Hermann Lübbe: Pragmatische Vernunft nach der Aufklärung 3534221672, 9783534221677

Hermann Lübbe, geb. 1926, gehört zu den bekanntesten Philosophen der Nachkriegszeit. Er ist der wohl prominenteste Vertr

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German Pages 176 [178] Year 2009

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Inhalt
Hermann Lübbe – Pragmatische Vernunft nach der AufklärungZur Einleitung
I. Grundlegungen
Philosophie im 20. Jahrhundert – wie ich sie kennen lernte
II. Entfaltungen
GeschichtspragmatikEine Rekonstruktion der Geschichtsphilosophie Hermann Lübbes
Institution, Dezision und moralische Orientierung in der liberalen DemokratieZu Hermann Lübbes politischer Philosophie
Aktualität und Orientierung oder: Wie man ein vernünftiger Zeitgenosse bleibt Zu Hermann Lübbes Theorie der Fortschrittsmoderne
Kontingenzbewältigung in der ModerneHermann Lübbes Verständnis von Religion und Aufklärung
III. Rückblick
Lebenserfahrung und pragmatische Vernunft Ein Gespräch zu Leben und Werk
Pragmatische Bibliographie Hermann Lübbe 1951-2009
Verzeichnis der Autoren
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Hermann Lübbe: Pragmatische Vernunft nach der Aufklärung
 3534221672, 9783534221677

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Hermann Lübbe

Hanns-Gregor Nissing (Hrsg.)

Hermann Lübbe Pragmatische Vernunft nach der Aufklärung

Einbandgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart Einbandabbildung: Hermann Lübbe, Porträtaufnahme aus dem Jahr 2001; © picture-alliance/akg-images

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2009 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werks wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-22167-7

Inhalt Hanns-Gregor Nissing Hermann Lübbe – Pragmatische Vernunft nach der Aufklärung Zur Einleitung....................................................................................................................7 I. Grundlegungen Hermann Lübbe Philosophie im 20. Jahrhundert – wie ich sie kennen lernte.................................................................................................23 II. Entfaltungen Reinhard Mehring Geschichtspragmatik Eine Rekonstruktion der Geschichtsphilosophie Hermann Lübbes................................47 Jens Hacke Institution, Dezision und moralische Orientierung in der liberalen Demokratie Zu Hermann Lübbes politischer Philosophie.................................................................67 Georg Kohler Aktualität und Orientierung oder: Wie man ein vernünftiger Zeitgenosse bleibt Zu Hermann Lübbes Theorie der Fortschrittsmoderne..................................................83 Holger Zaborowski Kontingenzbewältigung in der Moderne Hermann Lübbes Verständnis von Religion und Aufklärung.......................................101 III. Rückblick Hermann Lübbe/Hanns-Gregor Nissing Lebenserfahrung und pragmatische Vernunft Ein Gespräch zu Leben und Werk.................................................................................119 Hanns-Gregor Nissing Pragmatische Bibliographie Hermann Lübbe 1951-2009.............................................145 Verzeichnis der Autoren................................................................................................175

HANNS-GREGOR NISSING

Hermann Lübbe – Pragmatische Vernunft nach der Aufklärung Zur Einleitung Hermann Lübbe gehört zu jenen Denkern, die mit ihren Beiträgen und Schriften nicht nur die akademische Philosophie, sondern auch das politische und gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich geprägt haben. Als einen der „besten und einflussreichsten Köpfe der Gegenwartsphilosophie“ und als „Aufklärer mit Wirklichkeitssinn“ hat sein Freund Odo Marquard ihn bezeichnet.1 Lübbe selbst hat für sein Denken die Standortbestimmung „nach der Aufklärung“ gewählt. Sie ist zu einer Art Markenzeichen seiner Überlegungen geworden und begegnet mehrfach in den Titeln seiner Bücher und Aufsätze sowie ihm gewidmeter Schriften.2 In nüchtern-optimistischer Weise will sie den historischen Grund benennen, auf dem sich sein Denken bewegt: „Die erfolgreiche Aufklärung ist gemeint und nicht eine Aufklärung, die erledigt und in ihren Wirkungen überwunden wäre.“3 Dies besagt keineswegs ein mangelndes Bewusstsein für die negativen Folgen, die mit den historischen Prozessen von Aufklärung und Modernisierung verbunden waren: Deren befreiende und belastende Wirkungen gehen gleichermaßen ein in die Lübbesche Positionsbestimmung. Im Ganzen soll sie nicht mehr und nicht weniger zum Ausdruck bringen als die grundsätzliche Zustimmung zur Aufklärung als geschehener, Wirklichkeit gewordener. Lübbes Standpunkt nach der Aufklärung unterscheidet sich damit einerseits von einer „gegenaufklärerischen“ Haltung, die eine Rückkehr zu vormodernen Positionen anstrebt.4 Sie steht andererseits aber auch in deutlicher Distanz zum Ansinnen, die Aufklärung als ein „unvollendetes Projekt“ zu begreifen, dessen Intentionen es – auf dem Weg zur „vernünftigen Identität moderner Gesellschaften“ 5 – in normativer Weise weiterzuentwickeln gilt. 1 Vgl. O. Marquard, „Aufklärung mit Wirklichkeitssinn. Zum 70. Geburtstag von Hermann Lübbe“, in: Neue Zürcher Zeitung vom 31.12.1996, 31. 2 Vgl. zuerst H. Lübbe, „Wissenschaft nach der Aufklärung“, in: A. Diemer (Hg.), 16. Weltkongreß für Philosophie 1978, Frankfurt/M. – Bern – New York 1983, 37-44; ders., Philosophie nach der Aufklärung. Von der Notwendigkeit pragmatischer Vernunft, Düsseldorf – Wien 1980; ders., Religion nach der Aufklärung, Graz – Wien – Köln 1986; ders., Politik nach der Aufklärung, München 2001; W. Lübbe u.a. (Hg.), Politik und Kultur nach der Aufklärung. Festschrift Hermann Lübbe zum 65. Geburtstag, Basel 1992. 3 H. Lübbe, Philosophie nach der Aufklärung (Anm. 2), 7. 4 Vgl. in diesem Sinne J. Habermas, „Die Moderne – ein unvollendetes Projekt“, in: ders., Kleine Politische Schriften I-IV, Frankfurt/M. 1981, 444-464. – Lübbe hat den Begriff der „Gegenaufklärung“ seinerseits in polemischer Absicht aufgenommen und mit den Attributen „anwachsenden Bekenntniszwangs und sich ausdehnender Kritikverbote“ belegt. Vgl. dazu in diesem Band den Beitrag von G. Kohler, v.a. 87ff. 5 Vgl. J. Habermas/D. Henrich, Zwei Reden aus Anlaß der Verleihung des Hegel-Preises 1973 an Jürgen Habermas, Frankfurt/M. 1974.

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Hanns-Gregor Nissing

„Pragmatische Vernunft“ kennzeichnet auf dieser Grundlage den Stil oder die Form des Denkens Hermann Lübbes, seinen spezifischen „Wirklichkeitssinn“. Lübbe selbst hat auf den Vorbehalt hingewiesen, mit dem pragmatisches Denken in Deutschland traditionell verbunden ist: „Ein Blick in ein Konversationslexikon belehrt uns, wieso. Der Pragmatiker, heißt es, gehe ‚nicht von Prinzipien und Normen aus‘, sondern von simpler ‚Lebenserfahrung‘“.6 Schon bei Kant, der für die spätere Verwendung des Begriffs prägend war, ist „pragmatisch“ in der Bedeutung des „Klugen“ und „Zweckorientierten“ der Gegenbegriff zu „spekulativ“ und „moralisch“.7 Von hier aus hat er den Verdacht des Unmoralischen begünstigt, scheint er doch statt durch „leidenschaftliche Unbedingtheit“ durch einen kühl-distanzierten, berechnend-strategischen Zug gekennzeichnet zu sein, dem das Pathos großer Ziele fehlt. Der Pragmatiker betrachtet die Wirklichkeit ja stets unter dem Gesichtspunkt des praktischen Umgangs mit dem Bestehenden und einer realistischen Verwirklichung vorhandener Möglichkeiten. Es sind, wie Lübbe anmerkt, nicht nur die Ziele, die gut sein müssen, auch ihre Mittel und Nebenfolgen müssen kontrollierbar und nach denselben Maßstäben akzeptabel sein. Sokratisch gesprochen: „Zu wissen, was geht und was nicht, gilt seit jeher als Kompetenz dessen, der sein Handwerk versteht.“8 Skeptisch gegenüber jeder Form von Ideologie und Moralismus will Lübbes Pragmatismus vor allem „problemlösungsfördernde Philosophie sein, die von der Praxis aus über Praxis nachdenkt“9. Sein Denken versteht sich – in einer typisch Lübbeschen Wortprägung – als „Orientierungskrisenmanagement“10, insofern sich unsere gegenwärtige Zivilisation, die Zivilisation „nach der Aufklärung“, in besonderer Weise als „orientierungskrisenträchtig“11 zeigt. Zumal im Kontext der intellektuellen Debatten der vergangenen Jahrzehnte hat Hermann Lübbe dem pragmatischen Denken in der Philosophie der Gegenwart neu Geltung zu verschaffen gewusst. Praktische Urteilskraft, Augenmaß, Sachverstand und common sense sind Grundmotive dieses Pragmatismus, der sich der Effektivität verpflichtet weiß – dabei vor allem aber die „Freiheit von Subjekten in ihrer historisch kontingenten Identität“ im Blick hat.12

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H. Lübbe, „Für die Pragmatiker“, in: ders., Endstation Terror. Rückblick auf lange Märsche, Stuttgart 1978, 128ff. 7 Vgl. u.a. I. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (AA 7, 176; 189; 214; 234f., 267). 8 H. Lübbe, „Für die Pragmatiker“ (Anm. 6), 130. 9 H. Kleger/G. Kohler, „Ein Kapitel politischer Philosophie in Deutschland nach 1945“, in: dies. (Hg.), Diskurs und Dezision. Politische Vernunft in der wissenschaftlichen Zivilisation. Hermann Lübbe in der Diskussion, Wien 1990, 21. 10 H. Lübbe, „Philosophie als Beruf“, in: J. Schickel (Hg.), Philosophie als Beruf, Frankfurt 1982, 94. – Der Orientierungsbegriff ist bestimmend für Lübbes Charakterisierung der Philosophie: „Orientierung – das ist eine alte Wander- und Reisemetapher […]. Orientierungen – das sind weder Handlungsanweisungen, noch Marschbefehle, nicht Gebrauchsanweisungen und nicht Herstellungsanleitungen. Orientierungen – das sind Ortsbestimmungen durch Herkunftsrekonstruktion oder Wiedererkennung, Bestandsaufnahmen, Erkundungen und Vermessungen von Unbekanntem im Ausgang von Bekanntem. […] Unser Orientierungswissen repräsentiert unsere ‚Identität‘“ (H. Lübbe, Zwischen Trend und Tradition, Zürich 1981, 54). – Zu Lübbes Philosophiebegriff vgl. in diesem Band das Interview, v.a. S. 129-132. 11 Ders., Religion nach der Aufklärung (Anm. 2), 263. 12 Vgl. ders., „Pragmatismus oder die Kunst der Diskursbegrenzung“, in: ders., Philosophie nach der Aufklärung (Anm. 2), 208.

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Unter dem Titel „Pragmatische Vernunft nach der Aufklärung“ ist der vorliegende Band Hermann Lübbe und seinem philosophischen Werk gewidmet. Er will das Denken Lübbes vorstellen und in seiner geschichtlichen Rolle wie in seiner Bedeutung für die Philosophie der Gegenwart würdigen. Er versteht sich dabei zugleich als Beitrag zur Aufarbeitung der jüngsten philosophischen Traditionen in der Bundesrepublik Deutschland, die soeben begonnen hat und vom Interesse gerade einer jüngeren Generation von Wissenschaftlern getragen ist.13 In seiner interdisziplinären Anlage mit Beiträgen aus den Bereichen der Philosophie, der Geschichts- und der Politikwissenschaften vermag er überdies die Vielseitigkeit des Denkens Lübbes und dessen Auswirkungen auf die unterschiedlichen Bereiche des Geisteslebens widerzuspiegeln. Die Beiträge des vorliegenden Bandes I. Grundlegungen Aristoteles zufolge lässt sich alles am besten aus seinen Ursprüngen heraus verstehen. Zugleich vollzieht sich philosophisches Denken stets in Anknüpfung an Traditionen. Am Anfang des vorliegenden Bandes steht daher ein Bericht, in dem Hermann Lübbe selbst Auskunft gibt über die „Philosophie im 20. Jahrhundert – wie ich sie kennen lernte“14, „wieso ich Philosoph geworden bin“, und wie die zeitgenössische Philosophie „in ihren Ansprüchen und Einsichten, politisch-öffentlichen und akademisch-wissenschaftlichen Wirkungen […] für meine eigene Arbeit prägend geblieben“ ist.15 Als bedeutsam hebt er (1) die Erfahrungen der ideologiepolitischen Inanspruchnahme der Philosophie als weltpolitischer Faktor im Totalitarismus hervor, (2) die dagegen gerichtete antitotalitäre Option der Wissenschaftstheorie Karl Poppers, ergänzt um (3) die Einsichten der logischen Propädeutik von Heinrich Scholz (und von hier aus der sprachanalytischen Tradition Wittgensteins und des Wiener Kreises), (4) das Lebensweltwissen der Phänomenologie, vermittelt nicht zuletzt durch seinen ostfriesischen Lehrer Wilhelm Schapp, und schließlich (5) das durch Joachim Ritter geweckte Bewusstsein für die spezifische Modernität der historischen Kultur. Sie bildeten die wesentlichen Grundlagen für Lübbes „Teilnahme an den fälligen Fortschreibungen der 13 An erster Stelle ist hier für die Münsteraner Schule von Joachim Ritter zu nennen: J. Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberal-konservative Begründung der Bundesrepublik, Göttingen 2006, 2 2008; ferner C. Albrecht/G.C. Beermann/M. Bock, Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule, Frankfurt/M. 1999, 22007. 14 Vgl. unten S. 23-43. 15 Werkbiographische Auskünfte aus jüngerer Zeit finden sich insbesondere in vier Interviews: „Gespräch. Bei Hermann Lübbe in Havixbeck. Das Gespräch führten Antonia Loick und Frank Lorentz“, in: Zeitschrift für Trends und Philosophie 02/06, 17-79; Gespräche. Hermann Lübbe zum Achtzigsten. Idee: Grete Stoll. Vorwort von Roland Simon-Schaefer, Köln 2006 [Privatdruck]; „‚Prüft alles und nehmt an, was gut ist.‘ ON-Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Lübbe – Auricher und ein weltweit bekannter Philosoph“, in: Ostfriesische Nachrichten vom 4.1.2008, 6; „Wachsender Bedarf an Klassikern. Philosoph Hermann Lübbe über Karl Jaspers und Tugenden. Interview mit Reinhard Tschapke“, in: Nordwest-Zeitung vom 29.5.2008, 22.

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Gegenwartsphilosophie“, die sich ihrerseits insbesondere auf die Bereiche (1) der Geschichtsphilosophie und Geschichtswissenschaften, (2) der politischen Philosophie, (3) der Kulturphilosophie und (4) der Religionsphilosophie erstreckte.16 II. Entfaltungen An der genannten disziplinären Unterscheidung orientieren sich dementsprechend die „Entfaltungen“ zur Philosophie Lübbes, die sich an dessen „Grundlegungen“ anschließen. 1. Geschichtsphilosophie Am Ausgangspunkt des philosophischen Schaffens Hermann Lübbes stehen seine Analysen zu geschichtlichen Prozessen und deren wissenschaftstheoretische Reflexion, durch die er zum „Wissenschaftstheoretiker der historischen Wissenschaften“ wurde.17 Lübbe selbst hat sie als „den wichtigsten Teil meiner Arbeit“18 gekennzeichnet. Unter dem Titel „Geschichtspragmatik. Eine Rekonstruktion der Geschichtsphilosophie Hermann Lübbes“19 skizziert Reinhard Mehring das Erbe und die wissenschaftliche Situation der Geschichtsphilosophie, vor die sich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die sog. „skeptische Generation“ (H. Schelsky) gestellt sah, sowie die sich ihr bietenden Optionen, und markiert von hier aus die Anknüpfungspunkte und Entwicklungslinien der geschichtsphilosophischen Überlegungen Lübbes. Er unterscheidet dabei drei Phasen, die im Anschluss an (a) eine Kritik der totalitären Großideologien, (b) eine analytische Wendung der Geschichtsphilosophie und schließlich (c) eine geschichtspolitische Pragmatik umfassen. – In diesem Rahmen finden – unter dem Einfluss von Phänomenologie, Wissenschaftstheorie und analytischer Philosophie – die zentralen Motive der Philosophie Lübbes ihre Grundlegung: (1) Identität. – An die Stelle eines universalen Erklärungsanspruchs geschichtsphilosophischer Großentwürfe tritt die anthropologische Aufmerksamkeit für den Einzelnen und seine Identität: Geschichte gibt es nur in der existenziellen Brechung individueller Geschichten, und es sind diese Geschichten, durch die „Individuen unter ihresgleichen

16 Zur Selbstdarstellung der Philosophie Lübbes vgl. an abgelegenem Ort: H. Lübbe, „Philosophische Selbstdarstellung in redaktionellem Auftrag“, in: A. Mercier/M. Svilar (Hg.), Philosophes critiques d’eux-mêmes, vol. 14, Bern – Frankfurt/M. – New York – Paris 1990, 55-66; ferner: ders., „Aneignung und Rückeignung“, in: G. Kohler/H. Kleger, Diskurs und Dezision (Anm. 9), 335-371. – Als brillante Einführung in die Philosophie Lübbes vgl. W. Vögele, Zivilreligion in der Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 1994, 74-207. 17 Vgl. bereits die ungedruckte Habilitation Die Transzendentalphilosophie und das Problem der Geschichte. Untersuchungen zur Genesis der Geschichtsphilosophie (Kant, Fichte und Schelling), Erlangen 1957; Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs, Freiburg/Br. – München 1965; v.a. Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse. Analytik und Pragmatik der Historie, Basel – Stuttgart 1977. 18 H. Lübbe, „Aneignung und Rückaneignung“ (Anm. 16), 370. 19 Vgl. unten S. 47-66.

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unverwechselbar“20 werden. Die „große“ Weltgeschichte wird an das menschliche Individuum als ihr ursprüngliches Subjekt zurückgebunden21, und dieses individuelle Subjekt, die einzelne menschliche Person, gilt Lübbe als primärer Bezugspunkt für sein Verständnis von Geschichte: „Unser Name […] läßt sich als Überschrift zu der Geschichte auffassen, über die wir und andere diese unsere geschichtliche Individualität identifizieren.“ Mit Wilhelm Schapp bringt Lübbe seine These vom Ursprung der Identität aus Geschichten auf die Formel: „Die Geschichte steht für den Mann“.22 Nur „[ü]ber ihre Geschichten werden Individuen in dieser ihrer Einzigartigkeit identifizierbar, und im Erzählen dieser Geschichten erklären wir diese Einzigartigkeit.“23 So sind Geschichten „Prozesse der Systemindividualisierung“24. Zugleich wird damit die ursprünglich narrative Dimension von Geschichtsschreibung sichtbar. – Pragmatisch dienen Geschichten der Präsentation, Stiftung und Vergewisserung von Identität – zunächst von Individuen, sodann von Gruppen, Gesellschaften und Institutionen. (2) Kontingenz. – An die Stelle der Auffassung, Geschichte werde „gemacht“, tritt das Bewusstsein für die Unverfügbarkeit der Vorgaben und Folgen des eigenen Handelns wie des Weltlaufs insgesamt – kurz: für Kontingenz. „[D]as, was einer ist, verdankt sich nicht der Persistenz seines Willens, es zu sein. Identität ist kein Handlungsresultat. Sie ist das Resultat einer Geschichte, das heißt der Selbsterhaltung und Entwicklung eines Subjekts unter Bedingungen, die sich zur Raison seines jeweiligen Willens zufällig verhalten“25. Handeln heißt ja stets Absichten verfolgen, die jeweilige Lage einschätzen und die entsprechenden Mittel kalkulieren.26 Im Gegensatz dazu will Geschichte als „Medium der Kontingenzerfahrung“27 den Sinn für Zufall, Schicksal und Endlichkeit der conditio humana schärfen, für die prinzipielle Unverfügbarkeit eines umfassenden Sinnes von Welt und Dasein: „Niemand hatte doch Gelegenheit, sich seine Eltern auszusuchen, seine genetisch bedingten Eigenschaften, seine Ethnie, seine Mut20

H. Lübbe, Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse (Anm. 17), 145. In liberaler Lesart ist der Hegelsche Weltgeist als Subjekt der Geschichte ein Platzhalterbegriff, der letztendlich die Unbestimmbarkeit des Geschichtsverlaufs sichert. Die klassische Geschichtstheorie gilt ihm daher als „Theorie eines Fortschritts ohne Subjekt“ (ders., „Herrschaft und Planung. Die veränderte Rolle der Zukunft in der Gegenwart“, in: ders., Theorie und Entscheidung, Freiburg/Br. 1971, 72). 22 Ders., „Die Identitätspräsentationsfunktion der Historie“, in: ders., Praxis der Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichtstheorie, Stuttgart 1978, 100. – Der Begriff von „Identität“, den Lübbe zugrunde legt, ist dabei von äußerster Einfachheit: „Es genügt, an den wohlgeregelten gemeinsprachlichen Gebrauch des Wortes ‚Identität‘ zu erinnern, wie er uns aus den praktischen Zusammenhängen vertraut ist, in denen vor Gericht und vor Ämtern, von der Polizei oder von Zöllnern, die Identität von Personen festgestellt oder überprüft wird. […] Identität ist das, was als – zutreffende – Antwort auf die Frage erteilt wird, wer wir sind.“ (ebd., 99). – Sein Standardbeispiel ist der Personalausweis, englisch: identity card. 23 Ders., Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse (Anm. 17), 145. 24 Ebd., 90ff. 25 Ebd., 203. 26 Zum Begriff des ‚Handelns‘ bei Lübbe vgl. ders. „,Orientierung‘. Zur Karriere eines Themas“, in: Der Mensch als Orientierungswaise, Freiburg/Br. – München 1982, 15: „Handeln kann generell niemand, es sei denn, [1] er wüsste, was er will, [2] er kennte die Lage, in der er sicht befindet, und [3] verfügte über die Informationen und sonstigen Mittel, auf die er angewiesen ist, um zu können, was er will. Dabei bestehen zwischen diesen drei Elementen eines jeden Handlungsvorgangs – Absicht, Lage und Verfügung über die Mittel ihrer absichtsvollen Änderung natürlich Beziehungen wechselseitiger Abhängigkeit.“ 27 Ders., Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse (Anm. 17), 280. 21

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tersprache und sein Vaterland, die Geschichtsepoche, in der er, statt in einer anderen, lebt, die Religion und die Konfession, deren Folgelasten er selbst noch als Konvertit hinter sich herschleppt. Kurz: Wer wir sind, unsere Identität, basiert auf lauter Unverfügbarkeiten, ohne freilich darin aufzugehen.“28 – Pragmatisch geht es für den Einzelnen um die Anerkennung und Bewältigung seiner kontingenten Daseinsbedingungen. (3) Kompensation. – An die Stelle finalistischer Geschichtskonzeptionen (seien sie optimistisch oder pessimistisch akzentuiert) tritt der bilanzierende (Rück-)Blick für Verlust und Gewinn im Ertrag historischer Prozesse und die Frage nach der Kompensation darin verloren gegangener Gleichgewichte.29 Ja, das Entstehen historischen Bewusstseins als solches gilt Lübbe – in Weiterführung von Gedanken Joachim Ritters30 – als Ausgleich für jenes Auseinandertreten von Herkunft und Zukunft, das für die Moderne, die Zeit „nach der Aufklärung“, kennzeichnend ist: Es „bezieht sich auf unsere zivilisatorische Situation, in der Erfahrungsraum und Zukunftshorizont rascher auseinandertreten, als wir durch kompensatorische Leistungen des historischen Bewußtseins imstand sind, beide miteinander verknüpft zu halten.“31 Je schneller sich unsere Wirklichkeit wandelt, je schneller das Neue alt wird, desto mehr sind wir angewiesen auf die Identität stiftenden Leistungen der historischen Kultur. – Angesichts eines beschleunigten Fortschritts, in dem sich die Zeiträume verkürzen, über die hinweg uns unsere eigene Vergangenheit fremd wird, soll Geschichte pragmatisch Herkunft gegen Zukunft aufbieten und der Bewältigung von Gegenwart durch Rückgriff auf die Vergangenheit dienen: Wir erzählen Geschichten, um uns unserer Herkunft und Zukunft zu vergewissern.32 Von hier aus gewinnt Lübbes geschichtsphilosophische Konzeption ihr Profil, die er als „Historismus“ bezeichnet und definiert als „Kultur des Nutzens, den in unserer Zivilisation historische Wissenschaften und historische Bildung haben.“33 Von hier aus wird zugleich die spezifische Gestalt seines „Konservativismus“ zugänglich: als „Praxis der 28

Ders., Religion nach der Aufklärung (Anm. 2), 159. Kompensation besagt den „Ausgleich von Mangellagen durch ersetzende oder wiederersetzende Leistungen“ (so summarisch O. Marquard, Philosophie des Stattdessen, Stuttgart 2000, 34). – Zum Kompensationsgedanken bei Lübbe vgl. G. Kohler/H. Kleger, „Ein Kapitel politischer Philosophie in Deutschland nach 1945“ (Anm. 9), 12f.: „Das Kompensationskonzept […] rechnet […] einerseits mit der Stabilität tiefliegender Bedürfnisse und Strukturprobleme und andererseits mit der nicht unbegrenzten, aber breiten Vielfalt ihrer möglichen Lösungen und Erfüllungen.“ 30 Ritter hatte behauptet, die historische Kultur kompensiere die Ungeschichtlichkeit moderner Zivilisation, die durch Vereinheitlichung die Herkunftskultur auflöse. Für Lübbe dagegen ist die moderne Zivilisation Resultat einer Beschleunigung des kulturellen und sozialen Wandels. 31 H. Lübbe, Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse (Anm. 17), 335. 32 Dies bedingt eine grundsätzliche Parteilichkeit und Revidierbarkeit unserer Geschichtsschreibung, die stets auf ‚Konsensobjektivität‘ beruht: „Wir schreiben die Geschichte immer wieder neu, weil die Identifizierung anderer über ihre Geschichte eine Funktion der sich ändernden Geschichte ist, über die wir uns in Abhängigkeit von anderen selbst identifizieren“ (ders., „Wer kann sich historische Aufklärung leisten? Zum Streit um die politische Funktion der historischen Geisteswissenschaften“, in: ders., Philosophie nach der Aufklärung [Anm. 2], 101). 33 Ders., Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse (Anm. 17), 211. – Themenfelder von Lübbes Historismus sind: (1) die Legitimationsschwierigkeiten der historischen Wissenschaften, (2) die Geltung des Wertfreiheitspostulats, (3) die Legitimation der Geschichtswissenschaften gegenüber den Sozialwissenschaften, (4) die Funktion der historischen Wissenschaften in der Gesellschaft (5) und der Vorrang der Geisteswissenschaften vor den Naturwissenschaften. 29

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Bewahrung des Unverzichtbaren gegen seine gegenwärtigen oder vorhersehbar zukünftigen Gefährdungen“34. Von diesen Motiven aus ergeben sich schließlich die unmittelbaren Verbindungen zu den weiteren Themenfeldern der Lübbeschen Philosophie. 2. Politische Philosophie Die ursprüngliche Zusammengehörigkeit von Geschichtsphilosophie und politischer Philosophie im Werk Hermann Lübbes zeigt sich bereits in seinen frühen Arbeiten35 in der Betrachtung der Geschichte unter der leitenden Frage nach den Wirkungen politischer Ideen und Ideologien. Sie bildet zugleich die Grundlage für einen pragmatischen Umgang mit Geschichte in der Form von „Geschichtspolitik“, die diese nie bloß deuten, sondern auch bestimmen will. Darüber hinaus geht das Bewusstsein für die historische Bedingtheit und Formbarkeit des Individuums wie für seine Handlungsfähigkeit als Grunddatum in das politische Denken Lübbes ein. In seinem Beitrag „Institution, Dezision und moralische Orientierung. Zu Hermann Lübbes politischer Philosophie“36 erörtert Jens Hacke die Grundmotive der politischen Philosophie Hermann Lübbes, die – im Rahmen der liberalen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland und mit Bezug auf deren Bedingungen entwickelt – Lübbe als herausragenden Repräsentanten einer „Philosophie politischer Bürgerlichkeit“ zeigen, wie sie durch die sog. Münsteraner „Ritter-Schule“ entwickelt wurde, zu der neben Lübbe u.a. auch Robert Spaemann, Odo Marquard und Ernst-Wolfgang Böckenförde gehörten. (1) Institutionen. – Für den Bürger als Subjekt politischer Praxis haben die Institutionen eine doppelte Bedeutung: (a) Einerseits stabilisieren sie sein Handeln, insofern sie eine ‚Objektivierung‘ gelebter ethischer und politischer Praxis darstellen und die habituelle Verwirklichung rechten und sittlichen Handelns gewährleisten. Mit Ritter verbindet Lübbe aristotelische Politik und hegelianische Staatslehre. Historisch bestimmend ist für ihn überdies die Einsicht in die Notwendigkeit, nach der Befreiung vom Nationalsozialismus in der jungen Bundesrepublik demokratische Praxis einüben zu müssen und ihre Subjekte in einem kollektiven Lernprozess in den neuen Staat zu integrieren. Institutionen dienen als Ordnungsrahmen, um dem jungen Staat die Zustimmung seiner Bürger zu sichern und ihm sukzessive staatliche Identität zu erarbeiten. Lübbes Sinn für Kontinuitäten und seine Hochschätzung von Traditionen37 finden hier ihren Niederschlag. – (b) Andererseits haben Institutionen aber auch entlastende Funktionen, insofern sie dem Bürger den Schutz seiner individuellen Freiheit gewähren: „Institutionen sind es, von deren Festigkeit und Zweckmäßigkeit im Normalzustand abhängt, ob wir in

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Ders., Fortschritt als Orientierungsproblem. Aufklärung in der Gegenwart, Freiburg/Br. 1975, 62. Vgl. v.a. die erste Monographie Politische Philosophie in Deutschland. Studien zu ihrer Geschichte, Basel – Stuttgart 1963; sowie die Aufsätze in Theorie und Entscheidung (Anm. 21). 36 Vgl. unten S. 67-82. 37 Vgl. H. Lübbe, Zeit-Verhältnisse, Graz – Wien – Köln 1983, 57: Traditionen sind „orientierungssichernde, einstellungs- und handlungsleitende kulturelle Selbstverständlichkeiten von generationenüberdauernder Geltung.“ 35

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unseren Freiheitsansprüchen gesichert sind.“38 Der Vorzug von Subjektivität und bürgerlicher Privatsphäre und das Bewusstsein einer Nicht-Identität von individuellen und kollektiven Interessen bedingen Lübbes grundsätzliche Optionen für Pluralismus und Gewaltenteilung, Toleranz und Minderheitenschutz, Regionalisierung und Föderalismus. Institutionen dienen der Bewahrung und Verwirklichung von individueller und bürgerlicher Freiheit, sie eröffnen dem Einzelnen Handlungsräume mit definierten Verantwortlichkeiten und stellen so das verantwortliche Handeln des Einzelnen als Kernelement des Politischen in den Mittelpunkt. (2) Dezision. – Das Charakteristikum dieses Handelns kennzeichnet Lübbe mit dem Begriff der Dezision, seine Theorie politischer Entscheidung dementsprechend als „pragmatischen Dezisionismus“. Dieser gründet sich auf den Sinn für Kontingenzen und Rechtfertigungslücken, für die mangelnde theoretische Gewissheit und den Voluntarismus politischer Entscheidung. Lübbes Adaption des „kompromittierten Begriffs“39 der Dezision geschieht dabei in zwei unterschiedlichen Richtungen: (a) Gegenüber dem technokratischen Sachzwangdenken der 1950er Jahre, seiner Planungseuphorie und Expertokratie, die eine Eliminierung von Entscheidung aus der „wissenschaftlichen Zivilisation“ (H. Schelsky, A. Gehlen) inaugurierte, dient der Dezisionsbegriff dazu, das Element des Meinungsstreits und politischer Konfliktaustragung in Erinnerung zu rufen; (b) gegenüber dem Ideal des herrschaftsfreien Diskurses der 1960er und 1970er Jahre (J. Habermas) dagegen fungiert der Dezisionismus als Instrument pragmatischer Diskursbegrenzung: statt auf Konsens beharrt Lübbe auf dem Kompromisscharakter politischer Entscheidung, statt auf Wahrheit auf Mehrheit, statt auf moralischer Legitimität auf der Legalität der Verfahren, statt auf Letztbegründung auf der Vorläufigkeit politischer Orientierung: Der pragmatische Dezisionismus intendiert eine „Dominanz der Verfahrenslegitimität vor der Legitimität durch Rekurs auf Wahrheitsansprüche“40, die diskursiv einzulösen wären. Als dezisionistisches Standardbeispiel gilt die Abstimmung in der parlamentarischen Demokratie.41 (3) Common sense. – Der Ablehnung eines universalistischen Moralismus, wie er ihn durch die Frankfurter Schule repräsentiert sieht, und dem Sinn für das anthropologisch fassbare Individuelle entspricht schließlich Lübbes Rekurs auf das ethisch „Selbstverständliche“: Traditionen und Konventionen, Urteilskraft und praktische Vernunft sind für ihn die entscheidenden Quellen gelebter Sittlichkeit. Eine herausragende Bedeutung kommt dem common sense zu. Als „Instanz lebenspraktischer Handlungsregeln in 38

Ders., „Preis der Freiheit“, in: H.M. Baumgartner (Hg.), Prinzip Freiheit. Eine Auseinandersetzung um Chancen und Grenzen transzendentalphilosophischen Denkens. Freiburg/Br. u.a. 1979, 195. 39 H. Lübbe, „Dezisionismus – eine kompromittierte politische Theorie“, in: ders., Philosophie nach der Aufklärung (Anm. 2), 161-177. 40 Ders., „Aneignung und Rückaneignung“ (Anm. 16), 342. – Die Situation des „Ausnahmezustandes“, der für den Dezisionismus bei Carl Schmitt grundlegend war, wird dabei im Sinne von definierter Verantwortbarkeit politischer Entscheidungen in einem komplexen System der Gewaltenteilung gedeutet. 41 Vgl. H. Lübbe, „Rationalisierung der Politik“, in: ders., Theorie und Entscheidung (Anm. 21), 60: „Politik ist, formal betrachtet, die Kunst, in Gremien, die zu entscheiden haben oder deren Meinung für sich zu haben belangvoll ist, Zustimmungsbereitschaften zu erzeugen; schärfer formuliert: Politik ist die Kunst, Machtlagen, das heißt zum Beispiel Mehrheitsverhältnisse auszubauen, auf deren Grundlage es dann möglich wird, was man in jeder Hinsicht gut begründet will durchzusetzen.“

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Kombination mit der Fähigkeit [...], die Situation in ihrer Anwendbarkeit zu identifizieren (Urteilskraft)“42 gilt er Lübbe als ein Kennzeichen für die Demokratiefähigkeit moderner Gesellschaften. Seine Prägung verdankt er nicht zuletzt der Religion. Unter dem Vorzeichen einer Trennung von Politik und lebensorientierender Wahrheit ist es das grundlegende Vertrauen auf die Urteilsfähigkeit der Individuen, das dem Lübbeschen „Liberalismus“ sein eigentümliches Profil verleiht.43 3. Kulturphilosophie In unmittelbarer Kontinuität zu Lübbes geschichtsphilosophischen Überlegungen steht auch sein kulturphilosophisches Schrifttum, das seit Mitte der 1970er Jahre einen besonderen Schwerpunkt seines Schaffens bildet. In der öffentlichkeitswirksamen Gestalt von Essays, Glossen, Leitartikeln und Stellungnahmen in Tageszeitungen tritt es verstärkt neben die im engeren Sinne fachwissenschaftliche Beiträge.44 Angelpunkt der Kulturphilosophie Lübbes ist dabei ein bestimmter Begriff von Fortschritt. Auf ihn und seine Ausformung im Kontext der gesellschaftlichen Diskussionen der damaligen Zeit – namentlich in der Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas und der Frankfurter Schule – konzentrieren sich die Ausführungen von Georg Kohler „Aktualität und Orientierung oder: Wie man ein vernünftiger Zeitgenosse bleibt. Zu Hermann Lübbes Theorie der Fortschrittsmoderne“45. Lübbes Fortschrittsbegriff schließt unmittelbar an die im geschichtsphilosophischen Kontext erhobenen Motive von Kontingenz und Kompensation an. (1) Fortschritt als Orientierungsproblem. – Gemäß dem Verhältnis von Kontingenz und Handeln bestimmt er Fortschritte als „Prozesse, die sich nach Analogien von Handlungsvorgängen verstehen lassen; Fortschritte sind nicht Planrealisationen; Fortschritte sind […] Prozesse ohne Handlungssubjekt. Fortschritt ist eine selbststeuernde, gerichtete Entwicklung sozialer Systeme.“46 Von hier aus umfasst der Begriff des Fortschritts neben dem Bewusstsein (a) für ein messbares Wachsen der Menge des Neuen pro Zeiteinheit und (b) für dessen Ordnung in einer gerichteten Reihe (c) die Annahme einer 42

Ders., „Wieso es keine Theorie der Geschichte gibt“, in: ders., Philosophie nach der Aufklärung (Anm. 2), 119. 43 Vgl. Lübbes Bestimmung der liberalen Demokratie als ein „System der maximalen Begrenzung derjenigen Lebensbereiche und Lebensentscheidungen, über die in einen Rechtfertigungsdiskurs einzutreten wir gezwungen werden können. Es gilt Mehrheit vor Wahrheit […]. Liberal gilt der Grundsatz: so viel Zuständigkeit demokratisch gebildeten Mehrheitswillens wie nötig; so viel mehrheitsentscheidungskompetenzfreie Lebenswirklichkeit wie möglich“ (ders., Die Aufdringlichkeit der Geschichte, Graz – Wien – Köln 1989, 100). – Themenfelder der politischen Philosophie Lübbes sind u.a. das Verhältnis von Politik und Sprache, die Beziehung von Wissenschaft und Politik, sowie der Zusammenhang von Ideologie und Politik. 44 Als für alle weiteren Beiträge in dieser Hinsicht grundlegend hebt G. Kohler den Sammelband Fortschritt als Orientierungsproblem. (Anm. 34), hervor, den er zur Basis seiner Darstellung macht. – Lübbe hat seine wichtigsten auf Öffentlichkeitswirksamkeit angelegten Beiträge durchgängig in Sammelbänden zugänglich gemacht. – Vgl. ferner die Monographien Zeit-Verhältnisse (Anm. 37); Der Lebenssinn der Industriegesellschaft, Berlin – Heidelberg – New York u.a. 1990, 21994; Im Zug der Zeit, Berlin – Heidelberg – New York u.a. 1992, 32003; Die Zivilisationsökumene, München 2005. 45 Vgl. unten S. 83-100. 46 H. Lübbe, Fortschritt als Orientierungsproblem (Anm. 34), 47.

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Ziellosigkeit und Nichtprognostizierbarkeit dieses Ablaufs. – Unter dem Vorzeichen seiner grundsätzlichen Bejahung47 stellt sich der Fortschritt für Lübbe von hier aus vor allem als „Orientierungsproblem“ dar – wobei es weniger die „Folgen aufgehaltenen Fortschritts“ als die „Nebenfolgen längst stattfindender Evolutionen und Revolutionen“ sind, die „uns zu schaffen machen“48. Im Unterschied zu Jürgen Habermas geht es Lübbe nicht um die noch uneingelösten Versprechen von Solidarität, individueller und kollektiver Autonomie und die Vision eines diskursethischen Entwicklungsprojekts, die sich mit dem Gedanken des Fortschritts verbinden lassen, sondern um die lebensdienlichen Errungenschaften der Moderne und den pragmatischen Umgang des Menschen mit den nicht beabsichtigten „Nebenwirkungen ihres Erfolges“. In Absetzung vom „heißen“ Fortschrittsbegriff der Frankfurter Schule lässt sich der Lübbesche Fortschrittsbegriff daher als ein „kühler“ charakterisieren: Statt mit ideologischem Interesse den Fortschritt voranzutreiben gilt es, auf seine Folgelasten mit praktischem Sachverstand und pragmatischer Vernunft zu reagieren. (2) Fortschrittsreaktionen. – In den verschiedenen Diskussionskontexten jener Jahre finden die Lübbesche Theorie der Fortschrittsmoderne und sein Konzept von „Aufklärung in der Gegenwart“49 die entsprechende Profilierung. Es ist gekennzeichnet von einem grundsätzlichen Vertrauen in die wissenschaftlich-technische Zivilisation, dem Sinn für die „Vernünftigkeit des Bestehenden“ und einem Zutrauen in die moralische Kompetenz des Einzelnen, in seine Urteilsfähigkeit und Eigeninitiative: Gegen Max Horkheimers Verdächtigung der „instrumentellen Vernunft“ hebt Lübbe das unterscheidend nicht-instrumentelle, menschliche Handlungsbewusstsein der Angehörigen technischer Berufe hervor, gegen das Anliegen kritischer Neuerung verteidigt er die Begründungsbedürftigkeit des Fortschritts mit Hilfe der sog. „Beweislastverteilungsregel“, und gegenüber umfassenden Vorschlägen zur Verbesserung komplexer Sozialsysteme beharrt er auf einer Orientierung am Einzelfall und verweist auf die Bedeutung des common sense, dem angesichts einer immer differenzierteren Zivilisation eine kompensatorische Funktion zukommt. Lübbes kulturphilosophische Stellungnahmen stehen hier in unmittelbarer Kontinuität zu seinen politischen Überlegungen. (3) Fortschrittsdynamik. – Die grundlegende Problematik des Fortschritts besteht neben seiner wachsenden Komplexität vor allem in seiner zunehmenden Geschwindigkeit: Je schneller sich unsere Gesellschaft verändert, desto größer werden die Probleme und Orientierungskrisen. Das Thema Zeit gewinnt von hier aus eine eigene Bedeutung. 47 Vgl. ders., Zeit-Verhältnisse (Anm. 37): „Fortschritt – das ist der gerichtete zivilisatorische Wandel, zu dem wir uns aus praktischen Gründen zustimmend verhalten.“ 48 Ders., Die Aufdringlichkeit der Geschichte (Anm. 43), 8. – W. Vögele, Zivilreligion in der Bundesrepublik Deutschland (Anm. 16), 83, bezeichnet diesen Gedanken als die „einzige Fundamentalerfahrung“, die Lübbe in allen seinen kulturphilosophischen Beiträgen variiert. Die Unterscheidung von beabsichtigten positiven Folgen des Fortschritts und nicht-intendierten Nebenfolgen erlaubt es Lübbe dabei, an der Zustimmung zum Fortschritt festzuhalten, ohne dessen negative Auswirkungen aus dem Blick zu verlieren. „Grenznutzen“, „Ziel-“‚ und „Steuerungskrise“ sind von hier aus weitere Kernbegriffe von Lübbes Fortschrittsapologie. 49 Vgl. H. Lübbe, Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse (Anm. 17), 298f.: „Aufklärung ist die Kultur des Desinteresses, in der Praxis der Begründung von Annahmen über die Wirklichkeit zu diesen und keinen anderen Annahmen zu gelangen.“

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Ihre gegenwärtige Wahrnehmung ist geprägt von einer zunehmenden Dynamik gesellschaftlicher Änderungsprozesse. „Mit der Steigerung der Geschwindigkeit zivilisatorischer Evolution unterliegt die Gegenwart, also derjenige Zeitraum, über den wir mit einer gewissen Konstanz unserer Arbeitsbedingungen rechnen können, einer Schrumpfung.“50 Eltern und Kinder teilen nicht mehr dieselben Lebensverhältnisse. Aus der Einsicht in die „Gegenwartsschrumpfung“ ergibt sich ein besonderes Verhältnis zu Vergangenheit und Zukunft und damit die Verbindung zu den o.g. Überlegungen zur Kompensationsfunktion der historischen Kultur: Je rascher sich die Lebensverhältnisse ändern und die vergangenen Zeiten zu fremden werden, desto mehr brauchen wir die Geschichte, um aussagbar zu behalten, wer wir sind.51 (4) Fortschrittskompensationen. – Insbesondere im Rahmen von Lübbes Gegenwartsanalysen und Zeitdiagnosen zu den Prozessen der modernen Zivilisation findet das Motiv der Kompensation seine Entfaltung: „Der Zivilisationsprozeß belastet das Dasein in der gegenwärtigen Welt mit Erfahrungsverlusten.“52 Entsprechend bedarf es kompensierender Maßnahmen, diese Erfahrungsmängel auszugleichen. Unter dem Vorzeichen des steigenden Tempos moderner Zivilisationsprozesse werden verschiedene kompensierende Faktoren für den Menschen in der modernen Welt von immer größerer Wichtigkeit. Je moderner wir leben, umso größere Bedeutung erlangen neben der bereits genannten historischen Kultur (a) Moral, (b) Demokratie und (c) Religion. Z.T. wider Erwarten erscheinen sie als „Modernisierungsgewinner“53: Denn (a) je größer unsere Freiheit und unsere individuelle Wahlmöglichkeiten in der gegenwärtigen Welt werden, desto notwendiger werden die Grundsätze der Moral und des Gewissens, (b) je unauflöslicher wir politisch in suprastaatlichen Gebilden in der zusammenwachsenden Welt miteinander verbunden sind, desto mehr sind wir angewiesen auf Selbstbestimmung in Form direkter Demokratie, und (c) je mehr wir aufgrund von Technik und Fortschritt vermögen, desto aufdringlicher werden die Erfahrung von Kontingenz und die Notwendigkeit von Religion. 4. Religionsphilosophie In verschiedenen Linien laufen die Teile der Lübbeschen Philosophie auf seine Religionsphilosophie zu, die Holger Zaborowski in seinem Beitrag „Kontingenzbewältigung in der Moderne. Zu Hermann Lübbes Verständnis von Religion und Aufklärung“54 darstellt. 50

Ders., Der Lebenssinn der Industriegesellschaft (Anm. 44), 155. Lübbe exemplifiziert dies an verschiedenen Bereichen, wie Friedhofskultur oder Archivwesen, Denkmalschutz oder Museumskultur. – Eine besondere Bedeutung gewinnt für ihn das „Klassische“, und zwar keineswegs im bildungsbürgerlichen Sinne: „Soweit wir im Kontext avantgardistisch beschleunigter kultureller Abläufe ihres innovatorischen Reichtums wegen gegenwartsnahe Vergangenheiten nicht mehr historisch zu verarbeiten wissen, wird klassisch um so interessanter. Klassisch ist, was alt und nichtsdestoweniger nicht veraltet ist.“ (ebd., 122). 52 Ders., „Erfahrungsverluste und Kompensationen. Orientierungsprobleme modern“, in: Der Mensch als Orientierungswaise? (Anm. 26), 145. 53 Vgl. ders., Modernisierungsgewinner. Religion, Geschichtssinn, Direkte Demokratie und Moral, München 2004. 54 Vgl. unten S. 101-116. 51

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(1) Religion als Kontingenzbewältigungspraxis. – Bereits die wesentliche Beschreibung religiöser Praxis als „Kontingenzbewältigungspraxis“55 korrespondiert einem der Grundmotive der Philosophie Lübbes, das bereits im geschichtsphilosophischen Kontext sichtbar geworden war: „Moderne Geschichtserfahrung ist Kontingenzerfahrung, und Religion ist Antwort auf Kontingenzerfahrung und hält damit zugleich für sie offen.“56 Im Zentrum von Lübbes Religionstheorie stehen somit jene Bestände menschlichen Daseins, die wir als für uns unverfügbar erfahren und die wir weder denkend noch handelnd einholen können. Als Beispiele nennt er die Erfahrungen von Geburt oder Tod.57 Der Sinn der Religion besteht darin, uns in „ein vernünftiges Verhältnis zum Unverfügbaren“58 zu setzen, d.h. die mit den genannten Daseinswirklichkeiten gegebene Kontingenz nicht zu vermeiden, sondern sie anzuerkennen und zu bewältigen. – In ihrer Unverfügbarkeit besitzen diese kontingenten Wirklichkeiten zugleich eine Indifferenz und Resistenz gegenüber jenen kulturellen Prozessen, die mit Aufklärung und Moderne verbunden sind: Letztere können nie zu einer Beseitigung oder Aufhebung derjenigen Bedingungen führen, die Religion notwendig machen und auf die der Mensch in der Religion antwortet. Dies ist für Lübbe auch der Grund dafür, die Religionskritik des 19. Jahrhunderts und deren theoretische Voraussetzungen in einer Metakritik als realitätsfernen Illusionismus zu kennzeichnen und im Gegensatz zu deren Annahmen nicht das Verschwinden der Religion, sondern ein verstärktes Interesse an ihr plausibel machen zu können. (2) Funktion der Religion. – Lübbes pragmatische Bestimmung der Religion mit Blick auf ihre Funktion besitzt ihren entscheidenden Bezugspunkt im lebenspraktisch orientierten Menschen und seinen religiösen Vollzügen. Dies bedingt ihre individualistische Tendenz. Es bedingt zugleich ihren theoretischen Status, für den die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenperspektive, zwischen religiöser Praxis und Religionstheorie von entscheidender Bedeutung ist: „Die Charakteristik der Religion durch die Funktion der ‚Kontingenzbewältigung‘ hat nicht den Zweck zu sagen, was die Religion, im Unterschied zum Selbstverständnis dieser bestimmten Religion, statt dessen sei. Ihr einziger Zweck ist, die Religion von anderen Medien des Lebensvollzugs in einer Weise zu unterscheiden, die sichtbar macht, wieso es unsinnig wäre zu erwarten, daß die Funktion der Religion fortschrittsabhängig eines Tages entfallen könnte. […] Die Charakteristik der Religion durch die Funktion der Kontingenzbewältigung bezieht die Religion auf diejenige Funktion, in der sie nicht durch irgend etwas anderes substituierbar ist.“59 – In dieser singulären Funktion profiliert Lübbe die Religion insbesondere gegenüber der Wissenschaft und der Politik: Insofern die Aussagen der neuzeitlichen Wissenschaft sukzessive ihre lebensweltliche Relevanz verloren haben, besitzen sie keinen quasi-religiösen Charakter mehr, der in 55 Vgl. H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung (Anm. 2), 160-178; ferner ders., Säkularisierung (Anm. 17). 56 Ders., „Heilsmythen nach der Aufklärung. Geschichtsphilosophie als Selbstermächtigungsideologie“, in: J. Taubes (Hg.), Religionstheorie und Politische Theologie. Band 3: Theokratie, München – Paderborn – Wien – Zürich 1987, 290. 57 Vgl. H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung (Anm. 2), 124. – Es ist näherhin die Unterscheidung zwischen (1) Kontingenzen, die potenziell in Handlungssinn transformierbar sind, und (2) Kontingenzen, die prinzipiell nicht in Handlungen umgewandelt werden können, die Religion notwendig macht. 58 Ebd., 231. 59 Ebd., 227.

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einem Konflikt zur Religion stünde.60 Auch Religion und Politik sind im Verlauf erfolgreicher Säkularisierung durch die politische Neutralisierung der religiösen Wahrheitsfrage gegeneinander frei geworden und können sich auf ihre eigenen Aufgaben beschränken. Religiöses und aufgeklärtes Verhalten sind keine Gegensätze mehr, sondern ergänzen einander wechselseitig. (3) Zivilreligion. – Unter die Funktionen, die Religion unter den Bedingungen der Moderne erfüllt, zählt Lübbe auch die Zivilreligion. Er bestimmt sie als das „Ensemble derjenigen Bestände religiöser Kultur, [a] die in das politische System integriert sind, [b] die somit auch den Religionsgemeinschaften nicht als ihre eigene interne Angelegenheit überlassen bleiben, [c] die in dieser Charakteristik Bürger auch in ihrer religiösen Existenz an das politische Gemeinwesen binden und [d] dieses Gemeinwesen selbst in seinen Institutionen und Repräsentanten als in letzter Instanz religiös legitimiert sichtbar machen.“61 Als „Religion des Bürgers“ dient Zivilreligion dem Staat gleichermaßen als Stabilisierung wie als Entlastung: Im Vollzug zivilreligiöser Formen und Riten, die als Medien der Zustimmung fungieren, erfährt der Staat einerseits seine Legitimation, andererseits wird er durch sie zugleich auf die eigene Unverfügbarkeit verwiesen, sich selbst letzte Ziele vorzugeben, er wird m.a.W. zur Anerkennung und Bewältigung der eigenen Kontingenz veranlasst. Insofern kommt der Zivilreligion sowohl gegenüber politischen Ideologien mit einem quasi-religiösen Anspruch wie gegenüber politisierten Theologien, die Politik und Religion mit ihren je eigenen Absolutsetzungen belasten, Bedeutung zu. Als Instrument einer Pragmatisierung der Politik vermag Lübbes Konzept von Zivilreligion sich daher nicht zuletzt angesichts aktueller Herausforderungen durch religiösen Fundamentalismus und (neuen) Atheismus zu bewähren. Im Sinne der Zugänglichkeit – und insofern ebenfalls in einem pragmatischen Sinne – berücksichtigen die verschiedenen Entfaltungen zur Philosophie Hermann Lübbes in ihrer Darstellung jeweils einen vierfachen Gesichtspunkt: (1) Sie orientieren sich an den zentralen Begrifflichkeiten der Lübbeschen Philosophie und machen so deren Kerngedanken und wichtigsten Argumentationsfiguren sichtbar. (2) Sie benennen und erläutern überdies die bedeutendsten Schriften Lübbes zum jeweiligen Themenbereich und geben dadurch Anhaltspunkte für einen Überblick über sein weites Schrifttum. (3) Sie weisen hin auf die größeren philosophischen und geistesgeschichtlichen Traditionen, in denen er steht, und ordnen seine Positionen ein in den Kontext philosophiehistorischer Entwicklungen. (4) In der Formulierung von Anfragen und Diskussionsbeiträgen treten sie schließlich ein in das philosophische Gespräch mit Hermann Lübbe und über sein Denken. Aus der Perspektive verschiedener Generationen von Wissenschaftlern formuliert, lassen sie die Philosophie Lübbes dabei in einer besonders vielseitigen Brechung erscheinen. 60 Die Feststellung steht im Kontext der Frage nach der Legitimation von Wissenschaft in der modernen Kultur, für die Lübbe als Gründe (1) Neugier (curiositas) und (2) praktische Relevanz anführt, sowie der Überlegungen zu Legitimationsverlust von Wissenschaft, Wissenschaft und Technikfeindschaft. 61 Ebd., 308.

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III. Rückblick Unter der Überschrift „Rückblick“ ist es schließlich das Anliegen eines ausführlichen Interviews („Lebenserfahrung und pragmatische Vernunft. Ein Gespräch zu Leben und Werk“)62, Hermann Lübbe die Möglichkeit zu geben, auf diese Gesprächsbeiträge zu antworten. Dies geschieht unter der leitenden Frage nach den Voraussetzungen und Gründen seines pragmatischen Stils. Sind diese – wie gesagt – weniger in Prinzipien oder Normen als in Lebenserfahrung zu suchen, so kann – in Ergänzung zu den punktuellen Bemerkungen in seinem eigenen Beitrag – mit der Rückbindung seiner Positionen an verschiedene zeitgeschichtliche und biographische Stationen der Denker in seiner Zeit und hinter der Philosophie der Philosoph und Mensch Hermann Lübbe sichtbar werden.63 Eine „Pragmatische Bibliographie“64 will schließlich zur Weiterbeschäftigung mit dem Denken und den Schriften Lübbes einladen. Sie heißt „pragmatisch“, insofern sie unter der Vorgabe beschränkten Raumes in der Weise einer repräsentativen und geordneten Auswahl einen Überblick über das philosophische Schaffen Lübbes geben möchte. Für die Hilfe bei der bibliographischen und redaktionellen Arbeit gilt mein besonderer Dank Frau Victoria Laszlo vom Philosophischen Seminar der Universität Zürich. Die Beiträge dieses Bandes gehen zurück auf eine Offene Akademietagung der Thomas-Morus-Akademie Bensberg am 21./22. Juni 2008, die der Philosophie Hermann Lübbes gewidmet war. Ihre Publikation möchte den Dank ihrer Autoren gegenüber Hermann Lübbe zum Ausdruck bringen.

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Vgl. unten S. 119-144. Biographisches findet sich ferner in: „Hermann Lübbe, Zürich, 26. Februar 1976“, in: J. Schickel (Hg.), Grenzenbeschreibung. Gespräche mit Philosophen. Aus einer Sendereihe des NDR, Hamburg 1980, 121-146; ders., „Zusammenfassende Diskussionsbemerkung“, in: Forum für Philosophie Bad Homburg (Hg.), Zerstörung des moralischen Selbstbewußtseins: Chance oder Gefährdung? Praktische Philosophie in Deutschland nach dem Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1988, 229-237, v.a. 230-234; ders., „Die zweite deutsche Demokratie in Ja-Sager-Perspektive. Ein Interview“, in: ders., Vom Parteigenossen zum Bundesbürger, München 2005, 115-135. 64 Vgl. unten S. 145-174. 63

I. Grundlegungen

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Philosophie im 20. Jahrhundert – wie ich sie kennen lernte Je älter wir werden, umso mehr hat man zu berichten. In veränderungsträchtigen Zeiten, die die Gegenwart, das heißt die Menge der Jahre einigermaßen konstanter Lebensverhältnisse, schrumpfen lassen, gilt das erst recht. Entsprechend häufiger findet man sich als Senior biographisch befragt, und so hatte ich in den jüngstvergangenen zwei Jahren viermal in Interviews zu erklären, wieso ich denn Philosoph geworden sei. Mehr noch als bei anderen Berufen liegt die Frage nach dem Lebensweg, der in den Beruf eines Philosophen führte, der besonderen Voraussetzungen des Philosophenberufs wegen tatsächlich nahe. Unbeschadet der Zahl der Philosophieprofessoren, die heute ungleich größer ist als kultur- und wissenschaftsgeschichtlich jemals zuvor, ist selbst die anspruchsvollere akademische Berufsberatung mit dem Wunsch, man möchte „Philosoph“ werden, so gut wie nie konfrontiert. Und auch im familiären Milieu würde die Bekundung eines im Übrigen als gescheit geltenden Jugendlichen nach seinem Schulabschluss, er möchte Philosoph werden, je nach Gesprächskontext entweder Belustigung oder Besorgnis auslösen. Das ist die eine Seite der Sache. Ihr entspricht auf der anderen Seite eine Präsenz der Philosophie in unserer kulturellen Öffentlichkeit, die sie herausgehoben und unübersehbar sein lässt. Diese kulturelle Präsenz der Philosophie hat sogar einen Charakter von gemeiner Selbstverständlichkeit, der uns überrascht sein lässt, wenn wir auf sie einmal ausdrücklich aufmerksam werden, und gerade auch für den philosophisch Desinteressierten gilt das. Ich schildere das exemplarisch mit Rekurs auf einige Elemente meines Schüleralltags im ostfriesischen Aurich. Sie sind repräsentativ, weil ja, was sich allein schon im Landstädtchen Aurich an Philosophie öffentlich unübersehbar machte, an den großen Plätzen der europäischen Philosophie von Athen bis Cambridge oder von Jena bis Heidelberg erst recht seine Gegenwart hat. Also: Der schönste Teil meines alltäglichen Schulwegs führte am Rand der Altstadt zwischen einem parkähnlichen großen Garten und dem Schloss durch eine exklusiv Fußgängern vorbehaltene Passage von betriebsamkeitsfreier Ungestörtheit. Man darf es konventionell nennen, dass diese Passage „Philosophenweg“ genannt wurde. Die nahegelegene Schule befand sich in einem 1908 errichteten Neubau. Gemäß der Mitteilungsfreudigkeit des architektonischen Historismus präsentierte er sich im Stil der NeoRenaissance und repräsentierte damit einen bildungspolitischen Anspruch, dessen Philosophie uns die Neuhumanisten unter unseren Lehrern gelegentlich zu erläutern wussten. Das Tonnengewölbe der Aula war von einem Gerüst von Balken gestützt, die sinn-

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reich mit kanonischen Worten der religiösen, philosophischen und literarischen Überlieferung Europas beschriftet waren. So oft man den Blick nach oben lenkte, fand man sich mit dem Eingangssatz des vierten Evangeliums konfrontiert, oder auch mit Hamlets philosophieskeptischem Wort zu Horatio. Der unüberbietbare Auftakt der aristotelischen Metaphysik, wonach alle Menschen von Natur aus nach Wissen streben, war zu lesen, und der große Eingangssatz der Nikomachischen Ethik auch noch, wenn anders ich mich korrekt erinnere. In modernistischer Verbeugung vor der damals ganz neuen Philosophie wurde sogar Nietzsche zitiert. Darauf ist noch zurückzukommen. Unter den Portraits an der Wand der Aula zeigte das größte den Alt-Schüler Rudolf Eucken, der, immerhin, als bislang einziger unter den deutschsprachigen Philosophen 1908 den Nobelpreis erhalten hatte. Noch einmal also: Schon in kleinstädtischer Gymnasiastenperspektive erschien die Philosophie als ein Element unserer öffentlichen Kultur von herausgehobenem Rang, und auch in privaten Lebensverhältnissen brachte sich das zur Geltung. In der Handbibliothek meiner Klavierlehrerin fand ich das Buch des Physikers und Philosophen Hermann von Helmholtz zur Phänomenologie und Physik der Tonempfindungen. Ein Studienrat, den man seiner speziellen philosophischen Interessen wegen gelegentlich einen „Positivisten“ nennen hörte, lieh mir bei gegebenem Anlass Wilhelm Wundts Essays mit besonderem Hinweis auf das Kapitel „Gehirn und Seele“. Aus der Bibliothek meines Großvaters, eines Dorfschullehrers, übernahm ich Die Welträtsel Ernst Haeckels. Haeckel, gewiss, war als Zoologe berühmt. Aber die Vorstellung, die sich für den Schüler mit dem Wort „Philosophie“ verband, schloss deren Mitzuständigkeit für die Lösung von „Welträtseln“ ein, und somit musste auch sogar Haeckel, als prominentester Kollege Rudolf Euckens in Jena, als Philosoph gelten. In der kleinen häuslichen Bibliothek meines Vaters, der ein kommunales Bauamt leitete, fand sich neben meliorationstechnischer, wasserbaurechtlicher und sonstiger Fachliteratur sowie neben den üblichen Hausbüchern von der Bibel über Gesangsbücher bis zum Gesundheitsratgeber allerlei Klassik ohnehin, in Reclam-Ausgaben selbstverständlich auch Philosophie, von etlichen Dialogen Platons über den wichtigsten Essay John Lockes bis hin zu den großen Kritiken Kants. In Gesamtausgaben waren Schopenhauer und Nietzsche vorhanden. In der Hausbibliothek einer katholischen Schulfreundin, deren Vater politisch der ZentrumsTradition entstammte, stand auch eine weitverbreitete deutschsprachige Übersetzung der Theologischen Summe Thomas von Aquins, was einen Vorbegriff von „weltanschaulich“, wie man damals sagte, und politisch bedingten philosophischen Präferenzen vermittelte. Es erübrigt sich, mit weiteren exemplarischen Erinnerungen die Zugehörigkeit der Philosophie zur gemeinen Lebenskultur zu belegen – mit Straßennamen, Denkmälern sogar, bis hin zu den so genannten Philosophischen Fakultäten, an denen unsere Lehrer – einschließlich der Mathematiker und Naturwissenschaftler unter ihnen – ausnahmslos studiert hatten. Die Meinung, bei dieser massiven Präsenz der Philosophie bereits in der Alltagswelt eines Gymnasiasten habe sich ja dann auch in plausibler Weise der Wunsch ergeben müssen, später selber einmal Philosophie zu studieren, verbindet sich aber mit dem skizzierten Bild kultureller Gemeinverbreitung der Philosophie gerade nicht. Mit der

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Philosophie verhält es sich insoweit vergleichsweise wie mit anderen Lebensmächten auch, die von der schönen Literatur bis zum Sport bis in den Alltag hinein Teil unserer Lebenskultur sind und die nichtsdestoweniger einen nur selten bewegen, Dichter oder Berufsgolfer zu werden. Entsprechend kann ich mich auch nicht erinnern, dass bei Gesprächen über Berufswünsche, wie sie im Abiturentenalter üblich sind, jemals das Wort „Philosoph“ gefallen wäre. Elterliche Ratgeber hätten darüber ohnehin den Kopf geschüttelt. Romantische Requisiten zur Verklärung der Freiheiten des Studentenlebens, die einen hätten verleiten können, liebhaberschaftlich viel Philosophie, in berufsvorbereitender Absicht aber gar nichts zu studieren, spielten in den frühen Nachkriegsjahren ohnehin keine Rolle. Es dominierten die disziplinierenden Traditionen der Universitätsreform Wilhelm von Humboldts, der das Studium in allen Fakultäten einschließlich der Philosophischen Fakultät eben als eine berufsvorbereitende Ausbildung verstanden und eingerichtet hatte. Im Kommilitonenmilieu meines Altersjahrgangs entschied man sich, gleichfalls traditionsbestimmt, mehrheitlich für ein Studium in den so genannten Oberen Fakultäten von der Theologie über die Jurisprudenz bis zur Medizin, wo die berufspraktische Nutzbarkeit der Studien keinerlei Zweifel aufwarf. Ich selber schrieb mich bei den Theologen ein und später überdies auch noch bei den Juristen. Wie gelangt man darüber zur Philosophie? Eher zufällig, womit ich sagen will: Nicht über die motivierende Macht von Zweifeln, über die man sich selbst zum Problem geworden und zu der falschen Hoffnung bewegt worden wäre, Philosophie sei ein geeignetes Medium zur Lösung dieses Problems. Der Besuch philosophischer Lehrveranstaltungen war stattdessen vom Interesse an jenen gemeinhin für erkenntnispraktisch, auch moralisch und politisch für bedeutsam gehaltenen Einsichten und Lehren bestimmt, die doch, wie geschildert, öffentlich sogar als inschriftentauglich galten, deren Autoren zum Klassikerkanon zählten, mit den ihnen gewidmeten Portraits öffentliche Festräume schmückten und mit ihren Namen Plätze und Alleen auszeichneten. Ins Studientechnische übersetzt heißt das: Der Weg in die Philosophie führte über das Nebenfach „Philosophie“. Der Terminus „Nebenfach“ will sagen: berufsvorbereitungspraktisch weniger wichtig. Aber im Falle der Philosophie besagt er zugleich auch: In sie sollte man einmal über das hinaus, wofür man fachlich speziell sich zuständig zu machen hat, Einblick genommen haben. In der Geschichte der Studienordnungen schlägt sich das nieder: Die Stärke der Nebenfachrolle der Philosophie ist hier unübersehbar und ihre Sonderrolle in obligaten propädeutischen Studien gleichfalls. Die Frage, wieso man denn zum Philosophen geworden sei, ist in meinem Falle also studienpraktisch die Frage nach den Anlässen und Gründen, die man hatte, aus einem gemeingeschätzten Nebenfach schließlich ein Hauptfach zu machen. Ich sagte schon: Das war in meinem Falle zufallsbedingt, also keine Planrealisation, auch nicht die Wirkung einer Erleuchtung und keine irresistible Attraktion höherer Zwecke. Auf den Hauptweg der Philosophie geriet ich kraft der ermunternden Wirkung von mannigfacher Zustimmung meiner akademischen und sonstigen Lehrer zu Fragen, die ich gelegentlich stellte – Fragen, die im Seminarbetrieb eher quer zum Unterrichtsprogramm standen, nichtsdestoweniger aber in einem weiterführenden Sinne zur Sache zu gehören schienen und deswegen dann und wann mit der Auskunft beschieden wurden, darüber müsse man einmal extra reden, das führe in die „Philosophie“.

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Das möchte ich exemplarisch anschaulich machen und damit zugleich den wichtigen Gemeingebrauch des Wortes „Philosophie“ explizieren, den ich soeben zitiert habe. Es handelt sich also um das Beispiel einer philosophischen Frage. Beispiele haben in der Geschichte der Begriffs- und Theoriebildung immer wieder einmal eine erwiesenermaßen prekäre Rolle gespielt, und zumal für die Geschichte der Philosophie gilt das. Entsprechend erinnere ich mich auch hier gern an eine von Heinrich Scholz, dessen dreisemestrige Einführung in die mathematische Logik ich besuchte, sogar mehrfach erwähnte Fälligkeit, dass endlich einmal eine kritische Geschichte des Beispielgebrauchs in der Philosophie erarbeitet und vorgelegt werde. Seinerseits formulierte Scholz drei Anforderungen, die ein gutes Exempel zu erfüllen habe – erstens müsse es „echt“ sein, das heißt nicht fingiert, vielmehr praktisch vorkommend und für die Teilnehmer an dieser Praxis als relevant erkennbar. – Zweitens müsse das Exempel für seinen Begriff oder auch für das Theorem, das man mit ihm veranschaulichen möchte, repräsentativ sein, so dass es für die Fülle analoger Fälle durchsichtig wird und damit zugleich die Signifikanz von Gegenbeispielen abschätzbar macht. – Drittens müsse das Beispiel, das ja seinen primären Ort in Vorlesungs- und Vortragszusammenhängen habe, einfach sein, nämlich aus didaktisch-rhetorischen Gründen. – Ich hoffe, dass ich mit meinem nun folgenden Beispiel für eine seminaristische Quer-Frage, die vom Professor als „philosophisch“ qualifiziert wurde, die Scholzschen Kriterien für ein gutes Exempel einigermaßen erfülle. Also: In einer Lehrveranstaltung des Faches „Praktische Theologie“ erwähnte der Professor das über Jahrzehnte hin meisterverbreitete Kinderfamilienspiel „Mensch, ärgere Dich nicht!“. Sein Dauererfolg erkläre sich aus der Evidenz des Lebensgewinns, der sich aus der großen Lebenskunst ziehen lasse, sich zur unvermeidlichen Kontingenz unserer Lebensabläufe in geeignete, nämlich hinnahmebereite Beziehung zu setzen. Meine Quer-Frage lautete: Da uns doch die Würfellose, statistisch gesehen, nach Nutzen und Nachteil auf lange Sicht hälftig zufallen, da überdies der Anteil der Geschicklichkeit an den sonstigen Faktoren des jeweiligen Spielausgangs sehr gering sei, dürfe insoweit das Spiel doch auch „Mensch, freue Dich!“ heißen. Den Jubel der Kinder, die gegen ihre Eltern gewonnen haben, hätten wir doch noch alle im Ohr. Wieso also stelle der Name des Spiels, statt auf die Ermunterung zur Freude, auf den Umgang mit dem Ärger ab? Der Professor lobte die Frage als „wichtig“, ließ sie aber dahingestellt sein – wohl wegen der Fülle der teils widersprüchlichen, teils sich ergänzenden Antworten, die spontan jedermann einfallen wollen, und die, explizit gemacht, die Seminarveranstaltung, die doch lediglich auf die lebenspraktische Bedeutung indisponibler und daher auch nach Kriterien der Gerechtigkeit schlechterdings nicht zurechenbarer Kontingenzen aufmerksam machen wollte, in ein philosophisches Kolloquium verwandelt hätten. Die Eigenschaften meiner Frage, die sie als respektable, aber momentan störende Philosophie zurückgestellt bleiben ließen, sind rasch aufgezählt: Erstens bezieht sie sich auf ein wichtiges Thema – im fraglichen Fall sogar statt auf ein logisches oder methodologisches Thema auf ein gemeines Lebensthema. – Zweitens bezieht sie sich damit auf ein Problem, das der Unentbehrlichkeit seiner Lösung wegen tatsächlich auch längst gelöst ist, ja: in der kulturellen Wohlvertrautheit dieser Lösung sogar Präsenz in einem Kinderspiel hat. – Drittens festigt die explizite, eben philosophische Vergegenwärtigung

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des Lebenssinns eines Spiels eben diesen Spielsinn. – Viertens wird mit der Vergegenwärtigung denkbarer Alternativen zur sogar spielerisch dominant gewordenen Lösung eines Lebensproblems die Triftigkeit dieser Lösung bekräftigt. – Fünftens wird damit die fragliche Alternative zu dieser Lösung – im exemplarischen Fall also die Kunst, sich des Glücks im Leben zu erfreuen – sogar als ein Medium der ungleich schwierigeren Kunst sichtbar, mit dem Unglück zu leben. – Sechstens ermuntert diese Philosophie auch noch zum Respekt vor der praktischen Bedeutung der kognitiven Gehalte unserer Lebensorientierung – im exemplarischen Fall der statistischen Trivialitäten des Würfelspiels, was uns dann auch für weniger triviale Fälle lehrt, was es heißt, mit Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten zu leben. Diese den anderen Personen, den eigenen Lehrern zumal, wie schließlich auch einem selbst auffällig gewordene Neigung, in Sach- und Fachzusammenhängen Quer-Fragen des exemplarisch skizzierten Typus zu stellen, versetzte einen allmählich in die Philosophie, die ja, wenn nicht als bürgerlicher Beruf, so doch als traditionsreiches akademisches Fach im Wesentlichen unangefochten existent war und allerlei Fachleute beschäftigte. Alles Übrige war dann, wie überall im Studium, Interesse, das mit seiner produktiven Betätigung fortschreitend an Intensität gewinnt und auch die Erfüllung curricular wohl geregelter Anforderungen leicht macht – vom schon erwähnten logischen Propädeutikum bis zur Lektüre der Klassiker und von den Forschungsbeiträgen zur Erweiterung und Emendation ihrer Kenntnis bis zur Teilnahme an fälligen Fortschreibungen der Gegenwartsphilosophie, bei der in meinem eigenen Fall die Analytik historischer Prozesse in ihrer Indifferenz gegenüber dem Unterschied von Natur und Kultur besonders wichtig war, überdies die Einsicht in die Unvermeidlichkeit und damit Hegungsbedürftigkeit des politischen Streits um Worte, was dann auch für Theorie und Praxis der Begriffshistoriographie von fundamentaler Bedeutung werden sollte, bis hin zu einem Verständnis zivilisatorischer Modernisierung, das plausibel macht, wieso in eins mit der Verwissenschaftlichung und Technisierung unserer Lebensvoraussetzungen die Ansprüche des so genannten common sense, politisch-institutionell Demokratisierung erzwingend, unabweisbarer werden, wieso überdies komplementär zur Dynamisierung der zivilisatorischen Evolution deren Selbsthistorisierung kulturell expandiert und wieso schließlich auch noch, komplementär zur technischen und organisatorischen Expansion unserer zivilisatorischen Könnerschaften, Kontingenzerfahrungen aufdringlicher werden, auf die sich rational einzig religiös antworten lässt. – So also gelangte ich in die Philosophie und zur eigenen Philosophie, und dass sich dann daraus auch ohne jede Sonderbegünstigung rasch ein Beruf machen ließ, ist mit dem Hinweis auf die historisch singuläre Expansion des Universitätssystems in dem Vierteljahrhundert nach 1960 erklärt, über die sich auch die Zahl der philosophischen Assistenturen, Dozenturen und Professuren vervielfachte. Es versteht sich von selbst, dass eine Philosophie, die Aufmerksamkeit verdient und schließlich auch findet, aus der Philosophie ihrer Zeit erwachsen, sich an ihr messen und abarbeiten und in Verhältnissen der Übereinstimmungen oder auch des Widerspruchs eigenen Stand gewinnen muss. Mein Interesse für das, was andere Leute im Fache machen, war dabei eher überdurchschnittlich weitgespannt. Heidegger oder auch

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Jaspers verachteten bekanntlich den „Betrieb“ und bekundeten das, durchaus betriebsam, in Vorträgen und auf Kongressen. Meinerseits habe ich Philosophiekongresse, national und international, gern besucht, weil es keine kompakteren Möglichkeiten der Kenntnisnahme dessen gibt, was es alles jenseits des engen Kreises eigener Bemühungen auch noch gibt. Was dazu in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gehörte – das lässt sich hier enzyklopädisch nicht mitteilen. Wen es interessiert, möge Kongressdokumentationen lesen. Hier möchte ich stattdessen ankündigungsgemäß über Philosophie im 20. Jahrhundert sprechen, „wie ich sie kennen lernte“, nämlich in ihren Ansprüchen und Einsichten, politisch-öffentlichen und akademisch-wissenschaftlichen Wirkungen, die für meine eigene Arbeit prägend geblieben sind. 1. Philosophie als politische Ideologie Akademische Esoteriker unter den Philosophen neigen dazu, Ideologien, näherhin die Hochideologien, in ihrer Rolle als Legitimationsinstanzen der modernen totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts aus dem Begriff der Philosophie überhaupt auszuscheiden. Das ist ebenso unzweckmäßig, wie es wäre, unter den Begriff der Religion exklusiv „nette Religionen“, wie Robert Spaemann sagte, zu subsumieren. Jeder gibt doch zu, dass es absurd wäre, Karl Marx den Prädikator eines Philosophen zu verweigern, und der deutsche Philosoph Karl Marx war nun einmal die mit Abstand wichtigste ideologische Autorität in den totalitären Systemen internationalsozialistischer Prägung. So muss man sagen: Nie war die öffentliche politische Geltung der Philosophie stärker als in den ideologisch integrierten und legitimierten Herrschaftssystemen des jüngstvergangenen Jahrhunderts. Sie hatte als Ideologie den Status einer festgeschriebenen Orthodoxie – institutionell kontrolliert und sanktioniert, katechismusförmig aufbereitet, obligater Lehrstoff mit dem Inhalt der wichtigsten Werte und Wahrheiten unseres individuellen und kollektiven Lebens in allen seinen Aspekten, durch Ketzergerichte geschützt und die politische Fundamentalunterscheidung von Freund und Feind sichernd. Es war nicht möglich, während des Kalten Krieges in der Rolle eines Philosophen nicht beeindruckt zu sein, wenn man bei den internationalen Kongressen von Prag über Ost-Berlin bis nach Moskau an den Stirnwänden der Säle die Transparente mit den gestaffelten ReliefKöpfen der vier wichtigsten Menschheitsführer ausgespannt sah – darunter zwei bärtige Deutsche, nämlich Engels und Marx vor Lenin und Stalin oder auch für den zuletzt Genannten ersatzweise in Peking Mao. Dass uns das auch außerhalb des damals sich einrichtenden Weltfriedenslagers zu beschäftigen haben werde, ging mir zum ersten Mal am Ende des Jahres 1945 in sowjetischer Gefangenschaft auf. Korrekt gemäß den Regeln der Haager Landkriegsordnung sollten die Kranken nach Hause entlassen werden, und zuvor belehrte uns in Begleitung eines Offiziers der Roten Armee noch ein Deutscher über die Weltlage: Der Faschismus sei besiegt, die Zukunft werde jenen fortschrittlichen Kräften gehören, über deren historische Rolle wir doch nicht zuletzt durch die deutschen philosophischen Klassiker von Kant bis Marx hätten aufgeklärt sein können. Uns erwarte harte Arbeit, das aber endlich in einem neuen Deutschland. Als Anlass zur Aufnahme eines Philosophiestudiums

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wirkte die zitierte Erklärung natürlich nicht. Aber nachdem man nun einmal, aus ganz anderen Gründen, zum Philosophen geworden war, musste selbstverständlich auch die ideologiepolitische Inanspruchnahme der Philosophie, über die sie im MarxismusLeninismus zu einem weltpolitischen Faktor geworden war, zu einem philosophischen Thema ersten Ranges werden. Auch in den Fraktionen, zu denen in den Jahrzehnten des real existierenden Sozialismus die aktiven Teilnehmer der großen Weltkongresse der Philosophie sich formierten, spiegelt sich das: Stets hatte die marxistisch-leninistische Fraktion das schärfste Profil. Die westliche neo-marxistische Intelligenz zeigte sich vom Dogmatismus der philosophischen Partei-Orthodoxie zumeist peinlich berührt, verhielt sich aber ideologiepolitisch nichtsdestoweniger strikt anti-antikommunistisch. – Die zweite Fraktion, in der sich, lockerer, auf ihren Weltkongressen die Philosophen versammelten, war die der so genannten Hermeneuten, das heißt die Repräsentanten der sich selbst historisierenden philosophischen Tradition mit Einschluss derjenigen unter ihnen, die als Phänomenologen oder als Neuscholastiker, als Anthropologen oder Ästhetiker in Fortbildung hermeneutisch präsenter Philosophien nicht nur historiographisch, sondern auch theoretisch arbeiteten. Hier dominierten die Philosophen des kontinentaleuropäischen Westens. – Drittens trat die Fraktion der Analytiker hervor – der Logiker und der Wissenschaftstheoretiker, der linguistisch kompetenten Sprachphilosophen, der Evolutionstheoretiker und der Kybernetiker. Wenigstens ein Drittel der so manifesten Weltphilosophie wusste sich also ideologiepolitisch verpflichtet, und die Auseinandersetzung mit diesem Faktum hat mich immer wieder beschäftigt – von den späten fünfziger Jahren, als die sozialdemokratischen Parteien im europäischen Westen sich von den Schlacken des Dialektischen und Historischen Materialismus zu befreien hatten, über die mich verblüffenden Versuche einer Rekonstruktion des Historischen Materialismus im Kontext der sozialromantischen Bewegtheiten Ende der sechziger Jahre bis hin zu den nachfolgenden Bemühungen, die Totalitarismusaffinität der Philosophie zu verstehen, bei der mir vor allem Raymond Aron hilfreich wurde sowie dann auch mit seiner Historizismus-Kritik Karl Popper. Am Beispiel Poppers lässt sich zeigen, dass der philosophische Kern der Totalitarismuskritik disziplinär der Geschichtswissenschaftstheorie zugehört. Das soll in der Schilderung meiner zweiten Begegnung mit der Philosophie des 20. Jahrhunderts skizziert sein, über die mir die Wissenschaftstheorie wichtig geworden ist. Zuvor sei aber noch die häufig gestellte Frage beantwortet, ob die im marxistischleninistischen Falle evidente Zugehörigkeit der Philosophie zum System des Totalitarismus denn auch für den Nationalsozialismus gelte. Die Quintessenz der Ideologie des Nationalsozialismus ist schließlich die Rassentheorie, und bei dieser Theorie, so hörte ich gelegentlich, handele es sich doch nicht um Philosophie, vielmehr um Stuss. Wissenschaftshistorisch ist das korrekt, und ich belege das mit einer einschlägigen Absurdität aus meinem zweiten Gymnasialschuljahr. Im Biologieunterricht hatte 1938 weisungsgemäß eine Schädelvermessung stattzufinden. Der Rasseadel hieß „nordisch“, und man kam dem Ideal dieser Rassenklasse umso näher, je kleiner der Quotient aus Schädelbreite und Schädellänge war. Im eigenen Fall erwies er sich als reichlich groß. Der Lehrer sah

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meine Miene und tröstete mich, das sei tatsächlich nicht „nordisch“, vielmehr im zweiten Rang „fälisch“ – wie auch schon im Falle unseres verstorbenen, aber doch allseits zu Recht verehrten früheren Reichspräsidenten und Feldmarschalls Hindenburg. Stuss, aber doch nicht Philosophie! – das scheint evident zu sein, und nichtsdestoweniger handelt es sich bei dieser Evidenz historisch leider um eine falsche Alternative. Das ging mir später auf, als ich als junger Philosophiedozent bei der Suche nach Schlüsseldokumenten nationalsozialistischer Ideologie zur Vorbereitung einer einschlägigen Lehrveranstaltung auf einen 1933 erschienenen Titel Rasse und Staat stieß – verfasst von einem gewissen Wiener Privatdozenten Dr. Erich Voegelin. „Aha“, sagte ich mir, „da hast du noch etwas, was du für deine Seminarvorbereitung brauchen kannst.“ Günthers Rassenkunde des deutschen Volkes und Theodor Fritschs Handbuch der Judenfrage standen auch schon in meiner Handbibliothek. Die Lektüre belehrte mich dann eines Besseren: Es handelte sich keineswegs um das Werk eines nationalsozialistischen Rasse-Ideologen, vielmehr um das Werk eines Berichterstatters über die weltweite Verbreitung der Rassen-Idee im 19. und 20. Jahrhundert vom Franzosen Gobineau bis zum Amerikaner Madison Grant, der bereits den Ersten Weltkrieg als einen Rassenkrieg gedeutet habe, den der rassereinere nordische Teil der Menschheit gegen die rassisch vermischten Völkerschaften der Deutschen und Österreicher geführt habe. – Es gibt leider eine breit gelagerte Rassenphilosophie mit politisch inspirierender Wirkung, und Voegelin hat sich frühe Verdienste als Historiograph dieses Vorgangs erworben. 2. Wissenschaftsphilosophie Banalerweise ist man für die antitotalitäre politische Option nicht auf Wissenschaftsphilosophie angewiesen. Die Massenverbrechen der totalitären Systeme von links und rechts, denen nach den Aufsummierungen des französischen Historikers Courtois und seiner Kollegen zu Menschheitsreinigungszwecken weit über einhundert Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind, genügt insoweit normalerweise für die angemessene Urteilsbildung. Aber um im Kontext unserer Bemühungen zu verstehen, wie das möglich war, ist auch die Wissenschaftsphilosophie nützlich, ja: in genau bestimmbarer Hinsicht unentbehrlich. Karl Popper hat seinem zuerst in englischer Sprache erschienen Historizismus-Buch eine Widmung zur Erinnerung an die politischen Opfer des Irrglaubens an die Existenz von Geschichtsgesetzen vorangestellt. Das berührt uns, klingt aber auch naiv: Wäre denn nicht der „Irrglaube an die Existenz von Geschichtsgesetzen“ ein Thema, das im Philosophischen Seminar zu erörtern bliebe? Was hätte das mit den Schrecken totalitärer Herrschaft zu tun? Die Rassentheorie zeigt es in unüberbietbarer Krassheit. Man muss nämlich, um der Einsicht in die Wahrheit der Rassenlehre einschließlich der Einsicht in den Rassenkriegscharakter der Menschheitsgeschichte uneingeschränkt fähig zu sein, gemäß dieser Lehre der Vorzugsrasse, der schließlich im Kampf ums Dasein die Vorherrschaft zufallen wird, selber angehören. Im selbstlegitimatorischen Prinzip dieser Philosophie gilt für die Klassentheorie und damit für die Einsicht in den Klassenkampfcharakter der Weltgeschichte dasselbe: Erst den Angehörigen der Endklasse in der gesetzmäßigen

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Abfolge der jeweils für ihre Klasseninteressen kämpfenden sozialen Formationen wird die Einsicht möglich, dass die Interessen des Proletariats identisch sind mit den universalen Interessen der Zukunftsmenschheit. Damit wird der Klassenfeind allein schon über seine pure Nichtakzeptanz der Klassentheorie identifizierbar. Man hat es mit einer Konstellation zu tun, in der Widerspruch nicht einen widerlegungsbedürftigen Irrtum repräsentiert, vielmehr die Ideologie des Feindes, den es zu bekämpfen gilt. So hatte es ja auch schon, nahezu wortgleich, Karl Marx gelehrt, und auch das große Wort, welches Lenin schreiben ließ, wird jetzt verständlich: „Uns ist alles erlaubt.“ Wer darf das für sich sagen? Die Antwort lautet: Wer kraft seiner Einsicht in die gesetzmäßige Abfolge der Klassen und ihrer Kämpfe weiß, wieso er kraft seiner Endklassenposition der Erste ist, der das Schwert nicht mehr zu den Zwecken der Unterdrückung, vielmehr einzig zum Zweck endgültiger Befreiung zieht. Jetzt versteht man die historisch-politischen Zusammenhänge: Der zitierte leninistische Satz findet sich in der Zeitschrift der Organisation zur Zerschmetterung der Konterrevolution, und die Tätigkeit dieser Organisation hat eben nicht trotz der hohen Wertevorgaben marxistischer Philosophie stattgefunden, vielmehr im Interesse der politischen Exekution dieser Philosophie. Jetzt klingt das Poppersche Gedenken an die Opfer totalitärer Herrschaft im Vorspann zu einer analytischen Theorie möglichen Geschichtswissens schon weniger naiv, und es sei rasch noch gesagt, wieso denn gemäß Popper Geschichtswissen prinzipiell kein Wissen von Gesetzmäßigkeiten sein kann, wie wir sie in einigermaßen geschlossenen Handlungssystemen von der Technik über die Medizin und mit Einschränkungen bis zur Ökonomie und zur Sozialpolitik unseren Entscheidungen zugrunde legen. Historische Prozesse sind eben, kulturell wie natural, Verläufe in offenen Systemen, die von kontingenten, nicht prognostizierbaren Ereignisinterventionen mitbestimmt sind, und im Kontext der wissenschaftlichen Zivilisation ist es nicht zuletzt das prinzipiell nicht vorhersehbare zukünftige Wissen, das über seine technische und organisatorische Umsetzung sowie kraft seiner wirtschaftlichen und sonstigen Nutzung den faktischen Ablauf der Dinge gesamthaft unplanbar prägt. Kurz: Die Philosophie wird hier zur sokratischen Erinnerung an prinzipielle Grenzen des Wissbaren – unterstützt durch die Vergegenwärtigung jüngst erfahrener Folgen der Missachtung der Philosophie unseres Nicht-Wissens. Die philosophische Basis der Popperschen Kritik des Totalitarismus, dessen Ideologie er „Historizismus“ nannte, war also eine generalisierte analytische Theorie historischer Prozesse. Das ließ sich später detaillierter und genauer bei kulturhistorisch zugleich kompetenteren Analytikern studieren, bei Danto zum Beispiel, und in meinen eigenen Bemühungen ist daraus das Buch Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse hervorgegangen, das als Analytik und Pragmatik der Historie den Hauptzweck hatte, die traditionsreiche deutsche Geisteswissenschaftstheorie von Droysen über Dilthey bis zu Gadamer oder Ritter fortzuführen, und das zugleich in der Absicht, zur Evidenz zu bringen, wieso kulturell in eins mit den Leistungen der theoretischen Natur- und Sozialwissenschaften sowie ihrer zivilisationsdynamisierenden Nutzung das Interesse für die Leistungen der historischen Wissenschaften anwachsen muss. Ein kleiner Aufsatz mit dem Titel „Was heißt ‚Das lässt sich nur historisch erklären‘?“, der des öfteren nachgedruckt worden ist, fasst das zusammen. Darauf ist später noch bei der Beschäftigung mit den auffälligen Selbsthistorisierungstendenzen der modernen Kultur zurückzukommen.

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Zunächst bleibt noch unter dem Stichwort „Wissenschaftsphilosophie“ der philosophische Gewinn zu erläutern, der für mich mit der dominanten Bindung der Wissenschaftstheorie an die Naturwissenschaften verbunden war. Ich erwähnte bereits Heinrich Scholz als meinen Lehrer in der Logischen Propädeutik, und Scholz war es auch, der die Aufmerksamkeit alsbald auf die Traditionen des Wiener Kreises einschließlich ihrer post-positivistischen Fortbildungen zumal in der Emigration lenkte. Scholz lenkte überdies auch die Aufmerksamkeit auf diejenigen Wissenschaften, die als Naturwissenschaften zugleich historische Wissenschaften sind. Kosmologen, Geologen und Paläontologen waren zu Gast. Allmählich ging einem der semantische Missbrauch der Wörter „erklären“ einerseits und „verstehen“ andererseits in der geisteswissenschaftsphilosophisch leider kanonisch gewordenen Formulierung auf, dass die Natur zu erklären, die Kultur aber zu verstehen sei. Unbeschadet der Trivialität, dass Natur und Kultur in ihrer Untrennbarkeit zugleich unterschieden sein wollen, sind wir in beide über Geschichten verstrickt, die uns mit Beständen konfrontieren, die sich einzig historisch erklären und so verstehen lassen. In letzter Instanz erscheint dann sogar das Dasein der Welt als ein historisches Datum, und Heinrich Scholz, der vor der Übernahme seiner Mathematik-Professur Professor der Philosophie und auch noch Professor der Systematischen Theologie gewesen war, hatte für die schöpfungstheologischen Aspekte dieser Betrachtung einen wachen Sinn, wie er denn auch die universelle Geltung der Sprache der Logik wie eine partielle, sozusagen vorpfingstliche Rücknahme der Folgen des Turmbaus zu Babel feierte. Scholz war es übrigens auch, der uns als junge Studenten bereits 1948 auf den frühen Wittgenstein aufmerksam machte. Entsprechend leicht fand ich später den Zugang zum späten Wittgenstein und damit zur sprachanalytischen Philosophie. Das sollte für die methodische Disziplinierung der begriffshistorischen Arbeit wichtig werden, die im Umkreis des von Joachim Ritter inaugurierten Historischen Wörterbuchs der Philosophie, des Lexikon der Geschichtlichen Grundbegriffe und der langjährig tätigen Arbeitsgruppe „Poetik und Hermeneutik“ stattfand. Die methodisch gehärtete Begriffshistoriographie verschaffte nicht nur der Philosophie- und der Wissenschaftsgeschichte neue Durchsichtigkeit. Sie öffnete zugleich den Blick für den politischen Streit um Begriffe, ja: um die Benennung dieser Begriffe, dem sich durch orthosprachliche Bemühungen prinzipiell nicht beikommen lässt, der vielmehr seinerseits exklusiv politischer Pragmatik gehorcht. Der Begriff der „Ideenpolitik“ hat sich für die Beschreibung dieser Zusammenhänge als nützlich erwiesen. 3. Philosophie der Lebenswelt Unter diesem Titel möchte ich einige Orientierungsgewinne beschreiben, die für mich aus der Zuwendung zur Phänomenologie resultierten. Autobiographisch einigermaßen vollständig beschrieben, wäre jetzt vom Studium bei den Husserl-Schülern Heidegger und Szilasi zu reden, von der langen Reihe der Gespräche mit dem um fast zwei Generationen älteren Wilhelm Schapp, vom Besuch der Phänomenologenkongresse in Belgien, in Frankreich und in Amerika.

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Ich wähle einen anderen, abkürzenden Weg und stelle eine beim ersten Hören befremdliche These voran. Sie lautet: Die kulturelle, nämlich orientierungspraktische Bedeutung der früher so genannten „wissenschaftlichen Weltbilder“ nimmt ständig ab. Das soll heißen: Je tiefer sich die Wissenschaften in die Dimensionen des sehr Großen, des sehr Kleinen und des sehr Komplizierten hineinarbeiten, umso weniger sind sie noch in derjenigen Welt wieder zu finden, die wir lebenserfahrungspraktisch einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen aus wissenschaftlich bedingten Könnerschaften kognitiv und emotional, leiblich und sozial einigermaßen verstehen und beherrschen. Noch in den Kulturkämpfen des späten 19. Jahrhunderts empfahlen sich wissenschaftliche Weltbilder als künftig maßgebende „Weltanschauungen“ gegen biblische Schöpfungsberichte und sonstige weltanschauliche Vormodernität. Inzwischen sieht man: Allein schon die Dynamik im Wandel des wissenschaftlichen Wissens macht dieses Wissen als maßgebliches Bild der Welt lebensführungspraktisch immer weniger wichtig. Also: Die Lebenswelt – das ist die Welt, zu der die Wissenschaften, anstatt uns über sie endlich in Kenntnis zu setzen, ihrerseits gehören, so dass uns aus der Perspektive dieser Lebenswelt zu sagen bleibt, was es denn heißt, in ihr zu leben – seit eh und je und neuerdings überdies in lebensweltverändernder Nutzung des wissenschaftlichen Wissens, zu dem dann, ganz modern, das phänomenologisch explizit beschriebene Lebensweltwissen selber gehört. Das klingt kompliziert und nichtsdestoweniger lässt es sich exemplarisch anschaulich machen. Zur Frühgeschichte oder besser noch: zur Vorgeschichte der Phänomenologie gehört einer der wenigen Fälle evidenzverschaffender Illustration einer philosophischen Einsicht. Ernst Mach ist ihr Autor, und der eingangs erwähnte, gern als „Positivist“ charakterisierte Philosoph unter meinen Gymnasiallehrern hatte mich schon im Schüleralter auf sie aufmerksam gemacht. Die Illustration blieb unbeschadet damals fehlender Einsicht in ihre philosophische Quintessenz unvergessen. Diese Quintessenz gewinnt an Deutlichkeit vor dem Hintergrund der Erinnerung, dass in der Gesamtgeschichte der europäischen Ikonographie derjenige, der sieht, was uns ein Bild zeigt, stets selbst sich außerhalb des Bildraums befindet. Vom Subjekt des geschaffenen oder gesehenen Bildes wird im Bild selber abgesehen, und das ist auch dann der Fall, wenn nach traditionsreicher Üblichkeit der Maler in dazu geeigneten Szenerien in diese marginal ein Portrait seiner selbst eingebracht hat. Denn dieses Selbstportrait zeigt ja nicht, was man als Betrachter eines Bildes in seiner Vergegenwärtigung zugleich von sich selber sieht. Es zeigt vielmehr, wie man imaginiert, sich zu sehen, wenn man sich in fingierter dritter Person von außen als ein anderer sähe. – Und jetzt wird die Machsche PhilosophieIllustration sprechend: Die Abbildung dessen, was man als Philosoph auf einer Chaiselongue liegend in einer Pause des Nachdenkens beim Blick in das Arbeitszimmer und durch sein Fenster hinaus sieht und überdies auch noch von sich selber sieht, indem man sieht – die eigene Nasenspitze nämlich und die Schnurrbartspitze auch noch, die Vorderseite des eigenen Leibes vom Brustkorb an abwärts, ganz sicher aber den eigenen Rücken nie und auch vom eigenen Kopf bis auf die genannten Partien fast gar nichts.

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Was soll das und wie lautet das damit illustrierte philosophische Theorem? Zunächst erkennt man spontan, welchen Teil der Welt, in der wir leben, uns die phänomenologische Philosophie vor Augen rücken möchte – denjenigen nämlich, der in unserer Zuwendung zur Welt bei normaler Einstellung in den Unaufmerksamkeitsschatten längst selbstverständlich gewordener Orientierungsleistungen und Verhaltenskönnerschaften absinkt. Eben über solche Leistungen konstituieren sich unsere Lebenswelten, ohne deren wahrnehmungsstabilisierte Orientierungsgewissheiten und leibgebundene Selbsterhaltungskönnerschaften es auch für jene kognitiven Leistungen, deren Erbringung einen dafür eigens frei geräumten Lebenszeitanteil philosophischer und sonstiger wissenschaftlicher Praxis verlangt, gar keine lebensweltliche Basis gäbe. Wahrnehmungsphänomenologie, auch die Daseinsanalyse mit ihren existenzphilosophischen Antworten auf die Frage, was es heißt zu sein, die mehr als jeder andere Martin Heidegger wirkungsreich machen sollte, Ludwig Wittgensteins Beschreibung der Sprachlebenswelten, dann die vielen Beiträge zur Beantwortung der schönen Frage How to do things with words?, auch die Herleitung logischer und linguistischer Fundamentalbegriffe aus den Verständigungsleistungen, die uns der Alltag abverlangt, – das alles sind wissenschaftshistorisch gerade nicht Beiträge zu jenen so genannten wissenschaftlichen Weltbildern, die sich in der Wissenschaftskulturgeschichte zumal des späten 19. Jahrhunderts als Medien fälliger kognitiver Emanzipation aus voraufgeklärter Weltkenntnis empfahlen. Um Bemühungen von wissenschaftskulturkritischer Wiedergewinnung eines vermeintlich heilen Welturwissens handelt es sich aber auch nicht. Es handelt sich vielmehr um explizite Vergegenwärtigungen der unsere Lebenswelten prägenden Selbstverständlichkeiten, für die das wissenschaftliche Interesse in demselben Maße an Intensität gewinnen musste, wie die Lebensweltferne des modernen Forschungswissens zugleich mit seiner anwachsenden lebensweltverändernden Nutzbarkeit zunahm. Genau das war mit der im Eingang dieses Kapitels genannten These von der abnehmenden kulturellen Bedeutung wissenschaftlicher Weltbilder gemeint. Sie sei noch in einem wissenschaftspublizistischen Vorgang von großer kultureller Relevanz gespiegelt. Der große deutsche Darwinist und Weltbildpropagandist Ernst Haeckel erreichte mit seinem berühmten Titel Die Welträtsel einen Absatz nahe der Millionengrenze. Demgegenüber begegnet uns die populärwissenschaftliche Literatur von heute als Weltanschauungskampfmedium nicht mehr. Das hat auch wichtige religionsphilosophische Konsequenzen, auf die noch zu sprechen zu kommen sein wird. Bis in die Magazinliteratur hinein, die, mit eindrucksvollen Coverbildern geschmückt, die Regale der Bahnhofskioske füllt, ist populärwissenschaftliches Wissen heute in exzellenten Darstellungen omnipräsent – ungleich differenzierter, aber zugleich auch zumeist auflagenschwächer als Haeckels Titel. Das bedeutet wissenschaftskulturell: In Bezug auf Forschungsstände up to date zu sein, ist zu einem Publikumsinteresse von Hobbycharakter geworden. Exemplarisch heißt das: Man erwartet, dass wir lebensführungspraktisch wissen, was sich heute medizinisch präventiv oder therapeutisch für die Erhaltung oder Wiederherstellung unserer mannigfach bedrohten Gesundheit tun lässt. Dass wir uns auch ein Laienwissen jener physiologischen Prozesse verschaffen, die heute bereits Schulkinder „alterszuckerkrank“ sein lässt, wird hingegen nicht erwartet.

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Entsprechend möchte ich, dieses Kapitel abschließend, mit ein paar Strichen zu skizzieren versuchen, wie die phänomenologische Aufmerksamkeit auf die lebensweltlichten Voraussetzungen unseres modernen Lebens ihrerseits dieses Leben modernisierend verändert. Mein wichtigster phänomenologischer Lehrer Wilhelm Schapp – als bedeutender und zumal in Frankreich geschätzter Philosoph kein Professor, vielmehr ein Privatmann – Schapp also pflegte das elementare phänomenologische Faktum, dass die Unterscheidung von Subjekt und Objekt, also die für unsere eigene Subjektivität konstitutive Sicherheit in der Unterscheidung ihrer selbst von derjenigen Realität, die sie nicht selbst ist, wahrnehmungsanalytisch am Beispiel derjenigen Sinneserfahrungen deutlich zu machen, die uns unsicher sein lassen, ob sie objektiv oder subjektiv bedingt sind. Man stutzt für einen Moment über eine irritierende Helligkeit im Bild an der Wand, und über einen Schritt zur Seite wird die Irritation durch die Gewissheit behoben, es handle sich um einen vom eigenen Standort abhängigen Reflex des Lichteinfalls aus naher Lichtquelle. Experten für eine sinneserfahrungsoptimierte Hängung von Bildern wissen entsprechend, dass der ästhetische Effekt eines zum Bildinhalt selbst gehörenden Lichtscheins, dessen Quelle als außerhalb des Bildes gelegen fingiert wird, nicht durch eine reale Lichtquelle in der Umgebung des Bildes gestört werden darf. Das reale Licht, in welchem das Bild als solches erscheint, muss daher maximal diffus bleiben, und eben dafür ist in einem modernen Museum gesorgt. Schon diese Beschreibung genügt, um zu erkennen, dass die stets innersubjektive Unterscheidung von Subjekt und Objekt in ihren sinnlichen Aspekten zum eigenständigen Objekt ästhetischer Experimente und Spiele werden kann. Aus der Geschichte des Impressionismus, des Pointillismus, auch des Kubismus kennt diese Experimente und Spiele jeder. Sie sind dauerhaft ein Interesse ungegenständlich bildender Kunst geblieben, und man erkennt die Borniertheit jener Kunsttheorie, die von Lenin bis Herbert Marcuse die spezielle Gegenständlichkeit der wahrnehmungsästhetisch an sonstigen Gegenständen nicht interessierten Kunst verkannte und sie als „unrealistisch“ verwarf – so noch der zitierte Marcuse, der immerhin Warhol unbeschadet seiner Siebdruckreihenspiele dann doch seiner Suppendosen wegen als Realisten lobte und zugleich tadelte, dass das Elend der Arbeiter in der Suppendosenproduktion nicht mitthematisiert sei. 4. Politische Common sense-Philosophie Allein schon mit der bereits geschilderten Zuwendung zum Thema der Rolle der Philosophie in den totalitären Groß-Ideologien des 20. Jahrhunderts war ein auch philosophisch unabweisbares Interesse für die Politik verbunden, und das auch praktisch. Die Erfahrungen, die sich dabei machen ließen, sind mir dann auch für die politikphilosophischen Arbeiten wichtig geworden – von den Studien zur Geschichte der politischen Philosophie speziell in Deutschland über die Auseinandersetzung mit den technokratischen Traditionen bis hin zu der Beschäftigung mit den politischen Aspekten der zivilisatorischen Evolution in ihren globalen Dimensionen einerseits und ihrer Begünstigung direktdemokratischer Politisierung kleinräumiger Lebensverhältnisse andererseits. Unbeschadet des Umfangs einschlägiger Schriften und des Lebenszeitanteils,

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über den hin sie sich erstrecken, lässt sich im Anschluss an die Erörterung zum Thema der Lebenswelt ein mir besonders wichtig gewordenes Thema politischer Philosophie rasch skizzieren. Es liegt ja nahe, die Frage zu stellen, woran sich denn das politische Handeln, wenn eben nicht an katastrophenträchtigen Philosophien des großideologisch-totalitären Typus, stattdessen zu orientieren habe. Es sind abermals platonische Traditionen, die uns finden lassen mögen, an die Stelle der geschichtsphilosophischen Sinnvergewisserung, die in Missachtung prinzipieller Grenzen des Wissbaren Vernunftansprüche hypertrophieren ließ und eben deswegen zugleich mit politischen Konsequenzen dogmatisierte, habe eben auch für die Politik die Orientierung am methodisch disziplinierten und damit zugleich prinzipiell selbstwiderlegungsbereiten Forschungswissen zu treten. Der wirkliche, nämlich methodisch restringierte und erfahrungskontrollierte Sachverstand habe in letzter Instanz das politische Handeln anzuleiten, und eine in ihrer Anschaulichkeit unüberbotene Symbolisierung dieser „technokratischen“ Idee, wie sie später genannt werden sollte, ist bekanntlich bereits im 17. Jahrhundert Francis Bacon gelungen. In seiner Utopie Nova Atlantis ließ er nämlich die übliche Denkmalsszenerie europäischer politischer Tradition durch lauter Wissenschaftler-, Erfinder- und Techniker-Standbilder ersetzt sein. Eindrücklicher kann man es schwerlich sagen, und eine gewisse personale Autorität hatte das so Gesagte auch noch, weil ja Bacon über seine Rolle als Philosoph hinaus überdies auch als Politiker eine vorübergehend sogar herausragende Stellung in der Geschichte Englands hatte. Der platonisierende Gehalt dieser Idee, die elaborierten Wissenschaften und Könnerschaften zum zentralen Leitmedium politischer Welterhaltung und Weltverbesserung zu machen, blieb bis zu den Vorstellungen der amerikanischen Technokraten, die um den Ersten Weltkrieg herum sich als erste auch selbst technocrats nannten, wirksam und in bescheidenerem, aber dafür einflussreicheren Maße in den obrigkeitsstaatlich geprägten Traditionen juridisch kompetenter deutscher Staatsdenker auch noch, die stets die vermeintlich rationale staatliche Öffentliche Verwaltung vor der vermeintlichen Irrationalität der Volksentscheide schützen zu sollen vermeinten und damit die Demokratie stets als rein repräsentative Demokratie favorisierten. Indessen: Auch unsere politische Lebenswelt ist nicht eine Welt, die im Wissen und Können der Fach- und Sachverständigen ihre letztinstanzliche kognitive Repräsentanz finden könnte. Die einschlägige Stelle ist mit einer ganz anderen Kompetenz zu besetzten, und zwar umso unabweisbarer, je höher der Grad der Verwissenschaftlichung und Technisierung unserer zivilisatorischen Lebensvoraussetzungen ansteigt. Der philosophische Name dieser Kompetenz lautet common sense, und nicht zufällig erfolgt die politische Transformation des Begriffs des common sense, der doch früher in seiner bis in die Antike zurückreichenden Tradition exklusiv ein Begriff in der Theorie der niederen Erkenntnisvermögen war, just in demselben Jahrhundert, in welchem auch die frühtechnokratischen Philosophien ihren Auftritt hatten. Common sense – das wird jetzt, zuerst in Schottland und England und dann auch, als sens commun, in Frankreich, zum Namen der Kompetenz, auf die wir uns gerade in verwissenschaftlichten und technisierten modernen politischen Lebenswelten angewie-

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sen wissen. Mir ist dieser Zusammenhang nicht zuletzt in Zusammenarbeit mit den sozialwissenschaftlichen Theoretikern und Exekutoren der Universitäts- und Forschungspolitik der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts aufgegangen sowie in etlichen Zusammenstößen mit den an französischen Planifications-Ideen orientierten Enthusiasten futurologisch rationalisierter und planungsgelenkter Administration. Was wird dabei, unbeschadet des guten Rechts, das diese Ideen partiell auch hatten, übersehen? Die Antwort lautet: Die Betroffenheiten des Bürgers vom Nutzen und Nachteil des sich beschleunigenden Wandels unserer Lebenswelten mittels wissenschaftlich und technisch wohlberatenen Projekten zur Bedienung unseres eigenen Wunsches nach einem guten, ja: besseren Leben. Jeder Arztbesuch heute bringt zur Evidenz, wieso just die wie nie zuvor leistungsfähig gewordene Medizin kraft der Eingriffstiefe dieser Leistungen die Zustimmung der Laien, der Patienten also, zu diesen Eingriffen verlangt – von der Akzeptanz der Nebenfolgen eines Medikamentengebrauchs, auf die uns heute, sogar gemäß gesetzlicher Vorschrift, die Werbung aufmerksam macht, bis zu vorsorglicher Verfügung über Akzeptanz oder Nicht-Akzeptanz ärztlicher Notfallhilfen in Fällen, in denen das vorerst gesicherte Überleben mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Leben wäre, das man in vormodernen Zeiten lediglich deswegen kaum jemals sich nicht zu wünschen gehabt hätte, weil die Möglichkeit eines solchen unguten Lebens ohnehin so gut wie gar nicht bestand. Das lässt sich verallgemeinern. Von der Medizin bis zum Straßenbau, vom Entsorgungssystem bis zur Organisation unserer Alterversorgung und von der rechtlichen, technischen und organisatorischen Gewährleitung unserer Sicherheit bis zur gesetzgeberischen Findung der Grenzen zwischen freien und inakzeptabel schadensträchtigen Selbstverwirklichungsambitionen, vom Suchtmittelgebrauch bis zu religiösen Sonderriten reicht heute die Fälligkeit von Regelungen, für die ein Expertenkonsens entweder gar nicht beschaffbar oder politisch nicht tragfähig wäre und somit einzig die Mehrheitsmeinung der Betroffenen erkennbar hält, womit sich trotz verbleibender Meinungsgegensätze leben ließe. Eben deswegen nimmt gerade in sehr komplex gewordenen Lebenswelten die Zahl der Fälle zu, wo das politisch-lebensweltlich erreichbare Optimum eine Entscheidung kraft Abstimmungsmehrheit verlangt. Modernisierung löst Demokratisierungszwänge aus – nicht wegen der unwiderstehlichen Attraktion von Idealen, zu denen man philosophische Prinzipien erhoben hätte, vielmehr wegen des sozialen Sachzwangs zur Findung dessen, was politisch gelten soll, in Lagen unaufhebbar heterogener Betroffenheiten vom Nutzen und Nachteil modernen Lebens. Es hat seine guten Gründe, dass auch verfassungsrechtspolitisch die direktdemokratischen Institutionen expandieren. Der insoweit erläuterte Vorrang des common sense vor dem Expertenurteil beruht somit in letzter philosophischer Instanz auf dem lebensweltlichen Vorrang der Betroffenheit der Subjekte vor der guten Expertenmeinung. Dem Schuhmacher kann in der Kunst des Schuhemachens kein Laie etwas vormachen. Ob aber die Schuhe uns passen, muss dem Urteil ihres Nutzers vorbehalten bleiben – so lautet diese Philosophie in antiplatonischer Gemeinverständlichkeit aristotelischer Herkunft.

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5. Philosophie der Vergangenheitsvergegenwärtigung In allen modernen Gesellschaften nimmt die Intensität des öffentlichen und privaten Interesses an der Vergegenwärtigung von Vergangenheiten zu, und es bedarf einer Philosophie der Vergangenheitsvergegenwärtigungspraxis, um sie in ihrer Nötigkeit zu erkennen und sie damit zugleich gegen eine inzwischen traditionsreiche, dann und wann sich erneuernde Kritik unserer Vergangenheitszugewandtheit zu verteidigen. Wie kein anderer hat mich zuerst Joachim Ritter die spezifische Modernität der historischen Kultur sehen lassen und in eins damit die Zugehörigkeit der deutschkulturell so genannten Geisteswissenschaften, das heißt näherhin der historischen Kulturwissenschaften, zur modernen öffentlichen Kultur. Gegenwärtig, das heißt im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist wieder einmal die Diagnose aktuell, die Geisteswissenschaften befänden sich in einem Zustand der Krise und gerieten überdies in den Aufmerksamkeitsschatten der Naturwissenschaften, der Medizin und der Technikwissenschaften und ihrer Leistungen, die mit ihrem Nutzen und mit etlichen prekären Nebenfolgen auch noch zum Ensemble unserer zivilisatorischen Lebensvoraussetzungen gehören. Solche Diagnosen haben ihre Gründe – im deutschen Fall vor allem einen im internationalen Vergleich auffälligen förderungspolitischen Nachholbedarf zugunsten etlicher kulturwissenschaftlicher Disziplinen. Nichtsdestoweniger bleibt davon das zu den Leistungen der Naturwissenschaften komplementäre Interesse am Vergangenheitswissen unberührt, ja: es bringt sich heute wie nie zuvor kulturell zur Geltung. „Wie nie zuvor“ – das ist hier keine rhetorische Hyperbel, vielmehr ein hartes, kultursoziologisch wohlvermessenes Faktum. Exemplarisch heißt das: Der Grad der Musealisierung, der wir unsere Lebenswelt unterwerfen, steigt unverändert an. Die Menge der Besucher, die sich in den Museen alljährlich einfinden, erreicht in hochentwickelten Ländern ungefähr die Zahl der Einwohner dieser Länder. Nie zuvor haben die Leistungen des Denkmal- und Ensembleschutzes den Anblick unserer Altstädte stärker geprägt als heute, und für die Anmutungsqualität, die über die Industriearchäologie unsere Alt-Industriereviere gewinnen, gilt Analoges. Die Neuerrichtung von Bibliotheks- und Archivbauten wird, wie in Frankreich, zur Gelegenheit eines präsidialen Staatsakts bei der Einweihungsfeier. Universitäten, die im 19. Jahrhundert ihrer Gründung nach einhundert Jahren gedachten, machen inzwischen aus der Zehnjahresfeier ein Event. Mit exemplarischen Schilderungen dieser modernen Selbsthistorisierungskultur ließe sich lang fortfahren – vom blühenden Antiquitätenhandel bis zu den Oldtimertreffen rezenter Autofans. Selbst auf bescheidenem Anspruchsniveau hat man es hier mit Aktivitäten und Hervorbringungen zu tun, zu deren kognitiver Disziplinierung regelmäßig die historischen Kulturwissenschaften ihren Beitrag leisten. Für die Einrichtungen der anspruchsvollen Vergangenheitsvergegenwärtigung gilt das von der modernen Provinzarchäologie bis zu unseren nationalen Literaturarchiven sowieso. Der naturwissenschaftliche Unterricht an unseren Gymnasien hat ein beispiellos hohes Niveau erreicht – aber für die komplementären kulturwissenschaftlichen Schulfächer gilt das gleichfalls. Wer schulkulturelle Verfallserscheinungen dagegen hielte, hätte damit die These von den heute erreichbar gewordenen hohen Niveaus nicht widerlegt, vielmehr lediglich

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darauf aufmerksam gemacht, dass in modernen Gesellschaften mit egalitär gleich verteilten Chancen des Zugangs zu anspruchsvollen Lern- und Bildungsmöglichkeiten die jeweils tatsächlich erreichten Kompetenzniveaus nach oben wie nach unten auseinanderdriften. So oder so ist der Anteil der Bürger, der heute Kulturgüter in Anspruch nimmt, die ohne die Leistungen der historischen Kulturwissenschaften gar nicht zugänglich wären, größer als je zuvor, und es steht nicht im Widerspruch zu den Ausbildungserfordernissen, die in modernen Gesellschaften insgesamt erbracht werden müssen, dass an unseren Universitäten der Anteil der Studenten aller kulturhistorischen Disziplinen zusammengenommen den der Naturwissenschaften weit überbietet, obwohl gleichzeitig noch der Anteil der Lehramtskandidaten unter den Kulturwissenschaftsstudenten zurückgeht. Die Frage drängt sich auf: Wieso wird just modernisierungsabhängig die Vergangenheit interessanter? Nietzsches unvergessene kulturkritische Diagnose, es handele sich dabei und in Deutschland zumal um Zukunftsverweigerung, ist ihrerseits, gerade weil sie falsch ist, einer historischen Erklärung bedürftig. Diese Erklärung braucht uns aber hier nicht zu beschäftigen. Nicht Zukunftsscheu, vielmehr das objektive Faktum, dass in eins mit der zivilisationsevolutionären Innovationsrate in den Wissenschaften wie in der Technik, in unseren Lebensgewohnheiten wie in Organisation und Gesetzgebung auch die Alterungsrate wächst, macht uns Vergangenes interessanter. Nie war eine zivilisatorische Gegenwart stärker als unsere eigene von Produkten, Normen, dominanten Meinungen und Einstellungen erfüllt, über denen bereits, indem wir noch auf sie angewiesen sind, der Anhauch der Gestrigkeit liegt. Zeittheoretisch beschrieben heißt das: Die Gegenwart, das heißt die Extension desjenigen Zeitraums, für den wir mit einigermaßen konstanten Lebensumständen rechnen können, schrumpft. Das bedeutet: Diejenige Zukunft, für die wir in wichtigen Hinsichten mit anderen, veränderten Lebensverhältnissen rechnen müssen, rückt der Gegenwart näher, und genau komplementär dazu nimmt die Zahl der Jahre ab, über die zurückzublicken bedeutet, in eine Welt zu blicken, in der wir unsere Gegenwart nur noch in einigen Hinsichten wiedererkennen können. Es ist hier nicht der Ort, die so ultrakurz strukturell gekennzeichnete Gegenwartsschrumpfung anschaulich zu machen. Das füllte Bücher, und in meinen Zeit-Büchern wäre das nachzulesen. Es muss aber noch gesagt sein, wieso wir denn die Menge des Vergangenen, die zugleich mit der Menge des Neuen anwächst, nicht einfach auf sich beruhen und schließlich definitiv vergessen sein lassen, vielmehr mit einem materiellen und personellen Aufwand wie nie zuvor gegenwärtig halten, nämlich, wie geschildert, museal und archäologisch – historisierend also und überwiegend gerade nicht in der Absicht, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen und sie ihrer wissenschaftlichen, technischen, medizinischen oder auch organisatorischen und politischen Nützlichkeit wegen ihrem sonst drohenden Vergessenwerden zu entreißen. Der Grund ist ein gänzlich anderer. Wer wir sind – das sagt uns unsere Geschichte. Eben deswegen stellen wir uns ja in Bewerbungsschreiben mit einem curriculum vitae vor, und Analoges tut heute jede Institution, jede politische Gemeinde und jede Kirchengemeinde auch noch, die zur Gelegenheit ihres Jubiläums eine Festschrift mit dem Zentralgehalt einer Darstellung ihrer Geschichte veröffentlicht. In Zeiten mächtiger, von

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Geltungskonstanzen tatsächlich oder auch nur vermeintlich geprägter Traditionen verbleibt der Selbsthistorisierungsbedarf gering. Er ist gering, wenn in den allerwichtigsten Lebenshinsichten die Gegenwart der Vergangenheit ohnehin gleicht. Vergangenheitsvergegenwärtigung wird somit nötig, wenn unsere Herkunftswelten uns wandlungstempobedingt partiell zu fremden Vergangenheiten werden. Alsdann bedarf es ihrer Historisierung, um sie in ihrer Fremdheit verständlich und damit unserer Gegenwart und somit uns selbst zuschreibungsfähig zu halten. So geschieht es also in der modernen Zivilisation, die sich deswegen als Zivilisation progressiver Selbsthistorisierung darstellt. Wichtig bleibt freilich, dass, anders als beispielsweise Karl Marx annahm, keineswegs der Gesamtbestand unserer zivilisatorischen Lebensverhältnisse sich mit gleicher Geschwindigkeit ändert und fortwälzt. In eins mit der Menge dessen, was sich rasch ändert, wächst auch die Auffälligkeit dessen, was uns durch die Konstanz seiner Geltung vom Zwang, uns up to date machen zu sollen, entlastet. Es gibt das Klassische, und zum modernen Begriff der Klassizität gehört nicht zuletzt die temporale Eigenschaft der Alterungsresistenz. Entsprechend wachsen die Ansprüche an unsere Urteilskraft, kulturell, moralisch und politisch zu unterscheiden, was der Änderung und was der Konservierung bedarf und überdies auch der Erhaltung durch Veränderung. Man riskiert nicht zuviel, wenn man sagt, dass das heute mehr als in jedem anderen Lebensbereich in der Religion erfahren wird. 6. Religionsphilosophie nach der Aufklärung Im ersten Abschnitt war von dem dauerhaft wirksamen Eindruck die Rede, den die Philosophie in ihrer Rolle als Ideologie, näherhin als Legitimationsbasis der großen totalitären Systeme auf mich hinterlassen hat – vom marxistisch-leninistischen inspirierten Vortrag zur Gelegenheit der Entlassung aus sowjetischer Gefangenschaft bis zur Aneignung der weit in die Geschichte der Philosophie zurückreichenden Rassenphilosophie, auf die ich als junger Dozent in Vorbereitung auf Lehrveranstaltungen zur Ideologie des Nationalsozialismus zu rekurrieren hatte. Im Gegensatz zu den im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wichtigen so genannten „Politischen Theologien“, die insbesondere in den revolutionären Bewegungen der Entwicklungsländer irdische Realisationen von Verheißungen des christlichen Glaubens zu erkennen glaubten, die die Kirche ins Jenseits verlegt habe, sind mir früh schon die explizit religionskritischen und näherhin christentumskritischen Gehalte der modernen politischen Ideologien philosophisch wichtiger gewesen und damit der Status der totalitären Systeme als „AntiReligionen“. Entsprechend musste sich religionsphilosophisch auch der Irrtum der radikalen Religions- und Christentumskritik identifizieren lassen, der sie annehmen ließ, unser religiöses Selbst- und Weltverhältnis werde sich volläquivalent und definitiv durch ein Weltbild ablösen lassen, das sich wissenschaftsgeschichtlich auf der Höhe der Zeit befinde. Diese Volläquivalenz ist es ja, die, zum Beispiel, die Einheitsparteiführung in der DDR annehmen ließ, das von den Genossen Ulbricht und später Honecker bevorwortete Handbuch Weltall, Erde, Mensch, beim Initiationsritus der Jugendweihe über-

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reicht, löse Bibel und Glaubensbekenntnis ab. Das war nun eine Vorstellung, die bekanntlich auch im „bürgerlichen“ Weltanschauungsmilieu eine wichtige Rolle gespielt hatte – die Fälligkeit nämlich der Ersetzung des biblischen „Weltbildes“ durch ein christliches. Die natürliche Schöpfungsgeschichte – so lautete bekanntlich ein berühmter Titel des schon erwähnten Jenenser Zoologen Ernst Haeckel mit seinem Weltbeststeller Die Welträtsel, den ich, wie schon berichtet, in der kleinen Bibliothek meines Großvaters fand. Wäre dieser Dorfschullehrer zugleich Mitglied des Monisten-Bundes gewesen, so hätten die Haeckelschen Welträtsel, die endlich gelösten nämlich, nach weltanschauungsgeschichtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich den Status einer Anti-Bibel gehabt. Aber jener Lehrer war ein frommer Mann, amtierte als Kantor, schrieb niederdeutsche Choräle und vertonte sie auch. Wozu diente da Haeckel? Wurde er als Prophet des Atheismus in Anspruch genommen? Die historisch korrekte Antwort lautet: Kampfschriftcharakter hatten die zitierten Werke populärer naturwissenschaftlicher Aufklärung tatsächlich. Aber der Gegner war gerade nicht der biblische Schöpfungsglaube, vielmehr die geistliche Schulaufsicht, die es ja noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Preußen gab und die gelegentlich vermeinte, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube seien kognitiv inkompatibel. Im amerikanischen so genannten Kreationismus ist diese Meinung bekanntlich mit nicht unerheblichen kulturpolitischen Folgen auch heute noch verbreitet, desgleichen überall bei den Zeugen Jehovas und bei einigen Altgläubigen unter den weltanschaulichen Parteigängern des real existent gewesen Sozialismus auch noch. Bereits um die Wende des 19. zum 20. Jahrhunderts wusste der zitierte Volksschullehrer es besser: Die Wissenschaften sagen uns in bewährten oder auch zweifelhaften Hypothesen, was der Fall ist, und für die uns mit dem Schöpfungsglauben angesonnene Zustimmung zum unvordenklichen Faktum, dass überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts, macht es keinen lebenspraktischen Unterschied, ob nun unsere Erde ihre guten biblischen fünftausend Jahre alt ist oder doch eher, wie wir heute annehmen, um das Millionenfache älter. Eben das heißt: Unser erfahrungspraktisch gewonnenes, wissenschaftlich emendiertes und forschungspraktisch überdies permanent fortgebildetes Weltwissen, das überdies auch in unserer wissenschaftlichen Zivilisation kraft seiner technischen und organisatorischen Nutzung längst zum Ensemble unserer realen Lebensvoraussetzungen gehört, ändert doch an den Gewissheiten und Ungewissheiten der uns verfügbaren Antworten auf die Frage, was es denn heißt zu sein statt nicht zu sein, gar nichts und damit auch nichts an der Integrität der Religion, durch die wir lebenspraktisch auf diese Gewissheiten und Ungewissheiten eingestellt sind. Das verknüpfe man nun mit dem bereits skizzierten wissenschaftskulturgeschichtlichen Faktum, dass die Lebensweltferne des wissenschaftlichen Wissens zunimmt und sich zugleich rascher noch als in früheren Epochen der Wissenschaftsgeschichte verändert. Alsdann sieht man, dass die Bedingungen der Zustimmung zum Sein einschließlich unseres eigenen Daseins eben nicht von jeweiligen Forschungsständen abhängig sein können. Das ist es, was Johannes Paul II. in seiner berühmten 1980er Rede an die Adresse der im Kölner Dom versammelten Wissenschafter und Intellektuellen feststellen ließ, kognitive Dissonanzen zwischen Glauben und Wissenschaft bestünden nicht.

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Dass Wissenschaft einerseits und Religion andererseits nichts miteinander zu tun hätten, sollte damit allerdings auch nicht gesagt sein. Man muss die Religion von den anderen großen Mächten menschlicher Lebenskultur unterscheiden – von der Wissenschaft wie von der Politik und vom Recht wie von der Kunst. Aber das, was man so unterscheiden muss, lässt sich doch zugleich nicht trennen, und jede Feststellung und Neufeststellung dessen, was nun einmal ist oder gewesen ist, statt anders zu sein oder gewesen zu sein, bekräftigt mit der Kontingenz dieses So- und nicht Andersseins zugleich die Kontingenz des unhintergehbaren Faktums, dass einschließlich unserer selbst überhaupt etwas ist, statt nicht zu sein und in seinen jeweils bereits indisponibel gewordenen Vergangenheiten so und nicht anders zu sein. Das wiederholt nur, was ich schon oben so ausdrückte: Die Welt ist ein kontingentes Datum, und die Wissenschaften sind, als historische Wissenschaften zumal, um die es sich ja bei ihnen bis hin zur Kosmologie in letzter Instanz handelt, kulturelle Medien der Erfahrung jener Daseinskontingenz, mit der uns die Religion leben lässt. Ich weiß: So von der Religion zu reden – das nennt man heute in kritischer Absicht „Funktionalismus“, und Robert Spaemann hat diesen Funktionalismus beharrlich durch die Absicht charakterisiert, die Religion durch etwas anderes von vermeintlich analoger Wirkung zu ersetzen. In der Tat: Die Tendenz der Ersetzung der Religion durch ein besseres Medium der Erfüllung ihrer tatsächlich unaufgebbaren Zwecke ist ein fortdauernder Teil der Religionsgeschichte. Den prominentesten Fall der Ersetzung der Religion durch etwas vermeintlich funktionsanalog Besseres haben wir ja erwähnt, die Politischen Religionen nämlich, deren radikale Religionskritik bis hin zur Religionsverfolgung eine Konsequenz der Absicht war, die religiöse Pseudoerfüllung unauslöschbaren menschlichen Heilsverlangens durch etwas leistungsfähigeres Besseres zu ersetzen. Indessen: In der Kennzeichnung der Religion durch die Funktion, uns in eine lebensangemessene, nämlich realistische Beziehung zum Unverfügbaren zu bringen, wird aber doch gerade nicht Religion durch etwas anderes ersetzt – nicht durch eine Psychologie, nicht durch eine politische Ideologie, nicht durch eine heilsame Ernährungsalternative und durch Musik oder durch eine andere Kunst auch nicht. Es wird vielmehr der Versuch gemacht zu sagen, wofür denn die Religion – die Religion generell freilich und nicht nur die christliche – in unseren Kulturen da ist, und das im Unterschied zu den Leistungen der Wissenschaft oder der Technik, des Rechts und der Politik und der Kunst. Es bleibe hier dahingestellt, seit wann und wie diese Lebensmächte in der Geschichte unserer Kultur voneinander und partiell auch gegeneinander bis hin zur Herausbildung eigenständiger Institutionen sich getrennt und verselbstständigt haben. So oder so sind es tatsächlich funktionale Differenzen, die sich in solchen Prozessen der Ausdifferenzierung und Verselbstständigung zur Geltung bringen. Eben in dieser funktionalen Verselbständigung werden sie dann doch auch gegeneinander unaustauschbar, und die Katastrophe des Totalitarismus ließe sich insoweit aus den Folgen des Versuchs erklären, die funktionalen Differenzierungen zurückzunehmen und in vermeintlich realistischer Erfüllung ihrer ideologischen Verheißungen sogar besser als die Religion zu sein. Kurz: Die funktionale Theorie der Religion macht diese gerade nicht gegen anderes austauschbar, sondern sagt, in welcher Funktion sie unersetzlich bleibt.

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Wahr ist lediglich, dass man, wenn man von der Funktion der Religion generalisierend spricht, nicht vom Vorzug der einen Religion gegen eine andere spricht und von der Differenz der Konfessionen auch nicht. Aber so verfahren doch die Religionswissenschaften seit langem, und es wäre religionswissenschaftshistorischer Unfug zu sagen, dass das Interesse für die Religion überhaupt statt exklusiv für die eigene eo ipso eine relativierende Bedeutung haben müsste. Religionsvergleiche verbleiben ja unbenommen, und die aktuellen Bemühungen um die weltgeschichtlich höchst folgenreichen Unterschiede in den Interaktionen zwischen den religiösen und politischen Kulturen einschließlich ihrer Institutionen sind ein Thema solcher Vergleiche. Zusammenfassend gesagt: Warum soll denn von der Funktion der Religion nicht die Rede sein dürfen? „Funktion“ – das ist doch lediglich ein verbales theoriesprachliches Äquivalent für den Nutzen der Religion, und wer auch den Gebrauch des Wortes „Nutzen“ verschmähte, wird doch zu sagen wissen, wofür Menschen Religion brauchen, wofür sie ihnen gut ist, und nicht einmal die Treffen der Weltreligionsführer in Assisi wären denkbar gewesen, wenn sich nicht sagen ließe, was denn das sei, wofür diese Führer stehen. Aber selbst der Name Gottes reicht ersichtlich nicht aus, um das zu benennen. Buddhisten, die unzweifelhaft religiös, aber doch keine Theisten sind, waren ja in Assisi auch präsent. Damit erledigt sich auch die populäre intellektuelle Kritik am Reden über die Religion aus der so genannten Außenperspektive. Die Verständigung über die Religion aus der Außenperspektive für defizient zu halten, gliche der Meinung, das Verhältnis des Arztes zum Kranken verharre in einer Beziehung der Uneigentlichkeit der Krankheit gegenüber. Wahr ist lediglich, dass der akademische Internist, der Krankheiten beschreibt, akut zumeist nicht selber an eben diesen Krankheiten darniederliegt, aber doch nicht ohne zu wissen, was es heißt, krank zu sein. Genau analog dazu redet denn auch die Religionsphilosophie über die Religion nicht von außen. Sie redet über die Religion, wie wir sie als einen universell präsenten Teil humaner Kultur auch aus unserer eigenen Lebenswelt kennen. Bei der vermeintlich wahrnehmungsbeschränkenden Außenperspektive handelt es sich in Wahrheit darum, dass man religionsphilosophisch eben über die Religion hoffentlich Zutreffendes mitteilt, aber doch damit nicht eine religiöse Sprachhandlung eben derjenigen Religion vollzieht, über die man gerade redet. Dabei ist es nicht irrelevant, ob wir uns in Bezug auf die Religion in der Absicht einer Verständigung über sie und im Respekt für das, was sie uns in der „Binnenperspektive“ ist, auch in der „Außenperspektive“ zu äußern vermögen. Die Sicherheit, in der wir hier zu einer Unterscheidung dessen fähig sind, was sich in der Tat nicht voneinander trennen lässt, gehört zu den Bedingungen der Einsicht, wieso im Kontext der modernen Zivilisation gerade die rechtlich gesicherte Eigenständigkeit der religiösen Institutionen gegenüber den politischen und sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Lebens einschließlich der Wissenschaft, die Religion, statt sie einzuschränken, ungefährdet fürs Ganze unseres Lebens wirksam hält.

II. Entfaltungen

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Geschichtspragmatik Eine Rekonstruktion der Geschichtsphilosophie Hermann Lübbes 1. Einleitung Hermann Lübbes Beitrag zum geschichtsphilosophischen Diskurs wird hier in drei Schritten oder Epochen skizziert.1 Zwar ist sein kolossales Werk als Ganzes kaum überschaubar. Ein neuerer Vortrag über „Geschichtsphilosophie. Verbliebene Funktionen“ gibt der Gliederung aber einen Anhalt.2 Er nennt drei „verbliebene“ Funktionen oder Aufgaben von Geschichtsphilosophie: „Wissenschaftstheorie der historischen Kulturwissenschaft“, „Pragmatik der historischen Wissenschaften“ und „Kritik der totalitären Großideologien“. In etwas anderer Reihenfolge entspricht das der Entwicklungsgeschichte von Lübbes Werk. Es geht – von Lübbe selbst eindrücklich beschrieben3 – nach frühen akademischen Prägungen durch die mathematische Logik, Wissenschaftstheorie und Phänomenologie – von (1) der „Kritik der totalitären Großideologien“ aus, arbeitet (2) die überlieferte geschichtsphilosophische Meistererzählung in eine Wissenschaftstheorie der Kulturwissenschaft um und widmet sich dann (3) verstärkt der „Pragmatik“ kompensatorischer „Vergangenheitsvergegenwärtigung“. Dabei geht Lübbe weit über die akademische Geschichtskultur hinaus und analysiert das Zeitmanagement und die „Gegenwartsschrumpfung“ unserer heutigen Gesellschaft sehr umfassend. Er entdeckt eine ganze Reihe innovativer Themen und wird als Sozialphilosoph zum Pionier neuerer Kulturwissenschaft. Es läßt sich also (1) eine ideologiekritische Phase (= Abschnitt 2), (2) eine analytische Wendung (= Abschnitt 3) und (3) eine geschichtspolitische Praktik des Werkes (= Abschnitt 4) unterscheiden. Daran knüpfen einige lose Bemerkungen zur Begriffsbildung und gegenwärtigen Lage der Geschichtsphilosophie an (= Abschnitt 5).

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Unsere Bensberger Tagung trug Eulen nach Athen. Die Referenten befanden sich mit der Aufgabe, in Anwesenheit Hermann Lübbes in dessen Philosophie einzuführen, innerhalb einer Katholischen Akademie gewissermaßen in der Rolle von Messdienern, die in Anwesenheit des Papstes die Messe lesen sollen. Zwar gilt im philosophischen Diskurs letztlich nur die Kraft des Arguments. Die möglichen Argumente aber sind beschränkt, und Lübbe kennt die meisten Einwände längst schon und weiß ihnen zu begegnen. Die einführende Übersicht wird in dieser Lage zum Wort des Dankes an eine prägende Gestalt der bundesdeutschen Philosophie. 2 Vgl. H. Lübbe, Geschichtsphilosophie. Verbliebene Funktionen, Erlangen 1993. 3 Vgl. oben den Beitrag von H. Lübbe, v.a. S. 30-35.

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2. Ideologiekritik geschichtsphilosophischer Gewaltlegitimationen 2.1. Die „skeptische Generation“ Hermann Lübbe war noch Kriegsteilnehmer. Die nationalsozialistischen Verbrechen und Greuel des Krieges waren ihm präsent. Seine Generation trat, soweit sie überlebt hatte, mit moralischen und politischen Evidenzen, wiedergewonnenem common sense, aus dem Krieg. Die Historiker markieren hier gerne einen generationellen Unterschied. Sie unterscheiden gelegentlich zwischen der Soldatengeneration und der „Flakhelfergeneration“ der Hitler-Pimpfe. Hermann Lübbe, Jahrgang 1926, gehört, wie etwa die 1923er Reinhart Koselleck oder der Politologe Wilhelm Hennis4, gerade noch zur Soldatengeneration, die während des Krieges Abitur machte, eingezogen wurde und durch den Krieg geprägt war. Sie studierte bald nach Kriegsende am Nullpunkt existenzieller und politischer Kontingenzerfahrung5 zwischen Vergangenheit und Zukunft. Politische Prognosen und Planungen waren fast unmöglich. Die Zukunft Deutschlands war ungewiss und offen. Hermann Lübbe studierte in Göttingen, Münster und Freiburg/Br. Joachim Ritter war damals in Münster noch – mit Odo Marquard gesprochen – in seiner „vortürkischen“ Phase vor der Veröffentlichung seiner bedeutenden Aristoteles- und Hegel-Studien. Von 1952 bis 1955 lehrte Ritter in Istanbul. Lübbe ging damals zu Gerhard Krüger, einem bedeutenden Heidegger-Schüler, Kant- und Platon-Forscher6, nach Frankfurt/M. und lernte dort auch die „Kritische Theorie“ in ihrer zweiten Formierungsphase kennen. Theodor W. Adorno beeindruckte ihn. Diese erste Studentengeneration promovierte in den frühen 50er Jahren, fand dann relativ gute Karrierebedingungen vor und prägte das bundesdeutsche wissenschaftliche Milieu spätestens seit den frühen 60er Jahren. Sie stand nach 1945 anders da als die wenige Jahre jüngeren „Flakhelfer“ (Heinz Bude) Hans Ulrich Wehler7 oder Jürgen Habermas. Diese „skeptische Generation“ misstraute den großen Ideologien, nicht aber der Moral oder Politik. Sie baute wieder auf sicheren Intuitionen auf und sagte den Weltbürgerkriegsideologien ab. 2.2. „Die Geschichte“ Ein Träger dieser Ideologie war „die Geschichte“. Geschichtsphilosophische Selbstlegitimationen ersetzten im Marxismus und Faschismus die fehlende demokratische Rückendeckung und das zivile Fundament. Sie legitimierten mörderische Menschheitsex4 Vgl. dazu jetzt S. Schlak, Wilhelm Hennis. Szenen einer Ideengeschichte der Bundesrepublik, München 2008. 5 Vgl. M.T. Greven, Politisches Denken in Deutschland nach 1945. Erfahrung und Umgang mit der Kontingenz in der unmittelbaren Nachkriegszeit, Opladen 2007. 6 Vgl. G. Krüger, Philosophie und Moral in der Kantischen Kritik, Tübingen 1931; ders., Einsicht und Leidenschaft. Das Wesen des platonischen Denkens, Frankfurt/M. 1939. 7 Vgl. dazu sehr problematisch H.-U. Wehler, Eine lebhafte Kampfsituation. Ein Gespräch, München 2006.

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perimente und verschleierten den Terror. Der Nationalsozialismus wurde in der Bundesrepublik in seinen verbrecherischen Exzessen einigermaßen abgeurteilt und ansonsten integrativ und pragmatisch beschwiegen. Lübbe hat das unlängst erneut untersucht.8 Die Auseinandersetzung mit der politischen Instrumentalisierung von Geschichtsphilosophie als legitimatorischer Waffe fand im Zeichen des Kalten Krieges vor allem als Hegelianismus-, Marxismus- und Stalinismuskritik statt. Gemeint war ein Typus holistischer Betrachtung der Geschichte als Einheit und Ganzheit mit utopischem Handlungsprogramm revolutionärer Gestaltung von Zukunft. Die Planungsideologie erschien als akademischer, d.h. anschauungsloser Kern der herrschenden Geschichtspolitik und Geschichtsbilder. In der Bundesrepublik etablierte sich damals eine Ideologiekritik des „Sprachmonismus“9 und „holistischer“, die ganze Natur- und Menschheitsgeschichte erfassender Geschichtsphilosophie. Karl Löwith verwies auf das heilsgeschichtliche Schema „theologischer Voraussetzungen“.10 Karl Popper analysierte bald das „Elend“ unmöglicher Geschichtsprophetien.11 Hanno Kesting und manch andere untersuchten die politische Instrumentalisierung geschichtsphilosophischer Argumente als Planungsideologie und Herrschaftslegitimation.12 2.3. Optionen der Geschichtsphilosophie in Deutschland nach 1949 Vergegenwärtigen wir die Ausgangslage des bundesdeutschen geschichtsphilosophischen Diskurses nach 1949 noch etwas eingehender. Von besonderer Signifikanz war hier Karl Löwiths Studie Meaning in History, mit der dieser aus der Emigration nach Heidelberg zurückkehrte. 1953 erschien die knappe Studie unter dem Titel Weltgeschichte und Heilsgeschehen in der Übersetzung von Hanno Kesting. Löwith markierte in knapper, eingängiger Form die Lage des geschichtsphilosophischen Diskurses. Seine Kritik folgte Heideggers Verfahren der „Destruktion“ historischer Entwicklungen im „Schritt zurück“ auf vergessene Anfänge und Grundlagen. Löwith destruierte das universalgeschichtliche Schema der historistischen Weltgeschichtsschreibung im Schritt zurück bis auf religiöse und „theologische Voraussetzungen“. Der bloße Verweis auf solche Voraussetzungen wirkte bereits wie eine Widerlegung. Löwith optierte dagegen für säkulare Geschichtswissenschaft und markierte seine Alternative auch gegen die Universalgeschichtsschreibung eines Leopold von Ranke mit Jacob Burckhardt. Darüber hinaus vertrat er eine Disjunktion zwischen Geschichtsphilosophie und Geschichtswissenschaft. Er grenzte den Glauben aus der Wissenschaft aus. Die Geschichtstheologie selbst schien ihm nur noch historisch interes8

Vgl. H. Lübbe, Vom Parteigenossen zum Bundesbürger. Über beschwiegene und historisierte Vergangenheit, München 2007. 9 Vgl. dazu autobiographisch prägnant O. Marquard, „Sprachmonismus und Sprachpluralismus der Philosophie“, in: ders., Skepsis in der Moderne. Philosophische Studien, Stuttgart 2007, 71-82. 10 Vgl. K. Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie, Stuttgart 1953. 11 Vgl. K. Popper, Das Elend des Historizismus, Tübingen 1965. 12 Vgl. H. Kesting, Geschichtsphilosophie und Weltbürgerkrieg. Deutungen der Geschichte von der Französischen Revolution bis zum Ost-West-Konflikt, Heidelberg 1959.

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sant. Ein religiöses Geschichtsbild lehnte er ab, überließ es dem privaten Glauben. An Löwiths Studie schieden sich damals die Wege: die Option für (1) Geschichtstheologie, (2) Geschichtswissenschaft oder (3) andere Traditionen von Geschichtsphilosophie.13 2.3.1. Geschichtstheologie Carl Schmitt, der eigentliche Lehrer Hanno Kestings, markierte gegen Löwith sogleich die fortdauernde Möglichkeit von Geschichtstheologie. Er las Löwiths Destruktion konstruktiv als Erinnerung an die „Möglichkeit“ eines religiösen und urchristlichen Geschichtsdenkens.14 Dabei kritisierte er den Abbau des frühchristlichen Geschichtsdenkens bis auf die jüdischen Wurzeln. Löwiths scharfe Absage an das religiöse Geschichtsdenken las er auch als „jüdische“ Kritik. An Armin Mohler schrieb er damals, dass das Christentum auch bei Löwith „Judentum geworden ist, eine Episode in der Geschichte des Judentums“15. Leise thematisierte er damit eine tabuisierte Dimension christlicher Restaurationen nach 1949: die alte Auseinandersetzung von Judentum und Christentum. Schmitt akzeptierte zwar die „geschichtstheologische“ Lesart neuerer Geschichtsphilosophie; er bestritt aber ihre Verwerfung. Lübbes Frankfurter Lehrer Gerhard Krüger vertrat damals ein moderates, philosophisch reflektiertes protestantisches Geschichtsbild.16 In den 60er Jahren nahm Hans Blumenberg dann die Auseinandersetzung mit dem „theologischen Absolutismus“17 neu auf. Odo Marquard knüpfte mit seinen Arbeiten zur Geschichte der Geschichtsphilosophie und Bewältigung der Theodizeeproblematik vielfältig daran an.18 Oft wird Marquard als „Kompensationstheoriker“19 zusammen mit Lübbe diskutiert und in einen Topf geworfen. Marquard entwickelte seine Kritik der Geschichtsphilosophie aber, anders und später als Lübbe, von einer komplexen Historiographie der Geschichtsphilosophie her, die über Ritter und Löwith hinaus auch von Hans Blumenberg angeregt war.20

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Vgl. dazu R. Mehring, „Karl Löwith, Carl Schmitt, Jacob Taubes und das ‚Ende der Geschichte‘“, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 48 (1996), 231-248. 14 Vgl. C. Schmitt, „Drei Stufen historischer Sinngebung“, in: Universitas 5 (1950), 927-931; Wiederabdruck in: ders./H. Blumenberg, Briefwechsel 1971-1978, hg. v. M. Lepper/A. Schmitz, Frankfurt/M. 2007, 161-166; vgl. ders., „Die Einheit der Welt“, in: Merkur 6 (1952), 1-11. 15 C. Schmitt am 1.12.1950 an Armin Mohler, in: ders., Briefwechsel mit einem Schüler, hg. v. A. Mohler, Berlin 1995, 92. 16 Vgl. G. Krüger, Freiheit und Weltverwaltung, Freiburg/Br. 1958. 17 H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt/M. 1966. 18 Vgl. O. Marquard, Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie, Frankfurt/M. 1973; ders., Glück im Unglück. Philosophische Überlegungen, München 1995; jüngst noch ders., „Die Krise des Optimismus und die Geburt der Geschichtsphilosophie“, in: ders., Skepsis in der Moderne (Anm. 9), 93-108. 19 Vgl. dazu unten Abschnitt 4. 20 Vgl. O. Marquard, „Entlastung vom Absoluten. In memoriam Hans Blumenberg“, in: ders., Philosophie des Stattdessen. Studien, Stuttgart 2000, 108-120.

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2.3.2. Geschichtswissenschaft Eine andere Lesart knüpfte an Löwiths Disjunktion von Geschichtsphilosophie und Geschichtswissenschaft an. Sie nahm das historiographische Anregungspotential der großen Geschichtsphilosophien ernst und las die philosophischen Teleologien als wissenschaftliche Hypothesen und historische Narrationen. Sie fragte gleichsam: Wieviel Ranke oder Burckhardt steckt in Hegel?21 Die bundesdeutsche Geschichtswissenschaft verzichtete freilich nicht ganz auf größere Linienführungen. Eine starke nationalgeschichtliche Teleologie war durch die Aufgabe einer Revision der „deutschen Katastrophe“ (Friedrich Meinecke) gegeben. Man kritisierte den konstitutionellen „Sonderweg“ der „verspäteten Nation“ und machte Luther oder Friedrich II., Bismarck oder Wilhelm II. als fatale Weichensteller aus. Gerhard Ritter und Hans Rothfels, Franz Schnabel und Theodor Schieder waren Hauptvertreter des Faches. Sie erinnerten an den Widerstand gegen Hitler, verteidigten die „Ehre“ Preußens gegen zu pauschale Gleichsetzungen mit dem deutschen Militarismus und entwickelten auch differenzierte Typologien vom Nationalstaat. Verstärkt führte die Kritik des deutschen Sonderwegs zur pointierten Option für „Verwestlichung“ und den langen Weg nach Westen. Man suchte die Ursprünge des modernen Totalitarismus aber auch in Destruktionspotentialen der Moderne auf und betrachtete Nationalismus und Massendemokratie als Problem. Die politische Philosophie spielte die Antike gegen Neuzeit und Moderne aus (Hannah Arendt, Leo Strauss, Eric Voegelin). Aristoteles und Hobbes erschienen als Antipoden. Immanuel Kant hatte in diesen Diskursen nur eine Nebenrolle. Joachim Ritter machte Hegel als modernen Aristoteles stark, der die Krise des Revolutionszeitalters mit einem neuen konstitutionellen Denken beantwortete. Die historische Erforschung des Modernitätsumbruchs konzentrierte sich dann auf die „Sattelzeit“ (Reinhart Koselleck) vor 1789. Die Spätaufklärung erschien als Inkubationszeit umfassender Neuorientierung und Modernisierung. Das Lexikon Geschichtliche Grundbegriffe und Niklas Luhmanns Projekt „Gesellschaftsstruktur und Semantik“ sind reife Früchte dieser Diskussionen. Aber auch in Lübbes Konzept von der Aufklärung und seine Epochendiagnose „nach der Aufklärung“ gehen diese Diskussionen ein. 2.3.3. Geschichtsphilosophie Ein dritter Einwand richtete sich gegen Löwiths Geschichte der Geschichtsphilosophie. Ist die Linie nicht allzu vereinfacht? Ist sie nicht zu sehr vom Historismus her gedacht? Ludwig Landgrebe, ein remigrierter Husserl-Schüler, wies direkt darauf hin, dass Löwiths Formierungsgeschichte der Geschichtsphilosophie eine sehr signifikante Lücke aufwies: Sie hatte Immanuel Kant übersprungen!22 Ohne Kant aber kein Hegel, keine Geschichtsphilosophie überhaupt! Zwar nahm auch Kant die geschichtstheologische 21 Vgl. dazu die frühe Dissertation von E. Schulin, Die weltgeschichtliche Erfassung des Orients bei Hegel und Ranke, Göttingen 1958. 22 Vgl. L. Landgrebe, „Die Geschichte im Denken Kants“, in: ders., Phänomenologie und Geschichte, Gütersloh 1967, 46-64.

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Tradition subtil und kritisch auf. Jacob Taubes erörterte ihn deshalb auch eingehend in seiner Geschichte der Abendländischen Eschatologie23, einem ingeniösen religiösen Vorgänger von Löwiths schlichterer und wirkmächtigerer Studie, der sich ganz auf die „eschatologischen“ Voraussetzungen konzentrierte und die säkulare Alternative Geschichtswissenschaft nicht vertrat. Man kann die Transformation der Geschichtstheologie in Geschichtsphilosophie noch detaillierter beschreiben und dabei Löwiths Destruktionsprogramm folgen.24 Kant steht aber auch für die Eigenständigkeit des philosophischen Diskurses gegenüber Religion und Theologie und für die Möglichkeit einer säkularen Geschichtsphilosophie. 2.4. Das Erbe Kants und Hegels So grundlegend Kants Geschichtsphilosophie für Hegel und alle neuere Geschichtsphilosophie war, markiert sie doch auch eine „kritische“ Alternative.25 Diese ist zunächst durch die „weltbürgerliche Absicht“ gekennzeichnet: durch die „pragmatische“ Ausrichtung und „Orientierung“ der Herkunftsgeschichten an der Ermöglichung humaner Zukunft. Sodann ist sie als „Theorie der Politik“26 durch die konstitutionelle Ausrichtung auf die „Verfassung“ und den rein politischen „Frieden“ gekennzeichnet.27 Der alte Kant beschränkte sich auf die allgemeine „Idee“, einen „Leitfaden a priori“ für eine universale Geschichte des Fortschritts an Verrechtlichung. Die Systematisierung des „Aggregats“ der Geschichte, Ausarbeitung des „Romans“ vom Geschichtsgang überließ er einem anderen „philosophischen Kopf“28. Dies unternahm Hegel in seinen Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte und weitete dabei Kants konstitutionelles Projekt zu einer umfassenden Geschichte des „objektiven“ und des „absoluten“ Geistes aus. Unter dem Eindruck der terroristischen Wendung der Französischen Revolution und der napoleonischen Kriege beschränkte er sich aber weitgehend auf die Rückschau29, verzichtete auf Prognosen und Prophetien möglicher Zukunft. Hegels Revision der Kantischen Geschichtsphilosophie deutete vor allem die Rolle von Kunst, Religion und Philosophie um. Kant stand als Aufklärer des 18. Jahrhunderts noch im Kampf mit der religiösen Orthodoxie. Hegel sah die Rolle von 23

Vgl. J. Taubes, Abendländische Eschatologie, Zürich 1947. So auf höchstem Niveau A.U. Sommer, Sinnstiftung durch Geschichte? Zur Entstehung spekulativ-universalistischer Geschichtsphilosophien zwischen Bayle und Kant, Basel 2006; ders., Friedrich Nietzsches ‚Der Antichrist‘. Ein historisch-philosophischer Kommentar, Basel 2000. 25 Vgl. H. Schnädelbach, Geschichtsphilosophie nach Hegel. Die Probleme des Historismus, Freiburg/Br. 1974; ders., „‚Sinn‘ in der Geschichte. Über Grenzen des Historismus“, in: ders., Philosophie der modernen Kultur, Frankfurt/M. 2000, 127-149; vgl. auch P. Kolmer, Philosophiegeschichte als philosophisches Problem. Kritische Überlegungen namentlich zu Kant und Hegel, München 1998. 26 V. Gerhardt, Immanuel Kants Entwurf ‚Zum ewigen Frieden‘. Eine Theorie der Politik, Darmstadt 1995. 27 Zur Abgrenzung des politischen vom religiösen Frieden vgl. D. Sternberger, Die Politik und der Friede, Frankfurt/M. 1986. 28 I. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, in: ders., Werke, Bd. IX, hg. v. W. Weischedel, Darmstadt 1964, 50. 29 Vgl. dazu V. Hösle, Hegels System, Hamburg 1988; ferner R. Maurer, Hegel und das Ende der Geschichte. Interpretationen zur ‚Phänomenologie des Geistes‘, Berlin 1965. 24

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Kunst, Religion und Philosophie positiv und beschrieb die Geschichte dieser Formen des „absoluten Geistes“, Formen der Formulierung Gottes, als einen „Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit“. Hegel sah den „objektiven“ und „absoluten“ Geist in Wechselwirkung. Kunst, Religion und Philosophie sah er als Ermöglichungsbedingungen politischer Institutionalisierung von Freiheit. Hegel thematisierte, nüchtern gesagt, das Verhältnis von Kultur und Politik, vertrat eine Kulturlehre politischer Verfassung und artikulierte damit auch die reformistische Alternative zur Revolution: Konstitutionalisierung „von oben“ durch „weise“ Monarchen. Formelhaft meinte er: Keine politische Entwicklung und Revolution ohne Reformation der Denkungsart! Denn es ist ein falsches Prinzip, dass die Fesseln des Rechts und der Freiheit ohne die Befreiung des Gewissens abgestreift werden, daß eine Revolution ohne Reformation sein könne.30

Joachim Ritter betonte dies in seinen wegweisenden Hegel-Deutungen.31 Diese Lesart ermöglichte auch eine neue Sicht auf Hegels „Politische Theologie“.32 Auch über die Theologie hinaus war Hegel ein Erbe Kants. Zehrt die neuere Geschichtsphilosophie auch überall vom Erbe Kants und Hegels, konnte sie den Zusammenbruch dieses Erbes doch nicht übersehen. Nicht nur der philosophische Idealismus wankte; auch seine historisch-politischen Voraussetzungen zerfielen. Hegel stand als Zeuge des Revolutionszeitalters an der Schwelle vom Konstitutionalismus zum Nationalismus; er erlebte die Radikalisierung zum jakobinischen Terror, den Aufstieg Napoleons und den Untergang der Revolution im Kaisertum, die gegenrevolutionären Kriege und napoleonischen Eroberungen, die nationalen Erhebungen und die Restauration der europäischen Ordnung auf der diskreditierten Grundlage der dynastischen Legitimität. Das 19. Jahrhundert brachte dann den Aufstieg des bürgerlichen Nationalliberalismus, Vormärz und die europäischen Revolutionen von 1848, die Industrialisierung und die „soziale Frage“, die Verstädterung und Proletarisierung, den Übergang von der konstitutionellen Monarchie zum Nationalstaat, die „verspäteten“ Nationalstaatsgründungen in Italien und Deutschland, die „kleindeutsche“ Lösung. Vor 1900 verschärften sich Nationalismus und Revanchismus, Kolonialismus und Imperialismus, Antisemitismus und Rassismus. Um 1900 machte die industrielle Revolution einen neuen Sprung. Die Städte wurden elektrifiziert, U-Bahnen, Autos, Telefon und Film kamen auf. Die „Urkatastrophe“ des Ersten Weltkriegs, „Versailles“ und die Zwischenkriegszeit, der Zweite Weltkrieg schließlich führten zum Untergang und zur Entmachtung des „Alten“ Europa, zum europäischen Pessimismus, Totalitarismus, Vandalismus und Völkermord.33 Die Geschichtsphilosophie konnte nach 1945 deshalb nicht mehr einfach an 30

G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, in: ders., Theorie-Werkausgabe, Bd. XII, Frankfurt/M. 1970, 535. 31 Vgl. J. Ritter, Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel, Frankfurt/M. 1969; vgl. dazu O. Marquard, „Zukunft und Herkunft. Bemerkungen zu Joachim Ritters Philosophie der Entzweiung“, in: ders., Skepsis und Zustimmung. Philosophische Studien, Stuttgart 1994, 15-29. 32 Vgl. dazu nur E.-W. Böckenförde, „Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Religion bei Hegel“, in: ders., Recht, Staat, Freiheit. Erweiterte Ausgabe, Frankfurt/M. 2006, 115-142. 33 Zur anti-idealistischen Gegenrechnung vom Untergang Roms ausgehend vgl. A. Demandt, Vandalismus. Gewalt gegen Kultur, Berlin 1997; ders., Endzeit? Die Zukunft der Geschichte, Berlin 1993.

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Kant oder Hegel anknüpfen. Neue weltpolitische Akteure waren aufgetreten. Die USA und die stalinistische Sowjetunion galt es zu verstehen. Arnold Toynbee und Karl Jaspers suchten die neuen weltpolitischen Akteure in einem pluralistischen und polyzentrischen Geschichtsdenken neu zu erfassen.34 War die „Europäisierung“35 wirklich das zentrale Kennzeichen? Gab es eine „Weltgeschichte Europas“36? Geschichtsphilosophie hatte sich als Mobilisierungs- und Planungsideologie erwiesen. Die Möglichkeit einer vernünftigen, humanen Geschichtsphilosophie musste der Tradition und Wirklichkeit neu abgerungen werden. 2.5. Der geschichtsphilosophische Ausgangspunkt Hermann Lübbes Hier setzte Hermann Lübbe ein. Religiöse Geschichtstheologien waren für ihn zunächst kein Thema. Der nebulösen Verfallsgeschichte Martin Heideggers ging er nicht auf den Leim. Die Aufgabe einer neuen kritischen Rekonstruktion sah er wohl. Die systematische Aufgabe ging er aber nicht direkt an, sondern konzentrierte sich zunächst auf die Ideologiekritik. In seiner frühen Monographie Politische Philosophie in Deutschland 37 gab Lübbe der Hegelianismus-Kritik Anfang der 60er Jahre eine interessante neue Wendung: Er schrieb nicht die Linie von Hegel über Marx und Lenin zu Stalin fort, sondern untersuchte die Entwicklung, die vom Rechtshegelianismus über die Sozialphilosophie der Neukantianer bis zum ebenfalls utopischen Nationalismus der sog. „Ideen von 1914“ führte – er legte m.a.W. eine Ideologiekritik des deutschen Nationalismus seit 1831 vor. Dabei las er die Dynamik des geschichtsphilosophischen Diskurses politisch, indem er politische Motive und Gründe aufdeckte. An Hegel interessierte ihn nicht die vermeintliche Offenbarung des Weltgeistes, sondern die Argumentation, mit der die Hegelsche Rechtsphilosophie imstande gewesen war, „den liberalen Inhalt politischer Aufklärung […] unter den Verhältnissen Preußens“38 festzuhalten, d.h. die besondere Vermittlung ihrer Themen, Fragestellungen und Antworten mit der konkreten Situation, in der sie formuliert wurden. Programmatisch heißt es in der Einleitung: Die politische Philosophie seit Hegels Tod hat zunächst keinen abendländischen, sondern beispielsweise einen vormärzlichen Sinn: sie wird nicht vom Sein, vielmehr vom Ausbruch des Weltkrieges bewegt.39

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Vgl. K. Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, Zürich 1949. Vgl. dazu J. Ritter, „Europäisierung als europäisches Problem“, in: ders., Metaphysik und Politik (Anm. 31), 321-340. 36 H. Freyer, Weltgeschichte Europas, Wiesbaden 1948. 37 Vgl. H. Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland. Studien zu ihrer Geschichte, Basel 1963; ders. (Hg.), Die Hegelsche Rechte, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962; ders. (Hg.), Johann Eduard Erdmann. Die deutsche Philosophie seit Hegels Tode, Stuttgart-Bad Cannstatt 1964. 38 H. Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland (Anm. 37), 11. 39 Ebd. – Vgl. ebd.: „Auf der Höhe des Blickpunktes, dem sich etwa die Philosophie Nietzsches als Folge eines Geschickes darstellt, das sich metaphysikgeschichtlich im platonischen oder parmenideischen Denken ereignet hat, läßt sich politische Philosophie nicht mehr erkennen oder darstellen.“ 35

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Methodisch implizierte ein solcher Blick auf die Geschichte aus der Perspektive der Wirkung politischer Ideen die Möglichkeit eines funktionalen Umgangs mit ihr, enthielt somit die Grundlegung späterer „Geschichtspragmatik“, die ihre Zeit nie bloß deuten, sondern immer auch bestimmen will. Zeitlich ging Lübbe mit der Nationalismuskritik bis an die Schwelle zum Nationalsozialismus. Sein Verzicht auf eine eingehendere Thematisierung der nationalsozialistischen Geschichtsideologie war damals auch ein Statement: Darüber haben wir noch ein klares Urteil! Sie ist indiskutabel.40 Diesen Wahnsinn muss man gar nicht erst philosophisch nobilitieren. Heute ist auch das geschichtsphilosophische Denken nationalsozialistischer Ideologen eingehend erforscht. Hitler, Rosenberg, Goebbels und viele andere Nationalsozialisten sind in ihrem „philosophischen“ Denken eingehend erforscht.41 Auch die heilsgeschichtlichen Phantasmen des Nationalsozialismus sind heute bis in die diversen Vertreter durchbuchstabiert. Der Krisenweg Deutschlands ist eingehend untersucht. Mit seiner Ideologiekritik des deutschen Nationalismus seit dem Rechtshegelianismus ging Lübbe hier den Debatten voraus. 3. Narrativistische und pragmatische Wendung der Geschichtsphilosophie In den 60er Jahren veränderte sich der geschichtsphilosophische Diskurs. Man schlug nicht mehr Marx mit Hegel und Hegel mit Kant, sondern begann die literarische Form der großen Geschichtserzählungen genauer zu analysieren. Die Philosophiegeschichte ging nun über die Klassikerhermeneutik hinaus. „Begriffsgeschichte“ wurde das neue Zauberwort und Programm. Es entstand eine Wissenschaftstheorie der Kulturwissenschaften und damit zugleich eine analytische Philosophie der Geschichte. Terminologisch scheint es hilfreich, hier zwischen analytischen Theorien und normativ-praktisch engagierter Philosophie zu unterscheiden. Theorien analysieren und konstituieren Wissenschaftspraxis, Philosophie rechtfertigt Lebenspraxis. Die 60er Jahre wenden sich vom Sollen zum Sein. Der philosophische Diskurs ernüchtert sich und beschränkt sich auf analytische Aussagen. Er überlässt die großen Heilsversprechen der Studentenbewegung und analysiert den faktischen Gebrauch historischer Argumente. Man kann hier von einer semantizistischen und narrativistischen Wendung des Diskurses sprechen. Die Fragen lauteten: Welches Vokabular pflegen Geschichtsphilosophen? Was ist die Topik ihrer Argumente? Was konstituiert den geschichtsphilosophischen Diskurs als Teildisziplin trennscharf gegenüber anderen?

40

Vgl. dazu ders., „Ideologische Selbstermächtigung zur Gewalt“, in: ders, Philosophie nach der Aufklärung, Düsseldorf – Graz – Wien 1980, 266. 41 Vgl. dazu etwa F.-L. Kroll, Utopie als Ideologie. Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich, Paderborn 1998; C.-E. Bärsch, Die politische Religion des Nationalsozialismus. Die religiöse Dimension der NS-Ideologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler, München 1998.

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Reinhart Koselleck und Hermann Lübbe sind die wohl wichtigsten deutschen Vertreter dieser Umstellung von der klassikerzentrierten Ideologiekritik auf die eingehendere Analyse des geschichtsphilosophischen Diskurses, die nun über den akademischen Kanon hinausgreift und auch den alltagssprachlichen Umgang mit historischen Argumenten berücksichtigt. Im Beitrag des vorliegenden Bandes thematisiert Lübbe seine philosophischen Prägungen als Vorgeschichte dieser akademischen Leistung und Wendung zur Wissenschaftstheorie insbesondere der Kulturwissenschaften. Sie ist ein unstrittiger Kern seiner akademischen Gesamtleistung. Weitere Verdienste wären zwar zu nennen. „Pragmatisch“ empfiehlt sich aber die Konzentration auf diesen Kern. Zwei wichtige Bücher am Anfang und Ende dieser Werketappe sind Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs von 1965 und Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse von 1977.42 Lübbe skizzierte seine „ideenpolitische“ Lesart der Begriffspragmatik zunächst am Beispiel der „Säkularisierung“. Dabei kritisierte er nebenbei auch die „faule Vernunft“ historischer Erklärung durch pauschalen Verweis auf „Säkularisierung“43. Seine „ideenpolitische“ Akzentuierung begriffsgeschichtlicher Methode war ein erster wichtiger Betrag zur analytischen Geschichtstheorie. – Das Buch von 1977 kann dann als Grundlegung von Lübbes Geschichtsphilosophie betrachtet werden, wodurch er zum „Wissenschaftstheoretiker der historischen Wissenschaften“ wurde. Schon die Form der Aufsatzsammlung ist ein Stück Modernisierung. Statt großer Schreibtischmonographien entstehen Lübbes Werke aus der Vortragswirksamkeit als Sammlung und monographische Profilierung wirkmächtiger Beiträge. In Fortführung der Philosophie der Geisteswissenschaften Joachim Ritters beansprucht das Werk „mit den Mitteln der analytischen Philosophie“ zu zeigen wieso die historischen Wissenschaften, auch wenn sie für historische Erklärungen Theorien nutzen müssen, zu theoretischen Wissenschaften nicht werden können, sondern, als Wissenschaften des Nachvollzugs kontingenzabhängig singulärer, nicht prognostizierbarer Prozesse und Evolutionen, unaufhebbar Wissenschaften der erzählenden Darstellung bleiben, und zwar die historischen Naturwissenschaften ebenso wie die historischen Kulturwissenschaften.44 42 Als weitere zentrale Aufsätze wären zu nennen: „Philosophiegeschichte als Philosophie. Zu Kants Philosophiegeschichtsphilosophie“, in: K. Oehler u.a. (Hg.), Einsichten. Gerhard Krüger zum 60. Geburtstag, Frankfurt/M. 1962, 204-229; „Geschichtsphilosophie und politische Praxis“, in: H. Lübbe, Theorie und Entscheidung, Freiburg/Br. 1971, 111-133; „Was heißt ‚Das kann man nur historisch erklären‘?“, in: ders., Fortschritt als Orientierungsproblem. Aufklärung in der Gegenwart, Freiburg/Br. 1975, 154-168; „Wozu Historie?“, in: ders., Unsere stille Kulturrevolution, Zürich 1976, 13-20; „Die Identitätspräsentationsfunktion der Historie“, in: ders., Praxis der Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichtstheorie, Stuttgart 1978, 97-122; „Wer kann sich historische Aufklärung leisten? Zum Streit um die politische Funktion der historischen Geisteswissenschaften“ und „Wieso es keine Theorie der Geschichte gibt“, in: ders., Philosophie nach der Aufklärung (Anm. 40), 89-141; Die Einheit von Naturgeschichte und Kulturgeschichte. Bemerkungen zum Geschichtsbegriff, Wiesbaden 1981. 43 Vgl. ders., Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs, Freiburg/Br. 1965, 112ff. 44 Ders., „Philosophische Selbstdarstellung in redaktionellem Auftrag“, in: A. Mercier/M. Svilar (Hg.), Philosophes critiques d’eux-mêmes, vol. 14, Bern – Frankfurt/M. – New York – Paris 1990, 63. – Zur darauf basierenden Kennzeichnung der Theorie Lübbes als „Neo-Historismus“ vgl. J. Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik, Göttingen 2006, 57-60. – Dazu meine Besprechung in: Philosophischer Literaturanzeiger 59 (2006), 214-218.

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3.1. „Systemindividualisierung“ Lübbe setzt 1977 analytisch an: Wie und wann wird historisch argumentiert? Wann werden historische Erklärungen gegeben? Wann scheinen sie nötig? Lübbe fasst historische Erzählungen als „Prozesse der Systemindividualisierung“. Wir stellen uns biographisch mit Individualitätsbehauptungen vor, gehorchen einem Zwang zur Individualisierung und „Identitätspräsentation“45, wie Lübbe terminologisch sagt. Zentraler Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist dabei ein gemeinsprachlicher Begriff von Identität, „wie er uns aus den praktischen Zusammenhängen vertraut ist, in denen vor Gericht oder vor Ämtern, von der Polizei oder von Zöllnern, die Identität von Personen festgestellt oder überprüft wird“ 46. Im Englischen oder im Französischen heißt das Personalpapier, das dieser Feststellung oder Überprüfung dient, identity card oder carte d’identité, und genau diese Bedeutung des Wortes „Identität“ wird mit dem Vorschlag aufgenommen, die geschichtliche Individualität, sofern man auch selbst sich in dieser identifiziert, „Identität“ zu nennen. Identität ist das, was als – zutreffende – Antwort auf die Frage erteilt wird, wer wir sind.47

„Identitätspräsentation“ besagt von hier aus die Darstellung dieser Identität in Texten und Dokumenten: Unser Name, sofern er mehr ist als ein unterscheidungstechnisch mangelhaftes Äquivalent der Personalnummer, die unsere numerische Individualität symbolisiert, repräsentiert unsere geschichtliche Individualität. Er läßt sich als eine Überschrift zu der Geschichte auffassen, über die wir und andere diese unsere geschichtliche Individualität identifizieren. […] „Die Geschichte steht für den Mann“ – auf diese Formel hat der Phänomenologe und Husserl-Schüler Wilhelm Schapp die These vom Ursprung der Identität aus Geschichten gebracht. Die Namen von Personen seien Überschriften von Geschichten, und „nur über Geschichten“ gäbe es „Zugang zu ihnen“.48

Was von hier aus mit „Identitätspräsentationszwängen“ gemeint ist, erläutert Lübbe seinem akademischen Publikum an einem geläufigen Beispiel: an der Präsentation des akademischen Lebenslaufes in Bewerbungsverfahren. Sogleich spitzt er das Beispiel sarkastisch zu: auf die okkasionelle Variation und Adaption der Identitätspräsentation – wir sprechen heute gerne von „Selbstvermarktung“ – an die jeweilige akademische Adresse: Mitte der 70er Jahre bewarb man sich in Bremen tunlichst anders als in München. Lübbe nennt das Beispiel, kostet es damals aber noch nicht erzählerisch aus. Später verweilt er gerne etwas bei der ironischen Beschreibung, gleichsam bis in die Materialität der Bewerbungsmappen hinein: Recyclingpapier in Bremen, Bütten für München. 45 H. Lübbe, Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse. Analytik und Pragmatik der Historie, Basel 1977, 172. 46 Ders., „Die Identitätspräsentationsfunktion der Historie“ (Anm. 42), 99f. 47 Ebd., 100f. 48 Ebd.

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3.2. „Geschichtsinteresse“ Die Rede vom „Geschichtsinteresse“ weist demgemäß auf anthropologische Voraussetzungen der Geschichtsnarration hin: Menschen haben ein Interesse an Geschichte. Sie verstehen sich geschichtlich und brauchen Geschichten von ihrer Herkunft und Zukunft. Damit ist Lübbe bei Kant: bei der „pragmatischen“ Hinsicht und Rücksicht auf die Geschichte. Lübbe spricht – wie Kant – auch von „Orientierung“49 durch geschichtliche Narrationen. Bei der Ausarbeitung seiner Geschichtspragmatik nimmt er das Erbe der Phänomenologie in der Variante seines „friesischen“ Lehrers Wilhelm Schapp auf.50 Seine Philosophie misst die großen Meistererzählungen am individuellen autobiographischen Bedarf. Die narrativen Bedürfnisse des Einzelnen werden zu einem Maßstab „pragmatischer“ Beurteilung. „Holistische“ Geschichtsphilosophien vom „Sinn“ der Geschichte im Ganzen sind reichlich überspannt. Schwächere teleologische Linienführungen epochenübergreifender Handlungssinnstrukturen können dagegen der Orientierung dienen. Weltgeschichte wird in individuellen „Lebenssinn“ verstrickt. „Die“ Geschichte im Ganzen lebt nur in der existentiellen Brechung durch den Einzelnen. Geschichte gibt es nur in Geschichten. Als konstitutiv geht in den Lübbeschen Geschichtsbegriff dabei das Bewusstsein für die Kontingenz der geschichtlichen Identität der Individuen ein: Identität ist „niemals handlungsrational, vielmehr stets nur historisch erklärbar“51: [D]as, was einer ist, verdankt sich nicht der Persistenz seines Willens, es zu sein. Identität ist kein Handlungsresultat. Sie ist das Resultat einer Geschichte, das heißt der Selbsterhaltung und Entwicklung eines Subjekts unter Bedingungen, die sich zur Raison seines Willens zufällig verhalten.52

Den Sinn für den Zufall zu schärfen, ist daher das erklärte Anliegen des Lübbeschen Blicks auf die Geschichte, die ihm als „Medium der Kontingenzerfahrung“ gilt. Diese Kontingenzerfahrung kann dabei gleichermaßen auf die Unverfügbarkeit (1) der Vorgaben wie (2) der Folgen unseres Handelns und schließlich (3) des Weltlaufs insgesamt bezogen sein.53 Auch für Lübbes Religionsphilosophie ist die Kontingenz als ontologische Grunderfahrung deshalb von zentraler Bedeutung. Sein und Sinn konvergieren nach seinem ontologischen Credo nicht. Das Sein ist nicht vernünftig. Der Glaube an einen guten Gott verdrängt nur die wahrhaft religiöse Erfahrung von der Kontingenz und Endlichkeit des individuellen Daseins. „Die Theodizee ist der Versuch, die Wirklichkeit zu moralisieren“54. Von hier aus erklärt sich auch die Skepsis gegenüber jeder finalistischen Deutung von Historie, die das Verständnis Lübbes von Geschichte bestimmt: 49

Vgl. dazu ders., Fortschritt als Orientierungsproblem (Anm. 42). Vgl. dazu noch ders., „Wissen in Geschichten. Wilhelm Schapps Philosophie – berufsfrei und lebensweltnah“, in: ders., Philosophie in Geschichten, München 2006, 134-151. 51 Ders., Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse (Anm. 45), 203. 52 Ebd., 54. – Zum Kontingenzproblem bei Lübbe insgesamt vgl. ebd., 54-68, 269-291; ders., Religion nach der Aufklärung, Graz 1986, 144-178. 53 Vgl. ders., Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse (Anm. 45), 154. 54 Ebd., 202. 50

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Jener gesamtgesellschaftliche Prozeß, den wir „Geschichte“ nennen, ist handlungsmäßig überhaupt nicht integrierbar, daher als solcher im ganzen auch nicht steuerbar. Die Geschichte hat auch kein angebbares, als Zukunftsprojektion ihre Gegenwart transzendierendes Ziel, und es ist daher nicht etwa allzu schwierig, sondern sinnlos, der geschichtlichen Entwicklung als solcher ein Ziel setzen zu wollen.55

Die hier grob skizzierten Überlegungen hat Lübbe überaus differenziert und wortgewaltig ausgearbeitet. Bei Odo Marquard finden sich verwandte Gedanken. Koselleck teilt mit Lübbe zwar die semantizistische und narrativistische Wendung, verzichtet als Historiker aber auf den phänomenologischen und anthropologischen Unterbau. 3.3. „Nach der Aufklärung“ Lübbe zieht aus seiner narrativistischen Dekonstruktion der großen geschichtsphilosophischen oder auch metaphysischen Meistererzählungen eine epochendiagnostische Konsequenz: Er kennzeichnet unsere geistesgeschichtliche Lage als Situation „nach der Aufklärung“. Drei systematisch gewichtige Sammelbände tragen diese Epochenbezeichnung im Titel. Lübbe beschreibt die Philosophie, Religion und Politik „nach der Aufklärung“. Seit über zwanzig Jahren pflegt er diesen Titel. 1980 erschien sein Buch Philosophie nach der Aufklärung 56, 1986 folgte seine besonders bekannte Positionsbestimmung Religion nach der Aufklärung 57 und vor wenigen Jahren, 2001 noch, erschien eine Sammlung Politik nach der Aufklärung 58. Lübbe sieht sich am Ende der klassischen Aufklärung als „Nachaufklärer“. Kokette Etiketten wie „posthistorie“ oder „Postmoderne“ meidet er. „Nach der Aufklärung“ heißt für Lübbe: durch die Erfahrung der Aufklärung hindurchgegangen, durch diese Erfahrung belehrt. Die idealistische Philosophie der Aufklärung scheiterte an ihrer „Anspruchshypertrophie“59, schreibt Lübbe und nennt Fichte, Hegel, Marx. Die Forderung nach einer Politik der Wahrheit, nach jakobinischer „Erziehungsdiktatur“ und Philosophenkönigtum nennt er auch unter Verweis auf Platon „potentiell terroristisch“60 und übernimmt Hegels „Theorie des Terrors“ in vielen Analysen.61 Gewissheiten werden leicht selbstgerecht und gefährlich. Ideologie und Moral können Menschen durch ihren apodiktischen Geltungsanspruch terrorisieren. Lübbes ständige Opposition gegen Habermas‘ Diskursethik zielt auch auf diese romantische Politik der Wahrheit. Die 55

Ders., Fortschritt als Orientierungsproblem (Anm. 42), 130f. Vgl. ders., Philosophie nach der Aufklärung, Düsseldorf – Graz – Wien 1980. 57 Vgl. ders., Religion nach der Aufklärung, Graz 1986. 58 Vgl. ders., Politik nach der Aufklärung. Philosophische Aufsätze, München 2001. 59 Ders., Philosophie nach der Aufklärung (Anm. 40), 38. 60 Ebd., 190. 61 Vgl. ebd., 242ff; vgl. dazu auch ders., Endstation Terror. Rückblick auf lange Märsche, Stuttgart 1978; ders., Politischer Moralismus. Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft, Berlin 1987; Lübbe verweist für die kritische Analyse philosophischer „Selbstermächtigung von Gewalt“ neben Hegel, Heinrich Heine und Karl Popper ausdrücklich (263) auch auf Carl Schmitt, wobei er sehr wahrscheinlich dessen Schrift Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (1923) meint. Zur politischen Kritik der moralistischen Gesinnungspolitik vgl. R. Mehring, „Das Politikum der Kritik. Geschichtstheorie nach Carl Schmitt“, in: Neue Rundschau 111 (2000), 154-167. 56

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Aufklärung ist gewiss ein historisch komplexes Phänomen. Lübbe verwirft nicht die pragmatische Aufklärung und die vorrevolutionären „Klassiker“ Montesquieu, Lessing oder Kant. Das hypertrophe Projekt der Aufklärung, das er ablehnt, ist eine idealistische und rationalistische Politik der Wahrheit, die Normbegründung und Normdurchsetzung in eine Hand und Feder setzt. Lübbe verweist beides, Normbegründung wie Normdurchsetzung, dagegen auf die differenzierte Institutionalisierung im gewaltenteilenden Verfassungsstaat.62 Er positioniert diese seine Legitimität gegen die analytische Rechtstheorie von Hans Kelsen, die Diskursethik von Jürgen Habermas und die enthumanisierte Verfahrensrationalität von Niklas Luhmann. Dabei orientiert er sich auch an der materialen Verfassungslehre von Max Weber.63 Die bürgerliche Praxis ist ihm der Ort der Normbegründung, Normgeltung und des zivilen, differenzierten Normvollzugs. Mit dem Verfassungsstaat steht Lübbe fest in der Aufklärung. Den technokratischen Traum der Abschaffung personaler Herrschaft durch Sachgesetzlichkeiten sieht er skeptisch. Dem Zug zur „Supranationalität“ und globalisierter „Zivilisationsökumene“64 stellt er die gegenläufige Tendenz zur Regionalisierung entgegen.65 Philosophen sind zwar Spezialisten für allgemeine Orientierungsfragen. Sie klären aber nur die Vernunft der Praxis. Diese Vernunft ist zwar vorläufig und fehlbar, im Ganzen aber doch leidlich bewährt und, vor allem, nur behutsam verbesserbar. Alle Entscheidungen sind riskant. Nur mit bewährter Praxis im Rücken lässt sich überhaupt etwas tun. Wir fangen niemals bei Null an. Lübbes Aufklärungskritik kann ich hier nicht näher ausführen. Wichtig scheint mir aber der philosophische Ausgang von einer Revision des idealistischen Erbes der deutschen Philosophie. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Deutschen Idealismus und Hegelianismus und der pragmatistische Neuansatz führen Lübbe zu einem Epochenbegriff. So setzt er die Epochendefinition primär philosophiegeschichtlich an. „Aufklärung“ meint ihm primär ein philosophisches Projekt. Unsere Lage „nach der Aufklärung“ kennzeichnet er durch die bittere Scheiternserfahrung der Träume und Projekte der idealistischen Vernunft. 4. Lübbe als Kompensationspraktiker Diese Grundlegung leitet zur dritten Epoche von Lübbes Geschichtsphilosophie über: zur berühmten und auch berüchtigten „Kompensationstheorie“, die Lübbe eigenständig auch von seinem Münsteraner Lehrer Joachim Ritter aufnahm.66 „Kompensation“ besagt, in 62

Vgl. H. Lübbe, Philosophie nach der Aufklärung (Anm. 40), 179ff.; zur Erarbeitung des moralphilosophischen Ansatzes vgl. ders., Theorie und Entscheidung, Freiburg/Br. 1971; vgl. auch O. Marquard, Individuum und Gewaltenteilung. Philosophische Studien, Stuttgart 2004. 63 Vgl. dazu H. Lübbe, „Dezisionismus. Eine kompromittierte politische Theorie“, in: ders., Philosophie nach der Aufklärung (Anm. 40), 161-177; vgl. auch W. Lübbe, Legitimität kraft Legalität. Sinnverstehen und Institutionenanalyse bei Max Weber und seinen Kritikern, Tübingen 1991. 64 Vgl. dazu H. Lübbe, Abschied vom Superstaat. Vereinigte Staaten von Europa wird es nicht geben, Berlin 1994; ders., Die Zivilisationsökumene. Globalisierung kulturell, technisch und politisch, München 2005. 65 Vgl. dazu ders., Politik nach der Aufklärung (Anm. 58). 66 Vgl. dazu ders., „Affirmationen. Joachim Ritters Philosophie im akademischen Kontext der zweiten deutschen Demokratie“, in: ders., Philosophie in Geschichten (Anm. 50), 152-168.

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der Kurzbestimmung Odo Marquards, den „Ausgleich von Mangellagen durch ersetzende oder wiederersetzende Leistungen“67. Die Kompensationstheorie fragt demgemäß – mit bilanzierendem Blick, jedoch ohne Bezug auf die Vorstellung einer zielgerichteten Weiterentwicklung – nach der Wiederherstellung verloren gegangener Gleichgewichte unter den Bedingungen der Fortschrittsgeschichte der Moderne. Lübbe modifizierte die Kompensationstheorie Ritters und warf sie geschichtspolitisch in die Debatten der Bundesrepublik. Jens Hacke hat darüber einiges geschrieben.68 Joachim Ritter selbst war vielleicht gar kein Kompensationstheoretiker.69 Er setzte philosophische Metaphysik nicht mit den modernen Geisteswissenschaften gleich, vertrat aber die Auffassung, dass die abendländische Metaphysik mit Aristoteles und Hegel eigentlich vollendet und das mögliche Bild vom Menschen aufgestellt sei. Erst nach Hegel zerbrach die philosophische Synthese, und die Natur- und Geisteswissenschaften drifteten in ihrer diversen Fortschrittsdynamik auseinander; eine wahrhafte philosophische Synthese wurde fast unmöglich. Ritter bereits sprach von einer „Entzweiung“70 von „Herkunft und Zukunft“, Koselleck von einer Schere von „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“71. Zukunft ist anders als Herkunft. Unsere Erfahrungen tragen uns heute immer weniger. Tradition wird zunehmend fossil, Alter zur Torheit. Koselleck verweist als Historiker auf die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“, auf die stabilisierenden Altbestände und „Zeitschichten“ in der Neuzeit.72 Vorsichtig lotet er die Möglichkeit rationaler „Prognosen“ aus und bekennt sich verstärkt zur liberalen Raison des Rechtsstaats,73 wobei er seinen Liberalismus durchaus mit historisch belehrten Vorbehalten gegen die moderne Demokratie verbindet. 4.1. Geschichtspolitik Lübbe wird in dieser Lage seit den späten 70er Jahren zum Geschichtspolitiker und bietet Herkunft kompensatorisch gegen Zukunft auf.74 Er macht sich zum geisteswissenschaftlichen Anwalt der Geschichte gegen eine herkunftsvergessene Zukunft und erinnert die 67

So summarisch O. Marquard, Philosophie des Stattdessen (Anm. 20), 34. Vgl. J. Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit (Anm. 44), zur Kompensationstheorie v.a. 70-79. 69 Vgl. J. Ritter, Metaphysik und Politik (Anm. 31); ders., Subjektivität, Frankfurt/M. 1974. 70 Zum hegelschen Begriff der ‚Entzweiung‘ in seiner Deutung bei Ritter vgl. ders., Metaphysik und Politik (Anm. 31), 214f. sowie ders., [Art.] „Entzweiung“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 2, Basel 1972, Sp. 565-572: Ritter versteht ‚Entzweiung‘ „positiv als die Form, in der sich unter der Bedingung der modernen Welt ihre ursprüngliche Einheit erhält. Die objektive Realität der Aufklärung und die bewahrende Subjektivität sind komplementär aufeinander bezogen.“ 71 Vgl. R. Koselleck, „‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘ – zwei historische Kategorien“, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt/M. 1979, 349-375. 72 Vgl. ders., Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt/M. 2000. 73 So zuletzt ders., Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache, Frankfurt/M. 2006. 74 Zum Begriff ‚Geschichtspolitik‘, der v.a. im ‚Historikerstreit‘ der 1980er Jahre Bedeutung erlangte, vgl. H. Lübbe, „Aufklärung und Gegenaufklärung“, in: M. Zöller (Hg.), Aufklärung heute, Zürich 1980, 11f: „Ersichtlich ist unser Vergangenheitsverhältnis, über das wir unsere kulturelle Identität sichern, stets ein Politikum, und das bedeutet: Die Legitimität des Anspruchs, mit den zukunftsfähigen Teilen der eigenen Vergangenheit in Übereinstimmung zu sein, kann politisch bestritten werden, und zwar im Extremfall in der Absicht, ein historisches Erbschaftsmonopol zu behaupten.“ 68

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Herkunftsidentitäten gegen den wahnsinnigen Modernisierungsdruck beschleunigter Geschichte: gegen die herkunftsblinde Beschleunigung, die von der grandiosen Dynamik der Naturwissenschaften und Technik ausgeht. Unser pragmatischer Bedarf an Geschichte und historischen Argumenten bestimmt sich korrektivisch aus der Dynamik des Fortschritts. In der Schere von Herkunft und Zukunft entdeckt Lübbe die „Gegenwartsschrumpfung“: den Zerfall einer stabilen Lebenswelt in der rasanten Veränderung. Salopp gesagt: Im ständigen Tapetenwechsel erkennen wir unser Heim nicht wieder. Nutzen und Nachteil der Historie, um mit Friedrich Nietzsche zu sprechen, müssen behutsam gegeneinander ausbalanciert werden. Lübbes weitere Bücher thematisieren mal mehr den Nachteil – die „Aufdringlichkeit“ der Geschichte75 – mal mehr ihren kompensatorischen Nutzen gegen den beschleunigten „Zug der Zeit“. Dazu kommen scharfe Abrechnungen mit dem politischen Moralismus und Diktat politischer correctness. Auch hier vertraut Lübbe der komplexen Praxis mehr als doktrinären Ideologien. 4.2. Empirisierung und Neologismus Odo Marquard und Hermann Lübbe gelten als die wichtigsten Kompensationstheoretiker. Marquard ist jedoch weit stärker als Lübbe von Joachim Ritter und Hans Blumenberg geprägt und argumentiert stärker begriffsgeschichtlich. Lübbe ist mehr durch die moderne Naturwissenschaft und Wissenschaftstheorie hindurchgegangen. Beide sind glänzende Schriftsteller, die ihr Publikum auch durch Wortwitz fesseln. Die Philosophie der frühen Bundesrepublik war sehr heterogen. Sie litt unter den enormen Emigrationsverlusten, der politischen Spaltung und Fraktionierung seit der nationalsozialistischen Erfahrung, litt an Lagerbildungen zwischen Tradition und Revolution. Die philosophische Hermeneutik leistete damals zunächst einen wichtigen Beitrag zur „Horizontverschmelzung“ (HansGeorg Gadamer) und Traditionsbildung über den Bruch der Kriegskatastrophen hinweg.76 Einige wichtige Vertreter der alten „Frankfurter Schule“ kehrten aus der Emigration zurück. Die Philosophie fand aber nur schwer zu einer gemeinsamen und neuen Sprache und zog sich seit den 60er Jahren verstärkt in Klassikerhermeneutik zurück. Lexikalische Großvorhaben knüpften zwar gemeinsame Arbeitsprojekte. Es fehlte aber ein gemeinsamer interdisziplinärer Diskurs. Die Klassikerhermeneutik trieb hyperspezialisierte Blüten aus. Der „Morbus hermeneuticus“ (Herbert Schnädelbach) ging um.77 Lübbe repräsentiert dagegen eine neue Interdisziplinarität, Sachlichkeit und Sachhaltigkeit, auch als Wissenschaftsorganisator und Universitätspolitiker. Statt eingehender Darstellungen seiner Bücher seien hier nur zwei methodische und terminologische Erträge 75

Vgl. H. Lübbe, Die Aufdringlichkeit der Geschichte. Herausforderungen der Moderne vom Historismus bis zum Nationalsozialismus, Graz 1989. 76 Vgl. dazu O. Marquard, „Frage nach der Frage, auf die die Hermeneutik die Antwort ist“, in: ders., Abschied vom Prinzipiellen. Philosophische Studien, Stuttgart 1981, 117-146; vgl. R. Mehring, „Weimarer Philosophie als Einwand? Von der Existentialismuskritik zur Autorität der Tradition in der bundesdeutschen Nachkriegsphilosophie“, in: C. Gusy (Hg.), Weimars lange Schatten. „Weimar“ als Argument nach 1945, Baden-Baden 2003, 176-198. 77 Vgl. dazu H. Schnädelbach, „Morbus hermeneuticus. Thesen über eine philosophische Krankheit“, in: ders., Vernunft und Geschichte, Frankfurt/M. 1987, 279-284.

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erwähnt: die Empirisierung durch die Beispiele und die terminologischen Neologismen. Wie kein Zweiter versteht es Lübbe, geschichtsphilosophische Theoreme in Beispielen anschaulich zu machen und zu empirisieren. Er demonstriert den beschleunigten Umgang mit Geschichte etwa am Beispiel der Museums- oder der Friedhofskultur, der Architekturgeschichte oder der Archivierungstechniken. Lübbe entdeckt zahlreiche kulturgeschichtlich interessante Themen, zielt aber darüber hinaus sozialphilosophisch auf eine Gesamtsicht des „Komplementärzusammenhangs von Fortschrittsdynamik und Veralterungsgeschwindigkeit“78: auf den „Lebenssinn der Industriegesellschaft“. Der Witz der Beispiele, Lakonismus der Beschreibung, running gag des leitmotivischen Verweises auf die friesische Herkunft ist jedem Leser und Hörer unvergesslich. Schon die didaktische Memorabilität der rhetorischen Finessen bewährt Lübbes pragmatischen Ansatz. Der Triumph des Witzes und des Begriffs ist zutiefst human und philosophisch. Charakteristisch ist auch der terminologische Neologismus. Unzählige Wortprägungen schenkte Lübbe – wie auch der befreundete „Transzendentalbelletrist“ Odo Marquard – der deutschen Sprache. Lübbe ist der Großmeister des zwei- und dreistelligen Kompositums. Berühmt ist beispielsweise die „Kontingenzbewältigungspraxis“. Vor fünfzehn Jahren hörte ich einmal einen Vortrag über Carl Schmitt als „Dezisionsromantiker“. Das Wort hat die Kraft einer Schmittschen Formel. Die These wird mit dem prägnanten Titel memorabel. Man muss den Vortrag fast nicht mehr lesen. Es wurde bereits die „Identitätspräsentationsfunktion“ zitiert. Lübbe baut solche Komposita wie ein Musikstück auf. Er beginnt mit der „Identität“, kommt zur „Identitätspräsentation“, toppt sie nach einigen Beispielen mit der „Identitätspräsentationsfunktion“. Vierstellige Komposita – einen „Identitätspräsentationsfunktionsschwund“ etwa – lehnt er, wie er im Rahmen unserer Bensberger Tagung bekannte, begriffsästhetisch ab. Seine Rhetorik oszilliert zwischen schlichten Formulierungen und Beispielen und sehr komplexen syntaktischen Strukturen mit gehäuftem Fach- und Fremdwortgebrauch sowie Neologismen. Seine Sprache ist rhetorisch gesteigert. Lübbe spricht einfach, um im nächsten Moment syntaktisch und semantisch zu fordern. Pädagogisch fordert er so die Aufmerksamkeit, hebt das sprachliche Niveau. Dabei nimmt er die Vokabeln aus den unterschiedlichsten Disziplinen und durchmischt sie mit reichen alltagspraktischen und wissenschaftsorganisatorischen Erfahrungen und Einsichten. Lübbes Sinn für prägnante Beispiele ist frei von jeder negativistischen Relativierung des Individuellen im Jargon einer „negativen Dialektik“. Sein Beispiel ist ihm nicht Hintergrundmusik einer allpräsenten Metaphysik, sondern Explanandum. Unter Berufung auf den Münsteraner Philosophen Heinrich Scholz nennt Lübbe mehrere Kriterien für das philosophische Beispiel: Echtheit, Signifikanz des Einzelnen für Vieles, Einfachheit und Bedeutsamkeit.79 Kant unterschied zwischen dem Schulbegriff und dem Weltbegriff der Philosophie. Lübbe ist beides: Universitätsphilosoph und Weltweiser: ein weltkluger Philosoph, dem alles interessant wird und der noch oder gerade das Alltäglichste in die philosophische Bedeutung hebt. Er ist neugierig in der pragmatisch-skeptischen Tönung, 78 H. Lübbe, Im Zug der Zeit Verkürzter Aufenthalt in der Gegenwart, Berlin – Heidelberg – New York u.a. 1992. 32003, 309. 79 Vgl. oben den Beitrag von H. Lübbe, S. 26f.

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für die er auch ein charakteristisches Wort hat: Er ist „verblüffungsresistent“, erfahrungsoffen und eingelassen in den Witz des Alltags. Eine eingehendere Analyse seiner Rhetorik würde vermutlich überzeugender als irgendeine doktrinäre Rekonstruktion seiner zentralen Theoreme zeigen, wie sehr er auf der Höhe unserer Wissenschaft und Zeit ist: Er kennt die Klassiker und zitiert aktuelle Autoren, verfügt über hohe analytische Standards, argumentiert sachbezogen und systematisch, denkt interdisziplinär, adressiert sich ergebnis- und wirkungsorientiert über den akademischen Diskurs hinaus. Ein neueres Buch heißt Modernisierungsgewinner.80 Wenn das Wort nicht von Lübbe stammt, könnte es doch von ihm sein: Ist das von Lübbe? Ist es nicht von Lübbe? Seine Neologismen sind eine Marke, ein Label. Lübbe hat das Glossar unserer geistesgeschichtlichen Lage geschrieben, das Vokabular mitgeprägt und alle neuere Sozialphilosophie sitzt auf seinen Schultern. 5. Unzureichender Schlusseinwand: Moralphilosophie statt common sense? Was bisher gesagt wurde, sind unstrittige Selbstverständlichkeiten, die gleichsam die Störche von den friesischen Dächern klappern. Abstrahieren wir nur sehr vorläufig einige Erträge für einen Minimalbegriff aktueller Geschichtsphilosophie. Es ist ein Gesamtertrag der neueren Diskussion, dass von einem transindividuellen „Sinn“ der Geschichte als Ganzheit nicht gesprochen werden kann. „Holistische“ Aussagen über den Sinn der Natur- und Menschheitsgeschichte im Ganzen sind problematisch. Schon Kant führte an Nahtstellen wie dem „mutmaßlichen“ Anfang der Menschheitsgeschichte und dem „Ende aller Dinge“ exemplarisch vor, wie sich die Grenzen kritisch ziehen lassen.81 Er betonte auch, dass sich Geschichtsphilosophie an der politischen Idee möglicher Zukunft ausrichten soll. Jenseits der „holistischen“ Dogmatik muss der Begriff der Geschichtsphilosophie gegen die Geschichtswissenschaft neu bestimmt werden. Nicht alle starken Aussagen über historische Verlaufsprozesse wird man bereits der Philosophie zurechnen. Epochendefinitionen und epochenübergreifende Aussagen mit deskriptivem Anspruch zählen zur Geschichtswissenschaft. Für geschichtsphilosophische Aussagen ist dagegen, wie für philosophische Aussagen insgesamt, die normativ-praktische Ausrichtung auf die Rechtfertigung einer humanen Lebenspraxis kennzeichnend. Geschichtsphilosophien zielen über deskriptive Aussagen hinaus auf die begründete praktische Wertung: auf den Nutzen und Nachteil von Geschichte für das „Menschengeschlecht“ oder eine andere Bezugsgröße ethischer Identitätsbehauptung. Ist Geschichtsphilosophie nur universalistisch als „Menschheitsgeschichte“ möglich? Oder kann es beispielsweise auch eine „nationalistische“ Geschichtsphilosophie geben? Eine Philosophie der „deutschen“ Nation etwa? Das hängt von der jeweiligen politischen Philosophie und Ethik ab, auf die die Geschichtsphilosophie aufbaut. Wir vertreten heute, 80 Vgl. ders., Modernisierungsgewinner. Religion, Geschichtssinn, Direkte Demokratie und Moral, München 2004. 81 Vgl. I. Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte; Das Ende aller Dinge, in: ders., Werke Bd. IX (Anm. 28), 85-102 u. 175-190.

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wie schon Kant, in aller Regel starke universalistische Intuitionen. Für die elementare Begriffsbildung von Geschichtsphilosophie, für deren Unterscheidung von Geschichtswissenschaft und Ethik, ist aber das Kriterium praktischer Wertung von Geschichte basaler. Geschichtsphilosophie macht Aussagen über epochenübergreifende Handlungssinnstrukturen in normativ-praktischer Absicht. Sie trifft Aussagen über den humanen Sinn von Geschichte. Die analytische Geschichtsphilosophie analysiert die Form solcher Argumentationen und abstrahiert die jeweiligen ethischen Basiskonzepte. Ein geläufiger Einwand gegen Lübbe setzt hier bei der basalen Ethik und Politik an. Herbert Schnädelbach formulierte den Vorbehalt scharf: Er sprach von einer neoaristotelischen „Ethos-Ethik“ und von politisch konservativen Konsequenzen.82 Schnädelbach berief sich dagegen mehr auf Kant. Der Streit um Aristoteles und Kant kann hier nicht ausgetragen werden. Der Konservatismus-Einwand oder -Vorwurf mag in einigen Sachfragen auch berechtigt sein, ist bei Lübbes Konzept von Nachaufklärung und Modernisierung aber grundsätzlich problematisch. Lübbe trat als Reformer an und wirkte im philosophischen Diskurs, wie hier angedeutet, als Innovator und Modernisierer, der die Philosophie aus dem Reservat der Geistesgeschichte und Klassikerhermeneutik herausführte und Interdisziplinarität wissenschaftstheoretisch und wissenschaftspolitisch wegweisend und vorbildlich lebt. Sein Beitrag zur Rekonstruktion des geschichtsphilosophischen Diskurses liegt, wie gesagt, in der analytischen Wendung und bewußten Reetablierung einer Pragmatik, die er, als echter Aufklärer, nicht zuletzt in der Vortragstätigkeit, im Kolloquium, im philosophischen Gespräch betreibt. Der Gegenstandsbereich und Zeitindex seiner Geschichtsphilosophie wäre weiter zu bedenken. Kant und Hegel repräsentieren hier die gegensätzlichen Pole einer zukunftsorientierten und einer end- und vollendungsgeschichtlich akzentuierten Geschichtsphilosophie. Der Junghegelianismus konvertierte zur Utopie. Die Katastrophenerfahrung des Weltkriegs und die Marxismuskritik gaben dem Geschichtsdenken der frühen Bundesrepublik oft eine endgeschichtliche Tönung und einen anti-utopistischen Affekt. Kann Geschichtsphilosophie, nach unserem Minimalverständnis, aber überhaupt endgeschichtlich sein? Vernachlässigt Lübbe in seiner scharfen Utopiekritik und kompensatorischen Vergangenheitsvergegenwärtigung die Perspektive möglicher Zukunft? Grundsätzlich ist klar: Lübbe denkt nicht endgeschichtlich. Er scheut Prognosen möglicher Zukunft nicht. Seine „kompensatorische“ Einstellung lässt ihn aber seine Geschichtspragmatik, anders als Kant, nicht dezidiert aus der Sicht möglicher und wünschbarer Zukunft entwerfen. Eine stärker an Kant orientierte Geschichtsphilosophie legt die Gewichte zwischen Vergangenheit und Zukunft etwas anders. Sie scheint heute, oft mit Rawls und Habermas, die großen Diskussionen um „Globalisierung“, effektive Universalisierung des Völkerrechts und Institutionalisierung globaler politischer Organisationsmodelle zu bestimmen. Lübbe beteiligt sich zwar an diesen Fragen weiter intensiv. Meine Darstellung beschränkte sich aber auf seine ältere Rekonstruktion: seinen Schritt zur Analytik und Pragmatik. 82 Vgl. H. Schnädelbach, „Was ist Neo-Aristotelismus?“ und „Kritik der Kompensation“, beides in: ders., Zur Rehabilitierung des animal rationale. Vorträge und Abhandlungen 2, Frankfurt/M. 1992, 205-230 und 399-411; zuletzt ders., „Die Verteidigung der Republik. Rezension von Jens Hacke“, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 55 (2007), 653-660.

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Was könnten jüngere Generationen nun im Gespräch mit Lübbe eventuell suchen? Vielleicht die generationelle Differenz? Lübbes Generation fand aus der Katastrophe zu relativer Stabilität. Gegen ideologische Erfahrungsresistenzen setzt Lübbe auf die Vernunft gesellschaftlicher Praxis und auf den gewaltenunterscheidenden Verfassungsstaat. Andererseits diagnostiziert er eine Erosion der moralischen Ressourcen im Modernisierungsprozess. Meine Generation, Jahrgang 1959, „Generation 1978“, „Zaungäste“83 der Kulturrevolution nach 1968, postrevolutionäre Wohlstandskinder, die vom Rock&Roll zur psychodelischen Musik, von den Rolling Stones zu Tangerine Dream schritt, grüne Aktivisten, die in den 70er Jahren ihre Jugend hatte, geht aus der alten Bundesrepublik in die Krise. Wir hängen an der „alten“ Bundesrepublik und müssen heute den härteren Wettbewerb schultern. Wir drohen in der „Globalisierung“ und Plurifizierung weltpolitischer Akteure nicht nur den ökonomisch-technischen Wettlauf zu verlieren. Die moralischpolitische Basis der alten Bundesrepublik kommt uns abhanden. Das egalitäre Band gemeinsamer Katastrophen- und Aufbauerfahrungen fehlt, religiöse Ressourcen, zivilgesellschaftliche Substanz und ein bürgerfreundlicher Rechtsstaat erodieren. Der ausgebaute Sozialstaat war uns selbstverständlich. Mit Hartz IV finden wir – generationstypologisch, nicht konfessionell gesprochen – uns nicht ab. Der geschichtsphilosophische Diskurs muss heute diesen Substanzverlust unserer multikonfessionellen Gegenwart, scheint mir, noch stärker thematisieren als Lübbe das tat. Wir können nicht mehr auf den common sense bauen. Der Multikulturalismus ist ein zentrales Konfliktthema. Die allgegenwärtige Ökonomisierung der Lebenswelt zerstört die bürgerlichen Formen. Die informationelle Medienrevolution verändert das kulturelle Gedächtnis. Zwar sieht Lübbe das alles; mit seinen kritischen Analysen des Herkunfts- und Gegenwartsschwundes hat er nur zu Recht. Der Modernisierungswahn ist heute deshalb auch überall entzaubert. Geschichtspolitisch ist es heute daher aber nicht mehr in der gleichen Weise angeraten, Herkunft gegen Zukunft aufzubieten. Zwar argumentiert Lübbe niemals konservativ. Er verweist als „Nachaufklärer“ nur auf Modernisierungskosten. Wir brauchen heute aber erneut komplexe Zeitanalysen, die die Frage möglicher Zukunft in epochenübergreifenden Teleologien vorsichtig diskutieren. Die mögliche Zukunft darf kein Tabuthema sein, weil wir – Deutschland und Europa – unsere Handlungsoptionen sachlich überdenken müssen. Dazu gehört nicht nur die genaue Analyse der ökonomisch-technischen Lage – die „Standortfrage“ –, sondern auch die offene Diskussion der normativen Fragen. Die gesellschaftliche Moral versteht sich heute nicht mehr von selbst. Sie kommt uns in der prekären Zukunft abhanden. An neuen Herausforderungen ist kein Mangel. Wie auch immer man aber die Akzente legt und Lübbes Ethik und Politik einschätzt: Seine Rekonstruktion der Geschichtsphilosophie ist in der analytischen Wendung und pragmatischen Orientierung ein hoher Standard. Der geschichtsphilosophische Diskurs hat Lübbe nötig.

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R. Mohr, Zaungäste. Die Generation, die nach der Revolte kam, Frankfurt/M. 1992.

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Institution, Dezision und moralische Orientierung in der liberalen Demokratie Zu Hermann Lübbes politischer Philosophie 1. Einleitung Es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass Hermann Lübbe zu den wichtigsten politischen Philosophen der Bundesrepublik Deutschland zählt. Um genauer zu sein: Neben den vielen Rollen, die Hermann Lübbe als Philosoph ausfüllt – Kulturphilosoph, Geschichtsphilosoph, Philosophiehistoriker, Wissenschaftsphilosoph (um nur einige zu nennen) –, kann man ihn vor allem als einen politischen Philosophen begreifen. Er ist es im doppelten Sinne, denn zum einen war seine Züricher Lehrtätigkeit der politischen Theorie gewidmet, zum anderen hat Hermann Lübbe stets die politische Öffentlichkeit gesucht. Die Beschäftigung mit politischer Theorie prägt sein Werk. 1.1. Politische Philosophie unter den Bedingungen der liberalen Demokratie Sein erstes Buch – eines seiner bekanntesten – behandelt die Politische Philosophie in Deutschland von Hegel bis zu den so genannten „Ideen von 1914“1. Frühe, wichtige Aufsätze thematisieren die „Typologie der politischen Theorie“, die „Theorie der Entscheidung“ und „Die politische Theorie der Technokratie“.2 Bedeutende ideengeschichtliche Arbeiten, etwa über Heinrich Heine, Oswald Spengler, Ernst Jünger, Ernst Cassirer, Hans Freyer, Carl Schmitt oder Karl Jaspers, setzen sich mit für die deutschen Sonderwege des politischen Denkens spezifischen antiliberalen Abirrungen auseinander und entwickeln ex negativo die Grundzüge einer liberalen politischen Philosophie. Wie der früh in die SPD eingetretene Hermann Lübbe in den Verdacht geraten konnte, neokonservativen antidemokratischen Tendenzen Vorschub zu leisten, ist von dieser Warte aus schwer begreiflich zu machen,3 zeigt sich doch in diesen Arbeiten sehr deutlich sein traditionskritischer Im1

H. Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland. Studien zu ihrer Geschichte, München 1963. Vgl. ders., „Typologie der politischen Theorie“, in: H. Kuhn/F. Wiedmann (Hg.), Das Problem der Ordnung. Sechster Deutscher Kongress für Philosophie München 1960, Meisenheim 1962, 77-94; „Zur politischen Theorie der Technokratie“, in: Der Staat 1 (1962), 19-38; „Zur Theorie der Entscheidung“, in: Collegium Philosophicum. Studien. Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, Basel – Stuttgart 1965, 118-140. 3 Vgl. die von scharfen Verurteilungen und Verdächtigungen geprägte Kritik an Lübbe, die in ihm den herausragenden und deswegen wohl potentiell gefährlichsten Vordenker des „Neokonservatismus“ 2

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puls. Allerdings gehörte es immer zum Denkstil und zur Methodik Lübbes, politisches Denken ideengeschichtlich zu kontextualisieren und den politischen Irrtum des Einzelnen nicht in der Rolle des Anklägers herauszustellen, sondern auch auf die für viele verborgenen überzeitlichen Erkenntnisse dieser „kompromittierten“ Denker hinzuweisen. Man soll ein politisch-theoretisch relevante Einsicht nicht deswegen ignorieren, weil sie radikal links oder radikal rechts gedacht worden ist, lautet Lübbes Credo, das er bezeichnenderweise Ernst Bloch entlehnt. Sein nun schon klassisch zu nennender Aufsatz „Carl Schmitt liberal rezipiert“ führt diese liberale Kerntugend mustergültig vor.4 Lübbe ist darüber hinaus ein problemorientierter politischer Philosoph, der in der Vergangenheit einen untrüglichen Instinkt dafür bewiesen hat, die klassischen Elemente der politischen Theorie unter den Bedingungen der liberalen Demokratie neu zu konzeptualisieren. Frühzeitig stellte er die Spezifik der politischen Handlungs- und Entscheidungsfähigkeiten in komplexen Gesellschaften heraus und konterkarierte damit die Einseitigkeiten von kommunikations- und systemtheoretischen Entwürfen. Er machte deutlich, dass die bürgerliche Lebenswelt keineswegs dem Schicksal einer Kolonialisierung durch das politische System anheim fallen muss, wie Jürgen Habermas insinuierte, sondern nützliche Widerlager und Rückzugsräume ausbildete, aus denen ihrerseits Rückwirkungen auf politische Prozesse zu erwarten waren. 1.2. Politische Philosophie und Kulturphilosophie der Moderne Lübbes politische Überlegungen bleiben stets eng mit seiner Kulturphilosophie der Moderne verknüpft – im Zuge der durch den beschleunigten Fortschritt induzierten Orientierungskrisen, benötigt der Mensch Räume und Weltaneignungspraxen, die Vertrauen generieren und in einer sich schnell verändernden Welt dabei helfen, sich zurechtzufinden. Soziologische Analyse und philosophische Erklärung sind in Lübbes Gegenwartsanalyse eng miteinander verschränkt. So kann er verschiedene Phänomene wie den Regionalismus als europäische Bewegung, den Denkmalschutz, die Musealisierungs- bzw. Historisierungstendenzen sowie die kompensierende und traditionssichernde Rolle der Geisteswissenschaften als konstruktive Fortschrittsreaktionen zugleich beschreiben und gutheißen.5 Gegen eingleisige Modernisierungstheorien, die religiöse Institutionen, Praktiken und Lebensorientierungen mehr oder weniger im Verschwinden begriffen sahen, hielt Lübbe sah: J. Habermas, Kleine Politische Schriften I-IV, Frankfurt/M. 1981, 311-464; ders., Die neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische Schriften V, Frankfurt/M. 1985, 30-56; R. Saage, „Neokonservatives Denken in der Bundesrepublik“, in: I. Fetscher (Hg.), Neokonservative und „Neue Rechte“, München 1983, 68-116; H. Brunkhorst, Der Intellektuelle im Land der Mandarine, Frankfurt/M. 1987; N. Hilger, Deutscher Neokonservatismus – das Beispiel Hermann Lübbes, Baden-Baden 1995. 4 Vgl. H. Lübbe, „Carl Schmitt liberal rezipiert“, in: H. Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988, 427-440, dort auch die an Bloch orientierte Aufforderung, „doch Wahrheiten nicht deswegen zu verschenken, weil man sie rechtsliegend angetroffen hat“ (430). 5 Vgl. unter Lübbes zahlreichen Veröffentlichungen vor allem Die Aufdringlichkeit der Geschichte. Herausforderungen der Moderne vom Historismus bis zum Nationalsozialismus, Graz –Wien – Köln 1989; Im Zug der Zeit. Verkürzter Aufenthalt in der Gegenwart, Berlin – Heidelberg – New York 1992; Modernisierung und Folgelasten. Trends kultureller und politischer Evolution, Berlin – Heidelberg – New York 1997.

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zudem nüchtern an der Notwendigkeit von Kontingenzbewältigungspraxen fest und reflektierte über das neue Verhältnis von Religion und Politik nach der Aufklärung.6 Hermann Lübbes Philosophie ist ohne das Politische kaum darstellbar; auch seine Kulturphilosophie der Moderne – geprägt vom Gedanken der beschleunigten technischen Entwicklung und ihren Kompensationsphänomenen – ist stets auf die Gesellschaft und ihre Selbstorganisation bezogen, sie bleibt der Sozialphilosophie und der politischen Philosophie verbunden. Die Reflexion und Theoretisierung des Politischen, so ließe sich Lübbes Standpunkt zusammenfassen, wäre völlig nutzlos, stützte sie sich nicht auf erfahrungsgesättigte Gesellschaftsdiagnose. 1.3. Praxisorientierung der politischen Philosophie Darüber hinaus ist Hermann Lübbe zu Zeiten ein Philosoph in der Politik gewesen. Er hat nicht nur theoretisiert, sondern sich politisch engagiert, als SPD-Mitglied und als öffentlicher Intellektueller; von 1966 bis 1970 hat er sogar als Staatssekretär in der nordrheinwestfälischen Landesregierung an politisch verantwortlicher Stelle gewirkt. Anders als Ralf Dahrendorf, dessen politische Ambitionen laut unvorsichtiger eigener Äußerungen bis ins Kanzleramt reichten und der seine Eignung als Intellektueller für die Politik damit gehörig überschätzte, war sich Lübbe der Grenzen eines solchen Engagements bewusst.7 Hermann Lübbe gehört zu den Mitinitiatoren zahlreicher hochschulpolitischer Initiativen, etwa dem Bund Freiheit der Wissenschaft (1970) sowie den Kongressen zur Tendenzwende (1974) und zum Mut zur Erziehung (1978), in denen er Stellung gegen die bildungspolitischen Folgen der 68er-Kulturrevolution bezog.8 In den 1980er Jahren war er ein gefragter Politikberater (ohne dass er sich so selbst jemals bezeichnet hätte), nun schon lange eher auf Seiten der Christdemokraten. Das Kanzleramt griff ebenso auf seine Expertise zurück wie die baden-württembergische Landesregierung unter Lothar Späth. Lübbes öffentliche politische Interventionen haben ihm verschiedene Stigmatisierungen eingetragen – für Gegner war er ein Konservativer, ein Neokonservativer gar, andere, die es freundlicher meinen, würdigen ihn als Liberalen bzw. Liberalkonservativen.9 Diese Verbindung zur Politik ist in den letzten Jahren etwas zurückgetreten, ebenso wie der Streit um und mit Hermann Lübbe. Das Klima hat sich seit den scharf geführten Debatten der 1970/80er Jahre beruhigt.10 Aber auch in seinen Jahren als Emeritus hat sich der 6

Vgl. H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung, Graz – Wien – Köln 1986. Zu Dahrendorfs politischer Karriere vgl. A. Baring, Machtwechsel. Die Ära Brandt-Scheel, Berlin 1998, 350-353. 8 Vgl. die Dokumentation der Initiativen: Tendenzwende? Zur geistigen Situation der Bundesrepublik, Stuttgart 1975; Mut zur Erziehung. Beiträge zu einem Forum am 9./10. Januar 1978 im Wissenschaftszentrum Bonn-Bad Godesberg, Stuttgart 1979. Die Darlegung bildungspolitischer Perspektiven findet sich in H. Lübbe, Unsere stille Kulturrevolution, Zürich 1976. Zum Gesamtzusammenhang vgl. J. Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik, Göttingen 2006. 22008, 100-116. 9 Vgl. etwa P. Nolte, „Hermann Lübbe und die ‚Fortsetzung der Aufklärung‘ im 20. Jahrhundert. Philosophie der technischen Intelligenz oder neokonservative Wende“, in: Sowi 34 (2005), 48-56. 10 Vgl. als Überblick insgesamt ders., „Konservatismus in Deutschland. Geschichte – und Zukunft?“, in: Merkur 55 (2001), 559-571. 7

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Philosoph Lübbe nie auf fachwissenschaftliche Veröffentlichungen beschränkt. Seine im weitesten Sinne politische Publizistik hat ein breites Publikum erreicht, ob in Hörfunkbeiträgen oder Zeitungsartikeln. Hervorzuheben sind seine Großessays zum politischen Moralismus, zur europäischen Einigung und zur öffentlichen Entschuldigungspraxis, die alle im renommierten Siedler Verlag erschienen sind.11 Der fast gleichaltrige Dieter Henrich hat einmal über seinen Philosophenkollegen geschrieben, „dass der Politiker Lübbe niemals schweigt, wenn der Theoretiker spricht“12. Diese Aussage ist doppelbödig: Zum einen schwingt darin der Vorwurf mit, Wissenschaft und Politik nicht sauber zu trennen; zum anderen – und diese Seite sehe ich als bedeutsamer an – kommt der Respekt zum Ausdruck, dass beim Philosophen Lübbe Theorie und Praxis des Politischen in einem konstruktiven Verhältnis zueinander stehen. Mit anderen Worten: Hermann Lübbes politische Philosophie ist praktisch relevant. Sie ist dies, weil sie realitätsbezogen ist und auf Erfahrung aufbaut, weil sie historisch geschult und soziologisch informiert ist – und weil sie keinerlei avantgardistischer Hybris folgt, sondern auf common sense, einem Lübbeschen Zentralbegriff, beruht. Hermann Lübbe verteidigt seine Praxisorientierung, die sich eher mit konkreten Problemen beschäftigt als einen übergreifenden systematischen Theorieentwurf zu begründen sucht, als „Auswahlphilosophie des Eklektikers“, der ein „urteilskräftiger Selbstdenker“ ist.13 Für diesen haben philosophische Kenntnisse einen anwendungspragmatischen Nutzen. Lübbes leicht ironische Selbstcharakterisierung – denn natürlich weiß der Hegelianer Lübbe, dass die deutsche Philosophie mit Hegel Eklektizismus für „etwas sehr Schlechtes“ hält (so der Originalton Hegels)14 – ist dabei voraussetzungsreicher, als seine Kritiker meinen. Der Eklektiker macht sich weniger Mühe, seine theoretischen Wurzeln offen zu legen, und reduziert seine durchaus komplexen Reflexionsvergänge auf eingängige Formeln. 1.4. Eine Philosophie der politischen Bürgerlichkeit Hermann Lübbes politische Philosophie ist zugleich eng mit der Geschichte der Bundesrepublik verklammert, hat sie konstruktiv begleitet und – so meine These – repräsentiert in ihrer konservierenden Liberalität eine Philosophie der politischen Bürgerlichkeit, wie sie für die Bonner und Berliner Republik maßgeblich geworden ist.15 Sie gehört zum wertvollen Ideenbestand dieses Landes und hat dazu beigetragen, eine politischgeistige Identität herauszubilden, indem sie den normativen Gehalt des Grundgesetzes gewissermaßen retrospektiv philosophisch begründet und ausarbeitet. 11 Vgl. H. Lübbe, Politischer Moralismus. Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft, Berlin 1987; ders., Abschied vom Superstaat. Vereinigte Staaten von Europa wird es nicht geben, Berlin 1994; ders., ‚Ich entschuldige mich‘. Das neue politische Bußritual, Berlin 2001. 12 D. Henrich, „Identität und Geschichte – Thesen über Gründe und Folgen einer unzulänglichen Zuordnung“, in: O. Marquard/K. Stierle (Hg.), Identität (= Poetik und Hermeneutik, 8), München 1979, 664. 13 H. Lübbe, Aufklärung anlaßhalber. Philosophische Essays zu Politik, Religion und Moral, Gräfelfing 2001, 148f. 14 Vgl. W. Nieke, [Art.] „Eklektizismus“, in: J. Ritter u.a. (Hg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 2, Basel – Stuttgart 1972, 432f. 15 Vgl. dazu ausführlicher J. Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit (Anm. 8).

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Im Folgenden soll auf einige grundlegende Elemente von Hermann Lübbes politischer Philosophie hingewiesen werden. Wenn wir heute über und mit Hermann Lübbe diskutieren, so sollte sich darin mehr ausdrücken als der Dialog eines einzelnen großen Philosophen mit jüngeren Generationen. Hegels Diktum, die Philosophie sei „ihre Zeit in Gedanken erfasst“16, muss keinesfalls überstrapaziert werden, um daran zu erinnern, dass Hermann Lübbe nicht als Solitär zu verstehen ist. Bei ihm lassen sich in kondensierter und konziser Form diejenigen Denkmotive finden, die für eine ganze Reihe einflussreicher und prägender politischer Denker der Bundesrepublik zentral sind – im unmittelbaren Umfeld der sog. „Ritter-Schule“ sind die Philosophen Odo Marquard und Robert Spaemann sowie die Juristen Ernst-Wolfgang Böckenförde und Martin Kriele zeitweise sehr eng mit Lübbe assoziiert, aber es gibt auch viele ideelle Querverbindungen zu liberalen bis liberalkonservativen Politikwissenschaftlern wie Dolf Sternberger, Wilhelm Hennis, Peter Graf Kielmansegg und Hans Maier sowie zu philosophisch und theoretisch geschulten Historikern wie Reinhart Koselleck oder Thomas Nipperdey, um nur einige zu nennen. In Hermann Lübbe, so meine Behauptung, haben wir allerdings den vielseitigsten und wohl bedeutendsten Repräsentanten dieses bundesrepublikanischen Liberalkonservatismus vor uns. Dieser Liberalkonservatismus artikulierte sich insbesondere als Reaktion auf die Studentenbewegung und die Formierung der Neuen Linken; abseits der radikalen Linken war es insbesondere Jürgen Habermas, mit dem zahlreiche intellektuell-politische Auseinandersetzungen in den 1970/80er Jahren geführt worden sind. Hier entspann sich ein in Teilen polemisch und hart geführter Streit um die demokratische Legitimität der Bundesrepublik, den man im Nachhinein – trotz aller bis heute andauernder Unversöhnlichkeiten – in seinen produktiven Folgen würdigen kann.17 Georg Kohler und Heinz Kleger haben bereits vor einiger Zeit für die Vermittlung der beiden großen Antipoden Jürgen Habermas und Hermann Lübbe geworben.18 Für die Positionierung Lübbes in der liberalen Mitte sprechen nicht nur die Argumente dieser beiden Schüler Lübbes, sondern auch die kritische Unabhängigkeit, mit der sie selbst ihm gegenübertraten. Hermann Lübbe fasziniert die jüngere Generation und fordert sie gleichzeitig zum Widerspruch heraus – Widerspruch, den er ausdrücklich ermuntert und dem er mit Neugier, Respekt, aber auch mit eindrucksvoller Gelassenheit begegnet. Seine ironische Abgeklärtheit, die interdisziplinäre Breite des wissenschaftlichen Feldes, das Lübbe überblickt, aber natürlich der immense Erfahrungsschatz eines politischen Lebens haben etwas Einschüchterndes. Im wissenschaftlichen Dialog, im Briefwechsel, im Gespräch lernt man dann wohltuend die Liberalität und argumentative Spannweite eines Philosophen kennen, der zwar kein erklärter Diskurstheoretiker, aber 16 G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, hg. v. E. Moldenhauer/K.M. Michel (= Werke in 20 Bänden, 7), Frankfurt/M. 1970, 26. 17 Vgl. dazu auch J. Hacke, „Katalysator der Verständigung über die Bundesrepublik. Anmerkungen zum politischen Denken nach 68“, in: vorgänge 47 (2008) [Heft 1], 4-12, sowie ders., „Der Staat in Gefahr. Die Bundesrepublik der 1970er Jahre zwischen Legitimationskrise und Unregierbarkeit“, in: ders./D. Geppert (Hg.), Streit um den Staat. Intellektuelle Debatten in der Bundesrepublik 1960-1980, Göttingen 2008, 186-204. 18 Vgl. H. Kleger/G. Kohler, „Ein Kapitel politischer Philosophie in Deutschland“, in: dies. (Hg.), Diskurs und Dezision. Politische Vernunft in der wissenschaftlich-technischen Zivilisation. Hermann Lübbe in der Diskussion, Wien 1990, 11-31.

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ein überzeugender Diskurspraktiker ist, der genau weiß, wie und wo man Diskurse institutionalisiert, welche moralischen Fragen man vor der Politik zu schützen hat und wie man pragmatisch zu politischen Entscheidungen gelangen kann. Nach der etwas langen Vorrede führen uns diese Punkte mitten hinein in die politische Philosophie Hermann Lübbes. 2. Institutionen als liberalitätsgarantierender Ordnungsrahmen Für die Situation der jungen Bundesrepublik gilt Lübbes realistische Einsicht, dass die demokratische Institutionenordnung gut in Deutschland angekommen ist, „obwohl sie uns“ – wie Lübbe in einem kurzen Rezensionsaufsatz aus dem Jahr 1961 formuliert – „nicht in der Kontinuität unserer nationalen Geschichte zugefallen ist“19. Viele intellektuelle Unzufriedenheiten kreisten um die ausgebliebene deutsche Selbstbefreiung vom Nationalsozialismus, um die fehlende legitimationsbegründende Revolution. Von Jaspers bis Habermas bleibt dieser Makel des bundesdeutschen Staatswesens virulent und macht die Legitimationsgrundlage des westdeutschen Staates prekär. 2.1. „Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewußtsein“ Schon der junge Lübbe kommt hier zu einer Einschätzung, deren moralisches Urteil deutlich ist: Eben weil es der jungen Republik noch an sittlicher Substanz und demokratischer Kultur fehle, sei man darauf angewiesen, die sich die Grundsätze der liberalen Demokratie in einem reflexiven Lernprozess anzueignen, demokratische Praxis gewissermaßen einzuüben. Ein Volk von Millionen Ex-NSDAP-Parteigenossen ist in diesem kollektiven Lernprozess auf das Korsett funktionierender Institutionen angewiesen, mit Hilfe derer sich die Bundesrepublik erst nach und nach die Zustimmung ihrer Bürger erarbeiten kann, um nach einer erfolgreichen Bewährungsgeschichte staatliche Identität zu erlangen. Die moralische Abgrenzung vom Nationalsozialismus war auch im Blick auf das Selbstverständnis der freiheitsgarantierenden gewaltenteiligen Institutionen konstitutiv. Dieses Urteil über die politisch-moralischen Folgen des Nationalsozialismus bestimmt auch noch Lübbes vielleicht bekannteste Rede „Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein“, die das „kommunikative Beschweigen“ der Vergangenheit als alternativloses integratives Moment der jungen Bonner Demokratie interpretiert, gut zwei Jahrzehnte später anlässlich des 50. Jahrestages der so genannten „Machtergreifung“20. Damit möchte Lübbe keineswegs die multiplen Verdrängungsmechanismen entschuldigen. Entscheidend ist aber für den „Institutionalisten“ Lübbe, dass die Relikte des Nationalsozialismus „auf normativer Ebene inexistent“ waren, und

19 H. Lübbe, „Die Verteidigung der Freiheit als Kampf gegen den Liberalismus“, in: Zeitschrift für Politik 8 (1961), 327-352. 20 Vgl. ders., „Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein“, in: Historische Zeitschrift 236 (1983), 579-599.

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daß die gewisse Zurückhaltung in der öffentlichen Thematisierung individueller oder auch institutioneller Nazi-Vergangenheiten, die die Frühgeschichte der Bundesrepublik kennzeichnet, eine Funktion der Bemühung war, zwar nicht diese Vergangenheiten, aber doch ihre Subjekte in den neuen demokratischen Staat zu integrieren.21

2.2. Quellen der Institutionenlehre Hermann Lübbes Lübbes Hochschätzung der Institutionen speist sich primär aus zwei geistigen Quellen: einerseits aus seiner Rezeption der von Arnold Gehlen und Helmut Schelsky entwickelten Institutionentheorie und andererseits aus der Vorstellung seines Lehrers Joachim Ritter, „dass politisch Staat und Recht die habituelle Verwirklichung rechten und sittlichen Handelns in Institutionen gewähren“22. Institutionen stabilisieren, entlasten und orientieren den Einzelnen in seinen Handlungen; gleichzeitig normieren sie unsere soziale und politische Welt, denn sie repräsentieren eine bestimmte Werteordnung. Hermann Lübbe setzt auf die sittliche Prägekraft demokratischer Institutionen. Anders als Arnold Gehlen, dessen Institutionenverständnis sich wesentlich auf die alteuropäische Welt bezog und der in erster Linie den modernen Institutionenzerfall im Blick hatte23, universalisiert Lübbe die Hochschätzung der Institutionen unter den Bedingungen des modernen Rechtsstaates und schließt damit an Vorstellungen der Gewaltenteilung nach Montesquieu an. Er macht sie sich für ein Verständnis demokratischer Institutionen zunutze, die in einer neuen politischen Welt, die Gehlen verschlossen blieb, autoritative Geltung erlangen. Im Gegensatz zu Gehlen nimmt Lübbe einen Standpunkt „nach der Aufklärung“ ein; in Übereinstimmung mit Odo Marquard oder auch Richard Rorty versteht er sich als Modernitätstraditionalist, als Bewahrer der institutionellen Ordnung, wie sie das neuzeitliche Verfassungsdenken durch den liberalen Rechtsstaat geschaffen hat.24 Ich möchte in der gebotenen Kürze die wesentlichen Elemente dieser Institutionentheorie deutlich machen. 2.3. Die Vernunft der Institutionen Zuvörderst greift Lübbe (wie übrigens auch Martin Kriele, Odo Marquard oder auch Robert Spaemann) den hegelianischen Gedanken von der Vernünftigkeit des Rechts bzw. des geregelten Rechtsfortschritts auf.25 Im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung gibt es einen Vertrauensvorschuss für die bestehenden Institutionen. Die 21 Ebd., 584f., 587. – In diesem Kontext spricht vom „Institutionalisten Lübbe“ H. König, Die Zukunft der Vergangenheit. Der Nationalsozialismus im politischen Bewußtsein der Bundesrepublik, Frankfurt/M. 2003, 104. 22 J. Ritter, „Institution ‚ethisch‘. Bemerkungen zur philosophischen Theorie des Handelns“, in: H. Schelsky (Hg.), Zur Theorie der Institution, Düsseldorf 1970, 65. 23 Vgl. als Ausarbeitung seiner Institutionentheorie vor allem A. Gehlen, Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen, Bonn 1956. 24 Vgl. R. Rorty, Kontingenz, Ironie und Solidarität, Frankfurt/M. 1992. – Vgl. zum weiteren Kontext J. Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit (Anm. 8), 136-174. 25 Vgl. etwa M. Kriele, „Hobbes und englische Juristen“ (1970), in: ders., Recht, Vernunft, Wirklichkeit, Berlin 1990, 239-290.

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sog. „Beweislastverteilungsregel“ mutet dem Veränderer die Begründungspflicht zu, nur innerhalb der geltenden politischen Institutionen kann stabiler Wandel stattfinden.26 Oder, um es mit Lübbes unmissverständlichen Worten zu sagen: Der Staat ist der „liberalitätsgarantierende Ordnungsrahmen des gesellschaftlichen Pluralismus“, und seine Institutionen fixieren „das Selbstverständliche oder machen vielmehr das, was sie fixieren selbstverständlich“. Bürger und Institutionen befinden sich aber in einem reziproken Verhältnis, das Lübbe mit dem Begriff der „Institutionentreue“ zu fassen sucht, d.h. der Pflicht zur Anerkennung und Loyalität seitens des Bürgers, wie Lübbe in einem Schlüsselaufsatz über den „Preis der Freiheit“ im Jahr 1979 schreibt: Institutionen sind es, von deren Festigkeit und Zweckmäßigkeit im Normalzustand abhängt, ob wir in unseren Freiheitsansprüchen gesichert sind. Institutionen verpflichten uns, und zwar trivialerweise auch dann, wenn Freiheitsgewährleistung ihr Zweck ist.27

Die Neue Linke hat in ihrer Kritik der „repressiven Toleranz des Systems“ eine solche Haltung als Institutionalismus Gehlenscher Prägung verkannt. Ihre Utopie der Herrschaftsfreiheit war wiederum den Liberalkonservativen um Lübbe völlig unverständlich; uns Nachgeborenen ist auch heute noch nicht ganz klar, wie viel Papier man vor drei bis vier Jahrzehnten für die Zurückweisung derart phantasievoller Gebilde aufzuwenden hatte, die wenig bis gar keinen Bezug zu den politischen Realitäten hatten. Liest man Lübbes Texte dieser Zeit, ist man dennoch beeindruckt, wie wenig der Zahn der Zeit an ihnen genagt, wie überzeugend sich seine praktische Vernunft bewährt hat. Sie haben heute klassische Geltung erlangt. Der Hinweis auf die Vernunft der Institutionen hatte allerdings wenig Anmutungsqualität für entflammte Linke; auch hier scheint für viele bis heute ein abgewandeltes französisches Bonmot zu Sartre und Aron zu gelten: Lieber mit der Neuen Linken geirrt, als mit Lübbe Recht behalten. Und Lübbe hat Recht behalten. „Wir sollten Hermann Lübbe zum Sieger erklären“28, schrieb der Historiker Paul Nolte bewundernd im Rückblick auf die politischen Debatten. Viele übersahen die Neuerungen der reflektierten Institutionentheorie im RitterKreis: Es ging hier keineswegs um einen rein funktionalen Begriff der Entlastung und 26

Vgl. dazu unten den Beitrag von G. Kohler, v.a. S. 95f. – Vgl. auch G. Kohler, „Entschluß und Dezision. Zu einem (oder zwei) Grundbegriff(en) der praktischen und politischen Philosophie“, in: ders./H. Kleger (Hg.), Diskurs und Dezision (Anm. 18), 53. 27 H. Lübbe, „Preis der Freiheit“, in: H.M. Baumgartner (Hg.), Prinzip Freiheit. Eine Auseinandersetzung um Chancen und Grenzen transzendentalphilosophischen Denkens. Zum 65. Geburtstag von Hermann Krings, Freiburg/Br. – München 1979, 195. – Zum Verständnis der Institutionen vgl. auch summarisch H. Lübbe, Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse, Basel 1977, 14: „Die Rationalität unseres Handelns und die Verlässlichkeit von Erwartungen in der Verfolgung von Absichten sind in Institutionen gesichert. Deswegen gibt es Handlungsregeln, und einzig deswegen gibt es auch Zumutbarkeit der Beachtung sozial geltender Normen, und der Funktionalismus sozialer Systeme sorgt, in großen und kleinen Dimensionen, für Rekurrenzen, mit denen man rechnen kann, sowie für erwünschte Ergebnisse sozialer Interaktion, die das System, durch das sie garantiert sind, seinerseits stabilisieren.“ 28 P. Nolte, „Skeptiker der Moderne. Wir sollten Hermann Lübbe zum Sieger erklären: Die Forderungen des ‚Neokonservativen‘ nach Entschleunigung und kultureller Einhegung haben sich längst durchgesetzt“, in: die tageszeitung vom 28.8.2004, taz mag, VII.

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der Gewährung „negativer Freiheiten“, sondern um die institutionelle Ermöglichung von Handlungsräumen mit definierten Verantwortlichkeiten. Dahinter steht die Überzeugung, dass individuelles verantwortliches Handeln ein Kernelement des Politischen bleibt. Der Einzelne, der Mandatsträger, der mündige Bürger hat immer die Möglichkeit, aber auch die Pflicht zur Entscheidung. Dies führt uns zum zweiten wichtigen Element der politischen Philosophie Hermann Lübbes, zur Theorie der Entscheidung. 3. Entscheidungen in der Demokratie: ein pragmatischer Dezisionismus Hermann Lübbe hat sich den Begriff des Dezisionismus früh und entschlossen, und auch etwas dezisionistisch, angeeignet. Wir sehen darin einen Teil der Lübbeschen Begriffspolitik, die oft dadurch auf sich aufmerksam macht, dass sie kontaminierte Begriffe in neue Zusammenhänge einfügt und fast reflexartig Irritationen auslöst. Das hat intellektuelle Vorteile, weil ein solches Denken für Grenzüberschreitungen sensibilisiert, es hat allerdings diskursstrategische Nachteile, weil viele Voreingenommene ohne innere Distanz nur nach der Bestätigung ihrer eigenen Vorurteile suchen, kurzum: sich gar nicht mehr sachlich mit Lübbe beschäftigt haben. „Internationalsozialismus“, „Kulturrevolution“ (natürlich mit Blick auf Maos China), aber natürlich auch der normativ neutral gemeinte „integrative Sinn vom Beschweigen der NS-Vergangenheit“ gehören zum so empfundenen Provokationsvokabular Lübbes. Dezisionismus, so stellte Lübbe in seinem wegweisenden Beitrag zur RitterFestschrift fest, sei ein kompromittierter Begriff; er gehört zur Romantik des Ausnahmezustands, wie sie Carl Schmitt gepflegt hat.29 Summarisch definiert er: Dezisionen sind Entscheidungen, durch die in Notsituationen gegebenen Handlungszwanges ein Graben mangelnder theoretischer Gewißheit, ob auch die Bedingungen des Erfolgs der Entscheidung gegeben seien, übersprungen wird. In Entscheidungssituationen waltet ein ‚Primat der praktischen Vernunft‘, und eben das ist auch die kantische Formel für die Souveränität der die moralische Dezision treffenden praktischen Vernunft über die spekulative, die allerdings prinzipiell außerstande ist, theoretisch zu begründen oder auch zu widerlegen, was als Hoffnung und Postulat die Endzweck-Zuversicht des moralisch-praktischen Dezisionismus trägt.30

Mit der Aufnahme des Dezisionsbegriffs beruft sich Lübbe – wenngleich selektiv – auf die neuzeitliche Tradition politischer Philosophie von Descartes, Hobbes und Kant: Descartes morale par provision wird im Sinne dezisionistischen Legitimation von Tradition interpretiert, Hobbes‘ „Friedensformel“ (auctoritas non veritas facit legem) dient mit der Trennung von Wahrheit und Geltung der Herstellung von Bürgerfrieden ohne Anspruch 29

Vgl. H. Lübbe, „Zur Theorie der Entscheidung“ (Anm. 2), 118f. – Die wichtigsten Ausführungen zur Dezisionismus-Problematik bei Lübbe finden sich weiterhin in: „Dezisionismus in der Moraltheorie Kants“, in: ders., Theorie und Entscheidung, Freiburg/Br. 1971, 144-158; „Dezisionismus – eine kompromittierte politische Theorie“, in: ders., Philosophie nach der Aufklärung, Düsseldorf – Wien 1980, 161-177. 30 Ders., „Dezisionismus in der Moraltheorie Kants“ (Anm. 29), 156f.

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auf absolute Wahrheiten, und Kants Primat der praktischen Vernunft hält den immer vorläufigen und nie wahrheitsgewissen Charakter moralischer Orientierung fest.31 3.1. Dezision und technokratischer Sachzwang Lübbe nutzt das Entscheidungstheorem in der Folge, um sich gegen zwei Strömungen des politischen Denkens abzugrenzen. Zunächst einmal – und das wird häufig von denjenigen übersehen, die Lübbe zu Unrecht in der Traditionslinie eines technokratischen Konservatismus verorten – wendet sich die Reaktualisierung seines Entscheidungsdenkens gegen die Sachzwangtheoretiker wie Helmut Schelsky und Arnold Gehlen, die das Element der Entscheidung aus der Wirklichkeit der „wissenschaftlichen Zivilisation“ herausdefinieren. Die Herrschaft von Menschen über Menschen wird nach ihrer Lesart abgelöst von einer Herrschaft der Sachen.32 Gegen diese verbreitete Lesart der „wissenschaftlichen Zivilisation“, die genau besehen Max Webers Deutung der Moderne aufgreift und aus dem aus Technisierung und Bürokratisierung entstandenen „stahlharten Gehäuse der Hörigkeit“ kein Entkommen sieht, bezieht Lübbe Stellung. Lübbe bestreitet, dass Sachzwänge die politische Entscheidung, d.h. die Auswahl zwischen alternativen Optionen, überflüssig machen könnten: „Die vom Sachzwang beherrschte Ordnung einer entpolitisierten Technokratie“, möchte Lübbe nicht als angemessene Beschreibung der Wirklichkeit, sondern als ein Denkmodell verstanden wissen, das lediglich „im idealtypischen Ausziehen gewisser realer Tendenzen der modernen Gesellschaft gebildet worden ist“. Umgekehrt sei auch die Souveränität der am Extremfall orientierten politischen Existenz, die neue Realität aus dem normativen Nichts der reinen Entscheidung für sie zu stiften vermöchte, kaum eine empirische Größe.

Die eigene Positionsbestimmung, den „tatsächliche[n] ethisch-politische[n] Ort des Entscheidungsbegriffs sieht Lübbe irgendwo in der Mitte zwischen technokratischem und dezisionistischen Ideal“33. Gegen Lübbes Intention bietet diese Selbstverortung eine offene Flanke, denn wie kann man einen ethisch-politischen Standort zwischen zwei Theorien einnehmen, die explizit auf Ethik verzichten? Trotzdem täte man Lübbe Unrecht, wenn man seiner Entscheidungstheorie eine vermittelnde Funktion mit eigener politisch-ethischer Begründung absprechen wollte. Zwar sieht er auch eine Verwissenschaftlichung und Rationalisierung von Politik und die Notwendigkeit von Planung, aber: Wer Planung durchsetzen will, muß im klassischen Sinne politisch handeln und seinen Plan oder sich selbst an die Stellen befördern, an denen Entscheidungen fallen.34 31

Zum Ganzen vgl. J. Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit (Anm. 8), 179-184. Vgl. zur Sachzwangthese H. Schelsky, „Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation“ (1961), in: ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit. Gesammelte Aufsätze, Düsseldorf 1965, 439-480. 33 H. Lübbe, „Zur Theorie der Entscheidung“ (Anm. 2), 122. 34 Ders., „Herrschaft und Planung. Die veränderte Rolle der Zukunft in der Gegenwart“ (1966), in: ders., Theorie und Entscheidung (Anm. 29), 84. – Die wesentlichen Punkte der Technokratie-Kritik 32

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Anfang der 1960er brachte Lübbe also den Entscheidungsbegriff ins Spiel, um den Meinungsstreit, die geregelte politische Konfliktaustragung, den parlamentarischen Mehrheitsentscheid als liberale Kernelemente in Erinnerung zu rufen. Wenn auch Spezialisten verschiedene Problemlösungsszenarien vorbereiten helfen, bleibt die tatsächliche Dezision immer ein Politikum, denn es sind demokratische Gremien, es sind die Wähler, um deren Zustimmung auch Experten stets werben müssen und deren Dezision sie unterworfen bleiben. Jede Suggestion von alternativlosen Sachzwängen ziehe deswegen den Ideologieverdacht auf sich. 3.2. Dezision als pragmatische Diskursbegrenzung Seit Ende der 1960er Jahre wird wiederum Lübbes Entscheidungstheorie von ganz anderer Seite angegriffen und gerät schließlich in die Auseinandersetzung mit der sich formierenden Diskurstheorie, wie sie von Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel entwickelt wird. Der Entscheidungsbegriff dient Lübbe nun als Instrument pragmatischer Diskursbegrenzung. Anstelle des von Habermas und anderen idealerweise antizipierten Konsenses beharrt Lübbe auf dem Kompromisscharakter politischer Entscheidung. Dezision ist dann ein demokratietheoretisch zentraler Begriff und bleibt eingebunden in die institutionellen Voraussetzungen liberaler politischer Systeme: Mehrheit, nicht Wahrheit, legitimiert, denn, um es noch einmal in Lübbes Worten zu sagen: Einzig die Dominanz der Verfahrenslegitimität vor der Legitimität durch Rekurs auf Wahrheitsansprüche sichert diesen zugleich institutionell ihre Diskutabilität.35

Institution und Entscheidung lassen sich in Lübbes politischer Theorie nur zusammenhängend denken, sie sind aufeinander angewiesen. Normen und Gesetzgebung bleiben in der Demokratie nur als „Resultat verfahrensgerechter Entscheidung in entscheidungskompetenten Institutionen“36 vorstellbar. Lübbe hat selbst einmal unterstrichen, dass sein Begriff der Dezision vor allem seinem „Interesse an den institutionellen Voraussetzungen liberaler Systeme“37 geschuldet ist. Worüber diese Verklammerung von Institutionen- und Entscheidungstheorie noch zu wenig Auskunft gibt, sind die moralphilosophischen Grundlagen, die uns in den Worten des Lübbe-Schülers Heinz Klegers vor einer „Institutionalisierung von Beliebigkeiten“ 38 bewahren.

Lübbes finden sich ebd., 32-84; ders., Fortschritt als Orientierungsproblem, Freiburg/Br. 1975, 75-133, sowie noch einmal zusammenfassend in: ders., Politik nach der Aufklärung, München 2001, 11-37. 35 Ders., „Aneignung und Rückaneignung“, in: H. Kleger/G. Kohler (Hg.), Diskurs und Dezision (Anm. 18), 342. 36 H. Lübbe, „Neokonservative in der Kritik. Eine Metakritik“ (1983), in: ders., Fortschrittsreaktionen. Über konservative und destruktive Modernität, Graz – Wien – Köln 1987, 34. 37 Ders., „Aneignung und Rückaneignung“ (Anm. 35), 337. 38 H. Kleger, „Dezisionismus und ‚common sense‘. Über die Zusammensetzung politischer Vernunft“, in: ders./G. Kohler (Hg.), Diskurs und Dezision (Anm. 18), 78ff.

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4. Moralische Orientierung in der liberalen Demokratie Hermann Lübbe hat bereitwillig eingeräumt, dass in seinen „praktisch-philosophischen Bemühungen Moral keinen erheblichen Stellenwert zu haben scheint“39. An anderer Stelle befindet er nüchtern: „Aus dem, was wir alle wollen, Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, Glück, ist nichts herzuleiten.“ Oder, wie Lübbe seinen Standpunkt auf den Punkt bringt: Das moralische Interesse ist immer einfach. Kompliziert ist immer nur die natürliche und gesellschaftliche Wirklichkeit, unter deren Bedingung es sich zur Geltung bringen muß.40

Das klingt womöglich harscher und abgeklärter, als es gemeint ist. Es wäre deswegen falsch, Hermann Lübbe und vor allem seine wirksam gewordene Kritik des Moralismus von der Debatte um die moralphilosophischen Grundlagen der politischen Theorie abzuschneiden. Gerade in Zeiten, da in Frankfurt so grundlegende (und zuweilen banale) Fragen der Anerkennung oder des Rechts auf Rechtfertigung als neue Schwerpunktfelder der politischen Philosophie angesehen werden, scheint es notwendig, auf Lübbes Lektionen für Moralphilosophen zurückzukommen: „Wichtiger als die Moralisten sind die Juristen.“41 4.1. Das Selbstverständliche: common sense Was ist denn gewonnen, lässt sich mit Lübbe fragen, wenn wir uns mit endlosen Begründungsfragen im vorpolitischen Raum aufhalten, die dem common sense des Bürgers unverständlich bleiben oder die ihrem Gehalt nach allzu selbstverständlich sind? Lübbes Reflexion ethischer Grundlagen der Politik thematisiert das Selbstverständliche. Der Aristoteliker geht davon aus, dass es das Selbstverständliche geben muss; sonst wäre gesellschaftliches Leben gar nicht möglich. Moral gewinnen oder erkennen wir an als einen Bestand von Lebensregeln, die theoretisch trivial, aber lebenspraktisch fundamental sind42.

Quellen dieser moralischen und politischen Orientierung sind Traditionen und Konventionen einerseits, andererseits vertraut der liberale Aufklärer Hermann Lübbe auf die Urteilskraft und die praktische Vernunft, kurz: den common sense. Das ist erstaunlich für jemanden, der so oft als konservativer Skeptiker bezeichnet wurde. In Wahrheit begegnet uns im Philosophen Hermann Lübbe ein Optimist, der auf die Urteilsfähigkeit der Individuen vertraut, der dem common sense viel mehr zutraut als jeder Theorie. Zugleich ist Lübbe aber niemals so naiv zu glauben, dass der Mensch sein Tun, geschweige denn seine Orientierung durch die reine Verstandestätigkeit, durch Reflexion begründen kann. Jeder bewegt sich in einem Netz von Lebensbedingungen, die er vorfindet – Nation, Familie, 39

H. Lübbe, „Aneignung und Rückaneignung“ (Anm. 35), 358. Ders., Fortschritt als Orientierungsproblem. Aufklärung in der Gegenwart, Freiburg/Br. 1975, 131. 41 Ders., Modernisierung und Folgelasten (Anm. 5), 138f. 42 Ders., „Erfahrungsverluste und Kompensationen. Zum philosophischen Problem der Erfahrung in der gegenwärtigen Welt“, in: Der Mensch als Orientierungswaise? Ein interdisziplinärer Erkundungsgang, Freiburg/Br. – München 1982, 162. 40

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Religion, politische Ordnung. Der Mensch knüpft an Vorgefundenes an, er fügt sich in seine Umwelt ein: Lebbare Moral ist an Voraussetzungen einer Institutionenkultur gebunden.43

Odo Marquard hat diese Disposition des Menschen philosophisch-anthropologisch fundiert und die „Unvermeidlichkeit von Üblichkeiten“ betont. Auch der Kommunitarist Michael Walzer hat auf die unhintergehbare „Realität unverfügbarer Assoziation“ und deren kulturelle Determiniertheit hingewiesen.44 In diesem Kontext sind auch Lübbes Aussagen zu verorten. Lübbe hat betont, dass der Begriff des common sense in seinen Überlegungen „an einer besonders wichtigen Funktionsstelle sitzt“. Als „Zentralbegriff frühneuzeitlicher Politiktheorie“ und Wegbereiter der modernen Demokratie entzieht sich der Begriff des common sense für Lübbe allerdings einer konzisen Bedeutung und kann daher als flexibles Argument eingesetzt werden.45 Der common sense, so definiert Lübbe an einer Stelle im Hinblick auf politiktheoretische Relevanz, das ist der traditionsreiche Name für die Instanz praktisch-politischen Urteils in der Orientierung an traditional bewährter Erfahrung von großer sozialer Reichweite.46

„Große soziale Reichweite“ bezieht sich hier auf die vorausgesetzte weite Verbreitung des common sense innerhalb der Gesellschaft. Dies ist in demokratischen Gesellschaften die unabdingbare Voraussetzung, die politisches Urteilen erst ermöglicht. – An anderer Stelle verbindet Lübbe den common sense erst in zweiter Linie mit dem politischen Handeln, denn zunächst sei er generell eine Instanz lebenspraktischer Handlungsregeln in Kombination mit der Fähigkeit [...], die Situation in ihrer Anwendbarkeit zu identifizieren (Urteilskraft).47

Es ist also die lebensweltliche Erfahrung, auf welche der Bürger angewiesen bleibt, um auch in politischen Belangen urteilsfähig zu sein. 4.2. Zivilreligion Für Lübbe ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die politische Kultur von Pluralismus, gegenseitiger Anerkennung und Toleranz geprägt sein muss. Sittlichkeit ist wichtiger als Moralität, denn in der Universalisierung moralischer Ansprüche liegt immer die Gefahr 43

Ders., „Aneignung und Rückaneignung“ (Anm. 35), 362f. Vgl. O. Marquard, „Apologie des Zufälligen. Philosophische Überlegungen zum Menschen“ (1984), in: ders., Apologie des Zufälligen. Philosophische Studien, Stuttgart 1986, 122ff.; M. Walzer, Vernunft, Politik und Leidenschaft. Defizite liberaler Theorie, Frankfurt/M. 1999, 11-38. 45 Zur Begriffsgeschichte des common sense und seiner Verwendung bei Lübbe vgl. J. Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit (Anm. 8), 215-240. 46 H. Lübbe, „Erfahrungsverluste und Kompensationen“ (Anm. 42), 164. 47 Ders., „Aufklärung und Geschichte“, in: ders., Philosophie nach der Aufklärung (Anm. 29), 119. 44

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der Ideologisierung und der Selbstüberhebung, die totalitär zu werden droht. Hermann Lübbe hat stets darauf beharrt, dass der Religion eine besonders prägende Rolle zur Vermittlung und Einübung von Moral zukommt. Seit Mitte der 1970er Jahre hat er sich mit dem Verhältnis von Religion, Politik und Gesellschaft so tiefschürfend beschäftigt wie kein anderer. Religion nach der Aufklärung – das ist nicht als einliniger Bedeutungsverlust in Folge der Säkularisierung zu deuten. Deswegen muss Lübbe auch nicht von der Rückkehr der Religion sprechen wie sein Kollege Habermas, der das Thema erst kürzlich entdeckt hat.48 Religion bleibt ein konstanter Faktor des sozialen, aber auch des politischen Lebens. Im deutschen Diskurs hat Lübbe gemeinsam mit Niklas Luhmann den Begriff der Zivilreligion eingeführt.49 Religion und Politik werden im Verlauf erfolgreicher Säkularisierung gegeneinander frei; darin sieht Lübbe einen Gewinn – und keinen Bedeutungsverlust des Religiösen. Die Kirchen sind von politischen Aufgaben befreit und können sich auf das ihnen eigene Gebiet beschränken: den Umgang mit dem Unverfügbaren, aber natürlich auch auf ihre vielfältigen sozialen Funktionen; der Staat bedient sich zivilreligiöser Praktiken und verweist damit auf die Unverfügbarkeit letzter Legitimation. In zivilreligiösen Ritualen, im Gegenwärtighalten der Verantwortung vor Gott entlastet sich der Staat, denn er gibt keine letzten Zwecke vor. Für Lübbe ist das eine win-win-Situation, zumal das religiöse Orientierungsbedürfnis, das Bedürfnis des Menschen nach Kontingenzbewältigungspraxis nicht schwinden wird.50 Um es noch einmal zusammenzufassen: common sense und Zivilreligion – das sind die beiden zugegebenermaßen vielfältig und weitläufig auslegbaren Kernbegriffe, mit denen Hermann Lübbe die moralischen Grundlagen der Gesellschaft beschreibt. Anders als überzeugte Republikaner, die Bürgertugend und Gemeinwohlorientierung einfordern, betrachtet Lübbe die moralische Konstitution der Gesellschaft differenzierter. Dabei hat er der Versuchung widerstanden, pessimistisch-kulturkritisch einen Werteverfall in der Moderne zu beklagen. Mit klarem soziologischem Blick hat er die Sinne für Kompensationsphänomene und Gegenbewegungen zur technisierten Moderne geschärft. Ob das nun die Musealisierung, den Regionalismus, das Vereinswesen, die lokale Traditionspflege betrifft: es kommt der Pädagoge in Hermann Lübbe zum Vorschein, wenn er seinen Blick immer wieder auf die Vielfalt bürgerlicher Initiativen zur Selbstorganisation legt. Als Fürsprecher einer liberalen Bürgergesellschaft variiert Lübbe damit eine Denkfigur, die spätestens seit Tocqueville das Nachdenken über die Demokratie prägt und die der RitterSchüler Ernst-Wolfgang Böckenförde auf die einprägsame Formel gebracht hat, dass der

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Vgl. vor allem J. Habermas, „Glauben und Wissen. Rede anläßlich des Friedenspreises des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.10.2001, 9; ders., Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt/M. 2005. 49 Vgl. N. Luhmann, „Grundwerte als Zivilreligion. Zur wissenschaftlichen Karriere eines Themas“ (1978), in: ders., Soziologische Aufklärung 3. Soziales System, Gesellschaft, Organisation, Wiesbaden 4 2005, 336-354; H. Lübbe, „Staat und Zivilreligion. Ein Aspekt politischer Legitimität“ (1981), in: H. Kleger/A. Müller (Hg.), Religion des Bürgers. Zivilreligion in Amerika und Europa, München 1986, 195-220. 50 Vgl. hierzu den Beitrag von H. Zaborowski, v.a. S. 111ff.

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freiheitlich säkularisierte Staat – und damit das politische Gemeinwesen – von Voraussetzungen lebt, die nicht aus ihm selbst heraus garantiert oder fixiert werden können.51 Lübbe sucht im hegelschen Sinne „die Rose im Kreuze der Gegenwart“ und teilt den Standpunkt seines Freundes Odo Marquard: „die moderne – die bürgerliche – Welt ist mehr Nichtkrise als Krise“52. Er hat sich nie auf einen elitären intellektuellen Standpunkt zurückgezogen, sondern die Kleingartenkolonie, die freiwillige Feuerwehr und die Kegelvereine als Bestandteil der demokratischen Gesellschaft in sein politisches Denken integriert. Auch darin erweist sich Hermann Lübbe als ein vorbildlicher Hüter des common sense. 5. Resümee Hermann Lübbes politische Philosophie ist über die Jahrzehnte erstaunlich konsistent geblieben – und in der hier vorgenommenen, etwas gedrängten Interpretation wirkt sie fast ein wenig statisch und macht den Anschein einer vernünftigen Staatsbürgerkunde. Lübbe selbst hat wiederholt und zu Recht darauf hingewiesen, dass die reflexive Vergegenwärtigung der Grundzüge einer politisch-pragmatischer Vernunft nützlicher sein kann als die politische Theorie dauerhaft einem Originalitätszwang auszusetzen. Trotzdem wäre es ein Missverständnis, eine solche liberalkonservative Philosophie der Bürgerlichkeit auf die Didaktik einer Legitimation des Bestehenden zu beschränken, denn politisches Philosophieren im Sinne Hermann Lübbes bleibt gegenüber den Forderungen des Tages durchaus lebendig. Außerdem meine ich, dass es mit den Jahren Entwicklungen und leichte Verschiebungen gegeben hat, die Hermann Lübbe jedenfalls nicht öffentlich thematisiert hat, auch weil es nicht in seiner Art liegt, eigene werkbiographische Deutungen vorzunehmen. (1) In meiner Arbeit Philosophie der Bürgerlichkeit habe ich argumentiert, dass wir bei Habermas und Lübbe eine Überkreuzbewegung finden. Habermas beginnt bei der Herrschaftsfreiheit, die es gegenüber einem tendenziell repressiven Institutionalismus zu etablieren gilt, und endet in seinem letzten Hauptwerk Faktizität und Geltung bei den Institutionen und dem Recht.53 Lübbe hingegen beginnt bei den Institutionen des freiheitlichen Rechtsstaates und der durch sie verbürgten gewaltenteiligen Freiheit, um späterhin immer mehr die Idee der Demokratisierungszwänge in sein politisches Denken zu integrieren bzw. für Elemente direkter Demokratie zu werben. Das mag eine positive Erfahrung der Jahre in der Schweiz sein, und es passt auch immer mehr zu seiner Forderung, die Artikulation des common sense zu stärken. Es ist werkgeschichtlich immer noch eine offene Frage, aufgrund welcher Erfahrungen und Einsichten dieser Schwerpunkt bei Lübbe an Boden gewinnt.

51

Vgl. E.-W. Böckenförde, „Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation“ (1967), in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit. Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt/M. 1976, 60. 52 O. Marquard, Skepsis und Zustimmung. Philosophische Studien, Stuttgart 1994, 34. 53 Vgl. J. Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt/M. 1992.

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(2) Lübbes politisches Denken bezieht viele Anstöße aus den Herausforderungen der politischen Debatte; es ist im positiven Sinne reaktiv, weil es in der Auseinandersetzung mit dem Gegner Klarheit über den eigenen Standpunkt schafft. Aus verständlichen Gründen empfindet er wenig Nostalgie, wenn er an die Achtundsechziger denkt; sein Urteil über sie ist nach wie vor vernichtend.54 Sicherlich muss über die verschiedenen neomarxistischen Abirrungen nicht gesondert diskutiert werden, aber andererseits artikulierte sogar der SPD-Reformer Lübbe in der Adenauer-Ära und in den frühen 1960er Jahren Veränderungsbedarf. Auch wenn sich hier Biographie und bundesrepublikanische Geschichte verschränken: Kann man nicht die vielfältige Protestbewegung und die Veränderung der politischen Kultur im Rückblick versöhnlicher sehen? Und kann man nicht die studentische Protestbewegung zu gewissen Teilen als berechtigtes Einfordern von mehr politischer Partizipation und als Streben nach einer lebendigen Bürgergesellschaft begreifen? (3) Es liegt nahe, in Hermann Lübbes politischer Philosophie die anspruchsvollste liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik zu sehen. Er selber würde solche staatstragenden Zuschreibungen meiden. Die allgemeine Affirmation der politischen Ordnung steht wohl nicht mehr in Frage. Andererseits hat auch Lübbe verschiedentlich den Reformbedarf des Wohlfahrtstaats angemahnt, ohne jemals in die Kassandrarolle schlüpfen zu wollen. Mit einigem Recht beklagt er die systembedingte Stagnation des politischen Prozesses: Zwar wüssten alle, was hinsichtlich der nötigen Liberalisierung und Entlastung des Sozialstaats zu tun sei, aber niemand traue es sich der Bevölkerung zu sagen, niemand steige aus der „Werbungslogik“ der Wahlkampfpolitik aus. Das hat er schon in den 1970er Jahren beobachtet.55 Während Lübbe ansonsten gern den common sense für demokratische Volksabstimmungen bemüht, scheint ihm in der Frage der Organisation des Wohlfahrtsstaates kaum Bedeutung zuzukommen. Wie löst man dieses Dilemma zwischen einer Blockade der Institutionen und der Zurückdrängung des common sense, wenn es um die Einsicht in sozialökonomische Krisenbewältigung geht? Und müsste man an dieser Stelle nicht normativ grundlegende Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit und Gemeinwohl definieren und auf aktuelle sozialphilosophische Debatten beziehen? Dies wären einige Aspekte, die dazu Anlass geben, mit Hermann Lübbe angesichts drängender Gegenwartsfragen weiterzudenken. Dass eine Beschäftigung mit ihm weiterhin fruchtbar und außerordentlich lohnend ist, daran dürfte kein Zweifel bestehen. Denn wer den gefragten Vortragsredner Hermann Lübbe dieser Tage auf dem Podium erlebt, wer ihn liest und sich mit seinem Werk beschäftigt, bleibt beeindruckt von der ungebrochenen Vitalität und Produktivität dieses großen Philosophen der Bundesrepublik.

54 Vgl. H. Lübbe, „1968 – Zur Wirkungsgeschichte eines politromantischen Rückfalls“, in: ders., Politik nach der Aufklärung (Anm. 34), 129-149. 55 So schrieb er bereits 1974: „Parteien, die aus Konkurrenzangst den Bürgern den Anblick der Grenzen des Mehr und Besser ersparen möchten, nehmen ihn im Grunde nicht ernst, sondern für kindisch.“ (H. Lübbe, „Legitimität und Regierbarkeit“ [1974], in: ders., Endstation Terror, Stuttgart 1978, 85). Vgl. auch „‚Eine andere Vergangenheit lässt sich nicht erfinden‘. Ein Gespräch mit Hermann Lübbe“, in: Ästhetik & Kommunikation 36 (2005) [Heft 129/130], 106.

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Aktualität und Orientierung oder: Wie man ein vernünftiger Zeitgenosse bleibt Zu Hermann Lübbes Theorie der Fortschrittsmoderne 1. Einleitung Hermann Lübbes weit verzweigtes Werk folgt intellektuellen Motiven, besitzt argumentative Topoi und versammelt sich immer wieder um bestimmte Problemstellungen. So verbinden sich politische Philosophie, Theoriegeschichten (des politischen Denkens, der Geschichtswissenschaft, der „Ritter-Schule“ und ihrer Anstöße etc.) und die systematische Reflexion von Schlüsselbegriffen gemeinsam mit Gegenwartsdiagnosen und engagierter Zeitgenossenschaft zu einem engen Gedankengeflecht von inspirierender Vielschichtigkeit und beeindruckender Größe. Allen thematischen Ausschnitten aus diesen dichten Zusammenhängen eignet notwendigerweise eine gewisse Gewaltsamkeit – um nicht zu sagen: Beliebigkeit. Zu Gunsten einer diskursiv zu entfaltenden Perspektive wird im Folgenden Lübbes detailreiche Kulturphilosophie der Gegenwartsmoderne unter den leitenden Gesichtspunkten des „Fortschritts“ bzw. der diese Kategorie charakterisierenden, „liberalkonservativen“ Reflexionsmodelle dargestellt.1 2. Was Not tut oder: „Lechts“ und „rinks“ Die großen Debatten über Moderne und Postmoderne gehören in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Heute, mehr als zwanzig Jahre nach dem Streit um das „unvollendete Projekt Moderne“ und den (angeblichen) Imperialismus universalistischer Vernunftansprüche interessiert nicht mehr so sehr die Frage, ob wir die „großen Erzählungen“ des Fortschritts und der Emanzipation verabschieden sollen oder nicht, sondern das, was am besten zu tun wäre, um aus der Gegenwart keine dystopische Zukunft hervorgehen zu lassen. Salopp formuliert und eine Spur weniger düster: An der Zeit ist ein aus Gründen des glücklicheren Lebens angeeigneter Pragmatismus, der ziemlich mühelos Nietzsche mit Ökologie und das Lob der direkten Demokratie mit dem Architekturmuseum und konservierendem Geschichtsinteresse zu verbinden versteht. 1 Als wichtigste Beiträge zur Kulturphilosophie des Fortschritts sind zu nennen: Fortschritt als Orientierungsproblem, Freiburg/Br. 1975; Zeit-Verhältnisse, Graz – Wien – Köln 1983; Der Lebenssinn der Industriegesellschaft, Berlin u.a. 1990; Im Zug der Zeit, Berlin u.a. 1992; Die Zivilisationsökumene, München 2005.

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Auf dem Hintergrund dieser Feststellung, könnte man nun sogleich beginnen, die jüngeren Arbeiten Hermann Lübbes zur Kultur der Gegenwartsmoderne zu zitieren, aber es ist zeithistorisch interessanter, zunächst auf die unerwarteten Affinitäten aufmerksam zu machen, die es bereits in den Jahren um 1985 ermöglichen konnten, Lübbes „fortschrittsreaktionären“ Geist mit der praktischen Reflexion „progressiver“ Intellektueller zwanglos zu verbinden. Beim Turiner Philosophen Gianni Vattimo (immer noch eine der prominentesten italienischen Stimmen auf dem Feld der Gegenwartsanalyse) liest man 1980 die folgende Absage an jede dogmatisch-unbewegliche Deutung der Geschichte: Nun, da „die wahre Welt zur Fabel geworden ist“ (um an Nietzsche zu erinnern), gibt es kein wahres Sein mehr, das sie zur Lüge und Falschheit degradieren könnte. Das Geflecht, das Netz, in dem unser Dasein gefangen und uns gegeben ist, bildet die Gesamtheiten der Botschaften, die die Menschheit uns in der Sprache und in den „symbolischen Formen“ überliefert. Die Philosophie, glaube ich, sollte uns lehren, wie man sich in diesem Geflecht von Botschaften bewegt.2

Wie gesagt, Vattimo skizziert diese Verteidigung des Pluralismus, die zugleich ein Plädoyer war für den freundlich hütenden Umgang mit Geschichte und unseren Geschichtserzählungen, bereits am Ende der siebziger Jahre und zwar an ziemlich exponiertem Ort – nämlich in einem langen Gespräch mit Lotta Continua, der Tageszeitung der gleichnamigen radikalen Linkspartei Italiens, deren Sympathisant Vattimo lange Zeit gewesen war. Das gab ihm Anlass, eine Kritik am revolutionären Pathos der 68erZeit zu formulieren, die wohl auch als Selbstkritik gelesen werden darf: Der Respekt vor dem, was lebt oder gelebt hat, ist das einzig „Bessere“, das wir kennen, und dieses schließt jede Gewaltanwendung aus. Heißt das nun, es gebe keine Geschichte als Projekt? Keine Verpflichtung zur Veränderung? Nun, ich fühle mich angesichts der Schrecken, die die großen revolutionären Bewegungen […] hervorgebracht haben, mehr der Vergangenheit, mehr den als Kristallisationen, als Werke, oder als Ruinen zurückgelassen Spuren und Werten verpflichtet als einer Projekt-Vision, die künftig zu realisieren wäre.3

1980 wäre es kaum jemandem in den Sinn gekommen, den „linken“ Vattimo mit dem „rechten“ Lübbe in einem Atemzug zu nennen, knappe zehn Jahre später wirkte das schon fast normal.4 In diesem Umschwung spiegelte sich nicht zuletzt, was Jürgen Habermas 1985 in einem Essay auf den berühmt gewordenen Begriff der „Neuen Unübersichtlichkeit“ gebracht hatte:5 dass Gegenwart und Zukunft selbst mit den Mitteln der durch die „Neue Linke“ revitalisierten marxistischen Gesellschaftstheorie nicht mehr adäquat zu erfassen waren. Deshalb ist es dann doch nicht mehr so überraschend, dass unter den 2

G. Vattimo, Jenseits vom Subjekt, Graz – Wien 1986, 175. Ebd., 268. 4 Als Resultat „postmoderner“ Entspannung, die die alten Fronten von Rechts und Links gehörig durcheinander brachte. 5 Vgl. J. Habermas, „Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien“, in: ders., Die Neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische Schriften V, Frankfurt/M. 1985, 141-163. 3

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wachen Zeitgenossen – seien sie linker oder rechter Provenienz – viele Übereinstimmungen zu entdecken sind. In der Tat verband Lübbe und Vattimo nicht nur das Eintreten für das kollektive Gedächtnis und die Behutsamkeit im Umgang mit dem Überlieferten. Auch ihre kulturtheoretische Erklärung der Nötigkeit kompensatorischer Gewichtsverlagerungen beruhte auf einer identischen Einsicht, nämlich auf der Beobachtung des offenbar selbstläufigen Mobilisierungscharakters unserer Zivilisation. – Vattimo erläutert das folgendermaßen: Die Zukunft ist heute paradoxerweise durch die Automatismen des Systems garantiert; die Vergangenheit als Kontinuität von Erfahrung, als Verkettung von Bedeutungen, läuft dagegen Gefahr zu verschwinden.6

Lübbe sagt in veränderten Vokabeln eigentlich das Gleiche: Nicht aufgehaltene Modernität macht uns heute zu schaffen, wir leiden viel mehr an den Nebenwirkungen ihres Erfolgs […]. Im schonenden Umgang mit fortschrittsabhängig sich verknappenden Gütern wenden wir uns nicht von der Zukunft ab, sondern sichern, was sie bestehbar macht. Das gilt nicht nur in ökologischer Hinsicht, also für unser Verhältnis zur Natur. Auch die Tugenden und die Religion sind Teil unserer Herkunftswelt, ohne die die Moderne keine Zukunft hat.7

Die Übereinstimmung zwischen Lübbe und Vattimo wäre allerdings unvollständig beschrieben, wenn man die starken Gegensätze verschweigen würde, die sie ebenfalls markieren. Der Existential-Equilibrist aus Turin argumentierte im Stil der Postmoderne und verquickte strukturalistisches, französisches Gedankengut mit deutscher Hermeneutik, um das Bewusstsein der Zeit in ein neues Selbstverhältnis zu versetzen, in einen leichten Schwebezustand sozusagen, der den Komplexitätszumutungen der Vielfalt von Welten, in der wir schon vor einem Vierteljahrhundert zu leben hatten, mit Souplesse zu begegnen wusste. Die gewissermaßen robust-nüchterne, fast schon klassisch konservativ zu nennende Konfrontation des zeitgenössischen Lebensgefühls mit den prekären Tatsachen der Institutionenbedürftigkeit und der konstitutiven Traditionsabhängigkeit der menschlichen Natur war hingegen nicht seine Sache. Genau dies war sie aber für Lübbe, den „Fortschrittsreaktionär“ (Lübbes Selbstprädikation) oder „Neokonservativen“ (Habermas‘ Terminus für das Lager der Ritter-Schüler8); und deshalb zitierte Lübbe auch in seinem Buch von 1987 die These, die für die „Ritterianer“ insgesamt kennzeichnend wurde und die man das „Böckenförde-Theorem“ genannt hat: Die moderne Zivilisation lebt von Bedingungen, die älter sind als sie selber – Tugenden, auch Religionen –, und die Verteidigung der Moderne schließt daher die Verteidigung dieser Bedingungen ein.9 6

G. Vattimo, Jenseits vom Subjekt (Anm. 2), 261. H. Lübbe, Fortschrittsreaktionen, Graz – Wien –Köln 1987, rückseitiger Buchumschlag. 8 Vgl. dazu J. Habermas, „Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik“, in: ders., Die Neue Unübersichtlichkeit (Anm. 5), 30-56. – In H. Lübbe, Fortschrittsreaktionen (Anm. 7), findet sich dazu eine Stellungnahme: „‚Neokonservative‘ in der Kritik. Eine Metakritik“, 27-40. 9 Ders., „Vorwort“, in: ders., Fortschrittsreaktionen (Anm. 7), 7f. – Vgl. ebd., 198-205: „Politische Kultur. Anmerkungen zu einem Stichwort“. 7

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Lübbe verstand und versteht sich als Vertreter der Moderne; ein Postmoderner wollte er jedenfalls nie sein (wiewohl er einige von deren politischen Postulaten durchaus mit Sympathie begleiten konnte). Als „Ritterianer“ klassifiziert ihn die gegenwartsbezogene philosophiegeschichtliche Forschung; und sie verortet diese Ritter-Schüler als die liberalkonservative Gegenbewegung zur älteren und vor allem neueren Frankfurter Schule; während der eigentliche Protagonist der letzteren, Jürgen Habermas, sich mit der „Ritter-Schule“ und mit Lübbe, wie erwähnt, unter dem Titel des „deutschen Neokonservatismus“ auseinandersetzte. Den Konturen dieser für die politische Philosophie Deutschlands in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts grundlegende Opposition werde ich im Folgenden immer wieder begegnen; beispielsweise indem ich mich systematisch auf die Idee des Fortschritts beziehe, die im Licht der Gegenüberstellung von „Frankfurtern“ und „Ritterianern“ zwei ziemlich unterschiedliche Konzeptualisierungen erfährt. 3. Ein „kühler“ Fortschrittsbegriff Was heißt „Fortschritt“? – Lübbes präzise Antwort baut sich auf aus drei Aussagen: Erstens ist „Fortschritt“ ein unentbehrlicher Prädikator zur Kennzeichnung von zivilisatorischen Abläufen mit temporaler Innovationsverdichtung: Die Menge des Neuen pro Zeiteinheit wächst messbar. Zweitens ordnen sich die Innovationen im Fortschritt nicht nur chronologisch, sondern auch inhaltlich in eine gerichtete Reihe, die die Zuordnung der Elemente dieser Reihe mit einiger Verlässlichkeit gemäss der Unterscheidung von „früher“ und „später“ erlaubt, was bedeutet, dass die Chronologie der Reihe, wenn sie einem unbekannt wäre, sich nach den genetischen Abhängigkeiten ihrer Elemente rekonstruieren ließe. Drittens hat ein Ablauf dieser Charakteristik wegen der kontingenten wirkungsgeschichtlichen Interferenzen seiner Elemente unbeschadet seiner Gerichtetheit kein Ziel und ist nicht prognostizierbar.10

Fortschritt unterscheidet sich von einer großen Veränderung geschichtlich-gesellschaftlicher Verhältnisse durch seine Gerichtetheit. Er produziert nicht lediglich Anderes, sondern emphatisch Neues, d.h. solches, was das bereits Bekannte überbietet: neues Wissen, neue Ausdrucksformen, neue Chancen – und neue Schwierigkeiten. Ex post also ist Fortschritt als Konsequenz von Vorbedingungen abzuleiten, ex ante aber ist er als Folge letztlich stets zufälliger Voraussetzungen aus Vorgaben nicht zwingend vorherzusehen. Eben deshalb bleibt das je Neue für jede Gegenwart ein Problem: Risiko und nutzbare Möglichkeit, in jedem Fall eine Herausforderung, die unsere pragmatisch-intellektuellen Fähigkeiten beansprucht. Überraschungsreich und allemal auch von Verlusten begleitet und mit Nachteilen behaftet, braucht es Klugheit im Umgang mit dem Fortschritt und mit seinen Effekten; ein Gefühl für ausgleichende Kompensationen ist unerlässlich. Nur dann wirkt er vorteilhaft und zum Guten. Das Verhältnis zum ohnehin sich vollziehenden Prozess, ist das Feld und die Aufgabe von Urteilskraft, pragmatischer Intelligenz und moralischer Standfestigkeit. Die lebensdienliche und menschenmögliche Relation zwischen den Faktoren des Fortschritts und den fälligen Stellungnahmen der praktischen Vernunft – das bezeichnet die 10

Ders., Modernisierungsgewinner, München 2004, 99.

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leitende Perspektive, die Lübbes Gegenwartsdiagnose und ihre methodische Einstellung charakterisiert. Sie fasst „Fortschritt“ nicht geschichtsphilosophisch auf und schon gar nicht als normativ verpflichtende Vollendungsform kollektiv-menschlicher Handlungsfähigkeit, sondern als beobachtbaren und erklärbaren Ereigniszusammenhang, dem es vernünftig – mit Überlegung und mit common sense, nicht mit undurchsichtigen Selbsterlösungserwartungen – zu entsprechen gilt.11 Oder noch einmal anders gesagt: Mit dem Fortschritt insgesamt verhält es sich nicht anders als mit einzelnen seiner Manifestationen, seien das der Klimawandel oder die Mechanismen der Globalisierung: Man sollte die damit verbundenen Probleme mit einem Minimum an ideologischem Interesse beobachten und mit einem Maximum an technischem Verstand und moralischer Sensibilität für menschliche Individualität bearbeiten. – Dieses Konzept ist typisch für die „RitterSchule“; es bejaht die Moderne und ihre Neuerungen, aber es bleibt auf Distanz zu jeder großen Vision und zu allen utopischen Entwürfen. Und es begründet nicht zuletzt die Differenz, die Lübbe und die „Ritterianer“ von der melancholischen Schärfe der alten und vom Elan der jüngeren „Kritischen Theorie“ abgrenzt. Dem „kühlen“ Fortschrittsbegriff Lübbes begegnet die erste wie die zweite Frankfurter Schule mit einer „heißen“ Figur; bei Adorno und Horkheimer mit dem Verdikt der Dialektik der Aufklärung, der Idee tragisch misslungenen Fortschritts, schon bei Marcuse und vor allem bei Habermas dann aber mit der erneuerten Kombination von Hoffnung, Optimismus und Progress im „Projekt der Moderne“, Fortschritt, gedacht als Zukunftsraum des unabgeschlossenen Vervollkommnungsgeschehens im Rahmen der Gattung animal rationale. Lübbes Konzept ist evolutionistisch, das Habermasianische kann man als geschichtsfreundlich in kantisch-weltbürgerlicher Absicht bezeichnen. Letztlich sind das gar keine ausschließenden Gegensätze, doch operiert wird aus sehr konträren Blickwinkeln; Perspektiven, die in der praktischen Argumentation zu ziemlich kontroversen Antworten, Akzentuierungen und Handlungsempfehlungen führen müssen. Habermas‘ diskursethisches Entwicklungsprojekt – unterwegs zur „vernünftigen Identität moderner Gesellschaften“12 – steht offensichtlich quer zu Lübbes Diagnose des Fortschritts als einem „Orientierungsproblem“, zur These, wonach – wie oben schon einmal konstatiert – nicht „aufgehaltene Modernität uns heute zu schaffen [macht]“, sondern viel mehr die „Nebenwirkungen ihres Erfolges“ die eigentliche Aufgabe darstellen. Habermas verteidigt aus Gründen praktischer Vernünftigkeit den normativen Gehalt im Begriff des Fortschritts, während die Ritter-Schüler dieser Tendenz misstrauen, und zwar ebenfalls im Rekurs auf Argumente der praktischen Rationalität. Ihr deskriptiv-analytischer Zugriff auf die Veränderungsprozesse der technisch-industriellen Zivilisation will einerseits die Selbstgefährdungen der Gegenwartsmoderne aufdecken und andererseits deren lebensdienliche Errungenschaften sichtbar machen, nicht aber die noch uneingelösten Versprechen der Solidarität, der individuellen und der kollektiven Autonomie erinnern sowie die entsprechenden Erfüllungen einfordern. Prinzipiell unversöhnbar ist auch dieser Antagonismus der politischen Philosophen der Bonner Republik nicht, aber zumindest in den siebziger und achtziger Jahren 11

Zum Begriff des common sense bei Lübbe vgl. oben den Beitrag von J. Hacke, v.a. 78f. Vgl. den Titel der Hegel-Preis-Rede von 1974: „Können komplexe Gesellschaften eine vernünftige Identität ausbilden?“ 12

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des letzten Jahrhunderts führte er fast automatisch zu Auseinandersetzungen, die sachlichen Streit mit den Zutaten der polemischen Schärfe und rhetorisch bissiger Kürzel würzten. Worum es im Folgenden zu tun ist, sind primär nicht die Zutaten, sondern die systematisch anderen Zugriffe. Als Wegweiser dient dabei Hermann Lübbes Aufsatzsammlung von 1975, Fortschritt als Orientierungsproblem. Aufklärung in der Gegenwart. 4. Wider dogmatische Lektüren Fortschritt als Orientierungsproblem enthält neben den Texten, die sich direkt oder indirekt mit der Titelthese auseinandersetzen, weitere Abhandlungen, die einerseits sehr eigenständig zentrale Themen von Lübbes kulturphilosophischen und zeitdiagnostischen Überlegungen aufgreifen, andererseits sofort erkennen lassen, dass sie aus guten Gründen im Kontext einer liberalkonservativen Theorie der Gegenwart zu finden sind. 4.1. Elemente des Fortschrittsbegriff Lübbes Der Fluchtpunkt, auf den hin sich die verschiedenen Abhandlungen bündeln lassen, ist Lübbes Gegnerschaft zu jener Deutung der gegebenen Verhältnisse der westlichen Nachkriegsmoderne der siebziger Jahre, die von der Annahme ausgeht, die dominanten Probleme moderner Wachstumsgesellschaften [seien] als Schwierigkeiten zu charakterisieren, die Rechte des Fortschritts gegen traditional sich legitimierende Kräfte durchzusetzen.13

Positiv formuliert hieß das, (1) die normativen Fundamente und sozialpsychologischen Basisintuitionen der marktwirtschaftlichen, „spätkapitalistischen“ Ordnung zu erläutern und das Vertrauen in die wissenschaftlich-technische Rationalität zu stärken, (2) die Unvermeidbarkeit pragmatischer Arrangements mit historisch tief verankerten Mentalitäten (sogar mit solchen, die einem selbst missfielen) zu erweisen, (3) die Vernünftigkeit pluralistisch-demokratischer Verfassungen zu verteidigen, und (4) verständlich zu machen, dass es – selbst „nach vollendeter Aufklärung“ – immer noch soziale Realitäten wie Religionen oder die überzeugte Zustimmung zu „nur historisch erklärbaren“ Wirklichkeiten und die bewusste Bejahung letztlich kontingenter, gleichwohl notwendiger Institutionen kollektiver Selbstvergewisserung geben muss. Es ist also nicht schwer zu erklären, weshalb sich 1975 um Lübbes Analyse der aktuellen „Fortschrittskrise“ auch jene Aufsätze gruppieren, die zugleich gegen die damals so genannte „Neue Linke“ argumentieren und die andererseits schon Grundgedanken der späteren Bücher (zur Funktion von Geschichte bzw. Geschichtsschreibung und von Religion) entwickeln.

13 H. Lübbe, „Traditionsverlust und Fortschrittskrise. Sozialer Wandel als Orientierungsproblem“, in: ders., Fortschritt als Orientierungsproblem (Anm. 1), 36.

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4.2. „Aufklärung“ und „Gegenaufklärung“ Eingeleitet wird der Band von einer Selbstreflexion auf die Aufgabe und den Sinn von (praktischer) Philosophie in Zeiten „neu-marxistischer“ Kritik am gesellschaftlichen System und Bewusstsein der zu einigem Wohlstand gelangten (west)deutschen Bundesrepublik. Der ideenpolitische Konflikt wird aber nicht unmittelbar, sondern gewissermaßen über die Bande ausgetragen; im Visier ist, was Lübbe provokant „Gegenaufklärung“ nennt: Prozesse der Gegenaufklärung sind Prozesse anwachsenden Bekenntniszwanges und sich ausdehnender Kritikverbote.14

Das ist eine Definition, die sich sogleich auf viele historische Vorgänge und kulturelle Erscheinungen der europäischen Neuzeit beziehen lässt, und als solche ist sie wohl kaum bestritten: Von Galilei über Darwins Theorie der Evolution bis zur Dogmatisierung der Marx-Engelschen Diamat-Lehren spannt sich der Bogen der plausibel identifizierbaren Phänomene von Gegenaufklärung. Gegenwartspolemische Schärfe gewinnt die Bestimmung allerdings durch den Zusatz, den Lübbe seiner abstrakten Kennzeichnung hinzufügt: Es wäre nicht schwer, nach diesem Kriterium im momentanen Kultur- und Hochschulbetrieb, in der Intelligenz, sich verstärkende gegenaufklärerische Tendenzen zu diagnostizieren.15

1972, als dies zum ersten Mal formuliert wurde16, konnte es verständlicherweise nur gelesen werden als Attacke auf die von den Achtundsechzigern lancierten Thesen gegen „bürgerliche Bildungsbegriffe“ und „spätkapitalistische“, in universitären Curricula und Lektürepflichten verankerte Deutungsmuster, die man ihrerseits als „antiaufklärerische“ Werkzeuge ideologischer Verblendung entlarvt haben wollte. So wurde aus einer eigentlich unzweifelhaften Trivialität – „Aufklärung“ bedeutet ja auch historisch zuallererst die freie relecture aller irgendwie traditionsstiftenden Texte – sehr rasch ein Katalysator zeittypischer Frontbildung. Lübbes Kritik an einer selber dogmatisch gewordenen Kritik der bestehenden liberalen Überzeugungen und deren Grundlagen erscheint den Vertretern des unvollendeten progressiven Projekts der Aufklärung als verdeckte Rechtfertigung für eine im Grunde selber unkritisch-verstockte Haltung: für die „neukonservative“ Strategie der Delegitimierung prinzipieller Kritik. Im Aufsatz über „die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik“ rückt Jürgen Habermas die Ritter-Schüler und Lübbe in den Kontext der Parole „Reflexionsstopp plus feste Werte“ (Peter Sloterdijk): Die neukonservative Lehre, die bei uns im Laufe der siebziger Jahre über die Presse in den politischen Alltag eingesickert ist, folgt einem einfachen Schema. Ihm zufolge beschränkt sich die moderne Welt auf technischen Fortschritt und kapitalistisches Wachstum; modern und wünschenswert ist jede soziale Dynamik, 14

Ders., „Philosophie als Aufklärung“, in: ders., Fortschritt als Orientierungsproblem (Anm. 1), 11. Ebd. 16 Der Aufsatz „Philosophie als Aufklärung“ wurde bereits 1972 zum ersten Mal veröffentlicht, in: M. Riedel (Hg.), Rehabilitierung der praktischen Philosophie, Band I, Freiburg/Br., 243-265. 15

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Georg Kohler die letztlich auf private Investitionen zurückgeht; schutzbedürftig sind auch die Motivbestände, von denen diese Dynamik zehrt. Gefahr droht hingegen von kulturellen Wandlungen, von Motiv- und Einstellungswechseln, von Verschiebungen in den Wert- und Identitätsmustern, die kurzschlüssig in den Einbruch kultureller Innovationen in die Lebenswelt zurückgeführt werden. Deshalb sollte der Traditionsbestand nach Möglichkeit eingefroren werden.17

Wer heute die direkten und indirekten Konfrontationen zwischen liberalkonservativen „Ritterianern“ und linksliberalen Protagonisten der „Kritischen Theorie“ aus dem Abstand von mehr als dreißig Jahren überblickt, wundert sich gelegentlich über die (durchaus von beiden Parteien geübte) Taktik systematischen „Kannitverstans“. Aber es war wohl genau diese antihermeneutische Maxime, die auf der einen wie auf der anderen Seite für jenen bösen Blick sorgte, der die Schwächen eines Ansatzes aufdeckt, die einer dem principle of charity folgenden Analyse eher verborgen bleiben dürften. Das zeigt sich besonders an jenem Aufsatz in Fortschritt als Orientierungsproblem, der ein hoch besetztes Theoriestück der (älteren) Frankfurter Schule, nämlich die These vom „instrumentalistischen Horizont der Vernunft“, zu dekonstruieren unternimmt: „Instrumentelle Vernunft. Zur Kritik eines kritischen Begriffs“ (75-120). 5. „Technische“ und „kritische“ Intelligenz Lübbes Grundgedanke besteht in der Freilegung eines Scheuklappeneffektes, der seines Erachtens in das Konzept der „instrumentellen Vernunft“ eingebaut ist: Der Begriff der instrumentellen Vernunft verleitet zur Unterstellung, daß, wo immer Tätigkeiten, zum Beispiel die „Staatstätigkeiten“, auf „technische Aufgaben eingeschränkt sind“, „die praktischen Fragen“ eo ipso „herausfallen“, wie Habermas unter Berufung auf Offe feststellt. Nach der hier [von Lübbe, GK] empfohlenen Unterscheidung von „technisch“ und „praktisch“, nach der wir „technisch“, bezogen auf Zwecke, unter Konsensprämissen, „praktisch“ aber zum Zweck der Festlegung geltender Zwecke unter Dissensprämissen tätig sind, ist das gar nicht der Fall. Im Gegenteil kommt „technisches“ Handeln nur dort zum Zuge, wo man sich über das, was man will oder erhofft, einig ist, und wenn wirklich, zum Beispiel, Wirtschaftspolitik sich darauf beschränkt, „Dysfunktionalitäten“ im „Wirtschaftssystem“ zu beseitigen und „systemgefährdende“ Risiken zu vermeiden, so heißt das nicht, daß diese Wirtschaftspolitik nicht mehr an Zielen orientiert sei, die man […] inhaltlich als „praktische“ Ziele von „technischen“ soll unterscheiden können. Eine solche Vorstellung ist unangemessen und deformiert die administrativen und sonstigen Subjekte des wirtschaftspolitischen Handelns zur Karikatur. In Wirklichkeit setzt die Selbstbeschränkung einer Wirtschaftspolitik auf Abwehr von Funktionsstörungen im Wirtschaftssystem gerade voraus, daß ein allgemeiner Zielkonsens über die erwarteten Leistungen dieses Systems herrscht.18

17 J. Habermas, „Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik“ (Anm. 8), 44f. 18 H. Lübbe, „Instrumentelle Vernunft. Zur Kritik eines kritischen Begriffs“, in: ders., Fortschritt als Orientierungsproblem (Anm. 1), 119.

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Wer – und das ist Lübbes eigentlicher Vorwurf an die Adresse jener, die mit dem Begriff der „instrumentellen Vernunft“ die Annahme einer um elementare Zweckbegründungen und radikale praktische Sinnreflexionen gekürzten Rationalität verbinden – wer behaupte, „in gegenwärtigen zivilisationstypischen Handlungszusammenhängen“ komme es mit systematisch erkennbarer Häufigkeit oder sogar Notwendigkeit vor, dass das Selbstverständnis der jeweils Handelnden sich auf die Sorge um die richtigen „Mittel“ beschränke, die Wahl der die Mittel rechtfertigenden Zwecke hingegen mehr oder weniger bewusst Akten irrationaler bzw. blind anerkannter Dezisionen überlasse, der folge einer vollkommen unplausiblen, anthropologisch widersinnigen Idee: Die Vorstellung einer Existenz leidenschaftlicher Fachidioten, die auf Dauer für beliebige Zwecke zur Verfügung stehen, ist ein irreales Konstrukt.19

Verkehrt ist im Zusammenhang der Kritik der instrumentellen Vernunft nicht unbedingt, was kritisiert wird, sondern wie das geschieht. Lübbe zitiert Horkheimer: „Die ökonomische Technokratie erwartet alles von der Emanzipation der materiellen Produktionsmittel“, und er lässt diesen Satz durchaus als triftige Formel für eine maßlos gewordene Wachstumsphilosophie gelten. Horkheimer sei ohne weiteres als einer der frühesten Kritiker von deren Ideologie zu begreifen; dann aber fährt Lübbe fort: Doch auch solche [für Grenzen unsensible, GK] Wachstumsphilosophie ist nicht unter die Definition der instrumentellen Vernunft subsumierbar, nach der, wo sie herrscht, der Frage wenig Bedeutung beigemessen wird, „ob die Ziele als solche vernünftig sind“. Dieses gilt vielmehr als selbstverständlich, so lange man mit den nicht-beabsichtigten Nebenwirkungen des ungehemmten Wachstums genutzter industrieller Produktionskapazitäten noch nicht in unabweisbar-aufdringlicher Weise konfrontiert ist.20

Das besagt, dass man – zum Beispiel als „Wachstumsideologe“ – das scheinbar Selbstverständliche eben für richtig hält, es bedeutet indes nicht, dass man die Frage nach der Richtigkeit als solche überflüssig finden muss. Darum, so Lübbe, wäre es besser und angemessener, gegen die monierte Wachstumsphilosophie einzuwenden, diese halte die falsche Richtung für die richtige, anstatt ihr schlicht Gleichgültigkeit gegen die für sie grundlegenden Orientierungen vorzuwerfen. Es sei eben keine halbierte Rationalität der „instrumentellen Vernunft“, die diese Philosophie (ver)führe, sondern das durchaus beklagenswerte Defizit an Reflexion über die leitenden – als solche freilich so bewussten wie anerkannten – Zwecke der industriellen Expansion. Der Begriff der instrumentellen Vernunft verdanke sich einer untriftigen Analyse menschlichen Handlungsbewusstseins und erscheine insofern obsolet, doch sein Gebrauch sei keineswegs folgenlos; denn er denunziere und verdecke, statt aufzuklären, er wirke als „Instrument der politischen Diffamierung der Angehörigen technischer Berufe“. In den siebziger Jahren war es der damals noch lebende Albert Speer, „Hitlers Architekt“, der sich als Beleg für den Vorwurf zu eignen schien, das Ethos der Angehörigen technischer Berufe beschränke sich auf die möglichst gute Erfüllung ihrer Funktionen – bei stillschwei19 20

Ebd., 97f. Ebd., 98.

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gender Ausklammerung weitergehender Überlegungen. Lübbe demonstriert an diesem Beispiel seine Fähigkeit, scheinbar klare Zusammenhänge im Licht seiner kritischen Thesen ins Gegenteil dessen wenden zu können, was der Kontrahent beweisen wollte. Bekanntlich war Speer ja nicht nur lange Zeit ein überzeugter Nazi, ergo kein Repräsentant der „instrumentellen Vernunft“ gewesen, sondern auch – am Schluss des Dritten Reiches – einer von denen, die Hitlers Selbstzerstörungsbefehlen nicht mehr gehorchten. Die Pointe, die Lübbe dieser Weigerung nun gibt, besteht darin, genau in diesem Verhalten das Eigentliche, non-instrumentelle, moralische Moment im für die technische Intelligenz typischen Ethos zu identifizieren: Man müßte lange Geschichten aus deutscher Geschichte erzählen, um zu erklären, wieso Hitler früher bei Speer ebenso wie bei anderen Ingenieuren, bei Journalisten, wie bei Bauern oder bei Arbeitern, die deshalb später bei ihren linken Kritikern, insoweit zu „Kleinbürgern“ ernannt wurden, Zustimmung finden konnte. Um zu erklären, wieso Speer entgegen dem Befehl Hitlers nicht bereit war, Wasserwerke in Rückzugsgebieten funktionsunfähig zu machen, ist der Rekurs auf lange Geschichten freilich nicht nötig: es erklärt sich aus der moralischen [Kursivsetzung GK] Unbereitschaft, in der gegebenen politischen Lage Funktionsmacht mit der Wirkung zu verwenden, Hunderttausenden, ja Millionen das technische Versorgungssystem zu entziehen und sie ihrem entsprechenden Schicksal zu überlassen. Der Wille, die technischen Systeme, von denen wir abhängen, wenn nicht unter allen, so doch selbst unter extremen Bedingungen funktionsfähig zu halten, wäre, so scheint mir, der moralische und politische Wille, den man billigerweise von den Angehörigen technischer Funktionseliten, soweit ihre Funktionen in Frage stehen, erwarten darf.21

Nicht als Nazi, aber als paradigmatischer Vertreter des technisch-administrativen Systems wird so – ausgerechnet! – Albert Speer zur Verkörperung jenes Ethos, das erstens an nichtinstrumentelle, also moralische Zwecke geknüpft ist, zweitens auch noch in der Gegenwart akzeptabel bleibt und das drittens für genau das steht, was für die Praxis der „Kritischen Theorie“ so wichtig ist: dass man gegen die Zwänge einer vorgegebenen Macht aus rationalen Gründen auf dem eigenen Urteil und auf der Überzeugung, das entsprechend Richtige zu tun, beharrt, beharren kann und soll. Denn das, was Lübbe hier vom Techniker im umfassenden Sinn einfordert, nämlich „selbst unter extremen“ (freilich nicht unter allen) Bedingungen bei der Bedienung lebenswichtiger Versorgungssysteme an einer menschenfreundlichen, machtresistenten Neutralität festzuhalten, ist evidentermaßen eine basale Voraussetzung für das Gedeihen pluralistisch-offener, selbstkritischer politischer Ordnungen. Nicht zuletzt solche Strukturen zu ermöglichen, ist deshalb der Sinn des Ingenieurethos und des mit ihm gegebenen Postulats einer – wenn man will: „instrumentellen“ – Distanz gegenüber dominanten letzten Zielen der Gesellschaft und ihrer Entwicklung. Zwischen seinem beruflichen Dienst und seiner persönlichen Wertschätzung eine Differenz zu behaupten und sich dieser Distanz so lange wie irgend möglich zu verpflichten, exakt darin also besteht das zentrale Moment der „instrumentellen Intelligenz“. Man kann die These noch stärker pointieren und dadurch sichtbar machen, dass die soziale Wirksamkeit auch – oder erst recht – der „kritischen Intelligenz“ und ihrer Re21

Ebd., 110f.

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präsentanten voraussetzt, dass die „technische Intelligenz“ ihrem spezifischem Berufsethos treu bleibt. Lübbe lässt sich diesen Zug im Argumentationsspiel nicht entgehen und führt damit die Theorie der „instrumentellen Vernunft“ gewissermaßen ad absurdum: Es ist das Schicksal, oder bescheidener: der Beruf der Angehörigen unserer Funktionseliten, Dienstleistungen zu erbringen. Die Entscheidung über die politische Verfassung des Systems, in welchem sie es tun, fällt in den Zusammenhang der Politik. Die technische Intelligenz steht nicht außerhalb dieser Zusammenhänge, und in liberal verfaßten politischen Systemen haben diejenigen, die ihr angehören, alle Freiheit, sich darin standespolitisch, bildungspolitisch oder auch verfassungsund ordnungspolitisch zu betätigen […]. Versuche jedoch, ihre Funktionsmacht […] durch Drangsalierung von Bevölkerungsteilen zu nutzen [also ihre Handlungsmöglichkeiten – natürlich zu den allerbesten, menschheitsförderlichen Zwecken – gewissermaßen zu entneutralisieren, GK], […] würde vermutlich sehr rasch das Ende eines politischen Zustands herbeiführen, in welchem die sogenannte kritische Intelligenz die Freiheit hat, die technische Intelligenz zu ermuntern, ihre Funktionsmacht als potentielle politische Macht zu begreifen.22

Die Moral der „instrumentellen Vernunft“ als Möglichkeitsbedingung der „kritischen Vernunft“! Das ist ein Ergebnis, das den zeitdiagnostischen Kontrahenten reizen musste, zumal sich diese Diagnose, wie gesagt, ja nicht einem wohlwollenden, sondern argwöhnisch-polemischem Umgang mit den gegnerischen Überlegungen verdankte. Man hätte andernfalls auch – mit Hilfe der eingangs erwähnten Unterscheidung zwischen „technisch“ und „praktisch“ (die Habermas eingeführt hatte, um gewisse Verkürzungen der älteren „Kritischen Theorie“ zu korrigieren23) – den Abstand zwischen der Ritterianischen Verteidigung der technischen Rationalität und Habermas‘ Auseinandersetzung mit den so genannten „Sachzwängen“ moderner Gesellschaften ziemlich leicht überbrücken können. So wie es selbst heute noch nicht allzu schwierig ist, die bedenkenswerten Einsichten der Dialektik der Aufklärung gegenüber ihren Übertreibungen und unzweifelhaften Fehleinschätzungen herauszuarbeiten.24 Doch solche Irenik passte nicht zum Zeitgeist der siebziger Jahre und ihre Verweigerung war dem Anspruch geschuldet, „Aufklärung als Kritik“, sozusagen dialektisch, als Kritik der „Kritischen Theorie“ zu demonstrieren. Dass Aufklärung Kritik auch an ihr sei, sollte die „Kritische Theorie“ sich doch gefallen lassen … 6. Polemik, Publizistik, Popper 6.1. „Neokonservativismus“ Lübbes Einspruch wurde von ihren Protagonisten freilich nicht direkt, sondern indirekt gekontert: mit der zweckdienlich verkürzten Rezeption der „neokonservativen“ Lehre, 22

Ebd., 113. Vgl. J. Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, Frankfurt/M., 1968, insbes. 84-103. Zu Adornos Argumentationsweise im Allgemeinen vgl. G. Kohler, „Wozu Adorno? Über Adornos Verfahren, Motiv und Aktualität“, in: ders./S. Müller-Doohm (Hg.), Wozu Adorno? Beiträge zur Kritik und zum Fortbestand einer Schlüsseltheorie des 20. Jahrhunderts, Weilerswist 2008, 9-27. 23 24

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die sogleich in ziemlich enge Nachbarschaft mit anti-liberalen, offen gegenaufklärerischen Positionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gerückt wird:25 Die deutschen Neokonservativen […] greifen auf einen deutschen [sprich: autoritären, GK] Konstitutionalismus zurück, der von der Demokratie nicht viel mehr als den Rechtsstaat übrig behalten hat; auf Motive des lutherischen Staatskirchentums, das in einer pessimistischen Anthropologie verwurzelt ist; auf Motive eines Jungkonservativismus, dessen Erben sich nur zu einem halbherzigen Kompromiß mit der Moderne durchringen konnten.26

Oder noch direkter, auf die durch „neokonservative Lehren“ inspirierte „neokonservative Politik“ bezogen: Die kulturelle Moderne wird als subversiv empfunden. Die [von der neokonservativen Politik geforderte] „geistig-moralische Erneuerung“ meint eine Rückkehr hinter das 18. Jahrhundert [d.h. die Aufklärung, GK], von der man sich eine wundersame Regenerierung von Fraglosigkeiten verspricht, ein Traditionskissen also, das die Belastungen auffängt, wo immer die monetären und die bürokratischen Steuerungen versagen. [Ein weiteres Moment] ist sozusagen das Gegenteil von Willy Brandts Parole „Mehr Demokratie wagen“, nicht ein direkter Abbau der Demokratie, aber Versuche, den Staatsapparat von lästigen Legitimationszwängen freizusetzen, Versuche, den Kreis öffentlicher Themen einzuschränken, um das politische Bewußtsein der Bevölkerung zu entproblematisieren, von gesellschaftspolitischen Fragen zu entlasten, mit denen, sei es negativ oder utopisch besetzte Zukunftsperspektiven verbunden sein könnten […]. Und schließlich gehört zu diesem Rezept, wenn nicht die bewußte Verschärfung der internationalen Spannungen, so doch die Stimulierung einer wachsenden äußeren Gefahr. Natürlich sollen die Politiken der Verteidigung gegen „äußere“ und „innere“ Feinde ineinander greifen. Beides wird gleichzeitig dramatisiert: die Bedrohung durch die Rote Armee und durch Unruhestifter im Inneren. Besorgte Publizisten sind bei uns seit Monaten dabei, die Formen des gewaltlosen Widerstandes an den juristischen Tatbestand der Gewaltanwendung zu assimilieren.27

Das im zitierten Interview von 1984, nach der mit der Kanzlerschaft Helmut Kohls verbundenen „Wende“ Gesagte, ist nicht direkt auf Lübbe oder die „Ritterianer“ gemünzt, aber es zielt auf das geistig-kulturelle Umfeld, in dem diese verortet wurden. – Die Fusion von Antikommunismus- und Linksradikalismusbeschwörung gehörte sicher nie in Lübbes Repertoire publizistischer Topoi, so wenig wie etwa die triumphalistischen Attitüden nach der „Wiedervereinigung“ in den frühen neunziger Jahren; allerdings finden sich – wie oben angedeutet – bei Lübbe durchaus Passagen, in denen sich Neue Linke und orthodoxer Marxismus-Leninismus ziemlich übergangslos überblenden.

25

Das Prädikat „gegenaufklärerisch“ wird von beiden Seiten aus auf die je andere Partei projiziert. J. Habermas „Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik“ (Anm. 8), 54. 27 Ders., „Konservative Politik, Arbeit, Sozialismus und Utopie heute“, in: ders., Die Neue Unübersichtlichkeit (Anm. 5), 65. 26

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6.2. Die Vernünftigkeit des Bestehenden und die „Beweislastverteilungsregel“ Richtig und unkontrovers ist hingegen Habermas‘ Beobachtung der explizit konservativen Elemente in der Ritterianischen Moderneaneignung. Selbst der Aufsatz über die „Aufklärung als Kritik“ mündet am Ende in die Verteidigung des Bewährten und in die Formulierung der berühmten „Beweislastverteilungsregel“28, die dem kritischen Neuerer und nicht dem Bewahrer die praktisch folgenreiche Rechtfertigungsaufgabe zuweist. Das geschieht allerdings nicht mit Rekurs auf irgendein konservatives Dogma, sondern mit den Mitteln des common sense: [N]iemand [kommt] umhin, von einer widerlegbaren Vermutung für die Vernünftigkeit des Bestehenden auszugehen. Das ist, trotz des Anscheins, kein Grundsatz der Präokkupation für Überliefertes und Bestehendes. Denn wenn Bestehendes so im argen liegt, daß die Widerlegung der Vermutung für seine Vernünftigkeit leichtfällt, ist ja auch die Schutzwirkung dieses Grundsatzes gering. Die Begründung dieses Grundsatzes selbst erfolgt nicht mit Mitteln des Traditionalismus, sondern pragmatisch durch Hinweis auf die Notwendigkeit, angesichts unserer faktisch beschränkten Kapazität, Begründungslasten zu tragen, eine Reduktion dieser Last vorzusehen, um die Begründungspflicht jedenfalls in den unumgänglichen Fällen einlösbar zu halten, und das sind zumindest die Fälle aktiver Veränderung der Verhältnisse. Die widerlegbare Vermutung für die Vernünftigkeit des Bestehenden bringt also nicht ein Interesse an der Wahrheit oder Richtigkeit des Überlieferten zur Geltung, sondern ist die praktische Quintessenz einer praktikabel gemachten Theorie der Beweislast. Die Geltung des Bestehenden ist nicht dogmatisch zur Norm erhoben; sie genießt aber den Schutz jener Regeln, nach denen die Last des Beweises und der Begründung verteilt sind.29

Bemerkenswert sind die impliziten Voraussetzungen dieser „praktikabel gemachten Theorie der Beweislast“. Es sind evidentermaßen diejenigen des Popperschen Antiholismus und des einzelfallorientierten social engineering: Weil es – so die fundamentale Annahme – keine wirklich umfassende und tragfähige analytische Theorie der hochkomplexen Gesellschaftssysteme, in denen wir leben, geben kann, m.a.W.: weil die Geschichts- und die Gesellschaftstheorien marxistischer Provenienz (die sich zutrauen, die Überfälligkeit und die revolutionär zu überwindende Antiquiertheit von Sozialsystemen im Ganzen zu beurteilen) ihr Versprechen nicht haben halten können, kann es bei allen stets möglichen und immer wieder nützlichen Veränderungs- und Anpassungsprozessen, nie um die praktische Frage gehen, ob man beispielsweise das „spätkapitalistische System“ des Westens als Ganzes ersetzen soll, sondern bloß um das praktische Problem partikulärer Eingriffe und um die Abschaffung bestehender einzelner Einrichtungen. Allein bei solchermaßen eingeschränkten Fragestellungen ist die beschriebene Beweislastverteilungsregel überhaupt anwendbar. Wo sie es aber ist, ist sie zweifellos hilfreich.

28 29

Zur Herkunft vgl. J. Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit, Göttingen 2006, 170-174. H. Lübbe, „Aufklärung als Kritik“, in: ders., Fortschritt als Orientierungsproblem (Anm. 1), 24f.

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7. Cartesianischer common sense Ein Kerngedanke im zweiten Aufsatz des Bandes Fortschritt als Orientierungsproblem – die Abhandlung mit dem Titel „Traditionsverlust und Fortschrittskrise. Sozialer Wandel als Orientierungsproblem“ entfaltet die oben formulierte These zum Verhältnis von Tradition und Neuerung – lautet, dass Verfahren der traditionalen Legitimierung von orientierungssichernden Wirklichkeitsannahmen […] deswegen unverzichtbar [sind], weil unsere Kapazität nicht ausreicht, alle Sätze, auf die wir, sei es in esoterischer Praxis der Wissenschaft, sei es in exoterischer Praxis der Politik, uns tatsächlich verlassen müssen, einer Prüfung in anderen, härteren Legitimationsverfahren zu unterziehen. Schlicht gesprochen: Zeit und Aufmerksamkeit sind jeweils viel zu knapp, als daß wir auch nur eine Chance hätten, alles das selbst zu überprüfen, was wir als geltend praktisch voraussetzen müssen.30

Lübbe erinnert an Descartes‘ Discours de la méthode, um zu demonstrieren, wie er das Faktum dieser theoretischen und praktischen Unmöglichkeit verstanden haben will: Das cartesianische Programm, nichts anderes gelten zu lassen als das, was man in sich selbst oder „im großen Buche der Welt würde finden können“, ist aus tatsächlichen Gründen undurchführbar, und weil auch nur der Versuch dieser Unternehmung, wenn nicht in der Wissenschaft, so doch in der Praxis des Lebens viel zu riskant wäre, hat Descartes denn auch […] die praktische Tradition [und ihre orientierungswirksame Geltung, GK] in der Form einer „morale par provision“ wieder zugelassen, so daß praktisch zunächst einmal alles beim Alten bleibt.31

Bemerkenswert an der zitierten Evokation der cartesianischen Einsicht ist, was sie stillschweigend ausschließt: nämlich die Beschäftigung mit den bzw. die Widerlegung der hegelomarxianischen geschichtsphilosophischen Versuche, den Weltlauf zu begreifen bzw. ihm vernünftig auf die Sprünge zu verhelfen. Solche Ansätze sind für Lübbe ohnehin bloß noch als gefährliche Quellen von Verwirrung ernst zu nehmen, als theoretische Konstrukte sind sie der Komplexität gegenwärtiger Sozialsysteme sowieso nicht gewachsen. Mit der Ablehnung ihres theoretischen Anspruchs ist jedoch nicht die Leugnung dessen verbunden, was Gesellschaftstheorien hegelomarxistischer Herkunft gerne diagnostizieren: die Möglichkeit von Widersprüchen zwischen systemerhaltungsnotwendigen Imperativen der gegebenen sozialen Ordnungen. Im Gegenteil: dass derartige Konstellationen auftreten können, ja es immer wieder tun müssen, hält Lübbe für geradezu eine „elementare Eigenschaft hochkomplexer Systeme“. Was praktisch-sozialtechnologisch nicht viel mehr besagt, als dass die Aufgabe, „durch gegensteuernde Kräfte Gleichgewichtszustände zu erhalten“ permanent gestellt ist. Das gelte im Übrigen „in anderer Weise als bei uns selbstverständlich auch für die sowjetkommunistischen Systeme“. Und weiter: „Ob die hier oder dort wirksamen ‚widersprüchlichen‘ Kräfte Wirkungen entfalten, die zu Systemzusammenbrüchen führen müssen, weiß allerdings niemand.“ Dieses 30 Ders., „Traditionsverlust und Fortschrittskrise. Sozialer Wandel als Orientierungsproblem“, in: ders., Fortschritt als Orientierungsproblem (Anm. 1), 41. 31 Ebd.

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Eingeständnis ist freilich keine Selbstkritik, sondern wiederum nur ein Pro-Argument für Traditionsgeltung und für die diese stützende Beweislastverteilungsregel, denn „die Beweislast für Vorschläge komplexer Sozialsysteme gegen andere einzutauschen, kann niemand tragen“. Die letzte Konsequenz aus dieser Feststellung ist eine zweifache: sowohl das Eingeständnis, dass man die rationale Parteinahme für das jeweils Bestehende gerade nicht für den Kern einer eigentlichen Steuerungsdoktrin im Kontext sozialer Wandlungsvorgänge nehmen soll, als auch das prinzipielle Bekenntnis liberalkonservativer Bescheidenheit gegenüber allen Ansprüchen, Geschichte rational „machen“ zu wollen: Gewiß kann man mit Hilfe der Beweislastverteilungsregel das, was geschieht, nicht wirklich steuern. Aber das heißt ja nur, dass die rationale Argumentation überhaupt nicht das Medium der Steuerung derart komplexer Veränderungen, sofern sie eintreten sollten, ist.32

Gegen die mit dem beschleunigten sozialen Wandel unvermeidlich auftretenden Orientierungsprobleme liefert die Vernunft weder ein Pauschalrezept noch eine zuverlässige therapeutische Remedur. So sind in der Orientierungskrise der Gegenwartsmoderne wir in derselben Lage wie die Verirrten, denen Cartesius rät, nicht dauernd die Richtung zu wechseln: Wir sind rational gezwungen, dort, wo es nicht klarerweise verkehrt erscheint, der Zuverlässigkeit des überlieferten Systems unserer Orientierungen sowie den trivialen Gebrauchsregeln unseres common sense zu vertrauen. Zur common sense-Philosophie mit (bedingt) sozialtechnologischem Einschlag wird Lübbes Diagnose-in-praktischer-Absicht des Fortschritts als Orientierungsproblem nicht aus traditionalistischem Vorurteil, sondern aus rationaler Einsicht in die Kontingenz und Unbeherrschbarkeit geschichtlicher Verläufe. Diese Kontingenz anzunehmen, impliziert deshalb gerade nicht die Haltung pessimistischer Weltverneinung. Im Gegenteil: So wenig wie „Fortschritt“ etwas ist, das insgesamt zu verwirklichen unsere Aufgabe sein könnte, so wenig ist der Austritt aus der Geschichte das, was uns obliegt, zu tun. Freilich redet dann, wenn man sagen soll, was wer wann wo tun muss, um ein größeres oder kleineres Problem im Rahmen unserer zivilisatorischen Selbstgestaltung zu bearbeiten, zunächst der Expertenverstand, dadurch dann die politische Auseinandersetzung eröffnend, ob und wie die Umsetzung der vom Fachwissen formulierten Lösungsvorschläge zu geschehen habe. Die Philosophie – und sei sie auch noch so praktisch – hat auf diesen Diskussionsebenen sehr bald zu schweigen, oder sie wird selber eine unter vielen Teilnehmerinnen der fälligen policy-Debatten werden im Rahmen demokratischer Meinungs- und Willensbildung. 8. Demokratie als Modernisierungsgewinnerin Wenn hier, im vorliegenden Aufsatz, im Wesentlichen vom Sammelband Fortschritt als Orientierungsproblem die Rede gewesen ist, dann darum, weil sich in ihm besonders deutlich der innere Zusammenhang der gedanklichen Hauptmotive des „Nachaufklärers“ Lübbe sowohl untereinander als auch mit der klassischen Idee der „Philosophie 32

Zitiert nach einem Brief Lübbes (vom 19.8.1975) an den Verfasser.

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als Aufklärung“ zum Vorschein bringt. Der Philosoph als Kritiker falscher Verheißungen bewährt sich in der Rolle des Aufklärers, wenn und weil er dem Kanon der großen Texte unerschrocken, „selbstdenkend“ begegnet; er zeigt sich im Einsatz für gefährdete, letztlich kontingente, aber vernünftigerweise („Beweislastverteilungsregel“!) zu erhaltende Orientierungen, und er erbringt noch einmal die gleiche Leistung, wenn er engagiert in zeitgenössischen ideenpolitischen Kämpfen die verwendeten Vokabulare und Begriffsinstrumentarien prüft33, um endlich und mit rhetorischem Geschick die vertraute Kompetenz des alltagstauglichen „gesunden Menschenverstandes“ und der in ihm wirksamen Moral zu verteidigen – was a fortiori die Zustimmung zur gegebenen sozialen Umwelt, in unserem Fall: zur rechtsstaatlichen, liberalen Demokratie, wie sie sich nach 1945 in Westeuropa durchgesetzt hat, einschließt. – Und als engagierter Zeitgenosse scheut sich Lübbe auch nicht, die Pflicht zur zivilreligiösen, moralischen Ermahnung, zur „Predigt“, zu übernehmen; allerdings, pragmatisch-nüchtern, meist erst nach, nicht vor dem sinnvollerweise zu erbringenden „sozialtechnologischen“ Eingriff; denn nicht Moralpredigt fördert Moral, vielmehr die Emendation der institutionellen, rechtlichen, sozialen und familiären Bedingungen, unter denen die Umsetzung moralischer Einsichten in tätigen Willen zum Regelfall werden kann. Soweit das gelungen ist, soweit also eine moralische Kultur herrscht, geschieht dann die Erinnerung an geltende moralische Regeln von der Familie bis zum Gemeinwesen, angemessenerweise zumeist rituell, zum Beispiel in der Predigt.34

Lübbes theoretisches Geschichtsverständnis, das ihn ab initio zum Gegner jeglicher Geschichtsphilosophie in „heilsgeschichtlicher“ (Karl Löwith) Perspektive gemacht hat, ist die andere Seite seiner Praxis leitenden Überzeugung vom Nutzen und der Notwendigkeit common sense-basierter Sozialtechnik auch und gerade in Zeiten raschen sozialen Wandels und entsprechender Orientierungskrisen. Solche Sozialtechnik gelingt oder scheitert von Fall zu Fall. Deshalb gehören zum Lübbeschen Geschichtsverständnis der theoretische Aspekt der Narratologie und der praktische Aspekt der selbstkritischen Behutsamkeit; (1) also die Idee, dass Geschichte – im Grunde beherrscht von unbeherrschbaren Kräften und Zufällen – immer nur als Ensemble von Geschichten, als Vielzahl von je für sich wohlbegründeten, jedoch nicht systematisch auseinander ableitbaren Narrationen zu begreifen ist, und (2) die daraus sich ergebende praktische Einsicht, dass geschichtlich gewachsene Kulturen und zivilisatorische Ordnungen dort, wo sie es zu bejahbar-menschenwürdigen Verhältnissen gebracht haben, kostbare, allemal fragile und insofern sorgfältig zu hütende Errungenschaften sind. Denn „die“ Geschichte gibt es nicht. Aus beiden Grundbausteinen, aus seinem Verständnis des Historischen als einem Ensemble von Geschichten und aus der Wahrnehmung der kontigenten, verletzbaren Konstitution jener gesellschaftlicher Bestände, auf die wir um der Humanität unseres Zusammenlebens willen angewiesen sind, entwickeln sich nach 1975 große Arbeiten und Aufsätze: 1977 erscheint das Buch Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse, die 33 Vgl. die Aufsätze „Lebensqualität oder Fortschrittskritik von links“ (57-74) sowie „Sein und Heißen. Bedeutungsgeschichte als Sprachhandlungsfeld“ (134-153). 34 Ders., „Aneignung und Rückaneignung“, in: G. Kohler/H. Kleger (Hg.), Diskurs und Dezision. Politische Vernunft in der wissenschaftlich-technischen Zivilisation, Wien 1990, 339.

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konzise und sehr einflussreiche Wissenschaftstheorie der Geschichtswissenschaft, die im Sammelband von 1975 präludiert wird35, und bereits ein Jahr früher ist die in Fortschritt als Orientierungsproblem nachgedruckte Abhandlung erschienen, die die Rolle und Unersetzlichkeit des Religiösen und der Religion auch – und gerade – nach vollzogener Säkularisierung und aufklärerischer Entzauberung beschreibt und einleuchtend macht: „Vollendung der Säkularisierung – Ende der Religion?“ (169-181). Als Ganzes wird diese Philosophie der Bedeutung und des (zivil)religiösen Orientierungsgehaltes der menschlichen „Kontingenzbewältigungspraxis“ 1986 unter dem Titel Religion nach der Aufklärung vorgelegt. An beiden Theoriestücken ließe sich eine weitere Basisintuition von Lübbes Beschäftigung mit der Dynamik und den Gegebenheiten der wissenschaftlich-technischen Zivilisation nachweisen; nämlich der Gedanke, dass die Prozesse der Moderne gleichermaßen unzureichend erfasst werden, wenn man sie als im dialektischen Dreitakt geschehende teleologische Vorwärtsbewegung interpretiert, wie dann, wenn man sie in erster Linie als Verlustgeschehen begreift. (1) Just die Religion ist ja so etwas wie eine „Modernisierungsgewinnerin“36. Denn nicht das Ende religiöser Besinnung ist das Ergebnis typisch moderner Erfahrungen, sondern, so Lübbe, die Aufdringlichkeit von Lebensproblemen, auf die sich – vernünftigerweise, in aufgeklärt-kritischer Reflexion – nur religiös antworten lässt. (2) Ebenso ist das Erstarken, nicht das Verschwinden des Bewusstseins für die Nötigkeit von Moral das Resultat moderner Vervielfältigung von Handlungschancen: Weil dort, wo Freiheit und individuelle Wahlmöglichkeiten zunehmen, die jedermann irgendwie vertrauten Grundsätze der Moral und des Gewissens nicht notwendigerweise befolgt, aber als wesentliche Bedingung menschlicher Verfasstheit umso wichtiger und aufdringlicher werden. (3) Analoges ist für die historische Kultur zu konstatieren. Die ständig anströmende Neuerungsmenge, die die wissenschaftlich-technische Zivilisation und ihre Marktwirtschaft erzeugen, weckt, kompensatorisch, das Interesse an Vergangenem und an der Bewahrung ihrer Reste – im Museum, durch die Rettung altvertrauter Stadtbilder und in den Werken der vielfach ausdifferenzierten, hochspezialisierten Geschichtswissenschaften. (4) Schließlich sei auch die Demokratie, ja sogar ihre möglichst unmittelbare Gestalt, die direkte Demokratie, langfristig gesehen, eine Modernisierungsgewinnerin. Davon ist Lübbe, in entschiedenem Gegensatz zu vielen anderen Zeitdiagnostikern, im Vertrauen auf die Vitalität individueller Freiheitsrechte und kollektiver Autonomie überzeugt. Denn liberale Gesellschaften, wie sie für die meisten OECD-Länder typisch sind, würden aus ihren eigenen Quellen heraus den Willen zur bürgerschaftlich-gemeinsamer Dezision behaupten. Dass man dem Sachzwang und der Macht der selbstregulierten Systeme keinen Vorrang zu geben brauche, und dass man, im Gegenteil, die demokratische Selbstbestimmung der Bürger und Bürgerinnen als Modell auch zukünftiger Formen von Supra(national)staatlichkeit annehmen dürfe, hat Lübbe vor nicht allzu langer Zeit mit der folgenden Argumentation verteidigt: 35 Vgl. H. Lübbe, „‚Was heißt ‚Das kann man nur historisch erklären?‘ Zur Analyse und Struktur historischer Prozesse“, in: ders., Fortschritt als Orientierungsproblem (Anm. 1), 154-168. 36 Vgl. den Titel von Lübbes Buch aus dem Jahre 2004: Modernisierungsgewinner (Anm. 10).

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Das ist im Jahre 2004 formuliert worden, und es belegt, dass es wohl schon früher falsch gewesen ist, hinter Lübbes Dekonstruktion der These von der „instrumentellen Vernunft“, seiner Apologie der Moral der „technischen Intelligenz“ oder seiner „Ideologiekritik der Technokratie-Kritik“38 die Neigung zu Schmitteanischer Autoritätsverherrlichung und eine Parteinahme gegen die Institutionen bürgergesellschaftlicher Diskurse zu vermuten. Aber es demonstriert das ungebrochene Vertrauen in die Wirksamkeit des common sense im Rahmen der geltenden Verfassungsordnungen des – vielleicht darf man die Bezeichnung immer noch verwenden – „Westens“. Und erneut wäre es lohnend, die Positionen der Lübbeschen Theorie unserer Fortschrittsmoderne mit denen der „Kritischen Theorie“, insbesondere mit der von Jürgen Habermas seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts ausgebauten „Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtstaates“, zu vergleichen. Man würde nämlich schnell entdecken, dass sich die respektiven Positionen nicht kontradiktorisch, sondern komplementär entwickelt haben. Was im Grunde alles andere als erstaunlich ist. Habermas hat ja niemals eine geschichtsmetaphysische Konstruktion vertreten, sondern den Gedanken einer „Allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ nach Kantischem Muster in zeitgenössischer Aktualisierung zu entfalten versucht. Also eine Theorie zur Geltung gebracht, die uns – um es erneut mit Kant zu sagen – „vernünftig zu hoffen“ erlaubt, wie auch Lübbe, je älter er wurde, seine Aufmerksamkeit stärker auf die optimistisch stimmenden Momente im weltumspannenden Zivilisationsprozess richtete; weder als Neokonservativer noch als Neoliberaler, sondern mit der Intention und in der Zuversicht, dass Selbstaufklärung und die Verbesserung der Welt möglich und notwendig und – das vor allem – wirklich sind.39 37

Ebd., 160. Vgl. ders., Fortschritt als Orientierungsproblem (Anm. 1), 121-133. 39 Vgl. dazu, was H. Kleger und der Verfasser bereits 1990 festgestellt haben: „Lübbe und Habermas verkörpern über […] [alle] Kontroverse[n] hinaus einen Gegensatz, der für die geistige Situation der Bundesrepublik kennzeichnend geworden ist. Das darf jedoch nicht die Einsicht zum Verschwinden bringen, daß beide trotz aller Differenzen für Positionen stehen, die historisch gesehen zur ‚verfassungspatriotischen Mitte‘ mit ihrer ausdrücklichen westlichen Verankerung gehören (Lübbe nach ‚rechts’ integrierend, Habermas nach ‚links’). Biographisch entscheidend ist für sie das deutsche Trauma und der diesbezügliche Versuch, aus der Geschichte zu lernen – von komplementären Ausgangspunkten her und im Horizont verschiedener philosophisch-politischer Temperamente“ (Diskurs und Dezision [Anm. 34], 17). 38

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Kontingenzbewältigung in der Moderne Hermann Lübbes Verständnis von Religion und Aufklärung 1. Einleitung Hermann Lübbe gehört – mit Joachim Ritter und zahlreichen anderen Schülern und Weggefährten Ritters – zu denjenigen Philosophen, die den historischen und den systematischen Zugang zur Philosophie miteinander verbunden haben – nicht zuletzt in einer Weise, die immer wieder neu die Möglichkeiten der Philosophie im Gespräch mit anderen universitären Disziplinen, mit der politischen, gesellschaftlichen und kirchlich-religiösen Lebenswelt oder der Kunst und Literatur erweitert und bestimmt hat.1 1.1. Zwischen Herkunft und Zukunft Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Denkens – die Entwicklung eines „historischen Bewusstseins“ – spielte dabei eine besondere Erkenntnis leitende Rolle. Denn nur in der Besinnung auf unsere Herkunft, auf die Geschichte, in der wir stehen, können wir – in der Zeit eines zumindest in Teilbereichen sich immer weiter beschleunigenden Fortschritts lebend – überhaupt die großen Fragen der Philosophie neu stellen und unsere Gegenwart und Zukunft bedenken.2 Ist der Fortschritt nämlich, so Lübbe, eine „vergangenheitserzeugende Kraft“, dann treten „Herkunft und Zukunft“ immer weiter auseinander, „und das historische Bewusstsein ist das nötige Medium ihrer Verknüpfung“3. Die hier von Lübbe vorausgesetzte These ist zunächst einmal einfach und auch unmittelbar plausibel: Es ist die These, dass Modernisierung immer ein Geschehen von Gewinn und Verlust darstellt, dass also, in anderen Worten, Fortschritt kein absoluter Begriff ist, sondern es – zum einen – nur Fortschritte gibt und – zum anderen – jeder Fortschritt eben auch immer mit dem Preis des Rückschritts, jede Erweiterung unseres Horizontes mit dem Preis einer Einschränkung des Horizontes verbunden ist.4 „Der Zivilisationsprozeß“, so

1

Zu Ritter vgl. u.a. U. Dierse (Hg.), Joachim Ritter zum Gedenken, Mainz 2004. Vgl. hierzu insbesondere O. Marquard, „Zukunft und Herkunft“, in: ebd., 111-122. 3 H. Lübbe, Die Zivilisationsökumene. Globalisierung kulturell, technisch und politisch, München 2005, 60. 4 Vgl. in diesem Zusammenhang auch R. Spaemann, „Unter welchen Umständen kann man noch von Fortschritt sprechen?“, in: ders., Philosophische Essays. Erweiterte Ausgabe, Stuttgart 1994, 130-150. 2

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Lübbe, „belastet das Dasein in der gegenwärtigen Welt mit Erfahrungsverlusten“5. Die neuzeitliche Entdeckung der Subjektivität und Freiheit hat auch zu einer unsere Lebenswelt immer mehr bestimmenden Erfahrung des Verlustes geführt: Wir erfahren uns nämlich als „Orientierungswaisen“6. Der Begriff des „Orientierungswaisen“ zeigt sehr schön an, wo wir eigentlich stehen: Es fehlt etwas – wir sind Waisen –, es gibt eine Lücke, die so vorher nicht da war. Denn der Prozess der Modernisierung ist zunächst auch einmal ein Prozess der Emanzipation, der Befreiung von überlieferten Gewissheiten und Orientierungsvorgaben. Doch dieser Gewinn an Freiheit, dass es mehr und mehr Möglichkeiten gibt, die sich uns auftun, hat als Schattenseite auch den Charakter des Verlustes überlieferter Gewissheiten. Wir zahlen daher den Preis einer Desorientierung, nicht etwa, weil es keinerlei Möglichkeiten der Orientierung mehr gäbe, sondern weil diese, wie Lübbe zeigt, in einem zunehmend rasanten Tempo veralten.7 1.2. Zwischen Modernitätsflucht und Modernitätsemphase Lübbe ist allerdings ein Denker, der in seinem Zugang zur Moderne um einen mittleren Weg bemüht ist – zwischen den Extremen der Modernitätsflucht und der Modernitätsemphase. Lübbe sieht durchaus, welche positive Bedeutung jene Epoche hatte, die, wie er feststellt, sich einer „Wettermetapher“8 – der Metapher der Aufklärung – bediente, um sich über sich selbst zu verständigen: „Der Lauf der Geschichte hat es mit sich gebracht, dass man sich daran heute fast überall in der Welt mit Zustimmung erinnert.“9 Lübbe – als Denker, der sich auch vor der Konfrontation mit der Realgeschichte und der Vielfalt des menschlichen Wissens und Lebens nicht fürchtet, sondern diese aus philosophischer Sicht positiv einzuholen versucht – sieht aber auch, wie viele andere Interpreten der aufgeklärten Moderne von Rousseau und Schiller über Hegel bis zu Adorno und Horkheimer, die Schattenseite jener Aufklärung: Die Schrecken des jüngst vergangenen Jahrhunderts, auf die wir inzwischen gleichfalls zurückzublicken haben, lassen sich ja keineswegs als Restbestände voraufgeklärter Traditionen verständlich machen. Sie sind vielmehr, sogar über10 wiegend, Folgen totaler Aufklärungsmobilisierung.

Deutlich zeigt sich, worin Lübbe das Problem sieht: nicht in der Aufklärung selbst, so als müsse es gelten, gegen die Aufklärung – überdies eine sehr komplexe, in sich sehr diffe5 H. Lübbe, „Erfahrungsverluste und Kompensationen. Zum philosophischen Problem der Erfahrung in der gegenwärtigen Welt“, in: Der Mensch als Orientierungswaise? Ein interdisziplinärer Erkundungsgang, Freiburg/Br. – München 1982, 145. 6 Vgl. hierzu auch ders., „‚Orientierung‘. Zur Karriere eines Themas“, in: ebd., 7-29. 7 Vgl. hierzu auch ebd., 27. 8 Ders., „Vorbemerkung. Nach der Aufklärung“, in: ders., Politik nach der Aufklärung. Philosophische Aufsätze, München 2001, 7. 9 Ebd. 10 Ebd.

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renzierte historische Epoche – zu agieren, sondern in einer Tendenz zum Totalen, die der Aufklärung, wie vielen anderen modernespezifischen Bewegungen, eigen ist. Vielleicht lässt sich Lübbes Denken daher als der Versuch beschreiben, mit der Aufklärung gegen die Totalisierung der Aufklärung und die damit verbundene Gefahr eines Umschlages, eines Rückfalls zu denken. Denn jenseits der Alternativen von Antimodernismus und Modernismus gilt es, so Lübbes These, in nachaufklärerischer Zeit eine Balance zu finden, die zunächst einmal nicht von der Gewalt des Theoretischen – d.h. eines bestimmten inhaltlich schon präzisierten Vorbegriffes von Moderne – ausgeht, sondern von dem von Lübbe immer wieder geübten Blick auf die Sache, das Geschehen des Modernisierungs- oder Zivilisationsprozesses selbst. 2. Religion nach der Aufklärung Dieser fast phänomenologisch oder hermeneutisch zu nennende Zugang Lübbes zeigt sich auch in seinem Zugang zu Religion und Säkularisierung.11 Auch hier ist Lübbe Extrempositionen sehr skeptisch und kritisch gegenüber eingestellt. Denn er weist nach, dass diese oft entgegen ihrem eigenen Anspruch nicht realistischer sind als andere, stärker vermittelnde Positionen. 2.1. Säkularisierung So entwickelt Lübbe etwa eine Metakritik an der Religionskritik des 19. Jahrhunderts, die in wenigen, aber sehr überzeugenden Schritten grundsätzliche Probleme des von den Religionskritikern vorausgesetzten Verständnisses von Religion aufzeigt, ohne zu leugnen, dass es durchaus kritikwürdige Momente von historisch gelebter und verwirklichter Religion gibt, die von den Kritikern der Religion auch zu Recht benannt wurden. Von besonderem Interesse ist für ihn neben Sigmund Freud auch Karl Marx‘ in der berühmten Einleitung von Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie und in den Thesen über Feuerbach entfaltete These, Religion sei das Opium des Volkes und die Feuerbachsche Kritik der Religion sei – als Grundlage aller Kritik – auf gesellschaftlich-politischer Ebene zu radikalisieren. Lübbe weist nun nicht einfach nur nach, dass Marx historisch nicht Recht behalten habe oder dass seine radikale Religionskritik einer ihr eigenen Dialektik unterworfen gewesen sei und der Marxismus selbst zu einer Pseudo- oder Anti-Religion geworden sei. Seine Kritik zielt auf eine viel tiefere Ebene. Denn der rein historische Befund – das Scheitern des Marxismus, seine Transformation in eine Pseudo- oder Anti-Religion wie auch die nach wie vor zu beobachtende Bedeutung von Religion – könnte ja auf rein kontingente historische Momente oder Erscheinungsweisen von Religion hinweisen – etwa auf ihre Beharrungstendenz oder die kaum zu überwindende Ignoranz und Aufklärungsresistenz der meisten Menschen wie auch auf die Notwendigkeit, die Kritik der Religion noch einmal zu radikalisieren. Diese Kritik aber, so Lübbe, ist von ihren theoretischen Vorausset11 Für Lübbes Sicht von Geschichte und Bedeutung des Säkularisierungsbegriffes vgl. ders., Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs, Freiburg/Br. – München 1965, ³2003.

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zungen her falsch, weil ihr ein problematisches und nicht sachgemäßes Verständnis von Religion zugrunde liegt. 2.2. Religion Dies führt zu der zentralen Einsicht, der Lübbe in seinem mittlerweile klassische Geltung beanspruchenden Werk Religion nach der Aufklärung12 – wie auch in vielen Einzelstudien13 – Ausdruck verliehen hat: Zunächst einmal, so legt der Titel dieses Buches nahe, muss es heute gelten, wenn es um ein Verständnis von Religion geht, Religion im historischen Kontext „nach“ der Aufklärung zu sehen. Es muss aber auch darum gehen, so legt die schöne Doppeldeutigkeit des Buchtitels nahe, Religion „nach“, d.h. „gemäß“ der Aufklärung zu sehen. Denn Aufklärung und Religion, so Lübbes These, stehen zwar in einer Spannung, nicht aber in einem Widerspruch zueinander, so dass die fortschreitende Aufklärung oder Säkularisierung auch eo ipso mit einem Absterben von Religion verbunden wäre. Aufklärungsprozesse ließen sich zwar „in der Tat“, so Lübbe, „als Vorgänge kulturellen Bedeutsamkeitsverlustes lesen, den Religionen und Konfessionen in modernen Gesellschaften erleiden“14. Lübbe verweist in diesem Zusammenhang auf eine Reihe alltäglich gewordener Erfahrungen, wie etwa die Erfahrung, dass in Kathedralen oft bestimmte Kunstwerke mehr interessierte Besucher anlocken als Gottesdienste. Religionen, so eben auch eine der Kernerfahrungen der Moderne, können selbst zu Gegenständen des musealen Interesses werden.15 Es verwundert daher nicht, dass es in der Moderne auch die Erwartung gibt, daß der Aufklärungsprozess in einer religionslosen kulturellen Zukunft enden werde, und es gibt auch die Phänomene, auf die man verweisen kann, um diese Erwartung, 16 besorgt oder erfreut, plausibel zu machen.

Warum aber wurde diese Erwartung enttäuscht? Warum spielt Religion nach wie vor eine bedeutende Rolle im Leben der westlichen Welt, gibt es doch neben der sichtbaren institutionalisierten Religion unter anderem auch so etwas wie eine in der Moderne immer wichtiger werdende „unsichtbare Religion“, eine Form der „privaten“ und sehr stark von

Vgl. ders., Religion nach der Aufklärung, Graz – Wien – Köln 1986, 32004. Für Lübbes Verständnis von Religion vgl. neben seinem o.g. Hauptwerk exemplarisch: „Vollendung der Säkularisierung – Ende der Religion?“, in: ders., Fortschritt als Orientierungsproblem, Freiburg/Br. 1975, 169-181; „Religion nach der Aufklärung“, in: ders., Philosophie nach der Aufklärung, Düsseldorf – Wien 1980, 59-85; ders., Modernisierung und Folgelasten, Heidelberg 1997, 201-245; „Aufklärung als sozialer Prozeß. Religiöser Fundamentalismus und Demokratie“, in: ders., Modernisierungsgewinner, München 2004, 15-34. – Zur Erörterung des Religionsbegriffs bei Lübbe vgl. H. J. Schneider, „Ist Gott ein Placebo? Eine Anmerkung zu Robert Spaemann und Hermann Lübbe“, in: Zeitschrift für evangelische Ethik 25 (1981), 145-147; E. Angehrn, „Religion als Kontingenzbewältigung?“, in: Philosophische Rundschau 34 (1987), 282-290. 14 H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung (Anm. 12), 128. 15 Vgl. hierzu ebd. 16 Ebd., 129. 12 13

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individuellen Bedürfnissen, Interessen und Anliegen geprägte Religion?17 Lübbe denkt aber nicht nur an eine Privatisierung oder Subjektivierung von Religion, in deren Verlauf die Religion zumindest ihre öffentliche Bedeutung verlieren und unsichtbar würde. Für ihn ist der „religionspolitische Prozeß der Aufklärung [...] keineswegs eo ipso ein Prozeß der Zurückdrängung der Religion aus dem öffentlichen Leben“18. 2.2.1. Kritik der Religionskritik Nach Lübbes überzeugender These hängt dies, wie bereits gesagt, nicht einfach damit zusammen, dass die Erwartung, die Zukunft der Menschheit sei eine Zukunft ohne Religion, zwar prinzipiell richtig, aber aus historisch-kontingenten Gründen eben noch nicht erfüllt sei, sondern vielmehr damit, dass die Erwartung selbst auf falschen Voraussetzungen beruhe. Denn während die Religionskritiker ihre These vom bevorstehenden Ende der Religion oder zumindest von der Aufgabe einer emanzipatorischen Überwindung von Religion mit dem Anspruch eines wirklichkeitsgetreuen Zugangs zur Wirklichkeit vertreten, weist Lübbe in metakritischer Absicht lakonisch darauf hin, dass sich dieser von der kritischen Religionstheorie aufgestellte Anspruch auf Wirklichkeitserkenntnis nicht halten lasse: Mehr als für die in Erinnerung gebrachten religiösen Akte selbst scheint Realitätsverlust für die Religionstheorie charakteristisch zu sein, die jene Akte als wirklichkeitsflüchtig beschreibt.19

Damit stellt Lübbe die These auf, dass die radikale Religionskritik etwa Marxscher Spielart entgegen ihrem eigenen Anspruch nicht Illusionen zerstöre und damit von diesen befreie, sondern in ihrer „frappanten“ „Verkennung der Realität“20 selbst eine Illusion darstelle und daher der Desillusionierung bedürfe. Die Werkzeuge der aufklärerischen Religionskritik werden somit gegen diese selbst gekehrt. 2.2.2. Aufklärungsresistenz der Religion Anders als die radikale Religionskritik will Lübbe nämlich nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Denn während er vor allem Marx und Freud dies vorwirft – dass ihre berechtigte Kritik weit über ihr Ziel hinausschieße und nicht sehe, dass zwischen einem wesent17 Vgl. hierzu die klassische Studie von T. Luckmann, Die unsichtbare Religion, Frankfurt/M. 1991. Luckmanns Buch erschien 1967 erstmals in englischer Sprache; Lübbe hat ihm den Aufsatz „Aufklärung als sozialer Prozess. Religiöser Fundamentalismus und Demokratie“ (Anm. 13) gewidmet. Die in den letzten Jahren viel beschworene „Wiederkehr“ der Religion ist, folgen wir Luckmanns Diagnose, also weniger eine Wiederkehr der Religion, als bestenfalls die Wiederkehr bestimmter Formen der Religion. Aber auch die Frage, ob gewisse Formen von Religion nun wiedergekehrt sind oder nicht, scheint angesichts des religionssoziologischen Befundes eine offene Frage zu sein. 18 H. Lübbe, „Politik und Religion nach der Aufklärung“, in: ders., Politik nach der Aufklärung (Anm. 8), 44. 19 Ders., Religion nach der Aufklärung (Anm. 12), 134. 20 Ebd.

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lichen und einem unwesentlichen Vollzug von Religion sorgsam zu unterscheiden sei –, bemüht sich Lübbe um einen realistischeren Zugang zum Phänomen der Religion: So sehr es Missbrauch von Religion gebe (und so sehr daher aufklärerisch motivierte Religionskritik immer auch notwendig sei), so sehr gebe es auch Formen von Religion, die vor allem auch gegenüber der Religionskritik des 19. Jahrhunderts (und damit, so könnte man hier ergänzen, auch den gegenwärtigen Versuchen, diese Religionskritik auf evolutionsmetaphysischer oder soziobiologisch-naturalistischer Basis zu reformulieren) resistent bleiben. Denn es sei nicht notwendig, so Lübbe, Religion „begrifflich mit den ideologischen Funktionen zu identifizieren, auf die sie in der Tat beziehbar ist“21, mit anderen Worten: selbst der ideologische Missbrauch von Religion diskreditiert nicht den prinzipiellen Gebrauch, das Wesentliche bleibt vom Unwesen der Religion letztlich unberührt, denn nicht vom Unwesen her definiert sich das Wesen von Religion – sondern umgekehrt. Worin aber besteht nun das Wesentliche des religiösen Vollzuges? Und warum betrifft eine fortschreitende Aufklärung nicht auch das Wesen der Religion? Zunächst einmal ist mit Lübbe daran festzuhalten, dass die Daseinslagen, auf die die Frommen sich in den angedeuteten Formen religiöser Lebenspraxis beziehen, […] vollständig aufklärungsresistent und emanzipatorischen Bemühungen weder zugänglich noch bedürftig [sind].22

Das bedeutet nun, dass, so sehr sich auch im Zuge der Modernisierung unserer Lebensund Denkwelt das Gefüge religiöser Anschauungen und Ausdrucksformen ändert und verschiebt, das, was wesentlich den religiösen Vollzug ausmacht, nicht von den Prozessen der philosophischen Aufklärung oder politisch-gesellschaftlichen Emanzipation berührt wird und, so Lübbes These, von diesen Prozessen auch gar nicht berührt werden kann. Der Aufklärungsprozess, so Lübbe, verhalte sich nämlich zu den „Nötigkeitsbedingungen religiöser Kultur grundsätzlich indifferent“. Denn der Aufklärungs- und auch Säkularisierungsprozess lasse, so Lübbe weiter, genau jene Daseinsprobleme unverändert […], auf die wir uns in religiöser Kultur zu beziehen pflegen, oder, auf der semantischen Ebene formuliert, auf die lebenspraktisch explizit bezogen zu sein das ist, was wir mit dem Prädikator „religiös“ 23 von anderen Formen der Lebenspraxis zu unterscheiden pflegen.

Religion bleibt also nach Lübbe trotz der Aufklärung notwendig, weil die Aufklärung oder Säkularisation nie zu einer Beseitigung oder Aufhebung derjenigen Bedingungen führt und führen kann, die Religion notwendig machen und auf die der Mensch in der Weise der Religion antwortet. Damit bilden ein religiöses und ein aufgeklärtes Verhalten keine Gegensätze oder Alternativen, sondern ergänzen sich wechselseitig, insofern jede Verhaltensweise die jeweils andere davor bewahren kann, zu einer wirklichkeitsfremden oder wirklichkeitsverfremdenden Illusion zu werden.24 Aufklärung ohne Religion – wie etwa das Beispiel der radi21 22 23 24

Ebd., 135. Ebd. Ebd., 132. Vgl. hierzu auch ebd., 143.

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kalen Religionskritik zeigt – verfehlt genauso die Wirklichkeit wie Religion, die sich nicht auch in der Situation nach der Aufklärung verortet. 2.2.3. Religion als „Kontingenzbewältigungspraxis“ Warum bzw. in welcher bestimmten Funktion bleibt aber Religion nach wie vor wichtig und zwar derart wichtig, dass auch aufgeklärtes Bewusstsein weiterhin der Religion bedarf, sollte dieses Bewusstsein nicht hinter den eigenen Anspruch der Aufklärung zurückfallen und einem „theorieinduzierten Realitätsverlust“25 unterliegen? Lübbe bringt die Funktion der Religion auf die mittlerweile berühmt gewordene Formel, dass die Religion die Funktion der „Kontingenzbewältigung“ habe. Religiöse Praxis ist somit eine „Kontingenzbewältigungspraxis“. Zunächst einmal wird in der Religion Kontingenz anerkannt: Die Erfahrung, dass menschliches Dasein ist, obwohl es nicht sein müsste, dass es aber auch nicht ein Produkt des Menschen ist, und dass es daher unverfügbar ist, ist eine Erfahrung, die in der Religion anerkannt und dann lebenspraktisch bewältigt wird. Damit aber wird eine Bedingtheit menschlichen Lebens anerkannt, die sich auch im Prozess fortschreitender Aufklärung nicht einholen lässt, sondern die Bedingung einer jeden Aufklärung ist. Religion bezieht sich also auf fundamentale Gegebenheiten des menschlichen Lebens, die auch im Prozess einer fortschreitenden Aufklärung oder Emanzipation nicht schwinden. Genau dies erklärt, warum die These, Religion werde mit fortschreitender Aufklärung schwinden, falsch ist: Denn sie wäre nur unter der Voraussetzung, dass auch die fundamentalen Daseinswirklichkeiten, die in der Religion anerkannt und praktisch bewältigt werden, schwinden könnten. Dies ist aber erwiesenermaßen nicht der Fall. Auch aufgeklärtes und emanzipiertes menschliches Dasein wird immer unter unverfügbaren Bedingungen stehen, die sich nicht handelnd oder denkend einholen lassen. 2.2.4. Funktionalistische Religionstheorie und die religiöse Praxis Bevor die Implikationen dieses Verständnisses von Religion weiter verfolgt werden, ist es notwendig, kurz etwas zum theoretischen Status dieses funktionalen Verständnisses von Religion zu sagen. Denn Lübbes Verständnis von Religion ist sehr oft zum Gegenstand der Kritik gemacht worden. Vereinfacht gesprochen hat man Lübbe vorgeworfen, dass seine funktionalistische Apologie der Religion gegen die radikalen Religionskritiker oder den faktischen Bedeutungsverlust von Religion in der philosophischen Diskussion um den Preis einer funktionalistischen Auflösung oder Preisgabe der Religion geschehe und überdies die Wahrheitsfrage ausblende.26 Lübbe hat sich mit kritischen Anfragen an ein funk-

25

Ebd. Vgl. zur Kritik eines funktionalistischen Verständnisses von Religion auch R. Spaemann, „Funktionale Religionsbegründung und Religion“, in: ders., Philosophische Essays (Anm. 4), 208-231. Vgl. für Spaemanns kritische Auseinandersetzung mit Lübbe auch: „Das unsterbliche Gerücht“, in: ders., Das unsterbliche Gerücht. Die Frage nach Gott und die Täuschung der Moderne, Stuttgart 2007, 22ff. 26

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tionales Religionsverständnisses bereits in Religion nach der Aufklärung überzeugend auseinandergesetzt.27 (1) So hat er zum einen in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass zwischen einer funktionalistischen Theorie und der Religionspraxis sorgsam zu unterscheiden sei: Aber mit der Beschreibung dieser Funktion ist gerade nicht die Insinuation verbunden, diese Funktion sei es nun, um deren Erfüllung es sich bei der Religion eigentlich handle – im Unterschied nämlich zu allem, worauf sich die Religionen in ihrem Selbstverständnis beziehen.28

Daher betont Lübbe zum einen immer wieder die praktische Eigendimension von Religion, die nicht von anderen Dimensionen menschlichen Lebens abgeleitet oder diesen untergeordnet werden kann: Denn die Religion ist ja keine Kontingenzbewältigungstheorie, sondern eine bestimmte Form oder Weise des Lebens, in der Kontingenz in einer der Religion eigenen Unmittelbarkeit praktisch anerkannt und bewältigt wird. Dass dies geschieht, ist nun nicht die intentio recta des religiösen Vollzuges, sondern die intentio obliqua, die auf der Grundlage einer theoretisch-mittelbaren, nach bestimmten Funktionsverhältnissen fragenden Betrachtung aufgewiesen werden kann. Überdies muss man beachten, dass es Lübbe ja nicht um ein funktionales Verständnis Gottes, sondern der Religion geht. (2) Zum anderen hat sich Lübbe auch kritisch mit der „Wirklichkeitsferne“ der Religionsphilosophie Immanuel Kants auseinandergesetzt und damit mit einem Verständnis von Religion, das Religion letztlich auf Moral verengt und zumindest Züge einer funktionalistischen Unterordnung der Religionspraxis unter die Moralphilosophie zeigt. Gegen dieses verengte Verständnis von Religion erinnert Lübbe an das, was über Kant hinaus die Vernunft der Religion ausmacht, nämlich die Kultur des Faktums zu sein, daß wir in unserer humanen Existenz nicht nur sind, was wir zu tun und zu lassen haben und somit verantworten können, vielmehr zugleich letztendlich und unaufhebbar das, was wir erleiden und was uns in der Gestalt des Leidens der Anderen zur religiös begründeten [sic!, H.Z.] sittlichen Herausforderung wird.29

Auch hier zeigt Lübbe ein klares Bewusstsein für die irreduzible Eigendimension der Religion, so dass sich ihm der Vorwurf einer funktionalistischen Preisgabe dessen, was Religion eigentlich ausmacht, nicht gemacht werden kann. 2.2.5. Innen- und Außenperspektive der Religion Lübbes Religionsverständnis ist daher nicht funktionalistisch, d.h. es steht nicht unter dem Anspruch, dass die funktionale Betrachtung das Phänomen Religion völlig erschöpfe und dass die theoretisch interessierte Philosophie besser wisse, was denn eigentlich Religion 27

Vgl. etwa H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung (Anm. 12), 210ff. Ebd., 226. 29 Ders., „Politik und Religion nach der Aufklärung“ (Anm. 18), 74. – Zu Kants Verständnis von Religion vgl. auch ders., Religion nach der Aufklärung (Anm. 12), 88f. 28

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sei, als der lebenspraktisch religiöse Mensch. Vielmehr ist Lübbes Betrachtung „funktional“ zu nennen (obwohl er sie selbst als „funktionalistisch“ bezeichnet), insofern er – völlig legitim – nach der lebensweltlichen Funktion religiöser Vollzüge fragt und damit zum Ausdruck bringt, dass es – nicht nur, aber vor allem auch in Fragen der Religion – neben der Innen- auch eine Außenperspektive gibt und dass sich aus dieser Außenperspektive auch die Frage nach der Funktion oder Pragmatik bestimmter Phänomene stellen lässt: Die funktionalistische Religionstheorie sagt somit, zusammenfassend formuliert, nicht, worum es sich bei den Religionen, im Unterschied zu ihrem Selbstverständnis, in Wahrheit handelt. Sie sagt vielmehr, was religiöse Kultur unter dem 30 Aspekt ihrer Funktion leistet.

Jeder Versuch, diese Biperspektivität aufzulösen – etwa in dem Sinne, dass es nur eine Innen- oder nur eine Außenperspektive gäbe oder dass die eine Perspektive als ontologisch oder erkenntnistheoretisch sekundär oder von der anderen ableitbar zu verstehen sei –, führt zum Fanatismus: Im einen Fall zu einem religiösen Fanatismus, im anderen Fall zu einem philosophischen oder szientistischen Fanatismus – also letztlich zu einer Aufhebung der Religionstheorie in eine Pseudo-Religion.31 Dass aber sorgsam zwischen Theorie und Praxis zu unterscheiden sei und die Religionstheorie kein Religionsersatz oder -surrogat darstelle, sondern das Bemühen eines Verstehens des religiösen Vollzuges in einer ihm eigenen irreduziblen Eigenheit, ist eine These, die Lübbe immer wieder betont hat. Er selbst stellt ja als Philosoph keine religiösen, sondern lediglich religionstheoretische Ansprüche.32 Der theoretische Verstehensversuch findet in der Praxis gelebten Lebens eine Grenze, die er nur um den Preis, hinter seine eigenen Ansprüche zurückzufallen, verletzen kann. Aus dieser Sicht ist Lübbes Philosophie auch ein Denken, in dem die Philosophie sich bescheidet: gegen die Vermischung von Theorie und Praxis oder die Ansprüche, die Philosophie oder Wissenschaft könne einen primär gültigen Zugang zur Wirklichkeit ihr Eigen nennen, dem die Lebenswelt unterzuordnen sei. 2.2.6. Religion und politische Ideologie Gibt es diese beiden miteinander nicht synthetisierbaren oder aufeinander reduzierbaren Zugänge zu Religion, dann ist auch verstehbar, wieso Lübbe philosophischerseits eine gewisse explizite Epoché im Hinblick auf die Wahrheitsfrage an den Tag legt. Denn die funktionale Betrachtung kann von dieser Frage absehen, ohne in irgendeiner Weise ein Urteil über die Wahrheit einer bestimmten Religion zu präjudizieren. Wenn nun aber Lübbe kritisch vorgeworfen wird, eine funktionale Betrachtung erlaube die Ersetzung von Religion durch Funktionsäquivalente – also etwa politische Ideologien –, so weist Lübbe darauf hin, dass seine Religionstheorie die Voraussetzung der Kritiker, dass Religion 30

Ders., Religion nach der Aufklärung (Anm. 12), 227. Vgl. hierzu auch H. Zaborowski, „Göttliche und menschliche Freiheit. Zur Möglichkeit einer Kriteriologie von Religion“, in: ders., Spielräume der Freiheit, Freiburg/Br. – München 2009, 107ff. 32 Vgl. hierzu H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung (Anm. 12), 227. 31

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durch kein Funktionsäquivalent ersetzbar sei, nicht bestreite, sondern vielmehr teile.33 Denn für ihn ist die Funktion der Religion nicht eine Funktion, die möglicherweise von der Religion übernommen wird, sondern die nur von der Religion übernommen werden kann. Politische Ideologien – wie etwa die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts – stellen nach Lübbe entgegen einer verbreiteten These keine funktionalen Äquivalente von Religion dar, sondern, so seine sorgsame Interpretation und Kritik von Tendenzen, vorschnell politische Ideologien zu Religionen zu erklären, Formen der gegenaufklärerischen Anti-Religion, also nicht einfach nur Perversionen oder Fehlformen von Religion, sondern polare Gegenpole zu Religion.34 Der Grund hierfür liegt auf der Hand: Bereits eine nur oberflächliche Betrachtung totalitärer politischer Bewegungen zeigt sehr deutlich, dass hier Kontingenz nicht anerkannt und in der Anerkennung bewältigt, sondern die Dimension des Unverfügbaren letztlich geleugnet wird, insofern etwa der Mensch als Produkt gesellschaftlich-politischer Zustände und damit als prinzipiell verfügbar verstanden wird. Wer also Religion funktional betrachtet, kann durchaus daran festhalten, dass Religion eine singuläre Funktion erfüllt, die nur von Religion erfüllt wird und werden kann und deren Erfüllung in keiner Weise das religiöse Selbstverständnis und damit die Praxis gelebter Religion erschöpft. Denn nach Lübbe ist die Tatsache, dass Religion weder Technik noch Politik, nicht Wissenschaft und auch kein Weltbild, und […] auch nicht – und das ist weniger trivial – fortschrittsabhängig in die perfektionierten Gestalten unseres wirklichkeitsbeherrschenden Handelns und Wissens hinein 35 transformierbar

sei, eine jener Tatsachen, die trivial, aber deshalb nicht weniger fundamental ist. Denn nur in der Religion wird die Kontingenz unseres Daseins voll anerkannt und im Akte der Anerkennung praktisch bewältigt. Insofern Lübbe immer wieder an die irreduzible Eigendimension von Religion erinnert, kann man seine Position auch als ausdrücklich antifunktionalistisch bezeichnen: Es liegt näher zu sagen, daß die Religion, was immer im übrigen ihr sozialer Nutzen sein mag oder auch nicht sein mag, ihren Grund nicht in diesem Nutzen hat, vielmehr, nachdem sie aus einem ganz anderen Grund da ist, überdies in Abhängigkeit von sekundären kultur- und sozialgeschichtlichen Konstellationen Wirkungen hat, die man für nützlich oder, auf der anderen Seite, auch für weniger 36 nützlich halten mag. 33

Vgl. hierzu ebd., 228. Vgl. zu den totalitären Bewegungen als Formen von Anti-Religion etwa ders., „Politik und Religion nach der Aufklärung“ (Anm. 18), 44ff.; ders., Religion nach der Aufklärung (Anm. 12), 53ff. 35 Ebd., 171. 36 Ebd., 100. Im Anschluss an diesen Satz verweist Lübbe zustimmend auf Robert Spaemanns Aufsatz „Funktionale Religionsbegründung und Religion“ (Anm. 26). Er betrachtet seine hier zitierte These als die „zustimmungsfähige Substanz der Argumentation“ Spaemanns. – Zur Kritik Spaemanns vgl. auch ebd.: „Die Überzeugung vom Nutzen der Religion nützt der Religion wenig. Sie begründet sich ja auch gar nicht mit solchem Nutzen [...].“ Lübbe erhebt dagegen den Anspruch, der Zweck seiner Analysen sei, „die Wirklichkeitsferne einer Theorie der Religion sichtbar zu machen, die die Religion auf Funktionen bezieht, die in der Tat über Prozesse zivilisatorischer Modernisierung und näherhin über Aufklärungsprozesse sich erledigt haben“. 34

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2.2.7. Zivilreligion Dass dies vor allem in der Gegenwart nicht nur im Rahmen überlieferter kirchlicher Formen von Religionsausübung zu geschehen hat, zeigt nicht zuletzt ein Phänomen, dem Lübbe immer wieder seine denkerische Aufmerksamkeit zugewandt hat, nämlich das Phänomen der Zivilreligion.37 Er bestimmt sie als Ensemble derjenigen Bestände religiöser Kultur, [1] die in das politische System integriert sind, [2] die somit auch den Religionsgemeinschaften nicht als ihre eigene interne Angelegenheit überlassen bleiben, [3] die in dieser Charakteristik Bürger auch in ihrer religiösen Existenz an das politische Gemeinwesen binden und [4] dieses Gemeinwesen selbst in seinen Institutionen und Repräsentanten als in letzter Instanz religiös legitimiert sichtbar machen.38

Zivilreligiöse Praxis sind dementsprechend Ausdrucksformen der „als universalkonsensfähig unterstellten Orientierungen“, also „das religiöse Implement herrschender politischer Kultur“39. – Zivilreligion ist zwar in den USA besonders intensiv ausgeprägt40, das bedeutet aber nicht, dass es in Deutschland oder Europa keinerlei Formen des zivilreligiösen Lebens gäbe. Im Gegenteil: Gerade im Zuge der Modernisierung und Aufklärung und des Bedeutungsverlustes überlieferter Formen von Religion und religiösem Leben ist Zivilreligion immer bedeutender geworden – wie man auch allgemein sagen kann, dass die Säkularisierung nicht unbedingt negative Folgen für die Religion zeitigt (so dass sich Religion in der Moderne gegen die Säkularisierung in Erinnerung rufen müsste), sondern durchaus auch Folgen hat, die sich positiv auf die Religion auswirken: „Säkularisierung ist“, so Lübbe, eine Bedingung religiösen Lebens in der modernen Zivilisation und so weder Hindernis noch Garant seines Gelingens.41

37 Vgl. grundlegend den Beitrag Staat und Zivilreligion. Ein Aspekt politischer Legitimität, Wolfenbüttel 1983; ferner ders., Religion nach der Aufklärung (Anm. 12), 306ff.; Zivilreligion. Deutsche Vorbehalte und Missverständnisse“, in: ders., Modernisierungsgewinner (Anm. 13), 80-95; „Zivilreligion in der Demokratie. Mißverstand im ‚Kruzifix-Beschluß‘ des Deutschen Bundesverfassungsgerichts“, in: ders., Politik nach der Aufklärung (Anm. 8), 193-213. – Vgl. zur Diskussion von Lübbes Position auch H. Kleger/A. Müller, „Umstrittene Zivilreligion zur Philosophie des Liberalismus“, in: Evangelische Kommentare 16 (1983), 567-569; W. Vögele, Zivilreligion in der Bundesrepublik Deutschland, Gütersloh 1994; H. Pätzold, „Fichtes Religionsbegriff und Lübbes Theorie der Zivilreligion. Eine Entgegensetzung in kritischer Absicht“, in: Fichte-Studien 9 (1995), 117-132; R. Schieder, Wieviel Religion verträgt Deutschland?, Frankfurt/M. 2001. 38 H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung (Anm. 12), 308. 39 Ebd., 316f. 40 Auf den „religionsfreundlichen“ Charakter der US-amerikanischen Gesetzgebung weist Lübbe sehr oft hin, so etwa ebd., 89f.; ders., „Politik und Religion nach der Aufklärung“ (Anm. 18), 43ff.; ders., „Aufklärung als sozialer Prozess. Religiöser Fundamentalismus und Demokratie“ (Anm. 13), 21ff. 41 Ders., Säkularisierung (Anm. 11), 157. – Vgl. hierzu auch „Die Säkularisation als Voraussetzung religiöser Erneuerung“, in: ders., Modernisierungsgewinner (Anm. 13), 35-45. Vgl. in diesem Zusammenhang auch P.L. Berger (Hg.), The Desecularization of the World, Grand Rapids, Mich. 2005.

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Bei der in der säkularen Moderne immer wichtiger gewordenen Zivilreligion handelt es sich, so Lübbes eindringliche Analyse, nicht um Phänomene, die juristisch vom Staatskirchen- oder Religionsrecht zu regeln wären, sondern um Phänomene, die die Bedeutung von so etwas wie einem „religiösen Recht“ zeigen. Wird nämlich Gott in verschiedenen Verfassungen angerufen oder hängen in Gerichtssälen Kruzifixe oder Kreuze, so handelt es sich dabei nicht um ein Moment, das im engen Kontext einer bestimmten Religionsgemeinschaft oder christlichen Konfession zu verstehen sei und damit die religiöse Neutralität oder die Trennung von Kirche und Staat verletzen würde, sondern um den Ausdruck eines zivilreligiösen Geschehens, in dem der Staat die ihm und allem staatlichen Leben eigene Kontingenz in (zivil-)religiöser Praxis anerkennt und bewältigt. 2.2.8. Religion und Staat In diesem Zusammenhang stellt Lübbe in der Gegenwart etwas fest, was er als „Entlaisierung“ bezeichnet, also als Überwindung einer laizistisch motivierten starken, Religion dem rein privaten Bereich zuordnenden Trennung von Staat und Religion, die sich – in Annäherung an das amerikanische Modell einer Trennung von Staat und Kirche, die immer auch mit vielen zivilreligiösen Momenten verbunden war – zunehmend in Europa bemerkbar mache. Lübbe spricht hier von einer europäischen Aneignung […] [des] Begriffes der Zivilreligion in seiner jüngeren amerikanischen Prägung […] – der Begriff also religiöser Kultur, die bis in das öffentliche politische und näherhin staatliche Handeln hinein gegenwärtig ist, die keiner kirchlichen und sonstigen religionsgemeinschaftlich-institutionellen Kontrolle unterliegt, aber faktisch-symbolisch zur Geltung bringt, daß die laizistische Idee eines religionskulturell purgierbaren Gemeinwesens eine lebensfremde Fiktion ist.42

Eine areligiöse Form der Staatlichkeit oder der staatlichen Ordnung gibt es unter diesen Bedingungen nicht. Wenn vielmehr die Zivilreligion bzw. das Erstarken zivilreligiöser Momente im staatlichen und gesellschaftlichen Leben gewissermaßen eine Ergänzung des modernen Bewusstseins und Lebens darstellt, nämlich eine Ergänzung, die notwendig wurde, nachdem eine vormoderne Einheit von Staat und Kirche zerbrach bzw. bestimmte Formen politischer Theologie nicht mehr möglich erschienen, dann ist die Interpretation, dass die Moderne selbst von einem aufgeklärt begründeten Verschwinden von Religion gekennzeichnet sei, falsch. Man muss sich hier differenzierterer Interpretationswerkzeuge bedienen, wie Lübbe zeigt. – Denn nicht von einem Schwinden der Religion kann die Rede sein, sondern von dem Schwinden dessen, was Lübbe eine „religionskulturelle Homogenität“ nennt: Religion spielt in der aufgeklärten Gegenwart zwar andere Rollen als in der Vergangenheit, aber sie spielt als unersetzbare Form der Kontingenzbewältigung eine nach wie vor zentrale Rolle, kann doch Religion nicht nur als Praxis des gelebten Lebens dabei helfen, Kontingenzerfahrungen zu verstehen, anzueignen und zu bewältigen, sie hat auch eine wichtige Aufgabe dabei, die Transformationen anderer Wirklichkeitsbereiche – man denke etwa an die Politik oder die Wissenschaft – zu Formen der Quasi42

H. Lübbe, „Politik und Religion nach der Aufklärung“ (Anm. 18), 71ff.

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oder Anti-Religion zu verhindern und kritisch in Frage zu stellen. Die Zivilreligion kann daher auch als Medium der Pragmatisierung und Rationalisierung der Politik verstanden werden: Denn eine recht verstandene Zivilreligion stellt eine radikale Anfrage an jede Absolutsetzung politischer Ideologien oder jede politisch-ideologische Immanentisierung von genuin religiösen Heilserwartungen dar und entlastet daher den Bereich der Politik davon, Aufgaben zu erfüllen, die ihm nicht eigen sind, die zu übernehmen aber – die Geschichte lehrt es – immer auch in der Logik vieler neuzeitlicher politischer Kräfte lag. Das von Lübbe vertretene Konzept der Zivilreligion ist vielfach kritisiert worden – nicht zuletzt aus religiösen oder theologischen Gründen.43 Ähnlich aber wie die Kritik an seinem funktionalen Verständnis von Religion scheint diese Kritik im wahrsten Sinne des Wortes verfehlt. Denn Lübbe will ja zunächst einmal nicht Zivilreligion schaffen oder initiieren, sondern weist auf die schon bestehende Existenz und wachsende Bedeutung zivilreligiöser Momente hin. Wenn wir den Anspruch von Hermann Lübbe ernst nehmen, dann zeigt sich, dass es ihm zunächst einmal um ein verstehendes Durchdringen unserer Zeit geht, das sich vor der Auseinandersetzung mit der reichen Fülle von Fakten und Tatsachen verschiedener Natur nicht scheut, sondern im Gegenteil es als bevorzugte Aufgabe der Philosophie betrachtet, je neu Philosophie ihrer Zeit zu sein. Lübbes Anspruch ist hier ein hermeneutischer, kein prophetischer oder präskriptiver. Selbst wenn man nur kurz sich diese Zeit – nämlich unsere Gegenwart – bewusst macht und in der Reflexion einzuholen versucht, zeigt sich, in den schönen Worten Hegels, ein Bedürfnis nach Philosophie, und es zeigt sich in besonderer Weise auch ein Bedürfnis nach der Philosophie Hermann Lübbes als einer reflektierten Gestalt des zeitgenössischen Bewusstseins. 3. Das Wechselverhältnis von Religion und Aufklärung in der Gegenwart und die Aufgabe einer philosophischen Theologie Nun hat sich seit den 80er Jahren, seit der Zeit also, in der Lübbe sein Buch Religion nach der Aufklärung geschrieben hat, unsere Situation noch einmal geändert, nämlich in zweifacher Weise. (1) Zum einen sehen wir sowohl im Christentum als auch im Islam zunehmend so genannte fundamentalistische Tendenzen, die, vereinfachend gesprochen, von einem sehr stark gegenaufklärerischen Impuls getragen sind, die also den Kampf gegen die Moderne, gegen Liberalismus oder auch gegen Demokratie westlicher Prägung auf ihre Fahnen geschrieben haben. (2) Zum anderen erleben wir – gewissermaßen als dialektische Antithese zu den erstgenannten Tendenzen – eine Wiederbelebung der Religionskritik des 19. Jahrhunderts, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch verwundert hätte: Denn Lübbes These von der bleibenden Bedeutung von Religion richtete sich, aus zeitgenössischer Perspektive, vor allem ja auch gegen das Ausbleiben oder Verdrängen von Religion in philosophischen oder wissenschaftlichen Diskursen. 43 Vgl. zum Beispiel neben den bereits genannten Arbeiten von Robert Spaemann: H. Maier (Hg.), Totalitarismus und Politische Religionen. Konzepte des Diktaturvergleichs, Paderborn 2003.

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Diese beiden Tendenzen zeigen zum einen die bleibende Bedeutung von Lübbes Verständnis von Aufklärung und Religion und fordern uns zum anderen heraus, einige Aspekte von Lübbes Religionsverständnis noch etwas genauer zu fassen – es gilt also, mit Lübbe weiterzudenken. Und dies führt zu einigen weiterführenden Fragen, die hier genannt, aber nicht abschließend diskutiert werden können.44 3.1. Zur Herausforderung gegenaufklärerischer Formen von Religion Wenn wir ein Wiederaufleben oder Erstarken von gegenaufklärerisch orientierten Formen von Religion erleben, dann stellt sich etwa die Frage, ob Lübbes Theorie von einem „aufklärungsresistenten“ oder „-indifferenten“ Charakter von Religion nicht historisch etwas präziser zu fassen ist. Sind die wesentliche, d.h. ihrem eigenen Wesen gemäß gelebte und verstandene Religion und die aufgeklärte Welt nur zwei miteinander unverbundene Sphären menschlicher Existenz, oder gibt es nicht ein intensiveres oder dialogischeres Verhältnis, insofern Religion selbst von der Aufklärung affiziert wird und umgekehrt auch die Aufklärung (wie auch die Säkularisierung) zumindest teilweise religiös motiviert ist? Es mag letztlich nicht sehr hilfreich sein, von der „Aufklärungsresistenz“ von Religion zu sprechen. Dieser These wird Hermann Lübbe, obwohl er oft diesen Begriff benutzt, ohne Zweifel zustimmen, bieten seine Schriften – etwa sein Buch zur Säkularisierung oder auch Religion nach der Aufklärung – ja reiches Material für eine solche These. Denn zusätzlich zu der Dimension von Religion, die in der Tat aufklärungsresistent ist, gibt es eine Dimension von Religion, die aufklärungsverstärkend oder aufklärungsanregend wirkt, und – setzen wir einen breiten Begriff von Religion voraus – eine Dimension, die insofern nicht aufklärungsresistent ist, als die Aufklärung in der Tat auch Auswirkungen auf das religiöse Selbstverständnis gezeigt hat. Man kann in diesem Zusammenhang an die Entwicklung der neuzeitlichen Bibelexegese oder an den in vielen Religionsgemeinschaften nun akzeptierten, aber ursprünglich in aufklärerischem Kontext formulierten und etwa von der katholischen Kirche zunächst abgelehnten Gedanken der Religionsfreiheit denken.45 Gerade gegen die gegenaufklärerischen oder fundamentalistischen religiösen Tendenzen der Gegenwart wäre dies in Erinnerung zu rufen. 3.2. Zur Herausforderung des „neuen Atheismus“ Die zweite Tendenz stellt eine größere Herausforderung dar – die Herausforderung des neuen radikalen Atheismus, die oft mit einem szientistischen Naturalismus verbunden ist.46 Hierbei handelt es sich nicht um eine im strengen Sinne wissenschaftliche, sondern 44 In den letzten Jahren hat sich Hermann Lübbe auch mit der Herausforderung des Terrorismus und des religiösen Fundamentalismus auseinandergesetzt und seine Überlegungen zur Aufklärung und Zivilreligion vor dem neuen historischen Kontext des 21. Jahrhunderts reformuliert, so etwa in Aufklärung anlaßhalber, Gräfelfing 2001, 94-103 oder in Modernisierungsgewinner (Anm. 13), 15-34. 45 Vgl. zur Religionsfreiheit auch ders., Religion nach der Aufklärung (Anm. 12), 89f. 46 Zu denken ist hier etwa an R. Dawkins, The God Delusion, Boston – New York 2008; S. Harris, The End of Faith, London 2006; ders., Letter to a Christian Nation, New York 2006; C. Hitchens, God is Not Great, New York – Boston 2007; D.C. Dennett, Breaking the Spell, London 2007; M. Schmidt-

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um eine metaphysische Position, in deren Rahmen allerdings der Gedanke der Unverfügbarkeit oder Kontingenz menschlichen Daseins in ganz anderer Weise verstanden wird, als er von Hermann Lübbe entfaltet wird: Denn eine prinzipielle Unverfügbarkeit gibt es aus der Sicht dieser Position nicht – nur eine vorläufige Unverfügbarkeit oder vorläufige Grenzen technischer Machbarkeit. In ähnlicher Weise ändert sich auch das Verständnis von Kontingenz unter der Voraussetzung des Naturalismus: ein philosophisch strenger oder starker Begriff von Kontingenz wird letztlich durch den weit schwächeren Begriff des Zufalls (als Komplementärbegriff zur Notwendigkeit) ersetzt, oder jede Kontingenzerfahrung wird aus deterministischer Perspektive gänzlich aufgehoben, und zwar wider die Art und Weise, in der wir uns als Menschen immer schon selbst verstehen. Dagegen bleibt Lübbes Verständnis des Unverfügbaren eine Alternative, die unserem menschlichen Selbst- und Wirklichkeitsverständnis in höherem Maße entspricht. Denn wir machen ja als Menschen Erfahrungen des Unverfügbaren und der Kontingenz nicht nur unseres eigenen Daseins, die sich nicht naturalisieren lassen, ohne dass bedeutende Erfahrungsdimensionen geleugnet würden. Lübbes Position stellt hier eine Alternative dar, die auf ihre eigenen Voraussetzungen hinterfragt werden sollte, damit sie in der Auseinandersetzung mit der Tendenz, das Unverfügbare oder die Erfahrung „starker“ Kontingenz zu leugnen, umso wirkungsvoller in Erinnerung gerufen werden kann. 3.3. Zur Notwendigkeit einer philosophischen Theologie Es scheint nämlich, dass Lübbes Verständnis des Unverfügbaren und der Kontingenz nur vom Paradigma der Schöpfung her recht verstanden werden kann – und zwar – nota bene – nicht unbedingt eines theologischen oder religiös qualifizierten Schöpfungsbegriffes, sondern eines philosophisch angeeigneten oder übersetzten Verständnisses von Schöpfung.47 Lübbe scheint dies selbst nahe zu legen, wenn er etwa an Marx vor allem seine Zurückweisung des Schöpfungsverständnisses kritisiert oder ausdrücklich auf das Bekenntnis zu Gott als dem „Schöpfer der Welt“ als eines wichtigen Elementes einer Kontingenz anerkennenden und bewältigenden Religionspraxis eingeht.48 Dann aber stellt sich nicht nur die Frage, ob Lübbe die Kontingenz seiner eigenen Überlegungen stärker einholen sollte, sondern auch die – sicherlich kontroversere – Frage, ob Lübbes Hermeneutik des Unverfügbaren nicht einer ergänzenden spekulativen oder philosophischen Theologie bedürfte, auf deren Grundlage es allererst möglich ist, das Unverfügbare im strengen Sinne als unverfügbar und auch Kontingenz im strengen Sinne als kontingent zu verstehen. Es ist nämlich fraglich, ob ein strenger Kontingenzbegriff überhaupt vorausgesetzt werden kann, wenn nicht auch die Möglichkeit, dass vielmehr nichts als überhaupt etwas sei, ins Auge gefasst wird. Diese Möglichkeit hat sich allerdings erst vor dem Hintergrund des Verständnisses von Wirklichkeit als aus dem Nichts geschaffener entwickeln können. Salomon, Manifest des evolutionären Humanismus, Aschaffenburg ²2006. Vgl. kritisch hierzu auch R. Schröder, Abschaffung der Religion, Freiburg/Br. – Basel – Wien 2008. 47 Vgl. in diesem Zusammenhang auch H. Zaborowski, „Göttliche und menschliche Freiheit. Zur Möglichkeit einer Kriteriologie von Religion“ (Anm. 31), 117ff. 48 Vgl. H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung (Anm. 12), 136 und 172.

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Andernfalls gibt es nämlich nur einen gleichsam schwachen Kontingenzbegriff, der nichts anderes besagt als Endlichkeit oder Zufälligkeit, aber nicht auf jene Möglichkeit eines radikalen Noch-Nicht oder Nicht-Mehr bezogen ist, die sich erst vor dem Hintergrund eines welt- und wirklichkeitstranszendenten Gottes denken lässt.49 Es stellt sich also, mit anderen Worten, die Frage, ob wir Lübbes gewissermaßen Schleiermachersche Tendenz, das Proprium von Religion nicht gegen, nicht einfach mit, sondern nach der Aufklärung stark zu machen und religionstheoretisch von der in der Religion geschehenden Kontingenzbewältigungspraxis her zu verstehen50, mit einer Schellingschen Tendenz, das Absolute als Freiheit und Wirklichkeit als freie Schöpfung zu denken und die Freiheit Gottes zur Mitte des Philosophierens zu machen, verbinden sollten.51 Gerade die starke phänomenologische Orientierung Lübbes könnte dabei einen Ausgangspunkt darstellen: Denn die Phänomenologie ist ja immer Korrelationsforschung und somit, wenn es um Religion geht, Erforschung jener Korrelation zwischen Mensch und Gott, die wir Religion nennen. Dann aber stellt sich die Frage, ob es nicht notwendig sei, zu fragen, welchen Gott wir denken müssen, um mit Hermann Lübbe Religion nach der Aufklärung als Kontingenzbewältigungspraxis verstehen zu können. Die Religionsphilosophie scheint hier einer Ergänzung durch die philosophische Theologie bedürftig zu sein. Sie kann vielleicht letztlich sich selbst nur als „Theorie des Absoluten“ begreifen, wenn sie sich nicht auf religionssoziologische oder -psychologische Fragen beschränken möchte, sondern deutend möglichst umfassend und angemessen der Komplexität desjenigen Phänomen gerecht werden möchte, das mit aller begrifflichen Vorsicht „Religion“ genannt wird.52 49 Vgl. hierzu auch R. Spaemann, „Das unsterbliche Gerücht“ (Anm. 26), 24. Spaemanns Hinweis, dass „der Glaube an das Dasein Gottes jene Kontingenz, die er ‚bewältigt‘, überhaupt erst erzeugt oder zumindest außerordentlich verschärft“, stellt keine substantielle Anfrage an Lübbes Religionsverständnis dar, sondern verweist lediglich auf die Notwendigkeit einer Ergänzung: Denn das eine – Kontingenzerzeugung – schließt das andere – Kontingenzanerkennung und -bewältigung – nicht aus. Zudem gibt es ja (dies scheint auch Spaemann nahe zu legen) Formen der nicht strengen oder „außerordentlich verschärften“ Kontingenzerfahrung, die religiös anerkannt und bewältigt werden können, ohne dass zuvor Kontingenz überhaupt ausdrücklich erzeugt oder verschärft werden müsste. 50 Lübbe selbst stellt sich ausdrücklich in die Tradition Schleiermachers: vgl. Religion nach der Aufklärung (Anm. 12), 209f. Dort heißt es mit Bezug auf Kants Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft: „Es ist natürlich Schleiermacher, der nur wenige Jahre nach dem Erscheinen des Kantischen religionsphilosophischen Spätwerks, in seinen berühmten ‚Reden‘ die Religion in denjenigen Gehalten intellektuell gegenüber den Gebildeten unter ihren Verächtern literarisch neu präsent gemacht hat, die mehr sind als religiös sanktionierte moralische Lebensregeln. Schleiermacher hat damit zugleich an Funktionen der Religion erinnert, die von der radikalen aufgeklärten Religionskritik gar nicht berührt werden. [...] Religion sei ‚weder Denken noch Handeln‘ – in dieser negativen Charakteristik Schleiermachers lassen sich immerhin die bisherigen Analysen der Funktion, in deren Erfüllung religiöse Kultur aufklärungsresistent und alle radikale Religionskritik falsifizierend überdauert hat, wiedererkennen.“ 51 Zu denken ist hier etwa an eine Position, die im Dialog mit Schellings Philosophie der Offenbarung entwickelt werden könnte. Vgl. zu Schellings philosophischem Anspruch auch H. Zaborowski, „Why There Is Something Rather Than Nothing. F.W. J. Schelling and the Metaphysics of Freedom“, in: J. Wippel (Hg.), The Ultimate Why Question, Washington, D.C. [im Druck]. Für Lübbes kurze – religionsphilosophisch orientierte – Diskussion dieser Frage Schellings vgl. H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung (Anm. 12), 156. 52 Vgl. hier auch R. Spaemann, „Funktionale Religionsbegründung und Religion“ (Anm. 26), 229.

III. Rückblick

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Lebenserfahrung und pragmatische Vernunft Ein Gespräch zu Leben und Werk Herr Professor Lübbe, als Rückblick soll unser Gespräch drei Dimensionen umfassen: (1) Es soll die Gelegenheit wahrnehmen, Aspekte dessen, was in diesem Band zu Ihrer Philosophie aufgeführt wurde, aus Ihrer Sicht zu akzentuieren und gegebenenfalls noch unberücksichtige Gesichtspunkte zu ergänzen. (2) Es soll Ihnen die Möglichkeit geben, auf die von den verschiedenen Autoren formulierten Anfragen an Ihr Denken zu antworten. (3) Und es soll schließlich – und vor allem – den Blick auf jene Gründe richten, in denen Ihr philosophisches Werk seine Wurzeln hat. Da es nach Ihren eigenen Worten weniger Prinzipien und Normen als die Lebenserfahrung ist, auf die sich pragmatisches Denken gründet, mögen dabei neben den eigentlich philosophischen Überlegungen auch biographische und zeitgeschichtliche Aspekte zur Sprache kommen, so dass über die Philosophie hinaus auch der Philosoph und Mensch Hermann Lübbe sichtbar wird. Nicht zuletzt deshalb legt sich eine chronologische Orientierung an den Stationen Ihres Lebenswegs nahe. – Sie selbst haben im Rahmen Ihrer Überlegungen zur Identitätspräsentationsfunktion der Historie gern auf das Beispiel des Personalausweises als „Ultrakurzgeschichte“ unserer Identität hingewiesen. In Ihrem eigenen Personalausweis ist als Geburtsort Aurich/Ostfriesland vermerkt. Auf diese ostfriesische Herkunft haben Sie immer wieder angespielt, nicht zuletzt mit Verweisen auf Rudolf Eucken und Wilhelm Schapp in unserem Band. Auch die Betonung der „kleinen Welt“ und des Regionalismus als Gegenbewegung zur Globalisierung mag von daher imprägniert sein. Wie stark ist das Bewusstsein der Herkunft – und insbesondere der ostfriesischen Herkunft – für Ihr Denken prägend geworden? Ich zögere, etwas spezifisch Ostfriesisches mentalitätsmäßig prägend zu nennen. Das sind doch meistens Stereotypen, die in allen Regionen mehr oder weniger wiederkehren. Die Pragmatien des Alltags prägten meine Herkunftswelt sowohl im bäuerlichen wie im bürgerlichen Teil der Verwandtschaft. Dazu passt, dass jugendliches Interesse für Philosophie, wenn es sehr auffällig wurde, eher Skepsis erregte – bei Lehrern und auch beim Vater, den Nietzsche erschreckt haben mag, dessen Werke er in einer Gesamtausgabe besaß. Solchen heimischen Pragmatismus könnte man auch in dem Faktum gespiegelt finden, dass die zu wissenschaftsgeschichtlicher Prominenz gelangten Ostfriesen akademisch überwiegend den Oberen Fakultäten entstammten – vor allem als Juristen und Mediziner. Gleichwohl: Auch einige Philosophen sind unvergessen, wobei mein väterlicher Freund und philosophischer Lehrer Wilhelm Schapp beruflich als Rechtsanwalt tätig war und nie aus der Philosophie auch einen Beruf hätte machen wollen.

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Aber meine gelegentlichen Rückbezüge auf Ostfriesland beschränkten sich ja nicht auf die Träger prominenter Namen. Sie haben vielmehr den Sinn, die nach Herkunft und sonstigen Unausweichlichkeiten uns mitbestimmenden Kontingenzen unserer kleinen Lebenswelten und in eins damit den Lebensgewinn sichtbar zu machen, den es bringt, sie auch reflexiv historisch, sozial und politisch gut zu kennen. Das hat mit Intellektuellenschreck und Heimattümelei gar nichts zu tun. Die Mobilität moderner Lebensverbringung bringt es mit sich, mit etlichen Regionen Vertrautheit gewinnen zu sollen, ja: sie sich heimatlich werden zu lassen. In meinem Fall gilt das besonders für Kärnten, den Dauermittelpunkt für Familientreffen – Hauptwohnsitz seit langem. Es gilt selbstverständlich für Zürich, wo ich mich in meiner Professorentätigkeit mehr als überall sonst begünstigt fand. Es gilt auch für Einsiedeln im benachbarten Kanton Schwyz, wo wir wohnten und wo ich meine Landeskunde nicht zuletzt über Jahre der Tätigkeit im kantonalen Wirtschaftsrat verbessern konnte. Besonders vertraut ist mir natürlich auch das Münsterland einschließlich seiner oldenburgischen Exklave, der mein Vater entstammte und somit zum Ostfriesen erst über das Indigenat der ostfriesischen Landschaft werden konnte. Wozu solche Zugewandtheit zu kleinräumigen Lebenswelten? Sie ist ein Komplementärphänomen der großräumigen Beziehungen und Verbundenheiten, auf die wir heute wie nie zuvor angewiesen sind. Ins Politische übersetzt heißt das: Wer die aktuellen Prozesse gebietskörperschaftlicher Regionalisierung nicht versteht, versteht auch die Europäisierung nicht. Ihre Kindheit und Jugend fallen in die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Welche Bedeutung schreiben Sie Ihren Erfahrungen des Dritten Reiches und Ihren Erfahrungen des Krieges zu? Meine Schulzeit, die von 1933 bis 1943 nur zehn Jahre umfasste, fiel vollständig in die Hitler-Zeit. Deren mannigfache Wirkungen auf die Schule intensivierten die Erfahrungen ihres Katastrophencharakters zumal nach ihrem Ende. Die Diktatur der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei herrschte ja buchstäblich über Leben und Tod. Umso wichtiger musste nach dem Ende der Diktatur werden, woran man für eine andere Zukunft anknüpfen musste: Erfahrungen familiären Zusammenhalts, Verlässlichkeiten in Verhältnissen der Freundschaft und Nachbarschaft, vor allem das Urteil der Älteren, die Recht behalten hatten und damit unvergesslich wurden. In einem exemplarischen Extremfall heißt das: Nach der so genannten Reichskristallnacht kamen meine Schulfreundin und ich mittags auf dem Heimweg an unserem Sportfeld vorbei und sahen, wie die Auricher SA zusammengetriebene Juden mit Steineschlepperei schikanierte. Dergleichen hatten wir, elfjährig, noch nie gesehen und schauten zu. Da kam der Vater der Schulfreundin, ein hoher Beamter der örtlichen Bezirksregierung vorbei, nahm uns fort und sagte zwei Sätze: „Da schaut man nicht zu. Das wird man uns nicht vergessen.“ – Das blieb unvergesslich im Ablauf der Zeit. Unvergesslich blieb auch die Meinung meines Physik- und Musiklehrers, den ich nach der Rückkehr aus russischer Gefangenschaft wieder sah. Er sagte, das Dritte Reich habe ja, wie ich wüsste, sogar auf die Physik und die Musik die Hand gelegt. Nun käme es darauf an, diese Lebenswichtigkeiten, statt sie dem Dritten Reich in seinen Untergang hinterherzuwerfen, ihm zu entreißen, und er empfahl mir das Studium der Physik.

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Während des Krieges waren Sie ab Oktober 1943 Marinesoldat und gehörten zu „des Führers letztem Aufgebot“. Vor zwei Jahren sorgte eine Nachricht in der Presse für einiges Aufsehen, nach der sich die Namen verschiedener prominenter Zeitgenossen in der Mitgliederkartei der NSDAP finden – unter anderem diejenigen von Niklas Luhmann, Peter Boenisch, Horst Ehmke, Erhard Eppler und auch der Ihre. Auf sich daran anschließende Fragen haben Sie bereits in einem Interview mit dem „Focus“ ausführlich reagiert. Was gäbe es ergänzend und abschließend aus Ihrer Sicht zu diesem Thema zu sagen? Dass die Frage der Parteizugehörigkeit von Flakhelfern und Jungsoldaten später noch einmal eine Rolle spielen sollte, hätte ich nicht für wahrscheinlich gehalten. Andererseits ist es sehr nahe liegend, weil die Befremdlichkeit dessen, was während der NaziZeit zu den Verbindlichkeiten aus alltäglicher Propaganda gehörte, bei einer Generation, die erst weit nach deren Ende geboren ist, ständig an Intensität gewinnen musste. Die Lebensverbringung in einer Welt, in der es über zwölf Millionen Parteimitglieder und über acht Millionen Hitlerjungen und Hitlermädel (wie man damals sagte) gab, liegt inzwischen außerhalb der aktuellen Vorstellungsmöglichkeiten. Bei der fraglichen Parteizugehörigkeit handelt sich in der Tat um eine signifikante Episode aus der Endzeit der NSDAP. Die Menge der Beitrittswilligen wurden natürlich, sagen wir nach Stalingrad, immer geringer. Da galt es, dem Führer neu unverbrüchliche Gefolgschaftstreue zu erweisen, und eine Kampagne der Massenbeitreibung neuer Parteigenossen diente dem. Für den Kampagnencharakter des Vorgangs sprechen auch die dominierenden markanten Daten des jeweiligen Parteieintritts: der 30. Januar („Tag der nationalen Erhebung“) oder der 20. April („Führers Geburtstag“). – Ich selbst soll – so lautet eine Eintragung im Parteiarchiv – zu „Führers Geburtstag“ 1944 NSDAPMitglied geworden sein. Ich kann mich an einen Beitrittsantrag nicht erinnern. Er findet sich auch nicht unterschriftlich bestätigt im Archiv. Aber folgendermaßen könnte es – ich fingiere – gewesen sein. Ein NS-Führungsoffizier trat vor die versammelten Seeoffiziersschüler, sprach von ernsten Zeiten und von der Notwendigkeit, sich umso fester um den Führer zu scharen – nicht nur soldatisch, sondern auch parteilich: „Seid ihr bereit?“ So also könnten wir im Kollektiv befragt worden sein und ein „Jawohl, Herr Oberleutnant!“ wäre die Antwort gewesen. Wie gesagt: Das ist eine Fiktion in Plausibilisierungsabsicht. So oder so: Wie es sich mit den Parteimasseneintritten des Jahres 1944 verhält, möchte man natürlich gern wissen. Was auch immer die Arbeit der Historiker hierzu zu Tage fördert – es würde die längst gut aufgearbeitete Geschichte des Dritten Reiches um eine signifikante Facette ergänzen. In neue zusätzliche Selbstzweifel geriete ich aber über einen neuerlichen Rekurs auf meine Zeit als Seekadett nicht. Die Erforschung und Kenntnisnahme der Lebensverhältnisse in totalitären Regimen ist wichtiger als nachträgliche Beflissenheit in der Bekundung zutreffender und wohl bekannter moralisch-politischer Urteile über sie. In die Zeit unmittelbar nach dem Krieg fällt der Beginn Ihres Studiums. Sie selbst haben einmal von „euphoriegeprägten Studienjahren“ gesprochen, die vor allem durch die Freude, „etwas lernen zu können“, bestimmt waren. Zugleich war das geistige Klima der Nachkriegszeit mit seiner Verarbeitung der Kriegserfahrungen von einer existentia-

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listischen Atmosphäre geprägt, zu der Sie wiederholt eine innere Distanz bekundet haben. Wie würden Sie ihren Ort in der damaligen Zeit beschreiben? Zur so genannten Existenzphilosophie habe ich tatsächlich kaum Zugang gefunden. Einerseits passt diese Philosophie natürlich gut zu den Verunsicherungen, die Heranwachsenden zu schaffen machen. Andererseits kann man aber die Lage, in der Jugendliche in Deutschland sich nach 1945 wieder fanden, gerade nicht als selbstfindungsproblemträchtig charakterisieren. „Sein zum Tode“, „Entscheidung zur Eigentlichkeit“ oder auch, zuvor schon, Erweckung zur angeblichen Wahrheit, dass Gott tot sei – auf dergleichen hörten wir, anders als die Zwischenkriegsgenerationen, nicht mehr. Ein wenig zu rasch vielleicht schlug ich in meiner Abneigung gegen Nietzscheanismen zum Beispiel auch Ernst Jüngers Verortung des „Kampfes“ als „inneres Erlebnis“ der Vorgeschichte der deutschen Unglücksgeschichte zu. „Sein zum Tode“ – gewiss doch. Aber es irritierte mich, dass Heidegger das Wort Media vita in morte sumus der „vulgären“ Präsenz unserer Sterblichkeitsgewissheit zurechnete, die er seinerseits existentialontogisch explizierte. Kurz: Mir genügte insoweit, was jeder Gesangbuchschüler ohnehin wissen konnte, so dass man frei war, sich mit den weniger appellativen Teilen der heideggerschen Daseinsanalytik zu beschäftigen, mit Heideggers schlechten Meinungen von der öffentlichen Meinung zum Beispiel. Für existenzielle Orientierungszwecke genügten nach 1945 die Notlagenevidenzen und für alles Weitere die wohl bekannten und nun neu aneignungsbedürftigen Maßgaben der kulturellen Traditionen, mit denen die Nationalsozialisten gebrochen und aufgeräumt hatten, und dem entsprachen ja auch die Ratschläge der schon erwähnten Älteren, die unwidersprechlich Recht behalten hatten. So las man also im Studium die Klassiker und mit besonderem Eifer überdies die ja ihrerseits nicht zuletzt der Philosophie entstammenden Urkunden ideologischer Selbstermächtigung zu totalitärer Gewalt, die, nämlich im nationalsozialistischen Falle, inzwischen besiegt war, und alles damals Verbotene lasen wir, als es wieder zugänglich wurde, zum Beispiel über Rowohlts Rotationsromane, auch noch. – So, ungefähr, könnte man beschreiben, was in der intellektuellen Befindlichkeit dann gelegentlich auch euphorisch machte. Das alles hatte gewiss reedukative Bedeutung. Gleichwohl kam man sich nicht als Objekt eines Reedukations-Programms vor. Die britischen Besatzungsoffiziere, die uns als Abiturienten und junge Studenten damals in ihre Kasinos luden, beeindruckten als Repräsentanten einer politischen Kultur, die sich als traditional gefestigter, damit als zukunftsfähiger und so als überlegen erwiesen hatte. Man hatte also Orientierungsmöglichkeiten genug, mit denen sich die im Grunde Mut machende und Zuversicht bereitende Erfahrung verband: „Mit dergleichen lässt es sich leben“ – lebensführungspraktisch bis hin zur Politik. Es gab auf alle wichtigen und dringlichen Fragen genügende Antworten. Wir waren keine Sucher, die ratlos waren. Sie begannen Ihr Studium zunächst in Göttingen, hörten dort Nicolai Hartmann, gingen jedoch bald nach Münster. Mit Münster ist natürlich der Name Joachim Ritters und seines Kreises, des „Collegium philosophicum“, verbunden, zu dem neben Ihnen auch Robert Spaemann, Odo Marquard, Ernst-Wolfgang Böckenförde, Martin Kriele und viele andere gehörten. Mit seinem Buch „Philosophie der Bürgerlichkeit“ hat Jens

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Hacke eine umfassende Darstellung der sog. „Ritter-Schule“ vorgelegt – in Ergänzung zu einer Schulgeschichtsschreibung, die die Geschichte der Philosophie in der Bundesrepublik lediglich auf die Frankfurter Schule konzentriert hat. Ein besonderes Kennzeichen der sog. „Ritter-Schule“ ist freilich die Verschiedenheit und stark individuelle Ausprägung ihrer Mitglieder. Wie stark ist der Bindeaspekt, der die„Ritter-Schüler“ verband, und wie würden Sie für sich selbst Nähe und Distanz zu ihr beschreiben? Das ist eine Frage nach den eher zur Soziologie gehörenden Kriterien akademischwissenschaftlicher Gruppen und Zirkel. Ich möchte sagen: Ein Druck der Zugehörigkeit und der einem abverlangten Bekundung von verbalen oder sonstigen Signalen, an denen eine solche Zugehörigkeit hätte erkannt werden müssen, existierte praktisch nicht. „Schule“ – das war im Ritterschen Fall ein Zusammenhang von Nutzern der außerordentlichen Anregungspotenziale der Überlieferungsphilosophie dieses Mannes einschließlich der methodischen Disziplin, die einem in Rezeption von Herkunftsgütern abverlangt war. Personell waren die Grenzen der Schule unscharf. Es gab Überschneidungen mit den Intellektuellen und Praktikern, die sich, als Gäste des Philosophischen Seminars, zum Beispiel in den Zusammenkünften der Westfälischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Rechts- und Sozialphilosophie trafen, die von Hans Julius Wolf präsidiert war, bei dem Martin Kriele mit seinen Kriterien der Gerechtigkeit zum Dr. iur. promovierte. In diesen weiteren Kreisen stellte sich dann auch die Verbindung zu Helmut Schelsky her, zu Hans Freyer überdies, und Arnold Gehlen erschien zu Vorträgen. Außerdem gab es eine lockere Verbindung, die ich gern ausdrücklich nennen möchte, weil sie nicht oft erwähnt wird, zu einer anderen sehr aktiven Gruppe um Heinrich Scholz und den theoretischen Physiker Adolf Kratzer. Diese machten uns in Vorlesungsreihen bekannt mit kosmologischen und wissenschaftstheoretischen Fragestellungen insbesondere der Entstehung des Kosmos und der biotischen Evolution. Carl Friedrich von Weizsäcker mit seiner sehr früh in Göttingen vorgetragenen Geschichte der Natur war zu Gast. Und das alles ragte wiederum in den Ritter-Kreis hinein. Auch hat Ritter selbst mit seinem eigenen Schüler Friedrich Kambartel, der zugleich Mathematiker war, die wichtigste Sammlung von Aufsätzen von Heinrich Scholz herausgegeben. Schließlich sind aus dem Ritter-Kreis auch Leute hervorgegangen, die die sprachanalytischen Traditionen fortführten und in den USA Karriere gemacht haben, wie Hermann Josef Cloeren zum Beispiel und später auch Petra von Morstein in Kanada. Bereits von Heinrich Scholz her war auch der frühe Wittgenstein präsent, die wichtigsten Werke des Wiener Kreises gleichfalls. Sie haben Joachim Ritter die Wiedererweckung der praktischen Philosophie in Deutschland zugeschrieben. Welche Bedeutung hatte seine Philosophie im Ganzen für Ihr Denken? Es wäre ein grobes Missverständnis der intellektuellen Befindlichkeiten im frühen Nachkriegsdeutschland, sie primär für katastrophenreaktiv zu halten. Dominant mussten Fragen von universeller zivilisationsevolutionärer Bedeutung werden – die Frage zum Beispiel nach Bedingungen der Nötigkeit vergangenheitsvergegenwärtigender historischer Kulturwissenschaften, der deutschkulturell so genannten Geisteswissenschaften

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nämlich – Nötigkeitsbedingungen, die just für die Moderne spezifisch sind. „Zukunft braucht Herkunft“ – in diesem Satz ist die Rittersche Philosophie fortschrittsgeprägter Zivilisation zum Topos geworden. Daraus ist bei mir eine analytische Philosophie beschleunigter zivilisatorischer Evolution geworden, die den wachsenden Bedarf an historischen Erklärungen aus den Verfremdungseffekten auffällig gewordener Evolutionsdynamik ableitet. Entsprechend ist es auch diskurspolitisch gezielter Nonsens, die „RitterSchule“ als konservativ-traditionsfromm und als progressphob zu charakterisieren. Die ideenpolitische Programmatik der Philosophie moderner Vergangenheitsvergegenwärtigungskultur, wie sie aus der so genannten „Ritter-Schule“ hervorgegangen ist, zielt auf eine ganz andere Zeit-Orientierung: Je entschiedener wir die Lebensvorzüge der dynamisierten Zivilisation in Anspruch nehmen, umso wichtiger wird zugleich der Rückhalt an Beständen mit dem temporalen Vorzug der relativ größeren Alterungsresistenz – von der Moralistik bis zur Topik und von den Evidenzen elementarer Sinneserfahrung bis zur Religion. Das von der progressiv verlaufenden Musealisierung bis zu Denkmalschutz und von der politischen Rolle der Archive bis zur kulturellen Bedeutung der modernen Naturhistoriographie sichtbar gemacht zu haben – das ist, weit über Ritters Œuvre hinaus, das eine. Das andere, was bei Ritter tatsächlich nur marginal präsent war – das ist die Phänomenologie und mit ihr die Analytik derjenigen Lebenswelten, in denen alle Wissenschaften verwurzelt sind und die wir zugleich in den Mitteilungen der Wissenschaften über das, was der Fall ist, umso weniger spontan wieder erkennen können, je mehr die Wissenschaften sich in die Dimensionen des sehr Großen, des sehr Kleinen und des sehr Komplizierten hineinarbeiten. Es ist eben nicht dasselbe, selbsterfahrene Sinnesdefizienz zu beschreiben und ihre physiologischen oder neuropathologischen Ursachen zu erforschen. Am ehesten noch ergab sich bei Ritter eine Beziehung zur Phänomenologie von der Kunstphilosophie und damit von der Ästhetik her. Die Ästhetik stand bei Ritter in wohl bestimmter Hinsicht sogar im Zentrum seiner philosophischen Interessen. Sein „Ästhetik“-Artikel im Historischen Wörterbuch der Philosophie lehrt es. Seine mehrfach nachgeschriebene Ästhetik-Vorlesung wird hoffentlich demnächst gedruckt herauskommen. So oder so: Die deskriptive Analytik der Sinneserfahrungen wie die Ästhetik sind Formen wichtiger Bekanntmachung mit elementaren Lebensvoraussetzungen, die unser Welt- und Daseinsverständnis bereichern, das aber ohne jedes praktische Interesse – weder moralisch noch politisch. Sie selbst haben bei Joachim Ritter weder promoviert und habilitiert. Was veranlasste Sie, nach Freiburg/Br. zu gehen und Ihre Arbeit bei Wilhelm Szilasi zu schreiben? Den Studienort nach Freiburg im Breisgau zu verlegen – das hatte ich ohnehin vor. Es gab aber auch einmal einen Zusammenstoß mit Ritter. Ritter achtete streng auf die innerakademische Einhaltung der Regeln des guten bürgerlichen Verkehrs. Polemik, verletzenden Spott schätzte er durchaus nicht und tadelte mich scharf nach einem einschlägigen Verhaltensverstoß. Ich fand mich, sozusagen, akademisch in Münster durchgefallen und hielt mich in Freiburg dann bis zum Studienabschluss wohl besser. Die außerordentlichen Inspirationen, mit denen Heidegger auf seine berühmten Marburger Schüler gewirkt hatte, waren, wie ich fand, in Freiburg kaum noch spürbar. Gleichwohl blieben die Freiburger Erfahrungen sehr wichtig – Max Müllers ontologisch disziplinierte

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Existenzphilosophie zum Beispiel, vor allem Wilhelm Szilasis Verknüpfung der Phänomenologie mit den Lebenswissenschaften von der Biologie bis zur Psychiatrie. Szilasi wurde für mich außerdem als früherer Mitarbeiter von Georg Lukács wichtig. Mit den Traditionen der marxistisch-leninistischen Linksabweichung machte Szilasi uns in Freiburg bereits um 1950 bekannt, und die einschlägigen Klassiker studierten wir ohnehin. Außerdem war in Freiburg, zum Beispiel, auch der Historiker Gerhard Ritter zu hören, der mit dem deutschen Widerstand verbunden gewesen war, und Walter Eucken lebte auch noch. Sie deuteten an, dass Heidegger auf Sie kaum Eindruck gemacht hat. Seiner Philosophie fehlte, so haben Sie verschiedentlich bemerkt, die Verbindung zur historischpolitischen und zur sozialen Realität. So ist es. Persönlich habe ich Heidegger aber viel zu verdanken. Ich hatte in Freiburg promoviert und wollte mich dort auch habilitieren. Das besprach ich mit Heidegger, der förmlich gar nicht mehr im Amt war und insofern auch keine Funktion gehabt hätte, der bei der Reichweite seiner persönlichen Beziehungen aber die richtige Adresse war und den man um Rat fragen konnte. Heidegger meinte, Freiburg sei nicht der richtige Ort, und zählte eine Reihe von Privatdozenten auf, die er noch zu seiner aktiven Zeit gefördert hätte, die aber in der Zwischenzeit immer noch nicht berufen worden wären. Er gab mir ein Empfehlungsschreiben zu einem seiner alten Schüler aus der Marburger Zeit mit. Und so wurde ich Assistent bei Gerhard Krüger in Frankfurt. Krüger engagierte mich in lockerer Form. Mehr als bei Krüger selbst habe ich allerdings bei den übrigen Frankfurtern im Seminar gesessen – bei Horkheimer und Adorno und ihren vielen Gästen vor allem. Es ist nur eine leichte Übertreibung, wenn ich sage: Horkheimer hat als Bourgeois auf mich Eindruck gemacht, als ein akademischer Gelehrter, geprägt durch die Verhaltensweisen eines Großbürgers in der intellektuellen Attitüde eines Anti-Bourgeois. Wichtiger war natürlich Adorno. Soziologisch hat er mich nicht geprägt. Sein Denken war mir zu wenig empiriehaltig. Vor allem als Musiktheoretiker ist er mir eindrucksvoll geblieben. Die große Bedeutung, die die Frankfurter Schule später in der Geschichte der Bundesrepublik bekommen sollte, ist für mich damals nicht voraussehbar gewesen. Denn die Bundesrepublik wurde nicht in dem Geiste geprägt und gegründet, der damals in Frankfurt wehte. Das war so sehr entfernt von dem, was in der Bundesrepublik Wirklichkeit wurde. Das ist natürlich auch ein Urteil über den Ort der Wirkungen der Frankfurter Schule. Sie prägte wichtige Intellektuellen-Milieus. Sie dominierte Nachtprogramme und Darmstädter oder Nürnberger Gespräche und viele Feuilletons. Die Parteien hingegen wurden naheliegenderweise nur marginal erreicht – zeitweilig in den Debatten zur Reform des Sozialkundeunterrichts immerhin. Bis in die Parlamente hinein nahm man die Frankfurter Schule respektvoll zur Kenntnis. Aber – um es mit Rekurs auf einen Topos zu sagen – Staat war mit der Frankfurter Schule schwerlich zu machen und später die Wiedervereinigung ohnehin nicht. Die letzte Station Ihres Studienweges war schließlich Erlangen, wo dann auch Ihre Tätigkeit als Dozent begann.

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Das ist wiederum zufällig. Sie merken, die Kontingenzen spielten bei mir eine Rolle. Krüger erlitt leider einen Schlaganfall. Ich wartete ein halbes Jahr. Da ich jedoch schon Familie hatte, brauchte ich einen Beruf. Und ohne Habilitation ging das in der akademischen Welt nicht. Mit Krüger besprechen konnte ich das aber nicht mehr. So ging ich zu jemandem, der durch zweierlei gekennzeichnet war: erstens war auch er ein Schüler Heideggers, und zweitens war er über seine musikalischen Interessen ebenfalls mit Frankfurt verbunden. Ich habe Wilhelm Kamlah gefragt, ob er mich habilitieren würde. Und das erfolgte dann prompt. Wenn ich nicht in die akademische Welt gegangen wäre oder sich die Möglichkeiten allzu lange hingezogen hätten, wäre ich definitiv Jurist geworden. Während meiner Erlanger Zeit war ich auch ordentlicher Student der Jurisprudenz. Ich habe dort sehr intensiv juristische Studien betrieben – in erster Linie merkwürdigerweise gerade nicht öffentlich-rechtliche, sondern hauptsächlich zivilrechtliche. Doch dann entwickelten sich die Karrierezwänge in der Philosophie so rasch, dass ich das Studium der Jurisprudenz nicht mehr zu Ende geführt habe. Über Hamburg, Münster, Köln und die neu gegründeten Universitäten Bochum und Bielefeld führte Ihr akademischer Weg Sie schließlich nach Zürich, wo Sie seit 1971 als Professor für Philosophie und Politische Theorie tätig sind. Eine Besonderheit in Ihrem Lebenslauf ist darüber hinaus Ihre aktive Teilnahme am politischen Leben: als Mitglied der SPD, zwischen 1966 und 1970 als Staatssekretär des Landes NRW, später in der Politikberatung vor allem in Verbindung zur CDU. Aufforderungen zur Teilnahme am politischen Leben der zweiten deutschen Demokratie konnte man sich unter gewissen Umständen schwerlich entziehen. Anfang der fünfziger Jahre trat ich in die SPD ein. Es war ja evident: Ohne die Mitwirkung der ältesten demokratischen Partei Deutschlands konnte die Staatsrekonstruktion nicht gelingen. Ihre Politik verstand sich dominant als Politik für die kleinen Leute. Sozialpolitik und Bildungspolitik standen weit vorn. Außerdem war die SPD unter Kurt Schumacher strikt patriotisch gesamtdeutsch engagiert, sah das aber zeitweilig in Konkurrenz mit der Westintegration. Freilich: Die SPD hatte noch den Sozialismus im Ideologiegepäck. Aber gerade hier konnte sich der Philosoph nützlich machen – in Vorbereitung des Godesberger Programms von 1959 nämlich, als es sich darum handelte, den Altgenossen zu sagen, in ihrem dogmatisierten Kern sei die marxistische Theorie veraltet – hoffnungslos, so dass die SPD, so lange sie sich noch marxistisch verstünde, mehrheitsunfähig bleiben werde. Der Alt-Kommunist Wehner hatte eben das ja begriffen und setzte die Vorbereitungen zum Godesberger Programm durch, und ich erläuterte das zu meinem bescheidenen Anteil in vielen Ortsvereinen des nordöstlichen Ruhrreviers. Mit dem Professorenamt an der neuen Bochumer Universität waren dergleichen Aktivitäten später gut verträglich, und milieumäßig passte das auch. Hinzu kam noch, dass mit dem offiziellen Marxismus die SPD zugleich ihr traditionell gespanntes Verhältnis zu den Kirchen generell aufgab, was ich meinerseits nicht nur aus taktischen Gründen für zwingend hielt und als notwendig gelegentlich zu erläutern hatte. Kurz: Am guten Sinn der akademischen wie der politischen Tätigkeiten gab es zumal in der Bochumer Zeit insoweit keinen Zweifel, so dass ich darüber sogar eine erste Berufung in die Schweiz ab-

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lehnte und stattdessen für eine volle Legislaturperiode ins Staatssekretärsamt nach Düsseldorf wechselte – zunächst mit Zuständigkeit für das Hochschulwesen und für die Kulturadministration beim Kultusminister und später dann beim Ministerpräsidenten, als der Kultusminister Fritz Holthoff – ein sehr verdienter Schulmann – von den rasch wachsenden Lasten der Hochschulpolitik befreit werden sollte. Für mich bedeutete das – da der Ministerpräsident ja viele Dinge zu hatte und sich nur beiläufig um die Hochschulen kümmern konnte –, dass der Grad meiner Eigenständigkeit weit über das hinaus wuchs, was einem Staatssekretär normalerweise zugebilligt wird. Mir hat das Freude gemacht. Mit Respekt erinnere ich mich an meine sehr kompetenten Mitarbeiter in der Verwaltung. Ein besonderes Engagement galt den neuen Universitäten, deren Initiative ja ausnahmslos auf Paul Mikat zurückgeht. Daran knüpfte ich an. Ich war schon Mitglied und zeitweise Vorsitzender des Gründungssausschusses für die Universität Bielefeld gewesen und habe mich dafür auch als Staatssekretär besonders stark gemacht. Bielefeld war zeitweise gefährdet, was mit dem tiefen Konjunktureinbruchsjahr 1967 zusammenhing. Es gelang, Bielefeld darüber hinwegzuhelfen. Die Erfahrungen aus der Staatssekretärtätigkeit waren gut und sind mir dauerhaft wichtig geblieben. Ich hätte auch auf Dauer in der Politik bleiben können. Aber da hätte man andere Ämter anstreben müssen, hätte man Abgeordneter werden und sich regierungsmitgliedsfähig machen müssen. Eine verbleibende Berufsbeamtentätigkeit in der Verwaltung wäre dagegen nicht mein Fall gewesen. Voraussetzung fortdauernder politischer Praxis wäre allerdings eine größere politische Übereinstimmung mit der SPD gewesen. Die aber wurde unter dem Druck der 68er-Studentenbewegtheit schwächer. Diese Bewegtheit stand natürlich im Kontext des damals in fast allen hochentwickelten und freien Ländern auffälligen so genannten Wertewandels, das heißt einer dramatisch verlaufenden Realisierung neuer modernisierungsabhängig lebenspraktischer Dispositionsmöglichkeiten. In Deutschland verlief sie partiell revolutionsromantisch, rückwärtsgewandt, an veralteten Theorien orientiert und ideologieversessen – mit Umzügen unter Führerbildern gelegentlich und wallenden roten Fahnen. Viele SPD-Genossen fanden selbstbeschwichtungshalber, endlich wage die Jugend gemäß dem berühmten Wort Willy Brandts „Mehr Demokratie“. Helmut Schmidt sah das nüchterner. So oder so: Unbeschadet der Präsenz prominenter SPD-Mitglieder im Bund Freiheit der Wissenschaft – von Hermann Schmidt-Vockenhausen bis Richard Löwenthal – geriet ich allein schon über meine Aktivitäten in diesem Bund in Dissens zur offiziellen Partei-Meinung, endlich sei auch die deutsche Jugend politisch erwacht, und man habe, unbeschadet marginaler Exzesse, Respekt zu bekunden. So sah ich mich plötzlich als „konservativ“ identifiziert. Bei den anderen Parteien von den C-Parteien bis zur FDP hielt man das für weniger schlimm, ja: für nützlich, und so ergaben sich mancherlei neue politische Verbindungen, die, zum Beispiel, im Förderkreis der CDU bis heute dauern und alsbald natürlich auch gänzlich anderen Themen gewidmet waren. Zu Ihrem philosophischen Werk und dessen Anfängen: Ihre Dissertation behandelt „Die Vollendung der Ding-an-sich-Problematik im Werke Kants“, die Habilitation „Die Transzendentalphilosophie und das Problem der Geschichte. Untersuchungen zur

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Genesis der Geschichtsphilosophie (Kant, Fichte und Schelling)“. Ihre frühen Aufsätze haben vor allem die Philosophie des Deutschen Idealismus, Kant und Hegel, zum Gegenstand, ferner die Phänomenologie. Liegt hierin ein bewusstes Anknüpfen an eine Tradition deutscher Philosophie? Die Dominanz der Philosophie des deutschen Idealismus in meinen frühen philosophiehistorischen Arbeiten ist doch für einen deutschen Philosophen von erläuterungsunbedürftiger Konventionalität. Der Blick auf die europäischen Dimensionen der philosophischen Überlieferung wurde ja dadurch nicht im Geringsten eingeengt. Ludger OeingHanhoff und Wolfgang Kluxen, denen wir doch wichtige Arbeiten zur philosophischen Mediävistik zu verdanken haben, repräsentierten damit im eigenen Freundeskreis zugleich die im 19. Jahrhundert einmal kulturkämpferisch mitgeprägt gewesenen Traditionen der Neuscholastik. Günther Biens dauerhaft wirksam gebliebenes Buch zur Praktischen Philosophie bei Aristoteles ist aus einer Dissertation, die bei Joachim Ritter geschrieben wurde, hervorgegangen, und mir gelang es, sie im Promotionsgang der zuständigen Fakultät zugleich als Habilitationsschrift zu empfehlen. In den LogikVorlesungen von Heinrich Scholz gab es regelmäßig Exkurse zur mittelalterlichen und antiken Geschichte der Logik. Analytisch kompetenten Aufschluss zur aristotelischen Physik verschaffte Wolfgang Wieland, den ich zuerst während meiner Hamburger Dozentenzeit kennen lernte. Rainer Specht, der Mitglied des Collegium Philosophicum war, fungierte als Spezialist für die Traditionen des britischen Empirismus zum Beispiel, und einer der viel selteneren Kenner der Philosophie Spaniens sowie der Niederlande war er überdies. Robert Spaemanns Bücher zur Philosophie Frankreichs sind in Münster geschrieben worden. Wilhelm Goerdt berichtete über die russische Philosophie einschließlich der Rezeptionsgestalten der deutschen philosophischen Klassik im Leninismus. Karlfried Gründer wirkte unter anderem als Kenner der Rolle der Juden in der deutschen Geistesgeschichte, und Odo Marquard kannte als Experte der philosophischen Anthropologie auch deren Vorgeschichte einschließlich der romantischen Medizin und der Psychoanalyse. – So könnte man in der Präsenz der europäischen Philosophie in Münster fortfahren, und es wird evident, wieso der Schwabe-Verlag in Basel gut beraten war, das in zwölf Bänden inzwischen abgeschlossene Historische Wörterbuch der Philosophie in erster redaktioneller Zuständigkeit gemäß meinem Vorschlag nach Münster zu geben und für die Herausgeberschaft unbeschadet seiner spezialisierten Interessen für die Philosophie Hegels und Aristoteles‘ Joachim Ritter zu gewinnen. Die Philosophie ist bekanntlich nicht nur in ihrer eigenen Disziplin fachlich präsent. Sie ist zugleich stets auch die Philosophie, die sich in der modernen Welt die anderen Wissenschaften von sich selbst machen. Auch das hatte Ritter begriffen, und in der Rednerliste des von ihm ausgerichteten 1962er Philosophie-Kongresses in Münster zum Thema „Fortschritt“ spiegelt sich das, die über die Philosophen von Adorno bis Blumenberg hinaus auch Zoologen und Anthropologen, Soziologen und Politologen, Historiker und Philologen umfasste. Das war und blieb in der Geschichte der deutschen Philosophiekongresse selten. Warum sind Ihre Promotion und Ihre Habilitation eigentlich nie in Buchform veröffentlicht worden?

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Druckzwang für Hochschulschriften gab es in den frühen Nachkriegsjahren noch nicht, und es wäre umständehalber auch gar nicht durchsetzbar gewesen. Zum Opus postumum Kants erschienen alsbald auch andere Arbeiten, die ich für besser als meine eigene Dissertation hielt, so dass es sich, wie ich fand, erübrigte, sie auch noch im Druck herauszubringen. Was die Habilitationsschrift anbetrifft, so ist immerhin ihr wichtigstes Kapitel unter dem Titel „Philosophiegeschichte als Philosophie. Zu Kants Philosophiegeschichtsphilosophie“ herausgekommen, und das mehrfach. Dieses Kapitel analysiert Gründe für die spezifisch moderne Tendenz wissenschaftsgeschichtlicher Selbsthistorisierung der Philosophie. Damit war zugleich die spätere analytische Theorie der Genesis des historistischen Geschichtsinteresses aus den Erfahrungen anwachsender Schwierigkeiten präludiert, die Gegenwart in der Vergangenheit inhaltlich wiederzufinden. Diesem Thema des Ursprungs der modernen Selbsthistorisierungstendenzen aus Erfahrungen progressiven intergenerativen Vertrautheitsschwundes ist ja dann auch das spätere Buch Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse gewidmet. Gern füge ich hinzu, dass es ohne die intensive Zusammenarbeit mit Kulturhistorikern mehrerer Disziplinen im geschichtstheoretischen Arbeitkreis der Werner-Reimers-Stiftung sowie in der Forschungsgruppe „Poetik und Hermeneutik“ nicht hätte geschrieben werden können. Für das Zustandekommen des nächsten größeren Buches Religion nach der Aufklärung gilt Analoges. „Einsamkeit und Freiheit“ sind, wie Helmut Schelsky mit Rekurs auf Wilhelm von Humboldt geltend machte, gewiss Voraussetzungen für das Zustandekommen von Büchern. Aber ohne kollegiale Zusammenarbeit hätten sie in meinem Fall inhaltsärmer bleiben müssen. In der chronologischen Abfolge Ihrer Schriften werden die im engeren Sinne wissenschaftlichen Beiträge schon bald ergänzt um Stellungnahmen zu unmittelbar aktuellen Themen. Die Teilnahme an öffentlichen intellektuellen Debatten der Zeit wird von daher zu einem Kennzeichen Ihrer Philosophie – greifbar nicht zuletzt in einer Unmenge von Artikeln in Tageszeitungen und Magazinen. Durch Ihr philosophisches Werk scheinen sich von daher zwei Linien zu ziehen: eine im engeren Sinne wissenschaftliche und eine populäre, in der die Philosophie v.a. als öffentliche Orientierungsbemühung erscheint und der Philosoph selbst als „Spezialist für’s Allgemeine“. Sie selbst haben mit Bezug auf Kants Unterscheidung zwischen einem Schulbegriff und einem Weltbegriff von Philosophie zwischen einer esoterischen und einer exoterischen Dimension des Philosophierens unterschieden. Wie würden Sie das Verhältnis dieser beiden Dimensionen für Ihre eigene Philosophie beschreiben? Die kantische Unterscheidung von „Schulphilosophie“ und „Weltweisheit“ ist wichtig. Begriffsanalytik und Begriffsbildungspragmatik – das sind Bemühungen von fundamentaler Bedeutung für die sehr anspruchsvolle Erarbeitung der theoretischen Mittel deskriptiver Unterscheidungs- und Zuordnungsleistungen. Entsprechend lässt sich ein Vortrag, zum Beispiel, über die strukturelle Identität des Geschichtsbegriffs in der Naturgeschichte wie in der Kulturgeschichte sinnvollerweise nicht vor einem exoterischen, das heißt vor einem in seinen Kompetenzvoraussetzungen kontingenten Publikum halten. Für einen Vortrag hingegen über die Universitätsgründungspolitik deutscher Länder ist man auf ein Publikum von Hochschulexperten nicht angewiesen. Es genügt – gemeine Bildung vor-

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ausgesetzt – Interesse. Im ersten Fall leistet man einen Beitrag zur Wissenschaftspraxis. Im zweiten Fall erweckt man Aufmerksamkeit, veranlasst Respekt vor erbrachten oder auch Kopfschütteln über missratene oder versäumte Leistungen. Im politischen Endeffekt verändern sich darüber politische Erwartungen und Zustimmungspotenziale. Es ist wahr: Die Menge meiner exoterischen Publikationen ist eine „Unmenge“. Der weitaus größere Teil meiner Arbeitszeit blieb freilich stets, mit Hegel gesagt, amtspflichtgemäß nächst den Vorlesungen auf die Vorbereitung von Fachpublikationen bezogen. Für alle größeren Bücher gilt das – vom 1963er Titel Politische Philosophie in Deutschland, das später auch als Taschenbuch herauskam, bis zur erweiterten Fassung meines Buches Im Zug der Zeit. Verkürzter Aufenthalt in der Gegenwart aus dem Jahre 2002, das im reichen Material aktueller Vergangenheitsvergegenwärtigungen und Zukunftszuwendungen das Phänomen der „Gegenwartsschrumpfung“ sichtbar und plausibel macht. „Schule“ und „Welt“ – das ist mit praktischen Konsequenzen zweierlei. Aber die Menge der Fälle nimmt zu, wo man sich in beiden Bereichen zu bewegen hat, und dem entsprechen Publikationsformen, die sowohl esoterisch wie exoterisch wirken, also in Fachzeitschriften wie im Feuilleton besprochen werden und sich entsprechend in Institutionsbibliotheken wie in Großbuchhandlungen finden. Groß-Essays im Kleinbuchformat sind dafür besonders geeignet – Texte ohne abwehrende Anmerkungenbewehrung, Hand- oder Jackentasche nicht belastend, als Leser-Alternative für einen einzigen Fernsehabend geeignet, blickverändernd wirkend oder auch wichtige Vorurteile bekräftigend, die man correctnessbeflissen schon aufgeben wollte. Auf mein Büchlein Politischer Moralismus. Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft zum Beispiel mag diese Charakteristik passen und auf den Globalisierungs-Essay Die Zivilisationsökumene unbeschadet des absichtlich ungewöhnlichen Titels auch noch. Die Religion nach der Aufklärung ist demgegenüber ein umfangreiches Buch, gleichwohl aber weit verbreitet. Es holt, phänomenologisch, den Leser bei unserem Gemeinverständnis von Religion ab – auch diejenigen noch, die am religiösen Leben gar nicht teilnehmen, keiner Kirche angehören und für keine Lebensperipetie sich auf geistlichen Beistand angewiesen wüssten. Es gibt ja für alle den Sonntag. Ostern, Pfingsten und Weihnachten gibt es in der christlichen Welt mit ihren allein schon lebensverbringungspraktisch wichtigen Feiertagsfolgen auch noch, Glocken läuten, Minarette erheben sich neuerdings in Vorstadtvierteln. Auf Friedhöfen, auf die man unvermeidlicherweise schon als Beerdigungsteilnehmer gelangt, sind Kreuze unübersehbar, und dann und wann ein betender Engel auch noch. Das und anderes mehr einschließlich zahlloser Texte kanonischer Literatur ordnet jedermann verlässlich demjenigen Bereich unserer Kultur zu, den wir eben mit dem gemeinverständlichen Wort „Religion“ nennen, und diejenigen sogar am sichersten, die sich Freidenkervereinen angeschlossen haben oder sich für die Erhaltung der Jugendweihe einsetzen. Also muss sich doch auch sagen lassen, worum es sich bei der Religion handelt. Das unternimmt dann meine Religionsphilosophie und macht dabei zugleich sichtbar, wie schwer es ist, das Einfache ausdrücklich zu machen und so zu vergegenwärtigen, wie sehr uns Missverständnisse den Blick aufs Allgegenwärtige verstellen – bei Kant sogar, der Religion für eine Kultur hielt, in der moralische Normen als Gebote Gottes aufgefasst werden. Kant hat ja Recht:

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Es gibt keine Religion, die uns nicht anhielte zu tun, was zu tun wir moralisch verpflichtet sind. Andererseits: Gleich die drei ersten der so genannten Zehn Gebote haben es ja mit Moral gar nicht zu tun, und die exemplarisch erwähnten christlichen hohen Feiertage dienen doch auch nicht alljährlicher Neuvergegenwärtigung moralischer Werte. Wieso übergeht Kant das in seiner religionsphilosophischen Hauptschrift und spottet stattdessen über die Gebetsfahnen der Tibeter? Auch das lässt sich natürlich historisch plausibel machen, und in meinem Religionsbuch geschieht das. Was leistet insoweit die Philosophie? Diese Frage wird in unserer hochentwickelten wissenschaftlichen Zivilisation häufiger als zuvor aufgeworfen, und ich habe dazu gelegentlich einen Sammelband von Antworten auf die Titelfrage Wozu Philosophie? herausgegeben. Eine Ultrakurzantwort lässt sich in Nutzung der traditionsreichen Kartenmetaphorik geben. Karten – das sind ja Weltbilder für höchst unterschiedliche Orientierungszwecke, für Autofahrer die Straßenkarten, im Gemeindebüro die Flächennutzungsplankarte, im Schulzimmer für den Gemeinschaftskundeunterricht die Europakarte mit den hunderten gebietskörperschaftlich verfassten Regionen, und Atlanten mit historischen Karten zu zahllosen Geschichtskundezwecken gibt es auch noch u.s.w.u.s.f. Kurz: Die Welt ist gut vermessen, abgezählt, illustriert – und das nach pragmatischen Zwecken differenziert, wozu man zugleich theoretisch verlässliche Annahmen darüber braucht, worauf es ankommt und was man als überflüssig und damit verwirrungsträchtig besser weglässt. Just diese Annahmen sind in unseren alltagszwecknahen Gebrauchskarten jeweils in den Zeichen fixiert, die auf der Symbolleiste erläutert werden. Und diese Zeichen repräsentieren ja ihrerseits in ihrer Summe gerade nicht ein jeweiliges Bild der Welt, vielmehr das Ensemble der theoretischen und pragmatischen Gesichtspunkte, unter denen wir uns zurechtzufinden haben oder zurechtfinden möchten und somit auf ein Bild von der Welt angewiesen sind. Jenes Ensemble von vorab fixierten Zugangsmöglichkeiten zur Wirklichkeit ist unsere jeweilige „Philosophie“. Ich setzte dabei das Worte „Philosophie“ hier in Anführungsstriche, weil es in dieser insoweit beschriebenen Bedeutung auch in trivialen, ja: in banalen Zusammenhängen verwendet wird – zum Beispiel als unsere „Geschäftsphilosophie“ oder, gehobener, als die „Philosophie des Regionalismus“, die in der Europapolitik eine gewichtige Rolle spielt. „Trivial“ oder „banal“ – solcher Gebrauch des Wortes „Philosophie“ ist keineswegs ein Missbrauch. Es handelt sich vielmehr um lebensweltnahe Präsenzen von Orientierungen, um die sich strukturidentisch auch professionalisierte Fachphilosophie bemühte, als sie, zum Beispiel, in der Phänomenologie gegen den alten Weltbegriff den Begriff der Lebenswelt kontrastierte. Es lässt sich anschaulich machen, wie grundlegend unser Blick auf die Welt sich in der Konsequenz einer erfolgreichen philosophischen Neuverständigung über unser Dasein in ihr verändert. In der Gesamtgeschichte der europäischen Ikonographie hat ja derjenige, der sieht, was ein Bild zeigt, seine Position außerhalb dieses Bildes, und zwar auch dann, wenn der Maler sich wie von außen gesehen in diesem Bild selbst unterbringt. Ernst Mach hat demgegenüber ein Weltbild skizziert, in welchem wir nicht nur sehen, was man eben sieht, wenn man vom Liegestuhl aus ins Zimmer und zum Fenster blickt, vielmehr überdies auch noch, was man bei diesem Blick in die Welt zugleich von sich selber sieht – die Nasenspitze zum Beispiel, die Hände selbstverständlich, nie aber

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die eigenen Augen. Was bedeutet das? Es handelt sich um die Illustration der philosophischen Einsicht, dass das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt nicht aus dritter Position objektiv beschrieben werden kann, vielmehr sich innersubjektiv herstellt. Das muss man wissen, um in der Beschreibung dessen korrekt zu bleiben, was die außerordentlichen Fortschritte zum Beispiel der Neurophysiologie lebenspraktisch bedeuten können und wo sie auch nichts bedeuten. Gute Philosophie macht verblüffungsresistent. Erfreulich spiegelt sich diese Resistenz inzwischen auch in modernen exoterischen Kulturphänomenen – in medizinisch-pharmazeutischen Gratisblättern zum Beispiel, wie sie uns in Apotheken angeboten werden. Eine Verleitung zu pseudoobjektivem medizinischem Laienwissen findet hier nicht statt, wohl aber mancherlei Anleitung zur differenzierten Selbstwahrnehmung in subjektiver Befindlichkeit. Eben diese hat dann auch über das Fachwissen hinaus und vor ihm eine elementare lebensführungspraktische Bedeutung, ja: wir wären ohne dieses subjektive Selbstverhältnis lebensunfähig, und, noch einmal, in eins mit den Fortschritten der objektivierenden Wissenschaften sublimieren sich zugleich auch, und zwar notwendigerweise, unsere Selbstwahrnehmungsfähigkeiten. Man sieht schon: Die Philosophie, die unser Weltverhältnis tatsächlich verändern und sowohl wirklichkeits- wie lebensangemessener machen kann, könnte natürlich auch unsere Daseinslage drastisch verschlimmern. Dabei haben mich die individuellen Fälle philosophischer Weltverfremdung nicht so sehr interessiert. Hier wirken ja soziale Kontrollen, auch professionelle Hilfen stehen zur Verfügung und bringen uns unter glücklichen Umständen zur Raison. Dramatischer verlaufen kollektive Verwirrungen – Weltbilder, die sich die Weltgeschichte als gesetzmäßigen Ablauf von Rassen- oder Klassenkämpfen zurechtgelegt haben zum Beispiel. Argumente kommen hier als Medien der Auflösung solcher Weltbilder meistens zu spät. Schlimmstenfalls zerstört erst ein Weltkrieg sie oder die Zersetzungswirkung der Erfahrung, dass heilswissengebunden totalitäre Systeme auf Dauer nicht lebbar sind und scheitern müssen. Es gibt also schlimme Philosophie, woraus sich aber die Empfehlung, dann doch besser auf Philosophie zu verzichten, nicht ableiten lässt, vielmehr einzig der fortdauernde Bedarf an besserer Philosophie, die sich partiell stets auch in älterer Philosophie finden lässt. Das Ideal moderner Wissenschaftlichkeit und deren Institutionalisierung in den Universitäten – und von daher das Thema Wissenschaftspolitik –, sind schon von früh an Bezugspunkte Ihres Philosophieverständnisses gewesen … Da die Wissensmöglichkeiten durch die methodischen Fragemöglichkeiten, z.T. aber auch durch die Instrumente des Sehens und des Sichtbarmachens, die uns zugewachsen sind, und damit die Fülle dessen, was wir wissen können, so ungeheuer groß geworden ist, wird die Frage „Was wollen wir wissen?“ immer wichtiger – und zwar nicht nur, damit aus der Fülle des Wißbaren das in der Kürze eines Lebens hienieden Sinnvolle nutzbar gemacht werden kann. D.h. die Notwendigkeit wird immer größer, sich eine pragmatische Beantwortung der Frage zu verschaffen „Wozu wollen wir das überhaupt wissen? Und wie viel wollen wir uns dieses Wissen, das wir uns erhoffen, überhaupt kosten lassen?“ In unseren Forschungseinrichtungen und Universitäten wird zwangsläufig die Relevanzfrage immer wichtiger.

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Was das Pathos des Wissens um des Wissens willens betrifft, benutze ich gern das Beispiel Wilhelm von Humboldts, der kein Professor war, sondern Staatsmann und wusste, dass die Aufwendungen für die sehr teuren Universitäten einer Rechtfertigung bedurften. Universitäten beziehen sich immer auch auf den Nutzen des Staates. Und der Grund dafür, dass Humboldt in der Universitätsgeschichte – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern über die Vermittlung zum Beispiel von Abraham Flexner auch in der angelsächsischen Welt – als vorbildlicher Repräsentant einer hochschulpolitischen Philosophie des Wissens als Selbstzweck galt – dieser Grund ist Humboldts Einsicht in das Faktum, dass der Forscher dann am produktivsten ist, wenn er den Nutzenaspekt gerade nicht im Auge hat, sondern kuriositätsmotiviert das neue oder bessere Wissen. Darauf kann man auch heute nicht verzichten. Der Kuriositätsaspekt ist als Forschermotivation absolut unentbehrlich. Er verbleibt als das anthropologisch zentrale Forschungsmotiv. Es sind immer wieder Phänomene und Beispiele aus dem Alltag, die Sie philosophierend aufgreifen. Ihr Interesse ist dabei weit gespannt: von der Gartenarbeit bis zur Industriearchitektur, von der Mediennutzung bis zur Stadtentwicklung, vom Sport bis zum Verkehr. Was steckt dahinter? Es steckt nichts dahinter als die schon erläuterte Philosophie, die uns, statt uns sogleich in transzendente Räume zu führen, mit den gerade im guten Fall zumeist verborgenen Voraussetzungen gelingenden Lebens im Erkennen wie im Handeln bekannt macht. Dazu gehört zum Beispiel in gut platonischer Tradition auch das, was sich einzig in Zahlen sichtbar machen lässt. Die Wahrscheinlichkeitstheorie, gewiss, hat sich erst in der frühen Neuzeit entwickelt. Die Statistiken, ohne die sich Wahrscheinlichkeiten gar nicht abschätzen ließen, standen in der so genannten „Kritischen Theorie“ im Geruch des Positivismus. Aber weder Feuerversicherungen noch Abschätzungen demographischer Verläufe sind ohne solchen Positivismus möglich. Es ist wiederum Philosophie, von der abhängt, was wir wissenschaftskulturell für wichtig oder unwichtig zu halten pflegen. Trivialitätsverachtung entstammt einer sehr selbstschädigungsträchtigen Philosophie. – So also mag sich mein Faible fürs detaillierte Positive erklären. Sie sprechen das gute und gelingende Leben an. Gestatten Sie die Zwischenfrage, inwieweit Ihre philosophischen Einsichten für die eigene Lebensführung prägend sind? Man liest, dass Sie viel Sport treiben, dass Sie Ihre Aufsätze beim Spazierengehen verfassen … Glücklich wird nicht, wer glücklich sein will. Glücklich wird, wer richtig lebt. Glück ist eine nicht intendierbare Nebenfolge sinnvollen Tuns. Und das Tun stabilisiert die Kräfte. Die lang anhaltend Tätigen sind ja nicht deswegen so lange tätig, weil sie so gesund sind. Vielmehr bleiben sie bei einiger statistischer Evidenz länger gesund, weil sie immer tätig sind. Und der Sport vermittelt auch die glücksträchtige Erfahrung der ungebrochenen Fähigkeiten des eigenen Leibes. Die Vorzüge des Sports können Sie im Übrigen am besten dann genießen, wenn Sie Sportarten betreiben, die sich zugleich noch mit anderen Tätigkeiten verbinden lassen, die sinnvoller sind als der Sport. Das ist bei mir das Wandern. In Kärnten wohne ich in einer Gegend, in der es Berge gibt, die bis in Hochgebirgsregionen führen, zweieinhalbtausend Meter, und die ganz sanft und rund sind. Und dann kann der Philosoph das, was er am nächsten Tag aufschreiben will,

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sechs, sieben Mal durch den Kopf laufen lassen, und so gewinnt es an Ordnung. So ist der Tag nicht nur ungemein erfrischend, weil Sie ja physisch vollkommen regeneriert sind. Überdies haben Sie die halbe Arbeit am nächsten Aufsatz erledigt. Diese Kombination ist besonders lebensglücksträchtig. Ich mache das schon seit über vierzig Jahren, und vielleicht auch deswegen bin ich, gottlob, einigermaßen gesund geblieben. Der Stil Ihrer philosophischen Äußerungen ist stets von Affirmativität und Optimismus geprägt. In einem Interview sprachen Sie einmal von einer „Selbstverpflichtung zum Optimismus“. Aristotelisch gesprochen: Handelt es sich bei diesem Phänomen um eine Eigenschaft erster oder zweiter Natur – eher um eine natürliche Anlage oder eher um eine erworbene und geübte Fähigkeit? Schopenhauer nannte bekanntlich den Optimismus „ruchlos“. So findet man, unter Philosophen und Intellektuellen ganz besonders, sich gemeinhin nicht gern als Optimist charakterisiert. Entsprechend spreche ich lieber von Zuversicht, und diese kann man sogar als moralisch verpflichtend einsichtig machen. Just in sehr ernsten Lagen hängt ja der gute oder schlechte Ausgang der Dinge nicht selten in erster Linie vom Faktor unserer eigenen Handlungskraft ab, und Zuversicht stärkt sie. Entsprechend wird dann auch die große Rede, die in eins den Ernst der Dinge und zuversichtliche Entschlossenheit breitenwirksam erkennen lässt, in der Politik immer wieder einmal zum Wendepunkt. Churchills Kriegseintrittsrede ist dafür eines der wichtigsten Beispiele aus dem vergangenen Jahrhundert. Wiederholt haben Sie für Ihr philosophisches Vorgehen das Prädikat des Eklektikers beansprucht … In der französischen wie in der britischen Aufklärung gilt Eklektizismus als intellektuelle Erztugend des aufgeklärten, sich frei orientierenden Geistes. In Deutschland hielt bereits Kant es für nötig, dem Philosophiebeflissenen vor allem den Eklektizismus auszutreiben, und Hegel hat das konfirmiert. Es ist ja richtig: Jede Theoriebildung verlangt systematische Ableitungen. Aber zu einer „Weltanschauung“ lässt sich das nicht erweitern. Der komplementäre Eklektizismus bewahrt uns davor, die Stringenz unseres Weltwissens zu überschätzen. Die lange missachtet gewesene vor-idealistische deutsche Popularphilosophie dagegen schätzte den Eklektizismus durchaus. Als Teil einer Aufklärungskultur, die – vor allem im Unterschied zur französischen – Züge einer, wie man das nennen könnte, frommen Aufklärung hatte, berief man sich hier gern auf die Bibel, näherhin auf den Apostel Paulus. „Prüfet alles und bewahret das Gute“ – so hatte er den Thessalonichern geraten (vgl. 1 Thess 5,21). Es ist in letzter Instanz eine Frage der praktischen Urteilskraft, unterscheiden zu können, wo man in unseren Orientierungsversuchen auf Stringenz und strikt einzuhaltende Regeln der Wissensproduktion und der Wissensorganisation angewiesen ist und wo man auf diese Weise sich gerade nicht orientieren kann – in unserem Gemeinwissen nämlich und lebensweltlich. Zurück in die 50er und frühen 60er Jahre: In diese Zeit fällt u.a. Ihre Teilnahme an der intellektuellen Debatte um die Technokratie. Im Beitrag von Jens Hacke finden sich dazu einige Bemerkungen. Er beschreibt eine Profilierung Ihres Denkens in zwei Rich-

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tungen: zum einen gegenüber einem technokratischen Sachzwangdenken der 50er Jahre, zum anderen gegenüber der Diskurstheorie der 60er- und 70er-Jahre. Einher damit geht die Beobachtung eines „Rechtsrucks der Liberalkonservativen“ gegen Ende der 60er Jahre. Würden Sie zustimmen, dass es in jener Zeit zu einer Änderung oder Akzentverschiebung in Ihren philosophischen Ansichten und Äußerungen kam? Jens Hacke hat mein philosophisches Verhältnis zu den Denkern technokratischer Tradition, zu Helmut Schelsky zum Beispiel, korrekt beschrieben. „Technokratie“ – das ist der moderne Name für die Idee, mit dem Fortschritt der Abhängigkeit unseres Lebens von Expertenleistungen müssten schließlich auch die Kompetenzen politischer Entscheidung von Fachleuten übernommen werden. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Je mehr wir Leistungen Dritter in Anspruch zu nehmen haben, umso entschiedener urteilen wir über ihre Vorzüge und Nachteile als ihre Nutzer. Man darf sogar sagen: Die hochentwickelte Zivilisation setzt schon als solche demokratisch wirksame Ansprüche frei. Als wie stark würden Sie jene Beeindruckungen veranschlagen, die mit dem Jahr 1968 und seinen Erlebnissen verbunden waren? Mit Bezug auf die revolutionären Veränderungen in Kunst, Politik oder Sittlichkeit ist mitunter von „Traumatisierungen“ gesprochen worden. Traumatisierungen, sogar schwere, hat es gegeben. Spott, Beleidigung, Aggression, ideologisch fixierte Besserwisserei, Arroganz – das kann verletzen, besonders dann, wenn man sich schutzlos gelassen fühlt und die Institutionen, in denen man berufstätig sein sollte, sich in Räume jungtotalitärer Gläubigkeit verwandeln. Es hat schließlich Suizidfälle gegeben, Rückzüge aus dem Dozentenberuf, vielfältige demotivierende Resignation überdies. Dabei ist mir die intellektuelle und politische Karriere Ulrike Meinhofs, die ich früh schon im Kontext der Aktion „Kampf dem Atomtod“ kennen gelernt hatte, theoretisch durchaus verständlich gewesen. Der „Kampf“, um den es sich dann aber real bei der RAF handelte, endete immerhin bei fast vierzig Terrortoten. „Barbarisch“ war das keineswegs, vielmehr fanatisierter Moralismus – wie schon in den Tagen des Deutschen Idealismus die Ermordung Kotzebues durch den braven Studenten der Theologie Karl Ludwig Sand. Die Reaktionen auf die 68er-Bewegung, an denen Sie beteiligt waren, vollzogen sich auf zwei Ebenen: in der intellektuelle Auseinandersetzung einerseits, andererseits aber auch in konkreten praktischen Initiativen, wie der Gründung des „Bundes Freiheit der Wissenschaft“ 1970, der einer Politisierung der Hochschulen und der Verwirklichung der Gruppenuniversität entgegenwirken wollte – Sie erwähnten ihn bereits –, oder der Organisation repräsentativer Kongresse. Zu denken wäre hier etwa an das „Tendenzwende“-Symposion 1974, das sich aus dem Eindruck des Krisenbewusstseins in Bezug auf Umwelt, Wirtschaft und Fortschritt der frühen 70er Jahre formierte, an den Bonner Kongress „Mut zur Erziehung“ 1978 mit seinen „Neun Thesen“, die sich gegen das Emanzipations- und Erziehungsverständnis der neuen Pädagogik richteten, oder auch an die Tagung „Aufklärung heute“ im Jahr 1980, die den für die Zeit nach 1968 zentralen Begriff der „Aufklärung“ thematisierte. Wie nehmen sich diese Initiativen und Ihre Wirkungen für Sie rückblickend aus?

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Auch in den Räumen der Wissenschaft entfalten sich Talente, die über ihre wissenschaftlichen Tätigkeiten hinaus medienwirksame Kongresse organisieren können, Kampagnen auslösen, sammelnde Schlagwörter formulieren. Das gilt für Hans Maier zum Beispiel, von dem die Hauptinitiative zur Gründung des Bundes Freiheit der Wissenschaft ausging. Wilhelm Hahn, Theologieprofessor in Heidelberg und Minister in Stuttgart, erweckte den „Mut zur Erziehung“, zu dem ich die dutzendfach nachgedruckten „Neun Thesen“ verfasste. Die Erfahrung, dass sich was tun lässt, verstärkte das affirmative Verhältnis zur zweiten deutschen Demokratie, das wir ohnehin schon hatten, und beim Wiesbadener Forum zum Hessischen Schulkampf, in welchem wie kein anderer Thomas Nipperdey die geschichtspolitischen Unterrichtslinien der Regierung zu einer Blamage für diese machte, ließ Bernhard Vogel die ideologisch verstockten Apologeten der fraglichen Neuerungen im Jubel untergehen, den er mit einem Bibelzitat auslöste: „Wer Wind weht, wird Sturm ernten“ (Hos 8,7). Sogar Golo Mann war beeindruckt, und zur Sache hielt ich die Kritik Robert Spaemanns für die wichtigste, der beim späteren Aufklärungs-Kongress mit der These überraschte und überzeugte, dass Emanzipation wie Aufklärung ihren lebenspraktischen Ort im Prozess des Erwachsenwerdens hat, nicht aber eine Generalnorm für das Erwachsenenleben sei oder gar ohne jeweils speziellen Umstand und Anlass ein allgemeines Geschichtsziel. Wer die Beiträge der damaligen Zeit liest, bemerkt vor allem die „harten Bandagen“, mit denen damals gekämpft wurde. Auch Sie selbst haben mit Polemik nicht gespart. Die Charakterisierung der 68er-Bewegung als „Manifestation desorientierter Selbstfindungsversuche in den dramatisch expandierenden Freiheitsspielräumen der modernen Zivilisation“ gehört wahrscheinlich noch zu den freundlicheren Kennzeichnungen. Handelt es sich dabei um notwendige Zuspitzungen in der Sache? Ist es wehrhafte Tapferkeit? Oder eine besondere Freude an der Polemik? Ich habe in der Tat eine Neigung, wenn mir im akademischen Milieu Sonderbares begegnet, mit heiterer Schärfe und in Nutzung rhetorischer Zuspitzungen und zugleich treffend zu antworten. Es war allerdings ein Charakteristikum der 68er-Bewegung, dass sie Heiterkeit nicht kannte. Sie war immer ernst – wenn nicht bierernst, so doch voller Wahrheitsernst und Moralernst. Sie war eine moralistische Bewegung. Es ist leider wahr: Nicht immer ließ sich darauf heiter und freundlich reagieren. Wie hätte das in Reaktion auf die Apologie politischer Mordtaten möglich sein sollen? In den Zusammenhang der Auseinandersetzungen jener Zeit gehört auch Ihre Etikettierung mit dem Begriff „konservativ“ und die sich anschließende Debatte um den „NeoKonservatismus“, die Anfang der 80er-Jahre geführt wurde. Einige Bemerkungen dazu finden sich im Beitrag von Georg Kohler. Wer mit dem Etikett „konservativ“ belegt wird, wird in der Regel defensiv reagieren, indem er den Unterschied von „konservativ“ und „progressiv“ (oder von „rechts“ und „links“) relativiert und für in der Sache ungeeignet erklärt. Sie selbst haben die offensive Variante gewählt, sich den Begriff zu Eigen gemacht und im eigenen Sinne umdefiniert. Konservatismus besagt demnach „die Praxis der Bewahrung des Unverzichtbaren gegen seine gegenwärtigen oder vorhersehbar zukünftigen Gefährdungen“ bzw. „die Kultur der Trauer über die Verluste an unwiederbringlich Gutem, die der Fortschritt“ kostet.

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Ich halte es in der Tat für eine Schwäche der deutschen historisch-politischen Kultur, dass sie im Unterschied etwa zur britischen keine neutrale und deskriptive, geschweige denn eine positive und zugleich historisch-erinnerungskräftige Verwendung des Begriffs „konservativ“ kennt. Das hat mit der Nazi-Zeit zu tun, in der es, eher marginal, auch mitlaufbereite konservative Kreise gegeben hat. Doch diese für die nationalsozialistische Vergangenheit verantwortlich zu machen, ist Nonsens. Auch in ihren Verhaltensformen war die Nazi-Partei alles andere als konservativ – bis auf einen Punkt. Doch wenn man den ins Auge fasst, ist auch der Bolschewismus seinerseits konservativ. Es ist die Fähigkeit totalitärer Bewegungen, sich die benötigte Massenakklamation zu verschaffen mit Bezug auf jene Interessen und Bedürfnisse, die Menschen zu allen Zeiten haben. Das gab es eben auch bei den Nationalsozialisten, aber ansonsten verkehrten sie doch das Unterste nach oben. Revolutionärer hat in Deutschland niemals eine politische Formation gewirkt als die Nationalsozialisten! – Es täte der deutschen politischen Kultur gut, wenn sie eine Verwendung des Wortes „konservativ“ kennte, die das Konservative als eine in wichtigen Lebenslagen zustimmungsfähige, in gewissen Lebensbereichen sogar notwendige Orientierung anerkennt. In letzter Instanz ist die Unterscheidung von „konservativ“ oder „progressiv“ oder von „rechts“ und „links“ am besten mit anthropologischen Kategorien zu erklären. Der fragliche Unterschied ist bis in die Politik dauerhaft wirksam kraft unterschiedlicher Antworten auf die Frage, die sich im stets prekären Prozess des Erwachsenwerdens uns stellt, was es heißt, emanzipiert zu sein. Wer sich mit der Emanzipation schwer tut, sich gar emanzipationsbehindert findet, kann das bessere, freiere Leben einzig für die Zukunft erhoffen und lebt entsprechend, statt schließlich erwachsen, in fortdauerndem Aufbruch. Wer dagegen, allzu forsch vorwärtsdrängend, schließlich Emanzipationsschäden erleidet, blickt allzu häufig zurück, nämlich aufs irreversibel verlorene „Bessere“, das er nun für die Zukunft revitalisieren möchte. Je schmerzhafter die Läsionen sind, die man erlitten hat, und je länger sie spürbar bleiben, umso gegenwartsunfähiger wird man, und gemäß der allgemeinen Zeitrichtung des Lebens drängt man so oder so in die Zukunft. „Mit uns zieht die Neue Zeit“, „Vorwärts!“ also – das gilt in Radikalisierungsprozessen links-rechts-indifferent. Gibt es Hinsichten, von denen Sie sagen würden, dass die Auseinandersetzung mit der 68er-Bewegung Ihr eigenes denkerisches Profil geschärft haben? Die Widerwärtigkeiten des Prinzips „Vollversammlung“ zum Beispiel, haben mein politisches Denken geschärft: Das Zusammenlaufen Beliebiger, die verfahrensfrei und durch nichts legitimiert auf Zuruf hundertprozentige Beschlüsse fassen, die die jeweiligen Zusammenrufer, die Führer also und ihre Unterführer, sich zu Eigen machen. Man konnte 1968 wie in einem Feldversuch die Geburt der großen Führer aus der verfahrensfrei gemachten absoluten Demokratie studieren. „Veredelte Demokratie“ – so nannte das bekanntlich Joseph Goebbels. Kurz: Die 68er Bewegung hat in Deutschland zur Demokratisierung der Hochschule wenig beigetragen. Aber sie war demokratietheoretisch kraft ihrer neototalitären Exzesse sehr belehrend.

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Zur intellektuellen Seite der Auseinandersetzung, die sich um die Diskurstheorie von Jürgen Habermas drehte und die 70er/80er-Jahre bestimmte: Die vorgebrachten Gegenargumente sind bekannt: (1) gegen die exklusiven Voraussetzungen der Diskursteilnehmer in Bezug auf intellektuelle und moralische Qualifizierung erhoben Sie den Vorwurf der Wirklichkeitsfremdheit, (2) gegen die idealen Bedingungen des Diskurses wiesen Sie auf seine zeitliche Begrenztheit durch Entscheidungszwang hin und (3) gegen den wertschöpfenden Anspruch des Diskurses kritisierten Sie dessen Gegenwartsfixiertheit und eine fehlende Vorweganerkennung herkunftsgeschichtlicher Identitäten. – Bei aller verbliebenen Frontstellung hat Jens Hacke für die folgenden Jahrzehnte die Überkreuzbewegung eines gedanklichen Aufeinanderzubewegens zwischen Ihnen und Habermas konstatiert. Demnach tritt etwa seit Anfang der 90er Jahre bei Habermas ein stärkeres Interesse an Recht und Institutionen hervor, während umgekehrt bei Ihnen Elemente direkter Demokratie eine stärkere Akzentuierung erfahren. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu? Ich möchte auf sich beruhen lassen, für welche realen Kommunikationsprozesse Habermas‘ bedeutende Diskurstheorie nutzbar werden könnte. Dass Wahrhaftigkeit uns durch Vertrauensgewinn diskursfähiger macht, kann jeder Erzieher bestätigen. Seminargespräche werden sich gewiss ohne Auftritte von Correctnesswächterschaften leichter herrschaftsfreier Kommunikation annähern lassen. Gelegentlich lässt sich das alles auch an den von Helmut Schelsky als modernitätsspezifisch herausgehobenen Stätten der „institutionalisierten Dauerreflexion“ beobachten. Aber schon massenmediale Talkshows gehorchen anderen Regeln. Prozessrechte sind mit ihren Regeln für die Verteilung von Redepflichten und Schweigerechten kulturelle Leistungen ersten Ranges, die sich einzig über lange Verfahrenserfahrung verbessern ließen. Die Emendation von Parlamentsgeschäftsordnungen ist auch nicht in Orientierung an transzendentalen Normen idealer Diskurse zu bewerkstelligen. Hier sind gänzlich andere Zwänge beachtungspflichtig. Zeitknappheitsprobleme, zum Beispiel, sind dominant, und die Legitimität von Entscheidungen beruht in allen politischen Institutionen auf zwingenden Gründen, statt auf Wahrheit, die über Konsens in Erscheinung träte, auf Mehrheit. Grundrechte schreiben Optionsgelegenheiten fest, für deren Inanspruchnahme niemand rechenschaftspflichtig gemacht werden kann. Je mehr wir in der Tat modernisierungsabhängig miteinander zu reden haben, umso wichtiger wird die Freiheit zu schweigen, das Recht, Antworten zu verweigern, und auch die bereits in der aristotelischen Diskurstheorie herausgestellte Unvermeidlichkeit, dann und wann, statt argumentativ, indigniert zu reagieren. Dabei ist man in der Tat wieder beim correctness-Problem, und man sieht zugleich, dass wir die Kunst, damit produktiv nach Regeln umzugehen, schlecht beherrschen. Auch für die Beziehungen zwischen Religionen und Konfessionen ist das wichtig. Sich in Ruhe zu lassen, statt sich mit Dialogaufforderungen zu konfrontieren, ist umso nötiger, je mehr wir unvermeidlicherweise als Verschiedene unabweisbar miteinander zu tun bekommen. Zum pragmatischen Charakter Ihres politischen Denkens gehört, dass es in Reaktion auf Herausforderungen und Widersprüche gewachsen ist. Bereits hierin ließe sich ein methodischer Unterschied zum Anspruch von Habermas erkennen, der eine systemati-

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sche Theorie vorzulegen beansprucht, die auf Prinzipien gestützt ist. Ein vergleichbares Werk einer Grundlegung politischer Philosophie gibt es in Ihrem eigenen Œuvre nicht. Wurde auf dem Felde politischer Theorie – wenngleich bedingt durch die pragmatischreaktive Einstellung – vielleicht zu wenig Begründungs- oder Prinzipienarbeit geleistet? Ein Buch mit dem allgemeinen Thema „Politische Theorie“ gibt es in der Tat von mir nicht. Aber was wäre denn eine „Systematische Theorie der Politik“? Politik ist doch schließlich kein Sachbereich wie die Kunst oder die Wissenschaft, die Technik oder die Religion, vielmehr die Praxis der Verschaffung der machtgestützen Entscheidungs- und Normenvoraussetzungen, auf die wir uns in den exemplarisch genannten Lebensbereichen wie in vielen anderen auch noch angewiesen wissen. Auf das Wort „Macht“ zu reagieren wie auf den leibhaftigen Carl Schmitt – das ist schon allein deswegen unzweckmäßig, weil es ja auch für die Demokratie selbstschädigend wäre, bei der es sich doch regelmäßig um Legitimitätsverschaffungen mittels Mehrheitsmacht im Rahmen unserer ihrerseits mit Mehrheitsmacht beschlossenen Verfahren handelt. Seit Mitte der 70er Jahre finden sich in Ihrem Werk – aus den geschichtsphilosophischen und den politischen Überlegungen erwachsend – zunehmend kulturphilosophische Themen und Beiträge. Der Fortschrittsbegriff spielt eine zentrale Rolle – Georg Kohler geht in seinem Aufsatz darauf ein. Die Erinnerungskultur, das Museum, der Regionalismus, die Zeit werden zu Themen. Wie würden Sie selbst den inneren Zusammenhang und die Kontinuität dieser Entwicklungen beschreiben? Es handelt sich bei den von Ihnen erwähnten Analysen moderner Vergangenheitsvergegenwärtigungspraxis von den Museen bis zu den Archiven, von den Friedhöfen bis zum Denkmalschutz und von den glanzvollen Leistungen unserer Historiker bis zur anhaltenden Antiquitätenkonjunktur um exemplarische Veranschaulichungen und Plausibilisierungen des evolutionstheoretischen Zwangs zur Selbsthistorisierung unserer Zivilisation aus der inzwischen unübersehbaren, ja: aufdringlich gewordenen Dynamisierung der Evolution dieser Zivilisation. Diese Dynamik ist inzwischen in vielen Lebensbereichen wohl vermessen – von den Verdichtungen der uns verbindenden technischen Netze bis zur dramatisch angewachsenen Menge der Nationalstaaten und von den völkerrechtlich konstituierten inter- und supranationalen Körperschaften bis zu den schon erwähnten fortschrittskomplementären Veraltensvorgängen zwar keineswegs in allen, aber in sehr vielen Lebensbereichen. Sogar innerfamiliär wird das heute erfahren. Im fünfzehnten Kapitel des Lukasevangeliums (15,11-32) wird die Geschichte vom verlorenen Sohn erzählt, dessen Verlorenheit in seiner Heimkehr den alten Rat des Vaters bestätigt. Im 19. Jahrhundert dann stehen für die Zukunft die Söhne – bei Turgenjev zum Beispiel. Generationenkonflikte gab es immer. Aber ihre Zeitstruktur ändert sich. Generalisiert bedeutet das: Was früher einmal lediglich alt war, ist heute außerdem noch veraltet. Erfahrungsraum und Erwartungshorizont driften nach ihren Inhalten auseinander – so hat Reinhart Koselleck das ausgedrückt. Der Zweck der Vergangenheitsvergegenwärtigung kann nicht mehr sein, die Vergangenheit sich zum Muster für die Zukunft zu machen. Der antike Topos historia magistra vitae wird um die Wende zum 19. Jahrhundert als Motto unverwendbar. Die Geschichte dieses Verschwindens hat wiederum Reinhart

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Koselleck beschrieben. Es wird evident, dass es sich bei dem Versuch, die Geisteswissenschaften, die historischen Kulturwissenschaften näherhin, als von einem praktischen Erkenntnisinteresse geleitet verständlich zu machen, seinerseits um ein Relikt handelt. Geschichten sagen, wer wir sind. Und weil es in einer rasch sich verändernden Kultur schwieriger wird, sich das sagen zu lassen und eigene wie fremde Geschichten sich verständlich zu machen, wächst unsere Nachfrage nach Leistungen professionalisierter Herkunftsvergegenwärtigung. In Ihrem Buch „Im Zug der Zeit“ wird das alles zu einer Theorie der „Gegenwartsschrumpfung“ zusammengezogen. Von Friedhofskultur und anonymer Bestattung ist die Rede, und George Orwell erscheint als Klassiker der Archivtheorie. Der neue Begriff mit dem ungewöhnlichen Namen „Gegenwartsschrumpfung“ hat sich als zweckmäßig erwiesen und wird inzwischen oft genutzt oder zitiert. „Gegenwart“ ist dabei als Zeit einigermaßen konstanter zivilisatorischer Lebensumstände verstanden. Diese Gegenwart verkürzt sich, „schrumpft“ mit der wachsenden Menge der genutzten Änderungen und Neuerungen pro Zeiteinheit. Das heißt zum Beispiel: Die Dauer novellierungsfreier Geltung von Gesetzen nimmt ab. Orwell hat als erster den Totalitarismus durch die Vollendung der Herrschaft über unsere Vergangenheit charakterisiert. Die Hauptperson seines berühmten Romans 1984 ist ausgerechnet ein Archivar, der die Dokumente unserer Herkunft und damit unserer Identität permanent gemäß den Weisungen des „Großen Bruders“ umschreibt oder gar vernichtet, wenn verfügt wird, dass wir nie gewesen sein sollen. Man sieht spontan: Das Recht und die Freiheit zu bleiben, wer man herkunftsabhängig nun einmal ist, hängt an der politischen Unverfügbarkeit der Urkunden unserer individuellen wie kollektiven Existenz. In allen frei verfassten Ländern schreibt die moderne Archivgesetzgebung diese Unverfügbarkeit fest. Eine zentrale Bedeutung besitzt in Ihrer Philosophie der Kompensationsgedanke. Er begegnet bereits in der Geschichtsphilosophie, findet seine eigentliche Entfaltung freilich vor allem in der Kulturphilosophie … Schon bei Joachim Ritter findet sich der Kompensationsbegriff gelegentlich, und Odo Marquard hat daraus eine komplexe Philosophie gemacht – eine Anthropologie des homo compensator. Ich meinerseits halte den Kompensationsbegriff auch für die Analyse von Fälligkeiten aus Nebenfolgen des zivilisatorischen Fortschritts für nützlich, ja: unentbehrlich. Kompensation eines änderungstempobedingten kulturellen Vertrautheitsschwundes – so habe ich den Sinn unserer historistischen Vergangenheitsaufarbeitung gelegentlich beschrieben. Der Gedanke der Kompensation impliziert die Vorstellung des Ausgleichs einer Mangellage, des Wiederherstellens verloren gegangener Gleichgewichte. Dies setzt die Einnahme eines Standpunktes voraus, von dem aus ein bilanzierender Blick erfolgen kann und Verlust und Gewinn gegeneinander abgewogen werden können, um in pragmatischer Weise kompensatorische Maßnahmen zu unternehmen. Damit aber ist zwangsläufig die Tendenz verbunden, die Unmittelbarkeit zum Phänomen zu verlassen

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und sich in eine „Außenposition“ zu begeben. Welches ist der genaue Ort oder Standpunkt, von dem aus Kompensationsphänomene beurteilt werden? Sie haben ja Recht: Kompensationshandlungen setzten Unmittelbarkeitsverluste voraus. Aber „außer sich“ gerät man doch darüber keineswegs. Wäre denn der Brillenträger weniger bei sich selbst als das Subjekt brillenlos verbleibender Kurzsicht? Oder umgekehrt formuliert: Wird denn dem Lutheraner in Aurich sein Luthertum zweifelhaft, wenn er sich das ohne spezielle Erklärung unverständliche Faktum der Zugehörigkeit des Emder Teils seiner Verwandtschaft zur reformierten Konfession in einem Abendvortrag durch einen Kenner der ostfriesischen Kirchengeschichte erläutern lässt? Das zu glauben hieße, die Naivitätsfolgen des Verharrens im expandierenden Unverständnis kontingenter Herkunftsabhängigkeiten für einen Lebensvorzug zu halten. Die Anwendung des Kompensationsgedankens erscheint gleichwohl in erster Linie bezogen auf bestimmte Phänomene und insofern situativ oder punktuell, in jedem Fall rückwärtsgewandt. Ließe sie sich nicht um eine umfassendere Wozu-Perspektive ergänzen, die Perspektiven auf eine mögliche Zukunft hin beschreibt? Wäre es nicht sinnvoll und vielleicht sogar notwendig, vorsichtig die Frage einer zielgerichteten Weiterentwicklung zu diskutieren, wie Reinhard Mehring in seinem Beitrag angefragt hat? Ihre Frage ist mir schon in schärferer Fassung begegnet, in der Meinung nämlich, diese Theoretiker der Kompensationsfunktion kulturhistorischen Wissens delektierten sich an der Rhein-romantischen Kunst und Literatur, während der Fluss abwasserverseucht zum Himmel stinkt. Ich verzichte schonungshalber auf Nennung des Namens des Kollegen, der sich so äußerte. Dazu ist dreierlei zu sagen: Erstens ist der Aufruf, den Fluss zukunftsbezogen endlich wieder für Salme wie für uns uneingeschränkt lebbar zu machen, falsch adressiert. Die Geisteswissenschaftler verfügen dafür nämlich über keinerlei Kompetenzen. Zweitens haben sich diejenigen, die hier sachkundig sind, den überfälligen kompensatorischen Maßnahmen zur Rettung des Rheins längst zugewandt – politisch getragen vom Willen der Bürger und Räte. Drittens intensiviert die geisteswissenschaftliche Vergegenwärtigung vergangener Rhein-Romantik Verlust-Erfahrungen und versetzt in Trauer über den Untergang dessen, was als vergangenes Besseres originär unwiederholbar ist. Nicht Besserwisserei, aber das Wissen, dass manches früher tatsächlich besser war, hält uns in unserer Zukunftsbezogenheit selbstbornierungsfrei. In den 80er Jahren erregten Sie u.a. Aufsehen durch Ihre These von der Notwendigkeit eines kollektiven Beschweigens des Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein. Den „Historikerstreit“ haben Sie als „Anschauungsmaterial für politischen Moralismus“ tituliert. Technik und Verantwortung, Wertewandel und Ökologie sind weitere Schwerpunktthemen jener Jahre, ehe das Jahr 1989 mit den ihm folgenden Veränderungen die nächste Wasserscheide markiert. Es schließen sich an Reflexionen zum Sieg des Liberalismus, eine Beteiligung an der Aufbauhilfe Ost (etwa durch eine Mitgliedschaft in der Gründungskommission für die Universität Erfurt) sowie das Engagement für die europäische Einigung und die Frage, wie Europa verfasst sein soll, durch Teilnahme an der Europäischen Strukturkommission.

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Das Europathema hat für mich in der Tat eine große Bedeutung. In Kürze ist alles zusammengefasst in dem kleinen Buch Abschied vom Superstaat. Vereinigte Staaten von Europa wir es nicht geben, das bei vielen Leuten eine sehr freundliche Aufnahme gefunden hat – insbesondere in Kreisen der Wirtschaft und bei Politologen. Der zitierte Buchtitel klingt freilich nicht europafreundlich. Das Buch kritisiert auch, was vielen Europapolitikern, prominenten sogar und in Deutschland zumal, lange wichtig war, die Vision nämlich einer Vereinigung der europäischen Länder zu einem neuen Groß-Staat – „Vereinigte Staaten von Europa“ genannt. Tatsächlich ist aber die Europäische Union gar kein Staat, vielmehr eine supranationale Gemeinschaft, die allerdings über die Kompetenz der Setzung von Normen verfügt, die in unseren Staaten gesetzliche Geltung gewinnen. Aber ein Besteuerungsrecht, zum Beispiel, hat die EU nicht; das Parlament kann Gesetze ablehnen, aber nicht initiieren, und im Kontext der Weltpolitik findet der Westen weit über die Grenzen der Europäischen Union hinaus seine militärischverteidigungspolitische Sicherheit primär im Rahmen der atlantischen Gemeinschaft. Das wird grundsätzlich nach aller Wahrscheinlichkeit auch so bleiben. Je effizienter uns der Globalisierungsprozess zugute kommt, umso kleiner dürfen die körperschaftlichen Subjekte politischer Selbstbestimmung sein und bleiben – die dramatisch in Europa wie im Vorderen Orient und im Kaukasus angewachsene Menge der Nationalstaaten also und die Regionen auch noch. Nicht zufällig geht es doch den kleinen Ländern besonders gut – Dänemark oder Luxemburg, Schweden, Norwegen auch und der Schweiz und bald hoffentlich wieder Irland, den Slowenen im postkommunistischen Teil Europas. Überdies wird sogar China sich föderal modernisieren müssen, wenn es auf Dauer nicht auseinanderbrechen will. Obwohl Ihr Buch „Religion nach der Aufklärung“ bereits 1986 erschienen und anschließend ausführlich diskutiert worden ist, gewinnt das Thema Religion nach der Jahrtausendwende in Ihren Publikationen neu an Gewicht. Dies mag einerseits an äußeren Faktoren liegen: am neu erwachten Bewusstsein für Religion als einen politischen und gesellschaftlichen Faktor im Anschluss an die Ereignisse des 11. September 2001. Gleichwohl könnte man darin andererseits auch eine innere Konsequenz Ihres Denkens sehen und vermuten, dass Ihre Philosophie inhaltlich auf das Thema Religion zuläuft. Jens Hacke hat etwa darauf hingewiesen, dass die eigentliche Begründungslast für die ethischen Dimensionen ihrer politischen Philosophie – Orientierung am „common sense“ und am Selbstverständlichen – durch die religionsphilosophischen Erörterungen getragen wird. Bildet die Religionsphilosophie eine Art Schlussstein Ihres Werks? „Schlussstein“ – das ist ein Wort der Baumetaphorik. Diese Metaphorik ist allen Systembauern in der Philosophie immer wichtig gewesen. Dahinter stecken Vollständigkeitsansprüche. Wir wissen aber inzwischen, nämlich kollektiv, zu viel, als dass solche Ansprüche heute noch erfüllbar wären. Man sollte sich damit begnügen, das was man zu sagen hat, in eine einigermaßen überschaubare Ordnung zu bringen. Es handelt sich bei meiner Philosophie um eine Phänomenologie moderner Lebenswelten in ihren evolutionären Tendenzen, und die Beantwortung der Frage, wieso entgegen den Erwartungen vieler Aufklärer und Ideologen des Totalitarismus auch noch die Religion kulturell und politisch einschließlich der Gewalt, zu der Menschen gerade auch in religiöser Bewegt-

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heit fähig sind, präsent blieb, hat mich tatsächlich fortdauernd beschäftigt. Was der common sense, also die lebenserfahrungsbewährte gemeine Urteilskraft leistet, kann man von der Frömmigkeit allerdings ebenso wenig erwarten wie auf der anderen Seite vom fachwissenschaftlichen Sachverstand und vom Expertenurteil. Gleichwohl kann man, was so zu unterscheiden ist, nicht trennen. Frömmigkeit bewirkt ja, wie man in Aufnahme traditioneller Lehre formulieren könnte, Resistenz gegen destruktive Wirkungen der Erfahrung mit wunsch- und erwartungswidrigen Ereignissen und Verläufen in der Wirklichkeit, und mit der Gewissheit des Endes aller Dinge lässt die Religion uns auch damit noch leben und das sogar gut. Insofern gilt natürlich: Das letzte Wort behält – was sonst – stets die Religion. Dann und wann einen Friedhof zu besuchen genügt ja, um das zu erkennen. Für die maßgebende Unterscheidung, die man hier zu treffen hat, zitiert Robert Spaemann gern die Lehre vom doppelten Willen Gottes. Danach ist, was Gott will, einerseits das, was wir tun sollen. Andererseits manifestiert sich, was Gott will, in allem, was er zulässt und was insofern tatsächlich geschieht. Die Wirkung der einschlägigen Anerkenntnis des Willens Gottes ist illusionsfreie Wirklichkeitsfähigkeit. Frömmigkeit macht insofern hyperrealistisch. Wer so spricht, zieht sich freilich oft reflexhaft das Urteil „Das ist ja Funktionalismus“ zu, und insbesondere Robert Spaemann hat ja den Funktionalismusvorwurf sehr gebräuchlich gemacht. „Funktion“ – das ist nun in der Tat ein technischer Terminus mit etwas kalter Anmutungsqualität. Ersetzen wir dieses Wort durch „Zweck“ oder „Absicht“. Hätten denn nun unsere Religionen weder Zweck noch Absicht? Lassen sie uns denn, als gute Religionen, nicht tatsächlich besser leben, und das in letzter Instanz mit der Auskunft, dass es sich bei dem Leben, wie wir hier es tatsächlich führen, nicht um das ewige Leben handeln kann? Könnte der Vorschlag von Holger Zaborowski, Ihre Religionsphilosophie durch eine philosophische Schöpfungslehre zu ergänzen, zu einer Verständigung mit Robert Spaemann in dieser Frage führen? Ja. Ein anderer häufig kritisierter Punkt ist Ihr Eintreten für die Idee der „Zivilreligion“ nach US-amerikanischem Vorbild als Alternative zum Laizismus, der in Europa lediglich eine Privatisierung der Religion und ihre Entfernung aus dem öffentlichen Raum intendiert. Dass dabei die US-amerikanischen Verhältnisse nicht unmittelbar auf unsere Situation übertragbar sind, ist evident. Was sind Ihre Beweggründe? Einige Kritiker des Zivilreligionskonzepts haben es für das Konzept einer Mini-Religion gehalten, das man in freundlicher, speziell auch religionsfreundlicher Absicht der Politik andienen möchte. In Wirklichkeit erfüllt dieser Begriff deskriptive Zwecke und lenkt entsprechend die Aufmerksamkeit auf die faktische Präsenz der Religion im öffentlichen Leben. Für den Sonderfall der USA, wo man ja die Gegebenheiten der so genannten civil religion zuerst erforscht hat, gilt das ohnehin. God bless you – mit diesem frommen Wunsch beschließt der Präsident viele Reden, und auf jeder One-Dollar-Note lesen wir: In God we trust. In Europa ist man zurückhaltender, nicht nur in den Ländern strikt laizistischer Tradition, sondern auch dort, wo man es mit rezenten staatskirchenrechtlichen Traditionen zu tun hat. Gleichwohl: Auch unsere Verfassung nennt Gott, die Schlussformeln

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von Eiden in ihrer vollständigen Fassung tun es auch, Landesverfassungen verpflichten Lehrer, die Kinder zur Ehrfurcht vor Gott zu erziehen, und sogar der Bundespräsident hat ihm schon öffentlich gedankt. Das alles geschieht keineswegs nach den Regeln des Staatskirchenrechts. Wir haben es in den zitierten Fällen vielmehr mit religiös formiertem staatlichem Recht zu tun, und beim Bundespräsidenten eben mit einem Christen, der nicht annimmt, dass der Raum der Politik sich als gottfreie Zone organisieren ließe. Eine andere Frage ist, wieso just in den USA als einem Land besonders rigoroser Trennung von Kirche und Staat, die Religion im öffentlichen Leben eine ungleich größere Lebendigkeit entfaltet als bei uns. Man erkennt es, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Trennung von Staat und Kirche in den USA ja nicht einem religionskritischen laizistischen Impuls entstammt, vielmehr der Absicht, die Religion als Teil des persönlichen und gemeinschaftlichen Lebens dem Staatswillen zu entziehen. Mit Blick auf die Zukunft wird man vermuten dürfen, dass Trennungssysteme für die Bewältigung der religionspolitischen Folgeprobleme der Globalisierung geeigneter sind als die Systeme der staatskirchenrechtlichen Privilegierung der verfassten Religionsgemeinschaften in der Tradition untergegangener Staatskirchentümer. So oder so: Die von mir analysierten Phänomene der Zivilreligion repräsentieren nicht ein intellektuelles oder gar politisches Konstrukt zu religionsfremden Zwecken. Der Gott, den der amerikanische Präsident in seinen Gebeten in Amtsausübung, indem er ja Christ ist, anruft, ist nicht der Gott der Philosophen, vielmehr der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Zum Abschluss dieses Rückblicks die summarische Frage: Was soll bleiben – oder was glauben Sie wird bleiben von der Philosophie Hermann Lübbes? Was möchte man, dass vom eigenen Tun über sein Ende hinaus bleibt? Die Beantwortung dieser Frage überlasse ich, Interesse vorausgesetzt, gern meiner Nachwelt. Auch und gerade insoweit hat man die Zukunft nicht in der Hand, und es wäre grob lebenssinnwidrig, sich einschlägige Sorgen zu machen. Gleichwohl: Meine Arbeiten haben ja Interesse gefunden, und sie mögen das auch noch in Zukunft tun. Man selbst kann nur sagen, was einem in der eigenen Arbeit am wichtigsten war. Erstens, kulturtheoretisch, die Erklärung der manifesten Tendenzen der Selbsthistorisierung der modernen Zivilisation aus ihrer Evolutionsdynamik, die uns unsere Vergangenheit fremder macht, die unbekannte Zukunft näher rücken und somit die Gegenwart schrumpfen lässt. Zweitens, politiktheoretisch, die Plausibilisierung, wieso just unsere fortschreitende Abhängigkeit von den Leistungen der Experten politisch nicht deren Macht, vielmehr die der Nutzer dieser Leistung expandieren lässt. Das gute Leben ist eben nicht ein Objekt des Sachverständigenurteils. Die Modernisierung bewirkt einen sozialen Sachzwang zur Demokratie, und sogar neue Formen direkter Demokratie werden wahrscheinlicher. Drittens, religionsphilosophisch, die Einsicht, dass der Zivilisationsprozess über die Vorzüge hinaus, die ihn antrieben, zugleich die Probleme aufdringlicher macht, auf die vernünftigerweise einzig sich religiös antworten lässt.

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Pragmatische Bibliographie Hermann Lübbe 1951-2009 Absicht der vorliegenden Bibliographie ist es, einen Überblick über das philosophische Werk Hermann Lübbes zu geben. Die vollständige Auflistung seines Schrifttums – es umfasst über 1.800 Titel – würde den Rahmen dieses Bandes sprengen. Eine chronologisch geordnete Aufstellung sämtlicher Publikationen ist im Internet unter www.philosophie.uzh.ch/institut/emeriti/luebbe.html zugänglich. Auswahlbibliographien der Schriften von 1954-1989 finden sich überdies in: G. Kohler/H. Kleger (Hg.), Diskurs und Dezision. Politische Vernunft in der wissenschaftlichen Zivilisation. Hermann Lübbe in der Diskussion, Wien 1990, 373-388 (zusammengestellt von R. Lübbe), sowie in A. Mercier/M. Svilar (Hg.), Philosophes critiques d'eux-mêmes, vol. 14, Bern – Frankfurt/M. – New York – Paris 1990, 77-90. Die vorliegende Auswahl konzentriert sich demgegenüber auf die wichtigsten Veröffentlichungen. Sie ordnet die Schriften nach Gattungen chronologisch als A. Monographien B. Kleinere Beiträge C. Sammelbände D. Bücher in Mitautorschaft E. Bücher in Herausgeberschaft F. Aufsätze (Auswahl) G. Wissenschaftliche Sekundärliteratur zu Hermann Lübbe (Auswahl) Primäre Bezugsgrößen sind dabei die selbständig veröffentlichten Einheiten (= A.-E.): Monographien (= A.) und Sammelbände (= C.) sind vollständig erfasst. Kleinere Beiträge (= B.), Bücher in Mitautorschaft und Herausgeberschaft (= D. und E.) sind aufgeführt, soweit Hermann Lübbe auf dem Titelblatt als Autor, Mitautor oder Herausgeber ausgewiesen und als solcher über den Karlsruher Virtuellen Katalog zu ermitteln ist. – Die vorliegende Aufstellung macht sich darüber hinaus die Tatsache zunutze, dass Hermann Lübbe selbst dafür gesorgt hat, die wichtigsten seiner unselbständig veröffentlichten Beiträge (Artikel in Zeitschriften und Zeitungen, Interviews etc.) in Sammelbänden zugänglich zu machen. Sie erscheinen entsprechend unter diesen (= C.), verbunden mit dem Nachweis ihrer Erstveröffentlichung. Als Aufsätze (= F.) sind dagegen nur solche genannt, die nicht Eingang in einen der Sammelbände gefunden haben und die darüber hinaus für das Werk Lübbes repräsentativ oder von besonderer Bedeutung sind. Auch hier gilt als Kriterium die Erstveröffentlichung. Auf den Nachweis weiterer Wiederabdrucke wurde in beiden Fällen verzichtet. Gleiches gilt für den Nachweis von Übersetzungen.

A. Monographien (A.1) Die Vollendung der Ding-an-sich-Problematik im Werke Kants, Dissertation, Philosophische Fakultät Universität Freiburg/Br. vom 7.2.1951 [unveröffentlicht]. (A.2) Die Transzendentalphilosophie und das Problem der Geschichte. Untersuchungen zur Genesis der Geschichtsphilosophie (Kant, Fichte und Schelling), Habilitation, Philosophische Fakultät Universität Erlangen 1957 [unveröffentlicht].

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(A.3) Politische Philosophie in Deutschland. Studien zu ihrer Geschichte, Basel – Stuttgart 1963. München 1974 (Taschenbuchausgabe). Koreanische Übersetzung: Togil ui chongch’i ch’orhak. Hegel sahu put’o che il ch’a segye taejon kkaji. Parun sori Il, Seoul 1985. Japanische Übersetzung: Doitsu seiji tetsugaku shi. Hegel no shi yori daiichi ji sekaitaisen made, Hosei 1998.

(A.4) Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs, Freiburg/Br. – München 1965. 2 1975. 32003 (um ein Nachwort erweiterte Neuausgabe). Italienische Übersetzung: La secolarisazione. Storia e analisi di un concetto, Bologna 1970.

(A.5) Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse. Analytik und Pragmatik der Historie, Basel – Stuttgart 1977. (A.6) Zeit-Verhältnisse. Zur Kulturphilosophie des Fortschritts, Graz – Wien – Köln 1983. (A.7) Religion nach der Aufklärung, Graz – Wien – Köln 1986. 21990. 32004 (um ein neues Vorwort ergänzt). Lizenzausgabe Darmstadt 1991. (A.8) Politischer Moralismus. Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft, Berlin 1987. 21989. (A.9) Der Lebenssinn der Industriegesellschaft. Über die moralische Verfassung der wissenschaftlich-technischen Zivilisation, Berlin – Heidelberg – New York u.a. 1990. 21994. [Erweiterter Text der Vorlesung „Der Lebenssinn der Technik“, gehalten im Sommersemester 1988 an der Universität Stuttgart.]

(A.10) Im Zug der Zeit. Verkürzter Aufenthalt in der Gegenwart, Berlin – Heidelberg – New York u.a. 1992. 21994. 32003 (um ein Nachwort erweitert). (A.11) Abschied vom Superstaat. Vereinigte Staaten von Europa wird es nicht geben, Berlin 1994. (A.12) ,Ich entschuldige mich‘. Das neue politische Bußritual, Berlin 2001. 2003 (Taschenbuchausgabe). (A.13) Die Zivilisationsökumene. Globalisierung kulturell, technisch und politisch, München 2005. [Erweiterter Text der öffentlichen Antrittsvorlesung „Die Zivilisationsökumene. Globalisierung ökonomisch, kulturell und politisch“ im Sommersemester 2004 als Senior Fellow des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen.]

B. Kleinere Beiträge (B.1) Bibliographie der Heidegger-Literatur 1917-1955, Meisenheim/Glan 1957. Zuerst in: Zeitschrift für philosophische Forschung 11 (1957), 401-452.

(B.2) Der Streit um Worte. Sprache und Politik (= Bochumer Universitätsreden, 3), Bochum 1967. Wiederabdruck in: (C.3) Bewußtsein in Geschichten, 132-167.

(B.3) Ernst und Unernst der Zukunftsforschung, Freiburg/Br. 1971. Zuerst in: Merkur 23 (1969) [Heft 250], 125-130. – Wiederabdruck in: (C.1) Theorie und Entscheidung, 85-92.

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(B.4) Hessische Gesellschaftslehre oder die Grenzen des pädagogisch Erlaubten (= Hessischer Elternverein e.V., Bildung und Erziehung in der Diskussion, 2), Frankfurt/M. 1974. (B.5) Cassirer und die Mythen des 20. Jahrhunderts, Göttingen 1975. Wiederabdruck in: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 275-285. – Wiederabdruck in: (C.20) Philosophie in Geschichten, 77-87.

(B.6) Zukunft ohne Verheißung? Sozialer Wandel als politisches Orientierungsproblem, Troisdorf 1976. (B.7) Rehabilitation des Leistungsbegriffs. Chancengleichheit und Differenzierung, Berlin 1978. (B.8) Technischer und sozialer Wandel als Orientierungsproblem, München 1980. (B.9) Leistungsdruck. Über Ursachen einer aktuellen Klage, Mainz 1980. (B.10) Universitäten gestern und heute. Hochschulpolitik in der Bundesrepublik Deutschland (= Universität Dortmund, Berichte und Informationen, 29), Dortmund 1980. (B.11) Mut zur Vergangenheit – Über den deutschen Hang, dem Zeitgeist zu folgen, Münster 1980. (B.12) Wilhelm von Humboldt und die Berliner Museumsgründung 1830, Berlin 1980. Wiederabdruck in: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 187-206. – Wiederabdruck: „Veröffentlichung und Historisierung der Kunst. Wilhelm von Humboldt als Museumseinrichter“, in: (C.20) Philosophie in Geschichten, 11-30.

(B.13) Jugend auf dem Weg aus der Gesellschaft? – Nostalgie und Utopie (= Arbeitgeberverband der Hessischen Metallindustrie e.V., Schriftenreihe), Frankfurt/M. 1981. (B.14) Die Einheit von Naturgeschichte und Kulturgeschichte. Bemerkungen zum Geschichtsbegriff (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz, Abhandlungen der Geistesund Sozialwissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 1981, Nr. 10), Wiesbaden 1981. Wiederabdruck: „Die Einheit von Naturgeschichte und Kulturgeschichte“, in: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 64-80. – Wiederabdruck: „Die Einheit von Naturgeschichte und Kulturgeschichte. Zur Korrektur eines deutschen wissenschaftstheoretischen Vorurteils“, in: (C.20) Philosophie in Geschichten, 169-185.

(B.15) Nostalgie und Utopie. Über die Flucht aus der Gegenwart, Düsseldorf 1981. (B.16) Der Fortschritt und das Museum. Über den Grund unseres Vergnügens an historischen Gegenständen (= The 1981 Bithell Memorial Lecture), London 1982. Wiederabdruck in: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 13-29.

(B.17) Staat und Zivilreligion. Ein Aspekt politischer Legitimität (= Lessing-Heft, 3), Wolfenbüttel 1983. Zuerst in: N. Achterberg/W. Krawietz (Hg.), Legitimation des modernen Staates, Wiesbaden 1981, 40-64. Wiederabdruck in spanischer Übersetzung in: (C.11) Filosofía práctica y teoría de la historia, 79-108.

(B.18) Der Wertewandel und die Arbeitsmoral, Köln 1984. (B.19) Wandel der Wertvorstellungen. Auswirkungen des Wertewandels auf die Arbeitswelt und das Verbraucherverhalten, Wiesbaden 1984. (B.20) Das Lebensglück und die Arbeitsmoral. Alte Werte in einer sich wandelnden Welt, München 1984.

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Hanns-Gregor Nissing

(B.21) Die Gegenwart der Vergangenheit. Kulturelle und politische Funktionen des historischen Bewußtseins (= Vorträge der Oldenburgischen Landschaft, 14), Oldenburg i.O. 1985. (B.22) Wertewandel. Kulturelle Folgen des sozialen Fortschritts, Frankfurt/M. 1985. (B.23) Über Tendenzen der Flucht aus der Gegenwart. Zur aktuellen Zivilisations- und Gesellschaftskritik (= IHK-Schriftenreihe, 29), Münster 1985. (B.24) Rationalitätskrise. Die Stellung der Wissenschaften in der modernen Kultur, Mainz 1986. (B.25) Musealisierung. Über die Vergangenheitsbezogenheit unserer Gegenwart, Zug 1986. (B.26) Die Wissenschaften und ihre kulturellen Folgen. Über die Zukunft des common sense (= Vorträge der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften: G, Geisteswissenschaften, 285), Opladen 1987. (B.27) Die große und die kleine Welt – Regionalismus als europäische Bewegung (= Hochschule St. Gallen für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften, Aulavorträge, 50), St. Gallen 1990. Zuerst in einer kürzeren Fassung in: Nord-Friesland 16 (1982), 9-19. – Wiederabdruck in: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 30-45.

(B.28) Im Zug der Zeit. Über die Verkürzung des Aufenthalts in der Gegenwart (= Unternehmerforum Lilienberg, Forum, 1), Ermatingen 1991. (B.29) Geschichtsphilosophie. Verbliebene Funktionen, Erlangen – Jena 1993. (B.30) Wahrheit und Mehrheit. Über die Realitätsfähigkeit organisierter Interessen in einer komplexen und dynamischen Zivilisation. Diskussion mit Hermann Lübbe, Frankfurt/M. 1994. (B.31) Zeit-Erfahrungen. Sieben Begriffe zur Beschreibung moderner Zivilisationsdynamik (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur zu Mainz, Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 1996, Nr. 5), Stuttgart 1996. Wiederabdruck in: (C.15) Modernisierung und Folgelasten, 23-50.

(B.32) Der „Superstaat“ findet nicht statt. Vereinigte Staaten von Europa wird es nicht geben (= Lilienbergschrift, 9), Ermatingen 1996. (B.33) Netzverdichtung. Über den Funktionswandel der Metropolen (= Stadtfreiheitstag), Regensburg 1997. (B.34) Zwischen Herkunft und Zukunft. Bildung in einer dynamischen Zivilisation. Mit einem Vorwort von Hubert Christian Ehalt, Wien 1998. (B.35) Technokratie. Politische und wirtschaftliche Schicksale einer philosophischen Idee (= 16. GEP-Vorlesung, ETH Zürich), Zürich 1998. Zuerst in: WeltTrends 18 (Frühjahr 1998), 39-61. – Wiederabdruck in: (C.17) Politik nach der Aufklärung, 11-37. – Wiederabdruck in gekürzter Form: „Technokratie – auch eine gescheiterte Utopie“, in: (C.18) Aufklärung anlaßhalber, 53-62.

(B.36) Eine europäische Nation gibt es nicht. Unionsbildung und staatliche Pluralisierung, Ermatingen 1999. Wiederabdruck: „Europäische Supranationalität. Unionsbildung und staatliche Pluralisierung“, in: (C.17) Politik nach der Aufklärung, 215-237.

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(B.37) Die vernetzte Welt. Kulturelle und politische Konsequenzen (= Schriftenreihe zu politischen, philosophischen und religiösen Fragen unserer Zeit, 17), Dresden 2000. (B.38) Schrumpft die Gegenwart? Über die veränderte Gegenwart von Zukunft und Vergangenheit (= Panta rhei, 23), Luzern 2000. (B.39) Medien- und Gesellschaftswandel (= Hambacher Mediendialog, 1), München 2002. (B.40) Zustimmungsfähige Modernität. Gründe einer marginal verbliebenen Rezeption Eric Voegelins (= Occasional Papers. Eric-Voegelin-Archiv Ludwig-Maximilians-Universität München, 34), München 2003. Wiederabdruck: „Die Religion und die Legitimität der Neuzeit. Modernisierungsphilosophie bei Eric Voegelin, bei Hans Blumenberg und in der Ritterschule“, in: (C.19) Modernisierungsgewinner, 58-79.

(B.41) Säkularisation – Modernisierung und die Zukunft der Religion (= Texte aus dem Landeshaus, 31), Münster 2003. (B.42) Gemeinwohl und Bürgerinteresse. Über die abnehmende politische Repräsentanz des Common Sense (= Veröffentlichungen der Hanns-Martin Schleyer-Stiftung, 69), Köln 2007.

C. Sammelbände (C.1) Theorie und Entscheidung. Studien zum Primat der praktischen Vernunft, Freiburg/Br. 1971. – „Zur Theorie der Entscheidung“ (7-31). – Zuerst in: E.-W. Böckenförde u.a. (Hg.), Collegium Philosophicum. Studien. Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, Basel – Stuttgart 1965, 118-140. – „Zur politischen Theorie der Technokratie“ (32-53). – Zuerst in: Der Staat 1 (1962), 19-38. –Wiederabdruck in: (C.8) Praxis der Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichtstheorie, 35-60. – Wiederabdruck in spanischer Übersetzung in: (C.11) Filosofía práctica y teoría de la historia, 31-50. – „Rationalisierung der Politik“ (54-61). – Zuerst in: Studium generale der Universität Heidelberg 21 (1968), 705-711. – „Herrschaft und Planung. Die veränderte Rolle der Zukunft in der Gegenwart“ (62-84). – Zuerst in: H. Rombach (Hg.), Die Frage nach dem Menschen. Aufriß einer philosophischen Anthropologie. Festschrift. Max Müller zum 60. Geburtstag, Freiburg/Br. 1966, 188-211. – Wiederabdruck in: (D.1) Modelle der Gesellschaft von morgen, 7-29. – „Ernst und Unernst der Zukunftsforschung“ (85-92). – Siehe unter: (B.3). – „Hegels Kritik der politisierten Gesellschaft“ (93-110). – Zuerst in: Schweizer Monatshefte 47 (1967), 237-251. – „Geschichtsphilosophie und politische Praxis“ (111-133). – Zuerst in: G.-K. Kaltenbrunner (Hg.), Hegel und die Folgen (= Sammlung Rombach N.F., 7), Freiburg/Br. 1970, 115-135. – „Freiheit und Verbindlichkeit“ (134-143). – Zuerst in: Deutsches Institut für Bildung und Wissen (Hg.), Wahrheit, Freiheit, Toleranz, Frankfurt/M. 1965, 80-87. – „Dezisionismus in der Moraltheorie Kants“ (144-158). – Zuerst in: H. Barion u.a. (Hg.), Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt, Zweiter Teilband, Berlin 1968, 567-578. – „Zur Geschichte des Ideologie-Begriffs“ (159-181). – Zuerst in: (D.1) Gesellschaftsbezogene Philosophie, 9-34.

(C.2) Hochschulreform und Gegenaufklärung. Analysen, Postulate, Polemik zur aktuellen Hochschul- und Wissenschaftspolitik (= Herder-Taschenbuch, 418), Freiburg/Br. 1972. – „Vorwort“ (9-11). – „Wissenschaftspolitik, Wissenschaft und Politik“ (13-28). – Zuerst in: H. Wenke/J.H. Knoll (Hg.), Festschrift zur Eröffnung der Ruhr-Universität Bochum, Bochum 1965, 136-149. – „Wissenschaft und Kulturpolitik. Eine Verteidigung der ‚technokratischen‘ Form ihrer Zusammenarbeit“ (29-41). – Zuerst in: H. Scheuerl (Hg.), Erziehungswissenschaft, Bildungspolitik, Schulreform. Bericht über den Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft vom 12.-15. April 1970 in der Kongresshalle in Berlin (= Zeitschrift für Pädagogik, 9. Beiheft), Weinheim – Berlin – Basel 1971, 297-305.

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Hanns-Gregor Nissing

– „Katheder und Tribüne – ein Plädoyer gegen ihre Verwechslung“ (43-46). – Zuerst: „Was soll Politik im Hörsaal? Katheder und Tribüne – ein Plädoyer gegen ihre Verwechslung“, in: Deutsche Zeitung Nr. 19 vom 7.5.1971. – „Wissenschaftspluralismus“ (47-51). – Zuerst: „Wissenschaftspluralismus. So dunkel ist der Fortschritt“, in: Die Welt Nr. 112 vom 15.5.1971. – „Gegenaufklärung“ (53-56). – Zuerst: „Die neue Gegenaufklärung“, in: Deutsche Zeitung Nr. 35 vom 27.8.1971. – „Das Elend der Universitäten“ (57-68). – Erstveröffentlichung. – „Universitätskrise! Staatskrise?“ (69-74). – Zuerst: „Die Parasiten im Elfenbeinturm. Hochschulreform und neue Jugendbewegung: Eine Polemik“, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt Nr. 49 vom 6.12.1970. – „Flucht in die Zukunft“ (75-79). – Erstveröffentlichung. – „Wider das hochschulpolitische Mitläufertum“ (81-86). – Zuerst: „Freiheit braucht Zivilcourage. Wider das hochschulpolitische Mitläufertum“, in: Die Welt Nr. 158 vom 11.7 1970. – „Professoren“ (87-91). – Erstveröffentlichung. – „Bund ‚Freiheit der Wissenschaft‘: Was zu tun ist“ (93-103). – Zuerst: „Was man praktisch tun kann. Der Bund ‚Freiheit der Wissenschaft‘ will Information und Solidarität in Hochschulfragen organisieren“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 271 vom 23.11.1970. – „Der Bund ‚Freiheit der Wissenschaft‘ als hochschulpolitische Gretchenfrage“ (105-107). – Zuerst in: Vorwärts Nr. 50 vom 10.12.1970. – „Wilhelm von Humboldts preußische Universitätsreform“ (109-118). – Zuerst: „Mythos oder Modell? Humboldts preußische Universitätsreform“, in: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt Nr. 25 vom 18.6.1967, 13. – „Reformprobleme der philosophischen Fakultät“ (119-130).– Zuerst ín: Pädagogische Rundschau 20 (1966), 249-255. – „Einige Probleme der Organisationsplanung in der geisteswissenschaftlichen Forschung“ (131-140). – Zuerst in: Deutsche Forschungs-Gemeinschaft (Hg.), Kolloquium über Forschungsplanung, Wiesbaden 1971, 116-124. – „Die sogenannte Begabtenförderung. Situation und Chancen der Studienstiftung des Deutschen Volkes“ (141-153). – Erstveröffentlichung. – „Gesamthochschule“ (155-158). – Zuerst: „Reformfetisch Gesamthochschule. Längeres Studium und ausufernde Verwaltungskosten“, in: Rheinischer Merkur Nr. 22 vom 28.5.1971.

(C.3) Bewußtsein in Geschichten. Studien zur Phänomenologie der Subjektivität. Mach, Husserl, Schapp, Wittgenstein, Freiburg/Br. 1972. – „Die geschichtliche Bedeutung der Subjektivitätstheorie Edmund Husserls“ (9-32). – Zuerst in: Neue Zeitschrift für systematische Theologie 2 (1960), 300-319. – „Positivismus und Phänomenologie (Mach und Husserl)“ (33-62). – Zuerst in: H. Höfling (Hg.), Beiträge zu Philosophie und Wissenschaft. Wilhelm Szilasi zum 70. Geburtstag, München 1960, 161-184. – „Husserl und die europäische Krise“ (63-80). – Zuerst in: Kant-Studien 49 (1957/58), 225-237. – „‚Sprachspiele‘ und ‚Geschichten‘, Neopositivismus und Phänomenologie im Spätstadium“ (81-114). – Zuerst in: Kant-Studien 52 (1960/61), 220-243. – „Wittgenstein – ein Existentialist?“ (115-131). – Zuerst in: Philosophisches Jahrbuch 69 (1962), 313-324. – „Der Streit um Worte. Sprache und Politik“ (132-167). – Siehe unter: (B.2).

(C.4) Fortschritt als Orientierungsproblem. Aufklärung in der Gegenwart, Freiburg/Br. 1975. – „Philosophie als Aufklärung“ (7-31). – Zuerst in: M. Riedel (Hg.), Rehabilitierung der praktischen Philosophie. Band I: Geschichte – Probleme – Aufgaben, Freiburg/Br. 1972, 243-265. – Wiederabdruck in: (C.8) Praxis der Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichtstheorie, 5-34. – Wiederabdruck in spanischer Übersetzung in: (C.11) Filosofía práctica y teoría de la historia, 7-30. – „Traditionsverlust und Fortschrittskrise. Sozialer Wandel als Orientierungsproblem“ (32-56). – Erstveröffentlichung. – Wiederabdruck in: (C.8) Praxis der Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichtstheorie, 123-152. – Wiederabdruck in spanischer Übersetzung in: (C.11) Filosofía práctica y teoría de la historia, 131-154. – „Lebensqualität oder Fortschrittskritik von links“ (57-74). – Zuerst in: Schweizer Monatshefte 53 (1973) [Heft 9], 606-620. [Nicht identisch mit dem gleichnamigen Beitrag in: (C.7) Endstation Terror, 135-137.]

Pragmatische Bibliographie Hermann Lübbe 1951-2009

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– „Instrumentelle Vernunft. Zur Kritik eines kritischen Begriffs“ (75-120). – Erstveröffentlichung. – Wiederabdruck in gekürzter Fassung: „Instrumentelle Vernunft. Max Horkheimers trivialitätsscheuer AntiPositivismus“, in: (C.20) Philosophie in Geschichten, 225-247. – „Ideologiekritik der Technokratie-Kritik“ (121-133). – Zuerst: „Bemerkungen zur aktuellen Technokratie-Diskussion“, in: H. Lenk (Hg.), Technokratie als Ideologie. Sozialphilosophische Beiträge zu einem politischen Dilemma, Stuttgart – Berlin – Köln – Mainz 1973, 94-104. – „Sein und Heißen. Bedeutungsgeschichte als politisches Sprachhandlungsfeld“ (134-153). – Erstveröffentlichung. – Wiederabdruck in überarbeiteter Form in: (C.20) Philosophie in Geschichten, 198-212. – „Was heißt ‚Das kann man nur historisch erklären‘?“ (154-168). – Zuerst in: R. Koselleck/W.-D. Stempel (Hg.), Geschichte – Ereignis und Erzählung (= Poetik und Hermeneutik, 5), München 1973, 542-554. – Wiederabdruck in: (C.20) Philosophie in Geschichten, 186-197. – „Vollendung der Säkularisierung – Ende der Religion?“ (169-181). – Zuerst in: O. Schatz (Hg.), Was wird aus dem Menschen? Der Fortschritt – Analysen und Warnungen bedeutender Denker, Graz – Wien – Köln 1974, 145-158.

(C.5) Unsere stille Kulturrevolution, Zürich 1976. – „Die Schule – Institut programmierter Dekultivierung“ (7-12). – Zuerst in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 103 vom 4.5.1973. – „Wozu Historie?“ (13-20). – Erstveröffentlichung. – „Die pädagogische Kultur jugendlicher Distanzgefühle“ (20-33). – Zuerst in: Bildung konkret. Zeitung des Deutschen Lehrerverbandes Nr. 11/1976 [November], 6-9. – „Lob der ideologischen Verblüffungsfestigkeit“ (34-52). – Zuerst „Hochschulreformpolitik in der Bundesrepublik Deutschland und in der Schweiz – ein Vergleich“, in: Hochschulpolitische Informationen 4 (1973) [Nr. 16 vom 10.8.1973, 11-13, und Nr. 17 vom 31.8.1973, 11-13]. – „Zur Metakritik der Kritik an der technischen Intelligenz“ (53-70). – Zuerst in: Beilage der VDINachrichten [Die Vorträge der Plenarversammlung zum Deutschen Ingenieurtag 1973, Düsseldorf, November 1973] 27 (1973) [Nr. 45 vom 7.11.1973]. – „Die religiöse Welle“ (71-76). – Zuerst in: ibw-Journal 10 (1972) [Nr. 2], 1-2. – „Provokation der Philosophie in Orientierungskrisen“ (76-98). – Erstveröffentlichung. – „Zur Philosophie der aktuellen Erziehungsrevolution“ (98-117). – Erstveröffentlichung.

(C.6) Wissenschaftspolitik. Planung, Politisierung, Relevanz, Zürich 1977. – „Relevanz contra Curiositas. Über die anwachsende Wissenschaftsfeindschaft“ (7-29). – Erstveröffentlichung. – „Geschichtsinteresse und Nationalkultur. Kulturelle und politische Funktionen der historischen Geisteswissenschaften“ (30-53). – Erstveröffentlichung. – „Wissenschaftsautonomie und Staatsinteresse. Besonderheiten deutscher Wissenschaftspolitik“ (5464). – Erstveröffentlichung. – „Planung oder Politisierung der Wissenschaft. Zur Kritik einer kritischen Wissenschaftsphilosophie“ (65-86). – Zuerst in: (E.5) Die politische Herausforderung der Wissenschaft, 13-23.

(C.7) Endstation Terror. Rückblick auf lange Märsche, Stuttgart 1978. – „Worum es sich in diesem Buch handelt“ (7-13) – „Terroristen, Sympathisanten und weitere Kreise“ (14-18). – Zuerst: „Die wahren Ursachen des Terrors“, in: Deutsche Zeitung Nr. 23 vom 27.5.1977, 2. – „Kriminell oder politisch?“ (19-22). – Zuerst: „Wirklich nur kriminell?“, in: Deutsche Zeitung Nr. 52/1 vom 27.12.1974. – „Für eine Fortsetzung der Terror-Diskussion“ (23-28). – Zuerst: „Die Sache mit den Sympathisanten. Scharfmacher – das sind die anderen“, in: Deutsche Zeitung Nr. 43 vom 14.10.1977, 3. – „Eine akademische Szene“ (29-32). – Zuerst in: Deutsche Zeitung Nr. 12 vom 14.3.1975, 2. – „Legitimitätsschwäche und Jugendbewegung“ (33-46). – Zuerst in: Merkur 28 (1974) [Heft 318], 1005-1014. – „Der lange Marsch durch die Bildungsinstitutionen“ (47-57). – Zuerst in gekürzter Fassung: „Ideologische Aggression und die Strategie der Systemüberwindung“, in: Basler Nachrichten Nr. 335 vom 28.10.1972. – In ungekürzter Fassung: „Der lange Marsch durch die Bildungsinstitutionen. Ursachen und Ziele aktueller ideologischer Aggression“, in: Zeitschrift für Politik 20 (1973), 13-19. – „Lage und Zukunft der Hochschulen“ (58-68). – Erstveröffentlichung.

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– „Warum ist es an den schweizerischen Hochschulen ruhiger?“ (69-72). – Zuerst: „Universitäten aus eidgenössischer Vernunft“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 208 vom 7.9.1973, 14-15. – „Fach- und andere Idioten. Politische Erpressung mit technischen Mitteln“ (73-76). – Zuerst: „Macht der Fachidioten. Technisches Können darf nicht zur Erpressung werden“, in: Deutsche Zeitung Nr. 37 vom 13.9.1974, 2. – „Politisierung. Deutsche Erfahrungen mit einem Schlagwort“ (77-81). – Zuerst: „Grenzen der Politik. Deutsche Erfahrungen mit dem Schlagwort Politisierung“, in: Deutsche Zeitung Nr. 33 vom 15.8.1976, 2. – „Legitimität und Regierbarkeit“ (82-86). – Zuerst: „Zweifel am System“, in: Deutsche Zeitung Nr. 32 vom 9.8.1974, 2. – „Der Verfassungstag ist kein Verfassungsschutztag“ (87-90). – Zuerst: „Schwäche des Systems. Der Verfassungstag darf kein Verfassungsschutztag werden“, in: Deutsche Zeitung Nr. 5 vom 1.2.1974, 2. – „Theoriediskussion“ (91-94). – Zuerst: „Theoretiker-Defizit. Die Neue Linke produziert vor allem Besserwisserei“, in: Deutsche Zeitung Nr. 14 vom 5.4.1974, 2. – „Warnung vor Ideologiediskussionen“ (95-109). – Zuerst in: H. Baier (Hg.), Freiheit und Sachzwang. Beiträge zu Ehren Helmut Schelskys, Opladen 1977, 156-166. – „Das Godesberger Programm und die Theoriediskussion“ (110-114). – Zuerst: „Godesberg für kleine Leute (H. Lübbe über A. und G. Schwan: ‚Sozialdemokratie und Marxismus‘)“, in: Der Spiegel Nr. 6 vom 3.2.1975, 119-120. – „Wandel durch Annäherung – auch ideologisch?“ (115-118). – Zuerst: „Gespannte Entspannung. Wandel durch Annäherung – vor den Ruinen eines Schlagworts“, in: Deutsche Zeitung Nr. 6 vom 6.2.1976, 2. – „Totalitarismus – ein entspannungsfeindlicher Begriff?“ (119-122). – Zuerst: „Haltet den Begriff! Wer über Totalitarismus redet, gilt als Gegner der Entspannung“, in: Deutsche Zeitung Nr. 37 vom 5.9.1975, 2. – „Kann man mit Taktik Wahlen gewinnen“ (123-127). – Zuerst: „Die Jusos sind noch da. Taktische Distanzierung allein beruhigt die Wähler nicht“, in: Deutsche Zeitung Nr. 22 vom 31.5.1974, 2. – „Für die Pragmatiker“ (128-130). – Zuerst in: Deutsche Zeitung Nr. 22 vom 23.5.1975, 2. – „Reform oder Revolution – eine unzeitgemäße Alternative“ (131-134). – Erstveröffentlichung. – „Lebensqualität oder Fortschrittskritik von links“ (135-137). – Zuerst: „Nur ein Modeerfolg? Lebensqualität oder Fortschrittskritik von links“, in: Deutsche Zeitung Nr. 45 vom 9.11.1973, 2. [Nicht identisch mit dem gleichnamigen Beitrag in: (C.4) Fortschritt als Orientierungsproblem, 57-74.] – „Fortschritt als Orientierungsproblem im Spiegel politischer Gegenwartssprache“ (138-152). – Zuerst: „Wie fortschrittlich ist der Fortschritt noch? Orientierungsprobleme der Gegenwart im Spiegel der politischen Sprache“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 27 vom 1.2.1975 [Beilage Bilder und Zeiten]. – „Wer ist konservativ?“ (153-157). – Zuerst in: Die Welt Nr. 154 vom 6.7.1974 [Die Geistige Welt, II]. – „Marxistischer Historismus“ (158-162). – Zuerst: „Marx und Mausoleum. Über die Unfreiheit der Marxisten gegenüber der Geschichte“, in: Deutsche Zeitung Nr. 8 vom 11.2.1977, 2. – „Die Nebenflüsse der Donau – ein pädagogisches Ärgernis“ (163-167). – Erstveröffentlichung. – „Das Dilemma der Studienreform – wie werden kurze Regelstudiengänge möglich?“ (168-171). – Zuerst: „Studieren geht über Probieren. Das kurze Studium wird propagiert, das lange praktiziert“, in: Deutsche Zeitung Nr. 13 vom 29.3.1974, 11. – „Solidarität und Leistung“ (172-183). – Erstveröffentlichung. – „Unbehagen an der Wissenschaft“ (184-187). – Zuerst: „Thales im Brunnen. Forschung und Wissenschaft sind in Misskredit geraten“, in: Deutsche Zeitung Nr. 46 vom 7.11.1975, 2. – „Kultur in der Arbeitnehmerschaft“ (188-204). – Erstveröffentlichung. – „Deutscher P.E.N. als Hüter der Pressefreiheit“ (205-208). – Zuerst: „Gespaltene Dichterzunge. Der P.E.N.Club diskutierte sein Verhältnis zur Pressefreiheit“, in: Deutsche Zeitung Nr. 22 vom 28.5.1976, 2. – „Empfang in Deutschland“ (209-212). – Zuerst in: Deutsche Zeitung Nr. 31 vom 22.7.1977, 2.

(C.8) Praxis der Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichtstheorie (= Reclams UniversalBibliothek, 9895), Stuttgart 1978. – – – –

„Vorwort“ (3). „Philosophie als Aufklärung“ (5-34). – Siehe unter: (C.4) Fortschritt als Orientierungsproblem, 7-31. „Zur politischen Theorie der Technokratie“ (35-60). – Siehe unter: (C.1) Theorie und Entscheidung, 32-53. „Dezisionismus – eine kompromittierte politische Theorie“ (61-77). – Zuerst in: Schweizer Monatshefte 55 (1976) [Heft 12], 949-960. – Wiederabdruck in: (C.9) Philosophie nach der Aufklärung, 161-177. – Wiederabdruck in spanischer Übersetzung in: (C.11) Filosofía práctica y teoría de la historia, 51-64.

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– „Freiheit und Terror“ (78-96). – Zuerst in: Merkur 31 (1977) [Heft 352], 819-829. – Wiederabdruck in: (C.9) Philosophie nach der Aufklärung, 239-260. – Wiederabdruck in spanischer Übersetzung in: (C.11) Filosofía práctica y teoría de la historia, 65-78. – „Die Identitätspräsentationsfunktion der Historie“ (97-122). – Parallel erschienen in: O. Marquard/K. Stiele (Hg.), Identität, München 1979, 277-292. [Textlich z.T. angelehnt an die Kapitel 12 und 14 von: (A.5) Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse.] – Wiederabdruck in spanischer Übersetzung in: (C.11) Filosofía práctica y teoría de la historia, 109-130. – „Traditionsverlust und Fortschrittskrise. Sozialer Wandel als Orientierungsproblem“ (123-152). – Siehe unter: (C.4) Fortschritt als Orientierungsproblem, 32-56.

(C.9) Philosophie nach der Aufklärung. Von der Notwendigkeit pragmatischer Vernunft, Düsseldorf – Wien 1980. – „Vorwort“ (7-9). – „Wozu Philosophie? Aspekte einer ärgerlichen Frage“ (11-41). – Zuerst in: (E.6) Wozu Philosophie?, 127-147. – „Wissenschaft nach der Aufklärung“ (45-59). – Zuerst in: Schweizer Monatshefte 59 (1979) [Heft 2], 149-157. – „Religion nach der Aufklärung“ (59-85). – Zuerst: Zuerst in: W. Oelmüller/R. Dölle/J. Ebach/H. Przybylski (Hg.), Diskurs: Religion, Paderborn – München – Wien – Zürich 1979, 315-333. – „Wer kann sich historische Aufklärung leisten? Zum Streit um die politische Funktion der historischen Geisteswissenschaften“ (89-114). – Zuerst: „Wer kann sich Aufklärung leisten?“, in: Zeitschrift für Politik 23 (1976), 64-72. – „Wieso es keine Theorie der Geschichte gibt“ (115-141). – Zuerst in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 4 (1979), 1-16. – „Politischer Historismus. Zur Philosophie des Regionalismus“ (143-158). – Zuerst in: Merkur 33 (1979) [Heft 372], 415-424. – „Dezisionismus – eine kompromittierte politische Theorie“ (161-177). – Siehe unter: (C.8) Praxis der Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichtstheorie, 61-77. – „Sind Normen methodisch begründbar? Rekonstruktion der Antwort Max Webers“ (179-195). – Zuerst in: W. Oelmüller (Hg.), Transzendentalphilosophische Normenbegründungen. Materialien zur Normendiskussion, Band 1 (= UTB, 779), Paderborn 1978, 38-49. – „Pragmatismus oder die Kunst der Diskursbegrenzung“ (197-208). – Zuerst in: W. Oelmüller/R. Dölle/R. Piepmeier (Hg.), Diskurs: sittliche Lebensformen (= UTB, 778), Paderborn 1978, 344-352. – „Aspekte der politischen Philosophie des Bürgers“ (211-222). – Erstveröffentlichung. – „Studium und Bürgerkompetenz. Wissenschaftliche Fachzuständigkeit und Verstandeskultur“ (223238). – Zuerst in: Mitteilungen des Hochschulverbandes 26 (1978) [Heft 4], 217-222. – „Freiheit und Terror“ (239-260). – Siehe unter: (C.8) Praxis der Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichtstheorie, 78-96. – „Ideologische Selbstermächtigung zur Gewalt“ (261-273). – Zuerst in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 249 vom 27.10.1978, 35-36.

(C.10) Zwischen Trend und Tradition. Überfordert uns die Gegenwart?, Zürich 1981. – „Vergangenheit – ihre Lust und deutsche Last“ (7-22). – Erstveröffentlichung. – „Verdrängung – oder die Heilmethoden kritischer Nationaltherapeuten“ (22-37). – Erstveröffentlichung. – „Transparente Gesellschaft – Informationsdynamik im Alltag“ (37-53). – Zuerst leicht gekürzt: „Probleme der transparenten Gesellschaft. Der Informationsfortschritt und der Alltag der Menschen“, in: (D.4) Informationstechnik und Liberalität, 71-85. – „Allgemeinbildung – Nachfrage wie nie zuvor“ (53-60). – Erstveröffentlichung. – „Konservativ – ein Wort im Streit“ (60-67). – Erstveröffentlichung. – „Zwischen Restauration und Reform – Rückblick auf zukunftsfähige Vergangenheit“ (67-86). – Erstveröffentlichung.

(C.11) Filosofía práctica y teoría de la historia, Barcelona 1983. – „Filosofía como ilustación“ [„Philosophie als Aufklärung“] (7-30). – Siehe unter: (C.8) Praxis der Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichtstheorie, 5-34.

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Hanns-Gregor Nissing

– „Acerca de la teoría política de la tecnocracia“ [„Zur politischen Theorie der Technokratie“] (31-50). – Siehe unter: (C.1) Theorie und Entscheidung, 32-53. – „Decisionismo – Una teoría política comprometida“ [„Dezisionismus – eine kompromittierte politische Theorie“] (51-64). – Siehe unter: (C.8) Praxis der Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichtstheorie, 61-77. – „Libertad y terror“ [„Freiheit und Terror“] (65-78). – Siehe unter: (C.8) Praxis der Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichtstheorie, 78-96. – „Estado y religión civil. Un aspecto de la legitimidad política“ [„Staat und Zivilreligion. Ein Aspekt politischer Legitimität“] (79-108). – Siehe unter: (B.17). – „La función de presentación de identidad de la historia“ [„Die Identitätspräsentationsfunktion der Historie“] (109-130). – Siehe unter: (C.8) Praxis der Philosophie, Praktische Philosophie, Geschichtstheorie, 97-122. – „Pérdida de la tradición y crisis del progreso. Cambio social como problema de orientación“ [„Traditionsverlust und Fortschrittskrise. Sozialer Wandel als Orientierungsproblem“] (131-154). – Siehe unter: (C.4) Fortschritt als Orientierungsproblem, 32-56. – „Pérdida de experiencia y compensaciones. Acerca del problema filosófico de la experiencia en el mundo actual“ [„Erfahrungsverluste und Kompensationen. Zum philosophischen Problem der Erfahrung in der gegenwärtigen Welt“] (155-172). – Siehe unter: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 105-119.

(C.12) Fortschrittsreaktionen. Über konservative und destruktive Modernität, Graz – Wien – Köln 1987. – „Vorwort“ (7-9). – „Konservativismus in Deutschland – gestern und heute“ (11-26). – Zuerst: „Historische, philosophische und soziologische Wurzeln des Konservativismus“, in: H. Rühle/H.-J. Veen (Hg.), Der NeoKonservativismus in den Vereinigten Staaten und seine Auswirkungen auf die Atlantische Allianz (= Forschungsbericht, 16), Melle 1982, 86-106. – „‚Neo-Konservative‘ in der Kritik. Eine Metakritik“ (27-40). – Zuerst in einer längeren Fassung in: Merkur 37 (1983) [Heft 420], 622-632. – „Zur Philosophie des Liberalismus und seines Gegenteils“ (41-55). – Zuerst in: W. Linder/H. Helbling/H. Bütler (Hg.), Liberalismus – nach wie vor. Grundgedanken und Zukunftsfragen, Zürich 1979, 243-253. – „Politische Moral und politischer Widerstand“ (56-69). – Zuerst in kürzerer Fassung in: Widerstand im demokratischen Rechtsstaat? – Die Berliner Erklärung – CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Bonn 1984, 19-22. – „Koexistenzillusionen“ (70-74). – Zuerst: „Die ideologische Bedrohung“, in: Zentralkomitee der deutschen Katholiken (Hg.), Dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt. 88. Deutscher Katholikentag vom 4. bis 8. Juli 1984 in München. Dokumentation, München 1984, 653-656. – „Totalitarismus. Anmerkungen zu George Orwells ‚1984‘“ (75-84). – Zuerst in: H. Neumann/H. Scheer (Hg.), Plusminus 1984. George Orwells Vision in heutiger Sicht, Freiburg/Br. 1983, 99-107. – „Politischer Moralismus und direkte Aktion. Beschreibung eines Terrorfalles“ (85-92). – Zuerst: „Protest und Verweigerung. Ursachen und politische Konsequenzen“, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 27 (1982), 95-114. – „Neue Apokalyptik und alte Konstellationen“ (93-98). – Zuerst in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 79 vom 5./6.4.1985, 33-34. – „Politisches System und ökologisches Problem“ (99-109). – Zuerst: „Umweltschutz nicht ohne Marktwirtschaft. Ein Vergleich von Ideologien und politischen Systemen“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 123 vom 31.5.1986, 15. – „Zeit im Fortschritt“ (110-115). – Zuerst: „Verändertes kulturelles Verhältnis zur Zeit als Folge des technischen Fortschritts“, in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 22 vom 29.1.1986, 41. – „Kulturelle Konsequenzen technischer und sozialer Evolution“ (116-136). – Zuerst: „Der Pragmatismus in der Alltagskultur“, in: Bericht der Kommission „Zukunftsperspektiven gesellschaftlicher Entwicklungen“, erstellt im Auftrag der Landesregierung von Baden-Württemberg, Stuttgart 1983, 27-37. – „Die Wissenschaften und die Zukunft unserer Kultur“ (137-175), in: H. Maier-Leibnitz (Hg.), Zeugen des Wissens, Mainz 1986, 999-1023. – „Wiederentdeckung der Eliten“ (176-197). – Zuerst: „Eliten in der egalitären Gesellschaft“, in: R. Henn (Hg.), Beschäftigung und Technologietransfer. Beiträge zur Wirtschaftspolitik, Königstein/Ts. 1985, 27-45.

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– „Politische Kultur. Anmerkungen zu einem Stichwort“ (198-205). – Zuerst: „Staat ohne Symbole. Anmerkungen zum Stichwort ‚Politische Kultur‘“, in: Die politische Meinung 26 (1981) [Heft 194], 6-10. – „Preis der Freiheit“ (206-217). – Zuerst in: H.M. Baumgartner (Hg.), Prinzip Freiheit. Eine Auseinandersetzung um Chancen und Grenzen transzendentalphilosophischen Denkens. Zum 65. Geburtstag von Hermann Krings, Freiburg/Br. – München 1979, 187-200.

(C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte. Herausforderungen der Moderne vom Historismus bis zum Nationalsozialismus, Graz – Wien – Köln 1989. – „Vorwort“ (7-9). – „Der Fortschritt und das Museum. Über den Grund unseres Vergnügens an historischen Gegenständen“ (13-29). – Siehe unter: (B.16). – „Die große und die kleine Welt. Regionalismus als europäische Bewegung“ (30-45). – Siehe unter: (B.27). – „Historisierung und Ästhetisierung. Über Unverbindlichkeiten im Fortschritt. Robert Spaemann zum 60. Geburtstag“ (46-63). – Zuerst in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 30 (1985), 5-22. – „Die Einheit von Naturgeschichte und Kulturgeschichte“ (64-80). – Siehe unter: (B.14). – „Begriffsgeschichte als dialektischer Prozeß“ (81-87). – Zuerst in: Archiv für Begriffsgeschichte 19 (1975), 8-15. – „Die Politik, die Wahrheit und die Moral“ (88-104). – Zuerst in: Geschichte und Gegenwart 3 (1984), 288-304. – „Erfahrungsverluste und Kompensationen“ (105-119). – Zuerst: „Erfahrungsverluste und Kompensationen. Zum philosophischen Problem der Erfahrung in der gegenwärtigen Welt“, in: (D.6) Der Mensch als Orientierungswaise?, 145-168. – Wiederabdruck: „Erfahrungsverluste und Kompensationen. Orientierungsprobleme modern“, in: (C.20) Philosophie in Geschichten, 248-267. – Wiederabdruck in spanischer Übersetzung in: (C.11) Filosofía práctica y teoría de la historia, 155-172. – „Sozialwissenschaften und Politik. Der Werturteilsstreit als exemplarischer Fall“ (120-131). – Zuerst in einer kürzeren Fassung in: F.W. Korff (Hg.), Redliches Denken. Festschrift für Gerd-Günther Grau zum 60. Geburtstag, Stuttgart 1981, 64-77. – Wiederabdruck: „Sozialwissenschaften im Werturteilsstreit. Wider die politische Selbstprivilegierung von Theorien“, in: (C.20) Philosophie in Geschichten, 213-224. – „Gruppenuniversität. Revision eines Demokratisierungsprogramms“ (245-255). – Zuerst in: H. Baier u.a. (Hg.), Öffentliche Meinung und sozialer Wandel. Für Elisabeth Noelle-Neumann, Düsseldorf 1981, 245-255. – „Demoskopie als Aufklärung“ (145-159). – Zuerst in: Institut für Demoskopie Allensbach (Hg.), Demoskopie und Aufklärung, New York – London – Paris 1988, 32-44. – Wiederabdruck: „Demoskopie als Aufklärung. Über Meinungsdruckresistenzen“, in: (C.20) Philosophie in Geschichten, 268-281. – „Deutscher Idealismus als kulturpolitische Philosophie“ (163-186). – Zuerst: „Deutscher Idealismus als Philosophie preußischer Kulturpolitik“, in: O. Pöggeler/A. Gethmann-Siefert (Hg.), Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels (= Hegel-Studien, Beiheft 22), Bonn 1983, 3-27. – „Wilhelm von Humboldt und die Berliner Museumsgründung 1830“ (187-206). – Siehe unter: (B.12). – „Heinrich Heine und die Religion nach der Aufklärung“ (207-219). – Zuerst in: L’héritage de Kant. Mélanges philosophiques offerts au P. Marcel Régnier, directeur des Archives de Philosophie, Paris 1982, 413430. – Wiederabdruck: „Ein frommer Aufklärer. Heinrich Heine und die Religion“, in: (C.20) Philosophie in Geschichten, 31-43. – „Fontane und die Gesellschaft“ (220-256). – Zuerst in: H.-J. Schrimpf (Hg.), Literatur und Gesellschaft vom 19. ins 20. Jahrhundert. Benno von Wiese zum 60. Geburtstag, Bonn 1963, 229-273. – „Wissenschaft und Weltanschauung. Ideenpolitische Fronten im Streit um Emil Du Bois-Reymond“ (257-274). – Zuerst in: Philosophisches Jahrbuch 87 (1980), 225-241. – Wiederabdruck: „Wissenschaft und Weltanschauung. Kulturpolitische und erkenntnistheoretische Fronten im Streit um Emil Du BoisReymond“, in: (C.20) Philosophie in Geschichten, 59-76. – „Cassirer und die Mythen des 20. Jahrhunderts“ (275-285). – Siehe unter: (B.5). – „Historisch-politische Exaltationen. Spengler wiedergelesen“ (286-308). – Zuerst in: P.C. Ludz (Hg.), Spengler heute. Sechs Essays mit einem Vorwort von Hermann Lübbe, München 1980, l-24. – Wiederabdruck in: (C.20) Philosophie in Geschichten, 88-108. – „Carl Schmitt liberal rezipiert“ (309-322). – Zuerst in: H. Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1988, 427-440. – Wiederabdruck: „Carl Schmitt liberal rezipiert. Wider die intellektuelle Freund-Feind-Hermeneutik“, in: (C.20) Philosophie in Geschichten, 109-122. – „Die Institutionalisierung der Reflexion. Helmut Schelsky als Kritiker Arnold Gehlens“ (323-333). – Zuerst: „Helmut Schelsky und die Institutionalisierung der Reflexion“, in: Rechtswissenschaftliche Fa-

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kultät der Universität Münster (Hg.), Recht und Institution. Helmut Schelsky-Gedächtnis-Symposion Münster 1985, Berlin 1985, 59-70. – Wiederabdruck in: (C.20) Philosophie in Geschichten, 123-133. – „Der Nationalsozialismus im Bewußtsein der deutschen Gegenwart“ (334-350). – Zuerst: „Es ist nichts vergessen, aber einiges ausgeheilt. Der Nationalsozialismus im Bewußtsein der deutschen Gegenwart“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 19 vom 24.1.1983, 9. – Wiederabdruck in: (C.21) Vom Parteigenossen zum Bundesbürger, 11-38.

(C.14) Freiheit statt Emanzipationszwang. Die liberalen Traditionen und das Ende der marxistischen Illusionen, Zürich 1991. – „Vorwort“ (7-8). – „Die Lebensvorzüge freiheitlicher Ordnung“ (9-21). – Erstveröffentlichung. – „Liberalismus und Zivilisationsdynamik“ (22-28). – Zuerst in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 208 vom 7.9.1988, 23. – „Worüber man nicht abstimmen kann. Grenzen des Volkswillens in der liberalen Demokratie“ (2941). – Erstveröffentlichung. – „Einheit und Vielheit oder kulturelle Freiheit in europäischer Perspektive“ (42-55). – Zuerst: „Europäische Identität? Kulturelle Perspektiven“, in: Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland/Generalsekretariat des Europarats/Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (Hg.), 4. Konferenz der Europäischen Kultusminister, Berlin, 23.-25. Mai 1984, Konferenzbericht, Bonn 1987, 94-102. – „Konservativismus, Liberalismus und Sozialismus – stehen sie noch zur Wahl?“ (56-74). – Erstveröffentlichung. – „Die Nostalgie des Urbanen und die europäische Anti-Revolution des Jahres 1989“ (75-90). – Erstveröffentlichung. – „Der real existierende Sozialismus – nicht trotz, vielmehr wegen seiner schönen marxistischen Leitphilosophie gescheitert“ (91-97). – Zuerst: „Der Konkurs wird verwaltet. Ist der Sozialismus am Ende? Die Zeit-Umfrage, zweite Folge“, in: Die Zeit Nr. 40 vom 29.9.1989, 67. – „Philosophischer Denkmalsturz oder das Ende der marxistischen Einheit von Theorie und Praxis“ (98106). – Zuerst: „Denkmalsturz oder das Ende der sozialistischen Einheit von Theorie und Praxis“, in: Merkur 44 (1990) [Heft 492], 143-148. – „Die Frankfurter Schule oder das unglückliche Bewußtsein der intellektuellen Linken“ (107-111). – Zuerst: „Mit der ‚kritischen Theorie‘ ließ sich gutes Feuilleton, aber kein Klassenkampf machen“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 14 vom 3.6.1990, 22R, 4. – „Väter und Söhne. Wider die politromantische Verklärung der ‚Kritischen Generation‘“ (112-133). – Zuerst: „Der Mythos der ‚kritischen Generation’. Ein Rückblick“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ Nr. 20 vom 13.5.1988, 17-25.

(C.15) Modernisierung und Folgelasten. Trends kultureller und politischer Evolution, Berlin – Heidelberg 1997. – „Vorwort“ (V-IX). – „Netzverdichtung. Zur Philosophie industriegesellschaftlicher Entwicklungen“ (3-22). – Zuerst in: Zeitschrift für philosophische Forschung 50 (1996), 133-150. – Wiederabdruck in: (E.11) Technologische Entwicklung im Brennpunkt von Ethik, Fortschrittsglauben und Notwendigkeit, 49-78. – „Zeit-Erfahrungen. Sieben Begriffe zur Beschreibung moderner Zivilisationsdynamik“ (23-50). – Siehe unter: (B.31). – „Die Metropolen und das Ende der Provinz“ (51-58). – Zuerst: „Die Metropolen und das Ende der Provinz. Über Stadtmusealisierung“, in: H.-M. Körner/K. Weigand (Hg.), Hauptstadt. Historische Perspektiven eines deutschen Themas, München 1995, 15-27. – „Mobilität – vorerst unaufhaltsam“ (59-68). – Zuerst: „Mobilität. Verkürzter Aufenthalt in der Gegenwart“, in: H. Schaufler (Hg.), Mobilität und Gesellschaft. Hintergründe und Lösungen unserer Verkehrsprobleme, München 1993, 141-153. – „Große und kleine Räume. Die europäische Einigung in der zivilisatorischen Evolution“ (71-86) – Zuerst in: Konferenz der Deutschen Akademien der Wissenschaften/Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Hg.), Europa – Idee, Geschichte, Realität, Mainz 1996, 159-183.

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– „Ermunterung zu europapolitischem Pragmatismus. Ein Gespräch mit Adalbert Reif, Die Welt“ (8793). – Zuerst: „‚Gott bewahre Europa vor neuen Heilsutopien‘. Mit Prof. Hermann Lübbe sprach Adalbert Reif“, in: Die Welt Nr. 147 vom 27.6.1994, 7. – „Selbstbestimmung und staatliche Souveränität im politischen Wandel“ (94-101). – Zuerst: „Staatliche Souveränität, internationale Organisation und Regionalisierung“, in: K. Kaiser/H.-P. Schwarz (Hg.), Die neue Weltpolitik. Schriften des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (= Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe, 334), Bonn 1995, 187-195. – „Nach 1989. Wider die falschen Sorgen. Ein Gespräch mit Georg Kohler, Neue Zürcher Zeitung“ (102109). – Zuerst: „Wider die falschen Sorgen. Ein Gespräch mit Hermann Lübbe“, in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 143 vom 25.6.1993, 35-36. – „Beschäftigungspolitik in geschlossenen und offenen Gesellschaften. Der real existent gewesene Sozialismus im Vergleich“ (110-119). – Erstveröffentlichung. – „Standort Deutschland oder die industriegesellschaftliche Zukunft unseres Landes – 25 Thesen“ (120127). – Zuerst in: V.J. Kreyher/C. Böhret (Hg.), Gesellschaft im Übergang, Baden-Baden 1995, 269-275. – „Moral und Moderne. Über die Moralisierung des Lebens in der wissenschaftlich-technischen Zivilisation“ (131-146). – Erstveröffentlichung. – „AIDS und Selbstbestimmung. Über einige moralische Regeln des Umgangs mit AIDS-Tatsachen“ (147-155). – Zuerst in: Forum Ethik und Berufsethik 1 (1989) [Heft 2], 13-18. – „AIDS-Moral in der parlamentarischen Anhörung“ (156-165). – Zuerst: „Diskussion zu: AIDS und Selbstbestimmung. Über einige moralische Regeln des Umgangs mit AIDS-Tatsachen“, in: AIDS: Fakten und Konsequenzen. Endbericht der Enquete-Kommission des 11. Deutschen Bundestages „Gefahren von AIDS und wirksame Wege zu ihrer Eindämmung“, Bonn 1990, 104-115. – „Familie im Emanzipationsprozeß“ (166-176). – Zuerst: „Familie contra Selbstverwirklichung?“, in: Die politische Meinung 37 (1992) [Nr. 276], 83-91. – „Moralismus oder fingierte Handlungssubjektivität in komplexen historischen Prozessen“ (177-185). – Zuerst in: W. Lübbe (Hg.), Kausalität und Zurechnung. Über Verantwortung in komplexen kulturellen Prozessen, Berlin – New York 1994, 289-301. – „Terror. Über die moralistische Rationalität des Völkermords“ (186-191). – Zuerst: „Rationalität und Irrationalität des Völkermordes“, in: H. Loewy (Hg.), Holocaust: Die Grenzen des Verstehens. Eine Debatte über die Besetzung der Geschichte, Reinbek b. Hamburg 1992, 83-92. – „Das Strafrecht – ein nötiges, aber schwaches Mittel zur Aufarbeitung des sozialistischen Totalitarismus. Sieben Thesen“ (192-193). – Zuerst: „‚Das Strafrecht ist ein nötiges, aber schwaches Mittel zur Aufarbeitung des Totalitarismus‘“, in: Universitas 46 (1991) [Nr. 545/November 1991], 1029-1031. – „Festgeschriebene Wahrheiten. Über Aufklärungsmoral, ideologischen Dogmatismus und Kanonbildung“ (194-199). – Zuerst: „Festgeschriebene Wahrheiten“, in: R.W. Puster (Hg.), Veritas filia temporis? Philosophiehistorie zwischen Wahrheit und Geschichte. Festschrift für Rainer Specht zum 65. Geburtstag, Berlin – New York 1995, 273-280. – „Religion – säkularisierungsresistent und durch nichts anderes zu ersetzen“ (203-209). – Zuerst: „Religion nach der Aufklärung“, in: H.-J. Höhn (Hg.), Krise der Immanenz. Religion an den Grenzen der Moderne, Frankfurt/M. 1996, 93-111. – „Liberale Theologie in der Evolution der modernen Kultur“ (210-226). – Zuerst in: F.W. Graf (Hg.), Liberale Theologie. Eine Ortsbestimmung (= Troeltsch-Studien, 7), Gütersloh 1993, 16-31. – „Kulturreligion und die Zukunft des Protestantismus“ (227-241). – Zuerst: „Zukunft des Protestantismus in Laienperspektive“, in: Blaschke, P.H. (Hg.), Kirche unter den Soldaten. Beiträge aus der Evangelischen Militärseelsorge 2/1995, Bonn 1995, 38-49. – „‚Verantwortung vor Gott‘. Ein Stück Zivilreligion“ (242-245). – Zuerst: „‚Verantwortung vor Gott’“, in: P. Fauser u.a. (Hg.), Verantwortung (= Friedrich-Jahresheft, 10), Hannover 1992, 64-65. – „Der deutsche Geist und die politische Realität. Herkunft und Wirkung eines Intellektuellen-Stereotyps“ (249-265). – Zuerst in: Deutschland im Umbruch. Die politische Klasse und die Wirklichkeit. Schönhauser Gespräche. Drittes Gesellschaftspolitisches Forum der Banken am 19. Oktober 1995 auf Schloß Niederschönhausen, Berlin-Pankow – Köln 1996, 44-63. – „Oswald Spenglers ‚Preußentum und Sozialismus‘ und Ernst Jüngers ‚Arbeiter‘“ (266-283). – Zuerst: „Oswald Spenglers ‚Preußentum und Sozialismus‘ und Ernst Jüngers ‚Arbeiter‘. Auch ein SozialismusRückblick“, in: Zeitschrift für Politik 40 (1993), 138-157. – „Deutschland nach dem Nationalsozialismus 1945-1990. Aus Anlass der Enttarnung eines ehemaligen Hochschulrektors mit falscher Identität“ (284-301). – Erstveröffentlichung.

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– „1968 und 1989. Rückblick auf zwei deutsche Revolutionen. Ein Gespräch mit Horst Wollenweber, Realschullehrerverband“ (302-314). – Zuerst in: Die Realschule 101 (1993), 310-317. – „Freiheitsromantik und Wohlfahrtskritik. Hannah Arendts ökonomieferne Revolutionstheorie“ (315321). – Zuerst: „Nachwort“, in: Hannah Arendt, Über die Revolution, München – Gütersloh – Kornwestheim – Wien – Zug 1991, 407-418. – „Die politische Verantwortung des Gelehrten. Thomas Nipperdey und die politische Kulturrevolution“ (322-327). – Zuerst: „Die politische Verantwortung des Gelehrten“, in: In Memoriam Thomas Nipperdey. Reden, gehalten am 14. Juni 1993 bei der Akademischen Gedenkfeier der Philosophischen Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München, München 1994, 37-43. – „Struktureller Konservativismus. Ein Gespräch mit Christophe de Landtsheer“ (328-338). – Zuerst: „Conservatisme structurel et modernité. Une interview de Christoph de Landtsheer“, in: Documents No. 1-93 (1993), 81-96. – „Fortschritt durch Wissenschaft. Humboldts Universität“ (341-353). – Zuerst: „Fortschritt durch Wissenschaft. Die Universitäten im 19. Jahrhundert“, in: W. Hardtwig/H.-H. Brandt (Hg.), Deutschlands Weg in die Moderne. Politik, Gesellschaft und Kultur im 19. Jahrhundert, München 1993, 171-184. – „Gründungseuphorie einhundertfünfzig Jahre nach Humboldt – Das Beispiel der Ruhr-Universität Bochum“ (354-365). – Zuerst: „Aufbau nach dem Wiederaufbau. Ein Rückblick auf die Gründung der Ruhr-Universität Bochum“, in: B. Dietz/W. Schulze/W. Weber (Hg.), Universität und Politik. Festschrift zum 25jährigen Bestehen der Ruhr-Universität Bochum, Band I, Bochum 1990, 315-328. – „Die Idee der Elite-Hochschule im Zeitalter der Massenakademisierung. Helmut Schelsky als Universitätsgründer“ (366-376). – Zuerst: „Helmut Schelsky als Universitätsgründer“, in: H. Baier (Hg.), Helmut Schelsky – ein Soziologe in der Bundesrepublik. Eine Gedächtnisschrift von Freunden, Kollegen und Schülern, Stuttgart 1986, 157-166. – „Fälligkeiten der Wissenschaftspolitik in den neuen Bundesländern. Universitäre Aspekte“ (377-383). – Zuerst: „Wissenschaftspolitische Fälligkeiten in den neuen und den alten Bundesländern“, in: A. Dreß u.a. (Hg.), Die humane Universität. Bielefeld 1969-1992. Festschrift für Karl Peter Grotemeyer, Bielefeld 1992, 20-27. – „Erfurt oder die letzte deutsche Universitätsgründung in diesem Jahrhundert“ (384-390). – Zuerst: „Eine Zusammenfassung als Vorwort“, in: Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kunst (Hg.), Empfehlungen des Strukturausschusses der Gründungskommission der Universität Erfurt, Erfurt 1994. – „Max Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt. Ein Gründungsplan“ [Entwurf des in die Empfehlungen des Strukturausschusses der Gründungskommission der Universität Erfurt, Erfurt 1994, mit einigen Veränderungen aufgenommen Gründungsplanes] (391392). – Erstveröffentlichung.

(C.16) Hintergrundphilosophie. Über deutsche Denk- und Merkwürdigkeiten, Zürich 1997. – „Worum es sich handelt – Ein Vorwort“ (9-14). – „Zu viel gewollt: Überspannte gute Moral“ (17-18). – Zuerst: „Zu viel gewollt“, in: Die Welt Nr. 99 vom 27./28.4.1996, 4. – „Wohltätige Folgelasten steigender Wohlfahrt“ (18-21). – Zuerst: „Wohltätige Folgelasten“, in: Die Welt Nr. 84 vom 8./9.4.1995, 4. – „Freiheit und Sicherheit“ (21-24). – Zuerst in: Die Welt Nr. 121 vom 25./26.5.1996, 4. – „Geteilte Arbeit – ungleich verteilt“ (24-31). – Zuerst in: Gewerkschaftliche Monatshefte 49 (1998), 394-398. – „Schattenwirtschaft“ (31-34). – Zuerst in: Die Welt Nr. 148 vom 28./29.6.1997, 4. – „Studiengebühren“ (34-37). – Zuerst in: Die Welt Nr. 172 vom 26./27.7.1997, 4. – „Staatszuschüsse für private Hochschulen?“ (37-41). – Erstveröffentlichung. – „Markt und Moral“ (41-44). – Zuerst in: Die Welt Nr. 305 vom 31.12.1994/1.1.1995, 6. – „Moral und Expertenwissen“ (44-47). – Erstveröffentlichung. – „Das Expertendilemma" (47-55). – Zuerst in: H.-U. Nennen/D. Garbe (Hg.), Das Expertendilemma. Zur Rolle wissenschaftlicher Gutachter in der öffentlichen Meinungsbildung, Berlin – Heidelberg 1996, 37-42. – „Erfolgreiche Forschung bewirkt Wissenschaftsskepsis“ (55-61). – Zuerst in: Das Parlament Nr. 23 vom 4.6.1999, 4. – „Mediennutzungsmoral“ (61-71). – Zuerst: „Mediennutzungsethik. Medienkonsum als moralische Herausforderung“, in: Lichtungen 16 (1994), 107-110. – „Schulische Bildung in moderner Gesellschaft“ (71-78). – Erstveröffentlichung. – „Die Angst und der Mut“ (78-80). – Erstveröffentlichung. – „Deutsche Formlosigkeiten“ (80-82). – Zuerst in: Die Welt Nr. 222 vom 21./22.9.1996, 4.

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– „Privat-Öffentlichkeit“ (83-85). – Zuerst in: Die Welt Nr. 33 vom 8./9.2.1997, 4. – „Der 8. Mai 1945 – hat ihn denn jemand vergessen?“ (89-92). – Zuerst: „Gegen lautstarke Appelle. Der 8. Mai 1945 – hat ihn denn jemand vergessen?“, in: Focus Nr. 19 vom 8.5.1995, 122. – „Die DDR – Staat ohne Staatsvolk. Wieso die Teilung Deutschlands nicht dauerhaft wurde“ (92-96). – Zuerst: „Die mißlungene Teilung“, in: Die Welt Nr. 235 vom 8./9.10. 1994, 6. – „Neo-Nationalismus? Deutsche und Polen über Deutschland nach der Vereinigung“ (96-100). – Erstveröffentlichung. – „Deutschlands Größe“ (100-104). – Zuerst in: Die Welt Nr. 208 vom 6./7.9.1997, 4. – „68er-Nostalgie?“ (104-110). – Erstveröffentlichung. – „Die Neue Rechte intellektuell“ (110-115). – Erstveröffentlichung. – „Verfassungspolitischer Moralismus“ (116-118). – Zuerst: „Wider den verfassungspolitischen Moralismus“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 37 vom 14.2.1994, 12. – „Kollektivschuld. Funktionen eines moralischen und juridischen Unbegriffs“ (118-131). – Zuerst in: Rechtshistorisches Journal 16 (1997), 687-695. – „Deutsches ‚Blutrecht‘ – eine nationalistische Erblast?“ (131-134). – Zuerst: „Blutrecht, Bodenrecht“, in: Die Welt Nr. 247 vom 22.10.1994, 6. – „Europa-Symbole“ (137-139). – Zuerst in: Die Welt Nr. 5 vom 6./7.1.1996, 4. – „Wieso es zur Europäischen Währungsunion kommen wird“ (139-142). – Erstveröffentlichung. – „Geteilte Souveränität. Die europäische Einigung und die Auflösung des Einheitsstaates“ (142-147). – Zuerst: „Geteilte Souveränität. Die Transformation des Staates in der europäischen Einigung“, in: Information Philosophie 22 (1994) [Heft 3/August 1994], 5-13. – „Die Politik und die Menschenrechte“ (148-150). – Zuerst: „Politik und Menschenrechte“, in: Die Welt Nr. 246 vom 21./22.10. 1995, 6. – „Freiheit und Gleichheit“ (150-153). – Zuerst in: Die Welt Nr. 245 vom 19./20.10.1996, 4. – „Wieso es immer noch Linke und Rechte gibt“ (153-156). – Zuerst in: Die Neue Mitte 4/1997, 5-7. – „Migration und Kulturwandel“ (156-161). – Zuerst in: Die Welt Nr. 282 vom 3./4.12.1994, 6. – „Selbstbestimmungsrechte – modern und europaverträglich“ (161-163). – Erstveröffentlichung. – „Dezentralisierung“ (164-166). – Zuerst in: Die Welt Nr. 57 vom 8.3.1997, 4. – „Hauptstadt-Nostalgie“ (167-169). – Zuerst: „Wider die Hauptstadtnostalgie. Metropolen verlieren – modernitätsbedingt – an Bedeutung“, in: Focus Nr. 42 vom 16.10.1995, 162.

(C.17) Politik nach der Aufklärung. Philosophische Aufsätze, München 2001. – „Vorbemerkung. Nach der Aufklärung“ (7-9). – „Technokratie. Politische und wirtschaftliche Schicksale einer philosophischen Idee“ (11-37). – Siehe unter: (B.35). – „Politik und Religion nach der Aufklärung“ (39-74). – Zuerst in: M. Dubag/A. Kapust/B. Waldenfels (Hg.), Gewalt. Strukturen, Formen, Repräsentationen, München 2000, 139-156. – „Politische Organisation in Modernisierungsprozessen“ (75-99). – Zuerst: „Politische Organisation in der zivilisatorischen Evolution“, in: O. Depenheuer u.a. (Hg.), Die Einheit des Staates. Symposion aus Anlass der Vollendung des 60. Lebensjahres von Josef Isensee, Heidelberg 1998, 9-27. – „Deutsche Zustände im Urteil eines politischen Moralisten. Der Fall Karl Jaspers“ (101-128). – Zuerst: „Moralische Entscheidung, politische Option und der Lauf der Welt. Karl Jaspers als politischer Denker“, in: Zeitschrift für Politik 46 (1999), 367-388. – „1968. Zur deutschen Wirkungsgeschichte eines politromantischen Rückfalls“ (129-149). – Zuerst: „1968. Zur kulturellen und politischen Wirkungsgeschichte in Deutschland“, in: V. Schubert (Hg.), 1968. Dreißig Jahre danach, St. Ottilien 1999, 185-208. – „Zeichen-Setzen. Funktionen symbolischer Politik in der modernen Demokratie“ (151-171). – Erstveröffentlichung. – „Wortgebrauchspolitik. Zur Pragmatik der Wahl von Begriffsnamen“ (173-192). – Erstveröffentlichung. – „Zivilreligion in der Demokratie. Mißverstand im ‚Kruzifix-Beschluß‘ des Deutschen Bundesverfassungsgerichts“ (193-213). – Zuerst: „Zivilreligion und der ‚Kruzifix-Beschluß‘ des Deutschen Bundesverfassungsgerichts“, in: W. Brugger/S. Huster (Hg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule. Zur religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates, Baden-Baden 1998, 237-254. – „Europäische Supranationalität. Unionsbildung und staatliche Pluralisierung“ (215-237). – Siehe unter: (B.36).

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(C.18) Aufklärung anlaßhalber. Philosophische Essays zu Politik, Religion und Moral, Gräfelfing 2001. – „Vorwort“ (9-12). – „Das Unterpfand des Glücks und das deutsche Selbstmißverhältnis. Eine Berliner Rede zur Feier der deutschen Einheit“ (14-26). – Zuerst: „Das Unterpfand des Glücks und das deutsche Selbstmißverhältnis“, in: MUT. Forum für Kultur, Politik und Geschichte 33 (1998) [Nr. 375/November 1998], 18-26. – „Ideologien delegitimieren, Menschen integrieren“ (26-28). – Erstveröffentlichung. – „Der Kalte Krieg, der Totalitarismus und die Systemkritik“ (28-34). – Zuerst: „Der Totalitarismus und die Systemkritik. Der prognostizierte Kollaps des sozialistischen Systems“, in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 212 vom 12.9.2000, 66. – „Bonn-Nostalgie in Berlin“ (34-37). – Erstveröffentlichung. – „Schwächen des deutschen Föderalismus“ (37-39). – Erstveröffentlichung. – „Schweizer politische Kultur in deutscher und europapolitischer Perspektive. Aus Anlaß der Thematisierung der Schweiz auf der Frankfurter Buchmesse 1998“ (40-53). – Zuerst: „Politische Kultur. Schweizer Besonderheiten in deutscher und europapolitischer Perspektive“, in: M. Meyer/G. Kohler (Hg.), Die Schweiz – für Europa? Über Kultur und Politik, München – Wien 1998, 216-229. – „Technokratie – auch eine gescheiterte Utopie“ (53-62). – Siehe unter: (B.35). – „Studentenrevolte archiviert. Aus Anlaß des Deutschen Archivtags 1998 in Münster“ (62-65). – Zuerst: „Die archivierte Revolte“, in: Die Welt Nr. 207 vom 5./6.9.1998, 4. – „Stadt und Land. Über den Schwund einer Kulturdifferenz“ (65-73). – Erstveröffentlichung. – „Globalisierung. Etappen räumlicher Schließung der Lebenswelt“ (73-85). – Erstveröffentlichung. – „Womit wir rechnen können. Sieben Zukunftsthesen im Jahrtausendturm der Bundesgartenschau 1999 in Magdeburg“ (85-92). – Zuerst: „Womit wir rechnen können. Sieben Zukunftsthesen zur Jahrtausendwende“, in: MUT. Forum für Kultur, Politik und Geschichte 34 (1999) [Nr. 385/September 1999], 30-35. – „Der neue Groß-Terror und die Gebete des amerikanischen Präsidenten. Politik und Religion“ (94103). – Zuerst: „Die Gebete des Präsidenten. Mit der Kraft der Religion die amerikanische Nation verteidigen“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 229 vom 2.10.2001, 10. – „Gott und die Präambelgötter“ (103-106). – Erstveröffentlichung. – „Freiheit der Religion. Ein Aspekt europäisch-amerikanischer Staatsordnung – erläutert in Usbekistan“ (106-115). – Zuerst: „Freiheit der Religion. Ein Aspekt europäisch-amerikanischer Staatsordnung seit der Aufklärung“, in: TRIGON. Kunst, Wissenschaft und Glaube im Dialog 7 (1997), 115-121. – „Politische Religion und Antireligion“ (116-122). – Erstveröffentlichung. – „Die Menschlichkeit der Unmenschlichkeit. Kains Brudermord und die Folgen“ (122-125). – Erstveröffentlichung. – „Religion und Ethik: Sind sie austauschbar?“ (125-129). – Zuerst: „Ethik – ein Ersatz für Religion?“, in: Rheinischer Merkur Nr. 13 vom 29.3.1996, 17. – „Der Staat und das Seelenheil“ (129-133). – Zuerst in: Die Welt Nr. 135 vom 13./14.6.1998, 4. – „Mensch, ärgere Dich nicht! Der Lebenssinn der Zufallsspiele“ (133-135). – Zuerst: „Das Spiel mit dem Zufall“, in: Lichtungen 18 (1997) [Heft 71], 116-120. – „Die Freiheit, die Moral und der Common sense“ (138-146). – Zuerst: „Freiheit und moralischer Common sense“, in: M. Dönhoff/H. Markl/R. v. Weizsäcker (Hg.), Eliten und Demokratie. Wirtschaft, Wissenschaft und Politik im Dialog zu Ehren von Eberhard v. Kuenheim, Berlin 1999, 19-30. – „Europäische Aufklärung – eklektisch“ (146-159). – Zuerst in: L. Kühnhardt/M. Rutz (Hg.), Die Wiederentdeckung Europas. Ein Gang durch Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 1999, 202-216. – „Modernisierung und Folgelasten“ (159-163). – Erstveröffentlichung. – „Eine UNO-Deklaration der Menschenpflichten? Keine gute Idee!“ (164-166). – Erstveröffentlichung. – „Umwelt und Wertewandel. Der Grenznutzen des Fortschritts nimmt ab“ (167-171) – Zuerst: „Umwelt und Wertewandel. Über moralische Einflußgrößen ökologischer Politik“, in: H. Schaufler (Hg.), Umwelt und Verkehr. Beiträge für eine nachhaltige Politik, München 1997, 31-39. – „Die Wirklichkeit und der gute Wille. Über Tendenzen der Moralisierung des Wissens“ (171-190). – Zuerst: „Die Wirklichkeit und der gute Wille. Über Tendenzen der Moralisierung kognitiver Gehalte. Robert Spaemann zum 75. Geburtstag“, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 27 (2000), 199-210. – Wiederabdruck in: (C.19) Modernisierungsgewinner, 184-195. – „Geschichtssinn – eine überzogene Erwartung“ (190-195). – Zuerst: „Geschichtssinn. Wozu das Ganze?“, in: Die Weltwoche Nr. 51/52 vom 21.12.2000 [Sondernummer zum Jahreswechsel], 4. – „Moralistensprüche“ (195-196). – Zuerst in: Die Welt Nr. 288 vom 9./10.12.1995, 4.

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– „Die Gegenwart der Moralistik. Dem Philosophen Odo Marquard zum 70.“ (197-201) – Zuerst: „Abschied vom Prinzipiellen. Odo Marquard, dem Literaten unter den Philosophen zum 70. Geburtstag“, in: Rheinischer Merkur Nr. 8 vom 20.2.1998, 21. – „Forschung im Feuilleton“ (201-206). – Erstveröffentlichung. – „Wissenschaft und Öffentlichkeit. Gentechnologie als Exempel“ (206-210). – Erstveröffentlichung. – „Kulturkritik jenseits von Pessimismus und Optimismus. Ein Gespräch mit der Wiener Tageszeitung ‚Die Presse‘ am 19. Jänner 1996“ (210-215). – Zuerst: „‚Je moderner unser Leben ist, desto nötiger wird die Moral‘“, in: Die Presse vom 19.1.1996, 6. – „Massenmedien und kulturelle Differenzierung. Ein Gespräch mit der Kärntner Kirchenzeitung am 11. Mai 1996“ (215-223). – Zuerst: „Medien: Es kommt auf die Nutzung an. Mit Univ.-Prof. Dr. Hermann Lübbe sprach Matthias Kappeler“, in: Kärntner Kirchenzeitung Nr. 21 vom 26.5.1996, 12-13. – „Auch Teilen und Helfen verlangt Ökonomie“ (223-225). – Zuerst: „Ökonomie des Helfens“, in: Die Welt Nr. 20 vom 24./25.1.1998, 4. – „Die Zukunft der Erinnerung“ (228-241). – Zuerst: in: H. Hesse (Hg.), Zukunftsfragen der Gesellschaft. Vorträge des Symposions vom 16. Februar 2001 (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Abhandlungen der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, Nr. 2), Stuttgart 2001, 49-58. – „Ist der Holocaust denkmalsfähig?“ (241-244). – Zuerst: „Absurder Moralismus. Das HolocaustDenkmal wäre als Schandmal unzumutbar“, in: Focus Nr. 3 vom 18.1.1999, 106. – „Vom ‚kommunikativen Beschweigen‘ zur Empörung. Über Wandlungen zu schlimmer Vergangenheit. Ein Gespräch mit dem Zürcher Tagesanzeiger am 20. November 1998“ (244-252). – Zuerst: „Geschichte und Moral. Vergeben und vergessen oder weiterbohren?“ [Interview mit Andreas Furler und Markus Somm], in: Tages-Anzeiger Nr. 274 vom 25.11.1998, 2.

(C.19) Modernisierungsgewinner. Religion, Geschichtssinn, Direkte Demokratie und Moral, München 2004. – „Einleitung (7-11). – „Aufklärung als sozialer Prozeß. Religiöser Fundamentalismus und Demokratie“ (15-34). – Erstveröffentlichung. – „Die Säkularisation als Voraussetzung religiöser Erneuerung“ (35-45). – Erstveröffentlichung. – „Bekenntniseifer modern. Über Konsensgrenzen“ (46-57). – Zuerst: „Bekennerschreiben und freundlichere Konsensdementis“, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 32 (2002) [Heft 126], 128-143. – „Die Religion und die Legitimität der Neuzeit. Modernisierungsphilosophie bei Eric Voegelin, bei Hans Blumenberg und in der Ritterschule“ (58-79). – Siehe unter: (B.40). – „Zivilreligion. Deutsche Vorbehalte und Missverständnisse“ (80-95). – Zuerst: „Zivilreligion. Definitionen und Interessen“, in: R. Schieder (Hg.), Religionspolitik und Zivilreligion, Baden-Baden 2001, 23-35. – „Die Kunst und der Fortschritt“ (99-113). – Zuerst: „Die Kunst und der Fortschritt. Über Historisierung und Ästhetisierung“, in: K. Gloy (Hg.), Kunst und Philosophie, Wien 2003, 61-77. – „Denkmale in einer dynamischen Zivilisation“ (114-128). – Zuerst in: Staatliche Denkmalpflege in Österreich 1850-2000 (= Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 54 [2000]), 532-540. – „Die Zukunft der Vergangenheit und die Archive“ (129-141). – Zuerst: „Die Zukunft der Vergangenheit. Kommunikationsnetzverdichtung und das Archivwesen“, in: Die Archive am Beginn des 3. Jahrtausends – Archivarbeit zwischen Rationalisierungsdruck und Serviceerwartungen. Referate des 71. Deutschen Archivtages 2000 in Nürnberg veranstaltet vom Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., Siegburg 2002, 5-23. – „Wandlungen in der symbolischen Präsenz öffentlicher Gewalt“ (145-153). – Zuerst: „Wandlungen in der öffentlichen Präsenz der Gewalt“, in: F. Becker/T. Großbölting u.a. (Hg.), Politische Gewalt in der Moderne. Festschrift für Hans-Ulrich Thamer, Münster 2003, 337-346. – „Mehrheit statt Wahrheit. Über Demokratisierungszwänge“ (154-166). – Zuerst in: A. Kaiser/T. Zittel (Hg.), Demokratietheorie und Demokratieentwicklung. Festschrift für Peter Graf Kielmansegg, Wiesbaden 2004, 141-154. – „Föderalismus im 21. Jahrhundert. Zivilisationsevolutionäre Voraussetzungen“ (167-183). – Zuerst in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (Hg.), Europäischer Föderalismus im 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2003, 8-23. – „Die Wirklichkeit und der gute Wille. Über Tendenzen der Moralisierung des Wissens“ (184-195). – Siehe unter: (C.18) Aufklärung anlaßhalber, 171-190.

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(C.20) Philosophie in Geschichten. Über intellektuelle Affirmationen und Negationen in Deutschland, München 2006. – „Vorwort“ (7-9) – „Veröffentlichung und Historisierung der Kunst. Wilhelm von Humboldt als Museumseinrichter“ (1130). – Siehe unter: (B.12). – „Ein frommer Aufklärer. Heinrich Heine und die Religion“ (31-43). – Siehe unter: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 207-219. – „Idealismus exekutiv. Wieso der Dichter August von Kotzebue sterben mußte“ (44-58). – Zuerst: „Tugendterror – Höhere Moral als Quelle politischer Gewalt“, in: Totalitarismus und Demokratie 1 (2004), 203217. – „Wissenschaft und Weltanschauung. Kulturpolitische und erkenntnistheoretische Fronten im Streit um Emil Du Bois-Reymond“ (59-76). – Siehe unter: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 257-274. – „Cassirer und die Mythen des 20. Jahrhunderts“ (77-87). – Siehe unter: (B.5). – „Historisch-politische Exaltationen. Spengler wiedergelesen“ (88-108). – Siehe unter: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 286-308. – „Carl Schmitt liberal rezipiert. Wider die intellektuelle Freund-Feind-Hermeneutik“ (109-122). – Siehe unter: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 309-322. – „Die Institutionalisierung der Reflexion. Helmut Schelsky als Kritiker Arnold Gehlens“ (123-133). – Siehe unter: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 323-333. – „Wissen in Geschichten. Wilhelm Schapps Philosophie – berufsfrei und lebensweltnah“ (134-151). – Zuerst: „Lebensweltgeschichten. Philosophische Erinnerungen an Wilhelm Schapp“, in: K.-H. Lembeck (Hg.), Geschichte und Geschichten. Studien zur Geschichtenphänomenologie Wilhelm Schapps, Würzburg 2004, 25-43. – „Affirmationen. Joachim Ritters Philosophie im akademischen Kontext der zweiten deutschen Demokratie“ (152-168). – Zuerst in: U. Dierse (Hg.), Joachim Ritter zum Gedenken (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Abhandlungen der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 2004, Nr. 4), Mainz – Stuttgart 2004, 89-109. – „Die Einheit von Naturgeschichte und Kulturgeschichte. Zur Korrektur eines deutschen wissenschaftstheoretischen Vorurteils“ (169-185). – Siehe unter: (B.14). – „Was heißt ‚Das kann man nur historisch erklären‘?“ (186-197). – Siehe unter: (C.4) Fortschritt als Orientierungsproblem, 154-168. – „Sein und Heißen. Bedeutungsgeschichte als politisches Sprachhandlungsfeld“ (198-212). – Siehe unter: (C.4) Fortschritt als Orientierungsproblem, 134-153. – „Sozialwissenschaften im Werturteilsstreit. Wider die politische Selbstprivilegierung von Theorien“ (213-224). – Siehe unter: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 120-131. – „Instrumentelle Vernunft. Max Horkheimers trivialitätsscheuer Anti-Positivismus“ (225-247). – Siehe unter: (C.4) Fortschritt als Orientierungsproblem, 75-120. – „Erfahrungsverluste und Kompensationen. Orientierungsprobleme modern“ (248-267). – Siehe unter: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 105-119. – „Demoskopie als Aufklärung. Über Meinungsdruckresistenzen“ (268-281). – Siehe unter: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 145-159.

(C.21) Vom Parteigenossen zum Bundesbürger. Über beschwiegene und historisierte Vergangenheiten, München 2007. – „Worum es sich handelt“ (7-10). – „Der Nationalsozialismus im Bewusstsein der deutschen Gegenwart“ (11-38). – Siehe unter: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 334-350. – „Beschwiegene Vergangenheiten und die Rückkehr zu politischer Normalität – Zur Wirkungsgeschichte einer umstrittenen These“ (39-113) – Erstveröffentlichung. – „Die zweite deutsche Demokratie in Ja-Sager-Perspektive. Ein Interview“ (115-135). – Zuerst: „‚Eine andere Vergangenheit lässt sich nicht erfinden‘. Ein Gespräch mit Hermann Lübbe“, in: Ästhetik & Kommunikation 36 (2005) [Heft 129/130], 97-106.

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D. Bücher in Mitautorschaft (D.1) zs. mit H. Karus/F. Angerer/W. Lohff/J. Moltmann: Modelle der Gesellschaft von morgen (= Evangelisches Forum, 6), Göttingen 1966. – „Herrschaft und Planung. Die veränderte Rolle der Zukunft in der Gegenwart“ (7-29). – Siehe unter: (C.1) Theorie und Entscheidung, 62-84.

(D.2) zs. mit H. Kössler/G. Rohrmoser/F. Benseler: Gesellschaftsbezogene Philosophie (= Tutzinger Texte, 3), München 1968. – „Zur Geschichte des Ideologiebegriffs“ (9-34). – Siehe unter: (C.1) Theorie und Entscheidung, 159-181.

(D.3) zs. mit Lord N.G. Annan/M. Devèze: Universität gestern und heute (= Salzburger Universitätsreden, 51), Salzburg – München 1973. – „Hochschulpolitik in der BRD und in der Schweiz. Ein Vergleich“ (45-66).

(D.4) zs. mit K. Steinbuch/P. Lindemann/P. Steinmüller: Informationstechnik und Liberalität (= Symposion Ludwig-Erhard-Stiftung, 5), Stuttgart – New York 1980. – „Probleme der transparenten Gesellschaft. Der Informationsfortschritt und der Alltag der Menschen“ (71-85). – Siehe unter: (C.10) Zwischen Trend und Tradition, 37-53.

(D.5) zs. mit W. Hennis: Rationalismus und Erfahrungsverlust in der Arbeitswelt (= WalterRaymond-Stiftung, Kleine Reihe, 25), Köln 1981. – „Erfahrungsverluste. Über eine Ursache des Geltungsschwunds bürgerlicher Arbeitsphilosophie“ (7-22).

(D.6) zs. mit O. Köhler/W. Lepenies/Th. Nipperdey/G. Schmidtchen/G. Roellecke: Der Mensch als Orientierungswaise? Ein interdisziplinärer Erkundungsgang, Freiburg/Br. – München 1982. – „‚Orientierung‘. Zur Karriere eines Themas“ (7-29). – „Erfahrungsverluste und Kompensationen. Zum philosophischen Problem der Erfahrung in der gegenwärtigen Welt“ (145-168). – Siehe unter: (C.13) Die Aufdringlichkeit der Geschichte, 105-119.

(D.7) zs. mit G. Ropohl/W. Geiger/H.-R. Laurien/W. Böhme: Aussichten auf das Jahr 2000. Was steht uns bevor? (= Herrenalber Texte, 58), Karlsruhe 1985. – „Der kulturelle Geltungsschwund der Wissenschaften“ (9-23). – Zuerst in: Zeitwende 55 (1984), 226-240.

(D.8) zs. mit P. von Oertzen: Politisierende Moral – moralisierende Politik? Ein Cappenberger Gespräch, Köln 1985. – „Politischer Moralismus. Zum Komplementärverhältnis von Gesinnungsintensität und common-senseSchwund“ (14-30).

(D.9) zs. mit R. Grathoff/R.E. Innis/E.W. Orth/A. Peperzak: Handlungssinn und Lebenssinn. Zum Problem der Rationalität im Kontext des Handelns (= Phänomenologische Forschungen, 20), Freiburg/Br. – München 1987. – „Handlungssinn und Lebenssinn. Über die Reichweite von Rationalitätspostulaten“ (11-35).

(D.10) zs. mit P. Schölmerich/R. Zippelius/G. Müller/G. Funke: Anfang und Ende des Lebens als normatives Problem (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 1988, Nr. 12), Mainz 1988. – „Anfang und Ende des Lebens. Normative Aspekte“ (5-26).

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(D.11) zs. mit H. Avenarius/M. Dierkes/W. Then/A. Wollert/W. Wallmann: Unternehmenskultur. Schlagwort oder Erfolgskonzept. Dokumentation des 4. Hessischen Unternehmertages (27. September 1989 in Wiesbaden), Frankfurt/M. 1990. – „Kulturelle Konsequenzen des technischen und sozialen Fortschritts – Wertewandel in der Berufs- und Arbeitswelt“ (6-17).

(D.12) zs. mit W.Ch. Zimmerli: Verantwortung macht sich bezahlt. Technik-Verantwortung im Unternehmen. Hermann Lübbe und Walther Ch. Zimmerli im Gespräch mit Mitarbeitern der Siemens AG, München 1992. (D.13) zs. mit W. Heckel/A. Stopczyk/T. Steiner/W.Ch. Zimmerli: Philosophie und Öffentlichkeit. Bamberger Hegelwochen 1991, Bamberg 1992. – „Fortschritt und Terror. Rückblick auf das Zeitalter der Revolutionen“ (15-29). – „Die Avantgarde und das Museum. Über das Veralten des Neuen“ (31-47). – Zuerst in: H.A. Müller (Hg.), Die Gegenwart der Zukunft. Natur- und Geisteswissenschaftler zeigen neue Perspektiven für das Leben in den nächsten Jahrzehnten, Bern – München – Wien 1991, 322-336. – „Philosophie und Öffentlichkeit. Podiumsdiskussion“ (49-108).

(D.14) zs. mit Bernd Neumann: Informationsgesellschaft – Quo vadis? (= Konrad-AdenauerStiftung, Aktuelle Fragen der Politik, 36), Sankt Augustin 1996. – „Netzverdichtung oder das Ende der sogenannten Massengesellschaft“ (17-26).

(D.15) zs. mit E. Noelle-Neumann/H.-P. Repnik: Werte im pluralistischen Staat (= KonradAdenauer-Stiftung, Aktuelle Fragen der Politik, 46), Sankt Augustin 1997. – „Desorientierungsfolgen der Modernisierung. Über die Moralisierung des Lebens in offenen Gesellschaften“ (17-30).

(D.16) zs. mit H.G. Gassen u.a: Schlüsselfrage Innovationsfähigkeit, Bad Homburg 1997. – „Die zivilisatorische Evolution und der Common sense. Über die Zukunft der Aufklärung“ (137-153).

(D.17) zs. mit G. Besier/J. Neumann/H. Seilert u.a.: Religionsfreiheit und Konformismus. Über Minderheiten und die Macht der Mehrheit (= Zeitdiagnosen, 8), Münster 2004. – „Correctness. Über Moral als Mittel der Meinungskontrolle“ (3-16).

(D.18) zs. mit H.-P. Blossfeld/E.U. von Weizsäcker: Wie sicher ist die Zukunft. Mit Einführungen von Christian Schröer und Roland Simon-Schaefer [16. Bamberger Hegelwoche 2005], Bamberg 2006. – „Die Weltgesellschaft. Globalisierung kulturell, technisch und politisch“ (16-37).

E. Bücher in Herausgeberschaft (E.1) Die Hegelsche Rechte. Texte aus den Werken von F.W. Carové, J.E. Erdmann, K. Fischer, E. Gans, H.F.W. Hinrichs, C.L. Michelet, H.B. Oppenheim, K. Rosenkranz und C. Rössler. Ausgewählt und eingeleitet von Hermann Lübbe, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962. – „Einleitung“ (7-17). Italienische Übersetzung: Gli Hegeliani Liberali. Introduzione di Claudio Cesa, Rom – Bari 1974. – Serbokroatische Übersetzung: Hegelovska Desnica. Tekstovi ic Djela F.V. Karovea, J.E. Erdmann, K. Fisera, E. Gansa, H.F.V. Hinrihsa, K.L. Mislea, H.B. Openhajma, K. Rosenkranca i K. Reslera. Icbor i Uvod Hermana Libea. Preveo sa Njemazkog Dusan Travar. Predgovor Kasim Prohic, Sarajewo 1980.

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(E.2) Johann Eduard Erdmann. Die deutsche Philosophie seit Hegels Tode. Faksimile-Neudruck der Berliner Ausgabe 1896 mit einer Einleitung von Hermann Lübbe, Stuttgart-Bad Cannstatt 1964. – „Einleitung“ (V-XI).

(E.3) zs. mit J. Ritter/u.a.: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Unter Mitwirkung von mehr als 1.500 Fachgelehrten herausgegeben. Völlig neu bearbeitete Ausgabe des „Wörterbuchs der philosophischen Begriffe“ von Rudolf Eisler, Bände 1-12, Basel-Stuttgart 1971-2004. (E.4) zs. mit H.-M. Sass: Atheismus in der Diskussion. Kontroversen um Ludwig Feuerbach, München 1975. – „Vorwort“ (7).

(E.5) zs. mit K. Hübner/N. Lobkowicz/G. Radnitzky: Die politische Herausforderung der Wissenschaft. Gegen eine ideologisch verplante Forschung, Hamburg 1976. – „Planung oder Politisierung der Wissenschaft. Zur Kritik einer kritischen Wissenschaftsphilosophie“ (13-23). – Siehe unter: (C.6) Wissenschaftspolitik. Planung – Politisierung – Relevanz, 65-86.

(E.6) Wozu Philosophie? Stellungnahmen eines Arbeitskreises, Berlin – New York 1978. – „Vorwort des Herausgebers“ (5-8). – „Wozu Philosophie? Aspekte einer ärgerlichen Frage“ (127-147). – Siehe unter: (C.9) Philosophie nach der Aufklärung, 11-41.

(E.7) zs. mit E. Ströker: Ökologische Probleme im kulturellen Wandel (= Ethik der Wissenschaften, 5), Paderborn – München – Zürich 1986. – zs. mit E. Ströker: „Einleitung“ (7-8). – „Ökologische Probleme im kulturellen Wandel“ (9-14).

(E.8) Fortschritt der Technik – gesellschaftliche und ökonomische Auswirkungen, Heidelberg 1987. – „Vorwort“ (VII-VIII). – „Technischer Wandel und individuelle Lebenskultur“ (49-63).

(E.9) Russlands Zukunft – Europas Schicksal, Mainz 1993. – „Vorwort des Herausgebers“ (7-8). – „Regionalismus und Nationalismus in der politischen Transformation Europas“ (13-18). – Zuerst in: Die Euro-Regionen – Bausteine des zukünftigen Europas?, Ermatingen 1992, 6-20.

(E.10) Heilserwartung und Terror. Politische Religionen des 20. Jahrhunderts, Düsseldorf 1995. – „Vorwort des Herausgebers: Totalitarismus, Politische Religion, Anti-Religion“ (7-14). – „Totalitäre Rechtgläubigkeit. Das Heil und der Terror“ (15-34).

(E.11) zs. mit H. Giger/H. Schambeck/H. Tschirky: Technologische Entwicklung im Brennpunkt von Ethik, Fortschrittsglauben und Notwendigkeit, Bern 2002. – zs. mit H. Giger/H. Schambeck/H. Tschirky: „Vorwort der Herausgeber“ (XXVII-XXXI). – „Netzverdichtung. Zur Philosophie industriegesellschaftlicher Entwicklungen“ (49-78). – Siehe unter: (C.15) Modernisierung und Folgelasten, 133-150.

(E.12) zs. mit G. Besier: Politische Religion und Religionspolitik. Zwischen Totalitarismus und Bürgerfreiheit, Göttingen 2005. – zs. mit G. Besier: „Vorwort“ (9-10). – „Fundamentalismus, religiöser Pluralismus und die Aufklärung“ (275-295).

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Hanns-Gregor Nissing

F. Aufsätze (Auswahl) (F.1) „Zur marxistischen Auslegung Hegels“, in: Philosophische Rundschau 2 (1954), 38-60. (F.2) „Das Ende des phänomenologischen Platonismus“, in: Tijdschrift voor Philosophie 16 (1954), 639-666. (F.3) „Die politische Theorie des Neukantianismus und der Marxismus“, in: Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 44 (1958), 333-350. (F.4) „Die resignierte konservative Revolution“, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 115 (1959), 131-138. (F.5) „Philosophie in der Freiheitskrise“, in: Philosophische Rundschau 8 (1960), 52-60. (F.6) „Die Verteidigung der Freiheit als Kampf gegen den Liberalismus“, in: Zeitschrift für Politik 8 (1961), 347-352. (F.7) „Typologie der politischen Theorie“, in: H. Kuhn/F. Wiedmann (Hg.), Das Problem der Ordnung, Meisenheim/Glan 1962, 77-94. (F.8) „Philosophiegeschichte als Philosophie. Zu Kants Philosophiegeschichtsphilosophie“, in: K. Oehler u.a. (Hg.), Einsichten. Gerhard Krüger zum 60. Geburtstag, Frankfurt/M. 1962, 204-229. (F.9) „Die Freiheit der Theorie. Max Weber über Wissenschaft als Beruf“, in: Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 48 (1962), 343-365. (F.10) „Gewissensfreiheit und Bürgerpflicht. Aktuelle Aspekte der Gewissenstheorie Hegels“, in: R. Reich (Hg.), Humanität und politische Verantwortung, Erlenbach – Zürich – Stuttgart 1964, 194-213. (F.11) „Die Universität Dortmund in der Hochschul- und Bildungsplanung des Landes NordrheinWestfalen“, in: Technische Universität Dortmund – Hochschulmodell mit Zukunft? Erstes Dortmunder Universitätsgespräch, Bochum 1968, 15-25. (F.12) „Politik und Wissenschaft. Zur Metakritik der Kritik der unpolitischen Wissenschaft und der Technokratie-Kritik“, in: Politik und Wissenschaft. Ein Cappenberger Gespräch, Köln – Berlin 1972, 31-43. (F.13) „Nichttechnische Disziplinen in der Vorbereitung auf die gesellschaftliche Verantwortung des Ingenieurs“, in: Ingenieurausbildung und soziale Verantwortung, Düsseldorf – München 1974, 177-202. (F.14) „Philosophie im 20. Jahrhundert – Funktionen, Richtungen und ihre Einflüsse auf die gesellschaftliche Entwicklung“, in: Verein deutscher Eisenhüttenleute (Hg.), Die provozierte Gesellschaft, Düsseldorf 1974, 5-20. (F.15) „Der kulturelle und wissenschaftstheoretische Ort der Geschichtswissenschaft“, in: R. Simon-Schaefer/W. Zimmerli (Hg.), Wissenschaftstheorie der Geisteswissenschaften. Konzeptionen, Vorschläge, Entwürfe, Hamburg 1975, 132-140. (F.16) „Philosophie und Bindestrich-Philosophie“, in: H. Holzhey/W.Ch. Zimmerli (Hg.), Esoterik und Exoterik der Philosophie. Beiträge zu Geschichte und Sinn philosophischer Selbstbestimmung, Basel – Stuttgart 1977, 386-399.

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(F.17) „Laudatio“, in: Gedenkschrift Joachim Ritter. Zur Gedenkfeier zu Ehren des am 3.8.1974 verstorbenen em. Ordentlichen Professors der Philosophie, Dr. phil. Joachim Ritter, Münster 1978, 14-20. (F.18) „Holzwege der Kulturrevolution“, in: Mut zur Erziehung. Beiträge zu einem Forum am 9./10. Januar 1978 im Wissenschaftszentrum Bonn-Bad Godesberg, Stuttgart 1979, 107-120. (F.19) zs. mit R. Spaemann/H. Bausch/G. Mann/W. Hahn/N. Lobkowicz: „Erklärung. Herausgegeben vom vorbereitenden Kreis“, in: ebd., 163-165. (F.20) „Identität und Kontingenz“, in: O. Marquard/K. Stierle (Hg.), Identität, München 1979, 655-659. (F.21) „Zukunftsaspekte der kulturellen Evolution. Religion und Wissenschaft nach der Aufklärung“, in: O. Schatz (Hg.), Hoffnung in der Überlebenskrise?, Graz – Wien – Köln 1979, 78-87. (F.22) „Mut zur Erziehung. Die ‚9 Thesen‘“, in: W. Nemitz (Hg.), Anleitung zum selbständigen Interpretieren, Freiburg/Br. 1980, 113-115. (F.23) „Hermann Lübbe, Zürich, 26. Februar 1976“, in: J. Schickel (Hg.), Grenzenbeschreibung. Gespräche mit Philosophen. Aus einer Sendereihe des NDR, Hamburg 1980, 121-146. (F.24) „Zur Kritik gegenwärtiger Zivilisationskritik“, in: Technik und Gesellschaft. Innovation durch Information, Stuttgart 1982, 26-34. (F.25) „Die Religion der Bürger. Ein Aspekt politischer Legitimität“, in: Evangelische Kommentare 15 (1982) [Nr. 3 vom März 1982], 125-128. (F.26) „Mensch und Technik“, in: G. Biedenkopf (Hg.), Technik interdisziplinär. Zehn Jahre VDI-Hauptgruppe „Der Ingenieur in Beruf und Gesellschaft“, Düsseldorf 1982, 39-48. (F.27) „Dialektik religiöser Aufklärung – Preußische Episoden“, in: F. Rapp/H.W. Schütt (Hg.), Philosophie und Wissenschaft in Preußen (= TUB-Dokumentationen, 14), Berlin 1982, 49-65. (F.28) „Läßt sich Religion wieder politisieren? Kritische Anmerkungen zur politischen Theologie“ in: Evangelische Kommentare 15 (1982) [Nr. 12 vom Dezember 1982], 661- 664. (F.29) „Was sind Geschichten und wozu werden sie erzählt? Rekonstruktion der Antwort des Historismus“, in: E. Lämmert (Hg.), Erzählforschung. Ein Symposion, Stuttgart 1983, 620-629. (F.30) „Moral und Philosophie der Moral“, in. G. Frey/J. Zelger (Hg.), Der Mensch und die Wissenschaften vom Menschen. Die Beiträge des XII. Deutschen Kongresses für Philosophie in Innsbruck vom 29. September bis 3. Oktober 1981, Band II: Die kulturellen Werte, Innsbruck 1983, 545-555. (F.31) „Kunstwissenschaft und Kunstinteresse. Über kulturpolitische Folgen des sozialen Wandels“, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 46 (1983), 233-244. (F.32) „Wissen – Glaube – Skepsis“, in: O. Molden (Hg.), Wissen, Glaube, Skepsis. Europäisches Forum Alpbach 1983, Wien 1983, 29-63. (F.33) „Selbstverwirklichung. Kulturelle, gesundheitspolitische und soziale Aspekte des Wertewandels“, in: Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin/Paul-Martini-Stiftung der Medizinsch-Pharmazeutischen Studiengesellschaft e. V. Mainz (Hg.), Deutscher Anästhesiekongress 1984. Wiesbaden, 25.-30. September 1984, Festvorträge, Mainz 1984, 7-26.

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(F.34) „Prinzip Erfahrung. Zum Gedächtnis von Helmut Schelsky“, in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 54 vom 6.3.1984, 25. (F.35) zs. mit K.-O. Apel: „Ist eine philosophische Letztbegründung moralischer Normen nötig?“, in: K.-O. Apel u.a. (Hg.), Funk-Kolleg Praktische Philosophie – Ethik: Dialoge, Band 2, Frankfurt/M. 1984, 54-81. (F.36) „Politische Theologie als Theologie repolitisierter Religion“, in: J. Taubes (Hg.), Religionstheorie und Politische Theologie. Band 1: Der Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen, München – Paderborn – Wien – Zürich 21985, 45-56. (F.37) „Dominante Probleme zeitgenössischer Sozialphilosophie“, in: Proceedings of the 12th World Congress on Philosophy of Law and Social Philosophy. Plenary Main Papers. Athens, August 18-24, 1985, Stuttgart 1985, 43-59. (F.38) „Historismus oder die Erfahrung der Kontingenz religiöser Kultur“, in: W. Oelmüller (Hg.), Wahrheitsansprüche der Religionen heute, Paderborn – München – Wien – Zürich 1986, 65-83. (F.39) „Theodizee als Häresie“, in: W. Oelmüller (Hg.), Leiden, Paderborn – München – Wien – Zürich 1986, 167-176. (F.40) „Selbstverwirklichung und Selbstverantwortung“, in: H. Holzhey/G. Kohler (Hg.), Studia Philosophica. Supplementum 13, Bern 1987, 347-365. (F.41) „Selbstbestimmung im modernen Sozialstaat“, in: M. Pfeffer-Küppers (Hg.), Die Bevölkerungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, Mainz 1987, 129-151. (F.42) „Der Wertewandel und das kulturelle Verhältnis zur Natur“, in: F. Schneider u.a. (Hg.), Mensch, Umwelt, Zukunft. Selbstvernichtung oder Anpassung?, Wien 1987, 37-50. (F.43) „Heilsmythen nach der Aufklärung. Geschichtsphilosophie als Selbstermächtigungsideologie“, in: J. Taubes (Hg.), Religionstheorie und Politische Theologie. Band 3: Theokratie, München – Paderborn – Wien – Zürich 1987, 279-292. (F.44) „Architektur als Selbstdarstellung der Industrie“, in: Architektenkammer Hessen (Hg.), Architektur als Selbstdarstellung der Industrie, Wiesbaden 1987, 4-16. (F.45) „Die Universität im Geltungswandel der Wissenschaft“, in: M. Eigen u.a.: Die Idee der Universität. Versuch einer Standortbestimmung, Berlin – Heidelberg – New York u.a. 1988, 113-137. (F.46) „Verdrängung? Über eine Kategorie zur Kritik des deutschen Vergangenheitsverhältnisses“, in: Forum für Philosophie Bad Homburg (Hg.), Zerstörung des moralischen Selbstbewußtseins: Chance oder Gefährdung? Praktische Philosophie in Deutschland nach dem Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1988, 217-228. (F.47) „Zusammenfassende Diskussionsbemerkung“, in: ebd., 229-237. (F.48) „Die Aufgabe der Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften in der Demokratie“, in: M. Miegel (Hg.), Zehn Jahre IWG Bonn, Bonn 1988, 47-57. (F.49) „Die Wahrheit wird Euch frei machen“, in: M. Svilar (Hg.), Réflexion sur la liberté humaine. Mélanges offerts à André Mercier à l'occasion de son 75e anniversaire, Bern – Frankfurt/M. – New York – Paris 1988, 65-81. (F.50) „Menschen im Jahr 2000. Rahmenbedingungen für die künftige Entwicklung des Sports“, in: K. Gieseler u.a. (Hg.), Menschen im Sport 2000, Schorndorf 1988, 32-43.

Pragmatische Bibliographie Hermann Lübbe 1951-2009

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(F.51) „Theodizee und Lebenssinn“, in: Archivo di Filosofia 56 (1988), 407-426. (F.52) „Die Planwirtschaft versagt auch im Umweltschutz“, in: Ausschuss für Information und Öffentlichkeit des Verbandes der Niederrheinischen Textilindustrie e.V. (Hg.), Kompass, Mönchengladbach 1989, 3-10. (F.53) „Postmoderne: Ein Definitionsvorschlag“, in: W. Weidenfeld (Hg.), Politische Kultur und deutsche Frage. Materialien zum Staats- und Nationalbewußtsein in der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1989, 169-179. (F.54) „Zwei Seiten des Fortschritts. Wirtschaft und Lebenskultur in der modernen Industriegesellschaft“, in: Die politische Meinung 34 (1989) [Heft 242], 21-31. (F.55) „Die Letzten werden die Ersten sein. Deutsche Philosophie der Französischen Revolution von Kant bis Marx“, in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 118 vom 26.5.1989, 41-42 [Literatur und Kunst. 1789 – Nach zweihundert Jahren. Zum Jubiläum der Französischen Revolution – II.] (F.56) „Nukleare Abschreckung: Handeln, geschichtliche Lage und die Frage der moralischen Akzeptanz“, in: U. Nerlich/T. Rendtorff (Hg.), Nukleare Abschreckung – Politische und ethische Interpretationen einer neuen Realität, Baden-Baden 1989, 221-240. (F.57) „Sicherheitskultur – Unsicherheitserfahrungen in der modernen Gesellschaft“, in: H. Tschirky/A. Suter (Hg.), Wieviel Sicherheit braucht der Mensch? (= Zürcher Hochschulforum, 14), Zürich 1989, 5-29. (F.58) „Sinnvermittlung in nachreligiöser Zeit“, in: rhs. Religionsunterricht an höheren Schulen 32 (1989) [Heft 6: Glaube zwischen aufgeklärter Vernunft und Irrationalität. 2. Bundeskongress, Fulda 22.9.-24.9.1989], Düsseldorf 1989, 378-386. (F.59) „Aneignung und Rückaneignung“, in: (G.32) Diskurs und Dezision, 335-371. (F.60) „Sind die Toten des totalitären Massenterrors der Herrschaft ‚konventioneller Moral‘ zum Opfer gefallen?“, in: Merkur 44 (1990) [Heft 496], 492-496. (F.61) „Philosophische Selbstdarstellung in redaktionellem Auftrag“, in: A. Mercier/M. Svilar (Hg.), Philosophes Critiques d'eux-mêmes, vol. 14, Bern – Frankfurt/M. – New York – Paris 1990, 57-66. [Französische Übersetzung: 67-76.] (F.62) „Die veränderte Gegenwart der Toten. Warum sich immer mehr Menschen anonym bestatten lassen“, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 265 vom 16./17.11.1991 [SZ am Wochenende, III]. (F.63) „Der Streit um die Kompensationsfunktion der Geisteswissenschaften“, in: Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Hg.), Einheit der Wissenschaften, Berlin – New York 1991, 208-233. (F.64) „Pünktlichkeit. Über den Ursprung der Freiheit aus der Zeitdisziplin“, in: Reformatio 40 (1991), 346-356. (F.65) „Religion nach der Aufklärung. Grund der Vernunft – Grenze der Emanzipation“, in: E. Rudolph (Hg.), Die Vernunft und ihr Gott. Studien zum Streit zwischen Religion und Aufklärung, Stuttgart 1992, 69-83. (F.66) „Soziale Marktwirtschaft nach 40 Jahren“, in: Frankfurter Institut – Stiftung Marktwirtschaft und Politik (Hg.), Vision Deutschland. Festakt am 23. September 1994 in der Frankfurter Paulskirche, Bad Homburg v.d.H. 1994, 21-27.

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Hanns-Gregor Nissing

(F.67) „Information als Unterhaltung“, in: F. Hermanni/V. Steenblock (Hg.), Philosophische Orientierung. Festschrift zum 65. Geburtstag von Willi Oelmüller, München 1995, 103-109. (F.68) „Aufklärung und Terror. Geschichtsmetaphysische Voraussetzungen totalitärer Demokratie“, in: H. Maier (Hg.), Totalitarismus und politische Religionen. Konzepte eines Diktaturvergleichs, Paderborn – München – Wien – Zürich 1996, 401-411. (F.69) „Der Weg in die Philosophie kraft Ermunterung, ihn fortzusetzen“, in: C. und M. Hauskeller (Hg.): „... was die Welt im Innersten zusammenhält“. 34 Wege zur Philosophie, Hamburg 1996, 40-46. (F.70) „Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung“, in: G. v. Graevenitz/O. Marquard (Hg.), Kontingenz (= Poetik und Hermeneutik, 17), München 1998, 35-47. (F.71) „‚Topik‘, ‚Sinn‘ und die Geschichte der Zufallstheorie“, in: ebd., 141-142. (F.72) „Begriffsgeschichte und Begriffsnormierung“, in: Archiv für Begriffsgeschichte – Sonderheft 1 (2000), 31-41. (F.73) „Globalisierung und kulturelle Modernisierung. Politische, religiöse und konfessionelle Aspekte“, in: E. v. Vietinghoff/H. May (Hg.), Protestantismus im 21. Jahrhundert. Zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur, Hannover 2000, 11-38. (F.74) „Moral und Ökonomie, Moral der Ökonomie“, in: Wirtschaftspolitische Blätter. Herausgegeben von der Wirtschaftskammer Österreich 48 (2001), 72-78. (F.75) „Schiefe Exempel“, in: H. Lenk/B. Thum (Hg.), Sprachen der Philosophie. Symposium für Friedrich Wilhelm Korff, München 2001, 129- 130. (F.76) „Sport und Kulturkritik“, in: Deutsches Olympisches Institut (Hg.), Jahrbuch 2001, Berlin 2001, 315-320. (F.77) „Der Mensch – das Mängelwesen. Vor hundert Jahren wurde der Kulturanthropologe Arnold Gehlen geboren“, in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 19 vom 24./25.1.2004, 45. (F.78) „Patriotismus im globalen Zeitalter – ein unzeitgemäßer Begriff?“, in: MUT. Forum für Kultur, Politik und Geschichte 41 (2006) [Nr. 462/Februar 2006], 6-13. (F.79) „Deutsche Jugendliche als Hitlers letztes Aufgebot? Nazi-Akten geben weitere prominente Namen preis. Doch die Debatte über Jugendliche, die 1944 der NSDAP beitraten, entfacht keinen neuen Historikerstreit“, in: Neue Zürcher Zeitung am Sonntag vom 29.7.2007, 15. (F.80) „‚Die Normalität des Unnormalen‘. Der Philosoph Hermann Lübbe stellt sich den Fragen, wie sein Name in die NSDAP-Mitgliedskartei geriet. Interview mit Stephan Sattler“, in: Focus Nr. 36 vom 3.9.2007, 58-61. (F.81) „Ungleichheit in egalitären Gesellschaften“, in: Landtag Rheinland-Pfalz (Hg.), „Freiheit, die ich meine“, Stuttgart 2007, 181-193. (F.82) „Das Geld, der Krieg und das Leben. Zu Georg Simmels Philosophie der modernen Kultur“, in: Simmel Studies 17.2 (2007), 175-196. (F.83) „Moral, mach dich klug! Interview mit Dieter Schnaas“, in: WirtschaftsWoche Nr. 52 vom 21.12.2007, 52-60. (F.84) „Werteüberschüsse und Interessendefizite. Einige Wirkungen des politischen Moralismus“, in: MUT. Forum für Kultur, Politik und Geschichte 44 (2009) [Nr. 500], 118-126.

Pragmatische Bibliographie Hermann Lübbe 1951-2009

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G. Sekundärliteratur zu Hermann Lübbe (Auswahl) (G.1) Brand, G.: Die Lebenswelt. Eine Philosophie des konkreten A priori, Berlin 1971. – „§ 23: Lübbes Darstellung der Husserlschen Paradoxie“ – „§ 24: Lebenswelt als Problem der zeitgenössischen Philosophie“ (109-117).

(G.2) Fischer, J.: „Aufklärung in ideologischer Absicht. Konservativer Positivismus bei Ernst Topitsch und Hermann Lübbe“, in: M. Greifenhagen (Hg.), Der neue Konservativismus der siebziger Jahre, Reinbek b. Hamburg 1974, 57-66. (G.3) Ottmann, H.: Individuum und Gemeinschaft bei Hegel. Band I: Hegel im Spiegel der Interpretationen, Berlin – New York 1977. – „Politische Antithetik und ‚gezielter Mangel an Radikalität‘ (H. Lübbe)“ – „Geschichtsphilosophie und pragmatische Politik (H.M. Sass, H. Lübbe)“ (373-378).

(G.4) Köhler, O.: „Die vielen ‚Geschichten‘ und die eine ‚Fundamentalgeschichte‘“, in: Saeculum 29 (1978), 107-146. (G.5) Rüsen, J.: „Zur Kritik des Neohistorismus“, in: Zeitschrift für Philosophische Forschung 33 (1979), 243-263. (G.6) Temperini, M.C.: „Mach precursore di Husserl. In margine ad una tesi di H. Lübbe“, in: Revista di letteratura e di storia ecclesastica 13 (1981), 62-65. (G.7) Kleger, H./Müller, A.: „Umstrittene Zivilreligion. Zur Philosophie des Liberalismus“, in: Evangelische Kommentare 16 (1983) [Nr. 10/Oktober 1983], 567-569. (G.8) Zimmermann, H.-P.: „Heimatutopie und politischer Regionalismus. Eine Kritik an Hermann Lübbes Heilslehre von der Vergangenheit“, in: Nordfriesland 17 (1983) [Nr. 65], 16-20. (G.9) Ruloff, D.: Geschichtsforschung und Sozialwissenschaft. Eine vergleichende Untersuchung zur Wissenschafts- und Forschungskonzeption in Historie und Politologie, München 1984. – „Geschichte und die Genese des Individuellen: Hermann Lübbes Konzept einer friedlichen Koexistenz historischer und theoretischer Wissenschaften“ (161-171).

(G.10) Rusconi, G.E.: Scambio, Minaccia, Decisione. Elementi di sociologia politica, Bologna 1984. – „Decisionismo critico (H. Lübbe)“ (163ff.)

(G.11) Scheit, H.: „‚Zivilreligion‘ – Liberalitätsgarant des Staates? Eine Auseinandersetzung mit Hermann Lübbe“, in: Politische Vierteljahrsschrift 25 (1984), 339-348. (G.12) Angehrn, E.: Geschichte und Identität, Berlin 1985. – „Geschichte und Identität bei Lübbe; Systemindividualisierung und Identitätspräsentation“ – „‚Beschreibung‘ und ‚Erklärung‘ der Identität“ – „Kritische Auseinandersetzung mit Lübbe; die Gegenüberstellung von Geschichte und Handeln“ (51-65).

(G.13) Pankoke, E.: „Paradoxien des Fortschritts. Zu Zielkrisen und Steuerungskrisen der Moderne. Essay über Hermann Lübbe – Zeit-Verhältnisse“, in: Soziologische Revue 8 (1985), 339-344. (G.14) Eckertz, R.: Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen als Grenzproblem des Rechts. Zur Überwindung des Dezisionismus im demokratischen Rechtsstaat, Baden-Baden 1986. – „Der pragmatische Dezisionismus (Lübbe)“ (101-105).

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Hanns-Gregor Nissing

(G.15) Rotter, E.: „Religion nach der Aufklärung. Gott in einem neuen Offenbarungsverständnis“, in: Academia 6/86, 17-19. (G.16) Kleger, H.: „Common sense als Argument. Zu einem Schlüsselbegriff der Weltorientierung und politischen Philosophie. 1. Teil“, in: Archiv für Begriffsgeschichte 30 (1986/87), 192-223. (G.17) Angehrn, E.: „Religion als Kontingenzbewältigung?“, in: Philosophische Rundschau 34 (1987), 282-290. (G.18) Haug, W.F.: Vom hilflosen Antifaschismus zur Gnade der späten Geburt, Hamburg – Berlin 1987. – „Hermann Lübbes Verklärung des Verschweigens (1983)“ (185-199).

(G.19) Schnübbe, O.: Religion nach der Aufklärung – unentbehrlich. Zu Hermann Lübbe: Religion nach der Aufklärung (= Vorlage N.F., 1), Hannover 1987. (G.20) Favrat, J.: „Le neo-conservatisme face aux symptômes de crise dans la civilisation contemporaine: L’apport du Philosoph Hermann Lübbe“, in: Revue d’Allemagne 20 (1988), 158-174. (G.21) Hoeres, W.: „Allianz zwischen Aufklärung und Religion? Zu Lübbes jüngstem Versöhnungsversuch“, in: Theologisches 18 (1988), 72-80. (G.22) Köhler, W.: „‚Anerkennung unverfügbarer Daseinskontingenz‘ und Lebenssinn. Überlegungen zur Sinnfrage im Anschluss an einen Vorschlag H. Lübbes“, in: Salzburger Jahrbuch für Philosophie 33 (1988), 57-81. (G.23) Wicki, M.: „Geschichtstheorie und Subjektentlastung in H. Lübbes neokonservativer Philosophie“, in: Widerspruch 8 (1988) [Heft 16], 40-56. (G.24) Albert, H.: „Zur Kritik der reinen Religion. Über die Möglichkeit der Religionskritik nach der Aufklärung“, in: K. Salamun (Hg.), Aufklärungsperspektiven. Weltanschauungsanalyse und Ideologiekritik, Tübingen 1990, 99-115. (G.25) Drehsen, V.: „Lebensgeschichtliche Frömmigkeit. Eine Problemskizze zu christlichreligiösen Dimensionen des (auto)biographischen Interesses in der Neuzeit“ in: W. Sparn (Hg.), Wer schreibt meine Lebensgeschichte? Biographie, Autobiographie, Hagiographie und ihre Entstehungszusammenhänge, Gütersloh 1990, 33-62. (G.26) Kohler, G./Kleger, H. (Hg.): Diskurs und Dezision. Politische Vernunft in der wissenschaftlichen Zivilisation. Hermann Lübbe in der Diskussion, Wien 1990. (G.27) Späth, L.: „Laudatio auf Hermann Lübbe“ in: Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik 1990. Dokumente und Ansprachen, Bonn 1990, 33-46. (G.28) Brunkhorst, H.: „Zeitgeist von gestern. Das doppelte Ende der Utopie – Anmerkungen zu Hermann Lübbe und Joachim Fest“, in: Freitag. Die Ost-West-Wochenzeitung Nr. 39 vom 20.9.1991, 22. (G.29) Nolte, E.: Geschichtsdenken im 20. Jahrhundert. Von Max Weber bis Hans Jonas, Berlin – Frankfurt/M. 1991. – „Jürgen Habermas und Hermann Lübbe“ (552-565).

(G.30) Scholtz, G.: Zwischen Wissenschaftsanspruch und Orientierungsbedürfnis. Zu Grundlage und Wandel der Geisteswissenschaften, Frankfurt/M. 1991. – „Kritik und Affirmation des Säkularisierungsbegriffs. Anmerkungen zu Blumenberg und Lübbe“ (293-308).

Pragmatische Bibliographie Hermann Lübbe 1951-2009

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(G.31) Steenblock, V.: [Art.] „Hermann Lübbe“, in: J. Nida-Rümelin (Hg.), Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen. Von Adorno bis v. Wright, Stuttgart 1991, 354-356. (G.32) Steenblock, V.: Transformation des Historismus, München 1991. – „H. Lübbe: Unabdingbarkeitsbescheid und gleichzeitige Depotenzierung eines als kulturell längst etabliert behaupteten Historismus“ (69-76).

(G.33) Dierse, U.: „Joachim Ritter und seine Schüler“, in: A. Hügli/P. Lübcke (Hg.), Philosophie im 20. Jahrhundert. Band 1: Phänomenologie, Hermeneutik, Existenzphilosophie und Kritische Theorie, Reinbek b. Hamburg 1992, 237-278. (G.34) Lübbe, W. u.a. (Hg.): Politik und Kultur nach der Aufklärung. Festschrift Hermann Lübbe zum 65. Geburtstag, Basel 1992. (G.35) Engstler, A.: „Die manifeste Funktion der Religion und ihre Relativierung. Zur Diskussion um Hermann Lübbes Religionsphilosophie“, in: Philosophisches Jahrbuch 100 (1993), 145-155. (G.36) van Laak, D.: Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993. – „Münster: das ‚Collegium Philosophicum‘“ (192-200). – „Hermann Lübbe“ (276-281).

(G.37) Albert, H.: Kritik der reinen Hermeneutik. Der Antirealismus und das Problem des Verstehens, Tübingen 1994. – „Religion als Kultur des Umgangs mit der Daseinskontingenz“ (204-217).

(G.38) Dubiel, H.: Ungewissheit und Politik, Frankfurt/M. 1994. – „Zivilreligion in der Massendemokratie?“ (151-185).

(G.39) Vögele, W.: Zivilreligion in der Bundesrepublik Deutschland, Gütersloh 1994. – „Zivilreligion und historistische Zeitdiagnose – Hermann Lübbes politische Religionsphilosophie“ – „Die Diskussion um die Zivilreligion in Deutschland“ (74-332).

(G.40) Hilger, N.: Deutscher Neokonservativismus – das Beispiel Hermann Lübbes, Baden-Baden 1995. (G.41) Dreyer van Rooyen, S.: Kontingensie, Kompensasie en die Moderne. ‘n Filosofiese ondersoek in aansluiting by Hermann Lübbe en Odo Marquard, Diss. Universiteit van Pretoria 1995. (G.42) Piret, J.-M.: Rationaliteit na de verlichting. Een reconstructie van het filosofisch werk van Hermann Lübbe, Deel I en II, Diss. Frije Universiteit Brussel, 1995-1996. (G.43) Struyk, A.: „Denken over musealisering. Pleidooi voor een theoretisch kader voor historisch onderzoek naar cultuurbehoud“, in: Boekman cahier 33.9 (1997), 281-293. (G.44) Kolmer, P.: Philosophiegeschichte als philosophisches Problem, Freiburg/Br. – München 1998. – „Philosophie als ‚Theorie über solches, was ist‘ (Hermann Lübbe)“ (70-84).

(G.45) Möll, M.-P.: Gesellschaft und totalitäre Ordnung. Eine theoriegeschichtliche Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus, Baden-Baden 1998. – „Der Triumph der Gesinnung. Hermann Lübbes Analyse des politischen Moralismus“ – „Zusammenfassung“ (425-446).

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Hanns-Gregor Nissing

(G.46) Di Blasi, L.: „Zivilreligion und antifaschistischer Grundkonsens“, in: Zeitschrift für Politik N.F. 47 (2000), 369-387. (G.47) Muller, J.Z.: „German Neo-Conservatism and the History of the Bonn Republic 1968 to 1985”, in: German Politics and Society 18 (2000) [vol. 18], 1-32. (G.48) Rosa, H.: „Gegenwartschrumpfung, Raumvernichtung, Selbstauflösung. Vom Leben in der Beschleunigungsgesellschaft“, in: C. Urban/J. Engelhardt (Hg.), Wirklichkeit im Zeitalter des Verschwindens, Münster – Hamburg – London 2000, 183-199. – „Gegenwartsschrumpfung“ (91-195).

(G.49) Seifert, J.: „Joachim Ritters ‚Collegium Philosophicum‘. Ein Forum offenen Denkens“, in: R. Faber/C. Holste (Hg.), Kreise – Gruppen – Bünde. Zur Soziologie moderner Intellektuellenassoziationen, Würzburg 2000, 189-198. (G.50) Angermeier, H.: Deutschland als politisches Rätsel. Gegenwartsanalysen und Zukunftsperspektiven repräsentativer Zeitgenossen des 20. Jahrhunderts, Würzburg 2001. – „Hermann Lübbe“ (283-287). – „Hermann Lübbe – Joseph Isensee – Paul Kirchhof – Ernst Wolfgang Böckenförde“ (307-311).

(G.51) Heuer, K.: Die geschichtspolitische Gegenwart der nationalsozialistischen Vergangenheit. Zur Analyse unbearbeiteter Loyalitäten am Beispiel des Historisierungsansatzes von Hermann Lübbe, Kassel 2001. (G.52) Schwabe, C.: „Liberalismus und Dezisionismus. Zur Rehabilitierung eines liberalen Dezisionismus im Anschluss an Carl Schmitt, Jacques Derrida und Hermann Lübbe“, in: Politisches Jahrbuch (2001), 175-201. (G.53) Limberg, F.B.: Technik und Moral in der Philosophie Hermann Lübbes. Die Auswirkungen von Vernetzung und Globalisierung, Hamburg 2002. (G.54) Muller, J.Z.: „German Neo-Conservatism, ca. 1968-1985: Hermann Lübbe and Others“, in: J.-W. Müller (Hg.), German Ideologies since 1945. Studies in the Political Thought and Culture of the Bonn Republic, New York 2003, 161-184. (G.55) Nolte, P.: Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik, München 2004. 62006. – „Kapitel 18, I-III: Konservativismus in Deutschland. Geschichte – und Zukunft“ (200-213).

(G.56) Burkert-Dottolo, G.: [Art.] „Hermann Lübbe“, in: Stichwortgeber für die Politik, Teil I, Wien 2006, 99-111. (G.57) Czerniak, S.: Kontyngencja, ToĪsamoĞü, Czáowiek. studia z antropologii, filozoficznej XX wieku, Warschau 2006. – „Zarys stanowiska filozoficznego Hermanna Lübbego“ – „ToĪsamoĞü jednostki ludzkiej w ujĊciu Charlesa Taylora. Charles Taylor a Hermann Lübbe“ (113-200).

(G.58) Hacke, J.: Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberal-konservative Begründung der Bundesrepublik, Göttingen 2006. 22008. (G.59) Moses, A.D.: German Intellectuals and the Nazi Past, New York 2007.

Verzeichnis der Autoren Hermann Lübbe, geb. 1926, Studium der Philosophie, Evangelischen Theologie und Soziologie in Göttingen, Münster und Freiburg/Br., Promotion 1951 (Freiburg/Br.), Habilitation 1956 (Erlangen), 1963-1969 Professor für Philosophie an der Universität Bochum, 1966-1970 Staatssekretär im Kultusministerium und Staatssekretär beim Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, 1969-1973 Professor für Sozialphilosophie an der Universität Bielefeld, 1971-1991 Professor für Philosophie und Politische Theorie an der Universität Zürich, seit 1991 Honorarprofessor ebenda, seit 2004 Senior Fellow an der Universität-Gesamthochschule Essen, 1975-1978 Präsident der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland, Auszeichnungen: ErnstRobert-Curtius-Preis für Essayistik (1990), Paracelsusring der Stadt Villach (1993), Freiheitspreis der Max-Schmidheiny-Stiftung an der Hochschule St. Gallen (1993), Preis der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung (1995), Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (1996), Ehrendoktorat der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität München (2000), Reinhold-Schneider-Plakette (2001), Alfried-KruppWissenschaftspreis (2004). Hanns-Gregor Nissing, geb. 1969, Studium der Philosophie, Katholischen Theologie, Germanistik und Pädagogik in Münster, München und Bonn, Promotion 2004 (Bonn), seit 2005 Wissenschaftlicher Referent für Philosophie und Theologie bei der ThomasMorus-Akademie Bensberg, Katholische Akademie im Erzbistum Köln, Veröffentlichungen: Sprache als Akt bei Thomas von Aquin (2006), Die Lüge. Ein Alltagsphänomen aus wissenschaftlicher Sicht (co-ed., 2007), Der Mensch als Weg zu Gott. Das Projekt Anthropo-Theologie bei Jörg Splett (ed., 2007), Grundvollzüge der Person. Dimensionen des Menschseins bei Robert Spaemann (ed., 2008), Vernunft und Glaube. Perspektiven gegenwärtiger Philosophie (ed., 2008), Grundpositionen philosophischer Ethik. Von Aristoteles bis Jürgen Habermas (co-ed., 2009). Reinhard Mehring, geb. 1959, Studium der Philosophie, Germanistik und Politikwissenschaft in Bonn und Freiburg/Br., Promotion 1988 (Freiburg/Br.), Habilitation 2000 (Berlin), seit 2007 Professor für Politikwissenschaft und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, Veröffentlichungen: Pathetisches Denken. Carl Schmitts Denkweg am Leitfaden Hegels: Katholische Grundstellung und antimarxistische Heilsstrategie (1989), Heideggers Überlieferungsgeschick. Eine dionysische Selbstinszenierung (1992), Carl Schmitt zur Einführung (1992, 32006), Berliner Geist. Eine Geschichte der Berliner Universitätsphilosophie bis 1946 (co-ed., 1999), Thomas Mann. Künstler und Philosoph (2001), Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen (ed., 2003), Das „Problem der Humanität“. Thomas Manns politische Philosophie (2003), Politische Philosophie (2005), Carl Schmitt – Aufstieg und Fall. Eine Biographie (2009).

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Verzeichnis der Autoren

Jens Hacke, geb. 1973, Studium der Alten und Neueren/Neuesten Geschichte, Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin, Promotion 2004 (Berlin), seit 2008 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung, Arbeitsbereich „Die Gesellschaft der Bundesrepublik“, Veröffentlichungen: Geschichtsgefühl [= Ästhetik und Kommunikation 34 (2003), Heft 122/123] (co.-ed.), Mythos Bundesrepublik [= Ästhetik und Kommunikation 36 (2005), Heft 129/130] (co.-ed.), Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik (2006, 22008), Theorie in der Geschichtswissenschaft. Einblicke in die Praxis des historischen Forschens (co-ed., 2008), Streit um den Staat. Intellektuelle Debatten in der Bundesrepublik 1960-1980 (co-ed., 2008). Georg Kohler, geb. 1945, Studium der Philosophie und Jurisprudenz in Zürich und Basel, Promotion 1977 (Zürich), Habilitation 1987 (Zürich), 1981-1991 Tätigkeit als Publizist und in der Geschäftsleitung eines Familienunternehmens in Wien, 1992-1994 Vertretungsprofessur für Politische Philosophie und Theorie am Geschwister-Scholl-Institut der Universität München, seit 1994 Professor für Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der politischen Philosophie an der Universität Zürich, Veröffentlichungen (u.a.): Geschmacksurteil und ästhetische Erfahrung. Beiträge zur Auslegung von Kants „Kritik der ästhetischen Urteilskraft“ (1980), Handeln und Rechtfertigen. Untersuchungen zur Struktur der praktischen Rationalität (1988), Die schöne Kunst der Verschwendung. Fest und Feuerwerk in der europäischen Geschichte (co-ed., 1988), Diskurs und Dezision. Politische Vernunft in der wissenschaftlich-technischen Zivilisation – Hermann Lübbe in der Diskussion (1990, co.-ed.), Die Folgen von 1989 (1994, co-ed.), Die Melancholie des Detektivs. Essays (1994), Konturen der neuen Welt(un)ordnung. Beiträge zu einer Theorie der normativen Prinzipien internationaler Politik (2003, ed.), Über das Böse, das Glück und andere Rätsel. Zur Kunst des Philosophierens (2005), Wozu Adorno? Beiträge zur Kritik und zum Fortbestand einer Schlüsseltheorie des 20. Jahrhunderts (2008, ed.). Holger Zaborowski, geb. 1974, Studium der Philosophie, Katholischen Theologie, Lateinischen und Griechischen Philologie in Freiburg/Br., Basel, Cambridge und Oxford, Promotion 2002 (Oxford), seit 2005 Assistant Professor für Philosophie an der Catholic University of America, Washington D.C., Veröffentlichungen: Bernhard Welte, Gott und das Nichts. Entdeckungen an den Grenzen des Denkens (2000, ed.), Wie machbar ist der Mensch? Eine philosophische und theologische Orientierung (2003, ed.), Martin Heidegger/Max Müller, Briefe und andere Dokumente (2003, ²2004, co-ed.), Martin Heidegger und Bernhard Welte. Begegnungen im Glauben und Denken (2003, co-ed.), Leben, Tod und Entscheidung. Studien zur Geistesgeschichte der Weimarer Republik (2003, co-ed.), System – Freiheit – Geschichte. Schellings Einleitung in die Philosophie (1830) im Kontext seines Werkes (2004, co-ed.), The Political Self-Understanding of Christianity (2004, co-ed.), Phänomenologie der Religion. Zugänge und Grundfragen (2004, co-ed.), Heidegger-Jahrbuch (2004ff., co-ed.), Martin Heidegger und die Logik (2006, co-ed.), Essen und Trinken. Interdisziplinäre Zugänge (2007, co-ed.), Bernhard Welte, Gesammelte Werke (2007ff., ed.), Spielräume der Freiheit. Zur Hermeneutik des Menschseins (2008), F.W.J. Schelling, Philosophie und Religion. Text und Interpretationen (2008).