgl. allgemein zum Stellenwert von Formelsammlungen Peter-Johannes Schuler, Formelbuch und Ars Dictandi. Kaum genutzte Quellen zur politischen und sozialen Geschichte, in: Civitatum Communitas. Studien zum europäischen Städtewesen. Festschrift Heinz Stoob, hg. von Helmut Jäger u. a., Teil 1, Köln–Wien 1984, 374–389, Zitat 375. – Zu den Formularien und Kanzleiregeln, die, abgesehen vom dem im CIC zusammenge-

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Bibliothek der Abtei Gladbach, welche die hier zu besprechenden Urkunden ausstellte, waren Formelsammlungen vorhanden. So findet sich in einem Inventar der Bibliothek vom 8. September 1801 ein Exemplar eines „Manuale notariorum“, eines „Notariat = Handbüchleins“ aus dem Jahre 1630, sowie mehrere juristische Wörterbücher30. Doch nicht nur die schriftlichen Hinterlassenschaften, sondern auch die bei der Einführung vollzogenen Einsetzungsrituale, folgten einem bestimmten Schema. Die Handlungsabläufe weisen bei allen Amtseinsetzungen – gleich ob Papst oder Pfarrer – zahlreiche gemeinsame konstitutive Elemente, wie Eidleistung auf geweihte Gegenstände und das „Bekleiden“ mit einem Kleiderstück oder Gegenstand, auf. Die rechtlichen Konsequenzen, die der Vollzug der Einsetzung auf den rechtlichen Status einer Person mit sich brachte, rechtfertigen es, kirchliche Einsetzungsrituale als Rechtsrituale zu sehen31. Nach der Einsetzung hatte der Eingesetzte rechtlichen Anspruch auf die mit dem Amt verbundenen Einkünfte und Privilegien, musste aber auch bestimmte Pflichten erfüllen. Unterschiede in der Durchführung ergaben sich aus regionalen Besonderheiten oder aus einem konkreten Zusammenhang. Z. B. war es möglich einem Kandidaten das Amt nur unter Vorbehalt zu verleihen, wenn er sich bestimmte Qualifikationen noch nicht angeeignet hatte32. Auch wurde der innerhalb der Zeremonie abgelegte Amtseid lokal verschieden auf unterschiedliche sakrale Gegenstände, wie Statuen von lokalen Heiligen oder ein bestimmtes liturgisches Buch geschworen.

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fassten Recht, von der Apostolischen Kanzlei bzw. anderen Kanzleien und Gerichten im Bereich des kirchlichen Rechts verschiedenartige Vorschriften festlegten vgl. Peter Erdö, Die Quellen des Kirchenrechts, Frankfurt a. M. 2002, 131–137. Vgl. Die Drucke von St. Vitus, hg. von Ernst Manfred Wermter (Der Bücherbesitz des Klosters St. Vitus in Gladbach von der Gründung bis zur Auflösung des Klosters (9741802), Band 2), Köln 1998, 255, Nr. 342 (Notariat Handbuch), Nummern 535–544, S. 262–263. Ob eines dieser Bücher oder die im Archiv gelagerten zuvor ausgestellten Urkunden das Vorbild bzw. Muster für die im Folgenden untersuchte Urkunde ist, kann im Rahmen dieses Aufsatzes nicht geklärt werden. Dieses Untersuchungsfeld ist aber lohnend und aufschlussreich für das gesamte Notariatswesen, weswegen Untersuchungen zu diesem Thema begrüßenswert wären. Peter Winn definiert Rechtsrituale folgendermaßen: „Ein Rechtsritual ist auf der anderen Seite ein rechtliches Ereignis. Es ist etwas das getan wird. […] Rechtskonsequenzen „folgen“ nicht aus dem eigentlichen Vollzug des Rechtsrituals. Der eigentliche Vollzug des Rechtsrituals konstituiert das rechtlich bedeutsame Ereignis.“ Vgl. Winn, Rechtsrituale (wie Anm. 2), 453. Eine so genannte „widerrufliche Amtseinsetzung“, vgl. Hans Erich Feine, Reich und Kirche, Ausgewählte Abhandlungen zur deutschen und kirchlichen Rechtsgeschichte, Aalen 1966, 176. – Zur Gleichförmigkeit und Varianten des Verlaufes des Einsetzungsrituals siehe auch: Linnemann, Rituale (wie Anm. 3), 69–70.

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Amtsübertragung in Oedt Im Propsteiarchiv Kempen finden sich unter den Signaturen A 17, 18 und 22 eine Vielzahl von Dokumenten, die Aufschluss über Amt und Person des Küsters der Kempener und Oedter Pfarrkirchen und über die Einsetzung eines Küsters in sein Amt und deren Verschriftlichung geben können. Es finden sich Präsentationsschreiben, Urkunden über die Kollationen, Protokolle über die Investitur, Eide, Reversale33 etc. Aus der reichen Überlieferung wurde eine Urkunde, anhand welcher der gesamten Prozess bis zur vollzogenen Investitur des Küsters exemplarisch vorstellen soll, herausgezogen. Von ihr ausgehend werden die weiteren Elemente der Küstereinsetzung beschrieben und beurteilt. Es handelt sich um die Kollationsurkunde für den neuen Oedter Küster Heinrich Clandt, die ihm vom Abt des Klosters Gladbach am 29. März 1681 ausgestellt wurde34. Sie berechtigte ihn zur letzten symbolisch-rechtlichen Etappe im Einsetzungsverfahren und enthält Angaben zu allen wichtigen Schritten, die im Vorfeld liefen. Es wurde dieser Fall gewählt, da für die Einsetzung des hier mit dem Küsteramt bedachten Heinrich Clandt nicht nur dieses eine Schreiben, sondern eine Fülle von weiteren Ergänzungsüberlieferungen wie z.B. das ausführliche Protokoll der Investitur, im Propsteiarchiv vorhanden sind. Es kann anhand dieses konkreten Falles die Prozedur der Einsetzung nahezu lückenlos nachvollzogen werden. An einigen Stellen wird zusätzlich ergänzend und erläuternd auf die Einsetzungen vorheriger oder späterer Küster eingegangen werden. Auch die Unterschiede, die sich bei der Amtsübernahme eines Kempener Küsters im Gegensatz zu der in Oedt ergaben, werden vorgestellt. Im Folgenden wird zunächst das für die Betrachtungen zentrale Dokument in Edition wiedergegeben: „WIR AMBROSIUS STEINGENS DURCH GOTTES VORSEHUNG ERWÖHLT UND BESTETTIGTER ABTT, ERBgrundtherr zu Gladbach und Oedt Herr zu Bocholt[en] Pfandtherr (sic) zu Kemiß (sic) thuen kundt zeugen und bekennen hiemit vor jedermenniglichen, demen solches zuwißen nöhtig, certificirendt, demnach daß custerampt in unserer pfarkirchen zu Oedt durch todtlichen abtritt weilandt Dieterichen von Oedt letzt begifftigten custers, unß wiederumb einen darzu qualificirten zu conferiren, und damit zu willfahren anheimb gefallen, und dan der ehrsamer und frommer Henrich Clandt Unß uber die collation selbigen custerampts einstandigst supplicando 33

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Ein Verpflichtungsschein, der geleistete Gelübde oder Gelöbnisse einzuhalten und sie zu achten verspricht. Vgl. die Lemmata Revers, Reversal, Reversbrief, in: Johann Heinrich Barth, Genealogisch-Etymologisches Lexikon, Band 1, Deutsch, Reichelsheim 2006, 819. PAK, AA 17, fol. 267r.

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angelangt, daß Wir ihmen damitten gratificiren mögten, allermaßen Wir deßen qualifications halber gnugsamb informirt und berichtet worden. Alß haben Wir gemelten Henrichen Clandts pitt statt und platz gegeben, denselben mit dem cüsterampt zu Oedt begifftiget, begifftigen denselben darmit krafft dieses vor Unß und Unsere Successoren, also und dergestelt, daß Er alle und iede jahrliche vorfällen und einkömpsten darzu gehörig, daruver uberall nichts ab: nach außgescheiden zu seinem besten zu genießen und zugebrauchen allermeßen wie vorige Unser custeren solche eingehabt und gebraucht macht und gewalt haben solle. Jedoch mit diesen außtrucklichen vorbehalt /: darab Er sich auch sonderlich reverirt :/ daß im fall Er ietzgemelte cüstereij in eigener persohn zu Oedt residirent durch sich nit administriren oder beij wehrenden seinem dienst, also comportiren und halten wurde daß Unß oder unseren Nachkomlingen seiner Persohn oder function halber erhebende klagten vom Pastoren, denselben auch freij stehen solle, eine andere qualificirte Persohn damit zu begifftigen und investijren. Ohn gefehrdt und argelist. Zu urkundt der warheit haben Wir abt obgemelt dieses eigenhändig unterschrieben, und mit unserem großen conventssiegell /: weilen Unser abbatial in siegell noch nit verfertigt :/ Vor dießmahl ohn unserem praeiudit[er] und consequent[er] bestättigt und bekräfftigt. So geschehen Gladbach am 29t[en] tag monats martij, im jahr Christi 1681. Ambrosius Steingens Abbas Gladbacensis“ Siegel

a) Präsentation In der ersten Zeile der vorgestellten Urkunde liest man in großgeschriebenen Buchstaben aus der Intitulatio den Aussteller der Urkunde – Abt Ambrosius Steingens35 – seines Zeichens „Erbgrundtherr zu Gladbach und Oedt“. Aus diesem Titel erfolgte sein Rechtsanspruch auf das Folgende. Oedt gehörte zum Ausstattungsgut der im 10. Jahrhundert von Erzbischof Gero von Köln gegründeten Abtei, welche hier Grund-, Gerichts-, Kurmunds- und Zinsherr war36. Wilhelm Janssen nahm die Abtei als ursprünglichen Patron der Oedter 35

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Ambrosius Steingens kam selbst aus Kempen und war mit zwanzig Jahren in das Kloser Königsdorf eingetreten. Zum Abt von Gladbach wurde er am 20. November 1680 gewählt und verrichtete das Amt bis zum Jahr 1703. Zu seiner Person und Amtszeit vgl. Brasse, Geschichte, Band 2 (wie Anm. 8), 156–161. Vgl. Wilhelm Janssen, Zur Geschichte der Burg Oedt, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 170 (1968), 170–219, hier 171.

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Kirche an, womit sie auch das Recht auf die Präsentation des Pfarrers und Küsters der dortigen Pfarrkirche innehatte37. Unter dem Präsentationsrecht versteht man jene Befugnis, bei Vakanz eines kirchlichen Amtes dem Kirchenoberen einen oder mehrere geeignete Kandidaten als Nachfolger vorzuschlagen. Bei einer Inkorporation hatte das geistliche Institut, dem die zu besetzende Kirche inkorporiert war, das Präsentationsrecht inne38. Dies bedeutete, dass die begünstigte Instanz, hier die Abtei Gladbach, zum „dauernden Inhaber des Pfarrbenefiziums und Nutzungsberechtigten (zum Pfarrer) der Einkünfte [wurde], während die Ausübung des Pfarramts selbst nur noch durch einen Vikar“39 (im Falle von Kempen ein Mitbruder des Konventes Gladbach als Pfarrer im Kempen) geschah. Ein präsentierter Kandidat musste, wenn keine kirchenrechtlichen Gründe dagegen standen, bzw. die Kandidaten die kanonischen Anforderungen erfüllten, durch den Bischof oder seinen Stellvertreter, den Archidiakon förmlich in das Amt eingewiesen werden. Dies galt ebenso für inkorporierte Pfarrkirchen, deren formeller Leiter bzw. Pfarrer dann ein Kloster oder Stift waren, das Investiturrecht aber beim Archidiakon verblieb40. Gleichwohl wird beobachtet, dass im Erzbistum Köln schon seit dem Mittelalter die Pfarrer vieler Mutterkir-

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Janssen, Burg Oedt (wie Anm. 36), 180. Grundlegend dazu Landau, Ius Patronatus (wie Anm. 16) und Frank, Präsentationsrecht (wie Anm. 38), 17–18. – Vgl. dazu auf das Gebiet des Erzbistums Köln bezogen Hansgeorg Molitor, Das Erzbistum Köln im Zeitalter der Glaubenskämpfe (Geschichte des Erzbistums Köln, 3), Köln 2008, 325 und Frank, Präsentationsrecht (wie Anm. 20), 17–18. Vgl. Peter Landau, Artikel Inkorporation, in: Theologische Real-Enzyklopädie, Band 16, 163–166, hier 163. – Vgl. die (Wieder-)Inkorporationsurkunde der Pfarre Kempen in die Abtei Mönchengladbach von 1523, in der es heißt: „parrochialem ecclesiam predictam cum omnibus iuribus et pertinentiis suis, […] et proventibus huiusmodi pro uno perpetuo vicario idoneo videlicet presbitero monacho dicti monasterii per abbatem pro tempore existentem et conventum praefatos loci ordinario ad ipsam vicariam presentando et per eundem ordinarium in ipsius parrochialis ecclesie perpetuum vicarium instituendo, […]“ nach: Ernst Brasse, Urkunden und Regesten zur Geschichte der Stadt und Abtei Gladbach, Teil 2: Neuzeit, Mönchengladbach 1926, Nr. 627, S. 51. Vgl. Wolfgang Herborn, Vom Barockzeitalter bis zum Ende des alten Erzbistums (Das Erzbistum Köln, 3), Kehl am Rhein 1996, 21. – Friedrich Wilhelm Oediger, Niederrheinische Pfarrkirchen um 1500, in: Vom Leben am Niederrhein. Aufsätze aus dem Bereich des alten Erzbistums Köln, Düsseldorf 1973, 263. – Zu Amt und Aufgaben der Archidiakone, deren Position im Erzbistum Köln stark blieb (siehe vor allem die Bistumssynode von 1662, in der auch das Investiturrecht der Archidiakone bestätigt wurde), obwohl das Konzil von Trient sie schwächer, und den Bischof stärker sehen wollte, siehe Robert Haass, Johann Arnold de Reux, Generalvikar von Koeln 1704–1730. Eine Studie zur kirchlichen Verwaltung des Erzbistums Koeln (Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein, insbesondere das Alte Erzbistum Köln, 6), Düsseldorf 1936, 32–38 und Molitor, Erzbistum (wie Anm. 36), 295–330, vor allem 317–318.

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chen das Recht des Archidiakons, die Seelsorgegeistlichen einzusetzen, in Bezug auf die Filialkirchen für sich selbst mit Erfolg reklamierten41. Um den Verlauf der Übertragung des Küsteramtes zu verstehen, gilt es zunächst einen Blick auf die Übertragung des Amtes des Pfarrers in Oedt zu skizzieren: Laut des Erkundungsbuches des Archidiakonates Xanten aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts oblag dem Kempener Pfarrer, der wie erläutert, ein Mitbruder aus dem Konvent in Gladbach war, die Kollation42 und die Investitur des Oedter Pfarrers43. Im Visitationsprotokoll von 1668 heißt es, dass der Abt von Gladbach indubitatus collator der Kirche von Oedt sei44. Weitere Quellen des 17. Jahrhunderts geben den Abt von Gladbach als perpetuus patronus et collator von Oedt an, welches auf das Präsentationsrecht des Patrons hinweist. Ein Visitationsprotokoll aus dem Jahr 1569 bezeugt zum ersten Mal deutlich das Präsentationsrecht des Abtes45. Aus diesen Angaben für die Pfarrerstelle in Oedt (ähnliche Verhältnisse in den Gemeinden Vorst und Hüls) stellte Wilhelm Janssen insgesamt eine „merkwürdige Zwitterstellung zwischen rechtlicher Abhängigkeit und weitgehender funktionaler Selbstständigkeit“46 fest, die in einem besonderen Charakter münden. Dieser Sachverhalt wird auch für die Küsterstelle festgestellt: Zwar präsentierte und investierte, wie die folgende Beschäftigung mit der Kollationsurkunde zeigt, der Pfarrer von Kempen im Einverständnis mit dem Oedter Pfarrer den Küster von Oedt, der Abt von Gladbach musste jedoch durch eine Kollationsbescheinigung seine Bestätigung zu dieser Besetzung geben. Der Verkündigungsformel, die mittels der Einbeziehung bzw. Anrufung Dritter die Öffentlichkeit des Aktes beschwört („thuen kundt und bekennen hiemit vor Jedermenniglichen, demen solches Zuwißen nöhtig, certificirendt.“), folgt die Narratio – die Erzählung der Umstände der Neueinsetzung des Oedter Küsters. Die Narratio informiert darüber, dass das Amt durch den Tod des vorherigen Amtsinhabers – Wernerus Pampis – vakant geworden war47. Um ein Küsteramt neu zu besetzen, musste der letzte Inhaber verstorben sein oder von 41 42 43

44 45 46 47

Vgl. Janssen, Geschichte des Erzbistums (wie Anm. 14), 317 und mit Beispielen Oediger, Pfarrkirchen (wie Anm. 40), 285. Zur Vieldeutigkeit des Begriffes Kollation in zeitgenössischen Dokumenten vgl. hier Anm. 69. Oediger, Pfarrkirchen (wie Anm. 40), 268 und die im Aufsatz folgende Edition des Erkundungsbuches: „Ude… ad collacionem et intitucionem pastoris in Kempen.“ Ebenda, 342. Vgl. Hugo Borger, Die Kirche St. Vitus in Oedt, Oedt 1970, 14. Vgl. Borger, St. Vitus (wie Anm. 44), 22. Wilhelm Janssen, Pfarre und Pfarrgemeinde Kempen im Mittelalter, in: Weinforth, Campunni (wie Anm. 9), 9–33, hier 12. „demnach daß custerampt in unserer pfarkirchen zu Oedt durch todtlichen abtritt wielandt Dieterichen von Oedt letzt begifftigten custers…“ (PAK, AA 17, fol. 267r).

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seinem Amt entsetzt worden sein bzw. freiwillig resigniert haben. Das dritte Laterankonzil 1179 bestimmt in Hinblick auf jeglichen kirchlichen Dienst: „Nulla ecclesiastica ministeria seu etiam beneficia vel ecclesiae alicui turbantur seu promittantur antequam vacent“48. Denn es sollte nicht der Eindruck entstehen, man schiele schon auf den Tod des aktuellen Amtsinhabers um die Stelle neu zu besetzen. Der Patronatsherr oder ein Stellvertreter seiner Person als Inhaber des Präsentationsrechtes konnte nun einen oder mehrere geeignete Kandidaten dem Bischof bzw. dem zuständigen Archidiakon zur Auswahl stellen. Überdies hatte der Patronatsherr den Aspiranten innerhalb einer gewissen Frist zu präsentieren – für Laienpatrone galten sechs Monate nach dem Beginn der Vakanz des Amtes, für geistliche Patrone vier Monate. Diese Regelung war nötig, da es nur zu oft vorgekommen war, dass die Neubesetzung von Pfarr- und anderen Pfründenstellen absichtlich vom Patron verzögert wurde, um in der Zwischenzeit die Einkünfte derselben in eigener Person nutzen zu können49. Diesem musste, da in der Zeit der Vakanz wichtige kirchliche Funktionen für die jeweilige Gemeinde vernachlässigt wurden, entgegengewirkt werden. Der hier begünstigte Heinrich Clandt hatte sich persönlich an den Abt gewandt und um seine Einsetzung gebeten. Doch dies allein reichte nicht aus: „allermaßen wir deßen qualifications halber genugsamb informirt und berichtet worden“. Aus diesem Satz folgt, dass Heinrich Clandt Fürbitter hatte, die ihn dem Abt vorgeschlagen, also präsentiert, hatten. Die Urkunde für den Vorgänger Clandts teilt mit, welche Personen für diese Auskünfte in Betracht kamen: „allermaßen der Herr Pastor selbig orts P. Bartholomaeus Bruiß ihn alß gnugsamb qualificirt darzu sonderlich recommendiret“50. Der Oedter Pfarrer hatte die Person dem Abt für das Küsteramt vorgeschlagen. Die Angabe, dass der Pfarrer von Oedt den Küster präsentiert hatte, fehlt in der eigentlichen Kollationsurkunde. Zwei Schreiben aus dem Propsteiarchiv, die mit der Urkunde zusammen überliefert wurden, geben darüber aber genauere Auskunft: Am 5. Mai des Jahres 1681 hatte sich Leonardus Fabritius, Pfarrer von Grefrath51, der Heinrich Clandt schon einige Jahre kannte, für ihn eingesetzt. Am Tag danach verfasste auch Maurus Hensen52, Pfarrer von Oedt, Clandt ein Empfehlungsschreiben. Auch die Zustimmung des Pfarrers von Kempen holte der Abt von Gladbach ein. Dass die gemeinsame Stimme der beiden Pfarrer wichtig war, 48

49 50 51 52

Vgl. Dekrete der ökumenischen Konzilien, Band 2: Konzilien des Mittelalters. Vom ersten Laterankonzil (1123) bis zum fünften Laterankonzil (1512–1517), hg. von Josef Wohlmuth, Paderborn u. a. 2000, Drittes Laterankonzil 1179, Canon 8, S. 215. Vgl. Carola Brückner, Das ländliche Pfarrbenefizium im hochmittelalterlichen Erzbistum Trier, Diss. Göttingen 1997, 171. PAK, AA 17, fol. 159r. Unweit von Kempen und Oedt auf der anderen Seite der Niers gelegener Ort. Zu seiner Person siehe: Borger, St. Vitus (wie Anm. 44), 114.

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zeigt folgender Fall aus dem Jahr 1660: Ambrosius Steingens, der zu dieser Zeit noch Cellerar der Abtei war, wollte, nachdem der Pfarrer von Kempen ihm einen Kandidaten für die Küsterstelle vorgeschlagen hatte, in dieser Sache solange nichts unternehmen, bis der zu dieser Zeit abwesende Oedter Pfarrer seinen Konsens gegeben hatte53. Eine Präsentation war erst dann rechtsgültig, wenn das so genannte Präsentationsschreiben, in dem der Patron einen oder mehrere Kandidaten mit Namen und Begründung vorschlug, bei derjenigen Institution angekommen war, die das Kollationsrecht innehatte54. Dem Aufbau nach weisen alle Präsentationsschreiben – ob für eine geistliche Würde oder einen Kirchendienst ohne Weihe – einen ähnlichen Aufbau auf, der auch in Oedt sowie in Kempen eingehalten wurde55. Nach der Nennung des Patronatsherren als Aussteller und des Adressaten wurde das Patronatsrecht als Grund für das Schreiben angegeben. Danach folgte der Grund der Vakanz der zu besetzenden Stelle und die Nennung des Präsentierten, oft mit zusätzlichen Angaben über Herkunftsort und (Aus-)Bildung. Es folgt die Bitte an den Bischof bzw. Kollator, dem Vorgestellten die freie Stelle zu verleihen, welcher sich Ort, Datum, Unterschrift und Siegel anschlossen. Voraussetzungen Worauf kam es bei der Besetzung eines Küsteramtes an? Welche Voraussetzungen sollte der Kandidat erfüllen? Das Konzil von Trient hatte diesbezüglich keine konkreten Angaben gemacht, die Personen sollten lediglich von vitae probatae – von einem bewährten Lebenswandel – sein56. Auslegungen waren möglich. In einer Visitation der Kempener Pfarrkirche des Jahres 1617 stellte der Generalvikar Adolph Schulcken Punkte wie moralische Integrität, die vorherige Leistung eines Glaubenseides, die Kenntnis der Gregorianischen Gesänge sowie in den Abläufen der Messe zur Voraussetzung für das Küsteramt auf und erließ diesbezüglich ein Dekret57. Genauer wurde die Synode von Köln 1662, 53 54 55 56

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PAK, AA 17, fol. 154r. Vgl. Frank, Präsentationsrecht (wie Anm. 20), 68. Ulbrich spricht von einem „wiederkehrenden Formular“ vgl. Ulbrich, Päpstliche Provision (wie Anm. 12), 84. Vgl. Stephanus Ehses, Concilii Tridentini Actorum. Pars Sexta. Complectens Acta post Sessionem Sextam (XXII) usque ad Finem Concilii (17. Sept. 1562 – 4. Dec. 1563) (Concilium Tridentinum. Nova collectio. Tomus 9: Actorum pars sexta, Freiburg 1924), Sessio XXIII, De reformatione, Caput XVII. „Custodes non admittentur nisi catholici et probae vitae, ac praevia fidei confessione. Item qui norunt cantum gregorianum et inservire sacrificio missae, ac in genere ea quae sui sunt officij. Quod si alicubi modo alieni sint a fide, aut vitae scandalosae, sinde ulla mora ac contradictione removebuntur” (Bistumsarchiv Münster, Bestand Bistum Aachen, Kempen A 1, unfol.).

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durch die vorgeschrieben wurde, dass der Küster nicht nur katholisch und von gutem Lebenswandel, sondern auch von gutem Namen und Ruf sein müsse. Außerdem solle er die lateinische Sprache und die Gregorianischen Gesänge beherrschen, so dass er den Gottesdienst mit seinem Gesang unterstützen könne. Auch solle er keine groben körperlichen Mängel aufweisen58. Zwei Empfehlungsschreiben für Arnold Clandt geben an, dass er schreiben und auch singen konnte, letzteres allerdings nur mittelmäßig59. Der 1660 vom Kempener Pfarrer Anselm Genneper vorgeschlagene Johannes Lefart wurde nicht nur als bonus und integer beschrieben, sondern hatte auch die höherführende Schule in Kempen besucht (secundaria schola kempensi 60). Ein weiterer wichtiger Punkt scheint die eheliche Geburt gewesen zu sein. Im testimonium senatus kempensis super parentela et familia custodi Johannis von 1641 gibt der Rat dem von ihm präsentierten Johann Berritzen61 ein Zeugnis über seine eheliche Abkunft und bestätigt, dass er „nit allein ehelich gebohren sonderen auch von einen ehrlichen unnd frommen familia und geschlecht erzogen seij“62. Dennoch war es nicht selten der Fall, dass die Forderungen und Vorgaben der Bischöfe etc. nicht eingehalten wurden und die Stellen nicht mit geeigneten Personen besetzt wurden. Oft befand sich in den Schreiben und Unterlagen dann einen Zusatz, in dem vermerkt war, dass der Kandidat eine Frist habe, um sich zu bessern oder weiterzubilden. Der oben genannte Johann Berritzen verpflichtete sich in einem Reversal am 11. Dezember 1641 beispielsweise, im Falle seiner Unfähigkeit oder auch Nachlässigkeit von der Küsterei zurückzutreten und sie in die Hand des Patronatsherren zurückzugeben63. In einem solchen Fall wurde von einer „bedingten Präsentation“ gesprochen64. Dass solche Präsentationen bzw. die dadurch entstandenen Präsentationsurkunden nicht in jedem Fall mit der Besetzung der Pfründe mit ebendieser Person gleichzusetzen ist, wurde an anderer Stelle bereits erläutert65. Hier ein Beispiel: Im Mai 1595 präsentierten Pastor, Vikare sowie Bürgermeister und Rat 58

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„Ad custodum, seu campanariorum munus alii non admittantur, quam viri catholici, […] et pii, vitae honestae, boni nominis et famae, latinae linguae, et cantus gregoriani periti, ut cum parochis divinum officium decenter decantare valeant. Corpore insuper sint integro, non autem mutilo, manco, seu enormiter deformi” (Decreta et statuta dioecesanae synodi Coloniensis, hg. von Johannes Friedrich Schannat, Joseph Hartzheim (Concilia Germania. Complectitur Concilia ab Anno MDCX ad MDCLXII), Köln 1771, Pars 3, Tit. 11: De custodibus ecclesiarum, pag. 1066–1076. PAK, AA 17, 261r und 263r–164r. PAK, AA 17, 154r. Alternative Lesemöglichkeit: Bereitzen. PAK, AA 17, 415r. PAK, AA 17, 416r. Frank, Präsentationsrecht (wie Anm. 20), 55. Vgl. Inventar (wie Anm. 14), 30.

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der Stadt Kempen dem Abt von Gladbach Jan Hufnagel als Nachfolger für das Küsteramt. Auch für einen weiteren Kandidaten, Johann Dücker, erbat dessen Onkel Arnold von Warstein den Küsterdienst. Aber keinem von beiden, sondern dem Kammerdiener des Abtes, Heinrich Stephan von Odenkirchen, wurde letztlich das Amt verliehen. Der Abt rechtfertigte dies durch die von Odenkirchens treu bis zum Totenbett des alten Abtes Hülsen geleisteten Dienste. Zudem hielt er ihn für qualifiziert und wollte ihm deswegen seine Bitte nicht abschlagen. Er wies den Rat von Kempen darauf hin, keine weiteren Bewerber um das Amt zuzulassen.

b) Kollation Ehe ein Kirchendiener rechtskräftig mit seinem Amt bekleidet wurde – so ist es zumindest von der Amtsübernahme der Pfarrer überliefert – war eine dreimalige Verkündigung des Sachbestandes in der betreffenden Kirche nötig, in der die Gemeinde aufgefordert wurde, etwa berechtigte Einwände zu melden66. Wir können annehmen, dass es bei der Präsentation des Küsters einen ähnlichen Ablauf gab. Doch zunächst musste mit dem Kollationsschreiben die Zustimmung des befugten Kirchenherren (Bischof, Archidiakon bzw. in diesem Fall der Abt von Gladbach) vorliegen. Unter Kollatur versteht man demnach die Befugnis, den Amtsanwärter mit seinem Amt zu besetzen – sie ist sozusagen das Bestätigungsrecht für die Präsentation67. Ursprünglich war das Recht zur Kollation dem Bischof als ordinarius collator vorbehalten. De facto steht diesem Vorgang aber eine vieldeutige Verwendung des Begriffes der „Kollatur“ in den Quellen gegenüber68. Oftmals ist es schwer nachzuvollziehen, ob nicht eventuell doch die Präsentation des potentiellen nächsten Amtsinhabers gemeint sein könne, wenn z. B. in Visitationsakten etc. vom Recht der Kollatur die Rede ist und sich nicht nur geistliche Personen und Institutionen, sondern auch Laien als collatoren bezeichneten69. Eine Einweisung (Investitur) in den Dienst, ohne vorherige Übertragung des geistlichen Amtes, war aber immer ausgeschlossen. 66 67

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Oediger, Pfarrkirchen (wie Anm. 40), 285. Frank, Präsentationsrecht (wie Anm. 20), 21. – Zur Entwicklung des Kollationsrechtes siehe: Karl Eduard Niese, Die historische und dogmatische Entwicklung der Kollation, Naumburg a. d. Saale 1912. Für die spätmittelalterlichen Verhältnisse, die aber für die Frühe Neuzeit genauso beobachtet werden können, vgl. Ulbrich, Päpstliche Provision (wie Anm. 12), 34–35. Zu diesem Quellenproblem für Küstereinsetzungen im Fürstbistum Münster vgl. Sabine Kötting, „Aushängeschilder der Kirche“? Der Küster und sein Amt im Fürstbistum Münster dargestellt anhand von Visitationsakten und Statusberichten, in: Bekenntnis, soziale Ordnung und rituelle Praxis. Neue Forschungen zu Reformation und Konfessionali-

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In der auf S. 213–214 transkribierten Kollationsurkunde für den Oedter Küster Clandt erklärt die Dispositio die Willenserklärung und den materiellen Inhalt der Rechtshandlung: „Alß haben Wir gemelten Henrichen Clandts pitt statt und platz gegeben, denselben mit dem cüsterampt zu Oedt begifftiget, begiffigen denselben darmit krafft dieses vor Unß und Unsere successoren, also und dergeselt, daß er alle un iede jahrliche vorfällen und einkömpsten darzu gehörig, darufver uberall nichts ab: nach außgescheiden zu seinem besten zu genießen und zugebrauchen allermeßen wie vorige unser custeren solche eingehabt und gebraucht macht und gewalt haben soll“. Der präsentierte Bewerber konnte nach diesem rechtskräftigen Schritt der Kollation nicht mehr abgelehnt werden und hatte somit eine rechtliche Handhabe, in das Amt eingewiesen zu werden. Die Bescheinigung, die der akzeptierte Bewerber ausgefertigt bekam, berechtigte ihn zum letzten Schritt, zur Investitur in das Amt.

c) Investitur Einsetzungsritual Die öffentlich zu vollführende investitura oder institutio erlaubte dem neuen Amtsinhaber den possessiven Besitztitel geltend zu machen. Die Nutzungsrechte an der Stelle wurden nach vollzogener Investitur einklagbar (ius in re)70. Die Investitur eines kirchlichen Amtsinhabers war von alters her Vorrecht des Bischofs, doch konnte dieser den damit verbundenen immensen Zeitaufwand mit der Zeit nicht mehr, besonders wenn man die vielen Hilfsgeistlichen und Kirchenangestellten wie die Küster bedenkt, bewerkstelligen, so dass er Vertreter zu diesem Akt bevollmächtigte, z. B. die Archidiakone oder den Generalvikar. Dass die vorgenommenen Einweisungen in Form einer Urkunde oder eines Notariatsinstrumentes festgehalten wurden, war keine Seltenheit. Da diese Bescheinigungen über den vollzogenen Akt dem Inhaber des Amtes zur Rechtssicherheit ausgestellt wurden, sind diese Zeugnisse aber selten, meist in kopialer

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sierung in Westfalen, hg. von Werner Freitag, Christian Helbich, Münster 2009, 209–229, hier 215 und 221. – Zur Selbstbezeichnung von Laienpatronen als Kollator vgl. auch Ulbrich, Päpstliche Provision (wie Anm. 12), 36. Im Gegensatz zur Präsentation, welche lediglich ein Anrecht gewährte (ius ad rem). Ulbrich, Päpstliche Provision (wie Anm. 12), 88. – Hubert Müller, „Amt, kirchliches“, in: Lexikon des Mittelalters, Band 1 (1980), Sp. 560; dazu auch von Boeselager, Fiat ut petitur (wie Anm. 16), 461.

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Überlieferung, erhalten geblieben71. Über einen solchen Vorgang gibt die Überlieferung des Propsteiarchivs Kempen Auskunft: Die Amtseinführung des Heinrich Clandt vom 1. April 1681 wurde durch ein Protokoll, das von einem Notar verfertigt wurde, im Detail festgehalten. Es bestätigte der Notar Johann Paeß72, dass unter Anwesenheit des Paters Maurus Hensen, des Kaplans und des Vikars von Oedt als Zeugen, der Küster Clandt in der Kirche in sein Amt gesetzt wurde. Der Ablauf des Einsetzungsrituals wird folgendermaßen geschildert: Nachmittags um zwei Uhr gingen die oben genannten Personen in die Pfarrkirche in Oedt, wo dem Heinrich Clandt „die Schlüßelen zur Kirch=Sakristi Chor und anderen thuren auch zieraths kästen gehandreicht“ wurde. Sodann musste der neue Küster sämtliche Türen und Kästen der Kirche einmal auf- und auch wieder abschließen, danach das Glockenseil berühren, auf dem Hohen Altar die Kerzen anzünden und wieder auslöschen und einige weitere Dienste öffentlich verrichten, die in Zukunft zu seinen Pflichten als Küster gehörten: „mehr andere ministralia wie solemnium persohnlich verrichtet hat“73. Feststellbar ist, dass rechtlicher Inhalt und äußere Form des Einsetzungsrituals untrennbar miteinander verbunden sind, die rechtliche Bindung wird durch symbolhafte Handlung nach außen hin kenntlich gemacht74. Dass die Einsetzung von Herrschern, aber auch kirchlichen Würdenträgern „unbeschadet ihrer verschiedenartigen sozialen Rollen, Funktionen, Kompetenzen oder Machtbefugnisse […] im Rahmen wenn auch bisweilen nur rudimentärer Handlungen erfolgen“75, zeigen die Untersuchungen zu Investitur- und 71 72 73

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75

Vgl. von Boeselager, Fiat ut petitur (wie Anm. 16), 569. Er bezeichnet sich als „beij der churf[ürstlichen] cölnischer hoffkanzleij zu Bonn approbirter notarius und gerichtschreiber zu Hülß und Öedt“ (PAK, AA 17, fol. 270v). PAK, AA 17, fol. 269r. – Auffallend ist hier die Parallelität zur Einsetzung des Pfarrers in niederrheinischen Kirchen: Verlesung der Einweisungsurkunde durch den Notar, Inbesitznahme der Kirchenschlüssel (im Gegensatz dazu bekam der Küster die Schlüssel der Sakristei als seinen persönlichen Wirkungsraum zugestanden), Ziehen am Glockenseil, Kuss und Berührung der Altargeräte. Danach wurden die Abgabepflichtigen aufgefordert, diese ab diesem Zeitpunkt an den neuen Pfarrer zu liefern und die Einführung schloss mit der Inbesitznahme des Pfarrhauses, vgl. Oediger, Pfarrkirchen (wie Anm. 40), 286 und Janssen, Geschichte des Erzbistums (wie Anm. 14), 398. – Ähnlich verlief die Investitur der Pfarrer im Erzbistum Trier, vgl. Brückner, Pfarrbenefizium (wie Anm. 49), 176. Hans-Jürgen Becker sieht dies als konstitutiv für ein Rechtsritual, vgl. Hans-Jürgen Becker, Artikel Rechtsritual, in: HRG, Band 4, Berlin 1986, 337–339, hier 337. Als Hauptziele des Rechtsrituals sieht er Beweissicherung und Rechtssicherheit, vgl. ebenda 338. Marion Steinicke, Politische und artistische Zeichensetzung. Zur Dynamik von Krönungsund Investiturritualen, in: Investitur- und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, hg. von Marion Steinicke, Stefan Weinfurter, Köln–Weimar–Wien 2005, 1–26, hier 23.

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Krönungsritualen, die vor einigen Jahren veröffentlicht wurden76. Diese Einsetzungen konstituierten sich demnach aus einer Vielzahl unterschiedlicher Handlungen, bei der die „rituelle Zeichensetzung“77 eine große Rolle spielte. In diesem untersuchten Fall kann man die Übergabe des Schlüssels zur Tür des neuen (Haupt-)Wirkungsortes – der Sakristei – und das Berühren der Gegenstände, welche die Arbeit des Küsters ausmachten, sozusagen als pars pro toto, als eine solche rituelle Zeichensetzung verstehen. Welche Rechte aber auch Verpflichtungen beispielsweise der Schlüsselüberreichung anhängig waren, „war festgelegt und stand nicht zur Disposition der Deutungsstrategen“78. Gerd Althoff versteht diese Festlegung nicht als eine schriftliche, sondern eine „Fixierung als Gewohnheit“79. Die Wirkmächtigkeit, die diese visuellen Akte in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der Einführung in das Amt hatten, unterstreicht der Notar mit den Worten: „auff diese weise zum cüster dienst, und waß deme anhangig alß wirklicher Cüster dieser oedischen Pfarkirch eingeführt worden“80. Der rechtliche Inhalt war durch die Visualisierung seiner selbst in einer bestimmten, sozial anerkannten Form aktiv geworden. Somit bildeten äußere Darstellung und rechtlicher Inhalt eine Einheit, deren Vollzug im Ritual als gleichbedeutend mit der Rechtsausübung zu sehen ist81. Die Betonung der Worte „wirklicher Cüster“ bezieht sich wahrscheinlich auf die Tatsache, dass Heinrich Clandt selbst und kein anderer, beispielsweise ein von ihm dazu angestellter Vertreter

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Vgl. Investitur- und Krönungsrituale (wie Anm. 75). Steinicke, Zeichensetzung (wie Anm. 75), 25. Gerd Althoff, Wer verantwortete die „artistische“ Zeichensetzung bei den Krönungsund Investiturritualen im hohen Mittelalter?, in: Investitur- und Krönungsrituale (wie Anm. 76), 93–104, hier 96. – Zu den pars-pro-toto Handlungen innerhalb von Ritualen des Mittelalters vgl. Gerd Althoff, Geltungsansprüche schriftlich fixierter Normen und ʻungeschriebene Gesetzeʼ im Mittelalter. Interdisziplinäres Kolloquium des Teilprojekts A 2 „Konflikt- und Friedensrituale im Spätmittelalter“ im Sonderforschungsbereich 496, Münster, 26.–28. September 2007, in: Frühmittelalterliche Studien 41 (2007), 277–279, hier 279. – Und zur Verwendung von Zeichen und Symbolen im profanen und sakralen Bereich vgl. Gerd Althoff, Die Kultur der Zeichen und Symbole, in: Frühmittelalterliche Studien 36 (2002), 1–17. – Konkret auf die symbolischen Objekte bei der Investitur bezogen siehe bei: Hans-Jürgen Becker, Artikel Investitur, in: HRG, Band 2, Berlin 1973, Sp. 403–406, vor allem Sp. 405. Er nennt Glockenseil, Kirchenschlüssel und Kirchenbuch als die typischen Handlungssymbole der Investitur. Vgl. Investitur- und Krönungsrituale (wie Anm. 75), S. 96. PAK, AA 17, fol. 269r. Zu dieser Thematik siehe Wolfgang Sellert, Gewohnheit, Formalismus und Rechtsritual im Verhältnis zur Steuerung sozialen Verhaltens durch gesatztes Recht, in: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual, 29–47, besonders Punkt III. Rechtsformalismus, Rechtsritual, 32–37.

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(Substitut) – wie es sich später für den Küster von Kempen zeigen wird – den Küsterdienst versehen wird. Die Übergabe von Insignien verband die Person mit ihrem Amt und symbolisierte die Übernahme der damit verbundenen Rechte und Pflichten82. Hierbei spielte die Visualisierung konfessioneller Glaubens- und Arbeitssymbole (wie z. B. die Bibel und der Schlüssel) eine große Rolle für die Integration in das Amt. Daran folgend wurden dem neuen Küster die Kirchenordnung bzw. seine Aufgaben und Arbeitsbestimmungen vorgelesen, auf welche er vereidet wurde. Diedrich von Oedt beschrieb diesen Vorgang innerhalb seiner Investitur folgendermaßen: „daß ich alle bei solchem aidt und investiture mir vorgelesene clausuln und articulen ahm fleißigsten ohne gesehede nachkommen und vollenziehen wolle”83. Der Eid Die Amtseinführungsurkunde vom 17. Juli 1660, ausgestellt durch den Vorgänger von Ambrosius Steingens, Bruno Charmans, berichtet, dass oben stehender Diedrich von Oedt nach Leistung des „gewohnlichen aidt“ in den Dienst investiert wurde. Es erstaunt, dass in der Urkunde seines Amtsnachfolgers Heinrich Clandt und in dem Protokoll davon keine Rede ist, denn die Leistung zum einen des Glaubenseides – professio fidei – und zum anderen des Treueeides – juramentum fidelitatis – war ein zentrales symbolisches und rechtswirksames Moment einer Investitur und konstitutiv für die Verleihung des Amtes. Zwar waren Amtseide schon vor den Beschlüssen des Konzils von Trient bekannt, doch wurden sie seit dem 16. Jahrhundert als Glaubenseid – juramentum religionis – vermehrt in Anspruch genommen, um Staats- und Kirchendiener bei ihrem Amtsantritt „durch Eid und Unterschrift auf ein kirchliches Glaubensbekenntnis zu verpflichten“84. Dies war nötig geworden, da es im Rahmen der Konfessionalisierung einer einheitlichen Lehrverkündigung des Glaubensinhaltes bedurfte. Durch einen Konfessionseid konnte „Gesinnung, Amtsführung und Untertänigkeit zu einer einheitlichen Eidmaterie“85 zusammengefasst werden. Mündliche Aussagen wie das Versprechen der Rechtgläubigkeit, wurden „durch

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Siehe dazu auch Linnemann, Rituale (wie Anm. 3), 71. PAK, AA 17, fol. 160r. Siehe dazu den grundlegenden Aufsatz von Klaus Schreiner, Iuramentum Religionis. Entstehung, Geschichte und Funktion des Konfessionseides der Staats- und Kirchendiener im Territorialstaat der frühen Neuzeit, in: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre, öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte 24 (1985), 211–246, hier 211, der in den Konfessionseiden ein grundlegendes Aufbauprinzip der alteuropäischen Welt sieht. Schreiner, Iuramentum (wie Anm. 84), 213.

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den Eid zu einer „wahren Aussage“ mit hohem autoritativen Gehalt“86. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Professoren, Lehrer, Pfarrer, aber auch Küster durch einen solchen verpflichtet wurden. Fortan verlangte man die professio fidei tridentina 87 von allen Seelsorgern und Lehrpersonen. Sie beinhaltete die Anerkennung aller Kanones und Lehren der ökumenischen Konzilien, insbesondere des Konzils von Trient, die in den Eiden, in zusammengefasster und gekürzter Version angenommen wurden sowie die Ablehnung aller von der Kirche verurteilten Häresien. Von den geistlichen und weltlichen Amtspersonen wurde noch mehr verlangt, als die Bekenntnisfestlegung. Zum Glaubens- kam der Treueeid hinzu, der den Aspiranten seinem direkten Vorgesetzten verpflichten sollte88. Diese Texte variierten oft und waren der jeweiligen örtlichen und Rechtssituationen angepasst89. Durchgängige Motive, wie die Verpflichtung, die Kirche vor Schaden zu bewahren, sie zu fördern, gehorsam zu sein und die Küsterordnung einzuhalten finden sich doch in allen von ihnen. Dies zeigen Auszüge aus dem Eid des Kempener Küsters Theodor Reep aus dem Jahr 1636: „Ich Theodory Reep, verheish unnd gelobe Gott und seiner lieben mutter dieser pfarrkirchen patron, allen heielige[n] dem hoch: und woll ehrwurdigh herren 86

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Siehe zu diesem Komplex Thomas Hildebrand, Aktualisierung von Recht im Spannungsfeld von Eid und Schriftbeweis. Überlegungen zum rechtspraktischen Handeln im 15. Jahrhundert, in: Eid und Wahrheitssuche. Studien zu rechtlichen Befragungspraktiken im Mittelalter und früher Neuzeit, hg. von Stefan Esders, Thomas Scharff (Gesellschaft, Kultur und Schrift. Mediävistische Beiträge, 7), Frankfurt 1999, 163–190, 163. Der Text findet sich in: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, hg. von Heinrich Denzinger, Peter Hünermann, 37. Auflage Freiburg u. a. 1991, Nr. 1862–1870, S. 587–589. Gerd Althoff versteht den Eid als „omnipräsentes Mittel zur Bekräftigung herrschaftlicher und genossenschaftlicher Bindungen“ und sieht eine weitere Leistungskraft in der „Lösung rechtlicher und gerichtlicher Fragen“; vgl. Gerd Althoff, Das Grundvokabular der Rituale. Knien, Küssen, Thronen, Schwören, in: Spektakel der Macht (wie Anm. 3), 149–180, hier 153–154. Der Treueeid des Diedrich von Oedt bezieht sich explizit auf die in der Amtseinführung vorgelesenen zu verrichtenden Aufgaben und ihre Erfüllung bzw. Nichterfüllung: „Ich undergeschriebener thue kundt, globe und revertire hiemitt, und in kraft dieses, demnach auff einstendigste intercession und furbitten, des wollehrwurdig H[erren] Bartholomaei Bruiß zeitlicher pastoris zu Oedt, von dem hochwurdigen in gott ahndechtigen herren Brunone Charmans abtten des gotteshauß S[anc]ti viti Martyris in Gladbachen alß herrn collatoren zu der vacirende custers diensts stelle in der pfahrkirche zu oedt, uff und ahngenohmen, und nach vorgezeigten gnugsamen qualifications documenten zu dem aidt und investitur zugelaßen bin, daß ich alle beij solchem aidt und investitur mir vorgelesene clausuln und articulen ahm fleißigsten ohne gesehede nachkommen und vollenziehen wolle“ (PAK, AA 17, fol. 160rv).

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herren, Petro Sijbenio abbt: und grundtherren zu Gladtbach, und woll Ehrw: H. Godefrido Kempis zur zeit pastorn zu Kempen daß Ich träwlich alle kirch[en] guter und sachen vornemblich aber die schlüßel der kirchen so lang Ich am ampt bin verwahren will globe auch dieselbige wider den willen meines pfarrherrens / oder derselbigen geistlichen obrigkeit niemandten zu lieberen […] Weil Ich in allen dingen so mein ampt antrifft, und so lange Ich daß ampt habe, gehorsam sein, und was der kirchen nützlich und ziemlich seinen wurde daß will Ich befurderen, was aber den dienst Gottes abbruchlich der kirchen schädlich oder unehrlich möge sein nach meine[m] vermögen umb Gottes und meiner armen seelenheil willen gerne und fleißig alletzeit verhindern. So helffe mir Gott und alle seine heilig[en] amen“90.

Die Eidesleistung erfolgte meist, indem der Vereidigte die drei Schwurfinger hob und die vorgelesenen Worte des Eides laut nachsprach91. Es heißt anlässlich der Amtseinführung des Heinrich Stephani von Odenkirchen: „unnd hat ehgenanter Henrich darauff nach inserirten eidt wurrcklich mit auffgesttreckten fingeren geleistet“92. Dass die Leistung der Eide schriftlich fixiert wurde, ist keine Einzelerscheinung. In der Frühen Neuzeit wuchs die Tendenz zu ausführlichen Protokollen von Eidesleistungen, die „bis hin zu lückenlosen Verzeichnissen“ führen können93. Hierbei war die Unterschrift unter den nochmals schriftlich fixierten Eidestext – vor allem bezogen auf die Bekenntnisbindung – ebenso wichtig wie die Eidesleistung überhaupt94. Oft wurden Eide auf sakrale Gegenstände, wie z. B. ein Missale, geleistet95. Beides zusammen – gesprochenes Wort des Eides mit den gebrauchten Gebärden und Gegenständen – macht laut Bernhard Rehfeldt den eigentlichen Rechtsakt, der eine bestimmte Rechtswirkung hervorbringt, aus. Dieses konnte durch die Zeugen beglaubigt werden. Als Rechtsritual kann man die „bildliche Vollbringung eines Rechtsaktes; und es versteht sich, daß auch Wortformeln, die zur Vollbringung eines Rechtsaktes gehören, in den Begriff des Ritus eingehen“96, verstehen. Im Protokolltext spricht der Notar weiterhin von „qualifications documenten“, durch die der Küster zu „aidt und investitur“ zugelassen wurde. Darunter sind nicht nur die 90 91

92 93 94 95 96

PAK, AA 17, 404r. Vgl. Meinrad Schaab, Eide und andere Treuegelöbnisse in Südwestdeutschland, in: Glaube und Eid. Treueformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit, hg. von Paolo Prodi, München 1993, 11–30, hier 21. PAK, AA 17, fol. 383v. Schaab, Eide (wie Anm. 91), 21. Schaab, Eide (wie Anm. 91), 28. Siehe dazu auch Linnemann, Rituale (wie Anm. 3), 72. Zur Konstituierung des Rechtsaktes siehe: Bernhard Rehfeldt, Recht und Ritus, in: Das deutsche Privatrecht in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Heinrich Lehmann zum 80. Geburtstag, Berlin–Tübingen 1956, 46 und 48–49.

Rechtsdokumente und Rechtsrituale bei Übertragungen des Küsteramtes

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Empfehlungsschreiben des Pfarrers zu verstehen, sondern auch, wie aus anderen Fällen bekannt ist, Zeugnisse über die Fähigkeit zu singen und zu musizieren. Weiterhin gelobte der neue Küster, sich an die ihm vorgelesenen Artikel, die er erfüllen soll, zu halten. Kaution Vom jeweiligen Aspiranten mussten nicht nur Einweisungsgebühren an die Kirchenoberen bezahlt werden97, sondern auch eine Kaution hinterlegt werden. Die Kaution war nicht nur wegen der vielen kostbaren Gegenstände, mit denen der Küster tagtäglich arbeiten musste, geboten, sondern das Geld diente auch der Erhaltung und Ausstattung der Kirchenfabrik. Eine sehr hohe Kaution konnte zur „sozialen Selektion“ des Küsteramtes führen. Somit war es dann nur Personen, die per se ausreichend flüssiges Vermögen oder zu verpfändende Grundstücke bzw. Immobilien besaßen oder, und das ist wohl der entscheidende Aspekt, jene, die in der sozialen Gemeinschaft entsprechend eingebunden waren, so dass sie über Verbindungen zu Gönnern bzw. Bürgschaften verfügten, möglich, das Amt zu übernehmen. Auch die Hinterlegung der Kaution wurde in Kempen und Oedt schriftlich fixiert. So hatte im Jahr 1638 der Küster von Kempen, Theodor Reep, „die caution vor mehrgesagten custode von thausent Rrichsdaleren umb […] die kirch sich darahn zu erholhen, mit verhypothsirungh seines hauß uff den kirchhoff gelegen“98 geleistet. 1000 Reichstaler waren eine vergleichsweise hohe Kaution, die für die oben erwähnten Selektionsmechanismen sprechen. Bürgschaft Bei dem Ausgangsfall wurde für den neuen Oedter Küster Heinrich Clandt von zwei Personen, von Greuerad und Cörst Holffmann mit Namen, Bürgschaft geleistet. Wie die Kaution war auch die Bürgschaft wegen der kostbaren liturgischen Gegenstände, zu der der Küster von nun an auch Zugang und Zugriff hatte, gefordert. 1658 übernahm sogar der derzeit amtierende Abt der Abtei Gladbach, Petrus Sibenius, für den neuen Küster Johannes Christiani die Bürgschaft für die „kirchenmobilien“99. Diese Bürgen waren zudem wichtig als Zeugen des Vorgangs, denn sollten sich um die Einsetzung der Person in das Amt Streitigkeiten bzw. Anfechtungen im Rahmen eines Gerichtsverfahrens ergeben, waren sie neben den Schriftbeweisen Garanten, dass die erworbenen Rechte der 97 98 99

Vgl. Wilhelm Classen, Das Erzbistum Köln. Archidiakonat von Xanten. Erster Teil (Germania Sacra, 3. Abteilung: Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln, 1), Berlin 1938, 8. PAK, AA 17, fol. 410r. – Siehe auch Borger, St. Vitus (wie Anm. 44), 85, Visitation von 1662, in der angegeben wird, dass der Küster die Kaution geleistet hat. PAK, AA 17, fol. 431r.

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Sabine Kötting

Wahrheit entsprachen; denn das war zuvor von ihnen eidlich verbürgt worden100. Aber auch während des Aktes selber war ihre Anwesenheit als „soziale Kontrolle“ von Bedeutung, denn sie symbolisierten durch ihre Präsenz, dass das Ergebnis des Rituals – der neue Küster – gesellschaftlich akzeptiert wurde101. Nun konnte Heinrich Clandt, im Namen des Abtes von Gladbach vom Pfarrer von Oedt investiert werden: „Und hatt diesem nach mehrwolge[nannter] h[err] Pastor nahmens S[eine]r H[ochwohlgebohren] Praelaten zu Gladbach danselben mitt sothaner cüstereij versehenen Henrich Clant, denen anwesenden scheffen deß kirspelß Öedt zugleich zum Schulmeister praesentirt“102. Zugleich wurde er demnach vom Pfarrer als Schullehrer von Oedt präsentiert, eine Verbindung von Ämtern, welche bis in das 19. Jahrhundert hinein keine Seltenheit war. Dies und, dass er persönlich anwesend war, bestätigte der Notar kraft seiner eigenhändigen Schrift und Unterschrift und seines Notarssiegels. Deutlich hervorzuheben und gewichtig für den Gesamtprozess ist, dass sich das Protokoll der Investitur ausdrücklich auf die vorausgehend ausgestellte Kollationsurkunde vom 29. März 1681 bezieht. Der Küster hatte laut Protokoll, bevor er die Schlüssel in die Hand bekam, „Darüber [über die Erlaubnis zur Investitur, S. K.] auch gnugsames shein unter hochged. S[eine]r Hochw[olgebohren] hand unterschrieben und beij getrücktem convents insiegel sub dato Gladbach d 29.ten negst verwiechenen monaths martij vorgezeigt“103. Die Investitur wurde demnach auch kraft bzw. aufgrund der Kollationsbescheinigung, die Heinrich Clandt durch den Patron im vor hinein ausgestellt worden war, rechtswirksam. Zur Orientierung für die vorangegangenen Erläuterungen soll auf der folgenden Seite eine Skizze der Rechtsverhältnisse dienen, welche im Text gesondert erläutert wurden: Abb. 7. Schematische Darstellung der beteiligten Personen und deren Befugnisse im Einsetzungsverfahren der Küster von Kempen und Oedt (Schema: Sabine Kötting)

100 101

102 103

Vgl. dazu Hildebrand, Aktualisierung (wie Anm. 86), 189 und Sellert, Gewohnheit (wie Anm. 81), 36. Linnemann, Rituale (wie Anm. 3), 69. – Für das Mittelalter siehe hier Gerhard Dilcher, Bildung, Konstanz und Wandel von Normen und Verfahren im Bereich mittelalterlicher Rechtsgewohnheit, in: Prozesse der Normbildung und Normveränderung mit mittelalterlichen Europa, hg. von Doris Ruhe, Karl-Heinz Spieß, Stuttgart 2000, 187–201, zu Eid und Zeugen vgl. 193–194. PAK, AA 17, fol. 170rv. PAK, AA 17, fol. 269v.

Rechtsdokumente und Rechtsrituale bei Übertragungen des Küsteramtes

Pfarrer von Kempen (Konventsmitglied)

Rat der Stadt Kempen

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Pfarrer von Oedt

Abt von Gladbach Küster von Kempen

Küster von Oedt

Zusammenfassung der Darstellung: 1. Präsentation: Kempen: Der Pfarrer von Kempen präsentiert zusammen mit dem Rat der Stadt Kempen dem Abt von Gladbach einen Kandidaten; Oedt: Der Pfarrer von Kempen präsentiert zusammen mit dem Pfarrer von Oedt dem Abt von Gladbach einen Kandidaten (Pfeile in Richtung des Abtes); 2. Kollation: Oedt und Kempen: Der Abt von Gladbach stellt das Schreiben für den Anwärter aus (Pfeile vom Abt auf die Küster); 3. Investitur: Oedt: Der Pfarrer von Oedt investiert unter Zeugen; Kempen: Der Abt von Gladbach investiert den offiziellen Amtsinhaber; der Pfarrer von Kempen investiert unter Zeugen den eigentlichen Amtsverrichter (Pfeile ganz links und ganz rechts).

Präsentation, Kollation und Investitur in Kempen In Kempen unterschied sich im Ablauf von einem vakanten Küsteramt bis zu seiner Neubesetzung nur wenig im Vergleich zu dem bereits Vorgestellten. Änderungen ergaben sich aus der historisch gewachsenen rechtlichen Situation der Pfarrei Kempen. Hier ist zunächst das bereits erwähnte Mitspracherecht des Rates der Stadt zu nennen, dass dieser bei der Präsentation ausübte. So schlug Pfarrer Anselmus Genneper dem Abt Petrus Sibenius am 28. Januar 1657 als Nachfolger für den verstorbenen Küster Johann Gerhardten dessen Sohn als neuen Amtsinhaber vor. Zwei Tage später, am 30. Januar, ist ein Schreiben des Bürgermeisters und des Rates der Stadt Kempen datiert, welches denselben Wunsch beinhaltet104. Zu beobachten ist allerdings, dass der Abt die Präsentation aus Kempen nicht immer annahm. In einigen Fällen entschied er sich gegen den Willen von Rat und Pfarrer und setzte einen eigenen Günstling ein. Auffälligerweise bekamen in gleich mehreren Fällen die jeweiligen Kammerdiener des vorherigen Abtes bzw. seine eigenen Kammerdiener die Kollationsbescheinigung ausgestellt. Von dem Ablauf der Investitur der Kempener Küster sind ebenfalls Protokolle überliefert. So wurde am 3. Juni 1595 Heinrich Stephani von Odenkirchen, 104

PAK, AA 17 fol. 425r und 427rv.

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Sabine Kötting

Kammerdiener des Abtes Dietrich Hülsen, mit dem Amt des Küsters von Kempen bekleidet. Die zentralen rechtswirksamen Handlungen waren gleich denen der Oedter Amtseinführung: Er leistete Glaubenseid, Treueeid und Kaution und anwesende Personen bezeugten den Vorgang. Allerdings geschah das Ganze nicht – analog zum Geschehen in Oedt – vor dem Pfarrer von Kempen, sondern direkt vor dem Abt in dessen Räumlichkeiten in der Abtei105. Ein Kniefall vor dem Abt, die Überreichung eines Bundes von Schlüsseln und die Leistung der Eide mittels Erhebung der Schwurfinger waren die einzigen symbolischen Handlungen. Da die Investitur nicht in der Kirche selbst vollzogen wurde, konnten keine symbolischen Akte, die direkt auf sein Amt als Küster schließen lassen, wie z. B. das Ziehen an den Glockenseilen etc., geleistet werden. Vermutlich waren sie bei der Person des Heinrich Stephani von Odenkirchen nicht unbedingt von Nöten. Denn da jener bereits ein Auskommen als Kammerdiener des Abtes besaß, ist anzunehmen, dass er sich von einem Substituten bei den tatsächlichen Amtshandlungen, die er als Küster verrichten hätte müssen, vertreten ließ. Einen solchen Substituten für ein Amt einzustellen, welches man selbst aufgrund anderweitiger Verpflichtungen nicht ausüben konnte bzw. wollte, war kein Einzelfall, sondern gerade bei hochrangigeren, besser bezahlten Ämtern üblich. Ob dieser Vertreter dann, da er ja der tatsächliche Vollzieher der Aufgaben, die mit dem Amt verbunden waren, die symbolischen Elemente wie das Ziehen am Glockenseil und das Auf- und Zuschließen der Türen verrichtete, darüber liegen im Propsteiarchiv Kempen keine Dokumente vor. Dass die „wirklichen“ Küster, die dann vor Ort die Küsterdienste versahen, vom Pfarrer in Kempen und nicht vom Abt investiert wurden, erfährt man dagegen aus einem Brief vom 10. Dezember 1638, der an den Abt von Gladbach, Petrus Sibenius, adressiert war: „Fernerß werde von […] Dieterhichen Rebgeß küsteren hieselbst berichtet waßmaßen, [Er, S.K.] seine reversalen wie auch die collation hiesiger kustereyen nit erfinden sollen […] sagtt g[eme]lt[e]r küster daß beij antritt seines dienst als von herren pastoren und commissario Wilmio zum Küster ernant und wurcklich eingesetzt.“106

Bedeutung der schriftlichen Fixierung von Amtsübergaben Einige der vorgestellten Versatzstücke der Einführung in das Amt des Küsters, wie Eid und Schriftbeweis, sind auch heute noch wesentliche Elemente der rechtlichen und gerichtlichen Praxis107. In dieser Untersuchung wurde gezeigt, 105 106 107

PAK, AA 17, fol. 383v: „geschehen und verhandelt sein diese dingen in der Abdien Gladbach daselbst auff dem Sommerhauß.“ PAK, AA 17, fol. 408r. Hildebrandt, Aktualisierung (wie Anm. 86), 163.

Rechtsdokumente und Rechtsrituale bei Übertragungen des Küsteramtes

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wie visuell und rituell vollzogene Rechtsakte der Investitur zusammen mit der Verschriftlichung der verschiedenen Stufen der Präsentation, Kollation und Investitur das Recht ausmachten bzw. gestalteten. Die Niederschrift der vollzogenen Ereignisse und ihre Aufbewahrung waren für die zum Zeitpunkt des Vollzugs beteiligten Personen und deren Nachfahren von großer Bedeutung. In den Einsetzungsritualen manifestierten die Handelnden öffentlich sichtbar die Gemeinschaft und die dahinter stehenden Rechte und Pflichten108 dadurch, dass sie sich in festen Formen immer wiederholten stifteten sie „Erwartungssicherheit, Struktur und Dauer“109, welche durch die Verschriftlichung der Geschehnisse bekräftigt wurden. So wurden beispielsweise in späteren Rechtsstreitigkeiten um Ämter und Güter die betreffenden Urkunden und Protokolle, die in den Archiven der Kirche gelagert wurden, zur Wahrheitsermittlung hervorgeholt und als entscheidendes Argument zur Rechtssicherheit benutzt. Der öffentlich gemachte und unter Zeugen vollzogene Rechtsakt und die Verschriftlichung schafften und bewahrten das Recht und die Ordnung der Gesellschaft110. Dies war für das Küsteramt umso wichtiger, als es für dieses keine kanonistische Musterliteratur einer Amtseinweisung gab. Die jeweiligen Bistümer bzw. Dekanate oder Archidiakonate orientierten sich zwar in den verschiedenen Elementen wie der Eidesformel und dem Einsetzungsritual an denjenigen Richtlinien für Geistliche und tradierten viele davon über die Jahrhunderte, doch maßgebende Vorschriften der Kanonistik gab es nicht. Mündlicher Zeugenbeweis vom Rechtsakt des Rituals und schriftlicher Urkundenbeweis kamen demnach auch für ein so genanntes niederes Kirchenamt wie das des Küsters, nicht nur im Mittelalter, sondern auch in der Frühen Neuzeit noch neben- und miteinander vor und standen in beständiger Wechselwirkung111. Dabei ersetzte die Schrift nicht das Ritual, sondern das Verhältnis der beiden zueinander veränderte sich insofern, als dass rituelle Formen – zu ver108 109

110

111

Linnemann, Rituale (wie Anm. 3), 73. So Gerd Althoff, Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung, in: Spektakel der Macht (wie Anm. 3), 15–19, hier 16. Sie verweisen aber auch auf die grundsätzliche Wandlungsfähigkeit von Ritualen, die sie als einen Indikator für gesellschaftlichen Wandel sehen. Für den Punkt der Öffentlichkeit des Aktes stellt Gerhard Dilcher für das Mittelalter fest, dass „in der Verbindung dieser Dreiheit – Kenntnisnahme, Zustimmung, späteres Zeugnis – die normative Wirkung“ gesehen werden kann. „Öffentlichkeit und Eindeutigkeit des beabsichtigten Aktes durch rituelle Handlung und Symbold“ seinen ein Merkmal für Verbindlichkeit und Sanktionierung vor der Rechtsgemeinschaft. Vgl. Dilcher, Bildung (wie Anm. 101), 197. Vgl. auch Dilcher, Mittelalterliches Recht (wie Anm. 5), 299 und 305, 312: „Typisch aber ist, das Beurkundung, Rechtssymbolik und Rituale über Jahrhunderte nebeneinander hergehen und koexistieren. So kommt es, dass Symbole und Rechtshandlungen, wie sie für die fränkische Zeit bezeugt sind, sich durch das ganze Mittelalter und bis hin in die Neuzeit erhalten. Wir sprechen also von einem Phänomen der longue durée“ (Zitat 305).

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Sabine Kötting

schiedenen Zwecken – niedergelegt und festgeschrieben wurden112. Recht war in diesem Zusammenhang nicht eine an sich existente soziale Ordnung, sondern muss, das zeigte die Beschäftigung mit den Dokumenten, durch gesellschaftlich anerkannte Verfahren erst hergestellt bzw. erhalten und aktualisiert werden113. Verschriftlichung und Dokumentation von Recht löste dementsprechend die zum Rechtsakt gehörenden Rituale nicht ab, sondern diese bestanden lange Zeit neben- und miteinander114.

Abb. 8. Kollationsbescheinigung des Gladbacher Abtes Ambrosius Steingens für den Oedter Küster Heinrich Klandt vom 29. März 1681 aus dem Propsteiarchiv Kempen (PAK, AA 17, fol. 267r) (Foto: Sabine Kötting, Münster) 112

113 114

Vgl. dazu Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation (wie Anm. 1), 514–515, welche zwar gewissen Einbußen für das Ritual hinsichtlich performativer, rechtskonstitutiver Wirkung feststellt, den Prozess zur Moderne aber nicht als „schlüssig und linear, wie gemeinhin angenommen“ sieht (z. B. zeigte sich, dass man der Schrift nicht immer direkt aus sich heraus das Vertrauen der beteiligten Personen in die Geltung des Geschriebenen zuschreiben konnte. Urkunden und ähnliche Rechtsdokumente bedurften dazu vielmehr der Einbettung in symbolische Kommunikationsakte), vgl. ebenda 515–516. – Zu den Veränderungen im Verhältnis Schrift – Ritual siehe auch das Interview mit Barbara Stollberg-Rilinger, Die Investitur als symbolisch-ritueller Akt auf: www.zeitenblicke.de/2007/1/interview/index.html (Abrufdatum 10.04.2010). Dazu vgl. Hildebrand, Aktualisierung (wie Anm. 86), 169–174, und Dartmann, Weber, Rituale und Schriftlichkeit (wie Anm. 2), 51. Vgl. dazu auch Sellert, Gewohnheit (wie Anm. 81), 41.

HANNS PETER NEUHEUSER

Reliquienauthentiken als kirchenrechtliche und kulturgeschichtliche Quellen Das Beispiel eines neuzeitlichen Urkundenbestandes im Propsteiarchiv Kempen

1. Zur Echtheit und Authentizität von Reliquien Die Personen, welche Urkunden ausfertigen, um die Authentizität von Reliquien zu bestätigen, vereinen bereits mit dieser Intention zwei geradezu gegensätzliche Auffassungen von Problembewältigung: Sie schaffen mit den Authentiken einerseits verbindliche Zeugnisse über die Echtheit von Reliquien, andererseits beurkunden sie in dem Bewusstsein, dass sich diese Objekte ihrem Wesen nach weitgehend der strengen rechtlichen Beurteilung entziehen. Urkunden und Reliquien scheinen an unterschiedlichen Kategorien von Wahrheit und Echtheit teilzunehmen, welche zwar nicht in unmittelbarer Konkurrenz zueinander stehen müssen, aber durch die Authentik auf spannungsvolle Weise miteinander verbunden sind. Das Problem gipfelt letztlich in einer rhetorischen Frage, die der Schriftsteller Martin Walser 2010 in seinem Werk „Mein Jenseits“ stellt: „Kann eine Reliquie falsch sein?“1. In dieser Novelle nimmt der IchErzähler, zugleich Arzt und Reliquienforscher, ein Ostensorium mit einer Heilig-Blut-Reliquie an sich, um zu beweisen, dass es für den Glauben „nicht wichtig ist, ob Reliquien echt oder unecht sind“. Der Arzt, selbst dem Vorwurf ausgesetzt, an ihm sei „die europäische Aufklärung spurlos vorübergegangen“, will mit seiner rechtlich unerlaubten Tat die Reliquie vor der herablassenden Duldung durch die „Gebildeten“ in Schutz nehmen und bewirkt doch selbst die Entlarvung der Frömmigkeitsübung. Ungeklärt bleiben in dieser Novelle alle Bezüge, die sich auf den amtlich zu verantwortenden Umgang mit Reliquien und Geschichtszeugnissen beziehen. Mag man hier die suggestive Wirksamkeit noch geradezu „typisch mittelalterlicher“ Rechts- und Frömmigkeitsauffassungen unterstellen, so verschärft sich die Problematik, wenn sowohl die Reliquien als auch deren Authentiken selbst der sog. aufgeklärten Neuzeit entstammen. In diesen Fällen bietet sich das Bild von mikroskopisch kleinen Materialstückchen in industriell gefertigten Reliquiaren, die kaum diesen Namen verdienen, und 1

Martin Walser, Mein Jenseits. Novelle, Berlin 2010; die Zitate stehen 57, 107, 99 und 104.

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Urkundentexten, die in vorgedruckten Formularen eingetragen sind – abgesehen davon, dass vor allem die Mehrzahl der im 19. und 20. Jahrhundert zur Ehre der Altäre erhobenen Männer und Frauen nur mehr einem sehr kleinen Personenkreis bekannt sein dürfte. Das Interesse der aktuellen Forschung an dieser Thematik moderner Authentiken oder etwa an modernen Authentiken als Exponaten in kulturgeschichtlichen Ausstellungen ist entsprechend als äußerst begrenzt zu bezeichnen2. Dieser Befund steht im Gegensatz zu der Ernsthaftigkeit jener Protagonisten, welche im 19. und 20. Jahrhundert für die Verbreitung von Reliquien und Authentiken gesorgt haben, letztlich auch im Gegensatz zur akribischen Behandlung dieser Fragen in der damals zeitgenössischen Kanonistik und im Liturgierecht. Vor diesem Hintergrund und im neuzeitlichen Kontext sollen im Folgenden der dokumentarische und rechtliche „Wert“ einer Authentik im Hinblick auf die Echtheitsermittlung von Reliquien überhaupt erörtert werden. Sodann soll die Frage nach dem kirchenrechtlichen (2.) und kulturgeschichtlichen Kontext (3.) des Phänomens Erörterung finden. Abschließend gilt es, das Phänomen neuzeitlicher Reliquienurkunden zu betrachten (4.) und anhand einer konkreten Sammlung von Authentiken die Bandbreite vorzustellen (5.). Die einerseits von den Gläubigen einer heiligen Person entgegengebrachte Verehrung verlangt auf der anderen Seite ein Mindestmaß an verlässlichen Informationen über deren Leben und Wirken, wie sie in den einschlägigen Viten und anderen Erzählungen tradiert worden sind. Eine spezifische Verehrung setzt geradezu Einzelheiten voraus, woran eine zugeneigte, hoffnungsvolle Hinwendung festmachen kann, auch wenn das diesem Fragenkomplex entgegen gebrachte, je zeitgenössische „Wahrheitsverständnis“ differieren kann3. Diese Einzelheiten sollten nicht lediglich intellektuell erfahrbar sein, sondern sich vor allem in Gegenständen veranschaulichen lassen. Hierzu gehört bereits eine bildliche Darstellung, eine Statue, ein Gegenstand aus ihrem Besitz oder gar eine Reliquie. Spätestens jedoch, wenn in der zunehmend kritischen Öffentlichkeit eine Reliquie mit dem „überzähligen“ Gliedmaß eines Heiligen bekannt wird, muss die Unterstellung von Verlässlichkeit erschüttert werden resp. entfaltet sich eine kaum mehr zu widerlegende Skepsis gegen die Authentizität der konkreten Reliquien oder gar gegen die Brauchbarkeit von Reliquien zur Unterstützung von Akten der Heiligenverehrung überhaupt. Hinzu treten – wie das Beispiel um die Zürcher Stadtheiligen Felix und Regula beweist – Forschungser2

3

Vgl. als Ausnahme der Katalog: Der heilige Leib und die Leiber der Heiligen, hg. von Stephanie Hartmann u. a. (Ausstellung Frankfurt), Frankfurt am Main 2007, 149, Kat.Nr. 20 (Matthias Theodor Kloft), zu der 1787 ausgefertigten Urkunde des Kardinals Colonna. Vgl. auch Klaus Schreiner, Zum Wahrheitsverständnis im Heiligen- und Reliquienwesen des Mittelalters, in: Saeculum 17 (1966), 131–169.

Reliquienauthentiken als kirchenrechtliche und kulturgeschichtliche Quellen

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gebnisse aus naturwissenschaftlichen, d. h. anthropologisch-pathologischen Untersuchungen an Skelettteilen von Reliquien, womit wenigstens zum Teil das legendäre Umfeld von Traditionen kritisch in Frage gestellt wird4. Nahezu erstaunlich ist umgekehrt die hohe Aufmerksamkeit, die von Seiten des Papstes den neuerlichen Untersuchungen am römischen Paulusgrab beigemessen wurde, obwohl von einem sicheren naturwissenschaftlichen Ergebnis bislang nicht die Rede sein kann5. Auch Sekundärreliquien wie Paramente von heiligen Priestern und Bischöfen können in ihrer Plausibilität erschüttert werden, wenn etwa die textilkundliche Forschung Stoffe und Verarbeitungstechniken als wesentlich jünger datiert. Zu beachten ist indes, dass eine Kritik an der Reliquienverehrung nicht erst durch Aufklärung und den Fortschritt moderner Diagnostik hervorgerufen wurde, sondern alte Wurzeln besitzt6 und etwa mit Guibert von Nogent einen prominenten Protagonisten aufzuweisen vermag7. Die Wahrheit der Reliquie liegt demnach nicht in der materiellen Substanz der Reliquie8, sondern im Glauben der Betenden, die aufgrund der Präsentation und Präsenz der Reliquie einen leichteren Zugang zu der oder dem Heiligen finden9. Wirkung und „Wert“ der Reliquie sind rechtlich somit stets als immate4

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Vgl. Hansueli F. Etter, Die Untersuchung an den Reliquien, in: Die Zürcher Stadtheiligen Felix und Regula. Legenden, Reliquien, Geschichte und ihre Botschaft im Licht moderner Forschung, hg. von Hansueli F. Etter u. a., Zürich 1988, 103–119. Vgl. das Referat der veröffentlichten Meinung zu den Untersuchungen bei Hubertus Lutterbach, Von den Heiligen und Reliquien zu den Plastinaten – und wieder zurück?, in: Arnold Angenendt, Die Gegenwart von Heiligen und Reliquien, Münster 2010, 9–30, insb. 22–24. Vgl. Klaus Schreiner, Discrimen veri ac falsi. Ansätze und Formen der Kritik in der Heiligen- und Reliquienverehrung des Mittelalters, in: Archiv für Kulturgeschichte 48 (1966), 1–53. – Bruno Reudenbach, Authentizitätsverheißung im mittelalterlichen Reliquienkult und in der Gegenwart, in: Zeitenspiegelung. Zur Bedeutung von Traditionen in Kunst und Kunstwissenschaft. Festschrift für Konrad Hoffmann, hg. von Peter K. Klein, Regine Prange, Berlin 1998, 375–383. Vgl. Klaus Guth, Guibert von Nogent und die hochmittelalterliche Kritik an der Reliquienverehrung, St. Ottilien 1970. – Vgl. jetzt auch Henri Platelle, Guibert de Nogent et le De pignoribus sanctorum. Richesses et limites d’une critique médiévale des reliques, in: Les reliques. Objets, cultes, symbole, hg. von Edina Bozóky, Anne-Marie Helvétius, Turnhout 1999, 109–121. – Zu Guibert allgemein vgl. Jay Rubenstein, Guibert of Nogent. Portrait of a medieval mind, New-York–London 2002. – Karin Fuchs, Zeichen und Wunder bei Guibert de Nogent. Kommunikation, Deutungen und Funktionalisierungen von Wundererzählungen im 12. Jahrhundert, München 2008. Vgl. Patrick J. Geary, Furta sacra. Thefts of relics in the central middle ages, Princeton 1978: „The subject of this study is not […] relics, but rather people“ (3). Vgl. Hartmut Kühne, Ostensio reliquiarum. Untersuchungen über Entstehung, Ausbreitung, Gestalt und Funktion der Heiltumsweisungen im römisch-deutschen regnum, Berlin–New York 2000. – Christof L. Diedrichs, Vom Glauben zum Sehen. Die Sichtbarkeit

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riell zu bewerten, die Frage nach der Echtheit ist ebenfalls zunächst dem materiellen und rationalen Abwägen und Beweissichern entrückt. Die mit dem Reliquienbesitz verbundenen Privilegien, aber auch die Missbräuche von Reliquien haben jedoch alsbald nach einer Regulierung dieser Erscheinungen verlangt. Hieraus ergeben sich die bekannten Fragen nach der Authentizität von Reliquien und nach der Substanz von ReliquienAuthentisierungen10.

2. Der kirchenrechtliche Kontext Dass die Verehrung nur „echten“ Reliquien zugewendet werden dürfe, muss als traditionelle theologische und kanonistische Position angesehen werden. Mit dieser Festlegung sind alle oben bereits skizzierten Regelungsbedarfe ausgelöst, speziell auch die rechtlichen Präventionsmaßnahmen gegen den Missbrauch der Reliquien und den Reliquienhandel. Positive Echtheitsbestätigungen von Reliquien kombiniert mit Beurkundungen von Amtshandlungen sind anlässlich von Altarweihen kontinuierlich überliefert; solche Konsekrationsurkunden haben eine eigene Gattung von kanonistisch relevanten Archivalien ausgeprägt11. Diese Maßnahmen beruhen gleichsam auf den Reflexionen, die dem klassischen kanonischen Recht zugrunde liegen12, allerdings zumeist Einzelfälle betreffen. Bereits das Vierte Laterankonzil hatte 1215 die rechtlichen Determinanten der Reliquienverehrung umschrieben und Kriterien formuliert, die über Jahrhunderte verbindlich bleiben sollten13: Das Dekret 62 untersagte die Ausstellung von Reliquien außerhalb des zugehörigen Behältnisses (extra capsam) und

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der Reliquie im Reliquiar. Ein Beitrag zur Geschichte des Sehens, Berlin 2001. – Vgl. auch den Sammelband: Das Heilige sichtbar machen. Domschätze in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, hg. von Ulrike Wendland, Regensburg 2010. Vgl. einführend Paul Bertrand, Authentique de reliques, authentique ou reliques?, in: Le moyen âge 112 (2006), 363–374. Vgl. Jean Michaud, Culte des reliques et épigraphie. L’exemple des dédicaces et des consécrations d’autels, in: Les reliques (wie oben), 199–212. – Vgl. den Überblick über die diversen regionalen Studien zu Konsekrationsurkunden bei Didier Mehu, Historiae et imagines de la consécration de l’église au moyen âge, in: Mises en scène et mémoires de la consécration de l’église dans l’occident médiéval, hg. von Didier Mehu, Turnhout 2007, 15–48, hier 40–43. – Vgl. auch die Fallstudie von Marie Pavlíková, O oltářních autentikách biskupa Daniela I., in: Věstnik královské české společnosti nauk 1951, Prag 1953, 1–21. Vgl. den neueren Überblick bei Stéphane Boiron, Définition et statut juridiques dans le droit canonique classique, in: Reliques et sainteté (wie oben), 19–31. Vgl. Viertes Laterankonzil, Dekret 62 (Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, hg. von Johannes Dominikus Mansi, Band 22, Venedig 1778 [Nachdruck Paris– Leipzig 1903], Sp. 1049–1050; Conciliorum oecumenicorum decreta, Band 2, 262–263).

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die Verehrung von Reliquien ohne Erlaubnis der Römischen Kirche. Gleichzeitig wurde der Verkauf und der Handel mit Reliquien untersagt. Insbesondere warnte das Dekret vor gefälschten Echtheitsurkunden; zulässig sei nur ein echter Brief des Apostolischen Stuhls oder des Diözesanbischofs (nisi apostolicas vel dioecesani episcopi litteras veras exhibeant). Das in diesem Zusammenhang oft zitierte Konzil von Trient hat im Grunde die Positionen des Vierten Lateranum lediglich unterstrichen: In seiner 25. Session beschloss das Tridentinum am 3. Dezember 1563 das Dekret „De invocatione, veneratione et reliquiis sanctorum et de sacris imaginibus“14. Es wird eine Theologie entworfen, die von drei Gegenwartsformen ausgeht: An oberster Stelle steht der Glauben an die Gegenwart Gottes, der Engel und der Heiligen, dann folgt der Glauben an die Vermittlungskraft der Reliquien, schließlich der Glauben an die helfende Funktion der Bilder. Dabei benötigen die Reliquien nur eine Bestätigung, die Bilder hingegen – auf der untersten Stufe – eine spezifisch didaktische Gestaltung und eine Auslegung, da ihnen als Artefakte das höchste Maß an Kontrolle gewidmet werden muss. Man geht von der Fiktion aus, dass die Realität der Reliquien und die Öffentlichkeit ihrer generationenlangen Verehrung keinen Zweifel an der Gegenständlichkeit zulassen. Handlungsbedarf wird allein darin erblickt, die Kontinuität des Wissens um diese Zeugnisse zu gewährleisten und Übergangsphasen (z. B. Umbettungen, Ingebrauchnahme neuer Reliquiare, Entnahme von Reliquienteilen etc.) zu dokumentieren. Das Dekret sieht ein Hauptproblem vor allem bei neu eingeführten Reliquien (nec novas reliquias recipiendas), ohne dass der (Diözesan-) Bischof davon weiß und seine Zustimmung gibt (nisi eodem recognoscente et approbante episcopo). Hierdurch wurde neben dem Apostolischen Stuhl der (Diözesan-) Bischof als Instanz zur Ausstellung von Reliquienauthentiken gestärkt. Im Bereich des universalkirchlichen Rechts wurden die vorstehenden Grundsätze im CIC von 1917 kodifiziert: Neben allgemeinen Aussagen fokussieren sich die Festlegungen erneut auf das Erfordernis der sorgfältigen Aufbewahrung (can. 1282) und der ordnungsgemäßen Feststellung der Echtheit in einer förmlichen Urkunde (can. 1283), zu deren Ausstellung nunmehr auch andere Oberhirten zugelassen werden; im Falle des Verlustes einer Authentik wird ein Prüfverfahren vorgeschrieben (can. 1285), an dessen Ende ggf. wieder die Ausstellung einer Authentik steht15. Schließlich 14

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Vgl. Konzil von Trient, 25. Session, Dekret „De invocatione“ (Conciliorum oecumenicorum decreta, Band 3, 773–776). – Vgl. Hubert Jedin, Entstehung und Tragweite des Trienter Dekrets über die Bilderverehrung, in: Theologische Quartalschrift 116 (1935), 143–188, 404–429, nicht zur Reliquienproblematik. Vgl. Heribert Jone, Gesetzbuch der lateinischen Kirche. Erklärung der Kanones, Band 2, 2. Auflage Paderborn 1952, 508–511. – Eduard Eichmann, Klaus Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex iuris canonici, Band 2, 11. Auflage München u. a. 1967, 381–383.

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wird noch die Aussetzung von Reliquien geregelt und die Aufbewahrung in Behältnissen vorgeschrieben (can. 1287), der Fall der Kreuzreliquie angesprochen (can. 1288) und die Veräußerung von Reliquien untersagt (can. 1289). Der neue CIC von 1983 äußert sich nur noch sehr zurückhaltend zu den Fragen des Reliquienwesens. Er unterstreicht in can. 1237 § 2 die alte Tradition, Reliquien unter einem fest stehenden Altar beizusetzen, überlässt aber die Einzelheiten den liturgischen Büchern und dem Liturgierecht. Insofern findet die aktuelle Beurteilung des Themas ihre Grundlage in Artikel 111 der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils. Als selbstverständlich setzt dieser Artikel voraus, dass es sich um „reliquiae authenticae“ handelt, deren Echtheitsprüfung jedoch sowohl vom CIC/1983 als auch von der Liturgiekonstitution administrativen Vollzügen überlassen bleibt: Diese Fragen sind ganz offensichtlich kein Thema der aktuellen theologischen Reflexion16. Das Kirchenrecht beschränkt sich allenfalls darauf, in can. 1190 CIC/1983 den Verkauf und die unerlaubte Übertragung an andere Orte zu verbieten17. Ansonsten gilt der Zuständigkeitsbereich der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen im Hinblick auf das Reliquienwesen uneingeschränkt18. Entsprechend der Einbeziehung der Teilkirchen in die rechtliche Auskleidung des Reliquienwesens muss hinsichtlich unserer Fragestellung auch das Partikularrecht betrachtet werden. Für das Erzbistum Köln haben vor allem die Diözesansynoden von 1627 und 1662 einschlägige Dekrete verabschiedet. Die erstgenannte Synode beschränkte sich im Wesentlichen auf die Einschärfung der Gebote für die Aufbewahrung von Reliquien und die Authentisierung durch den Diözesanbischof19, während die Synode von 1662 eine Beurkundung auch durch den Weihbischof vorsah und weitere Instruktionen zur dokumentarischen Sicherung von Reliquien gab: Erneuerung der Inschriften auf den Reliquiaren, Erstellung von Reliquienbestandskatalogen und Beifügung von Cedulae zu den Reliquien zwecks Identifizierung20. Auch hier ergibt sich eine enge Beziehung 16

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Vgl. Reiner Kaczynski, Theologischer Kommentar zur Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, in: Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, hg. von Peter Hünermann, Bernd Jochen Hilberath, Band 2, Freiburg 2004, 186. Vgl. Heinz Maritz, Die Heiligen-, Bilder- und Reliquienverehrung, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, hg. von Joseph Listl u. a., Regensburg 1983, 844–846. Vgl. Papst Johannes Paul II., Konstitution „Divinus perfectionis magister“ vom 25. Januar 1983, in: AAS 75 (1983), 349–355; Kongregation für Selig- und Heiligsprechungen, Normae servandae vom 7. Februar 1983, in: AAS 75 (1983), 396–403. Vgl. Diözesansynode Köln 1627, Tit. 7 (Synodus dioecesana Coloniensis […], Köln: Peter Colinus, 1627, pag. 15–16). Vgl. Diözesansynode Köln 1662, Tit. 8 (Decreta et statuta dioecesana synodi Coloniensis, Köln: Johannes Busaeus, 1667, pag. 41).

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zwischen den Reliquien selbst und den interpretierenden Textdokumenten. Die Statuten von 1662 erweisen sich hinsichtlich ihrer Prägnanz und Substanz als zentrales Dokument für den neuzeitlichen, kirchenrechtlich abgesicherten Umgang mit Reliquien und für die Regelung der diesbezüglichen Dokumentationspflichten. Darüber hinaus hatte der Kölner Generalvikar Georg Paul Stravius am 6. April 1644 seinen wegweisenden Erlass „De reliquiis sanctorum“ veröffentlicht, wodurch das Konzilsdekret von Trient für die Erzdiözese Köln umgesetzt worden ist21. Die Erweiterung resp. die Konkretisierung der weihbischöflichen Aufgaben in dieser Zeit kann leicht anhand der von Jakob Torsy zusammengestellten Weihehandlungen resp. in den „Protocolla suffraganeatus“ von 1661 bis 1809 nachverfolgt werden22. Insbesondere aus den Dekreten der Ritenkongregation des 17. bis 19. Jahrhunderts hat sich zudem ein auf die Reliquienverehrung bezogenes Liturgierecht entwickelt, das bis ins 20. Jahrhundert hinein seine Gültigkeit behalten hat23. Auf der Ebene der Teilkirchen finden sich ebenfalls die verschiedensten Dekrete, wie etwa dasjenige des Kölner Generalvikars vom 27. Mai 1855, das die Problematik anspricht, dass Reliquien ohne Authentik nicht zur Verehrung ausgesetzt werden dürfen und solche zur nachträglichen Beurkundungen einzusenden sind, falls sie verschlossen und versiegelt sind und durch zusätzliche Dokumente (z. B. Beschreibung des Reliquiars) identifiziert werden können24. Das Kirchenrecht hat im Rahmen der pragmatischen Schriftlichkeit versucht, die Nachrichten über den Erwerb (Schenkung, Tausch), über den Besitz, über die Aufbewahrung und die Verwendung von Reliquien zu dokumentieren. Hierfür wurde eine ganze Palette an Dokumentationsinstrumenten genutzt, etwa die an den Reliquien haftenden und in die Reliquiare eingefügten Cedulae, separate bloße Echtheitsbezeugungen, Dokumente im Rahmen von Selig- und Heiligsprechungsprozessen, Urkunden über den Erwerb von Reliquien, Urkunden über die Konsekration von Altären mit Sepulkren, Archivalien im Zuge der Anfertigung oder Beschaffung von Reliquiaren, Inventare zu Reliquiensammlungen, Privilegien über die Verwendung von Reliquien in der Liturgie oder bei 21 22

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Vgl. August Franzen, Die Durchführung des Konzils von Trient in der Diözese Köln, in: Das Weltkonzil von Trient, hg. von Georg Schreiber, Band 2, Freiburg 1951, 267–294. Vgl. Die Weihehandlungen der Kölner Weihbischöfe 1661–1840 nach den weihbischöflichen Protokollen, bearb. von Jakob Torsy (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, 10), Düsseldorf 1969, zu den Reliquien vgl. 64. Vgl. Phillip Hartmann, Repertorium rituum. Übersichtliche Zusammenstellung der wichtigsten Ritualvorschriften für die priesterlichen Funktionen, 12. Auflage Paderborn 1913, 694–697, Paragraphen 272–273. Vgl. Erlass des Generalvikars in Köln vom 27. Mai 1855, in: Kirchlicher Anzeiger 4 (1855), Nr. 45, S. 54–55. – Vgl. auch Erlass des Erzbischofs von Köln vom 26. Januar 1897, in: Kirchlicher Anzeiger 37 (1897), Nr. 25, S. 11.

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den pia exercitia, Ablassurkunden in Bezug auf Reliquien, Gebetstexte zur Nutzung bei der Verehrung, Kalendare mit Eintragung von Reliquienfesten, chronikalische Aufzeichnungen über Reliquienweisungen, Reliquienprozessionen und Reliquienüberführungen, Protokolle über Reliquienrekonditionen sowie Grabund Reliquiaröffnungen zur Reliquienrekognoszierung – auch solche aus der neuesten Zeit25 – und Vieles mehr. Den Inhalten von Altarsepulkren, teils mit inliegenden Weiheurkunden, teils mit Cedulae, haben sich bereits ältere Forschungen zugewandt26. Dabei sind die vorgenannten Dokumentenarten und Textsorten nicht stets säuberlich von einander getrennt, nehmen vielmehr häufig inhaltlich Bezug aufeinander und sind von einander abhängig. In unserem Zusammenhang sind vor allem solche Schriftstücke von Interesse, welche die Echtheit der Reliquien ausdrücklich bestätigen und nicht nur unverbindliche Hinweise liefern; insofern sollten etwa die Cedulae nicht mit formalen Authentiken verwechselt werden27. Eine neuerliche Sichtung der Quellen erweist die Vielzahl der Geschichtszeugnisse und der Zugänge zum Material28. Reliquien- und Geschichtszeugnisse sind demnach Bestandteile des gleichen Forschungsfeldes29, wobei hier wünschenswerte Übereinstimmungen nicht erzwungen werden können – so, wie dies in anderen kulturhistorischen Szenarien (z. B. Architekturbefunde versus Schriftzeugnisse zum Bauwerk, Paramente versus Vita des vermeindlichen Bestzers) ebenso wenig möglich ist. Für die Beantwortung der Frage, was der eigentliche Gegenstand einer Reliquienauthentik sei, ist es von Bedeutung, zwischen der Identität des Heiligen und der Authentizität der Reliquie zu unterscheiden: Bei der routinemäßigen Authentizitätbezeugung von Reliquien geht es nicht um einen Wahrheitsbeweis von Leben und Wirken des Heiligen, noch seines Schicksals und seiner körperli25

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Vgl. die mitgeteilten Dokumente in dem Beitrag von Anna Pawlik, Urkunden über Schreinsöffnungen 1809–2008, in: Heiliger Liudger. Zeuge des Glaubens 742–809. Gedenkschrift zum 1200. Todestag, hg. von Rudolf Ludger Schütz, Bochum 2009, 271–290. Vgl. z. B. Alois Thomas, Altarsepulkren erzählen, in: Trierisches Jahrbuch 1956, 86–90. – Alois Thomas, Wertvolle Erkenntnisse aus geöffneten Altarsepulkren, in: Kurtrierisches Jahrbuch 9 (1969), 88–104. – Hans Bange, Toni Diederich, Siegel von Bischöfen in Altargräbern als Quellen der Architekturgeschichte, in: Annalen des Historischen Vereins des Niederrheins 188 (1985), 19–52. So wohl bei Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1994, 162. Vgl. Philippe Cordez, Gestion et médiation des collections de reliques au moyen âge. Le témoignage des authentiques et des inventaires, in: Reliques et sainteté dans l’espace médiéval, hg. von Jean-Luc Deuffic (Pecia. Ressources en médiévistique, 8-11), Saint-Denis 2006, 33–63. – Vgl. schon früher Martin Heinzelmann, Translationsberichte und andere Quellen des Reliquienkultes (Typologie des sources du moyen âge, 33), Turnhout 1979, 83–88. Vgl. Philippe Cordez, Die Reliquien – ein Forschungsfeld. Traditionslinien und neue Erkundungen, in: Kunstchronik 60 (2007), 271–282.

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chen Verfassung etwa nach Durchleiden eines Martyriums, d. h. um hagiologische Fragen30 – diesbezügliche Plausibilitätsprüfungen anhand von Vita einerseits und Reliquie andererseits werden deshalb in aller Regel scheitern. Die Kernaussage einer Authentik beschränkt sich daher zumeist auf die Bestätigung der Provenienz und Integrität von Reliquien und ihres rechtmäßigen Überlieferungsweges. Die oft lediglich bezeugte kontextuelle Authentizität der Reliquie ergibt sich aus mehreren Faktoren: aus der Unversehrtheit des Reliquiars resp. Sepulkrums, aus externen Zeugnissen über das Patrozinium einer Kirche oder eines Altars, aus Nachrichten über die „Verehrung seit undenklichen Zeiten“ resp. der Reliquientranslation sowie aus beigefügten Textquellen (Cedulae)31. Die formale Reliquienauthentik in Urkundenform tritt gleichsam nachträglich in diesen Kontext ein; sie hat materiell keinen höheren Aussagewert als die nicht beurkundeten Cedulae, da die Bestandteile dieses Kontextes einander stützen32.

3. Der kulturgeschichtliche Kontext Wenngleich die Reliquien selbst nicht in erster Linie einen Gegenstand der Kulturgeschichte, sondern der Frömmigkeitsübung darstellen, so kann doch nicht verkannt werden, dass die Verehrungsformen zahlreiche Erscheinungen mit kulturhistorischer Relevanz hervorgebracht haben. Zumindest aufgrund des Kontextes sind Reliquien dann sehr wohl als kulturgeschichtliches Objekt anzusprechen; hierzu gehört auch die Geschichte der Vermittlung durch Orden oder Einzelpersonen, die Frage des mit der Reliquie ggf. zusammenhängenden Patroziniums eines Altars oder einer Kirche, die Fragen um die Aufbewahrung und Aufbewahrungsgefäße, die Fragen um Frömmigkeitsübungen sowie ggf. das weitere Schicksal in Flüchtungen oder im Rahmen einer Säkularisation. Von kulturgeschichtlicher Bedeutung erweist sich vor allem der Kontext um die Sicherung von Reliquien, um die Gewährleistung ihrer Integrität. Im Hinblick auf die Aufbewahrungsgefäße für Reliquien ist zunächst zu unterscheiden, ob sie der verschlossenen Sicherung oder der Schaustellung dienen sollen. So dienen Bleikästen oder Bleidosen sowie Glasstrünke/Glasgefäße der passiven

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Vgl. Michele C. Ferrari, Inquisitione diligenti et fideli. Beglaubigungsstrategien und hagiologische Recherchen im Mittelalter, in: Päpste, Pilger, Pönitentiarie. Festschrift für Ludwig Schmugge zum 65. Geburtstag, hg. von Andreas Meyer u. a., Tübingen 2004, 225–236. Vgl. zu den Cedulae die Fallstudie von Christian Popp, Der Schatz der Kanonissen. Heilige und Reliquien im Frauenstift Gandersheim, Regensburg 2010, 68–69, 107–108. Vgl. Oswald Redlich, Die Privaturkunden des Mittelalters, München–Berlin 1911 (Nachdruck München 1967), 73–74.

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Sicherung zwecks Deponierung in einem Altarsepulkrum33. Entsprechend der liturgischen Verwendung sollten sie vom Konsekrator versiegelt worden sein, möglicherweise tragen sie eine Inschrift oder einen Begleitzettel. Im Idealfall hat sich eine separate Authentik im zuständigen Archiv erhalten. Jedenfalls weisen auch jene oft nur bescheidenen Gefäße34 weit über sich hinaus, da sich in ihnen die Geschichte des zugehörigen Altars, seiner Weihehandlung oder der Patrozinienbestellung spiegelt. Diese Aussage über die erweiterten Bedeutungsebenen gilt in höherem Maße für die Schaugefäße, die Schreine oder Reliquiare. Bereits die Reliquiare selbst, aber auch der Prozess der von ihnen evozierten Schauhandlung drängen dazu, die Reliquienverehrung und ihre Dokumente in einem kulturhistorischen Kontext zu begreifen, welcher den kanonistischen Topos umgibt. Die Reliquiare bilden somit nur die Materialisierung einer bestimmten Auffassung von Frömmigkeitsübungen, insbesondere auch von der „Realpräsenz“ der Heiligen und Medialität35. Der „kirchlichen Kunst-Archäologie“ des 19. Jahrhunderts stand die gesamte Bandbreite der Reliquiartypen aus vielen Jahrhunderten vor Augen36, und an diesen Formen orientierte sich auch die damals zeitgenössische Kunstproduktion. Innerhalb der modernen kunsthistorischen Forschung haben Reliquiare ebenfalls Aufmerksamkeit wecken können und neben Einzeluntersuchungen auch erste Überblicke hervorgerufen37. Moderne Lexika über Sakralgerät – auch 33

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Vgl. Antonella Sveva Gai, Reliquiengläser aus Altarsepulkren. Eine Materialstudie zur Geschichte des deutschen Glases vom 12. bis zum 19. Jahrhundert (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, 30.1), Leinfelden-Echterdingen 2001. – Vgl. auch die früheren Arbeiten von Ludwig F. Fuchs, Reliquiengräber und Reliquiengläser, in: Die christliche Kunst 30 (1933–1934), 54–57, und Walther Bremen, Die Reliquiengläser des Diözesanmuseums Rottenburg am Nekar, Rottenburg 1967. Vgl. Hedwig Röckelein, Ein alter hölzerner Kasten voller Reliquien als alten schmutzigen Zeugflicken jeder Farbe und alte Knochen. Über unansehnliche und verborgene Reliquienschätze des Mittelalters, in: Vielfalt und Aktualität des Mittelalters. Festschrift für Wolfgang Petke, hg. von Sabine Arend u. a., Bielefeld 2006, 383–402. Vgl. Peter Dinzelbacher, Die „Realpräsenz“ der Heiligen in ihren Reliquiaren und Gräbern nach mittelalterlichen Quellen, in: Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, hg. von Peter Dinzelbacher, Dieter R. Bauer, Ostfildern 1990, 115–174. – Bruno Reudenbach, Gia Toussaint, Die Wahrnehmung und Deutung von Heiligen. Überlegungen zur Medialität von Reliquiaren, in: Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 8 (2003), Heft 2, 34–40. Vgl. Heinrich Otte, Handbuch der kirchlichen Kunst-Archäologie des deutschen Mittelalters, Band 1, 5. Auflage Leipzig 1883, 183–214. – Vgl. auch Georg Jakob, Die Kunst im Dienste der Kirche. Ein Handbuch, 5. Auflage Landshut 1901, 221–228. Vgl. Joseph Braun, Die Reliquiare des christlichen Kultes und ihre Entwicklung, Freiburg 1940. – Ernst Günter Grimme, Goldschmiedekunst im Mittelalter. Form und Bedeutung des Reliquiars von 800 bis 1500, Köln 1972. – Annette Schommer, Rheinische Reliquiare, Rheinbach-Merzbach 1993.

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wenn sie auf Objekte des 19. und 20. Jahrhundert spezialisiert sind – widmen sich hingegen den Authentiken der Neuzeit oft nur mit kurzen Notizen38. Hingegen konnten einige Ausstellungen auch „einfachere“ Reliquiare der Neuzeit sowie Behälter, Kapseln, Breverln und Authentiken präsentieren; insbesondere sind zu nennen die Kölner Ausstellung „Reliquien. Verehrung und Verklärung“ (1989) und die Paderborner Ausstellung „Heilige und Heiltum“ (1994). Die Authentiken gelten in diesem Zusammenhang offensichtlich nicht als primäre und autonome Dokumente, da sie zwar in ihrer Aussage Verbindlichkeit bescheinigen und im Hinblick auf die Diplomatik vollständig sein mögen, doch ist der Bezug zu einer individuellen Reliquie of nur schwer herzustellen. Dies gilt für die Beschreibung der Reliquie ebenso wie für die Identifizierung des Reliquiars. Erst wenn alle Teile dieses Komplexes vorliegen, lässt sich ein zweifelsfreier Zusammenhang herstellen. Dies gilt verstärkt in der jüngeren Neuzeit, da sowohl die Reliquiare aus einer Massenanfertigung stammen als auch die Authentiken sich eines Vordrucks bedienen.

4. Die Authentisierung von Reliquien durch Urkunden in der Neuzeit Moderne Reliquienauthentiken sind im Hinblick auf ihre diplomatische Qualität kaum einmal in das Bewusstsein der Forschung geraten. Gründe hierfür liegen in ihrer rechtlichen Beschränkung auf einen Gegenstand, welcher sich – wie eingangs bemerkt – der juristischen Beurteilung entzieht, so dass auch der Wert zugehöriger Urkunden als Rechtsdokumente tangiert ist. Auch die kirchliche Rechtsgeschichte hat sich diesem Sujet bislang verweigert. Die Reduktion der Authentiken auf nur wenige relevante Bestandteile hat zu einer Vereinheitlichung des Sprachgebrauches und letztlich in der Neuzeit zur Entwicklung von Vordrucken geführt. Dies erleichterte nicht nur die massenhafte Ausstellung von Urkunden, sondern trug – auch angesichts dieses routinemäßigen Verfahrens – zudem zur Rechtssicherheit bei, da das Formular die Erwähnung der wichtigsten Elemente unter Verwendung des juristischen Vokabulars einforderte und weitgehend garantierte. In gewisser Weise sind diese Formulare Zeugen der Druckgeschichte von pragmatischen Dokumenten geworden, so dass sich anhand dieser Urkunden eine spezielle Geschichte des 38

Vgl. Bernard Berthod, Élisabeth Hardouin-Fugier, Dictionnaire des arts liturgiques XIXe–XXe siècle, Paris 1996, zum Stichwort „Authentique“ 98. – Vgl. auch Joël Perrin, Sandra Vasco Rocca, Thesaurus des objets religieux, Paris 1999, Erwähnung der Authentiken 245. – Ich armer sundiger mensch. Heiligen- und Reliquienkult am Übergang zum konfessionellen Zeitalter, hg. von Andreas Tacke (Schriftenreihe der Stiftung Moritzburg, 2), Halle 2002, ohne Bezug. – Lexikon für kirchliches Kunstgut, hg. von Friedrich Fuchs u. a., Regensburg 2010, zum Stichwort „Authentik“ 32, mit Farbabbildung 25.

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Formularwesens schreiben ließe. Diesem formalen oder historischen, also distanzierten Aspekt steht allerdings gegenüber, dass die Aussagen vom geltenden Kirchenrecht durchaus ernst genommen wurden. Wie auch bei individuellen Reliquienauthentiken, so muss ebenso für formalisierte Urkunden gelten, was die univeralkirchliche und partikularrechtliche Kanonistik in Folge des Tridentinischen Konzils zu den Ausstellern sagt: Demnach ist der Apostolische Stuhl die oberste Autorität zur Bestätigung der Echtheit von Reliquien, in nächster Instanz sind es die Diözesanbischöfe insbesondere für jene Reliquien, die sich im Bereich der Teilkirchen befinden. Die kanonisch verbürgte Zuständigkeit für die Urkundenausstellung und die örtliche Nähe zum Umfeld der Reliquien unterstreichen diese Regelung. Die Diözesanbischöfe nehmen diese Aufgabe nach der Intention des Kirchenrechts persönlich wahr und delegieren im Ausnahmefalle an einen Weihbischof. Noch in der neueren Zeit ist durch die Kurie bestätigt worden, dass ein Generalvikar zur Ausstellung einer Reliquienauthentik oder zur Durchführung einer Reliquienversiegelung eines Spezialmandates bedarf39, dass also diese Tätigkeiten nicht zu seinem obligatorischen Aufgabenumfang zählen. Mit der Stellung des Diözesanbischofs vergleichbar ist das Amt des Ordensoberen, bei dem eine „Nähe“ insbesondere zu Reliquien von Ordensheiligen unterstellt wird. Eine außerordentliche, pragmatische Zuständigkeit zur Ausstellung von Reliquienauthentiken gilt für die Kustoden von Reliquiensammlungen und für Generalpostulatoren, wenn die Reliquienbegebung im Rahmen von Kanonisationsverfahren erfolgt. Für die Authentisierung der Reliquie ist die Benennung des oder der Heiligen unverzichtbar. Dabei wird der Namensangabe in der Regel der Heiligenstand als Martyrer, Jungfrau oder Bekenner hinzugefügt, gelegentlich auch sein Amt als Bischof oder der Bezug zum Orden, dessen Vertreter die Echtheit bescheinigt. Ferner ist unabdingbar, dass die Art der Reliquie benannt wird, etwa ein Skelettteil oder ein Stück Stoff aus der Kleidung des oder der Heiligen. Dies ist insbesondere wichtig angesichts der oft nur geringen Größe der Reliquie, die kaum Vorstellungen über den Gegenstand zulassen. Auch das Reliquiar bedarf einer Mindestbeschreibung, wobei man sich auf die Art (etwa Kapselreliquiar) beschränkt und allenfalls noch das Material (z. B. Kupfer mit Glas) angibt. Es fällt auf, dass viele durch den Vordruck standardisierte Authentiken offensichtlich auch ohne die Unterschrift des nominellen Ausstellers gültig sind, dass dieser sich in der Praxis durch den Generalvikar, den Sekretär oder Kustos vertreten lassen kann, oder dass sogar ein Siegel anstelle einer Unterschrift resp. ein Unterschriftsstempel genügen muss. Ein Element, das in der Spätbarockzeit, aber auch noch im 19. und 20. Jahrhundert, half, die Authentizität der Beurkun39

Vgl. Pontificia commissio ad codicis canonis authentice interpretandos, Responsum vom 17. Juli 1933, in: Acta Apostolicae Sedis 25 (1933), 345.

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dung zu stützen, ist freilich der Vordruck selbst, der nicht selten ein kompliziertes Wappen und sonstige Schmuckornamente enthielt. In unserem Zeitabschnitt erweckt das artifiziell gedruckte Urkundenformular noch die Suggestion der Fälschungssicherheit, wohl insbesondere dann, wenn das im Kopfbereich wiedergegebene Wappen mit dem aufgedrückten oder aufgeprägten Siegel übereinstimmt. Je aufwändiger die Gestaltung, desto eher galt eine Urkunde gegenüber unberechtigten Manipulationen geschützt. Andererseits lässt die strikte Reduktion des Textes auf ein Mindestmaß an Informationen, die formelhafte Beschreibung des Reliquiars etc. darauf schließen, dass man sich eines Textes aus einem juristischen „Formularbuch“ bediente, das aus Gründen der Rechtssicherheit keine große Freiheit in der Formulierung wünscht. Gleichzeitig erlaubt die serielle Urkundengestaltung auch die massenhafte Ausfertigung und die pragmatische Kontrolle der variablen Textkomponenten.

5. Das Kempener Fallbeispiel Die Geschichte der Heiligenverehrung und der Patrozinienverbreitung im niederrheinischen Raum und in der Stadt Kempen muss noch geschrieben werden. Bereits jetzt ist deutlich, dass sowohl die Anfänge des kirchlichen Lebens als auch die weiteren religiösen Entwicklungen des Kempener Landes mit ihren alten Zentren der Peterskapelle und Marienkirche von der Heiligen- resp. Reliquienverehrung geprägt waren und in Liturgie und Volksfrömmgkeit zahlreiche Spuren hinterlassen haben40. Zumindest die Vielzahl der mittelalterlichen Altarstiftungen lässt auch auf Reliquienrekonditionen schließen. Die noch zu verfassende Geschichte der Reliquienverehrung würde dabei mindestens die besonderen Ereignisse um die spätmittelalterliche Übertragung der Marienhaarreliquie und die Asylgewährung der Agilolfusreliquie während der Säkularisationszeit umfassen – um etwa das Spektrum anzudeuten. Die Kempener Marienhaarreliquie ist zum ersten Mal erwähnt in einer Urkunde des Klosters Werden an der Ruhr aus dem Jahre 1473. In dem Dokument von 1473 Juli 23 übergibt Abt Konrad von Gleichen für die neue und unter dem Patrozinium von Mariae Geburt stehende Kirche zu Kempen „eyn deyll hairs van onser lieuer vrouwen sunte marien“. Der Abt bestätigt, diese Reliquie, ein „wairhafftich hylgedom“, eigenhändig aus dem Reliquiar (monstrantien) genommen zu haben. Zur Bestätigung der Echtheit siegeln der Abt und der Küs-

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Zur Kempener Frömmigkeitsgeschichte vgl. Hanns Peter Neuheuser, Grundriss der Kempener Kirchengeschichte, Köln 1995, insb. 21ff. – Vgl. auch Josef Reuter, Frommes Kempen, Kempen 1987.

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ter des Klosters41. Die Urkunde befindet sich heute im Kempener Stadtarchiv, wo sich ein großer Teil des ehemaligen Kirchmeisterarchivs der Marienkirche erhalten hat. Das zweite herausragende Ereignis war die Bergung der Agilolfusreliquien aus der Kölner Stiftskirche St. Maria ad Gradus, wo sie seit 1062 ihre Heimat gefunden hatten. Der letzte, in Kempen gebürtige Stiftsdekan Peter Jakob Busch rettete den Reliquienbestand und überführte ihn in seine Hauskapelle nach Kempen, wo er bis zu Buschs Tod 1809 und dann von einem anderen Stiftskanoniker verwahrt wurde; die Rückführung nach Köln erfolgte durch Weihbischof Claeßen am 11. März 184642. Aus Dank für die Gewährung des Asyls wurde der Kempener Pfarre ein kleines Stück der Agilolfus-Reliquie überlassen: Mit Schreiben vom 17. Juli 1895 übersandte das Kölner Metropolitankapitel eine Agilolfus-Reliquie „zurück“ an den Niederrhein43. Zu diesem Komplex gehört auch das bis heute erhaltene Transportkästchen mit dem Sedisvakanzsiegel des Kapitels. Der ursprünglich Kempener, später Kölner Goldschmied Richard Hellner fertigte dann 1896 ein aufwändiges Reliquiar für die „Kempener“ Agilolfus-Reliquie44. Der weit überwiegende Teil der Kempener Reliquiengeschichte muss als weitgehend unspektakulär angesehen werden: Es handelt sich um die routinehafte Verwaltung des Reliquienbestandes sowie um die Aufbewahrung der Reliquiare – gelegentlich unterbrochen, wenn es galt, die Altäre zu restaurieren oder zu translozieren, d. h. den Inhalt der Sepulkren sicherzustellen45. Ein Beispiel liefert die Versetzung von drei Altären, deren Sepulkren der Bischof von Münster zu deponieren anordnete und worüber Dechant Schönbrod am 14. Oktober 1838 ein Pro memoria anfertigte46. In einem anderen Fall wird 1879 thematisiert, dass sich gegen Mitte des 19. Jahrhunderts in einem Altar zwei Häupter mit der Beischrift „capita II sanctorum Ewaldorum“ aufgefunden hatten; ein 41

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Stadtarchiv Kempen, bearb. von Hermann Keussen, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 64 (1897), 1–83, hier Nr. 422, S. 49. – Vgl. auch Kund und zu wissen. Kempens Geschichte in alten Urkunden, hg. vom Kempener Geschichts- und Museumsverein, o. O. o. J. (Kempen 1989), Nr. 17, S. 102–105. Vgl. Gerhard Terwelp, Die Stadt Kempen im Rheinlande, Band 2, Kempen 1914, 182– 183. – Vgl. auch den Hinweis bei Hans-Joachim Kracht, Jakob Torsy, Reliquiarium Coloniense, Siegburg 2003, 120–121. Vgl. PAK, A 4630. PK V/1. – Vgl. Birgitta Falk, Etablissement Franz Xaver Hellner, Krefeld 1994, 165. – Neuheuser, Grundriss, 42. Vgl. Hanns Peter Neuheuser, Zur Restaurierung und Translozierung der Altäre in der Kempener Pfarrkirche. Rechnungsbelege und liturgierechtliche Verfügungen als Quellen der Restaurierungsgeschichte, in: Quellen und Beiträge aus dem Propsteiarchiv Kempen, hg. von Hanns Peter Neuheuser, Band 1, Köln u. a. 1994, 27–47. Vgl. PAK, A 4632; Dokument wohl mit Bezug auf die Reliquiengläser Inv.-Nr. PK V / 9 a–d.

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Briefwechsel zwischen Kaplan Hermann Hacks und Kaplan Peter Mertens von St. Kunibert in Köln, der originären Heimat dieser Heiligen, erbrachte jedoch keinen weiteren Aufschluss47. Auch die 1950 entdeckten Reliquien aus den Seitenaltären der Kempener Marienkirche konnten nicht idenifiziert werden48. Ferner hatte man Übereignungen von Reliquien entgegen zu nehmen, und mit ihnen die Authentiken. Allerdings hat die lange Dauer der Reliquienverehrung in Kempen eine ansehnliche Zahl von einschlägigen Dokumenten erzeugt, etwa auch aufschlussreiche und noch nicht näher ausgewertete Reliquienverzeichnisse49. Eine bedeutende Liste stellt dar der „Index sive catalogus sacrarum reliquiarum quae in parochiali B[eatae] M[ariae] virginis et D[omini] Petri apostolorum principis ecclesia Kempensi honorifice conservantur“, welcher im Juli 1627 von Johannes Gelenius erstellt wurde und auch die Marienhaarreliquie registriert50. Leider kann vielen Auflistungen von Reliquien nicht der notwendige Verbindlichkeitsgrad der Aussagen entnommen werden, d. h. es fehlt die Bezeichnung der Kirche oder des Altars, der Zeitpunkt der Inventarisierung – oft im Zusammenhang mit dem Amtsantritt eines Küsters – oder des Namens des für die Aufstellung Verantwortlichen51. Von besonderer historischer, aber auch kirchenrechtlicher Problematik sind die privaten Kontakte einzelner Personen, die sich um den Erwerb von Reliquien bemühten. Sie führten, wie im Fall der Erlangung nicht näher bezeichneter Reliquien aus dem Klarissenkloster in der Kölner Glockengasse, zu Privatbescheinigungen, hier 1826 gefertigt im Haus des Kempener Küsters Joseph Botie52. 1880 kam es zu einem privaten Schriftwechsel zur Erlangung von Reliquien aus dem Kloster Grabenstadt53. Erfolgreich waren auch die „Verhandlungen“ über den Erwerb von Bruder-Konrad-Reliquien aus Altötting, jedoch aufgrund eines 1935 privat geführten Schriftwechsels54. Als ebenso privat muss eingestuft werden, wenn Kaplan Peter Limberg 1901 Mai 28 bestätigt, bei seiner im Jahre 1900 durchgeführten Heilig-Land-Reise Steine vom Ölberg und aus dem Garten Getsemane aufgelesen sowie ein Stück eines Ölbaumes von einem der betreuenden Jerusalemer Franziskanerbrüder erhalten zu haben55.

47 48 49 50 51 52 53 54 55

Vgl. PAK, A 25. Vgl. PAK, A 3376. Vgl. LAV NRW, Abt. Rheinland, Kurköln II, Akte 2677. – PAK, AA 14, fol. 13–16. Vgl. PAK, AA 14, fol. 13–16. Als Beispiel vgl. PAK, A 4628, eine nicht zuzuordnende Reliquienliste, wohl Mitte 19. Jh. Vgl. PAK, A 4629; Dokument von 1826 November 18. Vgl. PAK, A 4684; Dokumente von 1880 Juni 25 und August 28, wohl mit Bezug auf die Reliquien Inv.-Nr. PK V / 12.1–8. Vgl. PAK, A 4685, zu Reliquie Inv.-Nr. PK V / 11.38. Vgl. PAK, A 4631, zu Reliquie Inv.-Nr. PK V / 13.

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Die vorstehenden Ausführungen sollten erläutern, wie die verschiedenen Arten pragmatischer Dokumente in dem Komplex rund um die Kempener Reliquien fungieren und sich auf einander beziehen. Gerade die problematischen Funde und Erwerbsumstände lassen noch im Nachhinein die Sorge verständlich werden, für die Authentisierung kirchenrechtlich abgesicherte Wege zu beschreiten. Wie auch in den meisten anderen kirchlichen Archiven, so ist ebenso der Kempener Bestand an Reliquienauthentiken kaum einmal näher betrachtet worden. Die im Kempener Propsteiarchiv vorfindlichen neuzeitlichen Authentiken zeichnen sich durch einen hohen Grad an Standardisierung aus, der insbesondere durch das formale Merkmal eines Vordrucks geprägt wird. Diese Formulare zeigen die gesamte zu erwartende Bandbreite äußerer Gestaltung: Wir finden einfachste Vervielfältigungen (Umdrucke), sorgfältige Schwarz-Weiß-Drucke im Buchdruckverfahren und wahrhaftige Prunkausfertigungen. Als einfachste Urkunde aus der Kempener Sammlung tritt uns das Diplom des Kardinals Gibbons von 1919 (PAK, A 4576,44) entgegen: Es handelt sich um eine Vervielfältigung in Schreibmaschinenschrift mit punktierten Linien für die handschriftlichen Einträge. Diese Authentik verlässt sich hinsichtlich der Echtheitsprüfung ganz auf die Originalunterschirft des Ausstellers und das Prägesiegel des Kardinals. Die Mehrheit der Authentiken besteht aus Drucken, deren weitgehend einziges Gestaltungselement der Kopfteil mit dem Wappen und der graphisch angeordneten Titulatur des Ausstellers ausmacht. Als Beispiel sei die Urkunde Bischof Rossis von 1789 (PAK, A 4576,1) erwähnt, die im Zentrum des Kopfteils das Wappen Rossis als Bischof von Veroli zeigt. Formularauthentiken mit persönlicher Namensnennung und personenbezogenem Amtswappen werden durchweg auch benutzt, wenn sich der Aussteller hinsichtlich der Unterschrift vertreten lässt. Hierin wird deutlich, dass den vorliegenden Massenausfertigungen bereits eine hierarchische Delegation zugrunde liegt und ein korporativer Aussteller (das Bistum, der Orden) vorausgesetzt wird. Abweichend von dem heraldischen Brauch, ein Diplom mit dem persönlichen Wappen des Ausstellers zu versehen, zeigt etwa die Urkunde des Abtes von La Trappe von 1877 (PAK, A 4576,22) anstelle des Wappens die Immaculata mit den strahlenden Händen als Zeichen (Signet) der Abtei; das Ringsiegel des Abtes weist allerdings ein normales Wappen mit Prälatenhut auf. Auch die Urkunde des Minoritenbruders Franciscus a Roma von 1878 (PAK, A 4576,23) führt anstelle eines persönlichen Wappens das mit Ölzweigen und Wolken unterfangene Zeichen (Signet) des Franziskanerordens mit Strahlenkranz und gekreuzten Armen auf56. Ähnlichen Schmuck findet sich auf der Urkunde des Minoritenbruders a Jennis von 1880 56

Zum Bildgehalt vgl. auch Servus Gieben, Lo stemma francescano. Origine e sviluppo, Rom 2009.

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(PAK, A 4576,27). Andere Beispiele belegen, dass Orden ihr Ordenswappen oder Ordenszeichen anbringen, um sich nicht auf eine bestimmte Person als Aussteller festlegen zu müssen. Die Urkunde des Postulators in der Causa Benedikt Joseph Labré von 1878 (PAK, A 4576,24) bietet neben dem Wappen des Apostolischen Missionars Franciscus Virili die Darstellung der Erscheinung der Dreifaltigkeit auf einer Wolke und das Bild eines anbetenden Religiosen. Die Urkunden können zusätzlichen Schmuck durch eine verzierte Rahmung aufweisen, etwa ein stilisiert florales, wenngleich nur in Schwarz gedrucktes Muster wie in der Urkunde des Kardinals Patrizi von 1861 (PAK, A 4576,4). Die Wirkung der vorgenannten Urkunde wird neben dem Wappen mit der päpstlichen Tiara (!) auch durch das Format erzielt: Es handelt sich um einen gefalteten Bogen im Format 540 × 420 mm. Ebenfalls einen großen Papierbogen benutzte Kardinal Parocchi für seine 1882 datierte Authentik (PAK, A 4576,45); sie ist auf Papier einer bedeutenden Papierfarbrik mit dem Wasserzeichen „A. G. F. Fabriano“ gedruckt. Die graphische Bedeutung der Formularurkunden wird zudem unterstrichen durch die aufgeführten Druckervermerke. Die Urkunde von Bischof Laurent von 1873 (PAK, A 4576,12) enthält z. B. den Vermerk „Aquisgrani, Typ[ographia] Albert Jacobi et soc[ietas]“. Die Urkunde des Generalpräfekten Camillus Guardi von 1878 (PAK, A 4576,25) trägt den Vermerk „Tip[ografia] Editrice Romana“, die Urkunde von Kardinal Dechamps von 1878 (PAK, A 4576,26) den Vermerk „Lith. & Typ. Steenackers, Malines“. Als weiteren Druckvermerk ist zu nennen der Aufdruck auf der Urkunde des Generalpostulators Claudius Benedetti von 1904 (PAK, A 4576,38) mit dem Wortlaut „Coop[erativ]a Poligrafica Editrice – Pigna S 3“. Als Qualitätszeichen einer Formularurkunde gilt wohl auch die Angabe „Roma – Tipografia dell’ Istituto Pio X.“ in der Authentik des Generalpostulators Franciscus Maria Paolini von 1907 (PAK, A 4576,39; vgl. auch Urkunde 40). Mit solchen Vermerken bekennen sich die grafischen Betriebe zu ihren Produkten und benutzen diese zugleich als Werbemittel und Empfehlung, da der Auftrag zu solchen Blanko-Vordrucken eine Vertrauensstellung offenbart. Einige der Formularurkunden gehen in ihrer Ausstattung über den bisher geschilderten Standard hinaus. So ist die Authentik des Kölner Erzbischofs Kardinal Krementz von 1896 (PAK, A 4576,35) durchaus als Prachtausfertigung zu bezeichnen: Sie zeigt Mehrfarbendruck einschließlich Gold und Silber für das Kardinalswappen und hebt Initialen in Rot hervor. Der Druck trägt den Vermerk „Heinrich Theissing, Köln, 2534“, wobei die Ziffer wohl die Auftragsnummer bezeichnet. Das Wasserzeichen verrät als Hersteller des Bogens eine bekannte bergische Feinpapierfabrik, nämlich „J. W. Zanders B. Gladbach Normal“. Die Urkunde des Kölner Erzbischofs Kardinal Fischer von 1903 (PAK, A 4576,37), hebt drei Buchstaben in Rot hervor und verfügt zudem über zwei floral geschmückte Initialen, während das Wappen lediglich in Schwarz-

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Hanns Peter Neuheuser

druck wiedergegeben ist. Der Vordruck trägt den Vermerk des Kölner Verlagshauses „Bachem 20363“, das Wasserzeichen den japanisierenden Schriftzug „Imit – Japan P & H“ zur Benennung des unechten Japanpapiers. Ferner ist von Bedeutsamkeit die Art der Unterfertigung von Reliquienauthentiken. Als Besonderheit unserer Sammlung sei erwähnt, dass eine zweite Authentik des Kardinals Gibbons von 1919 März 12 (PAK 4576,45a) auf den Innenteil einer anderen Urkunde niedergeschrieben wurde und deshalb jeder Namensbezeichnung und Titulatur des Ausstellers entbehren muss; der Text ist ganz handschriftlich und weist die Originalunterschrift des Kardinals und sein Prägesiegel auf. Die Urkunden tragen somit im Kopf die Titulatur des persönlichen Ausstellers, etwa auch das persönliche Wappen mit geistlicher Wappenzier, z. B. den Prälatenhut. Dies bedeutet jedoch nicht zwingend, dass die Aussteller auch selbst die Urkunden unterschrieben haben. Hierfür kommen auch der Verwalter des Reliquienschatzes oder die amtlichen Stellvertreter in Betracht. Diese Delegierten dürfen sich dabei durchgängig des persönlichen Siegels des Ausstellers bedienen. So findet sich auf der Urkunde des Bischofs von Roermond Johannes Augustinus Paredis von 1883 Juni 13 (PAK, A 4576,34) der Ringsiegelabdruck des Bischofs neben der Unterschrift des Franziskaners „Jak[ob] Lawrent“ als „Delegatus“, welcher „De Mandato [ … ] Episcopi“ zeichnet. Für den Patriarchen Guiseppe Sarto unterfertigt 1900 Mai 19 neben dem persönlichen Prägesiegel des Patriarchen dessen Generalvikar (PAK, A 4576,43). Bei den Vertretern der Orden oder bei Reliquienbegebungen aus Kanonisationsverfahren heraus ist zu beobachten, dass Siegel zum Einsatz kommen, welche anstelle eines persönlichen Namens nur das Amt nennen, so das Amt des Generalpräfekten der Kamillianer (PAK, A 4576,25) oder das Amt des Generalpostulators der Minoriten (PAK, A 4576,40). Als Beispiel für die ordenspropagandistischen Zwecke der Reliquienbegebungen und -Authentisierungen sei die Urkunde von 1878 Januar 11 genannt (PAK, A 4576,24). Sie wurde von Franciscus Virili vom Orden der Missionare vom Kostbaren Blut (Congregatio a pretioso sanguine DNIC) ausgestellt, und zwar in dessen Eigenschaft als Postulator in causa canonizationis für Benedict Joseph Labre. Die beurkundeten Reliquien beziehen sich auch auf diesen Seligen, der 1881 heiliggesprochen wurde. Die Identifizierung der Aussteller mit dem Heiligen der begebenen Reliquien geht so weit, dass sie u. U. auf die Bezeichnung ihres Ordens verzichten: So beurkundet Franciscus Paolini als „sacrarii praefectus S. Mariae in Vallicella de Urbe“ ein Kleidungsstück des hl. Philippus Neri und kündigt das Siegel „nostrae congregationis“ an (PAK, A 4576,33), ohne den Oratorianerorden namentlich zu erwähnen, dessen Gründer Philipp bekanntlich war. Weitere Beispiele: Skelettreliquien des hl. Gerhard Majella werden von Generalpostulator Claudius Benedetti 1904 authentisiert (PAK, A 4576,38); der Heilige trat 1749 den Re-

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demptoristen bei, welche nach seinem Tod die Verehrung der Reliquien förderten. Der Generalsuperior Nikolaus Mauron fertigte 1882 eine Authentik (PAK, A 4576,32), um eine Reliquie des hl. Alfons Maria von Liguori, des Ordensgründers der Redemptoristen, zu bestätigen. Ebenso plausibel erscheint es, dass der erst am 20. Mai 1934 heiliggesprochene Konrad von Parzham durch Urkunde von 1935 Februar 18 mit einer Reliquienbegebung propagandiert wird, und zwar durch den Vizepostulator der Kapuziner, dessen Ordensmitglied Konrad war (PAK, A 4576,41); die Authentik erhält eine besondere Bedeutung dadurch, dass sie in Altötting, der Wirkungsstätte Konrads, ausgestellt wurde. Andere Reliquienbegebungen entstammen der Phase zwischen Selig- und Heiligsprechungen. So wurden Gebeine der Seligen Kreszentia Höss mit Urkunde von 1907 Dezember 1 authentisiert (PAK, A 4576,39), nachdem sie zuvor 1900 seliggesprochen worden war. Aussteller ist der Generalpostulator Franz Maria Paolini vom Franziskanerorden, dessen Dritten Orden Kreszentia angehörte; sie wurde am 25. November 2001 heiliggesprochen. Die Reliquie des Seligen Crispin von Viterbo wurde 1877 April 20 begeben (PAK, A 4576,17). Die Urkunde entstammt dem Heiligsprechungsverfahren, das erst in der Kanonisation am 20. Juni 1982 abgeschlossen wurde. Aussteller der Authentik ist der Generalpostulator der Kapuziner, in deren Orden Crispin 1693 eingetreten war und welche mit den Reliquien dessen Heiligenkult zu verbreiten suchten.

Die Aussteller der Authentiken Die Aussteller von Reliquienauthentiken sind nicht nur von diplomatischem Interesse, insofern sie als rechtswirksame Autoren des Urkundentextes gelten, sie bürgen vielmehr für die Echtheit der Reliquien in dem eingangs erwähnten Sinne. Der Namen und die Amtsbezeichnung sowie die in dieser Urkunde aufscheinende Funktion ist in der Regel dem Briefkopf zu entnehmen, der oft durch ein Wappen mit den einschlägigen heraldischen Informationen ergänzt wird. Die Aussteller sollen im Folgenden wegen ihrer Bedeutung in dem beurkundeten Zusammenhang eigens in ihrem Lebenskontext vorgestellt werden57. Von den Ausstellern zu unterscheiden sind jene Personen, die oft in deren Auftrag die Urkunde unterfertigen.

57

Die Daten sind den einschlägigen kirchlichen Personallexika entnommen. Für die Recherchen zu den Ordensangehörigen danke ich insbesondere Herrn Dipl.-Theol. ErnstGeorg Raaf M. A.

Abb. 9. Reliquienauthentik des Bischofs Antonius Rossi von 1789 aus dem Propsteiarchiv Kempen (PAK, A 4576,1) (Foto: Kurt Lübke, Kempen).

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Abb. 10. Reliquienauthentik Abb 10 R li i th tik des d Kardinals K di l Parochi P hi von 1882 aus dem d Propsteiarchiv P t i hi Kempen K (PAK A 4576,45) 4576 45) (Foto: Kurt Lübke, Lübke Kempen). Kempen) (PAK,

Relliquiienauutheentikken als kkirch henreechtllichee un nd kuulturrgescchich htlicche Quelllen

2533

Abb. 11. Reliquienauthentik q des Bischofs Paredis von 1882 aus dem Propsteiarchiv p Kempen p ((PAK, A 4576,34)) ((Foto: Kurt Lübke, Kempen). p )

2544 Han nns Peterr Neeuheeuserr

Abb. 12. Reliquienauthentik des Kardinals Fischer von 1903 aus dem Propsteiarchiv q p Kempen (PAK, A 4576,37) (Foto: Kurt Lübke, Kempen)

Relliquiienauutheentikken als kirch henreechtllichee un nd kuulturrgescchich htlicche Quelllen

2555

256 2 6

H Han nns P Peterr Neeuheeuserr

A Abb. 133. Reeliquuien nauth hen ntik des Karrdin nals Kreemeentz von n 19906 aus dem m Propsteiaarch hiv K Kem mpeen (P PAK K, A 4576,335) (Foto: K Kurrt Lüübkke, K Kem mpen n).

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Aussteller aus dem Säkularklerus Domenico [seit 1882 Kardinal] Agostini, * Treviso 31.5.1825, 27.10.1871 Bischof von Chioggia, 22.6.1877 Patriarch von Venedig, 30.3.1882 Kardinalpriester (Titelkirche: S. Eusebio, seit 7.6.1886 Sta Maria della Pace), † Venedig 31.12.1891, siehe Urkunde 1881 April 10 – PAK, A 4576,28 Dr. theol. Julius [seit 1901 Kardinal] Boschi, * Perugia 2.3.1838, 25.5. 1861 Priesterweihe, Apostolischer Missionar, Prosynodalrichter, Dompönitentiar, 1878 Erzdiakon, 1880 Erzpriester des Kapitels in Perugia, Päpstlicher Prälat, 11.6.1888 Bischof von Todi, 29.11.1895 Bischof von Sinigaglia, 19.4.1900 Erzbischof von Ferrara, 15.4.1901 Kardinalpriester (Titelkirche: S. Laurentio in Panisperna), 3.7.1919 Kardinalbischof von Frascati, † Rom 15.5.1920, siehe Urkunde 1900 April 17 – PAK, A 4576,36 Dominicus Crispolti, Postulator in der causa Clara Isabella Fornari im Bistum Todi, siehe Urkunde 1856 Oktober 11 – PK V / 12.8 Anton Hubert Kardinal Fischer, * Jülich 30.5.1840, 2.9.1863 Priesterweihe in Köln, 1888 Domkapitular in Köln, 14.2.1889 Titularbischof von Juliopolis und Weihbischof in Köln, 14.2.1902 Erzbischof von Köln, 22.6.1903 Kardinalpriester (Titelkirche: SS. Nereo et Achilleo), † Bad Neuenahr 30.7.1912, siehe Urkunde 1903 November 10 – PAK, A 4576,37 James Kardinal Gibbons, * Baltimore 3.7.1834, 30.6.1861 Priesterweihe, 3.3.1868 Titularbischof von Adramyttium, 30.7.1872 Bischof von Richmond, 29.5.1877 Titularbischof von Jonopolis und Coadiutor des Erzbischofs von Baltimore, 3.10.1877 Erzbischof von Baltimore, 7.6.1886 Kardinalpriester (Titelkirche: Sta Maria in Trastevere), † Baltimore 24.3.1921, siehe Urkunde 1919 März 12 – PAK, A 4576,44 Dr. theol. Philipp Kardinal Krementz, * Koblenz 1.12.1819, 27.8.1842 Priesterweihe in Trier, 1859 Ehrendomherr in der Trierer Kathedrale, 22.10.1867 Bischof von Ermland, Teilnahme am I. Vatikanischen Konzil, 30.6.1885 Erzbischof von Köln, 16.1.1893 Kardinalpriester (Titelkirche: S. Chrisogono), † Köln 6.5.1899, siehe Urkunde 1896 November 7 – PAK, A 4576,35 Dr. theol. Aloisius Landi Vittori, * Cori/Bistum Velletri 18.6.1787, 21.4.1810 Priesterweihe, Kanoniker in Cori, 27.6.1834 Erzpriester am Dom zu Velletri, stellvertretender Generalvikar, Prosynodalrichter, 22.1.1844 Bischof von Assisi, † Assisi 25.8.1867, siehe Urkunde 1851 März 14 – PAK, A 4576,2

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Johann Theodor Laurent, * Aachen 6.7.1804, 14.3.1829 Priesterweihe in Lüttich, 17.9.1839 Titularbischof von Chersonesus und Apostolischer Vikar für die Nordischen Missionen mit Sitz in Hamburg, 14.7.1840 Päpstlicher Thronassistent, 1.12.1841 Apostolischer Vikar für das Großherzog Luxemburg, 1.5.1848 Emeritierung und Exil in Aachen, † Simpelveld 20.2.1884, siehe Urkunden 1870 Januar 10 – PAK, A 4576,9 1870 Januar 28 – PAK, A 4576,10 1870 April 8 – PAK, A 4576,11 1873 September 15 – PAK, A 4576,12 1876 August 21 – PAK, A 4576,13 1877 Oktober 27 – PAK, A 4576,14 1881 Oktober 20 – PAK, A 4576,30 Dr. theol. Lucido Maria Kardinal Parocchi, * Mantua 13.8.1833, 17.5.1856 Priesterweihe, Professor für Kirchengeschichte, Moraltheologie und Kirchenrecht am Priesterseminar in Mantua, 10.3.1871 Päpstlicher Hausprälat, 5.11.1871, Bischof von Pavia, 12.3.1877 Erzbischof von Bologna, 22.6.1877 Kardinalpriester (Titelkirche: S. Siato), 16.2. 1884 Kardinalvikar von Rom, 24.5.1889 Kardinalbischof von Alba, 30.11.1896 Kardinalbischof von Porto und S. Rufina, † Rom 15.1.1903, siehe Urkunde 1882 März 17 – PAK, A 4576,45 Johann August Paredis, * Bree 28.8.1795, 25.3.1821 Priesterweihe, 24.1.1840 Apostolischer Vikar in der Provinz Limburg, 24.1.1840 Titularbischof von Hirina, 4.3.1853 Bischof von Roermond, 15.6.1866 Päpstlicher Thronassistent, † 18.6.1886, siehe Urkunde 1883 Juni 13 – PAK, A 4576,34 Dr. iur. utr. Constantin Kardinal Patrizi Naro, * Siena 4.9.1798, 16.6.1819 Priesterweihe, 15.12.1828 Titularerzbischof von Philippi, 11.7.1836 Kardinalpriester (Titelkirche: S. Silvestro in Capite), 24.4.1845 Erzpriester von Sta Maria Maggiore, 20.4.1849 Kardinalbischof von Alba, 27.6.1854 Präfekt der Ritenkongregation, 17.12.1860 Kardinalbischof von Sabina e Poggio Mirtete, 21.9.1867 Erzpriester von S. Giovanni in Laterano, 8.10.1870 Kardinalbischof von Ostia und Veletri, † Rom 17.12.1876, siehe Urkunden 1865 April 19 – PAK, A 4576,6 1857 April 15 – PAK, A 4576,3 1861 September 24 – PAK, A 4576,4 1864 Januar 23 – PAK, A 4576,5 Dr. iur. utr. Anton Rossi, * Terra de Stellata 6.2.1738, 31.12.1768 Priesterweihe, Generalvikar in Ravenna, Apostolischer Protonotar e. h. und Apostolischer Vi-

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kar des Bistums Comacchio, 11.4.1785 Titularbischof von Eucarpia, 18.12.1786 Bischof von Veroli, 27.1.1787 Päpstlicher Thronassistent, † Veroli Mai 1811, siehe Urkunde 1789 März 30 – PAK, A 4576,1 Giuseppe Kardinal Sarto (Papst Pius X.), * Riese 2.6.1835, 18.9.1858 Priesterweihe, 20.11.1884 Bischof von Mantua, 12.6.1893 Kardinalpriester (Titelkirche: S. Bernardo alle Terme), 15.6.1893 Patriarch von Venedig, Mitglied der Kongregationen für Ablässe und Reliquien, der Riten sowie der Studien, 4.8.1903 Papst, † Rom 20.8.1914, 3.6.1951 Seligsprechung, 29.5.1954 Heiligsprechung, siehe Urkunde 1900 Mai 19 – PAK, A 4576,43 Dr. theol. Georg Anton von Stahl, * Stadtprozelten 29.3.1805, 10.4.1830 Priesterweihe, Professor für Dogmatik an der Universität Würzburg, Rektor am Priesterseminar, Domkapitular, 13.7.1840 Bischof von Würzburg. 11.8.1843 Päpstlicher Thronassistent, † Rom 13.7.1870, siehe Urkunde 1866 August 20 – PAK, A 4576,8

Aussteller aus dem Ordensklerus Augustiner-Eremiten Mag. theol. Franciscus Marinelli OESA, * Tolentino 22.6.1807, 6.3.1830 Priesterweihe in Rom, 8.2.1838 Regens und Studienmoderator, 3.8.1843 Magister der Theologie, Prosynodalrichter im Bistum Fermo, Provinzial in Rom, 15.12.1856 Titularbischof von Porphyreon, 24.1.1857 Päpstlicher Thronassistent, † Rom 27.1.1887, siehe Urkunden 1876 Mai 20 – PAK, A 4576,16 1881 Juni 25 – PAK, A 4576,29 Franziskaner Vincentius a Jennis OFM, Generalpostulator, siehe Urkunde 1880 Oktober 6 – PAK, A 4576,27 Franz Maria Paolini OFM, Generalpostulator, siehe Urkunden 1907 Dezember 1 – PAK, A 4576,40 1907 Dezember 1 – PAK, A 4576,39 Jesuiten Walter Steins SJ, * Amsterdam 1.7.1810, 18.12.1860 Titularbischof von Nilopolis, Missionar und Apostolischer Vikar von Bombay und Apostolischer Administrator von Poona, 11.1.1867 Titularerzbischof von Bosra und Aposto-

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lischer Vikar von Bengalen mit Sitz in Kalkutta, 23.4.1879 Bischof von Auckland in Neuseeland, † 7.9.1881, siehe Urkunde 1871 Oktober 29 – PAK, A 4576,15 Kamillianer Camillus Guardi, Praefectus Generalis der Kamillianer, siehe Urkunde 1878 Oktober 16 – PAK, A 4576,25 Kapuziner Amadeus von Altstätten / ab Urbeveteri OFMCap, Generalpostulator, siehe Urkunden 1877 April 20 – PAK, A 4576,17 1882 November 11 – PAK, A 4576,18 1883 August 10 – PAK, A 4576,19 1883 August 20 – PAK, A 4576,20 Franciscus a Roma OFMCap, Custos, siehe Urkunde 1878 Januar 7 – PAK, A 4576,23 Joseph Anton von Harsberg OFMCap, Vizepostulator in der Causa des Konrad von Parzham, siehe Urkunde 1935 Februar 18 – PAK, A 4576,41 Konventualen Dr. theol. Bonaventura Maria Bartholomaeus Nikolaus Soldatic de Chrepsa OFMConv, * Cres/Kroatien 7.12.1827, Professe der Provincia DalmatoPatavina, 21.12.1850 Priesterweihe in Padua, Weiterstudium und Promotion zum Dr. theol. in Wien, 1865 Provinzial, 1879-1891 General, 27.7.1895 Titular-Erzbischof von Sofia, † Rom 29.11.1895, siehe Urkunde 1882 März 16 – PAK, A 4576,31 Mechitaristen Georg Hurmuz, * Konstantinopel um 1797, 17.1.1819 Priesterweihe, Generalabt der Kongregation der Mechitaristen in Venedig, 23.8.1846 Titularbischof von Siunia, † Venedig 12.4.1876, siehe Urkunde 1861 Mai 27 – PAK, A 4576,7 Missionare vom Kostbaren Blut (Congregatio a pretioso Sanguine DNIC) Franciscus Virili CPS, Postulator, siehe Urkunde 1878 Januar 11 – PAK, A 4576,24

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Oratorianer Franciscus Paolini, Sacrarii Praefectus der Oratorianer, siehe Urkunde 1882 Dezember 14 – PAK, A 4576,33 Redemptoristen Claudius Benedetti CSSR, Generalpostulator, siehe Urkunde 1904 Dezember 12 – PAK, A 4576,38 Dr. theol. Victor-Auguste Isidor Kardinal Dechamps CSSR, * Meile 6.12,1810, 20.12.1834 Priesterweihe in Mecheln, Lektor und Studienpräfekt in Wittern, Provinzial in Brüssel, 25.9.1865 Bischof von Namur, 20.12.1867 Erzbischof von Mecheln und Primas von Belgien, 15.3.1875 Kardinalpriester (Titelkirche: S. Bernardo alle Terme), † Mecheln 29.9.1883, siehe Urkunde 1878 Dezember 13 – PAK, A 4576,26 Nikolaus Mauron CSSR, Generalsuperior, siehe Urkunde 1882 Dezember 13 – PAK, A 4576,32 Vallombrosaner Alberto Parenti, Generalpostulator [des Vallombrosaner-Ordens] für die Heiligsprechung Papst Pius X., siehe Urkunde 1954 [29. Mai] – PAK, A 4576,42 Zisterzienser (Unserer Frau von La Trappe) Ephrem, Abt des Marienklosters in La Trappe, siehe Urkunden 1877 Dezember 18 – PAK, A 4576,21 1877 Dezember 21 – PAK, A 4576,22

Katalog der Reliquienauthentiken 1789 März 30 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Anton Rossi, Bischof von Veroli GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particula „ex Subucula Sancti Andre[a]e Avellini, prius ab Episcopo Jo[ann]e Bapt[ist]a Jacobini fel[icis] mem[oriae] nostro Pr[a]edecessore recognitam“ DATUM DER AUTHENTIK: Veroli, ex nostro Palatio Episcopali, 30. März 1789 HAUPTUNTERSCHRIFT: Ant[onius] Ep[iscop]us Verulanus, mit Prägesiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,1 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.4

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1851 März 14 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Aloysius Landi de Vittorys, Bischof von Assisi GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Columna Flag[ellationis] Domini Nostri Jesu Christi = ex Capillis Beatissim[a]e Mari[a]e Virginis = / ex Pallio S. Joseph Sp[onsi] B[eatae] V[irginis] M[ariae] = ex Cineribus Corporum S. P[atris] Francisci et S. Clar[a]e Virg[inis] As[s]is[iensis] et ex / Ossibus S. Hippolyti Episcopi“ DATUM DER AUTHENTIK: Assisi, ex Palatio Episcopali, 14. März 1851 HAUPTUNTERSCHRIFT: A[loisius] Ep[iscop]us Asisiensis, mit Prägesiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,2 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.5 1856 November 11 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Dominicus Crispolti, causa postulator GEGENSTAND DER AUTHENTIK: „Particula Subuculae quam (dum viveret) gerebat Ven[erabilis] Serva Dei / Sor[or] CLARA ISABELLA FORNARI Romana Monialis Professa in / Ven[erabili] Mon[asterio] S. Francisci Tuderti Ord[inis] S. Clarae“ DATUM DER AUTHENTIK: Todi, 11. Oktober 1856 SIGNATUR: PK V / 12. 8 Die Reliquie ist auf die Authentik aufgenäht, vgl. auch PAK, A 4684. 1857 April 15 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Constantin Kardinal Patrizi, Kardinalbischof von Porto und S. Rufina, Erzpriester der Basilica Liberiana [Sta Maria Maggiore] GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Ossibus S. Leonis Magni P[apae] C[onfessoris] et Eccl[esi]ae Doct[or]is“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, ex Aedibus nostris, 15. April 1857 SIEGEL: Prägesiegel [wohl des Ausstellers] ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,3 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1861 Mai 27 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Georgius Hurmuz, Erzbischof von Siunia und Generalabt der Mechitaristen GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „Ss. Crucis D[omini] N[ostri], ex Velo B[eatae] V[irginis] M[ariae], S. Pauli Apos[toli]“ DATUM DER AUTHENTIK: Venedig, ad S. Lazarum, 27. Mai 1861 HAUPTUNTERSCHRIFT: Giorgius Hurmuz, Archiep[iscopus] ut sup[ra], mit Papiersiegel des Ausstellers

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ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,7 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1861 September 24 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Constantin Kardinal Patrizi, Kardinalbischof von Porto und S. Rufina, Erzpriester der Basilica Liberiana [Sta Maria Maggiore] GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Cingulo S. Bernardi Abb[at]is C[onfessoris] et Eccl[esi]ae Doct[or]is“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, ex Aedibus nostris, 24. September 1861 SIEGEL: Prägesiegel [wohl des Ausstellers] ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,4 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1864 Januar 23 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Constantin Kardinal Patrizi, Kardinalbischof von Porto und S. Rufina, Erzpriester der Basilica Liberiana [Sta Maria Maggiore] GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Arca Sepulcrali S. Aloysii Gonzagae C[onfessoris]“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, ex Aedibus nostris, 23. Januar 1864 SIEGEL: Prägesiegel [wohl des Ausstellers] ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,5 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1865 April 19 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Constantin Kardinal Patrizi, Kardinalbischof von Porto und S. Rufina, Erzpriester der Basilica Liberiana [Sta Maria Maggiore] GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Arca Sepulcrali S. Aloisii Gonzagae C[onfessoris]“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, ex Aedibus nostris, 19. April 1865 ohne Siegel ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,6 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.6 1866 August 20 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Georg Anton von Stahl, Bischof von Würzburg GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Ossibus / S. Theophili M[artyris]“ DATUM DER AUTHENTIK: Würzburg, 20. August 1866 HAUPTUNTERSCHRIFT: G[eorgius] Antonius, Ep[isco]pus, mit Farbsiegel des Ausstellers

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ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,8 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.9 1870 Januar 10 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Johann Theodor Laurent, Bischof im Aachener Exil GEGENSTAND DER AUTHENTIK: reliquiae „de tela collaris beati Caspari de Buffalo Confessoris“ DATUM DER AUTHENTIK: Aachen, 10. Januar 1870 HAUPTUNTERSCHRIFT: J[ohannes] Th[eodorus] Ep[iscop]us Cherson[ensis], mit Ringsiegel [wohl des Ausstellers] in Lack ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,9 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1870 Januar 28 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Johann Theodor Laurent, Bischof im Aachener Exil GEGENSTAND DER AUTHENTIK: reliquiae „verae Crucis Domini nostri Iesu Christi“ DATUM DER AUTHENTIK: Aachen, 28. Januar 1870 HAUPTUNTERSCHRIFT: J[ohannes] Th[eodorus] Ep[iscop]us Cherson[ensis], mit Ringsiegel [wohl des Ausstellers] in Lack ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,10 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.10 1870 April 8 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Johann Theodor Laurent, Bischof im Aachener Exil GEGENSTAND DER AUTHENTIK: reliquiae „De habitu S. Leonardi a Portu Mauritio Conf[essoris]" DATUM DER AUTHENTIK: Aachen, 8. April 1870 UNTERSCHRIFT: J[ohannes] Th[eodorus] Ep[iscop]us Cherson[ensis], mit Ringsiegel [wohl des Ausstellers] in Lack ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,11 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.11 1871 Oktober 29 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Walter Steins SJ, Apostolischer Vikar von Bengalen GEGENSTAND DER AUTHENTIK: reliquiae „ex Sudario S. Francisci Xaverii C[onfessoris]“

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DATUM DER AUTHENTIK: Gent, 29. Oktober 1871 SIEGEL: Prägesiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,15 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.15 1873 September 15 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Johann Theodor Laurent, Bischof im Aachener Exil GEGENSTAND DER AUTHENTIK: reliquiae „ex ossibus s. Johannis a Cruce, s. Justinae V[irginis], s. Theresiae V[irginis], s. Justi, s. Laurentii M[artyris], s. Innocentium, / s. Thomae de Aquino, ac de vestimentis s. Alberti, ven[erabilis] Annae a Jesu, s. Vincentii a Paulo, et imaginis / B[eatae] M[ariae] V[irginis] Lauretanae“ DATUM DER AUTHENTIK: Aachen, 15. September 1873 UNTERSCHRIFT: J[ohannes] Th[eodorus] Ep[iscop]us Cherson[ensis], mit Ringsiegel des Ausstellers in Lack ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,12 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.16 1876 Mai 20 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Franciscus Marinelli OESA, Provinzial der Augustiner-Eremiten, Titularbischof von Porphyreon GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Veste S. Alphonsi Mariae de Ligorio Ep[iscopi] Conf[essoris] Ecclesiae Doctoris et / Cong[regatio]nis S[anctis]s[i]mi Redemptoris Fundatoris, nec non ex ossibus S. Victoriae Martyris Nominis prop[rii]“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, 20. Mai 1876 UNTERSCHRIFT: F[rater] Fran[ciscus] Epis[copus] Porphyriensis, mit Prägesiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,16 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1876 August 21 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Johann Theodor Laurent, Bischof im Aachener Exil GEGENSTAND DER AUTHENTIK: reliquiae „de panno sepul[chri] D[omini] N[ostri] J[esu] Chr[isti], ex oss[ibus] S. Sixti P[ontificis] M[aximi], S. Cathar[inae] M[artyris et] V[irginis], S. Anton[ii] de Pad[ua], S. Helen[ae] V[irginis et] M[artyris], S. Irminae Abb[atissae et] V[irginis], S. Theodorae V[irginis], S. Felicis M[artyris], / S. Essentiae V[irginis], B. Salmanni, S. Pauli Ap[ostoli], S. M[ariae] Magdal[enae] Poen[itentricis], S. Margareth[ae] V[irginis], S. Vincentii

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M[artyris], S. Bonifacii M[artyris], [de] Soc[ietate] S. Gereon[is] M[artyris], S. Lamberti Ep[iscopi et] M[artyris], S. Eucherii Ep[iscopi], S. Floriberti Ep[iscopi], S. Domitiani Ep[iscopi]“ DATUM DER AUTHENTIK: Aachen, 21. August 1876 UNTERSCHRIFT: J[ohannes] Th[eodorus] Ep[iscop]us Cherson[ensis], mit Ringsiegel des Ausstellers in Lack ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,13 RELIQUIAR: in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1877 April 20 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Amedeus ab Urbeveteri, Generalpostulator der Kapuziner GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Carne B. Crispini a Viterbio Conf[essor]is“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, ex conventu sanctissimae conceptionis, 20. April 1877 UNTERSCHRIFT: Fr[ater] Amedeus [!] ab Urbeveteri Post[ulator] Cap[uccinorum], mit nicht mehr identifizierbarem Prägesiegel ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,17 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.17 1877 Oktober 27 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Johann Theodor Laurent, Bischof im Aachener Exil GEGENSTAND DER AUTHENTIK: reliquiae „S. Aurelii M[artyris], S. Dionysii Ep[iscopi et] M[artyris], S. Gereonis M[artyris], S. Francisci Ass[isiensis], S. Simonis, S. Mansueti M[artyris], / S. Felicis M[artyris], S. Adaucti M[artyris], S. Caesarii M[artyris], S. Olympii M[artyris]“ DATUM DER AUTHENTIK: Aachen, 27. Oktober 1877 UNTERSCHRIFT: J[ohannes] Th[eodorus] Ep[iscop]us Cherson[ensis], mit Ringsiegel des Ausstellers in Lack ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,14 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden : PK V / 11.18 1877 Dezember 18 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Frater Ephrem, Abt des Marienklosters in La Trappe GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „de ossibus Sancti Sigismundi Mart[yris]“ DATUM DER AUTHENTIK: La Trappe, ex Abbatia nostra de Monte-Olivarum, 18. Dezember 1877

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HAUPTUNTERSCHRIFT: Fr[ater] Ephrem abbas, mit Ringsiegel des Ausstellers in Lack ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,21 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.19 1877 Dezember 21 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Frater Ephrem, Abt des Marienklosters in La Trappe GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „de ossibus Sancti Dorothei Abbatis“ DATUM DER AUTHENTIK: La Trappe, ex Abbatia nostra de Monte-Olivarum, 21. Dezember 1877 HAUPTUNTERSCHRIFT: Fr[ater] Ephrem abbas, mit Ringsiegel des Ausstellers in Lack ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,22 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.20 1878 Januar 7 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Franciscus a Roma OFMCap, Custos GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Praecordiis SANCTI LEONARDI a Portu Mauritio“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, 7. Januar 1878 UNTERSCHRIFT: Fr[ater] Franciscus a Roma Custos, mit unpersönlichem Prägesiegel, im Innenfeld zwei Gestalten, rechts ein Bischof mit Stab ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,23 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.21 1878 Januar 11 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Franciscus Virili CPS, Postulator der Missionare vom Kostbaren Blut, Postulator causae canonizationis GEGENSTAND DER AUTHENTIK: reliquiae „ex Ossibus B(eatae) BENEDICTI JOSEPHI LABRE Confessoris“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, apud S. Mariam in Trivio Cruciferorum, 11. Januar 1878 UNTERSCHRIFT: Franc[isc]us Virili M[issionarius] Ap[ostolicus] Post[ulator], mit kaum mehr erkennbarem persönlichen Prägesiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,24 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.22

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1878 Juli 17 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Johann Theodor Laurent, Bischof im Aachener Exil GEGENSTAND DER AUTHENTIK: reliquiae „ex ossibus s. Laurentii Levitae Martyris“ DATUM DER AUTHENTIK: Aachen, 17. Juli 1878 UNTERSCHRIFT: J[ohannes] Th[eodorus] Ep[iscop]us Cherson[ensis], mit Prägesiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, AA 14, fol. 35 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.3 1878 Oktober 16 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Camillus Guardi, Praefectus Generalis der Kamillianer GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Fascia linea adhibita in Plaga crucis / S. P[atris] N[ostri] CAMILLI DE LELLIS Conf[essoris]“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, ex Aedibus nostris S. Mariae Magdalenae, 16. Oktober 1878 SIEGEL: unpersönliches Prägesiegel „Praefectus generalis CC. RR. ministrantium infirmis“, im Innenfeld bekröntes Wappen mit strahlendem lateinischen Kreuz ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,25 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.23 1878 Dezember 13 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Victor-Auguste Isidor Kardinal Deschamps, Erzbischof von Mecheln GEGENSTAND DER AUTHENTIK: reliquiae „S. S. Philippi apost[oli] & Jacobi min[oris] Apostoli“ DATUM DER AUTHENTIK: Mecheln, 13. Dezember 1878 SIEGEL: Prägesiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,26 RELIQUIAR: in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1880 Oktober 6 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Vincentius a Jennis OFM, Generalpostulator GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex ossibus ss. Agnetis et Caeciliae V[irginum] M[artyrum]“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, ex nostro conventu S. Francisci ad Ripam Tiberis, 6. Oktober 1880

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UNTERSCHRIFT: Fr[ater] Vincentius a Jennis, mit nicht mehr identifizierbarem Prägesiegel ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,27 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.24 1881 April 10 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Dominico Agostini, Patriarch von Venedig GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Ossibus Sanctae Barbarae Virginis et Martyris“ DATUM DER AUTHENTIK: Venedig, in curia patriarchali, 10. April 1881 SIEGEL: Prägesiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,28 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.25 1881 Juni 25 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Franciscus Marinelli OESA, Provinzial der Augustiner-Eremiten, Titularbischof von Porphyreon GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Ossibus S. Ioannis Bapt[istae]“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, 25. Juni 1881 UNTERSCHRIFT: F[rater] Fran[ciscus] Epis[copus] Porphyriensis, mit Prägesiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,29 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1881 Oktober 29 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Johann Theodor Laurent, Bischof im Aachener Exil GEGENSTAND DER AUTHENTIK: reliquiae „ex ossibus S. Ioannis Bapt[istae], S. Stefani Protom[artyris], S. Laurentii M[artyris et] Lev[itae], S. Gereonis / Mart[yris], S. Arnoldi Conf[essoris], S. S. Luciae, Dorotheae, Sibillae Virg[inum et] Mart[yrum], S. Bonae M[artyris], / de veste S. Ambrosii Ep[iscopi] D[octoris] et de S. Franc[isco] Sal[esiano] Ep[iscopi] D[octoris], ex ossib[us] S. Panifretae V[irginis et] M[artyris], / S. Constantiae V[irginis] et de S. Adelheidis Imp[eratrice]“ DATUM DER AUTHENTIK: Simpelveld, 29. Oktober 1881 UNTERSCHRIFT: J[ohannes] Th[eodorus] Ep[iscop]us Cherson[ensis], mit Prägesiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,30 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.27

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1882 März 16 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Bonaventura Maria Bartholomaeus Nikolaus Soldatic de Chrepsa OFMConv, General der Konventualen GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex tunica S. Clarae Virgi- / nis Assisiensis“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, 16. März 1882 UNTERSCHRIFT: Fr[ater] Bonav[entur]a M[ari]a Soldatic Gen[era]lis, ohne Siegel ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,31 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1882 März 17 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Lucido Maria Kardinal Parocchi, Erzbischof von Bologna GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „sci= / licet de Velo Mariae S[anctae] Deiparae, de Pallio Josephi S[ancti] Viri ejus, de Ossibus Annae S[anctae] Matris ipsius Virginis, ac Pe= / tri Apost[oli], de Ossibus SS. Mart[yrum] Petri, Domnini, Pancratii, et Apollonii, Blasii et Emidii, SS. Episc[oporum] et Mart[yrum], / Nicolai, S. Episc[opi] et Conf[essoris] et SS. Confess[orum] Vincentii Ferrerii, Francisci Assisinatis, Rochi, Antonii Patavini et / Antonii Abbae, nec non SS. Virg[inum] et Mart[yrum] Luciae et Liberatae“ DATUM DER AUTHENTIK: Bologna, ex palatio nostro archiepiscopali, 17. März 1882 SIEGEL: Farbsiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,45 RELIQUIAR: in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1882 November 11 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Amedeus ab Urbeveteri, Generalpostulator der Kapuziner GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Sepulcro S. P[atris] Francisci Assis[iensis] Conf[essoris]“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, ex conventu sanctissimae conceptionis, 11. November 1882 UNTERSCHRIFT: Pro Post[ulatore] Fr[ater] Angelicus Centumcelli, mit nicht mehr identifizierbarem Prägesiegel ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,18 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.28

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1882 Dezember 13 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Nikolaus Mauron CSSR, Generalsuperior der Redemptoristen GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex tapeto, quo usus est S. Alphonsus M[ari]a de Ligorio, Conf[essor et] Pont[ifex] / & Ecclesiae Doctor“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, ex collegio nostro ad SS. Redemptorem et in honorem S. Alphonsi, 13. Dezember 1882 UNTERSCHRIFT: Nic[olaus] Mauron C. SS. R. Sup[erior] gen[eralis] et Rect[or] Maj[or], mit unpersönlichem Prägesiegel, Umschrift mit der Devise „Copiosa apud eum redemptio“ ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,32 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.29 1882 Dezember 14 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Franciscus Paolini (Oratorianer), Praefectus S. Mariae in Vallicella de Urbe GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Veste S. P[atris] N[ostri] PHILIPPI NERII“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, 14. Dezember 1882 UNTERSCHRIFT: Franciscus Paolini, ohne Siegel ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,33 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1883 Juni 13 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Johann August Paredis, Bischof von Roermond GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae reliquiae „ex Ossibus S[anc]ti Marci, Evangelistae“ DATUM DER AUTHENTIK: Roermond, 13. Juni 1883 SIEGEL: Ringsiegel des Ausstellers in Lack ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,34 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.30 1883 August 20 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Amedeus ab Urbeveteri, Generalpostulator der Kapuziner GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Ossibus B. Bernardi ab Ophida Capu[cini]“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, ex conventu sanctissimae conceptionis, 20. August 1883

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UNTERSCHRIFT: Pro Post[ulatore] Fr[ater] Angelicus Centumcelli, mit unpersönlichem Siegel „Postulator generalis causarum“, im Innenfeld Franziskanerzeichen der beiden Arme vor dem strahlenden Kreuz ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,19 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.31 1883 August 20 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Amedeus ab Urbeveteri, Generalpostulator der Kapuziner GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Pallio S. Laurentii a Brundisio Capu[cini]“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, ex conventu sanctissimae conceptionis, 20. August 1883 UNTERSCHRIFT: Pro Post[ulatore] Fr[ater] Angelicus Centumcelli, mit unpersönlichem Siegel „Postulator generalis causarum“, im Innenfeld Franziskanerzeichen der beiden Arme vor dem strahlenden Kreuz ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,20 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.32 1896 November 7 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Philipp Kardinal Krementz, Erzbischof von Köln GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „Sancti Paulini Martyris“ DATUM DER AUTHENTIK: Köln, ex aedibus nostris, 7. November 1896 UNTERSCHRIFT: Ph[ilippus] Card[inalis] Krementz, mit Farbsiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,35 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden PK V / 11.33 1900 April 17 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Julius Boschi, Bischof von Sinigaglia GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particula „Ex Oss[ibus] S. Guilielmi Abb[atis]“ DATUM DER AUTHENTIK: Sinigaglia, ex nostro episcopali palatio, 17. April 1900 [zwei Tage vor der Ernennung des Ausstellers zum Erzbischof von Ferrara] HAUPTUNTERSCHRIFT: Julius Ep[iscopus] Senogalli[ensis], ohne Siegel ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,36 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden PK V / 11.34

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1900 Mai 19 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Guiseppe Kardinal Sarto, Patriarch von Venedig [ab 1903 Papst Pius X., 1954 Heiligsprechung] GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex ossibus S. Christinae V[irginis] M[artyris]“ DATUM DER AUTHENTIK: Venedig, in curia patriarchali, 19. Mai 1900 SIEGEL: Prägesiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,43 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1903 November 10 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Anton Hubert Kardinal Fischer, Erzbischof von Köln GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex ossibus S. Aloysii Gonz[agae] Conf[essoris]“ DATUM DER AUTHENTIK: Köln, 10. November 1903 UNTERSCHRIFT: Antonius Card[inalis] Fischer, mit Farbsiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,37 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.35 1904 Dezember 12 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Claudius Benedetti CSSR, Generalpostulator der Redemptoristen GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex ossibus S. Gerardi / Maiella laici professi e Congregatione SS. Redemptoris“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, 12. Dezember 1904 UNTERSCHRIFT: C[laudius] Benedetti, mit unpersönlichem Farbsiegel, Umschrift „Postulator generalis congr[egationis] SS. red[emptoris]“, im Innenfeld Kreuz mit Stab für Schwamm und Lanze, darüber Auge Gottes, begleitet von IS und MA für Jesus und Maria ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,38 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1907 Dezember 1 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Franz Maria Paolini OFM, Generalpostulator GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particula „ex Ossibus B. Leopoldi a Gaichis, Conf[essoris] Ord[inis Fratrum] Min[orum]“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, ad S. Antonii, 1. Dezember 1907 UNTERSCHRIFT: Fr[ater] Fr[anciscus] M[aria] Paolini Post[ulator] g[enera]lis, mit unpersönlichem Prägesiegel „Sigillum postulationis generalis ordinis fratrum Romae“ des Amtes

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ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,40 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.37 1907 Dezember 1 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Franz Maria Paolini OFM, Generalpostulator GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Ossibus Beatae Crescentiae Höss Virg[inis] III. Ord[inis]“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, ad S. Antonini, 1. Dezember 1907 UNTERSCHRIFT: Fr[ater] Fr[anciscus] M[aria] Paolini Post[ulator] g[enera]lis, mit unpersönlichem Prägesiegel „Sigillum postulationis generalis ordinis fratrum Romae“ des Amtes ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,39 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: vielleicht PK V / 11.36 1919 März 12 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: James Kardinal Gibbons, Erzbischof von Baltimore GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „de Velo Mariae, S. Deiparae / de Pallio Josephi Sponsi ejus; ex ossibus S. Annae, Matris ejusdem, S. Petri Apost[oli], SS. Mart[yrum] Petri, Domini, Pancratii, Apollonii, Blasii, Emidii Episc[opi] et Mart[yris], / Nicolai, Episc[opi] et Mart[yris], SS. Conf[essorum] Vincentii Ferrerii, Rochi, Antonii Abba, / nec non S. Virg[inis] et Mart[yris] Liberatae“ DATUM DER AUTHENTIK: Baltimore, ex aedibus nostris, 12. März 1919 UNTERSCHRIFT: J[ames] Card[inalis] Gibbons, mit Prägesiegel [wohl des Ausstellers] ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,44 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar 1919 März 12 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: James Kardinal Gibbons, Erzbischof von Baltimore GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex ossibus / S. Francisci Assisinalis [!] conf[essoris] / S. Antonii Patavini conf[essoris] / S. Luciae Virg[inis] et mart[yris]“ DATUM DER AUTHENTIK: Baltimore, ex aedibus nostris, 12. März 1919 UNTERSCHRIFT: J[ames] Card[inalis] Gibbons, mit nur noch teilweise erkennbarem Prägesiegel ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,45 (an Urkunde 44) RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, nicht nachweisbar

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1935 Februar 18 AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Joseph Anton von Harsberg, Vizepostulator der Kapuziner GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Ossibus / B[eati] Conradi a Parzham Confessoris Ordinis nostri Capuccinorum“ (das „Beati“ ist in „Sancti“ verbessert worden) DATUM DER AUTHENTIK: Altötting, ex conventu S. Annae, 18. Februar 1935 UNTERSCHRIFT: Fr[ater] Josephus Antonius ab Harsberg, Vicepostulator, mit Farbsiegel des Ausstellers ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,41 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.38 1954 [Mai 29] (dies canonizationis) AUSSTELLER DER AUTHENTIK: Alberto Parenti, Generalpostulator [des Vallombrosaner-Ordens] für die Heiligsprechung Papst Pius X. GEGENSTAND DER AUTHENTIK: particulae „ex Carne Sancti Pii Decimi“ DATUM DER AUTHENTIK: Rom, ohne Tagesdatum [29. Mai] 1954 (dies canonizationis) UNTERSCHRIFT: Unterschriftstempel „D. Albertus Parenti O. S. B.“, mit unpersönlichem Farbsiegel, Umschrift „Postulator causae S. Pii pp. X“, im Innenfeld die gekreuzten Schlüssel mit Tiara ARCHIVSIGNATUR: PAK, A 4576,42 RELIQUIAR: Kapselreliquiar in Urkunde erwähnt, vorhanden: PK V / 11.40

JÜRGEN BÄRSCH

Libri Ordinarii als rechtsrelevante Quellen Zum normativ-rechtlichen Charakter hoch- und spätmittelalterlicher Gottesdienstordnungen

Der Kirchen- und Liturgiehistoriker Theodor Klauser († 1984) sieht in seiner verdienstvollen, in seiner Art bis heute unerreichten „Kleinen Abendländischen Liturgiegeschichte“ den Gottesdienst in der Epoche des Hoch- und Spätmittelalters vor allem gekennzeichnet von einer neuen Konzentration auf die gesetzgeberische Aktivität des römischen Papstes: „Von Gregor VII. (1073–1085) an nehmen die Päpste die Führung auf dem Gebiet der römischen Liturgie, die sie fast dreihundert Jahre lang den Herrschern und Bischöfen jenseits der Alpen überlassen hatten, wieder fest in die eigene Hand“1. Zweifellos hatten die reformerischen Kräfte des 11. und 12. Jahrhunderts größtes Interesse an der Wiederherstellung der „römischen Liturgie“, um die auf den Apostelfürsten Petrus und seine Nachfolger gründende Autorität der abendländischen Kirche zu postulieren und zu stärken2. Gleichwohl ließ sich in dieser Zeit keineswegs die römische Liturgie im ganzen Abendland durchsetzen3. Vielmehr blieb es in den Kathedral-, Stifts- und Pfarrkirchen bei der durch verschiedene Austauschbewegungen entstandenen „römisch-fränkischen Mischliturgie“ des frühen Mittelal-

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Theodor Klauser, Kleine Abendländische Liturgiegeschichte. Bericht und Besinnung, Bonn 1965, 97. – Zur faktischen Bedeutung Gregors VII. für die römische Liturgie vgl. Reinhard Elze, Gregor VII. und die römische Liturgie, in: Studi Gregoriani 13 (1989), 179–188. Vgl. Elze, Gregor VII. (wie Anm. 1), 186 sowie Eric Palazzo, Rom, die Gregorianische Reform und die Liturgie, in: Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, Band 1: Essays, hg. von Christoph Stiegemann, Matthias Wemhoff, München 2006, 277–282. Allerdings ist zu bedenken, dass unter Gregor VII. die auf der iberischen Halbinsel beheimatete altspanische Liturgie, vor allem durch den Verdacht mangelnder Orthodoxie (Adoptianismus), im Zuge der Reconquista durch die römische Liturgie abgelöst wurde. Nur noch in Toledo konnte sich dieser nichtrömische abendländische Ritus halten. Vgl. Jordi Pinell, Art. Mozarabische liturgie, in: Liturgisch Woordenboek, Band 2, Sp. 1796– 1825. – Weitere Hinweise zur Bemühung Gregors VII. die römische Liturgie durchzusetzen, finden sich bei Elze, Gregor VII. (wie Anm. 1), 185.

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ters4, ergänzt um die je eigenen gottesdienstlichen Gebräuche, die aus eigenen lokalkirchlichen Traditionen erwachsen waren. Aber auch wenn die „Gregorianische Reform“ nicht eine einheitliche Liturgie durchzusetzen vermochte, führte ihr reformerischer Impuls doch vielerorts zu einer Neubesinnung auf das geistliche Leben in der Kirche. Theologie und Gottesdienst fanden neue Aufmerksamkeit. In dieser Zeit entsteht ein neuer Typus des liturgischen Buches – der Liber Ordinarius. Er kodifiziert die liturgischen Bräuche, wie sie an einer bestimmten Kathedral-, Stifts-, Kloster- oder auch Pfarrkirche im Laufe des Kirchenjahres begangen werden. Ein solches Ordnungsbuch erhebt damit zunächst den Anspruch, den Gottesdienst zu regeln und seine überlieferte Gestalt für die Nachkommenden zu dokumentieren, indem er deskriptiv Texte und Riten der Feiern darstellt. Damit trägt er aber auch wesentlich zur Konstanz des Lebens an einer speziellen Kirche mit ihren je eigenen Organen (Bischof, Domkapitel, Stiftskapitel, Konvent) bei und sichert deren eigengeprägte Tradition. Weil die Feier der Liturgie in das Selbstverständnis der jeweiligen geistlichen Gemeinschaft eingreift und Konsequenzen für deren Identität nach sich zieht, darf vermutet werden, dass die Entstehung der Libri Ordinarii nicht ausschließlich von liturgieimmanenten Motiven getragen ist, sondern sich darüber hinaus weitere theologische und rechtliche Gründe habhaft machen lassen. Da zudem der Historiker Georg Schreiber († 1963) für das Mittelalter eine „Verschwisterung von Liturgie und Recht“ gesehen hat5, drängt sich die Frage auf, inwiefern sich in den Ordinarien auch Hinweise für die rechtliche Verbindlichkeit der hier niedergelegten Gottesdienstordnungen

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Schon in der Karolingerzeit, die durch Import römischer Liturgiebücher so viel Wert auf die Übernahme der in Rom gefeierten Liturgie legte, vermischten sich altrömische Texte und Riten mit fränkischen (altgallische, altspanische, keltische u. a.) Elementen. Diese Mischliturgie, angereichert durch weitere Novitäten, verbreitete sich im gesamten Abendland, fand schließlich wieder zurück nach Rom und wurde dann hier als ‚die’ „römische Liturgie“ angesehen. Vgl. Klauser, Liturgiegeschichte (wie Anm. 1), 75-86; Hans Bernhard Meyer, Benedikt von Aniane (ca. 750–821). Reform der monastischen Tagzeiten und Ausgestaltung der römisch-fränkischen Meßfeier, in: Liturgiereformen. Historische Studien zu einem bleibenden Grundzug des christlichen Gottesdienstes. Festschrift für Angelus A. Häußling, hg. von Martin Klöckener, Benedikt Kranemann (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Studien, 88) Münster 2002, hier Band 1, 239–261. Vgl. auch unsere Ausführungen in Kapitel 1. – Auch in den Klosterkirchen spielte die „römischfränkische Mischliturgie“ eine wesentliche Rolle, allerdings waren hier noch andere, ordensspezifische Faktoren für die faktische Gestalt des Gottesdienstes maßgeblich. Georg Schreiber, Gemeinschaften des Mittelalters. Recht und Verfassung – Kult und Frömmigkeit (Gesammelte Abhandlungen, Band 1), Münster 1948, XII; vgl. auch HansJürgen Becker, Liturgie und Recht in ihrer gegenseitigen Durchdringung, in: Saeculum 34 (1983), 201–211.

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niedergeschlagen haben. Mit anderen Worten: Sind – auf gewisse Art – Libri Ordinarii auch rechtsrelevante Quellen? Um dieser Frage nachgehen zu können, wird es zunächst notwendig sein, in der gebotenen Kürze die Entwicklung schriftlicher Normierung der Liturgie in der abendländischen Kirche nachzuzeichnen, die auch die Libri Ordinarii hat entstehen lassen. Nach einer knappen Typologie dieses Buchtyps können dann exemplarisch einige Ordinarien hinsichtlich der Frage ihres normativrechtlichen Charakters untersucht werden. Abschließend fassen wir kurz noch einmal jene Aspekte zusammen, die für eine adäquate Beantwortung unserer Frage heranzuziehen sind.

1. Verschriftlichte Liturgie – Von der freien Formulierung zum normierten Text Lange Zeit kannte die Liturgiegeschichte keine liturgischen Bücher, in denen Gebete und Gesänge festgelegt oder gar vorgeschrieben waren. Abgesehen von der Heiligen Schrift des Alten und Neuen Testamentes, dem der Kirche vorgegebenen und überlieferten Offenbarungswort Gottes6, und einigen aus diesem Wurzelgrund erwachsenen Hymnen und Akklamationen7 formulierten die Vorsteher der liturgischen Feiern in den ersten Jahrhunderten die Gebete weitgehend in freier, geistgetragener Rede8. Dabei hielten sie sich allerdings an die all6

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Die öffentliche Verlesung von Schriften des Alten und Neuen Testamentes im Gottesdienst dürfte ein wesentliches Kriterium für die Herausbildung des authentisch angesehenen biblischen Kanons gewesen sein. Vgl. Klaus-Peter Jörns, Liturgie – Wiege der Heiligen Schrift?, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 34 (1992), 313–332. – Wie Gottes Wort feiern? Der Wortgottesdienst als theologische Herausforderung. Festschrift für Klemens Richter, hg. von Benedikt Kranemann, Thomas Sternberg (Questiones disputatae, 194), Freiburg u. a. 2002 (hier v. a. die Beiträge von Erich Zenger, Thomas Söding und ClausPeter März). – Georg Braulik, Norbert Lohfink, Liturgie und Bibel. Gesammelte Aufsätze (Österreichische Biblische Studien, 28) Frankfurt am Main 2005. Vgl. Joachim Gnilka, Der Christushymnus des Philipperbriefes (2,6–11) und die neutestamentliche Hymnendichtung, in: Liturgie und Dichtung. Ein interdisziplinäres Kompendium, Band 1: Historische Präsentation. Festschrift für Walter Dürig, hg. von Hansjakob Becker, Reiner Kaczynski (Pietas Liturgica, 1), St. Ottilien 1983, 173–185. – Klaus-Peter Jörns, Proklamation und Akklamation. Die antiphonarische Grundordnung des frühchristlichen Gottesdienstes nach der Johannesoffenbarung, in: Liturgie und Dichtung (wie vor), 187–208. So bezeugt etwa Justin der Märtyrer († 165) um Mitte des 2. Jahrhunderts die Praxis des frei formulierten Eucharistiegebetes: „... und der Vorsteher sendet Gebete ebenso wie auch Danksagungen empor nach seinem Vermögen...“ Justin, Apologie 67,5; zitiert nach Hans Bernhard Meyer, Eucharistie. Geschichte, Theologie, Pastoral. Mit einem Beitrag

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mählich sich herausbildenden Traditionen9 und an den lebendigen Brauch in der jeweiligen Gemeinde oder Region10. Ohne das Recht der Vorsteher einzuschränken, Gebete zu improvisieren, entstehen dennoch alsbald erste schriftliche Aufzeichnungen von liturgischen Texten und Riten. Offenbar weil sie einen gewissen Modellcharakter trugen und der hilfreichen Orientierung dienten, hielt man sie wert, festgehalten zu werden. In diesem Sinne sind das Eucharistiegebet und andere Gebetsformulare in der sogenannten Traditio Apostolica, einer Kirchenordnung, die vermutlich in das erste Viertel des 3. Jahrhunderts weist, zu verstehen11. Schon das Genus „Kirchenordnung“ zeigt, dass offenbar inzwischen eine Institutionalisierung der Kirche hinsichtlich Verfassung, Gottesdienst und Disziplin eingesetzt hatte12. In diesem Rahmen wird nun auch der weitere Weg zur Kanonisierung liturgischer Texte und Riten beschritten werden, den Allan Bouley programmatisch als einen Weg „From Freedom to Formula“ bezeichnet hat13.

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von Irmgard Pahl (Gottesdienst der Kirche, 4), Regensburg 1989, 101. Vgl. den griech.lat. Text bei Anton Hänggi, Irmgard Pahl, Prex Eucharistica. Textus e variis liturgiis antiquioribus selecti (Spicilegium Friburgense, 12), 3. Auflage Fribourg 1998, 70–71. Für das Eucharistiegebet und andere vergleichbare euchologische Texte sind an der Form der jüdischen Berakah orientierte Grundmotive und –strukturen erkennbar, die von den Vorstehern durchaus beachtet wurden, wie Adolf Harnack hervorhebt: „Der Vorsteher betete nicht, was er wollte, sondern was er sollte, doch nur so, wie er es vermochte.“ Zitiert nach Martin Klöckener, Freiheit und Ordnung im Gottesdienst – ein altes Problem mit neuer Brisanz, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 43 (1996), 388–419, hier 401. Vgl. zur Sache Reinhard Meßner, Grundlinien der Entwicklung des eucharistischen Gebets in der frühen Kirche, in: Prex Eucharistica. Volumen III: Studia. Pars prima: Ecclesia antiqua et occidentalis, hg. von Albert Gerhards, Heinzgerd Brakmann, Martin Klöckener (Spicilegium Friburgense, 42), Fribourg 2005, 3–41. Das gottesdienstliche Feiern bildete sich unter den verschiedenen geographischen Bedingungen (Lebensraum, Kultur, religiöse Umwelt) auch unterschiedlich aus und entwickelte sich zu einem lebendigen Lokalbrauch, der erst später schriftlich kodifiziert wurde. Hier liegt eine Wurzel für die spätere Entwicklung zu verschiedenen Liturgieverbänden und Ritusfamilien. Vgl. Hermann Reifenberg, Fundamentalliturgie. Grundelemente des christlichen Gottesdienstes (Schriften des Pius-Parsch-Instituts, 3), Band 1, Klosterneuburg 1978, 120–159. Vgl. TrAp 4. Im Rahmen der Bischofsordination ist hier ein Eucharistiegebet überliefert, das aber nicht vorgeschrieben wird, sondern ausdrücklich als „Mustertext“ dient, wie TrAp 9 bezeugt. Vgl. Traditio Apostolica. Apostolische Überlieferung. Übersetzt und eingeleitet von Wilhelm Geerlings (Fontes Christiani, 1) Freiburg u. a. 1991, 141–343, hier 222–227, 238–239. Vgl. Bruno Steimer, Art. Kirchenordnung, in: Lexikon der antiken christlichen Literatur, hg. von Siegmar Döpp, Wilhelm Geerlings, Freiburg u. a. 1998, 376–378 (Lit.). Vgl. Allan Bouley, From Freedom to Formula. The Evolution oft the Eucharistic Prayer from Oral Improvisation to Written Texts (Studies in Christian antiquity, 21) Washington DC 1982.

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Weitere Motive treten im 4./5. Jahrhundert hinzu und verstärken diese Tendenz. Denn angesichts der in jener Zeit grassierenden häretischen und schismatischen Bewegungen und der oftmals mangelnden theologischen Bildung vieler Kleriker war die Rechtgläubigkeit des liturgischen Betens der Kirche gefährdet. So schränkt etwa die nordafrikanische Kirche die Freiheit in der Formulierung liturgischer Gebete ein und erlaubt nur noch die Verwendung durch kirchlichtheologische Autoritäten geprüfter Texte im Gottesdienst14. Die Sorge um die Orthodoxie lässt auch andere zentrale Bischofskirchen ähnliche Maßnahmen ergreifen, wobei nun allmählich das Motiv einer angestrebten Einheit in der Liturgie als Ausdruck der kirchlichen Einheit im rechten Glauben eine zunehmende Rolle spielt15. Auf diese Weise entstehen liturgische Formelsammlungen, die von der Norm der Rechtgläubigkeit und – zumindest sekundär – der kirchlichen Einheit bestimmt sind und mittels synodaler Verfügungen auch Rechtsqualität erlangen. Eine neue Phase in dieser Entwicklung lässt sich im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter beobachten. Durch das massive Schwinden der Theologie samt ihrer religionskritischen Funktion konnte verstärkt das religionsgeschichtlich bekannte Phänomen des „Ritualismus“ auf die Liturgie übergreifen. Sie musste nun vor allem „richtig“, also formgenau vollzogen werden16. Denn nur der recht ausgeführte Ritus und das recht ausgesprochene „heilige Wort“ (Formel) garantierten die göttliche Wirkung, wie umgekehrt ein grammatikalischer Fehler oder ein Kreuzzeichen an falschem Ort die Gnadenkraft zunichte machte (Verhängnischarakter)17. Schon eine solche rituelle Korrektheit verlangte die strikte Festlegung der Liturgie und damit eine umfassende Schriftlichkeit18. 14

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Zu diesen Entwicklungen vgl. Martin Klöckener, Liturgiereform in der nordafrikanischen Kirche des 4./5. Jahrhunderts, in: Liturgiereformen I (wie Anm. 4), 121–168, hier 139– 148 (zu weiterer Literatur vgl. 139, Anm. 51) sowie Martin Klöckener, Das Eucharistische Hochgebet in der nordafrikanischen Liturgie der christlichen Spätantike, in: Prex Eucharistia III (wie Anm. 9), 43–128. Vgl. Klöckener, Liturgiereform (wie Anm. 14), 148; zur Bedeutung des Motiv der kirchlichen Einheit für die weitere liturgiegeschichtliche Entwicklung vgl. Martin Klöckener, Benedikt Kranemann, Liturgiereform – Grundzug des christlichen Gottesdienstes. Systematische Auswertung, in: Liturgiereformen 2 (wie Anm. 4) 1093–1094. Vgl. Arnold Angenendt, Libelli bene correcti. Der “richtige Kult” als ein Motiv der karolingischen Reform, in: Arnold Angenendt, Liturgie im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze zum 70. Geburtstag, hg. von Thomas Flammer und Daniel Meyer (Ästhetik – Theologie – Liturgik, 35), 2. Auflage Münster 2005, 227–243 [Erstveröff. 1992]. Zur Parallele zwischen liturgischem und rechtlichem „Ritualismus“ vgl. Angenendt, Libelli (wie vor), 228– 231. Vgl. die Beispiele bei Angenendt, Libelli (wie Anm. 16), 232–235. Vgl. Arnold Angenendt, Verschriftlichte Mündlichkeit – vermündlichte Schriftlichkeit. Der Prozess des Mittelalters, in: Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale Kom-

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Diese Entwicklung verband sich nun zusätzlich mit den religiösen und politischen Motiven der karolingischen Herrscher19. Denn für ihre „Renovatio imperii“ konnte nur eine Art des Gottesdienstes normgebend und für das ganze Reich segensverheißend sein – nämlich die Liturgie, wie sie der Bischof von Rom als Nachfolger des Apostelfürsten Petrus feierte. So suchte man die importierten römischen Liturgiebücher durch zahlreiche Abschriften im ganzen Frankenreich zu verbreiten, um die liturgische Vielfalt in den geeinten Reichsgebieten durch die einheitliche, nun eben römische Art des Gottesdienstes zu ersetzen20. Diesem ehrgeizigen Projekt waren allerdings faktisch recht enge Grenzen gezogen. Zum einen mussten die aus Rom importierten Liturgiebücher für die vielfältigen Anliegen der fränkischen Liturgie zum Teil erheblich überarbeitet und umfangreich ergänzt werden. Auf diese Weise wurden römische Texte mit Elementen aus der altgallisch-fränkischen Gottesdiensttradition kombiniert, so dass am Ende die Bücher eine römisch-fränkische Mischliturgie verzeichneten21. Zum anderen war es trotz großer Anstrengungen kaum möglich, bis in die letzte Dorfpfarrei alle Kirchen mit der Vielzahl der nötigen Bücher auszustatten. Denn jeder Amtsträger musste das für seine liturgische Aufgabe zusammengestellte Buch in den Händen haben: der Bischof bzw. der Priester das Sakramentar mit den Gebetstexten, der Diakon das Evangeliar mit den Evangelienlesungen, der Subdiakon und Lektor das Lektionar mit den nichtevangelischen Lesungen, und der Kantor mit seiner Schola das Antiphonar oder Graduale mit den entsprechenden Gesangsstücken22.

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munikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Heinz Duchhardt, Gert Melville (Norm und Struktur, 7) Köln–Weimar–Wien 1997, 1–13. Vgl. Klaus Herbers, Die Stadt Rom und die Päpste von der Spätantike bis zum 9. Jahrhundert, in: 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit II. Katalog der Ausstellung Paderborn 1999, hg. von Christoph Stiegemann, Matthias Wemhoff, Mainz 1999, 594–606 (Literatur). Vgl. Cyrille Vogel, Les échanges liturgiques entre Rome et les pays francs jusqu´à l´époque de Charlemagne, in: Le chiese nei regni dell´ Europa occidentale e i loro rapporti con Roma sino all´800 (Settimane di studio del Centro Italiano di Studi sull´ Alto Medioevo, 7), Band 1, Spoleto 1960, 185–295. – Arnold Angenendt, Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart u. a. 1990, 327–348. Vgl. Meyer, Benedikt von Aniane (wie Anm. 4). Zur Vielgestaltigkeit der Liturgiebücher im (frühen) Mittelalter vgl. die instruktive Übersicht von Martin Klöckener, Angelus A. Häußling, Liturgische Bücher, in: Divina Officia. Liturgie und Frömmigkeit im Mittelalter, hg. von Patrizia Carmassi (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek, 83), Wolfenbüttel 2004, 341–371. – Gleichwohl ist es bemerkenswert, wie viel Aufwand betrieben wurde, um das hoch gesteckte Ziel einer durch Bücherbesitz gesicherten einheitlichen (römischen) Liturgie zu erreichen, und das zudem in einer Zeit, in der die Bedeutung und das Ansehen der Schriftlichkeit mehr und mehr schwand. So besaß die bayrische Dorfkirche Thannkirchen im 9. Jahrhundert drei Sakra-

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Ein weiterer Schritt vollzieht sich, da nicht nur die gottesdienstlichen Texte der römischen Liturgie entsprechen sollten, diesem Anspruch mussten auch die rituellen Handlungen genügen. Da sich Hinweise darauf in den genannten Liturgiebüchern aber kaum fanden, bedurfte es ergänzend eigener Aufzeichnungen, in denen die Riten der Stundenliturgie, der Messe und der übrigen Sakramente und Sakramentalien sowie der speziellen Feiern im Kirchenjahr beschrieben waren. So entstanden Leitfäden, die den gottesdienstlichen Verlauf mit seinen einzelnen Vollzüge und Aktionen in der Art von „Regiebüchern“ skizzieren, die sogenannten „Ordines Romani“23. Fortan benötigte man für eine formgenaue Liturgie beides: Text und rituelle Anleitung. Die ehedem römischen Ordines gelangten im Zuge der Romanisierung wie die übrigen Liturgiebücher ins Frankenreich und teilten hier deren Schicksal: Denn manche tatsächlich den römischen Ritus wiedergebende Ordines, wie etwa der Ablauf der päpstlichen Stationsmesse im 7. Jahrhundert24, ließen sich für die Gegebenheiten nördlich der Alpen nicht einfach übernehmen, sie mussten entsprechend umgearbeitet und ergänzt werden. Damit mischten sich auch in den rituellen Anweisungen römische und gallisch-fränkische Elemente. Hinzu kommt, dass die meisten „Ordines Romani“ zwar ihren Herkunftsort programmatisch im Titel tragen, vielfach aber nur durch spätere Abschriften aus fränkischen Skriptorien erhalten sind und folglich eher das enthalten, was man sich dort unter römischer Liturgie vorstellte, denn einen tatsächlichen Eindruck von den in Rom gefeierten Gottesdiensten zu vermitteln vermochten25. Gleichwohl trugen diese Bücher wesentlich zur Normierung und Festlegung der römisch-fränkischen Mischliturgie bei, waren sie doch mit dem Autoritätssiegel

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mentare, drei Lektionare, zwei Antiphonare, ein Psalterium und weitere Liturgiebücher. Vgl. Mittelalterliche Schatzverzeichnisse, Band 1: Von der Zeit Karls des Großen bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, hg. vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in Zusammenarbeit mit Bernhard Bischoff (Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München, 4), München 1967, 94 (Nr. 89). Der Liturgiehistoriker Michel Andrieu hat fünfzig solcher Ordines ediert: Michel Andrieu, Les Ordines Romani du haut moyen-âge (Spicilegium sacrum Lovaniense, 11. 23. 24. 28. 29), Louvain 1931-1961. – Vgl. dazu Aimé-Georges Martimort, Les „ordines“, les ordinaires et les cérémoniaux (Typologie des sources du moyen âge occidental, 64), Turnhout 1992, 17–47; zum gegenwärtigen Forschungsstand vgl. Martin Klöckener, Ordines de celebrando concilio. Zur Edition der früh- und hochmittelalterlichen Konzilsordines von Herbert Schneider, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 41 (1999), 323–335, hier 323–326. Es handelt sich um den OR 1; vgl. Andrieu, Ordines Romani 2 (wie Anm. 23), 3–108. Der Titel „Ordo Romanus“ kündet also seltener von der tatsächlichen (stadt-)römischen Herkunft einer Ordnung, vielmehr dient er zur Steigerung seiner Autorität, die ihn als authentischen Bestandteil der karolingischen Reform mit ihrem Ziel der Romanisierung der gallisch-fränkischen Liturgie ausweist. Vgl. Klöckener, Ordines de celebrando concilio (wie Anm. 23), 324.

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„Rom“ versehen. Getragen vom Gedanken der einheitlichen Ordnung des kirchlichen Lebens dienten sie zugleich dazu, die religiös-politischen Motive der Herrscher im Reich repräsentativ zu legitimieren26. Der hier natürlich nur sehr verkürzt dargestellte Weg der abendländischen Liturgie lässt sich also als eine Entwicklung zur Sicherung des rechten Glaubensgutes und dann auch zur Festigung der kirchlichen Einheit, sodann aber zur vorwiegend politisch begründeten Monopolisierung der römischen Norm des Gottesdienstes begreifen. Diese Dynamik forderte nicht nur eine immer stärkere Verschriftlichung der Liturgie, sie nahm darin auch einen mehr und mehr institutionell-rechtlichen Charakter an27.

2. Entstehung und Typologie der Libri Ordinarii Innerhalb dieser Dynamik nahm seit dem 12. Jahrhundert auch der neu entstehende Buchtyp des Liber Ordinarius seinen Platz ein. Es waren verschiedene Faktoren, die zur Ausbildung dieses speziellen liturgischen Schrifttums beigetragen haben. Nur einige können im Folgenden kurz erläutert werden28.

2.1. Regionale Vielfalt der Liturgie Obwohl die römische Liturgie zur Norm erhoben worden war, führte dies, wie gesehen, trotz aller Vereinheitlichungsbestrebungen, schon aufgrund der erwähnten begrenzten Möglichkeiten, keineswegs zu einer bis in alle Einzelheiten festgelegten Gleichförmigkeit des Gottesdienstes. Vielmehr bildete die römischfränkische Mischliturgie einen breiten Strom, von dem aus eine Reihe von kleineren Nebenflüssen und Flussarmen sich ihre eigenen Wege suchten. Der Rah26

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Hans Bernhard Meyer hat vom „Ordnungsfaktor“ des mittelalterlichen Messensystems gesprochen, wodurch der täglichen, nach stadtrömischer Art nachgebildeten Liturgiefeier der auf Rom ausgerichtete Reichskirche den „Rang eines staatserhaltenden Dienstes“ zukam. Vgl. Meyer, Eucharistie (wie Anm. 8), 240–242; vgl. auch 200–208. Leider ist dieser Gesichtspunkt nicht ausdrücklich thematisiert in dem hier maßgeblichen Sammelband: Normieren, Tradieren, Inszenieren. Das Christentum als Buchreligion, hg. von Andreas Holzem, Darmstadt 2004. Vgl. dazu auch Hermann Reifenberg, Liturgie und Recht: Zwischen römischer Einheitsliturgie und regionaler Vielfalt. Gottesdienstliches Eigenbewusstsein und seine Erforschung im deutschen Sprachgebiet, in: Im Dienst von Kirche und Wissenschaft. Festschrift für Alfred E. Hierold, hg. von Wilhelm Rees, Sabine Demel, Ludger Müller, Berlin 2007, 525–545. Vgl. ausführlicher dazu Jürgen Bärsch, Liber ordinarius – Zur Bedeutung eines liturgischen Buchtyps für die Erforschung des Mittelalters, in: Archa Verbi 2 (2005), 9–58, hier 17–24 (Literatur).

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men war offen genug, dass sich aus älteren Traditionen sowie gemäß der personellen und räumlichen Bedingungen lokale gottesdienstliche Eigenheiten ausbilden konnten, die der Liturgie in den einzelnen Bischofs-, Stifts-, Kloster- und Pfarrkirchen ihr eigenes Gepräge verliehen29. Das gottesdienstliche Leben des Mittelalters war in seinem vorgegebenen Gesamtrahmen also von regionaler Vielfalt bestimmt. Und diese Vielfalt galt nicht als abzuwehrendes Übel, sondern entsprach der Würde einer jeden Ortskirche und dem geistlichen Anspruch der einzelnen Orden und Ordensgemeinschaften. Das Wort Gregors des Großen († 604), wonach unterschiedliche Gebräuche der Kirche dem einen Glauben nicht widersprächen – in una fide nil officit sanctae ecclesiae consuetudo diuersa30 – ist im Mittelalter immer wieder wörtlich oder sinngemäß zitiert worden und bezeugt, dass es „keine besondere Scheu vor einer gewissen Verschiedenheit der Gebräuche“31 gegeben hat. Auf der gleichen Linie liegt denn auch das einflussreichste Kommentarwerk zur Liturgie seiner Zeit, das Rationale divinorum officiorum des Kanonisten und Liturgikers Wilhelm Durandus († 1296)32. Im Proömium zum Rationale geht er auf das Problem von Einheit und Vielfalt in der Liturgie ein. Darin erkennt er eine Fülle unterschiedlicher gottesdienstlicher Gebräuche, so dass fast jede Kirche eigene Regeln (proprias ... obseruantias) besitzt. Es erscheint aber nach Durandus nicht tadelnswert (reprehensibile) oder abwegig (absurdum), wenn Gott und seine Heiligen durch unterschiedlichen Chorgesang, unterschiedliche Melodien und verschiedene Gottesdienstformen (diuersis obseruantiis) verehrt werden. Deshalb soll von der Kirchenleitung diese Vielfalt der gottesdienstlichen Formen als 29

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Zur Bedeutung der Kathedralkirchen für die Ausbildung liturgischer Traditionen vgl. Pierre Jounel, La cathédrale, maison de Dieu et du peuple de Dieu, in: Pierre Jounel, Liturgie aux multiples visages (Bibliotheca „Ephemerides liturgicae“. Subsidia, 68), Rom 1993, 169–190. – Pierre-Marie Gy, La cathédrale et la liturgie dans le Midi de France, in: Cahiers de Fanjeaux 30 (1995), 219–229. – Helmut Maurer, Zur Bedeutung der Kathedrale für die Diözese des späten Mittelalters. Beobachtungen an Bischofskirchen der Alemannia, in: Römische Quartalsschrift 97 (2002), 238–256. Gregor der Große, Registrum Magni registrum epistularum. Libri I–VII. 1–2, hg. von Dag Norberg (CChr.SL 140–140A), Turnhout 1982, hier Registrum ep. I, 41 (CChr.SL 140, 47–48). – Den Grundsatz formulierte Gregor in einem Brief an Bischof Leander von Sevilla, in dem er sich zur Frage der Taufe von Nestorianern äußert. Vgl. Andreas Heinz, Papst Gregor der Große und die römische Liturgie. Zum Gregorius-Gedenkjahr 1400 Jahre nach seinem Tod († 604), in: Liturgisches Jahrbuch 54 (2004), 69–84, hier 80–84. Josef Andreas Jungmann, Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe, 5. Auflage Wien u. a. 1962, hier Band 1, 130, mit Nachweisen Anm. 35–37. Edition: Guilelmus Durandus, Rationale divinorum officiorum, hg. von Anselme Davril, Timothy M. Thibodeau (CChr.CM 140-140B), Turnhout 1995–2000. – Zu Person und Werk vgl. Peter Maier, Reform des Gottesdienstes durch Durandus von Mende, in: Liturgiereformen I (wie Anm. 4), 346–362, zum Rationale 350–353 (Literatur).

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rechtmäßig toleriert werden (in ... administratione de iure consuetudinis uarias toleretur)33. Aus diesem Grund erläutert Durandus in seinem Kommentar auch vielfach im Anschluss an die ihm geläufige Praxis der römischen Kurie34 verschiedene andere ortskirchliche Gepflogenheiten. Wenn er dabei immer wieder auf den kanonistischen Hintergrund einzelner Sachverhalte hinweist und selbst umfangreiche juristisch-kanonistische Marginalien seinem Werk hinzufügt35, wird sichtbar, wie sehr inzwischen die liturgischen Ordnungen (gerade auch in ihrer Vielfalt) unter dem Vorzeichen kirchenrechtlicher Prämissen gedacht werden. Von daher wird die Aussage des Kanonisten Johann Friedrich von Schulte († 1914) verständlich, der Durandus´ Rationale als die „erste vollständige Darstellung des sogenannten jus liturgicum“36 bezeichnen konnte. Ein wesentlicher Grund liturgische Ordnungen für bestimmte Kirchen zu kodifizieren, wie dies dann in den Libri Ordinarii geschah, lag – jenseits aller 33

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Vgl. Durandus, Rationale, Prohemium 13 (CChr.CM 140, 8). – Vgl. dazu auch den kommentierenden Hinweis von Rudolf Suntrup, Norm oder Modell? Zentralismus und einzelkirchliche Vielfalt in der römischen Meßliturgie des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, in: Normative Zentrierung. Normative Centering, hg. von Rudolf Suntrup, Jan R. Veenstra (Medieval to Early Modern Culture. Kultureller Wandel vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, 2), Frankfurt am Main 2002, 125–146, hier 132–133. Durandus hatte nach seinem kanonistischen Studium in Bologna verschiedene, hauptsächlich juristisch geprägte Aufgaben an der römischen Kurie übernommen (um 1263– 1278) und war deshalb mit dem dortigen liturgischen Brauch bestens vertraut. Er blieb der Kurie auch verbunden, als er von 1278 bis 1285 in päpstlichem Auftrag politisch in der Toskana und der Romagna tätig war. Erst nach seiner Wahl zum Bischof der südfranzösischen Diözese Mende scheint er sich verstärkt liturgischen und pastoralen Fragen zugewandt zu haben. Vgl. Maier, Durandus von Mende (wie Anm. 32), 347–350. – Zwar hatte Durandus fast alle einschlägigen Quellen und für die Liturgieallegorese wichtigen Autoren des 9. bis 13. Jahrhunderts für sein Rationale berücksichtigt, sein Hauptgewährsmann ist aber Innozenz III., dessen Messerklärung De sacro altaris mysterio (Migne PL 217, 773–916) dem Kurialbrauch entsprach und deshalb die bestimmende Leitlinie auch für Durandus geworden ist (er will von der Messe als dem zentralen Gottesdienst der Kirche sprechen und dabei, „aliquibus additis et detractis, Speculum Innocentii pape III prosequemur“, Rationale IV, 1,2 [CChr.CM 140, 240]). Vgl. dazu den Apparatus „In margine“ in der genannten Edition (wie Anm. 32); vgl. auch Timothy M. Tibodeau, Les sources du Rationale de Guillaume Durand, in: Guillaume Durand. Évêque de Mende (v. 1230–1296). Canoniste, liturgiste et homme politique. Actes de la Table Ronde du C.N.R.S., Mende 24–27 mai 1999, hg. von Pierre-Marie Gy (Centre National de la Recherche Scientifique. Centre Régional de Publication de Paris. Institut de Recherche et d´Histoire des Textes), Paris 1992, 143–153, hier 151–152. Johann Friedrich von Schulte, Die Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart, Band 2: Die Geschichte der Quellen und Literatur von Papst Gregor IX. bis zum Concil von Trient, Stuttgart 1877, 155. Vgl. auch Timothy M. Thibodeau, The Influence of Canon Law on liturgical Exposition c. 1100–1300, in: Sacris Erudiri 37 (1997), 185–202.

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Romanisierungsbemühungen – also vor allem in der regionalen Vielfalt des gottesdienstlichen Lebens im Mittelalter. Da zudem die Liturgie in ihrem Verständnis, wie Quellen und Kommentaren ausweisen, auch von juristischen Kategorien beeinflusst war, erhielten die schriftlich verfassten Ordnungen auch die Funktion rechtlicher Legitimation, wenngleich dies freilich nicht immer explizit zum Ausdruck kommen musste.

2.2. Ordnungsstreben und Sicherung der Lokaltradition Es sind aber noch weitere Faktoren für die Entstehung der Libri Ordinarii verantwortlich zu machen. Es ist nämlich zu bedenken, dass die mittelalterliche Liturgie keineswegs statisch geblieben ist, sondern sich über die Jahrhunderte höchst komplex weiterentwickelt hat. Schon mittels der genannten Tendenz der Ritualisierung im Frühmittelalter kam der Liturgie eine zentrale Bedeutung für das gesamte Leben zu und umgriff im Grunde alle Bereiche wie Religion, Politik, Wirtschaft und Recht.37 Diese „Liturgisierung“ ließ eine ganze Reihe von bis dahin unbekannten Riten wie die Kirchweihe oder die Königssalbung entstehen38, förderte aber auch die zeremonielle Ausgestaltung der übrigen überlieferten Formen des Gottesdienstes. Weil es dabei wegen der Scheu, sakrale Vollzüge zu verändern oder gar abzuschaffen, nicht zu durchgreifenden Neuordnungen kam, sondern man vielfach dem „Gesetz der Juxtaposition des Neuen zum Alten“ folgte, also das Bestehende lediglich durch zusätzliche Elemente und Handlungen erweiterte, gerieten die liturgischen Riten zu immer ausgedehnteren und vielschichtigeren Gebilden, die nur mehr von Spezialisten zu überschauen waren und eine intime Kenntnis der lokalkirchlichen Überlieferung voraussetzten39. Die hinzutretenden liturgischen Neuerungen und Veränderungen wie die Einführung neuer Feste oder das Aufkommen und die Verbreitung des verkürz-

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Vgl. Angenendt, Frühmittelalter (wie Anm. 20), 327–348. Vgl. Angenendt, Frühmittelalter (wie Anm. 20), 342–343, 345–347. Es handelt sich hierbei freilich nicht um ein „Gesetz“ im naturwissenschaftlichen Sinne, sondern um eine an den Fakten orientierte liturgiegeschichtliche Beobachtung. Vgl. Virgil E. Fiala, Das liturgische Gesetz der Juxtaposition des Neuen zum Alten und seine Bedeutung für die Liturgiereform, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 13 (1971), 26–35. Wie dieses „Gesetz“ sich in der mittelalterlichen Ritenentwicklung auswirkte, zeigt exemplarisch Jürgen Bärsch, Der Bischof im Licht seiner Ordinationsliturgie im Mittelalter. Liturgiehistorische und liturgietheologische Anmerkungen zum Ritus der Bischofsweihe im Pontificale ordinis liber des Wilhelm Durandus d.Ä. (1293/95), in: Spargentes semina verbi. Hochmittelalterliche Bischofssitze als geistige Zentren und Orte der Verkündigung des Evangeliums, hg. von Georg Gresser (Archa Verbi. Subsidia [im Druck]).

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ten römischen Kurialoffiziums griffen zusätzlich auf die Gestalt der Liturgie ein und erschwerten ihren sicheren Vollzug40. Diese Entwicklungen der hoch- und spätmittelalterlichen Liturgie verschärften sich noch auf dem Hintergrund der genannten regionalen Vielfalt der gottesdienstlichen Gebräuche. Es bedurfte eines umfassenden Regelbuches, das die Vielzahl der Feiern an einer Kirche ordnete, zumal die erwähnten Ordines Romani schon wegen ihrer idealtypischen Darstellung der Ritenverläufe nicht auf die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten und Bedürfnisse zugeschnitten waren und darum diese Aufgabe nicht erfüllen konnten. Wie notwendig ein solches Werk war, zeigt exemplarisch der Liber Ordinarius des Xantener Viktorstiftes. Im Vorwort nennt der Autor einige Gründe für die schriftliche Niederlegung der stiftseigenen Gottesdiensttradition. Dabei betont er zunächst die Schwachheit des menschlichen Gedächtnisses, die eine solche Aufzeichnung nötig mache41. Da zudem die Brüder an verschiedenen Orten verschiedene Gebräuche erlebten, sei es nicht leicht, ohne Aufzeichnungen den Brauch der Xantener Kirche, „wie er von den alten Zeiten bis jetzt beachtet worden ist“42, zu kennen und die Riten sicher ausführen zu können. Tatsächlich muss es über den rechten Vollzug der Stundenliturgie zu offenem Streit gekommen sein, „quales nec in foro fieri deceret“, wie der Kompilator betont, weshalb der Ordinarius keineswegs die Vielfalt der gottesdienstlichen Bräuche beschneiden will, aber innerhalb einer Kirche (hier das Stift als eigenständige ekklesiologische Größe) die Einheit in der Ordnung des Gottesdienstes beschwört43. Das Beispiel zeigt, dass verschiedene Faktoren für die Abfassung von Libri Ordinarii zusammenwirkten. Da ist zunächst die Intention der Erinnerungsstützung. Denn die Komplexität der liturgischen Riten, vor allem jener, die nur selten oder gar einmal jährlich stattfanden, verlangten eine schriftliche Abfassung, die in einer bestimmten Systematik angelegt (zumeist dem Ablauf des Kirchenjahres folgend), umfassend Auskunft gab über die verschiedenen liturgischen Feiern, die dafür notwendigen Vorbereitungen, die zu lesenden, zu singenden oder zu betenden gottesdienstlichen Texte, die Aufgaben der einzelnen Dienste, die Wege und Stationen der Prozessionen, kurz, die Gesamtgestalt der Liturgie 40

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Vgl. Adalbert Kurzeja, Der älteste Liber Ordinarius der Trierer Domkirche. Ein Beitrag zur Liturgiegeschichte der deutschen Ortskirchen (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen, 52), Münster 1970, 4. „Quippe cum mortalium fragilis sit memoria et rerum turbe non sufficiant…“, Der älteste Ordinarius des Stiftes Xanten, hg. und bearb. von Friedrich Wilhelm Oediger (Die Stiftskirche des Hl. Viktor zu Xanten, 2.4), Kevelaer 1963, 47. „... libellus iste ordinarius est collectus secundum usum ecclesie Xanctensis a priscis temporibus hactenus observatum“ Oediger, LO Xanten (wie Anm. 41), 47; vgl. auch 1. Vgl. Oediger, LO Xanten (wie Anm. 41), 47.

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ordnete, wie sie an einer bestimmten Kirche vollzogen werden sollte. Um die Liturgie „sicher zu vollziehen“44, das heißt geordnet und ohne Irritationen, bedurfte es eines Liber Ordinarius, der als „Regiebuch für den Chor“45 jegliche Unsicherheit und Konflikte ausschließen sollte. Weil die Feier der Liturgie von den Kathedral- und Kollegiatsstiften wie den monastischen Gemeinschaften und Ordenskonventen als eine zentrale Aufgabe (officium divinum, opus Dei) verstanden wurde und eine nicht unerhebliche Zeit im Tagesverlauf beanspruchte, kam ihr, über ihre selbstständige theologische Bedeutung als laus Dei hinaus, auch eine identitätsbildende und das Selbstverständnis der geistlichen Kooperation prägende Kraft zu46. Im Zuge der theologischen und spirituellen Erneuerungsbestrebungen der hochmittelalterlichen Kirche im 12. und 13. Jahrhundert gab es offenkundig zusätzliche Impulse, das gottesdienstliche Leben zu ordnen und die der Gefahr des Vergessens unterliegenden ortseigenen Gepflogenheiten neu zu sammeln und deren Praxis zu fördern47. Neben neuen Bemühungen um den Gottesdienst dürfte ein Liber Ordinarius also auch für die eigene Traditionsbildung nach innen wie nach außen eine wichtige Rolle gespielt haben48. Insofern diente die Abfassung von Libri

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Die Sicherheit in Vorbereitung und Vollzug der Liturgie ist in jener Zeit ein Ideal für den geordneten Gottesdienst. Vgl. das Xantener Urbar von 1284: „... ut sicut secundum ordinarium cuiuslibet ecclesie est certitudo in ipsa ecclesia officiandi.“ Zitiert nach Oediger, LO Xanten (wie Anm. 41), 1, Anm. 8. Der Begriff bringt die Bedeutung dieser Buchgattung zutreffend auf den Punkt. Er findet sich geprägt bei Balthasar Fischer, Die jährliche Schiffsprozession des mittelalterlichen Dom- und Stiftsklerus auf der Obermosel, in: Trierisches Jahrbuch 5 (1954), 6–12, hier 6. Vgl. für die Kollegiatstifte Hanns Peter Neuheuser, Stift und Sinnstiftung. Liturgiewissenschaftliche Ansätze zur Stiftsgeschichtsforschung, in: Frömmigkeit und Theologie an Chorherrenstiften. Vierte wissenschaftliche Fachtagung zum Stiftskirchenprojekt des Instituts für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen (14.-16. März 2003, Weingarten), hg. von Ulrich Köpf, Sönke Lorenz in Verbindung mit Dieter R. Bauer, Sigmaringen 2009, 17–62. Neben dem genannten Beispiel aus dem Stift Xanten sind ähnliche Entwicklungen auch andernorts zu beobachten. Der LO des Zürcher Großmünsterstifts wurde 1260 kompiliert, nachdem 1259 mit dem Kantorenamt ein neues Amt zur Ordnung des Gottesdienstes geschaffen und mit dem Kanoniker Konrad von Mure besetzt wurde. Vgl. Heidi Leuppi, Der Liber Ordinarius des Konrad von Mure. Die Gottesdienstordnung am Großmünster in Zürich (Spicilegium Friburgense, 37), Fribourg 1995, 39, 54–55. – Ähnlich versteht sich auch der Verfassser des ältesten LO des Apostelnstifts in Köln als Sammler der überlieferten gottesdienstlichen Lokaltradition. Vgl. Andreas Odenthal, Der älteste Liber Ordinarius der Stiftskirche St. Aposteln zu Köln. Untersuchungen zur Liturgie eines mittelalterlichen kölnischen Stifts (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, 28), Siegburg 1994, 33–34. Vgl. Neuheuser, Stift und Sinnstiftung (wie Anm. 46), 26–55.

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Ordinarii der Sicherung von Überlieferung, wie sie sich insbesondere in der Lokaltradition einer Kirche spiegelt. Selbst noch Anfang des 16. Jahrhunderts wird das Traditions- und Identitätsargument für die Kodifizierung eines Ordinarius in Anspruch genommen. Im Proömium seines 1517 verfassten Ceremoniale Basilensis Episcopatus, dem Ordinarius des Basler Domstifts49, führt Hieronymus Brilinger, Vikar des Stifts, nicht nur den Namen des Bischofs und die Mitglieder des Kapitels auf, er preist die Domkirche von Basel als „von jeher ausgezeichnet durch ihre würdigen Zeremonien und lobenswerten Chorgebräuche“ und er versteht seine Arbeit als einen Beitrag zum „Preis unserer Kirche und zur Ehre unseres Kapitels“50. Wenn Brilinger darauf verweist, er habe die Beschreibung der Riten aus alten Büchern, Schriftdenkmälern, „wie Schutt aus Ruinen geholt, gesammelt und nach besten Kräften geordnet, um sie auf die Nachkommenden zu vererben,“ dann waren hier sicher die Ideale des Humanismus leitend. Dennoch erschöpft sich die Aufzeichnung nicht allein im Interesse an den Riten alter Observanz. Weil wie Brilinger betont, die Bräuche „bisher nur der mündlichen Überlieferung, die doch so schwankend ist, überlassen war,“ wollte er auch einen Dienst leisten für die tägliche Liturgie des Chorstifts, indem er seinen Kapitelskollegen sein Werk widmete, „deren Händen die Pflege unseres Chordienstes anvertraut ist“51.

2.3. Grundgestalt der Libri Ordinarii Wie sah nun die Grundgestalt der Gattung „Liber Ordinarius“52 aus? Eine Quelle aus dem Jahr 1208 beschreibt ihn als „liber in quo continetur quid et 49

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Hieronymus Brilinger, Ceremoniale Basiliensis Episcopatus, in: Das Hochstift Basel im ausgehenden Mittelalter. Quellen und Forschungen, hg. im Auftrag der Historischen und Antiquarischen Gesellschaft zu Basel, bearb. von Konrad W. Hieronimus, Basel 1938, 97–320. „Ut cerimoniarum ac laudabilium consuetudinum, quibus insignis ecclesia Basileiensis prae ceteris dei templis per longum Rheni tractum sitis semper claruit ac famosa fuit...” „...quo ecclesiae gloriam ac chori honorem semper desideraverim“. Hieronimus, LO Basel (wie Anm. 49), 113. „... nusquam enim literis inveniuntur exaratae, sed tantum hominum memoriae, quae omnino labilis est, hactenus fuerunt commendatae...” „... nam quibus opusculum de re ceremoniali potissimum consecrari debuit, quam vobis illarum moderatoribus?“. Hieronimus, LO Basel (wie Anm. 49), 113. Vgl. aus den zahlreichen Übersichten Eric Palazzo, Histoire des livres liturgiques. Le Moyen Age. Des orignes au XIIIe siècle, Paris 1993, 228–235; Franz Kohlschein, Der mittelalterliche Liber Ordinarius in seiner Bedeutung für Liturgie und Kirchenbau, in: Heiliger Raum. Architektur, Kunst und Liturgie in mittelalterlichen Kathedralen und Stiftskirchen, hg. von

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quando et quomodo cantandum sit vel legendum, chorus regendus, campanae pulsandae, luminare accendendum“53. Diese Charakterisierung weist nicht nur auf den weit gespannten Regelungsbedarf der mittelalterlichen Liturgie hin, dem ein Liber Ordinarius genügen sollte, sie lässt auch vermuten, dass die Ordinarien höchst unterschiedlich ihrem Handbuchcharakter gerecht wurden. Schon die vielfältigen Bezeichnungen beweisen die Vielgestaltigkeit dieses Buchtyps, der auch unter Begriffen wie „Ordo officiorum“, „Ordinale“, „Breviarium“, „Directorium chori“, aber auch – vornehmlich in klösterlichem Umfeld – „Consuetudo“, „Liber consuetudinum“ u. ä. firmiert54. Trotz aller Differenzen in Bezeichnung, auch inhaltlicher Konzeption und Gestalt lassen sich doch einige gemeinsame Merkmale erkennen, die knapp so zusammengefasst werden können: 1. Der Liber Ordinarius beschreibt detailliert die gottesdienstlichen Gewohnheiten an einer ganz bestimmten Kathedrale, Stifts-, Kloster- oder Pfarrkirche oder eines bestimmten Verbandes (Ordensfamilie, Diözese). Sie kodifizieren dabei in der Regel den Ortsbrauch, wie er sich zur Zeit der Abfassung darstellt, aber vielfach schon seit längerem geübt wird. 2. Der Liber Ordinarius ist zumeist nach dem Ablauf des liturgischen Jahres geordnet. Dabei können Temporale (Herrenfeste in Woche und Jahr) und Sanktorale (Heiligengedenktage) ineinander gefügt sein, vor allem bei jüngeren Exemplaren aber auch getrennt erscheinen. 3. Der Liber Ordinarius notiert in der Regel nur die Initien der liturgischen Texte (Lesungen, Gesänge, Gebete) in der Reihenfolge ihres Vorkommens in der Feier von Messe und Tagzeitenliturgie. Verbunden damit sind mehr oder

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Franz Kohlschein, Peter Wünsche (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen, 82), Münster 1998, 1–24. Die umfassende Darstellung von Martimort, Les „ordines“ (wie Anm. 23) bringt eine Auflistung der editieren und kommentierten Libri Ordinarii, ergänzt in der Rez. von Martin Klöckener, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 42 (2000), 116–118, hier 117–118 sowie von Bärsch, Liber ordinarius (wie Anm. 28), 37–40. Inzwischen sind weitere Ergänzungen notwendig. Wir nennen exemplarisch: Bonn, Cassisusstift – Märtyrergrab – Kirchenraum – Gottesdienst, Band 2: Interdisziplinäre Studien zum Bonner Cassiusstift, hg. von Andreas Odenthal, Albert Gerhards (Studien zur Kölner Kirchengeschichte, 36), Siegburg 2008, 163–180 (13. Jh.), 181–303 (1613); Cosenza – Il „Liber usuum Ecclesiae Cusentinae“ di Luci di Casamari arcivescovo di Consenza (Bibliotheca Casaemariensis, 4), Casamari 2000; Mainz – Franz Rudolf Weinert, Mainzer Domliturgie zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Der Liber Ordinarius der Mainzer Domkirche (Pietas Liturgica. Studia, 20), Tübingen–Basel 2008; Montecassino/ Benevent – Thomas Forrest Kelly, The Ordinal of Montecassino and Benevento. Breviarium sive Ordo Officiorum 11th Century (Spicilegium Friburgense, 45), Fribourg 2008. Zitiert nach Charles du Fresne Du Cange, Glossarium ad scriptores mediae et infimae latinitatis, Band 6, Nouvelle Edition par Léopold Favre, Niort 1886, 57. Vgl. Bärsch, Liber ordinarius (wie Anm. 28), 21–22, Anm. 75–76.

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weniger ausführliche Hinweise zu den gottesdienstlichen Handlungen und Handlungsträgern. Hier neigen wiederum vor allem die jüngeren Ausgaben zu akribisch genauen Beschreibungen mit detaillierten Angaben zu Vorbereitungen (Kerzen, Geläut, Gewandung, sonstige Requisiten), zu Prozessionswegen und -stationen und weiteren dramatisierenden Formen der „szenischen Liturgie“. 4. Der Liber Ordinarius stellt ein reines Gebrauchbuch dar, das aber nicht wie sonstige liturgische Bücher direkt im Vollzug des Gottesdienstes benutzt wird55, sondern vor allem bei der Vorbereitung der Feiern (liturgische Dienste, Küster, Zeremoniar) und gelegentlich zur Ausbildung der Scholaren oder Kindermönche an Dom- und Klosterschulen Verwendung findet56. Als „Sakristeibuch“ weist es in der Regel deshalb kaum Buchschmuck auf und erhebt auch in der Schriftgestaltung zumeist keinen repräsentativen Anspruch57. Überblicken wir einige der hervorstechenden Motive zur Abfassung der Libri Ordinarii, kann festgehalten werden, dass dabei nicht spezifisch rechtliche Bestimmungen oder kanonistische Überlegungen im Vordergrund standen. Es waren zunächst vorrangig von den liturgischen Gegebenheiten diktierte Gründe, die eine solche Buchgattung wünschenswert erscheinen ließen. Allerdings ist zu bedenken, dass die schriftliche Fixierung liturgischer Texte und Riten immer

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Einzelne Exemplare sind offenbar auch als liturgische Bücher im engeren Sinne benutzt worden. Dies gilt vermutlich dann, wenn für einzelne Feiern und Feiersequenzen nicht nur die Initien, sondern die vollständigen Texte (ggf. neumiert) angegeben sind. Vgl. Peter Wünsche, Kathedralliturgie zwischen Tradition und Wandel. Zur mittelalterlichen Geschichte der Bamberger Domliturgie im Bereich des Triduum Sacrum (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen, 80), Münster 1998, 55. Dabei ist nicht nur an die Unterrichtung über die Riten zu denken, mit denen die Scholaren ja selbst befasst waren, gelegentlich finden sich in Ordinarien auch Zitate aus Liturgiekommentaren, die an einen umfangreichen Unterricht „in liturgicis“ denken lassen. Sicher sind solche Interpolationen auch an den Klerus gerichtet, um ihm Hinweise zum Verständnis eines Ritenelements zu geben. Vgl. Kohlschein, Liber Ordinarius (wie Anm. 52), 3, Anm. 10. Allerdings gibt es auch Ordinarien, die in repräsentativer Ausstattung erschienen sind. Während die älteste überlieferte Handschrift des Ordinarius aus dem Frauenstift Essen (zwischen 1370 und 1393 verfasst [Essen, Domschatzkammer, Hs. 19]) sich durch flüchtige Kursive mit vielen Abbreviationen auszeichnet, zeigt eine jüngere Schwesterhandschrift eine größere Kunstfertigkeit und Sauberkeit in der Schriftgestaltung, bei der, im Gegensatz zum älteren Werk, jede Seite in zwei Kolumnen angelegt ist und wohl Ende des 15. Jahrhunderts, vermutlich von den Fraterherren in Köln geschrieben wurde (Düsseldorf, Univ.-Bibl., Ms. C 47, Essen). Vgl. Gerhard Karpp, Bemerkungen zu den mittelalterlichen Handschriften des adligen Damenstifts in Essen (9.-19. Jahrhundert). Bibliotheksgeschichte, Handschriftenbestand, Einbände, Stempelverzeichnis und bibliothekarische Einträge, in: Scriptorium 45 (1991), 163–204, hier 174.

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auch unter dem Aspekt der Normierung und Sicherung stand und damit nicht unwesentlich von rechtlichen Kategorien umgriffen war58. Mit diesen liturgieimmanenten Motiven vermischten allerdings weitere, institutionsstützende und verfassungsorganisatorische Impulse, die die Fixierung von gottesdienstlichen Traditionen in den Horizont der Legitimierung des kirchlichen Selbstbewusstseins stellten. Recht bald kam mit dem Argument der Einheit der Liturgie in einer Kirche (Kathedrale und Kathedralstift, mit Auswirkungen auf die Stiftskapitel und Pfarreien der Domstadt und dann des Bistums, oder Stift und Stiftsverfassung als selbstständige ekklesiologische Größe) eine weitere, auch theologisch untermauerte, und später deutlich ausgeweitete Begründung hinzu. Aber auch wenn dies nicht ausdrücklich in den Quellen vermerkt wurde, darf wohl vermutet werden, dass die Aufzeichnung eines Liber Ordinarius bereits in sich die Forderung enthielt, die hier skizzierten gottesdienstlichen Gewohnheiten auch faktisch in der Feier zu beachten. Sollte er doch gerade jegliche Unsicherheiten und Meinungsverschiedenheiten über den Lokalbrauch vermeiden und zielte damit auf den regelkonformen Vollzug. Schon die Anlage vieler Ordinarien als Gebrauchsbuch zeigt, dass sie nicht zuerst im Sinne einer symbolischen Darstellung der alten liturgischen Tradition gedacht waren, sondern der tatsächlich gefeierten Liturgie dienten, die freilich ihrerseits wesentlich das Selbstverständnis der jeweiligen Kooperation mitbestimmte. Damit verbanden sich durchaus auch implizit disziplinierende Maßnahmen wie die immer wieder beklagte Präsenzverpflichtung des Klerus oder die genaue Beachtung der im Ordinarius niedergelegten Rubriken59. Was hier eher allgemein als Gründe für die Entstehung der Libri Ordinarii namhaft gemacht werden konnte, ist nun anhand konkreter Quellen zu überprüfen und detaillierter zu betrachten. Dabei wird zugleich zu fragen sein, inwiefern auch explizit rechtsverbindliche Aussagen und Verfügungen getroffen wurden.

3. Rechtlich-institutionelle Aussagen in Libri Ordinarii Im Folgenden sollen einige Beispiele herausgegriffen und hinsichtlich unserer Frage analysiert werden. Dabei beschränken wir uns hier auf Ordinarien aus Kathedral- und Stiftskirchen, die in ihrer verfassungsrechtlichen Gestalt eine größere Nähe zueinander aufweisen. Ausgeklammert bleiben Libri Ordinarii aus 58

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Vgl. den historischen Rückblick bei Stephan Haering, Liturgie und Recht, in: Theologie des Gottesdienstes, Band 2 (Gottesdienst der Kirche, 2.2), Regensburg 2008, 403–454, hier 413–416. Vgl. dazu etwa Neuheuser, Stift und Sinnstiftung (wie Anm. 46), 34–41.

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monastischen Ordensgemeinschaften, da hier noch einmal weitere Aspekte (spirituelle Motive, ordenseigene Traditionen, Klosterverbände, Verbindung von Consuetudines und Ordinarius) zu berücksichtigen sind, was hier nicht geleistet werden kann60. In der Sache beschränken wir uns auf die Untersuchung des Titels, des Vorworts oder ähnlicher einführender Passagen, da hier – wie bereits erwähnt – am ehesten Aussagen zum Grund der Abfassung, zum Geltungsbereich und zum Verpflichtungscharakter der jeweiligen Handschrift erwartet werden dürfen.

3.1. Der Liber Ordinarius des Frauenstifts Essen (1370/1393) Aus dem Frauenstift Essen ist ein Liber Ordinarius überliefert, der zwischen 1370 und 1393 von zwei Händen geschrieben wurde und auf eine ältere, heute verschollene Vorlage zurückgeht61. Ihm ist kein Prolog im eigentlichen Sinne vorangestellt. Er beginnt mit dem trinitarischen Votum und listet dann die von der Handschrift selbst rubrizierten Zwischenüberschriften auf, gibt also eine Übersicht über den Inhalt des Buches62. Dennoch lassen sich einige Beobachtungen für unsere Frage an die Formulierung des Titels anschließen, mit dem sich das Werk selbst präsentiert: Ordinarius canonicorum ecclesie Assindensis de officiatione monasterii. Zunächst ist festzuhalten, dass der Leitbegriff „Ordinarius“ unmissverständlich die Regelungskraft dessen reklamiert, was das Buch im Folgenden zu ordnen und anzuweisen angibt. Es versteht sich nicht einfach als ein „unverbindliches“ Caeremoniale, sondern nimmt selbstbewusst den Titel „Regelbuch“ für sich Anspruch. Mit anderen Worten: Der „Ordinarius“ tritt entschieden mit der Forderung eines Regelwerks auf, dessen Direktiven zweifelsfrei zu befolgen sind. Der Essener Ordinarius spricht zweitens von „Kanonikern“ und verweist damit auf die dem Frauenstift angegliederte Klerikergemeinschaft, die sich etwa

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Vgl. Bärsch, Liber ordinarius (wie Anm. 28), 30–31 und die ergänzenden Hinweise in der Rezension von Angelus A. Häußling, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 49 (2007), 55–56. Der Ordinarius ist vollständig ediert von Franz Arens, Der Liber ordinarius der Essener Stiftskirche. Mit Einleitung, Erläuterungen und einem Plan der Stiftskirche und ihrer Umgebung im 14. Jahrhundert, Paderborn 1908. – Eine Teiledition und ein ausführlicher Kommentar findet sich bei Jürgen Bärsch, Die Feier des Osterfestkreises im Stift Essen nach dem Zeugnis des Liber ordinarius (zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts). Ein Beitrag zur Liturgiegeschichte der deutschen Ortskirchen (Quellen und Studien. Veröffentlichungen des Instituts für kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen, 6), Münster 1997. Vgl. Bärsch, Osterfestkreis (wie Anm. 61), 6.

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um 1200 zusammengeschlossen hatte63. Diese aus zwanzig Kanonikern bestehende Gruppe war für die Feier der Gottesdienste und für Seelsorgsaufgaben im Stift zuständig und stand damit im Dienst der Frauenkommunität, suchte aber daneben auch einen gewissen Eigenstand zu erreichen und auszubauen. Dieser Hintergrund mag eine Rolle gespielt haben für die Kodifizierung des Liber Ordinarius. Denn der programmatische Titel lässt vermuten, dass es sich hier keineswegs um eine rein pragmatische Schrift handelt, die allein dem Informationsbedürfnis des Dienst tuenden Klerikers dienen will, sie versteht sich offenkundig auch als selbstbewusstes Pendant zum Ordinarius des Frauenkonventes, der zwar verloren gegangen ist, auf den der Ordinarius der Kanoniker aber gelegentlich verweist. Ausdrücklich stellt er sich mit dem Anspruch vor, das gottesdienstliche Leben der Kanonikergemeinschaft eigenständig zu regeln und festzulegen64. Der Verpflichtungscharakter dessen, was hier für die Feier der Liturgie dargelegt ist, äußert sich demnach nicht in expliziten Aussagen, sondern in der Funktion des Ordinarius als Buch der Kanoniker. Dies wird einmal mehr unterstrichen durch die nähere Bestimmung der Kleriker als Kanoniker der „Essener Kirche“. Wenn damit nicht nur das Kirchengebäude der Essener Münsterkirche, sondern auch die Ortskirche von Essen gemeint ist, steht dies, trotz aller Beschränkungen durch das hoch- und spätmittelalterliche Papsttum, noch ganz in der spätantik-frühmittelalterlichen Tradition, wonach die (bischöflich geleitete) Teilkirche in weiten Belangen, so auch im gottesdienstlichem Bereich, als Eccelsia localis Selbststand besaß65. Hier werden also die Kanoniker als Liturgen und Seelsorger der gesamten Stifts- und Stadtgemeinde Essen mit ihrer Stiftskirche und den Pfarrkirchen St. Johann und St.

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Vgl. Thomas Schilp, Der Kanonikerkonvent des (hochadligen) Damenstiftes St. Cosmas und Damian in Essen während des Mittelalters, in: Studien zum weltlichen Kollegiatstift in Deutschland, hg. von Irene Crusius (Veröffentlichung des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 114; Studien zur Germania Sacra, 18) Göttingen 1995, 169–235. Dies lässt sich besonders deutlich bei den Gottesdiensten im Umfeld von Sterben und Tod der Stiftsdamen erkennen. Hier ist der Ordinarius weniger auskunftsfreudig und beschränkt sich vornehmlich auf die damit verbundenen Dienste und Aufgaben der Kanoniker. Vgl. Jürgen Bärsch, Totenliturgie im spätmittelalterlichen Frauenstift Essen. Die Exequiis mortuorum nach dem Liber Ordinarius, in: The Liber ordinarius as a source for cultural history, hg. von Louis van Tongeren, Ike de Loos [im Druck]. Vgl. hierzu die knappen Übersichten Georges Dejaifive, Die bischöfliche Kollegialität in der lateinischen Tradition, in: De Ecclesia. Beiträge zur Konstitution „Über die Kirche“ des Zweiten Vatikanischen Konzils hg. von Guilherme Baraúna, Freiburg u. a. 1966, Band 2, 148–165, hier 158–160; Heribert Müller, Art. Kirche. I. Kirche und Kirchenorganisation, in: Lexikon der Mittelalters 5 (1991), 1161–1165.

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Gertrud vorgestellt66. Auch wenn die Münsterkirche nicht die Würde einer Kathedrale besaß, so war doch die politische und geistliche Macht der Essener Äbtissin im 14. Jahrhundert soweit gestärkt, dass die selbstbewusste Rede von der Ecclesia Assindensis durchaus dem Selbstverständnis der Äbtissin, des Stiftes und im 13. und 14. Jahrhundert in zunehmendem Maße auch der Kanoniker entsprach. Insofern wird mit der Bestimmung der Essener Kirche sowohl ein territorialer wie vor allem ekklesiologischer Rahmen abgesteckt, der den Geltungsanspruch des im Ordinarius geregelten, auf teilkirchliche Traditionen gründenden Gottesdienstes nachdrücklich hervorhebt. Wir können also festhalten: Auch wenn der Essener Liber Ordinarius keine expliziten Rechtsaussagen trifft, zeigt aber der ambitionierte Titel selbst, welchen „gebieterischen“ Charakter die Handschrift hinsichtlich der Kanoniker an dieser Kirche und in Abgrenzung zur Frauengemeinschaft beansprucht. Denn die Befolgung dessen, was der Ordinarius deskriptiv darlegt, durfte als Ausweis der eigenen Tradition und des gewachsenen Selbstbewusstseins gelten.

3.2. Der Liber Ordinarius der (Kathedral-)Kirche von Paderborn (1324) Ein weiteres Zeugnis für die weitgehende bischöfliche Eigenständigkeit in der Regelung des Gottesdienstes einer Teilkirche bietet der Paderborner Liber Ordinarius von 132467. Wie das als „Praefatio“ bezeichnete Vorwort ausweist, ließ ihn Bischof Bernhard V. zur Lippe († 1341)68 aus den alten liturgischen Büchern des Domkapitels zusammenstellen und auf der Diözesansynode von 1324 als „Ordinarius“ herausgeben. In der Überschrift ist zunächst eindeutig vom Ordinarius divini officii cathedralis ecclesiae Paderbornensis die Rede69. Entsprechend verfügt denn auch die Praefatio, „quod quicunque praelatus aut clericus post publicationem sine consilio sui episcopi et capituli simul aliqua in isto ordine mutaverit, ipso facto in anathemate sit“70. Demnach enthält der Liber Ordinarius die rechtlich verbindliche Ordnung für die Domliturgie und die private Re-

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Vgl. dazu jetzt Thomas Schilp, Die Pfarreien des Frauenstifts Essen, in: Frauenstifte – Frauenklöster und ihre Pfarreien, hg. von Hedwig Röckelein (Essener Forschungen zum Frauenstift, 7), Essen 2009. Vgl. Franz Kohlschein, Der Paderborner Liber Ordinarius von 1324. Textausgabe mit einer strukturgeschichtlichen Untersuchung der antiphonalen Psalmodie (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte, 11), Paderborn 1971. Vgl. Hans Jürgen Brandt, Karl Hengst, Die Bischöfe und Erzbischöfe von Paderborn, Paderborn 1984, 141–144. Kohlschein, LO Paderborn (wie Anm. 67), 157 (fol. 9). Kohlschein, LO Paderborn (wie Anm. 67), 159 (fol. 10).

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zitation des Stundengebets durch den Kathedralklerus71. Ausdrücklich wird unter Androhung des „Anathema“ bestimmt, an dieser Ordnung dürfe ein Kanoniker nichts ohne Konsultation mit Bischof und Kapitel ändern72. Die Regelungsbefugnis der Domliturgie untersteht also dem Bischof und dem Kapitel als rechtliche Institution. Der einzelne Domkleriker ist daran gebunden. Damit ist der Ordinarius Paderbornensis als ein rechtlich verbindliches Regelwerk zu betrachten, dessen Nichtbeachtung mit dem „Anathema“ eine hohe Sanktionskraft nach sich zieht. Eine weitere Beobachtung muss darüber hinaus unser Interesse beanspruchen. Denn obgleich der Titel die Handschrift als „Domordinarius“ ausweist, erwähnt die Praefatio die Zuweisung an die „Ecclesia cathedralis“ nicht mehr. Auch dass der Domordinarius, obgleich doch eine interne Angelegenheit zwischen Bischof und Kapitel, auf einer Diözesansynode proklamiert wird und damit Rechtskraft erhält, ist bereits bemerkenswert. Tatsächlich finden sich im Ordinarius selbst eine Reihe von Indizien, die annehmen lassen, hier gehe die Regelungskompetenz über die Domliturgie hinaus. So wird angeordnet, alle Konvents- und Pfarrkirchen sollen ihre Kalendare auf das Kalendar des Domes abstimmen73, wie für jede Kirche eigens bestimmt wird, wie das Patronats- und Dedikationsfest zu feiern ist74. Auch hinsichtlich des Gesangs der Schriftlesungen haben sich alle Priester, Diakone und Subdiakone nach der Consuetudo des Domes zu richten75. Zudem fällt im Temporale des Ordinarius auf, dass verschiedentlich nach der Nennung eines liturgischen Textes innerhalb des Offiziums ein zweiter Text angefügt ist, dem die Rubrik „in choro autem“, „sed in choro“ o. ä. vorangeht76. Offenbar war in diesen Fällen für die Kathedralliturgie („in choro maioris ecclesiae“) eine abweichende Sonderform vorgesehen. Und schließlich ist beachtenswert, dass der Ordinarius 71

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Zur zunehmenden Einzelrezitation des Offiziums als Ersatz für die gemeinschaftliche Feier im Chor seit dem 13. Jh. vgl. Pierre Salmon, Die Verpflichtung zum kirchlichen Stundengebet. Geschichtliches und Liturgisches, in: Brevierstudien, hg. von Josef Andreas Jungmann, Trier 1958, 85–116, hier 98–107. Vgl. Kohlschein, LO Paderborn (wie Anm. 67), 159, Anm. 5. „... et mandamus, ut omnes ecclesiae tam conventuales quam aliae parochiales calendaria sua habeant et corrigant secundum calendarium ecclesiae Paderbornensis maioris et festa infrascripta Christi fideles teneant...“, Kohlschein, LO Paderborn (wie Anm. 67), 159 (fol. 10). „Praeterea quaelibet ecclesia festum sui patroni et dedicationis cum celebratione sui populi tantum solemniter peragant“, Kohlschein, LO Paderborn (wie Anm. 67), 160 (fol. 11). „Item districte praecipiendo mandamus, quod quilibet sacerdos, diaconus vel subdiaconus per dioecesim nostram unum modum habeant in legendo et accentuando epistolas et evangelia secundum consuetudinem nostram maioris ecclesiae...“, Kohlschein, LO Paderborn (wie Anm. 67), 162 (fol. 14). Vgl. Kohlschein, LO Paderborn (wie Anm. 67), 164 (fol. 15), 172 (fol. 22r), 173 (fol. 23), 174 (fol. 24) u. ö.

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im Gegensatz zum parallel entstandenen „Processionarius“ des Domes bei der Darstellung der Feier der Heiligen Woche keine detaillierten Ortsangaben bietet, sondern eher allgemeine Anweisungen enthält, die eben auch unabhängig vom Dom und seiner Topographie adaptierbar waren77. Bezieht man die genannte Veröffentlichung des Ordinarius auf der Diözesansynode in diese Überlegungen mit ein, legt sich der Schluss nahe, der hier aus den alten, überlieferten Gepflogenheiten der Kathedrale zusammengestellte Liber Ordinarius bildet eine Gottesdienstordnung, die auf der erwähnten Synode 1324 für die gesamte Diözese verbindlich gemacht wurde und die Einheit des liturgischen Lebens in der Kirche von Paderborn sichern sollte. Dafür spricht eine Reihe von ergänzenden Gründen. So es ist auffällig, dass seit dem 13./14. Jahrhundert vermehrt Synodalbestimmungen fordern, die Stifte und Pfarreien sollten sich in der Feier des Kirchenjahres der Ordnung der Kathedralkirche anschließen und entsprechend ihre Kalendare korrigieren. Radulf de Rivo († 1403), der gegen die „neurömischen“, d. h. die kurialen und franziskanischen Entwicklungen der Liturgie kämpfte78, zitiert in seiner Abhandlung „Liber de officiis ecclesiasticis et cetera“ das Statut der Kölner Synode von 1308: „Ut uniformitas in observantia divinorum et festorum sanctorum, quae per anni circulum occurunt, observetur, districte praecipimus et mandamus, ut omnes ecclesiae tam conventuales quam parochiales calendaria sua habeant et corrigant secundum calendarium nostrae ecclesiae maioris Coloniensis.“ Im Anschluss daran greift Radulf sodann die Anweisung der Lütticher Synode von 1287 auf: Item districte praecipimus sub poena excommunicationis tam decanis conventualium ecclesiarum quam sacerdotibus parochialibus et aliis civitatis et dioecesis Leodiensis, quod calendaria ecclesiarum suarum corrigant ad calendarium eiusdem maioris ecclesiae. Et ordinarium habeant et teneant maioris ecclesiae Leodiensis...79.

Vergleicht man diese Synodalstatuten mit den genannten Anweisungen des Paderborner Ordinarius, sind die Parallelen unübersehbar. Obwohl Paderborn zur Kirchenprovinz Mainz gehörte, finden wir die entsprechenden Passagen zur Kalenderkorrektur aus Köln und Lüttich in der Paderborner Handschrift wieder80.

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Vgl. Kohlschein, LO Paderborn (wie Anm. 67), 17. Vgl. Angelus A. Häußling, Art. Radulfus de Rivo, in: Lexikon der Mittelalters 7 (1995), 394. 79 Cunibert Mohlberg, Radulph de Rivo, der letzte Vertreter der altrömischen Liturgie, Band 2, Münster 1915, 30–31. 80 Vgl. Kohlschein, LO Paderborn (wie Anm. 67), 159 (fol. 10). 78

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Da darüber hinaus vergleichbare Synodalbestimmungen aus Mainz (1233), Brixen (1449), Magdeburg (1505), Regensburg (1505) bekannt sind81, darf vermutet werden, dass in jener Zeit eine auf die Ordnung der Kathedrale gründende Diözesanliturgie allgemein angestrebt wurde. So fordern etwa die Breslauer Synodalstatuten, in den einzelnen Kirchen sollten die Priester vor Beginn der Vesper einsehen, wie Offizium und Messe des folgenden Tages nach den Angaben des Ordinarius zu verrichten seien82. Das Breslauer Beispiel zeigt darüber hinaus, dass diese Bestimmungen durchaus die Souveränität der Stifte in liturgicis beschneiden konnten, denn die überlieferte Gottesdienstordnung der Breslauer Kathedrale war bereits für das Kollegiatstift in Neiße verfasst, wo nun im Zuge der reformatorischen Wirren und Kämpfe der Bischof residierte83. Ähnliche Beispiele sind auch aus Bamberg bekannt. Hier übernahmen die Stiftskirchen St. Gangolf und St. Stephan mittels am Dom verfasster Handschriften in adaptierter Form die Ordnung der Bamberger Kathedrale84. Dass sich die zunehmende Anpassung des gottesdienstlichen Lebens im Bereich einer Diözese, ausgerichtet an der Ordnung der Mutterkirche des Bistums, sogar auf die Klosterkirchen ausdehnen konnte, lässt sich schließlich am Ordinarius von Linköping ersehen. Anlässlich der Weihe des Birgittinerklosters Vadstena 1384 überreichte der Bischof von Linköping, Nicolaus Hermanni († 1391), zugleich Visitator des Klosters, den Brüdern „hunc infrascriptem ordinem“, der die Liturgie der Bischofskirche beschrieb85. Weil gemäß der Regel des Birgittinerordens die Klöster nicht exemt waren, sondern eine enge Beziehung zum jeweiligen Bistum auch hinsichtlich der Liturgie pflegen sollten, bestand hier Ord81 82 83 84

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Vgl. die Angaben bei Paul Séjourné, L´Ordinaire de S. Martin d´ Utrecht (Bibliotheca liturgica Sancti Willibrordi, 1), Utrecht 1919–1921, 20. Vgl. Helmut Sobeczko, Die Liturgie an der Breslauer Kathedrale nach einem vortridentinischen Liber Ordinarius aus dem Jahre 1563, Opole 1993, 528. Vgl. Sobeczko, LO Breslau (wie Anm. 82), 528. Der Ordinarius für St. Gangolf wurde im späten 14., frühen 15. Jahrhundert am Dom geschrieben, war aber für den Gebrauch an der Stiftskirche gedacht. Durch Nachträge auf Seitenrändern und auf eingebundenen Zetteln passte man die Ordnung an die örtlichen Gegebenheiten an und hielt sie (noch bis 1574) auf dem neuesten Stand. – Der Ordinarius von St. Stephan ist eine adaptierte Bearbeitung des Domordinarius (1486/91), mit diesem fast wortgleich und entstand um 1582. Vgl. Wünsche, Kathedralliturgie (wie Anm. 55), 58, 62. So in der Prefacio: „Et quia in regula sancti Saluatoris ordinatum existit, quod fratres conuentuales dicti monasterii officium quod habetur in ecclesia cathedrali cotidie decantabunt, idcirco prefatus dominus N. episcopus Lyncopensis auctoritate ordinaria sibi a Christo et apostolica sede commissa predictis conuentualibus et eorum successoribus ad diuinum officium peragendum in dicto monasterio secundum morem cathedralis ecclesie hunc infrascriptum [ordinem] tradidit imperpetuum inuiolabiliter obseruandum“, Sven Helander, Ordinarius Linköping und seine liturgischen Vorbilder, Uppsala 1957, 287.

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nungsbedarf, dem der Bischof durch die Übergabe einer Abschrift des Kathedralordinarius begegnete. Auch wenn es in der Praxis durchaus Abweichungen zwischen Dom- und Klosterliturgie gab, bleibt doch die Tendenz unverkennbar, auf eine einheitliche Liturgie innerhalb eines Bistums zu drängen86. Im Hintergrund der hier zu beobachtenden Entwicklungen stehen Auffassungen, die sich seit dem 12. Jahrhundert, dann vermehrt im 13. Jahrhundert durchsetzten. Demnach sollten Kleriker mit höherer Weihe, die außerhalb einer kanonikalen Ordnung lebten, die Stundenliturgie in gleichem Ausmaß verrichten wie die Kanoniker87. Dafür bedurfte es auch in den Pfarrkirchen und für die Einzelrezitation neben den entsprechenden liturgischen Büchern (Breviere etc.88) einer Ordnung, die sich im Liber Ordinarius fand, der nun für die ganze Diözese verbindlich sein sollte. Dass dabei der Gottesdienstordnung der Kathedrale die normierende Rolle zukam, war begründet in der ekklesiologischen Verbindung zwischen dem Dom als Mutterkirche des ganzen Bistums und den Pfarrkirchen. Entsprechend bildete sich die Vorstellung aus, das Stundengebet des Klerus in der Diözese stelle eine Ausweitung des Stundengebets der Kathedrale dar89, weshalb die Salzburger Synode 1386 in can. 1 bestimmte: „Alle Weltgeistlichen müssen sich im Psallieren und im divinum officium ganz nach der Art und Weise der Kathedrale richten“90. Die gleiche Ordnung des Gebetes sollte beitragen, dass der einzelne Kleriker in Gebetsverbindung mit den übrigen Klerikern stand, „die in ihren Ortskirchen zur gleichen Stunde dieselben Gebete sangen, und alle waren im Geist um die »ecclesia senior« versammelt, in welcher der Bischof den Vorsitz führte“91. 86 87 88

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Vgl. Helander, LO Linköping (wie Anm. 85), 407–415. Vgl. Salmon, Verpflichtung (wie Anm. 71), 99–106. Da bis ins Hochmittelalter der Pfarrer vielfach in einer klerikalen Gemeinschaft lebte, denen die Aufgaben der Seelsorge und des Stundengebets oblag, hat es auch an Pfarrkirchen eine Reihe von verschiedenen Büchern für die Feier der Tagzeiten gegeben. Inventare aus englischen Pfarrkirchen belegen die Existenz einer Vielzahl von für das gemeinsame Stundengebet nötiger Bücher (vgl. Suitbert Bäumer, Geschichte des Breviers. Versuch einer quellenmäßigen Darstellung der Entwicklung des altkirchlichen und des römischen Officiums bis auf unsere Tage, Freiburg 1895 [Nachdruck Bonn 2004], 352, Anm. 2). – Allerdings setzte sich mit der zunehmenden Einzelrezitation des Stundengebets und den technisch-ökonomischen Möglichkeiten (Papierherstellung) Sammelschriften durch, in der der Einzelbeter alle notwendigen Texte zusammengebunden fand. Diese Buchgattung erhält bald den Namen „Breviarium“, der sich dann in der katholischen Kirche bis zur Neuordnung des Zweiten Vatikanischen Konzils durchsetzt, vgl. Klöckener, Häußling, Liturgische Bücher (wie Anm. 22), 363–365 (Literatur). Vgl. Pierre Salmon, Das Stundengebet, in: Handbuch der Liturgiewissenschaft, Band 2, hg. von Aime-Georges Martimort, Freiburg–Basel–Wien 1965, 326–422, hier 402. Zitiert nach Kohlschein, LO Paderborn (wie Anm. 67), 8–9. Salmon, Stundengebet (wie Anm. 89), 402–403.

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Dabei kann schließlich nicht übersehen werden, dass die Verbreitung des gekürzten Offiziums der römischen Kurie durch den Franziskanerorden in ganz Europa zu entsprechenden konservativen Abwehrhaltungen in den Bistümern führte92. Hier wollte man den überkommenen Brauch der Lokalliturgie nicht einfach aufgeben zugunsten des „modernen“ Offiziums. Gerade auch deshalb bedurfte es nun vermehrt Bücher, in denen die Liturgiefeier der Kathedrale gesammelt und geordnet greifbar war und die durch Abschriften zur Grundlage für die Feier von Stundengebet und Messe in der ganzen Diözese gemacht werden konnte. Und es dürfte kein Zufall sein, dass es eben jener Radulf de Rivo war, der in seinem Widerstand gegen die „neurömischen“ Entwicklungen die Synodalstatuten zitiert, die den Kathedralordinarius als Richtschur für die Bistumsliturgie sehen wollten.

3.3. Der Ordinarius perfectus des Trierer Erzbischofs Balduin von Luxemburg (1345) In genau dem erwähnten zeit- und liturgiegeschichtlichen Kontext ist schließlich auch der Liber Ordinarius zu sehen, den der Trierer Erzbischof Balduin von Luxemburg († 1354)93 aufzeichnen ließ und 1345 in Kraft setzte. In diesem Ordinarius perfectus war die Ordnung für die Feier der Tagzeitenliturgie, der Messe sowie des Prozessionswesens nach dem Brauch der Trierer Domkirche notiert94. Gleichwohl sollte er nach altem Herkommen und dem erklärten Willen des Erzbischofs zugleich die verbindliche Norm für das liturgische Leben in der ganzen Diözese sein, weshalb man in diesem Werk, wie Andreas Heinz zu Recht betont, auch die „Grundordnung der Trierer Diözesanliturgie“ sehen darf95. Aus diesem Grund ist der Ordinarius Balduini nicht nur häufig kopiert96,

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Stephen J. P. van Dijk, Sources of the Modern Roman Liturgy. The Ordinal of Haymo of Faversham and related documents (1243–1307) (Studia et documenta Francescana, 1–2), Leiden 1963, hier Band 1, 68–94; Edition: Band 2, 15–195. Zu Person und Werk vgl. jetzt den Sammelband: Balduin aus dem Hause Luxemburg – Erzbischof und Kurfürst von Trier, hg. von den Bistümern Luxemburg und Trier, Luxembourg 2009. Der Ordinarius perfectus bildet nach eigenen Aussagen des Erzbischofs im Prolog eine Erneuerung und Verbesserung des älteren Domordinarius, faktisch aber handelte es sich „um ein völlig neues Werk, das seiner äußeren Form und zu einem beachtlichen Teil auch seinem Inhalt nach mit dem alten wenig mehr zu tun hat.“ Kurzeja, LO Trier (wie Anm. 40), 30; vgl. auch 40f. Andreas Heinz, Der Prolog im Liber Ordinarius des Trierer Erzbischofs Balduin von Luxemburg (1308-1354). Text – Übersetzung – Kommentar, in: Kurtrierisches Jahrbuch 47 (2007), 249–267, hier 250.

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sondern – unter Auslassung der spezifischen Gewohnheiten der Domliturgie (v. a. das Kapitel über die Prozessionen) – noch fast zwei Jahrhunderte nach seiner Niederschrift 1506 in Köln gedruckt worden97. Diese Ausgabe war für das ganze Erzbistum bestimmt und hat zweifellos wesentlich mit dazu beigetragen, die Trierer Eigenliturgie auf lange Zeit zu stützen und zu stärken. Besondere Aufmerksamkeit darf dabei das umfangreiche Vorwort beanspruchen, das nicht nur Einblick in das Gottesdienst- und Kirchenverständnis des Balduin gewährt. Es zeigt auch, wie der rechtliche Verpflichtungscharakter des Ordinarius eingebunden ist in ein umfassenderes theologisch-spirituelles Programm. Dazu ist kurz der Gedankengang im Vorwort des Ordinarius Balduini zu resümieren98. Der Prolog stellt an den Beginn das Bild der Kirche als der heiligen Stadt Jerusalem, die in der Offenbarung verglichen wird mit einer „Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat“ (Offb 21,2). Dieses Bild hat die christliche Tradition bereits vorausverkündigt gesehen in der Gestalt der königlichen Braut im Psalm 44(45), die in prächtigen Gewändern und in reichem Schmuck von den Königstöchtern unter Jubel in den Palast des Königs geführt wird, wo die Hochzeitsgesänge der Braut erklingen99. Der mit reichen biblischen Bezügen100 versehene Auftakt des Prologs hebt darauf ab, dass die Königstöchter einträchtig (concorditer) im Zusammenklang der Stimmen und Herzen die „Hochzeitslie-

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Die beste und einzig vollständige Handschrift stammt aus dem 15. Jahrhundert und befindet sich in der Stadtbibliothek Trier (Hs 1737/66). Ordinarius perfectus secundum ecclesiam et diocesim Treuerensem per totum annum tam de tempore quam de sanctis etc. (Köln, Hermann Bungart 1506). Vgl. die Beschreibung bei Andreas Heinz, Die gedruckten liturgischen Bücher der Trierischen Kirche. Ein beschreibendes Verzeichnis mit einer Einführung in die Geschichte der Liturgie im Trierer Land. Festschrift für Balthasar Fischer (Veröffentlichungen des Bistumsarchiv Trier, 32), Trier 1997, 237–238. Im Folgenden greifen wir wesentlich zurück auf den theologischen Kommentar bei Heinz, Prolog LO Balduin (wie Anm. 95), 258–267. „Astitit regina, sponsa, triumphans ecclesia, uirgo... a dextris eius sponsi, regis eterni, in uestitu operum misericordie deaurato, radicata caritate, circumdata uarietate diuinorum officiorum suo sponso per anni circulum decantandorum… Postquam filie regnum adducentur in leticia et exultatione in templum regis eterni, templum pacis et concordancie perpetue, canentes concorditer epytolamia sponse sponsi pertinencia”, Heinz, Prolog LO Balduin (wie Anm. 95), 251. – Das Psalmwort von der schön geschmückten Braut (Ps 44[45],10) wird in einer Handschriftenredaktion des Rationale des Durandus aus den ersten Jahren des 14. Jahrhunderts im Sinne der reichen liturgischen Traditionen der Kirche gedeutet. Vgl. Durandus, Rationale, Prohemium 13 (CChr.CM 140, 8). Im Hintergrund stehen nicht nur Ps 44(45) und Offb 21. Auch die von Hld 4 beeinflussten Kerngedanken der paulinischen Ehetheologie in Eph 5,23-32 sind hier eingeflossen. Vgl. Heinz, Prolog LO Balduin (wie Anm. 95), 258–260.

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der der Braut“, die Gesänge der Kirche (epytolamia)101 anstimmen, in denen die Gesänge für den König, die Lieder dem Bräutigam zu Ehren erkannt werden können. Im nachfolgenden Abschnitt wird diese biblische Bildrede mit ihren theologischen Implikationen aufgelöst. Balduin selbst tritt als Sprecher auf und schaut sehnsuchtsvoll auf das eschatologische Ziel, an dessen Frieden und immerwährender Eintracht er zusammen mit seiner ihm anvertrauten Herde auf ewig teilzuhaben hofft102. Im Sinne des religionsgeschichtlich bekannten Motivs der irdisch-himmlischen Spiegelung103 wünscht und will er, „Treuericam ecclesiam militantem sancte uniuersali ecclesie triumphanti in horarum concordanciam prout humanitus fieri poterit, desideramus coequare et concordantem diuinis in officiis ordinare“104. Wie Heinz zu Recht bemerkt, sieht der Prolog den Gottesdienst nicht vordergründig als belastendes officium, das als fromme Leistung zu persolvieren sei, worauf dann gewissermaßen auch der erarbeitete Lohn von Gott erwartet werden dürfe. Der Prolog betont vielmehr den Gedanken, dass die liturgiefeiernde Kirche auf Erden teilnimmt an der Liturgie der „heiligen und universalen Kirche“. Die ecclesia uniuersalis ist dabei keineswegs, wie es später der Fall sein wird, auf die römisch-katholische Kirche bezogen, sondern auf die allumfassende Versammlung aller Erlösten im himmlischen Jerusalem (vgl. Hebr 12,22). Insofern sah Balduin offenbar die römische Kirche nicht anders als die Trierische oder eine andere Teilkirche im Verband der ihrem Ziel entgegen pilgernden ecclesia militans105. Die Ekklesiologie des Prologs begründet demnach auch theologisch das Recht der jeweiligen Teilkirche eine weitgehende, wenn auch nicht unbeschränkte Freiheit, die liturgischen Formen im eigenen Bereich auszugestalten. Weil Balduin sich aus den genannten ekklesiologischen Gründen gedrängt sieht, die Trierische Kirche an das Ideal eines einträchtigen, mit dem Himmel zusammenklingenden Gotteslobs heranzuführen, will er als zuständige Autorität das gottesdienstliche Leben in seinem Sprengel ordnen. 101

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Heinz weist auf diese bemerkenswerte lateinische Neuschöpfung aus dem Griechischen, von epi und thalameuma (auch thalamos) hin, weshalb man hier von „Gesängen auf dem Weg zum Brautgemach“ sprechen kann, womit eine bemerkenswerte theologische Aussage getroffen wird: Die irdische Liturgie ist demnach der immerwährende Pilgergesang des Gottesvolkes auf seiner Wanderung durch die Zeiten zum himmlischen Jerusalem. Vgl. Heinz, Prolog LO Balduin (wie Anm. 95), 260. „...pacique et concordie perpetue post hanc uitam,... iamiam totus fessus interesse cum commisso nobis grege eternaliter reficiendus, corde deuoto adoptantes“, Heinz, Prolog LO Balduin (wie Anm. 95), 251. Vgl. Arnold Angenendt, In porticu ecclesiae sepultus. Ein Beispiel von himmlischirdischer Spiegelung, in: Angenendt, Liturgie im Mittelalter (wie Anm. 16), 295–309 [Erstveröff. 1994]. Heinz, Prolog LO Balduin (wie Anm. 95), 251. Vgl. Heinz, Prolog LO Balduin (wie Anm. 95), 262.

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Die Notwendigkeit zu einer Neuordnung führt der Prolog im Folgenden aus, wenn er beklagt, dass die „Königstöchter“ – hier sind nun die über das Bistum verstreuten Kirchen gemeint – in größter Unordnung der „Braut“ – hier nun als Bild für die „Mutterkirche des Erzbistums“, den Trierer Dom – folgen. Den Grund für die Disharmonie im Gotteslob der Trierischen Kirche sieht Balduin in den Vorstehern der Kirchen, die ihrem eigenen Gutdünken bei der Feier von Messe und Tagzeitenliturgie folgen, was aber gemäß kirchlichen Vorschriften verboten ist106. Dazu beruft sich Balduin auf eine Stelle in einer Kirchenrechtssammlung, die von dem Bibelwort „Ne innitaris prudentiae tuae – Bau nicht auf eigene Klugheit!“ (Spr 3,5) ausgeht und darin eine zu tadelnde Haltung sieht107, weil sich über die Bestimmungen der Väter erhebt, wer auf eigenes Urteil baut. Um dem Übel mangelnder liturgischer Einheit in der Trierischen Kirche entgegen zu wirken, lässt der tatkräftige Erzbischof – dies wird im nächsten Abschnitt ausgeführt – den älteren Domordinarius erneuern und um einen völlig neu erarbeiteten Messordinarius ergänzen. Die Begründung für das liturgische Reformwerk des Ordinarius Balduini erfolgt also nach Ausweis des Prologs keineswegs aus einem vorrangig ordnungspolitischen Impuls, es ist vielmehr eine zutiefst theologische Bestimmung der Liturgie, die zu ihrer Neuordnung im Sinne einer Präzisierung, Verbesserung und Ergänzung führt und die Einheit befördern soll. Und auch die hier speziell interessierende rechtliche Verbindlichkeit der gottesdienstlichen Gebräuche, die Balduin mit seinem Domordinarius für die ganze Erzdiözese anstrebt, findet ihren eigentlichen Grund in einem ekklesiologisch und eschatologischen Bild der liturgiefeiernden Kirche. Der Prolog verweist dazu zunächst auf eine nicht näher identifizierbare kanonistische Quelle („distinctio XII C[onstitutionum?]“), die den Grundsatz festschreibt, die Bewohner und Kirchenoberen einer Kirchenprovinz müssen bei der Feier des Gottesdienstes die gleiche Ordnung einhalten, wie sie an der Metropolitankirche jener Provinz gilt108. Sodann schließen sich die rechtsrelevanten Bestimmungen 106

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„Nam diuersis suspiriis moti ab intimis, uidimus filias regum, id est ecclesias regencium per nostram dyocesim existencium, adduci post suam sponsam, Treuericam metropolitanam et matricem ecclesiam, non in diuinorum officiorum concordancia, ymno in maxima dissonancia eas regencium, proprio arbitrio in missis et horis canendis proh dolor utencium. Quod tamen de constitutionibus C(apitulo) Ne innitaris noscitur interdictum“, Heinz, Prolog LO Balduin (wie Anm. 95), 251–252. Wie Heinz ausführt, ist es bisher nicht gelungen, die exakte kanonistische Quelle des hier angeführten Zitats nachzuweisen. Vgl. Heinz, Prolog LO Balduin (wie Anm. 95), 263, Anm. 22. „Placuit sancto concilio, ut metropolitane sedis auctoritate coacti, uniuscuiusque prouincie ciues rectoresque ecclesiarum unum eundemque in psallendo teneant modum, quem metropolitana sede nouerint institutum.“ – Der Grundsatz zitiert wörtlich Bestim-

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an: „Ergo maxime (!) eiusdem dyocesis ecclesie suam maiorem tenentur in missis et horis canendis imitari, quia ibidem subditur: Sedes, que uniuscuiusque sacerdotalis magistra et dignitatis sit ecclesiatice magistra racionis. Ibidem etiam pena apposita uidetur, uidelicet: Contrarium facientes sex mensibus communione priuentur“109. Mit großem Nachdruck wird demnach festgelegt, dass der neue Domordinarius klar regelt, was bei der Feier von Messe und Tagzeiten zu beachten und einzuhalten ist. Das bistumsweit verbindliche Vorbild dafür ist die Domliturgie. Auch die Strafandrohung, die aus den älteren Synodalbestimmungen übernommen wird, fügt sich in das hier sichtbare Verständnis des Gottesdienstes ein: Wer die einheitliche Feier der Liturgie innerhalb einer Teilkirche durch Eigenmächtigkeiten stört und den gemeinsamen Zusammenklang von himmlischer und irdischer Liturgie beeinträchtigt, stellt sich gewissermaßen selbst außerhalb der kirchlichen Communio, die in der eucharistischen Gemeinschaft ihren tiefsten sakramentalen Ausdruck findet. Insofern ist der Ausschluss aus der Kommuniongemeinschaft nichts anderes als die folgerichtige Konsequenz und das äußerlich sichtbare Zeichen für die vom Eigensinn diktierte Feier des Gottesdienstes, der nicht mehr die Kirchengemeinschaft sucht. Es dürfte wohl kaum Zufall sein, dass diese liturgierechtliche Erklärung noch einmal durch jenes eschatologische Motiv umfangen wird, das bereits zu Beginn des Prologs entfaltet wurde: Mit Anspielungen auf Psalmworte, die von der Eintracht und Harmonie einer Hausgemeinschaft sprechen, zeichnet das Vorwort das Bild einer einträchtigen Kirche, bei der die „Königstöchter“, die Kirchen des Bistums, mit ihren gottesdienstlichen Gesängen der „Braut“, also der Bischofskirche einmütig folgen110. Zu diesem Ziel soll die hier präsentierte Neuausgabe des Trierer Domordinarius beitragen. Zweifellos handelt es sich bei diesem Vorwort des Ordinarius Balduini um ein besonders herausragendes Zeugnis für die tatkräftige Neuordnung der Liturgie einer Kathedrale und darüber eines Bistums. Beeindruckend ist die umfassende theologische Begründung, die eine einheitliche Feier des Gottesdienstes nicht als ordnungspolitische Maßnahme sieht, sondern sie wesentlich von christologischen, ekklesiologischen und eschatologischen Motiven getragen weiß. Das schließt freilich nicht aus, dass die Bestrebungen liturgischer Verein-

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mungen spätantiker und frühmittelalterlicher gallischer Synoden, so in can. 15 des Konzils von Vaunes (461/491) oder in can. 27 des Konzils von Epaon (517). Vgl. die Nachweise bei Andreas Heinz, Das gottesdienstliche Leben der Trierer Kirche in der Spätantike und in merowingischer Zeit, in: Im Umbruch der Kulturen. Spätantike und Frühmittelalter, hg. von Heinz Heinen, Hans Hubert Anton, Winfried Weber (Geschichte des Bistums Trier, 1), Trier 2003, 292, Anm. 24. Heinz, Prolog LO Balduin (wie Anm. 95), 252. Vgl. dazu und zu den theologiegeschichtlichen Hintergründen dieser Passage Heinz, Prolog LO Balduin (wie Anm. 95), 264–267.

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heitlichung im späten Mittelalter aus weiteren Antrieben erwachsen sind und sich in immer neuen Kopien und später in Form von gedruckten Ordinarien und ähnlichen Regelwerken niederschlugen. Nicht nur der Ordinarius Balduini wurde gedruckt. Vergleichbare Inkunabeldrucke sind etwa aus Brandenburg 1488111, Chur 1490112, Besançon 1495113 und Utrecht 1503114 bezeugt115. Rechnet man die bislang noch selten untersuchten Messordinarien (Trier, Köln)116 hinzu, wird etwas sichtbarer, dass mittels solcher und ähnlicher Druckwerke die einheitliche Feier des Gottesdienstes als erstrebenswert galt117. Für jene „Schwellenzeit“ des Übergangs vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit hat der Historiker Berndt Hamm den Begriff der „normativen Zentrierung“ zur Diskussion gestellt und eine Interpretationskategorie eingeführt, mit der er versucht, „die Ausrichtung von Religion und Gesellschaft auf eine orien111

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Vgl. Eugenie Lecheler, Eine Gottesdienstordnung im Brandenburger Bistum um 1500 – der gedruckte Liber Ordinarius von 1488. Inhalt – Vorläufer – Bedeutung, in: Wichmann-Jahrbuch des Diözesangeschichtsvereins Berlin 42 (2002), 89–100. Es handelt sich hier um das von Bischof Ortlieb von Brandis († 1491) 1490 publizierte Directorium pro Clero. – Es wurde zum Teil ausgewertet bei Urban Affentranger, Dramatische Elemente in der Karwochenliturgie an der Bischofskirche in Chur nach dem 1490 erschienenen Direktorium des Churer Bischofs Ortlieb von Brandis, in: Bündner Monatsblatt 1979, 137–156. Vgl. Romain Jurot, L´ordinaire liturgique du diocèse de Besançon. Texte et sources (Spicilegium Friburgense, 38), Fribourg 1999, 62–67. Vgl. Séjourné, LO Utrecht (wie Anm. 81), 16. Weitere, allerdings wenige Nachweise (u. a. Tours, Strasbourg) bei Hanns Bohatta, Liturgische Bibliographie des XV. Jahrhunderts mit Ausnahme der Missale und Livres dʼHeures, Wien 1911 [Nachdruck Hildesheim 1960], 46–47 (Nr. 754–776). Für Trier: Andreas Heinz, Der Ordo Missae im „Reisemissale“ des Trierer Erzbischofs Balduin von Luxemburg (1308–1354), in: Ars et Ecclesia. Festschrift für Franz Ronig, hg. von Hans-Walter Stork u. a. (Veröffentlichungen des Bistumsarchivs Trier, 26), Trier 1989, 217–233. – Für Köln: Andreas Odenthal, „Non est hic – surrexit.“ Bislang unbeachtete Osterfeiern aus der Kölner Liturgietradition, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 198 (1995), 29–52, hier 44, 46; Andreas Odenthal, Weihe und Auflegung der Asche in capite ieiunii im Kölner Augustinerinnenkloster St. Caecilien. Textzeugnisse eines Liber Ordinarrius des 15. Jahrhunderts, in: Spes nostra firma. Festschrift für Joachim Kardinal Meisner, hg. von Thomas Marschler, Christoph Ohly, 2. Auflage Münster 2009, 45–61, hier 56–57 (Ordinarius Missae, gedruckt von Hermann Pomerius 1515; Düsseldorf Hochschulbibl. Inc. H.H.W. 181); Bärsch, Osterfestkreis (wie Anm. 61), XVI. Dies widerspricht nicht der grundsätzlich richtigen Einschätzung Adalbert Kurzejas, nur wenigen Ordinarien sei die Ehre widerfahren, gedruckt zu werden (Kurzeja, LO Trier [wie Anm. 40], 40–41). Denn Ende des 15. Jahrhunderts neigte sich bereits die Ära der Libri Ordinarii, so dass nicht allzu viele Exemplare erwartet werden dürfen. Dennoch ist die Zahl der bekannt gewordenen Druckordinarien – wie dargestellt – durchaus inzwischen gewachsen.

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tierende und maßgebende, regulierende und legitimierende Mitte hin“118, die er für jene Zeit erkennt, zu beschreiben. Weil damit vielgestaltige Phänomene umgriffen werden können, ist zumindest zu fragen, ob sich möglicherweise die hier erkennbaren Bemühungen zur Sicherung und Normierung liturgischer Traditionen mit ihrem zunehmenden rechtlichen Verpflichtungscharakter einordnen lassen in einen größeren zeitgeschichtlichen Kontext. So könnte die Liturgie – neben anderen Motiven – teilgenommen haben an einer allgemeinen Entwicklung, die dem Menschen Sicherheit, Halt und Ordnung im irdischen und im Blick auf das jenseitige Leben zu geben imstande war und ihm angesichts gegenläufiger Tendenzen der stärkeren Differenzierung, Multiplizierung, Individualisierung und Verdiesseitigungen Orientierung bot119.

4. Ergebnis Schauen wir rückblickend auf unsere Beobachtungen, bei denen wir uns auf die Libri Ordinarii der Kathedralen und Stifte beschränkt haben, lassen sich als Ergebnis im Wesentlichen zwei Punkte festhalten: Die Entstehung und Ausprägung des Buchtyps Liber Ordinarius steht im Zusammenhang mit verschiedenen, die Feier des Gottesdienstes irritierenden, beeinträchtigenden und gefährdenden Entwicklungen. Für die innerliturgische Sicht ist an die zunehmende Komplexität der Riten, das Aufkommen neuer Feste und anderer gottesdienstlicher Neuerungen, die immer weitere Verbreitung liturgischer Bücher anderer Provenienz und an den Einfluss der neuen zentralisierten Orden zu erinnern. In der außerliturgischen Sicht kommt der regionalen Vielfalt und der lokalkirchlichen Bindung der liturgischen Traditionen eine identitätsstiftende und -bestärkende Funktion zu. So verbindet sich mit den bistumsund stiftseigenen gottesdienstlichen Gebräuchen und ihrer Pflege das (wieder neu) erstarkende Selbstbewusstsein der Diözesen und reichsunmittelbaren Stifte. Insofern muss man mit der Erstellung eines Liber Ordinarius implizit seinen rechtsverbindlichen Charakter gewissermaßen mitdenken. Denn die Aufzeichnung der Eigenliturgie durch einen Ordinarius geschah vielfach aus der Sorge um die Sicherung der eigenen Tradition und damit zur Erhaltung und Konsolidierung der Identität eines Bistums, einer Kathedral- oder einer Stiftskommunität. Deshalb stellt die Kodifizierung der gottesdienstlichen Consuetudines kei118

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Berndt Hamm, Normative Zentrierung im 15. und 16. Jahrhundert. Beobachtungen zu Religiosität, Theologie und Ikonologie, in: Normative Zentrierung (wie Anm. 33), 21–63, hier 22 [Erstveröff. 1999]. Zu den erkennbaren liturgiegeschichtlichen Entwicklungen in Spätmittelalter und früher Neuzeit vgl. Suntrup, Norm oder Modell? (wie Anm. 33).

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neswegs ein unverbindliches Regelwerk dar, sondern erhebt einen überlebensnotwendigen Normanspruch120, wie dieser aus dem Titel des Essener Ordinarius erkannt werden konnte. Darüber hinaus enthalten manche Libri Ordinarii aber auch explizit rechtsrelevante Aussagen. Die hier näher betrachteten, in Anlage und Gestaltung durchaus unterschiedlichen Ordinarien aus Paderborn und Trier lassen erkennen, dass sie sich als normierendes, die Ordnung der jeweiligen Kathedrale abbildendes Vorbild sehen, das nunmehr das gottesdienstliche Leben im ganzen Bistum bestimmen soll. Das Bestreben, das gesamte kirchliche Leben zu ordnen, musste vor allem auch die Liturgie umfassen. Es ist darum nicht verwunderlich, dass die Entstehung der Ordinarien Hand in Hand ging mit der sich in jener Epoche ausweitenden synodalen Gesetzgebung121. Das Beispiel des Paderborner Ordinarius, der nicht nur Synodalbestimmungen zitiert, sondern auf einer Diözesansynode Rechtskraft erhielt, zeigt diese enge Verflechtung an. Gleichwohl dürfen die rechtsrelevanten Bemerkungen weder losgelöst von ihrem literarischen Zusammenhang gesehen noch allein im Sinne einer ordnungspolitischen Maßnahme gelesen werden. Der Prolog zu dem von Erzbischof Balduin von Luxemburg erneuerten Trierer Domordinarius macht hingegen deutlich, dass die Sorge um eine geordnete, das Vorbild der Domkirche aufnehmende, im ganzen Bistum einheitliche Liturgie in einem zutiefst theologischen und spirituellen Gedanken wurzelt, die Communio der Ecclesia universalis, an der die jeweilige Ecclesia localis bereits auf Erden Anteil hat. Diese Communio lebt von der gemeinsamen, Himmel und Erde verbindenden Liturgie, weshalb das Gotteslob der Ecclesia militans mit dem der Ecclesia triumphans zusammenklingen muss. In dieser Sicht steht die Ordnung und Regelung der Domliturgie durch einen Liber Ordinarius und die strenge Verpflichtung, der dort aufgezeichneten Ordnung im ganzen Bistum zu folgen, im Dienst der größeren ekklesiologischen und eschatologischen Aussage.

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Vgl. Jürgen Bärsch, Art. Gewohnheit. IV. Liturgisch, in: Lexikon für Theologie und Kirche 4 (1995), 633 sowie Kassius Hallinger, Consuetudo. Begriff, Formen, Forschungsgeschichte, Inhalt, in: Untersuchungen zu Kloster und Stift, hg. vom Max-Planck-Institut für Geschichte (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 68; Studien zur Germania Sacra, 14), Göttingen 1980, 141–151. Vgl. die instruktiven Beiträge im Sammelband Partikularsynoden im späten Mittelalter, hg. von Nathalie Kruppa, Leszek Zygner (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 219; Studien zur Germania Sacra, 29), Göttingen 2006.

THOMAS SCHÜLLER

Das kirchliche Archivwesen im geltenden Kanonischen Recht

Einführung Kirchliche Archive dienen als das Gedächtnis der Kirche1. In ihren Archiven bewahrt und konserviert die Kirche wertvolles Kulturgut und sichert somit, dass sie sich ihrer Herkunft, ihrer Tradition und Geschichte vergewissert und so den kontinuierlichen Transfer dieses Wissens in die Gegenwart garantiert. „Die Bewahrung der aus der Vergangenheit tradierten Überlieferung ist die eine Aufgabe der kirchlichen Archive; eine weitere die, die Überlieferungskontinuität in die Zukunft hinein nicht abreißen zu lassen“2. Schon früh in der Geschichte der Kirche begann man, wichtige Dokumente zu sammeln, die die fortschreitende Verkündigung des Evangeliums mit den sich daraus ergebenden kirchlichen Strukturen bezeugen und somit der Vergewisserung dienen, woher die Kirche kommt, aus welchen Quellen sie lebt und welche Schlüsse sie heute für ihren Dienst an den Menschen daraus zieht. Von Anfang an spielte das kirchliche Recht dabei eine maßgebliche Rolle, was sich u. a. daran ablesen lässt, dass man von Beginn der Kirche an vor allem die Urkunden und Dokumente sammelte,

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Vgl. Joachim Kardinal Meisner, Das Archiv im Dienst von „Memoria“ und „Tradition“, in: ORdt 26 (1996), Nr. 35, 10: „In der Tat, ein Archiv ist kein historischer Luxus oder ein nostalgisches Hobby, sondern es ist eigentlich das Gedächtnis unserer Erzdiözese Köln.“ Vgl. auch Päpstliche Kommission für die Kulturgüter der Kirche, Die pastorale Funktion der kirchlichen Archive. Schreiben vom 2. Februar 1997. Anhang: Dokumente zum kirchlichen Archivwesen für die Hand des Praktikers, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1998 (Arbeitshilfen, 142), 9–37, hier 15: „Durch die Erhaltung der im Laufe der Zeit entstandenen Bestände an echten, d. h. Originaldokumenten, die Personen und Ereignisse betreffen, pflegen die kirchlichen Archive das Gedächtnis des Lebens der Kirche und bekunden damit ihren Sinn für die Überlieferung.“ Und weiter, 19: „Die Archive sind Orte des Gedächtnisses der Kirche, das erhalten und weitergegeben, wiederbelebt und ausgewertet werden soll, und stellen somit die unmittelbarste Verbindung zum Erbe der christlichen Gemeinschaft dar.“ Wilhelm Janssen, Der Auftrag der Kirchenarchive in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in: Pfarramtsblatt 69 (1996), 353–358, hier 355.

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die der Sicherung der Rechts- und Besitztitel der Kirche dienten3. Es überrascht daher nicht, dass sowohl auf universalkirchlicher als auch auf partikularkirchlicher Ebene (Diözesanbischöfe, Bischofskonferenzen) entsprechende Rechtsnormen existieren, die das kirchliche Archivwesen normativ bestimmen. Von diesen Normen wird in diesem Beitrag die Rede sein. Dabei fällt auf, dass diese Normen nur selten das Interesse der Canonistik finden4. Dies überrascht angesichts der signifikanten Aktualität des Themas. Kirchliche Archive stehen in den letzten Jahren im Fokus der aktuellen kirchengeschichtlichen Debatten. Wenn es um Papst Pius XII. und seine Rolle im II. Weltkrieg geht, wird nicht selten die Forderung nach Öffnung des Päpstlichen Geheimarchivs laut. Auch das Thema Zwangsarbeit in der katholischen Kirche während der Zeit des nationalsozialistischen Regimes hat seit Sommer 2000 zu einer intensiven Suche in den verschiedensten Archiven der katholischen Kirche und zu einer Fülle neuer Studien5 geführt. Aus der aktuellen Debatte ist sicher das Thema der Heimkinder in katholischen Einrichtungen in der Nachkriegszeit zu nennen und natürlich die Frage nach aussagekräftigen Unterlagen zum Umgang mit sexuellem Missbrauch in katholischen Schulen und Internaten. Ohne die kirchlichen Archive stünden hier die Verantwortlichen mit leeren Händen da und könnten die vorgetragenen Anzeigen kaum sachgerecht bearbeiten und sich so dem Schicksal vieler Betroffener stellen. Diese Themen werfen rechtliche Frage auf wie die, wer einen Anspruch hat, Einsicht in ihn betreffende Akten zu nehmen, wie es um Sperrfristen bestellt ist und wer die Erlaubnis geben kann, Einsicht in die Unterlagen bestimmter Archive zu nehmen. Dabei sind die Zuständigkeiten zu beachten, denn es macht einen Unterschied, ob es um eine Nachfrage in einem Diözesanarchiv, für das der Diözesanbischof Verantwortung trägt, oder um das Archiv einer Ordensgemeinschaft geht, bei dem der zuständige Ordensobere 3

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Vgl. Toni Diederich, Art. Archivwesen, kirchliches, in: LThK, 3. Aufl., Bd. I, Freiburg u. a. 1993, 949–952, hier: 949. – Gerhard Schäfer, Archivwesen, Kirchliches, in: TRE, Bd. 3, Berlin–New York 1978, 687. Vgl. aus der überschaubaren Literatur in Auswahl: Stephan Haering, Zur rechtlichen Ordnung des kirchlichen Archivwesens, in: AfkKR 71 (2002), 442–457. – Franz Kalde, Art. Archiv, kirchliches. II. Kath., in: LKStKR I, Paderborn u .a. 2000, 160–163 mit umfänglicher Literaturangabe (163). – Lohnend auch Sharon L. Holland, Archives: In Service of Culture and Learning, in: The Jurist 46 (1986), 624–632. – Heribert Schmitz, Die pfarrlichen Kirchenbücher. Zur Frage des Rechtsträgers und des Eigentümers der „libri paroeciales“, Speyer 1992 (Beiträge zum Archivwesen der Katholischen Kirche Deutschlands, 2). – Dennis W. Morrow, The Archives of the Local Church: Canonical and Professional Developments, Washington 1981. Vgl. Zwangsarbeit und katholische Kirche 1939–1945. Geschichte und Erinnerung, Entschädigung und Versöhnung. Eine Dokumentation, hg. von Karl-Joseph Hummel, Christoph Kösters (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B. Forschungen, 110), Paderborn u. a. 2008.

Das kirchliche Archivwesen im geltenden Kanonischen Recht

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anzugehen ist. Damit wird bereits deutlich, dass die „Landschaft“ der kirchlichen Archive sehr vielfältig ist und sich dementsprechend auch verschiedene Rechtskreise berühren.

1. Kurze geschichtliche Vergewisserung6 Schon sehr früh in der Geschichte der Kirche sind kirchliche Archive nachweisbar. Von Anfang an hatten die päpstlichen Archive eine gewisse Vorbildfunktion für andere kirchliche Archive. Sie wurden erstmalig durch Papst Damasus (366–394) in der Nähe der Basilika St. Lorenzo in Damaso errichtet, kamen dann aber sehr bald in den Lateran. Papst Innozenz III. (1198–1216) hat sie dann in die Nähe des Petersdomes gebracht7. Vor allem Klöster und Diözesen sammelten früh die Dokumente, die ihre Rechte in Form von Urkunden bewiesen. „Aus diesen Gründen entstanden kirchliche Archive mit der Aufgabe, Dokumente, die wichtige Rechtsverhältnisse fixieren, gesichert aufzubewahren und nachzuweisen“8. Von einer universalkirchlichen Gesetzgebung in diesem Bereich kann man allerdings erst seit dem 16. Jahrhundert sprechen. Insbesondere das Konzil von Trient hat hier erste universalkirchlich geltende Normen im Bereich der Archivierung und Führung von Pfarrbüchern vorgelegt. So wird jede Pfarrei verpflichtet, ein Tauf- und Ehebuch zu führen9. Mit dem Breve „Inter omnes“ von Papst Pius V. aus dem Jahr 1566 werden Lagerung und Verzeichnung der Archive festgeschrieben. Weitreichender war die Apostolische Konstitution „Maxima vigilantia“ vom 14. Juni 1727, mit der Papst Benedikt XIII. den Bischöfen, Kapiteln und Ordensoberen in Italien und angeschlossenen Inseln die Einrichtung von Archiven an sicheren Orten vorschrieb. Diese Normen haben die entsprechenden archivrechtlichen Normen des Codex von 191710 und damit auch den geltenden Codex beeinflusst, der weitgehend die Vorgän6

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Vgl. Henricus A. Hoffmann, De archivis ecclesiasticis, imprimis dioecesanis, secundum Iuris Canonici, Rom 1962. – Schmitz, Kirchenbücher (Anm. 4), 31–45 (mit Literatur). – Vgl. mit Schwerpunkt Entwicklung der Diözesanarchive William Francis Louis, Diocesan archives. A historical synopsis and commentary, Washington 1941. Vgl. Louis, Archives (Anm. 6), 6. Hartmut Krüger, § 25 Kirchliches Archivwesen, in: HbStKR, Bd. 1, 2. Aufl. Berlin 1994, 743–753, hier 743. Vgl. COD, hg. von Alberto Josepho Alberigo, 3. Aufl., Bologna 1972, Tridentinum, sess. 24, cap. I „Tametsi”, 756: „Habeat parochus librum, in quo coniugum et testium nomina, diemque et locum contracti matrimonii describat, quem diligenter apud se custodiat” (Ehebuch in der Abwehr klandestiner Ehen). Für das Taufbuch lautet die Bestimmung: „Parochus … et in libro eorum nomina describat“ (ebd. 757). Vgl. cc. 304 § 1; 372 § 1; 375–384; 435 § 3; 470 § 4; 1010 § 1; 1522 n. 3; 1523 n. 6; 1548 § 2; 2405; 2406 CIC/1917.

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gernormen aufgriff11. Im Gefolge des II. Vaticanums kam es zu einer Aufwertung der Bischofskonferenzen12 und der Diözesanbischofe13, so dass verstärkt auch auf die partikularrechtliche Gesetzgebung einzugehen sein wird.

2. Geltende Rechtslage auf Ebene der Universalkirche Wie schon sein Vorgänger enthält auch der Codex von 198314 und sein Pendant, der CCEO von 1990 für die unierten Ostkirchen15, detaillierte kirchenrechtliche Normen zum kirchlichen Archivwesen. Neben diesen Normen sind die Vorschriften des Papstes für die Archive der verschiedenen römischen Dikasterien des Apostolischen Stuhls zu beachten, die Johannes Paul II. mit der Apostolischen Konstitution „Pastor Bonus“16 (PB) erließ. Für alle drei Ebenen des kirchlichen Verfassungsgefüges (Universalkirche, Teilkirche/Diözese, Pfarrei) schreibt der päpstliche Gesetzgeber verbindlich die Errichtung von Archiven vor.

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An einem Beispiel soll gezeigt werden, wie die Apostolische Konstitution „Maxima vigilantia“ das kodikarische Recht beeinflusst hat. Papst Benedikt XIII. ordnete beispielsweise an, dass für ein Diözesanarchiv jeweils zwei verschiedene Schlüssel herzustellen seien, von denen einer beim Diözesanbischof bleibe und der andere dem Kanzler oder dem Notar der Kurie zu übergeben sei (§ 10, in: Bullarium Romanum XXII, 562). Im alten Codex von 1917 wird diese Bestimmung in c. 377 CIC/1917 aufgegriffen. Vgl. Die Bischofskonferenz. Theologischer und juridischer Status, hg. von Hermann Josef Pottmeyer, Hubert Müller, Düsseldorf 1989. Vgl. Georg Bier, Die Rechtsstellung des Diözesanbischofs nach dem Codex Iuris Canonici von 1983 (Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft, 32), Würzburg 2001. Vgl. cc. 173 § 4; 428 § 2; 482 § 1; 486–491; 535 § 3; 895; 1053; 1082; 1121 § 3; 1133; 1208; 1283 n. 3; 1284 § 2 n. 9; 1306 § 2; 1339 § 3; 1719 CIC. Vgl. cc. 37; 123 §§ 1 u. 3; 189 § 2; 228 § 2; 252 § 1; 256–261; 296 § 4; 470; 535 § 2; 769 § 2; 774; 799; 840 § 3; 871 § 2; 955 § 5; 1026; 1028 § 2 n. 8; 1050; 1470. Vgl. Johannes Paul II., Apostolische Konstitution Pastor Bonus vom 28. Juni 1988, in: AAS 80 (1988), 841–934. In diesem päpstlichen Spezialgesetz werden die Zuständigkeiten und Kompetenzen der verschiedenen Kongregationen, Räte und Gerichte des Apostolischen Stuhls und deren Zusammenarbeit geregelt. Nähere Ausführungsbestimmungen hierzu finden sich im Regolamento Generale della Curia Romana (RGCR) vom 15. April 1999 (www.vatican.va/.../secretariat_state/1999/documents/rc_seg-st_19990430_ regolamentocuria-romana_it.html; eingesehen am 10. März 2010).

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2.1. Archive auf Ebene der Universalkirche Papst Johannes Paul II. hat in PB Nr. 1017 für alle Dikasterien vorgeschrieben, dass sie ein eigenes Archiv zu führen haben, in dem die empfangenen und Exemplare der versandten Dokumente geordnet, sicher und gemäß den heutigen Möglichkeiten aufbewahrt werden18. Innerhalb der römischen Kurie ist die Kleruskongregation fachlich für alle Fragen des kirchlichen Archivwesens zuständig19. Bis 1993 war der Kleruskongregation die rechtlich unselbstständige Päpstliche Kommission für die Erhaltung des künstlerischen und geschichtlichen Erbbesitzes der Kirche angegliedert20. Am 25. März 1993 wurde diese Kommission unter dem neuen Namen „Päpstliche Kommission für die Kulturgüter der Kirche“ durch Papst Johannes Paul II. in eine rechtlich eigenständige Kommission überführt21. Sie hat am 2. Februar 1997 mit ihrem Schreiben „Die 17

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Art. 10 PB: „Jedes Dikasterium muß sein eigenes Archiv haben, in dem die empfangenen Dokumente und die Kopien der verschickten Dokumente geordnet, sicher und den heutigen Zeiterfordernissen angemessen aufbewahrt werden müssen, nachdem sie vorher in einem Protokoll verzeichnet wurden.“ Vgl. auch Art. 145 RGCR (Anm. 16): „§ 1. Tra le strutture dei Dicasteri occupano un posto di rilievo gli Archivi, nei quali devono essere custoditi accuratamente atti e documenti. Attesa la loro importanza, gli Archivi e il Protocollo devono essere tenuti con ordine e con adeguate misure di sicurezza. § 2. Le pratiche in arrivo e in partenza devono essere registrate nel Protocollo, secondo quanto disposto nel Regolamento proprio. § 3. La cura degli Archivi sia affidata ad un Officiale esperto in archivistica e possibilmente in possesso di diploma. § 4. Gli atti e i documenti non più necessari al lavoro del Dicastero saranno trasmessi periodicamente all'Archivio Segreto Vaticano.” Auffallend neben Art. 145 § 1 ist die Anforderung in § 3, dass nach Möglichkeit ein ausgebildeter Archivar das Archiv einer kurialen Behörde leiten soll und die nicht mehr für die tägliche Arbeit gebrauchten Akten in das Vatikanische Geheimarchiv zu bringen sind (§ 4). Vgl. Art. 97 n. 1 PB: „Die Kongregation behandelt alles, was in die Zuständigkeit des Heiligen Stuhls fällt: 1 sei es bezüglich der Priesterräte, der Konsultorenkollegien, der Domkapitel, der Pastoralräte, der Pfarreien, Kirchen und Heiligtümer, sei es bezüglich der Klerikervereinigungen, sei es bezüglich der kirchlichen Archive und Registraturen;…“ Vgl. PB Art. 99–104, bes. 101: „§ 1. Unter den geschichtlichen Gütern ragen alle Dokumente und Rechtsurkunden hervor, die das Leben und die Seelsorge sowie die Rechte und Pflichten der Diözesen, der Pfarreien, der Kirchen sowie der übrigen juristischen Personen in der Kirche betreffen und bezeugen. § 2. Dieses historische Erbe soll in Registraturen oder Archiven oder auch in Bibliotheken aufbewahrt werden, und es muß überall sachkundigem Personal anvertraut werden, damit Zeugnisse dieser Art nicht verloren gehen.“ Vgl. Johannes Paul II., Motu proprio „Inde a Pontificatus Nostri initio“, in: AAS 85 (1993), 549–552.

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pastorale Funktion der Archive“22 programmatisch und teilweise auch normativ das Thema der kirchlichen Archive grundlegend bearbeitet23. Von besonderer Bedeutung für das katholische Archivwesen auf universalkirchlicher Ebene ist das Vatikanische Geheimarchiv24. In PB Art. 187 werden dessen Aufgaben und Funktion wie folgt umschrieben: „Unter den Einrichtungen dieser Art ragt das Tabularium oder Vatikanische Geheimarchiv hervor, in dem die Dokumente aufbewahrt werden, die sich auf die Leitung der Kirche beziehen, damit sie dem Heiligen Stuhl selbst und der Kurie bei der Erfüllung ihrer eigenen Aufgabe zur Verfügung stehen und damit sie später, aufgrund einer päpstlichen Erlaubnis, für alle Geschichtswissenschaftler eine Erkenntnisquelle darstellen können für alle Bereiche der Geschichte, auch der weltlichen, die seit den vergangenen Jahrhunderten eng mit dem Leben der Kirche verbunden sind.“ So geheimnisumwittert der Terminus „Geheimarchiv“ klingen mag, so wurde er nur aus traditionellen Gründen beibehalten, denn mit entsprechender Erlaubnis des obersten Leiters dieses Archivs, der „Archivar der Hl. Römischen Kirche“ genannt wird25, steht dieses Archiv sowohl Kirchen- wie Profangeschichtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern mit bestimmten Einschränkungen zur historischen Forschung offen, wenngleich es sich natürlich nicht um ein öffentliches Archiv im klassischen Sinne handelt26. Historisch ist es im 17. Jahrhundert (1612) aus der Zusammenführung von Archivbeständen, zunächst aus der Bibliotheca Secreta, der Engelsburg und der Apostolischen Kammer entstanden27. Zum Vatikanischen Geheimarchiv gehört die ihr seit 1884 angegliederte Vatikanische Schule für Paläographie, Urkundenlehre und Archivkunde28. Dieses Archiv mit seinen umfangreichen Aktenbeständen hat neben seiner wach-

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Vgl. Arbeitshilfen, 142 (Anm. 1), 9–37. Insbesondere die Kapitel 2 bis 4 dieses Rundschreibens sind kirchenrechtlich als Ausführungsbestimmungen (Instruktion im Sinne von c. 34 CIC) zu den geltenden kodikarischen Normen aufzufassen und formulieren einen rechtlichen Idealzustand. Vgl. Haering, Ordnung (Anm. 4), 451. Vgl. Diederich, Archivwesen (Anm. 3), 950–951. – Ders. Vatikanisches Geheimarchiv, in: Bruno Steimer, Lexikon der Päpste und des Papsttums, Freiburg–Basel–Wien 2001, 709– 713. Vgl. Kalde, Archiv (Anm. 4), 161. Für die Arbeit der Wissenschaftler im Vatikanischen Geheimarchiv existiert eine offensichtlich von der Leitung des Archivs selbst erlassene undatierte „Benutzerordnung für die Wissenschaftler“ (vgl. http://www.vatican.va/library_archives/vat_secret_archives/ docs/documents/vsa_doc14042000_regted_ge.html; eingesehen am 11. März 2010); vgl. auch Haering, Ordnung (Anm. 4), 446. Vgl. Diederich, Archivwesen (Anm. 3), 950. Scuola Vaticana di Paleografia, Diplomatica e Archivistica (http://asv.vatican.va/it/scuol/1_presid_doc.htm; eingesehen am 10. März 2010).

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senden Bedeutung für die historische Forschung weiterhin die Aufgabe, Verwaltungsarchiv für den Papst und seine Kurie zu sein.

2.2. Archive auf der Ebene der Diözese29 Die verschiedenen archivrechtlich relevanten Normen sind im CIC nicht in einem zusammenhängenden Normenkomplex zusammengefasst, sondern an verschiedenen Stellen im kirchlichen Gesetzbuch verteilt zu finden30. Dabei fallen allerdings die cc. 486 bis 491 CIC, die im Kontext der Befassung mit der Struktur der bischöflichen Kurie31 stehen, auf, da sie nicht nur für die Archive auf der Ebene des Bistums maßgebliche Normen für das kirchliche Archivwesen enthalten. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der Terminus „archivum“ nicht nur das historische Archiv, sondern auch die Verwaltungsregistratur32 meint33. Zu den für alle kirchlichen Archive einschlägigen Normen wird man vor allem den c. 486 CIC zählen dürfen. In ihm wird bestimmt, dass alle Dokumente, die die Pfarreien oder das Bistum betreffen, mit größter Sorgfalt aufzubewahren sind34. Für den Bereich der diözesanen Kurie trägt hierfür nach c. 482 § 29

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Literatur zu den Archiven auf Diözesanebene: José Luis Morrás Etayo, La normativa particular de la Iglesia en España sobre el archivo histórico diocesano, in: Revista española de derecho canónico 60,154 (2003), 229–254; Emmanuel Odaga, The Role of the Diocesan Curia in the Light of Canon 469, Rom 1995; Eugenio Zanetti, L'archivio diocesano e il cancelliere, in: Quaderni di diritto ecclesiale 14,2 (2001), 144–161; vgl. auch Georg Bier, Kommentar zu cc. 486–491 (Stand: 46. Ergänzungslieferung August 2010), in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland, Österreich und der Schweiz, hg. von Klaus Lüdicke (Loseblattsammlung), Essen seit 1985. Vgl. Anm. 14. Vgl. Ludwig Schick, § 41 Die Diözesankurie, in: Handbuch des katholischen Kirchenrechts, hg. von Joseph Listl, Heribert Schmitz, zweite, grundlegend neubearbeitete Auflage, Regensburg 1999, 463–474, bes. 472. – Ludwig Schick, Der Moderator der Kurie. Die Bedeutung eines überflüssigen Amtes, in: Theologia et jus canonicum. Festgabe für Heribert Heinemann zur Vollendung seines 70. Lebensjahres, hg. von Heinrich J. F. Reinhardt, Essen 1995, 305–323, bes. 312. Eher unverständlich ist es, wenn Winfried Aymans, Canonisches Recht, Lehrbuch aufgrund des Codex Iuris Canonici. Begründet von Eduard Eichmann, fortgeführt von Klaus Mörsdorf, 13. Auflage, Bd. 2: Verfassungs- und Vereinigungsrecht, Paderborn u. a. 1997, 386, von der Verwaltungsregistratur als „allgemeine[m] Archiv“ redet, weil durch diese Wortwahl nicht der sachliche Unterschied zu einem Archiv im engeren Sinn deutlich wird. Vgl. Haering, Ordnung (Anm. 4), 447. Vgl. c. 486 § 1 CIC: „Alle Dokumente, die sich auf die Diözese oder auf die Pfarreien beziehen, müssen mit größter Sorgfalt verwahrt bleiben“.

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1 CIC35 der Kanzler die Verantwortung. Das Amt des Kanzlers, das auch Laien offen steht und das stets mit dem Amt des Notars verbunden ist36, hat sich im deutschsprachigen Raum nicht etablieren können, da „die ihm vom Codex Iuris Canonici zugedachten Dienste durch andere Ämter bereits seit langem wahrgenommen werden. In fast allen Bistümern ist eine Registratur eingerichtet, die für den laufenden Schriftverkehr zuständig ist. Für die historischen Dokumente ist das Archiv vorhanden, das von einem Archivar geleitet wird“37. In diesem Canon wird weiter festgelegt, dass in jeder Diözese ein „archivum seu tabularium dioecesanum“ (c. 486 § 2 CIC) einzurichten ist, was man entweder mit Verwaltungsarchiv oder auch laufende Registratur38 am besten umschreibt. In ihm werden die „Dokumente und Schriftstücke, die sich auf die geistlichen und zeitlichen Angelegenheiten der Diözese beziehen, in bestimmter Weise geordnet und sorgfältig verschlossen“ aufbewahrt. Neben Urkunden, Akten, Einzelschriftstücken und Karteien wird man auch „Dateien, Karten, Pläne, Zeichnungen, Plakate, Siegel, Druckerzeugnisse, Bild-, Film- und Tondokumente sowie sonstige Informationsträger und Hilfsmittel zu ihrer Benutzung“39 in die laufende Registratur aufnehmen. Diese Dokumente müssen nach c. 486 § 3 CIC40 in einem Inventarverzeichnis aufgenommen sein, damit die Suche nach ihnen erleichtert wird. Diese Pflicht zur Inventarisierung wird in c. 491 § 1 CIC eingeschärft, der den Diözesanbischof verpflichtet, dafür zu sorgen, „dass die Akten und Urkunden auch der Archive der Kathedral-, Kollegiat-, Pfarr- und anderer in seinem Gebiet befindlicher Kirchen sorgfältig aufbewahrt werden und dass Inventare bzw. Kataloge in zweifacher Ausfertigung abgefasst werden, von denen das eine Exemplar im eigenen Archiv, das andere im Diözesanarchiv aufzubewahren ist“. Die lateinische Formulierung sowohl in c. 486 § 3 CIC als auch 35

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Vgl. c. 482 § 1 CIC: „In jeder Kurie ist ein Kanzler zu bestellen, dessen vornehmliche Aufgabe, falls das Partikularrecht nichts anderes vorsieht, darin besteht, für die Ausfertigung und Herausgabe der Akten der Kurie und ihre Aufbewahrung im Archiv der Kurie zu tragen“. Vgl. c. 482 § 3 CIC: „Kanzler und Vizekanzler sind ohne weiteres Notare und Sekretäre der Kurie“. Schick, Diözesankurie (Anm. 31), 472. Den Begriff der laufenden Registratur findet man in den „Richtlinien für die Erhaltung und Verwaltung kirchlicher Archive in Deutschland“ aus dem Jahr 1968 beschlossen durch die Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vom 23.–26. September 1968 in Fulda, u. a. abgedruckt in: Arbeitshilfen, 142 (Anm. 1), 44–45, hier 44. So in der „Anordnung über die Sicherung und Nutzung der Archive in der katholischen Kirche“ (Beschluß der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vom 19. September 1988 in Fulda), u. a. abgedruckt in: Arbeitshilfen, 142 (Anm. 1), 47–52, hier 48. Vgl. c. 486 § 3 CIC: „Von den Dokumenten, die sich im Archiv befinden, ist ein Inventarverzeichnis, d. h. ein Katalog mit einer kurzen Inhaltsangabe der einzelnen Schriftstücke anzufertigen“.

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in c. 491 § 1 CIC von „inventaria seu catalogi“ bedeutet, dass sowohl ein Verzeichnis der im Archiv bzw. in der laufenden Registratur existierenden Schriftstücke als auch eine kurze Inhaltsangabe zu erstellen sind41. Diese Vorschrift hilft dem seiner Aufsicht für die Archive in seiner Diözese nachkommenden Diözesanbischof, den Überblick über sämtliche in seiner Diözese aufbewahrten Schriftstücke zu behalten. In der Literatur wird vereinzelt prognostiziert, dass sich die Notwendigkeit von schriftlichen Inventaren angesichts spezieller Computerprogramme, die zudem einfach und schnell die Aktualisierung des Bestandes ermöglichen, erübrigen werde42. Vom Wortlaut der angesprochenen Normen bleibt es allerdings bei dem Erfordernis von schriftlichen Inventaren, was auch immer noch gängige Praxis römischer Dikasterien ist43. Weiterhin wird gesetzlich gefordert, dass das Verwaltungsarchiv wie auch die zu beschreibenden weiteren Archive verschlossen zu sein haben, und dass nur der Diözesanbischof und der Kanzler einen Schlüssel besitzen dürfen. Grundsätzlich ist der Zutritt zu diesem Archiv verboten, wenn nicht der Diözesanbischof selbst oder der Moderator der Kurie zusammen mit dem Kanzler die Erlaubnis geben44. In gleicher Weise, was die Zuständigkeit für eine Erlaubnis angeht, regelt der c. 488 CIC die kurzzeitige Herausgabe von Dokumenten aus den diözesanen Archiven, denn auch hier kann nur der Diözesanbischof oder der Moderator zusammen mit dem Kanzler die entsprechende Ausnahme vom Verbot der Herausgabe von Schriftstücken erteilen. Beim Moderator handelt es sich um ein Amt in der diözesanen Kurie, das der Diözesanbischof in freiem Ermessen einem Priester übertragen kann. Der einschlägige Canon45 weist dem Moderator u. a. die Aufgabe zu, die Verwaltung der Kurie zu koordinieren und unter der Autorität des Diözesanbischofs darauf zu achten, dass alle in der Kurie tätigen Personen ihren Aufgaben nachkommen. Von daher ist es schlüssig, dass der Moderator in den cc. 487 § 1 und 488 CIC genannt wird, wenn es im Fall der Verhinderung des Diözesanbischofs um die Erlaubnis zum Zutritt in die Archiven und um die 41 42 43 44

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Vgl. Bier, Kommentar (Anm. 29), 491, 4. Vgl. Bier, Kommentar (Anm. 29), 491, 4. So die Information des zuständigen Mitarbeiters der Ordenskongregation bei einem Besuch einer Münsteraner Studentengruppe mit dem Verfasser im Februar 2010 in Rom. Vgl. c. 487 § 1: „Das Archiv muß verschlossen sein; den Schlüssel dazu dürfen nur der Bischof und der Kanzler haben; niemandem ist der Zutritt erlaubt, wenn nicht die Erlaubnis des Bischofs oder zugleich die des Moderators der Kurie und des Kanzlers vorliegt“. Vgl. c. 473 § 2 CIC: „Sache des Diözesanbischofs selbst ist es, das pastorale Wirken der Generalvikare und der Bischofsvikare aufeinander abzustimmen; wo es angebracht ist, kann ein Moderator der Kurie ernannt werden, der Priester sein muß und dem die Aufgabe zukommt, unter der Autorität des Bischofs die Durchführung der Verwaltungsgeschäfte zu koordinieren sowie dafür zu sorgen, daß die übrigen der Kurie zugeteilten Personen das ihnen übertragene Amt richtig wahrnehmen“.

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befristete Herausgabe von Schriftstücken aus den Archiven geht. Ein Blick in die Entstehungsgeschichte dieses Canons macht aber deutlich, dass es noch einen zweiten Grund für die enge Verbindung von Moderator und Kanzler bei diesen Akten der Erlaubnis im Bereich der diözesanen Archive gibt. Da das Amt des Kanzlers auch Laien offen steht, sollte für beide beschriebenen Varianten der Erlaubnisgabe ein Laie nicht allein entscheiden dürfen. Während der Arbeit an dem entsprechenden Schema wurde 1980 in der zuständigen Kommission das Wort „Moderator“ in den Text der heutigen cc. 487 § 1 und 488 CIC eingepflegt, um zu verhindern, dass der Kanzler und damit ein Laie allein den Zutritt zum Archiv oder die Herausgabe eines Schriftstückes für eine begrenzte Zeit erlauben könne46. Sowohl der Zutritt zu einem der diözesanen Archive als auch die befristete Herausgabe von Urkunden werden in beiden angesprochenen Normen ausdrücklich vom Gesetzgeber als Ausnahme definiert. Dies lässt sich gut an c. 488 CIC zeigen, der die Herausgabe von Urkunden nur für kurze Zeit (ad breve tempus tantum) erlaubt. Von daher sollte die Ausgabefrist so kurz wie möglich bemessen sein und sich an der Vorgängernorm im alten Codex orientieren, der in c. 378 § 1 CIC/1917 eine Frist von drei Tagen vorsah47. Letztlich entscheidender bei der Prüfung eines Antrages auf Herausgabe von Urkunden dürfte allerdings sein, ob die Bittstellerin bzw. der Bittsteller tatsächlich ein nachgewiesenes berechtigtes Anliegen vorträgt und zum Beispiel, wenn es um wissenschaftliche Projekte geht, seine entsprechende Qualifikation belegen kann. Bleibt noch bei den für alle kirchlichen Archive einschlägigen Normen mit c. 487 § 2 CIC48 festzuhalten, dass alle interessierten Personen oder deren Vertreter einen gesetzlichen Anspruch darauf haben, beglaubigte Abschriften oder Kopien zu erhalten insoweit, „als es sich um der Natur nach öffentliche Dokumente handelt oder Dokumente, welche ihren Personenstand betreffen“49. 46

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Vgl. Communicationes 13 (1981), 123: „Il § 1 viene approvacato con l´aggiunta di ‚insimul’ prima di ‚Moderatoris’….per evitare che la licenze possa essere data solo dal Concelliere che può essere un laico”. Vgl. Holland, Archives (Anm. 4), 629 (Anm. 13); Schick, Moderator (Anm. 31), 312. Bier, Kommentar (Anm. 29), 488, 4. Vgl. c. 487 § 2 CIC: „Es ist das Recht derer, die es angeht, von den Dokumenten, die ihrer Natur nach öffentlich sind und die sich auf den eigenen Personenstand beziehen, eine authentische Abschrift oder eine Fotokopie in eigener Person oder über einen Vertreter zu erhalten“. Haering, Ordnung (Anm. 4), 448. – Das klassische Beispiel aus der pfarramtlichen Praxis ist die Bitte um einen Auszug aus dem Taufbuch (Taufschein), den eine katholische Christin oder ein katholischer Christ zum Beispiel für den Empfang weiterer Sakramente wie der Priesterweihe oder der Eheschließung benötigt. Sollte sich der Trend in den deutschen Bistümern fortsetzen, Pfarrmatrikel, vor allem Taufbücher nach der Aufhebung einer Pfarrei im Diözesanarchiv zu deponieren, wird auf Zukunft verstärkt auch Arbeit in

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Neben dem Verwaltungsarchiv (laufende Registratur) werden noch auf der Ebene des Bistums das Historische Archiv und das Geheimarchiv vom CIC gefordert50. Erstmalig in der kirchlichen Rechtsgeschichte wird in c. 491 § 2 CIC51 das historische Archiv als verbindlich einzurichtende Institution in einem Bistum erwähnt52. Jeder Diözesanbischof ist verpflichtet, ein historisches Archiv einzurichten und für die Einsichtnahme und Herausgabe von Dokumenten entsprechende Normen zu erlassen53. Die Erstellung von Ordnungen für das historische Archiv, aber auch für die in c. 491 § 1 CIC weiterhin genannten Archive in der Diözese, ist eine Amtspflicht des jeweiligen Diözesanbischofs. Sie gibt einerseits den notwendigen Gestaltungsfreiraum, um auf die unterschiedlichen Verhältnisse in der Weltkirche einzugehen, ist aber auch aus der Natur der Sache heraus geboten, denn das historische Archiv dient vorrangig der wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte, für die eine sachgerechte Benutzerordnung unbedingt notwendig ist54. Im historischen Archiv sind Schriftstücke von historischer Bedeutung aufzubewahren und systematisch zu ordnen. Es kommt also auf Schriftstücke an, die zu einem späteren Zeitpunkt wichtige Auskünfte über bedeutsame Ereignisse in einem Bistum geben können. „Ausschlaggebend für die Verwahrung von Urkunden im historischen Archiv ist mithin ihr Inhalt und nicht ihr Alter“55. Angesichts der aktuellen Ereignisse um den vielfältigen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in katholischen Einrichtungen in den vergangenen Jahrzehnten, kommt dem Geheimarchiv eines Bistums erhöhte Bedeutung und damit auch rechtliche Aufmerksamkeit zu. Dies hängt damit zusammen, dass zu den Urkunden, die im Geheimarchiv unbedingt aufzubewahren sind, sämtliche

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diesem Bereich auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Diözesanarchiven zukommen. Haering, Ordnung (Anm. 4), 447, unterscheidet beim Geheimarchiv noch einmal zwei Bestände, nämlich wohl nach dem Alter der Unterlagen „jeweils einen Sonderbestand des Verwaltungsarchivs oder des historischen Archivs“. Vgl. c. 491 § 2 CIC: „Der Diözesanbischof hat auch dafür zu sorgen, dass in seiner Diözese ein historisches Archiv eingerichtet wird und dass Dokumente, die historische Bedeutung haben, in ihm sorgfältig aufbewahrt und systematisch geordnet werden“. Diese Bestimmung wurde erst in der Endphase der Codexreform in den c. 491 CIC aufgenommen. Die bisher veröffentlichten Kommissionsakten geben keine Hinweise auf die Gründe, die für die Aufnahme dieser Bestimmung ausschlaggebend waren (vgl. Communicationes 14 (1982), 214). Vgl. c. 491 § 3 CIC: „Für die Einsichtnahme und Herausgabe der in §§ 1 und 2 genannten Akten und Dokumente sind die vom Diözesanbischof erlassenen Normen zu beachten“. Vgl. Bier, Kommentar (Anm. 29), 491, 6. Bier, Kommentar (Anm. 29), 491, 5.

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Akten von Strafsachen in Sittlichkeitsverfahren56, d. h. auch die Vorermittlungsakten zählen. Schon im alten Codex war die Einrichtung eines Geheimarchivs verpflichtend vorgeschrieben57. Im c. 489 §§ 1 und 2 CIC58 wird diese Bestimmung erneut aufgegriffen und bekräftigt. Unabhängig davon, ob es sich beim Geheimarchiv um ein Archiv im Sinne von c. 486 CIC oder nur um einen Schrank oder ein eigenes Fach handelt, in allen drei Varianten müssen die Umstände so gerichtet sein, dass eine Entfernung der Unterlagen vom jeweiligen Standort nicht möglich ist. Mit dem Hinweis auf die außerordentliche Sorgfaltspflicht, die bei der Aufbewahrung der Urkunden zu wahren ist, unterstreicht der Gesetzgeber die Notwendigkeit, diese wegen ihres geheimen Charakters vor dem Einblick oder gar dem Zugriff Nichtberechtigter zu schützen. Hierzu dienen die in c. 490 §§ 1–3 CIC noch dazustellenden weiteren Sicherungsmaßnahmen, die vor allem die Aufbewahrung der Schlüssel zum Geheimarchiv betreffen. In folgenden Fällen schreibt der CIC vor, dass Urkunden im Geheimarchiv aufzubewahren sind: – „der Nachweis über die außerhalb der Beichte erteilte Dispens von einem geheimen Ehehindernis (1082)59; – das Buch, in dem die geheimen Eheschließungen verzeichnet sind (1133)60; – Schriftstücke, durch welche die Erteilung einer Mahnung oder eines Tadels beurkundet wird (1339 § 3)61; – Vorermittlungsakten in Strafverfahren und alle vorausgehenden Vorgänge, die im Strafverfahren nicht benötigt werden (1719)62. 56 57 58

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Vgl. Kevin E. McKenna, Confidential Clergy Matters and the Secret Archives, in: Studia canonica 26,1 (1992), 191–207. Vgl. c. 379 § 1 CIC/1917. Vgl. c. 489 §§ 1 und 2: „§ 1 In der Diözesankurie muß es außerdem ein Geheimarchiv geben, wenigstens aber einen eigenen Schrank oder ein eigenes Fach im allgemeinen Archiv, das fest verschlossen und so gesichert ist, dass man es nicht vom Ort entfernen kann; in ihm müssen die geheimzuhaltenden Dokumente mit größter Sorgfalt aufbewahrt werden. § 2 Jährlich sind die Akten der Strafsachen in Sittlichkeitsverfahren, deren Angeklagte verstorben sind oder die seit einem Jahrzehnt durch Verurteilung abgeschlossen sind, zu vernichten; ein kurzer Tatbestandsbericht mit dem Wortlaut des Endurteils ist aufzubewahren“. Vgl. c. 1082 CIC: „Falls nicht ein Reskript der Pönitentiarie anderes vorschreibt, ist die für den inneren nichtsakramentalen Bereich von einem geheimen Hindernis erteilte Dispens in einem Buch zu vermerken, das im Geheimarchiv der Kurie aufzubewahren ist; eine weitere Dispens ist für den äußeren Bereich nicht notwendig, wenn das geheime Hindernis nachträglich bekannt geworden ist“. Vgl. c. 1133 CIC: „Eine geheim geschlossene Ehe ist nur in einem besonderen Buch einzutragen, das im Geheimarchiv der bischöflichen Kurie aufzubewahren ist“. Vgl. c. 1339 § 3 CIC: „Die Verwarnung und der Verweis müssen immer wenigstens aufgrund irgendeines Dokumentes feststehen, das im Geheimarchiv der Kurie aufzubewahren ist“.

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Außerdem geht c. 489 § 2 implizit von der Voraussetzung aus, daß im Falle von Strafsachen in Sittlichkeitsverfahren nicht nur die Vorermittlungsakten, sondern sämtliche Prozeßunterlagen im Geheimarchiv verwahrt bleiben“63. Daneben sprechen auch gute Gründe dafür, die Liste der Vertreter eines amtsbehinderten Diözesanbischofs (c. 413 § 1 CIC)64 und die Urteilsvoten der Richter eines Kollegialgerichtes (c. 1609 § 2 CIC)65 aufzubewahren66. Im § 2 des c. 489 CIC wird präzise der Umgang mit den Akten aus Strafverfahren, die Sittlichkeitsvergehen betreffen, geregelt. Diese sind nämlich nicht unbefristet im Geheimarchiv aufzubewahren, sondern nach dem Tod des Angeklagten bzw. nach Ablauf von zehn Jahren seit der Verurteilung zu vernichten. 62

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Vgl. c. 1719 CIC: „Die Voruntersuchungsakten und die Dekrete des Ordinarius, mit denen die Voruntersuchung eingeleitet oder abgeschlossen wird, sowie alle Vorgänge, die der Voruntersuchung vorausgehen, sind, falls sie für einen Strafprozeß nicht notwendig sind, im Geheimarchiv der Kurie abzulegen“. Bier, Kommentar (Anm. 29), 489, 3. Besondere Bedeutung erhält diese Bestimmung durch die Tatsache, dass nach den Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz zum Umgang mit Missbrauch durch Kleriker (vgl. Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz, in: Amtsblatt Bistum Limburg Nr. 11 (2002), 99–101) im dritten Verfahrensschritt bei erhärtetem Verdacht die Voruntersuchung nach c. 1717 CIC durchzuführen ist. Deren Ergebnisse sind an die Glaubenskongregation nach Rom zur Prüfung und Entscheidung zum weiteren Vorgehen zu leiten. Diese Vorgehensweise hat Papst Johannes Paul II. in seinem Motu proprio „Sacramentorum sanctitatis tutela“, in: AAS 93 (2001), 737–739, festgelegt, die in der aktuellen Diskussion in Deutschland nicht ungeteilte Zustimmung findet, weil die Frage des rechtzeitigen Einbeziehens der zuständigen Staatsanwaltschaft gestellt wird. Auch kirchenrechtlich ist problematisch, dass die entsprechenden prozessrechtlichen Normen, nach denen die Glaubenskongregation in diesen Fällen vorgehen muss, lange Zeit nicht veröffentlicht wurden. Dies hat zu kritischen Nachfragen in der Kirchenrechtswissenschaft geführt, vgl. hierzu: Heribert Schmitz, Delicta Graviora Congregationi De Doctrina Fidei Reservata, in: DPM 9 (2002), 284–312. Vgl. c. 413 § 1 CIC: „§ 1. Bei Behinderung des bischöflichen Stuhls steht die Leitung der Diözese, wenn der Heilige Stuhl nichts anderes vorgesehen hat, dem etwa vorhandenen Bischofskoadjutor zu; gibt es keinen oder ist auch er behindert, so übernimmt die Leitung ein Auxiliarbischof, Generalvikar oder Bischofsvikar oder ein anderer Priester, wobei die Reihenfolge der Personen einzuhalten ist, die der Diözesanbischof in einem Verzeichnis festgelegt hat, das er möglichst bald nach der Besitzergreifung von der Diözese zusammenstellen muß; dieses Verzeichnis, das dem Metropoliten mitzuteilen ist, ist wenigstens alle drei Jahre zu erneuern und vom Kanzler der Kurie geheim aufzubewahren“. Vgl. c. 1609 § 2 CIC: „Zum anberaumten Sitzungstermin haben die einzelnen Richter schriftlich ihre Ergebnisse zum Prozeßgegenstand samt der Darlegung der Rechts- und Tatsachengründe mitzubringen, aufgrund derer sie zu ihrem Ergebnis gelangt sind; diese Urteilsgutachten sind den Gerichtsakten beizufügen, aber geheimzuhalten“. Vgl. Haering, Ordnung (Anm. 4), 449 (Anm. 18) mit Verweis auf Bier, Kommentar (Anm. 29), 489, 3.

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Dies hat jährlich zu geschehen, dass heißt der allein für das Geheimarchiv zuständige Diözesanbischof67 hat persönlich einmal im Jahr zu schauen, welche Akten dieser Art kassiert werden können. Da nach c. 1719 CIC auch die Akten der Voruntersuchungen im Geheimarchiv gelagert werden müssen, scheint es zwingend zu sein, auch die Prozessunterlagen eines Verfahrens im Geheimarchiv aufzubewahren, das mit einem Freispruch für den Angeklagten geendet hat68. Bei der Vernichtung der Akten schreibt das kirchliche Gesetzbuch allerdings vor, dass von dem entsprechenden Fall der gesamte Urteilstext und eine Zusammenfassung der rechtlichen und sachlichen Fakten, die zum Urteil geführt haben, erstellt und dauerhaft im Geheimarchiv aufbewahrt bleiben. Damit bleibt auch für spätere Generationen ersichtlich, welche Täter es in Sittlichkeitsvergehen gegeben hat, was eigentlich nicht so recht zur ursprünglichen Intention der Codexreformkommission passen will, den für den konkreten Kleriker heiklen Sachverhalt an spätere Generationen weiter zu vermitteln. Durch die Bestimmung des c. 489 § 2 CIC in seiner jetzigen Form bleibt auch zu einem späteren Zeitpunkt grundsätzlich nachvollziehbar, wer aus einer früheren Klerikergeneration in einen Prozess im Bereich der Sittlichkeitsvergehen involviert war69. Im c. 490 CIC70 werden drei Regelungen getroffen, die ausschließlich dem Ziel dienen, die Geheimhaltung der im Geheimarchiv befindlichen Urkunden zu sichern. Nur der Diözesanbischof darf einen Schlüssel zum Geheimarchiv besitzen, so dass nur mit seiner Beteiligung die Möglichkeit besteht, Unterlagen im Geheimarchiv einzusehen. Dies birgt allerdings das Risiko, dass dieser Schlüssel verlegt oder verloren werden kann oder nach dem Tod des Diözesanbischofs nicht auffindbar ist. Von daher ist es ratsam, einen Zweitschlüssel anzufertigen und sicher zu verwahren. Während der Sedisvakanz trägt der Diözesanadministrator die Verantwortung für das Geheimarchiv. Er darf allerdings dieses Archiv 67 68 69

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Dies ergibt sich zwingend aus der Vorschrift des c. 490 § 1 CIC, die besagt, dass allein der Diözesanbischof einen Schlüssel des Geheimarchivs besitzen darf. So zutreffend Bier, Kommentar (Anm. 29), 489, 4. Man mag diese Regelung aus Gründen des Schutzes des guten Rufes eines Klerikers bedauern. Andererseits zeigen die Erfahrungen in Gesprächen mit Missbrauchsopfern, dass sie erst viele Jahre später über die Ereignisse sprechen können. Da ist es in dem einen oder anderen Fall für die in der Leitung eines Bistums stehenden Verantwortlichen hilfreich, durch den Blick in das Geheimarchiv zu prüfen, ob Unterlagen zum genannten möglichen Täter vorliegen. Schon aus diesem Grund ist die Regelung des c. 489 § 2 CIC ausdrücklich zu begrüßen. Vgl. c. 490 CIC: „§ 1 Nur der Bischof darf den Schlüssel zum Geheimarchiv haben. § 2 Während der Sedisvakanz darf das Geheimarchiv bzw. der Geheimschrank nur im Falle wirklicher Notwendigkeit vom Diözesanadministrator selbst geöffnet werden. § 3 Aus dem Geheimarchiv bzw. Geheimschrank dürfen keine Dokumente herausgegeben werden“.

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nur in Fällen wirklicher Notwendigkeit öffnen und Unterlagen einsehen, womit der Gesetzgeber den strengen Ausnahmecharakter einer solchen Maßnahme nachdrücklich unterstreicht. Als dritte Sicherungsmaßnahme wird in c. 490 § 3 CIC angeordnet, dass aus dem Geheimarchiv oder Geheimschrank keine Urkunden herausgegeben werden dürfen. Dies gilt auch für die Frage, ob von den Urkunden Abschriften oder Kopien erstellt werden dürfen, was verneint werden muss. Allerdings ist es durchaus vorstellbar, dass es ein berechtigtes Anliegen von kirchlichen Amtspersonen geben könnte, Einblick in das Geheimarchiv zu nehmen. Der Codex schweigt sich hierzu aus, so dass der Diözesanbischof zum Beispiel einem kirchlichen Richter für einen konkreten Ehenichtigkeitsprozess auf dessen Anfrage hin, die Information über die Dispens von einem geheimen Ehehindernis geben könnte71. Bevor in einem nächsten Schritt auf die Normen zum Pfarrarchiv einzugehen sein wird, ist noch auf weitere, verstreut im Codex von 1983 zu findende archivrechtliche Bestimmungen zu verweisen. Im bereits angesprochenen c. 491 CIC wird dem Diözesanbischof die Pflicht auferlegt, dafür Sorge zu tragen, dass alle juristischen Personen in seiner Diözese ein Archiv führen, und dass er hierfür als zuständiger Gesetzgeber hinsichtlich der Einsichtnahme und Entnahme von Akten und Urkunden aus diesen Archiven Normen zu erlassen hat72. Weitere Bestimmungen finden sich im kirchlichen Vermögensrecht. „In c. 128473 wird den kirchlichen Vermögensverwaltern u. a. aufgetragen, die Einnahmen- und Ausgabenbücher wohlgeordnet zu führen und die Dokumente und Belege für vermögensrechtliche Ansprüche ihrer Einrichtung geordnet in einem Archiv aufzubewahren. Authentische Kopien sollen nach Möglichkeit im Archiv der Kurie hinterlegt werden […]. Auch hier wird – ebenso wie in c.

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Vgl. Bier, Kommentar (Anm. 29), 490, 5. Bier ist auch zuzustimmen, wenn er weiter ausführt, dass „einem kirchlichen Amtsträger, der in Ausübung seiner Amtspflichten eine bestimmte Information benötigt und durch seine amtliche Schweigepflicht an der Weitergabe der empfangenen Informationen gehindert ist, … eine bestimmte Auskunft womöglich unbedenklicher erteilt werden“ kann „als einer Privatperson“. (Bier, Kommentar (Anm. 29), 489, 5). Vgl. c. 491 § 3 CIC: „Betreffend die Einsichtnahme und Entnahme von Akten und Urkunden, um die es in den §§ 1 und 2 geht, sind die vom Diözesanbischof erlassenen Normen zu beachten“. In Kapitel 3 werden die deutschen partikularrechtlichen Normen hierzu genauer dargestellt. Vgl. c. 1284 § 2 nn. 7 und 9 CIC: „7° die Einnahmen- und Ausgabenbücher wohlgeordnet führen; … 9° Dokumente und Belege, auf die sich vermögensrechtliche Ansprüche der Kirche oder des Institutes gründen, gebührend ordnen und in einem entsprechenden und geeigneten Archiv aufbewahren, authentische Kopien derselben aber, soweit sich das leicht durchführen läßt, im Archiv der Kurie hinterlegen“.

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128374, wo die Erstellung eines Bestandsverzeichnisses der Vermögenswerte eines kirchlichen Rechtsträgers und dessen Hinterlegung im Archiv angeordnet wird – deutlich, daß alle juristischen Personen in der Kirche, auch solche, die nicht der Leitung des Diözesanbischofs unterstellt sind wie z. B. Orden päpstlichen Rechts, zumindest über eine Art Verwaltungsarchiv verfügen müssen“75. Weiterhin wird bei verschiedenen Rechtshandlungen wie der Protokollierung von Wahlen76 oder Errichtung einer Stiftung77 und bei der Spendung von Sakramenten/Sakramentalien78 gefordert, diese im Archiv oder in den vorgesehenen Büchern zu vermerken.

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Vgl. c. 1283 nn. 2 und 3: „2° ist ein genaues und ins einzelne gehendes und von ihnen zu unterzeichnendes Bestandsverzeichnis der Immobilien, der beweglichen Sachen, seien sie wertvoll oder sonstwie den Kulturgütern zuzurechnen, oder anderer Sachen mit deren Beschreibung und Wertangabe anzufertigen bzw. ein vorliegendes Bestandsverzeichnis zu überprüfen; 3° muß ein Exemplar dieses Bestandsverzeichnisses im Archiv der Verwaltung, ein weiteres im Archiv der Kurie aufbewahrt werden; in beiden Exemplaren ist jede Veränderung zu verzeichnen, die das Vermögen erfährt“. Haering, Ordnung (Anm. 4), 450–451. Vgl. z. B. c. 173 § 4 CIC: „Über alle Wahlhandlungen ist von demjenigen, der die Aufgabe des Schriftführers wahrnimmt, eine genaue Niederschrift anzufertigen und, wenigstens von diesem Schriftführer, dem Vorsitzenden und den Wahlprüfern unterschrieben, im Archiv des Kollegiums sorgfältig aufzubewahren“. Vgl. c. 1306 § 2 CIC: „Ein Exemplar der Urkunde ist im Archiv der Kurie, ein weiteres im Archiv der juristischen Person, der die Stiftung gemacht worden ist, sicher aufzubewahren“. Vgl. c. 877 § 1 CIC: „Der Pfarrer des Ortes, an dem die Taufe gefeiert wird, muß die Namen der Getauften unter Angabe des Spenders, der Eltern, der Paten und, soweit vorhanden, der Zeugen sowie des Ortes und des Tages der Taufspendung gewissenhaft und unverzüglich in das Taufbuch eintragen; dabei sind zugleich auch Tag und Ort der Geburt zu vermerken“. Vgl. c. 895 CIC: „Die Namen der Gefirmten sind unter Angabe des Spenders, der Eltern und der Paten sowie des Ortes und Tages der Firmspendung in das Firmbuch der Diözesankurie einzutragen oder, wo dies die Bischofskonferenz oder der Diözesanbischof vorgeschrieben hat, in ein Buch, das im Pfarrarchiv zu verwahren ist; der Pfarrer muß den Pfarrer des Taufortes von der Firmspendung in Kenntnis setzen, damit nach Maßgabe des can. 535, § 2 der Vermerk im Taufbuch erfolgt“. Vgl. c. 1053 § 1 CIC: „Nach der Weihespendung sind die Namen der einzelnen Geweihten und des Weihespenders sowie Ort und Zeit der Weihespendung in ein besonderes, bei der Kurie des Weiheortes gewissenhaft aufzubewahrendes Buch einzutragen, alle Dokumente der einzelnen Weihespendungen sind sorgfältig aufzubewahren“. Vgl. c. 1121 § 1: „Nach der Eheschließung hat der Pfarrer des Eheschließungsortes oder sein Vertreter, auch wenn keiner von beiden ihr assistiert hat, möglichst bald die Namen der Eheleute, des Assistierenden und der Zeugen sowie Ort und Tag der Eheschließung in der von der Bischofskonferenz oder vom Diözesanbischof vorgeschriebenen Weise in das Ehebuch einzutragen“. Vgl. c. 1208 CIC: „Über die vollzogene Weihung oder Segnung einer Kirche, eben-

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2.3. Archiv auf der Ebene der Pfarrei79 Von besonderer Bedeutung für das kirchliche Archivwesen sind die Pfarrarchive, denen der päpstliche Gesetzgeber in c. 535 CIC80 besondere Aufmerksamkeit widmet. In diesem Canon werden zwei archivrechtlich relevante Sachverhalte angesprochen, die Führung von Kirchenbüchern („libri paroeciales“) und die zwingend vorgeschriebene Einrichtung eines Pfarrarchivs in jeder Pfarrei. Hinzu treten Fragen nach der Rechtsaufsicht (Stichwort: Visitation) und der Normsetzungskompetenz im Sinne partikularrechtlicher Gesetzgebung. Kirchenbücher, die im deutschsprachigen Raum auch Pfarrmatrikel81 genannt werden und in jeder Pfarrei vorhanden sein müssen, sind das Taufbuch, das Ehebuch und das Totenbuch. Daneben kann die Bischofskonferenz oder der einzelne Diözesanbischof durch eigenes Gesetz die Führung weiterer Kir-

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so über die Segnung eines Friedhofs ist eine Urkunde auszustellen, von der ein Exemplar in der Diözesankurie, ein zweites im Archiv der Kirche aufzubewahren ist“. Literatur zum Pfarrarchiv: Schmitz, Kirchenbücher (Anm. 4), bes. 10–22. – Rudolf Zinnhobler, Vom Sinn und Wert des Pfarrarchivs, in: ThPQ 138 (1990), 131–134. – Diederich, Archivwesen (Anm. 3), 951. Vgl. c. 535 CIC: „§ 1. In jeder Pfarrei müssen die pfarrlichen Bücher vorhanden sein, nämlich Taufbuch, Ehebuch, Totenbuch und andere Bücher gemäß den Vorschriften der Bischofskonferenz oder des Diözesanbischofs; der Pfarrer hat dafür zu sorgen, daß diese Bücher ordentlich geführt und sorgfältig aufbewahrt werden. § 2. In das Taufbuch sind auch einzutragen die Firmung und alles, was den Canonischen Personenstand der Gläubigen betrifft in bezug auf die Ehe, unbeschadet jedoch der Vorschrift des can. 1133, in bezug auf die Adoption, desgleichen in bezug auf den Empfang der heiligen Weihe, in bezug auf das in einem Ordensinstitut abgelegte ewige Gelübde und hinsichtlich eines Rituswechsels; diese Eintragungen sind in einer Urkunde über den Taufempfang immer zu erwähnen. § 3. Jede Pfarrei muß ein eigenes Siegel haben; die Urkunden, die über den Canonischen Personenstand der Gläubigen ausgestellt werden, sowie alle Akten, die rechtliche Bedeutung haben können, sind vom Pfarrer selbst oder von seinem Beauftragten zu unterschreiben und mit dem pfarrlichen Siegel zu bekräftigen. § 4. In jeder Pfarrei muß eine Urkundensammlung, d. h. ein Archiv vorhanden sein, in dem die pfarrlichen Bücher aufzubewahren sind zusammen mit den Briefen der Bischöfe und anderen Dokumenten, die notwendiger- oder zweckmäßigerweise aufzuheben sind; dies alles ist vom Diözesanbischof oder seinem Beauftragten bei der Visitation oder zu einem anderen geeigneten Zeitpunkt einzusehen; der Pfarrer hat dafür zu sorgen, daß die Dokumente nicht in die Hände Unbefugter gelangen. § 5. Die älteren pfarrlichen Bücher sind ebenfalls sorgfältig gemäß den Vorschriften des Partikularrechts aufzubewahren“. Vgl. Hans Paarhammer, Gerhard Fahrnberger, Pfarrei und Pfarrer im neuen CIC, WienMünchen 1983, 45–46. Vgl. Schmitz, Kirchenbücher (Anm. 4), 52–53, der für den außerdeutschen Sprachraum die Bezeichnung Register für die Kirchenbücher nachweist.

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chenbücher wie zum Beispiel eines Firmbuchs82 festlegen83. Diese Kirchenbücher im engeren Sinn sind in neue und ältere Bücher zu unterscheiden, wobei erstere für die aktuellen Eintragungen benötigt werden und letztere sorgfältig aufzubewahren sind, weil zum Beispiel immer wieder in älteren Taufbüchern der Personenstand von Katholikinnen und Katholiken geprüft wird. Neben diesen Kirchenbüchern im engeren Sinne werden im Codex noch weitere Bücher gefordert: das Katechumenenbuch („liber catechumenorum“)84, das Messstipendienbuch („liber Missarum celebrandarum“)85, das Stiftungsbuch („liber fundationum“)86, Bücher, in denen die Einnahmen und Ausgaben der Pfarrei („libri accepti et expensi“)87 festgehalten werden und die sog. liturgischen Bücher („libri liturgici“)88, die die entsprechenden liturgischen Ordnungen enthalten. Entscheidendes Kennzeichen für ein Kirchenbuch ist das der Führung, „d. h. Aufzeichnung von Daten“.89 „Pfarrliche Kirchenbücher sind demnach Bücher, die in jeder Pfarrei vorhanden sein und geführt werden müssen und in denen bestimmte Daten festzuhalten sind. Hinsichtlich der Daten sind zu unterscheiden: personenstandsrelevante, geistlich-pastorale oder seelsorgsrelevante Daten, d. h. Daten über den Personenstand und über die Sakramentenspendung, und sonstige vermögensrelevante Daten, zu denen auch die Daten über die Meßstipendien und die Stiftungen gehören. Der vom CIC verwendete Begriff ‚Pfarrbücher’ (libri paroeciales) umfaßt nur Bücher mit personenstandsbezogenen und seelsorglichen Daten. Die Bücher für die vermögensrelevanten Daten sind zwar Kirchenbücher (in) der Pfarrei, aber keine Pfarrbücher“90. Der Pfarrer ist verantwortlich für die Führung und Aufbewahrung der Pfarrbücher und trägt dafür Sorge, dass diese Bücher im Pfarrarchiv, das er zu führen hat, sachgerecht entsprechend auch den partikularrechtlichen Normen aufbewahrt werden. Gemäß c. 535 § 3 CIC kann der Pfarrer sowohl mit der Führung der Kirchenbücher als auch mit der Führung des Pfarrarchivs andere Personen betrauen91. Die Amtsführung des Pfarrers steht im Blickpunkt der Visitation der 82 83

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Vgl. c. 895 CIC. In den deutschen Diözesen wird zum Beispiel die Führung von Kirchenaustrittsverzeichnissen und Wiedereintrittsverzeichnissen gefordert, in manchen Bistümern auch die Führung eines Kommunionkinderverzeichnisses. Vgl. c. 788 § 1 in Verbindung mit c. 851 n. 1 und c. 857 § 2 CIC. Vgl. c. 958 § 1 CIC. Vgl. c. 1307 § 2 CIC. Vgl. c. 1284 § 2 n. 7 CIC. In der Regel werden diese Bücher Kassenbücher genannt. Vgl. cc. 834 § 2, 838 § 2, 846 § 2 CIC. Schmitz, Kirchenbücher (Anm. 4), 11. Schmitz, Kirchenbücher (Anm. 4), 12–13. Im Bereich der Pfarrbücher im engeren Sinn ist an die Pfarrsekretärinnen resp. Pfarrsekretäre sowie auch die dem Pfarrer zur Mitarbeit in der Seelsorge zugeordneten pastoralen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und Ständigen Diakone sowie priesterlichen Hilfsgeist-

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Pfarreien eines Bistums durch den Diözesanbischof, die mindestens alle fünf Jahre durchzuführen ist92. Speziell für die Pfarrbücher trägt zusätzlich auch der Dechant93 Verantwortung94, die genauer in diözesanen Gesetzen umschrieben wird. Nach c. 491 CIC gelten für die Führung der Pfarrarchive die jeweiligen Ordnungen, die der Diözesangesetzgeber erlassen hat95. Aus kirchengeschichtlicher Perspektive sind die Pfarrarchive oft die älteste und umfassendste lokale Überlieferung, die Auskunft über das frühere zivile und kirchliche Leben in einem Ort gibt96. Aufgrund der abnehmenden Zahl von Pfarrern, der zunehmenden Zahl von Zusammenlegungen von Pfarreien und nicht selten mangelnder Fachlichkeit vor Ort, was die ordnungsgemäße Führung eines Pfarrarchivs angeht, ist in den letzten Jahren mit zunehmender Tendenz zu beobachten, dass zumindest die älteren Bestände an im Pfarrarchiv gelagerten pfarrlichen Büchern im engeren Sinn wie auch an anderen, historisch bedeutsamen Dokumenten aus Pfarrarchiven, die auch einer besonderen Pflege bedürfen, in das historische Diözesanarchiv überführt werden. Dabei sind die vermögensrechtlichen Fragen, vor allem nach dem Eigentümer dieser Unterlagen, sorgfältig zu beachten und kirchenrechtlich zu bedenken97.

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lichen wie Kapläne und Subsidiare zu denken. Wichtig ist die schriftliche Beauftragung nach c. 535 § 3 CIC und die bleibende Verantwortung des Pfarrers für die jährliche Kontrolle der Einträge durch beauftragte Dritte. Vgl. c. 396 § 1 CIC: „Der Bischof ist verpflichtet, die Diözese ganz oder zum Teil jährlich zu visitieren, und zwar so, daß er wenigstens alle fünf Jahre die gesamte Diözese visitiert, sei es persönlich, sei es im Falle seiner rechtmäßigen Verhinderung durch den Bischofskoadjutor, einen Auxiliarbischof, einen Generalvikar oder Bischofsvikar oder durch einen anderen Priester“. In manchen Bistümern wird der Dechant auch Dekan genannt. Sein Vertreter wird in der Regel als Definitor bezeichnet und übernimmt häufig die Aufgabe der Visitation der pfarrlichen Bücher. Vgl. c. 555 § 1 n. 3 CIC: Er hat „dafür zu sorgen, daß die gottesdienstlichen Handlungen gemäß den Vorschriften der heiligen Liturgie gefeiert werden, daß Schmuck und Sauberkeit der Kirchen und der heiligen Geräte, vor allem bei der Feier der Eucharistie und der Aufbewahrung des allerheiligsten Sakramentes, sorgfältig gewahrt werden, daß die pfarrlichen Bücher richtig geführt und ordnungsgemäß aufbewahrt werden, daß das Kirchenvermögen mit Sorgfalt verwaltet wird; schließlich, daß das Pfarrhaus mit gebührender Umsicht gepflegt wird“. Vgl. u. Kap. 3. Vgl. Diederich, Archivwesen (Anm. 3), 951. Grundlegend hierzu Schmitz, Kirchenbücher (Anm. 4) mit dem abschließenden Ergebnis zu dieser Fragestellung: „Die Befugnis des Diözesanbischofs, Anweisungen über die Aufbewahrung der Pfarrbücher zu geben, berührt nicht die Eigentumsfrage. Unter Berufung auf Eigentumsrechte kann sich daher kein kirchlicher Rechtsträger gegen die bischöfliche Anordnung wehren, daß die älteren Pfarrbücher zentral im Diözesanarchiv

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3. Die partikularrechtlichen Normen zum kirchlichen Archivwesen in der Bundesrepublik Deutschland Die deutschen Bischöfe haben sich in den letzten Jahrzehnten häufig mit dem Thema kirchliches Archivwesen beschäftigt und hierzu entsprechende Normen erlassen98. Erstmalig wird in c. 535 § 5 CIC den partikularkichlichen Autoritäten, d. h. primär dem Diözesanbischof99, der Bischofskonferenz im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen100 und dem Partikularkonzil101 die Möglichkeit eingeräumt, partikulare Normen für die Aufbewahrung älterer pfarrlicher Bücher

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aufbewahrt und gepflegt werden oder daß ein Matrikelamt zur zentralen Führung der Pfarregister eingerichtet wird. Die Übergabe der pfarrlichen Kirchenbücher geschieht im Wege der Leihe. Sie ändert die Besitzverhältnisse; die Eigentums- und Nutzungsrechte hingegen bleiben unberührt“(49). Vgl. Dietrich von Merveldt, Verordnungen und Richtlinien zum Archivwesen der katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland von ca. 1953 bis Ende 1965, in: Der Archivar 20 (1967), 437–454. – Barbara Möckershoff, Verordnungen, Richtlinien und Empfehlungen zum Archivwesen der katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland von 1966 bis 1976, in: Der Archivar 31 (1978), 72–90. – Herbert W. Wurster, Verordnungen, Richtlinien und Empfehlungen zum Archivwesen der katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland von 1977 bis 1983, in: Der Archivar 38 (1985), 90–98; 202–226. Die wichtigsten Normenkomplexe hierzu sind auch abgedruckt in der Arbeitshilfe, 142 (Anm. 1), 44–56. Vgl. c. 391 CIC: „§ 1. Es ist Sache des Diözesanbischofs, die ihm anvertraute Teilkirche nach Maßgabe des Rechts mit gesetzgebender, ausführender und richterlicher Gewalt zu leiten. § 2. Die gesetzgebende Gewalt übt der Bischof selbst aus, die ausführende Gewalt selbst oder nach Maßgabe des Rechts durch die Generalvikare bzw. die Bischofsvikare, die richterliche Gewalt selbst oder nach Maßgabe des Rechts durch den Gerichtsvikar und die Richter“. Vgl. c. 455 §§ 1 und 4 CIC: „§ 1. Die Bischofskonferenz kann nur in den Angelegenheiten allgemeine Dekrete erlassen, in denen das allgemeine Recht es vorschreibt oder eine besondere Anordnung dies bestimmt, die der Apostolische Stuhl aus eigenem Antrieb oder auf Bitten der Konferenz selbst erlassen hat. § 4. In den Fällen, in denen weder das allgemeine Recht noch eine besondere Anordnung des Apostolischen Stuhls der Bischofskonferenz die in § 1 genannte Vollmacht einräumt, bleibt die Zuständigkeit des einzelnen Diözesanbischofs ungeschmälert erhalten, und weder die Konferenz noch ihr Vorsitzender kann im Namen aller Bischöfe handeln, wenn nicht alle Bischöfe einzeln ihre Zustimmung gegeben haben“. Vgl. c. 445 CIC: „Das Partikularkonzil bemüht sich für sein Gebiet darum, daß für die pastoralen Erfordernisse des Gottesvolkes Vorsorge getroffen wird; es besitzt Leitungsgewalt, vor allem Gesetzgebungsgewalt, so daß es, stets unter Vorbehalt des allgemeinen Rechts der Kirche, bestimmen kann, was zum Wachstum des Glaubens, zur Leitung des gemeinsamen pastoralen Wirkens, zur Ordnung der Sitten und zu Bewahrung, Einführung und Schutz der allgemeinen kirchlichen Disziplin angebracht scheint“.

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zu erlassen102. Dabei ist zu beachten, dass die Bischofskonferenz grundsätzlich keine Kompetenz im Bereich des Archivrechtes hat, es sei denn, sie würde hierzu vom Apostolischen Stuhl ermächtigt. Von daher stellen die Beschlüsse der Deutschen Bischofskonferenz zum kirchlichen Archivwesen mit normativen Teilen immer Empfehlungen an die einzelnen Diözesanbischöfe dar, die dann diese Empfehlungen in diözesanes Recht durch ihre Gesetzgebungskompetenz als diözesaner Gesetzgeber überführen. Folgende sieben Rechtstexte sind in den letzten vier Jahrzehnten von besonderer Bedeutung und gemeinhin auch durch die jeweiligen Diözesanbischöfe in Kraft gesetzt worden: – Richtlinien für die Erhaltung und Verwaltung der kirchlichen Archive in Deutschland (1968)103; – Verschiedene Empfehlungen zum Archivwesen (1970)104; – Vervielfältigung kirchlicher Archivalien (1974)105; – Sicherstellung des Schriftguts nicht mehr besetzter Seelsorgestellen – Führung der Taufmatrikel – Fortbildung von Registratur- und Archivpersonal (1978)106; – Anordnung über die Sicherung und Nutzung der Archive der katholischen Kirche (1988)107; – Empfehlung für die Behandlung des bei Diözesanbischöfen anfallenden Schrift- und Dokumentationsgutes (1989)108; – Sicherung und Nutzung kirchlichen Schriftguts, insbesondere der Pfarrmatrikel (1992)109; – Grundsätze zur Nutzung gesperrten kirchlichen Schrift- und Dokumentationsgutes aufgrund von Sondergenehmigungen (1993)110. Da bei der Archivierung von Dokumenten und Urkunden und deren möglicher Herausgabe an Dritte immer datenschutzrechtliche Aspekte zu beachten 102 103 104 105 106 107

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Vgl. weitere Erläuterungen bei Schmitz, Kirchenbücher (Anm. 4), 16–18. Abgedruckt in: Arbeitshilfen, 142 (Anm. 1), 44–45. Abgedruckt in: Arbeitshilfen, 142 (Anm. 1), 45–46. Abgedruckt in: Arbeitshilfen, 142 (Anm. 1), 46–47. Abgedruckt in: Arbeitshilfen, 142 (Anm. 1), 47. Abgedruckt in: Arbeitshilfen, 142 (Anm. 1), 47–52; vgl. Toni Diederich, Anordnung über die Sicherung und Nutzung der Archive der Katholischen Kirche. Einführung und Textabdruck, in: Der Archivar 42 (1989), 187–198. Vgl. auch Haering, Ordnung (Anm. 4), 453–454. Abgedruckt in: Arbeitshilfen, 142 (Anm. 1), 52–53. Abgedruckt in: Arbeitshilfen, 142 (Anm. 1), 53. Abgedruckt in: Arbeitshilfen, 142 (Anm. 1), 54–56.

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sind, müssen auch die entsprechenden Empfehlungen der Deutschen Bischofskonferenz zum kirchlichen Datenschutz111, die in diözesanes Recht überführt worden sind, mitgesehen werden. Aus der Fülle der Normen sollen einige Beispiele angeführt werden, die angesichts der dramatischen Strukturveränderungen, vor allem auf der Ebene der Pfarreien, eine gewisse aktuelle und praktische Relevanz haben. Auffallend ist, dass die deutschen Bischöfe in konsequenter Auslegung des in Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV112 grundgelegten Selbstbestimmungsrechtes sich verfassungsrechtlich befugt sehen, ihr Archivwesen eigenständig zu regeln113. Diese Auffassung ist verfassungsrechtlich unbedenklich, da die kirchenrechtliche Regelung des kirchlichen Archivwesens unter die Angelegenheiten zu zählen ist, die die Kirche selbständig ordnen und verwalten kann114. Inhaltlich lässt sich mit § 1 Nr. 2 der Anordnung über die Sicherung und Nutzung der Archive der katholischen Kirche hierfür anführen, dass die Archive deren Wirken dokumentieren, ihrer Verwaltung und der Erforschung ihrer Geschichte dienen. Von daher besteht aus dieser Perspektive ein berechtigtes Anliegen, die gesamte Materie bezogen auf die Wahrung der eigenen Identität selbständig zu regeln. Besonderes Augenmerk finden vor allem die pfarrlichen Bücher, insbesondere was die älteren und abgeschlossenen Taufbücher angeht. Es wird die Empfehlung ausgesprochen, die abgeschlossenen Matrikelbücher nach Möglichkeit in den Diözesanarchiven zu verwahren und zu verwalten115. Hinzu kommt der Aspekt der Verfilmung der Matrikel durch das Diözesanarchiv, eine Praxis, die die wichtigen personenstandsrelevanten Dokumente und in ihnen enthaltenen Informationen dauerhaft sichern und erhalten will116. 111 112

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Datenschutz und Melderecht der katholischen Kirche 2006, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz Bonn 2006 (Arbeitshilfen, 206). Vgl. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV: „Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes. (3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde“. Vgl. Anordnung (Anm. 39), 47 : „§ 1 n. 1. Die katholische Kirche ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig. Sie regelt auch ihr Archivwesen eigenständig“. Krüger, Archivwesen (Anm. 8), 148–149. Vgl. Sicherung (Anm. 110), 53: „Der Ständige Rat befaßt sich mit der Sicherung und Nutzung der Pfarrmatrikel (Kirchenbücher). Er empfiehlt, die abgeschlossenen Matrikel nach Möglichkeit in den Diözesanarchiven zu verwahren und zu verwalten (…)“. Während 1974 die Verfilmung der Matrikel durch die Kommunen noch abgelehnt wurde und nur bei Gefahr die Sicherheitsverfilmung erfolgen sollte (Vervielfältigung (Anm. 106), 46), wird seit 1992 die flächendeckende Verfilmung der Matrikelbücher angeraten (Sicherung (Anm. 110), 53).

Das kirchliche Archivwesen im geltenden Kanonischen Recht

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Grundsätzlich verpflichten die deutschen Bischöfe alle Körperschaften und Institute zur Archivierung der Dokumente an dem Ort, „bei denen sie“ [= die Archive; T.S.] „entstanden, und für sie ihrer Natur und ihrem Zweck nach bestimmt sind. Wenn dauernd für eine sachgemäße Verwaltung keine Gewähr besteht, ist das betr. Archiv unter Aufrechterhaltung seines rechtlichen Status im übergeordneten Archiv zu deponieren“117. Durch die zunehmende Zusammenlegung von ehemals staatskirchenrechtlich und kirchenrechtlich eigenständigen Pfarreien/Kirchengemeinden stellt sich aktuell die Frage, wohin die bisherigen Pfarrarchivbestände der untergegangenen Pfarreien/Kirchengemeinden zu verbringen sind. Die deutschen Bischöfe haben schon 1968 hierzu festgestellt, dass nach Aufhebung oder Untergang einer kirchlichen Körperschaft das ganze Archiv dem Rechtsnachfolger oder der übergeordneten Instanz zufalle118. Diese Regelung ist sinnvoll, weil in der Regel bei der Zusammenlegung von Pfarreien/Kirchengemeinden119 mit der Rechtsfigur der Gesamtrechtsnachfolge gemäß c. 121 CIC120 gearbeitet wird. Allerdings ist den Diözesanbischöfen zu raten, für diesen Fall präzise archivrechtliche Normen zu erlassen, wie mit den überlassenen Archivbeständen der untergegangenen Pfarreien umgegangen werden soll121. Die Anordnung über Sicherung und Nutzung der Archive der katholischen Kirche aus dem Jahr 1988 hat für rechtliche Klarheit vor allem in den Fragen der Verwaltung und Nutzung von Archivgut gesorgt. Spätestens 30 Jahre nach der Schließung der Akte bzw. Erledigung des Vorganges ist dem zuständigen 117 118 119

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Vgl. Richtlinien (Anm. 104), 44. Vgl. Richtlinien (Anm. 104), 44. Vgl. Thomas Schüller, Pfarrei und Leitung der Pfarrei in der Krise – eine kritische Bilanz der Canonistischen Diskussion zur sog. „Gemeindeleitung“ auf dem Hintergrund kooperativer Seelsorgeformen in den deutschsprachigen Diözesen, in: Kirchenrecht aktuell – Anfragen von heute an eine Disziplin von gestern? Hg. von Reinhild Ahlers, Beatrix Laukemper-Isermann (Beihefte zum MK, 40), Essen 2004, 153–170. Vgl. c. 121 CIC: „Werden Gesamtheiten von Personen oder Sachen, die öffentliche juristische Personen sind, so miteinander vereinigt, daß aus diesen eine einzige Gesamtheit entsteht, die auch selbst Rechtspersönlichkeit besitzt, so erhält diese neue juristische Person die Güter und Vermögensrechte, die den früheren gehörten, und übernimmt die Verbindlichkeiten, mit denen diese belastet waren; was aber vor allem die Zweckbestimmung der Güter und die Erfüllung der Verbindlichkeiten angeht, müssen der Wille der Stifter und Spender sowie wohlerworbene Rechte gewahrt bleiben“. Ein einfaches Beispiel soll den Regelungsbedarf dokumentieren. Nach einer Zusammenlegung von Pfarreien werden noch viele Jahrzehnte ins Land gehen, in denen Katholikinnen und Katholiken um Auszüge aus den Taufbüchern der ehemals existierenden Pfarreien bitten. Hier stellt sich die Frage, wie der Auszug aus dem Taufbuch gesiegelt wird. Mit dem Siegel der ehemaligen Pfarrei, zu der das Taufbuch gehörte, oder dem Siegel der neuen „Großraumpfarrei“, die ja ein eigenes Siegel bei ihrer Errichtung erhalten hat?

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Archiv das Schrift- und Dokumentationsgut unaufgefordert zur Übernahme anzubieten. Dann entscheidet das Archiv gemäß der jeweils geltenden diözesanen Kassationsordnung entweder über die Vernichtung des angebotenen Materials oder dessen Übernahme ins Archiv, wodurch es kirchenrechtlich zu Archivgut wird122. Die abliefernden Stellen und ihre Rechtsnachfolger haben das Recht, das bei ihnen entstandene Archivgut zu nutzen. Jeder Betroffene hat weiterhin das Recht, zur Führung seines Personenstandes authentische Abschriften oder Abschriften zum Beispiel aus dem Taufbuch zu erhalten123. Neben diesen beiden Fallgruppen kann auch Dritten bei berechtigtem Interesse auf Antrag hin die Nutzung der Archive gestattet werden. Ein berechtigtes Interesse wird dann angenommen, „wenn mit der Nutzung amtliche, wissenschaftliche, heimatkundliche, familiengeschichtliche oder pädagogische Zwecke verfolgt werden“124. Allerdings müssen hierfür sog. „Nutzungsvoraussetzungen“125 vorliegen und Sperrfristen beachtet werden. Folgende Nutzungsvoraussetzungen müssen gegeben sein, damit Dritte Archivgut nutzen können: – der betreffende Bestand muss geordnet sein; – das Archivgut ist nicht schadhaft und nimmt durch eine Nutzung keinen Schaden; – der betreffende Archivnutzer ist befähigt, eigenständig das ihm zur Verfügung gestellte Material zu benutzen; – Nutzungsanliegen und Arbeitsaufwand des Archivs stehen in einem vertretbaren Rahmen126. Bei den Sperrfristen gilt zunächst, dass Archivgut, dessen Schlussdatum weniger als 40 Jahre zurückliegt, für die Nutzung durch Dritte ausgeschlossen ist, es sei denn, dieses Material ist nicht schon veröffentlicht. Für einige Bereiche gelten weitere Sperrfristen. So beträgt die Sperrfrist für das Bischöfliche Geheimarchiv 60 Jahre, für die bischöflichen Handakten und Nachlässe ebenfalls 60 Jahre, während man Personalakten und personenbezogenes Archivgut erst 30 Jahre nach dem Tod bzw. 120 Jahre nach der Geburt der betroffenen Person einsehen darf127. In der Anordnung aus dem Jahr 1988 wird die Möglichkeit von Sondergenehmigungen für gesperrtes Archivgut für den Bereich der wis122

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Vgl. Anordnung (Anm. 39), 49: § 3 Nr. 5: „Das Archiv entscheidet nach Anhörung der abgebenden Stelle gemäß der Kassationsordnung über die Archivwürdigkeit des Schriftund Dokumentationsgutes. Amtliches Schrift- und Dokumentationsgut wird mit der Übernahme ins Archiv zu Archivgut“. Vgl. Anordnung (Anm. 39), 49, dort die §§ 4 und 5. Vgl. Anordnung (Anm. 39), 50. Vgl. Anordnung (Anm. 39), 50, dort § 7. Vgl. Anordnung (Anm. 39), 50. Vgl. Anordnung (Anm. 39), 51.

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senschaftlichen Forschung in § 9 der Anordnung vorgesehen. Ein entsprechender Antrag wird fachlich durch den Diözesanarchivar geprüft und abschließend durch den zuständigen Ortsordinarius entschieden. Diese Regelungen haben zu weiteren Nachfragen geführt, auf die die deutschen Bischöfe 1993 mit präzisierten Normen geantwortet haben128. Darin unterstreichen die deutschen Bischöfe, dass jüngere kirchengeschichtliche und profangeschichtliche Forschungen mit kirchlichen Bezügen durchaus im Interesse der Kirche liegen und von daher bei der Handhabung der Sperrfristen ein „Ausgleich zwischen dem Anliegen der Forschung einerseits und den Interessen der Archiveigentümer und Betroffenen andererseits“129 zu suchen ist. Sondergenehmigungen für gesperrtes Archivgut sind nur möglich, wenn sich das erbetene Schrift- und Dokumentationsgut im Archiv aufgearbeitet und benutzbar befindet, während unverzeichnete bzw. ungeordnete Akten in der Regel nicht für die Forschung freigegeben werden können, wobei Ausnahmen möglich sind130. Sollte einem Antrag stattgegeben werden, so kann die Nutzung des Archivgutes nur im Archiv selbst unter Aufsicht erfolgen. In den Grundsätzen wird der Fall angesprochen, dass trotz präziser Bereitstellung von gesperrtem Archivgut bei der Durchsicht dem Forscher Material in die Hände fällt, das seiner Natur nach nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Sinnvoll erscheint es hier, eine entsprechende Verpflichtungserklärung des Archivnutzers zu fordern, in der zugesagt wird, Stillschweigen über diese Dinge zu wahren. Nachvollziehbar ist der abschließende Grundsatz, dass Mitgliedern und Mitarbeitern der Kommission für Zeitgeschichte ein besonderer Vertrauensvorschuss entgegengebracht werden könne, die ja bekanntlich wie zum Beispiel beim bereits angesprochenen Thema Zwangsarbeit in der katholischen Kirche131 im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz ihre Themen bearbeiten und dabei auf die Unterstützung der kirchlichen Archive angewiesen sind132. Diese exemplarisch dargestellten Normen der partikularrechtlichen Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland, die nur einen schmalen Ausschnitt aus den archivrechtlichen Bestimmungen geben, zeigen, wie umfassend und sachgerecht die deutschen Bischöfe das kirchliche Archivwesen geordnet haben. Allerdings setzten viele dieser Normen funktionierende Archive mit entsprechend ausgebildetem Personal voraus. Nicht selten ist mit Bedauern zu konstatieren, dass bei Sparrunden in den deutschen Bistümern gerade in diesem nur auf den ersten Blick nachgeordneten Bereich der kirchlichen Archive zuerst an Stellen und Sachmitteln gespart wird. Auch die Orden in Deutschland, die sich 128 129 130 131 132

Vgl. Grundsätze (Anm. 111). Vgl. Grundsätze (Anm. 111), 54. Vgl. Grundsätze (Anm. 111), 55. Vgl. Anm. 5. Vgl. Grundsätze (Anm. 111), 56.

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an den Regelungen der Deutschen Bischofskonferenz orientieren133, haben aufgrund ihres eklatanten Nachwuchsmangels mit Problemen zu kämpfen, aus ihren Reihen entsprechend ausgebildete Mitglieder mit der Aufgabe der Führung der ordenseigenen Archive zu betrauen. Dabei kommen zumindest auf die zentralen Archive der Orden aktuell vielfältige neue Aufgaben zu, nicht zuletzt durch die Überführung der lokalen Archive der aufgelösten Niederlassungen der jeweiligen Ordensgemeinschaften in das zentrale Archiv.

4. Ausblick Aus kirchenrechtlicher Perspektive ist zum kirchlichen Archivwesen zu vermerken, dass sachgerechte rechtliche Fundamente gelegt sind134, um die wesentlichen Problemlagen kirchlicher Archivarbeit zu bearbeiten. Dies gilt sowohl für die dargestellten universalkirchenrechtlichen als auch für die partikularrechtlichen Regelungen in der Bundesrepublik Deutschland. Es bleibt zu wünschen, dass diese Normen fachkundig in der Anwendung mit Leben gefüllt werden, was zumindest auf der Ebene der Diözesen und Provinzen der Ordensgemeinschaften entsprechend ausgebildetes Personal voraussetzt. Es ist wünschenswert, dass in diesen beiden Bereichen zumindest der derzeitige Ist-Stand gehalten werden kann, was – weltkirchlich betrachtet – eine weit über dem Durchschnitt liegende Qualität kirchlicher Archivarbeit auswiese.

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Vgl. Anordnung über die Sicherung und Nutzung der Archive der Ordensinstitute, Säkularinstitute und Gesellschaften des gottgeweihten Lebens in der Katholischen Kirche der Bundesrepublik Deutschland vom 26. Juni 1990, in: OK 42 (2001), 352–354. Vgl. hierzu Haering, Ordnung (Anm. 4), 454–455. Vgl. Helmut Baier, Archivrechtliche Regelungen im kirchlichen Bereich, in: Der Archivar 43 (1990), 54–57, der sogar davon spricht, dass „das Archivwesen der katholischen Kirche als nahezu perfekt erscheinen“ (57) könne.

MANFRED BALDUS

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen für die staatskirchenrechtliche Rechtsprechung

Im Mai 2003 veranstaltete die Leipziger Juristenfakultät mit Unterstützung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens ein Kolloquium mit dem Titel „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Kirchenrechtsgeschichte?“1. Die Anknüpfung an Schillers berühmte Frage in seiner Jenaer Antrittsrede 17892 sollte deutlich machen, dass diese Perspektive auch noch heute für eine historische Teildisziplin diskussionswürdig ist und welche Folgerungen hieraus für die universitäre Bildung auf diesem Gebiet zu ziehen sind. Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen soll im Folgenden3 an einer Reihe von Urteilen erläutert werden, die der Sammlung „Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946“4 entnommen sind. Im Anhang findet man zwei Beispiele für den Umgang mit Archivalien in der forensischen Praxis (Auslegung von Urkunden durch das Gericht, Archivgutachten als Entscheidungsgrundlage). Die „Entscheidungen in Kirchensachen“, das einzige Werk dieser Art im deutschsprachigen Raum, werden seit 1963 am Institut für Kirchenrecht und rheinische Kirchenrechtsgeschichte der Universität zu Köln 1

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Die Beiträge liegen inzwischen in dem Sammelband Kirchenrechtsgeschichte und Gegenwart, hg. von Frank Hermann (Leipziger Juristische Studien, 2; Rechtshistorische Abteilung), Leipzig 2006 vor. Vgl. Friedrich von Schiller, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?, Schillers Werke, hg. von Reinhard Buchwald, Karl Franz Reinking, Band 7, Hamburg o. J., 7–23. Wegen der Auflösung der insbesondere im Nachweisapparat verwendeten Abkürzungen wird auf Hildebert Kirchner, Cornelie Butz, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. Auflage, Berlin 2008, verwiesen. Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946 (KirchE), begründet von Carl Joseph Hering, Hubert Lentz, hg. v. Stefan Muckel, Manfred Baldus, Berlin 1963 ff., jetzt 49 Bände und 2 Registerbände, jüngster Band Berlin 2010; Sonderband (KirchE 42): Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg und des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg zum Religionsrecht 1965–2001, Berlin 2007. Als Vorläufer können gelten: Die kirchenrechtlichen Entscheidungen des Reichsgerichts und der bayerischen obersten Gerichtshöfe aus dem Gebiete der in Bayern geltenden Rechte, hg. von Georg Schmidt, München 1897; Rechtssätze des Reichsgerichts in Kirchensachen, hg. von Stanislaus von Sczaniecki, Gnesen 1916.

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Manfred Baldus

redaktionell betreut; sie berücksichtigen Entscheidungen weltlicher Gerichte in Deutschland, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EKMR / EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Religionsrecht. Damit ist nicht nur das Verhältnis von Religionsgemeinschaften und Staat, sondern jede Fallkonstellation gemeint, die durch die Relevanz religiöser Belange gekennzeichnet ist. Der aktuelle Bedarf an kirchenrechtshistorischer Reflexion besteht im Wesentlichen auf zwei Arbeitsfeldern. Erstens erscheint es im Europarecht aus Gründen der Rechtsangleichung geboten, die gemeinsamen Wurzeln von Rechtsinstituten nationalen Rechts freizulegen; solche sind vorwiegend im römischen (gemeinen) Recht und im klassischen kanonischen Recht zu finden. Dies erklärt zugleich die verhältnismäßig große Zahl einschlägiger Publikationen seit dem letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts5. Zweitens bietet das Verhältnis von Kirchen und Staat in Deutschland das Beispiel einer über Jahrhunderte gewachsenen Rechtsordnung6. Ob das überkommene staatskirchenrechtliche Mo5

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Vgl. u. a. Hans-Jürgen Becker, Spuren des kanonischen Rechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, in: Festschrift für Hans Hermann Seiler, hg. von Reinhard Zimmermann u.a., Heidelberg 1999, 159–169; Der Einfluß der Kanonistik auf die europäische Rechtskultur, hg. von Orazio Condorelli u. a., Band 1: Zivil- u. Zivilprozeßrecht, Köln 2009; Harry Dondorp, Einflüsse des kanonischen Rechts auf die Lehre des Erfüllungszwangs, in: ZRG kan. 95 (2009), 128–145; Alexander Glomb, Sententia plurimorum, Köln 2008 (betr. Quellen des Mehrheitsprinzips im kanonischen Recht); Nikolaus Hilling, Rechtssprichwörter im Corpus Iuris Canonici, in: AkKR 127 (1955/56), 3–6; Lotte Kéry, Gottesfurcht und irdische Strafe. Der Beitrag des mittelalterlichen Kirchenrechts zur Entstehung des öffentlichen Strafrechts, Köln 2006; Peter Landau, Der Einfluß des kanonischen Rechts auf die europäische Rechtskultur, in: Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte, hg. von Reiner Schulz, Berlin 1991, 39–57; Peter Landau, Die Kirche als Vermittlerin schriftlichen Rechts, in: Leges – Gentes – Regna, hg. von Gerhard Dilcher, Eva-Marie Distler, Berlin 2006, 219–229 (betr. die Rolle von germanischen Rechtsgewohnheiten u. lateinischer Schrifttradition bei der Ausbildung der frühmittelalterlichen Rechtskultur); Hans Liermann, Das kanonische Recht als Grundlage des europäischen Rechtsdenkens, in: ZevKR 6 (1957/58), 37–51; Die Bedeutung des kanonischen Rechts für die Entwicklung einheitlicher Rechtsprinzipien, hg. von Heinrich Scholler, Baden-Baden 1996; Dieter Strauch, Mittelalterliches Recht – Herkunft – Kennzeichen – Fortwirken, in: Orbis Iuris Romani 9 (2004), 161–196; Udo Wolter, Ius canonicum in iure civili, Köln 1975; Reinhard Zimmermann, Das römisch-kanonische ius commune als Grundlage europäischer Rechtseinheit, in: JZ 47 (1992), 8–20; Reinhard Zimmermann, Römisches Recht und europäische Kultur?, in: Kulturelle Identität als Grund und Grenze des Rechts, hg. von Horst Dreier u. a., Stuttgart 2008, 29–54. Vgl. u.a. Martin Heckel, Zur Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts von der Reformation bis zur Schwelle der Weimarer Verfassung, in: Martin Heckel, Gesammelte Schriften (Ius Eccl., 38), Band 1, Tübingen 1989, 366–401; Martin Heckel, Vom Religionskonflikt zur Ausgleichsordnung, München 2007; Stefan Korioth, Die Entwicklung

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dell, das sich im wesentlichen an den beiden christlichen Großkirchen orientiert, angesichts der bekannten religionssoziologischen Veränderungen7 zukunftsfähig oder die Mutation zu einem allgemeinen Religionsverfassungsrecht im Gange ist, wird kontrovers diskutiert8. Schon damit besteht in konkreten Streitfällen Anlaß, die Tragweite historisch begründeter Ansprüche zu überprüfen. Die Grundlagen im früheren Recht sind zu erschließen und deren Fortwirken an allgemeinen Rechtsprinzipien und einem späteren, eventuell höherrangigen Recht zu messen. Da kirchen- und staatskirchenrechtliche Bezüge auf fast allen Gebieten des weltlichen Rechtslebens vorkommen, hängt unter anderem die Qualität einschlägiger Gerichtsentscheidungen davon ab, dass die Verfahrensbeteiligten mindestens imstande sind, sich auf zuverlässigem Wege die erforderliche Sachkunde zu verschaffen. Nicht selten bedarf es der Hinzuziehung von Sachverständigen, die nicht nur altes Schrifttum, sondern auch archivalische Quellen so auszuwerten und aufzubereiten verstehen, dass sie eine nachvollziehbare Basis für die richterliche Entscheidungsfindung bieten. Bei prozessualer Einbeziehung abgeschlossener historischer Vorgänge ist sorgfältig zwischen Tatsachenfeststellung und eigener richterlicher Rechtsanwendung zu trennen. Ist beispielsweise zu ermitteln, welche

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des Staatskirchenrechts in Deutschland seit der Reformation, in: Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, hg. von Hans Michael Heinig, Tübingen 2007, 39–69; Peter Landau, Grundlagen und Geschichte des evangelischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts, Tübingen 2009; Hans Maier, „Religionen in den Staat verwebt“. Zur historischen Entwicklung von Kirche und Staat in Deutschland, in: Politik, Moral und Religion. Festschrift für Karl Graf Ballestrem, hg. von Lothar R. Waas, Berlin 2004, 61–66; Hermann Weber, Änderungsbedarf im deutschen Religionsrecht?, in: NJW 2010, 2475–2480. Vgl. z. B. Wolfgang Loschelder, „…in einem vom Christentum geprägten Land“. Zur Position des Islam im staatskirchenrechtlichen System des Grundgesetzes, in: Festschrift für Herbert Bethge, hg. von Steffen Detterbeck u. a., Berlin 2009, 17–38. Vgl. u. a. Gerhard Czermak, „Religions(verfassungs)recht oder „Staatskirchenrecht“?, in: NVwZ 1999, 743–744; Gerhard Czermak, Religionsverfassungsrecht im Spiegel der Tatsachen: kritische Hinweise zum Verhältnis von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, in: ZRP 2001, 565–570; Martin Heckel, Kontinuität und Wandlungen des deutschen Staatskirchenrechts unter den Herausforderungen der Moderne, in: ZevKR 44 (1999), 340–384; Martin Heckel, Religionsbedingte Spannungen im Kulturverfassungsrecht, in: Festschrift für Hartmut Maurer, hg. von Max-Emanuel Geis, Dieter Lorenz, München 2001, 351–379; Martin Heckel, Zur Zukunftsfähigkeit des deutschen „Staatskirchenrechts“ oder „Religionsverfassungsrechts“?, in: AöR 134 (2009), 309–390; Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, hg. von Hans Michael Heinig, Tübingen 2007; Stefan Muckel, Auf dem Wege zu einem grundrechtlich geprägten Staatskirchenrecht?, in: StdZ 2001, 463–479; Ulrich Rhode, Auswirkungen der religiösen Pluralisierung auf das deutsche Staatskirchenrecht, in: Das Verhältnis von Staat und Kirche. Rupert Mayer Lectures 2001, hg. von Johannes Beckermann, Helmut Engel, Frankfurt am Main 2002, 159–180.

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Manfred Baldus

Rechtsfolgen für ein bestimmtes Klostergut seinerzeit bei Vollzug des Reichsdeputationshauptschlusses vom 25. Februar 18039 eingetreten sind, so handelt es sich um die tatsächliche Bewertung eines historischen Vorgangs, für die ein Sachverständiger beauftragt werden kann10. Da formelle Beweiskraft kirchlicher Urkunden als öffentliche Urkunden von ihrer Entstehungszeit abhängt, muß in manchen Fällen auf die Datierung geachtet werden11. Säkularisationen und kriegerische Ereignisse können es erschweren, den Verbleib von Gegenständen aus Kirchenbesitz nachzuvollziehen12. Für die spezifischen Grenzen des Gutglaubensschutzes beim Erwerb abhanden gekommener historischer Bücher aus einer Klosterbibliothek bietet die Rechtsprechung13 einige Hinweise. Historische Quellen zur staatskirchenrechtlichen Lage werden meist aus der Landesgeschichte erschlossen. In der Regel handelt es sich um Territorien oder andere staatsrechtliche Gebilde des im Jahre 1806 untergegangenen Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation und seiner Nachfolgestaaten. Bisweilen ist aber auch wegen einer Verschiebung der Außengrenzen und Staatensukzession die Fortgeltung von ausländischem Recht zu beachten. So galt im linksrheinischen Rheinland zwischen dem Frieden von Lunéville (1801) und dem Ersten Pariser Frieden (1814) unmittelbar französisches Staatskirchenrecht, auf das u.a. 9

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Vgl. Hans-Jürgen Becker, Der Untergang der Reichskirche im Jahre 1803 und die Chance eines Neubeginns im Staatskirchenrecht, in: Festschrift für Christoph Link, hg. von Heinrich de Wall, Michael Germann, Tübingen 2003, 547–555; Ingo Knecht, Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803, Berlin 2007; Hans-Christof Kraus, Das Ende des alten Deutschland, Berlin 2006; Günter Krings, Das Alte Reich am Ende – der RDHS 1803, in: JZ 2000, 173–179; Stefan Muckel, Der Heilige Stuhl und die Säkularisation in Deutschland, in: Festschrift für Wolfgang Rüfner, hg. von Stefan Muckel, Berlin 2003, 579–591; Heinrich de Wall, Auswirkungen der Säkularisation auf das Staatskirchenrecht, in: Politische Studien 2003, 52–60. Vgl. BVerwG KirchE 47, 306 (308) und unten Anm. 15. Vgl. für Nachweise aus Kirchenbüchern OLG Frankfurt / M. KirchE 6, 310; OLG Oldenburg KirchE 8, 44 Die von den zuständigen Pfarrern vor Errichtung der staatlichen Standesämter unter Beachtung der vorgeschriebenen Form hergestellten Kirchenbuchurkunden stehen inländischen Personenstandsurkunden gleich. Zum Verwaltungsrechtsweg für einen Anspruch auf Auskunft aus Kirchenbüchern vgl. BayVGH KirchE 10, 44. Vgl. z. B. Rüdiger Holthausen, Die Eigentumsverhältnisse an den von der Stadt Köln verwalteten Gegenständen aus dem ehemaligen Jesuitenvermögen, Diss. iur. Köln 1984; Manfred Baldus, Rechtsgeschichtliche Anmerkungen zu Stefan Lochners Altar der Stadtpatrone, in: Kölner Domblatt 75 (2010), 203–225. OLG Celle KirchE 43, 317. Weisen historischen Bücher Bibliotheksstempel und Signaturen einer Klosterbibliothek auf, die Ausschabungs- und Radierungsspuren bzw. Übermalungsspuren zeigen, dann deuten diese Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass die Bücher der ursprünglich besitzenden Bibliothek abhanden gekommen sind. Hiermit muß ein Käufer rechnen, zumal wenn Aussonderungsstempel, die auf eine legale Aussonderung schließen lassen könnten, nicht vorhanden sind.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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das sog. Napoleonische Staatsgehalt für Inhaber bestimmter Pfarrstellen14 zurückgeht. Überdies traten die rheinischen Juristen nachdrücklich und auf einigen Gebieten mit beachtlichem Erfolg für die Fortgeltung des französischen Rechts als so genanntes rhein-preußisches Recht ein15. Auf diese Weise kann ursprünglich französisches Recht den Status noch heute bestehender Stiftungen berühren und beispielsweise für die Frage relevant sein, ob dort ein Personalrat nach dem Landespersonalvertretungsgesetz eingerichtet werden muß16. Selbst bei Gebietskörperschaften löst die Nachfolge in historisch begründete Rechtsverhältnisse bisweilen einen beträchtlichen Aufklärungsbedarf aus17. Historische Quellen zur kirchenrechtlichen Lage eines Verfahrensgegenstandes, wenn solche in Betracht kommen, müssen schon deshalb erhoben und mitgeprüft werden, weil sonst der Hintergrund des Streitfalls und die Interessenlage nicht lückenlos erkennbar ist. Im Gegensatz zum weltlichen Recht normiert der Codex Iuris Canonici 1983 ausdrücklich die historische Auslegungsmethode. Die Canones dieses kirchlichen Gesetzbuchs sind, soweit sie – was vielfach der Fall ist – altes Recht wiedergeben, „auch unter Berücksichtigung der kanonischen Tradition zu würdigen“ (c. 6 § 1 No. 2 CIC/1983)18. Innerkirchliche Veränderungen führten zu dem wohl langwierigsten Streitfall des jüngeren deutschen Staatskirchenrechts, nämlich den Prozessen um das Nutzungsrecht an der St. Salvator-Kirche in München19. Diese im Staatseigentum stehende Kirche war im Jahre 1828 von dem bayerischen König Ludwig I., dessen 14

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BGH KirchE 4, 1. Ähnlich OLG Hamburg KirchE 1, 169 u. BGH KirchE 2, 64 für den Rentenanspruch einer französisch-reformierten Gemeinde, den der dänische König als damaliger Landesherr der Herzogtümer Schleswig und Holstein bewilligt hatte. Vgl. auch Hans G. Jungblut, Das rheinische Pfarrzusatzgehalt, Diss. iur. Köln 1964; Martin Birmanns, Das Napoleonische Staatsgehalt für katholische Pfarrstellen in den vormals preußischen Landesteilen westlich des Rheins, in: ZAachGV 80 (1970), 127–233. Vgl. Recht und Rechtspflege in den Rheinlanden, hg. von Josef Wolffram, Adolf Klein, Köln 1969, dort die Beiträge von Hermann Conrad (Preußen und das französische Recht in den Rheinlanden, 78–112, insb. 85–89), Stephan Liermann (Heinrich Gottfried Daniels, der erste Präsident des Rheinischen Appellationsgerichtshofs in Köln, 57–77, insb. 67–70) und Adolf Klein (Die rheinische Justiz und der rechtsstaatliche Gedanke in Deutschland, 113–264, insb. 126–147); Rheinisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte, hg. von Reiner Schulze, Berlin 1998. Vgl. für die Vereinigten Hospizien Trier OVG Rheinland-Pfalz KirchE 46, 262 (s. Anhang 2 dieses Beitrags) u. BVerwG KirchE 47, 306. Vgl. z.B. BayVGH KirchE 32, 276 (für eine auf das 18. Jh. zurückgehende kommunale Pfarrhausbaulast). Vgl. auch Helmut Schnizer, c. 6 und der Stellenwert des alten Rechts, in: Fides et ius. Festschrift für Georg May, hg. von Winfried Aymans u. a., Regensburg 1991, 75–80. Übersicht bei Engelbert Niebler, St. Salvator und das Bundesverfassungsgericht, in: Dem Staate, was des Staates. Festschrift für Joseph Listl, hg. von J. Isensee u. a., Berlin 1999, 665–677.

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Sohn Otto der erste König des modernen Griechenland war, „für den griechischen Cultus“ bereitgestellt worden. Die Nutzung durch die örtliche Gemeinde, die seit 1924 als Auslandsgemeinde der griechisch-orthodoxen Autokephalen Kirche Griechenlands dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel untersteht, geriet in den 70er Jahren in eine Konfliktlage, nachdem 1923 wegen einer innerkirchlichen Kalenderreform die sog. Altkalendarische Kirche entstanden war und später auch Priester der Münchner Gemeinde sich dieser Abspaltung anschlossen. Das Verlangen des Freistaates Bayern auf Herausgabe der Kirche wurde im Wesentlichen darauf gestützt, dass wegen des Jurisdiktionswechsels der vom König bestimmte Stiftungszweck nicht mehr erfüllt werden könne. Der Rechtsstreit hat zwischen 1984 und 1999 Zivilgerichte20, Verwaltungsgerichte21, Verfassungsgerichte22 und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte23 beschäftigt. 1972 hatte der Bundesgerichtshof24 in einem Revisionsverfahren zu entscheiden, welche eigentums- und grundbuchrechtlichen Folgen für ein in Deutschland gelegenes Grundstück eingetreten waren, nachdem die Lemberger Synode der Griechisch-Katholischen Kirche der Westukraine im Jahre 1946 die sog. Brester Union von 1596 zwischen der ukrainischen Kirche des östlichen Ritus und der römisch-katholischen Kirche aufgehoben hatte. Später lag demselben Senat die Frage zur Entscheidung vor, ob eine durch ein NS-Gesetz vom 25.2.1938 getroffene Eigentumszuweisung an die Russisch-Orthodoxe Diözese des Orthodoxen Bischofs von Berlin und Deutschland rechtens war, obgleich infolge der Oktoberrevolution 1917 in Russland neben dieser Diözese eine konkurrierende russisch-orthodoxe Auslandskirche bestand25. Die Kirchengutsgarantie der Art. 140 GG, 138 WeimRV gewährleistet sowohl die „auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen“ als auch „das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögenswerten“. Hierunter fällt u. a. die kirchliche Baulast, d. h. die Verpflichtung, für den Instandhaltungsbedarf von Kirchen und Pfarrhäusern einschließlich des Zubehörs aufzukommen. Während nach kirchlichem Recht die Baulast primär den Eigentümer des Objekts (Kirchenfonds [fabrica ecclesiae], Kirchengemeinde als juristische Person) trifft, hat die historische Entwicklung in Deutschland vielfach dazu geführt, dass der 20 21 22 23 24 25

Vgl. OLG München KirchE 17, 217; BayObLG KirchE 18, 358. Vgl. BayVGH KirchE 25, 145; BayVGH KirchE 33, 376; BVerwG KirchE 28, 294; BVerwG KirchE 34, 189. Vgl. BayVerfGH KirchE 34, 325; BVerfG KirchE 35, 49; BVerfG KirchE 36, 436. Vgl. EGMR NVwZ 2008, 766 (nur LS). Vgl. BGH KirchE 12, 377. Vgl. BGH KirchE 18, 273; BVerfG KirchE 21, 304, beide betreffen die Hl.-AlexandraGedächtniskirche in Bad Ems.

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Staat etwa im Zuge der Reformation im 16. Jh. oder der Säkularisation (1803) als Rechtsnachfolger in Kirchengut26 auch die damit verbundenen Lasten zu tragen hatte. Daneben entstand Kirchenbaulast aus Patronat, d. h. als eine Erhaltungspflicht des weltlichen Stifters einer Kirche, dem dafür u. a. ein Präsentationsrecht hinsichtlich eines zugehörigen kirchlichen Amtes eingeräumt wurde. Eine kommunale Kultusbaulast an Kirchtürmen ergab sich aus deren Nutzung auch für das weltliche Gemeinwesen (Wehr- und Wachturm, Turmuhr etc.). Zwar blieb die in einigen Landesrechten normierte Kirchenbaulast (z. B. für die preußischen Gebietsteile §§ 568, 710, 720 II 11 ALR; für Kurköln Lex Clementina [1715])27 bei der Rechtsvereinheitlichung durch das Bürgerliche Gesetzbuch ausdrücklich unberührt (Art. 132 EGBGB), die Fortgeltung wird aber überwiegend nach allgemeinen Rechtsprinzipien (Gewohnheitsrecht, Herkommen, Lokalobservanz, erwerbende Verjährung) gewürdigt28; dabei können – etwa in Zusammenhang mit der Patronatsbaulast – auch steuerrechtliche Fragen aufkommen29. Strittig werden Baulastansprüche vor allem bei Veränderungen der Bedarfslage30 oder – wie etwa nach Kriegsschäden – bei unerwarteten Baufällen und hohen Kosten31. Als Nebenrecht aus dem Patronat wurde bis in die jüngere Zeit das Recht an einem besonderen Kirchstuhl eingefordert, jedoch hat die Rechtsprechung hier den Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten verneint32. Schon früh mussten sich die Gerichte mit dem Einwand auseinanderzusetzen, dass die Baulast wegen völliger 26 27 28

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Vgl. OLG Celle KirchE 1, 234 (Übergang einer auf Inkorporation einer Pfarrkirche in ein Kloster beruhenden Kirchenlast nach Säkularisation). Vgl. VG Arnsberg KirchE 7, 30 (Pfarrhausbaulast); BayVGH KirchE 13, 132 (Patronatsbaulast in Ansbach-Bayreuth). Vgl. aus der Rechtsprechung u. a. BayObLG KirchE 1, 315 (sekundäre staatliche Kirchbaulast); LG Gießen KirchE 2, 338 (kommunale Kirchbaulast); LVG Schleswig KirchE 2, 182 (Pfarrhausbaulast des Kirchenpatrons); OVG Lüneburg KirchE 2, 346 (Pfarrhausbaulast eines Klosterfonds als Kirchenpatron); VG Frankfurt am Main. KirchE 3, 230 (kommunale Baulast am Pfarrgehöft); HessVGH KirchE 5, 341 (Pfarrhausbaulast aus Herkommen [Wiedererrichtung nach Kriegszerstörung]); LG Köln KirchE 6, 324 (Baulast aus Herkommen [Erweiterung der Kirche]; OVG.NRW KirchE 13, 89 (kommunale Pfarrhausbaulast kraft Gewohnheitsrechts). Vgl. aus dem Schrifttum Thomas Lindner, Baulasten an kirchlichen Gebäuden, Tübingen 1995; Michael Frisch, Kirchenbaulasten und Geltungsgrund von Rechtsnormen, in: ZevKR 44 (1999), 244–257. Vgl. FG Köln KirchE 38, 190. z.B. bei Neubau- oder Erweiterungsbedarf wegen Zunahme der örtlichen Bevölkerung. Vgl. Carl Joseph Hering, Manfred Baldus, Der Immekeppeler Kirchbau-Prozeß (1875– 1883), in: Recht und Rechtspflege in den Rheinlanden, hg. von Josef Wolffram, Adolf Klein, Köln 1969, 349–360. OLG Celle KirchE 3, 110 u. 4, 109 (staatliche Baulast, Wiederaufbau- u. Ausstattungspflicht betreffend den Dom zu Hildesheim). Vgl. OLG Köln KirchE 25, 289; auch VG Ansbach KirchE 17, 122.

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Veränderung der Verhältnisse (clausula rebus sic stantibus, Wegfall der Geschäftsgrundlage) oder wegen Bedarfsdeckung aus dem Kirchensteueraufkommen erloschen sei33. Zu den territorialrechtlichen Sonderfällen gehört die sog. Paderborner Observanz, wonach die politische Gemeinden im ehemaligen Hochstift Paderborn das Defizit der katholischen Kirchengemeinden insoweit zu decken hatten, als deren Einkünfte aus dem Kirchenvermögen und freiwilligen Gaben nicht ausreichten34, 35. In den Schutzbereich der Art. 140 GG, 138 Abs. 2 WeimRV fallen die z. T. dinglichen Naturalgefälle (Pröven) und Reichnisse hauptsächlich auf pfarrlicher Ebene36. Sie betrafen Sachleistungen an Pfarrer und Küster, sind aber bis auf einen Restbestand37 entweder untergegangen oder nach Umwandlung in Geldzahlungen abgelöst worden. Das Fortwirken von Elementen der kirchlichen Zweckbindung in säkularisiertem, aber vom Staat als Einheit erhaltenem Kirchengut ist in Entscheidungen zum Allgemeinen Hannoverschen Klosterfonds38 und des aus ehemaligen Jesuitengütern bestehenden Haus-Büren’schen Fonds39 abzulesen. 33

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Vgl.VG Münster KirchE 5, 316 (Pfarrhausbaulast); BGH KirchE 7, 100 (Kirchenbaulast des Patrons); OVG.NRW KirchE 8, 32 (kommunale Kirchenbaulast); BVerwG KirchE 9, 269 (kommunale Kirchturmbaulast); OVG.Rhld-Pf. KirchE 10, 151 (kommunale Kirchturmbaulast); VG Kassel KirchE 12, 83 (kommunale Pfarrhausbaulast kraft Herkommens); BVerwG KirchE 13, 419 (kommunale Kirchenbaulast kraft Herkommens); BVerwG KirchE 18, 440 (kommunale Kirchenbaulast, Funktionswandel des Kirchturms); VGH.BW KirchE 33, 590 (kommunale Unterhaltungslast für Kirchturm mit Uhr). Vgl. Nikolaus Wiesenberger, Kirchenbaulast politischer Gemeinden und Gewohnheitsrecht, Berlin 1981; KirchE 2, 121 (LG Paderborn), 374 (OLG Hamm), 390 (OLG Hamm); 3, 140 (BGH), 426 (LG Paderborn); 7, 251 (VG Minden); 11, 43 (OVG.NRW); 12, 125 (BVerwG); 13, 89 (OVG.NRW); 15, 169 (OVG.NRW); 18, 457 (VG Minden); 19, 85 (VG Minden); 20, 2 NRW.VerfGH); 21, 181(OVG.NRW). Nicht selten sind aus baulastrechtlichen Streitfällen juristische Dissertationen hervorgegangen. Vgl. z.B. Marieluise Detig, Die Baulast an dem Turm der katholischen Pfarrkirche St. Peter zu Vilich (Beuel), Diss. iur. Köln 1966; Jan-Baldem Mennicken, Der Baulastpflichtige an Kirchtürmen nach jülich-bergischem Recht, Diss. iur. Köln 1966 (zugleich in: ZBergGV 83 [1967], 53–158); Hans Rudolf Jung, Baulast und Patronat an der katholischen Pfarrkirche St. Pankratius in Odenthal. Zum Gegenwartsbezug rechtshistorischer Fragen im Bereich zwischen kirchlichem und weltlichem Recht, Diss. iur. Köln 1986. Vgl. z. B. VG München KirchE 5, 357 (Maienbutter-Reichnis); VG Braunschweig KirchE 8, 219 (Holz-Reichnis); VG Augsburg KirchE 20, 102 (Holz-Reichnis); OVG Lüneburg KirchE 11, 270 (Roggen-Reichnis). Vgl. BayVGH KirchE 43, 317 (Bereitstellung einer Wohnung für den örtlichen Seelsorgegeistlichen)¸ s. Anhang Nr. 1 zu diesem Beitrag. Niedersächsischer Staatsgerichtshof KirchE 13, 2. Näheres bei Jürgen Kaulitz u. a., Zur Rechtslage des Allgemeinen Hannoverschen Klosterfonds usw., in: ZevKR 16 (1971),

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Selbst die neueste Zeitgeschichte hat in die Rechtsprechung staatskirchenrechtliche Fragestellungen eingebracht. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging es um die Wirksamkeit von Verfügungen der sog. Finanzabteilungen der Deutschen Evangelischen Kirche über Kirchengut während der NS-Zeit40. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands waren unter anderem die Beziehung der sächsischen Schullehen zum Kirchengut41, der kirchliche Charakter erhalten gebliebener Stiftungen42, die Umstände bei der Enteignung der kriegszerstörten Dresdner Sophienkirche im Jahre 196243 und der Untergang von kommunalen Kirchbaulasten44 zu klären45. Die Verwaltungsgerichte mussten entscheiden, ob eine im Holocaust zerschlagene Israelitische Synagogengemeinde gleichwohl als Körperschaft des öffentlichen Rechts fortbestehen konnte46, 47. Auf europäischer Ebene werden vor allem an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Streitfälle herangetragen, die einen in die nationale Geschichte weisenden Hintergrund haben. Dies gilt für zahlreiche Verfahren griechischer Herkunft etwa wegen Benachteiligung nichtorthodoxer Bekenntnisse48, aber auch für das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten49. Neben der hier skizzierten forensischen Seite des Staatskirchenrechts müssten noch die zahlreichen Dissertationen50 und andere Abhandlungen51 erwähnt

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386–410; Andreas Franitza, Der Allgemeine Hannoversche Klosterfonds und die Klosterkammer Hannover, Frankfurt am Main 2000. VG Minden KirchE 36, 378. BGH KirchE 3, 253. LG Leipzig KirchE 33, 514; LG Bautzen KirchE 38, 104 VG Dessau KirchE 34, 159. VG Dresden KirchE 38, 237. Thüringisches OVG DÖV 2007, 889; BVerwG ZevKR 54 (2009), 498. Vgl. auch Christian Traulsen, Neueste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu kommunalen Kirchenbaulastverträgen, in: NVwZ 2009, 1019–1022; Michael Droege, Verlust der Rechtseinheit durch Wiedervereinigung. Kommunale Baulasten in der jüngsten Rechtsprechung des BVerwG, in: ZevKR 54 (2009), 488–497. Instruktiv in dieser Hinsicht auch die staatskirchenrechtlichen Implikationen des Ersatzbzw. Wiederaufbaus der Universitätskirche in Leipzig; vgl. Helmut Goerlich, Torsten Schmidt, Res sacrae und die Universitätskirche in Leipzig, in: ZevKR 55 (2010), 46–76. z. B. VG Berlin KirchE 32, 371; OVG Berlin KirchE 34.49; BVerwG KirchE 35, 403. Zur Offenlegung von Archivunterlagen über Zeitgeschichte jüngst BVerwG, Beschluss vom 19.4.2010 – 20 F 13/09 – BeckRS 2010, 49429. EGMR KirchE 42, 203 (Glaubensabwerbung [Proselytismus] durch Zeugen Jehovas zum Nachteil der Griechisch-Orthodoxen Kirche); EGMR KirchE 42, 263 (Genehmigungsbedürftigkeit einer Stätte öffentlicher Religionsausübung); KirchE 42, 402 (Berufszugang u. Religionsfreiheit). EGMR KirchE 47, 420. Vgl. z. B. für den rheinisch-westfälischen Raum aus dem Bestand Kölner rechtswissenschaftlicher Dissertationen: Ludwig Schmitz, Das Pfarrsystem der Stadt Aachen und sei-

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werden, die im Vorfeld auf kirchenrechtshistorischer Grundlage den unmittelbar Betroffenen ermöglichten, die Risiken und Chancen von Ansprüchen einzuschätzen und einen Konflikt zu vermeiden. Ein großer Teil dieser praktischen Rechtsfälle hätte ohne eine nachhaltige Pflege von Archiven auf staatlicher, kommunaler und kirchlicher Ebene nicht zu einer befriedigenden Lösung geführt werden können. Richtigerweise zählt daher die Kirchliche Rechtsgeschichte zum Fächerkanon des Studienschwerpunkts „Religion, Kultur und Recht“ der Kölner Rechtswissenschaftlichen Fakultät52.

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ne rechtlichen Verhältnisse seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts, dargestellt auf Grund der archivalischen Quellen des Diözesanarchivs Aachen, Diss. iur. Köln WS 1953/1954; Rüdiger Straub, Die Entwicklung und Ausgestaltung der auf der Grundlage des Parochialsystems errichteten Pfarr-Rektorate und ihre Stellung nach staatlichem und kirchlichem Recht in der Kölner Kirchenprovinz, Diss. iur. Köln 1953; Karl-August Hermanns, Geschichtliche Entwicklung und Rechtsgrundlagen der Staatsleistungen an die evangelische Kirche unter besonderer Berücksichtigung der niederrheinischen Gebiete, Diss. iur. Köln 1954; Anton Grotenrath, Der Finanzbedarf der katholischen Kirche der linken Rheinseite während des 19. Jahrhunderts und die Ursprünge des Kirchensteuerwesens, Diss. iur. Köln 1956; Hubert Lentz, Die Konkurrenz des französischen und preußischen Staatskirchenrechts in Bezug auf die katholische Kirche in den vormals preußischen Landesteilen westlich des Rheins (1815–1850), Diss. iur. Köln 1957 (Bonn 1957 und 1961); Dieter Froitzheim, Staatskirchenrecht im ehemaligen Großherzogtum Berg, Diss. iur. Köln 1966 (Amsterdam 1967); Elmar Aretz, Die Stellung des Aachener Marienstifts im Lütticher Diözesanverband, Diss. iur. Köln 1966; Rudolf Steinke, Die Rechtsstellung des Verwaltungsrates des Erzbischöflichen Priesterseminars in Köln, Diss. iur. Köln 1966; Ernst Heitzmann, Der Abbau des die katholische Kirche betreffenden Staatskirchenrechts französischen Ursprungs in den vormals preußischen Landesteilen westlich des Rheins (1850–1933), Diss. iur. Köln 1969; Burkhard Gehle, Die Prämonstratenser in Köln und Dünnwald, Diss. iur. Köln 1977 (Amsterdam 1978); Richard Hardegen, Das Kanonikerstift Maria ad Gradus zu Köln (1056–1802), Diss. iur. Köln WS 2007/08 (Aachen 2008). Vgl. z. B. für den rheinisch-westfälischen Raum: Patronatsbauten – Dokumentation der Baudenkmäler in Nordrhein-Westfalen, hg. vom Ministerium für Stadtentwicklung und Verkehr NRW, Düsseldorf 1991 (für die sog. Staatspatronate); Klosterkultur und Säkularisation im Rheinland, hg. von Georg Mölich u. a., Essen 2002; Rheinisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte, hg. von Reiner Schulze, Berlin 1998 (dort u. a. Hans Schulte-Nölke, Birgit Strack, Rheinisches Recht – Forschungsgegenstand und Forschungsstand, 21–36; Hans Schulte-Nölke, Die CD-ROM-Datenbank zur rheinischen Judikatur im frühen 19. Jahrhundert, 99–107); Elmar Wadle, Französisches Recht in Deutschland, Köln 2002; Manfred Baldus, Jesuiten- und Säkularisationsgut als Sondervermögen (Staatsnebenfonds) in Nordrhein-Westfalen, in: 200 Jahre Reichsdeputationshauptschluß, hg. von Harm Klueting, Münster 2005, 285–337. §§ 9 Abs. 2, Nr. 12, 10 Abs. 12 der Studien- und Prüfungsordnung vom 15. Juli 2008.

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Anhang: Beispielsfälle aus der Rechtsprechung 1. Auslegung von Urkunden durch das Gericht hier: Bereitstellung einer freien Wohnung für einen Seelsorgegeistlichen als öffentlich-rechtliches Reichnis einer politischen Gemeinde Leitsatz: Die verfassungsrechtlichen Veränderungen nach 1918 bzw. 1945 und das Inkrafttreten des Bayerischen Stiftungsgesetzes am 1. Januar 1955 haben ein früher entstandenes Reichnis, das die Bereitstellung einer Wohnung für einen örtlichen Seelsorgegeistlichen zum Gegenstand hat, unberührt gelassen. Ein solches besonderes Reichnis ist auch nicht wegen vollständiger Änderung der Verhältnisse aufgrund der Einführung der Kirchensteuer oder durch Wegfall des Reichniszwecks erloschen. Art. 140 GG, 138 WRV, 145, 146 BV, 33 BayStiftG, 7 BayKiStiftO Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 9. Januar 2003 – 7 B 01.124853 – Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte als Eigentümer des Pfarrhauses R.-straße 14 im Ortsteil Maidbronn aufgrund einer Stiftung von 1873 verpflichtet ist, das Obergeschoss dieses Gebäudes bzw. eine vergleichbare Wohnung im Ortsteil Maidbronn der Klägerin zur unentgeltlichen Nutzung als Wohnung für den mit der Seelsorge in Maidbronn beauftragten Geistlichen zur Verfügung zu stellen. Am 29. Dezember 1873 beschlossen die Ortsbürger der ehemaligen selbstständigen Gemeinde Maidbronn, zur Unterstützung ihres „mit Seelsorgegeschäften ganz überhäuften Pfarrers und zum geistlichen Nutzen der hiesigen Familien und ihrer Kinder ..., eine Seelsorgestelle eines in Maidbronn wohnenden, aber im Pfarrverbande mit R. verbleibenden und dem dortigen Pfarrer untergeordneten Priesters zu gründen“. Im Rahmen der Gründungsversammlung dieser Lokalkaplaneistiftung übernahm die damalige Gemeinde die Verpflichtung „innerhalb längstens zehn Jahren für ein eigenes vollkommen zweckentsprechendes Haus zur Wohnung des künftigen Lokalkaplans Sorge zu tragen, ebenso übernimmt sie die gesamte Baulast an dieser Dienstwohnung auf immer währende Zeiten“. Unter dem 19. März 1875 hat dann endgültig die Gemeindeversammlung Maidbronn die Errichtung einer Lokalkaplanei beschlossen und die Gemeinde Maidbronn die Verpflichtung übernommen, dem jeweiligen Kaplan „freie Wohnung“ zu gewähren „und zwar in der Art, dass ihm zur Zeit und bis Ende des Jahres 1884 das dem M. und Bürgermeister S. gehörige und voll53

KirchE 43, 3; BayVGHE 56, 54; BayVBl 2005, 208.

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ständig neu hergerichtete, neben der Mühle gelegene Wohnhaus zur freien Benutzung überlassen wird. Nach dem Jahre 1884 und beziehungsweise vom 1. Januar 1885 an wird, sofern dieses vorgenannte Haus nicht mehr abgegeben wird, der Kaplan seine Wohnung entweder in einem neugebauten Hause oder in einem käuflich erworbenen und eingerichteten Hause erhalten, und machen sich hiermit die Gemeindeglieder ausdrücklich verbindlich auf ihre Kosten rechtzeitig für eine Wohnung Sorge zu tragen“. An dem zu erstellenden Gebäude behielt sich die Gemeinde Maidbronn das Eigentumsrecht vor. Aus einem Schreiben der Königlichen Regierung von Unterfranken vom 8. Juni 1874 geht hervor, dass das Bischöfliche Ordinariat die Errichtung der Lokalkaplaneistiftung Maidbronn am 15. Mai 1874 genehmigt hat mit dem Vorbehalt, „dass es bei dem bestehenden und voraussichtlich noch länger andauernden Priestermangel eine ständige Besetzung dieser Stelle zu gewährleisten nicht im Stande sei“. Das Königliche Bezirksamt Würzburg genehmigte den Beschluss der Gemeindeversammlung vom 19. März 1875 unter dem 30. März 1875. Mit Kaufvertrag vom 28. April 1885 erwarb die ehemalige Gemeinde Maidbronn das jetzige Anwesen R.-straße 14; im Kaufvertrag ist angemerkt, dass das „Anwesen vorerst zur Wohnung und überhaupt zur Nutznießung des Lokalkaplans in Maidbronn bestimmt ist, dass jedoch für den Fall als ein Lokalkaplan nicht mehr da wäre, die Gemeinde frei über obiges Anwesen verfügen kann“. Am 7. Januar 1977 schlossen die ehemalige Gemeinde Maidbronn und der Beklagte einen Vertrag über die Eingemeindung der bisherigen Gemeinde Maidbronn in den Beklagten mit Wirkung zum 1. Mai 1978. In Art. 9 des Vertrags ist u.a. festgehalten, dass im gemeindeeigenen Pfarrhaus R.-straße 14 dem vom Ordinariat dem Ortsteil Maidbronn zugewiesenen Geistlichen kostenlos eine Wohnung zur Verfügung gestellt wird. Die Regierung von Unterfranken erließ hierzu unter dem 10. April 1978 eine Entscheidung, wonach die getroffene Vereinbarung unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Begründung für den Beklagten bindend ist, soweit sie nicht dem jeweils geltenden Recht und den in dieser Entscheidung getroffenen Regelungen widerspricht. In der Begründung der Entscheidung heißt es u. a.: „Eine Vereinbarung über eine dauernde unentgeltliche Benutzung von solchen Einrichtungen ist nicht möglich (…Art. 9, 12, 13 der Vereinbarung mit der Gemeinde Maidbronn)“. Vom 1. November 1980 bis 30. September 1996 bewohnte Professor Dr. F. die Wohnung im Obergeschoss des Pfarrhauses R.-straße 14 (ca. 121 qm); er entrichtete an den Beklagten einen Mietzins in Höhe von zunächst 1 DM pro Quadratmeter, später 1,35 DM pro Quadratmeter, zuletzt 1,70 DM pro Quadratmeter. Prof. Dr. F. war bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1996 hauptberuflich an der Theologischen Fakultät der Universität Würzburg tätig; daneben war

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er zur Seelsorge in Maidbronn bevollmächtigt, nahm diese aber nur in eingeschränktem Umfang wahr. Als Nachfolger von Prof. Dr. F. bezog Dr. G. 1998 die Wohnung im Pfarrhaus. Er ist von der Diözese mit der Seelsorge für Maidbronn beauftragt, hauptamtlich jedoch in der Leitung der Domschule in Würzburg tätig. Die Klägerin bestand auf der unentgeltlichen Überlassung der Wohnung für Dr. G, während der Beklagte einen ortsüblichen Mietzins von 7 DM pro Quadratmeter forderte. Bis zur gerichtlichen Klärung dieser Frage einigten sich die Beteiligten auf eine vorläufige Mietzahlung von 3,50 DM pro Quadratmeter. Mit der Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass die Verpflichtung des Beklagten aus der Stiftung von 1873 fortbesteht, dem vom Bischöflichen Ordinariat Würzburg mit der Seelsorge im Ortsteil Maidbronn beauftragten Geistlichen ein unentgeltliches Wohnrecht im Obergeschoss des Hauses R.straße 14, hilfsweise in einer vergleichbaren Wohnung im Ortsteil Maidbronn, zur Verfügung zu stellen. Es liege ein öffentlich-rechtliches Reichnis vor, nämlich die Stellung einer freien Wohnung für den Lokalkaplan durch die politische Gemeinde. Mit der Gründung der Lokalkaplanei sei beabsichtigt gewesen, dass in der Filialkirche in Maidbronn an Sonn- und Feiertagen vor- und nachmittäglicher Gottesdienst gehalten werde. Unabhängig von der durch den Lokalkaplan etwa in Rimpar oder anderswo zu leistenden Aushilfe habe darüber hinaus auch an den Werktagen möglichst regelmäßig Gottesdienst stattfinden sollen. Schließlich sollte der Lokalkaplan auch verpflichtet sein, in den Quatemberwochen und am Kirchweihmontag bestimmte Gottesdienste zu halten. Dem werde auch noch heute Rechnung getragen. Außerdem betätige sich Dr. G. über die genannten Verpflichtungen hinaus seelsorglich in Maidbronn. Das Verwaltungsgericht Würzburg das Klage im Hilfsantrag mit dem angefochtenen Urteil stattgegeben Die Verpflichtung des Beklagten ergebe sich aus einem öffentlich-rechtlichen Reichnis zugunsten der Klägerin. Die Verpflichtung aus dem entstandenen Reichnis sei weder untergegangen noch im Einzelfall erloschen, noch ruhe sie. Die Entwicklung der Kirchensteuer habe hier nicht zur Ablösung des Reichnisses wegen völliger Veränderung der Verhältnisse geführt. Die Übernahme der Bereitstellung einer zweckentsprechenden Wohnung durch die ehemalige Gemeinde habe nämlich nicht nur der „Besoldung“ des jeweils beauftragten Geistlichen gedient, sondern vor allem und in erster Linie dem Zweck sicherzustellen, dass ein vom Bischöflichen Ordinariat zugewiesener Geistlicher auch am Ort wohne. Auch sei der mit dem Reichnis verfolgte Zweck nicht weggefallen, weil die seelsorgerische Betreuung von Maidbronn seit Jahrzehnten von Geistlichen wahrgenommen werde, die hauptamtlich eine katholisch-theologische Lehrtätigkeit ausübten. Die Tätigkeit eines Lokalkaplans sei nicht immer mit einer „hauptberuflichen“ Ausübung verbunden. Den Stiftern der Lokalkaplanei sei es um die möglichst umfängliche seelsorgerische Tä-

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tigkeit gegangen, nicht um die organisatorische Form. So sei auch faktisch über Jahrzehnte die seelsorgliche Betreuung in Maidbronn durch hauptamtlich an der Theologischen Fakultät der Universität Würzburg tätige Geistliche akzeptiert worden. Eigentlicher Stiftungssinn sei die nach den aktuellen seelsorglichen Bedürfnissen, wie sie dem kirchlichen Verständnis entsprächen, sich richtende Betreuung durch einen ortsansässigen Geistlichen. Sollte die Versorgung in früheren Jahren dem (teilweise) nicht entsprochen haben, so könnte die Verpflichtung aus dem Reichnis in dieser Zeit geruht haben, würde aber nichts daran ändern, dass aufgrund der jetzigen Aufgabenerfüllung durch Dr. G. diese Verpflichtung wieder auflebe. Ein endgültiger und dauerhafter Wegfall des Reichniszwecks sei nicht ersichtlich. Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Erläßt im Wesentlichen vortragen, nach dem Willen der Stifter sollte die Hauptaufgabe des Lokalkaplans die religiöse und seelsorgerische Betreuung der Gemeindebürger sein. Diese Hauptaufgabe sei damals nur zu verwirklichen gewesen, wenn die Gemeinde für die damit verbundenen „Kosten“ aufkommen würde. Nach den damaligen Lebens- und Verkehrsverhältnissen sei die umfassende Betreuung der Gemeindebürger nur bei Ortsansässigkeit des Pfarrers möglich gewesen. Die in dem Reichnis übernommenen Verpflichtungen einschließlich der Bereitstellung einer zweckentsprechenden Wohnung dienten daher ausschließlich der Sicherstellung der Alimentierung des Lokalkaplans. Umgesetzt auf die heutigen Lebensverhältnisse mit schnellen Verbindungswegen, Auto und Telefon sei davon auszugehen, dass die Stifter auch bereit gewesen wären, eine zweckentsprechende Wohnung für den Lokalkaplan „in einem Umkreis von ...“ zur Verfügung zu stellen. Die Bindung an die Gemeinde Maidbronn könne nicht als eigene Voraussetzung und Bedingung der Stifter verstanden werden, sie sollte vielmehr einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung des Lebensunterhalts leisten. Somit könne gerade nicht angenommen werden, dass die Ortsansässigkeit auf einem gesonderten zusätzlichen Stiftungswillen beruhe. Durch die Einführung der Kirchensteuer und die damit verbundene umfassende Alimentierung der Geistlichen sei das streitgegenständliche Reichnis obsolet geworden; damit sei die Geschäftsgrundlage für das ausgebrachte Reichnis entfallen. Zudem werde die von der Klägerin geschuldete Gegenleistung seit Jahrzehnten nicht erbracht. Nach den Stiftungsurkunden sollte der Geistliche – von Ausnahmen abgesehen – mit seiner ganzen Arbeitskraft den Gemeindebürgern in Maidbronn zur Verfügung stehen. Die Übung, dass seit Jahrzehnten Personen des Lehrkörpers der Theologischen Fakultät der Universität Würzburg oder Personen, die im Bischöflichen Ordinariat oder in der Diözesanarbeit tätig seien, in Maidbronn Wohnung nähmen, lasse erkennen, dass der Stifterwille nicht erfüllt werde. Ein rechtsgeschäftlicher Verzicht des Beklagten, sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen, sei nie zum Ausdruck gebracht

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worden. Auch die spätestens seit 1980 vereinbarte Entgeltzahlung mit dem damaligen Wohnungsmieter lasse erkennen, dass der Beklagte nicht von einem Verzicht ausgegangen sei. Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, Ziffer 1 des erstinstanzlichen Urteils dahingehend zu ergänzen, dass es sich um die unentgeltliche Zurverfügungstellung einer zweckentsprechenden Wohnung handelt. Das Rechtsmittel blieb im wesentlichen erfolglos, jedoch gibt der Senat dem Feststellungsausspruch des angefochtenen Urteils folgende Fassung: „Es wird festgestellt, dass die Verpflichtung des Beklagten aus der Stiftung von 1873 fortbesteht, dem vom Bischöflichen Ordinariat Würzburg mit der Seelsorge im Ortsteil Maidbronn beauftragten Geistlichen eine zweckentsprechende Wohnung im Ortsteil Maidbronn unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen“. Aus den Gründen: Die zulässige Berufung ist im Kern unbegründet. Dem Hilfsantrag der Klägerin entsprechend hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass die Verpflichtung des Beklagten aus der Stiftung von 1873 fortbesteht, dem vom Bischöflichen Ordinariat Würzburg mit der Seelsorge im Ortsteil Maidbronn beauftragten Geistlichen eine zweckentsprechende Wohnung im Ortsteil Maidbronn zur Verfügung zu stellen. Die von der ehemaligen Gemeinde Maidbronn zugunsten der Klägerin übernommene Verpflichtung stellt ein öffentlichrechtliches Reichnis dar, das bis heute fortbesteht. […] Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen, dass das Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Wohnung unentgeltlich zur Verfügung zu stellen ist; das ist dem Klageantrag entsprechend im Tenor auszusprechen. Ergänzend und zusammenfassend wird noch Folgendes ausgeführt: 1. Aus den vorgelegten Urkunden ergibt sich, dass in den Jahren 1873 bis 1875 in Maidbronn eine aufsichtlich genehmigte, rechtsgültige Lokalkaplaneistiftung entstanden ist. In diesem Zusammenhang verpflichtete sich damals die Gemeinde Maidbronn, dem künftigen „Lokalkaplan“ binnen zehn Jahren unentgeltlich eine Dienstwohnung zur Verfügung zu stellen. Das Entstehen einer solchen Verpflichtung ist zwischen den Parteien nicht streitig. Zunächst (bis 1885) überließ der damalige Bürgermeister S. dem Lokalkaplan ein ihm gehörendes Wohnhaus unentgeltlich zur freien Benutzung. Bereits in der Gründungsversammlung der Stiftung vom 29. Dezember 1873 hatte Bürgermeister S. erklärt, dass er zur Wohnung des künftigen Lokalkaplans auf zehn Jahre unentgeltlich ein ihm gehörendes Haus überlasse. Ferner hatte die Gemeinde Maidbronn da-

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mals erklärt, dass sie die Verpflichtung übernimmt, „innerhalb längstens zehn Jahren für ein eigenes vollkommen zweckentsprechendes Haus zur Wohnung des künftigen Lokalkaplans Sorge zu tragen, ebenso übernimmt sie die gesamte Baulast an dieser Dienstwohnung auf immer währende Zeiten“. Nach dem Gemeinderatsbeschluss vom 19. März 1875 stellt die Gemeinde dem „ständigen Kaplan“ „freie Wohnung und zwar in der Art, dass ihm zur Zeit und bis Ende des Jahres 1884 das dem Müller und Bürgermeister S. gehörige [...] Wohnhaus zur freien Benutzung überlassen wird. Nach dem Jahre 1884 und beziehungsweise vom 1. Januar 1885 an wird, sofern dieses vorgenannte Haus nicht mehr abgegeben wird, der Kaplan seine Wohnung entweder in einem neu gebauten Hause oder in einem käuflich erworbenen und eingerichteten Hause erhalten, und machen sich hiermit die Gemeindeglieder ausdrücklich verbindlich auf ihre Kosten rechtzeitig für eine Wohnung Sorge zu tragen“. Ferner behielt sich die Gemeinde Maidbronn nach diesem Beschluss „an dem noch gestellt werdenden Wohnhause das Eigentumsrecht, mit dem ausdrücklichen Vorbehalte vor, dass bei einer etwa vorkommenden Auflösung der exponierten Kaplanei [...] das Wohnhaus an die Gemeinde Maidbronn“ zurückfällt. Diesen Beschluss genehmigte das Königliche Bezirksamt Würzburg am 30. März 1875 gemäß Art. 159 Ziffer 5 der Gemeindeordnung vom 29. April 1869 (vgl. von Kahr, Bayer. Gemeindeordnung für die Landesteile diesseits des Rheins, 2. Band, 1898). Diese von der Gemeine Maidbronn übernommene Verpflichtung, dem mit der Seelsorge in Maidbronn beauftragten Lokalkaplan ein unentgeltliches Wohnrecht zu gewähren, bezog und bezieht sich nicht auf das Obergeschoss des Hauses R.-straße . Zwar hat die Gemeinde zur Erfüllung ihrer Verpflichtung am 28. April 1885 das Pfarrhaus in der R.-straße gekauft, das künftig auch als Wohnung des Lokalkaplans genutzt wurde. Dies stellte jedoch nur die konkrete Umsetzung der von der Gemeinde abstrakt übernommenen Verpflichtung dar, die sich gerade nicht auf ein bestimmtes Anwesen bezog. Daher konnte die Klägerin, wie auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, mit ihrem Hauptantrag nicht durchdringen. In Ergänzung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 28. November 2000 war daher die Klage im Übrigen abzuweisen; es führte lediglich der Hilfsantrag der Klägerin zum Erfolg. 2. Die genannte Verpflichtung der Gemeinde Maidbronn stellt ein öffentlichrechtliches Reichnis im Sinne der Art. 33 Bayer. Stiftungsgesetz (BayStG i. d. F. der Bekanntmachung vom 19.12.2001, GVBl 2002, 10) dar. Es handelt sich dabei um eine Leistung zum Lebensunterhalt und zur besonderen Vergütung einer Dienstleistung, nämlich der Wahrnehmung der Seelsorge durch einen am Ort wohnenden Geistlichen. Aus der Niederschrift über die Gründung einer Lokalkaplaneistiftung vom 29. Dezember 1873 ergibt sich, dass die Gemeinde Maidbronn diese Verpflichtung zur Verbesserung der Seelsorge in Maidbronn

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übernommen hat, da Maidbronn zur Pfarrei Rimpar gehörte, deren Pfarrer überlastet erschien. Die damalige Gemeinde Maidbronn übernahm diese Verpflichtung als Hoheitsträger in obrigkeitlicher Sorge für die religiösen und seelsorglichen Bedürfnisse der Ortsbevölkerung. Da dieses Reichnis nicht als Belastung mit einem bestimmten Grundbesitz verbunden wurde, also nicht dinglich verselbständigt war, handelt es sich um ein öffentlich-rechtliches Reichnis (vgl. Zängl, BayVBl 1983, 689/610). Nutznießer des Reichnisses ist der jeweils mit der Seelsorge in Maidbronn beauftragte Lokalkaplan. Inhaber des Rechts aus dem Reichnis ist die Klägerin, die Katholische Pfründestiftung Maidbronn, da es sich hier um den vermögensrechtlichen Anhang eines Kirchenamtes handelt mit dem Zweck, dem Seelsorgegeistlichen für Maidbronn einen Beitrag zu seinem Lebensunterhalt zu gewähren (Art. 7 Abs. 2 Ordnung für kirchliche Stiftungen in den bayerischen Erzdiözesen – KiStiftO, KWMBl I 1988, 215 ff.; vgl. auch Zängl, a.a.O., 611). Reichnispflichtiger ist der Beklagte als Gesamtrechtsnachfolger der ehemaligen Gemeinde Maidbronn. Mit Wirkung vom 1. Mai 1978 wurde der Beklagte durch die Eingemeindung Gesamtrechtsnachfolger der früheren Gemeinde Maidbronn (vgl. Bauer/Böhle, GO, Art. 13 RandNr. 2) und übernahm damit alle Rechte und Pflichten dieser Gemeinde einschließlich der Leistungspflicht aus dem genannten Reichnis. Die Übernahme dieser Verpflichtung stand daher nicht zur Disposition des Marktes Rimpar und der Gemeinde Maidbronn bei Abschluss des Eingemeindungsvertrages vom 7. Januar 1977. Zwar enthält Art. 9 des Eingemeindungsvertrages folgenden Passus: „Im gemeindeeigenen Pfarrhaus, R.-straße, werden kostenlos zur Verfügung gestellt: a) dem vom Ordinariat dem Ortsteil Maidbronn zugewiesenen Geistlichen eine Wohnung, [...]“. Dies kann lediglich einen Hinweis auf die bereits bestehende Reichnispflicht und deren damalige konkrete Ausgestaltung darstellen. Es handelt sich nicht um eine von den beteiligten Gemeinden getroffene Vereinbarung gemäß Ziffer 3 der Entscheidung der Regierung von Unterfranken vom 10. April 1978 (Eingliederung der Gemeinden Gramschatz und Maidbronn in den Markt R.; Regelung der Rechts- und Verwaltungsfragen nach Art. 13 Abs. 1 GO) und nicht um eine Zurverfügungstellung von gemeindlichen Einrichtungen als freiwillige Leistung gemäß Nr. 4 der Gründe dieser Entscheidung. 3. Die Verpflichtung des Beklagten aus dem entstandenen Reichnis besteht heute noch fort. a) Aufgrund der Gewährleistungen in Art. 138 WV, Art. 140 GG und Art. 145, 146 BV haben die verfassungsrechtlichen Veränderungen nach 1918 bzw. 1945 das entstandene Reichnis nicht berührt (vgl. Zängl, a.a.O., 613). Auch das Inkrafttreten des Bayerischen Stiftungsgesetzes am 1. Januar 1955 ließ die bestehenden Verpflichtungen zur Leistung besonderer Reichnisse unberührt (vgl.

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Art. 33 BayStG; Voll/Störle, Bayer. Stiftungsgesetz, 3. Aufl. 1998, Art. 35, 36 Anm. 1, Vorbem. 1 vor Art. 35; Zängl, a.a.O., 614). b) Das Reichnis ist nicht wegen vollständiger Änderung der Verhältnisse aufgrund der Einführung der Kirchensteuer erloschen. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass Reichnisansprüche durch grundsätzliche oder vollständige Veränderungen der Verhältnisse obsolet werden können (vgl. BVerwGE 38, 76/81; BayVGH n.F. 26, 137/147; BayOblGZ 1965, 407/415). Nach Auffassung des Beklagten stellte die Einführung der Kirchensteuer und die damit verbundene umfassende Alimentierung der Geistlichen eine derartige Veränderung dar; nach dem ursprünglichen Stifterwillen hätten die in dem Reichnis übernommenen Verpflichtungen einschließlich der Bereitstellung einer zweckentsprechenden Wohnung ausschließlich der Sicherstellung der Alimentierung des Lokalkaplans gedient. Die Kirchen können allerdings nicht generell als Ersatz für Leistungen eines Hoheitsträgers auf die Kirchensteuer verwiesen werden; diese hoheitlichen Leistungen sind gegenüber der Kirchensteuer keine subsidiäre Einnahmequelle (vgl. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl. 1996, S. 315 m. w. N.; Zängl, a.a.O., 616). Auch waren dem Gesetzgeber bei Erlass des Stiftungsgesetzes die durch Einführung der Kirchensteuer im Jahre 1934 bedingten Veränderungen bei der Finanzierung der Kirchen bekannt; gleichwohl hat er bei Inkrafttreten des Stiftungsgesetzes am 1. Januar 1955 ausdrücklich die Weitergeltung der Reichnisverpflichtungen bestätigt. Daher erscheint ein generelles Erlöschen von Reichnisverpflichtungen im Hinblick auf die Kirchensteuer ausgeschlossen (Voll/Störle, a.a.O., Anm. 1 zu Art. 35, 36). Im Übrigen hat der Beklagte nach der unbestrittenen Darstellung der Klägerin im Schriftsatz vom 28. Juni 2001 die sonstigen Reichnisverpflichtungen aus den Beschlüssen der Jahre 1873 bis 1875, die bis zu diesem Zeitpunkt erbracht worden seien, vertraglich abgelöst. Wären diese Reichnisverpflichtungen durch die Entwicklung der Kirchensteuer obsolet geworden, hätte sich eine Ablösung durch den Beklagten erübrigt. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht bereits zutreffend ausgeführt, dass die Einführung der Kirchensteuer im vorliegenden Fall auch deshalb keine völlige Veränderung der Verhältnisse herbeiführte, weil das Reichnis eine Gegenleistung für besondere Dienste bilden soll, die über die allgemeine Besoldung der Geistlichen hinausgehen. Nach dem Stifterwillen (vgl. Art. 2 Abs. 1 BayStG) sollte nämlich die kostenlose Bereitstellung einer zweckentsprechenden Wohnung durch die ehemalige Gemeinde Maidbronn nicht nur der „Besoldung“ des jeweils beauftragten Geistlichen dienen, sondern unabhängig davon der Sicherstellung des Zwecks, dass ein vom bischöflichen Ordinariat zugewiesener Geistlicher in Maidbronn wohnt und sich gerade dort der Seelsorge widmet. So wurde bei der Gründungsversammlung am 29. Dezember 1873 beschlossen, zur Unterstützung des überlasteten Pfarrers von R. und zum geistlichen Nutzen der

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hiesigen Familien und ihrer Kinder eine Seelsorgestelle eines in Maidbronn wohnenden aber im Pfarrverband mit R. verbleibenden und dem dortigen Pfarrer untergeordneten Priester zu gründen. Dementsprechend wurde in dem Beschluss auch der Wille bekundet, dass der Lokalkaplan in der Filialkirche in Maidbronn Sonn- und Feiertags, an bestimmten weiteren Terminen sowie möglichst an jedem Werktag Gottesdienst halten solle. Auch die Bezeichnung „Lokalkaplan“ bzw. „Lokalkaplanei“ macht deutlich, dass es den Stiftern um die Seelsorge durch einen ortsansässigen Geistlichen ging. Auch der Beschluss der Gemeindeversammlung vom 19. März 1875 bestätigt, „dass eine selbständige Lokalkaplanei in Maidbronn“ errichtet werden solle und, „dass der Lokalkaplan nicht für R. sondern einzig und allein nach dem Willen der Stifter für Maidbronn bestellt werde“. Daraus ergibt sich der ausschließliche örtliche Bezug der Lokalkaplanei zu Maidbronn unter Abgrenzung zu R. Mit der Gewährung freier Wohnung durch die Gemeinde sollte gerade auch die Ortsansässigkeit des Lokalkaplans bezweckt werden. An diesem eigenständigen Zweck ändert nichts, dass die unentgeltliche Wohnung auch einen geldwerten Vorteil geboten hat und noch bietet und somit – ebenso wie etwa die dem Kaplan gewährte „kostenfreie Beifuhr des Brennholzes“ – auch einen Beitrag zu seiner Alimentation leistete. Der lokale Bezug zu Maidbronn und die gewünschte Ortsansässigkeit des Geistlichen stellen dem gegenüber ein eigenständiges Ziel der Stifter dar. Dieses Ziel ist auch nicht nur Ausfluss und Spezifikum damaliger Lebensverhältnisse mit geringerer Mobilität und schlechteren Kommunikationsmöglichkeiten, die durch Auto, Telefon etc. überholt wären; vielmehr kommt der Ortsansässigkeit eines Geistlichen trotz Veränderung dieser Lebensverhältnisse auch heute noch ein eigenständiger besonderer Wert zu, da der Geistliche als Ortsansässiger in jeder Beziehung enger in die örtliche Gemeinschaft eingebunden ist und so auch ein intensiveres Vertrauensverhältnis zu den Gemeindemitgliedern aufbauen kann. Nach der unbestrittenen Darstellung der Klägerseite wird im Übrigen auch heute ein Geistlicher mit der Seelsorge für Maidbronn nur dann beauftragt, wenn dort für ihn auch ein „Pfarrhaus“ zur Verfügung steht. c) Das streitgegenständliche Reichnis ist auch nicht durch Wegfall des Reichniszwecks erloschen. Die Leistungspflicht des Reichnisverpflichteten besteht nur, soweit und solange der Zweck, dem das Reichnis zu dienen bestimmt ist, erfüllt werden kann. Die vorübergehende Nichterfüllbarkeit des Zwecks eines Reichnisses führt zu einem Ruhen der Reichnispflicht, der endgültige Wegfall des Zwecks zum Erlöschen. Die Leistungspflicht des Schuldners erlischt – etwa nach den Grundsätzen der Unmöglichkeit der Leistung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage –, wenn das Ziel, das in der Bestimmung über den Zweck der Leistung zum Ausdruck kommt und dessen Verfolgung der wesentliche Inhalt der Leistungs-

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verpflichtung ist, nicht mehr erreicht werden kann (vgl. BayVGH vom 24.4.1956 BayVBl 1956, 280/282; BayOblGZ 1965, 407/417; Zängl, a. a. O., 617). Der Zweck eines Reichnisses ist dabei in erster Linie nach dem Entstehungsgrund zu bestimmen. Wie bereits dargestellt war es Zweck der Lokalkaplaneistiftung, eine Seelsorgestelle eines in Maidbronn wohnenden Priesters zur Verbesserung der Seelsorge in Maidbronn und zur Unterstützung des überlasteten Pfarrers von R. zu gründen. Nach Auffassung des Beklagten sollte sich der Lokalkaplan hauptamtlich bzw. hauptberuflich um die Seelsorge in Maidbronn kümmern; dies könne jedoch heute nicht mehr verwirklicht werden, da diese Aufgabe seit Jahrzehnten von hauptamtlich eine katholisch-theologische Lehrtätigkeit ausübenden Geistlichen wahrgenommen werde. Dieser Argumentation ist das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung jedoch zu Recht nicht gefolgt. Es hat zutreffend im Einzelnen dargelegt, dass der Stifterwille unabhängig von der organisatorischen Form auf die Erfüllung der erstrebten seelsorgerischen Tätigkeit in Maidbronn abzielte. Nach ihrer Intention hätten die Stifter aufgrund veränderter Zeitumstände auch eine diesen angepasste seelsorgerische Betreuung durch einen „nebenamtlich“ tätigen Geistlichen akzeptiert. So wurde auch faktisch über Jahrzehnte – wie bereits von 1933 bis 1937 – die seelsorgliche Betreuung aufgrund der Lokalkaplaneistiftung in Maidbronn durch hauptamtlich an der theologischen Fakultät der Universität Würzburg tätige Geistliche akzeptiert. Der Reichniszweck ist auch insoweit noch erfüllbar, als zum einen Maidbronn derzeit noch etwa 750 Einwohner katholischen Glaubens hat. Zum anderen nimmt der derzeit mit der Seelsorge in Maidbronn beauftragte Geistliche Dr. G. nach der Darstellung der Klägerseite im Schriftsatz vom 31. Januar 2000 unstreitig eine Fülle von Aufgaben in Maidbronn wahr; hierzu zählen u.a. Eucharistiefeier am Sonntag und jedem Werktag, Andacht am Sonntag, Vorbereitung und Durchführung von Familiengottesdiensten und weiteren Gottesdiensten mit besonderen Zielgruppen (Vereine, Jugend etc.), Kontakt zum Kindergarten, Fortbildung und Begleitung der Lektoren, seelsorgliche Einzelgespräche, Taufen, Trauungen und Beerdigungen. Damit kommt der Lokalkaplan unabhängig von seinem Hauptberuf in Würzburg seelsorgerischen Aufgaben in Maidbronn in einem Umfang nach, der jedenfalls den Aufgaben entspricht, welche die Stifter insbesondere am 29. Dezember 1873 für den künftigen Lokalkaplan vorsahen. Ob der Vorgänger des jetzigen Lokalkaplans, Prof. Dr. F., der in den Jahren 1980 bis 1996 zur Seelsorge in Maidbronn bevollmächtigt war, die nach dem Willen der Stifter zu erfüllenden Aufgaben des Lokalkaplans in vollem Umfang wahrgenommen hat, kann letztlich dahingestellt bleiben. Die Zahlung eines

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stark geminderten Mietzinses in dieser Zeit für die Wohnung im Pfarrhaus lässt darauf schließen, dass sich damals beide Seiten letztlich auch auf eine eingeschränkte Aufgabenerfüllung verständigt hatten. Das Verwaltungsgericht hat jedenfalls zutreffend ausgeführt, dass dies allenfalls zu einem Ruhen der Verpflichtung des Beklagten aus dem Reichnis, nicht aber zu deren Erlöschen führen konnte (vgl. auch Zängl, a. a. O., 617). Diese Auffassung wird auch dadurch gestützt, dass damals – soweit ersichtlich – von keiner Seite eine verstärkte Wahrnehmung seelsorgerischer Tätigkeit in Maidbronn gefordert oder gar auf der nach der Lokalkaplaneistiftung zu erbringenden „Gegenleistung“ des Lokalkaplans bestanden worden wäre. d) Das öffentlich-rechtliche Reichnis ist bislang auch nicht gemäß Art. 37 BayStG umgewandelt oder abgelöst worden. 4. Wie bereits eingangs dargestellt, bezieht sich die Reichnispflicht nicht konkret darauf, die Wohnung im Obergeschoss des Pfarrhauses R.-straße unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Vielmehr ist dem mit der Seelsorge im Ortsteil Maidbronn beauftragten Geistlichen eine zweckentsprechende Wohnung im Ortsteil Maidbronn unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Was nach Ausstattung und Größe als eine solche zweckentsprechende Wohnung anzusehen ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits und kann im Laufe der Zeit entsprechend den sich allgemein ändernden Wohnbedürfnissen und Wohnstandards einem gewissen Wandel unterworfen sein.

2. Archivgutachten als Entscheidungsgrundlage hier: Feststellung des kirchlichen Charakters einer Stiftung im linksrheinischen Rheinland Leitsatz: Zum Fehlen der kirchlichen Eigenschaft bei einer öffentlich-rechtlichen Stiftung, die zwar zu wesentlichen Teilen aus mittelalterlichem kirchlichem Stiftungsvermögen hervorgegangen ist, indessen in der Zeit der Einverleibung der linksrheinischen Gebiete in den französischen Staat infolge des Friedens von Luneville 1801 als Vermögen der geschlossenen Armenpflege in staatliche Verwaltung übergeleitet worden ist. Art./§§ 140 GG, 137 Abs. 3 WRV, 83 Abs 1 84 BPersVG, 41 Abs. 1. 47 Abs. 1, 49 Rheinland-Pfälzisches StiftG, 65 Abs. 1 VwGO OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. November 2004 – 7 A 10146/0354 – 54

Amtl. Leitsatz. KirchE 46, 262. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beigeladenen wurde zurückgewiesen, diejenige der Klägerin hatte mit der Aufklärungsrüge (unterbliebene Ein-

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Die Klägerin, die sich als öffentlich-rechtliche Stiftung bezeichnet, begehrt von dem Beklagten als Stiftungsaufsichtsbehörde die Feststellung ihres kirchlichen Charakters. Sie ist Trägerin eines Krankenhauses sowie verschiedener sozialer Einrichtungen. Ausgelöst wurde die Frage um die entsprechende Qualifizierung in jüngerer Zeit, als der beigeladene Personalrat eine Freistellung des Personalratsvorsitzenden nach dem Landespersonalvertretungsgesetz begehrte. Nachdem auf eine entsprechende Anfrage des Personalrats hin die zuständige Stiftungsaufsichtsbehörde des Beklagten die Anwendbarkeit des Landespersonalvertretungsgesetzes bejaht und damit den kirchlichen Charakter der Einrichtung verneint hatte, äußerte der Verwaltungsdirektor der Klägerin in einem Schreiben vom 18. November 1998 Zweifel an dieser Einordnung und kündigte eine Überprüfung der historischen Fakten unter Berücksichtigung einschlägiger Urteile des Bundesverfassungsgerichts an. Bis zum Abschluss der Prüfung werde man unter Vorbehalt das Landespersonalvertretungsgesetz anwenden. Mit Schreiben vom 15. Dezember 1998 wurde dem Vorsitzenden des beigeladenen Personalrats dieses Ergebnis mitgeteilt und eine Freistellung als Personalrat ausgesprochen. Mit Schreiben vom 1. September 2000 bat die Klägerin unter Beifügung eines Rechtsgutachtens von Prof. Dr. R. in dem ausgeführt ist, dass gute Gründe für eine entsprechende Einordnung sprechen würden, um Entscheidung gemäß § 49 Rheinland-Pfälzisches SiftG durch die zuständige Stiftungsaufsichtsbehörholung eines Sachverständigengutachtens) Erfolg und führte im Beschlussverfahren (§ 133 Abs. 6 VwGO) zur Zurückverweisung an die Vorinstanz; BVerwG, Beschluss vom 29.8.2005 – 7 B 12/05 – n. v. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht beantragt, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass weder in der französischen Besatzungszeit noch anschließend Güter der Stiftungen, die in der Klägerin aufgegangen sind, verstaatlicht worden sind oder ihr Stiftungszweck verändert wurde. Das Oberverwaltungsgericht hatte diesen Beweisantrag als unzulässig zurückgewiesen, weil er auf die Beantwortung einer Rechtsfrage ziele, die einer Beweiserhebung nicht zugänglich sei. Diese Begründung erachtete das Bundesverwaltungsgericht als rechtlich fehlerhaft. Das Oberverwaltungsgericht habe die Verstaatlichung (oder Säkularisation) der früheren mittelalterlichen Stiftungen aus Rechtsvorschriften hergeleitet, die während der Zugehörigkeit Triers zum französischen Staat dort galten. Fremdes (ausländisches) Recht sei einer Beweiserhebung zugänglich (vgl. § 173 VwGO, § 293 ZPO). Zudem sei es nicht darum gegangen, wie die vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Rechtsvorschriften richtigerweise zu verstehen, sondern wie sie in einer konkreten historischen Situation in Trier tatsächlich angewendet worden seien. Dies könne Gegenstand eines Sachverständigengutachtens sein. Das OVG Rheinland-Pfalz hat die Klage durch Urteil vom 12.6.2006 – 2 A 11376/05 – (AS RP-SL 34, 294) erneut abgewiesen. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin blieb erfolglos; BVerwG, Beschluss vom 2.7.2007 – 7 B 65/06 – n. v. Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 15.2.2008 – 2 BvR 1735/07 – n. v. nicht zur Entscheidung angenommen.

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de, dass die Klägerin eine kirchliche Stiftung i. S. d. § 41 StiftG sei, und dass das Landespersonalvertretungsgesetz auf die Klägerin keine Anwendung finde. In dem beigefügten Gutachten wurde im Wesentlichen zur Begründung ausgeführt, die Vereinigten Hospitien in Trier gingen auf vorrevolutionäre kirchliche Stiftungen zurück, deren Anfänge tief im Mittelalter lägen. Die Hospitäler seien bis zum Ende des Kurstaats selbständig geblieben, Träger seien verschiedene Klöster gewesen. Unter napoleonischer Herrschaft seien die kirchlichen Stiftungen nicht säkularisiert, sondern in einer einheitlichen Stiftung zusammengefasst worden. Als Gründungsurkunde werde das kaiserliche Dekret vom 24. Mai 1805 angesehen, in dessen Art. I es heiße: Das durch Akt unter Privatunterschrift vom 30. Nivôse des Jahres XII (21. Januar 1804) gemachte Anerbieten des Herrn R., Bürgermeister von Trier, über die entgeltliche Rückabtretung der Gebäulichkeiten des Klosters St. Katharinen an die Zentralverwaltungskommission der Hospitien zum Zwecke der Vereinigung der Hospitäler St. Jakob, St. Nikolaus, St. Elisabeth, St. Matthias, das Knaben- und Waisenhaus dieser Stadt soll durch die genannte Kommission akzeptiert werden.

In einem Reskript des Ministers des Innern vom 3. Mai 1806 sei die Vereinigung der Hospitäler bestätigt worden und die Verwaltung in einer einzigen Anstalt durch dieselbe Kommission angeordnet worden. In Art. 2 des Reskripts heiße es in Bezug auf die Zusammensetzung dieser Kommission: „Die Kommission wird unter dem Vorsitz des Bürgermeisters von Trier und gemeinschaftlich mit dem Herrn Bischof bestehen aus folgenden Mitgliedern [...]“. Die juristische Selbständigkeit der Vereinigten Hospitien als Stiftung sei zwar zu Zeiten angezweifelt worden, sei aber im Grunde nie ernsthaft strittig gewesen. Der katholische Charakter der Vereinigten Hospitien sei bis zur nationalsozialistischen Zeit nie in Frage gestellt worden. Bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sei der Dienst an den Kranken, Alten und Waisen von den Barmherzigen Schwestern vom hl. Karl Borromäus verrichtet worden, die der in napoleonischer Zeit amtierende Bischof Mannay nach Trier geholt habe. Das Statut der Stiftung vom 14. Oktober 1952 bestätige die Unabhängigkeit der Stiftung, sehe den Oberbürgermeister und den Bischof als geborene Mitglieder des Verwaltungsrats vor. Außerdem gehörten danach dem Verwaltungsrat drei vom Stadtrat gewählte und vier von den anderen Mitgliedern kooptierte Mitglieder an. Alle Mitglieder müssten entsprechend dem katholischen Charakter der Stiftung nach dieser Statutenregelung katholisch sein. Die derzeit gültige Satzung gebe zwar dem kirchlichen Einfluss mehr Raum als die vorhergehenden Regelungen seit 1825 und betone den katholischen Charakter deutlicher als alle früheren Bestimmungen seit der napoleonischen Zeit. Indessen könne ihre Rechtsgültigkeit insoweit

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nicht unter Berufung auf den Stifterwillen in Frage gestellt werden, da Napoleon die Stiftung als religiöse Einrichtung vorgefunden habe und in ihrem Bestand neu geordnet habe. Eine Säkularisierung sei damit nicht verbunden gewesen. Auch die späteren Maßnahmen unter preußischer Herrschaft hätten nur die Organisation und Verwaltung, nicht aber den grundsätzlichen Charakter der Stiftung betroffen. Die Einrichtungen erfüllten ohne Zweifel einen kirchlichen Zweck, sie dienten nämlich der Caritas im kirchlichen Verständnis. An der hinreichenden Anbindung an die Kirche fehle es nicht; die Kirche habe im Trierer Raum die Klägerin immer als eine Einrichtung angesehen, mit der sie einen Teil ihrer karitativen Aufgaben erfülle und entsprechend finanzielle Unterstützung gewährt. An die institutionelle Einbindung würden in der einschlägigen Rechtsprechung keine zu hohen formalen Anforderungen gestellt. Hier reiche es aus, dass die Mitglieder des Verwaltungsrats sämtlich katholisch sein müssten und der Bischof maßgeblichen Einfluss in der Kommission habe. Der von der Dienststellenleitung informierte Personalrat wandte sich im gegenteiligen Sinne an die Stiftungsaufsichtsbehörde und legte ein in seinem Auftrag erstelltes Rechtsgutachten eines Bevollmächtigten vor, das den kirchlichen Charakter der Stiftung verneint. Im Wesentlichen wird darin angeführt, dass die Einrichtung die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Inanspruchnahme der Kirchenautonomie aufgestellten Grundsätze und Voraussetzungen nicht erfülle. Aus der Gründungsurkunde müsse sich als bestimmendes Motiv für das Handeln des Stifters die Absicht ersehen lassen, eine spezifisch religiöse Gesinnung in die Tat umzusetzen. Daran fehle es hier. Es fehle hier auch am maßgeblichen institutionellen Einfluss der Kirche. Katholische Laien könnten nicht ohne weiteres als insoweit maßgebliches Einflusselement zugunsten der Kirche gewertet werden. Von einer kirchlichen Aufsicht könne vorliegend nicht die Rede sein. Es sei auch keine maßgebliche Beteiligung der Kirche an der Gründung der Einrichtung nachzuweisen. Am 9. August 1794 hätten die französischen Revolutionsheere die Stadt Trier besetzt. Durch Dekret der Besatzungsmacht vom 7. Oktober 1796 seien im Zuge der Regelungen für das linksrheinische Hospitienwesen die Hospitäler einer Stadt bzw. eines Kantons zu einer Verwaltungseinheit zusammengefasst worden, an deren Spitze eine vom Munizipalrat gewählte zivile Hospitienkommission gestanden habe. Die Kommission habe in Trier am 22. Dezember 1798 ihre Tätigkeit aufgenommen. Durch ein Gesetz aus dem Jahre 1799 seien die Gemeinden verpflichtet worden, die Defizite der Hospitäler aus städtischen Steuermitteln zu decken. Napoleon habe schließlich durch Dekret eine unentgeltliche Abtretung des ehemaligen Klosters St. Irminen für die Einrichtung eines Bürger- und Militärhospitals sowie die Vereinigung der übrigen Hospitäler verfügt und in diesem Zusammenhang vom Bürgermeister die Übertragung der Gebäulichkeiten des ehemaligen Klosters St. Katharinen angenommen. Eine Beteiligung der Kirche an die-

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sen Maßnahmen sei nicht ersichtlich. Ebenso wenig wie eine Satzung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine ursprünglich kirchliche Einrichtung gegen den Stifterwillen säkularisieren könne, so vermöge sie nicht eine ursprünglich säkularisierte Stiftung nachträglich zu rechristianisieren. Mit Bescheid vom 22. November 2000 lehnte der Beklagte den Feststellungsantrag der Klägerin ab und traf gemäß § 49 StiftG die Feststellung, dass es sich bei den Vereinigten Hospitien um eine (öffentliche) Stiftung im Sinne des § 2 Abs. 3 bis 5 StiftG Rheinland-Pfalz handele. Die Einrichtung habe keinen kirchlichen Charakter. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Das statusrechtliche Feststellungsverfahren könne den Stifterwillen nur deklaratorisch ermitteln, nicht aber konstitutiv verändern. Unter Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte der Stiftung sei festzustellen, dass es sich nicht um eine kirchliche Stiftung handele. Aus der geschichtlichen Entwicklung seit dem Gründungsdekret Napoleons im Jahre 1805 ergebe sich, dass es immer enge Verflechtungen der Stadt Trier mit der Stiftung gegeben habe, teilweise sogar maßgebliche Entscheidungsbefugnisse bei der Stadt gelegen hätten und unter preußischer Regierung sogar der Staat entscheidenden Einfluss auf die Vereinigten Hospitien ausgeübt habe. Nach französischer Auffassung sei das Armenwesen eine polizeiliche öffentliche Angelegenheit gewesen. Der katholische Charakter der Stiftung sei von Anfang an bestritten gewesen, im Übrigen nach der Gesetzeslage auch nicht das entscheidende Kriterium zur Qualifikation der Einrichtung als kirchlich. Nach § 41 Abs. 2 StiftG werde eine Stiftung nicht dadurch zu einer kirchlichen, dass sie als einer Konfession zugehörig bezeichnet werde. Nach einer Rechtsänderung im Jahre 1871 sei die Hospitiendeputation wie ein städtischer Ausschuss behandelt worden, die Entscheidung habe letztlich beim Stadtrat gelegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei den Vereinigten Hospitien wieder das Recht auf Selbstverwaltung eingeräumt worden. Aus der gesamtgeschichtlichen Entwicklung sowie den institutionellen Einflüssen lasse sich nicht ableiten, dass die Einrichtung kirchlichen Charakter aufweise. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg und wurde durch Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2001 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ergänzend zu dem Ablehnungsbescheid ausgeführt, der in § 2 der Stiftungssatzung festgelegte Stiftungszweck gebe keinen ausreichenden Hinweis auf den kirchlichen Charakter der Einrichtung. Danach habe die Stiftung den Zweck, „Alten, Kranken, Behinderten und pflegebedürftigen Menschen zu helfen und nach Bedarf deren Heim zu sein“. Die Hilfe bestehe danach in der Beratung, Stützung, Heilung, Pflege und Betreuung der Hilfsbedürftigen. Die Stiftung unterhalte entsprechende Einrichtungen. Ihr Zweck sei ausschließlich mildtätig und gemeinnützig. Die katholische Kirche habe auch keinen überwiegenden Einfluss auf die Verwaltung der Stiftung. Es fehle an dem erforderlichen ordnenden Einfluss der

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Kirche, der es ihr ermögliche, eine Übereinstimmung der religiösen Betätigung der Einrichtung mit kirchlichen Vorstellungen zu gewährleisten und im Konfliktfall durchzusetzen. Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie ihr Feststellungsbegehren weiterverfolgt und im Wesentlichen geltend macht: Entgegen der Auffassung in den Ablehnungsbescheiden des Beklagten seien sämtliche in den Vereinigten Hospitien aufgegangenen Einrichtungen kirchlichen Charakters gewesen. So sei z. B. bei der Entwicklung des St. Jakobsspitals, das von einer Bruderschaft von Bürgern getragen worden sei, entsprechend der Bewertung des Historikers R. zu berücksichtigen, dass die Kommunalisierung keine Säkularisierung bedeute. Der Zusammenhang des Spitals mit der Kirche sei durch die Verbürgerlichungsbewegung niemals aufgegeben oder vernichtet worden. Seiner Substanz nach sei das Spitalwesen unverändert geblieben. Was gewechselt habe, seien die Leitungskräfte und die Ausgestaltung des inneren Betriebs. Auch fernerhin habe das Spital am Recht der Kirche teilgehabt. Die Autonomiebestrebungen der Stadt hätten auch im Jahre 1580 ein Ende gefunden. Bis 1798 habe die Stadt unter einem erzbischöflichen Statthalter gestanden. Bis zur französischen Revolution sei das St. Jakobsspital nie aus dem kirchlichen Verbund herausgenommen worden. Das Knabenwaisenhaus sei eine Stiftung des Erzbischofs Karl Kaspar von der Leyen aus dem Jahre 1676 gewesen; es weise alle Merkmale einer kirchlichen Stiftung auf. Die kommunale Verwaltung, die fest in der Hand des Erzbischofs und Stifters gelegen habe, stehe dieser Qualifikation nicht entgegen. Ebenso sei das Mädchenwaisenhaus eine kirchliche Einrichtung gewesen. Bei der Stiftung der Baronin von Kickler sei vom Erzbischof der jeweilige Pfarrer von St. Laurentius zusammen mit dem Bürgermeister der Stadt zum Verwalter bestellt worden. Dem Magistrat sei später lediglich ein Recht zu Revisionen und Berichten an den Erzbischof und Kurfürsten, nicht aber ein Recht zu Eingriffen in die Verwaltung verschafft worden. Falsch sei schließlich auch die Behauptung, das Armen- und Spinnhaus sei eine städtische Einrichtung gewesen. Kirchliche Kreise hätten die Mittel für die Einrichtung zur Verfügung gestellt. Die entscheidende Hilfe habe eine Anordnung des Erzbischofs erbracht, das Spinnhaus solle eine Generalalmosenspende werden. Auf ausdrücklichen Befehl des Bischofs seien die Stifte, Pfarreien und Klöster zu Naturalabgaben verpflichtet worden. Unrichtig sei auch die Auffassung des Beklagten, Napoleon habe durch die Gründung einer weltlichen Stiftung den katholischen Charakter aufheben und beseitigen wollen. Es könne auch nicht mit dem Gutachten von Prof. Dr. F. davon ausgegangen werden, die Umwandlung der Hospitäler in eine öffentlichrechtliche Stiftung habe sich mit der Konstituierung der zivilen Hospitienkommission am 22. Dezember 1798 vollzogen. Das Gutachten F. habe sein

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Hauptaugenmerk auf andere Fragen gelegt. Die Errichtung der Kommission habe an der Selbständigkeit der Stiftungen nichts geändert und auch die Vereinigung nicht vorangebracht. So habe auch der französische Präfekt im Blick auf Befürchtungen, was die Vereinigung angehe, ausgeführt, dass die Vereinigung lediglich eine Veränderung in der Wirtschaftsführung bringe und daraus keine Änderung der Stiftung folge. Stiftungszweck und Stiftungsvermögen seien auch im Weiteren durch Maßnahmen der napoleonischen Verwaltung nicht in Frage gestellt worden. Das kaiserliche Dekret vom 24. Mai 1805, das als Grundlage der Vereinigung angesehen werde, biete keinen Anhaltspunkt dafür, der Stiftungszweck habe verändert werden sollen. Durch Dekret Napoleons vom 13. Juni 1806 sei angeordnet worden, die Verwaltungen der Spitäler sollten unverändert bestehende Stiftungsverpflichtungen für Religionsdienste erfüllen. Auch die Betrachtung der weiteren historischen Entwicklung der Stiftung könne nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Der Bischof von Trier habe im Schreiben vom 8. März 1934 betont, es handele sich um altes katholisches Stiftungsvermögen, und bei dieser Gelegenheit die preußische Geschäftsinstruktion von 1825 in Frage gestellt. Dieses Schreiben habe immerhin dazu geführt, dass der Regierungspräsident angewiesen worden sei, sich vorläufig gegenüber der Klägerin jeder Maßnahme zu enthalten. Das Ausmaß der notwendigen institutionellen Verbindungen sei nach gefestigter Rechtsprechung (BVerfGE 24, 236 [246 ff.], KirchE 10, 181; 46, 73 [87], KirchE 16, 189; 53, 366 [392], KirchE 18, 69) im Rahmen einer Gesamtwürdigung in die Betrachtung einzubeziehen. Ausreichend sei hier insoweit für den maßgeblichen Einfluss, dass alle Mitglieder des Verwaltungsrats katholischer Konfession seien. Diese Regelung gewährleiste gemeinsam mit der Bestimmung des Zwecks der Stiftung in § 2 der Satzung, der Bestimmung ihres katholischen Charakters aufgrund des Stifterwillens in § 4 Abs. 2 der Satzung und der Mitgliedschaft des Bischofs im Verwaltungsrat Einflussmöglichkeiten, die auf Dauer die Betätigung der Klägerin in Übereinstimmung mit den Vorstellungen der Kirche gewährleiste. Der Beklagte meint, entgegen der Auffassung der Klägerin sei diese keine katholische kirchliche Stiftung, sondern bestehe, wie es auch in der Präambel der Satzung zum Ausdruck gebracht werde, teils aus ehemaligen katholischen Stiftungen, zum anderen Teil aus städtischen Einrichtungen. Die in der Satzung beschriebenen Aufgaben seien auch sozialstaatliche Aufgaben. Es gebe keinen Hinweis auf ein besonderes religiöses Anliegen im Sinne der Caritas, anders als dies etwa in der Satzung des Caritasverbandes explizit zum Ausdruck gelange. Der beigeladene Personalrat macht geltend: Soweit die Klage auch auf die Mitgliedschaft der Klägerin im Caritasverband gestützt werde, sei dies nicht entscheidungserheblich, vielmehr komme es auf den wahren Charakter der Kläge-

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rin an. Von entscheidender Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits müsse die Frage sein, wer Stifter der Einrichtung sei. Eine richtige Einordnung müsse sich ausführlich mit den Grundzügen der französischen Armengesetzgebung, deren Einführung in Trier sowie den daraus resultierenden Konsequenzen für die Organisation und den Rechtscharakter der in Trier zur Zeit der französischen Herrschaft bestehenden Hospitäler auseinandersetzen. Die Franzosen hätten sich seit dem Frieden von Campoformio 1797 und den damit verbundenen Zugeständnissen Österreichs als ermutigt angesehen, das linke Rheinufer als französische Provinz zu behandeln und durch den mit der Verwaltung für das Direktorium beauftragten Bürger Ru. die staatlichen Regelungen des revolutionären Frankreich zunehmend umgesetzt. In Frankreich seien die Hospitäler 1794 zunächst vollends verstaatlicht worden; 1796 seien zwar Maßnahmen zur Dezentralisierung ergriffen worden und die Hospitäler wieder in den Genuss ihrer früheren Einkünfte und Güter gesetzt worden. Der Staat habe aber die Gesetzgebung und Leitung behalten; die Gemeinden seien verpflichtet worden, ein auftretendes Defizit aus Steuermitteln zu decken. An die Stelle einer Verwaltung durch die Gemeinden sei eine Verwaltung durch einen staatlichen Ausschuss getreten, nämlich die neu geschaffenen Hospitienkommissionen, deren Mitglieder vom Staat bestellt worden seien. Die rheinischen Hospitäler hätten mit Einführung der französischen Reformen den Status öffentlich-rechtlicher Anstalten oder Stiftungen erhalten. Spätestens 1798 hätten damit alle Einrichtungen, egal welchen Herkommens sie gewesen seien, staatlichen Charakter angenommen. Die Vereinigung der bereits ihres kirchlichen Charakters entkleideten Einrichtungen zu den später sog. „Vereinigten Hospitien“ habe keine einschneidende Änderung herbeigeführt. Bei dem Vorgang seien mehrere Schritte zu unterscheiden: Zunächst habe unter dem 9. Oktober 1804 Napoleon im Kloster St. Irminen die Errichtung eines Bürgerhospitals mit etwa 150 Betten, davon 100 für das Militär, angeordnet. Mit Dekret vom 24. Mai 1805 sei das ehemalige Kloster St. Katharinen, das der Bürgermeister Re. nach der Säkularisation zwischenerworben hatte, zurückgekauft worden mit der Bestimmung, dort die Vereinigten Einrichtungen aufzunehmen. Die eigentliche Vereinigung sei erfolgt durch Reskript des Ministers des Innern vom 3. Mai 1806; damit sei die Vereinigung zu einer einheitlichen Anstalt erfolgt und die Zusammensetzung der Hospitienkommissionen namentlich bestimmt worden. Diese Sicht der Ereignisse sei auch in der Folgezeit durchgehend akzeptiert worden. Ein entsprechendes Verständnis weise auch die Präambel der Satzung der Vereinigten Hospitien vom 5. November 1997 auf, worin die Einrichtung als eine Zusammenfassung ehemals selbständiger katholischer Stiftungen und des auch Bürgerhospital genannten Komplexes von Sozialeinrichtungen mit Krankenhaus in St. Irminen bezeichnet sei. Eine getrennte Verwaltung des Vermögens der ursprünglich katholischen Stiftungen und des von Napoleon gestifteten Bürger-

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hospitals habe von Anfang an nicht stattgefunden. Dass die Einrichtungen als einheitliche Anstalt aufgefasst worden seien, gehe auch daraus hervor, dass der Präfekt im Schreiben vom 6. Juni 1806 es als gleichgültig bezeichnet habe, in welchem der beiden nebeneinander liegenden Häuser (St. Katharinen, St. Irminen) die eine oder andere Einrichtung untergebracht sei. Durch die Geschäftsinstruktion für die Verwaltung der Vereinigten Hospitien vom 22. Februar 1825 der Königlichen Regierung in Trier sei dem Bischof das Recht abgesprochen worden, geborenes Mitglied der Verwaltungskommission der Vereinigten Hospitien zu sein. Diese Beschränkung ihres Einflusses hätten die Trierer Bischöfe klaglos hingenommen und erst wieder 1934 einen Anspruch geltend gemacht. Seit 1872 habe die Stadt zudem über 50 Jahre hinweg unwidersprochen den Standpunkt vertreten, aufgrund der preußischen Gesetzgebung von 1871 seien die Vereinigten Hospitien in ihr Alleineigentum übergegangen. In einem Urteil des Reichsfinanzhofs vom 24. Februar 1933 heiße es, die Vereinigten Hospitien bildeten einen Teil der Stadtverwaltung Trier. Jedenfalls sei zu keinen Zeitpunkt der historischen Debatte auch nur diskutiert worden, die Vereinigten Hospitien seien eine kirchliche Einrichtung. In einer Replik hat die Klägerin daraufhin insbesondere ausgeführt, die Trierer Hospitäler seien auf der Grundlage der Bestimmungen des Westfälischen Friedens bona ecclesiastica mediata, d. h. mittelbare und nicht reichsunmittelbare Kirchengüter gewesen. Die Rechtslage sei nach dem Frieden von Lunéville 1801 auch ausdrücklich bestätigt worden. In der Instruktion des Kultusministers Portalis vom 3. März und 17. Mai 1806 seien die Bestimmungen des Westfälischen Friedens als unverändert zu Recht bestehend anerkannt. In der Säkularisation des Kirchenvermögens von 1802 seien durch Konsularbeschluss vom 9. Juni 1802 die Hospitäler ausdrücklich ausgenommen. Der kirchliche Zweck der Stiftungen sei durch die Verwaltungsmaßnahmen in der Zeit der französischen Herrschaft nicht verändert worden. Ob die Vereinigte Stiftung zur Erfüllung ihrer Aufgaben auch öffentliche Mittel erhalten habe, sei im Ergebnis ohne Belang. Eine Staatsaufsicht sei während napoleonischer und preußischer Zeit der Verwaltung nicht fremd gewesen. Nach der Vereinigung der Rheinlande mit der preußischen Monarchie am 5. April 1815 hätten in Trier wieder die Bestimmungen des Westfälischen Friedens Geltung gehabt, die den Bestand des katholischen Stiftungsvermögens garantierten. In der Antwort der Hospitienkommission auf eine Anfrage der preußischen Regierung vom 23. August 1854 heiße es im Übrigen, dass man gedenke, an der unter allen Regierungen ausgeübten und anerkannten Observanz auch in Zukunft festzuhalten, wonach an den gestifteten Pfründnerstellen, an der Erziehungsanstalt und anderen Unterstützungen nur Katholiken zugelassen seien, während eine Aufnahme bei vorübergehender Krankheit ohne Unterschied der Konfession erfolge. Die Vakanz in der Beteiligung der Bischöfe in der Kommission sei auf die starke Bedrängnis der Kirche

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durch den preußischen Staat zurückzuführen gewesen, könne aber nicht darauf zurückgeführt werden, die Kirche habe ihre Ansprüche aufgegeben. Das Verwaltungsgericht Trier (Urteil vom 27. Juni 2002 – 1 K 183/01.TR – n. v.) hat der Klage stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, den kirchlichen Charakter der Einrichtung festzustellen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Einrichtung habe unter Anwendung der in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Kriterien an der Kirchenautonomie teil; die Zuordnung müsse nach der Entstehungsgeschichte und entsprechend den Verhältnissen des historischen Milieus erfolgen, insbesondere entsprechend dem Geist, in dem erstmals mit der Weimarer Reichsverfassung vom Staat die Kirchenautonomie anerkannt worden sei, d.h. ungeachtet etwa zuvor infolge staatlicher Ingerenzen bestehenden Streits. Weil infolge des historischen Milieus und nach dem Selbstverständnis der Einrichtung die Verbindung mit der Kirche eine Selbstverständlichkeit darstelle, könne auf eine förmliche institutionelle Verklammerung umso eher verzichtet werden. Nach diesen Grundsätzen handele es sich bei der Klägerin ihrer Substanz nach um eine Zusammenfassung alter katholischer Stiftungen, welche der tätigen Nächstenliebe im Sinne der Caritas gewidmet seien. Dabei handele es sich um einen wesentlichen Bestandteil christlicher Glaubensentfaltung. In vornapoleonischer Zeit seien die Einrichtungen selbst katholisches Kirchengut gewesen oder aber mit der Kirche eng verbunden gewesen. Diese Qualifizierung könne durch den Vorgang der Verbürgerlichungsbewegung im Mittelalter nicht in Frage gestellt werden. Es handele sich damit ausschließlich um Einrichtungen, die der Kirche zuzuordnen gewesen seien. Die napoleonischen Maßnahmen seien auf das Fortbestehen dieses Charakters ohne Einfluss geblieben, sei es, dass eine Änderung nicht gewollt gewesen sei, sei es, dass mit den Maßnahmen das Selbstverständnis der Einrichtung nicht habe beseitigt werden können. Unter der Besatzung der Franzosen sei es 1796 lediglich zu einer staatlichen Aufsicht über die in ihrer Rechtspersönlichkeit fortbestehenden Stiftungen gekommen. Die Maßnahmen nach der Einverleibung des Gebiets ins französische Territorium nach 1801/02 müssten entsprechend dem Geist der damaligen politischen Maßnahmen ausgelegt werden; die Zeit habe sich zwar einerseits durch ein anderes staatliches Aufgabenverständnis in der Wohlfahrtspflege ausgezeichnet, sei aber andererseits auch davon gekennzeichnet, dass Napoleon infolge der Aussöhnung mit dem Vatikan die Restaurierung des kirchlichen Lebens gefördert habe. Infolge dessen könnten die Maßnahmen nicht so verstanden werden, dass eine Überführung der Einrichtungen an den Staat stattgefunden habe; Napoleon habe vielmehr anerkannt, dass die kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen infolge der Säkularisierung der Klöster zum Teil ihre Fundierung verloren hätten und verschiedene Maßnahmen zur Stützung ihrer Einkünfte getroffen, zum Teil sogar Entschädigungen herbeigeführt. Die Vereinigung habe allein praktischen Bedürfnissen einer funktionierenden

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Wohlfahrtspflege gegolten. Sie dürfe nicht als Stiftungsakt für eine neue staatliche Einrichtung aufgefasst werden. Entsprechende Dekrete hätten insoweit auch für eine Aufrechterhaltung des Willens der ursprünglichen Stifter gesorgt. Der Umstand, dass dem Bischof als geborenem Mitglied und stellvertretendem Vorsitzenden der Kommission Einfluss verschafft worden sei, lasse sich als Respekt vor dem ursprünglichen Stifterwillen deuten. Durch die Betrauung der Borromäerinnen noch unter französischer Zeit sei deutlich erneut kirchliches Leben in den Stiftungen zur Entfaltung gelangt. Unter der preußischen Regierung hätten die Bestimmungen des Westfälischen Friedens über das Kirchengut erneut Anerkennung gefunden. Die Hospitienkommission habe 1854 unwidersprochen auf die katholische Bestimmung der Stiftung hinweisen können. Dieses Verständnis finde seine Fortsetzung in den Satzungsdiskussionen während der Weimarer Zeit wie auch in der Fassung der Bestimmungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Einfluss der Kirche komme unter Anerkennung der Stellung der Laien in der Kirche auch dadurch hinreichend zum Ausdruck, dass die Mitglieder der Verwaltungskommission sämtlich katholischer Konfession sein müssten.

Dagegen haben der Beklagte und der Beigeladene Berufung eingelegt. Der Beklagte macht ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen unter Vorlage eines Gutachtens des Landeshauptarchivs Koblenz geltend, das Verwaltungsgericht habe wesentliche Dokumente aus der Zeit der französischen Herrschaft bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigt; zudem sei die Einordnung eines Teils der Vorgängereinrichtungen vom Verwaltungsgericht falsch vorgenommen worden. Dass das erstinstanzliche Urteil trotz des Umstandes, dass die Kirche seit dem Amtsverzicht des Bischofs Mannay 1816 über mehr als ein Jahrhundert hinweg keinerlei Mitsprache in der Hospitienkommission beanspruchte, die Einrichtung als kirchliche qualifiziere, müsse befremden. Mit der Zugehörigkeit von Trier zum französischen Empire und der Einführung der französischen Gesetze seien die Trierer Armenfürsorgeeinrichtungen zu staatlichen Institutionen gemacht worden, wie dies in Frankreich seinerzeit überall geschehen sei. Bei der Qualifizierung der Vorgängereinrichtungen sei das Verwaltungsgericht nicht genügend darauf eingegangen, dass es nicht nur um den Gegensatz Kirche – Kommune im Mittelalter gehe, sondern dass auch auf die Herausbildung eines profanen Staates unter dem Kurfürsten geachtet werden müsse. Soweit dieser Einfluss auf einzelne Einrichtungen genommen habe, könne deshalb nicht undifferenziert von einer kirchlichen Eingliederung ausgegangen werden. Es sei seit dem 16. Jahrhundert durch die Städte – nicht nur auf dem Gebiet der Armenfürsorge – zur Herausbildung einer öffentlichen Gewalt gekommen, die sich in ihrem Grundverständnis von religiös-mittelalterlichen Vorstellungen etwa zum Umgang mit der Armenfürsorge gelöst habe. Auch in einem selbstreinigende Kräfte freisetzenden Katholizismus habe sich nach der Reformation der Grundgedanke

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in den Vordergrund gespielt, dass nicht mehr durch planloses Almosengeben das Seelenheil gefördert werde, sondern aus Nächstenliebe dem Not leidenden Gemeindegenossen durch eine geordnete Armenpflege das Nötigste nach genauer Prüfung gegeben und er zur Arbeit angehalten werden solle. Wohltätige Testamente und Stiftungen seien zunehmend nicht mehr der Kirche, sondern den städtischen Räten bzw. in deren Verwaltung gegeben worden. Den Bettelverboten entspreche eine kommunale Unterstützungspflicht für die Armen, die von Niederlassungsverboten für zugewanderte Bettler begleitet werde. Die Armenfürsorge sei im absolutistischen Kurfürstentum eine Sache des Staates geworden, wenn dies auch nicht das Ende der kommunalen Zuständigkeit noch das jeder kirchlichen oder sonstigen Privatwohltätigkeit bedeutet habe. Bei Hospitälern, die im Zuge dieser Entwicklung als kommunal gelten konnten, könne zwar nicht im Sinne eines Begriffs der Entchristlichung von einer Säkularisierung gesprochen werden, indessen könne dies entgegen dem falschen Begriffsverständnis des Verwaltungsgerichts nicht bedeuten, dass sie als kirchliche Einrichtungen zu begreifen seien. Die erzstiftisch-obrigkeitlichen Fürsorgekommissionen hätten im Kurfürstentum Trier ebenso zum weltlichen Staat gezählt wie die ihnen unterstellten Institutionen. Unter diesen Gesichtspunkten seien nach ihrer Geschichte das Bürgerhospital St. Jakob, das Knabenwaisenhaus, das Mädchenwaisenhaus sowie das Armen- und Spinnhaus als nichtkirchliche Einrichtung zu qualifizieren. Bei der Würdigung der Maßnahmen unter Napoleon beachte das Verwaltungsgericht nicht genügend, dass es sich seit dem Frieden von Lunéville insoweit um Maßnahmen nicht etwa einer Besatzungsmacht, sondern der nach völkerrechtlicher Anerkennung legitimen Staatsgewalt gehandelt habe. Das Verwaltungsgericht ziehe zur Qualifizierung zu sehr spezielle Trierer Quellen heran. Es werde eine deutsche pro-katholische Forschung des 19. Jahrhunderts unkritisch rezipiert, ohne das originäre französische Verwaltungsrecht zu beachten. Für die Beurteilung des Rechtszustandes sei es nötig, auf die für Innerfrankreich geltende Rechtslage zurückzugehen, weil insoweit eine Gleichstellung der rheinischen Departements mit Innerfrankreich durch den Arrêté der Konsuln vom 30. Juni 1802 (Inkrafttreten 23. September 1802) erfolgt sei. Gleich zu Beginn der französischen Revolution seien Armenfürsorge und Hospitalwesen verstaatlicht worden. Die Art, in der dies geschehen sei, ob mit zentraler oder dezentraler Verwaltung, habe sich nach 1789 wiederholt geändert, immer aber sei es um eine staatliche, von der religiösen Caritas geschiedene Aufgabe gegangen. Alle Forderungen und Verpflichtungen aus den Hospitälern seien auf den Staat übergegangen. Eine Ausnahme von dem staatlichen Wohlfahrtsmonopol habe es nur für die lutherische und reformierte Kirche im Elsaß gegeben, deren Wohltätigkeitseinrichtungen deshalb bestehen geblieben seien. Die Hospitäler seien weiterhin in ihrem eigenen Besitz anerkannt gewesen und bei schon einge-

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tretenen Veräußerungen sogar restituiert worden. Es sei insoweit allerdings allein um eine dezentrale Organisation einer staatlichen Organisation gegangen, nicht aber um den Fortbestand der alten Hospitäler. Die Delegation von Verwaltungskompetenzen habe dabei nach dem französischen Verwaltungsrecht nichts mit Selbstverwaltung zutun gehabt, sondern sei nur eine interne Delegation innerhalb der staatlichen Verwaltung. Die Kompetenz, die Einrichtungen zu vereinigen und die Verfügung über den Besitz zu treffen, habe bei der Hospitalkommission als Teil der staatlichen Verwaltung gelegen. Soweit der Bürgermeister als Vorsitzender der Kommission fungierte, entspreche dies der allgemeinen Regelung für Frankreich; er handele insoweit als lokaler Staatsbeamter. Die Bestellung des Bischofs sei nicht Kraft seines kirchlichen Amtes erfolgt, sondern als Person; man habe sich seitens des Staates der Bischöfe insoweit als besonderer sachverständiger Personen bedient. In seinem Begleitschreiben habe der Präfekt bei der Übermittlung des Ernennungsdekrets für Bischof Mannay aufklärerisch-säkulare Motive für die Berufung hervorgehoben. Mit der Stellung der Kirche habe diese Berufung daher nichts zutun gehabt. Auch die Berufung der Borromäerinnen könne nicht für den kirchlichen Charakter der Einrichtung herangezogen werden. Als Pflegekongregation hätten die Borromäerinnen im 19. Jahrhundert aufgrund von Gestellungsverträgen weite Verbreitung in Hospitälern unterschiedlicher Trägerschaft gefunden. Die Klägerin macht ergänzend geltend: Die Hospitäler seien mit ihrem Wohltätigkeitsvermögen von der Säkularisation verschont geblieben; sie seien vielmehr auf der Grundlage ergänzender Regelungen, die gleichfalls am 9. Juni 1802 erlassen worden seien, dafür entschädigt worden, dass infolge der Aufhebung der Feudalrechte und der geistlichen Korporationen Einkünfte ausgeblieben seien, mit denen der Betrieb der Hospitäler bis dahin zu einem Teil finanziert worden sei. Auch habe die Einbeziehung des Hospice civil, das nach der Anordnung Napoleons zunächst in St. Irminen errichtet werden sollte, dann aber in dem kleineren Katharinenkloster untergebracht worden sei, den Charakter der Einrichtung nicht verändert. Die staatliche Verwaltung habe nach den staatskirchenrechtlichen Vorstellungen Napoleons den kirchlichen Charakter der Stiftungen nicht berührt. Im Übrigen sei der Bischof Mannay nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Reskripts vom 3. Mai 1806 Kraft seines Amtes als Bischof zum Mitglied der Hospitienkommission bestellt worden. Soweit die Stadt Trier im Jahre 1871 infolge des § 19 des preußischen Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz angenommen habe, die Verwaltungskommission der Vereinigten Hospitien sei aufgehoben, habe dies im Gegensatz zu dem Erlass des preußischen Innenministers vom 13. Juli 1871 gestanden (betreffend das Hospital zu N.), wonach § 24 jenes Gesetzes allen bestehenden Stiftungen ihre Fortexistenz unter ihrer bisherigen Verwaltung sichere. Der Übergang auf die

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Kommunalverwaltung sei nämlich von dem Gesetz nur für diejenige Verwaltung der örtlichen Armenpflege vorgesehen gewesen, die die Verwaltung in ihrem Gebiet in ihrer Gesamtheit wahrgenommen habe. Der Umstand, dass die Mitglieder der Kommission katholischen Glaubens sein mussten, sei nie zweifelhaft gewesen und erst Bestandteil der Satzung nach dem Zweiten Weltkrieg geworden, als dies von außen infrage gestellt worden sei. Mit dem Gutachten von Prof. Dr. B. vom 1. Januar 2004 sei davon auszugehen, dass es sich bei den in der Klägerin aufgegangenen Einrichtungen bei richtigem historischem Verständnis sämtlich um kirchliche Einrichtungen gehandelt habe und der kirchliche Charakter auch durch die Maßnahmen zu napoleonischer Zeit nicht aufgehoben worden sei. Aus der Sicht der neuesten Stiftungsforschung sei zwar unlängst Rickes Begriff der Kommunalisierung infrage gestellt worden, ohne jedoch die Aussage zu berühren, dass mit der vermeintlichen Kommunalisierung keine Säkularisierung verbunden gewesen sei. Das bürgerliche Spital des Spätmittelalters sei zwar nicht Kirchengut im strengen Sinne, sondern Kirchengut im weiteren Sinne gewesen, es habe aber dem kanonischen Recht und dem Schutz des Bischofs unterstanden, weil letzterem die Betreuung der Armen und die Aufsicht über fromme Stiftungen de iure zugestanden habe. Dies hätten die Ausführungen im Gutachten des Landeshauptarchivs nicht genügend berücksichtigt. Der frühe neuzeitliche Staat sei religiös bestimmt geblieben; erst recht gelte dies für ein geistliches Fürstentum. Auch bei der Bewertung der Verhältnisse des Spinnhauses müsse berücksichtigt werden, dass in den Tendenzen zu Rationalisierung und Sozialdisziplinierung im Armenwesen christliche Traditionen weitergewirkt hätten. Die gutachterliche Stellungnahme des Landeshauptarchivs verkenne in diesem Zusammenhang, dass die Finanzierung des Spinnhauses weitgehend auf frommen Stiftungen beruhte und die Qualifizierung als landesherrlich-staatliche Einrichtung in einem geistlichen Fürstentum keinen Gegenbegriff zu einer kirchlichen Einrichtung darstelle. Die Hospitienkommission habe sich auch unter preußischer Herrschaft erfolgreich mit dem Anliegen durchgesetzt, dass sie in ihrem Wirken auf den Willen der alten Stifter verpflichtet sei. Aufnahmerechte etwa im Hinblick auf evangelische Pfründner habe sie der Regierung nicht zugestanden. Die Haltung sei letztlich vom Staat respektiert worden. Im Hinblick auf die Aufnahme von Kranken anderer Konfession sei auf den Gesichtspunkt der Neustiftung des Bürgerhospitals unter Napoleon abgestellt worden. Die christlichen vormodernen Wurzeln der Stiftung kämen auch in den Auflösungsbestimmungen nach der Satzung zum Ausdruck, wonach das Stiftungsvermögen im Falle der Auflösung je zur Hälfte dem bischöflichen Stuhl und der Stadt Trier zufallen solle. Das Gutachten des Landeshauptarchivs bleibe dabei stehen, in der napoleonischen Zeit den damaligen Anspruch des Staates auf autoritative Leitung der Stiftungen zu belegen; dies sei indessen in der Geschichte des Stiftungswesens häufig zu verzeich-

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nen gewesen; entscheidend sei, ob sich die Stiftungen in Wahrnehmung der ihnen von den Stiftern übertragenden Aufgaben gegen die Eingriffe von außen hätten behaupten können. Dies sei bei den Vereinigten Hospitien eindeutig der Fall gewesen. Das katholische Selbstverständnis der Vereinigten Hospitien sei, wie das Verwaltungsgericht Trier richtig erkannt habe, in der nachfolgenden Zeit bestehen geblieben. Die Berufung des beigeladenen Personalrats wurde als unzulässig zurückgewiesen. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg und führte unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zur Klageabweisung. Aus den Gründen: Die Berufung des Beigeladenen hat keinen Erfolg; sie erweist sich bereits als unzulässig, weil die Beiladung in erster Instanz unzulässig war. (wird ausgeführt) Die Berufung des Beklagten hat dagegen Erfolg; sie erweist sich als zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Anfechtungsklage der Klägerin gegen die von der Stiftungsaufsichtsbehörde getroffene Feststellung abweisen müssen, denn die durch den feststellenden Verwaltungsakt getroffene Entscheidung, dass die Klägerin keinen kirchlichen Charakter aufweist, entspricht der Rechtslage. Aus diesem Grunde kann auch das Verpflichtungsbegehren der Klägerin keinen Erfolg haben, ebenso wenig der Feststellungsantrag, ohne dass insoweit auf die Zulässigkeit weiter eingegangen werden müsste. Die Ermächtigung zu einer entsprechenden Feststellung der Stiftungsaufsichtsbehörde ergibt sich aus § 49 des Stiftungsgesetzes Rheinland-Pfalz vom 22. April 1966 –StiftG – (GVBl S. 95). Danach entscheidet die Stiftungsaufsichtsbehörde, wenn Zweifel über die Rechtsnatur einer Stiftung bestehen, insbesondere u. a. darüber, ob die Stiftung eine kirchliche Stiftung ist. Die Zweifel hat vorliegend die Klägerin aufgeworfen, nachdem sie die seit einigen Jahrzehnten bestehende Praxis, eine Personalvertretung zu bestellen, aus Anlass des Antrags auf Freistellung von Personalratsmitgliedern mit dem Hinweis in Frage gestellt hat, wegen der ihr zukommenden Kirchenautonomie finde das Landespersonalvertretungsgesetz auf sie keine Anwendung (vgl. zur Ausnahme für Religionsgesellschaften § 126 LPersVG i. d. F. vom 24. November 2000, GVBl S. 529). Zur Klarstellung bemerkt der Senat: Die zwischen den Parteien strittige Fragestellung zielt lediglich auf die Klärung ab, ob es sich um eine öffentlich-rechtliche Stiftung kirchlicher oder nicht kirchlicher Art handelt. Dabei gehen offensichtlich beide Beteiligte davon aus, dass es sich bei der Klägerin um eine öffentlichrechtliche Stiftung handelt. Die insbesondere infolge der preußischen Gesetzgebung (Ausführungsgesetz über das Bundesgesetz über den Unterstützungswohnsitz von 1871) aufgeworfene Frage, ob die Vereinigten Hospitien nicht eine

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Anstalt der Kommune sind, wäre damit nicht erneut aufgeworfen. Es bestehen insoweit auch Zweifel, ob die Klärung dieser Frage von der Ermächtigungsgrundlage nach § 49 StiftG gedeckt wäre, da der Tatbestand dort sich auf die Klärung von Zweifeln gleichsam innerhalb des Stiftungsrechts bezieht. Klärungen außerhalb dieses Rechtskreises, insbesondere also die Frage, ob es sich überhaupt um eine Stiftung oder um eine Anstalt handelt, wären damit lediglich einer gerichtlichen Feststellung im Rahmen des § 43 VwGO zugänglich. Die Frage kann letztlich hier dahingestellt bleiben, da es vorliegend nur um die Frage der Kirchenautonomie geht, die sowohl zu verneinen wäre, wenn die Einrichtung eine Anstalt der Kommune wäre, als auch in dem Falle, dass – wie in dem angegriffenen Verwaltungsakt ausgeführt – der kirchliche Charakter der Stiftung verneint wird. Vom Standpunkt der Klägerin her würde es bereits am Rechtsschutzinteresse für eine Anfechtungsklage fehlen, sofern es hier nur um den Angriff mit dem Ziel ginge, den ergangenen Verwaltungsakt etwa schon um dessentwillen in Frage zu stellen, weil in Wahrheit eine kommunale Anstalt vorliege. Die Klägerin ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts eine Einrichtung nicht kirchlichen Charakters. Nach § 47 Abs. 1 StiftG behalten bestehende Stiftungen ihre seitherige Rechtsstellung. Sie unterliegen danach künftig den Vorschriften des am 1. Januar 1967 in Kraft getretenen Stiftungsgesetzes des Landes. § 41 StiftG enthält eine Begriffsbestimmung der kirchlichen Stiftungen. Danach sind kirchliche Stiftungen – neben ortskirchlichen Stiftungen und Pfründestiftungen (Abs. 1 a) und sonstigen von den Kirchen und ihren Organen errichteten Stiftungen (Abs. 1 b) – solche von anderen Personen errichteten Stiftungen – wie dies hier in Betracht kommt –, die entweder organisatorisch in die Kirchenverwaltung eingegliedert sind (Abs. 1 c Nr. 1) oder deren Zweck so bestimmt ist, dass er sinnvoll nur in Verbindung mit der Kirche erfüllt werden kann (Abs. 1 c Nr. 2). Bei der Auslegung der Bestimmung ist der maßgebliche Zweck, nämlich die verfassungsrechtlich garantierte kirchliche Autonomie zu wahren, angemessen zu berücksichtigen. Nach Art. 140 GG sind die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung (Art. 136, 137, 138, 139 und 141) Bestandteil des Grundgesetzes. Nach Art. 137 Abs. 3 WRV ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der für alle geltenden Gesetze. Wegen der spezifischen Wirkungen auf die innere Ordnung der Religionsgesellschaft sind die Personalvertretungsregelungen insoweit nicht allgemeine verfassungsrechtlich zulässige Begrenzungen der Kirchenautonomie (vgl. BVerfGE 46, 73 [94 f.], KirchE 16, 189). Kann die Klägerin in diesem verfassungsrechtlichen Sinne Kirchenautonomie beanspruchen, muss daher vorliegend der Stiftung der kirchliche Charakter beigemessen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erstreckt sich das Selbstverwaltungsrecht auch auf formal verselbständigte juristische Personen

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des privaten und öffentlichen Rechts, wenn die Kirchen von ihrem Recht Gebrauch machen, sich solcher Einrichtungen zur Erfüllung ihrer kirchlichen Aufgaben zu bedienen. Die Rücksichtnahme gilt dann nicht nur der organisierten Kirche und deren rechtlich selbständigen Teilen, sondern allen der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform, soweit sie der Erfüllung dieses kirchlichen Auftrags dienen (BVerfGE 46, 73 [85], KirchE 16, 189; 53, 366, 391, KirchE 18. 69). Es kommt darauf an, ob die Einrichtungen dazu berufen sind, ein Stück des Auftrags der Kirche in der Welt wahrzunehmen. Zweck der Einrichtung muss die Pflege und Förderung des religiösen Bekenntnisses oder die Verkündigung des Glaubens der Mitglieder sein (BVerfGE 53, 366 [392], KirchE 18, 69). In diesem Zusammenhang hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch dahin erkannt, dass eine Stiftung als Rechtsträgerin eines Krankenhauses eine kirchliche Einrichtung sein kann (Goch-Entscheidung, BVerfGE 46, 73 f., KirchE 16, 189), und dabei maßgeblich auf die Umstände der Errichtung der Stiftung, den Stifterwillen und insbesondere die nach dem historischen Milieu zu beurteilende Absicht abgestellt, die Einrichtung in den spezifischen Zweckzusammenhang mit der Erfüllung religiös motivierter Aufgaben zu stellen. Das Betreiben eines Krankenhauses in Erfüllung des Gedankens christlicher Caritas kann dazu gehören. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang ausgeführt: Jede Stiftung ist in das historische gesellschaftliche Milieu eingebunden, innerhalb dessen sie entstanden ist. Eine Stiftung aus dem Jahre 1849 kann man deshalb nicht ohne Rücksicht auf die 120 Jahre ihres bisherigen Bestehens ausschließlich anhand der 1970 neu gefassten Satzung rechtlich qualifizieren. Dass eigentümliche einer Stiftung ist, dass der Stifterwille für die Stiftung dauernd konstitutiv bleibt [...].

Charakter und Zweck der Stiftung liegen danach mit diesem Anfang in die Zukunft hinein und für die Dauer der Existenz der Stiftung fest. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang – maßgeblich auf das örtliche katholische Milieu abstellend – die religiös-karitative Selbstbestimmung einer im Jahre 1849 im Landstrich des Niederrheins gestifteten Einrichtung festgestellt. Vorliegend hat die Stiftungsaufsicht eine Parallele zu dieser Fallgestaltung zu Recht in Abrede gestellt. Zwar ist die Bevölkerung in Trier von einem vergleichbaren katholischen Milieu tief geprägt und es mögen milieubedingt in der Zeit des 19. Jahrhunderts vergleichbare Einstellungen auf einen fruchtbaren Boden gefallen sein; zudem war in den Jahrhunderten zuvor vielfältig ein entsprechender Stifterwille in der Bevölkerung manifest, wie insbesondere die Ausführung des Gutachtens von Prof. Dr. B. zur Entstehung der einzelnen Stiftun-

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gen, die als Vorgänger der Vereinigten Hospitien angesehen werden können, aufweisen. Indessen kann hier nicht vom Fortbestehen der Existenz der mittelalterlichen Stiftungen ausgegangen werden; diese sind nach der Besetzung Triers durch französische Truppen 1794 ihrer Existenz verlustig gegangen und auch nicht unter napoleonischer Zeit in gewandelter Form entsprechend ihrem ursprünglichen Charakter wiederhergestellt worden. Die Maßnahmen in der Zeit der Zugehörigkeit des Gebiets zu Frankreich vor dem Jahre 1815 haben zu einer Verstaatlichung der Einrichtungen geführt, die in der Zeit danach nicht wieder rückgängig gemacht worden ist. Insbesondere haben die Interpretationsversuche katholischer Kreise im Verlauf des 19. Jahrhunderts im Sinne der Annahme eines Fortbestehens der alten katholischen Einrichtungen unter preußischer Herrschaft nicht zu einer staatlichen Anerkennung geführt, die Grundlage für die fortwährende Anerkennung dieses rechtlichen Charakters geworden sein könnte. Weder kann eine neuere Satzung im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine nach dem historischen Gründerwillen errichtete kirchliche Stiftung im nachhinein „säkularisieren“, noch aber ist es möglich, dass ohne entsprechende staatliche Anerkennung allein die milieubedingte Uminterpretation der ursprünglichen historischen Vorgänge und die Entwicklung eines entsprechenden Selbstverständnisses der Träger eine säkularisierte Stiftung gleichsam rechristianisieren könnten. Nach einem Rechtsgrundsatz, der seine praktische Anwendung hauptsächlich im Straßen- und Wegerecht hat, der aber auch sonst allgemein Gültigkeit beansprucht, ist es zwar aufgrund „unvordenklicher Verjährung“ denkbar, dass ein bestehender Zustand infolge seiner Dauer als rechtswirksam begründet vermutet wird (vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I § 37 RandNr. 11, 13). Erforderlich ist insoweit in der Regel eine widerspruchslose Rechtsausübung während 80 Jahren. Das Recht muss während der letzten 40 Jahre in diesem Sinne ausgeübt worden sein, im Übrigen muss die glaubhafte Bezeugung von Personen ergeben, dass ein anderer Rechtszustand auch in den 40 Jahren davor nicht bekannt gewesen ist. Es käme in Betracht, von der Analyse der Rechtsvorgänge unter napoleonischer Zeit abzusehen, wenn über die entsprechend langen Zeiträume eine staatliche Anerkennung des kirchlichen Charakters festzustellen wäre. Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt. Zum einen ist schon zweifelhaft, dass die Einrichtung in der letzten vorangegangenen Zeit als kirchliche Stiftung behandelt worden wäre. Zwar sind nach dem Zweiten Weltkrieg in der Fassung der Satzung verstärkt Elemente zu verzeichnen, die den katholischen Charakter der Stiftung deutlich herausstellen (vgl. auch Gutachten R. vom 1. Mai 2000, 28). Nach § 41 Abs. 2 StiftG wird eine Stiftung aber nicht schon dadurch zu einer kirchlichen Stiftung, dass nur Angehörige einer bestimmten

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Konfession Leistungen aus der Stiftung erhalten oder dass eine Stiftung als einer bestimmten Konfession als zugehörig bezeichnet wird. Die Stiftungsaufsichtsbehörden hatten in der fraglichen Zeit keine Äußerungen dahin abgegeben, dass der kirchliche Charakter der Stiftung anerkannt wäre. Dagegen spricht zum Beispiel hinsichtlich der inneren Verfassung der Einrichtung auch der Umstand, dass über längere Zeiträume eine Personalvertretung bestand, was sich nach den aufgezeigten Grundsätzen nicht mit der Inanspruchnahme der Kirchenautonomie verträgt. Im Übrigen reicht der fragliche Zeitraum von 80 Jahren hier bis in die Anfänge der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück. Zu jenem Zeitpunkt nach Abdankung des preußischen Monarchen waren zwar Bestrebungen von Seiten der Stadtverordneten des Zentrums zu verzeichnen, die darauf abzielten, in der Stiftung wieder altes katholisches Stiftungsvermögen zu erblicken. Die Denkschriften des Oberbürgermeisters der Stadt Trier (Bruchhausen vom 23. September 1905 sowie vom 1. Oktober 1924) haben diese Auffassung indessen zurückgewiesen und den Zusammenhang der Einrichtung mit der kommunalen polizeilichen Armenpflege betont. Dabei spielt eine besondere Rolle, dass in der Zeit zuvor ab 1871 die Verwaltungspraxis dahin gegangen war, die Vereinigten Hospitien gar als unselbständige städtische Anstalt aufzufassen, die von einer Deputation der Stadtverordnetenversammlung zu leiten war. Zutreffend stellen daher auch die Parteien selbst hier übereinstimmend für die Bestimmung des rechtlichen Charakters der Vereinigten Hospitien auf die Gründungsvorgänge in den Jahren nach der französischen Besetzung der linksrheinischen Gebiete 1794 ab – mit dem bezeichnenden Unterschied, dass nach Auffassung der Klägerin die bis dahin vorhandenen Stiftungen ohne Veränderung ihres kirchlichen Charakters bloß zusammengefasst worden seien, während nach Auffassung des Beklagten die geschichtlichen Vorgänge dieser Zeit zu einem Erlöschen der alten Stiftungen und zur Neuschaffung einer Einrichtung geführt hätten, die staatlichen Charakter aufweise. Der Senat hält mit dem vom Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegten Gutachten des Landeshauptarchivs Koblenz vom 4. November 2003 letztere Auffassung für zutreffend. Dabei kann zunächst dahingestellt bleiben, welchen Charakter die Vorgängereinrichtungen aus dem Mittelalter im Einzelnen aufgewiesen haben. Nach übereinstimmender Auffassung beider Parteien haben diese alten Stiftungen allerdings zu einem Teil ohne Zweifel kirchlichen Charakter aufgewiesen. Dies gilt nach Auffassung auch des Gutachtens des Landeshauptarchivs, das sich der Beklagte zu Eigen gemacht hat, hinsichtlich folgender Einrichtungen, aus deren Vermögensfonds die Vereinigten Hospitien zum Teil gebildet wurden: des (kleinen) St. Nikolaushospitals, des Leprosenhauses Engstrich, des Leprosenhauses St. Jost, des (großen) St. Nikolaushospitals sowie mit Einschränkungen hinsichtlich des Hospitals St. Elisabeth. Soweit Streit um die Zuordnung der Einrichtungen besteht, so hinsichtlich des Bürgerhospitals St.

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Jakob, des Knaben- und Mädchenwaisenhauses und des Stadtarmen- und Spinnhauses, liegen die maßgeblichen Bewertungsunterschiede zwischen der Klägerin (Gutachten des Prof. Dr. B.) und dem Beklagten darin begründet, dass Uneinigkeit über die Auswirkungen der sog. Verbürgerlichungsbewegung in einem Kurfürstenstaat besteht. Will das Gutachten des Landeshauptarchivs insoweit darauf abstellen, dass auch bei geistlichen Kurfürstentümern ein Unterschied zu machen sei zwischen geistlichem Gut und Gut der kurfürstlichen Landeshoheit, so verweist die Klägerin darauf, dass gerade in einem geistlichen Fürstenstaat des Absolutismus bei maßgeblichem Einfluss des Kurfürsten im Zweifel der kirchliche Charakter der Einrichtung anzunehmen sei. Die Fragen können vorliegend dahingestellt bleiben. Soweit die Vorgängereinrichtungen zum Teil kirchlich, zum Teil staatlich gewesen sein sollten, wäre bereits fraglich, inwiefern bei einer Vereinigung der kirchliche Charakter der zusammengefügten Einrichtungen dominiert haben sollte. Zu den bürgerlichen Einrichtungen aus dem Mittelalter wäre insoweit unter napoleonischer Zeit ohne Zweifel von weltlicher Seite her noch die Einrichtung des sog. Bürgerhospitals hinzugekommen, welches maßgeblich auch militärischen Zwecken zu dienen bestimmt war. Der kirchliche Charakter der Gesamteinrichtung wäre dann nur zu erklären, wenn es sich insoweit gleichsam lediglich um Zustiftungen von Seiten des Staates gehandelt haben sollte. Dies ist schon angesichts des Gewichts der von Napoleon für das Militär neu geschaffenen Einrichtung und auch angesichts der Verpflichtung der Kommune zur Deckung von Defiziten zweifelhaft. Aber selbst wenn alle Vorgängereinrichtungen ursprünglich kirchlichen Charakters gewesen sein sollten, führen die historischen Vorgänge bei richtiger Interpretation mit dem Gutachten des Landeshauptarchivs zu einer Existenzbeendigung der kirchlichen Einrichtungen durch den Vorgang der Säkularisation und die Einverleibung in die staatliche Verwaltung. Die Schaffung der Vereinigten Hospitien stellt sich somit nur noch als eine Organisationsmaßnahme im staatlichen Bereich des geschlossenen Armenwesens dar. Das linke Rheinufer war seit dem Frieden von Campoformio (1797) faktisch und seit dem Frieden von Lunéville (1801) völkerrechtlich Bestandteil des französischen Staates und unterlag dessen Staatsgewalt. Das Schicksal der vormaligen kirchlichen Stiftungen des Armenwesens ist daher nur vor dem Hintergrund der französischen Gesetzgebung jener Zeit richtig zu interpretieren (vgl. Gutachten des Landeshauptarchivs, 20 f.). Die einschneidenden Eingriffe der Säkularisation erfolgten unter Napoleon nach dem Frieden von Lunéville und nach dem von Napoleon mit dem Heiligen Stuhl geschlossenen Konkordat (1801). Anders als das Verwaltungsgericht annehmen will, wurden dabei nicht etwa die in Frankreich mit der Revolution eingeführten Errungenschaften gleichsam verwässert und einer kirchfreundlicheren Politik geopfert; vielmehr nutzte Na-

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poleon die völkerrechtliche Anerkennung seiner Eroberungen und die Anerkennung der französischen Säkularisation von Kirchenvermögen zur Durchführung solcher Nationalisierungsmaßnahmen auch in den linksrheinischen Gebieten (vgl. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Band I, 54). Wenigstens ab dem Inkrafttreten des Arrêté der Konsuln vom 30. Juni 1802 am 23. September 1802 galten alle alten Gesetze der Revolution und des Empire – soweit sie in Frankreich selbst noch Gültigkeit besaßen – auch in den linksrheinischen Departements (Gutachten des Landeshauptarchivs, 21). Dies ist der hier maßgebliche Rechtszustand, da es zur Gründung der Vereinigten Hospitien erst in den Jahren nach 1804 kam. Mit der Verstaatlichung der kirchlichen Güter nach dem Dekret vom 2. November 1789 übernahm in Frankreich der französische Staat auch die damit verbundenen Lasten, d. h. nicht nur das Gehalt der Priester und die Gottesdienstkosten, sondern es war davon ausdrücklich auch die Armenfürsorge zu leisten. Die Armenfürsorge wurde als Staatsaufgabe definiert und gehörte im Verständnis der französischen Republik zu den Aufgaben, die der Staat zur Gestaltung der Nation unter dem Gebot der gesetzlichen Gleichheit zu leisten hatte. Durch Gesetz vom 11. Juli 1794 wurde dies genauer dahingehend bestimmt, dass alle Forderungen und Verpflichtungen aus den Hospitälern auf den Staat übergehen (Gutachten des Landeshauptarchivs, 22). Eine Ausnahme von diesem staatlichen Wohlfahrtsmonopol existierte nur für die lutherische und die reformierte Kirche im Elsaß. Nach anfänglichen Zentralisierungsbestrebungen unterstellte schließlich das Gesetz vom 11. Juli 1794 die Hospitäler den staatlichen unteren Verwaltungen in der Form der Hospitienkommissionen, bei denen es sich um staatliche Verwaltungen handelte. Die Hospitäler wurden weiterhin in ihrem Besitz anerkannt und bei schon eingetretenen Veräußerungen sogar restituiert (Gutachten des Landeshauptarchivs, 23). Dies erklärt sich aus dem staatlichen Willen zur Aufgabenerfüllung unter Inanspruchnahme sämtlichen bisher dafür gewidmeten Vermögens, kann aber nicht im Sinne des Vortrags der Klägerin dahin verstanden werden, die Hospitäler seien von der Säkularisation ausgenommen und später sogar im Wege der Entschädigung wieder in ihr altes Vermögen eingesetzt worden. Im Konkordat vom 15. Juli 1801 hatte Papst Pius VII. die Nationalisierungen anerkannt. Daraufhin wurden durch Arrêté der Konsuln vom 9. Juni 1802 sämtliche Orden, geistlichen Kongregationen, geistlichen Titel und Anstalten aufgehoben. Eine Ausnahmeregelung bezog sich ausdrücklich nur auf Kongregationen, die sich ausschließlich der Krankenpflege und dem Unterricht widmeten. Sie wurden nicht enteignet. Im linksrheinischen Gebiet handelte es sich dabei nur um ganz wenige Klöster; die hier streitigen Einrichtungen gehörten nicht dazu (Gutachten des Landeshauptarchivs, 25).

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Die alten Einrichtungen waren im Übrigen bereits auf der Grundlage der Besatzung der linksrheinischen Gebiete entsprechend den Verhältnissen in Frankreich selbst in staatliche Verwaltung übernommen worden, und zwar mit der Konstituierung der Zivilen Hospitienkommission für die in Trier bestehenden Einrichtungen am 22. Dezember 1798. Mit der Konstituierung dieser Kommission unter dem Vorsitz des Maire erfolgte gleichsam durch Gesetz der Übergang der Aufgabenstellung auf den Staat als polizeiliche Aufgabe des geschlossenen Armenwesens (vgl. auch F., Gutachten vom 15. September 1987, 3). Im Blick auf die Frage der Erhaltung des Stiftungscharakters heißt es in der Dissertation von Gerhard Schmidt-Schaun, Stadtgemeinde und Vereinigte Hospitien zu Trier im 19. Jahrhundert, jur. Diss. Frankfurt/Main 1954, 59, dass von der Erhaltung des Stiftungscharakters bei Eingliederung einer bereits bestehenden Stiftung in ein öffentliches Gemeinwesen nur gesprochen werden könne, wenn der Stifterwille vollinhaltlich in den öffentlichen Willen aufgenommen worden sei und auch späterhin im Wesentlichen Richtschnur der Verwaltungsnachweise geblieben sei. Andernfalls gehe das beherrschende Moment eines zweckgebundenen Stiftungsvermögens verloren und werde aus der Stiftung eine Anstalt. Die Frage kann angesichts des eingeschränkten Streitstoffs im vorliegenden Verfahren dahingestellt bleiben. Selbst wenn insoweit eine maßgebliche Orientierung an der ursprünglichen Zwecksetzung aufrecht erhalten geblieben wäre, liegt ein Erlöschen der alten kirchlichen Stiftungen und die Schaffung eines neuen staatlichen öffentlichrechtlichen Rechtsträgers vor. Bei richtigem Verständnis der französischen Rechtslage ist die Beendigung der Existenz der kirchlichen Stiftung und die Überführung der Einrichtungen in staatliche Verwaltung durch die Ausführung der Gesetze selbst erfolgt, also nicht von konstitutiven Rechtsakten einzelner Verwaltungsstellen abhängig. Auf die Ausdeutung der Vorgänge und Dekrete aus den Jahren 1804 bis 1805, die auf den Kaiser selbst, den Innenminister oder den Präfekten zurückgehen, kommt es dabei im Detail nicht an. Aus der Sicht des Senats lässt sich deshalb nicht sagen, dass die Gründung der Vereinigten Hospitien in ihrer Rechtsnatur auf einem bestimmten Dekret aus dieser Zeit beruhte. Vielmehr lassen sich die Vorgänge als laufende Vorgänge einer Umorganisation im staatlichen Bereich würdigen, gleich welche Rechtsform man für die Vereinigten Hospitien im Einzelnen annehmen will. Dabei hat die französische Verwaltung unter möglichster Schonung der örtlich vorhandenen Einstellungen im Hinblick auf die ursprüngliche Zwecksetzung und auch die religiösen Stifterauflagen eine rationellere Verwaltung durch Zusammenfassung der zur Verfügung stehenden Vermögensfonds angestrebt, zugleich eine Anpassung an die erweitere Zwecksetzung wie im Hinblick auf das Bürger- bzw. Militärhospital. Aus dieser Sicht bestand eine vorrangige Aufgabe darin, die durch die Klostersäkularisation geschmälerte

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Vermögensbasis der Armeneinrichtungen anderweitig zu ersetzen oder soweit als möglich durch beim Staat noch vorhandenes säkularisiertes Vermögen zu ergänzen. So hatte der Trierer Bürgermeister Re. offensichtlich aus säkularisiertem Klostergut die Einrichtung St. Katharinen zwischenerworben, die er zum Rückkauf den Vereinigten Hospitien anbieten konnte. Eine entsprechende Annahmeverfügung wurde durch kaiserliches Dekret vom 24. Mai 1805 erlassen. Zuvor hatte Napoleon durch Dekret vom 9. Oktober 1804 das Klostergut St. Irminen für Zwecke der Vereinigung der Hospitien zur Verfügung gestellt, verbunden mit einer Gelddotation und der Auflage, ein Bürger- und Militärhospital zu errichten. Etwa erforderliche zusätzliche Mittel sollte die Kommune zuschießen. Die Vorgänge sind vor dem Hintergrund zu würdigen, dass seit längerem von den französischen Aufsichtsbehörden eine einheitliche Wirtschaftsführung angestrebt wurde, so dass letztlich auch ein Austausch der Zweckbestimmung der Gebäudekomplexe St. Irminen und St. Katharinen zustande kam. Das entsprechende Verständnis kommt auch in der Fassung der Satzung der Einrichtung vom 15. November 1997 zum Ausdruck, bei der es in der Präambel heißt: Die Vereinigten Hospitien in Trier sind eine durch staatliche Akte der kaiserlich napoleonischen Regierung, insbesondere die Dekrete des Kaisers Napoleon vom 9. Oktober 1804 und vom 25. Mai 1805 sowie das Reskript des Innenministers vom 3. Mai 1806 u. a. zu einem einheitlichen Rechtsgebilde [...] erfolgte Zusammenfassung ehemals selbständiger katholischer Stiftungen und des auch Bürgerhospitals genannten Komplexes von Sozialeinrichtungen mit Krankenhaus in St. Irminen.

Soweit eine Entschädigung für Verluste der alten Fonds im Zuge der Säkularisation geleistet worden ist, kann dies entgegen der Auffassung der Klägerin nicht als Bestätigung der weiteren Existenz der alten kirchlichen Einrichtungen bzw. als deren Restitution aufgefasst werden; vielmehr ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Überführung des geschlossenen Armenwesens in die staatliche Obhut, dass eine staatliche Maßnahme zur ausreichenden Fundierung der eigenen Aufgabenübernahme vorlag. Für eine Fortexistenz der kirchlichen Stiftungen spricht auch nicht die Zusammensetzung der Hospitienkommission, wie sie durch Reskript des Innenministers vom 3. Mai 1806 geregelt worden ist; danach ist zwar als stellvertretender Vorsitzender der Bischof von Trier vorgesehen. Ob der Umstand, dass es sich dabei um einen politisch zuverlässigen französischen Bürger handelte, dahin zu deuten wäre, dass die Benennung nur ad personam erfolgte, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn es sich um die Benennung des jeweiligen Amtsinhabers als geborenes Mitglied der Kommission handeln würde – eine Auffassung, auf die die Kirche erst im Jahre 1934 zurückgekommen ist –, wäre der überwiegende

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kirchliche Einfluss damit nicht dokumentiert. Die Dominanz liegt bei den staatlichen Institutionen, wie der Vorsitz des Bürgermeisters zeigt. Beim Laienelement mag zwar die Praxis bestanden haben, bei den Mitgliedern auf die Eigenschaft als konfessionsangehörige Katholiken zu achten. Eine Begründung dieser Übung ist in der Verfassung der Einrichtung indessen nicht ersichtlich. Bei der Benennung der Kommission lag der Schwerpunkt auf der Eigenschaft der übrigen Mitglieder als Stadtverordnete. Deshalb lässt sich aus der Zusammensetzung der Kommission auch nicht die im Gutachten R. hervorgehobene besondere Funktion des katholischen Laienelements herauslesen – zumal eine solche Entwicklung erst auf das Zweite Vatikanische Konzil zurückzuführen ist. Bei dieser Ausgangslage kann von der Klägerin für den kirchlichen Charakter der Einrichtung auch nicht besonders in Anspruch genommen werden, dass noch zu französischer Zeit der Orden der Borromäerinnen aus Nancy mit Zustimmung des dortigen Bischofs die Krankenpflege übernahm. Die Dienstgestellung allein kann an dem staatlichen Charakter der Einrichtungen nichts ändern. Eine Leitung der Einrichtungen durch den Orden war mit der Übernahme der Dienste auch nicht verbunden. Christliches Engagement entfaltet sich im Übrigen vielfältig auch in weltlichen Bereichen und Einrichtungen. Eine Rechtsänderung ist in der nachfolgenden preußischen Epoche nicht zu verzeichnen. Dabei kann zunächst maßgeblich nicht auf das Selbstverständnis des örtlichen katholischen Milieus abgestellt werden, ohne die offizielle Haltung der staatlichen Autoritäten zu würdigen. Es ist zu berücksichtigen, dass die katholische Bevölkerung insbesondere der linksrheinisch preußischen Gebiete in eine gewisse Oppositionshaltung zu dem nach der historischen Entwicklung fremden Staatswesen geriet. Zudem ist nicht in Abrede zu stellen, dass angesichts der geschichtlich nur verhältnismäßig kurzen französischen Epoche Tendenzen zur Rückanknüpfung an die traditionelle Herkunft der Einrichtungen das Selbstverständnis der dort Tätigen prägen konnte. Die Feststellungen der katholischen Literatur des 19. Jahrhunderts zur Entstehungsgeschichte der Vereinigten Hospitien müssen unter diesen Aspekten gewürdigt werden (vgl. auch Gutachten des Landeshauptarchivs, 20: „Unkritische Übernahme der deutschen prokatholischen Forschung des 19. Jahrhunderts durch das Verwaltungsgericht“). Für die weiterhin bestehende Anerkennung des staatlichen Charakters der Einrichtungen der Vereinigten Hospitien spricht die überwiegende Anzahl der Gesichtspunkte der behördlichen Praxis in jener Zeit: Der informelle Einfluss der Kirche verminderte sich dadurch, dass der Sitz des Bischofs in der Hospitienkommission seit der Demissionierung des Bischofs Mannay vakant blieb. Erst im Jahre 1934 machte der bischöfliche Stuhl entsprechende Teilhaberechte wieder geltend.

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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Nach dem preußischen Allgemeinen Landrecht (ALR) lag die Last der Armenversorgung grundsätzlich bei den Gemeinden. Die Polizei hatte für die gewährende Unterstützung zu sorgen, notfalls unterstützungspflichtige Korporationen oder Gemeinden anzuweisen (vgl. W. Rüfner, Die Verwaltungstätigkeit unter Restauration und Konstitution, in: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des Deutschen Bundes [Deutsche Verwaltungsgeschichte, Band 2], Stuttgart 1983, 485). Arbeitsunwillige wurden zur Arbeit angehalten, damit sie sich ihren Unterhalt verdienen konnten, notfalls im Armenhaus. Damit lagen die Auffassungen von der staatlichen Armenpflege in Preußen im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus auf der grundsätzlichen Linie auch der französischen Staatsauffassung jener Zeit. In den linksrheinischen Gebieten blieb es im Übrigen beim französischen Rechtszustand. Angesichts dieser Ausgangslage ist kein Ansatz für eine Restitution der ursprünglich katholischen Stiftungen zu erkennen. Soweit auf einen solchen Charakter der Vereinigten Hospitien zu jener Zeit im kirchlichen Schrifttum zum Teil abgestellt wird, beruht dies auch nicht auf der Behauptung einer Restitution zur preußischen Zeit, als vielmehr auf der anderen Interpretation der Vorgänge unter napoleonischer Zeit, dass nämlich dort bei der Vereinigung der kirchliche Charakter der alten Einrichtungen erhalten geblieben sei (z. B. Denkschrift Dr. Marx, Die Vereinigten Hospitien – Katholisches Stiftungsvermögen). Auch soweit die Klägerin darauf abhebt, dass nach 1815 unter preußischer Herrschaft wieder die religionsverfassungsrechtlichen Bestimmungen des Westfälischen Friedens gegolten hätten, kann dies nicht eine Restitution der alten katholischen Stiftungen bedeuten. Vielmehr kommt darin nur die Respektierung des Kirchenguts zum Ausdruck, wie es beim Übergang in die preußischen Herrschaftsverhältnisse (noch) bestanden hatte (vgl. Huber, a.a.O., 51, 53). Dem staatlichen Charakter der Einrichtung entsprechend machte sich die preußische Verwaltung dafür stark, dass die Benutzung der Einrichtung jedermann ohne Ansehen der konfessionellen Zugehörigkeit offen stehe. In dieser Beziehung ist es allerdings bei einer Auseinandersetzung ab dem Jahre 1830 zu einem gewissen Zurückweichen des Regierungsstandpunkts gekommen, wie der Klägerin mit dem Gutachten von Prof. Dr. B. (dort 38) einzuräumen ist. Die Hospitienkommission hatte den Standpunkt vertreten, dass nach der Observanz der Vereinigten Hospitien nur Katholiken berücksichtigt werden könnten. Daraufhin beschränkte die Regierung ihre Forderung auf die Aufnahme evangelischer Kranker; Pfründnerstellen blieben Katholiken vorbehalten. Wenn die Regierung in solchen Fällen ihre Rechtsauffassung nicht vollkommen durchgesetzt hat, lässt sich daraus keine Anerkennung des kirchlichen Charakters ableiten. Die preußische Politik gegenüber den dem Staat zuweilen fremd bleibenden katholischen Elementen, insbesondere im linksrheinischen Raum, ist über die Zeiten des Kulturkampfes hinweg durchaus von verschiede-

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nen politischen Erwägungen mit einer zuweilen gezeigten besonderen staatlichen Härte, ein andermal mit opportunistisch erscheinendem Einlenken bestimmt, ohne dass sich darin ein rechtliches Anerkenntnis des katholischen Standpunktes finden würde (vgl. zu den sog. „Kölner Wirren“ ab 1837 Schoeps, Preußen. Geschichte eines Staates, Frankfurt/Main 1981, 182 f.). Wenn davon die Rede ist, dass sich die Hospitienkommission im Jahre 1843 mit ihrer Auffassung durchsetzte, die Aufnahme von evangelischen Pfründnern in St. Irminen zu verweigern, fällt dies gerade in eine Zeit, in der nach dem Kölner Dombaufest 1842 der wiederhergestellte Friede zwischen Staat und katholischer Kirche besiegelt werden sollte (vgl. Schoeps, a. a. O., 183). Soweit sich damit in Anlehnung an die Formulierung im Gutachten B. (39) der katholische konfessionelle Charakter der Einrichtung gefestigt haben sollte, kann dies allenfalls im Hinblick auf die Destination bestimmter Teilrichtungen der Anstalt gelten, hinsichtlich derer sich eine traditionelle Auffassung durchgesetzt haben mag; eine Anerkennung des Fortbestehens der alten Stiftungen ist damit indessen nicht belegt, wie gerade die weitere Entwicklung unter preußischem Einfluss belegt. In der Folge des preußischen Gesetzes betreffend die Ausführung des Bundesgesetzes über den Unterstützungswohnsitz vom 8. März 1871 setzte sich die Auffassung durch, dass die Einrichtung zu einer Einrichtung der Kommune mutiert sei, was ersichtlich die Anerkennung eines kirchlichen Charakters vollends ausschließt. Nach § 19 jenes Gesetzes „werden die besonderen Behörden (Armenkommission, Hospitienkommission ...) hierdurch aufgehoben, welche in einigen Landesteilen [...] für die Verwaltung der örtlichen Armenpflege neben den durch die Gemeindeverfassungsgesetze angeordneten Gemeindebehörden bestehen“. Auf die Letzteren gehen danach alle aus Gesetzen, Verordnungen und anderen Titeln entspringenden Rechte und Pflichten der genannten besonderen Armenbehörden über. Das unter deren Verwaltung stehende Vermögen sollte, soweit es bisher zu bestimmten Stiftungszwecken zu verwenden war, auch fernerhin in gleicher Weise verwendet werden. Damit wurden die besonderen Verwaltungsbehörden der Hospitienkommissionen aufgelöst und die Verwaltung in kommunale Hand gelegt. In der Folge wurde die Hospitienkommission als Leitung der Einrichtung als Deputation (Ausschuss) der Stadtverordnetenversammlung angesehen. Eine rechtliche Kontroverse bestand lediglich dahingehend, ob § 24 des genannten Gesetzes eine Ausnahme davon begründete. Nach dieser Bestimmung verblieb die Verwaltung u. a. bei Stiftungen, soweit die Verwaltung noch nicht auf die gemäß § 19 aufzuhebenden Armenbehörden übergegangen war. Die Bestimmung gelangte in der Verwaltungspraxis der Vereinigten Hospitien nicht zur Anwendung, offensichtlich weil anerkannt war, dass die Hospitienkommissionen Träger der Einrichtungen gewesen waren und die Verwaltung seit fran-

Stellenwert und Bedeutung kirchenrechtsgeschichtlicher Quellen

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zösischer Zeit auf sie übergegangen war, so dass eine Selbständigkeit der alten Stiftungen nicht in Betracht kam. In einer Denkschrift zu den Motiven des preußischen Gesetzes von 1871 werden im Übrigen die Motive offen gelegt, die in preußischer Zeit einer Restituierung der alten kirchlichen Vermögen entgegenstanden. Dort heißt es (Zitat nach Schwenzer, Gutachten 1934, 96): Als ein Bedenken (Anmerkung: gegen den Übergang des von den Hospitienkommissionen verwalteten Vermögens auf die Gemeinden) dagegen könnte höchstens der eine Umstand geltend gemacht werden, dass dem oben gesagten zufolge die gegenwärtigen Armen- und Hospitienkommissionen gleichzeitig die Verwalter des gesamten oder doch eines großen Teils des zur französischen Zeit vorhandenen kirchlichen Armenvermögens sind. In dieser Beziehung könnte aber gleichwohl doch nur die Frage entstehen, ob eine Aussonderung einerseits des Kommunalarmenvermögens, andererseits des Armenstiftungs- und kirchlichen Armenvermögens versucht und ob das Letztere alsdann dem etwa durch Stiftungsurkunde berufenen Verwalter oder den Kirchenbehörden retradiert werden soll. Es ist bereits mitgeteilt, dass ein solcher Versuch vor einigen Jahrzehnten gemacht wurde, und dass er gescheitert ist [...] als nicht mehr möglich sich herausgestellt hat.

In den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses wurde gegen einen Aussonderungsanspruch vom Regierungsvertreter geltend gemacht (zitiert nach Schwenzer, Gutachten 1934, 100): [...] Es wird nicht gesagt, das Vermögen, welches der Kirche gehört, sondern dasjenige, welches zu kirchlichen Wohltätigkeitszwecken bestimmt ist. Ich gebe zu bedenken, meine Herren, unter diesem Ausdruck kann man je nach dem individuellen Standpunkt viel oder wenig verstehen. [...] Man kann unter einem solchen Vermögen z. B. auch alles ehemalige Klostervermögen, Konventvermögen verstehen, ja meine Herren, wenn dieser Antrag zum Gesetz erhoben würde, so würde ich mich durchaus nicht wundern, wenn auch die Deduktion hervorträte, in früherer Zeit sei die Armenpflege überhaupt nur Sache der Kirche gewesen, die Präsumtion streite dafür, dass alles Armenvermögen der Kirche gehöre und man biete sich infolgedessen alles aus, was da ist, und überlasse der Armenkommission respektive der Gemeindeverwaltung den Beweis des Gegenteils [...].

Die Gesetzesberatungen kamen zu dem Schluss, dass demgegenüber alles Vermögen, welches auf die französischen Armenbehörden übergegangen war, ein für alle Mal der Verwaltung der Gemeinden unterstellt werden solle.

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In entsprechender Weise wurde in der Verwaltung bis in die Zeit der Weimarer Reichsverfassung auch verfahren (vgl. Denkschriften Bruchhausen 1905, 1924). Hinterfragt wurde dieser Zustand erst wieder nach dem Erstarken der Zentrumspartei in den 20er Jahren in der Stadtverordnetenversammlung Trier – aus der Sicht von Zentrumsvertretern war eine Untersuchung darüber erforderlich, ob nicht altes katholisches Stiftungsvermögen vorliege und die Verwaltung einer von der Stadt Trier getrennten öffentlich-rechtlichen Stiftung obliege, eine Linie, die nach dem Zweiten Weltkrieg satzungsrechtlich umgesetzt wurde. Eine Rechtsänderung unter preußischer Herrschaft ist damit nicht nachweisbar. Die Entwicklung nach 1924, insbesondere die Satzungsentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, kann nach den Ausführungen oben keine Rechtsänderung herbeigeführt haben, die den Senat an einer Würdigung der wahren rechtlichen Verhältnisse hindern könnte. Insbesondere kann auch der vom Verwaltungsgericht betonte Gedanke einer verfassungsrechtlichen Wende hinsichtlich der Anerkennung der Kirchenautonomie seit Inkrafttreten von Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung und insbesondere infolge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu einer anderen Würdigung führen. Zwar ist es richtig, dass der Gedanke der Kirchenautonomie mit der Folge einer verstärkten Zurückweisung staatlicher Ingerenz in das kirchliche Selbstverständnis darin einen verstärkten verfassungsrechtlichen Ausdruck gefunden hat. Dies kann aber kein Grund sein, ab dieser Zeit einem kirchlichen Interpretationsverständnis von der geschichtlichen Entwicklung besonderen Raum zu geben, worauf es aber hinauslaufen würde, wenn man ab jenem Zeitpunkt der kirchlichen Interpretation der Rechtsverhältnisse zu der Zeit der französischen Revolution in Anlehnung an die kirchliche Literatur des 19. Jahrhunderts einen besonderen Vorzug einräumen wollte. Die staatsrechtliche Behandlung der Einrichtungen unter napoleonischer und preußischer Herrschaft kann damit nicht ungeschehen gemacht werden.

Verzeichnis der Mitwirkenden

PROF. DR. JUR. MANFRED BALDUS, Studium der Rechtswissenschaft in Köln, Promotion 1964, seit 1965 Richter, von 1977 bis 2000 Vorsitzender Richter am Landgericht Köln, seit 1989 zugleich Honorarprofessor am Institut für Kirchenrecht und kirchliche Rechtsgeschichte der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Baldus ist Verfasser zahlreicher Aufsätze und Gutachten zur kirchlichen Rechtsgeschichte und seit 1971 Mitherausgeber der „Entscheidungen in Kirchensachen“. Sein besonderes Interesse gilt dem Stiftungsrecht und dem Schul- und Hochschulrecht. Baldus leitet den Förderverein des Instituts und fungiert als stellvertretender Vorsitzender des Rheinischen Vereins für Rechtsgeschichte e.V. PROF. DR. THEOL. JÜRGEN BÄRSCH, Studium der Katholischen Theologie in Bochum, Freiburg und Münster, Priesterweihe 1986 und Seelsorgsdienst, Assistent am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft der Theologischen Fakultät Trier und am Deutschen Liturgischen Institut, 1995 Promotion zum Dr. theol. (Die Feier des Osterfestkreises im Stift Essen nach dem Zeugnis des Liber Ordinarius), 1995–2003 Dozent für Liturgiewissenschaft an der Katholischen Fachhochschule in Paderborn, 2003 Habilitation. Bärsch ist seit 2003 Direktor des Instituts für kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen und seit 2003 zugleich Ordinarius für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Einer der Forschungsschwerpunkte liegt im Bereich der Libri ordinarii. PROF. DR. JUR. HANS-JÜRGEN BECKER, Studium der Rechtswissenschaft in Frankfurt am Main, 1967 Promotion, 1972 Habilitation mit der Arbeit „Die Appellation vom Papst an ein allgemeines Konzil“, bis zur Emeritierung 2007 Ordentlicher Professor für Bürgerliches Recht, Rechtsgeschichte und Kirchenrecht an der Universität zu Köln (1975–1988) und an der Universität Regensburg (1988–2007). Becker ist Mitherausgeber u. a. der Rechtshistorischen Reihe, der rechts- und staatswissenschaftlichen Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft und der Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Kanonistische Abteilung) sowie Verfasser zahlreicher Aufsätze u. a. auch zur Kirchenrechtsgeschichte. Sein Forschungsinteresse gilt weiterhin dem Bürgerlichen Recht, der mittelalterlichen Rechtsgeschichte, der Kanonistik und der Verfassungsgeschichte. Becker ist u. a. Vorstandsmitglied der Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft und war Gründungsvorsitzender des Rheinischen Vereins für Rechtsgeschichte e. V.

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Verzeichnis der Mitwirkenden

DR. PHIL. HANS BUDDE war bis 2009 Abteilungsleiter innerhalb des Archivund Fortbildungszentrums des Landschaftsverbandes Rheinland. Nach dem 1975 beendeten Studium der Geschichte und Romanistik an der Universität Bochum absolvierte er die Archivausbildung in Marburg und widmete sich in der archivarischen Praxis vor allem der Archivberatung in den Bereichen der Familien- und kirchlichen Archive. Seine Publikationen haben das Archivwesen sowie Themen zur Lokal- und Wirtschaftsgeschichte zum Gegenstand. Die speziellen Interessen gelten der Paläographie und der Diplomatik. DR. PHIL. JOACHIM DEETERS war bis 2005 Leiter der Alten Abteilung am Historischen Archiv der Stadt Köln. Nach dem Studium der Geschichte und der lateinischen Philologie an den Universitäten Bonn, Kiel und Berlin absolvierte er ab 1968 die Archivarsausbildung in Marburg und begann im Anschluss 1970 die Tätigkeit als Archivar beim Kölner Stadtarchiv. Neben der Quellenerschließung und Benutzerbetreuung beteiligte er sich zudem an zahlreichen Ausstellungsprojekten des Stadtarchivs. Aus seiner Feder stammte auch 1994 das erste moderne Bestandsverzeichnis des größten Kommunalarchivs nördlich der Alpen. Ferner nahm Deeters Lehraufträge an der Fachhochschule und der Universität zu Köln wahr. Seine Publikationen gelten den Gebieten des Bürgerrechts, der Quellenkunde, der Frühneuzeit, der Zeitenwende um 1800 sowie der Hanse. P. PROF. DR. THEOL. DR. IUR. CAN. HABIL. STEPHAN HAERING M. A. OSB ist Mitglied der Abtei Metten und seit 2001 Ordentlicher Universitätsprofessor für Kirchenrecht mit Schwerpunkt Verwaltungsrecht und kirchliche Rechtsgeschichte an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Er studierte Katholische Theologie, Germanistik, Geschichte und Kanonisches Recht an den Universitäten Salzburg, München und Washington DC (Catholic University of America). Haering ist Richter am Erzbischöflichen Konsistorium und Metropolitangericht München, Berater der Glaubenskommission und Mitglied der Arbeitsgruppe Kirchenrecht der Deutschen Bischofskonferenz, zudem Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Kirchenrechtslehrer (AGKR). Er ist Herausgeber des „Archivs für Katholisches Kirchenrecht“ und der kanonistischen Abteilung der „Münchener theologischen Studien“, ferner des „Lexikons des Kirchenrechts“. Seine Publikationen widmen sich neben dem aktuellen Kirchenrecht auch schwerpunktmäßig dem Ordensrecht und der allgemeinen und regionalen Kirchenrechtsgeschichte. So wirkt er mit an der Herausgabe von Texten der anglonormannischen kirchenrechtlichen Schule des 12. Jahrhunderts. DR. JUR. RICHARD HARDEGEN studierte Rechtswissenschaft an den Universitäten Köln und Freiburg und ließ sich 1964 als Rechtsanwalt nieder. Im Jahre 2008 verfasste er am Institut für Kirchenrecht und rheinische Kirchenrechtsge-

Verzeichnis der Mitwirkenden

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schichte der Universität zu Köln eine kirchenrechtsgeschichtliche Dissertation zu dem Thema „Das Kanonikerstift Maria ad Gradus zu Köln (1056–1802)“. DR. PHIL. KERSTIN HITZBLECK M. A. ist seit 2008 Assistentin in der Abteilung Mittelalter am Historischen Institut der Universität Bern. Nach dem 1996 bis 2008 absolvierten Studium der Mittleren Geschichte, der Germanistik und der Historischen Hilfswissenschaften an den Universitäten Münster und Köln und der Fertigung ihrer Dissertation zum Thema „Die außerordentliche Kollatur von Benefizien im Pontifikat Johannesʼ XXII.“ erfolgte eine Beschäftigung am MGH-Projekt zur Edition der Urkunden Ludwigs des Frommen und am Sonderforschungsbereich 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“. Zentrale Forschungsinteressen von Kerstin Hitzbleck sind die Papst- und Kirchengeschichte sowie die Kirchenrechtsgeschichte des Mittelalters, außerdem die Geschichte des Humanismus. PROF. DR. PHIL. WILHELM JANSSEN war bis zum Jahre 1998 Direktor des Instituts für Geschichtliche Landeskunde der Universität Bonn. Nach dem Studium der Fächer Geschichte und Deutsch an der Universität Köln sowie der Absolvierung der Archivausbildung in Marburg führte ihn sein Berufsweg 1964 an das Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, dessen Leitung er von 1972 bis 1992 übernahm. Ab 1975 lehrte er, seit 1978 als Honorarprofessor, an der Universität Münster bis zu seiner 1992 erfolgten Berufung auf den Bonner Lehrstuhl. Bereits die Dissertation über die päpstlichen Legaten im Frankreich des 12. Jahrhunderts hatten das kirchengeschichtliche Interesse Janssens gezeigt. Innerhalb der folgenden umfangreichen Publikationstätigkeit sind als herausragende Veröffentlichungen die drei Bände der „Regesten der Erzbischöfe von Köln“, ferner innerhalb der „Geschichte des Erzbistums Köln“ die beiden auf das Spätmittelalter bezogenen Bände zu nennen. SABINE KÖTTING M. A. studierte Neuere und Neueste Geschichte, Historische Hilfswissenschaften und Ethnologie an der Universität Münster und fertigte bereits ihre Magisterarbeit zu dem kirchenrechtsgeschichtlichen Thema der Visitationen des Elementarschulwesens im Spätbarock. Von 2006 bis 2007 arbeitete sie als wissenschaftliche Hilfskraft am Historischen Seminar, Abteilung für Westfälische Landesgeschichte und seit 2007 als Stipendiatin des Instituts für religiöse Volkskunde (Alois-Schröer-Stipendium) ebenfalls an der Universität Münster. Sabine Kötting arbeitet an einer von Prof. Dr. Werner Freitag betreuten Dissertation zum Thema „Kirche, Pfarrgemeinde und Katheder. Küster in der Frühen Neuzeit im Fürstbistum Münster“ und untersucht in diesem Projekt vergleichend Küsterämter an Pfarreien im Nieder- und Oberstift Münster im Hinblick auf Lebenswelt, Amtsführung, Vorgaben der Kirche etc. Eine Arbeit

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Verzeichnis der Mitwirkenden

über das bischöfliche Trauerzeremoniell zeigt ihr Interesse an Fragen der rechtlichen Volkskunde im kirchlichen Kontext. PROF. DR. PHIL. KLAUS MILITZER, Studium insbesondere der Fächer Geschichte, Germanistik, Historische Hilfswissenschaften und Philosophie an den Universitäten Gießen, Göttingen und Innsbruck, 1968 Promotion, 1978 Habilitation mit venia legendi für mittelalterliche Geschichte, 1978–1992 Privatdozent an der Universität Göttingen, von 1979 bis zur Pensionierung 2005 Tätigkeit beim Historischen Archiv der Stadt Köln, zusätzlich 1992 Wirken als Außerplanmäßiger Professor an der Universität Göttingen sowie seit 1994 an der Ruhruniversität Bochum. Neben seinem Forschungsgebiet der Geschichte Preußens und des Deutschen Ordens widmete sich Militzer eingehend der Stadtgeschichte Kölns und der prosopographischen Forschung, zudem thematisierte er das Bruderschaftswesen. DR. PHIL. HANNS PETER NEUHEUSER M. A. war von 1989 bis 2010 innerhalb des Archiv- und Fortbildungszentrums des Landschaftsverbandes Rheinland für Grundsatzfragen zuständig, bevor er 2010 die Koordination des Fortbildungszentrums übernahm. Nach der Aus- und Weiterbildung für den Verwaltungsund Archivdienst studierte er an den Universitäten Köln und Bonn Kunstgeschichte, Katholische Theologie und Bibliothekswissenschaft und verfasste Publikationen zum Archiv- und Bibliothekswesen, zur Liturgie-, Kirchen- und Theologiegeschichte sowie zur Rechtsgeschichte. Im Rahmen der praktischen Archivarbeit war Neuheuser u. a. mit der Erschließung der Quellen im Propsteiarchiv Kempen beschäftigt, woraus u. a. ein Inventarband, ferner drei Bände mit auswertenden Aufsätzen hervorgingen, darunter auch zur Kirchenrechtsgeschichte. Er ist Vorstandsmitglied des Rheinischen Vereins für Rechtsgeschichte e. V. PROF. DR. THEOL. HABIL. LIC. IUR. CAN. THOMAS SCHÜLLER ist seit 2009 Direktor des Instituts für Kanonisches Recht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seine 1992 eingereichte kanonistische Dissertation widmet sich einem methodischen Problem der Kirchenrechtstheorie. Von 1993 bis 2009 war Schüller Leiter der Abteilung Kirchliches Recht und Kirchenanwalt (promotor iustitiae) im Bischöflichen Ordinariat Limburg, sodann dortselbst Bischofsnotar, von 1997 bis 2001 zudem Persönlicher Referent von Bischof Franz Kamphaus. Von August 2000 bis Februar 2009 fungierte er als Bischöflicher Beauftragter für die Suche nach Zwangsarbeitern in katholischen Einrichtungen im Bistum Limburg. Seine Publikationen widmen sich hauptsächlich Fragen des aktuellen Kirchenrechts.

Abkürzungsverzeichnis

A AA AAS AB Abb. AfkKR AHVN AöR bearb. can. / c. CCEO CChr.CM CIC COD DPM fol. H HAStK HBStKR hg. HRG Hs., Hss. Jh., Jhs. JZ KirchE LKStKR LO LThK MIÖG MK NJW NVwZ OK

Aktenbestand des Propsteiarchivs Kempen (Teil der Signatur) Altaktenbestand des Propsteiarchivs Kempen (Teil der Signatur) Acta Apostolicae Sedis Bestand der Alten Bibliothek im Propsteiarchiv Kempen (Teil der Signatur) Abbildung(en) Archiv für katholisches Kirchenrecht Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein Archiv des öffentlichen Rechts bearbeitet (von) canon (des Codex iuris canonici) Codex canonum ecclesiarum orientalium Corpus christianorum continuatio medievalis Codex iuris canonici Conciliorum oecumenicorum decreta De processibus matrimonialibus folio (Blattangabe) Handschriftensammlung des Propsteiarchivs Kempen (Teil der Signatur) Historisches Archiv der Stadt Köln Handbuch des Staatskirchenrechts herausgegeben (von) Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Handschrift(en) Jahrhundert(s) Juristenzeitung Entscheidungen in Kirchensachen Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht Liber ordinarius Lexikon für Theologie und Kirche Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Münsterischer Kommentar zum Codex iuris canonici Neue Juristische Wochenschrift Neue Verwaltungszeitschrift Ordenskorrespondenz

388 pag. PAK PB PK QFIAB r RGCR S. Sp. StA StdZ ThPQ tom. TrAp TRE U U, Urk. v vgl. WRV ZAachG ZevKR ZRG ZRP

Abkürzungsverzeichnis

pagina(e) (Seitenangabe bei paginierten Quellen) Propsteiarchiv Kempen „Pastor bonus“ (Apostolische Konstitution) Kunstwerkeinventar der Propsteipfarre Kempen (Teil der Signatur) Quellen und Forschungen in italienischen Archiven und Bibliotheken recto (Angabe der Vorderseite eines Blattes) Regolamento generale della Curia Romana Seite Spalte Stadtarchiv Stimmen der Zeit Theologisch-praktische Quartalschrift tomus (Bandangabe bei Quellen) Traditio Apostolica Theologische Realenzyklopädie Urkundenbestand des Propsteiarchivs Kempen (Teil der Signatur) Urkunde verso (Angabe der Rückseite eines Blattes) vergleiche Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift für Rechtsgeschichte Zeitschrift für Rechtspolitik

In Bezug auf die Abkürzungen von Gerichtsbezeichnungen und rechtlichen Normen etc. wird auf das von Hildebert Kirchner und Cornelie Butz bearbeitete Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. Auflage, Berlin 2008 verwiesen. Darüber hinaus sind Informationen auch dem Internationalen Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG), bearbeitet von Siegfried M. Schwertner, 2. Auflage, Berlin 1992, zu entnehmen.

Tomas Hägg (Hg.)

KircHe und KeTzer Wege und abWege des cHrisTenTums aus dem norWegiscHen überseTzT von Fr anK zuber

Bereits in der Antike, mit der Etablierung als Staatsreligion, führte das Christentum Maßstäbe religiöser Rechtsgläubigkeit ein, die keine Abweichung duldeten. Die strenge Abgrenzung gegenüber Andersdenkenden unterschied­ lichster Art wurde zur Regel. Mehr noch, die gesamte Kirchenlehre scheint sich in Opposition dazu entwickelt zu haben. Für die Geschichte des Christen­ tums und damit für die Geschichte Europas sollte diese Denkweise prägend werden. Nicht zuletzt, da es stets die Machthaber waren, die im Zusammen­ spiel mit der Kirche bestimmten, was als Ketzerei zu gelten hatte. Von der Spätantike bis heute lässt sich dieser Konflikt zwischen Kirche und »Ketzern« verfolgen. Anhand zentraler Ereignisse aus fünfzehn Jahrhunderten Kirchen­ geschichte beleuchten die Autorinnen und Autoren dieses Buches Motive, Intentionen und Methoden der Kirche im Umgang mit Andersdenkenden. Sie vertiefen nicht nur unsere Kenntnisse über Häresiefälle der Vergangenheit, sondern zeigen auch, dass die »Ketzerrhetorik« noch in der Gegenwart ein­ gesetzt wird. 2010. 298 S. Mit 18 S/w-Abb. Gb. Mit SU. 155 x 230 MM. iSbN 978-3-412-20465-5

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2011. XXXVIII, 194 S. mit 2 s/w-Karten. Gb. ISBN 978-3-412-20736-6

Band 28: Hanns Peter Neuheuser (Hg.) pragmatiscHe Quellen Der KircHlicHen recHts­ gescHicHte 2011. VIII, 388 S. 13 s/w-Abb. Gb. ISBN 978-3-412-20817-2

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