Populismus – Aufklärung – Demokratie 9783848762781, 9783748903871


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German Pages 281 [280] Year 2019

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Populismus – Aufklärung – Demokratie
 9783848762781, 9783748903871

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Schriftenreihe Zeitgenössische Diskurse des Politischen herausgegeben von Prof. Dr. Andreas Hetzel Prof. Dr. Oliver Flügel-Martinsen Band 16

Wissenschaftlicher Beirat Mathias Albert (Bielefeld), Robin Celikates (Amsterdam), Anna Geis (Hamburg), Charles Girard (Lyon), Ina Kerner (Koblenz-Landau), Regina Kreide (Giessen), Oliver Marchart (Wien), Stephan Moebius (Graz), Maria Muhle (München), Martin Nonhoff (Bremen), Dirk Quadflieg (Leipzig), Hartmut Rosa (Jena), Rainer Schmalz-Bruns (Hannover) Die Forschungsreihe versteht sich als Forum der Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen des Politischen heute. Sie vereint Schriften aus der Politischen Theorie, der Politischen Philosophie, der Sozialphilosophie und der Soziologie. Ohne sich schulpolitisch festlegen zu wollen, verfolgen die Schriften der Reihe die Pfade eines antiessentialistischen, pluralistischen und radikaldemokratischen Denkens des Politischen, wie es sich seit der Mitte der 1980er Jahre vor allem in Frankreich, Italien, England und in den USA formiert hat. Das Themenspektrum der Bände erstreckt sich von dekonstruktiven über genealogische, agonistische, diskurs- und hegemonietheoretische Ansätze bis in die Felder der Gouvernementalitätsstudien, des (Post-)Feminismus und der Postcolonial Studies. Die Reihe eröffnet eine konstruktive Kontroverse über die Diskurse des Politischen und sucht zugleich nach Perspektiven ihrer Weiterentwicklung.

Ralf Mayer | Alfred Schäfer [Hrsg.]

Populismus – Aufklärung – Demokratie

Nomos

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8487-6278-1 (Print) ISBN 978-3-7489-0387-1 (ePDF)

1. Auflage 2019 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2019. Gedruckt in Deutschland. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Populismus – Aufklärung – Demokratie Ralf Mayer und Alfred Schäfer

7

Populismus. Holz- oder Königsweg der Politischen Theorie? Astrid Séville

27

Populismus und Volkssouveränität Fabio Wolkenstein

45

Die Plebejer proben den Aufstand. Paradoxien popularer Politik Kolja Möller

67

Populismus – Technokratie – Demokratie Karin Priester

91

Ungleicher und kombinierter Populismus in der Europäischen Union. Ein theoretisches Modell der Interdependenz populistischer Erfolge in Europa Floris Biskamp 113 Hilfloser Antipopulismus? Populismus als Krisensymptom der medialen Normaldemokratie Jürgen Link

139

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen Tino Heim 157

5

Inhaltsverzeichnis

Rechtsparteien gegen Kosmopoliten? Neue Spaltungen im transnationalisierten Container Cornelia Koppetsch

193

Ressentiment als Kritik? Annäherung an ein problematisches Verhältnis Alfred Schäfer

221

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls? Ralf Mayer

245

Verzeichnis der Beitragenden

279

6

Einleitung: Populismus – Aufklärung – Demokratie Ralf Mayer und Alfred Schäfer

ährend das Erstarken rechtspopulistischer Strömungen in Deutschland vor wenigen ahren noch als ein episodisches Phänomen erscheinen konnte das man mittels einer aufklärerischen insbesondere kritischen Arbeit am öffentlichen Bewusstsein zu berwinden hoffte sind entsprechende politische Parteien wie auch weniger institutionalisierte Akteure in den letzten ahrzehnten nicht nur hierzulande erfolgreicher geworden. So sieht nicht allein Philip Manow Populisten allerorten 1 am erk. Und die darauf bezogenen öffentlichen Debatten bedienen ein weites Spektrum möglicher Positionierungen: Von Beunruhigung und Unverständnis Polemik Ablehnung und Diskreditierungsstrategien bis hin zu Affirmation Solidarisierungs- und Radikalisierungstendenzen existieren unterschiedlich justierte ormen der Artikulation. Versuche politische Standpunkte gegen Meinungen ruppierungen und Parteien rechts von einer wie auch immer gefassten Mitte des Volkes zu profilieren scheinen dabei gegenwärtig ebenso präsent wie Auffassungen die auf entsprechende u erungen mit der Rede von einem Ernstnehmen der ngste der Bevölkerung als einer Art Nährboden des Populismus reagieren. Verlässt man zudem eine engere phänomenale Ebene lassen sich populistische Dynamiken in ihren verschiedenen Ausprägungen bspw. als Krisenphänomene diskutieren die den Streit dar ber öffnen ob es sich hier vor allem um Effekte ökonomischer politischer oder kultureller Ungleichheiten und Verteilungsprobleme handelt oder ob wir aktuell und transnational heterogene aber eben originäre Aspekte demokratischer Auseinandersetzungen selbst beobachten können bei denen es jedoch unklar bleibe ob sich rechtspopulistische Parteien als Arrangement einer weiterhin demokratischen Politik normalisieren lassen oder ob eher davon zu sprechen sei dass etablierte demokratische Institutionen gegenwärtig Mittel und Räume bereit stellen um sich – demokratisch – selbst zu unterminieren und unterzugehen.2 enseits solcher uspitzungen nahm bereits in den 19 er ahren Helmut Dubiel

1 2

Manow Die Politische Ökonomie des Populismus S. 7. Vgl. Hagedorn et al. Wenn Demokratien demokratisch untergehen.

7

Ralf Mayer und Alfred Schäfer

die aufkommenden populistischen Assoziationsräume 3 in den Blick in denen sich von den vorherrschenden Repräsentationssystemen abweichende Artikulationen beobachten lie en ber die sich Politiker Parteien und andere politische ormationen zu dem umworbenen Volk in Beziehung setzen. 4 Bis in die egenwart versammeln sich demnach unterschiedlich massive und flottierende Positionen Strategien und Praktiken in der Bezeichnung Populismus so dass man diese Ausdrucksformen und Krisen politischer Repräsentation kaum auf den Begriff bringen kann5 oder sich zu ihrer Bezeichnung sogar auf die ormel eines leeren Signifikanten 6 respektive einer eerformel 7 verwiesen sieht. Auch wenn man sich demzufolge ber eine Definition des Populismus nicht einig ist wenn man sich dar ber streiten mag ob es sich soziologisch um die egenwehr der Modernisierungsverlierer handelt oder derjenigen die prospektiv um den Verlust ihres ökonomischen politischen Status f rchten wenn man ber die renzen zu den klassischen sozialen Bewegungen der 197 er und er ahre zu Protestformen oder zum Extremismus uneinig ist und wenn man ber den politischen Status solcher Bewegungen ihre rganisationsform Ideologie oder Stimmung unterschiedlicher Ansicht sein mag – weitgehende Einigkeit herrscht in der iteratur ber folgende formale Kennzeichen: Der Populismus beruft sich auf das Volk das als Einheit der einfachen aber aufrichtigen und um die wahren Belange wissenden B rger vorgestellt wird. Autorisiert wird darber u. a. eine Kritik an Eliten Expertokratien und Stellvertretungsanspr chen unterschiedlicher Couleur die dieses Volk von dem her sie doch eigentlich ihre egitimation empfangen vergessen oder verraten haben. Im Namen der Volkssouveränität wird au erdem nicht nur gegen bestimmte Entwicklungen auf Seiten der politischen Repräsentation Position bezogen zumindest tendenziell wird in einer radikalisierten Version auch gegen das politische System der Repräsentation mit seinen Akteuren Institutionen und korrumpierenden Verflechtungen als solches protestiert. Das Volk wird dabei als eine letztlich vorpolitische Einheit aufgerufen – und so als eine Instanz imaginiert die noch vor jeder Repräsentation eine 3 4 5 6 7

Dubiel Vorwort S. 7. Ebd. Vgl. M ller Was ist Populismus? aclau Was haben leere Signifikanten mit Politik zu tun? S. 65. De Mazza Vogl Im Schattenwurf der Demokratie. Vgl. Spier Modernisierungsverlierer? Manow Die Politische Ökonomie des Populismus.

Einleitung

einheitliche anzheit darstellt. Es ist diese vorpolitische Einheit die letztlich in jeder orm der politischen Repräsentation nur unvollständig verfälscht etc. wiedergegeben werden kann. Die rechtspopulistische Kritik richtet sich daher nicht nur gegen eine bestimmte orm der Repräsentation wie etwa vor allem nach 2 15 gegen die l chtlingspolitik sondern stellt das Prinzip der Repräsentation selbst in rage. Populistische hrungsfiguren präsentieren sich vor diesem Hintergrund als unmittelbare Sprachrohre des wahren Souveräns dessen Verrat durch das herrschende System eine empörte egenwehr verlangt: Mit alternativen ormen der Partizipation wie etwa Volksentscheiden fordern sie eine direkte Demokratie in der die Kritik an einem nicht mehr funktionierenden Repräsentationsmodell zum Tragen kommt. Diese Kritik arbeitet nicht zuletzt mit identitätspolitischen Ambitionen und Parteilichkeiten in denen die rage nach der Berechtigung spezifischer politischer Artikulationen unterschiedlich radikale Kontroversen um politisch il- legitime estaltungsformen ugehörigkeiten ewalt usw. aufwerfen kann.9 Die mögliche Schärfe dieser Auseinandersetzungen hängt dabei nicht zuletzt am populistischen Anspruch das Volk nicht nur zu repräsentieren sondern ihm unmittelbar zur Stimme zu verhelfen. Die Unmöglichkeit dieser unmittelbaren Repräsentation legt es nahe etwa die eigene parteipolitische Vertretung auf der politischen B hne durch die Betonung affektiver Nähe – bspw. im Anschluss an die ut des Volkes und dessen Mobilisierung – zu ergänzen um auf diese eise die unvermeidliche cke zwischen politischer Repräsentation und Präsenz zu schlie en. Eine solche Annäherung an das Phänomen des Populismus lässt die Vermutung aufkommen dass sozial psychologische Erklärungen pädagogische Interventionsbem hungen oder R ckgriffe auf soziologisch akzentuierbare Neiddebatten insbesondere auch die Rede von Modernisierungskrisen und damit verbundenen normativen rientierungsverlusten oder gar einem Proletarisierungstrend 1 zu kurz greifen. Denn der

9

1

Vgl. Canovan Populism Decker Populismus Priester Populismus dies. Rechter und linker Populismus M ller Was ist Populismus? u.v.m. – u den unterschiedlichen historischen Kontexten und Konjunkturen des Populismusverständnisses: vgl. aber Unger Populismus in Geschichte und Gegenwart. Hingewiesen wird hier auch darauf dass der Populismus gegen Ende des 19. ahrhunderts in den USA und Russland als eine linke Bewegung entstand. inke populistische Bewegungen finden sich dann auch als pposition gegen rechte Diktaturen in S damerika. Hillebrand Rechtspopulismus in Europa S. 11 .

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Ralf Mayer und Alfred Schäfer

Aufstieg des Populismus 11 scheint unterschiedlichste Verortungen im Spannungsfeld des verfassungsrechtlich gerahmten Verhältnisses von Volkssouveränität und repräsentativer Demokratie zu eröffnen.12 Inwiefern entsprechende Positionierungen in einem berdeterminierten und damit stets umstrittenen Raum von populistischen ogiken den ogiken des repräsentativen Systems und einem vermeintlichen Common Sense – von darauf bezogenen Selbst- und remdzuschreibungen von nicht geteilten Identitäts- und Sprachpolitiken usw. – einsetzen wäre dabei je und je zu untersuchen. Populismus erweist sich insofern stets als ein Relationsbegriff 13 der im Protest gegen eine herrschende orm nicht ohne entsprechende Referenzen zu verstehen ist. Diese Relationierung kann sich dabei – wie erwähnt – sowohl auf bestimmte ormen und Inhalte einer Repräsentation wie auch auf den Anspruch der Repräsentation als solchen richten. Die Behauptung einer spezifischen Differenz und Asymmetrie zwischen dem Interesse des Volkes und einem Ausdruck des Repräsentationssystems erscheint selbst dann als dominantes Motiv wenn die Position gegen die sich die Auflehnung richtet nicht der ihr in der populistischen Artikulation verliehenen Identität oder Dramaturgie entspricht. Daher kann wie Bernd Stegemann formuliert Populismus weder ber seine Inhalte noch ber seine orm erfasst werden sondern nur durch das Verhältnis in das er die beiden Seiten bringt. 14 Die damit visierte Relationalität verweist ihm zufolge prinzipiell auf demokratische Prozesse der Auseinandersetzung um politische Positionen und Reglementierungen des Un- Sagbaren die vom Volk anerkannt und geteilt werden – oder eben nicht. Insofern populistische Dynamiken die rage nach einem wie auch immer genau verstandenen emeinsinn sowie die politische und pädagogische Arbeit an diesem aufwerfen reflektiert sich in entsprechenden Artikulationen und Adressierungen ein demokratisch irreduzibler Streit um die Inhalte sowie die Art und egitimität politischer Partizipation .15 Ein so gefasster okus auf das Phänomen macht es allerdings zunehmend schwierig die politische Auseinandersetzung mit dem Populismus gerade mit Blick auf Prozesse der Meinungsbildung und der Bildung

11 12 13 14 15

1

M ller Was ist Populismus? Vgl. Canovan Trust the People! Decker Demokratischer Populismus und/ oder populistische Demokratie? Priester Wesensmerkmale des Populismus S. 3. Stegemann Das Gespenst des Populismus S. 14. De Mazza Vogl Im Schattenwurf der Demokratie.

Einleitung

öffentlichen Bewusstseins 16 unter die pposition von Irrationalität und Rationalität zu bringen – als m sste man die Populisten nur ber Sinn und Rationalität des repräsentativen Systems aufklären um sie zur Vernunft zu bringen. Die rage nach jeweils dominanten ogiken und egitimitäten scheint sich vielmehr gängigen Vorstellungen von Belehrung issen und akten zu verweigern. Eher drängt sich die rage auf ob eine solche Aufklärungsperspektive 17 die sich in pädagogischen und politischen Programmen niederschlagen mag nicht nur ihre Erfolgschancen verkennt sondern auch ihren eigenen Stellwert als eine Positionierung unter anderen im politischen Streit. Dieser Streit ist als demokratischer nicht durch die Berufung auf eine einzig mögliche Rationalität zu schlichten sondern er verdankt sich gerade der Möglichkeit dass es unterschiedliche Begr ndungsanspr che f r das was als richtig oder vern nftig gelten soll gibt ohne dass ein gemeinsam geteiltes Schlichtungskriterium vorhanden wäre. Das verfassungsrechtlich bestimmte Verhältnis von Volkssouveränität und demokratischer Repräsentation steht nicht zuletzt f r die Unmöglichkeit einer solchen gemeinsamen rundlage. ie der Souverän sich als einheitlicher nur in seiner Repräsentation zeigt die ihm erst eine orm gibt so kann die Repräsentation niemals beanspruchen den Souverän auf die einzig mögliche eise zu repräsentieren. Die politischen Strategien und Begr ndungsfiguren – egal von welcher Seite – können sich daher nicht auf eine allgemein verbindliche unbestreitbare orm oder Kontinuität – in estalt von Rationalität oder emeinsinn Norm oder esetz – berufen.1 Ein derartiger Aufklärungsanspruch bergeht dass die permanente Möglichkeit einer Krise der politischen Repräsentation einen konstitutiven Bestandteil der Demokratie darstellt und dass die egitimität solcher Krisen nicht davon abhängt dass das Bestehende am Postulat und den Ma stäben einer zugrunde liegenden Vernunft gemessen wird. eder die im demokratischen System unterschiedlichen etwa parteipolitischen Repräsentanten noch das Volk als Souverän das als solches auf eine Vielfalt heterogener Konstellationen und Konflikte verweist können f r sich eine solche fundierende Vernunft beanspruchen. Als Souverän erscheint das Volk eher dadurch dass es nicht einfach an Standards der Rationalität gebunden ist die von seinen Repräsentanten vorgegeben werden. Und die Repräsentanten scheinen ihre delegierte Souveränität dann erlangen zu können wenn sie sich nicht nur in hegemonialen Auseinandersetzungen 16 17 1

Dubiel Vorwort S. 7. Vgl. Dubiel Populismus und Aufklärung. Vgl. Menke Am Tag der Krise.

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Ralf Mayer und Alfred Schäfer

mit konkurrierenden Repräsentationsanspr chen sondern auch gegen ber dem Volk als Souverän behaupten. Diese Konstellation lässt sich in wenigen inien skizzieren: a) Damit wird zunächst auf die Beobachtung angespielt dass sich die u erungen des Souveräns nicht ber die Anerkennung der Direktiven einer allgemeinen vern nftigen Position rechtfertigen m ssen. Das Volk ist gerade deshalb souverän weil es die an es herangetragenen Begr ndungen ablehnen oder zur ckweisen kann ohne sich daf r selbst wiederum auf bessere Begr ndungen beziehen zu m ssen. Die Verfahren der ahl mögen hier als Beispiel dienen: Auch wenn in abenteuerlichen Konstruktionen dem ähler eine Intentionalität zugeschrieben werden mag so dienen solche Verfahren doch vorrangig dazu die vielleicht noch unterstellbare individuelle Rationalität im ahlvorgang an eine bestimmte Partei abzutreten und insofern zu suspendieren. eder vermag der freiheitliche säkularisierte Staat entsprechende Voraussetzungen zu garan19 tieren die eine Selbstverpflichtung des Souveräns auf die Akzeptanz des politischen Systems sicher stellen noch existiert ein von allen Angehörigen des Staats gleicherma en geteilter Bezugspunkt als rundlage f r die Beurteilung konkreter politischer Entscheidungen und Artikulationen. ugespitzt könnte man sagen dass die Souveränität des Volks sein letztlich auch vom repräsentativen System her garantiertes subjektives Recht darin besteht sich unvern nftig egoistisch usw. positionieren zu können. Das subjektive Recht beinhaltet so konstitutiv die Möglichkeit der Konfrontation mit dem politischen moralischen etc. Common Sense wie auch mit den in seinem Namen und von ihm in Verfahren legitimierten Repräsentationsinstanzen. b allerdings die orm des verfassungsmä ig bestimmten Verhältnisses von Souveränität und Repräsentation selbst auf diese eise in rage gestellt werden kann ohne mit der Repräsentation auch die Möglichkeit der Einnahme anfechtbarer souveräner Positionierungen aufzuheben wird aus der Perspektive einer radikalen Demokratietheorie2 als zentrales Problem aufgerufen: Diese Relationierung aufzuheben beschwört aus dieser Perspektive die efahr des Totalitarismus 19

2

12

Böckenförde Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation S. 112. – In Christoph Menkes esart richtet sich das so genannte BöckenfördeTheorem durchaus gegen eine Demokratie- und iberalismuskritik von rechts Menke Am Tag der Krise S. 115 da es im Kontext von Hegels Rechtsphilosophie gerade um eine positive Rezeption der errissenheiten gehe die die Moderne definieren – Staat und esellschaft emeinwesen und Individuum Kultur und konomie ebd. S. 116 . Vgl. efort Die Frage der Demokratie.

Einleitung

herauf. Inwiefern also ein von den Kriterien und ogiken der jeweils dominanten Repräsentationsformen sich real lösender bzw. unabhängiger politischer Raum einer direkten Demokratie und oder totalitären Verf gung als möglich behauptet werden kann wäre mit Blick auf den Populismus eigens zu pr fen.21 b) Eine Verpflichtung der Volkssouveränität auf die im repräsentativen System formulierten Anspr che und Begr ndungen scheint jedoch nicht nur aus prinzipiellen r nden problematisch zu sein. war gewinnen die gewählten Repräsentanten ihre eigene Souveränität dadurch dass sie dem Volk ber esetze Regelungen und Rechtfertigungsdiskurse eine orm geben aber diese hebt das Recht auf iderspruch nicht auf – ein iderspruch der mit den verfassungsmä ig verb rgten Rechten rationalisiert werden kann. udem w rde eine solche verpflichtende Bindung des Volkes als Souverän an seine Vertreter immer schon voraussetzen dass das System politischer Entscheidungsfindung auf rational bestimmbarer und einsichtiger rundlage operiert. Dagegen spricht nicht nur der Sachverhalt dass Problembestimmungen und ösungsperspektiven in Demokratien immer umstritten bleiben dass die Infragestellung politischer Macht selbst zu den hegemonialen Artikulationsvarianten gehört.22 Dagegen spricht empirisch auch eine zunehmende Diversifizierung und Abhängigkeit von mächtigen Akteuren. So verweist etwa das Konzept der

21

22

Es ist dies wahrscheinlich auch ein Punkt an dem sich das Verhältnis von linkem Populismus vgl. aclau On Populist Reason Mouffe Für einen linken Populismus und rechtem Populismus diskutieren lie e. Erscheinen beide unter dem Aspekt rational gestalteter Räume politischer Repräsentation als gleicherma en problematisch so lie e sich vor dem Hintergrund dieser berlegungen zur Volkssouveränität fragen ob sich nicht doch eine Unterscheidung markieren lässt. Eine solche Unterscheidung hätte weniger mit den Strategien der Mobilisierung und der Problematisierung der politischen Repräsentation gesellschaftlicher Verhältnisse zu tun. Eher lie e sie sich – vor dem Hintergrund einer Parteinahme eines linken Populismus f r eine radikale Demokratietheorie und gegen den Totalitarismus – so verstehen dass aus der Perspektive eines linken Populismus am wie auch immer problematischen Verhältnis von Volkssouveränität und Repräsentation festgehalten wird. Anders formuliert: Es wird keine tendenziell totalitäre Identität von Repräsentanten bzw. Aktivisten und Repräsentierten postuliert die als solche das System einer repräsentativen Demokratie in rage stellt. Die Vermutung dass an dieser Stelle eine systematisch bedeutsame Abgrenzung von linkem und rechtem Populismus tragfähig sein könnte wäre allerdings genauer zu untersuchen. Vgl. efort Die Frage der Demokratie aclau Mouffe Hegemonie und radikale Demokratie.

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Ralf Mayer und Alfred Schäfer

Postdemokratie23 im Kontext einer ökonomisch ausgerichteten lobalisierung auf die begrenzten Einflussmöglichkeiten von Nationalstaaten auf die Relevanz internationaler rganisationsformen die Einfl sse von obbyisten und N s oder auf die Problematik von Konventionen wie den Menschen- und Verfassungsrechten. Die damit angedeuteten Verflechtungen machen einerseits das eld möglicher Verantwortungszuschreibungen und Interventionen un bersichtlich und lassen rationale ugriffe eher als simplifizierende Konstruktionen erscheinen. Die rage inwiefern andererseits exakt diese Un bersichtlichkeit die unterschiedlichsten populistischen Imaginationen und Kalk le zu motivieren und zu legitimieren vermag verweist berdies auf vielfältige analytisch-empirische ragestellungen die um Aspekte wie identitätslogische und -politische Varianten der Reduktion von Komplexität um simple Schuldzuweisungen und scheinbar einfache ösungen kreisen. c) Nach dem bisher Erörterten lassen sich aber solche ragestellungen nicht einfach auf eine bestimmte Auffassung des Populismus eingrenzen. Auch die Repräsentanten des politischen Systems sind um Akzeptanz f r ihre Entscheidungen zu generieren gezwungen dem Souverän die unberschaubaren Abhängigkeiten sowie die eigenen politischen Aktionen in diesem eld plausibel zu machen. Dies erfordert ebenfalls Vereinfachungen die Konstruktion von Alternativen und Unausweichlichkeiten die Profilierung von Bef rwortern und egnern sowie die Unterdr ckung von Informationen und das Spiel mit der Differenz von ahrheit und Täuschung. Man muss an dieser Stelle nicht auf die Mediokratie mit ihren Strategien der Simplifizierung der Personalisierung oder Moralisierung auf Politiken der Emotion oder des Affekts zur ckgreifen 24 um zu verdeutlichen dass die cke zwischen dem politischen System und dem Souverän hier nur wiederum mit populistischen Mitteln mit Interdiskursen25 oder einem popularen issen26 geschlossen werden kann. Der Einsatz solcher Mittel unterläuft selbst immer schon die ogik von rationalen Programmatiken. Der Aspekt der Plausibilität gewinnt in dieser Hinsicht eine stets problematische orm insofern in rage steht inwieweit sich die renzen zwischen politischen Argumenten und moralischen Interessen zwischen aufklärerischen Absichten und deren Erosion die selbst die Mo23 24 25 26

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Crouch Postdemokratie. Vgl. Meyer Mediokratie Heidenreich Schaal Politische Theorie und Emotionen Slaby Affekt und Politik. Vgl. ink Versuch über den Normalismus. Vgl. iske Elvis.

Einleitung

dalitäten aufklärerischer Enth llungsstile zum weck des Machterhalts 27 nutzen zwischen Imagination und issen etc. berhaupt scharf formulieren lassen. Es scheint so dass das politische System ohne solche populistischen Strategien wohl kaum ein iel wie die Anerkennung der Bevölkerung und deren Engagement erreichen kann. Die Notwendigkeit der Produktion von Möglichkeiten der Bindung und geteilter berzeugung markiert damit einen stets problematischen Aspekt insofern sich das politische Repräsentationssystem nicht zuletzt ber das Versprechen einer Stellvertretung des Volkes autorisiert – und dabei die eigene Position als legitim iert e orm der Selbstregierung des Volkes imaginiert. ill man die Verbindung von Volkswillen und Repräsentation demnach als gegeben postulieren bedarf es ebenso der Unterstellung einer gemeinsam geteilten Position wie auch der gegenläufigen Behauptung von Rationalitäts- oder issensdefiziten auf Seiten des Volks die machtvolle ormen der Repräsentation erfordern. Der Appell an Vernunft oder Sachlichkeit in politischen Debatten konkretisiert sich daher stets in Spannung zur Interessenabhängigkeit bzw. Partikularität entsprechender Positionen und so zu den herrschenden Diskurslinien. ac ues Ranci re radikalisiert diese Diskrepanz auf folgende eise: Populismus ist das be ueme ort hinter dem sich der heftige iderspruch zwischen Volks- und issenslegitimität versteckt die Schwierigkeit der Expertenregierung sich mit den Erscheinungen der Demokratie und selbst der Mischform des repräsentativen Systems abzufinden. 2 d) Dass noch das jeweils leitende Verständnis der Rede vom Volk dabei umstritten ist erschwert zudem die politischen Auseinandersetzungen. So werden mit der Inanspruchnahme der uschreibung Volk unterschiedliche Repräsentationsfiguren aufrufbar die einen Raum der Imagination von ugehörigkeit Einheit und Identifikation bis hin zu unterschiedlichen Problematisierungs- oder Distinktionspraktiken öffnen. Radikaldemokratische Positionen akzentuieren diesbez glich dass der Referent das eine Volk als solches gerade nicht existiert: weder als vorgängige Instanz noch als prinzipiell konturierbare kollektive Identität.29 Demokratische Herrschaftsformen bilden demzufolge ein Regime der Unruhe 3 insofern diese keinen vollständig in sich organisierten und damit geschlossenen politischen Ausdruck gewinnen können. 27 2 29 3

De Mazza Politik und Lüge S. 127. Ranci re Der Hass der Demokratie S. 119. Vgl. Ranci re Das Unvernehmen. Marx Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte S. 153.

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Ralf Mayer und Alfred Schäfer

Den rt und die unktion von Aufklärung und Rationalität – so könnte man eine Konse uenz der bisherigen Problematisierung kennzeichnen – wird man wohl selbst als egenstand politischer Auseinandersetzung verstehen m ssen die sich im Spannungsfeld zwischen Volkssouveränität und den Institutionen und Entscheidungen der repräsentativen Demokratie ereignen. enn also populistische ormen eine Krise der Repräsentation artikulieren indem sie deren Verselbständigung gegen ber den demokratischen Erwartungen der Bevölkerung beklagen dann erweist sich die egenwehr des politischen Systems stets prekär insofern sie vermeiden muss den Souverän bspw. in einen vern nftigen und einen irrationalen Teil zu spalten. Denn eine solche Teilung w rde ihre eigene egitimation in rage stellen die an das Volk aber nicht an dessen Rationalität gebunden ist. Eine Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Herausforderung des rechten Populismus wird diese Konstellation bedenken m ssen. Sie wird sich u. a. in den Spannungsfeldern von Rationalität und Autorisierung von Rationalität Affektivität sowie Ressentiment von politischen Strategien und anderen strategischen Einsätzen von politischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten wie renzen der Repräsentation von demokratischen Aspirationen und realen unktionsweisen des politischen Systems bewegen. Der letztlich unmögliche Versuch jene Imagination von Demokratie als Ausdruck des wahren ungeteilten illens eines authentischen Volkes zu realisieren scheint als Referenz auf die Volkssouveränität diesbez glich ebenso Teil der Autorisierungspraktiken populistischer Sprecher und hrer zu sein wie sie sich auch in der egitimierung staatlicher rgane findet. Dies lie e sich in der These zuspitzen dass die behauptete Rationalität politischer rganisationen prozessualer rdnungen und einer implementierten balance of power nicht nur deshalb prekär bleibt weil das Politische ein rt endloser Auseinandersetzungen ist sondern weil keine Positionierung ungebrochen f r sich beanspruchen kann im Namen des Volkes zu sprechen. enn die Untersuchung angedeuteter Konstellationen sich damit an einem Verständnis des Politischen abarbeitet in dem es keine definitive Positionierung mehr geben kann so gilt f r die bisherigen Ausf hrungen doch dass die geschilderten Spannungsverhältnisse selber noch in einem demokratischen Raum stattfinden. Die in der Diskussion um den rechten Populismus skizzierten ragestellungen im Spannungsfeld von Volkssouveränität und Verfassungsstaat sto en dementsprechend dort an eine renze wo die ogik demokratischer Auseinandersetzungen selbst durch einen extremistischen totalitären Anspruch erodiert. 16

Einleitung

Zu den Beiträgen Die Beiträge dieses Bandes gehen in der Mehrzahl auf Vorträge im Rahmen einer Tagung zum Thema Populismus – Aufklärung – Demokratie zur ck die vom 29.6. bis 1.7.2 17 an der Martin- uther-Universität Halle- ittenberg stattgefunden hat. Sie nähern sich unterschiedlichen Aspekten der skizzierten Problematik des Rechtspopulismus unter R ckgriff auf politikwissenschaftliche soziologische kulturwissenschaftliche philosophische oder bildungstheoretische Perspektiven. So nimmt der Beitrag von Astrid Séville seinen Ausgangspunkt von der rage ob die renze zwischen demokratischen egitimationsbem hungen und populistischen Argumentationen hinreichend scharf zu markieren ist. S ville pr ft die rage nach einer solchen renzmarkierung an der postfundationalistischen Demokratietheorie aclaus. r aclau bilden populistische Strategien den eg auf dem sich in Demokratien steuerungsrelevante Mehrheiten bilden: Sie zielen mit Hilfe leerer Signifikanten auf die Integration unterschiedlicher Positionierungen die zugleich antagonistisch durch Abgrenzung von einer egenposition gest tzt wird. S ville geht nun der rage nach ob eine solche hegemonietheoretische esart des Populismus nicht notwendig die plurale Differenziertheit moderner esellschaften antagonistisch reduzieren muss – eine Pluralität deren ewährleistung doch zugleich die formale Voraussetzung hegemonialer Strategien ist. Eigent mlich hilflos erscheine diese Annäherung von radikalem Demokratieverständnis und Populismus zudem angesichts einer rechten Essentialisierung des Volkes und der damit einhergehenden Konstruktion einer feindlichen Bedrohung von au en. Fabio Wolkenstein untersucht Verschiebungen im Konzept der Volkssouveränität. Rechtspopulistische Positionierungen behaupten deren Einschränkung durch herrschende Eliten und gehen von einer direkten Handlungsfähigkeit aus: Das Volk als Souverän könne zum aktiven und einzig legitimen estalter des eigenen Schicksals werden. Die Ablehnung des politischen Establishments bildet von hierher eine ur ckweisung des Prinzips der Repräsentation und der unterschiedlichen Modelle einer demokratischen Partizipation die von einer Strittigkeit und der notwendigen rganisation unterschiedlicher Meinungen ausgehen. Im egensatz zu einer demokratisch-prozeduralen Idee von Volkssouveränität ist nach olkenstein f r den Populismus kennzeichnend dass das Volk als Souverän zugleich als eine moralisch kodierte Einheit verstanden wird die ihre eigene Handlungsfähigkeit in einer populistischen Partei zur ck gewinnt. Mit Blick auf unterschiedliche rechtspopulistische Entwicklungen zeigt 17

Ralf Mayer und Alfred Schäfer

sich eine moralisierende orm der Polarisierung die den ert eines durch Diffusion Pluralität oder Emanzipationsbewegungen bedrohten harmonisch imaginierten Volkes hervorhebt um die Bedingungen f r eine populistisch verkörperte Handlungsweise des Volkes f r dessen ebenso als einheitlich wie als bestimmend gedachte direkte Artikulation zu gewinnen. Auch der Beitrag von Kolja Möller kn pft an den edanken der Volkssouveränität an um von ihm her eine tragische rundstruktur des Populismus rechter liberaler wie linker Prägung aufzuzeigen. Diese Tragik besteht darin dass sich die Berufung auf das Volk als vorpolitischen Souverän letztlich als eine politische Strategie verstehen lässt die dessen instituierende Macht dann doch wieder in ein Herrschaftsverhältnis gegen ber dem Volk verkehrt. Mit Blick auf rechte Populismen mit ihrer scharfen Entgegensetzung von vorpolitischem Volk und politischer Elite und ihrer iguration der Bedrohung des Volkes von au en lässt sich die Tendenz beobachten dass sich antiautoritäre orderungen in autoritäre Beherrschungsmodelle verkehren. Der linke Populismus der von einer Heterogenität der eute ausgeht deren Einheit gegen ber der organisierten Politik erst hergestellt wird lässt sich f r Möller von der Vorstellung einer machtvollen Intervention leiten die dann entweder vom politischen System neutralisiert wird oder zu egenreaktionen f hrt die die hnmacht der Intervention f r die Beteiligten erfahrbar machen. Aber auch Alternativen die die tragische rundstruktur des Populismus dadurch zu vermeiden versuchen dass sie eher auf die Verweigerung oder den Verzicht auf eine Intervention in das politische System setzen bleiben problematisch weil sie das Problem der Verallgemeinerung und ihrer eigenen Bedeutsamkeit f r die politische estaltung des emeinwesens nicht hinreichend ber cksichtigen. Möller plädiert f r eine politische Strategie die eine populare Politik nicht in einem klaren ppositionsverhältnis zum politischen System positioniert sondern die ihre Veränderungsperspektiven an eine Analyse komplexer und hybrider Machtverhältnisse bindet und damit in die age versetzt wird ihre Strategien im Spannungsfeld von politischem System und plebejischem Einsatz von Macht und hnmacht zu reflektieren. Es ist die lle der in letzter eit erschienenen Publikationen zum Populismus die Karin Priester nach einer darin weniger beachteten efahr f r den demokratischen Parlamentarismus fragen lässt. Diese efahr identifiziert sie in technokratischen ormen der Politik. Mittels einer Typisierung technokratischer und populistischer Motive gewinnt die Autorin ein Deutungsmodell ber das Nähen und Differenzen beider Ebenen dechif1

Einleitung

friert und aktuelle politische Entwicklungen auf jeweilige Aspekte hin untersucht werden können. So binde sich technokratisches Handeln an Auffassungen einer instrumentellen weckrationalität und Effizienzorientierung die Schemata von bjektivität und damit Plausibilitätsannahmen unterstellen an denen sich jedes alternative Bewertungsmodell zu messen habe. An die Stelle umstrittener demokratischer Aushandlungsprozesse die sich um ragen der machtvollen Durchsetzung partikularer Interessen und der Repräsentationsproblematik organisieren trete das Postulat einer gegen ber erturteilen und politischen Ideologien neutralen Technokratie von Experten die das Handeln in den Kabinetten anleiten sollen. Priester spricht diesbez glich von der efahr einer Entpolitisierung kollektiver Entscheidungsprozesse da das Expertenwissen eine egitimität beanspruche die sich den demokratischen egitimationsvorgängen zu entziehen suche. Demgegen ber diskutiert die Autorin inwiefern populistische Polarisierungen – durchaus auch in etablierten Parteien – eine Kritik an solchen b rokratischen B ndnissen artikulieren da in diesen die Interessen der breiten Bevölkerung abgeblendet erscheinen. Entsprechende Entwicklungen verfolgt sie mit Blick auf unterschiedliche Koalitionen des parlamentarischen Parteiensystems und technokratischer Einsätze in ausgewählten europäischen Regierungen der Nachkriegszeit wie in den USA. Floris Biskamp nimmt die aktuell diskutierte Beobachtung auf dass sich in fast allen ändern Europas eine Konjunktur populistischer Bewegungen zeigt dass dabei allerdings die jeweiligen ormen Inhalte und deren politischen Auswirkungen stark differieren. Ihn interessiert an der Stelle weniger die Möglichkeit der Abgrenzung populistischer von nichtpopulistischen Parteien oder Mobilisierungsstrategien. Entscheidend f r seine Argumentation erscheint vielmehr das Konzept der Repräsentationsl cke das den okus auf die fehlende Resonanz zwischen bestimmten Bevölkerungsgruppen und dem etablierten Spektrum regierender oder auch oppositioneller Parteien richtet: In diesem Sinne bearbeiten populistische Projekte die rage inwiefern sich das Volk durch den Staat angemessen vertreten f hlt . Vielfalt und Erfolg populistischer Dynamiken entscheiden sich hier ber die bindende wie mobilisierende Kraft von Repräsentationsangeboten f r soziale ruppen und politische Haltungen. Entsprechend gilt es Biskamp zufolge ebenso die Eigenständigkeit populistischer Bewegungen etwa hinsichtlich trans- nationaler Besonderheiten zu ber cksichtigen wie auch gemeinsame Referenzpunkte und Interdependenzen zu untersuchen. emeinsam sei die je differente Reaktion insbesondere auf länder bergreifende Krisenphänomene: im Kontext einer liberalisierten und globalisierten konomie des Spannungsfeldes zwi19

Ralf Mayer und Alfred Schäfer

schen nationaler Souveränität und der europäischen Ebene der Politik sowie einer Nivellierung differenter Positionen im etablierten Parteiensystem. Die zugleich diagnostizierten emeinsamkeiten wie die Variationen populistischer ormate verkn pft Biskamp in der Rede von einem ungleichen und kombinierten Populismus . In dieser Modellierung lasse sich die Kraft entsprechender Bewegungen nicht schlicht auf nationale Kontexte reduzieren sondern m sse internationale usammenhänge ber cksichtigen die Biskamp mit Blick auf die Position einzelner Staaten in der politischen konomie der Europäischen Union interessieren. Jürgen Link konzentriert sich in seinem Beitrag auf die rage der Verortung des Populismus im und zum System der Normaldemokratie. Diese lässt sich einerseits als eine Neutralisierung normativer und antagonistischer rontstellungen im politischen Raum begreifen andererseits steht sie f r die Durchsetzung eines Systems der Normalverteilung politischer Akteure nach dem Modell eines leichgewichts in dem die Mitte als rt eines unterstellten Konsenses von auf sie hin orientierten Rechts- und inksorientierungen umgeben ist die in sich wiederum eine renze zum Extremismus ziehen m ssen sollen sie denn als normal gelten. Die Ausgrenzung der Antagonismen erlaubt eine Normalverteilung politischer Positionierungen im Rahmen eines pluralen Spektrums. Das Aufkommen populistischer Bewegungen stellt dabei ein Symptom der Denormalisierung der Normaldemokratie dar. Die Provokation durch die Betonung unterschiedlicher Antagonismen in diesen Bewegungen gewinnt eine politische Relevanz vor allem vor dem Hintergrund weltweiter inanz- und irtschaftskrisen der Verschärfung der Armutskrise und der mit ihr verbundenen weltweiten Migrationsproblematik usw. Es ist die Populismustheorie von aclau und Mouffe die f r ink ein analytisches Instrumentarium bereitstellt mit dem sich diese Situation analysieren lässt. Die Untersuchung hegemonialer Strategien die sich nicht vorab dem Schema der Normaldemokratie verschreiben und von hierher die Betonung von Antagonismen zu neutralisieren versuchen erlaubt es das Verhältnis von Normalisierung und Denormalisierung als politisches Konfliktfeld in den Blick zu nehmen. Eine solche Untersuchungsperspektive verlangt dabei f r ink auch das Populismuskonzept aclaus so weiterzuentwickeln dass sein Antagonismuskonzept der Komplexität differentiell organisierter esellschaften gerecht wird und nicht selbst einem normativ verfassten Rechts inks- egensatz verhaftet bleibt. Tino Heim situiert die Auseinandersetzungen mit populistischen Phänomenen im Kontext vergangener wie aktueller Konfrontationslinien die ihre Dynamik inmitten der Kontroversen normaler politischer und öko2

Einleitung

nomischer unktionszusammenhänge entfalten. Im normalpolitischen Umgang mit populistischen Bewegungen entschl sselt der Autor die Verkn pfung des Streits um il- legitime Themenfelder und Positionen in sozialen und medialen Räumen mit der widerspr chlichen Arbeit an gesellschaftlichen Strukturkrisen. So sind es gerade die ungelösten Problemkonstellationen einer globalisierten politischen konomie durch die autoritäre und nationalistische Parteien Haltungen oder auch eind- Bilder an Einfluss gewinnen – und der mainstream des Parteienspektrums hierzulande wiederum mit der Ablehnung populistischer Entwicklungen reagiert. Heim zufolge geraten in beiden Reaktionen die realgesellschaftlichen Konflikte aus dem Blick: Das transnationale Erstarken autoritärer Bewegungen verweise auf die anusköpfigkeit einer Parteienlandschaft die f r die Bekämpfung der Krisenursachen keine hinreichenden ösungen anbietet sowie die öffentliche Aufmerksamkeit auf Schau- und Scheinkämpfe verlagert und daf r selbst repressive Taktiken nutzt. Der Autor verfolgt in diesem Sinne die emeinsamkeiten zwischen vorherrschenden politischen Strategien Deutungsgeboten und rechtspopulistischen Positionen. Entsprechende Nähen entziffert er in gegenläufigen Rezeptionsvarianten neoliberaler Entwicklungen in postdemokratischen Kontexten die an die Erosion politischer Repräsentationssysteme sowie an eine unahme sozialer Spaltungen anschlie en. Eine hegemoniale Rolle bernehmen in dieser ogik eher sicherheitspolitische Diskurse eine nationale Identitätspolitik und sich daran anschlie ende Abwehrkämpfe als sozialpolitische Verteilungsfragen. r Heim stellen diese Entwicklungen letztlich den restriktiven Versuch dar die globalen Domianzverhältnisse zu sichern und den Streit um entscheidende politisch-ökonomische Konflikte zu unterbinden. Cornelia Koppetsch verschiebt in ihrem Beitrag ebenfalls die dominanten Begr ndungsmuster f r die Konjunktur populistischer Bewegungen. So werden in Referenz auf Theorien sozialer Ungleichheit die Ursachen f r den Erfolg populistischer Rechtsparteien in Europa vorrangig entweder auf sozioökonomische Spaltungen oder kulturelle Konfliktszenarien zur ckgef hrt in denen die bisherige Verteilung privilegierter und benachteiligter Positionen erodiert. Theoretisch wie empirisch gehaltvoller erscheint f r Koppetsch eine klassentheoretische Perspektive welche die im Rechtspopulismus aufbrechenden Konflikte um Deutungshoheiten im Kontext gegenwärtiger ökonomischer politischer wie kultureller Entwicklungen als Einsätze in sozialen Auseinandersetzungen begreift: Die Autorin untersucht die enese neuer Aufteilungen Ungleichheiten und ugehörigkeiten die sich nicht mehr ohne eiteres entlang gewohnter esarten sozialer Klassendifferenzen dechiffrieren lassen. Eine wichtige 21

Ralf Mayer und Alfred Schäfer

unktion bernimmt hier die Containermetapher ber die sich die Relevanz und ersetzung unterschiedlicher renzziehungen z. B. in Bezug auf ethno-nationale und identitätspolitische Markierungen diskutieren lässt. Im Anschluss an die Sozialtheorie von Pierre Bourdieu untersucht die Autorin inwiefern die Mobilisierungsgrundlagen des Rechtspopulismus an zwei Voraussetzungen gebunden sind: Erstens an eine durch Transnationalisierungsprozesse induzierte horizontale Klassenspaltung die uer durch alle sozialen Schichten läuft und ein vertikales B ndnis zwischen konservativen Teilmilieus aus oberen mittleren und unteren Schichten möglich macht. Eine zweite Voraussetzung sieht Koppetsch in der Erfahrung abwärtsmobiler lugbahnen die geprägt ist durch das Erleben eines Verlusts der Kontrolle ber die eigene soziale Position. Eine solche Erfahrung vermag kollektive Effekte zu entfalten ohne sich allerdings auf eine homogene ruppen- oder Klassenkonstellation zu beziehen. Daran anschlie end beleuchtet der Beitrag die Motive rechtspopulistischer Mobilisierung in drei Milieus: der konservativen berschicht der traditionellen Mittelschicht und der prekären Unterschicht. Alfred Schäfer fragt nach einer Differenzierung die nicht allein im aktuellen Diskurs um Populismen und Aufklärung immer wieder genutzt wird: Ihn interessiert die Möglichkeit kritische Positionierungen von ressentimentgeladenen Artikulationen zu unterscheiden. Beim Versuch beide Ebenen klar voneinander zu trennen werden allerdings elementare theoretische Schwierigkeiten sichtbar. Schäfer untersucht in mehreren Schritten inwiefern die Bem hungen ein Kriterium f r ahrheit oder bjektivität zu generieren um einen sachlich angemessenen okus auf eine beanstandete soziale irklichkeit von einer voreingenommenen verzerrten etc. Perspektive unterscheiden zu können je eigene Unschärfen erzeugen: So lasse sich weder die renze zwischen einem unbestreitbaren äu eren Referenzpunkt und einer innerpsychischen emotional gefärbten irklichkeit hinreichend eindeutig markieren wie auch die Differenz zwischen einer verallgemeinerbaren und einer nur situativen Beobachtung. Dies gelte ebenso f r die Anstrengungen eine scharfe inie zwischen einem sich auf Vernunft berufenden Bereich und der Sinnlichkeit des Einzelnen zu ziehen. Der Bezug auf ein von den Verortungen der jeweiligen subjektiven Einsätze unabhängiges d. h. absolutes ahrheitskriterium erweise sich letztlich als unhaltbar. Denn zum einen gewinnt der Anspruch der Kritik stets erst in der Abgrenzung meist der Abwertung des Ressentiments seine Konturen. Schäfer expliziert zum anderen im Anschluss an Max Scheler inwiefern die damit verbundene Hierarchisierung von eltungsanspr chen angesichts des modernen leichheitsanspruchs stets in 22

Einleitung

einem intersubjektiv umstrittenen normalisierten und disziplinierten Sozialraum erfolgt: ede r kann sich in Anbetracht der ubi uitären Erfahrung von Ungleichheit auf der Seite des vern nftigen Arguments wähnen und anders lautende Positionen als affektiv unhaltbar abweichend gewaltsam etc. zur ckweisen. Schäfer vertieft die theoretischen Skizzen im Anschluss an die spinozistisch inspirierte esart Martin Saars und problematisiert im Verweis auf radikaldemokratische berlegungen politische wie pädagogische Anstrengungen Inklusions- und Exklusionsdynamiken ber Moralisierungsstrategien oder Konzepte wie Toleranz und Anerkennung zu entschärfen. Inwiefern das Verhältnis von Kritik und Ressentiment in je spezifischen Ausprägungen der Relation im Kontext politischer Auseinandersetzungen und deren hegemonialer Effekte analysierbar wird zeigt Schäfer abschlie end im Durchgang durch diskriminierungskritische und rechtspopulistische Positionen. Im abschlie enden Beitrag dieses Bandes thematisiert Ralf Mayer das Phänomen der Empörung aus einer an Hegel anschlie enden bildungstheoretischen Perspektive. Dieser folgend lassen sich Bildungsprozesse nur im Spannungsfeld von subjektiver ormierung und sozialen MachtVerhältnissen begreifen: eder das Eine noch das Andere bilden unabhängige und stabile Bezugspunkte f r das was sich unter Bildung verstehen lässt. Im Bildungsprozess wird beides – die subjektive Aneignung wie auch die egenständlichkeit der elt – immer wieder neu konstituiert und transformiert: Die Negation des scheinbar unmittelbar Einsichtigen und die subjektive Entäu erung im Kontext eines unverf gbaren Erfahrungsraums kennzeichnen diesen Prozess. Die Empörung fasst Mayer dabei als ein Moment des Bildungsprozesses in dem das Selbst einerseits – gegen die eigene errissenheit – eine ahrnehmung der auch moralischen Selbstgewissheit erfährt und doch damit zugleich mit einer f r es selbst konstitutiven und abgelehnten remdheit konfrontiert wird. Das worauf sich die Empörung richtet ist dabei weder ein Anlass der anhand objektiver Kriterien ausgewiesen werden könnte noch kann einfach mit der Möglichkeit seiner sozialen Verallgemeinerbarkeit gerechnet werden. Auch wenn Empörung wie andere Affektlagen im Kontext hegemonial verfasster sozialer Normen und Verhältnisse zu verorten ist ist f r sie ein dialektisches Spannungsverhältnis von individueller Betroffenheit und verallgemeinerbarer Einsicht leitend das nicht kognitiv aufgelöst werden kann. Diese Dialektik bildet eine renze f r jede legitimierende animierende wie ablehnende Haltung zu Anlässen und ormen der Empörung die f r sich einen allgemein begr ndeten Anspruch erhebt. Mit der Aktion Scholl 2 17 des entrums f r politische Schönheit wird dann das Bei23

Ralf Mayer und Alfred Schäfer

spiel einer indirekten Strategie diskutiert die die Einsatzpunkte einer möglichen Empörung deren pädagogische politische oder ästhetische ualität das Verhältnis von Individualität und Sozialität von Emotionalität und Rationalität offen zu halten versucht – und dennoch einen Anlass f r Empörung bilden möchte.31 Literatur Böckenförde Ernst- olfgang: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation in: Ders.: Recht Staat reiheit rankfurt a. M. 1991 S. 92-114 Canovan Margaret: Populism Toronto 19 1 Canovan Margaret: Trust the People Populism and the two aces of Democracy in: Political Studies VII 1999 S. 2-16 Crouch Colin: Postdemokratie rankfurt a. M. 2 De Mazza Ethel Matala: Politik und ge in: eitschrift f r Medien- und Kulturforschung. Schwerpunkt: Alternative akten hg. von orenz Engell u. Bernhard Siegert Heft 9 2 2 1 S. 119-131 De Mazza Ethel Matala Vogl oseph: Im Schattenwurf der Demokratie. er ist das Volk – und wer entscheidet? ber die eerformel Populismus und ihren ebrauch in: taz 1 . 11. Dezember 2 16 S. 11 Decker rank Hg. : Populismus. efahr f r die Demokratie oder n tzliches Korrektiv iesbaden 2 6 Decker rank: Demokratischer Populismus und oder populistische Demokratie? Bemerkungen zu einem schwierigen Verhältnis in: ielenga riso Hartleb lorian Hg. : Populismus in der modernen Demokratie M nster 2 11 S. 39-54 Dubiel Helmut Hg. : Populismus und Aufklärung rankfurt a. M. 19 6 Dubiel Helmut: Vorwort in: Ders. Hg. : Populismus und Aufklärung rankfurt a. M. 19 6b S. 7-11 aber Richard Unger rank Hg. : Populismus in eschichte und egenwart rzburg 2 iske ohn: Elvis: Body of Knowledge. ffizielle und populäre ormen des issens um Elvis Presley in: Hörning Karl H. inter Rainer Hg. : iderspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung rankfurt a. M. 1999 S. 339-37 Hagedorn udger Hasewend Katharina Randeria Shalini Hg. : enn Demokratien demokratisch untergehen ien 2 19 Heidenreich elix Schaal ary S. Hg. : Politische Theorie und Emotionen BadenBaden 2 12 31

24

r alle Hinweise die M hen der Tom immermann und ulia olle.

ormatierung und Korrektur danken wir

Einleitung Hillebrand Ernst: Rechtspopulismus in Europa: efahr f r die Demokratie? Bonn 2 15 aclau Ernesto Mouffe Chantal: Hegemonie und radikale Demokratie. ur Dekonstruktion des Marxismus ien 19 5 aclau Ernesto: n Populist Reason ondon New ork 2 5 aclau Ernesto: as haben leere Signifikanten mit Politik zu tun? in: Ders.: Emanzipation und Differenz ien Berlin 2 1 S. 65-7 efort Claude: Die rage der Demokratie in: Rödel Ulrich Hg. : Autonome esellschaft und libertäre Demokratie rankfurt a. M. 199 S. 2 1-297 ink rgen: Versuch ber den Normalismus. ie Normalität produziert wird öttingen 2 6 Manow Philip: Die Politische konomie das Populismus Berlin 2 1 Marx Karl: Der achtzehnte Brumaire des ouis Bonaparte 1 52 1 69 in: Marx Karl Engels riedrich: erke. Bd. Berlin 196 S. 111-2 7 Menke Christoph: Am Tag der Krise. Kolumnen Berlin 2 1 Meyer Thomas: Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch die Medien rankfurt a. M. 2 15 Mouffe Chantal: r einen linken Populismus Berlin 2 1 M ller an- erner: as ist Populismus? Ein Essay Berlin 2 16 Karin Priester: Populismus. Historische und aktuelle Erscheinungsformen rankfurt a. M. New ork 2 7 Priester Karin: Rechter und linker Populismus rankfurt a. M. New ork 2 12 Priester Karin: esensmerkmale des Populismus in: APu . Aus Politik und eitgeschichte 62 5-6 2 12 S. 3- . Ranci re ac ues: Das Unvernehmen. Politik und Philosophie rankfurt M. 2 2 Ranci re ac ues: Der Hass der Demokratie Berlin 2 16 Slaby an: Affekt und Politik. Neue Dringlichkeiten in einem alten Problemfeld in: Philosophische Rundschau. Band 64 Heft 2 2 17 S. 134-162 Spier Tim: Modernisierungsverlierer? Die ählerschaft rechtspopulistischer Parteien in esteuropa iesbaden 2 1 Stegemann Bernd: Das espenst des Populismus. Ein Essay zur politischen Dramaturgie Berlin 2 17

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Populismus. Holz- oder Königsweg der Politischen Theorie? Astrid Séville

Populism is the royal road to understanding something about the ontological constitution of the political as such.

1.

1

Einleitung

ir erleben eine doppelte Konjunktur: Der Kampfbegriff 2 Populismus ist politisch und politikwissenschaftlich en vogue. Parteien wie der ront National unter e Pen in rankreich die idesz-Partei unter Viktor rb n in Ungarn oder die AfD in Deutschland gelten allerorten als Populisten.3 Sie sind offen nationalistisch islamfeindlich verwehren sich einer liberalen Bejahung einer pluralistischen esellschaft und diffamieren Parteien als Establishment die unabhängige Presselandschaft als genpresse . udem nutzen Populisten allerhand Verschwörungstheorien entziehen sich einer sachlichen Debatte um politische ösungsversuche und setzen der Komplexität vereinfachende Parolen mit Berufungen auf den illen des Volkes und der schweigenden Mehrheit entgegen. Bereits diese Skizze allgemeiner Merkmale populistischer Parteien und Akteure wird in der akademischen Debatte diskutiert. In den letzten ahren verging kaum ein Tag an dem nicht ein Sozialwissenschaftler oder Publizist Kriterien und Arbeitsdefinitionen vorlegte was eigentlich genau mit dem Chamäleon 4 Populismus zu bezeichnen sei. r den im deutschen euilleton dank eingängiger Thesen einschlägigen Populismusforscher 1 2 3

4

aclau On Populist Reason S. 67. ink Diskurstheoretische Überlegungen zur neuesten Konjunktur des „Populismus“-Begriffs S. 17. Im folgenden Beitrag wird aus r nden besserer esbarkeit darauf verzichtet bei der Denomination von Akteuren und Akteursgruppen die weibliche orm zu ergänzen. enn nicht anders gekennzeichnet sind Akteure unabhängig ihres eschlechts einbezogen. Taggart Populism S. 2 ders. Populism and Representative Politics in Contemporary Europe S. 275.

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Astrid Séville

an- erner M ller gelten als hinreichende Kriterien dessen Antipluralismus und stete Verweise auf einen vordiskursiven illen des Volkes.5 Die Soziologin Karen Priester verweist hingegen auf das Konzept einer inkohärenten Ideologie um die Austauschbarkeit politischer Inhalte zu unterstreichen 6 und der britische Politikwissenschaftler Paul Taggart stellt die igur eines immer wieder beschworenen Heartland heraus.7 ieder andere Autoren begreifen Populismus als Herrschaft des Ressentiments der sachlichkeits- und rationalitätsfremden Emotionalität der Enttäuschten oder als eine in der rationalen liberaldemokratischen Moderne deviante Antwort auf die notwendige demokratische Kontingenz- und Komplexitätsbewältigung etwa durch Pauschalisierung Skandalisierung oder durch die Suche nach S ndenböcken f r Strukturprobleme. Solche Definitionsfragen werfen indes die provokante rage auf unter welchen Umständen und in welchem Ausma politische ösungsvorschläge Politik emotionalisieren und vereinfachen. ann unterschreiten Politiker ein erforderliches Komplexitätsbearbeitungsniveau wann ist in einer Demokratie die Behauptung die Mehrheit des Volkes zu repräsentieren den Volkswillen zu artikulieren eine antipluralistische demagogische opportunistische Strategie wann eine legitime Selbstbeschreibungsformel lupenreiner Demokraten? Schon der gro e Soziologe Ralf Dahrendorf lie sich Anfang des 21. ahrhunderts zu dem lakonischen Bonmot hinrei en des einen Populismus sei des anderen Demokratie . Nicht nur ber eine satisfaktionsfähige das hei t empirisch haltbare sowie falsifikationsfähige politische Theorie des Populismus wird gestritten auch ber mögliche Erklärungen jener unheimlichen politischen Konjunktur wird debattiert. Sozialstrukturell akzentuierte Analysen heben Milieus und Schichten der ähler populistischer Parteien hervor andere soziologische und politikwissenschaftliche Analysen sekundieren jene ähler seien Modernisierungsverlierer beziehungsweise B rger die um ihren sozioökonomischen Status uo bangten relative Deprivation erf hren und oder ihre narrative Hoheit angesichts von political correctness und verordnetem linksliberalen Kosmopolitismus dahingeschmolzen sähen. Allzu häufig vermengt sich in Semantiken zur Beschreibung jenes Phänomens wissenschaftliche Analyse mit einem vorwurfsvollen estus der Populisten und ihren ählern Irrationalität und Unaufgeklärtheit attestiert 5 6 7

2

Vgl. M ller Was ist Populismus? Vgl. Priester Definitionen und Typologien des Populismus. Vgl. Taggart Populism. Dahrendorf Acht Anmerkungen zum Populismus.

Populismus. Holz- oder Königsweg der Politischen Theorie?

und die ugehörigkeit zur liberaldemokratischen esellschaft an Rationalität Kohärenz und iberalität kn pft. Schlie lich gelte: Die ersten pfer des Populismus sind Vernunft und Aufrichtigkeit .9 Das Etikett des Populismus erf llt sodann die unktion einer stigmatisierenden Diskreditierung. Der Erfolg populistischer Parteien beruhe auf regressiven antasien und Antrieben unaufgeklärter Teilgesellschaften auf uneinsichtigen r ckwärtsgewandten Protestwählern wenn nicht auf einem geringen Niveau politischer Bildung.1 olgerichtig werden orderungen nach politischer Bildung laut denn bisher sei erschreckenderweise zu konstatieren so der prominente Ideenhistoriker Herfried M nkler: ro e Teile des 11 Volkes sind dumm . Statt sich dem liberaldemokratischen ortschritt zu verschreiben konterkarieren Populisten zudem Verständigungsprozesse die auf einer allgemeinen Nachvollziehbarkeit und ahrhaftigkeit von Argumenten fuen. Sie fordern Modelle partizipatorischer deliberativer Demokratietheorie heraus. Populisten gefährden so der Tenor schlimmstenfalls den gesamtgesellschaftlichen kompromiss- und verständigungsorientierten Integrationsprozess der in der Tat als eine politisch funktionale iktion irkmächtigkeit auf die moderne pluralistische esellschaft entfaltet. egen jene kritischen Annäherungen an das Phänomen des Populismus schrieb der 1935 in Argentinien geborene 2 14 verstorbene Philosoph und politische Theoretiker Ernesto aclau an. Ihm zufolge laufen wir efahr mit einer normativen Perspektive auf Populisten als Symptom eines regressiven völkischen Bewusstseins das produktive Moment von populistischen Diskursen zu unterschätzen. aclau verfasste 2 5 mit seinem erk On Populist Reason eine Analyse des Populismus die sich von der heute aktuellen Debatte erheblich unterscheidet und sich selbst als formal und deskriptiv begreift. Er schrieb: Populism is the royal road to understanding something about the ontological constitution of the political as such. 12 Doch was meint dieser Satz und was können wir tatsächlich vom Populismus lernen au er einer begr ndeten Sorge um die Errungenschaften liberaler Demokratie? Im olgenden wird zunächst aclaus Populismuskonzeption im Kontext seiner zentralen Thesen und Annahmen verortet um dann aufzuzeigen inwiefern Populismus f r aclau der zitierte Königsweg zum Verständnis 9 1 11 12

ischer „Vernunft und Aufrichtigkeit sind die Opfer“. Vgl. Hildebrand Rechtspopulismus und Hegemonie S. 14f. M nkler Interview Deutschlandfunk. aclau On Populist Reason S. 67.

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Astrid Séville

des Politischen ist. Danach erfolgt eine Kritik an aclaus Populismusapologie die Stellung zu einer impliziten Ethik des Kontingenzbewusstseins bezieht. Schlie lich ist die rage zu beantworten ob es sich bei einer kritischen Konzeptualisierung des Populismus um einen Holz- oder Königsweg f r die Politische Theorie handelt. 2.

Laclaus formale Populismuskonzeption als postfundationalistische Theorie

r Ernesto aclau ist Populismus keine Pathologie kein Symptom krisenhafter Verhältnisse oder Konflikte sondern ein politisches Projekt das eine spezifische nämlich politische Handlungslogik sichtbar macht. Mit seiner Theorie fragt er: ie und was produziert der Populismus? Er nimmt Populismus als einen performativen Diskurs in den Blick: Dieser konstruiert eine politische Einheit das Volk . Doch in jener Imagination des Volkes äu ere sich kein pathologischer oder politisch irrationaler Regress sondern eine Diskurslogik die das Soziale zu strukturieren und zu imaginieren versucht. Dies erfolgt stets durch einen Antagonismus also durch eine Spaltung zwischen ir und Ihr. Nachvollziehbar wird aclaus Populismustheorie vor dem Hintergrund seiner mit Chantal Mouffe entworfenen Diskurs- und Hegemonietheorie die beide 19 5 in Hegemony and Socialist Strategy vorlegten. aclau und Mouffe verbanden hierbei die Hegemonietheorie Antonio ramscis die enealogie Michel oucaults mit dem Programm einer post- strukturalistischen eichentheorie zu einer Sozial- und Politiktheorie die einen au erdiskursiven Referenzpunkt als undament des Sozialen und des Politischen verabschiedet. Anstatt soziale rdnung von einer privilegierten epistemologischen Stelle 13 abzuleiten – sei es von den Interessen zweckrational handelnder Individuen eines objektiven Klassengegensatzes einer sprachimmanenten konsensorientierten Vernunft oder von einem kontrafaktischen Schleier des Nichtwissens – zeichnet sich das postfundationalistische Denken14 aclaus und Mouffes dadurch aus dass es soziale rdnung als Sedimentierung das hei t als geronnene antagonistisch organisierte Diskurse begreift.

13 14

3

aclau Mouffe Hegemonie und radikale Demokratie S. 2 Vgl. zum Begriff des Postfundationalismus Marchart Post-foundational Political Thought.

Populismus. Holz- oder Königsweg der Politischen Theorie?

aclau und Mouffe postulieren also dass soziale rdnungen und die ihnen immanenten Identitäten auf keinen vor-diskursiven rund zur ckgef hrt werden können. Sie ziehen jedoch unterschiedliche Schlussfolgerungen aus diesem Paradigma:15 ährend aclau konse uent postfundationalistisch argumentiert die hegemoniale Konstruktionslogik sozialer Kollektive fokussiert und auf das irreduzible Scheitern von renzziehungen und Sinnfixierungen vertraut postuliert Mouffe auf rundlage derselben ntologie einen normativen Postfundamentalismus. Mit ihrer Hinwendung zu einer allgemeinen Demokratietheorie adressiert Mouffe im Unterschied zum streng ontologisch argumentierenden aclau die rage wie Identitäten stabilisiert und renzen gezogen werden m ssen um eine dauerhafte Infragestellung politischer Begr ndungen im Rahmen eines radikaldemokratischen Pluralismus sicherzustellen. Da aclau und Mouffe Politik weder marxistisch als ein ideologisches berbauphänomen von esellschaft als ein gesellschaftliches Teilsystem im Sinne funktionaler Differenzierung wie bei Niklas uhmann noch als eine olgeerscheinung oder Aggregation individueller oder vorpolitisch geprägter Präferenzen wie in liberalen Politikmodellen begreifen findet sich bei ihnen ein Primat des Politischen. Das konstitutiv offene Politische fungiert als rdnungsprinzip des Sozialen. r aclau wie f r Mouffe stiftet und institutionalisiert Politik durch die Etablierung von Hegemonien Bedeutungen und Identitäten Politik muss als ein hegemonialer Versuch partikulare Projekte als universal zu artikulieren vom Politischen analytisch getrennt werden – empirische Politik ist folglich ein kontingenter Stabilisierungsversuch mittels hegemonialer Antagonismen. Im Ausgang von diesen Prämissen legt uns aclau seine Populismustheorie vor. Bei ihm wird Populismus zum politischen Phänomen par excellence. Durch den Populismus ja durch dessen Analyse werde nämlich der kontingente machtgeladene Prozess der Imagination und Konstruktion sozialer Identität erkennbar – und greifbar. r aclau eröffnet Populismus sozusagen eine echte Perspektive auf das Verhältnis von Demokratie und Populismus ja er demokratisiert die esellschaft.16

15 16

Vgl. zu diesem Argument Hildebrand S ville Populismus oder agonale Demokratie. Vgl. Hildebrand Rechtspopulismus und Hegemonie der dieses Argument entfaltet.

31

Astrid Séville

3.

Populismus als politisches Phänomen par excellence

aclaus und Mouffes Pointe bestand darin dass sich Bedeutungen soziale Identitäten und Sinn lediglich durch renzziehungen das hei t durch die Konstruktion symbolischer Antagonismen konstituieren. Es bedarf immer eines Anderen Identität braucht Alterität. Der Antagonismus verweist auf Differenzen – und auf die emachtheit sowie die renzen vermeintlich nat rlicher rdnungen. Populismus nach aclau f hrt nun eine gesamtgesellschaftliche reund- eind-Unterscheidung ein indem eine bestimmte partikulare reund- eind-Bestimmung verallgemeinert wird. Der aclauorscher Marius Hildebrand bringt es daher auf die ormulierung dass eine populistische Diskurspraxis orderungen Erwartungen Hoffnungen der B rger sowie deren Unrechts- oder Depravationserfahrungen entlang eines bipolaren Szenarios strukturiere.17 Allerdings beruht die reundeind-Differenz bei aclau nicht auf vorher immer schon bestehenden festen Interessens- oder Identitätsgruppen sondern mobilisiert eine kontingente ir-Sie-Unterscheidung. Erst durch Antagonismen werden Identitäten erzeugt und erfahrbar. Dementsprechend forme sich auch die Vorstellung eines Volks als Kollektiv erst gegen ber einer egen1 emeinschaft als negative Kontrastfolie oder Entität. Um Missverständnisse zu vermeiden sei betont: aclaus und Mouffes Verständnis des Antagonismus ist von dem reund- eind-Denken des Staatstheoretikers Carl Schmitt zu unterscheiden: r Schmitt bedurfte es einer substanziellen Volksidee also präexistenter Identitäten wie Völker oder emeinschaften. Im egensatz dazu postuliert der Poststrukturalismus dem aclau und Mouffe zuzurechnen sind dass Diskurse also Sprache und soziale Praktiken nicht einfach eine irgendwie objektive Realität abbilden sondern flottierende Differenzen zwischen egenständen Dingen Konzepten und Begriffen temporär fixieren. Es handelt sich also um keinen politischen Essentialismus der renzziehung sondern um eine antiessentialistische sowie differenzsensible Theorie des Sozialen. Eine wenn nicht die zentrale antagonistische Achse des Populismus ist etwa die egen berstellung von Volk versus Establishment. In aclaus Theorie entspricht diese renzziehung konse uenterweise keinem grundsätzlichen substanziellen oder ahistorisch begr ndbaren Interessen- oder ertgegensatz sondern ermöglicht erst soziale bjektivität und zeugt zu17 1

32

Ebd. S. 26. Ebd. S. 27. Vgl. dazu auch Hildebrand S ville Populismus oder agonale Demokratie.

Populismus. Holz- oder Königsweg der Politischen Theorie?

gleich von deren Kontingenz. Es hätte auch andere renzziehungen geben können – die eine aktualisierte war weder unmöglich noch notwendig.19 Populismus wird zu einem paradigmatischen orschungs- und Anschauungsgegenstand mittels dessen wir soziale rdnungen als geronnene antagonistische Deutungskämpfe begreifen und die Rolle des Politischen als originäre Instanz erkennen können. Populistische Politik gedacht als ein Diskurs stellt die Differenzen von Konflikten und die ir- ruppe die er zu repräsentieren behauptet erst her. Das Volk ist keine immer schon feste existierende Einheit sondern wird zu einem bedeutungsoffenen leeren Signifikanten. Diesen gilt es politisch zu f llen. hnlich der sozialkonstruktivistischen Nationalismusforschung und ihrer Idee der imagined communities2 können Identitäten nicht aus strukturellen Verhältnissen abgeleitet werden. as aclau einst noch mit einem subversiven estus vortrug scheint heute immer mehr common sense zu sein: Man findet kaum noch einen Sozialwissenschaftler der von einer Essenz oder einer ahistorischen Identität eines Volks spricht. ie steht es nun um das Verhältnis von aclaus Populismusverständnis zu einer Analyse der Sozialstruktur seiner ählerschaft? r Sozialwissenschaftler bleibt die rage nach dem gesellschaftlichen Kontext der ähler solcher Parteien wie AfD ront National virulent. olgt man aber der Populismustheorie aclaus ist Populismus kein machtpolitischer pportunismus ebenso wenig wie er durch milieu- und schichtenspezifische aktoren zu erklären ist. Er ist weder Klassenphänomen noch politischer Ausdruck einer verwilderten oder irrationalen Masse wie sie einst ustave e Bon beschrieb.21 aclau versteht Populismus ja als einen performativen Diskurs als eine sozialproduktive Kraft. Auf die immer wieder aufkommende rage nach den Milieus der ähler und Anhänger populistischer Parteien sowie nach dem Verhältnis von Diskurs versus Sozialstruktur w rden aclauianer daher anders antworten: Populistische Diskurse wirken innerhalb sozialer Konstellationen mobilisieren sedimentierte Identitäten reartikulieren diese jedoch in einer ganz bestimmten Art und eise. Es gilt demnach zu untersuchen wie ein politischer illen wie eine politische Identität gebildet wird. ie entstehen berhaupt die Bilder die Identitätsprojektionen die Selbstverortungen von ählern und Mili19 2 21

Vgl. zu diesem Kontingenzbegriff uhmann Soziologische Aufklärung 2 S. 171: Kontingent ist etwas was weder notwendig ist noch unmöglich ist was also so wie es ist war sein wird sein kann aber auch anders möglich ist. Vgl. Anderson Imagined Communities. Vgl. e Bon Psychologie der Massen.

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Astrid Séville

eus populistischer Parteien? ie werden diese plausibel und politisch anschlussfähig? So stelle aclau die Populismusforschung vom Kopf auf die e pointiert es Hildebrand: Nicht die politischen olgen nationaler Identität sondern Identität als olge politischer Konstruktionen sind sein Thema.22 4.

Populismus als Strategie der Entdifferenzierung

Eingangs wurde auf den shining star der deutschen Populismusdebatte an- erner M ller verwiesen. Dieser hatte im genuinen Antipluralismus das Merkmal populistischer Politik erkannt. Der Diskurs- und Hegemonietheorie zufolge werden nun esellschaften und soziale Identitäten durch Repräsentations- und rdnungsleistungen erzeugt die gegebenenfalls hegemonial werden können. olglich stehen politische Praxis und soziale Strukturen in einem echselverhältnis.23 Indem sich esellschaften selbst als pluralistisch beschreiben kann auch diese Selbstdeutung hegemonial werden. Und in der Tat: Der Pluralismus heutiger moderner esellschaften gilt uns allen als objektive Realität. Dagegen fällt Antipluralismus berhaupt erst auf. ie bereits angedeutet verändern populistische Diskurse f r aclau gesellschaftliche ruppendifferenzierungen und die pluralistische estalt des politischen Raums in einen zweiseitigen bipolaren Antagonismus. Populisten verbinden hierzu einzelne rustrationserfahrungen von B rgern zu einem manichäischen, zweigeteilten esellschaftsbild.24 Dabei werden Identitäten von Subjekten diskursiv festgelegt vor allem in der egenberstellung von Volk versus Establishment. Diese Differenz ist f r aclau der prototypische populistische Antagonismus der oftmals aufgeladen wird mit der Unterscheidung zwischen einem gesunden organisch gewachsenen n tzlichen nat rlichen ir gegen ber einem unn tzen bedrohlichen k nstlichen fremden Anderen. Solche populistischen Artikulationen des Volks schaffen so aclaus Argument eine Verbindung zwischen Akteuren ja ermöglichen die Einheit einer politischen ruppe.25 Die Entstehung solcher populistischen ormationen verdankt sich wie bei anderen Theoretikern des Populismus auch bei aclau einer spezifi22 23 24 25

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Hildebrand Rechtspopulismus und Hegemonie S. 29. Vgl. ebd. Vgl. auch Nonhoff Hegemonieanalyse insbesondere S. 314. Vgl. aclau On Populist Reason S. 73.

Populismus. Holz- oder Königsweg der Politischen Theorie?

schen Ausgangslage. Helmut Dubiel schrieb einst dass sich Populismus aus orderungen speise die aus den etablierten Diskursen und egitimationsmustern gleichsam herausfallen und den Status vagabundierender Potentiale gewinnen .26 r aclau zirkulieren solche orderungen der Eindruck einer politisch noch nicht beantworteten Unzufriedenheit eines politischen Aufbegehrens liegt in der uft. Die etablierten Parteien die traditionellen Akteure beziehungsweise die bestehende rdnung so der Eindruck können dieses Aufbegehren nicht stilllegen oder angemessen beantworten. In diesem Sinne formulierte auch Claus eggewie unlängst dass die AfD in Deutschland heimatlos e bzw. unrepräsentiert gebliebene Strömungen beerbe.27 aclau w rde wohl einwenden dass der Diskurs der AfD diese Strömungen erzeuge bzw. diese aus politisch unerf llten orderungen artikuliere. Der populistische Diskurs vollzieht dazu in der Theorie aclaus folgende Etappen oder Schritte: Elemente werden gegen ber einem Anderen also antagonistischen Au en geordnet zu einer politischen uivalenzkette verkn pft und mittels leerem Signifikanten verbunden. Der leere Signifikant bezeichnet jenes Aufbegehren der Subjekte. r den Populismus ist nun ausgerechnet Vagheit und Unbestimmtheit entscheidend: Einfache eute oder das Volk werden der politischen Klasse dem Establishment der korrupten Elite gegen bergestellt. Dadurch werden beide Seiten des Antagonismus ä uivalent gesetzt – Unterschiede verschwimmen Differenzen werden populistisch absorbiert und unterschiedliche Akteure können ihre politischen Anliegen als Hand in Hand gehend begreifen. Allerdings werden auf der anderen Seite politische Akteure zu einem Block zusammengefasst und verschwimmen allmählich zu einem parasitären Bedrohungskomplex .2 Spezifisch populistisch ist ja die erwähnte Spaltung des sozialen und politischen Raums mit einem uasi-manichäischen Teilungsprinzip. olgerichtig nutzen Populisten eine Rhetorik des Entweder- der beziehungsweise der permanenten Dichotomisierung um jene antagonistische und das hei t also politikbestimmende Differenz darzustellen. Es handelt sich letztlich um eine Strategie der Entdifferenzierung.29 Populismus bedeutet pposition gegen das Establishment gegen – falsche – politische Eliten gegen Repräsentanten die es mindestens abzu26 27 2 29

Dubiel Das Gespenst des Populismus S. 47. eggewie Populisten verstehen S. 141. Hildebrand Rechtspopulismus und Hegemonie S. 117. Vgl. S ville Der Sound der Macht.

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Astrid Séville

wählen und auszutauschen gilt. In welchem Verhältnis aclaus Populismus-Konzeption zu einem affirmativen Verständnis repräsentativer Demokratie und zum Parlamentarismus steht ist kein egenstand seiner Analyse. Stattdessen behauptet der Philosoph dass durch jenen verallgemeinernden entdifferenzierenden Antagonismus Solidarität entstehe.3 Menschen f hlen sich in ihren Belangen ähnlich sie verbinden sich innerhalb einer uivalenzkette. Diese bekommt durch den leeren Signifikanten einen Namen ein Etikett. eere Signifikanten können etwa der Name eines Anf hrers sein also etwa Peron Ch vez oder e Pen. Dabei wird der jeweilige hrer als ein esetzgeber eine väterliche igur ein Held und als eine Projektionsfläche f r Hoffnungen Erwartungen und Versprechen aufgebaut. Politik lässt sich demnach nicht von Emotionen und Affekten loslösen und diese sind kein Anzeichen irrationaler Massen oder unaufgeklärter B rger. Der politische Diskurs erzeugt notwendigerweise eine affektive Dimension.31 Hei e eidenschaft und k hles Augenma um einmal Max eber zu bem hen 32 sind nicht voneinander zu trennen. Diskurstheoretisch formuliert bietet der Populismus also ein ausgeprägtes ja geradezu paradigmatisches Beispiel f r einen ä uivalenzlogisch dominierten Diskurs. erade die Bedeutung der uivalenzlogik macht deutlich dass populistische Diskurse nicht selten uer zu fest eingespielten ruppenzugehörigkeiten ählermilieus und zu traditionellen Konfliktlinien cleavages verlaufen. Populistische Diskurse verändern Konfliktstrukturen Debatten sowie symbolische rdnungen entlang des binären Antagonismus – kritisch formuliert berladen und berdeterminieren sie diese mit einem spezifischen nämlich populistischen Identitätsangebot. enau damit wird Populismus f r aclau zur Konkretion zum Anwendungsfall seines Politikverständnisses und seiner Theorie. Der Signifikant Volk wird verallgemeinert und in hegemoniale Projekte eingebaut Politik wird mit dem illen eines imaginären Allgemeinen identifiziert. Populismus sei schlie lich der Königsweg zum Verständnis des Politischen.

3 31 32

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aclau On Populist Reason S. 93. aclau Glimpsing the Future S. 324. eber Politik als Beruf S. 22 .

Populismus. Holz- oder Königsweg der Politischen Theorie?

5.

Populismus und pluralistische Demokratie

Populismus steht f r Ernesto aclau in keinem grundsätzlichen egensatz zur pluralistischen Demokratie sondern ordnet die verschiedenen demokratischen Differenzen und Antagonismen. Ein populistischer Diskurs schlie e vielfältige demokratische Projekte zu einem Kampf zusammen und rechnet eben Differenzen dem Volk oder dem Establishment zu. Diskurstheoretisch gedacht handelt es sich hierbei um einen Prozess der berdeterminierung statt Verleugnung von Pluralismus.33 Anhänger dieser These argumentieren dass erst diese berdeterminierung kollektives Handeln zugunsten einer politisch-gesellschaftlichen Alternative jenseits von single issues- rientierungen fördere. Ein jedes politisches gegenhegemoniales Projekt m sse schlie lich mehrheitsfähig werden – dazu bed rfe es schlichtweg einer starken uivalenzlogik. Ausgerechnet Polarisierung wäre demnach politisch produktiv so das Argument. r aclau sind polarisierende Abgrenzungen die ja durchaus Ressentiments wecken erzeugen oder abrufen nicht per se eine efahr f r die Demokratie kein illegitimes politisches Manöver. Nein die Entzweiung des politischen Raums durch den populistischen Diskurs sei hingegen verkn pft mit integrierenden Universalisierungseffekten die erst Demokratisierungsprozesse ermöglichten.34 Im Populismus wird eine politische emeinschaft durch renzen gegen ber verschiedenen ruppen artikuliert deren Kontingenz und andelbarkeit aclau theoretisch betont. Doch im egensatz zu dem starken Moment der Kontingenz der Auszeichnung von instabilen Hegemonien und einem epistemologischen Antiessentialismus den aclau und Mouffe in Hegemony and Socialist Strategy hervorheben bedienen sich die heute in Europa dominanten rechtspopulistischen Akteure eines – zumindest – strategischen Essentialismus: Sie stellen eben nicht die diskursive Konstruktivität oder das kontingente Moment ihrer populistischen Argumentation ihrer Volkskonstruktion aus sondern berufen sich allzu laut auf ein organisches Volk auf einen bedrohten Volkskörper und dessen Essenz . Dies verweist auf ein Problem in aclaus Populismuskonzeption. r aclau ist Populismus gleichbedeutend mit einem kritischen Bruch mit dem Status uo und einem oppositionellen Machtverhältnisse destabilisierenden aber auch notwendigerweise instabilen pluralismuskompatiblen 33 34

Vgl. Hildebrand Rechtspopulismus und Hegemonie. Ebd. S. 127.

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Diskurs. Doch gerade die im heutigen real existierenden Rechtspopulismus auffälligen omnipräsenten Bez ge auf ein heartland auf common sense auf eine organisch gewachsene emeinschaft zeigen dass nicht ffenheit und uivalenz sondern Schlie ungen und Identität der popularen uivalenzkette zu finden sind. Die neuen Identitären gehen von einer Substanz eines Volkes aus.35 Solche Behauptungen drohen sich zu stabilisieren statt immer wieder kontestiert zu werden. r aclau und Mouffe gilt ein ffenhalten der Politik f r das Politische als zentral – politisiert wird indem die jeweilige rdnung der jeweilige Diskurs immer nur als ein möglicher als ein kontingenter bewusst gehalten werden. anz im egenteil m ssten wir bei populistischen Diskursen aber auch von Entpolitisierung sprechen denn jene verschleiern ja verleugnen ihren politischen Charakter und postulieren ihrerseits uasinat rliche Essenzen Identitäten und rdnungen. aclaus Theorie die nicht die jeweils politischen Inhalte sondern unktionslogik des Populismus in den Blick zu nehmen behauptet geht schlichtweg davon aus dass Pluralismus dadurch politisch werde dass unterschiedliche politische Projekte versuchen die lle der emeinschaft darzustellen und das Volk zu stiften.36 unächst könnte man aus liberaler arte einwerfen ob es sich nicht um eine nicht nur aclau betreffende berschätzung der Bedeutung der diskursiven lle also des Volksbezugs handelt. Anhänger aclaus wenden ein dass ohne Bezug auf ein Allgemeines wie eben auf das Volk Politik mitsamt esellschaft als Aggregation unterschiedlicher Interessen missverstanden werde. Politik drehe sich um die Verbindung der Einzelnen zum Kollektiv. r aclau ist allerdings nicht die jeweilige inhaltliche Bestimmung des Volksbegriffs mittels Signifikanten wie erechtigkeit Solidarität oder Demokratie reiheit zentral sondern dass die Bedeutung und der konkrete Inhalt von Volk nicht dauerhaft fixiert werde. Es gibt der postfundationalistischen Theorieströmung gemä ja keinen rund keine Substanz des Sozialen oder Politischen. Dies f hrt zu der bereits schon erwähnten Annahme einer konstitutiven ffenheit des Politischen. Daher drohe vielmehr efahr wenn ein demos sich abschlie e sich durch eine vermeintlich vollständige Identität mit sich selbst im Reinen sehe. 35 36

3

Vgl. exemplarisch ichtmesz Sommerfeld Mit Linken leben. Vgl. aclau On Populist Reason S. 169 – dazu: The conse uence is unavoidable: the construction of a people is the sine ua non of democratic functioning. ithout production of emptiness there is no people no populism but no democracy either.

Populismus. Holz- oder Königsweg der Politischen Theorie?

Die notwendigen hegemonialen Debatten um die politisch-inhaltliche Konkretisierung des Volksbegriffs werden dann abgew rgt und unterlaufen wenn der Antagonismus nach Au en verlegt wird und die Kontingenz und Umstrittenheit seiner selbst negiert werden. Doch gerade der heute empirisch beobachtbare und dominante Rechtspopulismus bedient oftmals genau eine Externalisierung des eindes und eine Naturalisierung dieses Antagonismus. Es sind vermeintlich nat rliche Entitäten die von Rechtspopulisten politisch mobilisiert werden. Es lässt sich diskutieren ob blinde lecke in aclaus Populismustheorie insbesondere angesichts der populistischen Reaktionen auf die l chtlingskrise im ahre 2 15 deutlich werden. Diese hat zu einem Aufschwung rechtspopulistischer Parteien gef hrt und den politischen Diskurs sowie die Parteienlandschaft nachhaltig verändert. aclau vermag die Externalisierung von Antagonismus vom politisch mobilisierten eind nicht zu bearbeiten. Im Rechtspopulismus geht es um eine Verdinglichung um eine Essentialisierung einer Identität einer vorpolitischen idealen emeinschaft. So wird mittels Identitätspolitik versucht eine Identität eines Volks festzulegen und abzusichern. Daher kommt es immer wieder zu geschichtspolitischen Schlie ungen und einer aggressiven uivalenzlogik zum klaren Nachteil anderer. Und heutige Rechtspopulisten agitieren nicht nur gegen das Establishment als die da oben sondern gegen Migranten l chtlinge oder Asylsuchende als die da drau en und gegen Arme Prekäre bdachlose und Empfänger von Transferleistungen als die da unten . ir haben es also im Rechtspopulismus mit einer dreifachen rontstellung zu tun und nicht nur mit der Achse Volk versus Establishment.37 Schlussendlich versuchen Populisten die Kontingenz der etablierten errichteten rdnung unsichtbar zu machen und damit wieder das politisierende demokratisierende Moment des Populismus selbst zu unterwandern. Dies wirft letztlich die rage auf ob aclau seine Theorie nolens volens auf linkspopulistische Projekte verengte lieferte doch der lateinamerikanische Peronismus ihm einst die politische Schablone f r sein Denken. inkspopulisten – wie heute etwa Podemos in Spanien – mobilisieren entlang der Achse oben-unten sie stellen dem ehrlichen Volk die korrupte Elite und politische Klasse gegen ber und verfolgen ein emanzipatorisches Ansinnen. inkspopulisten geht es um ein Empowerment des Volks als Souverän. Doch sie sind heutzutage keineswegs die politischen Stichwortgeber sondern werden selbst marginalisiert sofern sie nicht wie 37

Vgl. S ville Der Sound der Macht.

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j ngst in Italien Koalitionen mit Rechtspopulisten schmieden.3 Angesichts der heutigen politischen egenwart fällt nach und nach aclaus eigentlich emanzipatorisches Vorverständnis des Populismus als kryptonormative Voreinstellung ins Auge. Somit hätten wir es nicht mit dem vielfach gescholtenen normative deficit 39 aclaus zu tun sondern ganz im egenteil mit einer normativen Engführung des Populismusbegriffs. 6.

Kontingenzbewusstsein zur Ehrenrettung

Vielleicht ist Populismus in der Tat der königliche eg zum Verständnis des Politischen aber nicht unbedingt im Sinne aclaus. Mit Slavoj i ek lässt sich fragen ob Politik eine Verschleierung oder gar Auslöschung statt ffenlegung der Entscheidungsgenese von Herrschaft voraussetzt.4 Politik scheint in einem Dilemma zu stecken: Ist Herrschaft nicht effizient nur unter der Bedingung ihrer Selbstauslöschung? Ist ihrer selbst bewusste Herrschaft nicht ein Ding der Unmöglichkeit? 41 Allgemein können wir fragen wie berhaupt politische Bindungskraft erzeugt werden kann wenn Politik ihre eigene Kontingenz kommunizierte und so stets auf die Veränderbarkeit ffenheit und Partikularität ihrer selbst hinwiese. Drohte sie damit nicht ihre eigene irkungsmacht zu unterminieren und sich ad absurdum zu f hren? r aclau muss ein Projekt wie ein populistisches Projekt sich universalisieren – es steht also im Diskurs nachher pars pro toto verliert aber dadurch nicht seinen kontingenten partikularen Charakter da es keine Essenz keine Substanz keine strukturelle Identität gibt die Populismus schlichtweg abrufen könnte. Das epistemologische er st aclaus – und Mouffes – war schlie lich ein methodologischer Antiessentialismus. Doch lässt sich mit Blick auf die politische irklichkeit kritisch fragen ob es eines strategischen Essentialismus in der Politik bedarf. Um etwa institutionelle Rechte einzuklagen wird sich ein Akteur – mindestens temporär – auf eine Identität berufen und diese zu einem gewissen rad essentialisie3 39 4 41

4

In Italien koalieren im ahre 2 1 die linkspopulistische Partei MoVimento 5 Stelle M5S und die rechtspopulistische ega. Critchley Is there a normative deficit in the theory of hegemony? i ek Die politische Suspension des Ethischen S. 1 5. Ebd. Allerdings will i eks als eninist die Revolution und die Abschaffung des Kapitalismus und muss die multiplen Differenzen und Agonismen zu einem antikapitalistischen Antagonismus bekämpfen. Konse uenterweise bedarf es dazu einer Naturalisierung.

Populismus. Holz- oder Königsweg der Politischen Theorie?

ren weil er seine Identität als fest und unumstö lich darstellen muss. So wird sich der Einzelne h ten sein Kontingenzbewusstsein im politischen Streit mitzukommunizieren. 42 bwohl er um die Relativität seiner subjektiven Ansichten wei wird er seine Interessen mit einem Unbedingtheitsanspruch versehen. edoch gelingt es aus der antiessentialistischen Beobachterperspektive eltungsfragen in den immanenten Bereich sozialer Praxis zu verlagern sodass Identität ahrheit Moral und Richtigkeit nur einen politischen Sinn beanspruchen können. Identität konstituiert sich zum Beispiel durch die Produktion von leeren Signifikanten sodass d ie Einheit der politischen rdnung ... nicht mehr als Abbild einer im Sozialen oder gar auersozial schon vorliegenden Identität verstanden wird sondern als eben durch diese rdnung symbolisierte Einheit. 43 aclau – und Mouffe – verlagern Identität in eine Imagination eine Symbolisierung einer emeinschaft und können damit beispielsweise den Begriff der Nation als leeren Signifikanten von territorialen Einschränkungen befreien. Schlie lich wird so Essentialismus berhaupt erst als eine politische Strategie erkennbar. Dies erkennen zu können ist f r die politische Debatte um Populismus bereits ein gro er Mehrwert. Ernesto aclau wehrte sich zeitlebens gegen eine Ethisierung von Unentscheidbarkeit und Kontingenz. reilich muss man anmerken dass er selbst durch jene Kritik i eks die Herausforderung der politischen Schlie ungen durch den Populismus zu erkennen begann. So nutzte er den Begriff des Ideologischen um die oben problematisierte Naturalisierung von hegemonialen Projekten zu beschreiben.44 Er sah also selbst das Problem. Dennoch fehlt es seiner Theorie an einer kritischen Perspektive auf die Totalisierungen auf die schlie enden fixierenden Effekte populistischer Diskurse. aclau berschätzte in seiner Arbeit den emanzipatorischen Moment ja die Idee eines Bruchs mit dem Status uo. Er berbewertete die expansive oder besser: integrative ogik einer populistischen uivalenzkettenbildung und die ffenheit und Integrationsfähigkeit der leeren Signifikanten – und unterschätzte das Potenzial von identitätspolitischer Schlie ung Naturalisierung und somit die antipolitischen Effekte populistischer Diskurse.45 Daher ist schlussendlich daf r zu plädieren dass es einer Bestimmung ja einer Kritik dessen bedarf welche Bestim42 43 44 45

Auer Polisierte Demokratie S. 121f. Ebd. S. 134. Vgl. aclau Ideologie und Post-Marxismus S. 3 f. Vgl. auch Hildebrand Rechtspopulismus und Hegemonie S. 351.

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Astrid Séville

mung Verkörperung oder Signifikation eines Volks mit der pluralistischen Demokratie kompatibel ist. R ckgebunden an empirische Analysen des heutigen Populismus und seiner Topoi rames und Behauptungen von Stabilisierung und Schlie ung m ssen wir zwischen Populismen differenzieren: etwa zwischen einem demokratisch-pluralistischen oder neofaschistischen und autoritären Populismus. Erst wenn wir diese Differenzen der real existierenden varieties of populism auch in einer kritischen Theorie des Populismus begrifflich und konzeptionell abbilden wird diese kein politischer Holzweg mehr sein. Literaturverzeichnis Anderson Benedict: Imagined Communities. Reflections on the rigin and Spread of Nationalism ondon 19 3 Auer Dirk: Politisierte Demokratie. Richard Rortys politischer Antiessentialismus iesbaden 2 4 Critchley Simon: Is there a Normative Deficit in the Theory of Hegemony? in: Ders. Marchart liver Hg. : aclau. A Critical Reader ondon New ork 2 4 S. 113122 Dahrendorf Ralf: Acht Anmerkungen zum Populismus in: Transit. Europäische Revue 25 2 3 S. 156-163 Dubiel Helmut: Das espenst des Populismus in: Ders. Hg. : Populismus und Aufklärung rankfurt a. M. 19 6 S. 33-5 ischer Karsten: Vernunft und Aufrichtigkeit sind die pfer Interview mit Clemens Hagen Abendzeitung M nchen A 17. 3.2 17. Hildebrand Marius: Rechtspopulismus und Hegemonie. Der Aufstieg der SVP und die diskursive Transformation der politischen Schweiz. Bielefeld 2 17 Hildebrand Marius S ville Astrid: Populismus oder agonale Demokratie? Bruchlinien der theoretischen Symbiose zwischen aclau und Mouffe in: Politische Vierteljahreszeitschrift 56 H. 1 2 15 S. 1 7-2 7. aclau Ernesto: limpsing the uture in: Critchely Simon Marchart liver Hg. : aclau. A Critical Reader ondon New ork 2 4 S. 279-32 aclau Ernesto: n Populist Reason ondon 2 5 aclau Ernesto: Ideologie und Post-Marxismus in: Nonhoff Martin Hg. : Diskurs radikale Demokratie Hegemonie. um politischen Denken von Ernesto aclau und Chantal Mouffe Bielefeld 2 7 S. 25-4 aclau Ernesto Mouffe Chantal: Hegemonie und radikale Demokratie. ur Dekonstruktion des Marxismus ien 2 6 e Bon ustave: Psychologie der Massen Stuttgart 19 2 eggewie Claus: Populisten verstehen. Ein Versuch zur Politik der ef hle in: Korte Karl-Rudolf Hg. : Emotionen und Politik. Begr ndungen Konzeptionen und Pra-

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Populismus. Holz- oder Königsweg der Politischen Theorie? xisfelder einer politikwissenschaftlichen Emotionsforschung Baden-Baden 2 15 S. 137-154 ichtmesz Martin Sommerfeld Caroline: Mit inken leben. Schnellroda 2 17 ink rgen: Diskurstheoretische berlegungen zur neuesten Konjunktur des Populismus -Begriffs mit Bezug zu Ernesto aclau in: aber Richard Unger rank Hg. : Populismus in eschichte und egenwart rzburg 2 S. 17-3 uhmann Niklas: Soziologische Aufklärung 2 pladen 1975 Marchart liver: Post-foundational Political Thought. Political Difference in Nancy efort Badiou and aclau Edinburgh 2 7 M ller an erner: as ist Populismus? rankfurt a. M. 2 15 M nkler Herfried: Interview mit Susanne hrer im Deutschlandfunk 19.11.2 16 online: https: www.deutschlandfunkkultur.de politikwissenschaftler-herfried-muen kler-grosse-teile-des.99 .de.html?dram:article id 371 45.27 Nonhoff Martin: Hegemonieanalyse. Theorie Methode und orschungspraxis in: Keller Reiner Hirseland Andreas Schneider erner Viehöver illy Hg. : Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band 2. orschungspraxis iesbaden 2 1 S. 299-331 Priester Karin: Definitionen und Typologien des Populismus in: Soziale elt 62 H. 2 2 11 S. 1 5-19 S ville Astrid: Der Sound der Macht. Eine Kritik der dissonanten Herrschaft M nchen 2 1 Taggart Paul: Populism. Buckingham 2 Taggart Paul: Populism and Representative Politics in Contemporary Europe in: ournal of Political Ideologies 9 H. 3 2 4 S. 269-2 eber Max: Politik als Beruf T bingen 1992 i ek Slavoj: Die politische Suspension des Ethischen rankfurt a. M. 2 5

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Populismus und Volkssouveränität Fabio Wolkenstein

Populistische Parteien und Bewegungen sind in den vergangenen ahrzehnten ein fester Bestandteil vieler demokratischer esellschaften geworden. er genau ein Populist ist ist gewiss nicht unumstritten: ft wird moniert die etablierten politischen Kräfte benutzten den Begriff nach utd nken um berechtigte Kritik am Status uo zu delegitimieren 1 und dieser Einwand ist sicher nicht ganz von der Hand zu weisen. Dennoch kann kein weifel daran bestehen dass eine wachsende ahl politischer ruppierungen sich erfolgreich sehr ähnlicher rhetorischer Stilmittel und Argumente bedient – und dass diese Stilmittel und Argumente nicht zuletzt in Hinblick auf historische Populismen 2 als populistisch bezeichnet werden können. entral sind hier erstens die lautstarke Ablehnung des politischen Establishments und zweitens die Behauptung dass nur eine politische ruppierung glaubhaft das Volk vertritt.3 Diesen zwei Eigenschaften der neuen Populisten lässt sich eine dritte hinzuf gen nämlich das Versprechen der Handlungsfähigkeit.4 Populisten reklamieren f r sich nicht nur f r andere erte und Inhalte zu stehen als die etablierten politischen Parteien und als einzige die Interessen des Volkes zu vertreten – sie behaupten auch dass durch sie das Volk wieder Akteurschaft erlangen und sich wieder selbst demokratisch regieren kann. Wieder ist hierbei das entscheidende ort: Die Annahme ist nämlich dass das Volk nicht handlungsfähig ist so lange das politische Establishment regiert. ie Donald Trump in seiner Antrittsrede als US-Präsident sagte: T oday we are not merely transferring power from one administration to another or from one party to another – but we are transferring power from ashington D.C. and giving it back to you the American People. or too long a small group in our nation s Capital has reaped the rewards of government while the people have

1 2 3 4

D Eramo Populism and the New Oligarchy. Siehe etwa inchelstein From Fascism to Populism in History Kazin The Populist Persuasion Moffitt The Global Rise of Populism. M ller Was ist Populismus? S. 44 Mudde The Populist Zeitgeist S. 543. Vgl. hite Emergency Europe and the Politics of Volition.

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Fabio Wolkenstein borne the cost. anuary 2 th 2 17 will be remembered as the day the people became the rulers of this nation again. 5

Ist einmal von der Handlungsfähigkeit des Volkes die Rede ist es nicht weit zum Begriff der Volkssouveränität. In einer Demokratie so hei t es ist das Volk der Souverän: Das Volk gibt sich seine eigenen esetze und hat die finale Autorität ber die Verfassungsordnung. as könnte also falsch sein an der Ambition dem Volk Akteurschaft zuzugestehen? Vor allem: er w rde bestreiten dass in vielen – vielleicht in den meisten – Demokratien oft ber die Köpfe jener hinwegregiert wird die man als das Volk bezeichnen kann? ewiss: Es mag einem persönlich missfallen auf welche eise Politiker wie Donald Trump dem Volk Akteurschaft verleihen. Dass sie das in irgendeiner eise tun ist aber auch kaum bestreitbar. Ich möchte in diesem Beitrag den soeben aufgeworfenen ragen nachgehen und einen näheren Blick auf das Thema Populismus und Volkssouveränität werfen. In einem ersten Schritt möchte ich umrei en was genau Volkssouveränität f r Populisten eigentlich bedeutet. Um die spezifischen Eigenschaften des populistischen Verständnisses von Volkssouveränität herauszuarbeiten werde ich dieses mit dem prozedural-demokratischen Verständnis des Begriffs kontrastieren das den meisten demokratischen Verfassungsordnungen zugrunde liegt wobei ich mich an den Schriften des Verfassungstheoretikers Hans Kelsens orientieren werde. In einem zweiten Schritt beschäftige ich mich mit der rage unter welchen gesellschaftlichen Voraussetzungen das populistische Ideal von Volkssouveränität berhaupt realisiert werden kann. ie wir sehen werden setzen der populistische und der prozedural-demokratische Volkssouveränitätsbegriff jeweils sehr unterschiedliche gesellschaftliche Konfliktverhältnisse voraus. e nachdem ob die einen oder anderen Konfliktverhältnisse in einer esellschaft gegeben sind erscheint die eine oder andre orm von Volkssouveränität plausibler und realisierbarer. 1.

Was bedeutet Volkssouveränität für Populisten?

ie bei so vielen staatstheoretischen Begriffen ist die Bedeutung des Begriffs Volkssouveränität umstritten.6 hne hier der komplexen eschichte

5 6

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Trump The Inaugural Address keine Seitenangabe. Vgl. den ausgezeichneten Band Popular Sovereignty in Historical Perspective hg. von Bourke und Skinner.

Populismus und Volkssouveränität

des Begriffs der Volkssouveränität Rechnung tragen zu können ist es sinnvoll zunächst zwischen zwei allgemeinen Typen von Volkssouveränitätsbegriffen zu unterscheiden die sich in der Moderne herausgebildet haben.7 Der erste versteht das souveräne Volk als eine abstrakte Gewalt die sozusagen in Reserve oder schlafend auf ihren Einsatz wartet man denke hier etwa an das Konzept der verfassungsgebenden ewalt: der Idee dass dem Volk in seltenen revolutionären Momenten als einem menschlichen Subjekt volle Verf gungsmacht ber die estaltung der politisch-sozialen rdnung zuerkannt 9 wird . Der zweite Volkssouveränitätsbegriff der modernen Debatte denkt das souveräne Volk hingegen als ein sich aktiv selbstregierendes Kollektiv. Der erste Souveränitätsbegriff lässt sich auf die konzeptuelle Trennung von Souverän und Regierung zur ckf hren die erstmals im sechzehnten ahrhundert von ean Bodin vorgeschlagen wurde.1 Dieser Unterscheidung zufolge ist das Volk der mehr oder weniger passive Souverän der von der aktiv handelnden Regierung beherrscht wird die ihre Autorität und egitimität aber urspr nglich vom Volk im Akt der Staatsgr ndung verliehen bekommen hat jedoch nicht notwendigerweise im herkömmlichen Sinne demokratisch gewählt sein muss . olgt man dieser Sichtweise so scheinen die beiden Souveränitätsbegriffe in einem Spannungsverhältnis – um nicht zu sagen in einem iderspruch – zueinander zu stehen. enn das Volk der passive Souverän ist wie soll es sich gleichzeitig aktiv selbst regieren? Man kann beide Begriffe aber auch als einander ergänzend interpretieren etwa indem man akzeptiert dass das Volk sowohl Souverän in Bodins Sinn sein als auch aktiv an der Selbst- Regierung teilhaben kann zum Beispiel durch demokratisch organisierte politische Parteien oder andere Partizipationsmechanismen.11 Dieses komplementäre Verständnis von Volkssouveränität das nach Ingeborg Maus in den späteren Demokratietheorien der Aufklärung seinen Ursprung hat lä t den demokratischen Souverän nicht nur im r ndungsakt zu ort kommen sondern gleicherma en in der laufenden einfachen esetzgebung. 12 Es ist wichtig vorab festzuhalten dass die beiden Souveränitätsbegriffe miteinander grundsätzlich kompatibel sind. Im olgenden wird mein 7

9 1 11 12

Die Unterscheidung die ich mir zunutze machen möchte entnehme ich den Arbeiten von Margaret Canovan siehe Canovan The People. Die Idee des schlafenden Volkes findet sich etwa in Tuck The Sleeping Sovereign. Böckenförde Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes S. 1 1-1 2. Tuck The Sleeping Sovereign. So etwa Pettit On the People’s Terms Maus Über Volkssouveränität. Maus Über Volkssouveränität S. 47.

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Hauptaugenmerk nämlich auf dem zweiten Verständnis von Volkssouveränität liegen ich möchte aber nicht suggerieren dass die Vorstellung vom souveränen Volk als sich aktiv selbst regierender Akteur ausschlie t dass das Volk gleichzeitig auch als eine abstrakte ewalt begriffen werden kann die die letzte uelle staatlicher egitimität bildet. Vor diesem Hintergrund gilt es als nächstes herauszuarbeiten wie Populisten diesen zweiten aktiven Volkssouveränitätsbegriff verstehen und wie sich die populistische Konzeption von Volkssouveränität von jenem prozedural-demokratischen Volkssouveränitätsbegriff unterscheidet der – zumindest verfassungstheoretisch betrachtet – die rundlage der meisten westlichen demokratischen Verfassungsordnungen bildet.13 Um noch einmal zu rekapitulieren worum es geht: Volkssouveränität im zweiten hier erwähnten Sinne bezeichnet mit rank Michelman gesprochen the ongoing social project of authorship of a country s fundamental laws by the country s people in some nonfictively attributable sense. 14 anz besonders wichtig ist das Attribut nichtfiktiv: Ein Staatsvolk kann nur plausibel als souverän bezeichnet werden wenn man ihm kausalen Einfluss auf den Inhalt von Normen und esetzen zuschreiben kann.15 Im prozedural-demokratischen Verständnis von Volkssouveränität auf das ich mich zunächst konzentrieren möchte entsteht dieser kausale Einfluss allem voran durch die Partizipation in ahlen aber auch durch politisches Engagement in Parteien und anderen politischen rganisationen. Au erdem gilt es hervorzuheben dass der Begriff Volk in der prozedural-demokratischen Deutung von Volkssouveränität zunächst weder ein ethnisches noch ein kulturell definiertes Kollektiv bezeichnet sondern lediglich den Kreis der politisch Berechtigten 16 – mit anderen orten: Alle die innerhalb eines bestimmten Staatsgebiets ber politische Teilhaberechte verf gen. Entgegen der vor dem Hintergrund des Missbrauchs des Volksbegriffs im 2 . ahrhundert verständlichen Sorge dass es hier vielleicht um einen monistisch oder substantialistisch gedachten Volksbegriff geht ist das Volk der prozedural-demokratisch verstandenen Volkssouveränität weder ethnisch oder kulturell definiert noch als homogene Einheit begriffen. Um ein realistisches Bild des prozedural-demokratischen Verständnisses von Volkssouveränität zu erlangen muss man jedoch ohne dabei in die 13 14 15 16

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Vgl. Habermas Faktizität und Geltung. Michelman How Can the People Ever Make the Laws? S. 147. olkenstein Agents of Popular Sovereignty. Hier verstanden mit Kelsen als die esamtheit jener Menschen die innerhalb eines bestimmten Staatsgebiets ber politische Teilhaberechte verf gen vgl. Kelsen Vom Wesen und Wert der Demokratie S. 165 .

Populismus und Volkssouveränität

alle des Monismus oder Substantialismus zu tappen den Volksbegriff noch weiter präzisieren. Man kann sich nicht damit begn gen – so Hans Kelsens korrekte Diagnose – das Volk als den Kreis der politisch Berechtigten zu definieren sondern mu noch einen Schritt weitergehen und die Differenz in Rechnung setzen die zwischen der ahl der politisch Berechtigten und der ahl jener besteht die ihre politischen Rechte wirklich aus ben eine Differenz die je nach dem Ma e des politischen Interesses verschieden stets aber eine erhebliche rö e darstellt . 17

Als paradigmatischer Vertreter eines realistischen und nicht-moralisierten Verständnis von prozeduraler Demokratie plädiert Kelsen sogar f r eine weitere Einengung: Da das Volk das die rundlage der demokratischen Idee darstellt das herrschende nicht das beherrschte Volk ist wäre vom Standpunkt realistischer Betrachtung sogar noch eine weitere Einengung des fraglichen Begriffes zulässig. Innerhalb der Masse jener die ihre politischen Rechte tatsächlich aus bend an der staatlichen illensbildung teilnehmen m te man zwischen jenen unterscheiden die als urteilslose Menge ohne eigene Meinung dem Einflusse andrer folgen und jenen enigen die wirklich durch selbstständige illensentscheidung Richtung ge1 bend in das Verfahren der emeinschaftswillensbildung eingreifen.

Ein möglicher Einwand könnte an dieser Stelle lauten dass Kelsen eine Erklärung schuldig bleibt warum seiner Auffassung nach all jene die nicht Richtung gebend in das Verfahren der emeinschaftswillensbildung eingreifen sich letztlich als urteilslose Menge ualifizieren. Aus der Tatsache dass Menschen sich nicht in Parteien auf die Kelsen sich in diesem usammenhang ausdr cklich bezieht oder sonstigen politischen rganisationen engagieren lässt sich schlie lich nicht verlässlich ableiten dass diese ohne eigene Meinung dem Einflusse andrer folgen. Aber es ist möglich diesem berspitzten Urteil Kelsens nicht zuzustimmen und dennoch die allgemeinere empirische Beobachtung zu akzeptieren dass Menschen in unterschiedlichem Ma e politisch partizipieren und folglich in unterschiedlichem Ma e Einfluss auf Normen und esetze nehmen können . Ein weiterer berechtigter Einwand wäre dass Kelsens Vorschlag jenen Individuen die sich politisch weniger beteiligen als andere ipso facto den Status als Teil des Volkes abzusprechen irref hrend ist – zumal wir ja nicht wie Kelsen annehmen können dass all diesen Individuen die ähigkeit oder der ille zur politischen Meinungsbildung fehlt. Viel plausibler ist es das Verhältnis zwischen jenen die Richtung gebend in das Verfahren der emeinschaftswillensbildung eingreifen und jenen die in einem weitaus 17 1

Kelsen Vom Wesen und Wert der Demokratie S. 165. Ebd. S. 165-166.

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geringeren Ma e politisch partizipieren als arbeitsteilig zu begreifen. So gesehen gehören sowohl erstere als auch letztere zum Volk aber erf llen jeweils unterschiedliche Aufgaben im demokratischen Prozess. Allem voran wählen letztere erstere in politische mter und statten sie auf diese eise mit einer gewissen Handlungsmacht aus. Im Idealfall nimmt ihr Verhältnis zueinander die orm einer sympathetic alliance an – einer wie Nadia Urbinati es formuliert interpretative or artificially created similarity between representatives and electors . It is similarity of ideas 19 not essential or substantive similarity . Auf diese eise gewinnt die demokratische Arbeitsteilung die das prozedural-demokratische Verständnis von Volkssouveränität auszeichnet an soziologischer egitimität. Die prozedural-demokratisch gedachte Volkssouveränität basiert also auf Repräsentation wobei die egitimität des Repräsentationsverhältnisses davon abhängt dass Repräsentierte und Repräsentanten sich gewissermaen als Alliierte betrachten die arbeitsteilig gemeinsame iele verfolgen. Ein weiterer f r unsere Diskussion zentraler Aspekt ist dass im prozeduraldemokratischen Verständnis von Volkssouveränität das Volk nicht als Einheit sondern als fragmentiertes Kollektiv gesehen wird. enn ein prozedural-demokratischer Denker wie Kelsen etwa wie oben zitiert vom Verfahren der emeinschaftswillensbildung spricht macht er deutlich dass der emeinschaftswille nicht etwa vorpolitisch gegeben oder dem Volk in seiner esamtheit inhärent ist. Nein: Der emeinschaftswille muss eben erst gebildet werden – und zwar durch demokratische Prozeduren. In seiner charakteristischen N chternheit betont Kelsen hierbei dass bei der unvermeidlichen Interessengegensätztlichkeit im Volk der emeinschaftswille wenn er nicht einseitig das Interesse nur einer ruppe ausdr cken soll nichts anderes als ein Kompromi zwischen entgegengesetzten 2 Interessen sein kann. Ein über den ruppeninteressen und jenseits derselben stehendes esamtinteresse ist laut Kelsen demgegen ber eine metaphysische oder besser: metapolitische Illusion 21 die mit den Untertönen einer vermeintlichen Einheit des Volkes im iderspruch zur agonalen Natur der Politik steht und gleichsam als unrealistisches Heilsversprechen eine efahr f r die prozedurale Demokratie darstellt.22 olgt man Kelsen und zeitgenössischen Vertretern des prozedural-demokratischen Verständnisses von Volkssouveränität ist Volkssouveränität 19 2 21 22

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Urbinati Representative Democracy and Its Critics S. 44-45. Kelsen Vom Wesen und Wert der Demokratie S. 171. Ebd. S. 17 . Vgl. Bickerton und Invernizzi-Accetti Populism and Technocracy.

Populismus und Volkssouveränität

also am besten als ein Einigungsprozess zu verstehen in dem unterschiedliche gesellschaftliche Interessens- und ertgemeinschaften – parlamentarisch repräsentiert durch politische Parteien – in einem dialektisch-kontradiktorischen Verfahren 23 um Kompromisse ringen. ie Urbinati pointiert schreibt: Das prozedural-demokratische Verständnis der Volkssouveränität puts an end to the sovereign as an ontological collective entity that proclaims its will and makes room for sovereignty as an inherently plural 24 unifying process. Eine zentrale Bedingung die f r das elingen dieses Prozesses erf llt sein muss ist dass die Parteien die die verschiedenen gesellschaftlichen Interessens- und ertgemeinschaften repräsentieren hinreichend in diesen emeinschaften verankert sind und also glaubhaft und authentisch deren Positionen vertreten können. Dies ist eine organisatorische Bedingung 25 f r die Bildung eines emeinwillens den jene die nicht aktiv sondern nur indirekt an der Erzeugung des emeinwillens teilhaben auch akzeptieren können. Ein zweites Desideratum dessen Erf llung die erfolgreiche Bildung eines emeinwillens voraussetzt ist dass die unterschiedlichen sozialen Interessens- und ertgemeinschaften – und damit auch ihre gewählten Repräsentanten – bereit sind ihren Machtanspruch in einem vern nftigen Ma e einzuschränken. Damit ist gemeint dass die Repräsentanten anderer ruppen nicht als einde behandelt werden die es zugunsten der eigenen Machtanspr che zu marginalisieren gilt sondern als Rivalen mit denen Kooperation möglich und unter Umständen sogar w nschenswert ist man denke an partei bergreifendes Abstimmungsverhalten in Parlamenten das dazu dient iele die man mit seinen politischen Rivalen teilt gemeinsam zu verwirklichen . hne diese Selbstlimitierung ist es nämlich kaum möglich Kompromisse zu finden und sich im parlamentarischen Verfahren auf allgemein g ltige esetze und Normen – kurz: einen emeinwillen – zu einigen. Kelsen hat vor diesem Hintergrund in einer vielleicht nicht mehr ganz zeitgemä en ormulierung den Relativismus als die eltanschauung bezeichnet die der demokratische edanke voraussetzt. 26 Absolute Macht- und ahrheitsanspr che so der edanke verunmöglichen die demokratische illensbildung. enden wir uns nun dem populistischen Begriff der Volkssouveränität zu. Um kurz die zentralen Eigenschaften des Populismus zu rekapitulieren: 23 24 25 26

Kelsen Vom Wesen und Wert der Demokratie S. 197. Urbinati Representative Democracy and Its Critics S. 45. Kelsen Vom Wesen und Wert der Demokratie S. 171. Ebd. S. 226.

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Populismus – sowohl links als auch rechts der Mitte – zeichnet sich durch 1 die Ablehnung des politischen Establishments 2 einen Alleinvertretungsanspruch Nur wir vertreten das Volk 27 und 3 das Versprechen der Handlungsfähigkeit aus. as folgt aus diesen Eigenschaften in Hinblick auf Volkssouveränität verstanden im zweiten oben besprochenen Sinne als aktiver Handlungsbegriff? Eine plausible Antwort auf diese rage lässt sich aus dem Verhältnis von Alleinvertretungsanspruch 2 und dem Versprechen der Handlungsfähigkeit 3 ableiten: Die Erf llung von letzterem – und damit die Transformation des Volkes in einen sich selbst regierenden Akteur – setzt aus populistischer Perspektive voraus dass Populisten alleine regieren. Dadurch dass sie ihrem Selbstverständnis nach die einzigen eigentlichen Volksvertreter sind ist die Alleinherrschaft der Populisten tatsächlich die rundbedingung f r die Akteurschaft des Volkes. Das zeigt sich etwa daran dass auch Populisten die bereits in einer Regierung sitzen den unsch hegen alleine regieren zu können. So klagte beispielsweise Heinz-Christian Strache – Parteichef der rechtspopulistischen österreichischen P die seit 2 1 zusammen mit der konservativen VP eine Regierung bildet – gegen ber seinen Unterst tzern: Hätten wir die absolute Mehrheit könnten wir es wie Viktor rb n der mit seiner rechtspopulistischen Fidesz-Partei Ungarn alleine regiert Anm. . . machen aber die haben wir nicht. 2 Eines scheint nach diesen ersten berlegungen bereits klar zu sein: Die populistische Konzeption von Volkssouveränität unterscheidet sich ma geblich von der prozedural-demokratischen. ährend letztere Souveränität als Einigungsprozess Urbinati begreift nimmt erstere an dass ein solcher Einigungsprozess nicht notwendig ist da es ohnehin nur eine politische Kraft gibt die das Volk und damit den emeinwillen vertritt – die Populisten selbst. Die populistische Konzeption von Volkssouveränität streitet also ab dass das Volk in Hinblick auf Interessen und erte fragmentiert ist und nur durch eine Vielzahl politischer Parteien und rganisationen die sich um möglichst gewinnbringende Kompromisse bem hen zum selbstregierenden Akteur wird. Im egenteil: Das Volk wird zum Akteur dadurch dass eine Partei unilateral Macht aus bt. Um noch besser zu verstehen woher dieser Anspruch auf Alleinregierung r hrt ist es hilfreich den Volksbegriff der Populisten näher unter die upe zu nehmen. er ist eigentlich dieses Volk das Populisten als einzige zu vertreten und zum Akteur zu machen behaupten? Das Besondere 27 2

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M ller Was ist Populismus? S. 44. itiert in Kurier 13. 1.2 1 .

Populismus und Volkssouveränität

am populistischen Volksbegriff ist dass er – anders als der formalistische Volksbegriff des prozedural-demokratischen Verständnisses von Volkssouveränität das Volk als esamtzahl aller politisch Berechtigten die ihre politischen Rechte aktiv aus ben – stark moralisiert ist. Das hei t: enn Populisten behaupten als einzige das Volk zu vertreten meinen sie damit nicht etwa alle z. B. Polen ranzosen oder Ungarn sondern die wahren Polen die wahren ranzosen und die wahren Ungarn – the pure people wie der Populismusforscher Cas Mudde schreibt.29 Diese Moralisierung des Volkes dient als Rechtfertigungsmittel f r die alleinige Machtausbung der Populisten und setzt wie wir sehen werden bestimmte gesellschaftliche Konfliktformen voraus. Nochmals zusammengefasst: Die populistische Vorstellung von Volkssouveränität unterscheidet sich von der prozedural-demokratischen Vorstellung in folgender eise. Erstens operiert sie – im egensatz zur prozedural-demokratischen Theorie der Volkssouveränität die das Volk formalistisch als die Inhaber politischer Rechte versteht – mit einer moralisierten Vorstellung des Volkes. Zweitens setzt sie – im egensatz zur prozeduraldemokratischen Idee in welcher das niemals vereinigte Volk durch den parlamentarischen Kompromiss letztlich zum selbstregierenden Akteur wird – die Akteurschaft des Volkes mit der unilateralen Machtaus bung der populistischen Partei bzw. einer charismatischen hrergestalt gleich. etzteres bedeutet auch dass – anders als in der prozedural-demokratischen Auffassung von Volkssouveränität die voraussetzt dass die unterschiedlichen ruppen die zusammen ein Volk ausmachen ihren jeweiligen Machtanspruch mehr oder weniger freiwillig einschränken – der Machtanspruch der Populisten allumfassend ist. 2.

Möglichkeitsbedingungen von Volkssouveränität

elche sozialen Hintergrundbedingungen m ssen f r die Verwirklichung des populistischen Ideals von Volkssouveränität erf llt sein? Das hei t: Unter welchen gesellschaftlichen Voraussetzungen kann das populistische Ideal von Volkssouveränität berhaupt realisiert werden? Dies ist die rage der ich mich nun widmen möchte. Diese rage mag in den Augen mancher eser zunächst exzentrisch anmuten urspr nglich ist Volkssouveränität ja ein verfassungstheoretisches Konzept das nicht unmittelbar zu einem empirisch-soziologischen Konzept umformuliert werden kann. Aber wir sind 29

Mudde The Populist Zeitgeist M ller Was ist Populismus?

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bereits mehrere Schritte in Richtung einer Empirisierung des Begriffs gegangen und haben Volkssouveränität als einen Realbegriff behandelt der den Umstand beschreibt dass ein wie auch immer definiertes Volk sich tatsächlich aktiv selbst regiert. Als ein empirischer Begriff ist Volkssouveränität nun eng mit bestimmten soziologischen Möglichkeitsbedingungen verkn pft insbesondere mit der Art und eise wie konfligierende gesellschaftliche ruppen sich zueinander verhalten. In der oben diskutierten prozeduralistischen Demokratietheorie wird normalerweise ein Mindestma an staatsb rgerlicher Solidarität als soziologische rundlage f r die Aus bung von Volkssouveränität gesehen. Nur common sympathies ohn Stuart Mill so der edanke können verhindern dass unterschiedliche soziale ruppen und eltanschauungsgemeinschaften sich gegenseitig zu unterdr cken versuchen – oder dass eine Konfliktpartei der andren kurzerhand die ugehörigkeit zur politischen emeinschaft abspricht weil sie Andersdenkende als Volks- einde statt als legitime politische Rivalen begreift. Der f r die Aus bung der Volkssouveränität dem prozedural-demokratischen Verständnis zufolge so wichtige Kompromiss ist also nur möglich wenn die Repräsentanten gesellschaftlicher ert- und Interessensgemeinschaften den gegenseitigen Interessen und Anspr chen ein Minimum an egitimität beimessen. Von seiner eigenen Position zugunsten eines Kompromisses mit Rivalen abweichen – das tut letztlich nur wer akzeptiert dass sein egen ber trotz aller Unterschiede einen gewissen Respekt verdient und Kooperation möglich ist.3 Bis heute gibt es in der Demokratietheorie die Tendenz die f r die Ausbung von Volkssouveränität so wichtige staatsb rgerliche Solidarität als unktion einer geteilten nationalen Identität zu sehen.31 Dieser edanke findet sich auch bei Kelsen dem paradigmatischen prozeduralen Demokraten – wenn auch in einer dezidiert nicht-moralisierten orm. Die unterschiedlichen eltanschauungs- und Interessensgemeinschaften einer esellschaft so Kelsen m ssen sich miteinander verständigen können wenn sie sich miteinander vertragen sollen. Die tatsächlichen Voraussetzungen f r die gegenseitige Verständigung der an der sozialen illensbildung Beteiligten m ssen also gegeben sein: eine kulturell relativ homogene esellschaft. 32

3 31 32

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ie Kelsen Vom Wesen und Wert der Demokratie S. 196 pointiert schreibt: Kompromi bedeutet: ur ckstellen dessen was die zu Verbindenden trennt zugunsten dessen was sie verbindet Kompromi bedeutet: sich vertragen . So etwa prominent Miller Democracy’s Domain. Kelsen Vom Wesen und Wert der Demokratie S. 2 2.

Populismus und Volkssouveränität

Sich miteinander vertragen – damit meint Kelsen dass verschiedene politische Kräfte analog zu einem Vertrag unter eschäftspartnern einen f r alle Beteiligten vorteilhaften Kompromiss finden. Die Doppeldeutigkeit ist aber vermutlich gewollt will Kelsen schlie lich auch auf die Notwendigkeit einer guten gemeinsamen esprächsbasis hinweisen. So sehr nun die Sichtweise dass dies nur eine geteilte kulturelle Identität garantieren kann zu Kelsens eit als Selbstverständlichkeit galt so wichtig ist es darauf hinzuweisen dass kulturelle Homogenität nicht die einzig mögliche uelle von Solidarität sein kann. hne hier näher auf dieses Thema eingehen zu können sei kurz hervorgehoben dass Solidarität auch jenseits einer einheitlichen Kultur denkbar ist etwa wenn Individuen oder ruppen einen gemeinsamen ebenszusammenhang teilen. ie dem auch sei: Diese vorläufigen berlegungen zeigen dass die rage nach den Möglichkeitsbedingungen von Volkssouveränität alles andere als trivial ist. Im egenteil: Die erfolgreiche Aus bung von Volkssouveränität ist immer nur in einem entgegenkommenden gesellschaftlichen Kontext möglich. elche gesellschaftlichen Bedingungen m ssen nun f r die Aus bung einer populistischen orm von Volkssouveränität erf llt sein? Intuitiv liegt es nahe Polarisierung als die entscheidende Hintergrundbedingung zu identifizieren: In einer stark polarisierten esellschaft so ein mögliches Argument herrscht keine Solidarität oder Sympathie zwischen den opponierenden Konfliktpartien. Hier kann es schnell vorkommen dass politische egner nicht mehr als im Prinzip respektable Rivalen sondern als einde betrachtet werden. In solch einem Kontext w rde es dann wenig berraschen wenn der Anspruch einer populistischen Partei alleine das wahre Volk zu repräsentieren und deswegen auch alleine regieren zu d rfen auf offene hren trifft und Mobilisierungskraft erlangt – und somit die populistische Vorstellung von Volkssouveränität verwirklichbar wird. Aber diese Erklärung ist zu allgemein. ewiss stimmt es dass in polarisierten esellschaften derartige Probleme entstehen können – man denke an die USA als inzwischen klassisches Beispiel einer stark polarisierten esellschaft.33 Und dennoch ist Polarisierung an sich kein ustand der Kompromisse zwischen konfligierenden gesellschaftlichen ruppen notwendigerweise ausschlie t. Der oft romantisierte Klassenkompromiss der eit zwischen 1945 und den fr hen 197 er ahren – eine eit in der laut 33

Vgl. hierzu etwa Barber and McCarty Causes and Consequences of Polarization.

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zahlreicher Autoren die Machtverhältnisse zwischen den Klassen ausgeglichen waren wie niemals vorher im Kapitalismus 34 – ist ein Beispiel daf r: Eine starke Polarisierung der Interessenslagen muss nicht Rivalen zu einden machen und Kooperation und f r alle Beteiligte vorteilhafte Entscheidungen verunmöglichen. olglich muss eine adä uate Beschreibung der sozialen Hintergrundbedingungen f r die Verwirklichung des populistischen Ideals von Volkssouveränität den Begriff der Polarisierung präziser fassen. Mein Argument ist dass die besondere Art der Polarisierung die die Möglichkeitsbedingung f r die Aus bung von Volkssouveränität im populistischen Sinne bildet moralisierte Polarisierung ist. Im egensatz zu einer vorwiegend interessensbezogenen Polarisierung die etwa in der ra des eben angesprochenen Klassenkompromisses vorherrschend war hat diese orm der Polarisierung ihren Ausgangspunkt in fundamentalen ertkonflikten die sich nicht – oder zumindest nur sehr beschwerlich – in Kompromissen auflösen lassen. etzteres ist der all weil es bei ertkonflikten um das usammenprallen unterschiedlicher moralisierter Einstellungen geht die das Verhalten von Individuen erheblich beeinflussen: Anstelle von strategischem also gewinnmaximierendem Handeln das etwa bei einer Polarisierung der Interessenslagen möglich ist motivieren sie mehr oder weniger unhinterfragtes Beharren auf einer spezifischen normativen Position.35 Es muss kaum hinzugef gt werden dass die Unterscheidung von interessensbezogener und moralisierter Polarisierung idealtypisch zu verstehen ist in der Praxis lässt sich die Ebene der Interessen nicht komplett von der der erte trennen. Meine Annahme ist blo dass polarisierte esellschaften mehr in die eine oder andere Richtung tendieren können. Moralisierte Polarisierung äu ert sich aktuell in vielen westlichen Demokratien darin dass ein Teil der Bevölkerung sich von einem anderen Teil als in Bezug auf Werte und Weltanschauungen verdrängt und moralisch geächtet wahrnimmt. um Teil ist das ein Resultat des ertewandels der sich seit den späten 196 er ahren vollzogen hat. Kurz zusammengefasst hat dieser ertewandel iberalisierungs- und Emanzipationsprozesse in ang gesetzt die die Autorität älterer ertesysteme in rage stellen. Emanzipatorische Errungenschaften hinsichtlich der horizontalen leichstellung der eschlechter der Ethnien der BTs etc. gingen und gehen deswegen

34 35

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So etwa Streeck Gekaufte Zeit S. 14. Ryan No Compromise.

Populismus und Volkssouveränität

stets damit einher dass Individuen die aufgrund ihrer erte und eltanschauungen mit diesen ortschritten nichts anfangen können sich vom gesellschaftlichen Mainstream entfremdet und missachtet f hlten und f hlen.36 ft Beharren diese Menschen auf ihrer immer unpopulärer werdenden normativen Position wobei diese einmal öffentlich geäu ert oft mit moralisierten Vorw rfen und Stigmatisierungen beantwortet wird. So wird etwa die Ablehnung einer multikulturellen esellschaft oft mit Belehrungen ber die Vorteile von Diversität und dem Vorwurf des Rassismus gekontert. Ein prominentes Beispiel ist Hillary Clintons Aussage im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2 16 die Hälfte von Donald Trumps Unterst tzern seien a basket of deplorables – ein Korb von Bedauernswerten – mit rassistischen sexistischen ausländerfeindlichen islamophoben Haltungen.37 Um das Argument der Entfremdung noch besser zu verstehen ist es hilfreich einen Blick auf die ähler populistischer Parteien und Bewegungen zu werfen. Empirische Studien zeigen dass diese ähler sich sehr oft durch jenen ertewandel abgehängt oder verdrängt f hlen weil sie sozial konservative Positionen vertreten die vom politischen Mainstream und der j ngeren Mehrheitsbevölkerung kaum noch in dieser orm geteilt werden. Britische B rger die den EU-Austritt ro britanniens bef rworten und fr her geneigt waren f r die inzwischen von den Tories absorbierte rechtspopulistische Partei UKIP zu stimmen sind beispielsweise nicht nur tendenziell wei älter und Teil der Arbeiterklasse sie weisen auch ein besonders konservatives eltbild auf insbesondere was Themen wie Einwanderung die leichstellung der eschlechter und Minderheitenrechte betrifft. Dieses ältere ertesystem wird von j ngeren B rgern geradezu verachtet. A n outlook that was once seen as mainstream so die Politologen Robert ord und Matthew oodwin has become increasingly regarded as parochial and intolerant by the younger university-educated more socially liberal 36

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ft werden diese ef hle dadurch verstärkt dass parallel zu den eben beschriebenen Prozessen prekäre Arbeitsverhältnisse in der konomie zugenommen haben und gerade jene die in Bezug auf erte die Erfahrung der Entfremdung machen oftmals sicherlich aber nicht immer auch ökonomisch stärker unter Druck stehen als zuvor vgl. Nachtwey Entzivilisierung idron und Hall The politics of social status . itiert auf Time.com 1 . 9.2 16. Nichts von dem was ich bisher argumentiert habe und im olgenden argumentieren werde schlie t dabei aus dass es nicht vertretbar sei Rassismus aller Art entschieden und mit politischen Argumenten entgegenzutreten. Meine Argumente sind hier rein im Sinne einer sozialen Analyse zu verstehen.

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and financially secure majority who define the political consensus in early twenty-first-century Britain. 3 In einigen demokratischen esellschaften haben die Entfremdungsgef hle ganzer Bevölkerungsteile noch tieferliegende historische r nde. In ihrer Studie der Tea Party-Bewegung in den S dstaaten Amerikas zeigt die Soziologin Arlie Russell Hochschild etwa dass das kollektive Trauma des Amerikanischen B rgerkriegs unter Anhängern der Tea Party bis heute Ressentiments gegen ber dem amerikanischen Norden – und damit den nordamerikanischen Eliten – hervorruft. Damals haben die Unionsstaaten des Nordens bekanntlich die konföderierten S dstaaten besiegt: Der Krieg endete mit der Kapitulation der S dstaaten im April 1 65. Doch dieser Dem tigung folgte eine weitere und zwar in der unmittelbaren Nachkriegszeit der Reconstruction era. Hochschild beschreibt die ahrnehmung der Tea Party-Mitglieder dieser Periode wie folgt: After the Civil ar the North replaced Southern state governments with its own hand-picked governors. The profit-seeking carpetbaggers came it seemed to those I interviewed as agents of the dominating North. Exploiters from the North and angry traumatized black population at home and moral condemnation from all – this was the scene some described to me. 39

Hier gehen Entfremdung und Stigmatisierung Hand in Hand: Die Eliten aus dem Norden so die kollektive ahrnehmung kamen nicht nur in ausbeuterischer Absicht sondern – und noch schlimmer – auch mit der Botschaft moralischer chtung moral condemnation . Das espenst des moralisch berlegenen Nordens kehrte in den 196 er ahren auf die Bildfläche zur ck als die amerikanische B rgerrechtsbewegung die Rassendiskriminierung von Afroamerikanern in den S dstaaten erfolgreich bekämpfte. Der Civil Rights Act von 1964 hob alle noch bestehenden im-Crow- esetze auf und der Voting Rights Act von 1965 gewährleistete zumindest auf dem Papier die gleiche Beteiligung von Minderheiten an demokratischen ahlen. Von den Tea Party-Unterst tzern mit denen Hochschild sprach werden diese Emanzipationsbestrebungen mit wenig Begeisterung wahrgenommen: the public narrative was that the North had come to the South as it had with soldiers in the 1 6 s and during Reconstruction in the 1 7 s to tell Southern whites to change their way of life. 4 Dieses Nord-S d-Anerkennungsgefälle ist also bis heute konstitutiv f r das konservativ-populistische kollektive Bewusstsein in den USA. 3 39 4

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ord und oodwin Understanding UKIP S. 279. Hochschild Strangers in Their Own Land S. 2 9. Ebd. S. 213.

Populismus und Volkssouveränität

er – egal ob zu Recht oder zu Unrecht – den Eindruck hat aufgrund seiner erte und eltanschauung gesellschaftlich ausgeschlossen zu sein verliert das ef hl der Selbstwirksamkeit .41 Die populistische Idee vom wahren Volk spricht genau das dadurch entstandene Bed rfnis nach Ermächtigung und einem ir- ef hl an. Indem sie den moralisch und oftmals auch sozial Verdrängten den Status des wahren Volkes zusprechen und gegen all jene wettern die letzterem ihre kosmopolitische ebensweise und liberalen ertvorstellungen aufzwingen wollen bem hen sich die Populisten sozusagen um die Ehrenrettung derer die sich abgewertet und ausgenutzt f hlen – wie eine Minderheit im eigenen and der niemand zuhört und f r die sich niemand interessiert .42 Diese Ehrenrettung so möchte ich behaupten ist letztlich die zentrale unktion der populistischen Idee des wahren Volkes . egen die moralische Bevormundung und Verachtung der Eliten wird ein kollektives Subjekt artikuliert das anders als man ihnen wei machen will nicht aus lobalisierungsverlierern oder wie der Soziologe olfgang Streeck provokant schreibt aus Ungewaschenen 43 besteht – sondern aus hart arbeitenden B rgern die die wahren eistungsträger der esellschaft sind.44 Dieses Kollektiv so die populistische ogik soll nicht blo von den aktuellen Eliten wieder gehört werden es soll wie oben diskutiert den rt der Macht okkupieren und in der Regel vertreten durch eine charismatische hrergestalt unilateral Macht aus ben. hne moralisierte Polarisierung – einem ustand in dem einige ruppen das ef hl haben einen massiven Statusverlust erlitten zu haben der sich aufgrund seiner wertebasierten Natur nicht durch strategisch ausgehandelte Kompromisse berwinden lässt – wäre so eine radikale Position kaum denkbar oder plausibel. Hier gilt hingegen: Radikalisierung erlaubt es den Menschen sich wieder souverän zu f hlen. 45 In der Praxis verfolgen Populisten typischerweise zwei eng verwobene Strategien um den Selbstwert der eben angesprochenen verdrängten Individuen und ruppen zu erhöhen. Erstens wird der Status uo als Krisenzustand dargestellt den die politischen und kulturellen Eliten zu verantworten haben. Das hei t: Die Eliten haben mit ihrer von moralischer berheblichkeit getriebenen Politik letztlich versagt und das and zum schlech-

41 42 43 44 45

Nachtwey Entzivilisierung S. 229. Ebd. S. 22 . Streeck The Return of the Repressed. Vgl. Kazin The Populist Persuasion. Nachtwey Entzivilisierung S. 229.

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teren verändert. Ein bekanntes Beispiel daf r ist das rechtspopulistische Argument die exzessive politische Korrektheit der Eliten f hre zu einer Politik die blind gegen ber realen Problemen ist. They have put political correctness above common sense above your safety and above all else beschwerte sich etwa Donald Trump nachdem ein muslimischer Attentäter im uni 2 16 49 Menschen in einem Nachtklub in rlando getötet hatte.46 Das hei t im Umkehrschluss: Die Eliten sind also nicht nur arrogant und bevormundend sie stellen eine efahr f r das emeinwohl dar. ber solche Ressentiments können die Verunsicherten und Verdrängten eine neue kollektive Identität erlangen. Zweitens wird die eben beschriebene Krisendiagnose mit einer Botschaft der Erlösung verbunden. Mit Margaret Canovans orten: salvation is promised as and when the people take charge of their own lives 47 – letzteres wohlgemerkt nur indirekt durch die populistische Partei bzw. die charismatische hrungsfigur. So erklärte Donald Trump im uni 2 15 seinen Unterst tzern: ur country is in serious trouble. e don t have victories anymore. e used to have victories but we don t have them. hen was the last time anybody saw us beating let s say China in a trade deal? They kill us. I beat China all the time. All the time. 4

Knapp ein ahr später legte Trump noch einen drauf: e re going to win. e re going to win so much. e re going to win at trade we re going to win at the border. e re going to win so much you re going to be so sick and tired of winning you re going to come to me and go Please please we can t win any more.

Trump richtet sich hier direkt an das Anerkennungsdefizit unter dem seine Unterst tzer leiden. Er verspricht viele eindeutige Siege keine Kompromisse oder second-bests . erade noch von Eliten wie Hillary Clinton als basket of deplorables oder lobalisierungsverlierer abgestempelt werden Trumps ähler kurzerhand zu ewinnern. Dabei ist es wichtig hervorzuheben dass eine Politik der eindeutigen Siege typischerweise auch eine Politik ist die jenseits demokratischer Prozesse und Institutionen operiert es ist nicht die Politik von hart erkämpften und so gut wie immer imperfekten Kompromissen sondern die eines charismatischen politischen hrers der per Executive Order den illen des wahren Volkes erf llt man denke etwa an Trumps ber chtigte Executive rder 13769 die B rgern aus sieben 46 47 4

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itiert in eigel Political correctness keine Seitenangabe. Canovan Trust the people! S. 1 . itiert in Bump Donald Trump’s spectacular, unending, utterly baffling, oftenwrong campaign launch keine Seitenangabe.

Populismus und Volkssouveränität

mehrheitlich muslimischen Staaten 9 Tage lang – und l chtlingen aus Syrien dauerhaft – die Einreise in die USA verbot . Dieser anti-prozedurale und anti-institutionelle Impuls – the romantic impulse to directness spontaneity and the overcoming of alienation 49 – ist dem populistischen Verständnis von Volkssouveränität eingeschrieben. Alles andere wäre auch nicht kompatibel mit der Idee dass Macht nur von einer einzigen ruppe ausge bt werden soll. Meine These noch einmal zusammengefasst ist also dass die Möglichkeitsbedingung f r die Realisierung eines populistischen Verständnisses von Volkssouveränität eine moralisierte orm der Polarisierung ist. Die rundideen der populistischen Vorstellung von Volkssouveränität – dass es ein moralisch aufzuwertendes wahres Volk gibt und dass dieses Volk nur durch die unilaterale Machtaus bung einer Partei bzw. einer Person seine Handlungsfähigkeit zur ck erlangt – können nur f r die politische Praxis fruchtbar gemacht werden wenn soziale Konflikte moralisiert sind also vornehmlich auf der Ebene von ertkonflikten ausgefochten werden und ein Teil der esellschaft sich weltanschaulich stigmatisiert f hlt. In solch einem Kontext erscheint das prozedural-demokratische Ideal der Volkssouveränität letztlich wie eine Utopie denn weder herrscht genug Respekt zwischen den Konfliktparteien um Kompromisse zu finden noch erachten die unterschiedlichen Konfliktparteien einen Kompromiss in ertfragen als erstrebenswert. 3.

Schluss

Die in diesem Beitrag erarbeiteten Argumente lassen den Schluss zu dass wenn gesellschaftliche Konflikte sich vordergr ndig um ökonomische Interessen drehen und also strategische Kompromisse zwischen konfligierenden ruppen möglich sind Volkssouveränität im prozedural-demokratischen Sinne ausge bt werden kann wenn dem hingegen nicht so ist und Konflikte eine moralisierte orm annehmen die zur Verachtung und Stigmatisierung sozialer ruppen f hrt können populistische Akteure ihr eigenes Volkssouveränitätskonzept der Alleinvertretung plausibler eise als ein w nschenswertes Modell f r die demokratische Selbstregierung des Volkes präsentieren. Dies kann bedeutende olgen f r die Demokratie haben: e mehr Parteien und parlamentarische Prozesse diskreditiert sind desto eher kann eine exekutivzentrierte Politik der eindeutigen Siege als 49

Canovan Trust the people! S. 1 .

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Fabio Wolkenstein

der beste eg erscheinen – und auch von Akteuren bernommen werden die nicht zu den blichen Verdächtigen des Populismus zählen. Man denke etwa an Emmanuel Macron oder Sebastian Kurz die sich beide zu hrerfiguren einer eigenen Bewegung ernannt haben und versprechen jenseits von traditionellen Parteikonflikten Politik f r das Volk zu machen. Meine Schlussfolgerung ist in vieler Hinsicht freilich stilisiert: In der Praxis lassen sich ertekonflikte und Interessenskonflikte nicht sauber voneinander trennen und genauso können sich beide Modelle der Volkssouveränität in Bereichen berlappen beispielsweise im alle von bestimmten Exekutiventscheidungen die laut prozedural-demokratischer Verfassungen legitim sind . Aber wie bereits erwähnt sollen in diesem Beitrag allgemeinere Tendenzen beschrieben werden die sich mittels der vier Idealtypen von moralisierter vs. interessensbezogener Polarisierung und populistischer vs. prozedural-demokratischer Volkssouveränität begreifen lassen. Dass Tendenzen wie die Moralisierung politischer Auseinandersetzungen real und das oben entwickelte Argument nicht aus der uft gegriffen sind das zeigen im brigen zahlreiche empirische Studien die etwa die steigende Bedeutung von sogenannten moralisierten Einstellungen in Parteipolitik und -Identifikation nachweisen5 oder aufzeigen dass heute viele ökonomische Probleme kulturalisiert werden m ssen um f r politische Mobilisierung berhaupt funktionieren zu können .51 enn all dies stimmt dann bedeutet das letztlich auch dass man wenn man Populismus entgegenwirken möchte versuchen muss die ahrnehmung gesellschaftlicher Konfliktlagen zu verändern. Eine denkbare Strategie wäre etwa vermeintliche ertkonflikte politisch als materielle Interessenskonflikte umzudeuten. ie erwähnt korrelieren unterschiedliche eltanschauungen ja oftmals mit divergenten ökonomischen Ressourcenlagen so betont Nachtwey beispielsweise dass die Verdrängten die berdurchschnittlich f r die populistischen Heilsbotschaften empfänglich sind in den Mittel- und Arbeiterklassen der alt-industrialisierten elt zu finden sind – allem voran Männer mit niedrigen oder mittleren ualifikationen die mit ökonomischen Abstiegserfahrungen und Verunsicherungen zu kämpfen haben.52 Die erfolgreiche Politisierung dieser ökonomischen ragen – und zwar qua ökonomischer ragen und nicht in kulturalisierter orm Manow – könnte die Attraktivität nicht-populistischer Politik f r diese esellschaftsschichten wieder erhöhen. b dies auch wirklich möglich ist 5 51 52

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Ryan No Compromise. Manow Die Politische Ökonomie des Populismus S. 16. Nachtwey Entzivilisierung S. 226 vgl. auch idron und Hall The politics of social status.

Populismus und Volkssouveränität

sei dahingestellt möglicherweise ist in vielen westlichen Demokratien die moralisierte Polarisierung zum Dauerzustand geworden. In diesem all wäre dann wahrscheinlich aber auch das prozedural-demokratische Verständnis von Volkssouveränität das die rundlage der meisten modernen Demokratien bildet berholt. Literatur Barber Michael McCarty Nolan: Causes and Conse uences of Polarization in: Mansbridge ane Martin Cathie o Hg. : Negotiating Agreement in Politics ashington 2 13 S. 19-53 Bickerton Christopher Invernizzi-Accetti Carlo: Populism and Technocracy: pposites or Complements? in: Critical Review of International Social and Political Philosophy 2 H. 2 2 17 S. 1 6-2 Böckenförde Ernst- olfgang: Die verfassungsgebende ewalt des Volkes. Ein renzbegriff des Verfassungsrechts in: Böckenförde Ernst- olfgang osewinkel Dieter Hg. : issenschaft Politik Verfassungsgericht. Aufsätze von Ernst- olfgang Böckenförde rankfurt a. M. 2 11 S. 97-119 Bourke Richard Skinner uentin Hg. : Popular Sovereignty in Historical Perspective. Cambridge 2 16 Bump Philip: Donald Trump s spectacular unending utterly baffling often-wrong campaign launch in: The ashington Post 16. uni 2 15 online: https: www. ashingtonpost.com news the-fix wp 2 15 6 16 donald-trumps-spectacular-unen ding-utterly-baffling-often-wrong-campaign-announcement ?utm term .e9a bf2e9 99 ugriff: 15. 2.2 1 Canovan Margaret: The People Cambridge 2 5 Canovan Margaret: Trust the people Populism and the Two aces of Democracy in: Political Studies VII 1999 S. 2-16 D Eramo Marco: Populism and the New ligarchy in: New eft Review 2 H. uliAugust 2 13 S. 5-2 inchelstein ederico: rom ascism to Populism in History Berkeley 2 17 ord Robert oodwin Matthew: Understanding UKIP. Identity Social Change and the eft Behind in: The Political uarterly 5 H. 3 2 14 S. 277-2 4 idron Noam Hall Peter: The politics of social status. Economic and cultural roots of the populist right in: British ournal of Sociology 6 H. S1 2 17 S. 57- 4 Habermas rgen: aktizität und eltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats rankfurt a. M. 1994 Hochschild Arlie Russell: Strangers in Their wn and. Anger and Mourning on the American Right New ork 2 16 Kazin Michael: The Populist Persuasion: An American History Ithaca 199

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Fabio Wolkenstein Kelsen Hans: Vom esen und ert der Demokratie in: estaedt Matthias epsius liver Hg. : Verteidigung der Demokratie T bingen 2 6 S. 149-22 Kurier: Strache: Dann könnten wir es wie rban machen 13. 1.2 1 online: https: kurier.at politik inland strache-dann-koennten-wir-es-wie-orban-machen 3 6.352.562 ugriff: 15. 2.2 1 aclau Ernesto: n Populist Reason ondon 2 5 Manow Philip: Die Politische konomie des Populismus rankfurt a. M. 2 1 Marchart liver: Die politische Differenz. um Denken des Politischen bei Nancy efort Badiou aclau und Agamben rankfurt a. M. 2 1 Maus Ingeborg: ber Volkssouveränität. Elemente einer Demokratietheorie rankfurt a. M. 2 11 McKean Benjamin .: Toward an Inclusive Populism? n the Role of Race and Difference in aclau s Politics in: Political Theory 44 H. 6 2 16 S. 797- 2 Michelman rank I.: How Can the People Ever Make the aws? A Criti ue of Deliberative Democracy in: Bohman ames Rehg illiam Hg. : Deliberative Democracy. Essays on Reason and Politics Cambridge MA und ondon 1997 S. 145-172 Miller David: Democracy s Domain in: Philosophy Public Affairs 37 H. 3 2 9 S. 2 1-22 Moffitt Benjamin: The lobal Rise of Populism. Performance Political Style and Representation Stanford 2 16 Mudde Cas: The Populist eitgeist in: overnment and pposition 39 H. 4 2 4 S. 542-563 M ller an- erner: as ist Populismus? rankfurt a. M. 2 16 Nachtwey liver: Entzivilisierung. ber regressive Tendenzen in westlichen esellschaften in: eiselberger Heinrich Hg. : Die gro e Regression. Eine internationale Debatte ber die geistige Situation der eit rankfurt a. M. 2 17 S. 215-232 Pettit Philip: n the People s Terms. A Republican Theory and Model of Democracy Cambridge 2 12 Ryan Timothy .: No Compromise. Political Conse uences of Moralized Attitudes in: American ournal of Political Science 61 H.2 2 17 S. 4 9-423 Streeck olfgang: ekaufte eit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus erweiterte Ausgabe rankfurt a. M. 2 15 Streeck olfgang: The Return of the Repressed in: New eft Review 1 4 H. MärzApril 2 17 S. 5-1 Time.com: Read Hillary Clinton s Basket of Deplorables Remarks About Donald Trump Supporters 1 . 9.2 16 online: http: time.com 44 65 2 hillary-clinton-basket-of-deplorables-transcript ugriff: 15. 2.2 1 Trump Donald: The Inaugural Address 2 16 online: https: www.whitehouse.gov briefings-statements the-inaugural-address ugriff: 15. 2.2 1 Tuck Richard: The Sleeping Sovereign. The Invention of Modern Democracy Cambridge 2 16

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Populismus und Volkssouveränität Urbinati Nadia: Representative Democracy and Its Critics in: Alonso Sonia Keane ohn Merkel olfgang Hg. : The uture of Representative Democracy Cambridge 2 11 S. 23-49 eigel Moira: Political correctness: how the right invented a phantom enemy in: The uardian 3 . 9.2 16 online: https: www.theguardian.com usnews 2 16 nov 3 political-correctness-how-the-right-invented-phantom-enemy-donald-trump ugriff: 15. 2.2 1 hite onathan: Emergency Europe and the Politics of Volition Konferenzpapier 2 1 olkenstein abio: Agents of Popular Sovereignty in: Political Theory i.E.

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Die Plebejer proben den Aufstand. Paradoxien popularer Politik1 Kolja Möller

Die igur des Volkes hat die moderne Politik schon immer begleitet. Spätestens seit die demokratische Verfassung das Volk zur verfassungsgebenden ewalt erhoben hat durchdringt die Rede von den Volksinteressen dem Volkswillen oder gar der Volksidentität das politische eben.2 Sie verbreitet sich nicht nur in der Sphäre der Staats- und Verfassungslehre sondern ebenso in der alltäglichen politischen Kommunikation oder in parlamentarischen Debatten. Die Parteiungen buhlen beim ählerpublikum nicht nur mit je unterschiedlichen thematischen Angeboten um ustimmung vielmehr wird auch eine Politik zur ption die darauf abzielt die grundlegenden Machtverhältnisse der rdnung einer Neuverhandlung zu unterziehen indem sie die r ndungsmacht des Volkes als egenmacht zu den jeweiligen rgangewalten in Stellung bringt. Dieser plebejische Wiedereintritt der Volkssouveränität (re-entry) adressiert das Verhältnis von unten und oben .3 Dann klagt ein Volk der Machtunterworfenen an dass sich die Eliten von den grundsätzlichen Interessen ihrer sozialen Basis entfernt haben.4 Nun kann die Staats- und Verfassungslehre darauf hinweisen wie hier ein Missverständnis greift. Schlie lich sei so die Annahme der Verfassungstheorie das Volk als verfassungsgebende ewalt gerade

1

2 3 4

r Anmerkungen und Kommentare bedanke ich mich bei im van eenen und Ralf Mayer. Der Text ist im Rahmen des Projekts ERC-2 14-Co No. 647313 – Tansnational orce of aw entstanden das vom European Research Council ERC gefördert wird. Vgl. etwa die Studien: Rosanvallon Le Peuple Introuvable Morgen Inventing the People Smith Political Peoplehood. Vgl. dazu ehmann Wo ist ‚unten‘? uhmann Observing Re-entries. Als zentrales Kriterium f r Populismus: Canovan Trust the People! S. 3 Colliot-Th l ne Quel est le peuple du populisme? S. 13 Puhle Was ist Populismus? S. 13 aclau Politik und Ideologie im Marxismus S. 144 Mudde The Populist Zeitgeist S. 543 im Hinblick auf das Populäre des politischen Systems: Stäheli The Popular in the Political System im Kontext internationaler Politik: Koskenniemi What Use for Sovereignty Today?

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Kolja Möller

kein politischer Kampfbegriff. Als Schlussstein einer höherrangigen Rechtfertigungspraxis sei sie vor allem von den Verfassungsgerichten zu bewirtschaften.5 Und die normative politische Theorie mag auf totalisierende Tendenzen hinweisen wenn einzelne Akteure unter dem Slogan ir sind das wahre Volk einen esamtvertretungsanspruch geltend machen.6 Doch muss man wohl mit Blick auf die Evolution des politischen Systems feststellen dass solche arnungen nicht vor den Beharrungskräften der popularen Entwicklungslinie sch tzen. er ein egengewicht zur bestehenden Verfasstheit der esellschaft aufbauen will beansprucht den Volkswillen f r sich. Es ist die naheliegende immanente ption die in der Art wie sich die Politik selbst versteht schon angelegt ist. Vom Kirchenvolk – dem populus dei – ber das popolo der fr hb rgerlichen Stadtrevolten in ber- und Mittelitalien vom Volk der B rger in der Aufklärung bis zum Volk der Arbeit – immer wieder taucht das Volk als Bezugspunkt auf. In all diesen ällen umfasst es gerade nicht die esamtheit der B rgerschaft. Die jeweiligen Bewegungen nehmen eher einen Standpunkt ein um das anze der rdnung f r sich zu beanspruchen.7 Immer wieder findet ein Schwanken zwischen Emanzipation und Regression statt. In Volksaufständen und Volksrevolutionen ringen egenmachtpotentiale die sich zunächst negativ aus der Unzufriedenheit mit einem verfestigten Machtblock speisen mit bonapartistischen Vereinnahmungsbewegungen. Sie beanspruchen den Volkswillen von oben um wieder rdnung und Sicherheit herzustellen. ibert egalit fraternit trifft so beobachtete schon Karl Marx in seiner Schrift zum 18. Brumaire des Louis Bonaparte auf die egenoption Artillerie Infanterie Kavallerie die in vielen ällen den gewaltbewährten Sieg davonträgt.9 In unserer egenwart kehren diese Bez ge vielgestaltig in das politische eben zur ck. Die Rechtspopulisten sehen ein vorgängiges Nationalvolk das durch Homogenität geprägt ist der ersetzung preisgegeben Umvolkung die politische Mitte inszeniert sich als Bewegung f r ein Volk der 5 6 7

9

6

M ller Wer ist das Volk? S. 42ff. Isensee Das Volk als Grund der Verfassung. M ller Was ist Populismus? S. 26. Vgl. die Studien von Canovan Populism; Hofstadter, The Age of Reform Kazin, The Populist Persuasion Ratzinger Volk und Haus Gottes in Augustinus Lehre von der Kirche Rosanvallon Le Peuple Introuvable Voeglin Das Volk Gottes erner Probleme städtischer Volksbewegungen im 14. Jahrhundert zur Rolle der social media: Siri Soziale Medien und Populismus. Mangoni Cesarismo, Bonapartismo, Fascismo Thalheimer Über den Faschismus. Marx Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte S. 14 .

Die Plebejer proben den Aufstand

aufgeklärten B rger oder der ökonomischen eistungsträger Marktvolk die politische inke sammelt sich um ein Volk der subalternen Klassen der eute inkspopulismus .1 Vor diesem Hintergrund stellt sich nicht zuerst die rage nach der prinzipiellen nschbarkeit des Populismus wie sie aktuelle Streitschriften in den Mittelpunkt stellen 11 eher wäre genauer auszuleuchten welche Realwiderspr che auftauchen und wie die jeweiligen politischen Projekte mit ihnen umgehen – bis hin zur rage ob eine populare Politik möglich werden kann die regressive Risiken umgeht oder gar zu einer gelingenden gesellschaftlichen Veränderung beiträgt.12 Im olgenden wird meine These sein dass die Herausforderung im Umgang mit den Paradoxien popularer Politik besteht: Ist das Volk erst einmal als verfassungsgebende ewalt in die Verfassung eingetragen artikulieren sich egenmachtkreisläufe als Mobilisierung des Volkes gegen den bestehenden Machtblock und seine unktionseliten 1 . Doch der kommunikative Anschluss an die Volkssouveränität neigt seinerseits dazu das leitende inhaltliche Anliegen – die berwindung des Machtblocks – zu unterlaufen 2 .13 So liegt eine tragische rundstruktur vor. Die populare Politik neigt dazu sich selbst zu berschätzen oder in neue Herrschaftsprojekte umzuschlagen 3 . Muss es also dabei bleiben dass sich das Scheitern immer wieder aufs Neue wiederholt? Statt die Probleme zu verdrängen zeichnet sich auch eine aussichtsreichere Möglichkeit ab: Sie besteht darin die Paradoxien auf Dauer zu stellen sie durchzuarbeiten und aus ihnen zu lernen. Dies wäre eine populare Politik die ber die einfache politische Mobilisierung hinausgeht indem sie sich auch auf Verfahren der Distanzierung und Reflexion st tzt um die eigenen ehlstellungen nachzuvollziehen und sie längerfristig zu berwinden 4 . 1

11 12

13

Vgl. die Studien: oley The Tea Party ewandowsky Die Verteidigung der Nation Bebnowski ‚Guteʻ Liberale gegen ‚böse Rechte?ʻ Agust n Briziarelli Podemos and the New Political Cycle Stavrakakis Katsembekis Left-Wing Populism in the European Periphery Vorländer The Good, the Bad, and the Ugly. Mounk Der Zerfall der Demokratie M ller Was ist Populismus? Rosanvallon Penser le populisme. Vgl. etwa die aktuelle Diskussion zu einem demokratischen Populismus: Bruckmiller Elemente eines emanzipatorischen Populismus Mouffe For a Left Populism Stavrakakis The Return of ‘the People’ oes Bock Ein unanständiges Angebot? Solty erner Der indiskrete Charme des Linkspopulismus Neumann Mezzadra Jenseits von Interesse und Identität vgl. auch Hall Popular-demokratischer oder autoritärer Populismus. Am Beispiel der demokratischen Diktatur Cäsars: Meier Die Ohnmacht des allmächtigen Diktators Caesar insbes. S. 9ff.

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Kolja Möller

1.

Das Volk als plebs

Es ist ein wiederkehrendes Phänomen des politischen ebens dass sich machtunterworfene soziale ruppen vereinen und gegen die Verselbstständigung der Eliten aufbegehren. Die Selbststilisierung als Volk scheint ein beständiges Merkmal dieser egenmachtprozesse zu sein.14 Das Volk der Machtunterworfenen konstituiert sich – so könnte man in Anlehnung an die rdnungskämpfe der römischen Republik behaupten – als plebs der sich negativ von einem bestehenden Machtblock abgrenzt und dabei das anze der rdnung in rage stellt.15 Die Volkssouveränität wie sie in der Verfassung festgehalten ist demokratisiert nicht nur die politische illensbildung sie legt sie auch auf eine rammatik fest: Indem sie die esellschaftsverfassung auf das Volk als r ndungsmacht zur ckf hrt zwingt sie egenmachtakteure in den Populismus.16 raglos hält das politische System auch noch andere Kritikoptionen bereit. Beispiele daf r wären etwa der Standpunkt der selbstinteressierten oder gemeinwohlorientierten B rgerschaft der Menschen drau en im ande die Helmut Kohl einst in seinen Reden zum Bezugspunkt erhob oder des Menschen der Menschenrechte.17 Doch der Populismus birgt eine spezifische Pointe: Die Annahme besteht schlie lich darin dass die Interessen der Machtunterworfenen erst eine Chance auf Ber cksichtigung erfahren wenn die bestehenden unktionseliten mit einem Drohszenario konfrontiert sind. Dann erinnert das Volk an die Verfassungsgebung und droht auf diese eise hintergr ndig mit Revolution Umwälzung oder wenigstens mit einer Neuverhandlung der Machtverteilung. Das unterscheidet die populare Politik von Inklusionspolitiken. Sie zielen darauf die bestehenden Interessen oder Bed rfnisse innerhalb des schon bestehenden Machtgef ges zur eltung zu bringen. Es ist aber 14 15

16 17

7

Vgl. Dupuy La Politique du Peuple rattan Pierre Bourdieu and Populism. So etwa aclau: In order to have the people of populism we need a plebs who claims to be the only legitimate populus – that is a partiality which wants to function as the totality of the community. aclau Why the Main Task of Radical Politics is Constructing a People S. 1 ähnlich auch Canovan The People S. 11ff. Dies gilt trotz der ideengeschichtlichen und konzeptionellen Differenzen von neo-römischen und kantianisch-radikaldemokratischen Demokratieverständnissen: vgl. dazu die Beiträge in Niederberger Schink Republican Democracy. ur kontestatorischen Rolle der B rgerschaft: Pettit On the People's Terms Rosanvallon La contre-démocratie zur Bevölkerung als egenstand des staatlichen Verwaltungshandelns: oucault Sicherheit, Territorium, Bevölkerung zur Menschenrechtspolitik: pitz An der Grenze des Rechts S. 1 1ff. Heller Mensch und Maßnahme.

Die Plebejer proben den Aufstand

ein Unterschied ob neue Interessen oder Bed rfnisse in den Markt der politischen Angebote aufgenommen werden oder ob die Machtunterworfenen den jeweiligen Eliten oder rgangewalten mit Absetzung drohen um so wenigstens eine Neutralisierung zu erreichen.1 Eine aussichtsreiche Ber cksichtigung ist folglich erst realistisch wenn die jeweiligen Eliten mit Entmachtung rechnen m ssen. Am deutlichsten hat diejenige Tradition politischen Denkens dieses Motiv hervorgehoben die ihren Ausgangspunkt in Niccol Machiavellis Schriften zur Politik hat. Die plebejischen esarten unterscheiden sich von humanistischen realistisch-konservativen oder republikanischen ekt ren der Schriften des lorentiner Theoretikers durch die entralstellung des Herrschaftskonflikts.19 Demnach zeichnen sich die Spaltung des emeinwesens in unterschiedliche Klassen sowie die jeweiligen Spielarten der Konstitutionalisierung des sozialen Konflikts f r Bl te und Verfall politischer rdnungen verantwortlich. Sowohl in den Discorsi 1531 als auch im Il Principe 1532 hatte Machiavelli immer wieder vom Ringen zweier em tszustände zweier umori geschrieben die sich als Konflikt zwischen 1

19

So deutet M ller folgende Alternative an: enn aus einem populistischen ir sind das Volk so etwas w rde wie Auch wir sind das Volk dann wäre dies ein völlig legitimer zivilgesellschaftlicher Anspruch derer die sich vergessen f hlen oder de facto ausgeschlossen sind M ller Was ist Populismus? S. 21 . In der Bebilderung solcher Sozialbewegungen bezieht sich M ller auf die B rgerrechtsbewegung in den USA und den eminismus spart jedoch die radikaleren l gel dieser Bewegungen beispielsweise die Black Panther oder den Differenzfeminismus aus. Die hier favorisierte Alternative Auch wir entbehrt gerade der polemischen Pointe die bestehenden unktionseliten ihre Machtpositionen streitig machen will. enn die jeweiligen Eliten sowieso schon immer das anze f r sich besetzen und ihre Eigeninteressen verallgemeinern wenn es sich also nicht um eine ideale Situation handelt in der leiche miteinander verkehren und die nur f r neue ruppen oder Anliegen geöffnet werden muss stellt sich die rage welche kommunikativen Mechanismen eine tatsächliche egenmacht ausbilden kann vgl. dazu meine Kritik an dieser verfassungspatriotischen Alternative: Möller Populism zur Unterscheidung von Inklusion und Revolution: Hindrichs Philosophie der Revolution S. 322 zur Vereinbarkeit solcher Protestmechanismen mit Pluralismus und deliberativer Demokratie: Mansbridge et al. The Place of Self-Interest and the Role of Power in Deliberative Democracy . McCormick Machiavellian Democracy Vatter Between Form and Event Breaugh The Plebeian Experience Del ucchese rosini Morfino The Radical Machiavelli vgl. die materialistischen Vorläufer: Althusser Machiavel et nous Deppe Niccolò Machiavelli ramsci Anmerkungen zur Politik Machiavellis zum berblick ber die aktuelle Rezeptionslage: Hölzing Für eine republikanische Kultur der Freiheit.

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den Noblen und Subalternen zum Ausdruck verhelfen. Besonders prägnant hat er diese Spaltung in den Discorsi – seiner Reflexion auf die römische Republik – nachgezeichnet. Der allgemeine populus teilt sich in den unterworfenen plebs und die Patrizier. Von dort aus zeigt Machiavelli wie der plebs der Republik zur Stabilität verhilft indem er die Elite mit Streikbewegungen Tumulten und institutioneller egenmacht konfrontiert und so ihren Machthunger einhegt: Mir scheint wer die Kämpfe zwischen Adel und Volk verdammt der verdammt auch die erste Ursache f r die Erhaltung der römischen reiheit. er mehr auf den ärm und das eschrei solcher Kämpfe sieht als auf ihre gute irkung der bedenkt nicht dass in jedem emeinwesen die esinnung des Volkes und der ro en verschieden ist und dass aus ihrem iderstreit alle zugunsten der reiheit erlassenen esetze entstehen. 2

An diese Einlassungen kn pfen j ngere neo-machiavellistische berlegungen an. Sie erheben eine Politik die von den unterworfenen sozialen Klassen ausstrahlt zum H ter der demokratischen Verfassung. Dabei bleibt umstritten wie weit sich der plebs vom etablierten politischen System entfernen muss um seine unktion zu erf llen. Hier erstreckt sich das Spektrum von sozialdemokratisch inspirierten Vorschlägen f r die Institutionalisierung von Vetomächten um den Einfluss der normalen B rger auf den politischen Prozess zu erhöhen bis hin zu extra-konstitutionellem Protest.21 Der systematische Ausgangspunkt dieser Interpretationslinie bleibt die negative Verfasstheit des Volkes. Das Volk reagiert hier a posteriori auf die Unterwerfung und versammelt die jeweils betroffenen sozialen ruppen. Statt auf eine vorgängige positive Identität oder gar leichartigkeit der 22 Substanz zu verweisen die von anderen sozialen ruppen nachträglich zersetzt wird speist sich seine Verfasstheit aus der negativen Abgrenzung vom Machtblock. Dies ist folgenreich f r die Art wie sich das Volk konstituiert und seine jeweiligen egner bestimmt. Die negative Verfasstheit dynamisiert das Verhältnis von Schlie ung und ffnung. er das Volk der Machtunterworfenen repräsentieren will grenzt sich nur nach oben ab. Interessen anderer unterworfener sozialer ruppen m ssen in irgendeiner eise ber cksichtigt oder aufgenommen werden – sonst schlägt das Volk 2 21 22

72

Machiavelli Discorsi S. 27 vgl. auch die einschlägige undstelle im Il principe: Machiavelli Il Principe Kap. IV. r die sozialdemokratische Variante: McCormick Machiavellian Democracy f r die extra-konstitutionelle egenmacht: Vatter Between Form and Event S. 99ff. Schmitt Verfassungslehre S. 247.

Die Plebejer proben den Aufstand

der Machtunterworfenen selbst in ein Exklusionsgeschehen der Schwachen gegen die noch Schwächeren um und verliert seinen plebejischen Charakter.23 Dar ber hinaus f hrt diese negative Bestimmung in die rage nach Adä uanz. Da das Volk ja gerade keine geschlossene Einheit darstellt – sei es als umfassendes Staatsvolk oder homogene emeinschaft – sondern einen Standpunkt der auf jeweils spezifische Asymmetrien reagiert ist zu fragen inwieweit die populare Politik angemessen auf diejenigen Phänomene reagiert denen sie ihre egnerschaft erklärt. Das Volk als plebs unterscheidet sich grundsätzlich von einer Entpolitisierung die ihm eine vorgängige Identität unterstellt und es so der Befragung entzieht. Eine Reifizierung des Volkes d. h. seine Verdinglichung im Sinne eines vorgängigen feststehenden egenstands der aus den Prozessen sozialer Vermittlung gelöst wird ist freilich in einer Vielzahl an Populismen angelegt. So beziehen sich neoliberale Populismen auf ein Marktvolk der eistungsträger auf denen ein parasitärer Steuerstaat nachträglich aufruht zentristische Populismen auf ein Volk der normalen eute die gegen den Streit zwischen Rechten und inken aufbegehren und linke Populismen auf ein Volk der Arbeit wo die Identität der Arbeit allerdings schon vor dem Kapitalverhältnis festzustehen scheint . In autoritären Populismen spitzt sich dies wiederum auf eine eise zu die aus der Volk MachtblockUnterscheidung herausf hrt. Sie grenzen das Volk nicht nur nach oben ab sondern berschreiben die Unterscheidung schrittweise mit der Unterscheidung Volk die anderen.24 So findet eine Verhärtung der jeweiligen sozialen Basis statt die zur rechtsautoritären Volksgemeinschaft gerinnen kann. ährend der plebejische luchtpunkt in der Transformation oder gar der berwindung von Machtverhältnissen besteht zielen die autoritären Populismen auf die ieder- Herstellung einer noch schärferen noch reineren noch dichteren orm der Autorität. Suchen nun politische Bewegungen etwa der politischen Mitte des iberalismus oder der inken Anschluss an solche Unterscheidungen sei es aus wahltaktischem Kalk l oder aus berzeugung handelt es sich ausdr cklich nicht um ein besonders geschicktes Manöver im Sinne von B rgerbewegungen oder gar inkspopulismus . Es sind schlicht Erfolge des autoritären Populismus der auch andere politische Bewegungen dazu bringt in seine eltanschauung einzustimmen.

23 24

r eine Diskussion dieses Problems: Möller Invocatio populi. Als Bindeglied dienen in der Regel verschiedene Annahmen dar ber dass die bestehenden Eliten mit den remden das gemeinsame Projekt einer ersetzung der Volksgemeinschaft verfolgen.

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So stellt sich die rage wie mit den aufgezeigten Tendenzen umzugehen ist. Die zeitgenössischen berlegungen zu einem demokratischen Populismus aktualisieren die plebejische inie insbesondere dadurch dass sie die Verdinglichung des Volkes ausdr cklich als ehlstellung entlarven.25 Demnach geht das Volk aus einem politischen Konstruktionsprozess hervor und gerade nicht aus einer vorpolitischen Homogenität die durch autoritäre hrungsfiguren wachgerufen wird: A left populist strategy aims at federating the democratic demands into a collective will to construct a we a people confronting a common adversary: the oligarchy. This re uires the establishment of a chain of e uivalence among the demands of the workers the immigrants and the precarious middle class as well as other democratic demands such as those of the BT community. The objective of such a chain is the creation of a new hegemony that will permit the radicalization of democracy. 26

Der Bezugspunkt besteht in einem heterogenen Volk der eute . Dabei wird angenommen dass der Volkswillen nicht feststeht sondern erst durch die jeweils Handelnden hervorgebracht wird. Es ist die politische Praxis selbst die das Volk immer wieder aufs Neue konstruiert .27 Diese konstruktivistische Perspektive f hrt in eine illenskonzeption der Politik. Das Volk reagiert nicht mehr negativ auf den Machtblock und erhält seine Strukturmerkmale aus dieser Negativität sondern seine Verfasstheit steht dem illen der Handelnden wie eine Art Knetstoff zur Verf gung. In diesem Sinne kann eine Radikalisierung der Demokratie radicalization of democracy greifen. Durch die Konstruktion eines gegenhegemonialen Kollektivwillens sollen noch die rundstrukturen der esellschaft einer bewussten estaltung durch die Handelnden zugänglich gemacht werden. 2.

Volksaufstand: Jakobinische Fehlstellungen Das Prinzip der Politik ist der

ille .2

Diese konstruktivistische ende birgt auf den ersten Blick eine Reihe von Vorteilen. Sie macht die unktionslogik des bestehenden politischen Systems f r sich nutzbar. So kann sie auf umfängliche Neuentw rfe einer anderen besseren Verfassung der Politik verzichten und politisches Handeln 25 26 27 2

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Vgl. aclau On Populist Reason Mouffe For a Left Populism. Ebd. S. 24 vgl. auch aclau Emanzipation und Differenz aclau Why the Main Task of Radical Politics is Constructing a People. Errejon Mouffe Construir pueblo. Marx Kritische Randglossen S. 4 2.

Die Plebejer proben den Aufstand

unter Verhältnissen der egenwart anleiten. Das politische Handeln bleibt allerdings auf eine spezifische eise präformiert: als Versuch den eigenen illen gegen jeweils konkurrierende illen zu verallgemeinern. Die populare Politik steht nicht nur allgemein auf der Seite der Machtunterworfenen sie steht unmittelbar innerhalb der kommunikativen Selbstreferenz der Politik und muss sich ihrer illenskonzeption anschmiegen um politisch erkennbar zu sein.29 So umgeht sie die reifizierenden ehlstellungen. Sie wiederholt jedoch eine andere ehlstellung die in der Art wie sich die moderne Politik organisiert angelegt ist. Sie wiederholt eine jakobinische Fehlstellung indem sie sich in die Vorstellung versteigt dass ein möglichst starker ille von sich aus fähig sei die esellschaft zu verändern. Durch diese plumpe Politisierung tritt die rage nach einer längerfristigen berwindung des Machtblocks hinter das kurzfristige Kalk l der erfolgreichen illensdurchsetzung zur ck. Dies ist eine ehlstellung die schon Karl Marx und riedrich Engels in ihrer Kritik des französischen Insurrektionismus ausf hrlich ausgeleuchtet hatten.3 Ihre Kritik der Politik war schlie lich – getrieben von der Enttäuschung ber das Scheitern der Revolutionen in den 1 4 er ahren und ihrer noch jakobinischen am Vorbild der französischen Revolution geschulten rientierung – auch immer eine Kritik an der Vorstellung dass Bewegungen die jeweiligen Veränderungen nur durch illenskraft bewirken.31 Der französische Insurrektionismus jedenfalls deren bekannteste hrungsfigur seit den 1 4 er ahren Auguste Blan ui war folgte einem aufständischen Kalk l. Die Aktivisten hofften in eiten der Restauration nicht mehr auf eine Revolution die eine breite Mehrheit von unten trägt. Sie spekulierten auf einen revolutionären Aufstand der den wahren Volkswillen antizipatorisch zur Durchsetzung bringt. Die Verschwörung wurde damit zum zentralen Paradigma politischen Handelns.32 Sie sollte den Volksaufstand vorbereiten durchf hren und ihn schlie lich verallgemeinern. Der Volksaufstand mag sich zwar selbst radikal inszenieren so argumentierte Marx in seiner Replik auf einen Artikel des ihm damals noch freundschaftlich verbundenen Arnold Ruge 33 doch die radikale este erweist sich bei näherer Betrachtung als Täuschung. Sie verewigt den Horizont eines politischen 29 3 31 32 33

rundlegend zur kommunikativen Selbstreferenz der Politik als System: uhmann Die Politik der Gesellschaft S. 69ff. Draper Karl Marxʼs Theory of Revolution S. 111ff. Das ist freilich ein Hauptthema im Text zum 18. Brumaire des Louis Bonaparte zur Marx schen Kritik des akobinismus: Draper Karl Marxʼs Theory of Revolution und Brunkhorst Kommentar . Deppe Verschwörung S. 47 Draper Karl Marxʼs Theory of Revolution S. 39. u den Hintergr nden des anschlie enden Disputs: ones Karl Marx S. 194ff.

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Verstandes der die moderne esellschaft nicht verändert sondern immerzu stabilisiert: Der politische Verstand ist eben politischer Verstand weil er innerhalb der Schranken der Politik denkt. e geschärfter je lebendiger desto unfähiger ist er zur Auffassung sozialer ebrechen. ... Das Prinzip der Politik ist der Wille. e einseitiger das hei t also je vollendeter der politische Verstand ist um so mehr glaubt er an die Allmacht des illens um so blinder ist er gegen die natürlichen und geistigen Schranken des illens um so unfähiger ist er also die uelle sozialer ebrechen zu entdecken. 34

Die Annahme besteht folglich darin dass sich die Politik von der esellschaftsstruktur absondert. Sie bildet eine eigene Sphäre in der ein spezifischer Typ der Selbstreferenz ein politischer Verstand beobachtbar ist. Dieser ist von einem iderspruch gekennzeichnet. Die Demokratie entfesselt einerseits ein Regime der Unruhe 35 in dem unterschiedliche illenseinheiten um Verallgemeinerung ringen blockiert aber andererseits mit ihrer illenskonzeption dass die ursächlichen iderspr che berhaupt nachvollzogen werden. Die jeweils Handelnden sind stets gezwungen von den Problemen der esellschaftsstruktur zu abstrahieren. Dann verorten sie das Hauptproblem in der bermacht der jeweils gegensätzlichen politischen Partei die sich als iderpart am Staatsruder befindet .36 Tiefer liegende soziale iderspr che werden in blo e illenskollisionen verfremdet die dort nach dem Vorbild des ettbewerbs scheinbar zur Entscheidung stehen. ede Partei spielt auf Sieg und erhofft sich Veränderung Transformation oder Revolution durch eine besonders intensive illenskraft. Dabei berhebt sich der politische Verstand. Indem er dem illen eine omnipotente Rolle f r die esamtgesellschaft zuweist ohne die ursächlichen iderspr che angemessen reflektieren zu können folgt auf die Inszenierung von Stärke die hnmachtserfahrung. Die radikalen Volksaufständler innen reformerischen Sozialdemokrat innen und staatstragenden Regierungsparteien verfolgen zwar unterschiedliche iele aber sie teilen ein gemeinsames tragisches Schicksal wenn die inszenierte illensstärke auf die Komplexität der sozialen Evolution trifft. Die umfassende Veränderung der ganzen esellschaft scheitert löst sich in die kleinschrittige Arbeit der Verwaltungs- und Staatsapparate auf und ist spätestens dann wenn die geg-

34 35 36

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Marx Kritische Randglossen S. 4 2. So Marx zur parlamentarischen Demokratie in seinem Text zum 1 . Brumaire: Marx Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte S. 153. Marx Kritische Randglossen S. 4 1.

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nerische Partei wieder das Staatsruder bernimmt ausgezehrt. Das strategische Kalk l verarmt und verkennt diejenigen anderen Kräfte die den Evolutionsprozess auch ma geblich bestimmen: ökonomische Entwicklung wissenschaftliche Innovation oder ästhetische Erfahrung. Dass das entstehende Proletariat seine Kräfte an unverständige nutzlose und in Blut erstickte Emeuten 37 verschwendet ist vor diesem Hintergrund kein ufall. Es ist nur ein Indiz f r die Beharrungskräfte des politischen Verstandes: eil es das Proletariat – der Verf. in der orm der Politik denkt erblickt es den rund aller belstände im Willen und alle Mittel zur Abh lfe in der Gewalt und dem Umsturz einer bestimmten Staatsform. Beweis: die ersten Ausbr che des französischen Proletariats. So verdunkelte ihr politischer Verstand ihnen die urzel der geselligen Not so verfälschte er ihre Einsicht in ihren wirklichen weck so belog ihr politischer Verstand ihren sozialen Instinkt. 3

Demnach sind die Volksaufstände durchaus problematisch. Sie können schnell von der Staatsmacht niedergeschlagen werden und sie versteigen sich in eine illenskonzeption der Politik indem sie sich Befreiung von der Inthronisierung eines anderen besseren politischen illens erhoffen. Volksaufstände sind aber nicht deshalb erfolgreich weil sie auf einem besonders starken oder unversöhnlichen illen beruhen. Erfolg oder Scheitern sind auf weitreichendere Tendenzen der sozialen Evolution zur ckzuf hren – und eine aussichtsreiche Politik kann erst aus ihrer Untersuchung hervorgehen. 3.

Paradoxien popularer Politik

Verallgemeinert man diese berlegungen zeigt sich dass die populare Politik eine tragische rundstruktur aufweist die sich selbst unterläuft. Sie setzt egenkreisläufe zur Verselbstständigung des Machtblocks in ang ist aber gleichzeitig auf die jakobinischen ehlstellungen festgelegt. Um berhaupt als politisch wahrgenommen zu werden schlie t sie an die kommunikative Selbstreferenz des politischen Systems an da die Auseinandersetzung um das Allgemeine dort ihren Platz hat. Sie manövriert in den renzen eines politischen Verstandes Marx der sie davon abhält auf eine längerfristige Veränderung der esellschaft hinzuwirken. Sie steigert sich in eine Rhetorik die sie im selben Schritt f r die Mechanismen sozialer

37 3

Ebd. S. 4 7. Ebd.

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Veränderung blind Marx macht. Dann prallt der Volkswille auf die soziale Evolution und kann seinen Anspruch – die Befreiung vom Machtblock – nicht einlösen. Es wäre falsch diese berlegungen einfach nur als einseitige Politikkritik zu verstehen vielmehr besteht das Problem darin dass der jakobinische ehler die Paradoxien verdeckt indem er sie schon immer zu unsten einer ihrer Seiten – der Allmacht des illens Marx – aufgelöst hat. Die olge ist eine ernunfähigkeit. er die illenskonzeption bernimmt lernt nicht mehr aus dem eigenen Scheitern. Stellt sich der ille als erster Beweger der eschichte dar so steht schon vor jeder Erfahrung fest wo der rund f r das eigene Scheitern anzusiedeln ist: in der eigenen illensschwäche. Die Ursachen sind immer in der Schwäche des Volkswillens zu suchen die Problemlösung immer in seiner Verstärkung. Die organisierte illensstärke wird zur Kardinaltugend jeder Politik erhoben die durch Aktion Aktion Aktion 39 zu pflegen ist. Dass die eigenen Durchsetzungshindernisse häufig durch symbolische Mobilisierung bearbeitet werden ist vor diesem Hintergrund nicht weiter erstaunlich. Die Steigerung der Massenversammlungen zu uasi-religiösen Messen ist hier das Mittel der ahl.4 Auch drängen sich unterschiedliche Strategien auf um die illensschwäche zu berwinden. Einerseits bietet es sich an den illen dadurch zu stärken dass neue Anliegen oder soziale ruppen aufgenommen werden.41 Andererseits tritt damit die Sorge um die Reinheit des Volkswillens hinzu. So kann eine Purifizierung greifen die das Volk von denjenigen Bestandteilen befreit die seinen illen schwächen.42 Dann schafft sich ein fanatisches utrauen einen Raum das kaum noch in der age ist nach Verrechnungen des Scharfsinnes und der Politik zu verfahren.43 Auf das fanatische

39 4

41 42 43

7

Marx Kossuth und Mazzini S. 54 . ur Diskussion solcher Massenversammlungen vgl. Horkheimer Egoismus und Freiheitsbewegung S. 1ff.: Die religiösen wie die politischen Massenredner des B rgertums wählen ihre orte nicht so sehr nach ihrer Angemessenheit an den egenstand als an den je zu erreichenden Effekt ebd. S. 2 . r aclau reproduziert sich die populare Politik in Demokratien vor allem durch Ausweitungs- und Diffusionstendenzen: aclau On Populist Reason S. 65ff. ur zentralen Rolle von Purifizierungsstrategien f r die moderne Politik insgesamt: Moore Moral Purity and Persecution in History alzer The Revolution of the Saints. So riedrich Schiller in seiner Aufarbeitung eines Volksaufstands im Rom des 14. ahrhunderts: Schiller Geschichte der merkwürdigsten Rebellionen und Verschwörungen aus den mittlern und neuern Zeiten S. 37.

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utrauen folgt der Katzenjammer. In ihrem uror st rmen die Mobilisierten rascher von Erfolg zu Erfolg ihre dramatischen Effekte berbieten sich Menschen und Dinge scheinen in euerbrillanten gefa t die Ekstase ist der eist jedes Tages aber sie sind kurzlebig bald haben sie ihren Höhepunkt erreicht und ein langer Katzenjammer erfa t die esellschaft ehe sie die Resultate ihrer Drang- und Sturmperiode n chtern sich aneignen lernt. 44

Die rientierung an illensstärke f hrt dazu dass sich der Strategiespielraum f r die handelnden Akteure einschränkt. Der Imperativ mehr werden stärker werden allgemeiner werden zwingt in ein Kalk l wonach sich ein Akteur im Konfliktgeschehen durch Mobilisierungserfolge oder kommunikative Anschlussfähigkeit durchsetzt. Aber Konflikte werden in vielen ällen eben nicht auf diese eise sondern durch berraschungen oder Bewegungswechsel entschieden. Die Einsichten zum strategischen Handeln in sozialen Konflikten weisen nach dass sich Veränderungen oft nicht planbar durch die Ausweitung eines Volkswillens ergeben. Die meisten Evolutions- und Konflikttheorien zeigen wie stark andere aktoren – seien es wissenschaftliche Erkenntnisse technische Neuerungen oder ökonomische Entwicklungen – auf die Veränderungsspielräume einwirken und wie aus Konflikten unabsehbare olgen hervorgehen.45 er wirklich verändernd auf die esellschaft einwirken will m sste ege finden um mit dieser Komplexität umzugehen.

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45

So Marx zum Charakter der b rgerlichen Revolutionen des 1 . ahrhunderts. Demgegen ber setzen die proletarischen Revolutionen auf einen anderen vergleichsweise prosaischen Modus der Politik: Proletarische Revolutionen dagegen wie die des neunzehnten ahrhunderts kritisieren beständig sich selbst unterbrechen sich fortwährend in ihrem eignen auf kommen auf das scheinbar Vollbrachte zur ck um es wieder von neuem anzufangen verhöhnen grausamgr ndlich die Halbheiten Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche scheinen ihren egner nur niederzuwerfen damit er neue Kräfte aus der Erde sauge und sich riesenhafter ihnen gegen ber wieder aufrichte schrecken stets von neuem zur ck vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen wecke bis die Situation geschaffen ist die jede Umkehr unmöglich macht und die Verhältnisse selbst rufen Hic Rhodus hic salta Hier ist die Rose hier tanze Marx Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte S. 11 . ur Rolle von Unberechenbarkeit in politischen Konflikten: Möller Drohung und Verfahren zum Verhältnis von Evolution und sozialen Kämpfen: Brunkhorst Critical Theory of Legal Revolutions S. 9ff. Schecter Critical Theory in the 21st Century S. 123ff. Horst Politiken der Entparadoxierung ischerescano Critical Systems Theory.

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Klasse statt Plebs? Ist das Scheitern also scheinbar vorprogrammiert beginnt die Suche nach Alternativen. In der eschichte sozialer Bewegungen und des politischen Denkens sind immer wieder Versuche erkennbar die populare Politik aus ihrer Verstrickung mit der Volkssouveränität zu lösen. Auch Marx selbst hatte diesen eg eingeschlagen. r ihn zeichnete sich ein aussichtsreicherer Ansatzpunkt in der kapitalistischen konomie ab. Demnach inszeniert sich das politische System nur fälschlicherweise als zentrales Verallgemeinerungsrelais der esellschaft. Die entscheidenden eichenstellungen finden in der irtschaftsordnung statt. eist Marx den politischen Volksaufstand zur ck so stilisiert er den industriellen Aufstand 46 zum Hoffnungsträger. Das aufständische Volk wird durch das Volk der ökonomischen Klasse ersetzt.47 ährend der Volksaufstand in den renzen des politischen Verstandes verharrt war die Streikbewegung der schlesischen eber beispielsweise direkt von der politischen konomie angesiedelt. r Marx barg dieser industrielle Aufstand deshalb das Potential das menschliche eben als anzes zu adressieren und eine Protestation des Menschen gegen das entmenschte eben in ang zu setzen.4 Hier verkehrt sich das Verhältnis von universeller Befreiung und partikularen ielen in den jeweiligen Aufstandsbewegungen. Der politische Volksaufstand geriert sich allgemein verewigt aber die verzerrenden renzen des politischen Verstandes. Der Arbeiteraufstand der eber begann vergleichsweise begrenzt. Die eber protestierten gegen ihre spezifischen Arbeitsbedingungen. Allerdings trug ihre Streikbewegung so notiert Marx eine universelle Seele 49 in sich. Sie durchkreuzte die Begrenzungen des politischen Verstandes indem sie die Produktion und Reproduktion des materiellen ebens in den Mittelpunkt stellte. Nicht der Volksaufstand sondern die umfassende soziale Revolution wird zum luchtpunkt: Eine Umwälzung die den eg in eine neue esellschaftsformation einleitet statt sich im machtlosen ollen der Politik zu verzetteln. Die soziale Revolution bleibt f r Marx ein politischer Akt der sich jedoch vom Volksaufstand unterscheidet. Der Sozialismus bedarf dieses politischen Aktes soweit er der Zerstörung und der Auflösung bedarf .5 Sodann geht er von der politischen zur sozialen Revolution ber: o aber seine organisierende Tätigkeit beginnt wo 46 47 4 49 5

Marx Kritische Randglossen S. 4 . Ebd. Ebd. Ebd. Ebd S. 4 9.

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sein Selbstzweck seine Seele hervortritt da schleudert der Sozialismus die politische H lle weg. 51 In der olge experimentierte die Arbeiter innenbewegung ber ahrzehnte mit diesen Andeutungen. Eine Betrachtung der vielfältigen rganisations- und Strategiedebatten zeigt dass die ption einer ökonomischen Politik nicht in der age war die ehlstellungen zu berwinden. war bildeten sich ewerkschaften und Streikbewegungen aber am Ende re ssierte der politische Verstand. Der Siegeszug des ahlsozialismus seit den 1 7 er ahren formte die Klassenparteien zu mehrheitsfähigen Volksparteien mit Allgemeinheitsanspruch um die sich im politischen System verankerten.52 An die Stelle des ökonomischen Streiks trat der Massenstreik der ein letztlich politisches Universalisierungsrelais bereitstellte.53 Und auch der Volksaufstand kehrte mit der russischen ktoberrevolution wieder. Der Versuch eine ökonomische Klassenpolitik zu verfolgen die aus den ehlstellungen der Volkssouveränität herausf hrt scheiterte. Die ahlsozialisten beanspruchten den Volkswillen die inkssozialisten mobilisierten den Kollektivwillen der Massen gegen den Machtblock die Bolschewiki spekulierten auf den Volksaufstand. Auf den plebs ohne Volk folgt die eindrucksvolle iederkehr des Volks als plebs. Plebs ohne Populus? Ein anderer Ausweg aus den aufgezeigten Paradoxien ist die ösung des Plebejischen vom Popularen. Hier wird ein plebejischer Standpunkt beobachtet der sich jenseits der etablierten Mechanismen der Volkssouveränität bewegt. So hat beispielsweise Michel oucault vorgeschlagen den plebs gar nicht so sehr als Akteur zu verstehen sondern als umfassendere soziale Tendenz die in Machtverhältnissen wirksam ist. oucault identifiziert widerständige Praktiken und Unregierbarkeiten: Die plebs existiert zweifellos nicht aber es gibt etwas Plebejisches in den Körpern und in den Seelen es ist in den Individuen im Proletariat im B rgertum aber mit verschiedenen Erweiterungen Energien und Urspr nglichkeiten. Dieser plebs bildet weniger eine Au enseite im Verhältnis zu den Machtbeziehungen sondern vielleicht ihre Kehrseite ihren Nachhall. 54

51 52 53 54

Ebd. Vgl. dazu Przeworski Capitalism and Social Democracy. uxemburg Massenstreik, Partei und Gewerkschaften. oucault Mächte und Strategien S. 542 allgemein zur Möglichkeit von Machtkritik bei oucault: Schubert Freiheit als Kritik.

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Davon ausgehend hat Isabell orey erst j ngst skizziert wie machtimmanente liehkräfte und das was den Machtverhältnissen entgeht zu Ausgangspunkten von iderstand werden.55 Die Selbstorganisierung des iderstandspotentials könne gar eigene post-souveräne Strukturmerkmale ausbilden.56 Die Pointe wird vor allem im Hinblick auf j ngere soziale Bewegungen wie ccupy oder den Arabischen r hling deutlich. erade weil diese Bewegungen keine orderungen stellen und sich den Mechanismen der etablierten Politik entziehen verhelfen sie dem Plebejischen zum Ausdruck.57 Die wahre Politik ist nicht nur eine Politik des unförmigen NichtVolks der Menge sie ist auch eine Nicht-Politik in dem Sinne dass sie bewusst in Kauf nimmt als unpolitisch ästhetisch oder nur lebensweltlich beobachtet zu werden. So weiterf hrend es nun sein mag die Politik in die Klasse Marx oder allgemeiner in die immanenten liehkräfte der Macht zu verlegen oucault orey so unklar bleibt wie es dazu kommen soll dass sich die jeweiligen Typen einer richtigen Verallgemeinerung gegen die verzerrende Verallgemeinerung der Volkssouveränität behaupten sollten ohne selbst wiederum auf den politischen Verstand zur ckzukommen. Die Kritik am jakobinischen ehler wird in eine nur äu erliche ormkritik aufgelöst: eil die orm der modernen Politik eine aussichtsreiche Politik von Beginn an blockiert wird ihr eine andere orm der Politik plebs ohne Volk Klasse entgegengesetzt. Damit ist allerdings nicht angegeben wie es dazu kommen soll diese ehlstellungen tatsächlich zu berwinden. Es sei denn man geht davon aus dass wiederum die illenskraft oder die theoretische Einsicht der handelnden Aktivisten alleine umwälzende irkungen erzielen. 4.

Populare Politik und soziale Veränderung

Die populare Politik wie sie bisher analysiert wurde ist von einer tragischen rundstruktur gekennzeichnet. Sie erweist sich als naheliegende ption um eine Kritik der bestehenden esellschaftsverfassung ins erk zu setzen. Doch indem sie sich dem politischen Verstand Marx andient unterläuft sie das eigene elingen. Sie verstrickt sich in Allmachtsphantasien kurzfristige Handlungsorientierungen und ernblockaden. ird dieses Problem als Paradoxie begriffen erfahren die unterschiedlichen berlegungen wie wir sie bisher diskutiert haben eine Einordnung. Sie entfalten 55 56 57

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orey Figuren des Immunen S. 295. Ebd. S. 3 9. orey Non-representational, presentist Democracy.

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jeweils nur eine Seite der Paradoxie indem sie entweder die jakobinischen ehlstellungen wiederholen um sich realistisch in die bestehende Selbstreferenz der Politik einzubringen inkspopulismus oder einen unmittelbaren Exit aus der illenskonzeption der Politik avisieren machtimmanente liehkräfte Klassenpolitik . Man kann sowohl in der eschichte sozialer Bewegungen als auch im politischen Denken immer wieder ein Schwanken beobachten. Auf Versuche eine andere orm der Politik denkbar zu machen antworten egenbewegungen die das Terrain der etablierten Politik bespielen. Sie gr nden Volksparteien kämpfen um die Regierungsmacht initiieren Volksaufstände oder f hren Revolutionen durch an deren Ende eine neue Staatlichkeit steht. Versteht man die populare Politik als paradoxe Einheit beider Momente verändert dies die Perspektive. Statt sich in enthusiastische Plädoyers f r oder gegen den Populismus zu versteigen oder sich nur auf eine Seite der Paradoxie zu schlagen stellt sich die rage wie ein produktiver Umgang auf Dauer gestellt werden könnte. as wären Verfahren die es den Handelnden erlauben w rden die ehlstellungen des politischen Verstandes zu verstehen sie zu umgehen oder gar zu transzendieren? o können wechselseitige Irritationen und Selbstkorrekturen greifen? ie können ernblockaden berwunden werden? Die Einlassungen Antonio ramscis in seinen Anmerkungen zur Politik Machiavellis aus den 193 er ahren deuten die Herausforderung wenigstens an.5 ramsci griff in diesen ragmenten die er im efängnis verfasste immer wieder beide Seiten der Paradoxie auf. Auch hier diente wieder die politische Theorie Machiavellis als Vorlage. In Anlehnung an Machiavellis Il Principe entwarf er dort Eckpunkte eines modernen rsten der sich dem Aufziehen des aschismus zu stellen hat: Der moderne rst der rst-Mythos kann keine wirkliche Person kein konkretes Individuum sein er kann nur ein rganismus sein ein komplexes esellschaftselement in welchem ein Kollektivwille schon konkret zu werden beginnt der anerkannt ist und sich in der Aktion teilweise behauptet hat. Dieser rganismus ist durch die geschichtliche Entwicklung bereits gegeben und ist die politische Partei die erste elle in welchem Keime von Kollektivwillen zusammengefasst werden die dahin tendieren universal und total zu werden. 59

Demnach ist eine populare Politik nur als komplexes esellschaftselement darstellbar nicht einseitig als charismatische hrung von Einzelpersonen. Verfolgen wir die Einlassungen weiter so treten zwei Aufgaben 5 59

ramsci Anmerkungen zur Politik Machiavellis f r eine ausf hrliche Darstellung von ramscis Machiavelli-Rezeption: Thomas The Modern Prince ontana Hegemony and Power. Ebd. S. 1537.

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hervor: um einen gilt es die schon bestehenden Mechanismen politischer hrung und Repräsentation zu nutzen. Der moderne rst st tzt sich auf einen dem akobinismus gewidmeten Teil der auf die Besetzung eines Kollektivwillens zielt und sich in der politischen Auseinandersetzung bewährt.6 um anderen beruht jede aussichtsreiche Politik auf einer Analyse der ausdifferenzierten Machtkonfiguration in modernen esellschaften in denen die jeweiligen Kräfteverhältnisse in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen evoluieren und schon im vorpolitischen Raum die jeweiligen Verhältnisse der ber- und Unterordnung festlegen.61 Veränderung wird folglich erst möglich wenn ein anderer wichtiger Teil des modernen rsten sich der rage einer umfassenden moralischen und intellektuellen Reform widmet d. h. einem Prozess der das plebejische Volk selbst zu einem anderen werden lässt indem es ein neues issen generiert und nicht in der blo en iederspiegelung bestehender Meinungen verharrt .62 Beide grundlegenden Punkte bilden f r ramsci die Struktur der Arbeit im avisierten politischen rganismus.63 Der neue rst ist weder nur Person noch Bewegung. Er gerinnt zu einer hybriden rganisation in der die Paradoxien popularer Politik auf Dauer gestellt sind. Dies wirft die rage nach Verfahren der Selbstkorrektur und der Reflexion auf die die ehlstellungen des politischen Verstandes nachvollziehen. Nur so kann sich die Negativität des machtunterworfenen Volks wie sie eingangs in Anlehnung an Machiavelli erläutert wurde politisch bersetzen: als B ndnis der Machtunterworfenen das die eigene Verfasstheit immer wieder neu justiert um adä uat mit den jeweiligen Herausforderungen umzugehen. Dies wäre ein eg der soziale Veränderung nicht nur laut einfordert sondern im Durcharbeiten der eigenen Paradoxien offen hält. Literaturverzeichnis Agust n scar arc a Briziarelli Marco Hg. : Podemos and the New Political Cycle: eft- ing Populism and Anti-Establishment Politics Cham 2 17 Althusser ouis: Machiavel et nous 1976 . In: Matheron rancois Hg. : Ecrits Philsophi ues et Politi ues. Tome II Paris 1995 S. 43-173 Bebnowski David: ute iberale gegen böse Rechte? um ettbewerbspopulismus der AfD als Br cke zwischen irtschaftsliberalismus und Rechtspopulismus und 6 61 62 63

4

Ebd. S. 153 . Ebd. S. 1556ff. Ebd. S. 1539 zum neuen issen vgl. die Rekonstruktion bei: ontana Hegemony and Power S. 111. ramsci Anmerkungen zur Politik Machiavellis S. 154 .

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Kolja Möller Niederberger Andreas Schink Philipp: Republican Democracy: iberty aw and Politics Edinburgh 2 13 pitz Sven: An der renze des Rechts. Inklusion Exklusion im eichen der Sicherheit eilerswist 2 12 Pettit Philip: n the People s Terms: A Republican Theory and Model of Democracy New ork 2 12 Przeworski Adam: Capitalism and Social Democracy New ork 19 7 Puhle Hans- rgen: as ist Populismus? In: Dubiel Helmut Hg. : Populismus und Aufklärung rankfurt a. M. 19 6 S. 12-32 Ratzinger oseph: Volk und Haus ottes in Augustinus ehre von der Kirche 1954 reiburg 2 11 Rosanvallon Pierre: e Peuple Introuvable. Histoire de la Repr sentation D mocrati ue en rance Paris 199 Rosanvallon Pierre: a contre-d mocratie. a politi ue l ge de la d fiance Paris 2 6 Rosanvallon Pierre: Penser le populisme. In: Colliot-Th l ne Catherine u nard lorian Hg. : Peuples et Populismes Paris 2 14 S. 27-42 Schecter Darrow: Critical Theory in the 21st Century New ork ondon 2 13 Schiller riedrich: eschichte der merkw rdigsten Rebellionen und Verschwörungen aus den mittlern und neuern eiten eipzig 17 Schmitt Carl: Verfassungslehre 192 Berlin 1993 Schubert Karsten: reiheit als Kritik. Sozialphilosophie nach oucault Bielefeld 2 1 Siri asmin: Soziale Medien und Populismus oder: ir haben keine and re eit als diese. In: Neue esellschaft rankfurter Hefte uni uli 2 17 S. 27-29 Smith Rogers M.: Political Peoplehood. The Role of Values Interests and Identities Chicago ondon 2 15 Solty Ingar erner Alban: Der indiskrete Charme des inkspopulismus. In: Das Argument 316 2 2 16 S. 273-3 7 Stäheli Urs: The Popular in the Political System. In: Cultural Studies 17 2 2 3 S. 275-299 Stavrakakis annis: The Return of the People : Populism and Anti-Populism in the Shadow of the European Crisis. In: Constellations 21 4 2 14 S. 5 5-517 Stavrakakis annis Katsembekis iorgos: eft- ing Populism in the European Periphery: the Case of S RI A. In: ournal of Political Ideologies 19 2 2 14 S. 119-142 Thalheimer August: ber den aschismus 192 . In: Abendroth olfgang Hg. : aschismus und Kapitalismus. Theorie ber die sozialen Urspr nge und die unktion des aschismus rankfurt a. M. 1972 S. 19-39 Thomas Peter D.: The Modern Prince: ramsci s Reading of Machiavelli. In: History of Political Thought 3 3 2 17 S. 523-544 Vatter Miguel: Between orm and Event. Machiavelli s Theory of Political reedom New ork 2 14

Die Plebejer proben den Aufstand Voeglin Eric: Das Volk ottes. Sektenbewegung und der eist der Moderne M nchen 1994 Vorländer Hans: The ood the Bad and the Ugly. ber das Verhältnis von Populismus und Demokratie – Eine Skizze. In: Totalitarianism and Democracy 2 2 11 S. 1 5-194 alzer Michael: The Revolution of the Saints. A Study in the rigins of Radical Politics Harvard ondon 1965 erner Ernst: Probleme städtischer Volksbewegungen im 14. ahrhundert dargestellt am Beispiel der Ciompi-Erhebung in lorenz. In: erner Ernst Steinmetz Max Hg. : Städtische Volksbewegungen im 14. ahrhundert Berlin 196 S. 11-55

9

Populismus – Technokratie – Demokratie Karin Priester

Die exponentielle achstumsrate der wissenschaftlichen oder journalistischen Veröffentlichungen zum Populismus mag beeindrucken ist aber im Ergebnis ern chternd. Inzwischen so Paul Taggart sei ein ustand der Konsolidierung erreicht.1 Anders gesagt: Die Debatten drehen sich nur noch um sich selbst.2 Hinzu kommt dass der publizistische Boom ein Ideen-Recycling beg nstigt. Thesen oder Deutungsmuster die schon vor zwanzig ahren im Raum standen werden in j ngsten Veröffentlichungen erneut vorgetragen.3 orscher beklagen zwar die Schwammigkeit des Begriffs tendieren aber nicht selten zur Begriffsausdehnung bis hin zu der These populistische Bewegungen seien ein transhistorisches immer wiederkehrendes Phänomen: der ewige Aufstand der Beherrschten gegen die Herrschenden. Die drei dominanten Erklärungsansätze – Populismus als Ideologie Populismus als Stil und Populismus als Methode des Machterwerbs – stehen unverbunden nebeneinander obwohl sie sich durchaus miteinander verbinden lie en. Populismus gilt als die grö te Bedrohung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie. Dagegen gerät eine andere efahr auffallend wenig in den okus des Interesses: die efahr technokratischer Herrschaft mit ihrer Unterminierung des Parlamentarismus der Parteien und der Volkssouveränität. Im olgenden gehe ich zunächst auf Technokratie und technokratische Politik ein und stelle ihnen anschlie end populistische Tendenzen gegenber. Auch wenn ein idealtypisches Vorgehen bei der Definition der Phänomene unumgänglich ist wird hier die These vertreten dass es sich um ein Kontinuum oder um Prozesse handelt die in der Realität nie in idealtypischer Reinform auftreten. Erst empirische Untersuchungen können den jeweiligen rad der Ausprägungen näher bestimmen und die rage beantworten ob technokratische oder populistische Politik stets im egensatz zur Parteienpolitik oder nicht auch komplementär zu ihr stehen können. 1 2 3

Taggart Politics and ,unpoliticsʼ S. 79. Aslanidis Is Populism S. 9. Vgl. Taguieff Le populisme Moffitt The Global Rise.

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1.

Technokratie und technokratische Politik

Hielt man populistisches und technokratisches Handeln bisher f r egensätze werden inzwischen auch ihre emeinsamkeiten betont. an- erner M ller sieht sie im Antipluralismus: Sowohl Technokratie als auch Populismus sind ihrer inneren ogik nach antipluralistisch. 4 Andere Autoren betonen die gemeinsame egnerschaft zur Parteiendemokratie.5 1.1

Merkmale technokratischer Politik

Technokratische Politik steht unter dem Primat der instrumentellen Vernunft und geht von der wissenschaftlichen Beherrschbarkeit natur- und sozialwissenschaftlicher Probleme aus. In der Tradition des Positivismus postuliert sie eine Einheitswissenschaft und fragt nach gesetzmä ig ablaufenden Prozessen die nur alternativloses Handeln zulie en. Technokraten reklamieren höhere Rationalität und grö ere Effizienz f r sich die sie Politikern und deren rganen den Parteien und dem Parlament absprechen. Sie allein verträten das emeinwohl weil sie als unparteiische Experten ber egoistischen Partikularinteressen st nden. In a nutshell technocratic politics is cemented in the conviction that chaotic pluralist democracy where pressure groups mass movements and self-interested politicians divert the political system from the common good can be formally respected but must be substantially overtaken by the rules of knowledge and rationality. No technocrat nowadays argues that Parliament should be suppressed or converted in academic senates but they claim that a vast number of policy areas should be insulated from the mess of democratic policy making. 6

ungieren Technokraten als Staatseliten f hrt dies idealtypisch zu eindimensionalem Handeln zur Unterminierung demokratisch gewählter Institutionen und zur Entpolitisierung von Entscheidungen. Centeno definiert technokratische Herrschaft als t he administrative and political domination of a society by a state elite and allied institutions that seek to impose a single exclusive policy paradigm based on the application of instrumentally rational techni ues. 7 Technokraten verstehen sich als ideologiefrei 4 5 6 7

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M ller Schatten S. 7 . Bickerton Invernizzi Accetti Populism Caramani Will vs. Reason Mair Populist Democracy. Radaelli Technocracy S. 6f. Centeno The New S. 314.

Populismus – Technokratie – Demokratie

und können sich in den Dienst unterschiedlicher Regime stellen. Als AntiPolitiker haben sie dem aschismus ebenso wie dem Kommunismus oder dem Pinochet-Regime in Chile gedient treten aber gleicherma en in demokratischen Systemen auf. Solange die irtschaft effizient und rational arbeitet enthalten sie sich normativer Urteile ber die Ideologie eines Regimes tendieren aber dazu den Raum des Politischen zugunsten vermeintlich unpolitischer Sachentscheidungen einzuengen. Parteien und Parlamente halten sie f r Störfaktoren zweckrationalen Handelns und versuchen die Befugnisse der egislative zu beschneiden und den Imperativen der irtschaft unterzuordnen. 2 11 erklärte Kanzlerin Angela Merkel: ir werden ege finden wie die parlamentarische Mitbestimmung sic so gestaltet wird dass sie trotzdem auch marktkonform ist. Der Politiktheoretiker Hauke Brunkhorst kommentiert: die Beschränkung des Parlaments das Art. 2 Abs. 2 und 3 zur umfassenden demokratischen Selbstbestimmung verpflichtet auf blo e Mitbestimmung – in einer Marktwirtschaft deren Produktionsverhältnisse gegen den ausdr cklichen ortlaut von Art. 15 berdies seinem ugriff entzogen sind – ist schlicht verfassungswidrig. 9 Auf dem Deutschen Städtetag am 31. Mai 2 17 stellte die Kanzlerin fest: Angesichts der vielen Interdependenzen wie man heute so schön sagt haben wir doch immer wieder auch die rage zu beantworten wer genau f r was verantwortlich ist und achten da zum Teil auch sehr darauf. Aber den B rgerinnen und B rgern ist das ehrlich gesagt ziemlich egal. Sie wollen wissen wie die Dinge klappen. 1 1.2

Technokratie an der Macht

Technokratische von der Parteiendemokratie eingehegte Politik ist von technokratischen Regierungen zu unterscheiden die ausschlie lich aus parteilosen Experten bestehen. Italien ist das and mit den meisten technokratischen Regierungen der Nachkriegszeit.11 Meist waren sie nur von 9 1 11

Merkel Pressestatements. Brunkhorst Europa, S. 55. Merkel Rede. Dies waren die Regierung Amato uni 1992 bis April 1993 vor dem Hintergrund der internationalen ährungskrise gefolgt von der Regierung Ciompi April 1993 bis Mai 1994 vor dem Hintergrund der Einf hrung des Mehrheitswahlrechts die Regierung Dini anuar 1995 bis Mai 1996 vor dem Hintergrund der Rentenreform und in j ngerer eit die Regierung Monti Novem-

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kurzer Dauer und strebten als notwendig erachtete Reformen an f r die sich keine parlamentarischen Mehrheiten fanden. Einer dieser technokratischen Ministerpräsidenten Mario Monti ein ehemaliger EU-Kommissar Manager bei der Investmentbank oldman Sachs und irtschaftsprofessor erklärte: enn sich Regierungen vollständig durch die Entscheidungen ihrer Parlamente binden lie en ohne einen eigenen Handlungsspielraum zu bewahren wäre das Auseinanderbrechen Europas wahrscheinlicher als eine engere Integration. 12 Monti bedauerte dass sich die Regierungen völlig von den Entscheidungen ihrer Parlamente an die gel nehmen lie en. ede Regierung habe auch die Pflicht das Parlament zu erziehen. In der Rede zur Einf hrung seiner Regierung im November 2 11 betonte er: ährend der Verhandlungen bin ich zu dem Schluss gelangt dass die Abwesenheit von Politikern in der Regierung kein Hindernis sondern eher eine Hilfe f r eine solide Unterst tzung der Regierung im Parlament und in den politischen Parteien ist weil ein rund f r Uneinigkeit wegfällt. 13 In riechenland scheiterte der sozialdemokratische Premierminister iorgios Papandreou 2 11 mit dem Versuch in einem Referendum ber ein bereits beschlossenes Hilfspaket der EU abstimmen zu lassen. Anfang November 2 11 wurde er eigens zum 2 ipfel nach Cannes einbestellt und vom damaligen EU-Kommissionspräsidenten Barroso von Kanzlerin Merkel und dem damaligen französischen Präsidenten Sarkozy solange ins ebet genommen bis er von seinem Plan absah und zur cktrat. Von November 2 11 bis Mai 2 12 folgte ihm der Technokrat ucas Papademos auch er ein irtschaftsprofessor und ehemaliger Vizepräsident der E B der als Berater der Investmentbank oldman Sachs bei der Aufnahme riechenlands in die Eurozone eine bis heute umstrittene Rolle gespielt hat. Papademos wurde nicht gewählt sondern zum Premier einer provisorischen Regierung ernannt um den drohenden Staatsbankrott riechenlands abzuwenden. Sein Kabinett der nationalen Einheit st tzte sich auf eine gro e Koalition unter Einschluss der ultrarechtspopulistischen Partei aos orthodoxe Volksbewegung . Als j ngstes Beispiel sei der französische Präsident Emmanuel Macron genannt der in seiner kurzen Amtszeit mehrere Schritte in Richtung auf

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ber 2 11 bis April 2 13 vor dem Hintergrund der Vertrauenskrise der internationalen Märkte gegen ber Italien wegen der anhaltend hohen Staatsverschuldung. Monti erzürnt deutsche Politiker. it. n. Ribbhagen Technocracy, S. 32.

Populismus – Technokratie – Demokratie

ein technokratisches Präsidialregime gemacht hat. Die Reform des Arbeitsmarktes setzte er unter Umgehung des Parlaments mit präsidialen rdonnanzen durch.14 Parlamentsabgeordneten wurden Mittel zur örderung von Projekten in ihren ahlkreisen die sogenannte parlamentarische Reserve entzogen und in einen zentralen Pool berf hrt was als antiparlamentarische Ma nahme kritisiert wurde. Die uständigkeit von Ministern wurde zugunsten der staatlichen Verwaltung beschnitten. Nach dem Vorbild des US-amerikanischen spoils system sollen die Verwaltungsspitzen politisiert und mit politischen Beamten besetzt werden um grö ere Durchlässigkeit zur Exekutive zu garantieren. Auch der seit dem Pariser Attentat von 2 15 bestehende Ausnahmezustand der 2 17 durch ein Antiterrorgesetz beendet wurde wirft ragen auf. Kritiker bemängeln die Ausnahme sei damit zur Regel geworden. Die Exekutive vor allem die Präfekten und der Innenminister seien gestärkt worden. Sollte in absehbarer eit der ront National an die Macht kommen m sste er gar keine autoritären Ma nahmen ergreifen sondern könnte sich auf geltendes Recht berufen. Nicht zuletzt ist Macrons Partei La République en Marche die am stärksten zentralisierte Partei rankreichs ohne innerparteiliche Demokratie und ohne intermediäre Strukturen wie Bezirks- Regional- oder andesverbände.15 ahlreiche ehemalige Sozialisten haben sich Macron angeschlossen hat doch der Prototyp technokratischer Herrschaft der Saint-Simonismus seine urzeln in der französischen inken.16 Mit den Schl sselbegriffen echsel Erneuerung Sammlung Versöhnung changement, renouvellement, rassemblement, réconciliation stellt sich der Präsident einerseits in die Tradition des aullismus andererseits in die des technokratischen entrismus der auf die 197 er ahre zur ckgeht. In der neuen esellschaft sollten schon damals die egensätze zwischen rechts und links aufgehoben werden was auch Macrons Devise ist. Mit der rhetorischen 14 15 16

rdonnanzen sind vereinfacht gesagt esetzesdekrete. Sie dienen zur Beschleunigung politischen Handelns und m ssen erst im Nachhinein vom Parlament ratifiziert werden. Vadillo Lʼexercice Priester Bewegungsparteien. Der r hsozialist Henri de Saint-Simon 176 -1 25 erhob den Ingenieur zur eitfigur der neuen wissenschaftlich organisierten esellschaft. Sein Sch ler Auguste Comte war der Begr nder der Soziologie und des Positivismus. Religion und Philosophie insbesondere Metaphysik hätten in der Moderne als handlungslegitimierende Deutungssysteme ausgedient Philosophie habe nur noch die begrenzte unktion von issenschaftstheorie. An ihre Stelle sei das positive empirische issen getreten.

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endung et en même temps und zugleich versucht er gesellschaftspolitische egensätze einzuebnen und einem höheren iel der Erneuerung rankreichs unterzuordnen. Unterst tzung erfährt er von liberalen Think Tanks die als irkel der Vernunft Alain Minc jenseits von rechts und links offen f r Reformlinke und Reformkonservative sind.17 Da Parteien unfähig zu strukturellen Reformen seien weil sie unter dem Druck kurzer egislaturperioden stehen sind Technokraten aufgerufen das and aus Stagnation und Reformstau herauszuf hren. Eine Krise der Demokratie ist eine Effizienzkrise erklärte Macron.1 Seine Entourage besteht aus jungen Mitarbeitern die meist aus einer der f hrenden Elitehochschulen des andes der ENA école nationale dʼadministration hervorgegangen sind und f r Erneuerung und Aufbruch im eiste des iberalismus stehen. Trotz anfänglicher Begeisterung f r den dynamischen jugendlichen Präsidenten ist Macron kein Charismatiker und verf gt nicht ber die abe der mitrei enden Rede. Seine Beliebtheitswerte sind innerhalb k rzester eit stark gesunken zumal er ber seine Einstellung zum Volk keine weifel aufkommen lässt. Der neue upiter wie er sich nennt liebt durchaus nicht das Bad in der Menge sondern steht f r Blitz und Donner. Vor streikenden Arbeitern eines Automobilzulieferers in einem strukturschwachen ebiet erklärte er: Anstatt einen Saustall d. h. Streiks K.P. anzurichten sollten manche sich lieber neue obs suchen Unterprivilegierte bezeichnete er als aulenzer Arbeiterinnen in einem Schlachthof in der Bretagne als Analphabetinnen. Die Krise der Stahlindustrie in der nordfranzösischen Region Pasde-Calais einer Hochburg des ront National hält er f r die olge von Alkoholismus und Tabaksucht.19 1.3

Scheinneutralisierung als Merkmal der technokratischen Sprache

In seinem dystopischen Roman 1984 zeichnete eorge rwell das Bild einer esellschaft deren hervorstechendstes Merkmal der Newspeak Neusprech ist. Diese lexikalisch neue oder semantisch umcodierte häufig euphemistische Sprache f hre so rwell zu einer eindimensionalen esellschaft. enn Politiker beispielsweise von Monetarisierung spre17 1 19

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Die wichtigsten Think Tanks sind das Institut Montaigne die Fondation SaintSimon Terra Nova und En Temps réel. Macron Interview. Macron Macron ätzt.

Populismus – Technokratie – Demokratie

chen meinen sie Inflation. Inflation ist aber vor allem in Deutschland aufgrund leidvoller Erfahrungen in der eimarer Republik negativ besetzt. Um diese negative Konnotation zu entschärfen greift man zu einem technischen neutral klingenden Begriff. Scheinneutralisierungen und Euphemismen erweitern den Raum der Auslegungsmöglichkeiten und verh llen das eigentlich emeinte. u den Mechanismen technokratischer Sprachregelung gehört auch das sogenannte Reframing. Ein Begriff wird in einen neuen Rahmen gestellt und verändert dadurch seine Bedeutung deutlich etwa in Merkels Bestimmung des Parlaments als rgan der Mitbestimmung . eder kritisiert sie das Parlament noch fordert sie gar dessen Abschaffung sondern unterstellt stillschweigend eine engere Bedeutung des Begriffs. hnlich ergeht es dem Begriff der Subsidiarität der ebenfalls semantisch neu gerahmt wird. Subsidiär bedeutet nicht mehr Problemlösung auf der untersten sondern auf der effizientesten Ebene. Haben Parlamentarier nicht das nötige Expertenwissen um ein esetz zu formulieren delegieren sie die Aufgabe subsidiär an Experten Anwaltskanzleien oder obbyisten die das esetz nach Ma gabe ihrer eigenen Interessen formulieren. In der Eurokrise prägte Kanzlerin Merkel das ort von der alternativlosen Entscheidung . Merkels ormulierung suggeriert unabänderliche Sachzwänge erweckt aber zugleich den Anschein als ob Politiker eben doch politische Spielräume hätten und sich zwischen Alternativen entscheiden könnten. Mit technokratischem Handeln dringt ein neues Vokabular in die Sprache der Politik ein. So spricht man etwa seit den 199 er ahren nicht mehr von regieren und Regierung sondern von regulieren und overnance. Politisches Handeln verläuft nicht mehr hierarchisch von oben nach unten sondern horizontal zwischen dem Staat und gesellschaftlichen ruppen. Der Staat vertreten durch das Kabinett regiert nicht sondern kooperiert mit gesellschaftlichen Akteuren seien es irtschaftsvertreter Interessengruppen oder rganisationen der ivilgesellschaft. Da unter demokratischem Vorzeichen hierarchisch negativ konnotiert wird Kooperation dagegen positiv entsteht der Eindruck als handele es sich um einen Prozess der Demokratisierung und des Herrschaftsabbaus. Die Sprache des alten hierarchischen Regierungshandelns kannte zentrale meist staatsrechtliche Begriffe wie Autorität egitimation Kompromiss Repräsentation Delegation und Souveränität. Der technokratische Diskurs schöpft dagegen aus einem unpolitischen betriebswirtschaftlichen Umfeld. Die neuen Schl sselwörter lauten: lexibilität Regulierung Steuerung Koordination prozedurale Rationalität Konvergenz Synergieeffekte Interaktion Interdependenz Effizienz Kohärenz Kommu97

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nikation. overnance steht nicht unter dem Primat demokratischer Selbstbestimmung sondern unter dem Primat von Effizienz und Sachgesetzlichkeit im Regulierungsstaat regulatory state . Es lässt sich res mieren: Technokratische Politik ist elitär und versteht sich als anti-ideologisch anti-politisch und effizienzorientiert. Politischgesellschaftliche hrung ist f r sie funktional das leiche wie das Management eines Betriebes. In repräsentativen Demokratien favorisiert sie die Einschränkung der Befugnisse des Parlaments und misstraut der vermeintlichen Volatilität und Stimmungsabhängigkeit des ahlvolkes. Der spätere US-amerikanische Präsident oodrow ilson durchaus kein konservativer sondern ein progressiver Politiker erklärte 1 7 die Masse der Menschheit sei strikt unphilosophisch also unaufgeklärt. Heute könne diese Masse aber wählen. Daher gelte es Macht aus den gewählten Institutionen herauszuhalten und den richtigen euten d. h. einer aufgeklärten Elite zu berantworten. So unverbl mt elitär äu ert sich heute kaum noch jemand. Ein Kabinettskollege des britischen Premiers Tony Blair erfasste den neuen eitgeist weitaus besser als er Entpolitisierung als ewinn f r das Volk darstellte: The depoliticizing of key decision-making is a vital element in bringing power closer to the people. 2 Auch unter Politikwissenschaftlern gibt es Stimmen die f r eine Entpolitisierung öffentlicher Entscheidungen plädieren. Philip Pettit erklärte: So wie der Krieg zu wichtig ist um ihn enerälen zu berlassen so ist auch Demokratie – deliberative Demokratie – zu wichtig um sie Politikern zu berlassen. 21 Auf EU-Ebene wurden daher immer wieder Versuche unternommen wirtschafts- oder finanzpolitische Ma nahmen zu entpolitisieren ausschlie lich am Paradigma des ökonomischen iberalismus auszurichten und von einfachem Recht in Verfassungsrecht zu berf hren. Unabhängig von ahlergebnissen werden die änder der EU a priori auf eine liberale irtschaftspolitik verpflichtet die als alternativlos gilt. 2.

Populismus als Kritik der Technokratie

Dagegen werfen Populisten die rage auf: Bei wem liegt die Macht? er entscheidet? Auch wenn technokratische Herrschaft als Unterform b rokratischer Herrschaft gilt werden die Begriffe im populistischen Diskurs synonym gebraucht. Der Kampf von Populisten gilt zwar den Eliten im 2 21

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it. n. Mair Ruling 2006 S. 26. Pettit Depoliticizing S. 64.

Populismus – Technokratie – Demokratie

engeren Sinne aber zwei ruppen die sich zunächst auszuschlie en scheinen: den Parteien der Kaste der ligarchie dem Establishment und den Technokraten. Caramani spricht von einer triangulären Beziehung zwischen Populismus Parteiendemokratie und technokratischer Politik.22 Populisten sehen dagegen keine trianguläre sondern eine binäre Beziehung am erk sind doch Techno- oder B rokraten f r sie nur der verlängerte Arm der Parteien. Diese hätten sich was sich kaum bestreiten lässt inhaltlich weitgehend einander angenähert und zu einem Kartell zusammengeschlossen was aus populistischer Sicht zwei olgen nach sich zieht: Erstens werde der Pluralismus unterschiedlicher politischer Standpunkte untergraben. Neulinge auf dem politischen Markt sind durch die uasi monopolistische Stellung politischer Kartelle benachteiligt. weitens verträten die Parteien nicht das emeinwohl sondern partikulare Interessen ihrer Klientelen sowie ihr Eigeninteresse an Macht oder Machtbeteiligung. Kritisch wies der Parteienforscher Peter Mair schon 2 6 auf die Erosion der Souveränität des Volkes hin: hat we see emerging is a notion of democracy that is being steadily stripped of its popular component – democracy without a demos. 23 In einem wechselseitigen Prozess hätten sich die Parteien von den B rgern und diese von den Parteien abgewandt. 2.1

eindbestimmung im Populismus

Der Kampf gegen Techno- und B rokraten zieht sich wie ein roter aden durch die eschichte des Populismus von den 1 9 er ahren bis heute. Seit seiner r ndung 1972 tritt der französische ront National gegen den b rokratischen Etatismus an vertreten durch die Énarques die Absolventen der staatlichen Verwaltungshochschule ENA die Technokratie und die Viererbande der vier Parteien des Mainstream.24 örg Haider kritisierte 2 1 den technokratischen eg der Koalition von VP und P . Die P m sse wieder Politik mit Herz machen. Rund zehn ahre vor der r ndung der AfD gab es auch in Deutschland populistische Bestrebungen die aber im Unterschied zu anderen ändern erfolglos blieben. 2 3 forderte der DP-Politiker rgen Möllemann in einem Buch mit 22 23 24

Caramani Will vs. Reason S. 55. Mair Ruling 2006 S. 26 inock Populismes S. f. In den 197 er ahren waren dies im b rgerlichen ager die aullisten und die iberalen unter wechselnden Bezeichnungen im linken ager die Sozialisten und die Kommunisten.

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dem programmatischen Titel Klartext : Brechen wir die Macht der Parteien. eben wir sie dem Volk zur ck. 25 egen obbyisten Experten und die bermacht der unktionäre gerichtet propagierte er eine DP f r das ganze Volk26 und forderte die Verkleinerung des Staatsapparates das Ende der Postenverschiebung durch die Parteien und direkte Demokratie durch Volksentscheide. Es ist höchste eit den B rgern zu sagen: Ihr seid das Volk Steht auf asst euch dieses Spiel nicht länger gefallen enn es die Parteien nicht tun weil sie mit den Interessengruppen unter einer Decke stecken und immer nur reden statt zu handeln m sst ihr euch etwas ganz Neues einfallen lassen. Und wenn es erforderlich ist auch eine neue Partei . Eine Partei die weder rechts noch links ist. Vor allem aber: agt nicht uns vorzuschreiben was wir denken und sagen d rfen. ir sind das Volk. Ihr sollt uns repräsentieren nicht kommandieren. Denn ihr lebt von unserem eld nicht wir von eurem 27

Möllemanns Versuch einen nationalliberalen Populismus auf den eg zu bringen scheiterte unter anderem weil ihm Antisemitismus nachgesagt wurde was seine politische Karriere abrupt beendete. ast f nfzehn ahre später erklärte der AfD-Politiker Marc ongen: ir sind diejenigen die sich f r die Belange des Volkes einsetzen – gegen die Technokraten und Postdemokraten in den Altparteien. Ein irtschaftssystem in dem die Staats uote ber 5 beträgt und in dem kleine und mittlere Unternehmen unter immer weitergehenden Reglementierungen und Kontrollen zu leiden haben während sich die gro en ua obbyismus die esetze selbst schreiben wird man kaum noch liberal nennen können. umindest nicht im Sinne des rdoliberalismus der reiburger ökonomischen Schule der die soziale Marktwirtschaft begr ndet hat und dem die AfD nahe steht. 2

Timo Soini bis 2 17 Vorsitzender der Partei Die innen vormals Die ahren innen hat in seltener Vollständigkeit die egner des Populismus aufgelistet: book-learned theoreticians arrogant bureaucrats cold-hearted technocrats uncomprehending centralizers big-money worshippers and smooth avant-garde thinkers do not trust the people. They do not value the people s view because they believe the people are stupid and indifferent and that all wisdom rests with the experts and an elite that is divorced from everyday life. 29 In den Adjektiven kommt die moralistische Sichtweise von Populisten zum Ausdruck: Abgehobene Techno- und 25 26 27 2 29

1

Möllemann Klartext S. 2 . Ebd. S. 171ff. Ebd. S. 9f. ongen Repolitisierung. it. n. Arter The Breakthrough S. 4 9.

Populismus – Technokratie – Demokratie

B rokraten schöpfen ihr issen nicht aus konkreter lebensweltlicher Erfahrung sondern aus abstrakten Theorien sie sind arrogant kaltschnäuzig verständnislos geldgierig aalglatt und verachten das Volk. In den USA galt Steve Bannon bis zu seiner Entmachtung im August 2 17 als Stratege der Regierung Trump. Auch er prangerte die ligarchen in Silicon Valley und die Eliten in ashington und an der allstreet an. Sein iel ist aber nicht die erschlagung des Staates sondern der R ckbau deconstruction des Verwaltungsstaates administrative state .3 Die Medien so ein Kommentator hätten zunächst gar nicht verstanden wovon Bannon eigentlich spreche. Man hielt seine Kampfansage f r den blichen iderstand der Republikaner gegen big government oder f r ein Codewort hinter dem sich irgendein finsterer autoritärer Populismus verberge. Inzwischen sei der Kampf gegen den Verwaltungsstaat aber zu einem populistischen Schlachtruf geworden.31 Bannons Programm beruht auf drei Säulen: nationale Sicherheit ökonomischer Nationalismus und Kampf dem Verwaltungs- oder Regulierungsstaat. Dieser untergrabe die repräsentative Demokratie weil er die B rokratie zulasten des legitimen esetzgebers stärke und dies in einem Ma e dass neben die drei klassischen ewalten eine nicht gewählte niemandem verantwortliche vierte ewalt oder ein okkulter Staat deep state getreten sei. Eine Vielzahl von Institutionen und Behörden agencies au erhalb jeder parlamentarischen Kontrolle hätten mit ihren Verordnungen und Erlassen regulations nicht nur die unktion der egislative sondern auch die der udikative und der Exekutive bernommen. Diesen Staat im Staate gilt es zu dekonstruieren und B rokratie abzubauen unter der vor allem kleine ewerbetreibende und junge Startup- r nder zu leiden hätten. Mit dem Halbwissen des Autodidakten trägt Bannon edanken vor die in Deutschland schon seit der eimarer Republik unter konservativen Staatsrechtslehrern diskutiert werden. Vermutlich hat Bannon nie etwas von Carl Schmitt gehört sonst hätte er eher in diesem katholischen Apokalyptiker als in dem neuheidnischen aschisten ulius Evola einen eistesverwandten gefunden. Schmitt konstatierte schon in den 193 er ahren 3

31

Allerdings hat Bannon zu seinem Image als Staatszertr mmerer beigetragen als er sich gleichzeitig auf enin und auf den faschistischen Esoteriker ulius Evola berief. Aber auch von Putins Traditionalismus könne der j dischchristliche esten lernen. ugleich nannte er Putin einen Imperialisten und dessen Regime eine Kleptokratie. Vgl. Kurtz The Politics.

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einen Strukturwandel der Staatlichkeit. Die Industriegesellschaft bewege sich weg vom parlamentarischen Rechts- und esetzgebungsstaat hin zu einem autoritären irtschafts- und Verwaltungsstaat. Nach 1945 stellte sich der konservative Staatsrechtslehrer Ernst orsthoff auf den Boden der neuen Tatsachen und akzeptierte die Verankerung des Sozialstaatsprinzips im rundgesetz warnte aber vor zwei efahren. Rechts- und Sozialstaat hätten sich zu ergänzen. erde der Rechtsstaat dagegen als Schutzburg der beati possidentes missbraucht verfehle er seinen sozialen Auftrag und bringe sich in efahr. Umgekehrt gelte dies aber auch f r einen hypertrophen Sozialstaat denn r adikale Sozialstaatlichkeit endet zwangsläufig bei einem Verwaltungsstaat der nicht mehr Rechtsstaat sein kann. 32 In dieser Situation so orsthoff schon 1953 befinde sich die Bundesrepublik und so lässt sich ergänzen aus Bannons Sicht auch die USA. Die egislative hat in der Tat einen Bedeutungsverlust gegen ber der B rokratie erlitten. In den ersten zehn ahlperioden des Deutschen Bundestages standen 32 bis 55 vom Parlament verabschiedete esetze pro ahlperiode bis zu 1.7 von der Exekutive erlassenen Rechtsverordnungen gegen ber.33 Die Politiktheoretikerin Ingeborg Maus stellte schon in den 19 er ahren fest die Hierarchie des klassischen ewaltenteilungsschemas kehre sich um. Die Verwaltung entziehe sich mehr und mehr den Vorgaben des esetzgebers.34 In den USA kritisieren Konservative zudem dass der Bundesstaat vor allen unter Präsident bama zentralisierend gegen ber den Einzelstaaten gewirkt und landesweit verbindliche Standards in der esundheits- der Bildungs- und der Umweltpolitik durchzusetzen versucht habe. Bannon ist kein nationalliberaler sondern ein nationalkonservativer berdies katholisch-traditionalistischer Populist. Als beste uelle f r sein Denken gilt seine Rede auf einer Konferenz konservativer Katholiken im Vatikan von 2 14 der er ber Skype zugeschaltet war.35 Darin plädierte er f r einen aufgeklärten enlightened Kapitalismus wie er in der zweiten Nachkriegszeit geherrscht habe.36 ährend dieser Pax Americana kam der 32 33 34 35 36

1 2

orsthoff Begriff, S. 33. Angaben nach Vesting Erosionen, S. 33. Ebd. S. 35. Mitschrift der Rede und der anschlie enden Diskussion bei eder This is how Steve Bannon. Aufgeklärter Kapitalismus klingt im Munde eines konservativen Populisten widerspr chlich. emeint ist eine Art rheinischer Kapitalismus und ein christlich-katholisch untermauerter dritter eg zwischen Staatskapitalismus und laissez faire- oder Kumpel-Kapitalismus crony capitalism .

Populismus – Technokratie – Demokratie

wachsende ohlstand nicht nur der berschicht sondern auch der Mittelklasse zugute darunter auch Menschen die wie er selbst aus der Arbeiterklasse aufsteigen konnten. Diesem oldenen eitalter folgte ein Kapitalismus dem die geistige und moralische rundlage des Christentums in Bannons Diktion des udeo-Christentums abhandengekommen sei. China und Russland gingen den eg eines Staatskapitalismus. In den USA fielen dagegen die libertären Schriften von Ayn Rand auf fruchtbaren Boden und trugen zur Vorherrschaft eines laissez faire-Kapitalismus bei den Bannon ebenso wie den Staatskapitalismus ablehnt. Der libertäre Kapitalismus mache Menschen zu aren und degradiere sie zu blo en bjekten. Nach dem Ende der Sowjetunion sei man im esten von der richtigen Spur abgekommen und erlebe nun im 21. ahrhundert eine Krise unserer Kirche eine Krise unseres laubens eine Krise des estens und eine Krise des Kapitalismus. 37 Die Sto trupps seiner populistisch-konservativen Revolution sieht er in der extrem rechten Bewegung der Alternativen Rechten alt right deren Rassismus und Antisemitismus sich schon noch auswaschen werde je weiter die Bewegung voranschreite. Die egenposition zu Bannon vertritt Trumps Schwiegersohn ared Kushner der im ei en Haus ein Office of American Innovation leitet und ein eher technokratisches Politikverständnis propagiert. Kushner steht weder f r die working class noch f r die kleinen eschäftsleute sondern f r die gro en Multimilliardäre. In der Washington Post erklärte er: ur hope is that we can achieve successes and efficiencies for our customers who are the citizens. 3 Politik wird paternalistisch für das Volk gemacht nicht durch das Volk. Der Staat ist nichts anderes als ein Dienstleistungsbetrieb der nach Effizienzkriterien gef hrt wird um die B rger als politisch passive Kunden und Konsumenten bei der Stange zu halten. as zählt ist der utput an Effizienz oder in den orten von Kanzlerin Merkel dass die Dinge klappen nicht der Input an B rgerbeteiligung und parlamentarischer Kontrolle. Vorerst ist Bannon aus Trumps Machtzentrum verbannt worden bereitet aber sein Comeback vor und setzt auf die Arbeiter und die untere Mittelschicht die es nicht hinnehmen dass Amerika sich im Niedergang befinde.

37 3

it. n. eder This is how Steve Bannon. Parker Rucker Trump taps.

1 3

Karin Priester

2.2

Der neue Klassenkampf

rgen Möllemann sah einen neuen Klassenkampf zwischen den Beschäftigten in der Privatwirtschaft und denen im öffentlichen Dienst am erk.39 Dieser Erklärungsgrund f r den Aufstieg rechtspopulistischer Protestparteien wurde in den bisherigen Debatten zu sehr vernachlässigt. Erst nach dem Sieg Donald Trumps entdeckten viele Kommentatoren die Mittelschichten w rden zwischen oben und unten zerdr ckt squeezed . Diese Konstellation ist aber nicht neu und hat rechtspopulistischen Tendenzen in Krisensituationen immer schon Auftrieb gegeben. hlt sich die soziale Mitte genauer gesagt der selbständige handwerkliche kaufmännische oder unternehmerische Mittelstand von Statusverlust bedroht und von immer neuen b rokratischen Vorschriften drangsaliert verlässt sie die politische Mitte und wendet sich nach rechts.4 Erst in einer zweiten Phase treten die von ihren linken Stammparteien enttäuschten Arbeiter und Arbeitslose hinzu. Rechtspopulistische Parteien sind heute zwar berwiegend Arbeiterparteien aber sie waren es nicht von Beginn an sondern sind mangels linker Alternativen erst dazu geworden. Einer der ersten europäischen Populisten der ranzose Pierre Poujade der in den 195 er ahren im peripheren S dwestfrankreich eine Protestbewegung kleiner Handwerker und Kaufleute anf hrte nannte seine Anhänger das R ckgrat der Nation. ast siebzig ahre später drängt die P auf die örderung der heimischen Klein- und Mittelbetriebe. Sie seien das R ckgrat der österreichischen irtschaft.41 Dieses anatomische Bild hat auch eine psychologische Komponente: Auf dem Spiel stehen nicht nur materielle Interessen sondern gesellschaftliche Anerkennung Respektabilität und ertschätzung. Auch die AfD fordert B rokratieabbau und Stärkung des Mittelstandes. Ein Blick auf die iste der AfD-Vertreter im Bundestag nach der ahl 2 17 zeigt: Von den 92 gewählten Abgeordneten waren zwanzig uristen Richter Staatsanwälte Rechtsanwälte irtschaftsjuristen und vierzig Unternehmer oder in affinen Bereichen Tätige selbständige Handwerker Kleinunternehmer Unternehmens- oder Kommunikationsberater Diplomkaufleute Beschäftigte im Management r nder von Startups Versicherungsmakler inanzberater . Sieht man von den beamteten Richtern und Staatsanwälten ab vertreten fast zwei Drittel der AfD-Abgeordneten den neuralgischen Sektor von Menschen 39 4 41

1 4

Möllemann Klartext S. 26 . Näher dazu Priester Zur Soziologie. IN -Kompakt.

r die 192 er ahre auch eiger Panik.

Populismus – Technokratie – Demokratie

die sich zwischen den global players der internationalen Banken und Konzerne auf der einen und Staatsbediensteten sowie der Sozialstaatsklientel auf der anderen Seite unter Druck f hlen. Eine nicht genau bezifferbare Anzahl hatte gebrochene Biographien und war in unterschiedlichen Berufen und Bereichen tätig gewesen manche waren auf dem eg in die Selbständigkeit auch gescheitert. Ausgehend von diesem Kern strahlen rechtspopulistische Parteien zwecks Stimmenmaximierung nach unten aus und mobilisieren Protestund Nichtwähler.42 Damit handeln sie sich aber einen Dauerkonflikt ein der um die rage kreist: Mehr oder weniger Sozialstaat mehr oder weniger iberalismus. Der AfD-Politiker Björn Höcke plädiert f r einen solidarischen Patriotismus und fordert eine Sozialpolitik die den iberalen in der AfD nicht behagen d rfte. Einer der geistigen Mentoren dieses AfDl gels der Verleger und Publizist ötz Kubitschek definierte sich schon 2 3 in Abgrenzung zu libertären Positionen als volkskonservativ .43 2.3

Panik im Mittelstand?

Die Bezeichnungen Mittelstand selbständige Mittelschichten alte Mitte Mittelklassen oder Kleinb rgertum petite bourgeoisie waren nie nur deskriptive Kategorien sondern hatten immer auch eine normative Komponente. Ab dem 1 . 19. ahrhundert verkörperten diese wischenschichten bestimmte Tugenden wie Mä igung ewerbeflei en gsamkeit Sparsamkeit und Anstand im egensatz zu ier M iggang Verschwendungssucht und Sittenverfall in den berschichten und zu den Proleten am untersten Rand. Mit der Angestelltenrevolution zu Beginn des 2 . ahrhunderts erwuchs diesen kleinen Selbständigen eine Konkurrenz in den abhängig Beschäftigten im privaten und öffentlichen Sektor. Dies zog eine doppelte Spaltung nach sich: Erstens die Spaltung zwischen vermeintlich privilegierten ohnabhängigen und vermeintlich – und zwar vom Staat – benachteiligten Selbständigen zweitens die Spaltung zwischen Stadt und and oder zwi42

43

Vgl. das AfD-Strategiepapier von 2 17. Unter den f nf ielgruppen sollen Protest- oder Nichtwähler und Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen darunter Arbeiter und Arbeitslose in prekären ohnvierteln f r die AfD gewonnen werden. Bei der andtagswahl in NR und der Bundestagswahl 2 17 ist ihr dies auch gelungen. Kubitschek Verfügungsräume S. 45.

1 5

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schen ro städten und peripheren Kleinstädten. Die im deutschen Kaiserreich grassierende ro stadtfeindlichkeit hat hier ihren Ursprung. Die Bedeutung von ro stadt als Inbegriff der Bedrohung einer traditionellen ebenswelt ist polysemisch: ro stadt steht f r das remde und die remden f r Kriminalität f r Krankheiten und aster aller Art f r die Auflösung der patriarchalen amilie f r den Verlust sozialer lokaler und religiöser Bindungen f r ohnknechtschaft Entfremdung und Niedergang. Dass die Städte schon im Mittelalter und die ro städte seit dem ausgehenden 19. ahrhundert auch Chancen zu grö erer individueller Entfaltung und zu gesellschaftlichem Aufstieg boten geht in der ahrnehmung der bodenständigen kleinen eute unter. Dieses populistische Syndrom wurde von Modernisierungssch ben und sozial-kulturellem andel ab Mitte des 2 . ahrhunderts keineswegs berholt sondern eher noch verstärkt. Sarah Palin von der Tea PartyBewegung polarisiert zwischen dem traditionsverhafteten ehrbaren eben in kleinen Provinzstädten und der Hauptstadt ashington als Hort abgehobener Technokraten und Experten.44 Auch der britischen UKIP United Kingdom Independence Party war das kosmopolitische multikulturelle ondon als Handels- und Bankenzentrum ein Dorn im Auge. Umberto Bossi von der italienischen ega Nord polemisierte gegen die diebische Hauptstadt Rom Roma ladrona . Hier werde das hart erarbeitete Steueraufkommen flei iger produktiver Norditaliener nach S ditalien transferiert um dort in den Kanälen der Mafia zu versinken den Klientelismus zu verfestigen und Unterentwicklung zu perpetuieren was durchaus nicht aus der uft gegriffen ist.45 Nicht alles was Populisten anprangern beruht auf Demagogie. Vielmehr legen sie den inger auf reale ehlentwicklungen und auf ökonomische gesellschaftliche und politische Krisenerscheinungen. In Europa richtet sich populistischer Protest vornehmlich auch gegen die EU den neuen eviathan Umberto Bossi der alles ewachsene und ewordene den traditions- und seelenlosen technokratischen Machern und Planern unterwirft dabei aber nicht einmal effizient ist. Die ökonomische eistungsbilanz der EU sei nicht zufriedenstellend bemän44 45

1 6

Priester Rechter und linker Populismus S. 2 1ff. Priester Populismus, S. 159-1 2. Mit dem neuen Vorsitzenden Matteo Salvini hat sich die ega in den letzten f nf ahren aber radikal verändert. Die zuletzt stark geschrumpfte norditalienische Regionalpartei tritt inzwischen als gesamtitalienische Partei auf. Damit entfällt die Kritik der alten ega Nord an den parasitären S ditalienern. Mit Themen wie Immigration Kriminalität Sicherheit und Islamophobie lassen sich weitaus mehr ählerstimmen gewinnen.

Populismus – Technokratie – Demokratie

gelt Majone.46 Der Regulierungsstaat erf lle nicht die in ihn gesetzten Erwartungen. 3.

Zusammenfassung der Ergebnisse Technokratie und Populismus Gemeinsamkeiten  ‐ ‐ ‐ ‐

Bedeutungszunahme der staatlichen Exekutive  Kritik intermediärer Organe  Kritik der Parteienherrschaft, der Politiker und des Parlaments  Anti‐Politik  Unterschiede 

  Populismus    Technokratie  ‐ Autonomisierung  der  administrativen  Pla‐ ‐ Autonomisierung des Politischen  ‐ Kritik  an  Bürokratie  und  Verwissenschaftli‐ nungs‐ und Lenkungsinstanzen  chung,  Wissenschaft  als  „Herrschaftsin‐ ‐ Bürokratisierung und Verwissenschaftlichung  strument“  der Politik  ‐ Entpolitisierung der Rationalitätskriterien des  ‐ Repolitisierung durch Polarisierung  Problemlösungsverhaltens  der  Entschei‐     dungsträger  ‐ Schleichende  Entdemokratisierung  der  par‐ ‐ Schleichende  Erosion  der  parlamentari‐ schen Demokratie durch  direkte Appelle an  lamentarischen  Demokratie  durch  Entpoliti‐ das Volk  sierung  ‐ Verlust von Partizipations‐ und Kontrollchan‐ ‐ Scheinpartizipation  durch  charismatische  oder  nicht‐charismatische  Sprachrohre  des  cen der Bürger  Volkswillens    ‐ Legitimation durch den Volkswillen  ‐ Legitimation durch Effizienz  ‐ Substitution  öffentlich‐diskursiver  Willensbil‐ ‐ Kritik am Verwaltungsstaat und der Techno‐ Bürokratie  dung  durch  Experten‐  und  Beamtenent‐   scheidung  ‐ Anti‐Elitismus  ‐ Elitismus  ‐ Anti‐Intellektualismus  des  ‚gemeinen  Man‐ ‐ Wissenschaftlich‐technische Intelligenz  nes‘    ‐ Emotionalisierung der Politik  ‐ Funktionale Rationalität  ‐ Einschluss und Mobilisierung des Volkes  ‐ Arkanherrschaft, Ausschluss des Volkes  ‐ Common sense  ‐ Instrumentelle Vernunft  ‐ Vorbild: Manager  ‐ Vorbild: Volkstribun  ‐ Gemeinsamer  Bildungshintergrund  (Elite‐ ‐ Gemeinsame lebensweltliche Erfahrung  schulen oder ‐universitäten) 

46

Majone From Regulatory.

1 7

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Abschlie end sollen emeinsamkeiten und Unterschiede von technokratischer Politik und Populismus in einer Synopse zusammengefasst werden.47 Die gemeinsame Schnittmenge von technokratischer Politik und Populismus ist eher gering. Die egensätze zwischen Elitismus und AntiElitismus von Ent- und Repolitisierung berwiegen. Beide Phänomene bergen efahren f r die parlamentarische Demokratie auch wenn in der veröffentlichten Meinung technokratische Politik als das geringere bel oder gar als egengift zum Populismus erscheint. ibt es in einer esellschaft faire Aufstiegschancen f r Menschen mit Talent Initiative und Arbeitstugenden zeigt sich das populistische Syndrom nur latent. In esteuropa war dies in den ahren des irtschaftswunders und des iederaufbaus nach dem weiten eltkrieg bis zu den lkrisen in den 197 er ahren der all. Mit dem Sieg des Neoliberalismus mehrten sich indessen gesellschaftliche Blockierung Abstiegsbedrohung und Statusverlust in der sozialen Mitte der esellschaft begleitet von einer wachsenden Diskrepanz zwischen Arm und Reich. Die parlamentarische Demokratie steht unter Druck nicht zuletzt weil Parteien von Volksvertretern zu Staatsvertretern mutiert sind und kaum noch gesellschaftliche Integration leisten.4 Der Druck geht aber nicht einseitig von unten von Populisten sondern ebenso von oben von Technokraten aus. Peter Mairs These das eitalter der Demokratie sei vorbei mag zu pessimistisch sein. Vorbei ist aber die Bl tezeit der Volksparteien. Although the parties themselves remain they have become so disconnected from the wider society and pursue a form of competition that is so lacking in meaning that they no longer seem capable of sustaining democracy in its present form. 49 Am Ende der hier vorgetragenen berlegungen steht kein Verdikt sondern eine rage: Ist diese Entwicklung unumkehrbar? Literatur Alternative f r Deutschland – Strategie 2 17 Bundesvorstand P RE 2 16-12-22 online: https: www.talk-republik.de Rechtspopulismus docs 3 AfD-Strategie2 17.pdf 13. 2.2 1

47 4 49

1

Tabelle: eigene usammenstellung unter Bezug auf Bach Bürokratisierung Europas und Caramani Will vs. Reason. Caramani Will vs. Reason S. 5 . Mair Ruling 2013, S. 1.

Populismus – Technokratie – Demokratie Arter David: The Breakthrough of Another est European Populist Radical Right Party? The Case of the True inns in: overnment and pposition 45 H. 4 2 1 S. 4 4-5 4 Aslanidis Paris: Is Populism an Ideology? A Refutation and a New Perspective in: Political Studies 64 H. 1 2 16 S. -1 4 Bach Maurizio: Die B rokratisierung Europas. Verwaltungseliten Experten und politische egitimation in Europa rankfurt a. M. 1999 Bickerton Christopher Invernizzi Accetti Carlo: Populism and Technocracy: pposites or Complements? in: Critical Review of International Social and Political Philosophy 2 H. 21 2 17a S. 1 6-2 6 Bickerton Christopher Invernizzi Accetti Carlo: Populism and Technocracy in: Rovira Kaltwasser Crist bal Taggart Paul choa Espejo Paulina stiguy Pierre Hg. : The xford Handbook of Populism New ork 2 17b S. 326-341 Brunkhorst Hauke: Europa am Abgrund: wölf ahre Merkel in: Blätter f r deutsche und internationale Politik H. 7 2 17 S. 55-62 Caramani Daniele: ill vs. Reason: The Populist and Technocratic orms of Political Representation and Their Criti ue to Party overnment in: American Political Science Review 111 H. 1 2 17 S. 54-67 Centeno Miguel Angel: The New eviathan: The Dynamics and imits of Technocracy in: Theory and Society 22 H. 3 1993 S. 3 7-335 Eder Klaus: enseits der nivellierten Mittelstandsgesellschaft: das Kleinb rgertum als Schl ssel einer Klassenanalyse in fortgeschrittenen Industriegesellschaften in: Eder Klaus Hg. : Klassenlage ebensstil und kulturelle Praxis: Beiträge zur Auseinandersetzung mit Pierre Bourdieus Klassentheorie rankfurt a. M. 19 9 S. 341393 eder . ester: This is how Steve Bannon sees the entire world in: Buzz eedNews 15.11.2 16 online: https: www.buzzfeed.com lesterfeder this-is-how-stevebannon-sees-the-entire-world?utm term .arz lb .opz ga d 1 . 2.2 1 orsthoff Ernst: Begriff und esen des sozialen Rechtsstaates in: Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer H. 12 Berlin 1954 S. -33 eiger Theodor: Panik im Mittelstand in: Die Arbeit eitschrift f r ewerkschaftspolitik und irtschaftskunde H. 1 193 S. 637-654 IN -Kompakt. Die reiheitliche Partei sterreichs online: https: www.fpoe.at file admin user upload www.fpoe.at dokumente 2 17 Info-Kompakt.pdf. 7. 2.2 1 ongen Marc: Repolitisierung der Debatte – Marc ongen im espräch. Interview mit dem Theoretiker der Neuen Rechten Alain de Benoist in der französischen eitschrift Élements auf Deutsch in der eitschrift Sezession vom 7. uni 2 17 erschienen online: https: sezession.de 572 2 ?komplettansicht 1 . 2.2 1 Kubitschek ötz: Verf gungsräume – Antwort auf Andr ichtschlag in: Sezession H. 3 ktober 2 3 S. 42-45 Kurtz Stanley: The Politics of the Administrative State . 1.2 1 online: https: www.nationalreview.com blog corner politics-administrative-state-mcgroarty-rob bins-tuttle 26. 2.2 1

1 9

Karin Priester Macron Emmanuel: Macron ätzt gegen Arbeitslose in: Spiegel nline 5.1 .2 17 online: https: www.spiegel.de politik ausland emmanuel-macron-wegen-abfaelli ger-bemerkung-gegen-arbeitslose-in-der-kritik-a-1171399.html 11. 2.2 1 Macron Emmanuel: Interview mit aurent Delahousse am 17.12.2 17 im ernsehsender rance 2 online: https: www.france.tv france-2 journal-2 h2 35 9 1interview-du-president-de-la-republi ue.html 21. 2.2 1 Mair Peter: Populist Democracy vs. Party Democracy in: M ny ves Surel ves Hg. : Democracies and the Populist Challenge ondon 2 2 S. 1-9 Mair Peter: Ruling the Void? The Hollowing of estern Democracy in: New eft Review H. 42 2 6 S. 25-51 Mair Peter: Ruling the Void? The Hollowing of estern Democracy ondon 2 13 Majone iandomenico: rom Regulatory State to Democratic Default in: ournal of Common Market Studies 54 H. 6 2 14 S. 1216-1223 Merkel Angela: Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Ministerpräsidenten der Republik Portugal Pedro Passos Coelho online: https: www.bundesregierung.de ContentArchiv DE Archiv17 Mitschrift Pressekon ferenzen 2 11 9 2 11- 9- 1-merkel-coelho.html 23. 2.2 1 Merkel Angela: Rede von Bundeskanzlerin Merkel zur Hauptversammlung des Deutschen Städtetages am 31. Mai 2 17 online: https: www.bundeskanz lerin.de Content De Rede 2 17- 5-31-rede-merkel-staedtetag.html 22. 1.2 1 Möllemann rgen: Klartext. r Deutschland M nchen 2 3 Moffitt Benjamin: The lobal Rise of Populism. Performance Political Style and Representation Stanford 2 16 Monti erz rnt deutsche Politiker in: Spiegel nline 6. .2 12 online: https: www.spiegel.de politik deutschland euro-krise-kritik-an-mario-monti-aus-spd-undfdp-a- 4 379.html 12. 2.2 1 M ller an- erner: Schatten der Repräsentation: Der Aufstieg des Populismus in: Blätter f r deutsche und internationale Politik H. 4 2 16 S. 63-74 Parker Ashley Rucker Philip: Trump taps Kushner to lead a S AT team to fix government with business ideas in: ashington Post 26. 3.2 17 online: https: www.washingtonpost.com 16. 2.2 1 Pettit Philip: Depoliticizing Democracy in: Ratio uris H. 17 2 4 S. 52-65 Priester Karin: Populismus. Historische und aktuelle Erscheinungsformen rankfurt a. M. 2 7 Priester Karin: Rechter und linker Populismus. Annäherung an ein Chamäleon rankfurt a. M. 2 12 Priester Karin: Das Volk zwischen Interessenpolitik und symbolischer Repräsentation in: itthaus an-Hendrik Eser Patrick Hg. : Machthaber der Moderne. ur Repräsentation politischer Herrschaft und Körperlichkeit Bielefeld 2 16 S. 69-91 Priester Karin: Bewegungsparteien auf der Suche nach mehr Demokratie: a rance Insoumise En Marche die nf-Sterne-Bewegung in: orschungsjournal Soziale Bewegungen 31 H. 1-2 2 1 S. 6 -67

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Populismus – Technokratie – Demokratie Priester Karin: ur Soziologie des Populismus. Die soziale Mitte zwischen Abstiegsangst und kultureller Entwertung 2 19 im Erscheinen . Radaelli Claudio M.: Technocracy in the European Union ondon New ork 1999 Ribbhagen Christina: Technocracy within Representative Democracy öteborg 2 13 Taggart Paul: Politics and unpolitics in: itzi regor Mackert rgen Turner Bryan S. Hg. : Populism and the Crisis of Democracy Bd. 1 Concepts and Theory ondon 2 1 S. 79- 7 Taguieff Pierre-Andr : e populisme et la science politi ue du mirage conceptuel aux vrais probl mes in: Vingti me Si cle H. 56 1997 S. 4-33 Vadillo loran: exercice du pouvoir selon Emmanuel Macron: la d faite du politi ue face un pr sidentialisme technocrati ue in: H tairie H. 1 2 17 S. 1-12 Vesting Thomas: Erosionen staatlicher Herrschaft: um Begriff des Politischen bei Carl Schmitt in: Archiv des öffentlichen Rechts 117 H. 1 1992 S. 4-45 inock Michel: Populismes fran ais in: Vingti me Si cle H. 56 1997 S. 77-91

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Ungleicher und kombinierter Populismus in der Europäischen Union. Ein theoretisches Modell der Interdependenz populistischer Erfolge in Europa Floris Biskamp

1.

Einleitung

In1 fast allen europäischen ändern ist in den letzten ahren ein Erstarken populistischer Parteien und Bewegungen zu beobachten. Auf der einen Seite kam es nach der ahrtausendwende zu einer neuen elle rechtspopulistischer Erfolge bei denen die ahlergebnisse der vergangenen Hochphasen teils deutlich bertroffen wurden.2 Auf der anderen Seite entstanden in riechenland Spanien rankreich und – wenn man Corbyn als populistisch einstuft – dem Vereinigten Königreich auch linkspopulistische Projekte die die Politik im jeweiligen and entscheidend mitprägen.3 Hinzu kommen Projekte wie der Movimento 5 Stelle in Italien die das alte populistische Credo weder links noch rechts so ernst nehmen dass eine klare Einordnung im konventionellen politischen Spektrum schwerfällt.4 ährend sich somit einerseits eine allgemeine Konjunktur von Populismus in Europa beschreiben lässt ist andererseits festzuhalten dass die populistischen Erfolge ualitativ wie uantitativ stark divergieren: Sowohl die politischen Programme der dominanten populistischen Projekte als auch das Ausma ihrer jeweiligen ahl- Erfolge unterscheiden sich von and zu and deutlich.

1 2 3 4

Das Manuskript dieses Beitrages wurde im März 2 1 verfasst. Spätere Entwicklungen in esellschaft Politik und wissenschaftlicher Debatte konnten daher nur in der berarbeitung und nur teilweise aufgenommen werden. odak The Politics of Fear S. 29-36 Priester Rechter und linker Populismus S. 23 -232 Decker ewandowsky Rechtspopulismus in Europa S. 21f. Kioupkiolis Katsambekis Radical Left Populism Priester Linkspopulismus S. 54f. Die linken Populismen scheinen aber mit der Europawahl 2 19 ihren enit berschritten zu haben. Priester Linkspopulismus S. 54f.

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Floris Biskamp

Im olgenden entwerfe ich ein theoretisches Modell um die Vielfalt der populistischen Erfolge in den verschiedenen europäischen ändern zu erklären. Daf r f hre ich das Konzept von ungleichem und kombiniertem Populismus ein. Mit diesem Modell vertrete ich die These dass die Unterschiede zwischen den populistischen Erfolgen in den verschiedenen ändern teilweise als Interdependenzen gedeutet und erklärt werden m ssen und dass der Positioniertheit des jeweiligen andes im politisch-ökonomischen System der Europäischen Union dabei eine entscheidende Rolle zukommen muss. Dieses Modell illustriere ich anhand dreier populistischer Projekte die ich in den verschiedenen Abschnitten als Beispiele anf hre: die Alternative f r Deutschland AfD in Deutschland der Rassemblement National ront National RN N in rankreich und die Synaspismos Rizospastikis Aristeras Syriza in riechenland. Diese allauswahl bietet eine f r das Modell sehr produktive Kombination aus hnlichkeit und Differenz. Dabei unterstelle ich keine politische und schon gar keine moralische uivalenz zwischen den drei Parteien. Im egenteil geht es unter anderem darum zu zeigen dass populistische Mobilisierung unter sehr unterschiedlichen Bedingungen erfolgreich sein kann und dabei sehr unterschiedliche ormen annimmt. Entsprechend kann man die drei Populismen auch normativ sehr unterschiedlich bewerten – aber diese normative rage klammere ich im vorliegenden Text weitgehend aus. Mein weiteres Vorgehen ist in sechs Schritte gegliedert. unächst definiere ich die f r mein Modell zentralen Konzepte und Theoreme 2 . Anschlie end beschreibe ich zwei offensichtliche ormen der Kombiniertheit populistischer Projekte in Europa 3 und die ebenso offensichtlichen länderspezifischen Ungleichheiten 4 . Dann komme ich zum Kern meines Modells nämlich zur Erläuterung inwiefern auch diese Unterschiede als politisch-ökonomische Interdependenzen zu deuten sind 5 . Danach gehe ich auf den eedback-Effekt ein den populistische Politik auf diese Konstellationen hat 6 und reflektiere abschlie end welche Arbeit zu tun ist um das hier skizzierte Modell auszubauen und zu pr fen 7 . 2.

Populismus – Begriff und Theorie

2.1

Populismus

Der Populismusbegriff ist notorisch umstritten. edoch findet in der wissenschaftlichen Debatte in den letzten ahren Cas Muddes Definition zu114

Ungleicher und kombinierter Populismus in der Europäischen Union

nehmend ustimmung der auch ich mich im olgenden anschlie e. Mudde zufolge ist Populismus a thin-centered ideology that considers society to be ultimately separated into two homogeneous and antagonistic groups the pure people and the corrupt elite and which argues that politics should be an expression of the volonte g n rale general will of the people. 5

Dieser Begriff von Populismus ist normativ neutral. Es ist möglich begr ndete normative Urteile ber konkrete populistische Projekte und ihre Auswirkungen zu fällen: Man kann darlegen wie gut oder schlecht sie jeweils f r Demokratie Menschenrechte reiheit leichheit eschwisterlichkeit das gute eben usw. sind. Dar ber hinaus kann man feststellen unter welchen Bedingungen welche positiven oder negativen Effekte von Populismus tendenziell berwiegen.6 Populistischsein an sich ist aus dieser Perspektive jedoch weder gut noch schlecht.7 Die Abgrenzung zwischen populistischer und nichtpopulistischer Politik ist prekär – dies gilt sowohl in Abgrenzung zu nichtpopulistischen Parteien der politischen Mitte als auch in Abgrenzung zu nichtpopulistischen Projekten der radikalen inken und Rechten. Ich möchte dieses Problem aber im olgenden ausklammern und operiere bei der Modellbildung als ob eine einfache Unterscheidung zwischen populistisch und nichtpopulistisch möglich wäre. Die Mehrheit der iteratur geht davon aus dass AfD RN N und Syriza zumindest in Bezug auf einige prägende Phasen als populistisch bezeichnet werden können. Es sind verschiedene ormen von Populismus zu unterscheiden. Die relevanteste Unterscheidung ist die zwischen linkem und rechtem Populismus auch als inklusiver und exklusiver Populismus bezeichnet. Der wichtigste Unterschied ist dabei das Bild des guten Volkes . Im idealtypischen inkspopulismus wird das Volk inklusiv bestimmt die Abgrenzung gegen die Eliten ist die einzig relevante Absetzung. Im idealtypi5 6 7

Mudde Rovira Kaltwasser Populism and (liberal) Democracy S. . Mudde Rovira Kaltwasser Populism and (liberal) Democracy; Mudde Rovira Kaltwasser Populism; Priester Rechter und linker Populismus S. 51-71. Die normative Neutralität des Populismuskonzepts gilt sowohl f r die linken Populismustheorien von Mouffe und aclau als auch f r die politischsoziologischen Ansätze von Mudde Priester usw. Ein egenmodell bilden dezidiert liberale Populismustheorien wie die von M ller dem zufolge Populismus immer antipluralistisch und ergo antidemokratisch ist vgl. M ller What is Populism? . Decker ewandowsky Rechtspopulismus in Europa S. 27-29 Priester Rechter und linker Populismus, S. 32-5 .

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Floris Biskamp

schen Rechtspopulismus wird das Volk dagegen ethnisch kulturell oder biologisch definiert und auch gegen Minderheiten oder Migrantinnen9 abgegrenzt. udem zeichnen sich rechte Populismen durch Autoritarismus in soziokulturellen ragen aus.1 Eine gewisse andlung hat sich in ökonomischen ragen vollzogen. ange bestand die rechtspopulistische Agenda auf diesem ebiet in der Ablehnung von Steuern B rokratie und sozialer Umverteilung – dies war neben Ethnonationalismus und Autoritarismus Teil der so genannten inning ormula des Rechtspopulismus. In der j ngsten elle rechtspopulistischer Mobilisierung vertreten jedoch einige Parteien der populistischen Rechten wirtschafts- und sozialpolitische Programme einer exkludierenden Solidarität bei denen sozialstaatliche Umverteilung f r das exklusiv definierte eigene Volk erhalten und verteidigt werden sollen.11 2.2

Die Repräsentationsl cke

Das f r mein Modell zentrale populismustheoretische Theorem ist das der Repräsentationsl cke. Demzufolge hat populistische Agitation dann die besten Erfolgsaussichten wenn relevante Teile der Bevölkerung sich von den etablierten Parteien nicht mehr angemessen repräsentiert f hlen. hen citizens feel that the political parties and governments do not listen to them and ignore their demands the possibility grows that populism becomes active at least within the constituencies that feel abandoned by the establishment. 12

Sich nicht repräsentiert f hlende ruppen sind demnach besonders empfänglich f r populistische Agitation in der das gute Volk gegen verräterische und korrupte Eliten mobilisiert wird um durch eine populistische Repräsentation wieder echte Volkssouveränität herzustellen.13 eht man von diesem Theorem aus dann sollten die politische Repräsentationsstruktur und ihre gef hlten cken in doppelter eise ber die 9

1 11 12 13

116

Der spachlichen Einfachheit halber verwende ich das generische emininum. enn der Kontext es nicht anders impliziert schlie en weibliche ormulierungen alle Personen unabhängig von ihrer eschlechtsidentität ein. Männer sind mitgemeint. Mudde Introduction to the populist radical right S. 4 Möller Invocatio Populi. de ange A New Winning Formula Bieling: Aufstieg des Populismus S. 557 erner Rechtspopulismus in der Eurokrise S. 245ff. Mudde Rovira Kaltwasser Populism S. 1 1. Mair Representative versus Responsible Government S. 17.

Ungleicher und kombinierter Populismus in der Europäischen Union

pportunitätsstrukturen f r populistische Mobilisierung entscheiden. Erstens m sste es uantitativ gelten: e grö er die sich nicht repräsentiert f hlenden Bevölkerungsgruppen sind desto grö er ist das populistische Mobilisierungs- und ählerinnenpotenzial. weitens m sste ein ualitativer usammenhang bestehen: e nach sozialer age und politischen Einstellungen der sich nicht repräsentiert f hlenden Bevölkerungsteile entscheidet sich durch welche Arten von Populismus diese erfolgreich mobilisiert werden können. Denn auch wenn die populistische Agitation und Repräsentation per definitionem immer im Namen des Volkes als anzem erfolgt ist das Volk im konkreten all durch je spezifische und somit partikulare positive oder negative Definitionen Symbole und Bilder bestimmt.14 udem geht das Repräsentationsversprechen in aller Regel mit einer nicht unbedingt realistisch und konkret ausgestalteten aber doch in spezifische Richtungen zielenden politischen Agenda einher – und nicht jede Agenda ist f r jedes Milieu attraktiv. Ein antietatistischer Populismus der in erster inie gegen Steuern Abgaben und Regulierungen agitiert spricht andere ruppen an als ein Umverteilungspopulismus der Ausbau oder Erhaltung des Sozialstaates einfordert. Ein Populismus der bestimmte Minderheiten als gefährliche Andere stigmatisiert vor denen das Volk besch tzt werden muss wird es schwer haben innerhalb dieser Minderheiten viele Anhängerinnen zu finden. eiterhin ist davon auszugehen dass Repräsentationsl cken durch Verschiebungen sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite entstehen können. enn sich die Sozialstruktur transformiert sich also die age bestimmter Milieus oder Klassen stark verändert bzw. neue Milieus und Klassen entstehen kann dies dazu f hren dass diese ruppen sich in der bestehenden Repräsentationsstruktur nicht mehr aufgehoben f hlen. Transformationen auf der Angebotsseite können zu Repräsentationsl cken f hren wenn etablierte Parteien ihr Programm oder ihr Auftreten so verändern dass sich Milieus die sich zuvor von diesen Parteien repräsentiert f hlten darin nicht mehr wiederfinden.15 2.3

Ungleichheit und Kombiniertheit

Das Kernmotiv des von mir hier vorgeschlagenen Modells besteht darin dass diese von and zu and unterschiedlichen Repräsentationsl cken 14 15

Mudde Rovira Kaltwasser Populism S. 9ff. erner Rechtspopulismus in der Eurokrise S. 241ff.

117

Floris Biskamp

keine blo en nationalen ufälle sind sondern sich zumindest teilweise aus den in hohem Ma e interdependenten Positionen ergeben die die jeweiligen änder in der internationalen politischen konomie einnehmen. Diese Interdependenzen betreffen insbesondere die Nachfrageseite die stark von der Sozialstruktur und den ukunftserwartungen innerhalb der Bevölkerung abhängt die wiederum von der ökonomischen age des andes abhängen die schlie lich von der Position des andes im internationalen Kontext abhängt. Das gilt f r die eng verflochtenen europäischen Volkswirtschaften in besonderem Ma e. Die Angebotsseite ist durch die Interdependenzen insbesondere dergestalt betroffen dass etablierte Parteien die Europäisierungs- und lobalisierungsprozesse politisch fördern f r deren Konse uenzen verantwortlich gemacht werden. eil die Differenzen zwischen den verschiedenen populistischen Projekten zumindest in Teilen auf Interdependenzen zwischen den ändern zur ckgehen spreche ich von ungleichem und kombiniertem Populismus. Damit nehme ich eo Trotzkis Konzept ungleicher und kombinierter Entwicklung 16 auf. Mit diesem Begriff verweist Trotzki darauf dass Entwicklung kein linearer Prozess ist der sich in verschiedenen ändern unabhängig voneinander zeitversetzt abspielt. Stattdessen betont er die Interdependenzen zwischen den Entwicklungsprozessen in unterschiedlich weit entwickelten ändern: Beispielsweise können die r ckschrittlichen änder auf ausländische Hochtechnologie zur ckgreifen die sie bei ihrem eigenen Entwicklungsstand selbst nicht entwickeln und produzieren könnten was den Entwicklungsprozess deutlich verändern kann – eine Agrarnation mit Mobiltelefonen und Internetzugang funktioniert anders als eine ohne. Hinzu kommen die mit Entwicklungsdifferenzen verbundenen wirtschaftlichen Abhängigkeiten die unter anderem darin bestehen dass die weniger entwickelten änder Schwierigkeiten haben in der Konkurrenz mit fortgeschrittenen eine Industrie aufzubauen so dass sie abhängig bleiben. In der olge entstanden andere Theorien – insbesondere Dependenztheorie und eltsystemtheorie – die dasselbe Motiv weiter ausarbeiten. Auch wenn das hier vorgeschlagene Modell in keinem ernsthaften Sinne trotzkistisch ist bietet Trotzkis Formulierung doch eine anschauliche und produktive Analogie um zu verdeutlichen dass die Unterschiede zwischen Populismen in verschiedenen ändern stark durch 16

11

In der deutschen Ausgabe ist von Ungleichmä igkeit die Rede dennoch hat sich in der deutschsprachigen Debatte die ormulierung ungleiche und kombinierte Entwicklung etabliert in der englischsprachigen uneven and combined development vgl. Trotzki Geschichte der russischen Revolution S. 9 .

Ungleicher und kombinierter Populismus in der Europäischen Union

Interdependenzen geprägt werden dass sie also in ihrer Ungleichheit kombiniert sind. 3.

Kombinierter Populismus: die offensichtlichen Formen der Kombiniertheit

Bevor ich in Abschnitt 5 auf die Kombiniertheit in der Ungleichheit zu sprechen komme gilt es zuerst die offensichtlicheren ormen der Kombiniertheit 3 und anschlie end die ebenso offensichtlichen Ungleichheiten 4 zu benennen. ffenkundige Kombiniertheit gibt es insbesondere in zwei ormen: um einen reagieren populistische Projekte in verschiedenen ändern auf dieselben länder bergreifenden Entwicklungen und Krisen 3.1 zum anderen beobachten sie einander wechselseitig und kooperieren ber nationale renzen hinweg 3.2 . 3.1

Parallele Reaktionen auf länder bergreifende Entwicklungen und Krisen

Es gibt insbesondere drei länder bergreifende Entwicklungen auf die populistische Projekte in verschiedenen Staaten reagieren: die lobalisierung und iberalisierung der konomie die Europäisierung der Politik sowie in den etablierten Demokratien die zentristische iberalisierung von sozialdemokratischem und konservativem Mainstream. Als Globalisierung und Liberalisierung der Ökonomie sind ökonomische Umstrukturierungsprozesse zu fassen die beginnend in den 197 er ahren und stark beschleunigt seit den 199 ern fast weltweit stattfanden. Die politische rundlage bilden die gemeinhin unter Neoliberalismus zusammengefassten Reformpolitiken die insbesondere die irtschaftsund Sozialpolitik betreffen aber auch auf andere ebensbereiche ausstrahlen. Augenfällige Konse uenzen dieser iberalisierungspolitiken sind der starke Anstieg von grenz berschreitenden aren- und Kapitalfl ssen – beides stieg nicht nur absolut sondern auch in Relation zum Bruttoinlandsprodukt rapide an – sowie vermehrte Migrationsbewegungen. Besonders prägend ist die beschleunigte Verlagerung von arbeitsintensiver Konsumg terproduktion Textilien Mikroelektronik und einigen Dienstleistungen nach Asien. Ein weiterer damit in Verbindung stehender Trend ist die zunehmende inanzialisierung der konomie also eine unahme der Bedeutung des inanzsektors gegen ber dem produzierenden ewer119

Floris Biskamp

be. Auch jenseits des inanzsektors gab es in vielen westlichen Volkswirtschaften eine Verschiebung der sektoralen usammensetzung hin zum Dienstleistungssektor. Sowohl die internen iberalisierungsprozesse als auch die lobalisierungsdynamiken und die Veränderung der Arbeitswelt f hren zu einer Schwächung der Arbeitnehmerinnenseite gegen ber den Unternehmen. udem werden damit bestimmte in der globalisierten konomie verwertbare ualifikationen Kompetenzen und Tugenden auf- andere die bis dato f hrend waren abgewertet. Auch Migration kann dazu f hren dass bestimmte Milieus verstärkter Konkurrenz ausgesetzt sind und ihre Position gefährdet sehen. usammengenommen f hren diese Transformationsprozesse zu Verschiebungen in der Sozialstruktur im Arbeitsleben und in ebenswelten – und somit auch zu deutlichen Veränderungen auf der Nachfrageseite politischer Repräsentation. Entsprechend ist davon auszugehen dass Repräsentationsl cken entstehen die f r populistische Mobilisierung genutzt werden können – eine These die in der Populismusforschung nicht unumstritten aber wohl etabliert ist.17 Eng mit lobalisierung und iberalisierung der konomie verbunden ist in Europa die Europäisierung der Politik seit der zweiten Hälfte des 2 . ahrhunderts. Die ahl der an der EU und ihren Vorläufern beteiligten Staaten stieg bis zum Brexit kontinuierlich an auch ualitativ ist bei allen Stockungen und R ckschritten eine langfristige Tendenz zur Vertiefung der Integration zu konstatieren. Politisch hei t europäische Integration insbesondere dass Entscheidungskompetenzen und Souveränität von der nationalen auf die europäische Ebene bertragen werden so dass Entscheidungen in einem Mehrebenensystem gefällt werden in dem nationale Parlamente und Regierungen geschwächt sind. eil europäische Integration als berwiegend negative Integration in erster inie wirtschaftliche Deregulierung bedeutet ist die Europäisierung der Politik eng mit der lobalisierung und iberalisierung der konomie verbunden.1 Der Abtritt nationaler Souveränität an die europäische Ebene ist ein naheliegender Ansatzpunkt f r populistische Mobilisierung die einen damit verbundenen Bedeutungsverlust von Volkssouveränität zugunsten der als Elitenprojekt kritisierten gegenwärtigen Europäischen Union skandalisiert. Die17

1

12

Vester Der Kampf um soziale Gerechtigkeit Bieling Aufstieg des Rechtspopulismus Mudde Rovira Kaltwasser Populism S. 1 1 117 Rovira Kaltwasser Explaining the Emergence S. 2 1-2 Streeck Gekaufte Zeit S. 96-12 Manow Politische Ökonomie des Populismus S. 3 -69 Koppetsch Gesellschaft des Zorns S. 94-14 . Scharpf Negative und positive Integration Streeck Gekaufte Zeit S. 1 3-266.

Ungleicher und kombinierter Populismus in der Europäischen Union

se Mobilisierung kann eher demokratisch oder autoritär pro-europäisch oder nationalistisch radikal oder gemä igt auftreten aber sie prägt die verschiedenen populistischen Projekte in Europa deutlich.19 In den etablierten westlichen Demokratien ist drittens eine verbreitete zentristische Liberalisierung der gro en Parteien zu beobachten: Sowohl die gro en sozialdemokratischen und sozialistischen als auch die gro en konservativen Parteien r ckten von links und rechts sukzessive in ein liberales entrum. ährend die Mitte- inks-Parteien sich nach R ckschlägen in den 197 er und 19 er ahren zunehmend einem wirtschaftlichen iberalismus zuwandten und ihre Identität darin fanden moderner und weltoffener zu sein als ihre konservativen egner öffneten sich im egenzug auch letztere nach und nach in soziokulturellen ragen. Diese Tendenz ist mit den beiden erstgenannten eng verbunden: mit ihrer iberalisierung schwenken die konservativen und sozialdemokratischen Parteien einerseits auf den Neoliberalismus andererseits auf die europäische Integration ein. Damit verschiebt sich die Angebotsseite der politischen Repräsentation deutlich so dass sowohl in traditionell links als auch in traditionell rechts wählenden Milieus unrepräsentierte Marktl cken entstehen.2 Dem Theorem der Repräsentationsl cke zufolge ist damit zu rechnen dass diese Verschiebungen in Angebot Nachfrage und politischem System auch neue Möglichkeiten f r populistische Mobilisierung entstehen lassen. Insbesondere liegt der Schluss nahe dass drei einander mithin berschneidende ruppen sich schlecht repräsentiert f hlen und ergo f r populistische Mobilisierung empfänglich werden: diejenigen die die eigene soziale Situation und Sicherheit durch lobalisierungsprozesse zur ckgesetzt oder gefährdet sehen reale potenzielle oder sich selbst als solche wahrnehmende Modernisierungsverliererinnen diejenigen die in soziokulturellen ragen stark konservative Ansichten vertreten die die konservativen Parteien nach ihrer iberalisierung nicht mehr repräsentieren diejenigen die sich in wirtschaftlichen ragen von linken Parteien auf die eine oder andere eise – z. B. als Arbeit gegen das Kapital – repräsentiert sahen und nun nicht mehr sehen. 19 2

Bieling Aufstieg des Rechtspopulismus S. 561f. Rovira Kaltwasser Explaining the Emergence S. 2 6ff. Rovira Kaltwasser Explaining the Emergence S. 19 ff. erner Rechtspopulismus in der Eurokrise S. 243ff. Mouffe On the Political S. 35- 9 Bieling Aufstieg des Rechtspopulismus S. 562f.

121

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Die politischen Konse uenzen dieser langfristigen Trends wurden in den letzten ahren durch zwei gro e Krisen verschärft die populistische Mobilisierung weiter beg nstigen: Dies sind erstens die ro e Rezession mit ihren diversen Sub-Krisen inanzkrise iskalkrise Eurokrise usw. seit 2 sowie zweitens die als l chtlingskrise bekanntgewordene Krise des europäischen Migrationsregimes seit 2 15.21 Auf einem entsprechenden Abstraktionsniveau kann man tatsächlich feststellen dass RN N AfD und Syriza bei all ihren Unterschieden in einige der durch diese Prozesse und Krisen aufgerissenen Repräsentationsl cken gesto en sind und sich dort eine ählerinnenbasis aufbauen – im alle von Syriza und AfD um erstmalig eine solche Basis zu etablieren im alle des RN N um die bestehende Basis zu verbreitern und zu verschieben. Auch wenn sich – wie in den folgenden Kapiteln ausgef hrt – sowohl die Entwicklungen in den verschiedenen ändern als auch die Repräsentationsstrategien der populistischen Projekte deutlich voneinander unterscheiden kann man so von einer kombinierten Entwicklung in orm einer parallelen Reaktion auf länder bergreifende Entwicklungen sprechen. In ihrer populistischen Mobilisierung wenden sich AfD RN N und Syriza gegen Aspekte und olgen der lobalisierung gegen bestimmte europäische Politiken und Institutionen sowie gegen etablierte Parteien die sie als ununterscheidbar kritisieren. Die soziale Basis all dieser populistischen Projekte lässt sich entsprechend in erster Näherung als ein B ndnis zwischen statusunsicheren oder verarmten Mittelschichten und Menschen aus dem unteren sozialen Segment 22 beschreiben. 3.2

echselseitige Beobachtung und Kooperation ber weg

renzen hin-

Auf diese bergreifenden Entwicklungen reagieren die populistischen Projekte in den verschiedenen ändern nicht unabhängig voneinander. Vielmehr beobachten sie sich wechselseitig und kooperieren in vielfältiger eise miteinander. echselseitige Beobachtung findet im Negativen wie im Positiven statt: Populistische Akteurinnen reflektieren regelmä ig öffentlich dar ber welche Strategien in anderen ändern erfolgreich sind 21 22

122

erner Rechtspopulistische Opposition in der Eurokrise Priester Linkspopulismus S. 5 . Als weiterer zuspitzender aktor trat die erneute Serie djihadistischer Anschläge seit 2 15 hinzu. Priester Linkspopulismus S. 57-5 .

Ungleicher und kombinierter Populismus in der Europäischen Union

oder scheitern und welche in das eigene and bertragen werden können. ber solche eher indirekten usammenhänge hinaus gibt es zunehmend auch länder bergreifende Kooperationen zwischen populistischen Projekten – diese reichen von der Teilnahme einiger Spitzenfunktionärinnen an Veranstaltungen in anderen ändern bis zur Bildung von raktionen im Europäischen Parlament. Diese Kooperationen bleiben freilich weitgehend nach links und rechts aufgeteilt.23 eil die populistische inke in Europa bislang insgesamt ein relativ berschaubares und junges Phänomen darstellt sind auch ihre Kooperationen bislang wenig ausgeprägt und stetig. u nennen ist hier insbesondere die Verbindung zwischen Syriza und Podemos deren Abgeordnete auch Mitglieder derselben raktion im EP sind UE N . Aufgrund unterschiedlicher Strategien und Positionen – Podemos ist expliziter populistisch und will eher als jenseits von rechts und links wahrgenommen werden Syriza ist dezidiert links – ebbte die zwischenzeitlich öffentlich inszenierte Kooperation aber schnell ab. Dar ber hinaus werden auch linkspopulistische und andere innovative linke Projekte au erhalb Europas aufmerksam beobachtet – dies gilt insbesondere f r den lateinamerikanischen inkspopulismus sowie f r ccupy all Street und die Präsidentschaftskampagne von Bernie Sanders in den USA.24 Ausgeprägter sind die Kooperationen im insgesamt breiter aufgestellten europäischen Rechtspopulismus: Es gibt ausf hrliche Strategiedebatten dar ber welche Strategien aus anderen ändern in das eigene bertragbar sind es kommt regelmä ig zu gemeinsamen Auftritten rechtspopulistischer Politikerinnen aus verschiedenen ändern und es finden sich zahlreiche rechtspopulistische Parteien im Europäischen Parlament die ber mehrere raktionen verteilt sind. Das grö te Hindernis bei der Kooperation bildet das unterschiedliche Ausma in dem die verschiedenen Projekte als rechts oder rechtsextrem auftreten bzw. stigmatisiert sind. r Projekte die auf eine ahrnehmung als respektable demokratische Kraft zielen oder die als Stimme jenseits von rechts und links wahrgenommen werden möchten kann die öffentliche Assoziation mit eindeutig als rechtsextrem verstandenen Projekten toxisch sein.25

23 24 25

Auch hier bildet der Movimente 5 Stelle eine schwer zu fassende Ausnahme vgl. Priester Linkspopulismus S. 54f. . arcia Agustin Briziareli Introduction S. 3ff. 16f. Kioupkiolis Katsambekis Radical Left Populism Candeias Völpel Plätze sichern S. 91-2 3. McDonnel erner Respectable Radicals.

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4.

Ungleicher Populismus: länderspezifische Faktoren

4.1

Unterschiedliche Ausprägungen der länder bergreifenden Prozesse

Trotz all dieser bergreifenden Entwicklungen der wechselseitigen Beobachtung und der verschiedenen ormen von Kooperation lässt sich nicht einmal der Tendenz nach eine Konvergenz verschiedener populistischer Projekte beobachten – nicht im Rechtspopulismus nicht im inkspopulismus und erst recht nicht im Populismus insgesamt. Vielmehr besteht sowohl im linken als auch im rechten Populismus eine von and zu and divergierende Vielfalt populistischer Projekte. Die unterschiedlichen Ausprägungen von Populismus in den verschiedenen ändern können in Teilen auf länderspezifische aktoren zur ckgef hrt werden. Diese nationalen und regionalen Spezifika f hren zunächst dazu dass die drei oben genannten länder bergreifenden Entwicklungen in verschiedenen ändern auf unterschiedliche Bedingungen treffen zu unterschiedlichen eitpunkten einsetzen in unterschiedlichen eschwindigkeiten verlaufen unterschiedliche ormen annehmen und in unterschiedlichen Intensitäten vollzogen werden – mit den entsprechenden Konse uenzen f r populistische Mobilisierungschancen. Auch wenn lobalisierung und iberalisierung der konomie globale Entwicklungen sind gibt es deutliche regionale und nationale Differenzen. Auf die drei hier fokussierten änder bezogen: ährend die neoliberale ende in Deutschland und rankreich auf entwickelte ohlfahrtsstaaten des konservativ-korporatistischen Typs stie fand sich in riechenland nur ein eher rudimentärer ohlfahrtsstaat. In Deutschland besteht die Besonderheit dass ab 199 die änder der ehemaligen DDR in die BRD integriert und dabei in weiten Teilen deindustrialisiert wurden. ährend der Sozialstaat in Deutschland unmittelbar nach der ahrtausendwende im Rahmen der Agenda 2 1 von Seiten einer sozialdemokratischen Regierung neoliberal reformiert wurde nahmen entsprechende Reformversuche in rankreich bislang nur verhältnismä ig zur ckhaltende ormen an bzw. scheiterten sie immer wieder an gewerkschaftlichem iderstand. In riechenland bedeutete neoliberale Reformpolitik bis zur Eurokrise in erster inie eine zunehmende ffnung der irtschaft f r aren Kapital und Dienstleistungen aus dem Ausland und damit eine Expansion der entsprechenden Dienstleistungs- Sektoren. ährend Deutschland den Anteil des industriellen Sektors am BIP auf einem f r ECD-Staaten vergleichsweise hohen Niveau hielt ist der Anteil in rankreich stärker zur ckgegangen und in riechenland schon lange auf einem der niedrigsten Niveaus aller 124

Ungleicher und kombinierter Populismus in der Europäischen Union

ECD-Staaten. Auch Arbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit entwickelten sich in den drei ändern sehr unterschiedlich – sowohl im Ausma als auch in der Verteilung ber Milieus und Altersgruppen.26 Entsprechend fallen die im Rahmen dieses Prozesses stattfindenden sozialstrukturellen Verschiebungen unterschiedlich aus – und mit ihnen die nachfragebedingten Repräsentationsl cken. Es ist relativ deutlich dass die politische Agenda der drei Projekte auf die Situation des jeweiligen andes eingeht. Die vorliegenden Daten f r die usammensetzung der ählerinnenschaft der drei hier diskutierten populistischen Parteien sind leider weder gleichartig noch gleich gut und insofern nur bedingt f r direkte Vergleiche geeignet. Die Daten deuten jedoch an dass die unterschiedlichen ökonomischen Positionen der drei änder sich in der populistischen Basis widerspiegeln. So wird der Erfolg des RN N bei der Mobilisierung von Arbeiterinnen und deprivilegierten Milieus allgemein höher eingeschätzt als der der AfD die nach wie vor als Partei der Mittelschicht gilt. Dass die AfD bei jungen ählerinnen weniger erfolgreich ist als bei denen mittleren Alters der RN N dagegen gerade unter jungen Menschen viele Anhängerinnen findet kann in einen usammenhang mit der deutlich höheren ugendarbeitslosigkeit in rankreich gebracht werden.27 Auch die Europäisierung der Politik differenziert sich in mehrfacher Hinsicht aus: Einige Staaten sind Teil der EU und des Schengen-Raums andere nur Mitglieder des einen oder des anderen einige EU-Staaten sind Mitglied der ährungsunion andere nicht. udem haben die verschiedenen Staaten je nach Bevölkerungsgrö e und irtschaftsstärke einen sehr unterschiedlichen Einfluss auf europäische Politik. Eng damit verbunden ist die Tatsache dass einige änder u. a. Deutschland und rankreich Nettozahler andere u. a. riechenland Nettoempfänger von EU-Mitteln sind. Diese unterschiedliche Positioniertheit spielt in der populistischen Mobilisierung eine Rolle zwar mobilisieren RN N AfD und Syriza alle im Namen nationaler Souveränität gegen gewisse europäische Institutionen aber unter sehr unterschiedlichen Vorzeichen: Der RN N moniert dass die europäische Integration in rankreich Arbeitsplätze und der Neoliberalismus die Arbeiterinnen Sicherheit koste entsprechend hat die Partei sich in den letzten ahren mit einem sozialpolitischen Programm aufge26 27

Haug Stoy Deutschland ux Frankreich Chasoglou: Griechenland. u den ählerinnen der AfD siehe riedrich Die AfD S. 2-95 Vester Der Kampf um soziale Gerechtigkeit Vehrkamp egschaider: Populäre Wahlen Bergmann Diermeier Niehues Die AfD. u den ählerinnen des RN N siehe Stockemer The Front National in France S. 79-92.

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stellt das auf ökonomische Umverteilung von oben nach unten zielt wenn auch nationalistisch-exklusiv.2 Eine der zentralen Ideen bei der r ndung der AfD war die Vorstellung dass Deutschlands flei ige Steuerzahlerinnen f r die aulen anderer änder insbesondere in riechenland zahlten. Auch wenn der nationalliberale l gel um Bernd ucke und laf Henkel die Partei nach 2 15 grö tenteils verlie hat dies bis dato weniger zu einer Revision des neoliberalen Programms in irtschafts- und Sozialpolitik gef hrt als vielmehr dazu dass diese Themen insgesamt hinter Migrationspolitik und soziokulturelle Themen zur cktraten.29 Syrizas Mobilisierung zielte dagegen insbesondere gegen die Troika bzw. die Institutionen E B Kommission I und die von diesen als Auflagen f r weitere Kredite erzwungenen Austeritätsma nahmen.3 Die zentristische iberalisierung sozialdemokratischer und konservativer Parteien betrifft ohnehin nur die etablierten Demokratien – weil es in den ehemaligen Staaten des arschauer Pakts keine entsprechenden Traditionsparteien gibt konnten sie sich auch nicht transformieren. Aber auch in den westlichen ändern trifft diese Entwicklung auf deutlich verschiedene Bedingungen und nimmt unterschiedliche ormen an. In Deutschland war die SPD spätestens seit dem Verbot der KPD die primäre Vertreterin von Arbeiterinnen die PS in rankreich hat ihre traditionelle Basis dagegen eher bei Staatsbediensteten während Arbeiterinnen lange eit von der Kommunistischen Partei vertreten wurden. Mit ihrer unterschiedlich ausgeprägten Repräsentation von Arbeiterinnenmilieus beerbt der RN N also eher die in Bedeutungslosigkeit versunkene Kommunistische Partei die AfD dagegen eher die liberalisierte SPD. Die von Syriza zwischenzeitlich besetzte Repräsentationsl cke dagegen ist anderer Natur und ergab sich daher dass die bis dato dominante links-zentristische PAS K aufgrund der Kooperation mit der Troika im Rahmen der Austeritätspolitik fast völlig in der Bedeutungslosigkeit verschwunden war und auch die Nea Dimokratia stark geschwächt wurde.31 Ebenso wie die drei längerfristigen länder bergreifenden Entwicklungen trafen auch die beiden ereignishaften Krisen die drei änder in unterschiedlichem Ausma und unterschiedlicher eise – jeweils mit Auswirkungen f r ihre populistische Bearbeitung. Die ökonomische Krisenkaskade traf riechenland am härtesten und machte das and politisch von 2 29 3 31

126

Stockemer The Front National S. 24-26 32-41 91-97. riedrich Die AfD S. 46-54 71- 1 11 -121. Priester Linkspopulismus S. 56f. Mudde Syriza S. vi ff. 3 ff. Priester Linkspopulismus S. 56f.

Ungleicher und kombinierter Populismus in der Europäischen Union

seinen läubigerinnen abhängig. Diese Abhängigkeit und die damit einhergehenden Rettungs - ahlungen f hrten in riechenland und Deutschland zu populistischer Mobilisierung unter entgegengesetzten Vorzeichen wobei rankreich und somit auch die Agenda des RN N eher eine wischenposition einnimmt. Die l chtlingskrise traf Deutschland als wichtigstes ielland anders als das Transitland riechenland und spielte eine zentrale Rolle f r die 2 15 vor dem Aus stehende AfD.32 Dass Syriza auf eine populistische Mobilisierung gegen l chtende verzichtet ist eines der Merkmale die sie als linkspopulistische Kraft von den rechten Populismen unterscheidet.33 4.2

Populistische Pfadabhängigkeiten und ufälle

Unterschiede zwischen den populistischen Projekten werden dar ber hinaus durch parteipolitische Pfadabhängigkeiten und ufälle hervorgebracht. Dies zeigt etwa der Vergleich zwischen der Entwicklung von Rechtsparteien in Deutschland und rankreich. In rankreich gelang es dem neofaschistisch ausgerichteten RN N schon seit den 197 ern sich zu etablieren. Erst nach dem hrungswechsel von ean-Marie e Pen zu Marine e Pen und der von letzterer verfolgten Entdiabolisierungsstrategie wurde daraus eine rechtspopulistische Partei im engeren Sinne.34 Vergleichbare Versuche auch in Deutschland Rechtsparteien zu etablieren waren in der zweiten Hälfte des 2 . ahrhunderts deutlich weniger erfolgreich – wohl auch weil das Rechtsparteien anhaftende Stigma aus historischen r nden noch stärker ist als in rankreich. udem gab es von den existierenden Rechtsparteien keine ernstzunehmenden der Entdiabolisierung entsprechenden Versuche einer populistischen ffnung. Stattdessen bedurfte es in Deutschland zunächst der Etablierung eines neoliberalen Anti-EuroPopulismus in der Eurokrise der im olgenden von dezidiert rechten Kräften bernommen wurde und dank der l chtlingskrise berlebte um eine erfolgreiche rechtspopulistische Partei zu etablieren.35 Dies zeigt dass die Entwicklung populistischer Projekte von Pfadabhängigkeiten und ufällen geprägt ist. Strukturelle Repräsentationsl cken 32 33 34 35

riedrich Die AfD S. 66-71. Mudde Syriza S. 35 Stockemer The Front National S. 7-26. Decker ewandowsky Rechtspopulismus in Europa S. 32-34 AfD S. 46- 1.

riedrich Die

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bieten zwar eine Chance f r populistische Mobilisierung ob und von wem diese Chance genutzt wird ist dagegen hochgradig kontingent und hängt nicht zuletzt auch von einzelnen ufällen ab – im weifel auch vom Auftreten oder Nichtauftreten einer charismatischen hrungsfigur. 4.3

Varieties of Capitalism – Varieties of Populism?

Bliebe man mit der Modellierung an dieser Stelle stehen m sste man von einer allgemeinen durch länder bergreifende Entwicklungen bestimmten populistischen Tendenz ausgehen die sich dann nach nationalen Spezifika ausdifferenziert. Die Populismen wären kombiniert aber ungleich. Dann könnte man festhalten dass die Varieties of Capitalism eben Varieties of Populism produzieren. Ein solches theoretisches Modell hätte einige Aussagekraft jedoch fehlte dabei eine entscheidende Dimension: Die Spezifika der verschiedenen änder sind keine voneinander unabhängigen nationalen ufälle sondern in gewissem Ma e selbst das Ergebnis von internationalen Interdependenzen. Eben dies ist die Pointe des hier vorgeschlagenen Modells: Die Populismen sind nicht nur kombiniert, aber ungleich, sondern in ihrer Ungleichheit kombiniert. 5.

Differenz als Interdependenz, Ungleichheit als Kombiniertheit

ill man die Ungleichheit der Populismen als Kombiniertheit verstehen gilt es herauszuarbeiten inwiefern die oben dargestellten unterschiedlichen Mobilisierungsbedingungen interdependent sind bzw. auf Interdependenzen zwischen den ändern zur ckgehen. Es gilt zu zeigen dass die Repräsentationsl cken in rankreich Deutschland und riechenland die unterschiedlichen populistischen Projekten als Basis f r ihre ualitativ unterschiedliche und in unterschiedlichem Ausma erfolgreiche Mobilisierung dienen mehr sind als Ausdr cke eines durch zufällig differente nationale Spezifika berformten allgemeinen Trends sind: nämlich auch notwendig unterschiedliche Seiten derselben Medaille weil die änder unterschiedliche Rollen in der politischen konomie der EU einnehmen.

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Ungleicher und kombinierter Populismus in der Europäischen Union

5.1

irtschaftliche Abhängigkeiten in der EU

Der entscheidende Transmitter f r die Kombiniertheit ungleicher pportunitätsstrukturen in den verschiedenen ändern sind die durch Unterschiede in der ettbewerbsfähigkeit produzierten eistungsbilanzungleichgewichte. Schon lange vor der Etablierung der europäischen Union gab es in Europa wirtschaftliche Ungleichgewichte. Auch wenn die EU in gro em Umfang Ma nahmen zur Stärkung strukturschwacher Regionen und änder vollzieht und insofern auf einen Ausgleich hinwirkt hat die Tendenz zur negativen Integration insgesamt doch dazu gef hrt dass sich die Ungleichgewichte innerhalb Europas verstärkten. Schon die Einf hrung des Binnenmarktes und der ollunion f hrte dazu dass die einzelnen änder nicht mehr in der age waren Importe aus anderen Mitgliedsstaaten zu erschweren um den Abfluss von Devisen zu verhindern oder die Produktion im eigenen and vor ausländischer Konkurrenz zu sch tzen. In den Euro- ändern wurde dieser Verlust wirtschaftspolitischer Souveränität durch die Einf hrung der emeinschaftswährung verstärkt die den einzelnen nationalen Regierungen zusätzlich die Möglichkeit nahm Ungleichgewichte durch ährungsabwertung auszugleichen. egen ber anderen Euro- ändern wird eine solche Politik schlicht unmöglich gegen ber Nicht-Euro- ändern ist sie der Kontrolle der einzelnen Regierungen entzogen. Ein weiterer Effekt der Euro-Mitgliedschaft bestand zunächst darin dass wirtschaftlich und fiskalisch schwächere änder g nstiger an Kredite kamen was den Kapitalfluss in diese änder erleichterte.36 Die unter 4.1 angef hrten wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den ändern sind daher interdependent und verstärken sich unter dem Einfluss der europäischen Integration was zur Ausweitung der rundlage f r populistische Mobilisierung beiträgt. Diese Dynamiken betreffen zunächst insbesondere riechenland das wirtschaftlich gegen ber den anderen Euro- ändern nicht konkurrenzfähig war und ohnehin nur unter Umgehung der Beitrittskriterien Mitglied der Eurozone werden konnte. ährend es den reicheren B rgerinnen in riechenland durch Binnenmarkt und ährungsunion erleichtert wurde ausländische uxus- Produkte zu kaufen verschlechterten sich f r das produzierende ewerbe die Chancen Absatzmärkte zu finden und Arbeitsplätze zu erhalten oder zu schaffen. Die sozialen Konse uenzen die36

Streeck Gekaufte Zeit S. 19 -267 279-292 Scharpf Negative und positive Integration lassbeck apavitsas Against the Troika.

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ser Dynamik konnten zunächst durch den Kapitalzufluss aufgefangen werden der mit dem eistungsbilanzdefizit notwendig einhergeht. Dieser ermöglichte eine Expansion von inanz- und Bausektor was zunächst Arbeitsplätze und kreditbasierte Konsummöglichkeiten schaffte. udem konnte der öffentliche Sektor aufgrund der verhältnismä ig g nstigen öffentlichen Kredite weiter expandieren und viele Angestellte aufnehmen. eil es sich bei diesem ufluss von Kapital jedoch in hohem Ma e um private und öffentliche Kredite handelte denen keine expandierende Produktion gegen berstand löste er das Problem nicht sondern verdeckte es nur was im Kontext der Krise seit 2 deutlich sichtbar wurde.37 Diese griechische Entwicklung ist nicht nur ein Resultat europäischer Integration sie steht auch f r direkte Interdependenzen mit Deutschland und rankreich. Deutschland ist der mit Abstand grö te Exporteur von aren nach riechenland und der zweitgrö te Importeur von aren aus riechenland. bwohl die Exporte nach riechenland nur 4 des deutschen esamtexportvolumens ausmachen sind dies 5 2 Mrd. Importvolumen: 1 9 Mrd. im ahr und f r die deutlich kleinere griechische konomie von erheblichem ewicht.3 ährend die französisch-griechischen Handelsbeziehungen weitaus schwächer sind als die deutsch-griechischen hatten die finanziellen Verflechtungen zu Beginn der Eurokrise ähnliche Ausma e: ranzösische Banken und deutsche Banken zählten zu den Hauptgläubigern des griechischen Staates sodass sie im alle einer ahlungsunfähigkeit oder eines Schuldenschnitts massiv bedroht waren. So hatten beide änder deutliche Anreize f r eine Rettung riechenlands.39 Verschärft und verschoben wurden die bestehenden innereuropäischen Ungleichgewichte weiterhin durch die deutsche Agenda 2 1 -Politik mittels derer das von der iedervereinigung wirtschaftlich geschwächte Deutschland die eigene irtschaft nach der ahrtausendwende wieder wettbewerbsfähig zu machen suchte. Diese Reformen trugen zu einem deutlichen R ckgang der ohnst ckkosten und auch der Inflation in Deutschland bei die deutlich unter dem f r die Eurozone vereinbarten ielwert von 2 blieb. Entsprechend nahmen die deutschen Export bersch sse deutlich zu. In der olge stieg auch der Au enhandels berschuss gegen ber dem grö ten Handelspartner rankreich deutlich an. Diese massiven Au enhandels bersch sse gehen mit einem Export von Arbeits37 3 39

13

Streeck Gekaufte Zeit, S. 219-229 Illing Die Eurokrise S. 35-3 53-59 Chasoglou Griechenland. ahlen f r 2 17 vgl. Statistisches Bundesamt Außenhandel S. 2. Illing Eurokrise S. 6f.

Ungleicher und kombinierter Populismus in der Europäischen Union

losigkeit einher. Entsprechend sind die sich zwischen Deutschland und rankreich unterscheidenden Ausma e von Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit ebenfalls interdependent.4 So zeigt sich dass die unter 4.1 diskutierten nationalen Spezifika in hohem Ma e interdependent sind: Die politisch-ökonomischen Entwicklungen in Deutschland rankreich und riechenland sind in ihrer Ungleichheit kombiniert. Daher gilt dasselbe auch f r die dabei produzierten Repräsentationsl cken und die populistischen Projekte die sie ausnutzen. Dani Rodrik und Philip Manow gehen in einer ähnlichen Argumentation davon aus dass inkspopulismus in den s deuropäischen ändern erfolgreich ist wo der freie luss von aren und Kapital ökonomische Probleme verursache 41 Rechtspopulismus habe dagegen in den konomien Nord- und Mitteleuropas bessere Chancen und richte sich primär gegen die von Teilen der Bevölkerung als ökonomisch bedrohlich wahrgenommene Migration. Alban erner hypothetisiert in Bezug auf rechte Populismen einen Unterschied zwischen berschusspopulismus und Defizitpopulismus .42 olgt man dieser Einteilung m sste die AfD in erstere der RN N in letztere Kategorie fallen. eil berschuss und Defizit nur in Abhängigkeit voneinander existieren können sind die berschuss- und Defizitpopulismen keine nationalen Eigent mlichkeiten sondern unterschiedliche politische Seiten derselben ökonomischen Medaille. 5.2

Politische Abhängigkeiten in der EU

Verstärkt werden diese ökonomisch bedingten kombinierten Ungleichheiten durch politische Abhängigkeiten. Auch wenn alle EU-Staaten Kompetenzen an die supranationale Ebene abgetreten haben sind nicht alle in symmetrischer eise Br ssel unterworfen . Der Einfluss einiger Regierungen auf die supranationalen Entscheidungen ist weitaus grö er als der anderer. Deutschland und rankreich als der gemeinsame Motor der EU sind weitaus gewichtiger als riechenland. Aber auch zwischen den beiden gro en Staaten bestehen deutliche Ungleichgewichte. ährend die Idee einer Einheitswährung zunächst stärker von rankreich gefördert wurde konnte Deutschland seine Teilnahme an die Bedingung kn pfen 4 41 42

lassbeck apavitsas Against the Troika S. 21-3 . Manow Politische Ökoonomie des Populismus S. 3 -69 Rodrik Populism and the political economy of globalization. erner Rechtspopulismus in der Eurokrise S. 245.

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Floris Biskamp

dass der Euro nach Vorbild der Deutschen Mark eine harte ährung werden und die Europäische entralbank nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank agieren sollte.43 Im Rahmen der Rettungspolitik gegen ber riechenland bezogen Deutschland und rankreich unterschiedliche Positionen: Deutschland bef rwortete harte Austerität während das ebenfalls mit fiskalischen Problemen kämpfende rankreich einen weniger harten Kurs bef rwortete. Auch hier setzte sich der von zahlreichen kleineren ändern gest tzte deutsche Kurs letztlich durch.44 Es passt zu diesen politischen Konstellationen dass Deutschland und riechenland in der populistischen Mobilisierung im jeweils anderen and eine zentrale Rolle spielen: Deutschland in riechenland als Repräsentant und Hauptverantwortlicher f r die Austeritätspolitik 45 riechenland in Deutschland als fauler und undankbarer Empfänger von Hilfe – das letztere Bild spielte zumindest in den r ndungsjahren der AfD 2 13 und 2 14 eine zentrale Rolle wurde aber nie ganz aufgegeben. Auch in rankreich gilt Deutschland als verantwortlich f r die Sparpolitik so dass auch Marine e Pen unterstreicht dass rankreich sich Deutschland widersetzen d rfe.46 enn also in allen drei ändern das Volk populistisch gegen EU-Eliten mobilisiert wird dann doch in einer je eigenen eise in der sich die realen und interdependenten Positionen der änder innerhalb der politischen Konstellationen spiegeln. 6.

Populistisches Feedback von unterschiedlicher Stärke in unterschiedlicher Richtung

edoch ist Populismus nicht blo ein Effekt den das politische und ökonomische System zeitigt. Die populistische Politik selbst wirkt in intendierten und unintendierten eisen auf dieses System zur ck erschwert manche Politiken und beg nstigt andere. Diese irkungen populistischer Politik beeinflussen dann wiederum die pportunitätsstrukturen f r weitere populistische Agitation – sie können sie stabilisieren oder destabilisie43 44 45 46

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lassbeck apavitsas Against the Troika S. 5-2 . Illing Eurokrise. Priester Linkspopulismus S. 56f. Vgl. e Pen Wir dürfen uns Deutschland Widersetzen. Auch f r den französischen inkspopulismus ist Deutschland aufgrund seiner irtschaftspolitik ein wichtiges eindbild und wird mit der Elite identifiziert gegen die das Volk mobilisiert wird vgl. Priester Linkspopulismus S. 56f. .

Ungleicher und kombinierter Populismus in der Europäischen Union

ren. Das populistische eedback kann ber verschiedene Kanäle erfolgen. Denkbar sind eine direkte Beeinflussung europäischer Politik eine direkte Beeinflussung nationaler Politik durch Regierungsbeteiligung sowie eine indirekte Beeinflussung nationaler Politik durch populistischen Druck auf Regierungsparteien. ie stark der Effekt dieses eedbacks ausfällt hängt von der Stärke des Projekts im jeweiligen and von der Stärke des jeweiligen andes innerhalb Europas sowie vom ahlsystem des andes ab. Im alle Syrizas war die Stärke der Partei im nationalen Rahmen ber ahre hinweg sehr gro – sie war der dominante Partner einer weiparteienkoalition – aber die Handlungsfähigkeit des griechischen Staates denkbar gering. Von einem im engeren Sinne populistischen Projekt kann hier nur in bestimmten Phasen die Rede sein – nämlich in erster inie in Bezug auf die ahlkämpfe vor der Regierungs bernahme 2 15 und in Bezug auf das Referendum im selben ahr. Nach den Erfolgen an der ahlurne zeigte sich aber dass die damit real gewonnene Macht begrenzt ist – insbesondere aufgrund der ökonomischen und politischen Abhängigkeiten innerhalb Europas. aktisch entschied sich die Partei f r eine Sozialdemokratisierung: Durchaus ähnlich wie PAS K und ND zuvor kooperierte man mit den Institutionen – mit dem bekannten Argument dass dies f r die griechische Bevölkerung noch das verhältnismä ig geringste bel sei und den bekannten Konse uenzen an der ahlurne 2 19. So scheint eine erfolgreiche populistische Mobilisierung in einem abhängigen and wenig Veränderung bewirken zu können. Dies gilt insbesondere weil riechenland kaum realistische Möglichkeiten hat die Abhängigkeit zu berwinden ohne gro en Teilen der Bevölkerung starke ohlfahrtseinbu en zuzumuten. eil die erfolgreich eroberten Institutionen wenig ewicht haben war das populistische eedback auf das ökonomische und politische System Europas im alle der griechischen Syriza demnach eher gering.47 Im alle der AfD ist das Verhältnis gerade umgekehrt: Die Partei hat trotz eines rasanten Aufstiegs und ihres Einzugs in alle seit 2 14 gewählten andtage sowie den Bundestag nur einen indirekten und begrenzten Einfluss auf die deutsche Regierungspolitik – aber diese Regierung hat in Europa umso mehr ewicht. Der Einfluss der AfD geht primär auf das Interesse der anderen Parteien zur ck die Abwanderung von ählerinnen an den sich etablierenden Rechtspopulismus zu verhindern oder zu vermindern. Entsprechend lassen sich nicht nur in der Christdemokratie sondern auch in den anderen im Bundestag vertretenen Parteien Bestrebungen 47

Mudde Syriza S. 7-36 Priester Linkspopulismus S. 56-57.

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Floris Biskamp

erkennen die entsprechenden Repräsentationsl cken zu schlie en was in der Regel dadurch geschieht dass Politikerinnen entweder direkt Positionen der AfD bernehmen oder Positionen formulieren die AfD-affine Milieus ansprechen sollen.4 ie sehr das die deutsche Europapolitik seit 2 13 tatsächlich geprägt hat lässt sich schwer bemessen. b die wesentlich durch olfgang Schäuble verkörperte harte inie gegen ber riechenland ohne die entsprechende AfD-Mobilisierung weicher ausgefallen wäre ist fraglich. In der Migrations- und l chtlingspolitik verweisen die Regierungsparteien dagegen explizit auf die AfD um ihre Entscheidungen f r repressivere Ma nahmen zu begr nden. Auch wenn der RN N in rankreich auf eine breitere ählerinnenbasis zur ckgreifen kann als die AfD in Deutschland hat er es aufgrund des Mehrheitswahlsystems deutlich schwerer direkten Einfluss auf die nationale Politik zu nehmen. De facto scheint der rechtspopulistische Druck auf andere Parteien gepaart mit dem Niedergang der sozialistischen und der konservativen Parteien aber unvorhergesehenerweise dazu beigetragen zu haben dass mit Emmanuel Macron ein dezidiert liberaler Pro-EUKandidat ins Amt des Staatspräsidenten und seine Partei mit absoluter Mehrheit in die Nationalversammlung gewählt wurde. Macron fordert zwar auf europäischer Ebene Reformen die eine stärkere gesamteuropäische irtschafts- und Sozialpolitik ermöglichen und somit dem Primat der negativen Integration entgegen wirken sollen. Innerhalb rankreichs steht er jedoch f r eine Reformpolitik die den neoliberalen Agenda-Reformen in Deutschland ähneln. Die Umsetzbarkeit dieser Politik und ihre Konseuenzen f r die populistische Mobilisierung bleiben abzuwarten. 7.

Fazit

Das hier vorgestellte Modell von ungleichem und kombiniertem Populismus basiert auf der Verbindung eines etablierten Theorems der Populismusforschung mit bekannten usammenhängen aus der Internationalen Politischen konomie. Im vorliegenden Beitrag ging es mir insbesondere darum darzulegen dass die Repräsentationsl cken die f r Populismustheorie und Populismusforschung zentral sind weder in allen ändern gleich noch in ihrer Unterschiedlichkeit auf blo akzidentielle nationale Spezifika zur ckzuf hren sind. Vielmehr ergeben sich die von and zu and un4

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Biskamp Angst-Traum „Angst-Raum“.

Ungleicher und kombinierter Populismus in der Europäischen Union

terschiedlichen Repräsentationsl cken und die entsprechenden pportunitätsstrukturen f r populistische Mobilisierung auch aus den stark interdependenten Positionen die die jeweiligen änder in der politischen konomie der Eurozone einnehmen. Dies habe ich anhand der Beispiele riechenlands rankreichs und Deutschlands illustriert. Der okus auf Europa ist dabei nur exemplarisch: Vergleichbare politisch-ökonomische Dynamiken lassen sich in weniger verdichteter orm auch global beobachten – mit entsprechenden populistischen Konse uenzen in fast allen demokratischen Systemen. Bei den hier formulierten theoretischen Konzeptualisierungen handelt es sich um eine Skizze des Modells bei den alldarstellungen um vorläufige Illustrationen. Auf theoretischer Ebene m ssen die irkungsmechanismen aufgrund derer und das Ausma in dem die Position eines andes innerhalb des politisch-ökonomischen Systems die pportunitätsstrukturen f r populistische Mobilisierung und damit letztlich auch den Charakter und Erfolg populistischer Projekte beeinflusst genauer ausgearbeitet werden. In den allstudien sind die entsprechenden Entwicklungen und Abhängigkeiten genauer nachzuzeichnen. udem wären weitere änder einzubeziehen – insbesondere fehlen im vorliegenden Text die ehemals sozialistischen Staaten Mittel- und steuropas in denen sich die age nochmals grundsätzlich anders darstellt sowie ohlfahrtsstaaten des skandinavisch-sozialdemokratischen und des angelsächsisch-liberalen Typs. In der politischen Konse uenz deutet das Modell darauf hin dass die j ngsten Erfolge populistischer Mobilisierung auch olgen von politischökonomischen Ungleichgewichten innerhalb Europas sind die durch den bisherigen Verlauf des Integrationsprozesses verschärft werden. er die Bedrohung durch einen neuen Autoritarismus aufhalten möchte m sste daher auch diese Ungleichgewichte thematisieren. Literaturverzeichnis Bergmann Knut Diermeier Matthias Niehues udith: Die AfD: Eine Partei der sich ausgeliefert f hlenden Durchschnittsverdiener in: eitschrift f r Parlamentsfragen 4 H. 1 2 17 S. 57-75 Bieling Hans- rgen: Aufstieg des Rechtspopulismus im heutigen Europa. Umrisse einer gesellschaftstheoretischen Erklärung in: SI Mitteilungen 2 17 S. 557565 Biskamp loris: Angst-Traum Angst-Raum in: orschungsjournal Soziale Bewegungen 3 H. 2 2 17 S. 91-1 .

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Floris Biskamp Chasoglou annis: riechenland: Umbau oder Abriss des ohlfahrtsstaates in: Bieling Hans- rgen Buhr Daniel Hg. : Europäische elten in der Krise. Arbeitsbeziehungen und ohlfahrtsstaaten im Vergleich rankfurt a. M. 2 15 S. 243-272 de ange Sarah: A New inning ormula? The Programmatic Appeal of the Radical Right in: Party Politics 13 H. 4 2 7 S. 411-435 Decker rank ewandowsky Marcel: Rechtspopulismus in Eruopa. Erscheinungsformen Ursachen und egenstrategien in: eitschrift f r Politik 64 H. 1 2 17 S. 21-3 riedrich Sebastian: Die AfD. Analysen. Hintergr nde. Kontroversen Berlin 2 17 arc a Agustin scar Briziareli Marco: Introduction: ind of Change: Podemos Its Dreams and Its Politics in: arc a Agustin scar Briziareli Marco Hg. : Podemos and the New Political Cycle. eft- ing Populism and Anti-Establishment Politics Basingstoke 2 1 S. 3-22 Haug isa Stoy Vol uard: Deutschland: Mit Kontinuität durch die Krise in: Bieling Hans- rgen Buhr Daniel Hg. : Europäische elten in der Krise. Arbeitsbeziehungen und ohlfahrtsstaaten im Vergleich rankfurt a. M. 2 15 S. 31-56 Illing alk: Die Euro-Krise. Analyse der europäischen Strukturkrise iesbaden 2 13 Kioupkiolis Alexandros Katsambekis iorgos: Radical eft Populism from the Margins to the Mainstream: A Comparison of Syriza and Podemos in: arc a Agustin scar Briziareli Marco Hg. : Podemos and the New Political Cycle. eft- ing Populism and Anti-Establishment Politics Basingstoke 2 1 S. 2 1-226 Koppetsch Cornelia: esellschaft des orns. Rechtspopulismus im globalen eitalter Bielefeld 2 19 e Pen Marine: ir d rfen uns Deutschland idersetzen . Interview online: http: www.rp-online.de politik ausland wir-duerfen-uns-deutschland-widersetzenaid-1.47 345 ugriff: 27. März 2 1 ux ulia: rankreich: Vom Neoliberalisierungstanz zum Neoliberalisierungsmarsch in: Bieling Hans- rgen Buhr Daniel Hg. : Europäische elten in der Krise. Arbeitsbeziehungen und ohlfahrtsstaaten im Vergleich rankfurt a. M. 2 15 S. 57- 2 Mair Peter: Representative versus Responsible overnment MPIf orking Paper 9 2 9 Manow Philip: Politische konomie des Populismus Berlin 2 1 McDonnell Duncan erner Annika: Respectable radicals: why some radical right parties in the European Parliament forsake policy congruence in: ournal of European Public Policy 25 H. 5 2 17 S. 747-763 Möller Kolja: Invocatio Populi. Autoritärer und demokratischer Populismus in: eviathan Sonderband 34 2 17 S. 246-267 Mouffe Chantal: n the Political New ork N 2 5 Mudde Cas: Conclusion: Some urther Thoughts on Populism in: de la Torre Carlos Hg. : The Promise and Perils of Populism. lobal Perspectives exington K 2 15 S. 431-451

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Ungleicher und kombinierter Populismus in der Europäischen Union Mudde Cas: Syriza. The ailure of the Populist Promise Basingstoke 2 17 Mudde Cas: Introduction to the populist radical right in: Mudds Cas Hg. : The populist radical right. A reader New ork N 2 17 S. 1-1 Mudde Cas Rovira Kaltwasser Crist bal: Populism and liberal Democracy. A ramework in: Cas Mudde Crist bal Rovira Kaltwasser Hg. : Populism in Europe and the Americas. Threat or Corrective for Democracy? Cambridge 2 12 S. 1-26 Mudde Cas Rovira Kaltwasser Crist bal: Populism: corrective and threat to democracy in: Cas Mudde Crist bal Rovira Kaltwasser Hg. : Populism in Europe and the Americas. Threat or Corrective for Democracy? Cambridge 2 12 S. 2 5-222 Mudde Cas Rovira Kaltwasser Crist bal: Populism. A Very Short Introduction xford 2 17 M ller an- erner: hat is Populism? Philadelphia 2 16 Priester Karin: Rechter und linker Populismus. Annäherung an ein Chamäleon rankfurt a. M. 2 12 Priester Karin: inkspopulismus. Die andere Seite der populistischen Medaille in: orschungsjournal Soziale Bewegungen 3 H. 2 2 17 S. 5 -59 Rodrik Dani: Populism and the political economy of globalization in: ournal of International Business Policy 1 H. 1 2 1 S. 12-33 Rovira Kaltwasser Crist bal: Explaining the Emergence of Populism in Europe and the Americas in: de la Torre Carlos Hg. : The Promise and Perils of Populism. lobal Perspectives exington KT 2 15 S. 1 9-227 Scharpf ritz .: Negative und positive Integration in: Höpner Martin Schäfer Armin Hg. : Die Politische konomie der europäischen Integration rankfurt a. M. 2 S. 49- 7 Statistisches Bundesamt: Au enhandel. Rangfolge der Handelspartner im Au enhandel der Bundesrepublik Deutschland online: https: www.destatis.de DE ahlen akten esamtwirtschaftUmwelt Aussenhandel Tabellen RangfolgeHandelspartner .pdf? blob publication ile ugriff: 27. März 2 1 Streeck olfgang: ekaufte eit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus. Erweiterte Ausgabe rankfurt a. M. 2 15 Stockemer Daniel: The ront National in rance. Continuity and Change Under eanMarie e Pen and Marine e Pen iesbaden 2 17 Trotzki eo: eschichte der russischen Revolution. Band 1. ebruarrevolution Essen 2 1 Vehrkamp Robert egschaider Klaudia: Populäre ahlen. Mobilisierung und egenmobilisierung der sozialen Milieus bei der Bundestagswahl 2 17 tersloh 2 17 Vester Michael: Der Kampf um soziale erechtigkeit. Der Rechtspopulismus und die Potentiale politischer Mobilisierung online: https: nrw.rosalux.de publikation id 14744 der-kampf-um-soziale-gerechtigkeit ugriff: 27. März 2 1 erner Alban: Rechtspopulistische pposition in der Eurokrise in: Das Argument 3 1 2 13 S. 24 -25

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Floris Biskamp odak Ruth: The Politics of ear. don 2 15

13

hat Right- ing Populist Discourses Mean

on-

Hilfloser Antipopulismus? Populismus als Krisensymptom der medialen Normaldemokratie Jürgen Link

1.

Trump als Symptom für den Zusammenhang zwischen Populismus und Normalismus

Infolge einer Kumulation unerhörter Ereignisse zwischen Brexit der ahl Donald Trumps zum in medialer Sicht mächtigsten Mann der elt sowie seinem seitherigen Verhalten dem Einzug der AfD in den Bundestag und der P in die Regierung in ien haben sowohl mediale wie akademische Anstrengungen Konjunktur das Phänomen Populismus in den riff zu bekommen. Die folgenden berlegungen folgen dabei einem spezifischen Erkenntnisinteresse: Sie fragen nach dem usammenhang zwischen Populismus und Normalismus konkret einer Krise der Normaldemokratie blicherweise als westliche parlamentarisch-repräsentative liberale Demokratie häufig auch als stabile Demokratie bezeichnet . Sie betrachten die Populismuskrise als politische Phase der Krisenserie seit 2 7 die als ökonomische Krise begann. Als gemeinsames Merkmal der einzelnen Krisenphasen fassen sie eine schwere Störung der jeweiligen spezifischen Normalitäten bis hin zu ihrem drohenden Kollaps wof r der Begriff Denormalisierung benutzt wird. ur Spezifik der Normalismustheorie die an dieser Stelle nicht ausf hrlich erinnert werden kann 1 gehört basal zunächst der Unterschied zwischen Normativität als uasijuridischem Ma stab und Normalität als statistisch analysierbarem und regulierbarem Massenverhalten. Viele der blichen Populismuskonzepte sind berwiegend oder zumindest partiell normativ begr ndet etwa wenn sie mit der Kategorie Moral arbeiten.2 Das gilt auch f r die Ressenti-

1

2

Dazu ausf hrlich – historisch wie systematisch – ink Versuch über den Normalismus ders. Normalismus und Antagonismus in der Postmoderne. In dieser Studie wird die Normalismustheorie grundsätzlich erweitert und aktualisiert u. a. um die im vorliegenden Aufsatz behandelten Problematiken. So explizit an- erner M ller Was ist Populismus?. hne moralische Trennlinie zwischen authentischem Volk und den irgendwie anderen kein Populis-

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Jürgen Link

menttheorien und die akenewsschelten bzw. Skandalisierungen alternativer akten die den Populismus auf Neid oder auf ge Versto gegen das achte ebot gegr ndet sehen. Diese normativen Ansätze können sich scheinbar durch das Phänomen Trump bestätigt sehen – der gleiche Trump aber ist es auch der den Perspektivwechsel von der Normativität zur Normalität erzwingt. Denn Trumps genhaftigkeit lässt sich auch anders denn als normativer Versto erklären – und zwar als pathologische olge einer malignen narzisstischen Persönlichkeitsstörung – anders gesagt als psychische Anormalität. Allerdings war und ist diese Anormalität in weiten Teilen der amerikanischen ffentlichkeit eng individualpsychologisch gefasst wie es die von ohn artner initiierte Psychiater- und Psychologen-Petition an den Senat zeigte die im aufe des ahres 2 17 von zigtausenden Expertinnen unterzeichnet wurde und Trumps Entfernung aus dem Amt forderte. In die gleiche Richtung gingen andere Pathologisierungen etwa wegen unterstellter Altersdemenz. Diese erndiagnosen sind auch unabhängig von Trump hoch symptomatisch f r ein rundproblem des Normalismus: ie verhält sich individuelle zu massenhafter kollektivhistorischer Normalität? Diese rage versäumen die Psychiater der USA allerdings zu stellen – f r mich wird sie im olgenden eine eitfrage sein. Denn ich erblicke in den Narzissmusthesen eine symptomatische Verschiebung kollektiv-soziologischer auf individuell-psychologische Anormalität bzw. Denormalisierung. Die gleiche Verschiebung äu ert sich meines Erachtens auch in den vorwaltenden Populismustheorien die sich um eine im Kern kognitivistische Phänomenologie drehen: intellektuelle Regression mit Dominanz der Emotion statt der Ratio sowie eine Rhetorik extremer Reduktion von Komplexität einfache schlagwortartige Antworten auf komplexe Probleme und binäre eindbilder wir gegen die da . Dabei handelt es sich um ein Recycling der Massentheorien um 19 f r die diejenige von ustave e Bon exemplarisch war der den Massen eine Regression in infantiles und archaisches Verhalten unterstellte.

mus ders. Woran man sie erkennen kann in der usammenfassung des Ansatzes .

14

Hilfloser Antipopulismus?

2.

Hegemoniale versus dissidente Populismustheorien (Peter Graf Kielmansegg versus Ernesto Laclau und Chantal Mouffe)

Eine uintessenz solcher pejorativ-reduktionistischen PopulismusDefinitionen findet sich etwa auch in den Rubriken Politische Sprache Ralf Melzer bzw. Das ort an Hedde auf Spiegel Online. Melzer 3 .6.2 16 : Populismus den es auch als linke Spielart gibt ist zunächst vor allem ein politischer Stil. Er lädt sich aber mit Inhalten auf und wird zu Rechtspopulismus sobald zu der Anti-Establishment-Attit de ir hier unten gegen Die da oben danach wäre nter allraff ein Rechtspopulist . . noch das ir gegen die anderen kommt – eindbilder – S ndenböcke – einfache Antworten auf schwierige ragen . Hedde 29.5.2 16 : Das ef hl ersetzt die Vernunft. eichtes Spiel hat Populismus mit der Angst denn sie ist ungleich einfacher zu mobilisieren als zu nehmen. Populismus greift auf was sich anbietet: Euro uwanderung TTIP enfood. Populismus ist keine Ideologie er transportiert sie. so steht es da alles klar? Ein einfaches Experiment könnte mit der egenrechnung gemacht werden: r normaldemokratische Politik m sste dann gelten: keine eindbilder keine S ndenböcke komplexe Antworten auf schwierige ragen enauigkeit der Beschreibungen keine Nähe schaffen und keine Solidarisierung erzeugen die Vernunft ersetzt das ef hl nicht mit der Angst spielen z. B. vor Russland dem Brexit oder dem Populismus nicht aufgreifen was sich anbietet. Man könnte ergänzen: Nicht zur Tweed-Politik bergehen wie der Populist Trump. Vom Spektrum solcher Populismuskonzepte denen man kaum umhin kann anzukreiden dass sie unter der gleichen Krankheit leiden deren Therapie sie zu sein behaupten einfache Antworten auf komplexe Probleme binärer Reduktionismus und binäre eindbilder unterscheidet sich zunächst einmal wohltuend der Essay Populismus ohne Grenzen des bekannten deutschen Politologen Peter raf Kielmansegg.3 Kielmansegg wendet sich zunächst unmissverständlich gegen den estus apriorischer Exklusion durch Stigmatisierung und erinnert an die etymologische Identität von demos und populus: ie kann man f r Demokratie und gegen Populismus sein wenn man es denn ernst meint mit dem ortsinn hier wie dort? Das Etikett ersetzt das Argument. Man braucht sich auf eine Debatte nicht mehr einzulassen. Man brandmarkt. Auf der anderen Seite aber gäbe es zweifellos demagogische Bewegungen Brexit 3

Kielmansegg Populismus ohne Grenzen.

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Jürgen Link

Trump die insofern populistisch genannt werden könnten als sie f r das Volk zu sprechen beanspruchten: Dieser iderspruch m sse also erst einmal auf nicht simplifizierende eise analysiert werden. Ein erstes wichtiges Element in dieser Analyse ist der Begriff eines alltäglichen Populismus der untrennbar von der institutionalisierten repräsentativen Demokratie sei: Die die immer nur vom Populismus der anderen reden m ssen daran erinnert werden dass sie im lashaus sitzen und mit Steinen um sich werfen. 4 Es sei doch evident dass die Vereinfachung komplexer Probleme und der binäre Reduktionismus Alltagspraxis der etablierten Demokraten sei. Es sei nicht zu bersehen dass es auch so etwas wie einen alltäglichen Populismus der etablierten Demokratie gebe. bersetzt man alltäglich mit normal dann ist also auch bei Kielmansegg vom usammenhang zwischen Populismus und Normalismus die Rede der im eiteren systematisch erörtert werden soll. Entscheidend in Kielmanseggs Analyse ist dann aber die Hauptthese von der Reaktion des aktuellen Populismus auf die Entgrenzung der lobalisierung: ir leben in einer Epoche rapide fortschreitender Entgrenzung. renzen – in mehr als einem Sinn – verlieren immer mehr ihre Bedeutung. Und damit so nehmen viele Menschen es wahr ihre bergende sichernde unktion. Die Unruhe die diese ahrnehmung auslöst durchschneidet die vertrauten politischen ronten auf eigent mliche eise. Die inke steht gegen den reihandel auf. Sie sieht ihn als Bedrohung des sozialen und ökologischen ortschritts . Die Völkerwanderungen des 21. ahrhunderts sind eher ein rechtes Thema. Auch hier geht es um die bergende und sichernde unktion der renze gerichtet freilich gegen die Millionen Menschen auf globaler anderschaft lucht oder der Suche nach ebenschancen. 5

Hier nun m ndet der Diskurs in ein wesentliches Element des politischen Normalismus den inks-Rechts-Binarismus. Dieser Binarismus m sste sollte man meinen ebenfalls hinterfragt und problematisiert werden. Statt dessen setzt Kielmansegg ihn einfach voraus und spielt ein alles andere als komplexes Spiel mit ihm: Er statuiert eine angebliche elementare Asymmetrie also ein inks-Rechts-Ungleichgewicht weil die linkspopulistische Kritik des reihandels sozusagen akzeptiert sei während aber die rechtspopulistische Kritik freier Einwanderung mit einem moralischen Tabu belegt werde: ffene renzen werden als zwingendes moralisches

4 5

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Ebd. Ebd.

Hilfloser Antipopulismus?

ebot verstanden und propagiert soweit es um Migration geht. 6 Entscheidend und weiterf hrend ist immerhin die implizite Einsicht dass es beim Populismus um renzen geht – man kann das spezifizieren: Solche renzen sind unter normalistischen Verhältnissen im wesentlichen Normalitätsgrenzen. Das ist beim Streit um eine bergrenze der Migration evident: ird eine Normalitätsgrenze ausgeweitet und flexibilisiert dann stellt sich normalistisch automatisch die rage an welchem statistischen rt sie nach der lexibilisierung neu einrasten soll. Der Essay Populismus ohne Grenzen f hrt also immerhin bis an die renzen der unktion und Struktur des Populismus: an seine Einbettung in das inks-Rechts-Mitte-Extreme-Schema und damit den politischen Normalismus an seine Aufspaltung in inks- und Rechtspopulismus sowie an die unktion dieser beiden Populismen als renzen der sich um die symbolische Mitte erstreckenden politischen Normalität gegen ber den Extremen von links und von rechts . Damit lässt sich stets ein trickreiches diskursives Spiel spielen und Kielmansegg nutzt die Spielregeln. Denn vor allem dient das Schema dazu normale ragestellungen zu formulieren und anormale ragestellungen bereits als ragestellungen zu exkludieren. ieso soll Kritik am reihandel das esen der linkspopulistischen Normalitätsgrenze bestimmen? arum nicht die Kritik der eltmachtpolitik Deutschlands und der ihr entsprechenden Militärpolitik samt Kriegen in Afghanistan und Mali Deutschlands gewachsene Verantwortung ? Dass der Aufstand gegen Entgrenzung sich in zwei Bewegungen artikuliert die nichts miteinander zu tun haben wollen ja gegeneinander gerichtet sind ist nicht erstaunlich. 7 irklich nicht könnte man ironisch zustimmen wenn man sich seine Bewegungen derartig mit der Axt zuschneidet. enn nicht w rde die Massenflucht aus Afghanistan allerdings mit der nach Afghanistan hineingewachsenen deutschen Verantwortung sehr wohl und sehr eng miteinander zu tun haben. Nun gut: Hegemoniales Denken kann nicht ber seinen Schatten springen. as oft genug objektiv witzige Bl ten treibt. Denn die These der ambivalenten Entgrenzung infolge der lobalisierung wurde bereits 1972 von einer au erhalb der akademischen Hegemonie allseits bekannten Theorie formuliert und sehr viel gr ndlicher: Es ist die Theorie der Deterritorialisierung und der entgegenwirkenden Reterritorialisierung von illes Deleuze und

6 7

Die eserbriefschreiber haben das vermutlich zutreffend als Kritik an Merkel und als Verteidigung der AfD gelesen. Kielmansegg Populismus ohne Grenzen.

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lix uattari. ataler als Kielmanseggs Unkenntnis von Deleuze uattari ist allerdings die der ebenfalls au erhalb der akademischen Hegemonie entstandenen und seit fast einem halben ahrhundert weiter entwickelten und konkretisierten Populismustheorie von Ernesto aclau und Chantal Mouffe.9 Diese Theorie hat nicht nur eine eigentlich definitive Kritik der hegemonialen Regressions- Simplifikations- und Ressentimentthesen entwickelt worin sie also mit Kielmansegg partiell bereinstimmt sondern vor allem den Blickwinkel erweitert: Die populistisch genannten Phänomene berschreiten in ihrer historischen und systematischen Bedeutung grundsätzlich den rger normaler Demokraten der Mitte ber demagogische Störungen von links und von rechts . ie ein Blick auf die eschichte sowohl der USA Populist Party um 19 wie vor allem ateinamerikas zeigen kann Peronismus oao oulart in Brasilien Befreiungstheologie Chavismus u.ä. muss der Populismus soweit er Begriff statt Schimpfwort sein soll als ein Ensemble politischer Prozesse im renzbereich von institutioneller Demokratie und revolutionärer bzw. kulturrevolutionärer Neuverfassung begriffen werden.1 Diese Prozesse versuchen aclau und Mouffe mit den marxistischen insbesondere Antonio ramsci verpflichteten Kategorien Hegemonie und Antagonismus zu denken. Allerdings brechen sie dabei mit der Vorstellung eines ökonomistisch interpretierten Marxismus derzufolge klassen bergreifende politische Bewegungen und Koalitionen monoton von vorgängigen Klassen und deren Interessen abgeleitet werden könnten. Sie brechen damit auch mit einer entsprechenden Ideologietheorie. Innergesellschaftliche bzw. innerstaatliche Hegemonien werden mit ramsci als die faktische Vorherrschaft eines stabilen Machtnetzes von miteinander verflochtenen wirtschaftlichen politischen und kulturellen Eliten Entscheidungseliten Establishment unabhängig von formellen individuellen leichheitsrechten verstanden. Empirisch erweist sich eine Hegemonie als faktische Exklusionsmacht einer Intelligenz im doppelten Sinne von medialer Kultur und deren Personal gegen ber grundsätzlichen womöglich antagonistischen Alternativen zum hegemonialen Machtnetz. Hegemonie meint also im egensatz zu den blo juristischen polizeilichen und militärischen Dimensionen der Staatsmacht die Dimensionen der freiwilligen ustimmung der kulturellen Multiplikation und des Konsenses . Diskurstheoretisch wäre eine hegemoniale mediale Kultur als Diskurssystem 9 1

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Deleuze uattari L’Anti-Oedipe. aclau On Populist Reason Mouffe Für einen linken Populismus. Dazu historisch-systematisch auch Antonio Negri Le pouvoir constituant.

Hilfloser Antipopulismus?

und insbesondere als Interdiskurssystem zu fassen das durch seine Positivität grundsätzliche Alternativen und bereits die entsprechenden ragestellungen als solche unsichtbar unsagbar und unwissbar macht. 3.

Laclau/Mouffe: Beim Populismus geht es um Hegemoniekrisen, Antagonismen, Äquivalenzketten und leere Signifikanten

aclau und Mouffe begreifen nun Populismus als einen Prozess von Ereignissen in dessen Verlauf sich eine neue Hegemonie bildet die sich als grundlegende antagonistische Alternative gegen eine bestehende Hegemonie begreift mit dem iel sie zu ersetzen. Populismus bedeutet also f r eine vorgängige Hegemonie zumindest eine Existenzkrise und womöglich ihren revolutionären Sturz. Die populistische Dynamik setzt bei aclau und Mouffe bei der Kategorie demand Anmeldung eines Bed rfnisses dann orderung an. Die gesellschaftliche esamtheit besteht aus verschiedenen sich berlappenden Bed rfnisgruppen die ihre Bed rfnisse gewöhnlich je einzeln und je spezifisch an das Institutionengef ge des Status uo der bestehenden Hegemonie anmelden und einzeln mehr oder weniger erfolgreiche Erf llungen aushandeln. Eine populistische Dynamik setze nun dann ein wenn zweierlei strukturelle Ereignisse zusammenkommen: enn sich erstens eine ganze Reihe spezifischer demands zu einer uivalenzkette vereinen und dabei gleichzeitig ein Antagonismus kompromissunfähige Alternative zum etablierten Institutionengef ge und seinen Eliten zum Establishment entsteht. Diese beiden Ereignisse sind untrennbar von diskursiven Ereignissen wozu eine antagonistische diskursive Dichotomie gehört: ir sind das Volk und die da oben die Eliten die ligarchie das Establishment die politische Klasse o.ä. haben uns verkauft verraten usw. Hier folgt nun aclaus zentrale These mit der er sich gegen die politologischen DemagogieRhetorik- und Manipulationsthesen wendet: Die eere der populistischen Signifikanten Volk die da oben erechtigkeit usw. spiele eine notwendige Katalysatorenrolle bei der Verkettung der speziellen demands wie auch bei der Setzung eines antagonistischen Bruchs. Die populistische egenhegemonie bzw. neue Hegemonie ist performativ – will sagen: Sie wird durch das Ereignis erfolgreicher Verkettung und erfolgreicher Artikulation eines Antagonismus allererst konstitutiert sodass wir es mit einem zur änze politischen Ereignis zu tun haben. ie bereits erwähnt richtet sich diese Betonung gegen einen ökonomistisch interpretier-

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ten Marxismus der den Antagonismus als notwendigen Ausdruck einer vorgängigen ökonomisch vor-gegebenen Klassenstruktur deuten w rde.11 Die Kategorien demands uivalenzkette leere Signifikanten Antagonismus und Hegemonie bilden einen relativ allgemeinen Rahmen der bei der Analyse historischer älle jeweils konkretisiert werden muss. Insbesondere geht es dabei um die Analyse der Interaktionen zwischen populistischen Bewegungen und ihren jeweiligen antagonistischen Machtkartellen. Soweit die bestehende Hegemonie die demands in ihrer Isolation halten kann vor allem durch institutionelle Ausdifferenzierung: esundheitssystem Schulsystem ohnungsfrage usw. kommt keine Kette zustande. Sobald solche demands aber z. B. sämtlich mit Armut gekoppelt werden wir das arme Volk wird die Kompromissfähigkeit des Establishments getestet. So hängt die populistische Dynamik ganz wesentlich von der ähigkeit und dem illen der Machteliten ab einzelne bereits verkettete demands durch zumindest teilweise Erf llung oder sogar durch bernahme Entwendung aus der Kette herauszubrechen und damit das Volk der populistischen Bewegung womöglich zu verkleinern. aclaus Beispiele sowohl aus ateinamerika wie aus der russischen und chinesischen Revolution erwecken den Eindruck dass es meistens eine reaktionäre Starrheit des alten Machtpols ist die im aufe einer Eskalation den antagonistischen Bruch herbeif hrt. 4.

Links- versus Rechtspopulismus und die Besonderheiten der Normaldemokratie

aclau und Mouffe unterschieden in der klassischen assung ihrer Theorie die vor dem Durchbruch der Populismus-Kategorie im hegemonialen westlichen mediopolitischen Diskurs – definitiv durch die Haider-Krise der EU im ahre 2 – entstand nicht zwischen inks- und Rechtspopulismus. Da ihre Sympathie einer radikal-sozialistischen ohne Privateigentum an Banken und an Massenproduktion und gleichzeitig radikaldemokratischen Neuverfassung galt mit Beispielen wie Allende oder der PCI unter Togliatti muss man ihr Populismus-Konzept als Plädoyer gegen einen dogmatisch verengten Marxismus verstehen. enn sie lateinamerikanische Populismen wie den Peronismus nicht vorschnell auf seine rechten nationalistischen oder gar faschistischen Elemente reduzieren 11

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Systematische usammenfassung in aclau On Populist Reason.

Hilfloser Antipopulismus?

wollten dann weil sie die ffenheit populistischer Prozesse betonten denen sie offenbar eine linke Haupttendenz unterstellten die durch ambivalente Kopplungen wie mit protektionistischem Nationalismus unter Umständen gestärkt statt geschwächt w rden. Eben diese ffenheit wird nun aber in den aktuell im mehrfachen Sinne normalen institutionalisierten Massendemokratien westlichen Typs verwehrt die die Unterscheidung zwischen inks- und Rechtspopulismus erzwingen – und zwar nicht blo durch mediale Manipulation sondern strukturell.12 Im Kontext der Normalismustheorie ist das Populismuskonzept aclaus mit Paradigmen wie Peronismus und eninismus sehr stark an vornormalistischen Hegemonien orientiert. Es ist daher in seiner urspr nglichen estalt f r normalistische Hegemonien nur begrenzt operativ. Diese Hegemonien sind zum einen hoch spezialistisch und systemisch ausdifferenziert im Sinne von Niklas uhmann. Das erschwert zum Beispiel die Bildung von uivalenzketten weil die verschiedenen demands an verschiedene Teilsysteme adressiert werden: das Arbeitslosigkeitsproblem einer armen amilie an Arbeits- und Sozialhilfeämter die Kinderprobleme der gleichen amilie an das Schulsystem die medizinischen an die Krankenversicherung usw. Vor allem aber funktioniert das politische Teilsystem im Rahmen eines spezifischen politischen Normalitätsdispositivs des hegemonialen Rechts- inks-Mitte-Extreme-Modells. Historisch entstand in der ranzösischen Revolution zunächst die inks-Rechts-Topik als parlamentarische Institutionalisierung eines symbolischen B rgerkriegs gekennzeichnet durch positive ertung der jeweiligen linken oder rechten Identität und sogar phasenweise der Extreme sowie negative ertung der Mitte als one des pportunismus und des Verrats. Diese Version der Topik herrschte im Deutschland der eimarer Republik und herrscht noch heute in gemilderter orm in ändern wie rankreich Spanien Portugal und riechenland. Sie herrschte auch in den von aclau analysierten esellschaften. Es waren Deutschland und Italien die nach 1945 also nach dem aschismus eine alternative Version der inksRechts-Topik entwickelten die man genauer als Rechts- inks-MitteExtreme-Topik kennzeichnen muss. In dieser Version haben sich die impliziten ertungen der Topik umgedreht: Nun besitzt die Mitte das ptimum der ertung während der ert symmetrisch nach links und rechts abnimmt und an den linken und rechten Extremen gegen Null tendiert. 12

Dazu ausf hrlich ink Diskurstheoretische Überlegungen zur neuesten Konjunktur des ‚Populismus‘-Begriffs.

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Dabei besteht die Mitte aus zwei Abschnitten: der rechten Mitte und der linken Mitte – die gesamte Topik fungiert daher als leichgewichtungs- aage zwischen der linken und der rechten Hälfte – ahlen m nden nicht in eine totale ende zwischen inks und Rechts sondern r cken lediglich ein wenig zur linken Mitte oder zur rechten Mitte . Strukturell besteht daher stets eine latente ro e Koalition die in Krisenzeiten und bei Notständen sehr leicht auch formell gebildet werden kann. Entscheidend ist nun ferner dass das Modell der leichgewichtungsaage als politisches Normalitäts-Dispositiv funktionieren und auf diese eise den ausdifferenzierten politischen yklus in den umfassenden gesellschaftlichen und kulturellen Normalismus integrieren kann. Es ist evident dass die von der Mitte dominierte Version der Topik idealiter eine Massenverteilung der ählerinnen favorisiert die sich einer symbolischen uasi-Normalverteilung annähert: Kumulation der Stimmen im Bereich der Durchschnitte und symmetrische Abnahme in Richtung der beiden Extreme. Am Beginn der beiden Extrembereiche liegen wie berall im Normalismus zwei symmetrische Normalitätsgrenzen an denen das Normalspektrum endet. In Deutschland sind diese Normalitätsgrenzen durch 5-Prozentklausel und Beobachtung durch den Verfassungssschutz institutionalisiert. Parallel zum rundgesetz gilt ein inoffizieller Kodex der Normaldemokratie mit den Regeln: Nur normale Parteien also Parteien innerhalb des Normalspektrums sind politikfähig – Alle normalen Parteien innerhalb des Normalspektrums und nur sie sind prinzipiell miteinander koalitionsfähig – Nur normale Parteien der Mitte sind regierungsfähig – Extreme Parteien von links und von rechts sind funktionsgleich schaukeln sich hoch usw. ie man sieht handelt es sich um einen gigantischen ormalismus der es erlaubt Inhalte demands beliebiger Art auf imaginäre Positionen innerhalb des inks-Rechts-MitteExtreme-Kontinuums zu reduzieren und damit politisch zu entkernen . 5.

Die Erweiterung des politischen Normalspektrums um zwei Populismen seit der Haider-Krise 2000 – Populismus, Krise und Denormalisierung

bwohl die deutschen r nen bei ihrem ersten Eintritt in die Parlamente zu Beginn der 19 er ahre alle Kennzeichen einer populistischen Partei vereinten weder rechts noch links kulturrevolutionärer Aktivismus Stimme nicht nur des Volkes sondern der Natur selbst demands direkter Demokratie wurden sie im mediopolitischen Diskurs nicht als solche ko14

Hilfloser Antipopulismus?

diert – ganz einfach weil die Bezeichnung Populismus damals in diesem Diskurs noch fehlte. So war es erst die Haider-Krise des ahres 2 als in ien schon einmal wie 2 1 wieder die P in eine Koalition der rechten Mitte mit der VP aufgenommen wurde die die Erweiterung des politischen Normalspektrums brachte. ährend rankreich die Haiderpartei innerhalb des alten Spektrums als rechtsextrem verortete setzte sich in Deutschland spontan rechtspopulistisch durch. Das f hrte zu einer deutsch-französischen Kollision: Da nach allen Regeln der Normaldemokratie eine rechtsextreme Partei weder politik- noch gar regierungsfähig sein kann von der VP unter Sch ssel aber sogar in die Regierung aufgenommen wurde wurde die neue österreichische Regierung mehrere Monate lang auf EU-Ebene boykottiert was zu einer objektiv eher komischen Krise f hrte die durch den Einsatz von drei eisen bearbeitet werden musste welche die P als nicht extrem und damit implizit als populistisch einordneten so dass der Boykott beendet werden konnte. Seither stand und steht der neue Signifikant f r älle wie Berlusconi rillo rb n Kaczynski ilders und jetzt auch die AfD zur Verf gung. eradezu paradigmatisch ist die Normalitätsgrenze zwischen e Pen Vater rechtsextrem männlich und e Pen Tochter rechtspopulistisch weiblich die sich sogar in einer amilientragödie mit durchaus antiken Tremoli kulturell entfaltete. 6.

Zwei Interpretationen des Populismus

In das alte Kontinuum rechtsterroristisch – rechtsextrem rechtstotalitär – rechtsradikal – rechte Normalitätsgrenze – rechter l gel – rechts – rechte Mitte – linke Mitte – links – linker l gel – linke Normalitäsgrenze – linksradikal – linksextrem linkstotalitär – linksterroristisch wurden also am rt der Normalitätsgrenzen rechtspopulistisch und linkspopulistisch eingef gt. Diese Einf gung lässt sich in zwei verschiedenen Interpretationen lesen. Eine erste esart sieht darin einfach eine typisch flexibelnormalistische13 Erweiterung des politischen Normalspektrums so wie

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Der systematische und historische Unterschied zwischen zwei idealtypischen Polen des Normalismus und zwar fixistischem Protonormalismus mit engem Normalspektrum und harten Normalitätsgrenzen einerseits und flexiblem Normalismus mit breitem Normalspektrum porösen Normalitätsgrenzen und bergangszonen anderseits kann hier nicht expliziert werden. Dazu ink Ver-

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etwa durch Integration und Inklusion sexueller oder anderer kultureller Minderheiten : Es gäbe möglicherweise normale neonationalistische und neorassistische Positionen rechts bzw. normale radikalsozialistische und radikaldemokratische Positionen links was man eben in einer politischen Auseinandersetzung klären solle. Daf r sprächen auch statistische Anteile von zuweilen weit ber f nf Prozent. Die Populismen lägen sozusagen in einer rauzone auf beiden Seiten der Normalitätsgrenze. Das böte auch die Chance durch ein undi-Realo-Spiel nach dem Modell der r nen die harten anormalen Kerne zu isolieren und die jeweilige Mehrheit zu normalisieren siehe auch Höcke-Krise der AfD . Brauchbar sei auch die bernahme extremer Positionen in der Mitte deren Normalisierung weil sonst der Populismus noch stärker wird erfolgreiche Rutte-Taktik in den Niederlanden . Eine zweite esart aber ist weniger optimistisch und liest das Anwachsen von Populismen als Symptom einer ernsthaften Denormalisierung der Normaldemokratie wie es das Umkippen der – orm leichgewichtungswaage in die U- orm berwuchern der l gel durch die Populismen erweise. Diese zweite pessimistische Interpretation von Populismen ist typischerweise gekennzeichnet durch die historische Analogie mit den 193 er ahren: Das Anwachsen der Populismen könne zu einer iederholung von eimar zu einem erreiben der Mitte zwischen den Extremen f hren. Damit setzt diese esart aber im runde Populismus mit Extremismus und konkret Rechtspopulismus mit aschismus und inkspopulismus mit Kommunismus gleich revidiert mithin die Erweiterung des politischen Normalspektrums. 7.

Populismus ist Symptom der Exklusion von Antagonismen aus der Normaldemokratie und dem normaldemokratischen Pluralismus

Es spricht trotz seiner historischen Begrenztheit in der urspr nglichen Ausf hrung f r den basalen Ansatz der Theorie von aclau und Mouffe dass eine Reflexion dieser beiden hegemonialen esarten der Erweiterung des politischen Normalspektrums durch zwei Populismen auf die Problematik des Antagonismus zur ckf hrt. Denn strukturell unterscheiden sich die beiden optimistischen und pessimistischen Interpretationen der aktuellen Populismuskrisen von Normaldemokratien auf folgende eise: Die optimistische oder flexibel-normalistische Interpretation gr ndet ihren psuch über den Normalismus ders. Normalismus und Antagonismus in der Postmoderne.

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Hilfloser Antipopulismus?

timismus auch wenn ihre Vertreter das nicht explizit reflektieren auf die Auffassung dass in so genannten postmodernen esellschaften nach dem Kollaps des stblocks objektive Antagonismen ein f r allemal erloschen seien so die explizite These von rancis ukuyama in seinem ber hmten Buch The End of History and the Last Man . Auf der Basis dieser berzeugung können also nur noch Schein-Antagonismen auftauchen – und auf diese Annahme st tzt der flexible politische Normalismus demnach seine ette die heutigen Populismen mittelfristig normalisieren zu können. Umgekehrt hält die pessimistische Interpretation eine solche ette f r strukturell ungedeckt da sie vom ortbestehen und sogar einer möglichen Neuentstehung von Antagonismen ausgeht. Nach dieser esart m ssen die Populismen als mögliche trojanische Pferde zur Einschleusung von Antagonismen in das politische Normalspektrum betrachtet werden. Diese Sicht ist gegen ber dem politischen Normalitätsdispositiv als solchem unkritisch und apologetisch: Sie fasst den ormalismus als Realität auf und schlie t insbesondere jedes Hinterfragen der normalistischen Ausschlussmechanismen von vornherein aus. Am Beispiel des linkspopulistischen Themas der Bundeswehrkriege out of area: Ihre Bejahung gehört seit der iedervereinigung zum apriorischen Konsens jeder deutschen Partei innerhalb des Normalspektrums. Dennoch fand niemals ein Referendum oder eine referendumsähnliche ahl ber dieses Thema statt und demoskopisch lehnt etwa eine weidrittelmehrheit hartnäckig solche Kriege Einsätze Missionen ab. Das ist also ein Beispiel f r Populismus als Symptom eines a priori ausgeschlossenen potentiellen Antagonismus. Man kann den gleichen Sachverhalt auch anders formulieren: Das mediale unktionieren der inks-Rechts-Mitte-Extreme-Topik schränkt den Pluralismus normalistisch ein indem es potentiell antagonistische Alternativen unsichtbar unsagbar und unwissbar macht. Potentielle Antagonismen haben im offiziellen Pluralismus des hegemonialen mediopolitischen Diskurses keinen rt sind a priori annihiliert. Diese Einschränkung wird von populistischen Positionen aufgedeckt. Die Partei Die inke die ber dieses Thema intern zerstritten ist w rde bei einer Aufnahme in eine Bundesregierung den Einsätzen zustimmen und ihre bisherige mehrheitlich linkspopulistische Position opfern m ssen . Den bisher spektakulärsten Akt einer solchen Normalisierung vollzog nach den deutschen r nen in der Kriegsfrage die Tsipras-Mehrheit der zuvor wie auch Podemos allgemein als linkspopulistisch eingeordneten griechischen Partei Syriza in der Nacht vom 12. auf den 13. uli 2 15 als sie sich unter der erpresserischen Drohung mit dem rexit durch Br ssel und Berlin sowie vor dem Risiko des Macht -Verlusts den Spardiktaten mit ihren katastrophalen so151

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zialen olgen bedingungslos unterwarf. Dieses Beispiel zeigt wie die politische Normalisierung Syriza verwandelte sich buchstäblich ber Nacht von einer linkspopulistischen in eine normale Partei der linken Mitte mit potentiell antagonistischer sozialer Denormalisierung einhergehen kann. 8.

Nochmals: Links- versus Rechtspopulismus in der großen Denormalisierungskrise

Sieht man die Populismen als Symptome und Träger ausgeschlossener latenter Antagonismen aus dem Spektrum eines normalen Pluralismus dann lässt sich auch das Paradox der angeblichen funktionalen leichheit und dennoch eines scharfen egensatzes von inks- und Rechtspopulismus analytisch betrachten. Die typischen möglicherweise antagonistischen demands des Rechtspopulismus sind Neonationalismus und Neorassismus – möglicherweise antagonistisch: wenn zwischen totalkapitalistischer lobalisierung und politischem Resouveränismus14 sowie ökonomischer Renationalisierung Protektionismus wirklich kein Kompromiss möglich sein sollte. Der grundlegende linke Antagonismus ist Marx zufolge der zwischen Kapital und Arbeit – also jener Antagonismus den die Sozialdemokratie linke Mitte schon seit geraumer eit f r erloschen erklärt hatte bevor der Kollaps des stblocks global-medial als definitive Bestätigung daf r gewertet wurde. Diese These des Erlöschens erschien am wenigsten plausibel bei allen Konflikten zwischen reichem Norden und armem S den insbesondere angesichts der kriegerischen Eskalationen mit ihren olgen von Massenfluchten von S d nach Nord. Die gro e Krise von 2 7ff. hat diese Nord-S d-Antagonismen in den Norden reimportiert: in orm der Drittweltisierung S deuropas mit hoher Arbeitslosigkeit sowie Prekarisierung auch im Norden und in orm der Massenflucht und Masseneinwanderung. Eine kritische Analyse der mediopolitischen Polemiken gegen Rechts- und inkspopulismus muss also zunächst die rein formalistischen Effekte des politischen Normalitätsdispositivs von den Inhalten demands unterscheiden. Eindeutig sind neorassistische demands renzschlie ung und Massenabschiebung grundsätzliche Ablehnung von Einwanderung aus dem S den eskalierende und antagonismusverschärfende Ma nahmen mit der Tendenz zu katastrophalen Kultur14

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Damit soll der in der Auffassung vieler Beobachter illusionäre Versuch bezeichnet werden grö ere bereits an internationale Institutionen wie die EU oder den I abgetretene Teile nationaler Souveränität zur ckzugewinnen.

Hilfloser Antipopulismus?

kriegen Clashes of Civilizations nach Huntington . Diese Kernforderung des Rechtspopulismus steht damit nicht nur im egensatz zu den linkspopulistischen demands Kriege als ptionen auszuschlie en sondern impliziert geradezu die Militarisierung der Migrationsabwehr. eniger eindeutig sind bestimmte anscheinend neonationalistische demands wie Ausstieg aus dem Euro Resouveränismus als Retablierung von Dispositiven des Sozialstaats olfgang Streeck skar afontaine Sahra agenknecht Protektionismus zwecks Reindustrialisierung Trump . Ein typisches Beispiel war der Vorwurf an Sahra agenknecht sie habe Merkel von rechts kritisiert was verwerflich sei. Das bezog sich auf agenknechts Einschätzung Merkel habe am 5. September 2 15 mit der renzöffnung tatsächlich leichtsinnig die Kontrolle verloren. Vermutlich wollte agenknecht sagen dass Merkel eine gro e Denormalisierung ausgelöst habe was eine simple Tatsache ist. Eine solche Kritik zwanghaft nach dem Kriterium von rechts oder von links auszuflaggen ist ein Beispiel f r den leerlaufenden ormalismus. Damit war die Diskussion abgew rgt denn welcher inke will schon von rechts kritisieren ? – in deren Verlauf hätte geklärt werden können dass Merkel sicher nicht aus eichtsinn entschied sondern unter dem ugzwang der 3 . in Ungarn aufgestauten l chtlinge der Balkanroute die sich wiederum nur deshalb aufgestaut hatten weil Merkel und Schäuble zuvor Tsipras hatten zur Kapitulation zwingen wollen – denn wäre die riechenlandkrise mit der Massenflucht durch eben dieses riechenland im usammenhang diskutiert worden hätte man riechenland einen Schuldenerlass wohl kaum verwehren können. 9.

Die große Denormalisierung seit 2007 ist nicht zu Ende: Von der ökonomischen Krise zur Populismuskrise als politischer Hegemoniekrise

Die gro e Denormalisierung seit 2 7 mit ihrer Krisenserie Schuldenkrise inanzkrise achstumskrise Eurokrise riechenlandkrise inskrise l chtlingskrise hat mit der Populismuskrise das politische System angesteckt . Die Normaldemokratie funktioniert mittelfristig nur dann wenn die agonistische nach Mouffe pposition linke vs. rechte Mitte medial als die dominante pposition prozessiert werden kann. Das setzt zweierlei voraus: Antagonismen m ssen invisibilisiert sein und die latente ro e Koalition der hegemoniale Konsens ebenfalls. Die Krisenserie seit 2 7 hat diese eschäftsgrundlage dadurch geschwächt dass die kapitalisti153

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schen monetaristischen stets von den unteren Klassen zu bezahlenden bzw. durch Arbeitslosigkeit usw. zu erduldenden Rettungsma nahmen von ro en Koalitionen zwischen linker und rechter Mitte getragen werden mussten. Solche Koalitionen bestanden auch dort wo sie nicht formell wie in Deutschland gebildet werden mussten. Die Einbr che populistischer Parteien tief in das bliche Normalspektrum hinein sind allbekannterma en die direkte olge dieser age. Noch ernster ist der Umstand dass dadurch zumindest teilweise Antagonismen sichtbar und formulierbar werden im all der urspr nglichen Syriza und Podemos aber auch teilweise bei den Rechtspopulisten so dass es sich um eine Hegemoniekrise handelt. Dabei verkehrt die hegemoniale Polemik die Kausalitäten ins egenteil wenn sie die Krise vom Populismus ableitet – im egenteil ist ein Phänomen wie Trump und vor allem seine ahl ein Symptom der Hegemoniekrise. Hegemoniekrise hei t aktuell aber Normalismuskrise und nichts zeigt das so deutlich wie der teilweise Kollaps der normalistischen Demoskopie bei Syriza Brexit Trump und rb n . Die Diagnose Trumps als psychisch krank ist die hilflose Projektion der noch immer nicht erreichten Normalisierung der Krise von 2 7ff. auf eine individuelle Psyche. Das Rätsel ist ein ganz anderes: Hegemonial-medial ist unter bama die Krise in den USA auf beeindruckende eise berwunden worden: Angeblich herrscht in den USA nahezu Vollbeschäftigung und brummt das achstum. Trumps Erfolg stellt also die rage wie stark die vorgebliche Normalisierung auf Prekarisierung kurztaktigem Billigjobwechsel den insbesondere alternde Arbeiterinnen nicht aushalten und erzwungener interner anderung beruht. Dass ein anormaler Narzisst Präsident werden kann ist mithin ein spektakuläres Symptom der Hegemoniekrise. Es ist nicht das einzige: enn man an arage ohnson illon aber auch die V -Elite denkt hat man zuweilen den Eindruck die Hegemonie sei dabei durchzudrehen . Also scheinen Populismus- und Hegemoniekrise eine Art Entformalisierung des politischen Normalitätsdispositivs Rechts- inks-Mitte-Extreme zu erfordern. Statt etwa zu fragen ob eine konkrete Denormalisierung rechts oder links ist scheint es notwendig zu sein die konkreten demands unabhängig von einer Rechts- inks-Kodierung aber auch von einer MitteExtreme-Kodierung zu analysieren. Die sogenannten Populismen spielen dabei die Rolle halber Extremismen: Statt ihre demands als normative S nden gegen die Mitte zu kodieren sollten sie auch normalismustheoretisch analysiert werden. Ein erster imperativer Schritt dazu ist die Aufhebung des Tabus Antagonismen zu diskutieren. Am Beispiel der l chtlingskrise: Rassismus ist ein Antagonismus gegen ber jeder möglichen In154

Hilfloser Antipopulismus?

terpretation von Demokratie. Rassistische konkret kultur- bzw. neorassistische Positionen wie eine pauschale Islamophobie sind nach dem hegemonialen Modell nicht populistisch sondern extremistisch. Aber auch bestimmte Spielarten des Islam sind möglicherweise antagonistisch gegenber jeder möglichen Interpretation von Demokratie. Vor allem aber sind solche Antagonismen gekoppelt mit Nord-S d-Antagonismen die in der Normalismustheorie als Antagonismen zwischen globalen Normalitätsklassen präzisiert werden.15 Die l chtlingskrise von 2 15ff. lässt sich als zeitweiliger Kollaps der Normalitätsklassengrenze im Mittelmeer charakterisieren dessen Ursache wiederum ein Antagonismus infolge der militärischen Interventionen der oberen in den unteren Normalitätsklassen war luchtursachen . Keiner dieser Antagonismen ist als solcher in der hegemonialen Mediopolitik sagbar. Alle m ssen aus der Unsagbarkeit befreit werden. enn statt dessen die Sagbarkeitstabus durch unsägliche einäugige akenewskampagnen verteidigt werden wird den Populismen ein Antagonismusdiskursmonopol geliefert das sich zudem aus zwei r nden zu einem Rechtspopulismusmonopol entwickeln wird: Erstens weil mögliche inkspopulismen also Positionen Angst haben populistisch zu sein – und zweitens weil die typisch rechten Antagonismen also Radikalnationalismus und Rassismus noch stets im Kontext einer fundamentalen Denormalisierungskrise von der Mitte als Koalitionspartner f r eine Notstandsdiktatur akzeptiert und vorgezogen worden sind. Das zeigt sich im brigen bereits vor einer solchen uspitzung weil die ganze leichgewichtungs- aage meistens einen eindeutigen Rechtsdrall hat.16 Der strukturelle egensatz zwischen sogenanntem Rechts- und sogenanntem inkspopulismus erweist sich schlie lich besonders deutlich beim Vergleich ihrer jeweiligen symbiotischen Massenbewegung. Die ffnung von Populismen f r Antagonismen im egensatz zu Normalparteien erweist sich nicht zuletzt darin dass die parlamentarische Repräsentanz bei ihnen mit mehr oder weniger engagierten bis militanten au erparlamentarischen Bewegungen verbunden ist. Die Konversion von Syriza ging einher mit der Selbstisolierung des Tsipras-Kartells von den Nach15 16

Dazu ausf hrlich ink Normalismus und Antagonismus in der Postmoderne. Dieses Verschieben von Themen und Positionen im Spektrum betont zurecht Clemens Knobloch vgl. etwa Einige Beobachtungen über den Gebrauch des Stigmaworts ‚Populismus‘ . Häufig wird dieses Verschieben als Normalisierung in einem spezifischen Sinne bezeichnet. Es funktioniert allerdings nur dann glatt wenn nicht Antagonismen ins Spiel kommen.

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folgebewegungen der Platzbesetzungen von 2 11. Die Symbiose mit einer solchen Massenbewegung unterscheidet den inks- un bersehbar vom Rechtspopulismus dessen au erparlamentarische Basis tendenziell militärisch dominiert ist B rgerwehren asci und vor allem nicht das Kapital antagonistisch negiert sondern den inksextremismus einschlie lich des inkspopulismus. der in einer zugespitzten ormel: Eine linkspopulistische Massenbewegung hat Streikcharakter im weiten Sinne – eine rechtspopulistische Streikbruchcharakter. Literaturverzeichnis Deleuze illes uattari elix: Anti- edipe. Capitalisme et schizophr nie Paris 1972 ukuyama rancis: The End of History and the ast Man ondon 1992 raf Kielmansegg Peter: Populismus ohne Grenzen in: A 13. ebruar 2 17 S. 6 Knobloch Clemens: Einige Beobachtungen ber den ebrauch des Stigmaworts Populismus in: Habscheid Stephan Klemm Michael Hg. : Sprachhandeln und Medienstrukturen in der politischen Kommunikation T bingen 2 7 S. 113-131 aclau Ernesto: n Populist Reason ondon New ork 2 5 ink rgen: Diskurstheoretische berlegungen zur neuesten Konjunktur des Populismus -Begriffs in: aber Richard Unger rank Hg. : Populismus in eschichte und egenwart rzburg 2 S. 17-2 ink rgen Versuch ber den Normalismus. ie Normalität produziert wird 1996 5. Aufl. öttingen 2 13 ink rgen: Normalismus und Antagonismus in der Postmoderne. Krise New Normal Populismus öttingen 2 1 Mouffe Chantal: r einen linken Populismus Berlin 2 1 M ller an- erner: as ist Populismus? Ein Essay Berlin 2 16 M ller an- erner: oran man sie erkennen kann in: A 6. 6.2 16 online: https: www.faz.net aktuell feuilleton debatten populisten-woran-man-sieerkennen-kann-1421726 .html?printPagedArticle true pageIndex . 7.19 Negri Antonio: e pouvoir constituant. Essai sur les alternatives de la modernit Paris 1992

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Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen Tino Heim

1.

Einleitung – ‚Normalpolitik‘ zwischen Antipopulismus und autoritären Krisenreaktionen1 ir werden uns gegen uwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren – bis zur letzten Patrone 2 Heute rufen manche ir sind das Volk . Aber tatsächlich meinen Sie: Ihr gehört nicht dazu – wegen eurer Hautfarbe oder Religion. olgen Sie denen nicht die dazu aufrufen Denn zu oft sind Vorurteile ist Kälte ja sogar Hass in deren Herzen 3

Angesichts vermehrter rassistisch-nationalistischer Protestmobilisierungen und des Aufstiegs der AfD sind ostentative Abgrenzungen vom Rechtspopulismus zum partei bergreifenden Standardritual geworden. Der antipopulistische Konsens der den Normalitätsbereich unserer Demokratie gegen den als äu ere Bedrohung dämonisierten Populismus verteidigen soll bleibt – jenseits der am Populismus kritisierten Suggestivwirkung klarer ir Die-Unterscheidungen – inhaltlich und formal jedoch hohl und br chig. Im dominant pejorativen ebrauch als Bezeichnung non grata f r illegitimes Sprechen 4 fungiert Populismus als einer jener asymmetrische n egenbegriffe in denen die eigene Position nach solchen Kriterien bestimmt wird da die egenposition nur negiert werden kann was politische Effektivität mit mangelhafte r Verwendbarkeit im wissenschaftlichen Erkenntnisgang 5 erkauft. Blo e Abwehrgesten sus-

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Ausf hrlichere Analysen und eine Diskussion der im Hintergrund des vorliegenden Beitrags stehenden Theorieperspektiven finden sich in: Heim Fetischismus ders. Rechts(d)ruck. Horst Seehofer politischer Aschermittwoch der CSU 9.3.2 11 Angela Merkel Neujahrsansprache 31.12.2 14 Bruell Populismus S. 7. Koselleck Gegenbegriffe S. 215. Vgl. zur Problematik pejorativer Populismus -Konzepte ausf hrlich: ebhard Antipopulismus Heim Selbstverunmöglichung und den Beitrag von ink im vorliegenden Band.

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Tino Heim

pendieren hier die jeder Kritik vorausgesetzte rage nach den Wahrheitskernen der abgelehnten Positionen und die Auseinandersetzung mit ihren Ursachen innerhalb des unktionsgef ges moderner Vergesellschaftung.6 Anstatt alternative politische Antworten zu suchen forciert der rituelle Antipopulismus so eben jene Verdrängung und Entnennung gesellschaftlicher Antagonismen Krisen- und Konfliktdynamiken die den Aufstieg des Populismus erst ermöglichten und verdeckt zugleich dass populistisch exploitierte Deutungsmuster und eindbilder dem Diskurs der demokratischen Mitte entstammen siehe Kap. 2 . Selbst den Schie befehl gegen efl chtete der als Beatrix von Storch AfD ihn 2 16 forderte laut skandalisiert wurde nahm Horst Seehofer CSU schon 2 11 metaphorisch vorweg wenn er am ahrestag des Durchhaltebefehls vom 9.3.1945 die Reichshauptstadt bis zur letzten Patrone zu verteidigen ähnliche Entschlossenheit in der Migrationsabwehr versprach. Autoritäre und nationalistische Verschiebungen sind insofern nicht einseitig dem Populismus anzulasten. Sie bilden ein bergreifendes Symptom und Medium der politischen Verarbeitung multipler gesellschaftlicher Krisenkonstellationen. Daf r spricht auch die ambivalente unktion des Populismusbegriffs im hegemonialen politischen Diskurs. Trotz pejorativer bertöne bezeichnet der Begriff in der durch die renztopographie von Mitte vs. Extreme geprägten politischen rientierungssemantik der BRD eine exakt auf den renzen des Normalitätsspektrums verortete ambivalente Kippfigur was flexible politische Strategien im Umgang mit derart markierten Positionen erlaubt. o populistische Parteien EU-Regierungen stellen und Mitte und Rechtspopulismus im konkreten politischen Agendasetting konvergieren sind alle populistischen Positionen ad libitum normalisierbar womit Populismus auch als renzschleuse zur 7 Mitte fungiert. Entsprechende bereinstimmungen in ragen der Sicherheits- Migrations- Asyl- Sozial- und irtschaftspolitik f hren etwa zum 6

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Vgl. dazu Hall Thatcherismus, S. 172-2 6. Rassismus Sexismus und Nationalismus haben einen ahrheitskern solange gesellschaftliche Konkurrenz- und Segregationsprinzipien Privilegien Schutzräume und Teilhabechancen objektiv an entsprechende Merkmale gekn pft bleiben. Vgl. Heim Rechts(d)ruck S. 27-4 . Knobloch Beobachtungen S. 41f. Der Normalisierung von Nationalismus und Rassismus diente schon die Etablierung des orts populistisch zur Charakterisierung der österreichischen P als diese mit der Regierungsbeteiligung ab 1999 nicht mehr als rechtsextrem gelten durfte. Vgl. ink Überlegungen. Vgl. zu solchen Normalisierungsfunktionen in der Extremismussemantik: Heim öhrle Grenzmarkierungen, v. a. S. 37-63.

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen

paradoxen medialen Effekt dass dieselbe Politik die z. B. an Trump als rechtspopulistisch skandalisiert wird f r BRD und EU zugleich als Normalpolitik der Mitte gilt während sich der ostentative Antipopulismus auf imagepolitische Differenzen einer euphemistischen moralisierend-korrekten liberal-universalistischen und einer unkorrekten provozierenden Redeweise zur ckzieht. Diffuse Bekenntnisse zu universalistisch-humanistischen erten zu eltoffenheit Toleranz und Vielfalt fungieren dann als eine Art esslerhut der pflichtschuldig zu gr en ist um eine exklusorische neorassistische und nationalistische Politik mit dehumanisierenden Konse uenzen v. a. zur ösung der l chtlingsfrage forcieren zu können.9 Die Verschiebung politischer Sagbarkeits- und Handlungsfelder auf eine Politik der urcht 1 vor berfremdung Asylmissbrauch Terror etc. ist dabei weder aus realen berlastungen durch die sogenannte l chtlingskrise noch als sekundäre Reaktion auf den Populismus erklärbar. Schlie lich ging sie dem Aufstieg der AfD voran und die fortgesetzte partei bergreifende Dominanz entsprechender Narrative ist unabhängig von realen Ankunftszahlen – die in der BRD von ca. 9 . 2 15 auf 1 6. 2 17 sanken. Anders als auch Parteien der Mitte im Unisono suggerieren dr ckt die einseitige mediopolitische Dominanz der Migrationsabwehr auch nicht die Sorgen der Menschen oder den Volkswillen aus sondern steht in Diskrepanz zu demoskopischen Befunden hinsichtlich sozialer Sorgen und politischer Relevanzen in denen Sozial- esundheits-

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1

Knobloch Beobachtungen S. 37. Exemplarisch sind z. B. der Ausbau der renzregime Protektionismus oder das Unterlaufen internationaler Standards und Abkommen zum Klima- Umwelt- und Verbraucherschutz. So wird jede Variante der efl chtetenabwehr als humane humanste oder vergleichsweise humanere ösung ausgeflaggt siehe Kap. 5 . Auffällig sind auch euphemistische Sprachregelungen: berwachte Sammellager um efl chtete ohne Besuchsrecht unabhängigen Rechtsbeistand etc. bis zum Abschiebentscheid zu deponieren werden z. B. mit dem einen sicherer Hafen suggerierenden Akronym Ankerzentren benannt. obei der volle ortlaut – Ankunft-Entscheidung-Rückführung – klarstellt dass Verankerung in der esellschaft als Ausgang der Entscheidung wohl nicht vorgesehen ist. Vgl. u. a. Hebel Transit. i ek Versuchung, S. 3 . Vgl. mit etwas anderer begrifflicher ewichtung auch: Keller Berger Angst.

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oder Bildungspolitik fortgesetzt vor der Einwanderungskontrolle rangieren.11 Auch das Angstbild eines Kippens der Bevölkerungsstimmung im uge der l chtlingskrise lässt sich empirisch nicht erhärten. war sind hier wie in vielen eldern Polarisierungen konstatierbar ein aggressiv artikulierter Rechtspopulismus repräsentiert dabei aber allenfalls eine Seite und tendenziell zeigen ängsschnittstudien eher fortgesetzte iberalisierungstrends in den ebensstilen wie in migrationspolitischen ragen.12 Vor diesem Hintergrund ist es eine eitthese des folgenden Beitrags dass die Verlagerungen politischer Diskurse und Praktiken auf Stellvertreterkämpfe gegen projektive eindbilder ihre Ursachen in genuinen Bezugsproblemen der Normalpolitik angesichts globaler politisch-ökonomischer Krisenkonstellationen haben f r die es im Rahmen nationaler Politik weder tragfähige ösungen noch adä uate ormen des Krisenmanagements gibt. eteilte Hintergr nde der Krisen der irtschafts- Bildungs- und Sozialsysteme der geopolitischen Beziehungen wie der globalen luchtbewegungen liegen in einer generellen Krise des globalen Kapitalismus und der damit verwobenen ormen der Vergesellschaftung. Ein Angehen der Krisenursachen w rde an Basisparameter bestehender Modi von Produktion Konsum sozialer Absicherung und politischer Regulation r hren und die konflikthafte Suche nach gesellschaftlichen Alternativen erfordern – eine Aufgabe die schwerer zu bewältigen ist als projektive Abwehrkämpfe. ur Ausf hrung dieser These werden zunächst 2 epistemologische Komplizenschaften zwischen Rechtspopulismus und hegemonialen mediopolitischen Diskursen in der Reproduktion geteilter Deutungsmuster und Kollektivsymboliken skizziert. Deren Hintergr nde werden 3 in widerspr chlichen Konstellationen einer neoliberalen Postdemokratie verortet in denen vertiefte soziale Spaltungen eine Krise der politischen Repräsentation sowie die Verlagerung politischer egitimitätsbeschaffung von der Sozialpolitik auf sicherheitspolitische und nationalsolidarische Topoi eines 11

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Auch f r den Bundestagswahlkampf 2 17 blieb laut Infratest f r die ahlentscheidung zuvorderst die Bildungspolitik relevant die 64 sehr wichtig nannten gefolgt von Altersabsicherung öhnen Verringerung der Unterschiede von Arm und Reich Umwelt und Klimaschutz esundheits- und amilienpolitik etc. Erst auf Platz 11 folgte mit 34 die Integration efl chteter erst auf Platz 13 mit 27 die Einwanderungskontrolle https: www.infratest-dimap.de umfragen-analysen bundesweit ard-deutschlandtrend 2 17 september-i . Am ahlabend 2 17 rangierte auf Rang 1 der geäu erten Sorgen mit 7 die Sorge dass die esellschaft immer weiter auseinanderdriftet während nur 3 angaben sich zu sorgen dass zu viele remde nach Deutschland kommen https: wahl.tagesschau.de wahlen 2 17- 9-24-BT-DE umfrage-wahlentscheidend.shtml. Vgl. u. a. Helbling Strijbis Deutschland.

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen

Abwehrkampfs gegen Notstände und remde den Boden f r autoritärnationalistische Problemlösungsversprechen bereiteten. Tieferliegende Ursachen dieser Entwicklungen werden 4 in einer seit den 197 er ahren bestehenden durch berschuldung Sozialabbau und Umverteilung des globalen Reichtums zugunsten der Kapitalgewinne aber lange kompensierten Strukturkrise der Kapitalakkumulation verortet. Diese m ndet seit 2 in eine Eskalation multipler Krisendynamiken und verschärfter sozialökologischer Verteilungskonflikte welche die Problembearbeitungskapazitäten nationaler Politik zunehmend berlasten. Autoritarismus Nationalismus und Rassismus sind hier 5 als Modi politischen bersprunghandelns zu deuten die sich mit repressiven Versuchen verbinden globale Ausbeutungs- und Dominanzverhältnisse zu stabilisieren und die Austragung politischer Konflikte um die k nftige estaltung globaler gesellschaftlicher Beziehungen zu blockieren. 2.

Epistemologische Komplizenschaften

egen Deutungen rechter Mobilisierungen als Reaktionen auf eine Repräsentationsl cke die eine imaginäre links-gr ne Hegemonie verursacht habe 13 zeigen schon typische Verlaufsmuster rechter Aufmerksamkeitserzeugung und mediopolitischer Anschlussreaktionen eine alle wechselseitigen eindsetzungen bergreifende epistemologische Komplizenschaft in der Reproduktion geteilter Deutungsmustern und Narrative. Die f r kalkulierte Aufmerksamkeitskaskaden zentrale rhetorische este des skandalinduzierenden Tabubruchs der suggeriert hier werde Unsagbares ausgesprochen wird in rechtspopulistischen Vorstö en stets zugleich relativiert indem das esagte als offenerer Ausdruck von auch in der politischen Mitte akzeptierten akten und orderungen ausgewiesen werden kann. u Kernthemen des Asyl- und Sozialmissbrauchs vertraten schlie lich stets auch prominente Politiker der CDU CSU oder SPD exakt 14 diese orderungen mit gro em Aplomb . Exemplarisch daf r ist der f r die Umcodierung der sozialen rage in einen nationalsolidarischen Abwehrkampf gegen Volksfremde zentrale Slogan ir sind nicht das Sozialamt der elt den Seehofer 2 1 zum Deutschlandtag der ungen Union prägte der dann diversen Rechtsparteien 13 14

Vgl. kritisch zu dieser etwa durch Patzelt vertreten These u. a.: Kocyba Veredlung. Nachtwey Wutbürger, S. 2. Vgl. ausf hrlicher Heim Fetischismus S. 345353.

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AfD NPD ProNR etc. als ahlparole diente und dennoch ein CSUDauerbrenner blieb. Selbst Bilder eines rassisch grundierten Kulturkampfs wurden – ua Kopplung der These einer bedrohten biologischen Reproduktion des Volkskörpers mit auf Kultur und Konfession projizierten sozialen Eigenschaften – auch in Parteien der Mitte tradiert und werden von rechts nur griffiger zugespitzt: Umvolkung Volkstod und eburtenDschihad der muslimischen urfmaschinen .15 ffene Deklarationen eines Rassenkriegs in dem der afrikanische Ausbreitungstyp 16 oder der Islam wie einst das eltjudentum das deutsche Volk zur Selbstverteidigung zwingen ziehen daraus nur die logische Konse uenz. Die Einbettung in geteilte Deutungsmuster erleichtert im rechten Diskurs die Abwehr von Extremismusvorw rfen. ugleich erlaubt es die drastischere Rhetorik den Volksverrätern und der genpresse inkonsistente Haltungen und eine inkonse uente Realpolitik vorzuwerfen um eine neue Autorität zu fordern die entschlossener von der eltdeutung zur Tat voranschreitet.17 Das komplementäre Muster mediopolitischer Anschlussreaktionen bilden verbale Abgrenzungen vom zu offenen Rassismus die aber primär auf die Form der Aussagen bezogen sind um zugleich zentrale Inhalte zu bernehmen. Normalisierende Deutungen rassistischer Positionen als Ausdruck berechtigter ngste des normalen Volks deren Adressierung nicht den Rechten berlassen werden d rfe legitimieren dann eine Verschiebung der Sagbarkeitsfelder und konkrete neo- bzw. metarassistische orderungen 1 gegen die Anlässe des Volkszorns d. h. die remden vorzugehen. Exemplarisch bestand eine erste Reaktion des sächsischen Innenministers auf Pegida und die Spitzenposition Sachsens bei rassistischer 15

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So Tatjana esterling in einer Pegida-Rede am 2 .9.2 15. Inhaltlich identisch sah die CDU-Abgeordnete Bellmann eine fortschreitende Islamisierung nebst eltherrschaftsstreben schon infolge der demographischen Situation der eburtenfreudigkeit auf der einen und des eburtendefizits auf der anderen Seite gegeben Bellmann Interview 13.1.2 15 . In endloser Redundanz variiert diese Motive der eugenisch-rassistische Diskurs des SPD-Bestsellerautors Sarrazin. Vgl. kritisch ink Krisen, S. 41ff. 94ff. 12 -162 174ff. Diesen stellte Bernd Höcke dem europäischen Platzhaltertyp in seiner skandalträchtigen Schnellrodaer Rede von 2 15 gegen ber. Vgl. zur Dokumentation und einanalyse: Paul Niedergang. Vgl. zu zahlreichen Beispielen dieser Muster und Strategien: Heim Fetischismus S. 345-366. Balibar Neorassismus S. 3 f. benennt so einen Rassismus zweiter inie der nicht offen rassistisch argumentiert aber rassistische Diskriminierungen reproduziert indem er Rassismus als nat rliche Abwehrreaktion interpretiert der durch Ma nahmen gegen remde präventiv zu begegnen ebd. sei.

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen

ewalt in der Ank ndigung mit Spezialeinheiten knallhart gegen Intensivtäter unter den Asylbewerbern durchzugreifen da diese die Stimmung in der esellschaft angeblich vergiften .19 ie anderenorts ausf hrlicher dargelegt 2 gehören solche Metaphern der Vergiftung durch das remde zum festen Inventar einer oft bildmetaphorisch verstärkten Kollektivsymbolik die Asylsuchende mit Krankheits- und Seuchenmetaphern mit Schmutz gellosigkeit Irrationalität unkontrollierter Mobilität Unterwanderung Kriminalität Terror assoziiert oder entmenschlicht als anonyme Massen Ströme und luten schildert die Naturkatastrophen gleich ein äu eres Chaos ins Herz unserer rdnung tragen. In um Islam ismus Kulturkampf eitkultur Asyl Migration innere Sicherheit und Notstände zentrierten Diskurssträngen projizierten solche Deutungsmuster seit den 199 er ahren auch die Ursachen multipler Krisen und sozialer Spaltungen verstärkt auf als fremd markierte ruppen während das diesen gegen ber positiv bestimmte deutsche eistungs- und ohlstandskollektiv zu verstärkter Anstrengung und nationalsolidarischer ehrhaftigkeit in der globalen Konkurrenz aufgerufen wurde. eitliche Koinzidenzen und diskursive Verschränkungen mit der Durchsetzung einer neoliberalen Politik die auch in der Erosion der Modi demokratischer Partizipation einen Nährboden des Populismus schuf verweisen auf einen usammenhang mit Transformationen der staatlichen Dispositive und Regierungsrationalitäten. 3.

Konstellationen neoliberaler Postdemokratie: Notstände, Feindbilder, Abwehrkämpfe ir leben ja in einer Demokratie und sind auch froh dar ber. Insofern werden wir ege finden die parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten dass sie trotzdem auch marktkonform ist. 21

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Vgl. zum itat und zum Muster ausf hrlicher: Steinhaus et al. Sächsisch S. 16 . Vgl. Heim Fetischismus S. 345-412 Rechst(d)ruck S. 22-47 Knopp Abstand, S. 79-1 . Dort finden sich auch Auseinandersetzungen mit weiteren kritischen Diskursanalyse im Anschluss an äger und ink. Angela Merkel 1.9.2 11 .

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Vorw rfe des Volksverrats sind ein Kulminationspunkt populistischer Politikschmähungen22 und verweisen wie komplementäre Klagen politischer Eliten ber Politikverdrossenheit auf in der Differenz von Repräsentanten und Repräsentierten angelegte konstitutive Paradoxien repräsentativdemokratischer Politik. In dieser konstituiert die Trennung der auf die fiktive Ursprungsfigur eines Volkssouveräns bezogenen unktionen der egitimitätsbeschaffung von allen politischen Entscheidungsfunktionen erst die operative Autonomie des politischen Systems .23 Die abstrakte Kommunikation der ahl die nur diffuse selbstwiderspr chliche und nichtbindende Programme zur Abstimmung stellt und gegensätzliche Klassenund Milieuinteressen so adressiert dass ihre Konflikthaftigkeit verbal neutralisiert wird dient so nicht der Präskription von Entscheidungen sondern garantiert umgekehrt eine egitimitätsbeschaffung dank derer die ewählten nicht mehr an spezifische Interessen gebunden sind 24 die die ählenden haben mochten. Dadurch können strukturell unbestimmte und unberechenbare politische Entscheidungsprozesse an dem ahlvolk unzugänglichen und unverständlichen Bezugsproblemen orientiert werden: An dynamischen Konstellationen nationaler und transnationaler Rechtslagen ökonomischen Konjunkturen labilen politischen Kräfteverhältnissen fluktuierenden l gel- und obbyinteressen etc. Entsprechende politisch ökonomisch und soziokulturell verfestigte Barrieren etwa des Informationszugangs und der politischen Sprache f hren zwischen professioneller Politik und den zu aien erklärten Mehrheiten zu wechselseitiger Entfremdung und zu einem etischismus in dem Konstellationen des politischen ebens auf imaginäre im Kollektivsingular auftretenden Metasubjekte projiziert werden: der Markt die EU der ählerwille .25 All dies ist auch Ausdruck und Vermittlungsform von iderspr chen der formell auf egalitärer Teilhabe beruhenden demokratischen ormen und der kapitalistischen unktionen des modernen Staates. In der 22

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Im Einzelnen bezieht sich das auf die Abkopplung der Politik vom Volk die partei bergreifende Alternativlosigkeit die Inkonsistenz politischer Programmatik die Inkonsequenz realpolitischer Umsetzung die Intransparenz der Entscheidungsprozesse. Vgl. zu den Topoi und ihren Hintergr nden: Heim Fetischismus S. 367-3 . uhmann Legitimation S. 173 vgl. ebd. S. 155-173. Vgl. zur konstitutiven Paradoxie auch: Ranci re Unvernehmen. Ebd. S. 165. Vgl. zu Effekten dieser Trennung in politischer rganisation Kommunikation und Sozialisation: Bourdieu Feld. Vgl. zu weiteren Ansätzen und aktuellen Konstellationen: Heim Fetischismus 367-397.

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen

Reproduktion und egitimation eines notwendig inegalitären Systems von Ausbeutungs- und Dominanzbeziehungen gegen ber davon oft negativ betroffenen Mehrheiten impliziert die demokratische Mobilisierung der Subjekte stets efährdungen der politisch-ökonomischen rdnung und privatautonomer Produktionsentscheidungen .26 Repräsentativdemokratisch prozessierbar sind diese iderspr che etwa indem ahlen den Ausdruck von Unzufriedenheit ohne Strukturgefährdung also eine Absorption von Protest leisten.27 Ihre Verschärfung kann aber auch vor die Alternative stellen politische Partizipation entweder wirtschaftsdemokratisch zu erweitern oder Politik im Namen ökonomischer Imperative zu entdemokratisieren.2 etzteres bezeichnet heute die zeitdiagnostische Metapher einer Postdemokratie 29 in der demokratische Institutionen als entkernte H lle fortbestehen aber ihr politischer ehalt erodiert. Die Auslagerung von Entscheidungskompetenzen in irtschaftsverbände Thinktanks und Beratungsagenturen oder auf transnationale Institutionen f hrt zur Selbst- Entmachtung der Parlamente. Dem politischen Streit entzogene Entscheidungen werden mit Sachzwang-Rhetoriken als alternativlos dekretiert während der Interessenstreit um Sachfragen durch von PR-Expert innen inszenierte personalisierte Politikspektakel ersetzt wird. In einer Parteiprofile nivellierenden und Parlamente zu Störfaktoren degradierenden Demokratie nach dem Demos die den Streit des Volks liuidiert und Politik auf ein Spiel der staatlichen Dispositive reduziert 3 versagt jedoch auch die Protestabsorption durch demokratische ahlen. Daf r spricht seit den 199 er ahren die verstärkte Abweichung demoskopischer Mehrheiten von parteipolitischen Entscheidungen die Erosion der ählerbasis der einstigen Volksparteien und die zunehmende ahlverweigerung.31 Den Nährboden populistischer Proklamationen eines Antagonismus von Politik vs. Demos bildet so eine langfristige Krise der Repräsentation . Deren strukturelle Ursache liegt in der Erosion der poli-

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essenich Kontrolle S. 15 vgl. klassisch: ffe Strukturprobleme. So uhmann Legitimation S. 171 173. Vgl. u. a. Abendroth Gesellschaft S. 47f. Als historisch distinkte Strukturkategorie vgl. Crouch Postdemokratie ist der Begriff ungeeignet da es eher um Varianten genereller Strukturwiderspr che liberaler Demokratien geht. Vgl. Alc ntara et al. Demokratietheorie, S. 23ff. Ranci re Unvernehmen S. 111. Vgl. Vester Kampf.

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tisch-ökonomischen Basis eines keynesianischen Akkumulationsarrangements das im langen Nachkriegswachstum nach 1945 auch den kurzen Augenblick der Demokratie 32 ermöglichte. Eine nachfrageorientierte irtschaftspolitik la Keynes in der die Ausweitung sozialer Teilhabe ua ohnkonsum und Sozialpolitik als achstumsgarant galt war dabei die rundlage eines bergreifenden hegemonialen Konsens der vielfältige Kompromisse zwischen Imperativen der Kapitalverwertung und Interessen lohnabhängiger Mehrheiten erlaubte und zugleich hinreichende Spielräume zur Pflege distinkter parteipolitischer Imageprofile eröffnete die in klassen- und milieuspezifischen Interessenund ebensstilfragen einen Unterschied machten.33 Das Scheitern dieses Modells in der eltwirtschaftskrise ab 1972 beg nstigte in irtschaftstheorie und -politik die Durchsetzung einer neoliberalen Hegemonie die diese Kompromissformel suspendierte. Eine Restabilisierung der Profit- und achstumsraten wurde nun mit einer globalen Umverteilung von unten nach oben dem Umbau der Sozialsysteme einer Prekarisierung aller ebensbereiche und zunehmenden sozialen Spaltungen erkauft siehe Kap. 4 . In der BRD wurde dieser esellschaftsumbau nach langem Reformaufschub unter der Kohl-Regierung ab 199 durch die neoliberale Einheitspolitik der rot-gr nen schwarz-roten schwarz-gelben und wieder schwarzroten Regierungen wirtschaftspolitisch vergleichsweise erfolgreich moderiert ohne aber sein Konfliktpotenzial zu neutralisieren. Neben Abstiegsund Statusverlustängsten die gerade besser gebildete und situierte Mittelschichten anfällig f r autoritäre und exklusiv-solidarische Anrufungen machen erodierte dabei der neoliberale Politikstil die demokratischen egitimationsfiktionen. Im TINA-Prinzip ein Akronym des Thatcher- eitspruchs There is no alternative suspendierten Verweise auf Sachzwänge und unbestreitbare rakelspr che politisch erw nschter Expertisen die ahl zwischen politischen Alternativen um unliebsame sozialund wirtschaftspolitische Entscheidungen auch gegen mehrheitliche iderstände aus Bevölkerung ewerkschaften und Parteibasen durchzusetzen. ormal basiert dieser managementkonforme Herrschaftsmodus in dem politisch gestaltete Prozesse als unabdingbare Naturgesetze der lobalisie-

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Crouch Postdemokratie, S. 14ff. Vgl. zu den auch soziokulturellen Demokratisierungseffekten in der postfaschistischen BRD u. a.: arausch Umkehr zu den keynesianischen rundlagen: Heim Metamorphosen S. 343-376.

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen

rung geschildert wurden auf der einst f r den Staatssozialismus charakteristischen egitimationslogik deterministischer eschichtsphilosophie .34 Da Sachzwänge die ersichtlich politisch konstruiert sind aber politisch kritisierbar bleiben 35 erforderte die expertokratische egitimation auch eine gesteigerte Intransparenz politischer Prozesse und eine Entm ndigung der Bevölkerung. Symptomatisch daf r sind eine Informationsfl sse blockierende Hinterzimmer-Politik la TTIP und eine politische Semantik die statt m ndige Subjekte in den Streit konfligierender Interessen und Argumente einzubeziehen mit dem Siegeszug des ortes werben nur mehr passive manipulierbare Konsument innen adressiert oder bei Renitenz den utb rgern Unzurechnungsfähigkeit attestiert. Verhei ungen einer Alternative f r Deutschland setzen dieser Politik der Alternativlosigkeit freilich keine neuen Modi aktiver Partizipation entgegen. Sie adressieren vielmehr ein passives Verhältnis zur Politik in der verschärften orm einer konformistischen Rebellion die ebenso Protest gegen postdemokratische Entwicklungen wie deren Ausdruck ist.36 Das zeigen exemplarisch identitär-autoritäre Konzepte von Volkssouveränität die modernen Komplexitäts- Kontingenz- und Krisenzumutungen nur die ethnisch getönte Imagination eines homogenen Volkswillens und orderungen einer wangsgewalt entgegensetzen die jede Heterogenität widerstreitender Positionen erstickt. Solche Phantasmen sind selbst Ausdruck fortgeschrittener Entfremdung von Erfahrungen aktiver politischer Partizipation die nur in permanenten stets prekären Kompromissen zwischen gegensätzlichen Interessen möglich ist und mit widerständigen Realitäten konfrontiert bleibt. ugleich reproduzieren sie im positiven Bezug auf ein nationales eistungs- und ohlstandskollektiv wie in der Differenzsetzung der dieses bedrohenden Anderen zentrale Elemente neoliberaler Notstandsdiskurse und eindsetzungen.37 o die estaltungsmacht nationaler Politik in globalen ökonomischen Verflechtungen real abnahm oder explizit negiert wurde und neoliberale Reformen sozioökonomische Spaltungen vertieften verschob sich die egitimitätsbeschaffung von der erodierten Basis sozialpolitischer egitimation auf ragen der inneren Sicherheit und eine von statistischen Befunden 34 35 36 37

Boltanski Sozialkritik S. 1 5ff. Die Eindeutigkeit von Expertisen verdankt sich oft nur dem Ausschluss abweichender Voten. Darauf bezieht sich auch das Aufbegehren gegen eine Diktatur der akten . Vgl. Heim Objektivitätsbehauptungen. Vgl. Ullrich Empörung. Vgl. ausf hrlicher: Schilk Souveränität Heim Fetischismus, v. a. S. 3 -397.

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zu Kriminalität-Terror-Migration entkoppelte Notstandskommunikation. Politische Kommunikation wandte sich so bevorzugt bjekten zu an denen sich noch öffentlichkeitswirksam Handlungsfähigkeit und Macht demonstrieren lie : l chtlinge Asylbewerber Einwanderer – die Abfallprodukte der lobalisierung – eignen sich vorz glich f r diesen weck .3 Auch technokratische egitimationen waren dabei in Handlungsdruck und Alternativlosigkeit suggerierenden Notstandsdiskursen mit projektiven Identitätsankern und eindbildern verkoppelt wof r etwa egitimationsdiskurse zur Agenda 2010 exemplarisch sind. Im Notstand verschärfter globaler Konkurrenz nationaler ettbewerbsstaaten rief der rot-gr ne Aktivierungsdiskurs das nationale eistungskollektiv vermehrt zum Nationalstolz auf die berlegenheit deutscher irtschaft und Kultur auf und forderte zugleich eine keine Klasseninteressen kennende nationale esamtanstrengung um Deutschlands Stärke neu zu entwickeln .39 Dem korrespondierten Aufrufe zu nationalsolidarischer ehrhaftigkeit gegen innere und äu ere sozial- und sicherheitspolitische einde. In klassistischen Abwertungsdiskursen stempelte die SPD dabei einerseits prekarisierte Teile ihrer einstigen Klientel mit Attributen selbstverschuldeter Unm ndigkeit und Dekadenz zu S ndenböcken f r Krisen der irtschaft und der Sozialsysteme die eistungslosigkeit und Anspruchsdenken verursacht hätten. Andererseits bediente Rot- r n – trotz zaghafter wirtschaftspolitischen Erfordernissen geschuldeten iberalisierungen im Migrations- und Staatsb r-

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Bauman Leben, S. 94. Vgl. ausf hrlicher u. a. zur Asyl- Terror-Hysterie: ebd. S. 74- 5. So Schröders Regierungserklärung zur Agenda 2 1 Bundestag Bericht S. 2492f. . Dazu sind wir Deutsche aufgerufen stolz zu sein auf die Kraft unserer irtschaft auf die eistungen unserer Menschen auf die Stärke unserer Nation ebd. S. 2493 . Das impliziert ermano-Europäische Hegemonieanspr che: Deutschland als dem grö ten and in Europa und dem grö ten Nettozahler komme eine f hrende Position ebd. S. 2 4 zu. M ntefering war zudem stolz auf Kriegseinsätze auf dem Balkan in Afghanistan und anderen Teilen der elt die eichen einer Erfolgspolitik seien dank derer Deutschland wieder als souveränes and mit allen Konse uenzen ebd. S. 25 7 agiere. Dem korrespondierten vielfältige Beschwörungen des von Schuldkomplexen befreiten Nationalbewusstseins der Berliner Republik . Vgl. Klotz iegel Brandstiftung Caborn Wende. essenich Neuerfindung sieht auch im damaligen Programm der Grünen Anklänge einer von der Diktion her geradezu völkische n Bewegung ebd. S. 95 .

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen

gerrecht die auf erbitterte eitmotive der AfD vorwegnehmende egenmobilisierung der CDU stie en4 – regelmä ig Motive des Abwehrkampfs gegen schädliche und konkurrierende remde. Neben kriminelle Ausländer raus -Rhetoriken und Erklärungen die renzen der Belastbarkeit Deutschlands durch uwanderung seien berschritten 41 galt dabei der Ausbau des Niedriglohnsektors als Dienst an der Nation im Kampf gegen Illegale .42 ugleich wurden olgen der eigenen irtschaftspolitik direkt äu eren einden angelastet. Etwa wenn die SPD strukturell antisemitische Stereotype aktivierte um ein vaterlandsloses inanzkapital f r Effekte des rot-gr nen Investitionsmodernisierungsgesetzes von 2 3 zu gei eln.43 Insgesamt r ckte die EU-weit neoliberalisierte Sozialdemokratie vom Anspruch ab soziale Ungleichheiten und Interessengegensätze in gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen zu verorten und gegebenenfalls auszugleichen. Neuer SPD-Markenkern wurde die f r liberale Positionen typische Naturalisierung und Individualisierung von Ungleichheit die deren strukturelle Ursachen und die sozialregulative Verantwortung des Staats negierte um die Schuld an sozioökonomischen Verwerfungen und Notlagen den Betroffenen anzulasten. Kehrseite der unter einem N tzlichkeitsprimat stehenden neoliberalen Inklusion von Verschiedenheit etwa im Diversitymanagement die individuelle Chancen f r Angehörige diskriminierter ruppen erhöhte v. a. wo dies Kreativimpulse f r neue Produktionslinien 4

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So nahm die CDU-Kampagne Kinder statt Inder 2 die bei der AfD zentrale völkische Kopplung von Migrations- und Reproduktionsdiskurs vorweg. Das Nein zu doppelter Staatsangehörigkeit war Hauptmotiv des von Ausländerfeindlichkeit getragenen hessischen andtagswahlkampfs 1999 vgl. Klärner Aufstand . Schily Asylrecht. Schröder erklärte u. a. der BI D am 2 .7.1997: er unser astrecht missbraucht f r den gibt es nur eins: raus und zwar schnell. So in M nteferings Apell: Alle Arbeit die es in Deutschland gibt muss von denen getan werden die legalerweise in Deutschland sind Bundestag Bericht S. 25 f. . Vgl. zur Komplementärfunktion der Illegalisierung zur Produktion rechtsloser zur berausbeutung nutzbarer migrantischer Arbeitskraft: Karakayali Gespenster. Prominent im Bild der verantwortungslosen Heuschreckenschwärmen die Substanz absaugen und Unternehmen abfressen von dem deutsche Unternehmen die stets Interessen ihrer Arbeitnehmer im Blick haben unterschieden werden M ntefering Freiheit S. 6 . An die Differenz von raffendem und schaffendem Kapital des NSDAP- irtschaftspolitikers ottfried eder erinnerten auch Unterscheidungen des amerikanischen Raubtierkapitalismus von deutschen Traditionen: Tatsächlich hat in Deutschland immer eine Art moralischer Kapitalismus existiert so Helmut Schmidt Gesetz wof r Bosch und Krupp beispielhaft seien.

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und Marktsegmente versprach war so ein um Motive der konstitutiven Ungleichwertigkeit und der Bekämpfung schädlicher Abweichungen vom eistungsprinzip zentrierter Nützlichkeitsrassismus der mit kulturalistischen und ethnisierenden Abwertungen von Menschengruppen gekoppelt blieb.44 ie Korrelationen neoliberaler rientierungen mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zeigen haben entsprechende Dispositionen hier einen Nährboden.45 Aktuelle Versuche von Parteien der Mitte durch verschärften Verbalrassismus Stimmen zu gewinnen scheitern jedoch. Denn gegen ber offen völkisch-nationalistischen ormulierungen erscheint ein Rassismus der Mitte stets als inkonsequentere Variante da er mit universalistisch-humanistischer Rhetorik ausbalanciert bleiben muss: Einerseits um breitere ahlmilieus zu adressieren andererseits da einer realpolitischen Einlösung der Verhei ungen ethno-nationaler Interessenpolitik Protektionismus renzschlie ung knallhartes Durchgreifen gegen Illegale etc. in den globalen ökonomischen und geopolitischen Verflechtungen klare renzen gesetzt sind. So korrespondierten der deutschen Entscheidung gegen nationale renzschlie ungen 2 15 auch valente Nationalinteressen des Exportweltmeisters am freien arenfluss im Schengen-Raum. Strukturell bleibt Politik innerhalb des usammenhangs von globalem Kapitalismus und nationalstaatlicher Regulation mit widerspr chlichen Anforderungen konfrontiert. Der Universalismus des freien Kapital- und arenverkehrs inklusive globaler Mobilität humanoider Träger der are Arbeitskraft und der exklusiv-solidarische Partikularismus nationaler Arbeitsmärkte und Sozialsysteme bilden dabei im kapitalistischen eltsystem unauflösbare iderspr che denen unauflösbare ideologische Spannungsverhältnisse entsprechen.46 Das neoliberale Changieren im Spannungsfeld 44

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Vgl. zum N tzlichkeitsrassismus: Heim Rechts(d)ruck S. 36ff. zur Negation von Klassenverhältnissen: ebd. S. 29ff. Heim Metamorphosen S. 423-466. Selbst sozialdarwinistische Konse uenzen f r die Sarrazin später ein Parteiausschluss drohte legte das von M ntefering zum SPD-Motto erhobene Paulusort Nur wer arbeitet soll auch essen nahe. Eine Kopplung mit ethnisierender Abwertung zeigt u. a. die Kollektivsymbolik fauler dekadenter S dländer in der Staatsschulden-Krise . Vgl. dazu u. a. ink Kultur. Vgl. dazu: ro undlach Heitmeyer Ökonomisierung. Vgl. allerstein Spannungsverhältnisse S. 39-4 . Eine Basis universalistischer reiheits- und leichheitsideale liegt in der abstrakten leichheit der mit der arenform verwobenen eistungs- und ertä uivalenz im freien elthandel und im Imperativ Arbeitskräfte unabhängig von Ethnie und eschlecht frei und gleich zu verwerten. ugleich erfordert Kapitalismus geopolitische Ausbeu-

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen

libertärer universalistisch-inklusiver und autoritärer partikularistisch-exklusorischer Strukturanforderungen und Ideologieelemente f hrte zu einer Politik die parallel diversitäts- und inklusionspolitische Programmatiken zur Aktivierung weiblicher und migrantischer Arbeitskraft und die Reproduktion und Vertiefung klassistischer nationalistischer heterosexistischer und rassistischer Strukturen und Diskurse forcierte. Das f hrte zu verschärften Binnenfriktionen und neuen Spaltungs- und Konfliktlinien in der rage welche ruppen von der Anerkennung nutzbarer Unterschiede bei parallel vertiefter sozialer Ungleichheiten in entsicherten ebensverhältnissen wie profitierten und wer ihre asten trug.47 Hegemonieeffekte rechter Anrufungen basieren hier u. a. darauf dass sie den partiellen Abbau heterosexistischer und ethnischer Diskriminierungen als Privilegierung abweichender Minderheiten abwehren um dem gegenber Interessen des normalen Volks – also volksdeutscher erktätiger in traditionellen heteronormativen Kleinfamilien – durch Engziehen der Normalitätsgrenzen zur Exklusion konkurrierender Anderer zu verteidigen. Dabei setzten sie die im Neoliberalismus parallel kultivierten autoritären und ethno-nationalistischen rientierungen als Alternative gegen die Programmatiken von lobalität Kosmopolitismus und Pluralismus. Deren Abwertung als Schönwetterpolitik in Schönwettergesellschaften 4 hat einen Realitätskern: o globale Krisendynamiken weniger akut zutage traten war die Koexistenz universalistisch-inklusiver und partikularistisch-exklusorischer rientierungen leichter vereinbar. In verschärften Krisen und Konkurrenzsituationen werden exklusorische Struktur- und Ideologieelemente aber zu Applikationsvorlagen f r Versuche Etabliertenvorrechte durch Abwehr konkurrierender Anderer zu verteidigen. Muss die Normalpolitik den solchen Positionen widerstreitenden globalen Interdependenzen und der gewachsenen Heterogenität der ebensformen weiter Rech-

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tungs- und Dominanzbeziehungen und gravierend ungleiche ebensverhältnisse d. h. die Reproduktion von Segregationsstrukturen: zum Ein- und Ausschluss von Bevölkerungen durch Staaten und renzregime und zur Reproduktion verschiedener Arbeitskrafttypen mit differenten ebenschancen was variable ormen von Sexismus Rassismus und Nationalismus legitimieren. Exemplarisch ist eine leichstellungspolitik die weibliche Arbeitskraft v. a. dem expandierenden Teilzeit- und Niedriglohnsektor zuf hrte wovon eine weibliche Arbeitskraftelite profitiert die Reproduktionslasten in globalen CareChains auf billige illegalisierte Arbeitskraft abwälzen kann. Vgl. Heim Rechts(d)ruck S. 27-4 . Höcke Rede 16.9.2015.

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nung tragen verhei en rechte Anrufungen den gordischen Knoten komplexer und ambivalenter globaler Verflechtungen mit nationaler Entschlossenheit zu durchschlagen. Da dies uneinlösbar bleibt f hrt rechtspopulistische Regierungsverantwortung wie im all Trumps freilich nur zu stärkeren und unberechenbareren Pendelausschlägen im skizierten Spannungsfeld.49 Parteien der Mitte fluktuieren spätestens seit dem Asylstreit 2 1 allerdings im selben Muster zwischen unberechenbaren Ausschlägen nach rechts nationale Härte renzsicherung identitäre Heimatrhetorik und Versuchen das gestörte leichgewicht der liberalen eltordnung zu restabilisieren. ugleich verschärft das esthalten an alternativlosen neoliberalen Patentrezepten sozioökonomische und politische Denormalisierungen was weitere Entdemokratisierung erzwingt da efolgschaft in und zwischen den EU-Staaten vermehrt mit autoritären Mitteln erzwungen werden muss .5 Insofern scheinen die Möglichkeitsräume erschöpft konstitutive iderspr che kapitalistischer Vergesellschaftung in tragfähigen politischen Regulationen dynamisch zu prozessieren. Dies hat Hintergr nde in einer seit 1972 anhaltenden und seit 2 eskalierenden Strukturkrise der Kapitalakkumulation. 4.

Vertagung und Eskalation: Kapitalistische Krisendynamiken 2008ff. und 1972ff.

Es ist ein oft bestätigter Befund der klassischen Autoritarismusforschung dass ausgeprägte Krisenperioden in kapitalistisch-normalistischen esellschaften autoritäre Reaktionen beg nstigen. Staatliches Krisenmanagement agiert in seinen auf eine Normalisierung durch Engziehen von Normalitätsgrenzen setzenden protonormalistischen Ma nahmen austeritätspolitische Radikalkuren esundschrumpfen von Sozialkosten etc. oft selbst autoritär um auch gegen iderstände den rtel enger zu schnallen während flexibel-normalistische Ausweitungen von Normalitätsgrenzen

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Nationalprotektionistische Drohungen renzschlie ungen und Dehumanisierung der Migrationspolitik treffen auf renzen in der Abhängigkeit der USA von illegalisierter migrantischer Arbeitskraft und von globalen Produktionsund inanzketten. So hängt nicht nur die US-Industrie von chinesischem Stahl ab der Hauptgegner im Handelskrieg ist auch grö ter läubiger und wichtigster inanzier des US-Staatshaushalts. Dörre Wachstum S. 49. Vgl. ausf hrlicher: Heim Selbstverunmöglichung ink Kultur.

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen

lexibilisierung eldflutung Inflation expansive Verschuldung Kontrollverlustängste und autoritäre egenreaktionen fördern. Auch die Reaktionen vergesellschafteter Subjekte auf kapitalistische Krisenzumutungen sind nicht notwendig an emanzipatorisch-systemtranszendierende iele gekn pft und m nden oft in näherliegenden exklusiv-solidarischen orderungen nach der Stärkung eigener Positionen und der Verteidigung exklusiver an Nationalität eschlecht und Ethnie gekn pfter Schutzräume in der globalen Konkurrenz also in reaktiven orderungen nach härteren ugehörigkeits- und Normalitätsgrenzen.51 Hier stehen j ngste autoritäre Verschiebungen und die oft zu deren Ursache erklärte l chtlingskrise im Zusammenhang multipler medial nur fragmentiert behandelter Kriseneskalationen. Spätestens die wandernden Krisenbrennpunkte ab 2 zeigen dass politische Normalisierungsversuche ihr iel heterogene gesellschaftliche Trends und Dynamiken so aufeinander abzustimmen dass möglichst viele statistische elder möglichst stabile Normalverteilungen zeigen kaum mehr erreichen. In der eltfinanzkrise konnten ökonomische Indizes nur durch die historisch beispiellose Explosion der Staatsverschuldung normalisiert werden also durch gravierende fiskalpolitische Denormalisierung. Dies f hrte zur ab 2 11 eskalierenden Staatsschuldenkrise in der die fiskalpolitische Normalisierung ua Austeritätspolitik multiple sozialpolitische Denormalisierungen verschärfte: ffnung der sozialen Schere Krise der esundheits- und Sozialsysteme bis zum faktischen Kollaps in der EU-Peripherie Massen- und v. a. ugendarbeitslosigkeit in vielen EU- ändern.52 Effekte dieser Normalisierungspolitik zu asten lohnabhängiger Mehrheiten verschärfen die politische Hegemoniekrise die in der durch deutsche Austeritätsdiktate beförderten Desintegration der EU wie im Erfolg populistischer Parteien hervortritt. Die in Umkehrung aller Dependenzen etwa durch den Innen- und Heimatminister Seehofer 2 1 zur Mutter aller Probleme erklärte Migration macht nur Symptome dieser valenten Krisen gesteigert sichtbar. ugleich ist der historische Höchststand von 65 6 Millionen Menschen die 2 17 auf der lucht vor Krieg ewalt und Ausbeutung waren und von de-

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Ausf hrliche Befunde solcher exklusiv-solidarischer Reaktionen bieten u. a. Dörre et al. Gesellschaftsbild. Vgl. zur Einordnung solcher und anderer Befunde in eine an ink anschlie ende normalismusanalytische Betrachtung aktueller Krisenkonstellationen: Heim Selbstverunmöglichung Antagonismen. Vgl. zur Krisense uenz ab 2 ausf hrlicher: ink Krisen, S. 199-21 Heim Rechts(d)ruck S. 47-54.

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nen ein winziger Bruchteil die EU erreicht selbst ein Effekt globaler Krisendynamiken und Destabilisierungen. So expandierten im efolge der inanzkrise ab 2 and rabbing und Agrarspekulationen verbunden mit Enteignung Vertreibung erstörung von ebensgrundlagen und Vermehrung gewaltförmiger sozialökologischer Verteilungskonflikte.53 Die Projektion der Krisenursachen auf Symptome wie Migration und Populismus blockiert die Auseinandersetzung mit den wirklichen gesellschaftlichen Ursachenkonstellationen. Das setzt langfristige Krisenverdrängungen und -vertagungen fort welche die Kriseneskalationen ab 2 erst vorbereiteten. Diese markieren letztlich nur den finalen Ausbruch einer seit der eltwirtschaftskrise 1972ff. bestehenden strukturellen Akkumulationskrise die in der durch eine globale Verschuldungsökonomie gekauften eit verdeckt und verschärft worden war.54 Auch vor den Rettungsschirmen eldflutungen und achstumsbeschleunigungsgesetzen ab 2 beruhte die Normalisierung der achstums- und Profitraten seit den 19 er ahren auf expansiver Staats- und Privatverschuldung und diversen Spekulationsblasen. Trotz neoliberaler Kritik am keynesianischen Deficit-Spending war der Neoliberalismus in seiner fiskal- und wirtschaftspolitischen Basis so nur durchgedrehter Keynesianismus. Keynes Steuerungsprinzip setzte eigenlogische Kapitalzyklen voraus die die temporären Staatsverschuldungen antizyklisch moderieren sollten um soziale riktionen zu minimieren und achstumsimpulse zu setzen die den Akkumulationsmotor wieder auf Touren bringen was dann den Ausgleich der Staatsschuld erlauben sollte. Demgegen ber basiert die politische konomie des realexistierenden Neoliberalismus kontinuierlich primär auf Verschuldungs- und Umschuldungskonstrukten die die stagnierende Akkumulation mit ungedeckten Anleihen auf eine unmögliche ukunft der ertschöpfung anreizen.55 In Differenz zu Keynes bei dem So-

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Vgl. zu solchen Befunden und weiterer iteratur u. a. Dörre Wachstum und Drobot Heim Scarcity. Streeck Gekaufte Zeit) bietet bei aller ragw rdigkeit seiner nationalprotektionistischen Schl sse einen soliden berblick ber die entsprechende neoliberale Verschuldungsökonomie und ihre soziopolitischen Effekte. Vgl. zu weiteren Befunden u. a. Kisker Überakkumulation S. 335-343 Brenner Economics allerstein Krise. Vgl. zu den differenten Akkumulationsarrangements: Heim Metamorphosen: S. 36 -4 4. Die Irrealität der fiktiven ertschöpfungskonstrukte zeigt sich darin dass 2 7 vor der inanzkrise das eltfinanzvolumen Aktien Derivate Spe-

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen

zialausgaben ohnkonsum und eine Top-Down-Umverteilung das achstum durch erhöhte Nachfrage anreizten steht die Verschuldung dabei im Dienst einer gegenläufigen angebotsorientierten Politik der die arantie der Kapitalgewinne als Investitionsanreiz gilt was ohnkostensenkung und Bottom-Up-Umverteilung erfordert. Einkommens- und Vermögensverluste lohnabhängiger Klassen zugunsten von ugewinnen der Vermögenseliten R ckgriffe auf eine urspr ngliche Akkumulation ua Enteignung von ugriffsrechten auf Naturressourcen und vertiefte Kl fte zwischen armen und reichen ändern sind Momente dieser Entwicklung.56 Neben expansiver Staatsverschuldung in den ändern oberer Normalitätsklassen selbst wurden deren Kapitalgewinne und Produktionsstandorte durch exzessive Überschuldung der Staaten unterer Normalitätsklassen in der globalen Semi- Peripherie gest tzt. Ungedeckte Kredite generierten eine verschuldungsbasierte Nachfrage nach hochpreisigen Investitions- und Konsumg tern aus dem globalen Norden der ökonomisch zudem von fallenden Rohstoffpreisen profitierte da die Schuldenbedingungen periphere Extraktionswirtschaften in eine gesteigerte eltmarktkonkurrenz drängten. ugleich reizte die berschuldung die inanzspekulation auf ährungen Rohstoffe und Staatsanleihen an. Die sozialökologischen und geopolitischen Effekte bereiteten die rundlagen der heutigen globalen luchtbewegungen mit vor.57 All dies hielt den Abbau und die Verlagerung von Industriearbeitsplätzen nicht auf. Auch in besseren Konjunkturphasen blieb die Realinvestitionsuote relativ gering und die Erwerbslosigkeit stieg in allen ECD- ändern berzyklisch an. ugleich wurde die expandierende Staatsschulden uote zunehmend untragbar und nach 199 durch gravierende Einschnitte in den Sozial- Bildungs- esundheits- und Infrastrukturausgaben heruntergefahren. Neue St tze der Verschuldungsökonomie wurde ein privatisierter

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kulation auf Anleihen etc. die sog. realwirtschaftliche ertschöpfung gehandelte Produkte und Dienstleistungen um das bis zu 65fache berstieg. Allerdings konstituierte z. B. die Immobilienblase erst die fiktive Basis realwirtschaftlicher ertschöpfung. Da Real- und inanzwirtschaft im Kapitalismus untrennbar gekoppelt sind vgl. Marx Kapital Bd. III. S. 35 -626 ist die Unterscheidung selbst missverständlich. Vgl. dazu u. a. Piketty Kapital S. 313-624. Vgl. zu diesen oft dokumentierten usammenhängen prägnant: allerstein Absturz S. 47-66. inks Normalismus v. a. S. 41-47 Normalitätsklassen-Konzept ist allersteins entrum- Semi- Peripherie-Modell analog bezieht aber weitere aktoren ein und erlaubt eine bessere einauflösung in einem f nf- elten-Modell .

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Keynesianismus 5 der es erlaubte Effekte des Sozialabbaus individuell durch expansive Privatverschuldung zu kompensieren. Dies erforderte weitgehende Deregulierungen des inanzsektors um die berschuldung bisher nicht kreditw rdiger ruppen zu ermöglichen und Risiken des ahlungsausfalls in immer höherstufige Derivatkonstrukte zu verlagern. Das privatisierte deficit spending war so mit der seit den 199 er ahren eskalierenden olge von Spekulationsblasen – Aktien- Dotcom- Immobilienblase – verwoben die die Akkumulationskrise zugleich verdeckten und verschärften.59 Das Platzen der Immobilienblase leitete schlie lich die globale inanzkrise ein die der historisch grö te Anstieg der Staatsverschuldung abfing und in eine globale Staatsschulden- und ährungskrise verlagerte. Dies und die vermehrte Spekulation auf Staatsanleihen und ährungen zwangen zu weiterem Sozial- und Demokratieabbau. Um das Vertrauen der Märkte zur ckzugewinnen wurde die mit dem ahlvolk geschlossene riedensformel eines auf Pump finanzierten Konsumismus 6 partiell aufgek ndigt was die politische Hegemoniekrise verschärft. Die vertagte Krise hat damit nicht nur ökonomische Dimensionen und umfasst alle an die Kapitalakkumulation gekoppelten Modi der Vergesellschaftung. Sie betrifft etwa die verschärfte Krise der ohnarbeit an die in der ohnarbeitsgesellschaft alle Aspekte gesellschaftlicher Integration gekoppelt sind – u. a. Konsum Anerkennung sozialrechtliche Absicherung eiterbildung Interessenvertretung in institutionalisierten Konflikten von Kapital und Arbeit.61 Da auch staatliche Sozialsysteme via Steuern und Abgaben an den unktionszusammenhang von ohnarbeit und Kapitalverwertung gekoppelt sind können sie nur temporär Ungleichgewichte ausgleichen und geraten ihrerseits in eskalierende Krisen wo die ahl der f r die Verwertung berzähligen die Nachfrage nach Arbeitskraft langfristig bersteigt.62 ährend der Exportweltmeister BRD Hauptlasten dieser 5 59 6 61

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Crouch Überleben, S. 143-169. Vgl. zu den sich ablösenden Blasen u. a.: Krugmann Weltwirtschaftskrise v. a. S. 17 -179. Streeck Gekaufte Zeit S. 7 . Castel Metamorphosen S. 2 3-335. o die ugendarbeitslosigkeit 22 5 im EU-Durchschnitt in riechenland und Spanien bei fast 5 in einigen Regionen ber 7 liegt 2 16 ist damit gerade f r die am besten ausgebildete eneration der ugang zum primären Integrationsmodell blockiert. Trotz Kostenexplosion im Sozialsektor fallen so selbst in reichen Staaten 1 bis 15 der Bevölkerung aus dem Inklusionsraum von ohnarbeit und sozialer Absicherung weitgehend heraus. Vgl. Mann Ende S. 9 ff. vgl. zu den berzähligen: Castel Metamorphosen S. 336-4 Bauman Leben.

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen

Entwicklung in die EU-Peripherie abwälzt und das sinkende ohnarbeitsvolumen durch wangseingliederung der berfl ssigen in prekarisierte staatlich gest tzte Bullshitjobs in einer esellschaft der Vollerwerbstätigkeit 63 berdeckt findet derselbe Krisenzusammenhang anderenorts gesteigerten Ausdruck. Etwa im andel der hettos von sozial integrierten ebensräumen f r nach Ethnie und Klasse segregierten aber verwertbaren Bevölkerungsteilen zu Hyperghettos die wie die efängnisse zu Deponien f r verworfenes eben verkommen das zugleich Basis neuer Ausbeutungsformen wird.64 Diese globalen Krisenzusammenhänge betreffen v. a. auch die Krisen gesellschaftlicher Reproduktion – im öffentlichen Bildungs- esundheitsund Pflegebereich wie in der zunehmend berlasteten Privatsphäre und in der Reproduktion ökologischer Existenzbedingungen. etztlich eskaliert hier ein nach Marx formationslogisch bergreifender Hauptwiderspruch des Kapitalismus. Dieser steigere den stofflichen Reichtum an tern Produktionskapazitäten v. a. aber an prinzipiell jenseits ökonomischer Notwendigkeiten frei verfügbarer Zeit ins Unermessliche. Statt diesen berfluss aber f r die nachhaltige estaltung sozialer kultureller und politischer Beziehungen zu nutzen wisse er damit nichts anzufangen als ihn dem ma losen Selbstzweck der Kapitalverwertung zu subsumieren also die verf gbare eit in usatzarbeitszeit zu verwandeln. Da bei erhöhter Arbeitsproduktivität immer mehr ter mit stetig sinkender Arbeitszeit produziert werden kann die wachsende Arbeitsbevölkerung der Verwertungslogik allerdings nur mehr subsumiert werden indem stetig wachsende Teile des erzeugten stofflichen Reichtums dem Kultus des abstrakten Reichtums geopfert werden. Der Selbstzweck der Akkumulation erfordert so beschleunigte tervernichtung um hinreichend neue aren produzieren und absetzen zu können was den Durchsatz von Naturressourcen durch das Akkumulationsgetriebe steigert. Marx sah hier einen eskalierenden iderspruch der auf den bornierten Selbstzweck monetären achstums bezogenen Kapitalzyklen zu den sozialökologischen Reproduktionszyklen d. h. zu den Bed rfnissen und Naturvoraussetzungen menschlichen ebens.65

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Castel Krise S. 13 vgl. zur Ethnographie entsprechender Arbeitsformen: raeber Bullshit-Jobs. Vgl. Bauman Leben sowie u. a.: ac uant Symbiosen arland Control. Vgl. zu einer der prägnantesten ormulierungen: Marx Grundrisse S. 6 1-6 7 zum esamt berblick ber die marxsche Krisentheorie und ihre ökologischen Implikationen: Heim Metamorphosen S. 22 -25 .

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Dies findet seine Vollendung: wenn heute 56 der globalen Kalorienproduktion in den Distributions- und Spekulationsketten nicht bed rfnisorientiert verteilt sondern profitorientiert vernichtet werden 66 wenn von der Immobilienblase hinterlassene Bausubstanz abgerissen wird während wangsräumungen zunehmen um Immobilienpreise gesunden zu lassen 67 wenn Konjunkturpakete eine dank egwerfkultur und beschleunigter bsoleszenz ohnehin enorme tervernichtung weiter anreizen. ugleich können all diese Anstrengungen die Profit- und achstumsklemme und die Verknappung von Arbeit kaum mehr kompensieren. In einer weiter kapitalistisch verfassten Postwachstumsgesellschaft sind iderspr che der Produktionsverhältnisse und daraus resultierende Konfliktdynamiken kaum mehr im dynamischen leichgewicht zu halten.6 Entgegen allen b rgerlichen Sozialutopien f hrt wachsender berfluss so nicht zu egalitärer Teilhabe und freier soziokultureller Tätigkeit in einer esellschaft der befreiten eit sondern zu Verarmung Arbeitslosigkeit und Ausschluss aus der esellschaft sowie zur Verschärfung des Krieges aller gegen alle 69 – etwa in ethnosozial umgedeuteten sozialökologischen Verteilungskonflikten zwischen eltregionen Staaten Klassen etc. .7 Dies entspricht weltsystemanalytischen Prognosen der 199 er ahre denen zufolge bereits die eltwirtschaftskrise ab 1972 den Eintritt des kapitalistischen eltsystems in ein finales Dekompositionsstadium markierte. In mehrere yklen durchlaufenden säkularen Trends habe sich die historische Kapazität des Kapitalismus erschöpft zyklische Krisen und Impulse 66 67 6

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Vgl. Kreutzberg Thurn Essensvernichter S. 5 -69. Dank dessen gibt es in Spanien inzwischen immerhin Hoffnung auf eine neue Immobilienblase. Vgl. https: deutsche-wirtschafts-nachrichten.de 2 1 4 4 spanien-kuendigt-sich-die-naechste-immobilien-blase . o langfristig geringes Null- oder Negativwachstum wie in riechenland ab 2 9 bittere soziale Realität wird ist der Begriff der Postwachstumsgesellschaft kaum f r nachkapitalistische Alternativen zu reservieren Dörre Wachstum S. 4 . Das bestätigen auch ECD-Prognosen: 2 6 werde die elt an tern und Produktionskapazitäten viermal reicher globalisierter besser gebildet sein – mit dramatischer Konse uenz. achstumsraten w rden auch in Entwicklungsländern dramatisch abflachen da Aufholeffekte auslaufen. Dies sowie Automatisierung und Digitalisierung f hre auch in hoch ualifizierten Sektoren IT Management etc. zu Unterbeschäftigung und stärkerer sozialer Spaltung. kologische riktionen verschlimmern die age ebenso wie fiskalpolitische und ökologische Effekte etablierter Modi der achstumsanreizung. Vgl. Braconier et al. Challenges. orz Kritik S. 257. Vgl. zur Diskussion gegenläufiger Sozialutopien: Heim Antagonismen. Dörre Wachstum S. 52 ff.

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systemkritischer Bewegungen in Transformationen zu verarbeiten die ein temporär stabiles dynamisches Systemgleichgewicht ermöglichten.71 Das System nähre sich asymptotisch den renzen seiner Existenzbedingungen. Diese liegen u. a. in den renzen der globalen Expansion die indem sie alle eltregionen der globalen Arbeitsteilung und Ausbeutung subsumiert tendenziell auch globale Sozial- ohn- und Rohstoffkosten zuungunsten der Profite verschiebt. ugleich nähert sich mit exponentieller Naturzerstörung die Externalisierung öko-sozialer olgekosten der Akkumulation ihren absoluten renzen. Nationalstaatliche Kompensationsversuche dr cken entweder ua Besteuerung die Profite oder f hren zur die Destruktionsdynamik steigernden orcierung von berschuldung und berausbeutung. In Differenz zu anderen apokalyptischen Marxismen resultiert daraus f r allerstein aber kein usammenbruch . Systemische ogiken des Prozessierens der Antagonismen bzw. bewährte Rezepte ihres Managements reproduzieren das bestehende eltsystem blind weiter aber mit zunehmend chaotischen luktuationen und destruktiven riktionen in konomie kologie und eo- Politik und mit gesteigerten multipolaren Konfliktspannungen die stärkere Abweichungen von normalen unktionsparametern erzwingen wodurch das System ins Schleudern gerät .72 Aktuelle Haupttrends laufen zuverlässig auf die diesbez glich f r die ersten Dezennien des 21. ahrhunderts prognostizierte Hölle auf Erden 73 zu. 71

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Krisenhafte zyklische Umbauten kapitalistischer Vergesellschaftung analysieren mit differenter ewichtung ökonomisch-technologischer soziokultureller und politischer Aspekte u. a. auch die neomarxistische Regulationsschule sowie die an oucault anschlie enden ouvernementalitätsstudien. Vgl. zur verschiedene Ansätze integrierenden Analyse dieser Transformationen: Heim Metamorphosen S. 259-422 S. 551-6 2 der Chancen neuer Regulationen innerhalb des Kapitalismus noch nicht ganz so pessimistisch einschätzte wie hier. allerstein Absturz S. 5 . Vgl. ausf hrlich auch: Utopistik S. 49ff. allerstein Utopistik S. 43-75. Die Eskalation ökonomischer sozialer und ökologischer Krisen f hre zu un bersichtlichen multipolaren inner- und zwischenstaatlichen Konfliktspannungen und Kriegen während transnationale Kontrollgremien und Rechtsstandards kollabieren vgl. ebd. S. 64ff. . Expandierende luchtbewegungen treffen in den Nationen des entrums – wo der Verfall der Bindekräfte universalistischer Ideologien exklusorische undamentalismen fördere vgl. ebd. S. 56f. – auf offenen Rassismus gegen die angebliche Invasion von Barbaren ebd. S. 67ff. . Unterdessen desintegrieren fiskalische berlastungen elementare Staatsfunktionen Rechtsstandards ewaltmonopol Polizei was R ckgriffe auf vormodernes Kliententum Privatisierung von Sicherheitsdienstleistungen Selbstschutz in B rgerwehren und mafiöse Durchdringungen legaler Strukturen fördere vgl. ebd. S. 56-62 . Autoritäres Auftreten gegen Kriminalität Terror Migration werde als Simulation von Stärke die

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Der Ausgang der Verschiebungen ist jedoch nicht determiniert. Er entspricht einer chaostheoretischen nichtlinearen Dynamik in der kleine luktuationen und Interventionen in pfadabhängigen Kumulationen unerwartbare irkungen Schmetterlingseffekt haben. Die eit des Niedergangs ist so auch ein eitalter des bergangs in dem Abweichungen von den Systemparametern an eine abelung mit alternativen egen zu einem anderen System mit einer neuen Struktur und anderen zyklischen Rhythmen 74 f hren. Da dieses neue System sich in unberechenbaren sozialen Kämpfen und chaotischen Verzweigungskaskaden austariert bleibt der bergang stochastisch und kontingent.75 Das erlaubt keine Prophezeiung aber eine Eingrenzung möglicher Vektoren. Möglichkeitsbedingungen stärker hierarchisch-inegalitärer autoritärer und gewaltbasierter Strukturen sind in der egenwart ebenso angelegt wie die einer föderal-globalen eltregierung mit relativ egalitären Partizipationsrechten. Staatliche Politik und mediopolitische Diskurse weisen in Versuchen repressiver Systemstabilisierung derzeit in die erstere auch vom Rechtspopulismus vertretene Richtung operieren aber vorerst im Modus eines konse uente Entscheidungen vermeidenden bersprunghandelns. Dabei werden Ansatzpunkte alternierender Entwicklungspfade zunehmend blockiert sind aber vielfältig vorhanden. 5.

Politisches Übersprunghandeln oder Suche nach globalen Alternativen? Europas Armee an den K sten hält stand verteidigt die Reiche der Reichen Bis zu den Augen im D nensand hinter den Bergen aus eichen. 76 enn wir nicht in der esellschaft wie sie ist die materiellen Produktionsbedingungen und ihnen entsprechenden Verkehrsverhältnisse f r eine klassenlose esellschaft verh llt vorfänden wären alle Sprengversuche Don uichoterie. 77

Der egenwartsgesellschaft wird oft generelle ukunftsverbautheit 7 attestiert. ortschritts- und Aufstiegsversprechen die im ordismus noch

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Kehrseite der Schwächung des Staates bilden und die Verschiebung der Polizeiund eheimdienstarbeit in rauzonen der Il- egalität verstärken vgl. ebd. S. 62ff. . allerstein Absturz S. 5 vgl. S. 231-259. allerstein Kaputtdenken S. 179. enzel Mensching Abschied S. 14 . Marx Grundrisse S. 93. Bude Augenblick S. 5 .

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen

breites Vertrauen in die prinzipielle erechtigkeit und Entwicklungsfähigkeit der esellschaftsordnung ermöglichten sind weitgehend erodiert. 2 17 gingen in der BRD 62 der Befragten von einem Systemversagen aus 26 waren unentschieden nur 12 erklärten das System funktioniere was den erten Kolumbiens entspricht von rankreich aber getoppt wird 72 Systemversagen 22 unentschieden .79 Ein trotz aller Verschuldung prekäres achstum vertiefte soziale Spaltungen und wachsende öko-soziale olgekosten einer destruktiven Produktionsweise prägen den Erfahrungsraum einer Abstiegsgesellschaft . Nachtwey in der sich auch der Erwartungshorizont f r Entwicklungen zum Besseren schlie t. ugleich sind im erreichten rad der Arbeitsproduktivität und der globalen Verflechtungen produktions- und kommunikationstechnische Bedingungen ganz anderer gesellschaftlicher Verhältnisse vorhanden die jenseits systemimmanenter wänge zu monetärem achstum und zur Subsumtion aller sozialen Verhältnisse unter die warenförmige uantifizierung und Verrechnung von eistungs- und ertä uivalenz eine nachhaltige bed rfnisorientierte Regulation sozialökologischer Reproduktionszyklen erlauben w rden. Daf r gäbe es auch Ansatzpunkte in den b rgerlichen Verkehrsverhältnissen . Etwa wo Gleichstellungs- und Inklusionsanspr che die von Marx kritisierten bornierten b rgerlichen leichheitsprinzipien in die Richtung einer Anerkennung der prinzipiellen Ungleichheiten von Herkunft ähigkeiten Interessen und Bed rfnissen berschreiten und davon unabhängig Teilhabegarantien versprechen. Krisen und Verteilungskonflikte die eine Einlösung universeller Inklusionsanspr che verunmöglichen sind dabei keiner prinzipiellen Disproportion von Bed rfnissen Produktionskapazitäten und Naturressourcen geschuldet. Sie sind nur paradoxer Ausdruck f r eine esellschaft die zu reich f r den Kapitalismus ist und prinzipiell reich genug wäre f r allgemeine Teilhabe nach dem Prinzip: eder nach seinen ähigkeiten jedem nach seinen Bed rfnissen o ragen nach prinzipiellen gesellschaftlichen Alternativen aber ins Unsagbare abgedrängt bleiben scheint die Nutzung dieser Möglichkeiten im ortsinn utopisch: ortlos in bestehenden Systemparametern. Alle diesbez glichen Konzepte solidarische konomie bedingungsloses rundeinkommen unbedingte Bildung Degrowth etc. kollidieren mit Struktur-

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Vgl. das Edelmann Trust Barometer: https: www.edelman.com research 2 17trust-barometer-global-results. Vgl. zu dieser Utopie klassisch: Marx Kritik, S. 21. Vgl. zu den Möglichkeitsbedingungen anderer Modi der Vergesellschaftung ausf hrlicher: Heim, Metamorphosen, S. 53 -55 5 7-6 1 ders. Antagonismen.

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prinzipien der egenwartsgesellschaft und mit daran gekn pften rientierungen. egen die ccupygleichung die 1 Eliten gegen 99 eltbevölkerung setzt stehen globalen Alternativen nicht nur Interessen der Besitzund Statuseliten entgegen sondern an bestehende Arbeits- Konsum- und Absicherungsverhältnisse gekn pfte ebensgewohnheiten aller Bevölkerungsteile die zumal in der EU von globalen Ausbeutungs- und Dominanzverhältnissen abhängen. Systemantagonismen verlaufen so nie als klare ronten entlang von Klassengrenzen sie durchziehen alle Klassenfraktionen und die Subjekte selbst. 1 ugleich fehlen tragfähige Strukturen zur alternativen globalen Vermittlung von Tätigkeiten und Bed rfnissen die die heute im chaotischen Spiel der Märkte nationalstaatlicher Interessenkämpfe und geopolitischer Dominanzverhältnisse erf llten politischökonomischen unktionen bernehmen könnten. 2 Die so markierten einzelstaatlich unlösbaren Aufgaben berlasten jede nationale Politik. Konse uent nationalistische ösungen sind innerhalb des nationalen ohlstandsinteressen vorausgesetzten kapitalistischen eltsystems unrealisierbar während jede lobal overnance an der verschärften Konkurrenz der ettbewerbsstaaten scheitern muss. Konseuente Entscheidungen in Richtung alternierender Pfade zu prinzipiellen Systemalternativen sind so normalpolitisch ausgeschlossen während bewährte Bordmittel einer Politik der Mitte in allen Politikfeldern vermehrt dysfunktional wirken. In multiplen Strukturkrisen zu deren Bearbeitung tragfähige Konzepte fehlen und deren Ursachen in Produktionsverhältnissen liegen von deren Nettobilanz EU-Staaten weiter profitieren bilden stärkere Pendelausschläge zum Pol autoritär-nationalistisch-exklusorischer Politik und ostentative Abgrenzungen von rechts Komplementärformen politischen Übersprunghandelns. Politiken der Mitte die einen unhaltbaren

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Vgl. zu solchen Ambivalenzen der Klassenlagen und Interessen schon Marx Kapital Bd. III S. 3 7-396. Auch solidarischere ormen des globalen Austauschs m ssten in einer eltgesellschaft stattfinden die aufgrund ihrer Komplexität und Heterogenität keine eltgemeinschaft sein kann und von vielen Konflikten um die Prioritätensetzung bei der Ermöglichung eines guten ebens durchzogen Dörre Wachstum S. 63 wäre was komplexe Vermittlungsformen erfordert. egen die iktion globaler Interessenidentität m ssten f r eine eltinnenpolitk zuerst Interessenunterschiede und egensätze zwischen Staaten und eltregionen wechselseitig anerkannt und kooperativ bearbeitet werden was derzeit schon am berlegenheitsgestus ebd. S. 62 scheitert mit dem Staaten des globalen Nordens universelle Menschheitsinteressen zu vertreten behaupten.

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen

globalen Status uo aufrecht zu halten suchen ohne sich den sozialökologischen und geopolitischen Konse uenzen zu stellen dient die verbale und reale Aufr stung gegen remde dabei als bevorzugtes eld symbolischen Ersatzhandelns. udem ist der mit allen dehumanisierenden Konse uenzen gef hrte Abwehrkampf gegen efl chtete ein letzter geteilter Nenner der ertegemeinschaft einer sonst durch konfligierende Nationalinteressen desintegrierten EU. Parallele Abgrenzung gegen rechts wehren zugleich efährdungen des freien aren- und Kapitalverkehrs durch einen konseuenten Nationalismus ab und relativieren die eigene Politik durch moralische Abgrenzung vom Rassismus und Nationalismus der Anderen . 3 Im Asylstreit des Sommers 2 1 verteilten sich entsprechende Rollen in der CDU CSU in einem good-cop bad-cop-Spiel. Die CSU demonstrierte f r das Spektakel des bayrischen andtagswahlkrampfs eine Haltung nationaler Härte in der remdenabwehr an den Binnengrenzen was der MerkelCDU half den Druck auf die EU-Partner f r eine europäische ösung der l chtlingsfrage zu erhöhen. Binnendifferenzen in ragen der Hauptfront des Abwehrkampfs und die Abgrenzung von Seehofer in der Rolle des harten Hunds berdeckten zugleich dass die humanere europäische Endösung f r die Merkel votierte die an deutschen renzen möglichen Dehumanisierungen weit berbietet. Da die BRD eine grundlegende Revision der Dublin-Regel und eine fairere astenverteilung in der EU blockiert meint europäische ösung v. a. den Ausbau der estung Europa und eine Migrationspolitik mit zunehmend eliminatorischer Konse uenz an den tödlichen Au engrenzen. 4 Die Verwandlung von Mittelmeer und Sahara in Massengräber und kosteng nstigere exterritoriale ager in denen Partnerregime frei von Restr cksichten auf humanitäre Imagefassaden agieren setzen ein Erfolgsmodell zur ahrung der EU-Moral-Standards via Abgrenzung von bedauerlichen Menschenrechtsverletzungen durch exterritoriale

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Vgl. zu diesem Muster ausf hrlich: Heim Rechts(d)ruck S. 54-61. Allein im Mittelmeer lag der offizielle Bodycount laut UNHCR zwischen 1.1.2 14 und 1 .6.2 1 bei 16.346 pfern. ährend ehrenamtliche Seenotrettung kriminalisiert wird unterst tzt die EU die Milizen der libyschen K stenwache beim Abfangen von efl chteten die in illegalen efangenenlagern deponiert gefoltert ermordet werden oder als eschäftsbasis f r Menschenhandel und wangsprostitution dienen. Die Dunkelziffer der pfer in der Sahara ist nach Schätzungen doppelt so hoch u. a. dank der soliden Arbeit des EU-Partners Algerien der seit 2 17 ca. 13. l chtlinge ohne asser und Nahrung in der Sahara aussetzte. Vgl. u. a. enger Algerien.

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Partner fort denn: Die Seele von Europa ist Humanität. 5 Der mediale Dauerfokus auf unabsehbare olgen des Asylstreits f r die Koalition r ckte zugleich Themenfelder der Sozial- Pflege- Bildungs- Klima- und Umweltpolitik des Verbraucherschutzes oder der Energie- und Agrarwende an den Rand in denen Reformen im Symbolischen verbleiben und selbstgesetzte iele und Standards fallengelassen werden. All dies verbirgt kaum mehr die endg ltige Implosion basaler egitimitätsbeschaffungsfiktionen Menschenrechte etc. . Und dass Problemexternalisierungen oder symbolische Stellvertreterkriege gesellschaftliche Problem- und Konfliktkonstellationen nicht lösen wird inzwischen selbst in konservativen Medien reflektiert. 6 Entgegen stellen lie e sich diesen ormen des bersprunghandelns aber allenfalls die ffnung des Raums des Politischen f r die konfliktive Suche nach globalen Alternativen zu bestehenden Modi der Vergesellschaftung. Tragfähige politische Strategien und Konzepte gibt es daf r nicht aber diese fehlen auch der derzeitigen Politik der Mitte . Alternierende Strategien könnten sich allenfalls im ergebnisoffenen Trial-and-Error-Verfahren eines demokratischen Experimentalismus 7 austarieren. Daf r wären klare egnerschaften in multiplen Konfliktfeldern ebenso erforderlich wie auszuhandelnde Kompromisse die aber erst möglich werden wo Entscheidungsalternativen klar markiert sind. Hier sollen abschlie end zumindest einige Ausgangs- und Ansatzpunkte solcher Alternativen skizziert werden die ber blo e materiell-technische Möglichkeitsbedingungen hinausgehen. Solche Ansatzpunkte liegen in verbreiteten Dispositionen Unzufriedenheiten und Alltagsutopien aber auch in potenziellen Träger innengruppen und Multiplikator innen sowie in konkreten Keimformen anderer Produktions- Verteilungs- und Teilhabestrukturen. 5

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So Merkel beim Treffen mit Ungarns Premier rban am 4.7.2 1 . Humanität la EU meint z. B.: den Druck auf nordafrikanische Partner zu erhöhen und wo diese die l chtlingsfrage ua Aussetzung in der ste lösen zu erklären die Praxis sei bekannt man könne aber nichts unternehmen da Algerien ein souveräner Staat sei enger Algerien . Dies ist nur eine uspitzung eines tradierten EU-Erfolgsmodells im humanitären Umgang mit dem menschlichen Abfall der lobalisierung . Vgl. grundlegend schon: Bauman Leben, S. 9 -132. So wurde die von Pro-Asyl geprägte ormulierung ipfel der Inhumanität f r die Br sseler EU-Beschl sse zur Migrationsabwehr vom 29.6.2 1 oft in Schlagzeilen bernommen und in den Artikeln bestätigt. ugleich wurde vielfach der symbolpolitische und andere Probleme verdeckende Charakter des Asylstreits betont. Dörre Wachstum S. 63.

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen

Neben demoskopischen Befunden zeigen auch differenzierte Studien dass gesellschaftliche Problemwahrnehmungen ngste und Unzufriedenheiten keineswegs primär auf die mediopolitisch dominante l chtlingsfrage bezogen sind sondern auf die Steigerungs- und Konkurrenzzumutungen einer esellschaft des immer mehr und nie genug die befragten ohnabhängigen berwiegend als dauerhaft nicht berlebensfähig gilt. Der oft mit ausgeprägtem Bewusstsein f r usammenhänge eigener Konsum- und ebensweisen mit globalen Ausbeutungs- und Krisendynamiken verbundene alltägliche Antikapitalismus sollte keine Illusionen einer prinzipiell vorhandenen nur eben unterrepräsentierten Mehrheitsfähigkeit alternativer Politik wecken. Schlie lich sind in den esellschaftsbildern utopische nsche nach nachhaltigen tern und anderer eitnutzung oder eine abstrakt bleibende inklusive Solidarität mit anderen global Betroffenen mit gegenläufigen – f r exklusiv-solidarische autoritäre und chauvinistische Anrufungen offenen – Einstellungen amalgamiert wo es um Statuserhalt und das tägliche ber- eben in bestehenden Verhältnissen geht. Die Ambivalenz impliziert aber zumindest dass heute primär exklusiv-solidarisch adressierte Einstellungsmuster auch anders ausschlagen könnten wo alternierende Artikulationsmöglichkeiten und rientierungsrahmungen alltäglicher Krisenerfahrungen und Utopien weniger marginalisiert wären. 9 udem repräsentieren mehrheitlich von wei en älteren Männern getragene autoritäre Abwehrbewegungen gegen Tatsachen globaler ökonomisch-kulturell-politischer Interdependenzen nicht das Volk sondern nur eine Seite einer generations- geschlechts- und klassenspezifischen Polarisierung der Einstellungsmuster. Ihnen stehen – kaum in ein Korsett nationalistischer rassistischer und heterosexistischer renzsetzungen zu pressende – Bed rfnisse rientierungen und ebensformen v. a. j ngerer enerationen gegen ber 9 die sich etwa in der rechten Mobilisierungen gegenläufigen unsichtbaren Massenbewegung der efl chtetenhilfe kanalisieren. bergreifende Motivationslagen des Engagements sind dort u. a.

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Dörre et al. Gesellschaftsbild S. 259. Vgl. zu den Ambivalenzen: ebd. S. 2 7-222. r alternierende Adressierungsmöglichkeiten sprechen u. a. demoskopische Befunde nach denen auch AfDählende ihrer Partei der ethnonationalen renzziehungsversprechen die geringste Problemlösungskompetenz zusprechen. Vgl. auch: Heim Antagonismen. eschlechterspezifisch ist z. B. auffällig dass bei Pegida ähnlich wie bei AfDählenden mit ber 7 nach eiges et al. Zivilgesellschaft, S. 66 gar 1 9 Männer deutlich berrepräsentiert sind während sich in der efl chtetenhilfe mit 72 1 berwiegend rauen engagieren vgl. Karakayali Kleist Motive S. 15 .

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sonst blockierte Möglichkeiten gesellschaftliche Prozesse aktiv mitzugestalten und eine als unmittelbar sinnvoll erlebte Tätigkeit jenseits von ohnarbeit und ewinnorientierung mit basisdemokratischer Selbstorganisation und interkulturellem Austausch zu verbinden.91 Multiplikationseffekte zeigen sich auf kommunaler Ebene im Einfluss solcher Initiativen auf Pendelausschläge der Haltung einer ambivalenten Mitte .92 Affine rientierungen prägen vielfältige Suchbewegungen nach anderen Modi von Konsum Distribution Produktion und Teilhabe – z. B. Umsonstläden Tauschbörsen Repaircaf s Recht-auf-Stadt- und Urban- ardening-Initiativen etc. r Multiplikationspotenziale solcher Bewegungen hinsichtlich inklusivsolidarischer rientierungen in der konkreten rage wie der globale Reichtum und die prinzipiell frei verf gbare eit anders nutzbar wären sprechen breite Resonanzen voraussetzungsreicher intellektueller Debatten zu Postwachstum Entschleunigung solidarischer konomie rundeinkommen etc. Im mediopolitischen Diskurs um die estaltung der Parameter gesellschaftlichen ebens sind solche rientierungen marginalisiert oder auf Spielwiesen des Alternativismus und eines zivilgesellschaftlichen Engagements verbannt das zugleich funktionalisiert wird um basale staatlich-administrativ nicht mehr abgedeckte sozioökonomische und kulturelle Aufgaben zu erf llen. Das gilt f r Selbstorganisationsformen in der efl chtetenhilfe wie in solidarischen Kliniken Agrar- und Konsumgenossenschaften produktionsbesetzten abriken etc. die in den Krisenlaboren der EU-Peripherie vermehrt das Versagen ökonomischer und staatlicher Strukturen kompensieren.93 enseits der Notreparatur f r ein kaputtes System implizieren solche Krisenbewältigungen aber auch Keimformen anderer Produktions- und Austauschbeziehungen. Verbindend ist dabei die ogik einer Dekomodifizierung die gegenläufig zur kapitalistischen andnahme Teile der reproduktiven Basis gesellschaftlichen ebens der warenförmigen rganisation entzieht. Dies wäre eine Voraussetzung um soziale Netze f r esundheit Nahrung terproduktion Bildung Kultur etc. von monetären achstumszwängen und Trickledown- ogiken abzukoppeln und neue ormen des kooperativen Selbstmanagements zu entwickeln.94 In Kombination mit Kommunikationstechnologien die bei hinreichender Datentransparenz ein weitgehend automatisiertes digitales Matching globaler Produktionskapazitäten Bed rfnisse und ähigkeiten und zugleich föderale 91 92 93 94

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Vgl. Karakayali Kleist Motive S. 32f. Aum ller et al. Aufnahmen S. 5f. Vgl. Hartman Malamantinas Krisenlabor. Vgl. dazu u. a. allerstein Absturz S. 222-23

ink Krisen S. 242ff.

Autoritäre Verschiebungen als Symptom und Medium verdrängter Krisen

Vernetzungen zur demokratischen Aushandlung verbleibender ielkonflikte ermöglichen lägen hier konkrete Ansatzpunkte globaler Vergesellschaftung jenseits der arenform und hierarchisch-zentralisierter staatlicher Strukturen. Keimformen sind noch keine gesellschaftlichen Umwälzungen zumal die estaltung regional und sektoriell fragmentierter alternativer Nischen enorme Kraft- und eitressourcen bindet ohne den hegemonialen politischökonomischen Trends substantielle iderstände entgegensetzen zu können. Noch weniger vermögen das die längst kilometerlange B cherreihen f llenden kritischen Analysen und Prognoseszenarien denen hier weitere Millimeter zugef gt wurden. Beides sind jedoch relevante Momente von Suchbewegungen und Kämpfen um eine Neugestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse die ihre iele und Strategien erst finden m ssen und deren Ausgang am Schreibtisch nicht vorwegnehmbar ist. In der ungeschriebenen ukunft könnten in ortsetzung aktueller Trends – Renationalisierung Blockierung von Dissens Einengung politischer Sagbarkeitsfelder operative Selbstabschottung mediopolitischer Eliten – Möglichkeitsräume eines demokratischen Experimentalismus erneut autoritär blockiert werden. Dies w rde aber einen R ckfall hinter das erreichte Produktivitäts- und ebensniveau erst recht hinter gegebene reiheitsgrade und Partizipationsmöglichkeiten implizieren. Das kollidiert mit rientierungen und Anspr chen breiter ruppen ebenso wie mit Anforderungen moderner Kommunikationstechnologien und Arbeitsorganisationsformen an globale Vernetzung und an die Selbstregulationsfähigkeiten der Subjekte die sich nur in partizipativen ormen entfalten können. Insofern haben autoritäre Entwicklungspfade mit vielfältigen egenbewegungen zu rechnen deren strategischer Vorteil gegen ber den sozial und ökologisch dysfunktionalen ösungen autoritär-repressiver Systemstabilisierung gerade im issen liegen könnte dass es keine Patentlösung gibt sondern ösungen nur im kooperativen trial and error zu finden sind. Begr ndeter Pessimismus des analytischen Verstandes schlie t so den ptimismus des illens nicht aus.95

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Man muss n chterne geduldige Menschen schaffen die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes ptimismus des illens. ramsci Gefängnishefte H. 2 11 S. 2232

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Rechtsparteien gegen Kosmopoliten? Neue Spaltungen im transnationalisierten Container Cornelia Koppetsch

Seit der r ndung der AfD im ahre 2 13 wird regelmä ig deren baldiger Untergang vorausgesagt. Bislang jedoch kann von einem schnellen Ableben nicht die Rede sein. Der Verdacht liegt nahe dass der Aufstieg der neuen Rechtsparteien sich grundsätzlichen Verschiebungen in den Kräftefeldern moderner esellschaften verdankt. Dies soll im olgenden anhand einer Rekonstruktion der ählergruppen entlang des Sozialraummodells von Pierre Bourdieu illustriert werden. Die Rechtsparteien so die These mobilisieren ein klassen bergreifendes B ndnis aus konservativen ruppen in oberen mittleren und unteren Schichten deren soziale Anwartschaften durch Transnationalisierungsprozesse entwertet worden sind und die sich nun gegen die kulturelle Vorherrschaft kosmopolitischer Mittel- und berklassen richten. Die politischen Ideologien der AfD – die Ablehnung von Migration Europapolitik und berstaatlichen Klimaabkommen – spiegeln dies wider. Aber auch die Bildungs- und amilienpolitik der AfD zielen auf die Re-Nationalisierung von esellschaft und Kultur. Die neuen Rechtsparteien stellen eine egenbewegung eine Reaktion auf die Dynamiken der lobalisierung dar. Die Auseinandersetzungen zum Thema Migration können hierbei als Stellvertreterkämpfe um Deutungsmacht und Deutungshoheiten in transnationalisierten Containern begriffen werden. Sie stellen eine bergreifende Klammer im Narrativ der Rechtspopulisten dar. Die Suche nach den Ursachen f r den Erfolg des Rechtspopulismus ist inzwischen von einem Nischenthema zu einem Hauptgegenstand aktueller eit- und esellschaftsdiagnosen avanciert.1 Der einflussreichste Erklärungsansatz sieht die Ursache daf r in wachsenden sozioökonomischen Ungleichheiten. Die ählerinnen und ähler rechtspopulistischer Parteien die als ökonomische lobalisierungsverlierer vorgestellt werden seien vor allem in den unteren Sozialklassen zu finden.2 1 2

raser  Für eine neue Linke eiselberger Die große Regression; Krastev  Europadämmerung Reckwitz Die Gesellschaft der Singularitäten. esch Explaining workers’ support for right-wing populist parties in Western Europe Cuperus Wie die Volksparteien fast das Volk einbüßten örke Selk

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Cornelia Koppetsch

Dieser Ansatz hat durch den publizistischen Erfolg des Buches Rückkehr nach Reims von Eribon sehr gro e Verbreitung gefunden. Polarisierende Ungleichheiten f hrten im uge einer Transformation der Sozialdemokratie die aufgrund des neoliberalen Umbaus keine geeignete Adressatin f r die Anliegen der benachteiligten Milieus mehr sei 3 zu Mobilisierungserfolgen der Rechtsparteien. Die Sozialdemokratie habe zum R ckbau des ohlfahrtsstaats und zur Ausbreitung von ettbewerbsprinzipien in der esamtgesellschaft beigetragen wodurch traditionelle ählermilieus aus der Arbeiterklasse abgeschreckt worden seien. In die so entstandene Repräsentationsl cke träten nun die populistischen Rechtsparteien. achsende Ungleichheiten und verschärfte ökonomische Ausbeutungsverhältnisse die im uge einer eher die gebildeten Schichten adressierenden Politik der Chancengleichheit von rauen und Minderheiten vernachlässigt worden seien w rden sich mit der ahl rechtspopulistischer Protestparteien wieder einen eg ins gesellschaftliche Bewusstsein und in das Parteiensystem bahnen. Ergänzt wird diese Argumentation oftmals durch die Behauptung die Unterst tzung rechter Parteien erfolge nicht aus wirklicher berzeugung sondern mangels tragfähiger politischer ösungsangebote seitens linker Parteien und stelle mithin eine Art Notwehr dar.4 Die Anhänger der Rechten seien eigentlich gar nicht rechts sondern m ssen erst wieder zum wahren inkssein bekehrt die verlorenen Schafe in den Hort der Sozialdemokratie zur ckgeholt werden. 1.

Politische Mobilisierung und Herrschaftskonflikte

Trotz der gro en zeitdiagnostischen Plausibilität finden sich zentrale Annahmen der hier unter dem Stichwort Modernisierungsverlierer-These zusammengefassten Aussagen in empirischen Studien allerdings nicht bestätigt. Ein Blick auf die sozialstrukturelle usammensetzung der ählerschaft zeigt dass es keineswegs ausschlie lich und in einigen ändern nicht einmal primär die ökonomisch Benachteiligten mit geringer Bildung sind die rechtspopulistische Parteien wählen sondern dass sich ähler und ählerinnen in allen sozio-ökonomischen agen finden unter ihnen auch

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Der hilflose Antipopulismus örke Nachtwey Das Volk gegen die (liberale) Demokratie. Mouffe  Über das Politische Kriesi et al. Globalization and the transformation of the national political space Eribon Rückkehr nach Reims. Dowling et al. Rückkehr des Hauptwiderspruchs? raser Für eine neue Linke.

Rechtsparteien gegen Kosmopoliten?

Hochgebildete und ohlhabende: Arbeiter und Arbeitslose sind zwar berdurchschnittlich vertreten machen allerdings insgesamt nur ein Viertel der AfD- esamtwählerschaft aus während die brigen drei Viertel mindestens einen Mittelschichtsstatus haben d. h. auf Angestellte Beamte und Selbstständige entfallen.5 Insgesamt weist die sozialstrukturelle usammensetzung der ählerschaft gro e hnlichkeit mit der der esamtbevölkerung auf.6 Dar ber hinaus können die ökonomisch argumentierenden Ansätze die Spezifik rechter esellschaftsbilder und eltanschauungen nicht erklären. arum etwa stehen Identitätspolitik Nationalismus und zahlreiche Varianten des wir gegen sie auf der Agenda der neuen Rechtsparteien wo es nach Meinung der Sozialwissenschaftler doch vorrangig um die Bekämpfung sozialer Ungleichheiten gehen m sste? Demgegen ber soll hier argumentiert werden dass rechtspopulistische Mobilisierungserfolge durch Bedrohungen hervorgerufen worden sind die nicht primär in ökonomischen Verwerfungen wurzeln sondern auf einen Kulturwandel reagieren der durch die Erosion von nationalen Containerräumen d. h. durch renzaufweichungen von zuvor nationalbegrenzten Sinn- und Identitätsbez gen forciert worden ist. lobalisierungsprozesse haben nicht nur Politik konomie und esellschaftsordnung transnationalisiert sondern einen andel auch in den normativen rundstrukturen der esellschaft herbeigef hrt der zur Herausbildung gegenkultureller Protestparteien gef hrt hat. Diese fordern eine R ckwendung hin zum efä des Nationalstaates mit seinen traditionellen amilienstrukturen mittelständischen ebensstilen und ethnonationalen symbolischen entrierungen. Deshalb m ssen rechtspopulistische Parteien primär als weltanschauliche Parteien angesehen werden deren wichtigste ideologische Pfeiler die rhetorische Polarisierung von Volk und Eliten sowie die Islam- und Migrationskritik darstellen.7 Das gemeinsame Merkmal rechtspopulistischer ähler ist nicht die sozioökonomische Marginalisierung sondern die Verteidigung von traditionellen kulturellen rientierungen und ethnonationalen 5 6 7

Decker Wahlergebnisse und Wählerschaft der AfD. Koppetsch Rechtspopulismus; Koppetsch Zorn. Schwarbözel atke Außer Protesten nichts gewesen? haben eine hohe Kongruenz zwischen der Programmatik der AfD und den Einstellungen ihrer Unterst tzer herausgearbeitet. Erste Analysen der ählerschaft Donald Trumps bei der j ngsten US-Präsidentschaftswahl zeigen ebenfalls dass dessen Unterst tzung stärker von spezifischen Einstellungsdimensionen wie etwa der Bef rwortung von Rassismus und Sexismus abhängt als von der konkreten ökonomischen Situation der ähler Schaffner et al. Understanding white polarization in the 2016 vote for president .

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Identitätskonstruktionen die gegen den Kosmopolitismus und die Hegemonie des kulturellen wirtschaftlichen und politischen iberalismus in Stellung gebracht werden. Die Soziologen Ronald Inglehart und Pippa Norris konnten die Existenz derartiger ertepolaritäten in einer ber alle europäischen änder durchgef hrten Datenanalyse bestätigen und zeigen dass nicht ökonomische Deprivationen sondern die ablehnende Haltung gegen ber kosmopolitischen und postmaterialistischen erten das gemeinsame Merkmal der ähler darstellte. Allerdings wird die Tragweite derartiger ertorientierungen zumeist unterschätzt. ftmals wird unterstellt dass es dabei lediglich um persönliche erteentscheidungen oder Präferenzen f r spezifische ebensstile ginge. ährend die einen ihre Heimat liebten wollten sich die anderen als eltb rger beweisen und während die einen sich mehr rdnung und Struktur w nschten seien die anderen lieber offen und tolerant. Diese Sichtweise greift jedoch insofern zu kurz als sie die politische Brisanz von Kulturkonflikten ausblendet. Im scheinbar persönlichen Konflikt um erte und ebensstile wird um generelle rdnungsvorstellungen und gesellschaftliche Deutungshoheiten gerungen. Daher sind ertekonflikte nicht unabhängig von Sozialstrukturen sondern als symbolische Auseinandersetzungen zu begreifen spiegelt sich darin doch ein Kampf ums rundsätzliche wider. Im Anschluss an das Sozialraummodell von Pierre Bourdieu9 soll im olgenden der Aufstieg der Rechtsparteien als ein symbolischer Kampf um Definitionshoheiten und mithin als Kampf um die rage verstanden werden wessen Kultur berhaupt gelten soll wer die Spielregeln und eltungsma stäbe festlegen darf. Angetrieben wird dieser Konflikt durch transnationale ffnungsbewegungen die zu einer Verschiebung sozialer Kräfteverhältnisse und zum Aufstieg wissensorientierter Eliten und kosmopolitischer Klassen gef hrt haben die renzen berschreiten. Der Einfluss dieser neuen Klassen zeigt sich nicht nur auf der Ebene der Sozialstruktur d. h. in der Besetzung von Schl sselpositionen in konomie esellschaft und Staat sondern auch im Raum der ebensstile durch den Aufstieg kulturkosmopolitischer ebensstile und postnationaler Identitäten auch unter dem Vorzeichen von Diversity. Charakteristisch daf r ist die Präferenz f r translokale und transkulturelle Sinnbez ge die durch berlappungen und Vernetzungen entstanden sind wo fr her Behälter und renzen waren. Dagegen richten sich die Rechtsparteien gegen die transnationale ffnung von Kulturräumen und gegen translokale Hybridisierungen von Identitäten. 9

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Inglehart Norris Trump, Brexit, and the rise of populism. Bourdieu Sozialer Raum und Klassen ders. Was heißt sprechen? ders. Praktische Vernunft.

Rechtsparteien gegen Kosmopoliten?

Dies zeigt sich etwa auch in der Verteidigung einer nationalen eitkultur. Angestrebt wird die iedererlangung des Containerprinzips im ro en wie im Kleinen im Strukturellen wie im Kulturellen. Es geht um die iedergewinnung des alten symbolischen und gesellschaftlichen entrums durch das renzen befestigt und Identitäten fixiert werden können. Die durch die Rechtsparteien forcierten Kulturkonflikte finden in unterschiedlichen eldern statt und artikulieren sich im ideologischen Raum als häretische Sichtweisen die gegen die Doxa der Kosmopoliten gerichtet sind Auf der Policy-Ebene geht es etwa um die Ablehnung des wachsenden Einflusses der EU und anderer transnationaler Institutionen zugunsten des Machterhalts nationaler Akteure Institutionen und Traditionen. Auf der ökonomischen Ebene geht es um die Verteidigung der nationalen Interessen durch die Begrenzung von uwanderung oder auch durch wirtschaftsprotektionistische Ma nahmen vor allem in den USA .1 Auf der Ebene von ebensstilen manifestiert sich die Heterodoxie als Kritik an exzentrischen ebens- und Ernährungsgewohnheiten der Kosmopoliten und als orderung nach R ckkehr zu den eigentlichen erten d. h. etwa zu klassischen Tugenden und eistungsnormen. Nirgendwo zeigt sich die unktionsweise dieser Häresien deutlicher als in den Debatten zum Anti- enderismus und ender 11 die basale soziale Einteilungs- und Bewertungsprinzipien ber hren. Denn es ist kein ufall dass sich Auseinandersetzungen um Deutungshoheiten im Raum der ahrheiten an Vorstellungen von eiblichkeit und Männlichkeit entz nden denn in allen esellschaften stellt das eschlechterverhältnis die UrMatrix f r soziale Klassifikationsgitter und kategoriale Sinngebungsprinzipien dar. ährend Kosmopoliten berlappungen und Mobilität zwischen den Kategorien normalisieren weshalb sie auch die Mobilität zwischen den eschlechtern Transsexualität und die Aufweichung der eschlechterkategorien nicht irritierend finden wird seitens der Anhänger des Rechtspopulismus die selbstverständliche eltung eindeutiger biologisch fundierter Klassifikationsprinzipien und binärer eschlechterkategorien behauptet 1

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Die konkreten Inhalte des ökonomischen Nationalismus können sich dabei von and zu and durchaus unterscheiden. So tritt der ront National in rankreich gegen reihandelsabkommen und f r eine protektionistische die peripheren Regionen sch tzende irtschaftspolitik ein wohingegen die AfD in Deutschland zwar auch eine eurokritische Partei ist und f r den Machterhalt der staatlichen Regierung gegen ber der EU in Br ssel eintritt sich allerdings weniger auf ein konkretes wirtschaftspolitisches Programm festlegen möchte da Deutschland als Nation mit einer der höchsten Exportraten von den reihandelsabkommen eher profitiert. Villa Hark Anti-Genderismus.

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etwa indem sie sich ber endertoiletten Transgender oder enderismus lustig machen. Im olgenden soll gezeigt werden dass die neuen Rechtsparteien ein vertikales B ndnis zwischen unterschiedlichen Klassenfraktionen stiften. Die neuen Klassenfraktionen haben sich durch neue vertikale wie auch horizontale Spaltungen innerhalb eines durch Transnationalisierungsprozesse erweiterten Sozialraums herausgebildet. Mit dem Auftritt der Rechtsparteien findet infolgedessen auch eine Neuordnung des politischen Raumes statt: Die bisherige rechts links- pposition wird durch eine neue bergreifende Metapolarität zwischen ethnonationalen und liberal-kosmopolitischen Polen abgelöst.12 Diese Polarität zeigt sich in unterschiedlichen eldern auf unterschiedliche eise. Das politische eld ist in den symbolischen Klassenkämpfen stets das bergeordnete System das alle Konfliktlinien b ndelt und auf einen gemeinsamen Nenner bringt einen gemeinsamen Empörungsraum erzeugt. 2.

Zur Transnationalisierung des Sozialraums

Pierre Bourdieu hatte seine Klassentheorie noch in einem sozialen Raum situiert der durch den nationalen Container begrenzt wurde.13 Um jedoch globalisierungsbedingte Veränderungen der letzten drei ahrzehnte in den Blick nehmen zu können ist der soziale Raum aus dem nationalen Container herauszulösen. Seit den 199 er- ahren sind Märkte sukzessive nationalstaatlich entbettet Unternehmen transnationaler politische Institutionen europäischer und Bildungssysteme sind internationalisiert worden.14 Der Nationalstaat ist kein souveräner irtschaftsraum mehr.15 Dazu haben einerseits die Etablierung globaler Produktions- und ieferketten und andererseits die Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien und das Internet beigetragen.16 Die Herausbildung eines europäischen irtschafts12 13 14 15 16

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Kriesi et al. Globalization and the transformation of the national political space. Bourdieau Sozialer Raum und Klassen. Kraemer Sehnsucht nach dem nationalen Container Pries Die Transnationalisierung der sozialen Welt Vobruba Der postnationale Raum. Reich Die neue Weltwirtschaft. Die alten Produktionssysteme des Konzernkapitalismus wurden in Einzelteile zerlegt und rund um den Erdball neu aufgebaut wo immer sich Produkte am besten oder am billigsten fertigen lassen. Eine globale Kultur- und issensindustrie hat zur Erweiterung von Absatzmärkten f r Kulturg ter beigetragen.

Rechtsparteien gegen Kosmopoliten?

und ährungsraums hat die ökonomische Souveränität der Nationalstaaten zusätzlich geschwächt. Aber nicht nur wirtschaftliche ertschöpfungsketten auch politische Steuerungskonzepte haben die nationalstaatlichen renzen transzendiert.17 ährend die Politik des Steuerungs- und ohlfahrtsstaates der Industriemoderne eng an den Nationalstaat gekoppelt war ist der Bedeutungsverlust nationaler Regulierung in der postindustriellen esellschaft einerseits mit dem Aufschwung supranationaler Steuerungsinstanzen und andererseits mit einem Bedeutungsgewinn politischer Akteure unterhalb der nationalen Ebene verbunden. Dabei spielen die Städte vor allem die ro städte und Metropolregionen als Brennpunkte globaler Investitionen eine Schl sselrolle. Dar ber hinaus kam es zu einer unahme grenz berschreitender Mobilität und auch Identität und ebensstile haben sich transnationalisiert. Hingegen ist die wohlfahrtsstaatliche rdnung im nationalen Container zur ckgeblieben. Dadurch kam es zu neuen vertikalen und horizontalen Differenzierungen. Auf vertikaler Ebene f hren Transnationalisierungsprozesse zu einer stärkeren hierarchischen Differenzierung und Polarisierung von agen: Vor allem am oberen und unteren Rand kommt es zur Herausbildung von transnationalen Klassenlagen. Am oberen Pol befinden sich ruppen die als lobalisierungsgewinner verstanden werden können. Dazu gehören zum einen die kleine Elite der Superreichen die in den inner-take-it-all-Prozessen berproportionale Vermögens- oder Aufmerksamkeitsgewinne erzielt haben und zum anderen die relativ breite Schicht der Kosmopoliten in den Kultur- und issensökonomien der global cities die weder emotional noch ökonomisch bermä ig an einen spezifischen Nationalstaat gebunden ist. In urban-gemischten Kulturen entwickeln sie transkulturelle Identitäten und bilden gemeinsam mit den hoch ualifizierten Arbeitsmigranten Expats eine globale berschicht. Sie verf gen ber gute remdsprachenkenntnisse und ber privilegierte Karrieremöglichkeiten oftmals auch au erhalb des Containers. umeist partizipieren sie an grenz berschreitenden beruflichen oder epistemischen Communities selbst wenn sie international nicht mobil sind. All dies f hrt dazu dass sich emotionale Bindungen an den Nationalstaat lockern. Kosmopoliten steht es frei sich dort niederzulassen wo sie

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Eine weltweite Konkurrenz um einerseits die billigsten und andererseits die fähigsten Arbeitskräfte ist entfacht worden. Von den 194 er- bis in die 197 er- ahre galt der Nationalstaat als der rt des gesellschaftlichen anzen und wurde als zentrale gesellschaftliche Planungsund Steuerungsinstanz modelliert. Paradigmatisch f r diese Politik war eine orm korporatistisch-sozialdemokratischer Regulierung die eine kulturell vergleichsweise homogene nationale esellschaft gleicherma en voraussetzte wie förderte.

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die besten Arbeits- und ebensbedingungen vorfinden. olglich sind sie schwerer dazu zu motivieren sich an der Produktion von Kollektivg tern in ihrer Region zu beteiligen. Ihr eben spielt sich zumeist in städtischen Arealen ab die an sich schon transnationale Räume darstellen und in denen sie dank privat finanzierter Bildungs- und reizeiteinrichtungen und sozial homogener Stadtviertel zumeist unter sich bleiben. Postnationale ugehörigkeiten werden dabei nicht nur durch Kosmopolitismus sondern auch durch die Privatisierung von Infrastrukturen konstituiert. Privilegierte Milieus unterhalten Privatschulen autarke reizeitclubs oder geschlossene ohnanlagen die sie unabhängig von im staatlichen Rahmen finanzierten gesamtgesellschaftlichen Sicherheits- Bildungs- und Infrastrukturen machen. Spiegelbildlich finden sich am anderen Pol der sozialen Hierarchie unterschiedliche unterprivilegierte ruppen ebenfalls zu einer transnationalen Klasse zu einem transnationalen Unten zusammen Hier finden sich eringverdiener aus unterschiedlichen eltregionen gering- und de- ualifizierte einheimische Arbeitnehmer und Migranten aus Entwicklungs- und Schwellenländern als modernes transnationales Dienstleistungsproletariat wieder. r diese existiert die soziale Rolltreppe in die Mittelschicht nicht mehr weil sich unter dem Druck internationaler ettbewerbsfähigkeit die öhne in den ändern des globalen Nordens an die niedrigeren internationalen Ma stäbe angeglichen haben. Transnationalisierung ist somit nicht mit Migration zu verwechseln die Verflechtung mit konkurrierenden Arbeitnehmern anderer eltregionen hat gerade auch dort stattgefunden wo sich die Einzelnen gar nicht bewegt haben. Transnational ist diese Klasse weil sie faktisch nicht mehr unter dem Dach der nationalen Volkswirtschaft angesiedelt ist auch wenn ein Teil ihrer Mitglieder alle Rechte der Staatsb rgerschaft genie t. Die Herausbildung des transnationalen Unten wird durch zwei komplementäre Prozesse vorangetrieben: Einerseits werden gering ualifizierte Arbeitsplätze aus der Produktion in sogenannte Niedriglohnländer ausgelagert wodurch Unternehmen ein Drohpotenzial in der Hand haben. Andererseits wandern Arbeitsmigranten aus ärmeren ändern in Hochlohnländer ein und bieten die gleiche Arbeit g nstiger an. Die polnische Altenpflegerin der achsch tzer aus Sri anka oder die Haushaltshilfe aus Mexiko machen den einheimischen Arbeitnehmern Konkurrenz und setzen dabei nicht zuletzt die ruppe der ering ualifizierten verstärkt unter Druck. Die transnationale Unterschicht hat die traditionelle Arbeiterklasse abgelöst und ist weitaus heterogener als diese. Sie umfasst sowohl unterschiedliche gering ualifizierte bis gut ausgebildete Migranten wie

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Rechtsparteien gegen Kosmopoliten?

auch gering- und de- ualifizierte einheimische Arbeitnehmer die als einfache Dienstleister eringverdiener prekär Beschäftigte Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger das transnationale Unten bilden.1 wischen dem transnationalen ben und dem transnationalen Unten befindet sich nun die in den nationalen irtschafts- und ohlfahrtsraum eingebundene Mittelschicht deren ohlstandsniveau vorläufig noch weitgehend von innerstaatlichen und nationalen Institutionen geprägt wird und f r die die Staatsangehörigkeit in einem reichen nationalen ohlfahrtsstaat ein erhebliches Privileg darstellt. Doch dieser Teil der Mittelschicht verliert zunehmend seinen Einfluss auf die eschicke des andes. ber ebenschancen und Ressourcenzuteilungen entscheiden nun immer weniger die klassischen Anwälte der Mitte wie etwa die ewerkschaften oder die lange eit etablierten Volksparteien sondern globale irtschaftsverflechtungen sowie supra- oder transnationale Einrichtungen. Einige der vom Abstieg bedrohten ruppen sehen die ösung f r die Bedrohungen nationaler ohlfahrtspositionen in der Mobilisierung nationalistischer Solidaritäten – d. h. in der Verteidigung eines ethnisch fokussierten ohlfahrtsstaates der zum Schutz der nationalen konomie und ihrer amilien im Sinne von renzverfestigungen interveniert. Auf horizontaler Ebene kommt es ebenfalls zur Herausbildung neuer Koordinaten. Auf der einen Seite wird die im Sozialraummodell von Bourdieu noch zentrale Differenz zwischen ökonomischen und kulturellen Klassenfraktionen eingeebnet. Die Industriemoderne war durch die strikte Trennung der Reproduktionslogiken von ökonomischem und kulturellem Kapital gekennzeichnet: Hier ökonomischer Markterfolg und das irtschaftsleben dort issen Kultur und Allgemeininteresse bzw. k nstlerische reiheit und Entfaltung. Die elder der Kulturproduktion waren bis in die 197 er- ahre hinein durch ostentativen Nichtutilitarismus gekennzeichnet 1

ährend die ebenschancen von ber- und Mittelschichten mit dem berufsstrukturellen andel zunehmen kommt es im uge von Deindustrialisierung Migration und internationaler Standort- und ohnkonkurrenzen zur Herausbildung einer neuen transnationalen Unterschicht die den Anschluss an die Mittelschicht weitgehend verloren hat. In dieser Unterschicht finden sich Migranten Arbeitslose Transferempfänger und eringverdiener wieder deren Verbindungen zum industriellen acharbeitermilieu weitgehend gekappt sind rohSamberg Arbeitermilieus in der Ära der Deindustrialisierung . Aufstiegskanäle Karrierechancen und intergenerationelle Mobilität wie auch soziale Ber hrungspunkte in Vereinen Nachbarschaften und Betrieben existieren f r sie nicht mehr. Die Herausbildung einer gemeinsamen die traditionellen acharbeiter und neue Unterschichten verbindenden politischen Kultur wird damit zunehmend unwahrscheinlich.

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was bedeutet dass kulturelle Auszeichnung an die Bedingung ökonomischen Desinteresses gekn pft wurde. In der Spätmoderne verblasst diese antagonistische Spannung. Die elder der Kulturproduktion und die elder ökonomischer ertschöpfung nähern sich zunehmend an. Staatliche Betriebe werden privatisiert Städte und Kulturdenkmäler unterliegen einer zunehmenden Kommerzialisierung durch Städtemarketing und die HeritageIndustrien issen und Kreativität finden Anschluss an Marktstrukturen und kapitalistische Verwertungslogiken. Umgekehrt werden genuin ökonomische elder angefangen von Software- und Hightech-Unternehmen ber Beratung und Managementfunktionen bis hin zu den inanzmärkten kulturalisiert d. h. mit issen und Kultur angereichert. Die Ursache f r diese Konvergenzen ist im Aufstieg der issens- und Kulturökonomien zu Schl sselindustrien des spätmodernen Netzwerkkapitalismus zu sehen. Sie manifestieren sich im Raum der ebensstile in der Verschmelzung ökonomischer und sozioprofessioneller Professionen d. h. darin dass sich Habitus und ebensformen von issenschaftlerinnen ournalisten K nstlerinnen oder Schriftstellern kaum noch von denen von Managerinnen Unternehmensberatern Ingenieurinnen oder inanzmarktakteuren unterscheiden – ökonomische und kulturelle Akteure verschmelzen zu einer urbanen Klasse die sich ber kulturell und ökonomisch gleicherma en avancierte ebensstile definiert.19 Damit verliert Kultur und Kulturproduktion ihr widerständiges Potenzial. Auf der anderen Seite bildet sich eine neue horizontale Konfliktlinie heraus nämlich eine die sich zwischen den kosmopolitisch-statusdynamischen Mittel- und berschichten auf der einen Seite und den konservativen Teilmilieus des traditionellen Klein- Bildungs- und irtschaftsb rgertums auf der anderen Seite manifestiert. etzteren geht die Auflösung der im nationalen Container verwurzelten Industriemoderne mit ihren Schachtelprinzipien zu weit da sie ihre Ressourcen und Kapitalausstattungen durch Transnationalisierungsprozesse von Entwertungstendenzen bedroht sehen. r ihr esellschaftsbild behalten die Differenzierung gesellschaftlicher unktionsbereiche und die symbolische entrierung des emeinwesens innerhalb nationaler oder regionaler Räume eine gro e Bedeutung. Innerhalb des Bildungsb rgertums entz ndet sich die Kluft zwischen statusdynamischen und konservativen Milieus vor allem an Bildungsfragen. So gewinnen transnationale Bildungsg ter wie etwa Auslandsaufenthalte interkulturelle ualifikationen und ausländische Bildungsabschl sse insbesondere

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roh-Samberg et al. Statuskonkurrenzen und soziale Spaltungen.

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solche an exzellenten ausländischen Universitäten an Bedeutung während Bildungswege und ualifikationen an Relevanz verlieren die allein im nationalen ef ge erworben wurden.2 Nationale Kultur- und Bildungsg ter wie etwa das Kennertum nationaler eschichte oder die Beherrschung des historischen Kanons werden selbst in den kulturbezogenen Disziplinen f r Karrieren inner- wie au erhalb des issenschaftssystems zunehmend unwichtiger.21 Innerhalb des Kleinb rgertums entz ndet sich der Konflikt an ragen der Moral und der Bewertung von eistungen. Hier zeigt sich der Antagonismus zwischen konservativen und statusdynamischen raktionen in der Kluft zwischen kulturkonformistischen und kulturkosmopolitischen rientierungen. ährend sich erstere an Mitte und Ma am Normalen dem gesunden Menschenverstand oder an Konventionen und Traditionen orientieren betonen die anderen lexibilität ffenheit und kulturelle Vielfalt. egen die Tendenz zur Aufweichung von eschlechterdifferenzen beanspruchen erstere eine richtige rau oder ein ganzer Mann zu sein wollen erstere ehrliche Arbeit leisten ihre Kinder auf eine normale Schule schicken und ganz normal essen. Bezogen auf die skizzierten vertikalen und horizontalen Spaltungen des transnationalisierten Sozialraums entsteht nun eine Konstellation in der ein neues politisches B ndnis zwischen den b rgerlichen egnern von lobalisierungsprozessen den zur ckgefallenen Mittelschichten und den prekären Verlierern der Transnationalisierungstendenzen möglich wird. Dies bedeutet keineswegs dass sich alle der genannten strukturkonservativen Milieus umstandslos durch die AfD mobilisieren lassen zumal die Hinwendung zu Rechtsparteien an zusätzliche emotionale Voraussetzungen gebunden ist 22 doch finden sich in den jeweiligen konservativen Teilmilieus jeweils die grö ten Mobilisierungspotenziale f r die neuen Rechtsparteien. Aus diesem rund kann es nicht verwundern dass unterschiedliche AfDPositionen und Programmatiken nicht exklusiv in der AfD zu verorten sind sondern auch von anderen Parteien und mithin solchen ruppen geteilt werden die niemals AfD wählen w rden.

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leichzeitig entstehen neue Möglichkeiten des Transfers: So haben die Befunde des orscherteams um rgen erhards einen Bedeutungszuwachs des transnationalen kulturellen Kapitals herausgearbeitet erhards Mehrsprachigkeit im vereinten Europa erhards et al. Social class and transnational human capital . Diese Verschiebungen f hren zu Verwerfungen die nicht nur die obere von der unteren Mittelklasse trennen sondern durch die akademische Mittelschicht hindurchgreifen. Kraemer Sehnsucht nach dem nationalen Container. Koppetsch Rechtspopulismus als Klassenkampf?

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Dies zeigt sich in unterschiedlichen Themengebieten. Im eld der Bildung wird seitens der AfD die R ckbesinnung auf nationale Bildungsg ter und Bildungssysteme gefordert. Das Parteiprogramm formuliert eine bereinstimmung mit dem Humboldt schen Bildungsideal und eine Ablehnung der internationalen Angleichung von Bildungssystemen wie sie etwa im Bologna-Programm formuliert wird. hnliche Positionen werden allerdings auch von liberal gesinnten Hochschullehrern und linken Sozialwissenschaftlerinnen vertreten. Im konomischen geht es um Bestrebungen zur iedergewinnung nationaler Kontrolle gegen ber globalisierungsinduzierten Tendenzen der Entbettung. war gibt sich die AfD nach wie vor wirtschaftsliberale Stimmen doch mehren sich die Anhänger einer konservativ-ethnonationalen ohlfahrtspolitik welche den deutschen Sozialstaat durch die Herauslösung von Unternehmen aus nationalen Kontexten und transnationale ertschöpfungsketten bedroht sehen. Dies ist eine Position die neuerdings auch seitens der raktionsvorsitzenden der inken Sarah agenknecht formuliert wird. Im eld des Politischen macht sich ein zunehmender EU-Skeptizismus breit demzufolge die europäische Integration aufgehalten und nationale renzen wieder aufgerichtet werden sollen. So haben seit dem l chtlingssommer im ahre 2 15 die populistischen Rechtsparteien in Europa mit Blick auf Einwanderer aus dem globalen S den die R ckkehr zu einem strikten Kontrollregime mit nationalen renzkontrollen gefordert. Auch dies ist eine Position die keineswegs ausschlie lich in der AfD vertreten wird. Schlie lich entspricht das Parteiprogramm der AfD was ragen von Ehe amilie und Erziehung angeht in weiten Teilen fr heren rundsatzprogrammen der Unionsparteien. Die R ckkehr zum Container prägt auch die Arenen der Sinnstiftung und der Bedeutungsproduktion. Hier wird eine nationale eitkultur wie weiter oben ausgef hrt gegen Tendenzen sozialer berlappung gegen die Tendenzen der Herausbildung transkultureller Identitäten verteidigt. Im Raum der ahrheiten ist dieser Konflikt gegen den Sozialkonstruktivismus gerichtet und wird wie oben bereits gesagt stellvertretend am eschlechterverhältnis ausgefochten. Die orderung nach eindeutigen Klassifikationsprinzipien kann dann sehr leicht auch auf ragen der Vereindeutigung von ethnonationalen Identitäten bertragen werden. efordert wird dann nicht nur die R ckkehr zu eindeutigen biologisch fundierten Klassifikationsprinzipien und binären eschlechterkategorien sondern auch die rientierung an essenzialistischen Kategorien nationaler Identität. Das durch die politi-

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Rechtsparteien gegen Kosmopoliten?

sche Rechte in die Debatte eingebrachte Konzept des Ethnopluralismus behauptet die grundsätzliche Verschiedenheit der Kultur unterschiedlicher Völker.23 3.

Symbolische Kämpfe dreier Anhängermilieus

Unter welchen Bedingungen können die hier skizzierten Spaltungen rechtspolitisch mobilisiert werden? Die Kulturkämpfe finden auf unterschiedlichen Ebenen statt: ezeigt werden kann dass die Mobilisierung an zwei Voraussetzungen gebunden ist: Erstens an die skizzierten durch Transnationalisierungsprozesse induzierten vertikalen und horizontalen Spaltungen durch die ein vertikales B ndnis zwischen konservativen Teilmilieus aus oberen mittleren und unteren Schichten möglich wird und zweitens an lugbahnen sozialer Abwärtsmobilität die sich subjektiv in Erfahrungen persönlicher ur cksetzung der Entfremdung oder des Kontrollverlustes manifestieren. Die weltanschauliche Nähe zu konservativen oder nationalistischen Positionen allein ist somit keine hinreichende Mobilisierungsursache. ie gesagt die neuen Rechtsparteien mobilisieren ruppen aus unterschiedlichen Klassenlagen. Ihre Konfliktlinie bildet vertikale aber auch horizontale Bruchlinien ab. Entsprechend ist das diskursive eld des Rechtspopulismus hochdynamisch und thematisch breit gefächert da gesellschaftliche iderstandspotenziale aus verschiedenen sozialen eldern und Milieus im oppositionellen Diskurs des Rechtspopulismus synchronisiert werden m ssen. Die Dynamik lässt sich zunächst am programmatischen andel der AfD festmachen die urspr nglich im Kontext der Eurokrise als wirtschaftsliberale Partei auftrat sich inzwischen aber neben ihren globalisierungs- und identitätspolitischen Kernthemen auch sozialpolitischen Themen zugewendet hat und sogar die teilweise R ckabwicklung der Agenda-Reformen fordert.24 udem weist die AfD radikale und gemä igtere Richtungen auf. war dominiert in der ffentlichkeit der Eindruck die AfD hätte sich zunehmend in eine völkisch-radikale Richtung entwickelt gleichzeitig haben in den Parteiämtern die emä igten die Mehrheit. Dadurch gibt sich die AfD den Anschein einer breit aufgestellten Volkspartei. Auffällig ist zudem die Herausbildung und wachsende Sichtbarkeit einer breiten zivilgesellschaftlichen rechtspopulistischen Bewegung die per23 24

Eckert Kulturelle Homogenität und aggressive Intoleranz. Manow Populismus rechts und links.

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sonelle und thematische Verflechtungen b rgerlich-konservativer rechtspopulistischer nationalkonservativer und tendenziell rechtsradikaler Akteure und ruppierungen aufweist. u einigen ihrer wichtigsten berzeugungen bekennen sich neuerdings auch prominente Intellektuelle und Schriftsteller wie Uwe Tellkamp R diger Safranski Norbert Bolz oder Martin alser. Bislang verstreute Akteure und Bewegungsmilieus haben somit unter dem Dach des Rechtspopulismus zu einer politischen Kampf-Vergemeinschaftung zusammengefunden und decken dabei ein thematisch breit gefächertes Profil ab angefangen vom Protest gegen den Islam und die l chtlinge ber die Ablehnung einer liberalen Europapolitik bis hin zum Protest gegen liberale Aufklärungs- und Sexualpolitik. Dabei können auch politisch weniger eindeutig positionierte ruppen wie etwa Burschenschaften und evangelikale ruppen ber Themen wie sexuelle Vielfalt sexuelle r herziehung oder die Homo-Ehe negative Migrationsfolgen und Islamkritik mobilisiert werden.25 Die Akteure des publizistischen Arms der Neuen Rechten wie etwa Sezession oder Junge Freiheit fungieren dabei als intellektuelle Stichwortgeber.26 Die Bewegung der Identitären schlie lich bedient sich moderner Kommunikationstechnologien und der ästhetischen Mittel der Popkultur zur Attraktion eines j ngeren Publikums durch Internet und Twitter.27 Allerdings stimmen nicht alle Milieus und Akteure in ihren eltsichten und politischen berzeugungen berein zum Teil gibt es beträchtliche Unterschiede zwischen rechtskonservativen rechtsnationalen und eher populistischen Anhängern wobei die als gemä igt konservativ auftretenden Realos in pposition zu den radikaleren zumeist PE IDAnahen undamentalisten treten. Die meisten AfD-Anhänger distanzieren sich von dem in der ffentlichkeit besonders sichtbaren rechtsextremen Rand da sie nicht offen rassistisch oder antisemitisch auftreten wollen2 und von sich angeben der sozialstrukturellen und politischen Mitte anzugehören.29 Aus diesen r nden ist auch die weit verbreitete Ansicht bei der AfD handele es sich um eine Art iedergeburt des Nationalsozialismus fehlgeleitet. Denn es gibt keine homogene und in sich konsistente rechte eltanschauung sondern man findet in diesem eld nationalistisches völkisches

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Siri Paradoxien konservativen Protests. Kemper Keimzelle der Nation? S. 1 f. 33ff. Bruns et al. Die Identitären S. 11. örke Selk Theorien des Populismus. K pper et al. Pegida in den Köpfen.

Rechtsparteien gegen Kosmopoliten?

islamophobes antifeministisches aber auch konservatives wirtschaftsprotektionistisches und bildungshumanistisches Denken. Man findet Euroskeptiker man findet Anti-Demokraten aber auch solche die eine direkte Demokratie einfordern und man findet ähnlich wie bei einigen linken ruppierungen einen Antikapitalismus- und Antiglobalisierungsdiskurs. So etwa werden sozialpolitische Programmpunkte der AfD durch Kritik und Ablehnung des Transatlantischen reihandelsabkommens TTIP flankiert. Inzwischen spricht man sogar davon dass in einigen rechten Regierungen wie etwa in Ungarn urspr nglich sozialdemokratische iele eines Ausbaus des Sozialstaates sehr viel intensiver verfolgt werden als das in den Programmen sozialdemokratischer Parteien in anderen ändern zu finden ist. Das klassen bergreifende gemeinsame Merkmal der unterschiedlichen durch die AfD mobilisierten weltanschaulichen Positionen ist der unsch nach iederherstellung einer nationalen esellschaftsordnung genauer: die iederherstellung einer im Container verankerten sozial wie kulturell integrierten esellschaft mittels nationaler Schlie ung. Ungeachtet der enormen Vielfalt der Themen stellt die Islam- und Migrationskritik das wichtigste Mobilisierungsthema und die bergreifende Klammer in der politischen Ideologie des Rechtspopulismus dar. Die Islamund Migrationspolitik wird von allen politischen agern und Anhängern geteilt3 und fungiert mithin als Integrationsideologie durch die verschiedene Milieus mobilisiert werden können weil darin alle Aspekte der ReNationalisierung konvergieren. anz unterschiedliche Themenbereiche wie etwa Europaskepsis die Ablehnung der multikulturellen esellschaft oder die national-soziale Verteidigung eines ethnisch fokussierten ohlfahrtstaates lassen sich unter diesem Themenschwerpunkt zusammenbringen. Diese Themen fallen allerdings nur dort auf fruchtbaren Boden wo sich spezifische vorpolitische Einstellungen und Dispositionen spezifische Habitus herausgebildet haben. Angelehnt an die Milieustudie zu gesellschaftspolitischen agen in Deutschland von Michael Vester31 sollen hier symbolische Kämpfe dreier sozialstruktureller ruppen aus denen sich nach Vester die Anhänger des Rechtspopulismus schwerpunktmä ig rekrutieren dargestellt und hinsichtlich ihrer vorpolitischen Ideologien d. h. hinsichtlich ihrer durch den Rechtspopulismus mobilisierbaren Habitusstrukturen verglichen werden: a die konservative berschicht b die strukturbenachteiligten Milieus aus

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Inglehart Norris Trump, Brexit, and the rise of populism Schwarzbözl atke Außer Protesten nichts gewesen? Vester Der Kampf um soziale Gerechtigkeit.

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der traditionellen Mittelschicht sowie c die autoritären Milieus der prekären Unterschicht. Selbstverständlich ist mit der folgenden Skizze kein Anspruch auf Vollständigkeit verbunden vielmehr geht es um eine erste explorative Bestandsaufnahme klassenspezifischer Mobilisierungsgrundlagen.32 Die konservative Oberschicht verbindet mit der Ausgrenzung von muslimischen Migranten und efl chteten weniger rassistische als vielmehr wohlstandschauvinistische Positionen denen eine spezifische unktion im symbolischen Klassenkampf zukommt der hier in estalt naturalisierender Festschreibungen sozialer Hierarchien gef hrt wird. So glaubt eine gro e Mehrheit dieses Milieus dass Deutschland ein reiches and sei weil Deutsche gleichsam von Natur aus flei iger und t chtiger als andere seien weshalb Ausländer zwar nicht völlig ausgegrenzt aber mit erheblich geringeren Rechten ausgestattet werden sollten.33 Die unktion die diese kategoriale Herabstufung f r die gesellschaftliche Positionierung dieser Klassenfraktion hat erschlie t sich wenn man das esellschaftsbild von Thilo Sarrazin das ebenfalls der konservativen berschicht zugeordnet werden kann genauer auf seine unktionen im Kontext symbolischer Klassenkämpfe betrachtet.34 Sarrazin kann als ein Diskursbeispiel f r eine Politik der Naturalisierung von Klassenunterschieden gelesen werden. In seiner im ahr 2 1 veröffentlichen Streitschrift Deutschland schafft sich ab prognostiziert er eine

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Da bislang keine expliziten Milieustudien zu ebensformen und Sichtweisen rechtspopulistischer ruppierungen vorliegen kann dieser usammenhang hier nur annäherungsweise rekonstruiert werden. Dazu greife ich auf unterschiedliche Materialien wie etwa verschiedene Buchpublikationen aus rechten und rechtspopulistischen Verlagen Antaios Manuskriptum u erungen in ffentlichkeit und Medien u erungen von Politikern sowie auf eine eigene Rekonstruktion symbolischer Auseinandersetzungen am Beispiel klassenspezifischer Vorstellungen von Heimat Koppetsch In Deutschland daheim zur ck. Ebd. S. 13. Eine von der esellschaft f r Konsumforschung durchgef hrte repräsentative Studie zur Käuferschaft der Schrift stellt fest dass gerade nicht die Arbeiterschicht oder die Menschen in sogenannter einfacher age das Buch gekauft haben sondern in erster inie die Besserverdienenden und Menschen mit berdurchschnittlicher Bildung Kniebe Wer hat Angst vorm fremden Mann? . u den Käufern gehören mehr Männer als rauen die ber 6 - ährigen sind berproportional vertreten ebenso die Altersgruppen der 2 - bis 29- ährigen die sich am Berufsstart befinden. Vor allem Aufsteiger und eistungsorientierte finden sich in der Käuferschaft.

Rechtsparteien gegen Kosmopoliten?

abnehmende Produktivität und eistungsfähigkeit Deutschlands da berdurchschnittlich viele Kinder in bildungsfernen Schichten mit vermeintlich unterdurchschnittlicher Intelligenz aufw chsen. Sarrazin sieht in erster inie Erbfaktoren d. h. eine erblich verankerte unterdurchschnittliche Intelligenz als Ursache f r das Versagen unterprivilegierter Kinder und insbesondere t rkischer Migranten im Schulsystem. Er leugnet nicht die Möglichkeit sozialer Aufstiege von Muslimen doch sieht er deren ahrscheinlichkeit aufgrund ihres angeblich erblich bedingten Mangels an Begabungen als gering an. Sarrazin vertritt ein esellschaftsbild in dem Klassenhierarchien genetisch festgeschrieben scheinen. Die Tendenz zu naturalisierenden sozialen Klassifikationen liegt auch der medial gef hrten rechtspopulistischen Debatte um den Anti-Genderismus35 zugrunde in der gegen die von den gender studies vertretene sozialkonstruktivistische Sichtweise auf eschlechterdifferenzen polemisiert wird. war wird der rundsatz der leichberechtigung der eschlechter in diesen Debatten nicht angetastet doch wird die Nat rlichkeit von eschlechterunterschieden gegen anderslautende sozialwissenschaftliche Sichtweisen hervorgehoben. Beide Diskurse die Behauptung naturgegebener eschlechtsunterschiede und die Behauptung der Erblichkeit von Intelligenzunterschieden beinhalten mithin eine naturalisierende estschreibung sozialer Hierarchien. Die Diskurse können dar ber hinaus auch als Abwehrreaktion gegen Mobilitätsprozesse jeglicher Art – angefangen von Migration ber soziale Mobilität bis hin zur Transgender-Mobilität zwischen biologischen eschlechtern – verstanden werden.36 Seitens der Protagonisten rechtskonservativer esellschaftsbilder wird behauptet dass soziale Mobilität vergeblich sei weil aufgrund kategorialer Unterschiede immer schon feststehe welche soziale Position ein Individuum einnimmt. Die konservative berschicht forciert im Diskurs um Anti-Islam und Antienderismus somit eine orm der symbolischen Selbstbehauptung die in der radikalen Verteidigung sozialer Hierarchien und sozialer Privilegien besteht. Eine ganz andere Bedeutung kommt dem Topos der Islam- und Migrationskritik bei den beiden strukturbenachteiligten Milieus dem Milieu der traditionellen Mittelschicht und dem prekären Milieu zu. In diesen Milieus bernimmt die Islam- und Migrationskritik die unktion eine identitätsstiftende emeinschaft das Volk gegen ber Au enseitern zu verteidigen. 35 36

Villa Hark Anti-Genderismus. Von Braun Anti-Genderismus.

2 9

Cornelia Koppetsch

Diese Konstruktion st tzt sich auf die eitdifferenz zwischen einem authentischen als homogen gedachten Volk und den ugewanderten und folgt der kompensatorischen ogik der iederaufrichtung des Selbstbildes. Dies erfolgt im Stile einer Etablierten Au enseiter-Polarisierung 37 d. h. durch die Konstruktion von Au enseitergruppen deren Machtunterlegenheit im Dienste des ruppencharismas stabilisiert werden soll.3 Die beiden Milieus unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihrer klassenpolitischen Strategien innerhalb derer die Ab- und Ausgrenzungsthematik gegen ber Migranten und efl chteten jeweils relevant wird. Im entrum der Abgrenzungspolitik der traditionellen Mittelschicht steht die iederherstellung des kulturellen Allgemeinvertretungsanspruchs. Aus Sicht der Angehörigen dieser Schicht stehen die f r sie charakteristische Moral der anständigen eute und ihre ebensf hrung – orientiert an Konventionen und am imaginären nivellierten Mittelstand – f r die erte und Interessen der esamtbevölkerung des Volkes . Sie gelte es gegen ber Au enseitern aber auch gegen ber exzentrischen Vorstellungen des Establishments das nicht mehr die gesellschaftliche Mehrheit vertrete zu verteidigen. Durch die Suggestion einer kulturellen Einheitlichkeit nationaler erte und ebensformen wird eine leichsetzung der eigenen Klassenkultur mit der Nationalkultur vorgenommen die eigenen erte werden als allgemein anerkannte Moralvorstellungen Anstand Aufrichtigkeit Bescheidenheit Commonsense rientierung an Konventionen und Normalität ausgegeben und gegen die hegemoniale Kultur der postindustriell-akademischen Mittelklasse und die Kultur des remden Au enseiter verteidigt. r die prekären Milieus stehen im Kontrast dazu nicht kulturelle eltungsanspr che im Vordergrund die es zu verteidigen gilt sondern Verteilungskonflikte zwischen den Alteingesessenen und den Zugewanderten. Die ugewanderten stellen innerhalb der ebenswelten dieses Milieus interdependente ruppen dar und werden als Konkurrenten um begehrte ter um gesellschaftliche Machtpositionen Arbeitsplätze ohnraum Sozialleistungen staatliche uwendungen und nicht zuletzt um Heiratspartner wahrgenommen. Diese Konkurrenzsituation entspringt einer gemeinsamen sozialen age. Die prekären Milieus bewohnen gemeinsam mit den Migranten aus den ärmeren Regionen der Schwellenländer oder des globalen S dens oftmals einen gemeinsamen ebensraum wie sich in multiethnischen Stadt uartieren Belegschaften Schulen und reizeiteinrichtungen dokumentieren lässt.39 37 3 39

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Koppetsch Aufstand der Etablierten? Elias Scotson Etablierte und Außenseiter. Sauer et al. Rechtspopulismus und Gewerkschaften.

Rechtsparteien gegen Kosmopoliten?

Die räumliche Vermischung ist allerdings keine Bedingung f r soziale Interdependenzbeziehungen zwischen autochthoner und migrantischer Bevölkerung. So wird der uzug von efl chteten selbst in Regionen mit geringem Anteil von Asylsuchenden wie etwa in strukturbenachteiligten Regionen Deutschlands oftmals als Bedrohung wahrgenommen weil diese als Konkurrenten um knapp gehaltene staatliche Transferleistungen wahrgenommen werden. Hier gewinnt die rage wer berhaupt dazu gehört also wer zum Empfang staatlicher Unterst tzung berechtigt ist eine zentrale Bedeutung. Auch der ugang zu g nstigem ohnraum und Arbeitsplätzen soll aus der Sicht der Eigengruppe primär den Alteingesessenen vorbehalten bleiben. Die blo e Möglichkeit die ugewanderten könnten als unberechtigte Empfänger von öffentlichen eldern profitieren oder auf dem Arbeitsmarkt bevorzugt werden potenziert das ef hl der Deklassierung und kulminiert in der Behauptung die l chtlinge w rden von der Regierung gegen ber den Alteingesessenen bevorzugt. Die von Politikern und liberalen Milieus oftmals geforderte bessere Integration von Migranten stellt f r das prekäre Milieu gerade keinen Trost sondern eher noch eine zusätzliche Bedrohung dar 4 da die eigene Position durch die aufholende Integration der möglicherweise begabteren und weniger anspruchsvollen ugewanderten41 noch zusätzlich geschwächt wird. 4.

Deklassierung und Hysteresis-Effekte

Die Beispiele zeigen dass eine weltanschauliche Nähe zu den Parteiprogrammen der AfD nicht hinreichend ist. Hinzutreten muss mindestens noch eine weitere Bedingung: Die Erfahrung abwärtsmobiler sozialer Flugbahnen, die sich subjektiv in Entfremdungs- Entwertungs- oder hnmachtserfahrungen niederschlägt. Abwärtsmobile lugbahnen sind nicht gleichzusetzen mit einem individuellen sozioökonomischen Abstieg wie er in Sozialstrukturanalysen etwa als intra- oder intergenerationale Abstiegsmobilität begriffen und an Indikatoren wie Bildung Beruf und Einkommen festgemacht wird.42 Im Anschluss an das Sozialraummodell von Bourdieu soll

4 41 42

Treibel Integriert Euch! Sauer et al. Rechtspopulismus und Gewerkschaften. Aktuelle Studien zur intragenerationellen Abstiegsmobilität kommen etwa zu dem Ergebnis dass in den letzten ahren kaum eine unahme sozialer Abstiege zu verzeichnen sei Stawarz Soziale Mobilität in Deutschland revisited Drasch

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Cornelia Koppetsch

hier ein erweitertes Konzept sozialer Abwärtsmobilität zugrunde gelegt werden das soziale Abstiege relational d. h. als Positionsverschiebung im esamtgef ge des Sozialraums dynamisch d. h. als trajectoire als einen auf die ukunft bezogenen erdegang als aufbahnklasse und kollektiv d. h. als Schicksal nicht eines Einzelnen sondern als soziales Schicksal einer ruppe oder Klassenfraktion betrachtet.43 Nur wenn soziale Abwärtsbewegungen Kollektiverfahrungen darstellen handelt es sich um eine soziale und mithin politisch mobilisierbare Erfahrung. In einer vollständig singularisierten esellschaft ist keine politische Mobilisierung möglich da es kein verbindendes Band mehr zwischen den Einzelnen gibt. Der Umstand dass Abwärtsflugbahnen eine kollektive Erfahrung darstellen bedeutet allerdings nicht dass es sich dabei um eine homogene ruppe handelt. Vielmehr zeigt sich dass Abwärtsflugbahnen mal das Schicksal von Berufsgruppen 44 mal von eschlechtergruppen45 und mal von ganzen Regionen46 abbilden. Relational sind Abwärtsflugbahnen da nicht die ruppe sich nach unten bewegt haben muss auch ihr ur ckfallen aufgrund des kollektiven Aufstiegs bislang unterlegener ruppen umschreibt eine abwärtsmobile lugbahn. Auch das absolute Steigen oder Sinken des ebensstandards sagt noch nichts ber die Veränderung der Position oder deren relationale Stellung in der esamtstruktur aus da die Abstände zwischen den Positionen

43

44 45 46

212

Berufliche Abwärtsmobilität in Deutschland . Angesichts der Ausweitung betriebsbedingter Entlassungen Restrukturierungsma nahmen sowie unsicherer und atypischer Beschäftigungsverhältnisse seit den 2 er- ahren ist allerdings sehr wohl davon auszugehen dass berufliche Abwärtsmobilität häufiger geworden ist allerdings anhand der verf gbaren Daten und mit den verwendeten Indikatoren vermutlich nicht hinreichend zu erfassen ist. Bourdieu verdeutlicht den Einfluss der lugbahnen auf den Habitus am Beispiel des Psycho- und Soziogramms unterschiedlicher raktionen der unteren Mittelschicht d. h. des Kleinb rgertums Bourdieu Die feinen Unterschiede S. 5 ff. . ährend das aufstrebende neue Kleinb rgertum das in medizinischsozialen Pflegeberufen oder in der populären Kulturvermittlung tätig ist symbolische und materielle ewinne aus kulturellen Modernisierungsprozessen ziehen kann ist das absteigende Kleinb rgertum als die älteste raktion der Mittelschicht von der wirtschafts- und berufsstrukturellen Entwicklung jeweils besonders stark bedroht. Das neue Kleinb rgertum gehört nach Bourdieu daher zu den Trägergruppen progressiver eltsichten und liberaler ebensformen während das traditionelle Kleinb rgertum zumeist an berkommenen Normvorstellungen und ahrnehmungskategorien festhält pessimistische ukunftsvorstellungen hegt und den modernen Berufssparten als den Trägern der modernen ebensf hrung mit Ressentiments begegnet. Die von Bourdieu gemachten Beobachtungen sind bis heute g ltig. roh-Samberg et al. Statuskonkurrenzen und soziale Spaltungen. imbauer et al. Prekäre Selbstverständlichkeiten. Cramer The Politics of Resentment.

Rechtsparteien gegen Kosmopoliten?

durchaus gleichgeblieben sein können. Umgekehrt kann sich hinter einem gleichbleibenden ebensstandard durchaus eine Abwärtsmobilität im Sinne der lugbahn verbergen denn auch die Auf- und Abwärtsbewegungen anderer ruppen und mithin die Veränderungen des esamtgef ges verändern die Positionen innerhalb des Sozialraums. Dynamisch schlie lich ist eine lugbahn da sich diese in die ukunft fortschreibt und ein Vermächtnis darstellt: elingt es einer ruppe oder Klassenfraktion ihre Position an die nächste eneration weiterzugeben? Abwärtsflugbahnen können m ssen aber nicht mit materiellen Einbu en einhergehen denn sie umfassen auch kulturelle eltungs- oder Statusverluste. udem sind sie keineswegs auf prekäre agen beschränkt. Auch Milieus aus der konservativen berschicht können in diesem Sinne abwärtsmobil sein wenn ihre Kapital- und Persönlichkeitsausstattungen im Verhältnis zu denen der aufsteigenden kosmopolitischen Milieus eltungsverluste erlitten haben. Die Abwärtsflugbahn ist aufgrund ihres relationalen Charakters nicht im Sinne des Modells einer Rolltreppe abwärts zu verstehen sondern soll hier annäherungsweise als Deklassierung durch ur ckfallen begriffen werden. Dabei sind zwei Aspekte des ur ckfallens besonders weit verbreitet: Die Entwertung des Habitus durch das Veralten inkorporierter Einstellungen Dispositionen und Haltungen und die Entwertung von Kapitalausstattungen aufgrund veränderter Bewertungsma stäbe und Spielregeln innerhalb sozialer elder. ährend sich die gesellschaftlichen Bedingungen geändert haben bleibt der Habitus seinen Entstehungsbedingungen verhaftet und funktioniert nicht mehr unter den neuen Umständen. Subjektiv wird diese Spielart als Entfremdung gewisserma en als Kulturschock erfahren. Aus diesem rund können auch solche Hegemonieverluste als ur ckfallen konzipiert werden die durch den Aufstieg aufschlie ender bislang unterlegener ruppen induziert worden sind. Hier ist nicht die betroffene ruppe zur ckgeblieben vielmehr ergibt sich der Statusverlust aus dem Aufstieg bislang unterlegener ruppen. Ein prominentes Beispiel daf r stellen unterschiedliche ruppen aus der traditionellen Mittelschicht – darunter acharbeiter Handwerker kleine ewerbetreibende andwirte und Kleinunternehmer – dar deren einst hegemoniale ebensformen entwertet worden sind und zwar sowohl auf nationaler Ebene gegen ber der aufsteigenden postindustriellakademischen Mittelklasse wie auch auf internationaler Ebene gegen ber den Mittelklassen der aufschlie enden BRICS-Staaten Brasilien Russland Indien China und S dafrika . Denn während die Einkommensungleichheiten innerhalb der westlichen elt gewachsen sind haben vor allem viele asiatische änder den Status von Entwicklungsländern hinter sich 213

Cornelia Koppetsch

gelassen und eine neue globale Mittelschicht hervorgebracht.47 Diese Konstellation bildet einen zentralen Pfeiler rechtspopulistischer Mobilisierung da sich darin nationale und klassenspezifische Statusverluste berlagern. Deklassierungen durch ur ckfallen können schlie lich auch aus der Entwertung von bislang rentierlichen Anwartschaften aus Prädikaten Titeln ualifikationen und Kompetenzen resultieren. So hat etwa die Herausbildung neuer Eliteprädikate wie beispielsweise der von Unternehmen verliehene Titel des high potential sowie der an Eliteuniversitäten verliehene MBA master of business administration die herkömmlichen Diplome der betriebswirtschaftlichen Studiengänge an gewöhnlichen Universitäten entwertet. Denn auch diese Entwertungen sind nicht von den Betroffenen die sich selbst zumeist gar nicht bewegt haben zu verantworten sondern m ssen vielmehr auf Verschiebungen im Bewertungs- bzw. Positionsgef ge des Gesamtsystems zur ckgef hrt werden. Nicht das individuelle Scheitern sondern die Enteignung steht im entrum dieser Spielart der Deklassierung: Die Spielregeln und Bewertungsma stäbe gewisserma en die Ratingagenturen haben sich geändert und die zu einem fr heren eitpunkt erworbenen ebensf hrungsmuster Anwartschaften und Berechtigungen verlieren ihre ltigkeit geraten in iderspruch zu den veränderten rdnungen wodurch die Betroffenen wesentliche Teile ihres Kapitals einb en.4 Populistische Rechtsparteien sind daher nicht nur ein orum symbolischer Klassenkämpfe sie bieten dar ber hinaus eine politische Therapie f r derartige Abstiegserfahrungen. Diese politische Therapie ist kein Coaching und auch kein auf das Individuum gerichtetes Empowerment 49 sondern vielmehr eine Rehabilitationstherapie und darauf ausgerichtet die traditionellen Institutionen zu verteidigen oder solche gesellschaftlichen rdnungen herzustellen welche die verlorenen Einsätze und Investitionen zur ckbringen sollen. Die Therapie besteht im esentlichen in der symbolischen Rehabilitierung des Status der Deklassierten durch die enerierung eines alternativen esellschaftsbildes einer alternativen Moral d. h. durch gesellschaftliche Re-Klassifizierungsangebote. Hier lassen sich wiederum drei Spielarten identifizieren. Diese orm der politischen Therapie kann stattfinden a als politische Häresie d. h. als sozialer Paradigmenwechsel im Sinne der radikalen Abkehr von der herrschenden esellschaftsordnung. Dieser Paradigmenwechsel beinhaltet einen Ausstieg aus der liberalen rtho- Doxie mittels des 47 4 49

214

Milanovic Die ungleiche Welt. Hochschild Strangers in their own land. Bröckling  Das unternehmerische Selbst.

Rechtsparteien gegen Kosmopoliten?

Angebots alternativer anti-liberaler esellschaftsbilder die eine neue moralische konomie z. B. Paternalismus statt soziale Umverteilung soziale Schlie ung statt ffnung Hierarchie statt leichheit kohärente rdnung statt Pluralismus eine konservative statt eine progressive Anthropologie etc. und eine neue symbolische rdnung anstreben. Die Therapie kann auch b als symbolische Re-Souveränisierung auftreten durch die symbolische iederaufrichtung klassischer Hegemonieverhältnisse etwa zwischen den eschlechtern zwischen den enerationen oder zwischen gesellschaftlichen Mehrheiten und Minderheiten auf der Basis vermeintlich heroischer Ideale von Maskulinität und Patriotismus. Und schlie lich kann sie c durch die Abwehr spezifischer Minderheiten oder Au enseiter- ruppen wirksam werden. e nach der um ihre jeweiligen Etablierten-Vorrechte besorgten ruppe handelt es sich bei den Minderheiten um ganz unterschiedliche Au enseiter- ruppen etwa um aufsteigende Karriere- rauen oder um Migranten die angeblich ungerechtfertigte Anspr che geltend machen um efl chtete Muslime etc. Das gemeinsame Merkmal der unterschiedlichen Au enseiter- ruppen ist dass sie aus Sicht der Betroffenen jeweils illegitime oder – wie oftmals in den populistischen Anti- enderismus-Kampagnen kolportiert – berzogene Anspr che auf leichheit stellen. Die Abwehr und Ausgrenzung der Au enseiter ermöglicht dann die Transformation eigener Statusverluste in kategoriale Ausgrenzungen anderer im Stile von Etablierten Au enseiter- igurationen.5 5.

Fazit

Nicht allein ökonomische Deprivationen und Prekarität sondern Erfahrungen relationaler sozialer Deklassierungen stehen im entrum spätmoderner Abstiegsprozesse. Deklassierungen können m ssen aber nicht mit materiellen Einbu en oder ökonomischen Abstiegen einhergehen. Dieser Umstand wurde bislang durch die starke okussierung auf ragen von Markt und konomie vernachlässigt. Entscheidend ist dabei die soziale lugbahn also die dritte Dimension im Sozialraum Bourdieus. Abstiegsorientierte lugbahnen erzeugen Hysteresis-Effekte d. h. einen Habitus der seinen Entstehungsbedingungen verhaftet bleibt. Notwendig ist somit relationale Stellungen und den andel von Positionsgef gen stärker als bisher in die Untersuchung von Klassenkonflikten miteinzubeziehen. enn man dies

5

Elias Scotson Etablierte und Außenseiter.

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Cornelia Koppetsch

tut wird sichtbar dass Abstiegswellen in den reichen westlichen esellschaften auch in mittleren und sogar privilegierten Soziallagen verstärkt zu Deklassierungen gef hrt haben. Befindet sich eine Klassenfraktion kollektiv im Abwärtstrend hat dies gravierende Auswirkungen auf die soziale Bewertung und das funktionelle ewicht ihres Habitus und die eltungskraft ihrer Bewertungsma stäbe Sichtweisen und ebensstile. So sind die an Mitte und Ma 51 orientierten ebens- und Sichtweisen der traditionellen Mittelklasse nicht mehr f r die esellschaft im anzen ma geblich vielmehr werden sie zunehmend durch die Bewertungsma stäbe der kulturell dominierenden Klassenfraktionen entwertet d. h. durch die Ma stäbe der postindustriell-akademischen Mittelklasse welche ihre eigene kulturelle Praxis nun als legitime Kultur institutionalisieren konnte. Aber auch der Habitus der konservativen berschicht findet sich durch die unahme linksliberaler Tendenzen in Politik und esellschaft entwertet. as folgt daraus f r die weitere orschung? Die liberalen kosmopolitischen Milieus der akademischen Mittel- und berschicht haben sich möglicherweise zu selbstgefällig in ihrer Hegemonie eingerichtet und könnten zuk nftig eine böse berraschung erleben. Noch deutet allerdings nichts darauf hin dass Kosmopoliten sich in ihrer eltsicht ersch ttern lassen. r sie verkörpern die Anhänger der AfD das Andere der modernen esellschaft nämlich das egenteil von Toleranz eltoffenheit iberalismus. Diese Beziehung kann mit dem Schema des Anthropologen Edward Said als thering betrachtet werden.52 Konkret bedeutet dies: Man hebt sich selbst und sein soziales Image hervor indem man rechtspopulistische Haltungen als a-moralisch klassifiziert liberale vs. autoritäre moderne vs. antimoderne Haltungen Kosmopoliten vs. lobalisierungsverlierer etc. . Dabei oszillieren die remdzuschreibungen häufig zwischen Verteufelung und Verharmlosung. Mal werden die Anhänger der Rechtsparteien als gefährliche aschisten und mal wie missmutige Kinder präsentiert die von irrationalen ngsten und hnmachtsgef hlen geplagt w rden. Die Botschaft ist dieselbe: AfD-Anhänger gelten nicht als politische Player sondern werden als Menschen mit gravierenden charakterlichen oder moralischen Defiziten dargestellt.

51 52

216

M nkler Mitte und Maß. Said Orientalism.

Rechtsparteien gegen Kosmopoliten?

Literatur Bourdieu Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft rankfurt a. M. 19 2 Bourdieu Pierre: Sozialer Raum und Klassen rankfurt a. M. 19 5 Bourdieu Pierre: as hei t sprechen? Die konomie des sprachlichen Tausches ien 199 Bourdieu Pierre: Praktische Vernunft. ur Theorie des Handelns rankfurt a. M. 199 von Braun Christina 2 17 : Anti- enderismus. ber das eindbild der eschlechterforschung in: Kursbuch 192 2 17 S. 2 -45 Bröckling Ulrich: Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform rankfurt a. M. 2 7 Bruns ulian lösel Kathrin Strobl Natasch: Die Identitären. Handbuch zur ugendbewegung der neuen Rechten M nster 2 16 Cramer Katherine .: The Politics of Resentment. Rural Consciousness in isconsin and the Rise of Scott alker Chicago 2 16 Cuperus Ren : ie die Volksparteien fast das Volk einb ten. arum wir den eckruf des Populismus erhören sollten in: Hillebrandt Ernst Hg. : Rechtspopulismus in Europa. efahr f r die Demokratie? Bonn 2 15 S. 149-15 Decker rank: ahlergebnisse und ählerschaft der AfD. In: Bundeszentrale f r politische Bildung vom 16. 7.2 17 online: http: www.bpb.de politik grundfragen parteien-in-deutschland afd 273131 wahlergebnisse-und-waehlerschaft ugriff: 9.11.2 1 Dowling Emma van Dyk Silke raefe Stefanie: R ckkehr des Hauptwiderspruchs? Anmerkungen zur aktuellen Debatte um den Erfolg der Neuen Rechten und das Versagen der Identitätspolitik in: PR K A 1 47 3 2 17 S. 411-42 Drasch Katrin: Berufliche Abwärtsmobilität in Deutschland. Angst vor dem Absturz in: IAB- orum 2 2 9 S. 34-39 Eckert Roland: Kulturelle Homogenität und aggressive Intoleranz. Eine Kritik der Neuen Rechten in: APu 44 2 1 online: http: www.bpb.de apuz 32421 kulturel le-homogenitaet-und-aggressive-intoleranz-eine-kritik-der-neuen-rechten?p all ugriff: 9.11.2 1 Elias Norbert Scotson ohn .: Etablierte und Au enseiter rankfurt a. M. 199 Eribon Didier: R ckkehr nach Reims Berlin 2 16 raser Nancy: r eine neue inke oder: Das Ende des progressiven Neoliberalismus in: Blätter f r deutsche und internationale Politik 2 2 17 S. 71-76 eiselberger Heinrich: Die gro e Regression. Eine internationale Debatte ber die geistige Situation der eit rankfurt a. M. 2 17 erhards rgen: Mehrsprachigkeit im vereinten Europa. Transnationales sprachliches Kapital als Ressource in einer globalisierten elt iesbaden 2 1

217

Cornelia Koppetsch erhards rgen Hans Silke Carlson Sören: Social class and transnational human capital. How Upper and Middle Class Parents Prepare Their Children for lobalization ondon New ork 2 17 roh-Samberg laf: Arbeitermilieus in der ra der Deindustrialisierung. Alte Benachteiligungen gebrochene lugbahnen neue Ausgrenzungen in: Bremer H. angeVester Andrea Hg. : Soziale Milieus und andel der Sozialstruktur. Die gesellschaftlichen Herausforderungen und die Strategien der sozialen ruppen. iesbaden 2 6 S. 241-265 roh-Samberg laf Hurch Nepomuk aitkus Nora: Statuskonkurrenzen und soziale Spaltungen. ur Dynamik sozialer Ungleichheiten in: SI-Mitteilungen 5 2 1 Baden-Baden 2 1 S. 347-357 Hochschild Arlie Rusell: Strangers in their own land: anger and mourning on the American right New ork ondon 2 16 Inglehart Ronald . Norris Pippa: Trump Brexit and the rise of populism. Economic have-nots and cultural backlash in: Harvard Kennedy School 2 16: aculty Research orking Paper 16– 26 online: https: research.hks.harvard.edu publica tions workingpapers Index.aspx ugriff: 26. 6.2 1 örke Dirk Nachtwey liver Hg. : Das Volk gegen die liberale Demokratie. eviathan Sonderband 32 Baden Baden 2 17 örke Dirk Selk Veith: Der hilflose Antipopulismus in: eviathan 43 4 2 15 S. 4 45 örke Dirk Selk Veith: Theorien des Populismus zur Einf hrung Hamburg 2 17 Kemper Andreas: Keimzelle der Nation? amilien- und geschlechterpolitische Positionen der AfD – eine Expertise Berlin 2 14 Kniebe Tobias: er hat Angst vorm fremden Mann? Thilo Sarrazin und seine eser. S ddeutsche.de vom . 1.2 11 online: http: www.sueddeutsche.de kultur thilosarrazin-und-seine-leser-wer-hat-angst-vorm-fremden-mann-1.1 43753 ugriff: 26. 6.2 1 Koppetsch Cornelia: Die esellschaft des orns. Rechtspopulismus im globalen eitalter Bielefeld 2 19 Koppetsch Cornelia: Rechtspopulismus Etablierte und Au enseiter. Emotionale Dynamiken sozialer Deklassierung in: örke Nachtwey 2 17 S. 199-222 Koppetsch Cornelia: Aufstand der Etablierten? Rechtspopulismus und die gefährdete Mitte 2 17 online: https: soziopolis.de beobachten kultur artikel aufstand-deretablierten ugriff: 26. 6.2 1 Koppetsch Cornelia: In Deutschland daheim in der elt zuhause? 2 17 online: https: soziopolis.de beobachten gesellschaft artikel in-deutschland-daheim-in-derwelt-zu-hause ugriff: 26. 6.2 1 Koppetsch Cornelia: Rechtspopulismus als Klassenkampf? Soziale Deklassierung und politische Mobilisierung. In: SI-Mitteilungen 5 2 1 Baden-Baden 2 1 S. 3 2391

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Rechtsparteien gegen Kosmopoliten? Kraemer Klaus: Sehnsucht nach dem nationalen Container. ur symbolischen konomie des neuen Nationalismus in Europa in: eviathan. Berliner eitschrift f r Sozialwissenschaften 46 2 2 1 S. 2 -3 2 Krastev Ivan: Europadämmerung. Ein Essay Berlin 2 17 Kriesi Hanspeter rande Edgar achat Romain Dolezal Martin Bornschier Simon rey Timotheos: lobalization and the transformation of the national political space: Six European countries compared in: European ournal of Political Research 45 6 2 6 S. 921-957 K pper Beate ick Andreas Krause Daniela 2 15 : Pegida in den Köpfen – ie rechtspopulistisch ist Deutschland? in: ick Andreas K pper Beate Hg. : ut Verachtung und Abwertung. Rechtspopulismus in Deutschland Bonn 2 15 S. 2143 Manow Peter: Populismus rechts und links Nord und S d st und est 2 1 online: https: soziopolis.de beobachten politik artikel populismus-rechts-und-links-nordund-sued-ost-und-west ugriff: 26. 6.2 1 Milanovic Branko: Die ungleiche elt. Migration das Eine Prozent und die ukunft der Mittelschicht Berlin 2 16 Mouffe Chantal: ber das Politische. ider die kosmopolitische Illusion Berlin 2 7 M nkler Herfried: Mitte und Ma . Der Kampf um die richtige rdnung Berlin 2 1 esch Daniel: Explaining workers support for right-wing populist parties in estern Europe. Evidence from Austria Belgium rance Norway and Switzerland in: International Political Science Review 2 3 2 S. 349-373 Pries udger: Die Transnationalisierung der sozialen elt. rankfurt a. M. 2 Reckwitz Andreas: Die esellschaft der Singularitäten. um Strukturwandel der Moderne Berlin 2 17 Reich Robert: Die neue eltwirtschaft. rankfurt a. M. Berlin 1993 Said Edward .: rientalism New ork 2 3 Sauer Dieter Stöger Ursula Bischoff oachim Detje Richard M ller Bernhard: Rechtspopulismus und ewerkschaften. Eine arbeitsweltliche Spurensuche Hamburg 2 1 Schaffner Brian . Mac illiams Matthew Nteta Tatishe: Understanding white polarization in the 2 16 vote for president: The sobering role of racism and sexism in: Political Science uarterly 133 1 2 1 S. 9-34 Schwarzbözl Tobias atke Matthias: Au er Protesten nichts gewesen? Das politische Potenzial der AfD in: Politische Vierteljahresschrift. 57 2 2 16 S. 276-299 Siri asmin: Paradoxien konservativen Protests. Das Beispiel der Bewegungen gegen leichstellung in der BRD in: Villa Hark 2 15 S. 239-256 Stawarz Nico: Soziale Mobilität in Deutschland revisited. Die Entwicklung der Karrieremobilität in den letzten ahren in: Kölner eitschrift f r Soziologie und Sozialpsychologie 67 2 2 15 S. 269-291 Treibel Annette: Integriert Euch Plädoyer f r ein selbstbewusstes Einwanderungsland rankfurt a. M. 2 15

219

Cornelia Koppetsch Vester Michal: Der Kampf um soziale erechtigkeit. Der Rechtspopulismus und die Potentiale politischer Mobilisierung. weiter Teil des Essays Der gesellschaftliche Strukturwandel und der Kampf um soziale erechtigkeit in der Bundesrepublik Deutschland . Rosa uxemburg Stiftung 2 17 online: https: www.rosalux.de publikation id 14744 der-kampf-um-soziale-gerechtigkeit ugriff: 26. 6.2 1 Villa Paula-Irene Hark Sabine Hg. : Anti- enderismus. Sexualität und eschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzung Bielefeld 2 15 Vobruba eorg: Der postnationale Raum. Die Transformation von Souveränität und renzen in Europa einheim Basel 2 12 imbauer Christine Motakef Mona Teschlade ulia: Prekäre Selbstverständlichkeiten. Neun prekarisierungstheoretische Thesen zu Diskursen gegen leichstellungspolitik und eschlechterforschung in: Villa Hark 2 15 S. 41-57

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Ressentiment als Kritik? Annäherung an ein problematisches Verhältnis Alfred Schäfer

1.

Sondierungen im Spannungsfeld zwischen theoretischer und politischer Abgrenzung

Einen gemeinsamen Ausgangspunkt scheinen Kritik und Ressentiment in der Erfahrung sozialer Ungerechtigkeit zu haben. Ein sicherlich untaugliches Mittel um sie voneinander abzugrenzen kann darin gesehen werden dass man behauptet die Kritik richte sich auf eine reale Ungerechtigkeit während das Ressentiment eher aus einer psychischen und emotionalen Situation heraus erfolge die dann die irklichkeit nur verzerrt wiedergebe. Eine solche Abgrenzung ist deshalb nicht aufrechtzuerhalten weil sie ein adä uanztheoretisches ahrheitskriterium zugrunde legt. Die kritische Analyse w rde dann mit der irklichkeit bereinstimmen die des Ressentiments nicht. hne ein adä uanztheoretisches Kriterium aber welches das ahre vom alschen trennen soll ist es gar nicht einfach eine kritische und eine Ressentiment-geladene Artikulation erfahrener sozialer Ungerechtigkeit voneinander zu unterscheiden. Der Königsweg dem hier gemeinhin gefolgt wird zielt darauf die Art und eise der jeweiligen Artikulation voneinander abzugrenzen. Und hier taucht – wenn auch auf eine indirekte eise – die egen berstellung von berechtigter Kritik und einem den egenstand verzerrenden Ressentiment wieder auf. Die Kritik beruht danach auf einer rational begr ndeten Ablehnung einer analysierten Ungerechtigkeit Artikulationen des Ressentiments werden demgegen ber eher als in einem psychischen ustand einer affective condition verankert gesehen.1 Diese affektive rundierung wird seit Nietzsches Genealogie der Moral meist mit Neid und Hass angegeben. Es ist dann eine primär gef hlte Ablehnung die nicht einmal rational ausgedr ckt werden muss. In other words it would be possible to express criticism on a purely logical and cognitive level without the emo1

Vgl. Knoop Criticism or Ressentiment? S. 156.

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Alfred Schäfer

tional involvement characteristic of ressentiment whereas it would be possible to feel ressentiment but not express criticism .2 Die affektive rundlage des Ressentiments richte sich zudem eher auf Personen und benötige daher nicht zwingend eine zusätzliche Analyse. Eine solche Abgrenzung einer rationalen Kritik von einem affektiven Ressentiment verbindet sich zunächst mit einer Hierarchie der eltungsanspr che: Kritik scheint das von ihr Kritisierte in seiner irklichkeit besser zu treffen als ein Ressentiment f r das eigentlich ein ef hl hinreicht und das dann vielleicht nur auf ein Reservoir von Vorurteilen zur ckgreift um sich zu bestätigen. In einer solchen hierarchischen igur kehrt eine bestimmte Blickverengung Nietzsches wieder. Er sah das Ressentiment als eine egenwehr der Schwachen der Unterlegenen. Doch schon Scheler hat darauf hingewiesen dass das kontagiöse seelische ift des Ressentiment 3 sich zwar am ehesten bei Abhängigen beobachten lässt die sich anderen gegen ber in einer ohnmächtigen Situation befinden. Allerdings m ssen seiner Meinung nach die modernen Bedingungen und das hei t: jene die gesellschaftlichen Verhältnisse strukturierende Annahme der leichheit ber cksichtigt werden. o diese und damit der Vergleich mit anderen herrsche werden Ungleichheits- und Ungerechtigkeitserfahrungen ubi uitär. Die Konkurrenz unter leichen f hre dazu dass sich jeder nach irgendeinem subjektiven Vergleichsma stab anderen gegen ber benachteiligt f hlen wird.4 Scheler geht noch weiter. Er begreift den modernen edanken der leichheit selbst nun wieder mit Nietzsche als Ergebnis eines Ressentiments der Schwachen gegen die Starken. Der Humanismus und der Rationalismus des modernen B rgertums 5 beruhen auf dem Ressentiment und dieses Ressentiment entfaltet nun seine generative Kraft auf der intersubjektiven Ebene. eder kann jetzt an jeder Stelle vermuten um seine leichheitsanspr che betrogen zu werden. Die dem Ressentiment zugrunde liegende Ungerechtigkeitserfahrung basiert hier also weder auf einer psychischen Struktur noch auf irrationalen Affekten. Sie erscheint als zwangsläufiges Ergebnis einer Kultur der leichheit und kann sich in ihrer Artikulation durchaus auf rationale Argumente st tzen.6 So f hrt der katholische Philosoph Scheler die Sozial2 3 4 5 6

222

Ebd. Scheler Das Ressentiment im Aufbau der Moralen S. 7. Vgl. ebd. S. 15. Ebd. S. 76. Vgl. lschanski Ressentiment S. 1 f.

Ressentiment als Kritik?

kritik der Arbeiterbewegung seiner eit auf den Neid zur ck und schlie t damit Sozialkritik und Ressentiment kurz. Deutlich wird auf diese eise dass die uschreibung eines Ressentiments die immer mit negativen und pejorativen Konnotationen verbunden ist unter der Voraussetzung dass noch der Rationalismus auf irrationalen rundlagen beruht zu einer politischen Allzweckwaffe wird.7 Mit ihr lässt sich jeder kritische Einsatz zur ckweisen indem auf seine affektive Basis verwiesen wird. Diese Strategie funktioniert aber selbst wiederum nur vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Rationalität und irrationaler Affektivität: also mit Hilfe der Unterstellung eines rationalen Diskursraums in dem eine angemessene Kritik ihren rt habe. enn Scheler – in der Spur Nietzsches – nun aber Recht haben sollte und man die moderne Verpflichtung auf leichheit und Rationalität selbst als eine auf Ressentiment beruhende Strategie der Ressentimentgeneralisierung begreifen muss wäre dann die Anrufung eines gemeinsamen Diskursraums rationaler Subjekte nicht selbst als eine Strategie des Ressentiments zu verstehen mit der arationale und gefährliche Strategien diszipliniert werden sollen? Dass Rationalität eine rationale Kritik selbst vom Virus des Ressentiments befallen sein soll macht deren Begr ndung prekär – zumindest solange man sie auf einen purely logical and cognitive level verpflichten möchte. Das aber ist wie die aktuelle Konjunktur der rage nach einer begr ndbaren Kritik zeigt wiederum eine unmögliche Aufgabenstellung. Dabei läuft diese Selbst- Problematisierung der Kritik nicht ber einen systematisch formulierten Irrationalismusverdacht also ber die Entgegensetzung von Rationalität und Affektivität. Im entrum steht hier eher zumindest seit der fr hen kritischen Theorie die rage nach dem möglichen rt des Kritisierenden: Ist seine Kritik ein Ausdruck gesellschaftlicher Normalisierung oder kann sie f r sich behaupten selbst nicht vom Kritisierten korrumpiert zu sein? Dieser rt ist problematisch weil kritische Positionierungen einerseits auf einen Teilnehmerstatus auf die eigene Ungerechtigkeitserfahrung oder das eigene eiden zur ckgreifen die als solche Kritik legitimieren andererseits aber wird die Möglichkeit in Anspruch genommen gegen diese Unterwerfung eine wahre und vern nftige Perspektive einzuklagen. Dabei ist es dann die Ungerechtigkeits- oder Unterdr ckungserfahrung die in ihren olgen einer Entfremdung einer 7

Vgl. auch Riou Re-thinking Ressentiment S. 12. Vgl. Horkheimer Adorno Dialektik der Aufklärung Adorno Negative Dialektik.

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hnmacht pathogenen Phänomenen o.ä. den Rationalitäts- und Begr ndungsanspruch der Kritik in rage stellt. Die efahr irrationaler Anteile der Kritik wird so nicht auf ein Ressentiment zur ckgef hrt das ihrem rationalistischen Anspruch zugrunde liegt diese efahr treibt vielmehr eine rationale Selbstkritik der eigenen Kritikerposition voran. Kritik muss selbstkritisch sein wenn sie ihren Rationalitäts- und Begr ndungsanspruch nicht aufgeben will. edoch ist auch hier nicht zu bersehen dass die Bezugspunkte der Kritik reiheit und leichheit zugleich strukturierende Elemente einer sich ber Verträge und Rechtsstaatsprinzip regulierenden b rgerlichen esellschaft sind. Die Verwirklichung dieser Elemente die Aushandlung von Verträgen wie auch die praktische Bedeutsamkeit von Rechtsprinzipien bleiben dabei immer umstritten – oder anders gesagt: in die Dialektik von allgemeiner eltung und individueller reiheit verwickelt. Unter diesen Voraussetzungen ist Kritik – wie Raymond euss konstatiert – als eine normale und notwendige orm gesellschaftlicher Existenz zu verstehen.9 Mit oucault könnte man sagen dass Kritik zur Haltung wird zur Tugend.1 Alles wird nun befragbar – von wo aus und unter welchen esichtspunkten auch immer. Es öffnet sich ein politischer Raum in dem ber r nde gestritten wird ohne dass jemand ber ein verbindliches Urteilskriterium verf gen w rde mit dessen Hilfe vern nftige von unvern nftigen r nden unterschieden werden könnten. Beide – die Normalisierung der Kritik wie auch der Verweis auf die Unmöglichkeit eines unumstrittenen rationalen eltungsanspruchs – lassen die Aussicht auf eine Befreiung von irrationalen wängen wie sie aus Unterdr ckungs- und Ungerechtigkeitserfahrungen resultieren eher unwahrscheinlich erscheinen: Die Perspektive einer rational begr ndeten Kritik wird grundsätzlich problematisch. Und die Verpflichtung auf sie erscheint nun eher als eine die sozial gefordert ist. leichzeitig funktioniert diese Verpflichtung damit aber auch als ein Medium ber das soziale Inklusionen und Exklusionen gesteuert werden: Sie funktioniert wie ein Ressentiment gegen ber jenen denen man ein irrationales Ressentiment vorwirft. Als Ergebnis der bisherigen Sondierungen lie e sich also festhalten dass sich das Verhältnis von Ressentiment und Sozialkritik wohl kaum einfach ber die pposition von Irrationalität und Rationalität bestimmen lässt. enn die nicht zuletzt auch affektive Bindung an rationale Begr n9 1

224

euss Bürgerliche Philosophie und der Begriff der ‚Kritik‘. oucault Was ist Aufklärung.

Ressentiment als Kritik?

dungen selbst zur rundlage eines Ressentiments gegen ber jenen werden kann die ihre Ungerechtigkeitserfahrungen ohne rationale Selbstverpflichtung artikulieren dann scheint das so kritisierte Ressentiment mit seiner ur ckweisung einer Inklusion in eine rationale Diskurswelt die selbst auf Ausgrenzungen beruht wiederum durchaus bedenkenswerte ge einer Sozialkritik zu enthalten. enn die Profilierung beider von Ressentiment und Sozialkritik gegeneinander schwierig ist könnte man sie – sicherlich mit analytischem ewinn – selbst in ihren jeweiligen igurationen als Resultat politischer Auseinandersetzungen verstehen in denen es nicht zuletzt um rhetorische irksamkeit geht. Man könnte aber auch und ohne dieses eld zu verlassen und das hei t: ohne zu einer grundsätzlichen Unterscheidung kommen zu können versuchen sich dieser Profilierung ein St ck weit mit theoretischen Mitteln zu nähern. 2.

Eine kurze Skizze zum Ressentiment

In seinen Betrachtungen zum Ressentiment wählt Martin Seel einen Ausgangspunkt der nicht schon die pposition von Affektivität und Rationalität aufruft. Er geht von einer affektiven rundierung menschlicher eltbez ge aus f r die er die Differenz von uneigung und Abneigung einf hrt.11 Diese affektive rundierung wird dabei als etwas verstanden das auch noch der Vernunft vorausliegt: Seel fasst diese nicht als Antipoden der Affektivität auf sondern als eine eise mit der unaufhebbaren affektiven rundierung umzugehen. Die von ihr aufgerufenen r nde bieten die Möglichkeit sich zu den eigenen u- und Abneigungen noch einmal distanziert und urteilend zu verhalten.12 Das usammenspiel von affektiver rundierung von der auch deren Distanzierung nicht frei ist und Vernunft f hrt gleichzeitig zu der Annahme dass Affekte eben nicht einfach unmittelbar wirken sondern dass sie immer schon durch berlegungen und bungen des Umgangs mit ihnen geformt sind. Vor dem Hintergrund dieser Ausgangs berlegungen kann Seel dann das Ressentiment als eine spezifische eise des Umgangs mit den rundaffekten beschreiben. Er bestimmt diese Umgangsform durch drei Kriterien. um ersten stellt er f r das Ressentiment – gleichsam auf der inie des Irrationalismusverdachts – eine besondere Borniertheit fest ein sich 11 12

Vgl. Seel Zuneigung, Abneigung – Moral S. 774. Vgl. ebd.

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Starrmachen gegen ber dem bjekt. Ressentiment ist eine Abneigung die gegen ber Argument und Erfahrung abgedichtet ist. Sie speise sich nicht zuletzt aus der Angst vor dem Verlust dessen was einem Halt im 13 eben gibt . ugleich konstatiert Seel ein zweites Merkmal das in den Analysen Nietzsches und Schelers vorgezeichnet sei: die Umkehrung der Erfahrung der eigenen Unterlegenheit in das ef hl der berlegenheit in die Position desjenigen der ungerecht behandelt wurde und dabei eigentlich moralisch im Recht ist.14 Das dritte Merkmal sieht Seel in einem affirmativen Charakter des Ressentiments in seinem Insistieren auf der gegebenen rdnung. Das Ressentiment ist ein Affekt der Bejahung eines durchschnittlichen begrenzten berschaubaren vertrauten Horizonts von Bindungen und erten ber dessen renzen hinaus man nicht zu f hlen denken handeln mit einem ort: nicht zu leben wagt .15 Als Umgangsform mit den eigenen Affekten zeigt sich das Ressentiment als Verweigerung einer problematisierenden Distanzierung und als eine gleichzeitig Sicherheit suchende Bestätigung von Affekten der Ablehnung als Verwandlung einer hnmachts- in eine dann auch sozial gest tzte berlegenheitserfahrung und als eine eier der vertrauten und unproblematischen emeinsamkeit. Diese Charakterisierung des Ressentiments beinhaltet dass in allen drei Hinsichten durchaus ein Begr ndungsaufwand getrieben wird mag dieser auch primär Abgrenzungen befestigen und das Eigene sichern bzw. aufwerten. Seel betont daher auch dass eine Kritik des Ressentiments die glaubt dieses als blo e Dominanz der Affekte von Ablehnung und Abwertung ansehen zu können selbst efahr läuft ein adä uateres Empfinden und ein besseres issen zu beanspruchen. Eine solche Kritik laufe immer efahr selbst des Ressentiments geziehen zu werden: Schlie lich kann die elitäre Verachtung der Kultur der kleinen eute ebenfalls die formalen Bedingungen eines Ressentiments erf llen .16 er das Ressentiment kritisiert läuft daher immer efahr dass ihm selbst ein Ressentiment unterstellt werden kann. Seels Ausweg aus diesem Dilemma besteht nun nicht darin die Merkmale eines Kritikbegriffs zu entwerfen der sich als Alternative zum Ressentiment verstehen lie e. Er berlässt daher den Streit um die uschreibung von Ressentiment der politischen Auseinandersetzung. Diese 13 14 15 16

226

Ebd. S. 776. Vgl. ebd. Ebd. S. 777. Ebd. S. 779.

Ressentiment als Kritik?

kann seiner Ansicht nach hier keine ösung finden weil beide Ressentiment und Ressentimentkritik ein Merkmal gemeinsam haben. Dieses besteht in der Bestimmtheit mit der hier Positionen aufeinandertreffen: r Seel gehen beide davon aus dass nicht alles relativ oder perspektivenabhängig sein kann. Beansprucht wird eine gewisse bjektivität in der Beurteilung dessen was im Unterschied zu dem was in der elt Achtung findet wirklich achtenswert ist .17 enn man mit aclau und Mouffe davon ausgeht dass politische Strategien unter demokratischen Bedingungen sich formal dadurch kennzeichnen lassen dass notwendig partikulare Positionen einen unmöglichen universellen Anspruch erheben m ssen 1 dann wird man Seels ur ckweisung des niemals einlösbaren Anspruchs auf Allgemeinheit als Problematisierung einer bestimmten orm der politischen Auseinandersetzung verstehen können. Das Ressentiment wie auch dessen Kritik schaffen Konfliktszenarien die gerade aufgrund der Bestimmtheit der jeweiligen Ab- und Ausgrenzungen zu verhärteten ronten f hren: In ihnen droht sich die Abneigung wie auch die uneigung in den jeweiligen raktionen zu verselbständigen und in Verachtung oder Hass gegen die jeweils Anderen umzuschlagen. Seels Perspektive fragt nun nach der Möglichkeit die sich andeutende Destruktivität politischer Auseinandersetzungen zu entschärfen. Dazu greift er auf eine formale Bestimmung der Moral zur ck die er als Aversion gegen das Ressentiment angibt. Moral sei letztlich nichts anderes als eine Abneigung dagegen Missgunst zur Basis des sozialen Respekts zu erheben .19 Eine solche Charakterisierung der Moral lebt davon dass mit ihr der Anspruch erhoben wird soweit wie möglich frei von den beiden Affekten der u- und Abneigung zu sein. Moral ist nach Seel nicht auf einer affektiven sondern auf einer möglichst gleichg ltigen Beziehung zu anderen gegr ndet. leichg ltigkeit d. h. eine nicht auf den intimen ef hlen von iebe und Hass gegr ndete Beziehung zu anderen steht f r eine Unabhängigkeit die es möglich macht andere in ihrem Anderssein zu respektieren. Unterschiedliche Positionen können in ihrer eltung eher dann akzeptiert werden wenn die emotionalen Bindungen an die anderen aufgehoben sind. Und diese Bereitschaft zum eltenlassen ist es die im Ressentiment verloren geht 2 . Nach den bisherigen Ausf hrungen wäre 17 1 19 2

Ebd. S. 77 . aclau Mouffe Hegemonie und radikale Demokratie. Seel Zuneigung, Abneigung – Moral S. 779f. Ebd. S. 7 2.

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zu ergänzen dass diese Bereitschaft zum eltenlassen auch in der Kritik des Ressentiments und in politischen Auseinandersetzungen die den Raum der Relativität von r nden berschreiten verloren zu gehen droht. Nun kann man sich allerdings fragen ob eine solche moralische Sublimierung politischer Auseinandersetzungen nicht ein anderes Problem aufwirft. Im eltenlassen anderer Sichtweisen droht der nicht zuletzt auch affektive Anlass ihrer Artikulation verloren zu gehen: die Ungerechtigkeitserfahrung. Es d rfte die Differenz dieser Erfahrung zu ihrer Artikulation sein die letztere mit einer Bestimmtheit versieht die nicht einfach diskursiv aufzulösen ist. Eine erlebte Ungerechtigkeit und hnmacht lässt sich weder einfach in die richtigen orte kleiden noch ist sie dadurch dass andere ihre Artikulation gelten lassen aus der elt geschafft. Dies f hrt erneut zur ck zu einer politischen Auseinandersetzung um das was Herbert Marcuse einmal repressive Toleranz genannt hat. 3.

Politische Strategien zwischen Kritik und Ressentiment

Seels Anregung die drohende Sprengkraft politischer Konflikte durch eine Moral der Anerkennung wechselseitiger Unterschiedlichkeit zu entschärfen droht also selbst zu einem neuen Medium politischer Auseinandersetzungen zu werden. Und dies liegt nicht nur daran dass sie die Artikulation der eigenen Ungerechtigkeitserfahrungen an deren Relativierung bindet und damit diszipliniert. Es liegt auch daran dass mit der moralischen Indifferenz als Voraussetzung eines wechselseitigen Respekts und einer gemeinsamen Konfliktlösung zugleich ein normatives Kriterium etabliert wird das Ein- und Ausschl sse erlaubt. Eine solche moralische Indifferenz muss erlernt werden und man kann dar ber streiten ob entsprechende ernprozesse hinreichend erfolgreich waren. Dies liegt nicht zuletzt daran dass solche ernprozesse als äu erst voraussetzungsvoll anzusehen sind. Die Unabhängigkeit die sich in der moralischen Indifferenz zeigt hat ihre urzeln in der Abhängigkeit: in der Erfahrung der gewährten und empfundenen uneigung im Verhältnis zu anderen .21 Es ist also die lebensgeschichtlich erfahrene uneigung als Basis eines auch konflikthaften durch vern nftige Distanzierung ermöglichten Verhältnisses zu anderen die hier als Voraussetzung f r eine andere orm der politischen Auseinandersetzung angegeben wird. Solche ge21

22

Ebd. S. 7 1.

Ressentiment als Kritik?

lingenden Sozialisationserfahrungen sind nun aber nicht nur selbst kontingent sondern es kann auch nicht ausgeschlossen werden dass sich in ihrem Rahmen Ungerechtigkeitserlebnisse finden die vielleicht selbst nicht wiederum durch uneigung kompensiert werden können: Man befindet sich auf dem schwierigen Terrain des Pädagogischen. Nun kann es hier nicht darum gehen ein solches pädagogisches und politisches Programm durch den Verweis auf seine normativen und empirischen Implikationen in rage zu stellen. Selbst wenn man ein solches Programm etwa als örderung einer liberalen Toleranz gegen ber einer zu respektierenden Heterogenität bef rwortet ergibt sich die bereits aufgeworfene rage ob auf diese eise nicht zugleich ein Medium politischer Auseinandersetzungen mit entsprechenden Ein- und Ausschlusspraktiken in ang gesetzt wird. Man wird immer dar ber streiten können ob eine solche Toleranz hinreicht ob sie nicht selber wieder neue ronten zu jenen eröffnet die als nicht hinreichend tolerant oder als intolerant adressiert werden usw. Damit w rde das Postulat eines wechselseitigen Respekts als Voraussetzung einer vern nftigen politischen Auseinandersetzung selbst noch von dem eingeholt was es verhindern sollte: Moralische Indifferenz und der Respekt vor anderen Meinungen kann dann etwa ebenso zum Abgrenzungskriterium einer sich f r vern nftig haltenden Kritik gegen ber dem Ressentiment werden wie sie selbst wiederum als privilegierte Position und als Immunisierungsstrategie gegen ber brennenden Problemen adressiert und abgewiesen werden kann. Es ist nicht zu bersehen dass auf diese eise der Vorwurf des Ressentiments von beiden Seiten stark gemacht werden kann. Der Vorwurf dass die einen offensichtlich nicht gelernt haben vern nftig und tolerant miteinander umzugehen bietet dann ebenso ein Ausschlusskriterium wie umgekehrt der Vorwurf dass die Toleranz der Heterogenität eine orm der Ausgrenzung jener sei die auf ihren Erfahrungen der Ungerechtigkeit bestehen. Die Moral der moralischen Indifferenz erweist sich damit nicht nur als eine voraussetzungsreiche sondern auch als eine systematisch schwierige Positionierung. Die Relativierung der Bestimmtheit des eigenen politischen Engagements gegen wahrgenommene soziale Ungerechtigkeiten zugunsten der Akzeptanz anderer konträrer Sichtweisen lässt sich selbst wohl kaum in einem vorpolitischen moralischen Raum ansiedeln. Um an der mit ihr formulierten Intuition einer Begrenzung des politischen Ressentiments festzuhalten ohne damit das politische Engagement und die Unvereinbarkeit seiner Positionierungen aufzuheben wird man die Indifferenz wohl anders fassen m ssen. unächst ist sie als eine kognitive und nicht: moralische Distanzierungsleistung zu verstehen. Man mag 229

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diese mit uhmann als die Einnahme einer Beobachterperspektive zweiter rdnung angeben: Diese erlaubt es Perspektiven erster rdnung in denen andere befangen sind als kontingent zu sehen. Und sie bildet den Eintritt in eine endlose Reflexionsschleife in der auch die jeweils eigenen Positionierungen zweiter rdnung wieder als kontingente Bestimmungen erscheinen. Man kann mit Adorno auf die Notwendigkeit einer selbstkritischen Brechung der eigenen Kritik verweisen die verhindern soll dass man die eigene Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse schlicht mit deren irklichkeit verwechselt. Man mag mit Derrida die unmögliche erechtigkeit als notwendigen Bezugspunkt der Kritik an der Ungerechtigkeit aufrufen und genau darin – in der gleichzeitigen Unmöglichkeit und Notwendigkeit der erechtigkeit – den normativen rientierungspunkt der Dekonstruktion sehen. Diese Hinweise mögen hier gen gen um deutlich zu machen dass es Perspektiven gibt die die moralische Indifferenz selbst noch als ein Problem der Kritik und ihrer Begr ndbarkeit verstehen: Sie bildet hier keine vorpolitische moralische Haltung sondern eine Brechung des eigenen politischen Engagements die dieses vor einer blinden naiven ewissheit bewahren soll – ohne dass man davor sicher sein kann. enn man so will zielen die aufgerufenen Perspektiven zwar auf eine moralische Haltung zur Bestimmtheit der eigenen kritischen Analyse und dem ihr folgenden politischen Engagement. Diese moralische Haltung im Sinne Seels verdankt sich aber weniger einer moralischen rundlagenreflexion sondern eher einer erkenntniskritischen Einstellung – einem Misstrauen gegen ber der Möglichkeit die soziale irklichkeit eindeutig und objektiv bestimmen zu können. Es ist ein Misstrauen gegenber dem Anspruch sich die irklichkeit begrifflich verf gbar machen sie adä uat repräsentieren zu können. Es ist dieses Misstrauen das die moralische Haltung grundiert – und nicht umgekehrt. Ein solches Misstrauen hat – vor dem Hintergrund der Verbindung von kritischer Analyse und Engagement – nicht nur Konse uenzen f r den ewissheitsanspruch der begrifflichen Repräsentation der sozialen irklichkeit: Es hat auch Implikationen insofern als damit ebenfalls jene politische Position problematisch wird die beansprucht im Namen der ungerecht Behandelten zu sprechen und ebenfalls in ihrem Namen soziale Veränderungen zu fordern. Das theoretische Repräsentationsproblem verschiebt sich hier in ein politisches. Auch hier wird man davon ausgehen können dass mit der Problematizität der politischen Repräsentation weder die analysierte soziale Ungerechtigkeit noch das eigene Engagement obsolet werden sondern eine reflexive Brechung erfahren. Unsicher wird nun also zum einen in 23

Ressentiment als Kritik?

theoretischer Hinsicht nicht nur inwieweit eine diagnostizierte Ungerechtigkeit so gegeben ist sondern zum anderen in politischer Hinsicht auch inwieweit man selbst im Namen der von ihr Betroffenen sprechen kann – besonders dann wenn diese darin kein Problem zu sehen scheinen. In rage steht – mit efort gesprochen – das Verhältnis des symbolischen Raums des Politischen zum zerstrittenen Raum des esellschaftlichen.22 Die Brechung des eigenen Engagements ist hier keine theoretische sondern eine demokratische die trotz dieses Engagements darum wei dass der rt der Macht leer bleibt dass er nicht totalitär besetzt werden darf – weder mit dem blinden Vertrauen auf die eigenen Diagnosen noch mit jener este die f r sich das Problem der Repräsentation identitär aufzulösen verspricht. Mit dem Verweis auf das doppelte Problem der Repräsentation auf die ragen der umstrittenen Identifikation sozialer Positionen und der egitimität ihrer politischen Vertretung scheint Seels Verortung der moralischen Indifferenz als moralische Strategie gegen das Ressentiment fragw rdig zu werden. Vielmehr deutet sich noch einmal eine andere Perspektive auf das Verhältnis von Ressentiment und Kritik an. Es scheint nun nicht mehr die rationale Begr ndbarkeit der Kritik im Verhältnis zum irrationalen Ressentiment zu sein die hier eine renzlinie markieren könnte. Vielmehr r ckt das doppelte Problem der theoretischen und politischen Repräsentation in den Vordergrund. Von ihm her lassen sich kritische Positionierungen und Strategien des Ressentiments trotz unterschiedlicher theoretischer Anstrengungen und Begr ndungsbem hungen dann einander annähern wenn sie diese Problematik unterlaufen: wenn in ihnen nicht nur die bjektivität und ahrheit der eigenen Analyse angenommen wird sondern wenn sich ihre Repräsentanten als unmittelbares Sprachrohr der von ihnen Repräsentierten verstehen. Es ist gerade dieses doppelte Unterlaufen der Repräsentationsproblematik das einerseits die Differenz von Rationalität und Irrationalität selbst zu einem strategischen Raum macht. Andererseits bedient sich dieses Unterlaufen der Repräsentationsproblematik nicht zuletzt moralischer Argumente: Diese sollen die Analyse sozialer Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen absichern und zugleich das eigene Engagement legitimieren. Aus dieser Perspektive könnte man den Schluss ableiten dass gerade dort wo moralisch argumentiert wird die theoretische und politische Repräsentationsproblematik abgeblendet wird. 22

efort Die Frage der Demokratie.

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Anders formuliert: erade dort scheinen sich sozialkritische Positionierungen und politisches Ressentiment anzunähern. Moralisierungsstrategien arbeiten nicht nur mit renzziehungen die ugehörigkeit und Nichtzugehörigkeiten definieren sollen sie vereindeutigen diese renzziehungen durch Essentialisierungen durch die unhinterfragbare eltung der ronten durch Schuldzuweisungen und Beschämungen in denen die Differenz von sozial zugeschriebenen Kategorien und individuellem Verhalten kurzgeschlossen wird. Sie reklamieren die moralische berlegenheit und Verallgemeinerbarkeit des eigenen Standpunkts durch eine selbstgewisse Verurteilung des egen bers die nur möglich erscheint wenn die Komplexität sozialer und symbolischer Verortungen keine Rolle spielt. Solche Moralisierungsstrategien bilden eine kritische Positionierung im politischen Raum deren Spezifität darin besteht die doppelte Repräsentationsproblematik abzublenden. An dieser Stelle erscheint es sinnvoll den performativen Charakter dieser Abblendung zu betonen. Ausgehend von einer Kritik des Konzepts der moralischen Indifferenz konnte bisher der Eindruck entstehen dass es sich bei der Einsicht in die doppelte Repräsentationsproblematik um eine besondere reflexive eistung handeln w rde die die theoretische und politische Selbstgewissheit in rage stellt. Dies bildet aber allenfalls einen Aspekt. eradezu gegenläufig lässt sich auch feststellen dass unter den modernen Bedingungen der Kontingenz jede Bestimmtheit die eine behauptete irklichkeit gegen ber der Möglichkeit ihres Andersseins immunisieren möchte selbst immer schon problematisch erscheint.23 Von hier her wird dann einsichtig dass jede Vereindeutigung der Identifikation oder einer eingenommenen Position grundsätzlich umstritten bleibt. Im vorliegenden usammenhang bedeutet dies dass die erwähnten Moralisierungsstrategien nicht einfach beanspruchen können eine moralische ewissheit zu artikulieren die von allen geteilt wird: Diese doppelte ewissheit muss in diesen Strategien erst hergestellt werden. Eine solche Moralisierung des Politischen durch die Essentialisierung von Positionen die klare Verteilung von Tätern und pfern Schuldigen und Unschuldigen Dazugehörigen und remden usw. tendiert zu einer Annäherung von Kritik und Ressentiment. Dabei sollen im olgenden anhand dessen was Stegemann einen liberalen Populismus nennt und als eine moralisierte orm der Diskriminie23

232

Vgl. Makropoulos Modernität und Kontingenz.

Ressentiment als Kritik?

rungskritik ansieht 24 und dem Rechtspopulismus zwei Herangehensweisen betrachtet werden die in aktuellen Diskussionen durchaus konträr aufeinander bezogen werden. Dabei geht es nicht darum beide Herangehensweisen inhaltlich auf einer Ebene anzusiedeln. Daf r sind die Bezugspunkte zu unterschiedlich. ährend die Diskriminierungskritik ihren Bezugspunkt in der leichheitsforderung der rund- und Menschenrechte findet greift der Rechtspopulismus auf eine essentialisierte Volks- oder Nationsvorstellung zur ck um nicht nur remde auszugrenzen sondern auch das Prinzip politischer Repräsentation im Namen der Repräsentierten eines vorpolitisch gedachten Volkes in rage zu stellen. Dieses Repräsentationsprinzip bildet nun allerdings auch in der moralisierten assung einer Diskriminierungskritik die im Namen der Diskriminierten Verhältnisse anprangert und einen politischen Regulierungsanspruch erhebt keinen egenstand der Selbstproblematisierung. Auch wenn sich in diesem Punkt der moralischen Selbstgewissheit – und damit formal im Unterlaufen der doppelten Repräsentationsproblematik – eine formale hnlichkeit zwischen der liberalen Diskriminierungskritik und dem Rechtspopulismus andeutet so werden sich doch aufgrund der verschiedenen Ausgangspunkte die rhetorischen Strategien unterscheiden mit denen sich diese ewissheit und damit auch eine scheinbar objektive Aufteilung des politischen Raumes in reunde und egner ergibt. ährend die eine Seite dahin tendiert die gesellschaftliche irklichkeit unter dem esichtspunkt einer moralischen Schuld zu adressieren feiert die andere eine substanzielle moralische Unschuld des durch äu ere einde bedrohten und durch eigene Eliten korrumpierten Volkes. 3.1

Die Moralisierung der Diskriminierungskritik

Die Kritik an der Diskriminierung anzugebender sozialer Kategorien rauen Schwarze Migranten usw. bildet einen bedeutsamen identitätspolitischen Einsatz. Dieser Einsatz orientiert sich an ragen einer nicht eingelösten leichheit: an einer fehlenden leichheit von Chancen an der Ausgrenzung aus einem Raum dessen ugänglichkeit f r alle gleich sein sollte an der Ungerechtigkeit diskriminierender Ungleichbehandlungen. Und diese Kritik gewinnt ihre politische Kraft dadurch dass sie auf den systematischen Charakter einer solchen Ungleichbehandlung Benachteili24

Stegemann Das Gespenst des Populismus.

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Alfred Schäfer

gung und Diskriminierung verweisen kann: Es handelt sich um eine Diskriminierung die nicht zufällig erfolgt sondern sich der ugehörigkeit der Diskriminierten zu einer bestimmten sozialen Kategorie verdankt. enn von einem identitätspolitischen Einsatz die Rede ist dann impliziert dies dass die angegebenen sozialen Kategorien und deren Relationierung sich weder einer vorgängigen essentiellen noch einer soziostrukturellen Bedeutung verdanken. Soziale Ungleichheit wird daher zunächst nicht als ein soziostrukturelles Problem in dem Sinne betrachtet dass soziale Machtunterschiede oder Prekarisierungsverhältnisse einer bestimmten Sozialordnung wie etwa dem Kapitalismus zugerechnet werden.25 Den Ausgangspunkt identitätspolitischer Einsätze bildet vielmehr die Annahme dass die Identität sozialer ruppierungen Ein- und Ausschlussprozesse Chancen und Diskriminierungen in praktischen Prozessen hervorgebracht werden. Als vorgängig zu betrachten ist daher ein Möglichkeitsraum der zumindest unter der verfassungsrechtlich oder menschenrechtlichen abgest tzten Vorgabe der leichheit aufzufassen ist. Vor diesem Hintergrund sind dann Benachteiligungen und Diskriminierungen als zugleich nicht notwendig und normativ fragw rdig zu kritisieren. Eine politische Bedeutung erlangt diese kritische Perspektive auf die Hervorbringung ungleicher Positionen und der damit verbundenen Benachteiligung aber erst dann wenn sie diese nicht an die ufälligkeit individueller ebensläufe bindet – wenn also wie dies im eistungs- als erechtigkeitsprinzip formuliert wird nicht jeder seines eigenen l ckes Schmied ist. Die Ungleichbehandlung Benachteiligung und Diskriminierung muss also eine systematische in dem Sinne sein dass sie mit einer bestimmten sozialen Kategorie in Verbindung gebracht werden kann. efordert ist also dass partikulare Schicksale als Ausdruck einer allgemeinen Benachteiligung verstanden werden können dass sie etwas Allgemeines repräsentieren. Diese orderung einzulösen ist dabei aufgrund der eigenen Voraussetzungen nicht einfach. Denn immerhin besteht die identitätspolitische Ausgangslage darin sozialen Kategorien keine vorgängige und damit soziostrukturelle Bedeutung zuzugestehen. Die systematische Benachteiligung einer solchen Kategorie zu behaupten besteht nun aber gerade darin diese soziale Kategorie als vorgängig gesetzten Ausgangspunkt der Diskriminierung angeben zu wollen. Es wäre an dieser Stelle unangemessen die damit 25

234

Vgl. etwa Boltanski Chiapello Der neue Geist des Kapitalismus.

Ressentiment als Kritik?

gegebene Paradoxie in einem Entlarvungsgestus als logische Unmöglichkeit als unlösbare und daher praktisch sinnlose Aufgabe aufzufassen. Vielmehr ist diese Paradoxie Ausdruck des Problems einer demokratischen Repräsentation: In dieser geht es folgt man aclau und Mouffe darum partikulare esichtspunkte zu universalisieren um damit behauptete Hegemonien in rage zu stellen.26 Unter praktischen esichtspunkten ist also der Universalisierungsanspruch Voraussetzung einer politischen irksamkeit auch und gerade deshalb weil er theoretisch nicht eingelöst werden kann. enau in dieser Differenz zwischen einem theoretisch begr ndbaren eltungsanspruch und den notwendigen Bedingungen einer praktischen antihegemonialen irksamkeit zeigt sich erneut das oben verhandelte Problem einer identifizierenden Repräsentation in seiner gleichzeitigen Unmöglichkeit und Notwendigkeit. enn die wirkliche Existenz der diskriminierten sozialen Kategorie nicht einfach vorausgesetzt und theoretisch in ihrer einheitlichen egebenheit behauptet werden kann dann wird es strategisch darauf ankommen die cke zwischen konkreten ällen und allgemeiner Regel zu schlie en um Verdeckungsoder Verschleierungsoperationen der Diskriminierung selbst dort aufzudecken wo diese in hegemonialer Selbstverständlichkeit nicht gesehen werden. Man wird Narrative entwickeln die es erlauben Benachteiligungen zu typisieren oder das Andersmögliche in einem verhei ungsvollen icht erscheinen zu lassen usw. Solche Strategien sind identitätspolitisch notwendig um ein soziales Konfliktfeld das um das Spannungsfeld von leichheit und Benachteiligung kreist so zu vereindeutigen dass eine diskriminierte ruppe identifiziert und in ihrem gleichzeitigen Anspruch auf leichstellung und leichbehandlung ausgewiesen werden kann. Und es sind die Emergenz und ffenheit des politischen Prozesses die solche strategischen Bem hungen auf Dauer stellen die eine Verschiebung aber keine Auflösung von Machtverhältnissen bewirken. Neben der strategischen Bearbeitung einer identifizierenden Repräsentationsproblematik die verschiedenen Akteuren im hegemonialen Raum politischer Auseinandersetzungen eine bestimmte Position zuweist ergibt sich – wie bereits dargestellt wurde – eine zweite Repräsentationsproblematik. Diese besteht in dem politischen Anspruch im Namen der diskriminierten Kategorie sprechen zu können diese in den Artikulationen angemessen vertreten zu können. Es ist ein altes Problem das jeden politi26

aclau und Mouffe Hegemonie und radikale Demokratie.

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Alfred Schäfer

schen Repräsentationsanspruch heimsucht und das man gemeinhin mit Hilfe von Verfahren wie etwa der ahl einzuhegen versucht. Solche Verfahren erlauben es die rage ob die Repräsentanten wirklich inhaltlich die Positionen jener vertreten die sie repräsentieren in eine pragmatisch zu handhabende aber auch kritisierbare Unbestimmtheit zu bringen. Das ist in einer gesellschaftskritischen Tradition die von sozialen Herrschaftsverhältnissen ausgeht und beansprucht im Namen der Unterdr ckten oder Ausgegrenzten zu sprechen anders. Hier geht es um die inhaltliche Repräsentation erfahrenen Unrechts: Die Kritik legitimiert sich in ihrer Vertretungsfunktion dann ber die Artikulation einer Erfahrung jener in deren Namen sie zu sprechen beansprucht. Allerdings ergab sich hier schon in der eschichte der Arbeiterbewegung und ihrer Kritik an der kapitalistischen Ausbeutung das Problem dass diejenigen in deren Namen man die Kritik vorbrachte diese Kritik und damit den Repräsentationsanspruch der Kritiker nicht teilten: dass sie ihre age nicht so sahen dass sie vielleicht sogar deren sekundäre Befriedigungsmöglichkeiten schätzten. Das Problem der kritischen Repräsentanten bestand dann nicht zuletzt darin genau diese Differenz selbst noch zu erklären: Die kritisierten Verhältnisse sollten dann selbst noch f r die Entfremdung oder Verblendung der Adressaten verantwortlich sein – was allerdings das Repräsentationsproblem nicht löste sondern verschärfte. enau diese Repräsentationsproblematik hat nun auch die Diskriminierungskritik geerbt: Der Anspruch im Namen diskriminierter ruppen zu sprechen kann nicht einfach von der Einheit der vertretenen ruppierung und damit davon ausgehen dass die eigene Position automatisch mit der derjenigen bereinstimmt die man zu repräsentieren beansprucht.27 Eine solche identitätspolitische Diskriminierungskritik bearbeitet das doppelte Repräsentationsproblem das als Problem f r demokratische Artikulationen konstitutiv zu sein scheint. Als Kritik bewegt sie sich in einem Raum der Auseinandersetzungen um Bedeutungen die immer mit Machtprozessen Inklusions- und Exklusionsprozessen sowie korrespondierenden Institutionalisierungspraktiken verbunden sind. Und es sind ihre strategischen perationen ihre heterogenen an verschiedenen Punkten ansetzenden iderstandspraktiken und Signifizierungsanstrengungen die als solche gerade in ihrer ebrochenheit den Raum des Politischen affirmieren. Solche Einsätze die sich am leichheitsversprechen der Verfas27

236

Vgl. Spivak Can the Subaltern Speak?

Ressentiment als Kritik?

sung und der Menschenrechte orientieren liegen uer zu jeder totalitären Schlie ungsgeste die behauptet dem politisch-demokratischen Streit entzogen zu sein. Dennoch droht auch einer solchen identitätspolitischen Diskriminierungskritik eine efahr dann wenn sie die zu bearbeitende Problematik der Repräsentation zu umgehen versucht – wenn also das Verhältnis von dominanten und diskriminierten Identitäten zweifelsfrei behauptet wird und wenn gleichzeitig eine Identität der Repräsentierenden mit den Repräsentierten behauptet wird. Strategisch betrachtet wird man darin vielleicht einen Vorteil annehmen den man in einer grö eren politischen irksamkeit sehen mag: Die Ungerechtigkeitsidentifikationen und die berechtigte Empörung der eigenen Artikulationen mag hier kaum einen iderspruch zulassen. Die Kehrseite einer solchen Auflösung der Repräsentationsproblematik besteht allerdings darin dass man der adressierten egenseite keine legitime egenwehr mehr gestattet – weil das Terrain und die Herrschaftsverhältnisse doch klar sind. Das kann durchaus kontraproduktiv sein und die eigenen Durchsetzungschancen beeinträchtigen. ugleich lebt die beanspruchte Unanfechtbarkeit der eigenen Perspektive davon dass man selbst nicht nur als authentische Vertretung der diskriminierten sozialen Kategorie spricht sondern dass die Repräsentierten dies alle genauso sehen wie man selbst. Es scheinen eine moralische Selbstgewissheit und ein moralischer Universalitätsanspruch zu sein die hier die politischen Einsätze so strukturieren dass man nicht nur klar zwischen Diskriminierenden und Diskriminierten Tätern und pfern unterscheiden kann sondern die zugleich auch den Raum identitätspolitischer Auseinandersetzungen in ein Tribunal verwandeln in dem Schuldvorw rfe verhandelt werden. Die Moralisierung identitätspolitischer Diskriminierungskritik wird dabei allerdings ein strategisches Dilemma bearbeiten m ssen. Als kritische wird sich diese Perspektive an ein politisches eld richten: Es werden Beispiele von Diskriminierungen aufgerufen und deren systematische Bedeutung hervorgehoben. leichzeitig werden die dar ber konfigurierten Adressatengruppen die Diskriminierenden und die Diskriminierten auf diesen Sachverhalt hingewiesen um ihnen einerseits die Tragweite unreflektierter Praktiken zu verdeutlichen sie aufzuklären und um ihnen andererseits die Notwendigkeit der Veränderung aufzuzeigen. Eine solche doppelte Adressierung an beide Identitäten stellt jede vorgängige Identität immer schon zur Disposition. Sie erscheint kontingent anders möglich: Sonst wären solche identitätspolitischen Adressierungen berfl ssig. ugleich dokumentiert diese Adressierung aber auch dass die Diskrimi237

Alfred Schäfer

nierten der Aufklärung bed rfen dass die eigene kritische Positionierung nicht notwendig mit deren Sichtweise bereinstimmt. Es ist nun die moralische endung die diesen kritisch-selbstkritischen Interventionen jeden Selbst- weifel nimmt. Die Diskriminierung ist nun nicht nur ein reales d. h. unbezweifelbares Phänomen das sich in authentischen d. h. nicht mehr diskursiv zu befragenden Artikulationen von Betroffenen zeigt die als solche damit zu Trägern der ahrheit werden. Es ist auch insofern real als diese authentischen Ungerechtigkeits- und Diskriminierungserfahrungen typisch in dem Sinne sind dass jeder oder jede in der entsprechenden sozialen Kategorie genau diese Erfahrungen macht – ob er oder sie sich dessen bewusst ist oder nicht. erade dieser letzte usatz impliziert dann dass ragen der moralischen Schuld und Unschuld des Verhältnisses von Täter und pfer ohne Ansehen der Person bzw. der konkreten sozialen Konstellation zugerechnet werden können. Schuld und pferbzw. Diskriminierungsstatus werden ber die ugehörigkeit zu einer sozialen Kategorie verteilt. Und jeder der zu dieser Kategorie gehört unterliegt – ob er sich dagegen wehrt oder nicht ob er sich dessen bewusst ist oder nicht – dieser sozialen Aufteilung. Eine solche moralische Strategie kehrt die Beweislast um: Nicht mehr geht es um die Konfiguration und die Probleme der uschreibung zu einer sozialen Kategorie in einem hegemonialen Spannungsfeld sondern die individuellen Angehörigen einer als hegemonial behaupten sozial-diskriminierenden Kategorie m ssen ihre Nicht- ugehörigkeit beweisen was sie als Angehörige dieser Kategorie letztlich nicht können. Aus der identitätspolitischen Diskriminierungskritik die auch hier den Einsatzpunkt bildet ist auf diese eise eine Sozialontologie geworden die tiefsitzende moralische Täter- und pferkategorien entwickelt die als solche jeder Dekonstruktion d. h. der doppelten Repräsentationsproblematik entzogen zu sein scheinen. Noch vor jeder identitäts- politischen Auseinandersetzung sind hier nicht nur die Positionen verteilt sondern auch die rage der moralischen Schuld geklärt. eder identitätspolitische Einsatz der sich diesem Regime nicht f gt kann nun verdächtigt werden sich auf die Seite der Ungerechten der hegemonialen Kräfte und Traditionen zu stellen. Auch von den Angehörigen jener sozialen Kategorie die pauschal als diskriminierend eingeordnet werden kann nun verlangt werden dass sie sich gegen jene Diskriminierungspraktiken wenden die ihnen doch zugleich als konstitutiv f r die eigene soziale Identität zugeschrieben werden.

23

Ressentiment als Kritik?

3.2

Rechtspopulistische Strategien

an- erner M ller hat daf r plädiert den Rechts- Populismus weder ber seine Inhalte noch ber seine orm zu begreifen sondern ber sein Insistieren auf einer absoluten eltung die weder durch akten noch durch Argumente zu widerlegen sei.2 Es wäre also nicht in erster inie das Aufgreifen von diffusen Abstiegsängsten und hnmachtserfahrungen wie sie aus dem neoliberalen Abbau von Arbeiternehmerrechten und der Reduzierung wohlfahrtsstaatlicher Angebote resultieren mögen oder auch die ahrnehmung dass die politischen Eliten sich von der Vertretung des emeinwohls abgewandt haben und den Imperativen des inanz- und ro kapitals folgen die als inhaltliche ahrnehmungen und Angriffsflächen den Rechtspopulismus hervorbringen. Ebenso wenig wäre es allein die orm einer Bewegung die sich vom politischen Establishment abhebt und eine direkte Nähe zum Volk proklamiert die f r diesen Populismus konstitutiv sein soll. entral steht in dieser Sichtweise der dogmatische Charakter seiner Verlautbarungen die sich keiner Auseinandersetzung stellen die keine Beobachterperspektive zweiter rdnung keine Selbstkritik und keine Dekonstruktion zulassen. Nun könnte man sagen dass mit einem solchen dogmatischen Insistieren auf der eigenen Position die doppelte Repräsentationsproblematik unterlaufen wird: Die eigene Perspektive wäre dann die einzig vertretbare und gleichzeitig eine die jeder teilen m sste. Das Insistieren auf einer solchen Dogmatik allein scheint aber nicht deren Erfolg erklären zu können: Immerhin wären unterschiedliche Dogmatiken vorstellbar. Und man hat daher nicht selten argumentiert dass der rechtspopulistische Einsatz sich nur den demokratischen Auseinandersetzungen entziehen w rde: Dies mag zwar nachvollziehbar sein aber damit r ckt gleichzeitig in den Hintergrund dass die politischen Strategien des Rechtspopulismus sich nicht einfach diesen Auseinandersetzungen entziehen sondern sie bearbeiten. Dabei scheinen diese Strategien an durchaus gegenläufigen Punkten anzusetzen: an der Kritik der Repräsentation wie sie durch eine demokratische ffentlichkeit oder auch rechtsstaatliche Prinzipien anzunehmen wäre und am Prinzip der Repräsentation selbst. Eine Kritik an der kritischen und rechtsstaatlichen ffentlichkeit die ebenfalls die Probleme politischer Themenstellungen und ragen der egitimität politischer Stellvertretung im System der repräsentativen Demokratie verhandelt – und damit gleich2

M ller Was ist Populismus?

239

Alfred Schäfer

sam als systemimmanente Alternative auftritt – läuft dabei in rechtspopulistischen Artikulationen Positionierungen gerade nicht ber das Kriterium der Rationalität. Paradoxerweise sichert man die eltung der eigenen Kritik am System der Repräsentation dadurch ab dass man den Streit um eine richtige Kritik von der rage der Nachvollziehbarkeit auf eine der laubw rdigkeit verlagert. Mit Perspektiven der genpresse muss man sich dann rational nicht mehr auseinandersetzen. Man mag dies verschwörungstheoretisch unterf ttern oder jener erfolgreichen Strategie von Donald Trump folgen die systematisch die Unterscheidung von ahrheit und ge unterläuft – nicht nur mit Verweis auf die egner sondern auch im Hinblick auf die eigenen Verlautbarungen. Der öffentliche Raum als einer der argumentativen Verhandlung als Raum einer Auseinandersetzung zwischen Kontrahenten um das Richtige wird damit systematisch in rage gestellt. Eröffnet wird stattdessen ein Raum willk rlicher Positionierungen und Verlautbarungen in dem nur die Akklamation der eigenen Anhänger wichtig erscheint. as dann noch zählt ist ein Vertrauen in eine Person f r das eine kriteriale Unterscheidung zwischen einer rational nachvollziehbaren Strategie und einer nicht nachvollziehbaren Einstellung nicht mehr wichtig ist. Solche iguren können dann selbst rechtsstaatliche Kontrollen und damit die rundlagen der Demokratie in rage stellen ohne selbst wiederum als Repräsentanten eines demokratisch legitimierten Volkswillens in rage gestellt zu werden. egenläufig zu dieser Strategie die auf die wie auch immer problematischen rundlagen einer demokratischen Auseinandersetzung hinweist zielen andere Strategien direkt auf das Prinzip der demokratischen Repräsentation. Auch diesen Perspektiven geht es nicht nur um die Destruktion einer kritischen ffentlichkeit die in ihrer negativen Radikalität die eigene Position als einzig mögliche erscheinen lassen soll. Die Begr ndung der eigenen Position als einzig vertretbarer erfolgt hier dar ber dass das Prinzip der Volkssouveränität gegen jede orm der politischen Repräsentation ausgespielt wird. Es ist an dieser Stelle häufig bemerkt worden dass sich die Vertreter des Rechtspopulismus als unmittelbare als ungefilterte und direkte Stimme des Volkes inszenieren – eines Volkes das trotz korrumpierter Eliten selbst eine unmittelbare Einsicht in das Richtige hat.29 Rechtspopulisten oder auch eine rechtspopulistische hrungsfigur repräsentieren dann direkt und unmittelbar die selbst wiederum unmittelba29

24

Vgl. lschanski Ressentiment.

Ressentiment als Kritik?

re und moralisch korrekte unkorrumpierbare Stimme des Volkes: wischen den Repräsentierenden und den Repräsentierten gibt es keinen Unterschied. Die Vertretung des Volkes als Souverän ist so direkt dass sie im Extremfall nicht einmal verlangt dass dieser sich äu ert: Er kann tendenziell ohnehin nur sagen was seine wahren Vertreter immer schon ber cksichtigt haben. Nun sind die Strategien der Bearbeitung des doppelten Repräsentationsproblems die angestrebte erstörung eines Raumes demokratischer Auseinandersetzungen und der Anspruch direkt im Namen des Souveräns sprechen zu können zumindest solange wie die Probleme der Repräsentation noch den politischen Prozess und seine Kritik bestimmen weiterhin egenstand der politischen Auseinandersetzung. Und hier kommt nun – ber die Kritik an öffentlichen Auseinandersetzungen und die egensatzstilisierung von Volk Souverän und Regierung Repräsentanten hinaus – eine zynische Strategie hinzu: Diese zielt darauf jene vorpolitische Einheit des Volkes die in ihrer moralischen ahrheit und nationalen Einheit immer schon mehr oder weniger essentialisiert vorausgesetzt wird selbst noch einmal als bedrohte zu inszenieren. Es sind remde Migranten oder auch inke und iberale die die Einheit des Volkes bedrohen und daher als eine efahr angegeben werden die fast noch schlimmer als die öffentliche Meinung oder die korrumpierten Eliten einzuschätzen ist. An dieser Bedrohung lässt sich dann erst recht die Bösartigkeit und Verdorbenheit der Eliten zeigen die diese Bedrohung nicht verhindern sondern fördern. Eine solche Strategie – so erfolgreich sie angesichts gegenwärtiger internationaler ahlergebnisse auch zu sein scheint – ist paradox. Und in dieser Paradoxie liegt der erwähnte ynismus. Sie f hrt gleichsam das Problem der Repräsentation selbst erneut in die ogik seiner beanspruchten Verabschiedung ein. Diese angestrebte Verabschiedung besteht darin dass das Volk der Souverän als eine moralische und nationale Einheit vorgestellt wird als deren unmittelbare Stimme man sich darstellt. Es ist der vorpolitische Status dieses Volkes ein imaginärer Status vor jedem politischen Streit der die Vorstellung einer Repräsentation erlaubt die keine mehr ist sondern eine Identität mit dem Repräsentierten beansprucht. Auf diese eise wird die doppelte Repräsentationsproblematik in der Unterscheidung von Volk und dessen politischer Artikulation durch die Rechtspopulisten zugleich aufgerufen und negiert. Die Paradoxie dieser identitären ogik bricht allerdings dort wieder auf wo es um politische Ab- und Ausgrenzungen geht. Solche Ab- und Ausgrenzungen erfolgen nämlich nicht nur gegen ber dem politischen Establishment : Hier besteht die erwähnte Strategie in der Paradoxie einer identitären Repräsenta241

Alfred Schäfer

tion. Solche Ein- und Ausgrenzungen erfolgen aber eben auch gegen ber Migranten remden inken oder iberalen. Und hier taucht die Problematik der vermeintlich identitär aufgelösten Repräsentation wieder auf. Diese einde des Volkes in seiner wahren Substanz seiner unmittelbaren Einheit mit sich werfen das Problem auf dass sie zumindest potentiell und sei es als Bedrohung als Teil des Volkes verstanden werden können oder m ssen. Es ergibt sich damit eine Teilung im Bild des Volkes: Das wahre ob essentialistisch oder organisch vorgestellte Volk muss von seinen falschen Bestandteilen getrennt werden: Diese m ssen ausgeschlossen und bekämpft werden wenn der nun meist mit biologischen Metaphern bedachte wahre Volkskörper nicht zerstört werden soll. Diese Rhetorik ist bekannt hier interessieren ihre Implikationen f r die doppelte Repräsentationsproblematik. Denn mit der Spaltung im autorisierenden Souverän taucht genau diese doppelte Problematik wieder auf. Das wahre muss vom falschen Volk unterschieden und beide Seiten m ssen identifiziert werden. Es wird zum egenstand politischer Auseinandersetzungen ob man nun f r das wahre oder das falsche Volk spricht: Das jeweilige Volk wird in seiner ualität erst in der politischen Auseinandersetzung hervorgebracht – und damit theoretisch und politisch repräsentiert. Es ist dieses iedereintreten der vermeintlich identitär neutralisierten Paradoxie der Repräsentation in den rechtspopulistischen Diskurs das diesen zur Partei in einem umkämpften politischen Terrain macht. ugleich liegt hier einer der entscheidenden r nde f r die Aggressivität dieses Populismus f r die flie enden bergänge zum Rechtsextremismus. Denn die beanspruchte Identität der rechtspopulistischen Repräsentanten mit dem Volk muss nun gegen andere Repräsentanten verteidigt werden die ein allenfalls falsches korrumpiertes Volk vertreten. er unter diesen Konkurrenzbedingungen die Identität mit den von ihm Repräsentierten mit der wahren und essentiellen Identität des Volkes beansprucht der braucht klare Unterscheidungen f r Ein- und Ausschl sse die in dieser orm sich im Volk vielleicht so gar nicht finden lassen. Es m ssen Einund Ausschlussszenarien entworfen und reund- und eindbilder entwickelt werden die umso radikaler ausfallen d rften je stärker man von einem substanzialistisch gedachten Volksbegriff ausgeht d. h. je stärker man die nun eigentlich unmöglich gewordene identitäre Entproblematisierung der Repräsentationsproblematik beansprucht. Unmöglich erscheint eine solche identitäre Entproblematisierung nun weil man angesichts eines postulierten Bedrohungsszenarios einen Riss in das identitär zu vertretende Volk einziehen muss. Der Vertreter des wahren Volkes ist dann 242

Ressentiment als Kritik?

nicht mehr der Vertreter des ganzen Volkes – und damit des Souveräns. Der ynismus des entworfenen Bedrohungsszenarios das das wahre Volk eigentlich noch einmal von sich selber trennt um seine ahrheit ihm gegen ber vertreten zu können schlägt auf die yniker zur ck die damit auch nur Repräsentanten von etwas sind das in seiner Uneinheitlichkeit mit ihnen gar nicht mehr identisch sein kann. Es sind diese Paradoxien die wenig an den Erfolgsaussichten der Rechtspopulisten ändern die aber zugleich hinter deren Dogmatik liegen. Und es sind diese Paradoxien die zeigen dass sie einerseits selbst Teil jenes politischen Repräsentationssystems sind das sie kritisieren genau daraus aber scheint andererseits eine Radikalisierung zu resultieren die sich der Verlagerung eines Ressentiments gegen die da oben hin auf remde und Minoritäten bedienen muss um die totalitäre Perspektive auf eine Aufhebung der Trennung von Volkssouveränität und Repräsentation aufrechterhalten zu können. Literatur Adorno Theodor .: Negative Dialektik rankfurt a. M. 1996 Boltanski uc Chiapello ve: Der neue eist des Kapitalismus Konstanz 2 3 oucault Michel: as ist Aufklärung in: Erdmann Eva orst Rainer Honneth Axel Hg. : Ethos der Moderne. oucaults Kritik der Aufklärung rankfurt a. M. 19 4 S. 35-54 euss Raymond: B rgerliche Philosophie und der Begriff der Kritik in: aeggi Rahel esche Tilo Hg. : as ist Kritik? rankfurt a. M. 2 9 S. 165-19 Horkheimer Max Adorno Theodor .: Dialektik der Aufklärung rankfurt a. M. 199 Knoop Christine A.: Criticism or Ressentiment? iterary Studies and the Politics of Interdisciplinarity in: Riou allagher 2 16 S. 149-166 aclau Ernesto Mouffe Chantal: Hegemonie und radikale Demokratie. ur Dekonstruktion des Marxismus ien 2 efort Claude: Die rage der Demokratie in: Rödel Ulrich Hg. : Autonome esellschaft und libertäre Demokratie rankfurt a. M. 199 S. 2 1-297 Makropoulos Michael: Modernität und Kontingenz M nchen 1997 M ller an- erner: as ist Populismus? Ein Essay Berlin 2 16 Nietzsche riedrich: ur enealogie der Moral in: Ders. Hg. : erke in drei Bänden Bd. II hg. von Kurt Schlechta M nchen 1966 S. 761-9 lschanski Reinhard: Ressentiment. ber die Vergiftung des europäischen eistes Paderborn 2 15

243

Alfred Schäfer Riou eanne allagher Mary Hg. : Re-thinking Ressentiment. n the imits of Criticism and the imits of its Critics Bielefeld 2 16 Riou eanne: Introduction: Towards a History of Ressentiment in: Riou allagher 2 16 S. 1-23 Scheler Max: Das Ressentiment im Aufbau der Moralen rankfurt a. M. 2 4 Seel Martin: uneigung Abneigung – Moral in: Bohrer Karl Heinz Scheel Kurt Hg. : Ressentiment ur Kritik der Kultur. Sonderheft Merkur 5 . g. Heft 9 1 2 4 S. 774-7 2 Spivak ayatri Chakravorty: Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation ien 2 Stegemann Bernd: Das espenst des Populismus. Ein Essay zur politischen Dramaturgie Berlin 2 17

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Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?1 Ralf Mayer

berzeugen ist unfruchtbar.

1.

2

Die Sozialität der Empörung

In unterschiedlichen sozialen Kontexten scheint die Referenz auf Affekte und Emotionen angesichts mannigfaltiger Ausdrucksformen und Präsenz nur selten einem von allen Akteur innen gleicherma en anerkannten Drehbuch zu folgen. Trotz aller Bem hungen durchkreuzen Emotionen die Versuche entsprechende Relevanzen etwa ber eine Matrix politisch und pädagogisch n tzlicher bis abgr ndiger ef hlsausdr cke eindeutig zu bestimmen3 – und produktiv einzubinden oder eben zu unterbinden. In diesem Sinne ist es kaum verwunderlich dass gegenwärtig mit Blick auf den Empörungsbegriff nicht selten entweder ein Zuviel an emotionaler Verwicklung und affektiven Ausdrucksvarianten beklagt – exemplarisch sei hier auf das Auftreten des utb rgers seit dem ahr 2 1 verwiesen4 – oder ein Zuwenig festgestellt wird das in die orderung nach einem Mehr an emotionaler Beteiligung m ndet: bspw. im Sinne des Appells Empört Euch .5 Ein solches Motiv kann zudem als eine Art Selbstverständnis fungieren – wie bei der Bewegung 15-M in Spanien: den Indignados Empörten – oder die orm einer despektierlichen remdzuschreibung annehmen wie in der bereits erwähnten Attribuierung des utb rgers . Empörung verweist in dieser groben Annäherung ebenso auf den fehlenden Raum einer spezifischen Ex- Position individueller oder kol1

2 3 4 5

Der Beitrag ist eine berarbeitete assung der am 7. ebruar 2 19 an der Universität Kassel gehaltenen Antrittsvorlesung. Der sprachliche Vortragsstil wurde zum Teil beibehalten. Um keine falschen Erwartungen zu wecken: Die titelgebende rage wird in diesem Beitrag zu keiner Seite – also zu unsten beider Aspekte – entschieden. Benjamin Einbahnstraße S. 7. Vgl. bspw. Charim Ich und die Anderen S. 139ff. Vgl. r chtl Idioten. Blödmänner. Assholes. Hessel Empört Euch!

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Ralf Mayer

lektiver Betroffenheit und damit auf den Ausdruck von Macht und hnmacht wie auf soziale Reglements ber die die rage nach der Il- egitimität und Un- Angemessenheit der Anerkennung und Ablehnung entsprechend aufgeregter Artikulationen verhandelbar erscheint. Eine weitere Ebene bildet der okus auf die Inszenierung spraktiken von Empörung wie sie aktuell etwa in verschiedenen Protestbewegungen oder auch im Kontext populistischer Machtdemonstrationen in den Blick treten.6 Eine Thematisierung der entsprechend heterogenen Relationen von individueller Empörung und einer Art Empörungspolitik kann an der Stelle nicht geleistet werden.7 Dennoch deutet sich in diesem Aufriss bereits eine Problemlage an die in den nachfolgenden Ausf hrungen zur Sprache kommt: die Unmöglichkeit Empörung als Ausdruck einer spezifischen Relation zu ‚sich‘ und zur ‚Welt‘ schlicht als intime Regung zu verstehen oder direkt mit äu eren sozialen Regimen und Reglements kurzzuschlie en. Dass sich der Begriff nicht ber eine klare Unterscheidung zwischen einem inneren Bereich des Einzelnen und einem Au en hinreichend fassen lässt verweist im Rekurs auf den bildungsphilosophisch interessierenden Prozess der Subjekt- erdung wie er hier vor allem im Anschluss an einige berlegungen in Hegels Phänomenologie des Geistes in den okus gerät zudem in formaler Hinsicht auf das konstitutive Moment des Empörungsaspekts Kap. 2 . Damit zeichnet sich ab dass es nachfolgend nicht um eine rdnung unterschiedlicher ef hlslagen gehen kann – etwa im Sinne der Bem hung den Begriff der Affekte eindeutig von dem der Emotion zu unterscheiden oder gar eine Hierarchie von willkommenen bildungsrelevanten bis hin zu problematischen ewalt befördernden ef hlen zu postulieren. Vielmehr soll deutlich werden dass sich entsprechende Einschätzungen nicht einfach im R ckgriff auf intime Regungen des Individuums zentrieren und normativ auffächern lassen sondern auf praktische Vollz ge in unterschiedlichen sozialen usammenhängen verweisen. Der okus auf

6 7

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Vgl. exemplarisch Marchart Die Prekarisierungsgesellschaft See len Trump! oder auch die Publikationen des Instituts f r Protest- und Bewegungsforschung https: protestinstitut.eu ipb-working-papers ugriff: 12. 4.2 19 . Eine Auseinandersetzung mit Phänomenen einer Theorie insbesondere Psychologie der Massen muss an dieser Stelle ebenfalls unterbleiben vgl. z. B. Adorno Studien zum autoritären Charakter Canetti Masse und Macht Tarde Masse und Meinung . Vgl. hierzu auch Heidenreich Schaal Politische Theorie und Emotionen.

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?

den Empörungsbegriff folgt damit im Anschluss an Hegel9 keiner Matrix letztlich klar identifizierbarer Achsen – wie Vernunft auf der einen und ef hl o. ä. auf der anderen Seite1 – sondern erscheint stets in Relation zu konkreten sozialen Räumen der Auseinandersetzung. Die im Kontext des Bildungsbegriffs aufgeworfene rage nach Prozessen der Erkenntnisgenerierung und Subjekt- erdung referiert entsprechend nicht einfach auf vermeintlich unhintergehbare Unterscheidungen – wie die zwischen rational und sinnlich komponierten Bez gen auf sich und Andere s – sondern auf die Irreduzibilität praktischer Verwicklungen: auf Handeln oder auch Konzepte wie Haltung in stets umstrittenen sozialen Kontextualisierungen. Ein Affekt tritt demnach nicht als distinktes mentales Vorkommnis zu einem Handlungs- oder Urteilsvollzug von au en hinzu 11 sondern in der Arbeit an Erkenntnis und Einsicht erscheint die Referenz auf eine Tätigkeit und relationale Dynamik gerade nicht als nachgeordnet. Der Vernunftgebrauch ist auf affektive Vollzugsmodi angewiesen .12 Insofern das was uns aufbringt zornig werden lässt usw. weder unmittelbar einer inneren Sphäre entspringt noch von uns einfach gewählt wird bringt der Affekt der Empörung mir fremde Aspekte ins Spiel die in mir einsetzen und mich empfindlich ergreifen. Eine solche esart lässt sich mit udith Butler hinsichtlich der Macht von Normen und Normalisierungsstrategien im Subjektivierungsprozess pointieren. Denn d ie Tatsache dass ich mir genau dort fremd bin wo ich erwarte ganz ich selbst zu sein ergibt sich aus dem Umstand dass die Sozialität der Normen ber meinen 9 1

11 12

Eine ähnliche esart verfolgt z. B. udith Mohrmann in ihrer Studie Affekt und Revolution mit Kant. Die Erosion einer solchen egen berstellung angesichts der weithin vertretenen These einer unhintergehbaren Verwobenheit von Rationalität und ef hl f hrt im Kontext politischer Bildung gleichwohl nicht per se zum Verzicht auf normative Versuche zwischen einer positiven Rezeption von Empörung als Ausdruck von Beteiligung Betroffenheit und Interesse des Individuums oder auch eines r Kollektivs ruppe und abzulehnenden Aspekten der Empörung zu unterscheiden die mit aggressiven berwältigenden oder manipulativen ormen verkn pft werden vgl. Reichenbach Breit Skandal und politische Bildung revert Politische Bildung – mit Gefühl? Besand verwien orn Politische Bildung mit Gefühl . Schon mit der von Aristoteles Politik, Buch VIII formulierten pädagogischen Aufgabe der Disziplinierung von Affekten im Kontext der f r ihn ma gebend verfassungstreuen Charakter- Erziehung zum B rger öffnet sich ein weites eld problematisierender ugänge. Aufgrund der anders justierten systematischen Ansatzpunkte ziehe ich entsprechende Diskurse nachfolgend nicht heran. Slaby Affekt und Politik S. 144. Ebd. vgl. Hegel Phänomenologie des Geistes S. 52.

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Ralf Mayer Anfang und mein Ende hinausgeht und ein zeitliches und räumliches feld aufrechterhält das mein Selbstverständnis bersteigt. 13

irkungs-

Exakt diese These dass sich unser Selbst- und eltverhältnis im Horizont sozialer Vollz ge konstituiert macht es erforderlich die Dynamik von Affektlagen oder ef hlswelten im Kontext hegemonialer Normen und darauf bezogener Spielräume Anerkennungsverhältnisse und Devianzen zu situieren. Denn ber entsprechend machtvolle Regime und Reglements von Sinnzuschreibungen und Begehren von issen und Verhalten gewinnt dasjenige was Empörung und Protest hervorruft auf Ablehnung stö t usw. allererst an Kontur.14 Dass vorherrschende rdnungsraster dennoch nicht deterministisch zu verstehen sind soll nachfolgend noch deutlich werden. egliche Auseinandersetzung ist mit Eigensinnigkeiten verbunden mit Reibung einer Störung – oder im Anschluss an ac ues Ranci re15 formuliert mit der rage nach den dominanten Eingebundenheiten und Aufmerksamkeiten den Aufteilungen sozialer bzw. sinnlicher Räume und möglichen Differenzbildungen. Im olgenden leiten zwei heterogene iguren des Aufbegehrens das eld der Auseinandersetzung um die Umkämpftheit von Artikulationen in Referenz auf das Moment der Empörung ein. In beiden Skizzen – zu Dieter Thomäs Bild des Störenfrieds Kap. 1.1 wie zu Alain Badious edanken zum Interesselosen Kap. 1.2 – geht es um die ustierung einer opponierenden bzw. problematisierenden Position zu je spezifischen Ansatzpunkten in den Komplexen von Macht und Herrschaft. Daran schlie t die Reflexion des hegelschen Verhältnisses von Bildung und Empörung an. Bildung impliziert hier konstitutiv eine konflikthafte Dynamik jenseits von zentrierenden Engf hrungen auf den einzelnen Menschen Kap. 2 . Der Beitrag schlie t mit berlegungen zur Aktion Scholl 2017 der Aktionsk nstler innen des entrums f r politische Schönheit Kap. 3 . eitend ist dabei der Versuch das Moment der Empörung mit Blick auf die Inszenierung und Dramaturgie der so genannten Schulaktion in seiner Unbestimmtheit – d. h. hinsichtlich stets umstrittener Motive – in der Schwebe zu halten. Dabei wird die Aussichtslosigkeit pointiert eine Unterscheidung wie die zwischen pädagogisch politisch etc. zu unterst tzenden und zwiespältigen Aspekten auf prinzipieller Ebene zu justieren.

13 14 15

24

Butler Die Macht der Geschlechternormen S. 31. Eine Regulierung ist das was normalisiert. Butler Die Macht der Geschlechternormen, S. 95 vgl. ebd. S. 12 . Ranci re Die Aufteilung des Sinnlichen.

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?

1.1

Das Aufbegehren des Störenfrieds

Auf die Ambivalenz und Prominenz des Störenfrieds hat zuletzt Dieter Thomä hingewiesen. Er porträtiert in seinem Buch Puer Robustus Auseinandersetzungen um bestimmte iguren des egenspielers und Provokateurs des uerulanten der den Herrschenden in die Parade fährt bis zur rage nach dem revolutionären Subjekt der eschichte. Thomä spannt damit einen weiten Bogen: Der Störenfried tritt ihm zufolge an der Schwelle zur Neuzeit bei Thomas Hobbes auf und lässt sich in Schriften von ean- ac ues Rousseau und riedrich Schiller in den Ausf hrungen Karl Marx zur Rolle und unktion des Proletariats ber studentische Proteste in China ab den 195 er ahren bis in die egenwart in unterschiedlichen Ausprägungen aufsp ren. Thomäs Kaleidoskop setzt dabei mit dem ebrauch des lateinischen Puer Robustus in der zweiten Auflage von Hobbes erk De Cive Vom Bürger ein.16 So versteht Hobbes den Puer Robustus dem lateinischen ortsinn nach als einen unreifen Knaben der durchaus bereit und willens ist seinen Körper kraftvoll einzusetzen. Er nutzt diese igur gleichsam als egenspieler in seinem im Leviathan entwickelten r ndungsmythos einer staatlichen rdnung. Hobbes entwirft dort das System eines politischen emeinwesens das idealiter dadurch entstehen und gesichert werden soll dass alle betroffenen Personen die höchste ewalt einem Menschen oder einer esellschaft in der Hoffnung gesch tzt zu werden freiwillig bertragen .17 In dieser Urszene einer Staatsgr ndung zeichnet sich die politische Macht gerade dar ber aus dass sie auf einer freiwilligen Assoziation von Individuen basiert die sich per Vertragsschluss den Repräsentanten des Staates aus eigenem Interesse unterwerfen. Denn durch das im Vertrag artikulierte soziale Integrationsversprechen soll die Situation eines wechselseitigen Misstrauens mit dem man gleichsam allen Anderen im mythischen Naturzustand begegne berwunden sein.1 Das Recht zu regieren wird dem Souverän gegeben um so rieden l ck und Sicherheit zu gewährleisten. – In diesem Szenario kann sich der Stören16 17 1

Vgl. Thomä Puer Robustus S. 24ff. Hobbes Leviathan S. 156. ährend die Angst vor den m gewalttätigen Anderen bei Hobbes die rientierung an einem rationalen Interesse motiviert und so entsprechende Bef rchtungen ua Vertragsschluss sozial zu entschärfen sucht pointiert Niklas uhmann das Paradox dass die Angst zugleich das Moment bildet das die vertragsrechtliche Konstruktion zum Kollabieren bringen kann: Panik kann nicht verboten werden. uhmann Ökologische Kommunikation, S. 23

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Ralf Mayer

fried nur als törichte sowie böse Instanz der staatlichen Macht entgegenstellen. Er erscheint als jemand der falsch entschieden hat 19 und sich tatkräftig weigert sich ins vorab als absolut und sinnvoll postulierte emeinwesen einzugliedern. Hobbes formuliert dies unter anderem mit Verweis auf die bekannte enerationendifferenz.2 Der kräftige Knabe verweigert sich dem mit Kriterien wie zunehmender Vernunft und Einsicht versehenen Entwicklungsgang und lehnt es ab die Schwelle zum vern nftigen Erwachsenen zu bertreten und somit zugleich Teil der f r alle guten rdnung zu werden. Etwas abstrakter formuliert erscheint der Störenfried somit als Albtraum eines Menschen der dieses b rgerliche Spiel nicht mitspielt der die vorgeblich vern nftigen Regeln nicht einsieht ihnen nicht folgt. 21 – Da hier die Referenz auf das Gemeinwesen den entscheidenden Bezug f r die Beurteilung des Handelns – als gut oder böse vern nftig oder unvern nftig – darstellt lässt sich bei Hobbes keine klare Differenz zwischen politischer iderständigkeit Verr cktheit oder Unreife ziehen. Dass sich die Bilder des Störenfrieds im ortgang der eschichte und mit Blick auf unterschiedliche politische Systementw rfe nicht einfach mit diskreditierenden Urteilen kurzschlie en lassen d rfte klar sein. Vielmehr steht mit der Auflehnung die Infragestellung der renzziehungen etwa zwischen Vernunft ahn- und Unsinn oder moralischem Handeln selbst auf dem Spiel. Ein Blick auf Marx Verständnis des Proletariats die Analyse aktueller Protestbewegungen wie auch die rage welche ormen des iderstands und der Intervention etwa in sich demokratisch nennenden rdnungen als problematisch als legitim oder gar notwendig anerkannt erscheinen w rde es erfordern die igur des Störenfrieds zu den verschiedensten Seiten hin auszudifferenzieren. r Thomä impliziert dies die rage wie sich eine rdnung etabliert und legitimiert wie sie kritisiert transformiert oder attackiert wird wie Menschen von dieser rdnung einbezogen oder ausgeschlossen werden sich anpassen oder uertreiben. 22 – Eine solche Ausdifferenzierung kann hier nicht geleistet werden. Ich will an der Stelle nur darauf hinweisen dass in Hobbes Modellierung eines staatlichen rganismus der Verweis auf eine Störung andere Aspekte und Problematiken aufwirft als die politische Artikulation eines Konflikts in einem Sozialraum der ormen der Intervention oder 19 2 21 22

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Thomä Puer Robustus S. 26. Vgl. ebd. S. 26f. Thomä „Keine Demokratie ohne Störenfriede“. Thomä Puer Robustus S. 12f.

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?

des Protests etwa demokratisch reglementiert sowie institutionalisiert hat. Denn in letzterem kann sich der Störenfried – in bestimmten Hinsichten und renzen – auf das Recht st tzen seinen Einspruch zu demonstrieren.23 Thomä macht dar ber hinaus deutlich dass die entsprechenden Auffassungen des Störenfrieds von Hobbes bis in die egenwart uer zur ogik eines Bildungsromans liegen in dem die eit des leidenschaftlichen jugendlichen Aufbegehrens gegen die vorherrschende rdnung und Moral von besonnener und wissender Reife berwunden wird.24 – b der Störenfried eine Transformation durchläuft die von der Position des unkonventionellen Aufbegehrens zu einer letztlich freien und vern nftigen was auch immer genau darunter verstanden wird Akzeptanz der emeinordnung f hrt ist keinesfalls entschieden. Das macht nicht zuletzt eine unberechenbar bleibende Spitze dieser igur aus. 1.2

und des Interesselosen

Die Abhängigkeit eines Einspruchs von hegemonialen rdnungsrastern zeigt sich auch in einer zweiten igur. Diese nutzt eine berlegung aus Alain Badious Versuch, die Jugend zu verderben. Denn hier erscheint der Störenfried nicht im obigen Sinne als juveniler uertreiber sondern als derjenige der die Position des Interesselosen vertritt: eine Position mit der Badiou die philosophische Haltung eines Erwachsenen in Verbindung bringt genau genommen fungiert Sokrates als Impulsgeber und mit der 23

24

Vgl. dazu auch Celikates Ziviler Ungehorsam und radikale Demokratie. – Um dies in Anlehnung an inkeldes Performative Selbstbenennung, S. 4 ff. Referenz auf den all Edward Snowden exemplarisch zu verdeutlichen: In der hobbesschen Modellierung m sste die rage Ist es erlaubt, gegen bestimmte soziale Problemlagen zu protestieren, wenn damit die Sicherheit meines Staates gefährdet wird? abschlägig beurteilt werden. Denn der Staat und seine Repräsentanten bilden hier die grundlegende Instanz die die Bedingungen des usammenlebens sichert. Die Einschätzung sieht anders aus wenn die rage im Kontext demokratischer rdnungszusammenhänge situiert erscheint – etwa in folgender eise: Ist es erlaubt, gegen bestimmte soziale Problemlagen zu protestieren, wenn (m)ein Staat auf diese Problemlagen nicht adäquat reagiert, etwa Vertrags-/Grundrechte nicht hinreichend durchsetzt oder auch das (nationale) Recht selbst unzulängliche Interventionsräume eröffnet? Hier erscheinen denkbare Antworten nicht mehr so klar da es möglich sein kann sich als Einzelner begründet gegen den Staat zu stellen. entral ist jeweils der Horizont und die Situierung der egitimierbarkeit einer opponierenden Handlung. Thomä Puer Robustus, S. 13.

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er auch selbst in seinem Buch kokettiert. Der Standpunkt des r Interesselosen zeichnet sich dar ber aus dass diese r im Austausch mit Anderen die gebräuchlichen Modellierungen und Erfordernisse des ebens in rage stellt. Badiou zielt damit auf eine Einstellung die sich weder in den Dienst f r ein eben nehmen lässt das im unmittelbaren enuss des Augenblicks aufgeht noch in der Arbeit am eben – in estalt effizient zu realisierender Projekte die Erfolg Macht und Sicherheit versprechen.25 Sokrates alias Badiou sucht das öffentliche espräch – gerade mit der ugend – und rechnet so mit der Empörung vor allem der Erwachsenen die sich an den Mustern des Konsums und dem Bild des Unternehmers ausrichten und diese als luchtlinie eines gelungenen Alltags habitualisiert reproduzieren. Badious Rekurs auf den Begriff der Interesselosigkeit zielt insofern nicht auf die Position der leichg ltigkeit die St phane Hessel in seiner Streitschrift Empört Euch! anprangert.26 Auch wenn Badiou nicht unvermittelt zur Empörung auffordert geht es ihm nicht um eine neutrale oder zur ckgezogene Haltung sondern um den Versuch die rage nach dem was das eben ausmachen soll offen zu halten und neu anders ins espräch zu bringen und das vor allem mit denjenigen die sich noch nicht mit den gängigen Antworten Anspr chen und Versprechen zufrieden geben.27 Allerdings stehen Badious Ausf hrungen in efahr eine unterkomplexe esart zu st tzen. Denn zum einen droht die Position des interesselosen Philosophen zu unterschlagen dass damit eine durchaus privilegierte bis aristokratische Position angesprochen ist die nicht wie das einfache Volk den M hseligkeiten alltäglicher Verrichtungen nachkommen muss. um anderen erscheint die Auffassung von Interesselosigkeit in der Moderne selbst beraus umstritten ideologisch behaftet oder illusionär. – Da Badiou diese Probleme durchaus vor Augen stehen geht es ihm an der Stelle um den Versuch um eine Differenz zu einer Sphäre zu streiten in der sich das was das eben ausmache unter der hegemonialen Autorität von enuss Konsum und spätkapitalistischer Projektemacherei abzu-

25 26

27

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Vgl. Badiou Versuch, die Jugend zu verderben S. 7ff. Vgl. Hessel Empört Euch! S. 13. – Die Position des Interesselosen fällt ebenfalls nicht einfach mit Herman Melvilles igur des Schreibers Bartleby zusammen der sich mit den orten I would prefer not to letzten Endes gegen jede Aufforderung zur Verrichtung seiner Arbeit in einer New orker Kanzlei an der all Street in der Mitte des 19. ahrhunderts oder auch zur Teilnahme am öffentlichen eben richtet vgl. Melville Bartleby, der Schreiber . Vgl. ebd. S. 13ff.

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?

schlie en droht.2 Denn exakt an sozial dominanten Rastern und der Beurteilung entsprechend differenter Positionen dazu scheinen sich die Urteile ber das was störend unangemessen illegitim und was normal angenehm und zu rechtfertigen sei zu organisieren. udem geht es in der esart Badious darum sich an Andere zu richten um einen anregenden aber unter Umständen nicht behaglichen Raum des Streitens zu öffnen in dem dogmatische Schl sse und Positionen durchkreuzt werden können. Daniel oick zufolge sind exakt solche ormen des Denkens und der Macht dogmatisch die ihre Kriterien nur aus sich selbst nicht mehr in Auseinandersetzung mit einem Anderen gewinnen .29 Die Referenz auf eine Auseinandersetzung befördert demnach nicht einfach harmonische Vorstellungen eines Dialogs in dem man gleichsam voraussetzt dass man sich auf Augenhöhe befinde. Eine derartige leichheit lässt sich nicht einfach voraussetzen.3 Sondern in der Konfrontation mit unterschiedlichen Urteilen spielt die Position der Sprechenden das was ihnen aus welchen r nden sagbar oder zumutbar erscheint – und was nicht – eine nicht zu vernachlässigende Rolle. In der Position der/s Interesselosen ist also ein Andere herausfordernder ffnungsversuch die Durchkreuzung souveräner esten die sich selbst zu gen gen meinen ebenso relevant wie darin die Reflexion machtvoller Differenzen die sich in die Positionen der Sprechenden einschreiben und diese mit strukturieren. Die Provokation oder Irritation vollzieht sich somit durch bzw. unter Beteiligung Vieler Anderer . 2

29 3

Die rage nach dem wahren eben Badiou Versuch, die Jugend zu verderben S. 13 so zu stellen – in Badious Diagnose eben in Absetzung zu seiner Sicht auf die Realität unseres spätkapitalistischen Alltags – impliziert folglich auch sich gegen die Beliebigkeit von ormen der Selbstverwirklichung zu richten denn diese m nden f r ihn primär in die beiden Tendenzen: enie en und Projektform. Beliebigkeit zielt in seinem Sinne nicht einfach auf Pluralität. Sie beschreibt aktuell eher eine illusionäre Position. Denn f r Badiou impliziert die rage nach ahrheit notwendig die nach dem emeinsamen zu stellen: was wir teilen wie wir leben wollen vgl. ebd. S. 44ff. . Ein Begriff wie ahrheit eben erscheint somit als Differenzbegriff: als etwas das uns teilt mit dem wir nicht identisch sein können. eben lässt sich nicht festlegen – es ist vielmehr zu vollziehen. oick Gegenhegemoniale Gewöhnung S. 312. Daher meint die Referenz auf leichheit einen politischen Einsatz – und keine einfache Voraussetzung: Demokratie beginnt mit der Einsicht dass sich leichheit unter den Bedingungen der Endlichkeit nie als unbedingte sondern immer nur als bedingte und beschränkte leichheit – und d. h. niemals losgelöst von der Machtfrage – realisiert. Rebentisch Masse – Volk – Multitude S. 136f.

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2.

Bildung und Empörung

Im Anschluss an Andreas elhards berlegungen zu Hegels Bildungsbegriff bezeichnet die offene Auseinandersetzung mit Anderen, insbesondere mit sozialer oder symbolischer Macht nicht nur ein politisches Motiv sondern ein entscheidendes Moment des Bildungsbegriffs. So versteht elhard Bildung als konflikthafte . Dynamik in der Macht auf egenmacht stö t. 31 Ein solcher okus steht uer zu den Debatten die in gleichsam selbstverständlicher eise entweder auf den Bildungsbegriff zugreifen oder ihn hinter sich zu lassen versuchen. In diesem Sinne geht es im olgenden nicht darum den Bildungsbegriff ber inhaltliche Bestimmungen zu organisieren die versprechen aktuelle Probleme – mit Blick auf ragen der Teilhabe an Demokratie an kulturellem eben und Markt mittels issens- oder Kompetenzvermittlung etc. – in den riff zu bekommen. Nimmt man diese esart ernst dann erscheint es nicht möglich die Dynamik des Bildungsmotivs auf einen ersten oder letzten Begriff zu bringen. Es d rfte au erdem deutlich sein dass hier weder das Klischee des allseitig gebildeten Menschen 32 bedient werden soll noch die berholte Referenz auf so etwas wie einen verbindlichen Bildungskanon der einen Bestand an erken repräsentiert denen eine universale also eit und Raum bergreifende Relevanz zukomme die es nur jeder eneration neu zu vermitteln gelte. 2.1

Bildung und

enn nun einige berlegungen aus Hegels Phänomenologie des Geistes den egenstand der Argumentation bilden dann wäre der geistige Auseinandersetzungsprozess Hegel zufolge davon gekennzeichnet dass entsprechende Passagen aus seinem erk praktisch anzueignen sind. Sie fliegen uns nicht zu: Ein Satz ist nicht einfach als ein Satz selbst wenn die orte bekannt erscheinen erkannt: Ein Satz ist nicht eindeutig unwidersprochen in seinen Prämissen und Kontextualisierungen so und nicht anders verstehbar.33 Erkenntnis erscheint damit stets als problematische Praxis. enn es beim Menschen um so etwas wie Einsicht um die Durchdringung eines egenstandes geht bedarf es konkreter Bem hun31 32 33

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elhard Skeptische Bildung S. 319. Ebd. S. 367. Vgl. Hegel Phänomenologie des Geistes, S. 25.

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?

gen in denen eine Textpassage und mein ugriff auf diese nicht nur nicht identisch sind auch die Verarbeitungsregeln selbst sind nicht einfach klar sondern in vielfältige Abhängigkeiten eingebunden. Mit Hegel wäre hier von Prozessen der Hingabe an ein erk zu sprechen in denen ich mich einem egenstand aussetze und mir daf r eit nehme bei ihm verweile .34 Eine so gedachte Relation ist davon gezeichnet dass ich immer wieder mein Verständnis korrigiere anders neu ausrichte scheitere mich ein edanke trifft oder ich einen edanken verwerfe nicht selten Unverständnis Ablehnung aufkommt oder sich auch das Interesse vergröert usw. Entscheidend f r Hegels Bildungsverständnis ist nicht zuletzt die Bewegung in diesem Prozess selbst. Denn seine Wette wäre dass ich in meiner ekt repraxis angesichts der irreduziblen Differenz zwischen dem reflektierenden Bewusstsein und dessen egenstand nicht der leiche bleibe. Sogar mein Denken – und damit auch meine Referenz auf mich – existiert in diesem Sinn allein in dynamischen Relationen. Eine statische Vorstellung des Selbst oder eines mit sich selbst identischen Ich erscheint so stets durchkreuzt. Denn die Rede von einem Ich artikuliert ebenso einen Bezug zu inhaltlichen Aspekten wie auch den Prozess des Beziehen s selbst .35 Eine weitere Pointe ist daher dass es hier keinen ustand gibt in dem ich mir nun abschlie end und endlich die richtige objektive esart der Phänomenologie des Geistes angeeignet habe. Vielmehr verändern sich durch die an das Buch angelegten esarten mein Verständnis wie auch der egenstand selbst. Selbst das erk – als egen ber an mit dem ich arbeite – existiert in dieser Hinsicht nicht einfach unabhängig von mehrsinnigen Auseinandersetzungsprozessen. Dass ich es berhaupt verwende ist einer un bersehbaren eschichte der Rezeption und Anerkennung geschuldet – oder mit Michel oucault formuliert vielgestaltigen Verhältnissen von issen und Macht.36 olglich unterliegen mehrere Seiten meine Bem hung um die Erkenntnis wenigstens einiger berlegungen von Hegel wie auch Hegel selbst einem dynamischen Auseinandersetzungsprozess der in dieser Hinsicht von der Bildung von Unterscheidungen gekennzeichnet ist und dadurch keine abschlie ende orm annehmen kann. In diesen in der Auffassung Hegels nie einfachen unproblematischen oder souveränen Differenzbildungen spielen vielfältige machtvolle Diskurse um die Lesarten Anderer in eschichte und egenwart eine Rolle die selbst 34 35 36

Ebd. S. 26. Ebd. S. 12 . oucault Der Wille zum Wissen.

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mit unterschiedlichen Zuschreibungen von Autorität konfrontiert ber Hegel sprechen und schreiben bzw. gesprochen und geschrieben haben. Streng genommen bin ich mit diesen Ausf hrungen bereits in der Nähe einer spezifischen esart der konflikthaften Dynamik von Bildung die auf das Problem der Empörung stö t ja daran nicht ohne eiteres vorbeikommt.37 2.2

Negativität und Entäu erung

Nähert man sich dem Negativitätsgedanken in Hegels Bildungsverständnis wird man auf einen Anfang verwiesen: Den Anfang der Bildung 3 verbindet er mit dem Prozess des Herausarbeitens aus den als unmittelbar und selbstverständlich erfahrenen ebensvollz gen. Die Rede von ebensvollz gen richtet sich dabei in einem weiten Sinne ebenso auf Aspekte dessen was man die innere Natur des Menschen nennen kann wie auch auf das Hinterfragen der alltäglichen sich von selbst verstehenden kollektiven rientierungen. In Hegels Bildungsverständnis bezeichnet also weder der Blick auf dasjenige was uns vermeintlich unmittelbar ausmacht etwa Auffassungen unserer Bed rfnisse so etwas wie Identität oder Persönlichkeit einen ersten oder letzten Punkt der Selbst- und eltvergewisserung noch soziale rdnungsmuster oder Sinnzuschreibungen in denen wir uns jeweils vorfinden. Bildung zielt diesbez glich auf einen Bruch in und mit den ewissheiten des alltäglichen Bewusst39 seins . Diesen Bruch denkt Hegel radikal: Entsprechende Anstrengungen zu unternehmen um Kenntnisse ber uns selbst ber Andere bzw. die elt zu entwickeln erscheint somit als Ausdruck der Notwendigkeit den letztlich unwiderruflichen Verlust unmittelbarer Bindungen nach Innen 37

3 39

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Dabei vernachlässige ich geläufige inhaltliche Referenzen hinsichtlich bildungsphilosophischer Positionen und beanspruche einen systematischen Aspekt der die Kategorie der Bildung selbst durchzieht: Deren Unabschlie barkeit und unterbrechende Kraft die Unmöglichkeit zu einer ersten oder abschlie enden Bestimmung zu gelangen eröffnet esarten ber Bildung jegliche ebensvollz ge Einstellungen und Aussagen Thompson ‚Taking Risks‘ S. 2 3 weniger zu begr nden als infrage zu stellen vgl. Ruhloff Bildung Schäfer Das Bildungsproblem nach der humanistischen Illusion Koller Bildung anders denken Pongratz Unterbrechung immer Pädagogik als Wissenschaft des Unmöglichen . Hegel Phänomenologie des Geistes S. 5. elhard Skeptische Bildung S. 199.

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?

wie nach Au en zu bearbeiten. Die Attribuierungen von Selbst und elt alle u erungen sind in diesem Sinne Konse uenz eines Handelns. Hegels Bildungsbegriff setzt folglich mit der Heterogenität und Prekarität einer Distanzierungsbewegung inmitten der Bindung an direkt erfahrene ebensvollz ge ein und mit der Dynamik von Anstrengungen um diese äsur zu bearbeiten. Bildung begreift sich somit ber eine Entzweiung die den Prozess des Herausarbeitens aus den Verhaftungen an eine innere wie auch an eine äu ere Natur impliziert die nicht nur auf unterschiedliche eisen vollzogen werden kann sondern f r die die Bildung von Unterscheidungen ein konstitutives Moment artikuliert.4 In diesem Vorgang ist es gleichsam unmöglich das eben einfach unmittelbar zu vollziehen sondern es gilt Perspektiven auf uns selbst und die elt vielfältige Kenntnisse Blick- und Standpunkte zu entwickeln zu bezweifeln zu bewähren wieder zu zerstören usw.41 Diesbez glich erfahren wir nicht allein die äu ere irklichkeit als von uns getrennt anders oder fremd sondern ebenso kann das uns Nahe und intim Vertraute fremd werden. ir selbst können f r uns fremd wir selbst können f r uns ein e Andere r werden.42 Hegels Programmatik bringt demnach eine alles durchziehende äsur in orm einer Negativität ins Spiel die streng genommen weder r ckgängig zu machen noch gänzlich zu bewältigen ist und sich somit in die weitere Bildungsdynamik einschreibt. Nun könnte man das Negativitätskonzept so verstehen dass alles auf den Einzelnen ankomme. Damit wäre Hegel allerdings missverstanden: Denn sein Verständnis eines Risses ist nicht einfach individualistisch am Erleben Erfahren und vern nftigen Erarbeiten adä uater Kenntnisse eines Einzelnen orientiert.43 Die Entwicklung von Perspektiven auf uns selbst und die elt folgt nicht einfach der ogik einer autarken sich selbst vergewissernden reflexiven Introspektion. Die geistige Tätigkeit vollzieht sich stets inmitten mannigfaltiger sozialer rientierungen Anspr che und Sinnzuschreibungen denen wir ausgesetzt sind. Unsere Selbst- und eltzugänge erweisen sich daher stets als historisch und sozial situiert. Eine souverän verf gende sich selbst gen gende Position jenseits aller Ver-

4 41 42 43

Vgl. Hegel Phänomenologie des Geistes S. 57ff. Vgl. Heydorn Zu einer Neufassung des Bildungsbegriffs S. 61. Noch dasjenige was wir folglich in Prozessen der Selbstreflexion vor unser inneres Auge bringen wird f r uns zum egenstand einer Auseinandersetzung und damit Moment einer dynamischen Unterscheidungspraxis. Vgl. elhard Skeptische Bildung S. 1 3.

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wicklungen ist folglich in dieser esart nicht denkbar.44 Negativität konzeptualisiert sich als dynamisches wie dramatisierendes Motiv durch das das hegelsche Bildungsverständnis weder um eine vermeintlich souveräne Instanz z. B. Subjekt oder Vernunft und ihren egenpol z. B. Natur esellschaft zentriert werden noch zum Abschluss kommen kann. – Es ist diese f r den Bildungsgedanken konstitutive Unmöglichkeit eines direkten oder unmittelbaren ugang s zum Sein 45 durch den etwa der Kampf um Anerkennung46 sowie die rage nach der Autorisierung und egitimität von Urteilen und Interventionen selbst eine unhintergehbar umstrittene orm und unktion gewinnt. Damit tritt ein eld von Machtbeziehungen 47 in den okus in dem die rage nach Bildung auf eine Dynamik anspielt die kaum vorab und unabhängig von der Interaktion mit Anderen zu entscheiden sein d rfte. Angesichts des Bruchs mit allen Auffassungen reiner Unmittelbarkeit oder einer absoluten Identität – auf Seiten des Menschen der Natur wie des Sozialen – bindet Hegel den Entfaltungs- als Bildungsprozess des eistes in paradoxer eise gerade an konkrete Anstrengungen um Einsicht Macht und ewissheit in Bezug auf sich selbst und die elt. Diese ungesicherten Auseinandersetzungen im Kontext eines Erfahrungsraums den wir nicht berschauen können akzentuiert Hegel ber den Begriff der Entäu erung .4 Die Pointe dieses Begriffs lässt sich mit Adorno hinsichtlich des bisherigen edankengangs folgenderma en formulieren: Es ist eine Illusion dass der Prozess der Vermenschlichung und Kultivierung sich notwendig und stets von innen nach au en abspiele. Er vollzieht sich wie Hegel es nannte auch und gerade durch Entäu erung . ir werden nicht dadurch freie Menschen dass wir uns selbst nach einer scheu lichen Phrase als je Einzelne verwirklichen sondern dadurch dass wir aus uns herausgehen zu anderen in Beziehung treten und in gewissem Sinn an sie uns aufgeben. 49

Entscheidend erscheint demnach zum einen dass wir nicht vor dem Prozess der Entäu erung und damit vor der Arbeit an der cke und errissenheit existieren die f r uns selbst konstitutiv ist. Subjektsein hei t:

44 45 46 47 4 49

25

Vgl. dazu etwa das Kapitel zur Verschränkung von Selbständigkeit und Unselbständigkeit von Herrschaft und Knechtschaft: Hegel Phänomenologie des Geistes S. 127ff. amm Der Deutsche Idealismus S. 91. Honneth Kampf um Anerkennung. elhard Skeptische Bildung S. 224. Hegel Phänomenologie des Geistes S. 324. Adorno Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika S. 735f.

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?

Selbstvermittlung ber ein Anderssein .5 Insofern sich unser Denken ahrnehmen und Handeln stets als sozial situiert erweist – und die Bildungsdynamik die darin immer schon greifende Entäu erung an Andere s akzentuiert – beinhaltet die Möglichkeit der Infragestellung und Distanzierung von machtvollen Positionen und Heteronomien immer auch den Aspekt einer ösung von den Auffassungen die mich meine Selbst- und eltzugänge ausmachen.51 Der Prozess in dem ich mich also topologisch gesprochen von mir selbst wegbewege impliziert damit zum anderen die Unterbrechung der Bindungen die mich selbst ausmachen die ich nutze mit denen ich mich identifiziere. Der von Adorno angesprochene Aspekt der reiheit wäre demnach nicht so zu verstehen dass ich nun – endlich befreit – Selbständigkeit erlangt habe sondern vielmehr geht es um das Ringen um andere ver-r ckte ormen des Ins-VerhältnisSetzens zu sich und Anderen m. In dieser Hinsicht unterstreicht der Bildungsaspekt die Dynamik oder den Streit um die Anerkennung alternativer Einschätzungen der rdnung des Sozialen und des Selbst: den Streit um Bindungen Autoritäten und reiräume ewissheiten Sinnzuschreibungen etc. Der hegelsche Bildungsbegriff konfrontiert uns insofern stets aufs Neue mit der Unmöglichkeit einer unbezweifelbaren folglich absoluten oder abschlie enden Prädikation und Verf gung ber uns selbst ber Andere und die elt . 2.3

Empörung

Diese Konfrontation die in der Bildungsdynamik selbst zum Ausdruck kommende Ungewissheit in der Auseinandersetzung mit sich selbst und der vielgestaltigen irklichkeit wurde bislang in Rekurs auf Konzepte wie Negativität remdheit und Entäu erung angerissen. Hegel selbst rekurriert in dem usammenhang u. a. im Kapitel Der sich entfremdete Geist; die Bildung52 in mehrfacher eise auf den Begriff der Empörung: Im Empörungsmotiv steckt indessen stärker als bspw. im Begriff der Entzweiung das Moment der emotionalen Expression eines Bruchs: Der die Empörte bringt eine Betroffenheit – die Erfahrung einer sie ihn angehenden Problematik die als ungerecht oder unerträglich erfahren wird – ber

5 51 52

amm Der Deutsche Idealismus S. 1 1. Vgl. elhard Skeptische Bildung S. 315 362. Hegel Phänomenologie des Geistes S. 32 ff.

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eine spezifische pposition zum Ausdruck.53 Im Anschluss an die Artikulation einer Entgegensetzung in der das Urteil des Einzelnen auf dem Sprunge zur Empörung stehe . 54 möchte ich im olgenden drei systematische endungen skizzieren.55 um ersten interessiert der empörte Ausdruck als systematische igur einer errissenheit die inmitten der Bildungsdynamik als der Arbeit am Selbst- und eltverhältnis ber Prozesse der Entäu erung situiert erscheint Kap. 2.3.1 . um zweiten frage ich nach der Spezifik der Empörung gegen Etwas Kap. 2.3.2 . Und in einem dritten Schritt interessiert die rage nach dem allgemeinen Anspruch einer solchen Artikulation Kap. 2.3.3 . 2.3.1 Hegel formuliert den ersten Punkt so: Die Sprache der errissenheit ist aber der wahre existierende eist dieser ganzen elt der Bildung. Dies Selbstbewusstsein dem die seine Verworfenheit verwerfende Empörung zukömmt ist unmittelbar die absolute Sichselbstgleichheit in der absoluten errissenheit . Aber dies identische Urteil ist zugleich das unendliche denn diese Persönlichkeit ist absolut entzweit und Subjekt und Prädikat schlechthin gleichg ltige Seiende die einander nichts angehen ohne notwendige Einheit .56

ährend es in bildungstheoretischen Ansätzen nach Kant durchaus nicht un blich war die elt der Bildung an die rage nach dem in ihr zum Ausdruck kommenden Vernunftgebrauch zu koppeln bindet Hegel die Bildungsdynamik im ersten Satz des itats an die Sprache bzw. letztlich irreduzibel an sprachliche Vollz ge gebundene Auseinandersetzungspro53

54 55

56

26

Ebd. S. 334ff. – An dieser Stelle lie e sich Hegels normative esart der komplexen Dynamik widerspr chlicher Auseinandersetzungen zwischen dem Bewusstsein des einzelnen Individuums seinem eistbegriff und den sich entfaltenden Referenzen auf sittliche rientierungen esetze und Herrschaftsformen vgl. ebd. S. 335 die er im genannten Kapitel entfaltet genauer analysieren. Ebd. S. 334. Die drei Einsätze kommunizieren zwar mit den auch normativen Beurteilungen Hegels. Der okus liegt dennoch primär auf seiner Systematik. Um diese Vorgehensweise zu rechtfertigen lie e sich im Anschluss an rank Ruda Hegels Pöbel ders. Recht ohne Recht bspw. Hegels Rede von einem niederträchtigen Hegel Phänomenologie des Geistes S. 334 oder edelm tige n Bewusstsein ebd. S. 337 weniger als moralisierende Einschätzung interpretieren sondern wäre selbst in ihrer Relevanz im Kontext der widerspr chlichen Dynamik sittlicher rdnungsmuster und Praktiken genauer zu diskutieren. Ebd. S. 343.

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?

zesse: an die Kraft des Sprechens .57 Entscheidend ist diesbez glich dass der Rekurs auf Sprache die Bildungsbewegung wie bereits mehrfach betont inmitten sozialer Macht- und Herrschaftsverhältnisse konkret verortet.5 Kurz formuliert: Bildung vollzieht sich in sprachlichen Praktiken und diese folgen nicht einfach einer davon letztlich unabhängigen Rationalität oder Identität sondern greifen stets im Kontext der jeweiligen sozialen und symbolischen rdnungsraster. Im weiteren Verlauf des itats artikuliert die Empörung des Selbst die Reaktion auf die Erfahrung einer Negativität die als Verworfenheit die Bildung sdynamik des Selbst charakterisiert. Dass Hegel hier von einer absoluten errissenheit spricht ist in dem Sinne durchaus radikal zu lesen dass der Ausdruck der Empörung nicht einfach mittels einer rational zweifelsfrei identifizierenden Dimension aufklärerischer Bildungsarbeit bezwungen und nivelliert werden kann. Denn Empörung zeichnet sich Hegel folgend einerseits durch den Eindruck aus völlig bei sich und lebendig zu sein das eigene Selbst – und allein sich selbst – nachdr cklich im Moment der Erregung zu sp ren. Das empörte Selbst meint moralisch sittlich im Recht zu sein ahrheit von Unwahrem trennen zu können die Situation zu durchschauen usw. hnlich wie uhmann in Bezug auf den Begriff der Angst formuliert erscheint ein Ausdruck von Empörung stets als authentische Kommunikation da man sich selbst bescheinigen kann Angst zu haben oder eben empört zu sein ohne dass andere dies widerlegen können. 59 Andererseits trägt die Empörung im obigen Hegel- itat zugleich das Moment der Verwerfung des Selbst aus und bezeichnet damit die ebenso emphatische Empfindung eines Risses die mich zugleich in der Aufgebrachtheit mit einer Fremdheit in mir konfrontiert ber die mir die souveräne ausgleichende Kontrolle fehlt. Dass sich das Selbst also in der Empörung absolut bei sich erfährt und es zugleich ber die Impulsivität die Erregung und damit ber sich selbst nicht einfach verf gt verdeutlicht exakt die Dynamik der Teilung durch die dem Selbst und den f r es konstitutiven Vermögen kein in sich transparentes Prädikat und kein homogener rt zukommt. Das Selbst artikuliert im Ausdruck der Empörung eine Entzweiung die es auch selbst durch uert.

57 5 59

Ebd. S. 335. Vgl. ebd. S. 335ff. uhmann Ökologische Kommunikation S. 24 .

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2.3.2 Die Artikulation einer solchen Entzweiung bezieht Hegel nun nicht auf alle beliebigen Differenzen die in der Auseinandersetzung mit Selbst und elt aufblitzen und den Verlust von ewissheiten und Kontrolle bedingen können. Empörung entz nde sich vielmehr an der Erfahrung einer machtvollen sozialen wie symbolischen Praxis: Hegel referiert hier auf die Allgemeinheit der Staatsmacht oder die elt der Sittlichkeit esetz und 6 Befehl die hinsichtlich der je spezifischen ebenssituation die errissenheit des eigenen Selbst leidvoll sp rbar machen. Der Empörungsbegriff akzentuiert so eine spezifische Qualität im Prozess der Entäu erung die sich dadurch auszeichnet dass die jeweiligen Macht- und Herrschaftsverhältnisse nicht identisch mit der eigenen sozialen Position oder ebenssituation und den darauf bezogenen Vergewisserungen mit Blick auf Selbstund eltzuschreibungen erfahren und beurteilt werden. Im Anschluss an diese igur verbindet Hegel aber stärker noch bspw. Marx den Empörungsbegriff mit der Erfahrung gesellschaftlicher Ungleichheiten und Ungerechtigkeit. Empörung greift in diesem Sinne dann wenn die b rgerlich-modernen Versprechen von reiheit leichheit oder auch ohlstand einen gewichtigen rientierungspunkt f r unser Denken und Handeln bilden aber angesichts der Erfahrung von Armut Ausschluss und ewalt eine Diskrepanz zu diesen rientierungen für uns signifikant erscheint. Der oder die an Armut eidende wird Marx und Engels zufolge uasi notwendig zur Empörung getrieben da das b rgerliche Subjekt die unterschiedlichen ormen der nat rlichen und gesellschaftlichen Abhängigkeit entschieden zu berwinden versuche. Empörung erscheint so als bestimmte Negation – in der ich meine Situation und Position in ihrer errissenheit erfahre und dar ber das Uneinverstanden-Sein mit der bestehenden Verteilung machtvoller und ohnmächtiger Positionen aufgebracht zum Ausdruck bringe.61 2.3.3 In diesem Kontext stellt sich die rage nach dem Horizont einer solchen Auffassung von Empörung. Denn f r Marx und Engels dr ckt sich im Aufbegehren angesichts von Ungerechtigkeiten in legitimer eise ein allgemeiner Anspruch aus. So begr nden beide Empörung ber das wider6 61

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Hegel Phänomenologie des Geistes, S. 334 335. Vgl. Engels Marx Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik S. 37 Ruda Recht ohne Recht.

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?

spr chliche Verhältnis zwischen dem Prozess der Akkumulation von Reichtum in der b rgerlichen esellschaft und einem davon abhängigen verarmten Proletariat. Proletariat und Reichtum 62 bilden entsprechend die beiden wesentlichen Kategorien die in ungleichen gesellschaftlichen Einbindungen um soziale Positionierungen um Macht und hnmacht kämpfen. Empörung artikuliert diesbez glich eine allgemeine notwendige orm insofern Marx und Engels die b rgerlichen Subjekte prinzipiell dar ber adressieren dass sie sich gegen die Abhängigkeit von Natur und esellschaft wenden – und dabei ungleiche Herrschaftsverhältnisse insbesondere Ressourcenverteilungen als ungerecht markieren.63 hnliche ustierungen finden sich bis in die egenwart: So erinnert der bereits erwähnte St phane Hessel an den Empörungsbegriff als rundmotiv der 64 R sistance – wenn auch nicht in der marx schen ärbung. Hessel begr ndet seinen Aufruf zur Empörung im Rekurs auf die eigene Erfahrung der Katastrophen des 2 . ahrhunderts und ber seine egenwartsdiagnose einer allgemeinen Bedrohung unserer Existenzgrundlagen angesichts weltweiter Interdependenzen mit Blick auf die Schere zwischen ganz arm und ganz reich sowie die Situation der Menschenrechte und de n ustand unseres Planeten .65 Die These einer global geteilten Erfahrung massiver gesellschaftlicher Ungleichheiten Ungerechtigkeit und Repression bildet folglich den universalen Ausgangspunkt politischen Engagements im Sinne einer engagierten iderstandspraxis. Seine kleine Schrift wurde in diesem Kontext im Rahmen der internationalen Protestbewegungen vor allem ab dem ahr 2 11 breit wahrgenommen. Konfrontiert man nun diese inhaltliche Referenz in ihrem Anspruch ein Allgemeines der Empörung zu artikulieren mit den obigen Ausf hrungen zur Bildungsdynamik so kann dem Empörungsbegriff zwar mit Hegel eine Art konstitutive – und insofern universale – unktion im Kontext der Bildungsdynamik des eistes zugesprochen werden. Denn das Selbst erfährt im Prozess der Entäu erung nur dadurch seine Negativität und Angewiesenheit auf Andere s dass es ber die Empörung die erfahrene errissenheit vernehmbar machen thematisieren und diese so bearbeiten kann.66 Aber die Arbeit an der Negativität vermag sich Hegel folgend nicht einfach von den Abhängigkeiten und der Partikularität der konflikt62 63 64 65 66

Ebd. Vgl. ebd. S. 36f. Hessel Empört Euch!, S. 9. Ebd. S. 13. Vgl. Hegel Phänomenologie des Geistes S. 34 .

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reichen Auseinandersetzungsprozesse lösen. Entsprechende Urteile sind nicht unabhängig von den unser Selbst- und eltverhältnis jeweils charakterisierenden Verwicklungen und Interessen zu diskutieren. In der Begründung der eigenen Empörung ist daher die Dimension der eigenen Erfahrung wie des Urteilens weder einfach zu tilgen noch unmittelbar aus den gesellschaftlichen Eingebundenheiten herzuleiten: Die empörte Artikulation von Etwas als ungerecht bildet selbst eine diskontinuierliche Konse uenz derjenigen machtvollen rdnungsmotive in denen eine Ungleichheit f r jemanden auf spezifische eise als ungerecht – und eine andere Ungleichheit keine Empörung auslöst oder weniger prekär als normal und gerechtfertigt erscheint. r Hegel vermag sich die Empörung weder einfach durch sich selbst zu legitimieren noch auf einen allgemein vertretbaren Anspruch zu st tzen den Alle in der gleichen eise teilen. In der Konse uenz erfordert das Empörungsmotiv also stets die Diskussion des in ihm zum Ausdruck kommenden Anspruchs: im Spannungsverhältnis zwischen einer Ambition die aufs anze geht mit universalem Anspruch auftritt und der irreduziblen Partikularität und Relationalität der u erung.67 Dieses Spannungsverhältnis möchte ich in Referenz auf rgen Habermas prägnanten Einleitungstext zum Sammelband Antworten auf Herbert Marcuse etwas weiterf hren. Habermas bezieht sich dort u. a. auf die Haltung einer absoluten oder gro e n eigerung 6 die Marcuse auf den letzten Seiten seines Buches Der eindimensionale Mensch anspricht. Diese Haltung formuliert etztgenannter als eine Konse uenz aus seiner kritischen Diagnose fortgeschrittener Industriegesellschaften in den 196 er ahren. Marcuses Urteil m ndet jedoch nicht wie etwa bei Hessel in die Aufforderung zur Empörung im Sinne einer engagierten iderstandspraxis. Die f r ihn alles umgreifenden Verhältnisse von ökonomischer Produktion Arbeit Konsum und expansiver politischer ewalt unterlaufen die Suche nach praktischen Alternativen zur verdinglichenden und repressiven Produktivität .69 Seine Empörung verdichtet sich daher in einer negativen Einstellung die sich dem irrationale n 7 Spiel des gesellschaftlichen anzen zu verweigern sucht. Marcuse entfaltet eine dialektische Empörungsfigur die in der negativen orm kritischer Theorie die 67 6 69 7

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Vgl. dazu auch Butler aclau i ek Kontingenz, Hegemonie, Universalität. Habermas Zum Geleit S. 13 Marcuse Der eindimensionale Mensch S. 266 26 . Marcuse Der eindimensionale Mensch S. 264. Ebd.

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?

ption praktischer Revolte zwar f r aussichtslos erklärt aber die ption des iderstands zumindest theoretisierbar und so offen halten will.71 Auch hier geht es nicht um eine inhaltliche Kritik an Marcuse oder um seine Relevanz f r die Protestbewegungen um das ahr 6 sondern allein um das im Kontext der Empörung aufgeworfene systematische Problem. Habermas zufolge wurde in der Rezeption der widerständigen igur der Verweigerung eine basale Differenz häufig nicht hinreichend beachtet: die Unterscheidung zwischen einer kritischen Analyse gesellschaftlicher ustände die unerträglich erscheinen und einer politischen Haltung die spezifische ormen des Protests anzuregen versucht.72 ährend Habermas allerdings nahelegt die Ebene theoretischer Einsicht von der Ebene der Haltung strikt zu unterscheiden fordert Hegel das negative Moment der Empörung stärker auf beide Ebenen zu beziehen: in der Attit de einer absoluten Verweigerung gegen ber unerträglichen uständen wie auch in der Diagnose der Unerträglichkeit selbst die den Impuls zur Behauptung der Notwendigkeit einer auf die esamtgesellschaft gerichteten kritischen Analyse bildet.73 Die Schwierigkeit Andere berhaupt f r die kritische Analyse zu sensibilisieren liegt bei Marcuse gleichwohl exakt in der Differenz zwischen der allgemeinen Sto richtung von kritischer Reflexion und politischer Haltung. – In Habermas orten: enn die Empörung allgemein ist bedarf das Unerträgliche keiner Diskussion wenn es aber nicht gef hlt wird bedarf es der Expression um die Tatbestände berhaupt sichtbar zu machen. Der Protest muss die Augen erst öffnen f r das was die Analyse fassen soll. 74 In dieser Aufforderung durch Protest die Augen zu öffnen liegt allerdings ein politisch wie pädagogisch nicht einfach aufzulösendes Paradox. Denn: ie im Kontext der hegelschen Bildungsdynamik angesprochen kann dem Empörungsmotiv eine konstitutive unktion insofern zugesprochen werden dass diese orm des Aufbegehrens zum ersten prinzipiell die Möglichkeit bezeichnet das Kontroverse der Erfahrung in der Auseinandersetzung mit sich selbst und der sozialen elt vor sich und Andere 71

72 73 74

Signifikant daf r erscheint ein weiteres Sinnbild alter Benjamins aus dem ahre 1922 mit dem Marcuse sein Buch beendet: Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben. Marcuse Der eindimensionale Mensch S. 26 Vgl. ebd. S. 13f. Die unktion des Empörungsbegriffs f r die kritische esellschaftstheorie von rgen Habermas und Axel Honneth untersucht Iser Empörung und Fortschritt . Habermas Zum Geleit S. 14.

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bringen zu können. Zum zweiten greift jedoch in der dialektischen Dynamik Hegels ein gegenläufiges Streben nach Identität bzw. Identifikation : Im Ausdruck der Empörung kommt ein Moment phantasmatischer Bindung ins Spiel das die Unvorhersehbarkeit des Erfahrungsraumes den Hegel elt nennt 75 ua Urteil zu schlie en erlaubt ja begehrt: Das empörte Selbst imaginiert sich eigensinnig auf der Seite von issen und Recht. Einen dritten widerstreitenden Aspekt der allgemeinen Dynamik markiert auch Habermas: Akzentuiert man mit Hegel das Moment der Negativität im Entäu erungsprozess kann die Empörung nie einfach in dem Sinne allgemein sein dass der ef hlsausdruck inhaltlich von allen gleich geteilt wird und steuerbar erscheint. Der rund daf r liegt im Entäu erungsprozess selbst – und damit in der inhaltlichen Heterogenität und Relationalität der Artikulationen. Die Diagnose eines unerträglichen ustands bedarf daher des Ausdrucks wie der Diskussion und bleibt selbst umstritten. Der Entzug eines letztg ltigen Urteils oder einer von allen geteilten Position mindert also die Auseinandersetzungen um Urteile und Positionierungen nicht. uliane Rebentisch formuliert diesen Umstand so: Allein weil wir durch abweichende fremde Auffassungen und konfliktreiche Impulse zu ber hren und zu beeindrucken sind weil wir von unseren anerzogenen Prinzipien durch entsprechende Erfahrungen abr cken und in einen Abstand zu uns selbst geraten können können wir uns die rage nach der eltung der uns bisher bestimmenden Prinzipien vorlegen und so unter Umständen zu einer neuen Entscheidung ber uns und das hei t: ber die f r unser Selbstverständnis jeweils konstitutiven Prinzipien oder Ideen kommen .76

as folgt daraus? Nun: Habermas wie Hegel wären wohl gr ndlich missverstanden wenn man als Bildungsziel tatsächlich die bereinstimmung von Empörung und Einsicht formulieren w rde. Denn dies w rde letztlich auf eine identitäre wie totalitäre Praxis hinauslaufen. Die Situation erscheint demnach paradox: Der positive Aufruf zum Protest etwa bei Hessel wie auch der negative einer Verweigerungshaltung im Sinne Marcuses will die Augen f r die kritische Analyse gesellschaftlicher Verwerfungen öffnen. Aber die Unbestimmtheit des Entäu erungsprozesses durchkreuzt streng genommen die Vorstellung dass sich die Arbeit an der eigenen errissenheit inmitten der jeweiligen sozialen und historischen Situierungen unproblematisch – mittels issen und Vernunft – initiieren und steuern lie e. Denn im Prozess des sich den Anderen Aussetzens 75 76

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elhard Skeptische Bildung S. 33 . Rebentisch Der schwache Bürger S. 3.

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?

bleiben wir selbst wie die elt uns immer auch fremd veränderlich und entzogen. Im Kontext des hegelschen Bildungsverständnisses lässt sich demnach weder eine Empörung die wir teilen sollen einfach didaktisch herstellen – ohne zu vereindeutigen zu berwältigen zu scheitern etc. – noch eine eine bestimmte Einsicht. Damit wäre eine empfindliche renze pädagogischer Aufklärungs- oder berzeugungsarbeit markiert. edoch kann daraus ebensowenig folgen dass es unzulässig sei angesichts unterschiedlicher Erfahrungen von Ungleichheit um individuelle wie kollektive Perspektiven eines gemeinsamen Handelns zu streiten. So befragt z. B. Hannah Arendt die Möglichkeiten eines pluralen und widerständigen acting in concert .77 Eine solche Perspektive lie e sich in vielfältiger eise im Kontext der so genannten neuen sozialen Bewegungen wie auch mit Blick auf aktuelle Protest- und populistische Phänomene diskutieren. Das Empörungsmotiv akzentuiert in dieser Hinsicht den Streit um die rage nach dem Allgemeinen nach dem worauf wir uns – theoretisch wie praktisch – verständigen was wir teilen können. Aufbegehren und Konformismus bleiben daher in Inhalt Positionierung und Anspruch problematisch. Insofern also Empörung nicht einfach von allen geteilt wird lautet die rage nicht ist Empörung universal sondern wird sie und wenn ja inwiefern in welchem Kontext von wem und wie im Spannungsfeld allgemeiner Ansprüche als je spezifischer, partikularer Einsatz ins Spiel eingebracht positioniert oder durchgesetzt. Damit stellt sich die rage nach einer jeweils erforderlichen Pr fung der Bedingungen Kriterien und Kontexte des Streits um die Il- egitimität eines Ausdrucks der Empörung – gerade auch in pädagogischen usammenhängen. 3.

„Scholl 2017“

Ein letzter Schritt konzentriert sich auf eine Aktion des so genannten Zentrums für politische Schönheit PS im uni 2 17 die unter Verwendung pädagogischer Anleihen eine k nstlerische Dramaturgie im öffentlichen Raum etabliert in der gleichsam dezidiert um die Möglichkeit der Durchsetzung des eigenen Anliegens gespielt bzw. gestritten wird.7 äh77 7

Arendt Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft S. 974. ahlreiche Aktivitäten dieser ruppe wurden in den letzten ahren in den Medien kontrovers wahrgenommen: So sorgte etwa im November 2 14 die Demontage der edenkkreuze f r die Toten an der innerdeutschen renze auf verschiedenen Seiten f r Empörung. Die Aktionsk nstler innen nahmen kurz

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rend man die Aktion mit Marcuse mit Blick auf die These einer Verschmelzung von sthetik und irklichkeit 79 im Verhältnis zwischen ihrer Unwirksamkeit – im Sinne eines die herrschenden ormen repressiver Produktivität berwindenden Protests – und der in ihr zum Ausdruck kommenden Begr ndung oder dem Bed rfnis nach Subversion thematisieren könnte wirft die nachfolgende esart eher einige problematisierende Perspektiven im Anschluss an die widerspr chliche Dynamik der mit Hegel entfalteten Empörungsproblematik auf. r die Aktion 75 ahre ei e Rose erfand die Berliner ruppe ein Bayerisches Staatsministerium f r Bildung Kultur und Demokratie und versandte am 23. uni 2 17 unter falschem Absender mit dem appen des reistaats lyer und Unterrichtsmaterialien an bayerische ymnasien mit der Aufforderung diese an die eschichtslehrer innen weiterzugeben. Im Rahmen eines vermeintlich von der bayerischen Staatsregierung initiierten ettbewerbs sollten sich die Sch ler innen mit dem iderstand der Studierenden um die eschwister Scholl zur eit des Nationalsozialismus auseinandersetzen. 1 Das Material zielt in provokanter eise darauf ormen der Erinnerungsarbeit auf die rage nach dem Umgang mit diktatorischen Herrschaftsformen und deren Repräsentanten in heutiger eit zu bertragen. Aufhänger f r die bertragung und egenstand des angeblichen ettbewerbs war der Aufruf: estalte ein lugblatt gegen einen

79 1

26

vor dem 25. edenktag des Mauerfalls im Berliner Regierungsviertel die weien edenkkreuze unbemerkt ab und brachten sie an die EU-Au engrenzen in die spanische Exklave Melilla. In den unterschiedlichsten Nachrichtenformaten diskutiert wurde auch die Errichtung einer dem Berliner Holocaust-Mahnmal nachempfundenen Installation in unmittelbarer Nähe des Hauses des AfDPolitikers Björn Höcke im November 2 17. erade letztgenannte Aktion f hrte dazu dass in Th ringen ein Verfahren gegen das PS wegen Verdachts auf Bildung einer terroristischen Vereinigung eingeleitet und nach gut 16 Monaten Ermittlung nicht zuletzt aufgrund öffentlicher Kritik eingestellt wurde. In diesem usammenhang steht ebenfalls die Ausladung von Philipp Ruch einem r nder dieser ruppe als Referent im Rahmen einer Sektion zu Kunst und politischer Bildung während des 14. Bundeskongresses Politische Bildung im März 2 19 zum Thema: as uns bewegt. Emotionen in Politik und esellschaft durch das Innenministerium. Beide Schritte lösten kontroverse Debatten aus die an der Stelle nicht verfolgt werden können: Siehe dazu die Homepage des PS www.politicalbeauty.de und der Bundeszentrale f r politische Bildung www.bpb.de zum genannten Kongress. Marcuse Der eindimensionale Mensch S. 259. Ebd. S. 264. Die nachfolgend genutzten Informationen und Materialien finden sich unter: https: www.politicalbeauty.de scholl.html abgerufen am 22. 2.2 19.

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?

Diktator Deiner ahl. 2 Die Materialien waren mit ebenfalls gefälschten ru worten von Dr. udwig Spaenle bis März 2 1 Bayerischer Staatsminister f r Bildung und Kultus issenschaft und Kunst und oachim Herrmann seit 2 7 Bayerischer Staatsminister des Innern versehen welche die schulische Arbeit an einer kreative n Protestkultur 3 als wichtigen Beitrag zu einem lebendigen demokratischen eist unterst tzten so im ake- ru wort von Spaenle. Herrmann wiederum wurde das itat untergeschoben: r die Diktatur muss die Demokratie endlich unberechenbar und hinterhältig sein. 4 Derart autorisiert erhielt die Regierung in Bayern zahlreiche Anfragen von den Schulen in Bezug auf die Echtheit des mit einem Eilt versehenen Anschreibens. 5 Die CSURegierung distanzierte sich von der Aktion zog aber keine rechtlichen Konse uenzen in Betracht. Der ettbewerb selbst war mit nur wenigen Tagen Vorlauf sehr kurz angesetzt und endete mit der Inszenierung einer Preisverleihung f r die ewinnertexte am 29. uni 2 17 in den M nchner Kammerspielen unter Beteiligung einiger Sch ler innen und des NSorschers olfgang Benz. Die Kampagne folgte einer ogik der Inszenierung zu der auch eine Promotion-Tour von Repräsentant innen des PS ab dem 26. uni mit eigens daf r hergerichtetem Bus durch M nchen gehörte. 6 Durch das rasche Dementi von Seiten der damaligen bayerischen Regierung gelang es der ruppe nicht allzu lange auf dem Schulgelände des Sophie-Scholl- ymnasiums in M nchen auf ihr Kampagne aufmerksam zu machen. Der Schuldirektor beendete den Versuch und vor der udwig-Maximilians-Universität M nchen stie die Aktion auf kein groes Interesse. – ahrnehmung und eine breitere Diskussion fanden vor allem in den öffentlichen Medien und im Internet statt. Das ist an der Stelle nicht berraschend da entsprechende Aktionen streng genommen gerade als Inszenierung ber deren digitale Aufbereitung und Verbreitung auf eine entsprechende ffentlichkeit und Resonanz im Netz zielen: Mehrere Videos zur Aktion die Arbeitsmaterialien und die mediale Berichterstattung sind auf der Homepage des PS verf gbar.

2 3 4 5 6

Ruch Verteile Dein Flugblatt in einer Diktatur! S. 1 ders. Arbeitsmaterialien und Aufgaben für den Unterricht S. 1. Ruch Verteile Dein Flugblatt in einer Diktatur!, S. 2. Ruch Arbeitsmaterialien und Aufgaben für den Unterricht S. 7. Vgl. Ruch Scholl 2017. Den Abschluss bildete die Verteilung von lugblättern in Istanbul am 3 . 6. und 1. 7.2 17 mit der Aufforderung zum Sturz Erdogans.

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An der Stelle wäre es möglich unterschiedliche oki auf politische ästhetische und pädagogische Aspekte von Scholl 2017 zu legen. Das kann hier nur skizzenhaft geschehen. Im olgenden gilt es exemplarisch wenige der kontrastreichen Anspielungen in der Inszenierung einer Kontroverse zwischen Erinnerungsarbeit und egenwartsdiagnose aufzunehmen. 7 Im Promotion-Video zur Aktion und in den Arbeitsmaterialien bilden zum einen die ab Ende uni 1942 verteilten lugblätter der iderstandsgruppe ei e Rose einen inhaltlich zentralen historischen Ankerpunkt und zum anderen Informationen zur Biographie und Haltung der ruppe in der die Aus bung von Protest nicht nur als Recht sondern vielmehr als sittlich geboten als politische Verpflichtung zum Ausdruck kommen soll. In den insgesamt sechs lugblättern formulierte die ruppe massive Kritik an der nationalsozialistischen Diktatur und rief etwa zur Auflehnung gegen einen Staat auf der jede freie Meinungsäu erung unterbindet und das Volk in einem sinn- und verantwortungslos en Krieg opfert so eine ormulierung aus dem letzten lugblatt. 9 Es ist dieses Aufbegehren in einem barbarischen Regime an das die Schulaktion erinnern will. – Abweichend zu pädagogisch didaktischen Aufarbeitungen arbeitet das PS mit einem Kurzschluss zwischen Vergangenheit und egenwart und parallelisiert die damalige Auflehnung mit der Aufforderung sich gegen diktatorische Regierungen heute per Protest- lugblatt zu wenden. – Die rage was der iderstand f r uns allgemein wie individuell bedeutet legt in Scholl 2017 letzten Endes nur eine Antwort nahe: Es geht um die Direktive zivilen Ungehorsam als sittliche Pflicht anzuerkennen und dieser Verpflichtung nachzukommen. Und selbstverständlich hat die ruppe eine Vorstellung davon gegen welche autokratischen Regime man sich wenden könne: Ein Best of von in der jeweiligen Sprache aufgesetzten lug-

7

9

27

Dabei enthalte ich mich weitgehend der rage ob und welche Aspekte der Inszenierung und des Materials rhetorische Mittel direkt sichtbarer oder verdeckter bertreibung und Ironie des ynismus oder gar der Täuschung nutzen. In gewisser eise wird der in der Aktion aufgespannte Bogen zwischen vergangenem iderstand und dessen Relevanz f r die egenwart zunächst formal wie inhaltlich ernst genommen : im Sinne eines ästhetischen erkcharakters den das PS durchaus unbeirrbar verfolgt. Eine Verpflichtung die f r viele der ruppe bekannterma en im Tod endete. Den inneren Kreis der ei en Rose bildeten die beiden eschwister Hans und Sophie Scholl Alexander Schmorell Christoph Probst illi raf sowie der Universitätsprofessor Kurt Huber vgl. dazu z. B. Benz Die Weiße Rose . ei e Rose Flugblatt VI.

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?

blättern und so genannte Diktatorencharts auf der Homepage des PS erleichtern die Auswahl. Nun lie e sich zweifelsohne dar ber diskutieren ob es dem PS ernsthaft – also im Sinne mindestens auch pädagogischer berlegungen – um eine Schulaktion ging. Das kann sein. Die Unterrichtsmaterialien legen eine solche ption nahe: Man kann mit dem Begleitheft arbeiten.9 edoch durchkreuzt die Ordnung der Inszenierung diese Annahme. Die Stationen Motive und zeitliche Strukturierung der Aktion folgen vielmehr der orm einer Auff hrung die gezielt mit provokanten Kontrastierungen arbeitet. – Daraus lässt sich jedoch nicht folgern dass die ruppe kein Interesse daran hatte dass Schulen Sch ler innen und Andere ihr Anliegen teilen. Im egenteil: Ruch verkn pft die Konfrontation mit dem iel unterschiedliche Beteiligte und ein Publikum zum Subjekt politischer Kunst 91 zu machen. Aber die Strenge und rganisation der Inszenierung das Auftreten im öffentlichen und virtuellen Raum deuten darauf hin dass die ästhetisch-politische Artikulation selbst dominiert: Eine Artikulation die weniger um Aufklärung bem ht ist sondern das Aufbegehren der ei en Rose damals mit dem Ausdruck der Empörung gegen ber aktuellen Repressionen kurzschlie t und f r iderstand als sittliche Pflicht plädiert. Daran schlie t eine weitere Uneindeutigkeit an die f r die ästhetischpolitischen Ebenen der Aktion bezeichnend erscheint. Denn die K nstler innen vertreten zum einen in aller Bestimmtheit das Anliegen ihrer Aktion. Ihre Position steht gleichsam dogmatisch fest: In allen u erungen bestehen sie auf die Notwendigkeit des iderstands gegen Regime die sie als autokratisch bezeichnen. In der Inszenierung präsentieren sich die K nstler innen im Recht. Es ist diese stets vorentschiedene Position die wiederum Empörung auf journalistischer und politischer Seite provoziert. Die Aktivist innen des PS lassen sich in ihrem issen und in ihrer Positionierung von niemandem irritieren: So spricht Philipp Ruch im D -Magazin aspekte92 davon dass es der ruppe nicht darum gehe Autokraten nur zu beleidigen sondern sie wollen Verunsicherung erzeugen bis hin zum Sturz eines Diktators.93 Und auf die rage des Moderators zum Vorwurf dass sie junge eute f r ihre Auff hrung missbraucht oder manipuliert haben antwortet Ruch dass es ihnen gerade um Manipulation gehe: Ruch verwendet in seiner Antwort das Bild eines egmanipu9 91 92 93

Vgl. Ruch Arbeitsmaterialien und Aufgaben für den Unterricht. Ruch Was ist politische Schönheit? S. 96. Aspekte Scholl 2017. Vgl. ebd. 6: 2 ff.

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lierens von einer gleichg ltigen politischen Haltung hin zu einem tiefen Eingriff in die Seele junger Menschen um widerständige ormen politischer Partizipation zu initiieren.94 Selbst das Interview zur Aktion bildet entsprechend einen Teil der Aktion und folgt einer eindeutigen Inszenierungslogik im öffentlichen Raum. Zum anderen arbeitet die Kampagne mit Motiven der Ironie und Polemik der bertreibung und des Scheins die sich noch in den Duktus der Bestimmtheit eintragen. So berichtet bspw. der Staatsminister Herrmann in seinem ake- ru wort von einem Attentatsversuch Seehofers mit vergifteten Pralinen auf Putin der leider scheiterte aber nur der Anfang entsprechender Bem hungen der bayerischen Regierung sei.95 Und auch der Blick in die Unterrichtsmaterialien oder in das Promotion-Video macht die Arbeit mit berspitzungen und weiteren rhetorischen Mitteln sichtbar. Nicht nur in solchen deutlich berspitzten Darstellungen greift eine die Bestimmungseffekte potentiell durchkreuzende Differenz zu den vereindeutigenden Passagen der Inszenierung. Die Auff hrung lebt in dieser Hinsicht davon dass man ihr nicht einfach zustimmt sondern sich eben irritiert herausgefordert f hlt und in der Auseinandersetzung selbst das ewicht des egenstands als Schau- Spiel prozessiert.96 Die Präsentation der iderstandsperspektive ist daher nicht in eins zu setzen mit einer iderstandspraxis die real das angestrebte iel in Angriff nimmt: Die Auff hrung einer solchen leichsetzung in der Schul-Aktion nutzt das Motiv als Aufführung.97 Die strikte und bersteigerte Positionierung in der Aktion spielt gleichsam mit der Differenz zu dem was die ruppe als problematisches alltägliches Handeln heute wie damals postuliert: Sie setzt auf den Kontrast zum Bild einer leichg ltigkeit die sich ber ein t atenloses Abwarten und stumpfes uschauen 9 charakterisieren lässt. – enn man an der Stelle den Kunstwerkcharakter akzeptiert den das PS f r ihre Aktionen reklamiert dann richtet sich der Blick auf die ra94 95 96 97

9

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Vgl. ebd. 6:5 ff. Vgl. Ruch Arbeitsmaterialien und Aufgaben für den Unterricht S. 6. Vgl. ittig Die Ludifizierung des Sozialen. So hatte das PS nicht vor ausgewählte Preisträger innen der Aktion mit ihren lugblättern auf Kosten der bayerischen Staatsregierung in ein totalitäres Regime zu befördern um untergebracht im Einzelzimmer mit Halbpension von dort aus die Möglichkeit zu erhalten die Machthabenden nachhaltig zu verunsichern obwohl es so in der Info-Brosch re formuliert ist Ruch Verteile Dein Flugblatt in einer Diktatur! S. 3f. . Bonhoeffer zit. nach: Ruch Arbeitsmaterialien und Aufgaben für den Unterricht S. 13.

Empörung als Bildungsproblem oder -impuls?

ge inwiefern die Inszenierung mit Motiven alltäglicher ahrnehmungen rdnungsraster und unterstellten Haltungen dramatisierend ironisierend usw. zu spielen versucht und diese unterbricht um darüber eine Diskrepanz insbesondere ein Uneinverstanden-Sein auszudr cken in dem mehrere Perspektiven oder elten aufeinanderprallen: etwa im Bild einer egen berstellung damals heute und Demokratie Autokratie . Insofern die Aktion Scholl 2 17 die Differenz von politischem Streit und ästhetischer Auff hrung nutzt ist sie nicht einfach mit politischen Protestbewegungen kurzzuschlie en. Die Inszenierung dreht sich nicht zuletzt um den Versuch je spezifische wischenräume zu etablieren in denen mit unterschiedlichen Referenzen auf vergangene politische usammenhänge und iderstandsformen auf aktuelle politische Diagnosen pädagogische ormate etc. – noch in der dramaturgischen Vereindeutigung und bertreibung – gespielt wird: Mit konträren eisen des Verhaltens in und zu der Aktion ist zu rechnen. In rage steht allerdings inwieweit das Moment der in der Aktion zum Ausdruck kommenden Souveränität des Spiels – gerade mit Blick auf die bersteigerung von Bestimmungseffekten – die Partikularität der eigenen Positionierung mit k nstlerischen Mitteln zu verstellen droht. Insofern streng genommen jede Inszenierung mit dem oben entfalteten Moment der Abgr ndigkeit bei Hegel bricht indem sie dieser gleichsam – noch in der ästhetischen bspw. ironischen Brechung selbst – eine orm gibt erscheint die Problematisierung der Strategien von Vereindeutigung und Veruneindeutigung unhintergehbar. Ein entscheidendes Moment des hegelschen Empörungsbegriffs – die Reaktion auf die Erfahrung der eigenen Verworfenheit – lässt sich folglich auch hier nicht einfach operationalisieren. Die Aktion des PS pointiert oder strapaziert folglich – mit ästhetischen Mitteln – die rage nach den renzziehungen dessen was uns als ebenswelt als Erfahrungsraum und -zeit betreffen betroffen machen soll und kann weder die orm der Betroffenheit herstellen noch die inhaltliche Auseinandersetzung schlicht determinieren. elche Teile der Aktion wir als geschmacklos oder als bedeutsam und ernst zu nehmend befinden und ob wir die inhaltlichen Ebenen zum Teil oder sogar völlig ablehnen oder anerkennen bleibt prinzipiell umstritten. b und in welcher eise die Inszenierung uns nun anspricht irrelevant erscheint usw. hängt berdies mit Hegel gesprochen nicht zuletzt an den Modi wie wir in der Auseinandersetzung – mit der Aktion mit verschiedenen Anderen der medialen Diskussion usw. – das Moment der Irritation in Bezug auf unsere Selbst- und eltauffassungen austragen. enn wir also ber cksichtigen dass sich unsere Einschätzungen stets in der Auseinandersetzung mit Anderen bilden und wir gerade 273

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ber die Prozesse der Entäu erung nicht einfach verf gen wird aus der vermeintlich zentrierten Auff hrung eine beraus komplexe und verteilte Dynamik in der unterschiedliche Akteur innen bzw. institutionelle Räume und eiten des Sprechens eine Rolle spielen können: etwa in Abhängigkeit von der rage nach möglichen und unmöglichen machtvollen und kaum vernehmbaren Positionen. – Mit Hegel wäre hier prinzipiell von einem von Unsicherheiten oder iderspr chen gekennzeichneten Streit um differente Standpunkte Identifikationen und Urteile auszugehen. er auf welche eise und mit welchen r nden die Empörung teilen kann – oder auch nicht – bleibt offen bzw. egenstand des UneinverstandenSeins . Literatur Adorno Theodor .: issenschaftliche Erfahrungen in Amerika in: Ders. Hg. : esammelte Schriften. Band 1 .2 rankfurt a. M. 1977 S. 7 2-73 Adorno Theodor .: Studien zum autoritären Charakter Berlin 2 16 Arendt Hannah: Elemente und Urspr nge totaler Herrschaft. Antisemitismus Imperialismus und totale Herschaft M nchen Berlin rich 2 16 Aristoteles: Politik hg. von Eckart Sch trumpf Hamburg 2 12 aspekte 2 17 : Scholl 2 17 online: https: www.youtube.com watch?time continue 41 v 5meCucezCH4 22. 2.2 19 Badiou Alain: Versuch die ugend zu verderben rankfurt a. M. 2 16 Benjamin alter: Einbahnstra e in: Ders.: esammelte Schriften. Band IV⋅1. Kleine Prosa. Baudelaire- bertragungen rankfurt a. M. 1991 S. 3-14 Benz olfgang: Die ei e Rose. 1 Seiten Ditzingen 2 17 Besand Anja verwien Bernd orn Peter Hg. : Politische Bildung mit ef hl Bonn 2 19 Butler udith: Die Macht der eschlechternormen und die renzen des Menschlichen rankfurt a. M. 2 9 Butler udith aclau Ernesto i ek Slavoj: Kontingenz Hegemonie Universalität. Aktuelle Dialoge zur inken ien Berlin 2 13 Canetti Elias: Masse und Macht rankfurt a. M. 1995 Casale Rita Koller Hans-Christoph Ricken Norbert Hg. : Das Pädagogische und das Politische. u einem Topos der Erziehungs- und Bildungsphilosophie Paderborn 2 16 Celikates Robert: iviler Ungehorsam und radikale Demokratie. Konstitutive vs. konstituierte Macht? in: Bedorf Thomas Röttgers Kurt Hg. : Das Politische und die Politik Berlin 2 1 S. 274-3

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Empörung als Bildungsproblem oder -impuls? Charim Isolde: Ich und die Anderen. ie die neue Pluralisierung uns alle verändert ien 2 1 Engels riedrich Marx Karl: Die heilige amilie oder Kritik der kritischen Kritik in: Dies.: erke. Bd. 2 Berlin 1962 S. 5-223 inkelde Dominik: Performative Selbstbenennung. Anamorphose und Subjektivität im Raum der r nde in: Reder Michael Risse Verena Cojocaru Mara-Daria Hg. : Katastrophen – Perspektiven Stuttgart 2 17 S. 27-46 oucault Michel: Der ille zum issen. Sexualität und ahrheit. Erster Band rankfurt a. M. 19 3 revert Ute: Politische Bildung – mit ef hl? in: APu . Politische Bildung. 6 . g. 13-14 2 1 S. 1 -24 r chtl osef: Idioten. Blödmänner. Assholes. Brauchen moderne Demokratien unverschämte B rger? in: Kursbuch 191. Bullshit.Sprech uni 2 17 o.S. amm erhard: Der Deutsche Idealismus. Eine Einf hrung in die Philosophie von ichte Hegel und Schelling Stuttgart 1997 elhard Andreas: Skeptische Bildung. Pr fungsprozesse als philosophisches Problem rich Berlin 2 1 Habermas rgen: um eleit in: Ders. Hg. : Antworten auf Herbert Marcuse rankfurt a. M. 196 S. 9-16 Hegel eorg riedrich ilhelm: Phänomenologie des eistes Hamburg 19 Heidenreich elix Schaal ary S. Hg. : Politische Theorie und Emotionen BadenBaden 2 12 Hessel St phane: Empört Euch Berlin 2 11 Heydorn Heinz- oachim: u einer Neufassung des Bildungsbegriffs in: Ders.: erke. Bd. 4. Studienausgabe. Bildungstheoretische und pädagogische Schriften 19711974 etzlar 2 4 S. 56-145. Hobbes Thomas: eviathan. Erster und zweiter Teil Stuttgart 197 Hobbes Thomas: De Cive. Vom B rger Dietzingen 2 17 Honneth Axel: Kampf um Anerkennung. ur moralischen rammatik sozialer Konflikte rankfurt a. M. 2 Iser Mattias: Empörung und ortschritt. rundlagen einer kritischen Theorie der esellschaft rankfurt a. M. 2 Koller Hans-Christoph: Bildung anders denken. Einf hrung in die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse Stuttgart 2 12 oick Daniel: egenhegemoniale ewöhnung. Modelle zur Transformation der zweiten Natur in: Khurana Thomas u. a. Hg. : Negativität. Kunst – Recht – Politik Berlin 2 1 S. 311-32 . uhmann Niklas: kologische Kommunikation. Kann die moderne esellschaft sich auf ökologische efährdungen einstellen? iesbaden 2 4 Marchart liver: Die Prekarisierungsgesellschaft. Prekäre Proteste. Politik und konomie im eichen der Prekarisierung Bielefeld 2 13

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Empörung als Bildungsproblem oder -impuls? Tomä Dieter: Keine Demokratie ohne Störenfriede 2 16b online: https: philo mag.de dieter-thomae-keine-demokratie-ohne-stoerenfriede . 1.2 19 Thompson Christiane: Taking Risks . um Verhältnis von Autorisierung und Pr fung in: Thompson Christiane ergus Kerstin Breidenstein eorg Hg. : Interferenzen. Perspektiven kulturwissenschaftlicher Bildungsforschung eilerswist 2 14 S. 26 -2 9 ei e Rose 1943 : lugblatt VI online: https: www.bpb.de geschichte national sozialismus weisse-rose 61 2 flugblatt-vi 22. 2.2 19 immer Michael: Pädagogik als issenschaft des Unmöglichen. Bildungsphilosophische Interventionen Paderborn 2 14 ittig Steffen: Die udifizierung des Sozialen. Differenztheoretische Bruchst cke des Als- b Paderborn 2 1

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loris Biskamp Soziologe und Politikwissenschaftler Koordinator des Promotionskollegs Rechtspopulistische Sozialpolitik und exkludierende Solidarität an der Eberhard Karls Universität T bingen. u seinen Arbeitsschwerpunkten zählen politische Theorie esellschaftstheorie politische konomie Religionspolitik Populismusforschung und Rassismusforschung. Buchpublikationen u.a.: Orientalismus und demokratische Öffentlichkeit. Antimuslimischer Rassismus aus der Perspektive von postkolonialer und neuerer kritischer Theorie Bielefeld 2 16 Ruck nach rechts? Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und die Frage nach Gegenstrategien pladen 2 17. udem betreibt loris Biskamp einen Blog mit k rzeren Texten zu aktuellen Themen. Tino Heim Dr. phil. Sozialwissenschaftler mit Schwerpunkten in der Kritik der politischen konomie der kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse der Ungleichheits- Konflikt- und Protestforschung sowie der Kulturund eschlechtersoziologie. Derzeit issenschaftlicher Mitarbeiter im BMB -Verbundprojekt Dinge und Sexualität. Produktion und Konsumtion im 2 . und 21. ahrhundert am Institut f r Soziologie der TU Dresden. Publikationen u. a.: Metamorphosen des Kapitals. Kapitalistische Vergesellschaftung und Perspektiven einer kritischen Sozialwissenschaft nach Marx, Foucault und Bourdieu Bielefeld 2 13 Pegida als Spiegel und Projektionsfläche. Wechselwirkungen und Abgrenzungen zwischen Pegida, Politik, Medien, Zivilgesellschaft und Sozialwissenschaften iesbaden 2 16 Scarcity Inc. Die Knappheitsparadoxie als ein Hintergrundproblem pluraler Ökonomie mit Marc Drobot in: Petersen David u. a. Hg. : Perspektiven einer pluralen konomik iesbaden 2 19 S. 69-1 6. Cornelia Koppetsch Professorin f r Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt. Sie arbeitet zu ragen der sozialen Ungleichheiten der eschlechterverhältnisse in Paarbeziehungen und zur politischen Soziologie darunter insbesondere zur rage nach den Ursachen f r den Erfolg der neuen Rechtsparteien. Buchpublikationen u.a.: Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter Bielefeld 2 19 Die Wiederkehr der Konformität. Streifzüge durch die gefährdete Mitte rankfurt a. M. 279

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2 13 enn der Mann kein Ernährer mehr ist gemeinsam mit Sarah Speck Berlin 2 15. rgen ink Prof. a. D. f r iteraturwissenschaft an der TU Dortmund. orschungsschwerpunkte dazu zahlreiche Publikationen : Interdiskurstheorie Kollektivsymbolik Normalismustheorie literarhistorisch: u. a. Klassik Hölderlin Schiller . Einige Titel: Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe. Eine programmierte Einführung auf strukturalistischer Basis 5 Auflagen M nchen 1974 Elementare Literatur und generative Diskursanalyse M nchen 19 3 Nationale Mythen und Symbole mit ulf lfing Stuttgart 1991 Versuch über den Normalismus 5. erw. Aufl. öttingen 2 13 Normalismus und Antagonismus in der Postmoderne. Krise, New Normal, Populismus öttingen 2 1 HölderlinRousseau: Inventive Rückkehr pladen 1999 Mitherausgeber: kultuRRevolution. zeitschrift f r angewandte diskurstheorie Essen 19 2ff. Roman: Bangemachen gilt nicht auf der Suche nach der Roten Ruhr-Armee. Eine Vorerinnerung berhausen 2 . Ralf Mayer Professor f r Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Kassel. orschungsschwerpunkte zu bildungs- sozialphilosophischen und gesellschaftstheoretischen ragestellungen zu Problemen und Praktiken im Verhältnis von Pädagogik und Politik: z. B. zu Artikulationen von Teilhabe Un leichheit zu eistungsvorstellungen. etzte Veröffentlichungen u. a.: Jacques Rancière. Pädagogische Lektüren mit Alfred Schäfer und Steffen ittig iesbaden 2 19 „Who is the third who walks always beside you?“ Zum politischen und pädagogischen Problem der Stellvertretung in: Vierteljahrsschrift f r wissenschaftliche Pädagogik 94 2 1 S. 133-155. Kolja Möller orschungsgruppenleiter im Projekt Transnational orce of aw an der Universität Bremen. Er arbeitet zur Verfassungs- und Staatslehre sowie zur politischen Theorie und Soziologie. Ausgewählte Veröffentlichungen: Invocatio populi. Demokratischer und autoritärer Populismus in: örke Dirk Nachtwey liver Hg. : Das Volk gegen die liberale Demokratie? Die Krise der Repräsentation und neue populistische Herausforderungen. eviathan. Berliner eitschrift f r Sozialwissenschaft Sonderband 2 1 S. 246-267 Formwandel der Verfassung. Die postdemokratische Verfasstheit des Transnationalen Bielefeld 2 15 Systemtheorie und Gesellschaftskritik. Perspektiven der Kritischen Systemtheorie mit asmin Siri Bielefeld 2 16. 2

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Karin Priester em. Professorin f r Politische Soziologe am Institut f r Soziologie der estfälischen ilhelms-Universität M nster. Schwerpunkte: aschismus- und Rechtsextremisforschung Demokratietheorie. Nach ihrer Emeritierung arbeitet sie vorwiegend zum Populismus in historischer und vergleichender Perspektive. ngere Buchpublikationen u. a.: Populismus. Historische und aktuelle Erscheinungsformen rankfurt a. M. 2 7 Rechter und linker Populismus. Annäherung an ein Chamäleon rankfurt a. M. 2 12 Mystik und Politik. Ernesto Laclau, Chantal Mouffe und die radikale Demokratie rzburg 2 14. Alfred Schäfer Professor f r Systematische Erziehungswissenschaft an der Martin- uther-Universität Halle- ittenberg. Er arbeitet zu ragen der Bildungs- und Erziehungsphilosophie darunter insbesondere zum Konstitutionsproblem des Pädagogischen sowie zu Theorie und Empirie einer kulturwissenschaftlichen Bildungsforschung. Buchpublikationen u.a.: Einführung in die Erziehungsphilosophie einheim 2 5 Irritierende Fremdheit. Bildungsforschung als Diskursanalyse Paderborn 2 11 Das Versprechen der Bildung Paderborn 2 11 1968 – Die Aura des Widerstands Paderborn 2 14. Astrid S ville Akademische Rätin auf eit am eschwister-SchollInstitut f r Politikwissenschaft an der udwig-Maximilians-Universität M nchen. In ihrer orschung verbindet sie politische Ideengeschichte mit ragen zeitgenössischer Demokratietheorie und politischer Analyse. Dabei unternimmt sie etwa eine Diskursanalyse zur Debatte um das Verhältnis liberaler Demokratie und Populismus. Buchpublikationen: „There is no alternative“. Politik zwischen Demokratie und Sachzwang rankfurt a. M. New ork 2 17 Der Sound der Macht. Eine Kritik der dissonanten Herrschaft M nchen 2 1 . abio olkenstein Assistant Professor f r Politikwissenschaft an der Universität Aarhus und Affiliated Researcher in politischer Theorie an der Universität Amsterdam UvA . Er forscht zu ragen der Demokratie- und Verfassungstheorie darunter insbesondere zur Theorie politischer Parteien und Repräsentation sowie zu normativen Aspekten europäischer Verfassungspolitik. Sein Buch Rethinking Party Reform erscheint im Dezember 2 19 xford University Press .

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