Politisches Denken. Jahrbuch 2010 [1 ed.] 9783428534548, 9783428134540

Das »Jahrbuch Politisches Denken« 2010 umfasst sechs Aufsätze zu verschiedenen Themen aus dem Bereich des politischen De

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Politisches Denken. Jahrbuch 2010 [1 ed.]
 9783428534548, 9783428134540

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POLITISCHES DENKEN JAHRBUCH 2010 Herausgegeben von

V. Gerhardt, R. Mehring, H. Ottmann, M. P. Thompson, B. Zehnpfennig u Gesine Schwan: Was trägt die Politische Theorie zur demokratischen Praxis bei? u Julian Nida-Rümelin: Politische Theorie in der Demokratie u Volker Gerhardt: Demokratie ist Politik in ihrer besten Verfassung u Clemens Kauffmann: Politische Theorie und Politikwissenschaft u Julian Nida-Rümelin: Politische Theorie in Deutschland u Henning Ottmann: Wie man heutzutage in Deutschland die Geschichte der Ideen und Begriffe schreibt u Fulvio Longato: Stand und Praxis der Politischen Theorie in Italien u Andrzej Przylebski: Die Lage der Politischen Theorie in Polen u Martyn P. Thompson: Political Theory in the USA u Berliner Erklärung der DGEPD u Hendrik Hansen: Menschenrechte für Terroristen? u Henning Ottmann: Antrum platonicum u Stefano Saracino: Politische Thymotik und das Streben nach Ruhm u Jan Christoph Suntrup: Kritische Bemerkungen zur postmodernen Entdeckung der politischen Urteilskraft u Walter Euchner: Christoph Martin Wieland als politischer Denker u Tracy B. Strong: The Sacred Quality of the Political

Duncker & Humblot

Politisches Denken · Jahrbuch 2010

In Verbindung mit der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des politischen Denkens Redaktionsanschriften: Prof. Dr. Volker Gerhardt, Institut für Philosophie, Humboldt-Universität Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin Prof. Dr. Henning Ottmann Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft, Universität München, Oettingenstr. 67, 80539 München Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau, 94030 Passau

Wissenschaftlicher Beirat: Karl Dietrich Bracher (Bonn), Reinhard Brandt (Marburg), John Dunn (Cambridge), Iring Fetscher (Frankfurt), Wilhem Hennis (Freiburg), Dieter Henrich (München), Otfried Höffe (Tübingen), Hasso Hofmann (Berlin), Nikolaus Lobkowicz (Eichstätt), Hermann Lübbe (Zürich), Odo Marquard (Gießen), Kenneth Minogue (London), J. G. A. Pocock (Hopkins University), Melvin Richter (New York), Quentin Skinner (Cambridge), Michael Stolleis (Frankfurt)

Das Jahrbuch „Politisches Denken“ ist das Publikationsorgan der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des politischen Denkens (DGEPD). Das Spektrum des Jahrbuchs umfasst Beiträge mit historischem oder aktuellem Bezugspunkt sowie Themen- oder Theoretiker-zentrierte Beiträge. Alle eingereichten Manuskripte durchlaufen ein Begutachtungsverfahren. Manuskripte bitte anonymisiert und in zweifacher Ausfertigung ausgedruckt sowie als pdf-Datei an einen der Herausgeber senden. Der Textumfang des Beitrags sollte 25 Seiten (oder 50 000 Zeichen) nicht überschreiten. Genauere Hinweise zur Textgestaltung finden Sie unter: www.dgepd.de.

Politisches Denken Jahrbuch 2010 Herausgegeben von Volker Gerhardt, Reinhard Mehring, Henning Ottmann, Martyn P. Thompson und Barbara Zehnpfennig

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0942-2307 ISBN 978-3-428-13454-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhaltsverzeichnis Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    7 I. Schwerpunktthema „Perspektiven der Politischen Theorie“ Was trägt die Politische Theorie zur demokratischen Praxis bei? Von Gesine Schwan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   11 Politische Theorie in der Demokratie Von Julian Nida-Rümelin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   21 Demokratie ist Politik in ihrer besten Verfassung Von Volker Gerhardt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   31 Politische Theorie und Politikwissenschaft Von Clemens Kauffmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   43 Politische Theorie in Deutschland Von Julian Nida-Rümelin  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   59 Wie man heutzutage in Deutschland (und anderswo) die Geschichte der Ideen und Begriffe schreibt Von Henning Ottmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   65 Stand und Praxis der Politischen Theorie in Italien Von Fulvio Longato  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   77 Die Lage der Politischen Theorie in Polen Von Andrzej Przylebski  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   95 Political Theory in the USA: Some Reflections Von Martyn P. Thompson  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Berliner Erklärung der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des politischen Denkens zu den Perspektiven der Politischen Theorie in Deutschland  . . . . . . . . . . 127

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Inhaltsverzeichnis II. Aufsätze

Menschenrechte für Terroristen? Von Hendrik Hansen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Antrum platonicum Von Henning Ottmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Politische Thymotik und das Streben nach Ruhm Von Stefano Saracino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 „Der Augenblick der Entscheidung ist ein Wahn“ – Kritische Bemerkungen zur postmodernen Entdeckung der politischen Urteilskraft Von Jan Christoph Suntrup . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Christoph Martin Wieland als politischer Denker: ein Meister des Tentativen Von Walter Euchner  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 The Sacred Quality of the Political: Reflections on Hobbes, Schmitt and Saint Paul By Tracy B. Strong  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 III. Rezensionen Ulrich Fröschle / Thomas Kuzias (Hrsg.): Alfred Baeumler und Ernst Jünger. Mit einem Anhang der überlieferten Korrespondenz und weiterem Material. Von Henning Ottmann  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Manuel Knoll (Hrsg.): Aristokratische oder demokratische Gerechtigkeit? Die politische Philosophie des Aristoteles und Martha Nussbaums egalitaristische Rezeption. Von Hendrik Hansen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Ines Geipel /Andreas Petersen (Hrsg.): Black Box DDR. Unerzählte Leben unterm SED-Regime. Von Hendrik Hansen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben. Von Eckhard Jesse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Tilo Schabert: Die zweite Geburt des Menschen. Von den politischen Anfängen menschlicher Existenz. Von Peter Nitschke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Karl-Heinz Nusser: Menschenrechte und Leistungsgerechtigkeit. Von Barbara Zehnpfennig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Autorenverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315

Editorial Das „Jahrbuch Politisches Denken“ publiziert im Jahr 2010 verschiedene Aufsätze aus dem Bereich der Politischen Theorie und neun Beiträge zum Schwerpunktthema „Perspektiven der Politischen Theorie“. Die „Deutsche Gesellschaft zur Erforschung des Politischen Denkens“ hat am Vorabend des Tages der Deutschen Einheit im Jahr 2009 – 60 Jahre nach Grün­dung der Bundesrepublik Deutschland und 20 Jahre nach der Revolution in der DDR – auf einer Tagung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften die „Perspektiven der Politischen Theorie in Deutschland“ diskutiert. Es war ihr Anliegen, die Bedeutung der Politischen Theorie für die politische Kultur insgesamt sichtbar zu machen, ihre Kompetenzen und Profile einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln und ihre Relevanz in der direkten Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik zu dokumentieren. Die Beiträge befassen sich auf der einen Seite mit der Situation der Politischen Theorie in Deutschland, Italien, Polen und den USA und thematisieren auf der anderen Seite ihre Funktion in der Demokratie und im politischen Alltag, ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit und ihre Rolle für die Politische Wissenschaft. Die Beiträge formulieren nicht eine Position der „Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des Politischen Denkens“, sondern sie bringen die Standpunkte der Autoren in die öffent­liche Diskussion ein. Die „Berliner Erklärung“ hingegen wurde von der Mitgliederversammlung der „Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des Politischen Denkens“ einstimmig verabschiedet. Die Gesellschaft dankt Julian Nida-Rümelin für die Anregung des Tagungsthemas und der „Initiative Pro Geisteswissenschaften“ des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft für die großzügige finanzielle Förderung. Prof. Dr. Clemens Kauffmann

Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig

I. Schwerpunktthema „Perspektiven der Politischen Theorie“

Was trägt die Politische Theorie zur demokratischen Praxis bei? Von Gesine Schwan I. Einleitung Es war wohl kein Zufall, dass die Politische Theorie in der westdeutschen Politikwissenschaft nach 1945 eine besonders wichtige Rolle spielte, ging es den z. T. aus der Emigration heimgekehrten Politikwissenschaftlern nach dem Nationalsozialismus doch vor allem darum, die junge deutsche Demokratie zu festigen, also Einfluss auf die politische Praxis in der Demokratie zu nehmen. Anders als ein erster oberflächlicher Blick auf den Begriff „Politische Theorie“ nahelegen könnte, hat die Theorie nämlich mehr noch als empirische Untersuchungen einzelner Tatbestände oder Zusammenhänge die Frage nach dem richtigen politischen Handeln, nicht nur nach dem Feststellen von Vorhandenem im Blick. In den darauf folgenden Jahrzehnten hat sich das Selbstverständnis der Politikwissenschaft allerdings immer mehr weg von der praktischen Politik hin zur beobachtenden Sozialwissenschaft bewegt und zugleich ein planungseuphorisches, ja z. T. technokratisches Politikverständnis in den Vordergrund gebracht, das Politik zur professionellen Angelegenheit machte. Während Handeln und Praxis die Frage nach dem Ziel und die Kommunikation darüber mit den Mitbürgern nahelegt, versteht sich ein professionelles, ministeriell-bürokratisches Politikverständnis eher als Exekutieren von Sachzwängen, die irgendjemand vorgegeben hat und deren ethische Begründung, gar deren Zusammenhang mit der Frage nach dem „guten Leben“ nicht mehr zur Debatte steht. In den letzten Jahren, nachdem insbesondere infolge der ökonomischen Globalisierung die traditionelle Politik immer mehr an die Grenzen ihrer Wirksamkeit stieß, gewann die organisierte Zivilgesellschaft im Rahmen von Überlegungen zur good global governance deutlich an Bedeutung. Damit wird Politik wieder mehr zur Sache aller Bürger, nicht nur professioneller Technokraten. Das könnte zu einer Renaissance der Politischen Theorie führen. Denn die neuen Formen der Politik verlangen eine Aktivierung der Menschen als citoyens, denen die Politische Theorie bei ihrer Aufgabe unerwartete Dienste leisten kann. Noch ist es nicht so weit, und daher mag es

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angezeigt sein, zu erläutern, warum und inwiefern die Politische Theorie zur guten demokratischen politischen Praxis beitragen kann. Ich selbst habe während meiner beiden Kandidaturen für das Amt des Bundespräsidenten die Politische Theorie immer als eine wichtige Hilfe in der öffentlichen Kommunikation empfunden. Manche Journalisten empfanden Anspielungen an große Theoretiker wie Aristoteles, Machiavelli, Kant, Hegel oder Marx zwar als zu akademisch. Dabei handelte es sich zumeist um Gegner meiner Kandidatur – vor allem von 2009  –, die von mir ein negatives Bild als zu professoral zeichnen wollten (das hatte übrigens auch einen Gender-Aspekt). Aber in der direkten öffentlichen Kommunikation wurden solche Beispiele aus der Ideengeschichte von den Zuhörern als erhellend wahrgenommen. Sie nahmen – weil sie halfen, etwas verständlich zu machen und zu klären – den Zuhörerinnen und Zuhörern auch die unangebrachte Scheu vor den „großen Philosophen“. II. Die verschiedenen Bereiche der Politischen Theorie: Geschichte der politischen Ideen, Politische Philosophie, Wissenschaftstheorie und Studien zur politischen Kultur (Politische Psychologie) Damit komme ich zur Frage, was ich unter „Politischer Theorie“ verstehe. Ich gliedere sie in drei klassische Gegenstandsbereiche, und füge einen weiteren, etwas später dazu gekommenen an, der Übergänge zur empirischen Forschung hat. Es versteht sich im Übrigen von selbst, dass alle Bereiche systematisch und in der wissenschaftlichen Praxis auch faktisch miteinander zusammenhängen. 1. Geschichte der Politischen Ideen Als ersten nenne ich die Geschichte der Politischen Ideen. Sie spielte in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine besonders wichtige Rolle, gerade auch für die Fundierung der neu gegründeten Politikwissenschaft, insbesondere in München und in Freiburg i. Br. Es verstand sich damals, anders als heute, von selbst, dass die Lehr- und Prüfungsordnungen ebenso wie die Lehrstuhldefinitionen ihr ein zentrales Gewicht beimaßen. Politische Theorie gehörte etwa am Otto-Suhr-Institut in Berlin neben Innenpolitik, Internationaler Politik und der sog. Vergleichenden Lehre der Politischen Systeme zu den vier Kernbereichen der Politikwissenschaft, für die jeweils zwei Lehrstühle vorgesehen waren. Aus der Geschichte der Politischen Ideen können wir unterschiedliche Typen und Verständnisse von Grundkategorien der Politik lernen. Politik als



Was trägt die Politische Theorie zur demokratischen Praxis bei? 

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Vereinbarung (Aristoteles) versus Politik als Freund / Feind-Verhältnis (Carl Schmitt), ein eher radikaler bis zur eigenen Abschaffung tendierender Politikbegriff wie bei Karl Marx oder den Anarchisten versus ein OrdnungsModell, das auf Dauer eingerichtet ist, um Herrschaft rechtlich einzuhegen oder zu begrenzen (unser gegenwärtiges Modell der parlamentarischen Demokratie). Politik mit eschatologischen Dimensionen zur Überwindung zwischenmenschlicher Konflikte (Augustinus oder Marx) oder als andauerndes Machtkalkül, das keinen Fortschritt vorsieht (Machiavelli). Politik als Entscheidung in höchster Gefahr analog der Aufgabe für den Steuermann auf hoher See und mit der Folge einer hierarchischen Anordnungsstruktur (Platon) oder Politik als Deliberation, als argumentative und partnerschaftliche Auseinandersetzung über unterschiedliche Interessen und Vorstellungen von einem gelungenen, einem „guten“ Leben. (Sternberg, Habermas) Platons Bild vom Politiker als dem erfahrenen und überlegenen Steuermann auf hoher See z. B. kehrt heute häufig wieder, wenn infolge der ökonomischen Globalisierung und immer gefährlicherer Finanzmarkt-Turbulenzen die Exekutive in immer kürzerer Zeit unter faktischer Aushebelung parlamentarischer Prüfung, ohne sorgfältige und kontroverse Debatten langfristige Entscheidungen treffen zu müssen meint und damit das zentrale demokratisch-parlamentarische Budgetrecht unterminiert. Vielen – auch in den Medien – wird dies nicht bewusst, weil ihnen die historischen und analytischen Analogien nicht gegenwärtig sind. Der Vorrang spezialisierter empirischer Gegenwartsforschungen führt zur Ausblendung grundlegender historischer Einsichten und – ich wage dies zu sagen – von orientierender Weisheit. Dabei bezieht sich Politische Theorie als Geschichte der Politischen Ideen durchaus auf „Empirie“ im Sinne von Erfahrungen, nur werden sie anders synthetisiert, als dies die modernen Sozialwissenschaften gewohnt sind und als „neuesten Forschungsstand“ vorgeben. Wer die Geschichte der Politischen Ideen genauer studiert hat, erkennt also auch in heutigen öffentlichen Debatten – die ja für demokratische Praxis eine zentrale Rolle spielen – klassische „Idealtypen“ und Argumenta­ tionsmuster wieder einschließlich ihrer Implikationen in Bezug auf das dahinter stehende Weltverständnis oder Menschenbild. Dieser letzte Begriff wird von spezialisierten Theoretikern oft als amateurhaft belächelt. Ich meine aber, dass gerade unbewusste, implizite Menschenbilder nach wie vor in vielen politischen Auseinandersetzungen eine zentrale Rolle spielen. Der Beitrag der Politischen Theorie könnte z. B. darin liegen, solche Implika­ tionen herauszustellen und diskutierbar zu machen. Sie enthält einen riesigen historischen Schatz von geronnenen politischen Erfahrungen und diesbezüglichen Analysen, der zur Selbstverständigung und zur klärenden Kommunikation gerade auch in der Gegenwart eine wichtige Hilfe leisten kann. Wilhelm Hennis hat im Anschluss an diesen Gedanken die in der

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Rechtswissenschaft entwickelte Methode der „Topik“ auch für die Politikwissenschaft vorgeschlagen. 2. Politische Philosophie Die Sache der Ideengeschichte ist es freilich nicht, normative Orientierungen für gute Politik zu geben. Die Frage nach der richtigen oder der guten Politik kann sie nicht autoritativ beantworten. Das kann überhaupt keine Philosophie oder Wissenschaft. Aber die politische Philosophie – als zweiter Bereich der Politischen Theorie – kann sie thematisieren und gründlich durchdenken. Sie wird nicht zu letzten zwingenden Gründen führen, aber deren Möglichkeit oder Unmöglichkeit sowie die Reichweite von Gründen luzide erörtern und Argumente für pragmatische Antworten auch ohne Letztbegründbarkeit vortragen. Das ist für demokratische Politik wichtig, die auf den Austausch von Argumenten setzen muss. Denn in ihr ist es ja durchaus auch legitim, die eigenen partikularen I­ nteressen vorzutragen, zu verfechten und wo möglich durchzusetzen. Aber für Demokratie als politische Herrschafts- und als Lebensform genügt nicht einfach die Durchsetzung der Mächtigsten und ihrer Partikularinteressen ohne Rechtfertigung gegenüber anderen Interessen bzw. gegenüber einem zu diskutierenden Gemeinwohl. Ihre unumstößliche Norm- und Verfassungsgrundlage ist das gleiche Recht aller auf Selbstbestimmung, das von kruder z. B. materieller Macht nicht einfach negiert werden darf. Sonst würde die Demokratie der Substanz nach an ihr Ende kommen, auch wenn sie der äußerlichen Form nach noch bestünde. Das Modell der Demokratie setzt also als Garant der gleichen Freiheit aller und damit der Gerechtigkeit die Argumentation voraus. Dasjenige Argument sollte die Entscheidung letztlich bestimmen, das mit der Freiheit aller am besten vereinbar ist. Mir ist bewusst, welche komplizierten theoretischen Zusammenhänge ein solcher scheinbar banaler Satz enthält. Aber wenn wir diese Norm nicht nur de facto täglich brechen, sondern ihre Geltung und die Reflexion über sie auch formal aufgeben, dann verliert die Demokratie ihren tragenden Boden und kann, ehe wir’s uns versehen haben, wie ein Kartenhaus zusammenfallen. De facto sind die gegenwärtigen öffentlichen Debatten von derlei Überlegungen weit entfernt. Angesichts der vor allem ökonomischen, aber auch der kulturellen Globalisierung hat die politische Demokratie als normativer Bezugspunkt politischer Argumentationen de facto erheblich an Akzeptanz verloren. Das rührt zum einen an dem Verlust, den nationalstaatliche Demokratien hinsichtlich ihrer Macht und Reichweite seit längerem erlitten haben. Damit einher geht das häufig vorgetragene „Argument“, man könne nicht



Was trägt die Politische Theorie zur demokratischen Praxis bei? 

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mehr Gerechtigkeits- oder Freiheitsfragen stellen, weil der „globale Wettbewerb“ eine Alternative zur jeweils vorgetragenen Politik nicht erlaube. Wenn aber politische Alternativen nicht mehr diskutiert werden können, ist die Demokratie am Ende. Der Beitrag der Politischen Theorie in ihrer Form der Politischen Philosophie liegt deshalb ganz vorrangig darin, die Notwendigkeit und Möglichkeit argumentativer Begründung demokratischer Politik wach im Bewusstsein zu halten und gegen scheinargumentative Gegenmonopolisierungen offensiv zu vertreten. Meines Erachtens ist diese andauernde Vergegenwärtigung auch die Aufgabe von Politikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern in der öffentlichen Debatte, in der sie viel zu wenig das Wort ergreifen. 3. Wissenschaftstheorie Der dritte klassische Bereich der Politischen Theorie ist derjenige der Wissenschaftstheorie. In der westdeutschen Nachkriegspolitikwissenschaft hatte sich in dieser Hinsicht eine Einteilung in drei „Ansätze“ eingebürgert, die man in allen Einführungen in die Politikwissenschaft nachlesen konnte. Wir unterschieden zwischen dem normativ-ontologischen der Freiburger und z. T. der Münchner Schule, dem kritisch-dialektischen der Frankfurter Schule und dem empirisch-analytischen, den man in der Regel in Berlin oder Mannheim verortete. De facto haben diese Ansätze in der gegenwärtigen Politikwissenschaft wohl kaum noch ein Gewicht. Weitgehend durchgesetzt hat sich in der Konzentration auf Politikwissenschaft als Sozialwissenschaft der empirisch-analytische, der in erheblichen Verfeinerungen für alle quantitativen empirischen Studien stand. Für meine gegenwärtige Frage könnte es interessant sein, die Grundausrichtungen der drei Ansätze ins Gedächtnis zu rufen und nach ihren Beiträgen für demokratische Politik der Gegenwart zu fragen. Dem normativ-ontologischen, eher geisteswissenschaftlich und philosophisch ausgerichteten Ansatz war es wichtig, auf die existenzielle Dimen­ sion von Politik für das individuelle wie für das soziale Leben zu verweisen, Politik also nicht einfach als Sozialtechnologie zu begreifen, die einem sinnvollen Leben der Individuen äußerlich ist. Insofern hatte er eine Nähe zum „kritisch-dialektischen“, der in marxistischer Tradition Aufklärung und Ideologiekritik zu seiner Sache gemacht hatte und ebenfalls eine „positivistisch-technokratische“ Verengung von Politik und Politikwissenschaft ablehnte. Aber der normativ-ontologische hatte seine Referenz in der Antike und in einer philosophischen Tradition, der es um die gute politische „Ordnung“ ging. Das klang konservativ, musste aber in einem veränderten Kontext, wenn es z. B. darum ging, die Eigenständigkeit von Politik gegen an-

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onyme Marktmechanismen zu verteidigen, nicht konservativ ausfallen. Im Gegenteil, die normative Dimension des Politischen aufrechtzuerhalten, konnte und kann bis heute durchaus „revolutionäre“, auch reformistische, jedenfalls aber antikonventionelle Konsequenzen zeitigen. Genau darin sehe ich heute einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Politik. Er ähnelt demjenigen der Politischen Philosophie, die ja auch in der Tat mit diesem Ansatz weitgehend identisch war. Der kritisch-dialektische, der wie gesagt mit dem normativ-ontologischen Gemeinsamkeiten aufwies, war ursprünglich eng an die marxistische, z. T. hegelianische Tradition gebunden. Das zeigte sich vor allem in einer geschichtsphilosophischen Vorannahme, der zufolge die Geschichte prinzipiell einer Fortschrittsrichtung folgte, die es (z. B. durch Ideologiekritik und Entlarvung „falschen“ Bewusstseins) aufzudecken und dadurch zu unterstützen galt. Je mehr sich dieser Ansatz von dogmatischen Positionen fernhielt oder entfernte, desto anschlussfähiger wurde er zu den anderen Ansätzen aber auch als kritisches Ferment desto wichtiger. Hier erscheint mir mehr als in früheren Jahren die ideologiekritische Dimension für eine bessere politische Praxis wichtig, die die kaschierten Partikularinteressen hinter scheinbar gemeinwohlorientierten Positionen aufdeckt. Dies gilt m. E. insbesondere in Bezug auf die makroökonomischen Theorien, die in den letzten zwei Jahrzehnten zum Teil monopolistisch die wirtschaftspolitischen Diskussionen bestimmt und damit in fast allen Parteien die gleichen wichtigen Weichenstellungen bewirkt haben, ohne dass deren theoretische Brüchigkeit thematisiert worden wäre. So sehe ich denn auch ganz allgemein einen wichtigen Beitrag der Wissenschaftstheorie für gute demokratische Politik darin, die Voraussetzungshaftigkeit wissenschaftlichen Denkens im allgemeinen und bestimmter wissenschaftlicher Positionen im besonderen immer wieder herauszuarbeiten und für die Öffentlichkeit transparent zu machen. Der empirisch-analytische Ansatz schließlich hat sich in viele Verästelungen aufgefächert, die hier aufzuzählen den Rahmen dieses kleinen Essays überschreiten würde. Für ihn, der jetzt der dominierende geworden ist, gilt ebenso wir für den kritisch-dialektischen, dass er an die methodischen und methodologischen Prämissen aller wissenschaftlichen Positionen erinnern sollte, um der Verständigungsfähigkeit in der demokratischen Auseinandersetzung zu dienen. Nur wenn wir die Probleme und Schwächen unserer eigenen Positionen kennen, können wir zu einem sachlich haltbaren und fruchtbaren Kompromiss miteinander kommen. Dessen bedarf es jeden Tag und hier liegt ein weites Feld für den öffentlichen Beitrag von Politikwissenschaft in der Demokratie.



Was trägt die Politische Theorie zur demokratischen Praxis bei? 

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4. Einsichten zur Politische Kultur Mit dem berühmten Buch von Gabriel Almond und Sidney Verba „The Civic Culture“ setzte in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine bis heute ergiebige Diskussion über die kulturellen Voraussetzungen von politischen Systemen ein. Insbesondere Emigranten, die vor dem Na­ tionalsozialismus hatten fliehen müssen, bedrängte die Frage, warum in der Zwischenkriegszeit unter ähnlichen sozioökonomischen Bedingungen in Europa einerseits und in den USA, aber auch Großbritannien andererseits das Schicksal der Demokratien doch sehr unterschiedlich ausfiel. Die seit der Antike bekannte Einsicht in die kulturelle Abhängigkeit von politischen Systemen erhielt eine neue Brisanz. Die Forschungen zur Politischen Kultur verzweigten sich in sog. quantitative und qualitative Studien und brachten insbesondere beim Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit Vergangenheiten wichtige Erkenntnisse zutage. Auch die sog. Transformationsforschung beschäftigte sich intensiv mit den langwierigen Wirkungen tradierter Mentalitätsbestände, die dem systemgerechten Wirken der neuen Institutionen nach Diktaturen durchaus entgegenstanden. Wer von der Politikwissenschaft Hilfe für demokratische Politik erhofft, neigt in der Regel zu einem Akteurs-orientierten Ansatz. Dabei spielen die Einstellungen, psychischen Dispositionen und Interpretationsperspektiven der Bürger eine zentrale Rolle. Politische Theorie mit dem Schwerpunkt „Politische Kultur“ kann im Verbund mit der Politischen Psychologie die subjektiven Voraussetzungen für das Gelingen der Demokratie erhellen und einen Sinn für die Perspektivität von Vergangenheits- wie Gegenwartsinterpretationen wecken, der Verständigungen befördert. Natürlich sind psychische Genesis und faktische oder normative Geltung voneinander zu unterscheiden. Aber in einer Situation, in der niemand von uns eine „objektive“ Geltung für seine eigene Position einfordern kann, vermag die Einsicht in kulturelle Prämissen von politischen Entscheidungen oder Verhaltensweisen vor voreiligen Zuordnungen oder Verurteilungen zu schützen. Der Toleranz ist das jedenfalls bekömmlich. Und auch dem genaueren Verstehen des Gegenübers in Konfliktsituationen. Das gilt ganz besonders für den Umgang mit unseren unterschiedlichen Vergangenheiten. Nicht nur in Deutschland hat die Abfolge von diktatorischen zu freiheitlichen politischen Systemen die Frage nach dem Wandel einer diktatorischen in eine demokratische politische Kultur ins Zentrum des Interesses derer gerückt, die um eine solide Fundierung neuer Demokratien besorgt sind. Bedauerlicher Weise beherrscht diese Frage allerdings häufig nicht die öffentliche Debatte, der es mehr um die Herausstellung der Schuldigen und um Sündenbock-Suche geht. Die biblisch-archaische Sicht, dass die Sünden eines Kollektivs dadurch getilgt werden können, dass man sie

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auf einen Sündenbock lädt und den in die Wüste schickt, ist auch in modernen Gesellschaften lebendig. Sie wirkt entlastend, weil sie scheinbar – aber nicht wirklich! – von der Frage befreit, die jede Person an sich selbst richten und auch nur in redlicher Prüfung selbst beantworten kann: Wie habe ich selbst gehandelt, welche Motive haben mich bestimmt, welchen Anteil habe ich an der Schuld anderer, auf welche Normen können wir uns alle im Durchgang durch die Vergangenheit um einer besseren Zukunft willen einigen? Die Versuchung, im Kampf um politische Herrschaft und ideelle Hegemonie die Vergangenheit zu instrumentalisieren, ist in allen Gesellschaften groß. Aktuell halte ich sie für ein akutes Hindernis gegen die kulturelle Einigung in Deutschland. Dabei verlaufen die Grenzen nicht einfach zwischen Ost und West, sondern durchaus innerhalb beider Regionen. Politische Psychologie könnte dabei helfen, den Balken im eigenen Auge nicht zu übersehen, anstatt immer nur den Splitter des anderen zu thematisieren. III. Das zugrundeliegende Verständnis von Demokratie Meine Überlegungen und Erfahrungen über die Hilfe, die Politische Theorie demokratischer politischer Praxis bieten kann, sind erkennbar von einem bestimmten Demokratieverständnis ausgegangen, das nicht außergewöhnlich ist, das ich aber in seiner Akzentuierung am Ende explizit machen möchte. Systemisch setze ich die gewaltenteilige, rechts- und sozialstaat­ liche Demokratie voraus, in Deutschland die parlamentarische, der ich gegenüber der präsidialen und der semipräsidialen, wie wir sie z. B. in Polen oder in Frankreich finden, den Vorzug gebe. Diese Demokratie als politische Herrschaftsform verlangt viel von den Bürgerinnen und Bürgern. Auch wenn wir sie nicht als Tugend-Republik interpretieren wollen, setzt sie doch die Bereitschaft und die Kompetenz zur Partizipation auf allen Ebenen der Gesellschaft voraus. Die Entwicklung der letzten Jahre, Politik in Marktkategorien zu interpretieren und die Bürger als Kunden zu begreifen, die Parteiprogramme „kaufen“ wie ein Paar Schuhe oder auch wieder beiseitelegen und ansonsten an den Strand fahren, um sich zu sonnen, hat der Demokratie nicht gut getan. Glücklicherweise haben viele sich nicht danach gerichtet, wie die steigende Partizipation nicht in Parteien, aber in zivilgesellschaftlichen Organisationen zeigt. Ich bin also keineswegs pessimistisch. Aber wir stehen vor zunehmenden Herausforderungen, mit zunehmenden Chancen, wenn wir sie ergreifen. Schon jetzt, in Zukunft jedoch immer mehr scheint mir das Gelingen demokratischer Politik ganz vornehmlich von der Verständigungsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger abzuhän-



Was trägt die Politische Theorie zur demokratischen Praxis bei? 

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gen, und zwar weltweit. Sie schließt den Willen und die Fähigkeit zur gegenseitigen Verständigung ein, stellt also sowohl kognitive als auch emo­ tional-ethische Anforderungen an uns alle. Verständigungsbereitschaft halte ich in dem jetzt erreichten Stadium der Globalisierung für eine Bedingung des gemeinsamen und freiheitlichen Überlebens. Schon unsere nationalen Gesellschaften sind in den letzten Jahren immer vielfältiger geworden und diese Entwicklung wird zunehmen. In den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nahmen wir die Forderung nach Religionsfreiheit im Grundgesetz als eine Selbstverständlichkeit hin. Sie stellte uns nicht auf die Probe. Heute ist die Errichtung einer Moschee ein Politikum geworden, das ohne die Hilfe der Zivilgesellschaft und ohne eine vorherige Verständigung der Betroffenen nicht fraglos gelingt, mit ihr aber sehr gut gelingen kann, wie die Erfahrung in Duisburg zeigt. Bei alledem hat sich der Trend zur Individualisierung in den modernen Gesellschaften fortgesetzt ebenso wie die Lockerung familiärer Beziehungen, die immer schwerer mit der Arbeitswelt zu vermitteln sind. Das macht auch die generationsübergreifenden emotional begründeten Verpflichtungen und Verantwortungen porös. Wenn es uns gelingt, die politischen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen zu schaffen, die Familien in einem partnerschaftlichen Rollenverständnis ermöglichen, können wir eine freiheitliche Gegenbewegung zum aktuellen Trend begünstigen. Das erscheint mir als eine der vordringlichsten Aufgaben für den sozialen Zusammenhalt. Dennoch wird viel zur gegenseitigen Verständigung zu tun bleiben. Erst recht sind wir darauf im globalen Maßstab angewiesen, wenn wir nicht leichtfertig Konflikte vom Zaume brechen oder Missverständnisse begünstigen wollen, die Misstrauen sähen und das Mindestmaß an Vertrauen, das wir zur gewaltfreien Einigung brauchen, zerstören. Wir haben die Wahl zwischen einem Teufelskreis oder einer selbststärkenden positiven Entwicklung. Theoretisch fällt die Antwort sicher leicht. Praktisch fordert sie tagtägliche Bemühungen, an der sich so viel Menschen wie möglich beteiligen müssen, damit sie gelingen. Diese vorrangige Frage hat mich geleitet, als ich die Beiträge ausfindig zu machen versucht habe, die die Politische Theorie für demokratische Politik leisten kann. In der Praxis kommt es allerdings darauf, dass wir aus eigenem Impetus dementsprechend handeln!

Politische Theorie in der Demokratie Von Julian Nida-Rümelin* I. Demokratie 1.  Was Demokratie nicht ist: 1.1.  Kollektive Entscheidungen spielen eine wichtige Rolle in der Demokratie. Die Demokratie erschöpft sich jedoch keineswegs in spezifischen, eben „demokratischen Entscheidungsverfahren“. Die bloße Tatsache, dass eine Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen über die Grundausrichtung der Politik in Volkswahlen entscheidet, erfasst nur einen Teilaspekt der normativen Substanz der Demokratie. Wichtiger ist, dass Regierungswechsel in der Demokratie unblutig, ohne Gewaltanwendung möglich sind. Man stelle sich ein ethnisch zweigeteiltes Land vor, dessen größere Ethnie 60 % und dessen kleinere 40 % ausmacht. Wenn beide Ethnien politisch, etwa über eine Partei organisiert sind, ist das demokratische Prinzip des unblutigen Machtwechsels bei dominanter Interessenlage der jeweiligen Gemeinschaftszugehörigkeit unterbunden. Unter solchen Bedingungen kann auch die formale Geltung des Mehrheitswahl-Prinzips keine demokratische Ordnung garantieren. Darüber hinaus erfüllt das Mehrheitswahl-Prinzip nicht einmal Minimalbedingungen kollektiver Rationalität. Dieses Problem wird seit dem Ende des 18.  Jahrhunderts (Condorcet-Paradoxon) diskutiert, und unterdessen konnte mit den Mitteln der logischen Analyse gezeigt werden, dass es überhaupt kein Verfahren kollektiver Entscheidungsfindung gibt, das simultan die Voraussetzungen für kollektive Rationalität erfüllt. Das ist der Inhalt des Theorems von Kenneth Arrow1. 1.2.  Auch der gewaltlose Eliten-Austausch à la Schumpeter garantiert noch keine demokratische Ordnung. Wie problematisch eine Fokussierung auf die Eliten-Auswahl ist, zeigt das französische Beispiel. 1.3.  Die Mehrheitswahl-Regel ist allerdings mehr als nur eine mehr oder weniger beliebige Form der Konfliktbeilegung. Nicht zufällig spielt sie schon *  Der folgende Text beruht auf der Nachschrift des auf der DGEPD-Tagung frei gehaltenen Vortrags. Die thesenartige Form wurde in der schriftlichen Fassung beibehalten. 1  Vgl. Julian Nida-Rümelin / Lucian Kern: Logik kollektiver Entscheidungen. Mün­chen / Wien 1994, Kapitel 3.

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bei den Klassikern eine bevorzugte Rolle, um auf der Basis eines grundlegenden, institutionellen und normativen Konsenses verbleibende Interessen- und Meinungskonflikte aufzulösen. Die logische Analyse kollektiver Entscheidungen hat gezeigt, dass die einfache Mehrheitswahl-Regel die einzige Form der Präferenzen-Aggregation ist, die zwei für die Demokratie attraktive normative Bedingungen erfüllt, nämlich Anonymität und Neutralität. 2.  Demokratie ist nicht durch (demokratische) Verfahren kollektiver Entscheidungsfindung, sondern vor allem durch die Zuschreibung individueller Rechte, die Individuen als Menschen und als Bürger zukommen, konstituiert. 2.1.  Im Mittelpunkt der normativen Ordnung steht die Idee der gleichen Würde und die Verpflichtung zu gleichem Respekt. 2.2.  Dieser humanistische Kern der Demokratie hat Autonomie als regulative Idee: die Fähigkeit, nach eigenen Regeln ein Leben selbst-verantwortlich zu gestalten, und die Pflicht der staatlich-juridischen Ordnung, sich Interventionen zu enthalten, die diese Autonomie gefährden könnten, sowie andere an Interventionen zu hindern (Drittwirkung), welche die individuelle Autonomie gefährden könnten. Auch wenn die Grundrechte primär Abwehrrechte gegenüber dem Staat sind, so entfalten sie ihre, die demokratische Lebenswelt prägende Kraft erst über die juridische Ordnung als ganzer. Die Bestimmungen des Straf- und Zivilrechts sind normativ gebunden an die Zuschreibung individueller Rechte an Individuen als Menschen und Bürger. 2.3.  Die minimalistische Schrumpfform der Demokratie kennt nur Abwehrrechte (negative Rechte) und entfaltet daher keine bürgerschaftliche Bindungskraft. Der liberale Nachtwächterstaat des 19.  Jahrhunderts und die libertären zeitgenössischen Nachfolger (Nozick, Hayek) scheitern am notwendigen Loyalitätsverhältnis zwischen Bürgerschaft und demokratischem Staat. Erst die Dimension positiver Rechte (Anspruchsrechte), die dem Staat eine Garantenpflicht auferlegen, in den Grenzen seiner Möglichkeiten die Bedingungen eines gleichermaßen selbstbestimmten Lebens zu etablieren, lässt eine Bürgerschaft (Citoyenneté) entstehen. Die staatliche Daseinsvorsorge in den Kommunen, die staatlichen Infrastrukturen, Bildungs- und Kulturangebote beruhen normativ auf der Komplettierung negativer Freiheitsrechte durch positive Anspruchsrechte und konkretisieren diese. 3.  Die individuelle Freiheit ist in der Demokratie immer gleiche Freiheit. Diese beiden normativen Orientierungen der Freiheit und Gleichheit sind nicht unabhängig voneinander, sondern begrifflich und kriterial verkoppelt. Die demokratische Gleichheit ist deontologisch verfasst, sie zeigt sich nicht in den Ergebnissen (faktische Verteilungen), sondern im gleichen Status der



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Bürgerinnen und Bürger (unabhängig von Religion, Herkunft, Hautfarbe…) und dem staatlichen Gleichbehandlungsgebot. 3.1.  Diese deontologisch verfasste Gleichheit hat nicht nur eine juridische Gestalt in Form von Gesetzen und Verordnungen, sondern muss lebensweltlich in der moralischen und kulturellen Praxis verankert sein. Die Demokratie ist nicht nur eine Staatsform, sondern auch eine Lebensform. 3.2.  Die staatlichen Institutionen einer Demokratie sind an die deontologische Gleichheit gebunden, die sich in erster Linie im Gleichbehandlungsgebot niederschlägt. Dieses Gleichbehandlungsgebot hat zweifellos auch Verteilungswirkungen, nämlich dort, wo der Staat verteilend tätig wird. Die Realisierung des deontologischen Gleichbehandlungsgebots lässt sich jedoch nicht an bloßen Verteilungskriterien messen. Demokratische Gleichheit ist nicht konsequentialistisch, sondern deontologisch zu verstehen.2 3.3.  Demokratische Gleichheit beinhaltet Inklusion, die Einbeziehung jeder Person, die in dieser demokratischen Ordnung als Bürger / in lebt. 4.  Die demokratische Ordnung kann man daher als ein Institutionengefüge verstehen, das einerseits auf bürgerschaftlicher Kooperation beruht und andererseits diese fördert. In der Demokratie besteht zwischen bürgerschaftlicher Kooperation und staatlicher Institution ein wechselseitiges Stützungsverhältnis. Dieses wechselseitige Stützungsverhältnis ist zusammen mit dem Prinzip der gleichen (deontologisch verfassten) Freiheit und der Rolle der Mehrheitswahl-Regel das normative Fundament einer demokratischen Ordnung. 4.1.  In der politischen Theorie äußert sich die zentrale Rolle der Kooperation in Gestalt kontraktualistischer Rechtfertigungsmodelle von Thomas Hobbes bis John Rawls. Der Kontraktualismus macht das Kooperationsverhältnis zum normativen Zentrum der politischen Ordnung. Er kann damit wesentliche Elemente demokratischer Institutionen erfassen, blendet aber systematisch sowohl den solidarischen als auch den deliberativen Aspekt der Demokratie aus. Der Kontraktualismus im engeren Sinne führt jede politische Legitimation auf den je individuellen Interessenstandpunkt zurück. Der Kontraktualismus im weiteren Sinne, für den insbesondere der kantianisch inspirierte Kontraktualismus steht (Rawls, Scanlon), rekonstruiert über das Kooperationsparadigma ethische Kriterien wie Fairness und Gerechtigkeit. 4.2.  Auch die Mehrheitswahl-Regel kann man als Kooperationslösung rekonstruieren.3 2  Vgl. Julian Nida-Rümelin: Philosophie und Lebensform, Frankfurt am Main 2009, Kap. „Deontologischer Egalitarismus“. 3  Vgl. Julian Nida-Rümelin: Demokratie als Kooperation. Frankfurt am Main, 1999.

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4.3.  Allen kontraktualistischen Entwürfen der politischen Theorie gemeinsam ist die These, dass die Legitimität der politischen Ordnung in letzter Instanz von einem vernünftigen Konsens aller ihr Angehörenden abhängt. 5.  Keine Demokratie ohne Deliberation. Das öffentliche Vorbringen von Gründen für und wider eine politische Maßnahme, ein Gesetz, eine Institution, einen Vertrag ist essentieller Teil der demokratischen Ordnung. Ein Teil der politischen Theorie argumentiert dagegen, dass die faktische Rolle, die deliberative Prozesse in den Demokratien spielen, eine Art Mimikry seien, dass es in Wirklichkeit um Bargaining-Prozesse, um das Aushandeln von Interessensstandpunkten gehe oder um Klassenkampf oder kulturelle Identität. Wir lebten dann in einem politischen Illusionstheater, das, je nach zugrunde gelegter Theorie, die realen politischen Prozesse verbirgt. Ich glaube das nicht. Wir können das als Beteiligte nicht glauben. Ich habe ausführlich dafür argumentiert (in „Demokratie und Wahrheit“ 2006), dass wir keinen Grund haben, die Praxis des öffentlichen Austausches von Gründen zu dispensieren. Eine derartige „Irrtumstheorie“ nicht nur der Moral (John Mackie), sondern auch der Politik wäre gezwungen, einen objektiven (archimedischen) Standpunkt außerhalb der Lebensform, an der wir teilhaben, zu postulieren. Diesen Standunkt gibt es nicht. 5.1.  In der politischen Praxis, zumal im deutschen Parlamentarismus, aber auch in den internen Entscheidungsprozessen von Ministerien, spielt die Deliberation, das Abwägen von Gründen pro und contra, eine wichtige Rolle. Die Ergebnisse der Anhörungsverfahren spiegeln nicht lediglich die Interessenlagen der Fraktionen wider, und sie fließen in die Gesetzgebung ein. Die besseren Argumente in den Ausschussberatungen modifizieren politische Positionen (insbesondere in nicht-öffentlichen Sitzungen). 5.2.  Der öffentliche Raum der Gründe, das public reasoning, ist schon deswegen ein zentrales normatives Element demokratischer Ordnungen, weil der bloße Austrag von Interessenkonflikten keine Identität stiftet. In der Terminologie von John Rawls schafft erst der geteilte Gerechtigkeitssinn die Bereitschaft, sich an der politischen Praxis in der Demokratie zu beteiligen und sich loyal gegenüber den Institutionen zu verhalten (compliance). Für den späten Rawls ist es nicht so sehr der rationale Konsens unter Fairness-Bedingungen, sondern das Phänomen des public reasoning mit dem Ziel eines overlapping consensus, der die demokratische Ordnung aufrecht erhält. 5.3.  Es wäre selbstverständlich illusionär anzunehmen, dass Interessen­ lagen keinen Einfluss auf die politische Meinungsbildung hätten. Je intensiver der deliberative Prozess, desto eher wird der reine Interessenstandpunkt überwunden, da er der argumentativen Stärke abträglich ist. Der Übergang vom bourgeois zum citoyen bleibt auch dreihundert Jahre nach Jean-Jacques



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Rousseau ein konstitutives Merkmal der „sittlichen Körperschaft“ Republik bzw. Demokratie. 5.4.  Je größer der Einfluss wissenschaftlich-technischer Entwicklungen auf die Gesellschaft und damit auf die politische Ordnung ist, desto wichtiger ist es, dass die öffentliche Deliberation von den einschlägigen Ergebnissen wissenschaftlicher Disziplinen imprägniert ist, dass sie wissenschaftliche Befunde integriert. Dies setzt von Seiten der Bürgerschaft eine Offenheit und ein Interesse an wissenschaftlicher Forschung voraus und von Seiten der Wissenschaft die Bereitschaft zum Transfer des Spezialistenwissens in öffentlich verwertbares, überprüfbares und verständliches (demokratisches) Wissen. II. Politische Theorie in der Demokratie 6.  Die politische Theorie ist eine Disziplin zwischen Politikwissenschaft und Philosophie. 6.1.  Die politische Theorie ist gewissermaßen die Nabelschnur, die die Politikwissenschaft mit ihrer Mutterwissenschaft, der Philosophie, verbindet. Hier gleicht die Disziplin der politischen Theorie der Rechtsphilosophie in der Jurisprudenz oder der Logik in der Mathematik. 6.2.  So wie die Philosophie als Ganze ist die politische Theorie eine spezielle Orientierungs-, Integrations- und Residualwissenschaft. Orientierungswissenschaft, insofern sie – wissenschaftlich und lebensweltlich – Orientierung in praktischer und theoretischer Hinsicht bietet. Philosophie ist eine Brücke zwischen Einzelwissenschaften und Lebenswelt. Integrationswissenschaft, insofern sie die einzelwissenschaftlichen Befunde integriert zu einem Gesamtbild des Politischen. Residualwissenschaft, insofern die erfolgreichsten philosophischen Ansätze oder Forschungsprogramme auswandern und eine eigenständige, eben einzelwissenschaftliche Disziplin bilden. Das gilt zum Beispiel für die collective choice-Theorie. Der Philosophie generell und der politischen Theorie als Teil der Philosophie bleiben die schwierigsten Fragestellungen, die sich einer methodisch gesicherten, einzelwissenschaftlichen Klärung entziehen. Zum Beispiel die Frage nach dem Wesen des Politischen oder des Normativen, wozu im ersten Teil des Vortrages einige Stichworte gegeben wurden. 6.3.  Politische Theorie ist aber auch integraler Bestandteil des politikwissenschaftlichen Faches. Hier geht es um die Bestimmung des Gegenstandes der Politikwissenschaft, um die Orientierung politikwissenschaftlich informierter Praxis, um die Integration empirischer politikwissenschaftlicher Befunde und normativer Fragen der politischen Ordnung.

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7.  Politische Theorie hat eine historische Dimension. 7.1.  Die politische Theorie ist gewissermaßen die institutionalisierte Selbstaufklärung des politikwissenschaftlichen Faches und vergegenwärtigt seine Genese. Die historischen Kräfte, die die Politikwissenschaft in ihrer Entwicklung bestimmen, bleiben in der Politischen Theorie präsent. 7.2.  Die Politische Theorie bleibt als geisteswissenschaftliches Pendant empirisch betriebener Politikwissenschaft unverzichtbar. Sie hält die Geschichte des politischen Denkens präsent. Die Paradigmen politischer wie politikwissenschaftlicher Diskurse gehen im Regelfall auf Klassiker des politischen Denkens zurück. Der zeitgenössische Kommunitarismus ist ohne Kenntnis aristotelischer und hegelianischer Denkfiguren unverständlich. Der wichtigste Gerechtigkeitstheoretiker des 20.  Jahrhunderts, John Rawls, schöpft seine Ressourcen aus der Wohlfahrtsökonomie, in erster Linie aber aus Kants politischer Philosophie, er bezieht aber auch Impulse von Locke und Rousseau mit ein. 7.3.  Die politische Ideengeschichte ist für die Politische Theorie nicht Selbstzweck, sondern dient der systematischen Klärung und dem besseren Verständnis der historischen Genese heutiger politischer Ordnungen. Politische Theorie ist (auch) eine Geschichte der Philosophie, fokussiert auf die Befassung mit Phänomenen des Politischen in systematischer Absicht. 8.  Die Politische Theorie repräsentiert die kulturelle Dimension des Politischen. 8.1.  Es ist noch nicht lange her, dass der Sieg des sogenannten Realismus der internationalen Beziehungen endgültig erschien und die idealistischen Entwürfe von nur mehr historischem Interesse waren. In Gestalt des sogenannten Konstruktivismus der internationalen Beziehungen erleben wir gegenwärtig eine Wiederentdeckung der kulturellen Dimension der internationalen Beziehungen. Internationale Akteure sind eben nicht lediglich Interessen-Maximierer, wobei dieses Interesse – wie auch immer methodisch gesichert – das der Nationalstaaten sein soll, sondern sie bilden eine eigene, kulturell verfasste Identität mit massiven normativen Implikationen aus. Wenn die historische und kulturelle Dimension politischer Praxis ausgeblendet wird, dann bleibt nur eine Schrumpfform, eine Modellversion des Politischen, die sich zwar spieltheoretisch beschreiben lässt, aber die Realität unzureichend erfasst. 8.2.  Die Politikwissenschaft in der Tradition, wie sie etwa Eric Voegelin in München etabliert hat, verstand das Politische als Teilaspekt geistiger und kultureller Prozesse. Dementsprechend galt die kulturelle Verfasstheit einer politischen Gemeinschaft als wesentliches Bestimmungselement politischer Rationalität. Die Auseinandersetzung mit den Zeugnissen der kulturellen Ent-



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wicklung ist für eine so verstandene Politikwissenschaft zentral. Die Gefahr dieser Methodik war die Uferlosigkeit politikwissenschaftlicher Analyse. Historische, religionswissenschaftliche, kulturwissenschaftliche, ethnologische, philosophische, literaturwissenschaftliche Studien schienen gleichermaßen politikwissenschaftlich relevant zu sein. Das Gegenmodell zu dieser Uferlosigkeit aber läuft Gefahr, die Politikwissenschaft, gekappt um die kulturelle Dimension ihres Gegenstandes, bis zur Irrelevanz zu schrumpfen. 8.3.  Die kulturelle Dimension des Politischen kehrt, so scheint es mir, als das soeben erst Verdrängte zurück. Die Prophezeiung einer nach dem OstWest-Konflikt befriedeten kapitalistisch-liberalen Welt ohne Geschichte und ohne Staatlichkeit, in der die politische Praxis in governance und die kulturelle Dimension in Marktbeziehungen überführt wird, hat sich nicht bewahrheitet, ja in ihr Gegenteil verkehrt. Die neuen Kriege sind immer öfter Identitäts- und Kulturkriege. Eine Politikwissenschaft, welche die kulturelle Dimension des Politischen ausblendet, verfehlt ihren Gegenstand. 9.  Das Politische hat eine normative Dimension. 9.1.  Für Platon war die politische Gerechtigkeit oberste Tugend. Gleiches gilt für John Rawls, der jeder platonistischen Tendenz unverdächtig ist. Eine Politikwissenschaft, die das Phänomen des Gerechtigkeitssinns ausblendet, ist auch als empirische Disziplin lückenhaft. Eine Politikwissenschaft, welche die normativen Kriterien für Gerechtigkeit für irrelevant hält, wird zumindest außerhalb der Akademia irrelevant. 9.2.  Die zeitgenössische politische Theorie ist zu wesentlichen Teilen Selbstaufklärung der Demokratie. In der Politischen Theorie vergewissert sich eine demokratische Ordnung mit wissenschaftlichen Methoden ihrer eigenen normativen Fundamente, sie vergewissert sich der Angemessenheit oder Unangemessenheit ihrer Praxis, sie stellt sich normativen Wahrheitsansprüchen. Die Politische Theorie in der Demokratie schlägt eine Brücke zwischen bürgerschaftlichem Bewusstsein, öffentlicher politischer Deliberation und wissenschaftlicher Analyse. 9.3.  Ohne normative Dimension, ohne die Thematisierung normativer Fragen der politischen Ordnung, der politischen Institutionen, der politischen Praxis verliert die Politikwissenschaft ihre Orientierungsfunktion gegenüber der Politik, den politischen Institutionen, der politisch interessierten Bürgerschaft. Ohne normative politische Theorie bliebe angewandte Politikwissenschaft instrumentell, vordergründig, marginal. Neben Jurisprudenz und Ökonomie kann sich die Politikwissenschaft als Instanz politischer Beratung nur behaupten, wenn sie normativ kompetent ist.

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10.  Die politische Theorie hat eine analytische Dimension. 10.1.  Collective Choice bildet einen wichtigen Teil der politischen Theorie und arbeitet ausschließlich mit analytischen Methoden der formalen Logik, der Relationentheorie, der Mathematik. Hier wird nicht die Empirie politischer Entscheidungsfindung untersucht, sondern die logischen Implikationen, die (unverzichtbare oder normativ attraktive) Postulate der kollektiven Entscheidungsfindung haben. Obwohl dieser Teil der politischen Theorie streng a priori, eben analytisch, vorgeht, ist er von großer Relevanz sowohl für die empirische Untersuchung von Entscheidungsprozessen, etwa in Parlamenten, als auch für die normative Theorie des Politischen. Die Tatsache etwa, dass es kein Verfahren der Aggregation individueller Präferenzen zu kollektiven Entscheidungen gibt, das die Bedingungen (1) der Präferenzensouveränität, (2) der Pareto-Effizienz (also der Umsetzung von allgemein geteilten Präferenzen in politische Entscheidungen) und (3) der Irrelevanz zusätzlich auftretender Alternativen für die Rangfolge der bisherigen gibt, das (4) nicht diktatorisch ist, rückt die empirischen Prozesse parlamentarischer Entscheidungsfindung in ein neues Licht. Es stellt aber auch eine Herausforderung für die normative politische Theorie der Demokratie dar. 10.2.  Die analytische Dimension der politischen Theorie bezieht sich jedoch auch auf den Bereich der politischen Inferenzen, etwa die Begründungen politischer Praxis durch programmatische Festlegungen. Auch die Analyse politischer Rhetorik gehört zur politischen Theorie. Die Praxis der Deliberation (public reasoning) ist ein essentielles Merkmal politischer Ordnung. Die politische Theorie verfügt über die Ressourcen, diese Praxis zu analysieren, politische Argumente (rational) zu rekonstruieren und sie mit wissenschaftlichen Befunden zu konfrontieren. 10.3.  Das programmatische Konzept der Politischen Theorie als Ordnungswissenschaft wurde in den vergangenen Jahren transformiert zur normativen politischen Theorie und zur Philosophie der Gerechtigkeit, die im Argumentationsstil analytisch ist, aber inhaltlich aus den Quellen der Klassiker des politischen Denkens der europäischen Aufklärung, zumal Immanuel Kants schöpft.4

4  Zu nennen wären neben John Rawls auch Thomas Nagel, Onora O’Neill, Christine Korsgaard, David Gauthier, Robert Nozick, Thomas Scanlon, Thomas Pogge u. v. m. Die in dieser Aufzählung offenkundige Verschiebung der normativen politischen Theorie der Gegenwart in den angelsächsischen, zumal den nordamerikanischen Raum, ist unverkennbar, allerdings auch die auf den ersten Blick überraschende Verbindung von analytischer Methodik und Neo-Kantianismus.



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III. Drei Bemerkungen zum Schluss 1.  Die aktuelle Umformung der Universitäten birgt die Gefahr der Vertreibung der geisteswissenschaftlichen Anteile aus einer Politikwissenschaft, die sich in der social science-Tradition in toto verortet. Es gibt aber auch eine Chance, nämlich die neuen interdisziplinären MA-Studiengänge, die dem Fach Politische Theorie zwischen geistes- und sozialwissenschaftlicher Fakultät neue Perspektiven eröffnen. Damit könnte der Marginalisierung der Politischen Theorie in den politikwissenschaftlichen Instituten entgegengewirkt werden. 2.  Auffällig ist, dass die politische Philosophie in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten gegenwärtig eine Boom-Phase erlebt. Die Philosophie sollte dies nicht im Sinne einer Rückholung nutzen, sondern sich als Grundlegungs- und Orientierungs- und Brückendisziplin, in diesem Fall zur Politikwissenschaft, verstehen. 3.  Die Politikwissenschaft selbst sollte darum besorgt sein, dass sie die historische, kulturelle, normative und analytische Dimension ihres Gegenstandes nicht verliert. Daher muss die politische Theorie auch in Deutschland integraler Bestandteil der Politikwissenschaft bleiben.

Demokratie ist Politik in ihrer besten Verfassung1 Von Volker Gerhardt 1.  Ein großes Wort. „Demokratie ist die schlechteste Form aller Verfassungen, ausgenommen alle anderen.“2 Winston Churchills brillantes Bonmot über die Demokratie ist unüberbietbar. Es kleidet das höchste Lob für die beste Form, die in der mehrtausendjährigen Geschichte der Politik für die Verfassung von Staaten je gefunden worden ist, in ein bescheiden klingendes Understatement, das überdies von der Erwartung getragen scheint, es könne sich eines Tages noch etwas Besseres finden. Churchills Aphorismus hat den Vorzug, dass er die Unzulänglichkeit der Demokratie an die erste Stelle rückt. Diese Staatsform hat Mängel, die bereits aus dem hohen Anspruch resultieren, der in ihrem Titel liegt. Sie verspricht Herrschaft für und durch das Volk und setzt dabei eine Einheit des Volkes voraus, die sie erst herzustellen und immer wieder neu zu sichern hat. Die Gegensätze, die sie dabei unablässig überwinden muss, schlagen sich in Unmut und Enttäuschung nieder. Der damit verbundene Widerspruch gehört auch deshalb notwendig zur Demokratie, weil sie ihn braucht, um zu erkennen, welche Aufgaben sie zu erledigen hat. Nur so hat sie die Chance, ihrem Anspruch gerecht zu werden. Rechnet man die Unzulänglichkeiten aller menschlichen Einrichtungen hinzu, werden die in Demokratien lebenden Menschen vermutlich immer genügend Gründe haben, sich über die Defizite ihrer Institutionen, über die Kompetenz- und Charakterschwächen ihrer Politiker sowie über die Ineffizienz ihrer Verwaltung zu beklagen. Und wenn sie ehrlich sind, werden sie zugeben, dass auch sie selbst als Bürger nicht selten zu schwach sind, den Ansprüchen der Demokratie zu genügen. Je stärker aber die Neigung ist, von der eigenen Schwäche abzulenken, umso größer ist das Bedürfnis, dem System die Schuld an den schlechten 1  Deutsche Fassung des unter dem Titel Democracy is politics in it’s best constitution am 16. August 2010 bei der Summer School der Zeit-Stiftung Gerd und ­Ebelin Bucerius in Hamburg gehaltenen Vortrags. 2  „It has been said, democracy is the worst form of government except all the others that have been tried.“

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Verhältnissen zu geben. Also wird der Unmut der Unzufriedenen vorrangig auf der Demokratie abgeladen. Diese Lage wird von Churchill als selbstverständlich vorausgesetzt. Sie lässt uns verstehen, dass es ihm bei der Platzierung der Demokratie auf dem untersten Rang nicht allein um eine witzige Pointe geht: Angesichts ihres hohen Selbstanspruchs schneidet die Demokratie vor sich selbst immer am schlechtesten ab. 2.  Ein versteckter Optimismus. Der Witz in Churchills Diktum besteht in der scheinbar beiläufigen Ergänzung, dass sie als die schwächste aller Regierungsformen darin immer noch besser als alle anderen ist. Eine der Demokratie überlegene Staats- oder Regierungsform hat es bis heute nicht gegeben. Die klassischen Konkurrenten, nämlich Monarchie und Aristokratie, einschließlich ihrer Verfallsformen von Tyrannis und Oligarchie, sind um keinen Deut besser als die Demokratie. Im Gegenteil: Die bislang bekannten und hundertfach erprobten Alternativen haben weitaus größere Nachteile. Und da Churchill seine Äußerung in Kenntnis der Verfassungsvielfalt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tut, darf man hinzufügen, dass die Demokratie in seinen Augen nicht nur den herrschenden Diktaturen und Einparteiensystemen seiner Epoche, sondern auch den zu seiner Zeit diskutierten technischen Expertokratien3 oder den wiedererstandenen Modellen traditionaler Gesetzesherrschaft4 überlegen ist. Heute könnten wir hinzufügen, dass dies auch für die Formen staatsfreier Governance, autokratischer Basisspontaneität oder globaler NGO-Aktivitäten zutrifft, sofern sie ohne demokratische Legitimation operieren. Die stärkste Pointe in Churchills Diktum aber kann man darin sehen, dass er die Demokratie, gerade indem er sie als die schwächste Staatsform apostrophiert, tendenziell für überbietbar, zumindest für verbesserungsfähig ansieht. Tatsächlich lebt alle Politik von der Erwartung, dass sie das Leben erträglicher, sicherer, berechenbarer, gerechter und vielleicht sogar angenehmer macht. Die Fortschrittskritiker können mit noch so guten Argumenten aufwarten; man wird ihnen immer nachweisen können, dass sie zumindest mit der Wirkung ihrer Kritik auf Fortschritte im Verständnis und im Verhalten der Menschen rechnen. So ist es auch mit der Politik, die von der Hoffnung lebt, dass sich ihre Programme realisieren lassen und ihre Projekte wenigstens so erfolg3  Ich verweise auf Autoren wie Carl Schmitt, Otmar Spann, Hans Freier, Ernst Jünger und andere. 4  Prominent in USA und in Deutschland: Leo Strauss.



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reich sind, dass sie den nachfolgenden Generationen Chancen offenhalten. Keine andere menschliche Tätigkeit stimuliert sich selbst so nachhaltig durch das Versprechen einer Bewältigung bestehender Probleme wie die Politik. Wenn das so ist, kann auch die Form, in der sich die technische und praktische Umsetzung der politischen Versprechen vollzieht, nämlich die Politik selbst, von dem Versprechen nicht ausgenommen sein. Also wäre es gegen jede politische Vernunft, die derzeit erreichte Form des politischen Handelns, von der jeder weiß, dass sie viele Fehler aufweist und immer neue Mängel zu erkennen gibt, als die absolut beste Verfassung fest­ zuschreiben. Auch die Demokratie muss eine Zukunft haben, die über sie ­hinausweist. Deshalb wäre es wenig überzeugend, wenn Churchill einfach gesagt hätte, was sein Aphorismus der Sache nach tatsächlich besagt: nämlich dass die Demokratie im Vergleich mit allen bislang erprobten und diskutierten Staatsformen einfach die beste ist. Er hätte sich als Ideologe bloßgestellt, der wider besseres Wissen etwas als das Beste behauptet, was angesichts der offenkundigen Defizite mindestens verbesserungsfähig sein muss. 3.  Eine positive Fassung von Churchills Einsicht. Es liegt mir fern, als Ideologe der Demokratie aufzutreten. Trotzdem wage ich es, Churchills Diktum eine positive Fassung zu geben, die zwar langweiliger klingt, aber auf eine Pointe ganz anderer Art berechnet ist. Ich sage daher: „Demokratie ist Politik in ihrer besten Verfassung.“ Es sind, wie sich zeigen wird, vornehmlich historische und politischtheoretische Gründe, die hinter der sprachlichen Wendung ins Positive stehen. Es gibt aber auch aktuelle politische Anlässe, die es geraten erscheinen lassen, ein wenig offensiver für die Demokratie einzutreten. Von diesen Anlässen seien nur einige wenige genannt, ehe die Skizze der historischsystematischen Gründe für die These folgt, der zufolge die Demokratie tatsächlich als die beste aller bisher erprobten Regierungsformen bezeichnet werden kann. Seit dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in den nunmehr konkurrenzlos auftretenden westlichen Demokratien macht sich eine bisher schon viel kommentierte Demokratiemüdigkeit breit. Nachdem die – zumindest von manchen Intellektuellen so empfundene – Herausforderung durch die totalitäre Systemalternative der kommunistischen oder sozialistischen Einparteiendiktatur entfallen ist, erscheint vielen Kommentartoren die Demokratie immer weniger attraktiv. Anstatt zu erkennen, dass nach dem Wegfall der kommunistischen Staaten der Weg zu einer gemeinsamen Bewältigung der großen globalen Prob-

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leme endlich frei ist,5 so dass man die drängenden ökologischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Aufgaben unbelastet von der die Politik seit zweieinhalbtausend Jahren lähmenden Frage nach der besten Verfassung angehen kann, beginnt bei jedem größeren Hindernis des politischen Handelns das Spiel von Neuem und man tut so, als ob es zur Demokratie eine aussichtsreiche Alternative gäbe. Ganz gleich, ob es den Umgang mit der atomaren Bedrohung betrifft, ob es um neue Lösungen für die Energieversorgung, die Schonung der Umwelt, die Linderung der Weltarmut, um Maßnahmen zur Abwehr der Klimakatastrophe oder um die Eindämmung des Terrorismus geht: In allen Fällen sind angebliche Experten zur Stelle, die erklären, die Demokratie bekomme die Probleme nicht in den Griff und müsse durch etwas Besseres ersetzt werden. Auch die jüngste Finanzkrise hat einen neuen Schub öffentlich vorgetragener Zweifel mit sich gebracht: Man brauche weniger Politik, dafür aber mehr kompetente Verwaltung. Die globalen Geld- und Warenströme, so heißt es, ließen sich nicht länger durch Regierungen lenken, denen der internationale Horizont, die Nähe zur Ökonomie und der überlegene Sachverstand fehlen. Demokratien seien den nationalen Präferenzen sowie den kurzsichtigen sozialen Optionen ihrer provinziellen Wählerschaft unterworfen. Eingeengt durch die schmalen Zeitfenster ihrer Legislaturperioden seien sie zum Opportunismus gegenüber wechselnden Mehrheiten verdammt. Folglich seien sie den weltweit operierenden Banken und Konzernen hilflos ausgeliefert. Ferner ist zu hören, die Art, in der Demokratien ihr Leitungspersonal auswählen, biete keine Gewähr dafür, dass für die politischen Ämter die fähigsten Menschen gefunden werden. Schließlich wird auf die Politikmüdigkeit der Bürger verwiesen, die angesichts der sich anhäufenden ungelösten Probleme nur zu verständlich seien. Am Ende ist man dann bei der Frage, ob die Demokratie denn auch das Richtige für Entwicklungsländer ist. Wer dieser Frage eindeutig mit Ja oder Nein beantwortet, versteht wenig von Politik und noch weniger von der Demokratie. Demokratien setzen hochkomplexe gesellschaftliche Strukturen voraus, die in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern gar nicht gegeben sind. Diese Länder brauchen Zeit, geduldigen Beistand, nachsichtige Kooperation sowie die Rücksicht auf ihre Geschichte und ihre Eigenart. Aber ihre Zukunft liegt ebenfalls in der Demokratie, möglichst in einer, die es lernt, ihre unvermeidlichen Selbstzweifel produktiv zu machen. 5  Dazu: Volker Gerhardt, Die Politik und ihre Zukunft, in: H. Fleischer (Hrsg.), Der Marxismus in seinem Zeitalter, Reclam-Verlag Leipzig 1994, 185–200.



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4.  Demokratiekritik als Flucht vor den Problemen. Man braucht nur die vorrangigen Fragen der weltpolitischen Agenda aufzuzählen, um zu verstehen, warum sich die Bürger von einer politischen Ordnung abkehren, die ausschließlich in ihren Namen und ihrem Interessen tätig sein sollte: Die Schuldenlast der öffentlichen Haushalte, die schwindende Handlungsfähigkeit der politischen Organe, die zu den alten neu hinzukommenden sozialen Gegensätze, der jedes Schamgefühl verletzende Abstand zwischen Arm und Reich, die schier unüberwindbaren Probleme, die sich aus der ethnischen, religiösen und kulturellen Vielfalt der längst auf Einheit angewiesen Weltbevölkerung sowie aus der in keiner Demokratie auch nur zum Thema gemachten globalen Überbevölkerung ergeben. Auch vom Verfall der Bürgertugenden müsste die Rede sein, ohne die eine Demokratie nicht lebensfähig ist. Wenn sich die Korruption, selbst dort, wo sie gesellschaftlich geächtet ist, zur größten Gefahr der Gleichbehandlung auswächst, wenn Politiker sich ihrer Verantwortung nicht stellen, aus ihren Ämtern fliehen oder, je nach Pensionsreglung, an Amtssesseln kleben, so dass allemal deutlich wird, wie wenig sie das Wort interessiert, das sie dem Wähler geben, kann man vom einfachen Bürger schwerlich fordern, er möge sich zur Demokratie bekennen. Doch so drängend und bewegend die aktuellen Probleme der Demokratie auch sind. Wichtiger ist die Frage, warum sie überhaupt auf die Verfassungsfrage durchschlagen. Dafür gibt es zwei Gründe: An erster Stelle steht der Zweifel, ob es überhaupt noch Chancen gibt, politisch aussichtsreich zu handeln. Nachdem ein deutscher Bundeskanzler öffentlich in Zweifel gezogen hat, ob die modernen Staaten überhaupt noch regierbar sind,6 hält sich der Argwohn, ob die Politik als solche noch in der Lage ist, auf den Lauf der Dinge Einfluss zu nehmen. Dieser die Politik als Ganze in Mitleidenschaft ziehende Selbstzweifel verstärkt sich, je größer und lastender die Probleme werden. An zweiter Stelle ist die Demokratie direkt betroffen: Wenn die sich vor der Menschheit auftürmenden Probleme als so groß und so umfassend dargestellt werden, dass eigentlich niemand mehr weiß, wie sie angemessen gelöst werden sollen, liegt es nahe, zunächst die gegebenen politischen 6  1975 sprach der damalige Bundeskanzler Willy Brandt von der drohenden „Unregierbarkeit“ der Staaten. Auch in der Konsequenz dieser Warnung hatte Brandt sein Amt schon wenig später aufzugeben. Zum Problem der Unregierbarkeit: Wilhelm Hennis / Peter Graf Kielmansegg / Ulrich Matz (Hrsg.), Regierbarkeit. Studien zu ihrer Problematisierung. Band 1 und 2, Stuttgart 1977 / 1979, hier insbesondere in Band 1: Peter Graf Kielmansegg, Demokratieprinzip und Regierbarkeit, S. 118–134. Ferner: Gabriele Metzler, Konzeptionen politischen Handelns von Adenauer bis Brandt. Politische Planung in der pluralistischen Gesellschaft, Paderborn 2005.

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Mittel in Frage zu stellen. Wenn aber die Mittel aus den Organen und Verfahren der Demokratie bestehen, liegt nichts näher als hier nach verbesserten Instrumentarien Ausschau zu halten. Hier etwas zu ändern, würde zwar den beklagten Bestand der großen Probleme um nichts verringern; im Gegenteil, es kämen zunächst einige weitere Schwierigkeiten hinzu. Aber man hätte immerhin etwas getan, und das den Zeitgeist beherrschende Bedürfnis nach Innovationen wäre fürs Erste befriedigt. Um diesen Irritationen entgegen zu treten, muss man deutlichere Worte sprechen. Denn der Kampf für die Demokratie wird heute nicht in den Ländern entschieden, die noch nicht demokratisch verfasst sind, sondern in denen, die mit ihren demokratischen Verfassungen nichts anzufangen wissen. Hier liebt man zwar die feine Anspielung der Selbstironie, die jeder kultivierte Bürger zu schätzen wissen sollte. Doch wenn die Menschen nicht mehr wissen, was sie an ihrer demokratischen Ordnung haben, muss man die Dinge direkt beim Namen nennen. Das soll mit der Auszeichnung der Demokratie als der besten Regierungsform geschehen. Wie das gemeint ist, lässt sich an einem anderen Bonmot Churchills i­ llustrieren. „Wenn es morgens um sechs Uhr an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe.“ Besser kann man es nicht sagen. Aber gegenüber dem verunsicherten Zeitgenossen, der den zivilisatorischen Gefahren voreilig durch Verzicht auf institutionelle Sicherungen begegnen möchte, der dem „Experiment“ als solchem zuneigt, neue „Perspektiven“ und „Interpretationen“ besser findet als beharrliche Arbeit, kann man es nicht dabei belassen. Dem muss man ausdrücklich sagen, worin das politische Glück der morgendlichen Störung durch den Milchmann liegt: Es liegt darin, dass man morgens um sechs mit dem Milchmann rechnet und nicht mit einem Kommando der Gestapo, des NKWD oder der Stasi. Der Verzicht auf die Demokratie würde bestenfalls dazu führen, dass die politische Polizei sich andere Namen zulegt. Doch, wie gesagt, mein Motiv für die Reformulierung von Churchills geflügeltem Wort ist historisch-systematischer Natur, obgleich es am Ende auch darauf hinausläuft, den zivilisatorischen Gewinn und den politischen Handlungsvorteil vor Augen zu führen, den wir mit der Demokratie im Gang von mehr als zweitausend Jahren errungen haben. 5.  Die Griechen wussten, dass sie Vorläufer hatten. Im ältesten Dokument alteuropäischer Geschichtsschreibung schildert der erste griechische Historiker Herodot ein Gespräch am Hof des persischen Großkönigs, das um 522 v.  Chr. bei der Inthronisation des Darius stattgefunden haben soll.



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Auf die Frage des Königs, welche die beste Staatsform sei, lobt der erste seiner Berater die Monarchie und der zweite preist die Aristokratie. Der dritte aber plädiert für die Demokratie. Das geschieht in einer Weise, die augenblicklich zu erkennen gibt, dass die Demokratie ältere Formen politischer Herrschaft definitiv überwindet – wenn erst einmal anerkannt ist, worum es in der Politik eigentlich geht. Und das ist nicht mehr und nicht weniger als die Existenz des Volkes. Denn der dritte Berater sagt in seinem Plädoyer für die Demokratie: „Wir schaffen die Alleinherrschaft ab und geben der Menge die Macht; denn auf den Vielen ruht der ganze Staat.“ (Historien III, 80). Man muss bezweifeln, ob sich das Gespräch tatsächlich so zugetragen hat. Aber dass Herodot diese Worte um die Mitte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts niederschreiben konnte, gibt zu erkennen, wie selbstverständlich ihm die Demokratie mitsamt ihrer Begründungsformel bereits ist. Das ist bemerkenswert, denn die welthistorische Premiere der Volksherrschaft hatte erst 507 mit den Reformen des Kleisthenes begonnen, konnte nicht vor der Abwehr der persischen Invasion im Jahre 480 als gefestigt gelten und war im Inneren erst nach der Auflösung des aristokratisch dominierten Areopags 460 v.  Chr. gesichert. Der Prozess der institutionellen Erfindung der Demokratie ist also noch in vollem Gang und dennoch spricht Herodot von der Demokratie wie von einer historischen Tatsache, die kommen muss, wenn nur das Recht des Volkes, über sich selbst zu herrschen, anerkannt ist. 6.  Demokratie ist keine europäische Erfindung. Den Historikern galt es lange Zeit als ausgemacht, dass die Athener die ersten waren, die den Schritt zu einer demokratischen Selbstverfügung wagten. Der erste kritische Historiker überhaupt, nämlich Herodot, scheint jedoch eine andere Auffassung zu haben, wenn er schon die Perser über diese Form der Herrschaft nachdenken lässt. Und wenn er die Demokratie als die Konsequenz dessen darstellt, was Monarchie und Aristokratie bestenfalls darstellen und versprechen können, gibt er der Vermutung Raum, dass die Politik, wenn sie denn als das Handeln eines Volkes oder einer Stadt verstanden werden soll, von Anfang an auf eine demokratische Selbstbestimmung zuläuft. Der vielgereiste Herodot scheint die Volksherrschaft nicht für eine griechische Erfindung zu halten und er vertraut offenbar darauf, dass seine Leser diese Annahme nicht befremdlich finden. Hier unterscheidet er sich vom Großteil der Althistoriker des 20.  Jahrhunderts. Tatsächlich haben wir heute Hinweise darauf, dass die Bürger in den wohlhabenden Handelsstädten Phöniziens schon um 1000 v. Chr. mit demokratischen Verfassungsformen experimentierten. Auch in den prozeduralen

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Verwaltungsformen der großen politischen Reiche des Nahen Ostens scheint es Elemente demokratischer Beteiligung gegeben zu haben, die in der gesellschaftskritischen Literatur Ägyptens schon um 2000 v.  Chr. als unzureichend kritisiert werden. Jüngere Forschungen zur Vor- und Frühgeschichte der griechischen Kultur haben gezeigt, dass in vorhomerischer Zeit Spuren demokratischer Mitsprache nachweisbar sind. Schließlich lassen sich in vielem, was Homer über die Beratung in den Versammlungen der Achäer vor Troja berichtet, erste Elemente und Prinzipien demokratischer Selbst­ organisation politischer Entscheidungsprozesse finden.7 Damit lässt sich die These vertreten, dass nicht nur die Politik keine europäische Erfindung ist,8 sondern dass auch die Demokratie ihren Ursprung im afroeurasischen Dreieck zwischen Nil, persischem Hochland und griechischem Inselarchipel hat. 7.  Partizipation als Prinzip der Politik. Aristoteles hat die Politik dadurch definiert, dass die Bürger aus freien Stücken an ihr teilhaben und teilnehmen.9 In der Nachfolge seines Lehrers Platon bestimmte er das to metechein kriseos kai archēs, „die Teilhabe an den Ämtern und am Gericht“ als den Kern aller politischen Tätigkeit überhaupt. Die ersten mittelalterlichen Übersetzer der Schriften des Aristoteles haben diese freiwillige Teilnahme und Teilhabe an den alle betreffenden Aufgaben mit partizipatio übersetzt.10 Dieser lateinische Terminus hat sich in den modernen europäischen Sprachen gehalten: Bis heute benennt er den Grundvorgang einer jeden politischen Tätigkeit. Partizipation ist das Prinzip der Politik.11 Dabei ist es wichtig zu wissen, dass sich die Partizipation nicht auf die Demokratie beschränkt. Aristoteles hat sie auf alle damals bekannten Verfassungstypen bezogen, und man kann zeigen, dass es keine Herrschaftsform gibt, die ohne Partizipation auskommt.12 Denn es gibt keinen Staat, in dem einer alles alleine macht. Selbst ein von äußerstem Misstrauen erfüllter 7  Karl-Joachim Höltkeskamp, Institutionalisierung durch Verortung. Die Entstehung der Öffentlichkeit im frühen Griechenland, in: Höltkeskamp, K.-J. / Rüsen, J. /  Stein-Höltkeskamp, E. / Grütter, H. Th. (Hg.): Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, Mainz 2003, 81–104. 8  Auch in China finden wir die ersten Ansätze zur politischen Organisation im 2.  vorchr. Jahrtausend. Dazu: John Keany, China. A History, London 2008, 28  ff. 9  Aristoteles, Politik, 1275a22  ff. 10  Eckhart Schütrumpf, Die frühesten Übersetzungen der aristotelischen Politik, Vortrag an der HU am 7.  Februar 2007. 11  Volker Gerhardt, Partizipation. Das Prinzip der Politik, München 2007. 12  Dazu demnächst vom selben Verfasser: Die Quadratur der Politik: Partizipa­ tion, Repräsentation, Konstitution, Publizität, München 2011.



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Tyrann ist auf Kooperation mit anderen angewiesen. Ihnen hat er Anteil an der Macht zu gewähren, so gering der Anteil auch immer ausfallen mag. Ein Weiteres kommt hinzu: Da man die Mitwirkenden an einer staatsförmigen Organisation nicht ständig beaufsichtigen kann, muss man ihnen Freiheiten in Wahrnehmung und Urteilen gewähren; in speziellen Funktionen und Situationen müssen sie auch Freiheiten des Handelns haben. Mit zunehmender Vielfalt und Dichte der Organisation hat man ihnen schließlich Freiheit als solche zu versprechen, wenn denn die Regierung Erfolg haben soll. Freiheit aber ist ohne Gleichheit nicht zu haben. Im politischen Kontext läuft sie schließlich auf alle zu. Denn jede politische Ordnung verlangt die Mitwirkung von allen, denen sie Schutz gegen Gehorsam verspricht. Also sind prinzipiell alle Angehörigen einer politischen Gemeinschaft in die Partizipation einbezogen. Und da kein Herrscher wagen kann, das Recht zu ächten, das jedem Gleichheit vor dem Gesetz garantiert, gehört auch die Gleichheit zu den letztlich unerlässlichen Momenten einer sich entwickelnden politischen Organisation. Damit erweist sich die zunehmend Freiheit und Gleichheit benötigende Partizipation nicht nur allgemein als die Grundbedingung der Politik. Vielmehr führt sie in ihrer Entwicklung konsequent zur Demokratie. 8.  Repräsentation als notwendige Form des Politischen. Die größten Schwierigkeiten haben die Theoretiker der Demokratie mit dem zweiten Grundprinzip, ohne das keine Politik denkbar ist. Es ist das Prinzip der Repräsentation. Immer wieder kommt das Missverständnis auf, das Volk müsse unmittelbar über sich selber herrschen. Das aber setzte Einmütigkeit bis zur letzten Stimme voraus und müsste, wenn es sie jemals geben sollte, eine Diktatur aller über alle zur Folge haben.13 Doch einer solchen Annahme liegt eine Engführung des Begriffs der Repräsentation zugrunde. Repräsentation meint nicht nur „Vertretung“, sondern auch „Vorstellung“, und beide sind in politischen Kontexten unabdingbar. Eine Vorstellung vom Ganzen eines Volkes, einer geschichtlichen Handlungslage oder von einer Institution braucht man in jedem Fall. Und Vertretung liegt bereits in der Idee einer einheitlich agierenden politischen Körperschaft. Die Arbeitsteilung, die der Politik in der langen Vorgeschichte der Zivilisation vorausgeht, wird von ihr selbst zum Aufbau ihrer Institutionen genutzt. Ja, die Politik als Ganze ist Ausdruck der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die vom Gedanken der wechselseitigen Vertretung der Individuen lebt. 13  So hat es schon Kant in Zum ewigen Frieden diagnostiziert und sich damit gegen Rousseau abgegrenzt (Akad. Ausg. Bd.  8, 352).

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Folglich beruht die politische Tätigkeit einer politischen Gemeinschaft auf einer Vielzahl von intellektuellen und institutionellen Repräsentationen. Eine Basis kann ledig physisch anwesend sein. Will sie politisch verstanden werden, benötigt sie bereits einen Sprecher. Folglich gilt: Die Basis macht keine Politik. Die erfolgt immer erst durch die Vermittlung der Repräsentation. Das die Politik in allen ihren Formen bestimmende Prinzip der Repräsentation kommt in der Demokratie zur Vollendung. Denn nur hier geht die Macht der Repräsentanten ausschließlich vom Ganzen einer Gemeinschaft aus, so dass eine Regierung, die unter allen Bedingungen behauptet, die Vertretung des Volkes zu sein, diesem Anspruch auch wirklich genügen kann. Umgekehrt kann nur in einer Demokratie der einzelne Bürger das begründete Anrecht haben, sich als Vertreter seines Staates zu begreifen. Also gilt auch für das zweite Prinzip der Politik, dass es sich erst in einer Demokratie in seiner ganzen Tragweite entfalten kann. 9.  Konstitution als die auf das Recht gegründete politische Form. Das dritte Grundprinzip der Politik ist das der Konstitution. Damit ist gesagt, dass alle Politik, selbst die der Pharaonen, der sumerischen Könige, der Kaiser von China oder die eines Dschingis Khan, rechtlicher Regeln bedarf. Die Geschichte bestätigt, dass die Entstehung der Politik sowohl im afro­ eurasischen Großraum wie auch in den Flussniederungen des Hoangho und des Yangtse auf das Engste mit der Entwicklung der Schrift und der Geltung des Rechts verbunden waren. Der politische Charakter der unablässigen Fehden und Kämpfe im politischen Raum liegt nicht schon darin, dass es um Macht und Vorherrschaft geht. Er zeigt sich vielmehr erst daran, dass die beteiligten Parteien behaupten, ihr Sieg sei mit der Durchsetzung, Erhaltung oder Sicherung einer Ordnung verbunden, in der man nach allgemein bekannten und auch von den Machthabern anerkannten Regeln leben kann. Insofern ist alle Politik ein „Kampf um das Recht“. Dieser Kampf dürfte auch in Zukunft so schnell nicht zu Ende gehen. In den Demokratien aber gewinnt er eine neue Qualität, weil er auf der Grundlage der bereits erkämpften und in ihm anerkannten Rechte aller vollzogen werden kann. Die Demokratie hat das historische Erbe der Republik in sich aufgenommen und kann sich heute nur noch als Rechtsstaat legitimieren. Ihre Besonderheit hat sie darin, dass sie sich selbst durch Grund- und Menschenrechte begründet und somit dem Kampf um das Recht einen rechtlichen Rahmen setzt.14 Auch darin liegt eine Vollendung der Politik, 14  Hennig Ottmann hat darauf hingewiesen, dass die Wiedererinnerung an das lange vergessene Wort der Demokratie im Zusammenhang der ersten Formulierung des Menschenrechts im Spanien des späten 16.  Jahrhunderts erfolgt: Geschichte des



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die immer schon auf das Recht gesetzt hat, sich nun jedoch in den Dienst des Rechts stellen muss. Das kann nur unter demokratischen Voraussetzungen geschehen. 10.  Öffentlichkeit als der Himmel über der Demokratie. Das vierte Prinzip der Politik hat die Besonderheit, dass es ihr historisch und systematisch voraus liegt. Es gibt die Sphäre, in der man sich verständigt, längst ehe ein Eroberer, Heerführer, Stadt- oder Staatsgründer auf den Gedanken kommt, sie für seine Zwecke zu nutzen. Die Rede ist von der Öffentlichkeit. Öffentlichkeit geht auch weit über den Machtbereich politischer Herrschaft hinaus, denn alles, was groß ist in der menschlichen Kultur, ob es sich um Religionen, Kunst oder Wissenschaft handelt, bedarf der öffent­ lichen Wahrnehmung. Alles, was Bedeutung für eine Menge von Menschen hat, gewinnt sein Ansehen nur in der öffentlichen Bewertung. Glanz und Elend der Demokratie liegen darin, dass sie die Öffentlichkeit zu ihrer eigenen Lebenssphäre macht. In Legitimation, Administration und Jurisdiktion setzt sie auf Öffentlichkeit. Den Wahlen, in denen das Volk über seine Repräsentanten entscheidet, gehen öffentliche Auseinandersetzungen voraus. Die Parlamente sind institutionalisierte öffentliche Foren mit dem Anspruch, alles, was für die politische Gemeinschaft von grundsätz­ licher Bedeutung ist, öffentlich zu beraten. Ihnen sind auch die Regierungen öffentliche Rechenschaft schuldig. Und das Ganze ist von einer kritischen Öffentlichkeit der Medien umgeben, so als sei das gesamte politische Leben in die Helle eines unablässig gegenwärtigen Bewusstseins gestellt. Die Demokratie hat die Öffentlichkeit zu ihrem Himmel gemacht, der vielen eher als ihre Hölle erscheint.15 Die Bewertung muss schon aus Zeitgründen offen bleiben. Sie beträfe nicht nur die Politik, sondern auch die Kunst, die Wissenschaft, die Ökonomie und die Lebensführung des Einzelnen. Mit Blick auf die Demokratie genügt abschließend die Feststellung, dass sie die einzige Staatsform ist, die Öffentlichkeit nicht nur zum Machterhalt, sondern auch zur Organisation ihrer eigenen Verfahren benötigt. Während alle anderen Staatsformen sich notfalls darauf beschränken können, die Öffentlichkeit als äußeres Machtmittel einzusetzen, ist die Demokratie in ihrem Inneren auf Öffentlichkeit angewiesen. Nur in ihr findet sie ihre politischen Denkens, Bd.  3, 1: Neuzeit: Von Machiavelli bis zu den großen Revolutionen, Stuttgart / Weimar 2006, 116. 15  Die Rede von der Öffentlichkeit als „Himmel“ ist eine Reverenz gegenüber Hannah Arendt, der die Öffentlichkeit als Sphäre des Ruhms besonders wichtig war. Zum Ganzen demnächst: Volker Gerhardt, Öffentlichkeit. Die politische Form des Geistes, München 2011.

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e­ igene Form. In ihr hat sie, so könnte man auch sagen, eine Wahrheit, von der in anderen Verfassungssystemen gar nicht gesprochen werden kann. Keine andere politische Verfassung benötigt so viel Öffentlichkeit wie die Demokratie. Und keine andere kann sich so viel Öffentlichkeit erlauben. Auch insofern darf sie als die beste politische Verfassung gelten. Denken wir an die explosionsartige Ausweitung der Öffentlichkeit durch die elektronischen Medien, hat die Demokratie das größte Zukunftspotenzial.

Politische Theorie und Politikwissenschaft Von Clemens Kauffmann Politische Ideen haben eine geschichtliche Wirksamkeit. Worte wie „Freiheit“, „Gleichheit“, „Brüderlichkeit“ sind nicht nur Phrasen, die von den Barrikaden schallen, sie sind Ausdruck eines politischen Denkens, das der Geschichte den Weg weist. Politisches Denken ist die Sache von Jedermann. Die Ausformung politischer Ideen aber, die Ausformulierung ihrer sachlichen Gehalte, die Schöpfung ihrer Begrifflichkeit, ihre Einpassung in ein stimmiges Gewebe politischer Überzeugungen und Optionen, ihre Umsetzung in Institutionen und Recht, ihre Einbindung in das Ganze menschlichen Lebens ist Sache der Politischen Theorie. Nicht selten waren politische Theoretiker Personen des öffentlichen Lebens und ihre Entwürfe waren Bestandteil der politischen Auseinandersetzung ihrer Zeit – im Guten wie im Schlechten. Politische Ideen können dazu beitragen, das Los der Menschen zu verbessern, sie haben aber auch zu Elend, Unterdrückung und Terror geführt. Politische Ideen sind wie alle Formen des Wissens ambivalent. Es kommt darauf an, was man aus ihnen macht. Nicht von ungefähr begleitet ein Thema das politische Denken der westlichen Tradition von Beginn an: das Verlangen nach Gerechtigkeit. Um die Politische Theorie ist es ruhig geworden. Die soziale Innovationsund Sprengkraft, die sie in der Geschichte unter Beweis gestellt hat, scheint ihr abhanden gekommen zu sein. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, als seien vor allem ihre philosophischen und ideengeschichtlichen Komponenten in einer professionalisierten Politikwissenschaft nur noch von kulturgeschichtlicher Bedeutung. An manchen Universitäten hält man die Politische Theorie für sekundär und gelegentlich für verzichtbar. In der Phase der Wiederbegründung der Politikwissenschaft in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Politischen Theorie noch eine wichtige Rolle beigemessen, weil sie in der Politischen Bildung einen Beitrag zu Freiheit und Recht in der jungen Demokratie leisten konnte. Seither aber war und ist sie wiederkehrenden Versuchen ausgesetzt, sie innerhalb der Politikwissenschaft zu marginalisieren. Das gibt Anlaß zu der Frage, worin der Beitrag der Politischen Theorie zur Politikwissenschaft und zur Entwicklung des politischen Lebens besteht. Die Antwort, die ich in diesem Essay zu geben versuche, läuft darauf hinaus, daß die epistemische Kompe-

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tenz, die sachliche Relevanz und die inhaltliche Orientierung der Politikwissenschaft sowie ihre öffentliche Bedeutung in der Demokratie zu einem erheblichen Teil aus der Politischen Theorie geschöpft werden können. I.  Zur Binnendifferenzierung Politischer Theorie Die Politikwissenschaft hat sich als eigenständiges akademisches Fach etabliert. An politikwissenschaftliche Institute werden kaum noch Philosophen, Juristen, Historiker oder andere Fachwissenschaftler berufen, sondern ausgebildete Politikwissenschaftler. Das ist Ausdruck einer weitgehenden „Professionalisierung“ der Politikwissenschaft. Durch die Professionalisierung hat das Fach vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung an Kontur gewonnen. Inhaltlich hatte dieser Prozeß nicht nur günstige Folgen. Die Politikwissenschaft hat ihrem Gegenstand und Sinn nach eine interdiszi­ plinäre Konstruktion und methodologisch eine plurale Verfassung. Das kommt gut in der älteren Gewohnheit zum Ausdruck, im Plural von ­„Politischen Wissenschaften“ zu sprechen, wie dies beispielsweise in der Hochschullandschaft Italiens noch üblich ist. Ich greife diese Bezeichnung als hilfreich auf und möchte von „Politikwissenschaft“ im Sinne der „professionalisierten“ Politikwissenschaft sprechen, von „Politischen Wissenschaften“ aber in dem weiteren Sinne der umfassenden interdisziplinären Perspektive auf die wissenschaftliche Analyse von Politik. Mit „Politischen Wissenschaften“ haben wir es dort zu tun, wo in Instituten, Departments und Fakultäten Professuren unterschiedlicher fachlicher Ausrichtung zusammengeführt werden, um die politische Relevanz und den politischen Modus der variierenden inhaltlichen Dimensionen zu entfalten. Die Fachkompetenz der Politischen Wissenschaft insgesamt gründet in der Fachkompetenz der Ursprungsfächer: der Geschichte, der Soziologie, der Ökonomie, der Rechtswissenschaft, der Kulturwissenschaften, der Geographie, der Theologie, der Religionswissenschaft und der Philosophie. Sind die Grundlagenfächer als Politische Wissenschaften konzipiert, dann liegt der Akzent der fachwissenschaftlichen Orientierung auf den politischen Implikationen und Modi der Sachprobleme und auf der interdisziplinären Koordination der relevanten Wissenschaften. In der Politischen Theorie als einem Teilgebiet der Politikwissenschaft neben der Lehre von den Politischen Systemen und den Internationalen Beziehungen findet sich die interdisziplinäre Anlage wieder. Von „Politischer Theorie“ im Allgemeinen zu sprechen ist eine Abstraktion. „Politische Theorie“ ist die geläufigste Bezeichnung für die Analyse und die genetische Rekonstruktion, für die begrifflich-logische Explikation und die symbolische Fassung der Existenzweisen menschlicher Gemeinschaften, ihrer Ordnungsformen und Koordinationsprozesse. Die Politische Theorie in



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diesem allgemeinen Sinn weist eine hohe Kontinuität in der menschlichen Geschichte auf. Allein die westliche Tradition der Politischen Theorie hat sich über drei Jahrtausende hinweg entwickelt. Die traditionellen Bestände prägen noch heute die politische Sprache und die grundlegenden Modi des politischen Denkens. Die Geschichte des politischen Denkens ist ein konstitutiver Bestandteil des politischen Lebens der Gegenwart. Trotz – oder gerade wegen – ihrer ungebrochenen Kontinuität ist die Politische Theorie breit ausdifferenziert und heterogen. Sie vereint konträre theoretische, ideologische und politische Positionen. Sie spiegelt den ganzen Kosmos der Möglichkeiten menschlichen Handelns und Lebens. Sie führt die vielfältigen Formen wechselseitiger Bedrohung, Gefährdung, Unterdrückung und Vernichtung, die die Politik in der Geschichte zu verantworten hat, vor Augen und zeigt die Auswege, Lösungen und Hoffnungen, die mit friedlicher Koexistenz und Kooperation verbunden sein können. Die Ausdehnung der Tradition des politischen Denkens in seiner Auseinandersetzung mit der politischen Geschichte – das Eine ist vom Anderen nicht zu trennen – hat dazu geführt, daß die politische Sprache zunehmend unbestimmt geworden ist. Politische Begriffe sind weit und offen. Man spricht von der Alternativlosigkeit der Demokratie und ist selten in der Lage, eindeutig anzugeben, worin die Demokratie eigentlich besteht. Jeder Definition kann eine andere entgegengesetzt werden, die abweichende Momente betont. Was für die politische Sprache im Allgemeinen zutrifft, gilt um nichts weniger für die Theoriesprache selbst. Was zur Politischen Theorie gehört, wie ihre Teilgebiete angemessen zu betreiben und aufeinander zu beziehen sind, ist offen. Es gibt keinen Konsens darüber, was unter „Politischer Philosophie“, „Politischer Theorie“ und „Politischer Ideengeschichte“ beziehungsweise allgemein dem „Politischen Denken“ zu verstehen sei. Das betrifft nicht nur die unterschiedlichen Konzepte von Philosophie, Theorie und Ideen­ geschichte, sondern gilt auch für den Zusatz „politisch“. Was offen ist, ist umstritten. Daß um die Bedeutung von Begriffen, den sachlichen Gehalt von Ideen, den Sinn von Symbolen gestritten wird, ist ein Beleg für die Wichtigkeit der kommunizierenden Vernunft. Wer die Sprache beherrscht, beherrscht die Menschen. Die Offenheit der basalen Terminologie spricht indessen nicht gegen die Politische Theorie. Im Gegenteil: Wer um Bedeutungen in der politischen Sprache ringt, betreibt bereits Politische Theorie. Und wer den Bedeutungsstreit als notwendig erachtet, der anerkennt die Unverzichtbarkeit der Politischen Theorie. Die Offenheit der ­politischen Sprache eröffnet einen Freiraum für Bedeutungsgebungen und markiert die historische und systematische Analyse der politischen Sprache als Aufgabenfeld der politischen Theorie. So umstritten sein mag, was „das Politische“ ist, so sicher wird man davon ausgehen können, daß es sich nicht ausschließlich „objektiv“ über

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einen bestimmten Gegenstandsbereich bestimmen läßt. „Politische Theorie“ ist mehr als eine Theorie über institutionelle Zusammenhänge, über Gesetze, über Macht, über Regierung, über das Verhalten von Menschen in Kollektiven, über Prinzipien wie Partizipation, Repräsentation, Legitimation und Öffentlichkeit. Ein politisches Moment der Theorie liegt in der Art und Weise, wie die Tätigkeit, auf die sie hinweist, ausgeführt wird: im leitenden Erkenntnisinteresse, im Bewußtsein von der Wirkung des Tuns auf unterschiedliche öffentliche und akademische Adressaten, in der Entwicklung angemessener Darstellungsmittel, in der sachlichen Zurückhaltung und diskursiven Verantwortlichkeit. Das „politische Denken“ ist die allgemeinste Repräsentation der „geistigen“ Auseinandersetzung mit Ordnungsformen und Koordinationsprozessen in menschlichen Gemeinschaften. Es ist für politische Prozesse jeglicher Art grundlegend und findet seinen Niederschlag in den unterschiedlichsten Phänomenen: in Reden und Diskussionen, in Plakaten, Pamphleten und Programmen, in journalistischen und literarischen Äußerungen, in der Kunst, in den gängigen Vorstellungen, die ein Zeitalter prägen. Entsprechend breit gestreut sind die Quellen, welche die Politische Wissenschaft der Erforschung des politischen Denkens und der politischen Ideen zugrunde legt. Die politische Bildung zielt auf die Entwicklung des politischen Denkens. Sie ist eine der unverzichtbaren Voraussetzungen für das Funktionieren einer Demokratie. Eine Demokratie, deren Bürger keine Vorstellung davon haben, was eine Demokratie ist, ist keine Demokratie. Demgegenüber kann eine Diktatur durchaus eine Diktatur sein, auch wenn die ihr Unterworfenen nicht wissen, was eine Diktatur ist. Unbildung leistet der Unfreiheit Vorschub. Die Politische Theorie im engeren Sinne unterscheidet sich vom politischen Denken durch ihren kognitiven Status. Es besteht kein Konsens darüber, auf welchem kognitiven Niveau eine Theorie exakt zu verankern ist, ob sie hypothetisch bleiben kann oder empirisch bestätigt sein muß, um als „Theorie“ zu gelten. Das hängt von wissenschaftstheoretischen Ansätzen ab, also von Vorentscheidungen bezüglich der Bedeutung von „Erkenntnis“, „Wahrheit“ und „Wissen“, und von anthropologischen Vorentscheidungen über die autonome Leistungsfähigkeit von Rationalität und Vernunft. Sie überschreitet das Niveau geläufiger Vorstellungen durch die erklärende Funktion, die ihr zugeschrieben wird, und sie berührt den Bereich der Wissenschaftlichkeit durch eine methodologische Fundierung. Die meisten Theorien bleiben bereichsgebunden, gegenstandsbezogen und partikular. Sie bilden sich in Bereichstheorien wie der Demokratietheorie, der Elitentheorie, der Theorie der Internationalen Beziehungen oder Modernisierungstheorien aus. „Großtheorien“ wie die „Evolutionstheorien“ oder die „Systemtheorie“ erheben einen disziplinenübergreifenden Status.



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Die Politische Philosophie ist historisch und systematisch innerhalb der Politischen Theorie von besonderem Gewicht. Die Politische Wissenschaft wurde bald nach ihrer Begründung, die man in das 5.  Jahrhundert v. Chr. datieren kann, von Aristoteles in den Kontext der Praktischen Philosophie gesetzt und umfaßte Ethik, Politik und Ökonomie. Sie repräsentierte keineswegs das politische Denken insgesamt, das in Dichtern, Priestern, Rhetoren, Sophisten, in Herrschern und Amtsträgern, in Bürgern und Unterworfenen seine Protagonisten hatte und sich in den öffentlich-religiösen Anschauungen und politischen Dogmen niederschlug. Die antiken Philosophen griffen die kursierenden politischen Ideen auf, um sie wissenschaftlich zu klären und auf ihre politischen Konsequenzen hin auszulegen. Der wesentliche Teil der Politischen Wissenschaft war bis in das erste Drittel des 19.  Jahrhunderts in der Philosophie beheimatet. Die heutigen politischen Einzelwissenschaften sind zum größten Teil aus der Philosophie emigriert. Sie bleiben an die Philosophie zurückgebunden, weil sie ihre historische Grundlegung ohne die philosophische Ideengeschichte nicht gewährleisten können. Als die übergreifende Quelldisziplin bleibt die Philosophie der gemeinsame Bezugspunkt und sie leistet die notwendige Reintegration der methodologisch fragmentierten Teilfächer. Die Sachgebiete, die im Kernbestand der Philosophie verblieben sind, bleiben für die Politischen Wissenschaften von entscheidender inhaltlicher Relevanz. Unabhängig von wechselnden Moden und Konjunkturen ist der innere Zusammenhang der Politik mit Ethik und Ökonomie zwar bestritten worden, aber historisch nie verlorengegangen. Vor allem in diesem Bereich zeichnet sie sich durch ihren an Prinzipienfragen orientierten Sachbeitrag aus. Das gilt auch für die philosophische Anthropologie, die im Zeitalter der Molekularen Medizin und der Biotechnologie als ein zentrales Desiderat wiedererkannt worden ist. Ähnliches ließe sich sagen über die Geschichtsphilosophie, die Religionsphilosophie, die Ontologie, die philosophischen Lebenswissenschaften und weitere Bereiche mehr. Hinzu kommt die Politische Ideengeschichte als Teil der Geschichte der Philosophie, insofern die nach wie vor paradigmatischen Modelle der Politik im Kontext der philosophischen Disziplin entwickelt worden sind. Die Politische Philosophie übernimmt darüber hinaus eine Brückenfunktion zwischen den emigrierten Bereichen der Politischen Wissenschaften und dem Kernbestand der Philosophie, sie unterstützt die interdisziplinäre Kommunikation auf der Grundlage der Epistemologie, der Wissenschaftstheorie, der Logik, der Entscheidungs- und Handlungstheorie, der Begriffsgeschichte und der Sprachanalyse.

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II. Wissenschaftstheorie und Politische Methodenlehre Ohne Theorie wäre die Politikwissenschaft keine Wissenschaft. Das beginnt bei den Fundamenten. Wissenschaft sieht sich einem Selbstbegründungsanspruch ausgesetzt, sie muß darlegen, daß sie notwendig und möglich ist. Dies ist eine theoretische Aufgabe, deren Lösung für die Politikwissenschaft von existentieller Bedeutung ist. Leistet die Politikwissenschaft keine systematische Selbstbegründung, dann beruht sie auf Dezisionismus. Anstatt die politischen Kontexte, aus denen sie historisch hervorgeht und in denen sie steht, mit sachlicher Distanz zu thematisieren, wäre sie von ihnen abhängig. Eine solche Art von Politikwissenschaft nähme auch in der Demokratie ideologische Züge an. Sie verlöre ihren Kompetenzanspruch in einem quasi-szientistischen Argumentieren für partikulare Machtpositionen. Die Sensibilität gegenüber den politischen Kontexten einer Wissenschaft mag für die Atomphysik oder die Biochemie eine zu vernachlässigende außerwissenschaftliche Größe darstellen, für die Politikwissenschaft ist sie eine unverzichtbare Arbeitsgrundlage. Der sachliche Selbstbegründungsanspruch könnte mit dem Einwand zurückgewiesen werden, unabhängig von allen historischen Kontexten und politischen Bindungen wäre die Wissenschaftlichkeit politischer Analysen, Prognosen und Empfehlungen durch das Verfahren der Erkenntnisgewinnung gesichert. Dieser Einwand identifiziert Wissenschaftlichkeit mit Methodizität. Er beruht auf der Annahme, Methoden wären weltanschaulich „neutrale“ Instrumente „objektiver“ Erkenntnis. Das sind sie keineswegs – jedenfalls nicht im Bereich der Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften, insofern sie das soziale Leben und seine politische Ordnung zum Gegenstand haben. Jede Anwendung einer spezifischen Methode bei der Analyse politischer Phänomene ist das Resultat impliziter wissenschafts­ theoretischer und philosophischer Vorentscheidungen und gesellschaftlichpolitischer Grundüberzeugungen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um empirische, (sprach-)analytische, behavioralistische, dialektische, (de-)konstruktivistische, (post-)strukturalistische, logisch-positivistische, hermeneutische oder andere Verfahrensweisen handelt. In wissenschaftstheoretischer Hinsicht setzt jeder dieser Ansätze ein Grundverständnis davon voraus, was Erkenntnis, was Wissen sei (oder sein soll), ob es für uns zugängliche Wahrheit gibt und anderes mehr. Zusätzlich kommen philosophische Implikationen ins Spiel. Beispielsweise impliziert der Ansatz, soziales Handeln auf gesetzmäßige Zusammenhänge zurückzuführen, es daraus zu erklären und gegebenenfalls Prognosen abzuleiten, eine These über den menschlichen Willen. Positivisten und Empiristen des 19. Jahrhunderts wie Auguste Comte oder John Stuart Mill war vollkommen klar, daß die Erklärung sozialen Handelns nach Analogie gesetzmäßiger Aussagen in den Naturwissen-



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schaften das Problem des Determinismus aufwirft. Verliefe soziales Handeln in gesetzmäßigen Strukturen, wäre ein freier Wille, der es erlaubte, sich von handlungsleitenden Zusammenhängen zu distanzieren, pure Illusion. Überhaupt von einem „Willen“ und von „Handlung“ zu sprechen, wäre schon eine uneigentliche Ausdrucksweise, da unsere „Handlungen“ letztlich durch die Summe körperlicher Zustände und materialer Einwirkungen auf den Körper bestimmt und damit nicht-intentional wären. Nur weil uns nicht alle wirkenden Faktoren bekannt sind, erscheint es uns, als bliebe ein unerklärbarer Rest oder ein Überschuß, den wir als „Willen“ bezeichnen. Nomologische Methoden setzen in diesem Sinne philosophische Annahmen voraus, die sie selbst nicht ausweisen können. Sie scheitern in dem Anspruch, „neutrale“ Instrumente „objektiver“ Erkenntnis zu sein. Sie transportieren vielmehr eine versteckte philosophische Normativität, die für die Entwicklung von Gesellschaften und Ordnungen durchaus von Bedeutung ist. Die philosophischen und wissenschaftstheoretischen Implikationen der Methodenlehre aufzuklären, gehört zu den Leistungen der Politischen Theorie. Was für die philosophischen und wissenschaftstheoretischen Implikationen der Methodologie gilt, trifft um nichts weniger auf ihre politischen Kontexte zu. Ein Argument der kritischen gegen die traditionelle Theorie besagte der Sache nach, jede Gesellschaft entwickele einen bestimmten Typus von Wissenschaft, der der Bewahrung der in ihrer Epoche ausgebildeten Herrschaftsverhältnisse diene. Durch soziale Selektion und subtile sozialpsychologische Mechanismen, in gleicher Weise durch die Macht der Institutionalisierung und Budgetierung würde es den herrschenden Schichten gelingen, eine ihren Interessen dienende Wissenschaft durchzusetzen. Der entscheidende Aspekt in unserem Zusammenhang wäre, daß die herrschende Wissenschaft nicht der Erkenntnis, sondern partikularen Interessen dienen würde. Während der Atomphysiker und der Biochemiker von solchen Zusammenhängen persönlich betroffen sein mögen, sie aber nicht mit atomphysikalischen oder biochemischen Mitteln zur Lösung des Problems beitragen können, steht und fällt der wissenschaftliche Anspruch des Politikwissenschaftlers mit seinem Umgang mit diesem Argument. Eine Politikwissenschaft, die es nicht als ihre vordringliche Aufgabe betrachtet, die Reflexion der gesellschaftlichen und politischen Vermitteltheit ihres Tuns zu integrieren, wird gegenstandslos. Sollte sich die Wissenschaft von der Herrschaft als die Wissenschaft der Herrschenden entpuppen, wäre es mit ihrer Wissenschaftlichkeit nicht weit her. Man mag über das Argument der Kritischen Theorie denken wie man will. Es belegt – und das gilt zumindest für die Kritische Theorie selbst und aktuelle an ihr orientierte Facetten von Diskurstheorie –, daß eine vorgängige politische Auffassung vom gesellschaftlichen Prozeß ausschlaggebend sein kann für die Konturierung des wissenschaftlichen Ansatzes und die Wahl der Methoden. Die Metho-

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dologie der Politikwissenschaft kann folglich nur als Politische Methodenlehre sinnvoll sein, welche die Methoden nicht als „neutrale“ Instrumente „objektiver“ Erkenntnis interpretiert und einsetzt, sondern die politischen Voraussetzungen, Kontexte und Konsequenzen der wissenschaftlichen Verfahren in die wissenschaftliche Analyse mit einbezieht. Die zunehmende Ersetzung der Politischen Methodenlehre durch Methoden der empirischen Sozialforschung in den Curricula ist demgegenüber sachfremd. In diesem Bereich hat die Politische Theorie eine herausragende Kompetenz und Funktion. Die gesellschaftliche und politische Bedingtheit der Methodologie zu erkennen, bedeutet nicht, die Dialektik der gesellschaftlichen Vermittlung zur Strategie machen zu müssen. Dies hatte die Kritische Theorie durchaus getan und damit zugleich deutlich gemacht, zu welchen wissenschaftlichen Folgen dies führt. Max Horkheimer hatte dafür deutliche Worte gefunden. Die Kritische Theorie hatte Konsequenzen aus der versteckten Normativität der traditionellen Wissenschaft gezogen. Sie ließ den Anspruch auf objektive nomologische Erkenntnis fallen und rückte die gesellschaftliche Vermitteltheit jeder wissenschaftlichen Tätigkeit in den Blickpunkt. Sie erhob ihren Ausgangsbefund zum Programm. Wenn die Tätigkeit des Einzelwissenschaftlers grundsätzlich gesellschaftlich vermittelt blieb, dann müsse Wissenschaft insgesamt als gesellschaftliche Praxis erkannt und betrieben werden. Ihre Zielsetzung wurde auf die dialektische Rückwirkung auf diese Praxis ausgerichtet. Die traditionelle gesellschaftliche Praxis sollte durch die Kritische Theorie verändert werden. Sie betrachtete sich selbst nicht dann als erfolgreich, wenn sie Erkenntnis oder Wissen generierte, sondern wenn sie im gesellschaftlichen Kampf um Anerkennung den Sieg davon tragen würde. Die Methoden hätten sich an diesem Ziel zu orientieren. Die Abhängigkeit des wissenschaftlichen Programms von impliziten methodologischen Prämissen kehrt auf der Sachebene wieder. Dies wird immer dann deutlich, wenn die wissenschaftliche Tätigkeit als Teil des gesellschaftlich-ökonomisch-politischen Prozesses verstanden wird. Wissenschaft wird dann zur Partei. Dies war ein charakteristisches Merkmal der sozialwissenschaftlichen Globalisierungsdebatten seit den 1990er Jahren. Die Globalisierung war nicht nur ein empirisch mehr oder weniger darzustellender realer Prozeß, sondern Globalität, Kosmopolitismus und Entterrito­ rialisierung wurden zu einem unumgänglich scheinenden gesellschaftlichen Ziel erklärt und mit einem breiten sozialwissenschaftlichen Programm unterstützt. Der wachsende Einfluß wirtschaftlicher Interessen auf die Universitäten hatte in der Politikwissenschaft zur Stärkung einer Perspektive geführt, die den Nationalstaat als „Standort“ im globalen Wettbewerb verstehen wollte und die „Entgrenzung“, „Transnationalität“ und „Global Governance“ als Leitmotive erkor. Das unruhige erste Jahrzehnt des 21.  Jahrhunderts –



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islamistischer Terror, Kriege entlang kultureller und religiöser Grenzen, die Fragilität des globalen Finanz- und Wirtschaftssystems in einer enthemmt deregulierten Welt – haben die Grenzen der Globalisierung als Projekt der „Zweiten Moderne“ vor Augen geführt und die Rückkehr des souverän agierenden Nationalstaats auf die politische Bühne bewirkt. Das Problem der Politikwissenschaft ist, daß sie die Konsequenzen der gesellschaftlichökonomisch-politischen Prozesse, auf die sie sich einläßt, kaum mehr abschätzen kann, wenn sie sich von den fachwissenschaftlichen Kompetenzen der Politischen Wissenschaften entfernt. Eine empirische Sozialwissenschaft, deren prognostische Fähigkeiten derjenigen des Wetterberichts ähneln, hat die Kompetenz zur vorausschauenden Beurteilung mittel- und langfristiger Entwicklungen eingebüßt. Eine diskurszentrierte Sozialtheorie, die sich als vermittelter Ausdruck des gesellschaftlichen Prozesses versteht und auf diesen als aktives Moment der gesellschaftlichen Kämpfe zurückwirken will, hat die inhaltliche Ebene verlassen. Politische Wissenschaften leben vom Bezug auf die politische Wirklichkeit. Sie sind gleichwohl auf eine angemessene kritische Distanz zur politischen Wirklichkeit angewiesen. Sich zu involvieren, kann zu einem Gewinn an öffentlicher Bedeutung und einer Steigerung der Alimentierung führen. Dies ist zugleich ein Einfallstor für außerwissenschaftliche Interessen und führt zu einer Minderung an wissenschaftlicher Relevanz. Politische Wissenschaften bedürfen eines von Nutzenkalkülen freien öffentlichen Raumes, der ihnen ein Gleichgewicht zwischen Bezogenheit auf die politische Wirklichkeit und sachlicher Distanz ermöglicht. Das methodologische Dilemma der Politikwissenschaft bezeichnet den systematischen Punkt, an dem der Beitrag der Politischen Theorie einsetzt. Die Politische Theorie klärt die Bedingungen, unter denen eine Selbstbegründung der Politikwissenschaft möglich ist, und leistet auf der Basis ihrer philosophischen und geisteswissenschaftlichen Kompetenzen dazu einen Sachbeitrag. Sie analysiert die philosophischen und wissenschaftstheoretischen Prämissen und Implikationen der unterschiedlichen methodologischen Ansätze. Sie reflektiert die politischen Grundentscheidungen, die die Anwendung unterschiedlicher methodologischer Programme beeinflussen, und die gleichzeitig zum Gegenstandsbereich der Politikwissenschaft gehören. So gesehen können Methoden in der Politikwissenschaft nicht „neutral“ angewendet werden, sondern müssen in ihrer politisch-ideologischen Perspektivität selbst Untersuchungsgegenstand sein. Dieses Feld bearbeitet die Politische Theorie als Politische Methodenlehre.

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III. Politischer Vernunftgebrauch Die Wissenschaftstheorie und die Politische Methodenlehre stellen ein wichtiges Arbeitsfeld der Politischen Theorie dar, das den Bestand der ­Politikwissenschaft als Wissenschaft sichert. Gleichwohl hat es nur vorbereitenden Charakter. Die Politische Theorie beschränkt sich nicht auf die Klärung des wissenschaftlichen Standards andernorts erbrachter Sachforschung. Über das Problem des politischen Vernunftgebrauchs im allgemeinen stößt sie unmittelbar zu den Sachfragen vor und entfaltet in diesen ihre spezifische Kompetenz als Politische Philosophie und Ideengeschichte. Die Kritische Theorie und verwandte dialektische Ansätze wollten den Sinn der Politikwissenschaft nur bedingt im Zuwachs an stabiler Erkenntnis sehen und betonten die Funktion der Kritik im gesellschaftlichen Kampf. Sie haben damit einen Wandel im allgemeinen Politikverständnis fortgeschrieben, der seit der ersten Hälfte des 19.  Jahrhunderts wirksam wurde. Bis heute wird in der Politikwissenschaft vielfach ein Politikverständnis kultiviert, das am Paradigma des (Macht-)Kampfes orientiert ist. Politik wird verstanden als ein Kampf um die Lebensordnung, um die religiöse Heilsordnung oder auch um die Werteordnung. Hinzu tritt der allgemeine Kampf um Anerkennung. Was bei Augustinus vorgebildet ist und sich von John Stuart Mill und Georg Wilhelm Friedrich Hegel über Charles Darwin, Karl Marx, Max Weber und Carl Schmitt bis zu Hans Kohn als Grundüberzeugung durchgesetzt hat, war – verglichen beispielsweise mit dem bürgerschaftlichen Politikverständnis bei Aristoteles – mit einer einzigartigen inhaltlichen Entleerung des Politikbegriffs verbunden. Selbst nach den totalitären Erfahrungen des 20. Jahrhunderts ist die Politikwissenschaft an einem solch inhaltsleeren Politikverständnis orientiert geblieben, demzufolge das Politische nur noch als die Intensität einer von Kampf gekennzeichneten sozialen Beziehung in einem beliebigen sachlichen Feld wahrgenommen wird. Die öffentliche Präsenz von Politikwissenschaftlern in der medialen Kommentierung politischer Prozesse hat einen deutlichen Schwerpunkt in der Beurteilung von Machtlagen und der Abschätzung der Entwicklung von Machtverhältnissen. Das trifft für die deutsche Innenpolitik und die europäi­ sche Politik ebenso zu wie für die Berichterstattung über Konkurrenz- und Konfliktlagen in anderen Staaten und in den internationalen Beziehungen. Die Politikwissenschaft präsentiert sich auf diese Weise als Beobachterin eines Kampfes um Werte, um Interessen, um Räume, Ressourcen und Einfluß. Die Beurteilung der politischen Sachfragen und der Gehalt, die Schlüssigkeit und die Überzeugungskraft des politischen Argumentierens in der Öffentlichkeit treten dahinter zurück. Die Politikwissenschaft hat sich dadurch einem bedrohlichen Kompetenzverlust ausgesetzt. Die Sachfragen scheinen inzwischen zu heterogen und zu komplex geworden zu sein, als



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daß eine sich zunehmend „professionalisierende“ Politikwissenschaft, die ihre Perspektive auf die Analyse des Kampfes und die taktische Beratung der Kämpfer einengt, sie beurteilen könnte. Verschiedene, teilweise am Marxismus orientierte, als „Diskursanalyse“ agierende Ansätze zwischen Michel Foucault, Judith Butler, Ernesto Laclau und Chantal Mouffe erheben die Inhaltsleere zum Programm. Im Blickpunkt stehen weder Sachfragen noch vernünftige Subjekte, sondern das diskursive Geflecht selbst. Das Sprachgeschehen wird als Moment einer komplexen sozialen Beziehung gedeutet. Das Leitmotiv des Kampfes bleibt dabei insofern präsent, als die diskursive Beziehung als repressiv oder gewaltförmig vorgestellt wird. Letztlich ist auch hier nicht Erkenntnisgewinn das Ziel, sondern die Durchsetzung eigener Hoheit im diskursiven Feld. In dieser Hinsicht zurückhaltendere Ansätze wie an Jürgen Habermas orientierte Theorien der deliberativen Demokratie halten am Ideal eines herrschaftsfreien Diskurses fest, bleiben aber ebenfalls bei Sachfragen an der Oberfläche, insoweit es nicht um den normativen Restgehalt, die Sicherung der idealen Diskursbedingungen, geht. Politische Entscheidungen lassen sich demnach nicht von der Sache her entscheiden, insofern dies ein unzulässiges normatives Werturteil voraussetzen würde, sondern durch die vorläufige regelkonforme Anerkennung von Geltungsansprüchen. In verschiedenen Konzepten des Politischen Liberalismus spielt die Idee des öffentlichen Vernunftgebrauchs eine wichtige Rolle. Die Tendenz geht auch hier in Richtung epistemischer Abstinenz und sachlicher Reduzierung. Prominent ist John Rawls‘ Konzeption von „public reason“. Er schlug vor, im Interesse eines übergreifenden gesellschaftlichen Konsenses sollten sich öffentliche Personen bei der Erörterung von Fragen, die von grundlegender Bedeutung für die Gerechtigkeit sind oder die wesentliche Verfassungsgehalte berühren, auf Argumente beschränken, die von jedermann nachvollziehbar sind. „Public Reason“ impliziert demnach notwendige Beschränkungen der vernünftigen Argumentation in der Öffentlichkeit. Die geforderten Beschränkungen beziehen sich einmal auf das Instrumentarium, den Abstraktionsgrad, die Terminologie oder das vorauszusetzende Allgemeinwissen. Das intellektuelle Niveau der öffentlichen Argumentation dürfe das intellektuelle Niveau der breiten Öffentlichkeit nicht übersteigen. Man müsse sich verständlich und konsensfähig äußern. Die andere Art von Beschränkungen ist inhaltlicher Natur. Angesichts des herrschenden Wertepluralismus dürften in die öffentliche Diskussion keine Argumente hineingetragen werden, die offensichtlich nicht konsensfähig wären. Dabei geht es vor allem um bestimmte Anschauungen des Guten, die als notwendigerweise kontrovers angesehen werden, um moralische, religiöse, philosophische Überzeugungen prinzipieller Art.  Im politischen Diskurs dürfe man sich nur auf geteilte politische Werte beziehen. Derartige Positionen verstärken die in-

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haltliche Entleerung der politischen Rede und führen zu einem Ausschluß von religiösen, moralischen oder philosophischen Inhalten aus dem demokratischen Diskurs. Gleichwohl ist der öffentliche Vernunftgebrauch ein unverzichtbares Element freiheitlicher Politik. Anstatt dem politischen Liberalismus zu folgen, kann man sich an Immanuel Kants Auffassung von Publizität orientieren, die die öffentliche Deliberation von Amtsträgern und Funktionären aller Art als privaten Vernunftgebrauch brandmarkte. Für die liberale Demokratie ist der öffentliche Austausch über das politische Geschehen und gesellschaftliche Antagonismen unverzichtbar. Dabei kann die kommunikative Kompetenz der Vernunft von ihrer Sachkompetenz nicht gelöst werden. Argumentation bedeutet die Abwägung von Gründen zugunsten und gegen eine Behauptung, eine Forderung, eine Situationsbeschreibung, eine Handlungsabsicht und anderes mehr. Welcher Darstellungsmittel, welcher Rhetorik und welchen kommunikativen Stils man sich dabei bedient, ist eine Frage der politischen Klugheit. Die Politische Theorie hat in der Aufklärung des öffentlichen Vernunftgebrauchs ein breites Aufgabenfeld. Die geschilderten Momente sind Symptome einer Situation, in der sich bewahrheitet, daß das, was Hannah Arendt das „Vertrauen in die Vernunft“ genannt hat, nachhaltig zerstört ist. Der klassische Optimismus, menschliche Konflikte in Gemeinschaften mit den Mitteln der Vernunft gewaltfrei und „richtig“ lösen zu können, ist erodiert. Für die Politische Theorie eröffnet sich an dieser Stelle das Problem der politischen Vernunft generell als Arbeitsfeld. Die Grundfrage lautet, ob der menschlichen Vernunft inhärente Grenzen derart gesetzt sind, daß Interessens-, Meinungs- und Wertkonflikte generell nicht mit den Mitteln der natürlichen Vernunft gelöst werden können. Hermann Heller hat zu Recht darauf hingewiesen, daß es eine Lebensfrage der Politikwissenschaft ist, den unterstellten Kampfcharakter der Politik nicht zu internalisieren. Die Beschreibung, Erklärung und Kritik politischer Vorgänge setzt kritische Maßstäbe voraus, die es ermöglichen, die wichtigen und richtigen Tatsachen für eine zutreffende Beschreibung und Analyse auszuwählen. Solche Maßstäbe müssen die divergierenden Interessenlagen aller Beteiligten, egal zu welchen Zeiten und an welchen Orten sie leben mögen, übergreifen. Politikwissenschaft macht nur Sinn, wenn man davon ausgehen kann, daß das Geschehen der Politik selbst einen allen Kämpfern zumutbaren Sinn enthält. Wo ein solcher Sinn nicht vorausgesetzt werden kann, ist Politikwissenschaft unmöglich. Der Sinn von Politik, die Herausarbeitung von Maßstäben, die die existentiellen Antagonismen überschreiten, und die politische Leistungsfähigkeit der Vernunft sind die wichtigsten Gegenstände der Politischen Theorie. Durch sie hindurch gelangt die Politikwissenschaft zu allen weiteren Sachfragen. Die Politische Ideen­ geschichte enthält ein immens reiches Reservoir an kulturellen Positionen



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zu diesen Punkten. Über die Politische Ideengeschichte kann eine gegenständlich reduzierte Politikwissenschaft einen angemessenen Sachbezug wiederfinden. Ein weiteres kommt hinzu. Wo über den Sinn von Politik, übergeordnete Maßstäbe und politische Vernunft gesprochen wird, darf die kulturvergleichende Perspektive nicht fehlen. Die Politische Theorie ist der geeignete Ort für die vergleichende politische Kulturforschung und das Kulturverstehen. IV. Normativität und Freiheit Philosophische Ansätze in der Politischen Theorie sehen sich Vorbehalten ausgesetzt, die in der Regel eine wissenschaftstheoretisch-methodologische Wendung und eine politische Variante haben. Der wissenschaftstheoretischmethodologische Einwand besagt, die Politische Philosophie sei unwissenschaftlich, weil sie sich mit universalen Gegenständen (wie dem Guten, dem Wesen des Menschen, der Tugend, der ungeschichtlichen Wahrheit) beschäftige, die sich der sinnlichen Wahrnehmung und der historischen Kontextualisierung entzögen, und weil sie – beispielsweise anläßlich der Frage nach der besten Staatsform – mit Werturteilen bezüglich der Ziele und Zwecke des menschlichen Lebens operiere, deren normativen Anspruch sie nicht einlösen könne. Dahinter zeige sich ein essentialistisches Vernunftverständnis und ein überholter Subjektivismus. Die politische Variante dieses Einwandes führt an, normative Aussagen seien Ausdruck eines autoritären und elitären Anspruchs, der mit dem Freiheits- und Gleichheitserfordernis der Demokratie unvereinbar sei. Der Wert philosophischer Ansätze liegt in der Tat darin, Modi des kontrollierten Umgangs mit nicht-empirischen Phänomenen – mit Ideen, mit Begriffen, mit Symbolen – entwickelt zu haben. Der Vorwurf des Unhistorischen geht schon deshalb ins Leere, weil es ja gerade diese Phänomene sind, die historisch vorgefunden werden. Sie werden meist durch die Alltagserfahrung bestätigt und erweisen ihre Realität in der individuell und kollektiv verhaltensregulierenden Wirksamkeit. Das zeigt sich bereits im Problem der politischen Sprache. Wir finden die Sprache vor und können uns in ihr verständigen, auch wenn wir über Bedeutungszuweisungen im Einzelnen uneins sind. Wir wissen, worüber wir reden, wenn wir über die Demokratie sprechen, auch wenn wir nicht darin übereinstimmen, was die Demokratie sei. Insofern ist die Offenheit umkämpfter Begriffe nicht uneingeschränkt. In der Sprache liegen normative Implikationen und jeder ernsthafte Sprecher hat eine Vorstellung davon, was seine Aussage besagen soll. Die Grundnormativität ergibt sich bereits aus dem Sinnanspruch jeder vorwissenschaftlichen wie wissenschaftlichen Aussage. Wichtige Ansätze in der Politischen Philosophie gehen von einer Anerkennung des „gesunden Men-

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schenverstandes“, vom „common sense“, aus. Sie beziehen ihren Gehalt aus den vielfältigen Äußerungen des politischen Denkens der Menschen unterschiedlicher Zeiten und Kulturen. Sie bleiben jedoch nicht dabei stehen, diesen demoskopisch zu fixieren, um dann regelmäßige Beziehungen zwischen erhobenen Meinungen und politischen Ereignissen festzustellen, sondern sie wollen die leitenden und prägenden Erfahrungen, Meinungen und Überzeugungen ihrem Sinn nach klären. Politische Philosophie bleibt in dieser Weise immer geerdet, immer dem politischen Leben verhaftet und der politischen Wirklichkeit nah. Die Sozialwissenschaften lösen keine Probleme dadurch, daß sie deren Existenz als unwissenschaftlich verwerfen. Die Erkenntnisfortschritte in der Molekularen Medizin und der Biotechnologie konfrontieren die Menschen wieder mit den „alten“ Fragen, die man durch die Metaphysikkritik des 19. und 20.  Jahrhunderts erledigt zu haben glaubte: Was ist Leben? Was ist der Mensch? Fragen dieser Art haben eine zutiefst politische Bedeutung und stehen deshalb im Zentrum der Politischen Wissenschaften. Die Vermutung, Philosophie sei demokratisch nicht vermittelbar und deshalb nicht freiheitskompatibel, ist schlichtweg falsch. Daß umgekehrt Freiheit die Voraussetzung politischen Denkens und der Politischen Philosophie sei, läßt sich historisch nicht belegen. Wie die Geschichte der Politischen Philosophie zeigt, waren nahezu in jedem Zeitalter Verbote und Verfolgung das politische Medium der Philosophie. Dieser Umstand wurde zu einem entscheidenden Moment der politischen Konstitution letztlich jeder Philosophie, die mit der Tätigkeit des Philosophen eine spezifische Lebensorientierung verband. Solange es Philosophen gibt, welche die grundlegenden Orientierungen menschlicher Lebensweisen als fragwürdig thematisieren, treten sie in Konkurrenz zu anderen Orientierungsmächten wie der Religion oder der herrschenden Gewalt. Sie bestreiten deren Autorität. Die Tradition hat darin unversöhnliche Alternativen erkannt und von einem „theologischpolitischen Dilemma“ der Philosophie gesprochen. Heute spricht man vom „Faktum des Pluralismus“, in der Hoffnung, daß dieser sich „vernünftig“ gestalten lasse. Öffentliches politisches Denken steht seit der europäischen Antike in einer Überlieferung der wechselseitigen Provokation von Refle­ xion und Ordnung. Schierlingsbecher und Scheiterhaufen, Exil und Vertreibung, Verfolgung, Haft und Flucht sind beständig wiederkehrende biographische Momente in der Geschichte des politischen Denkens. Der moderne demokratische Rechtsstaat hat mit solch unseligen Traditionen gebrochen. Öffentliches politisches Denken gehört in entwickelten Demokratien zu den Bürgertugenden. Und doch bleibt das Verhältnis der demokratischen Öffentlichkeit zur Politischen Philosophie prekär. Im bürgerschaftlich orientierten Pragmatismus wird nicht versäumt, den „Vorrang“ der Demokratie vor der Philosophie zu betonen. Darin kommt die latente Befürchtung zum Aus-



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druck, philosophisches Argumentieren könne die öffentliche Ordnung gefährden, den demokratischen Konsens stören, das egalitäre Gleichgewicht destabilisieren und die gewöhnlichen Männer und Frauen in der Gesellschaft überfordern. Manchmal könnte der Eindruck entstehen, als wolle sich Politische Philosophie zum Widersacher der Demokratie aufschwingen. Ist Freiheit nicht Voraussetzung der Politischen Philosophie, so ist das Gegenteil zu erwägen, daß politisches Denken und Philosophieren Voraussetzung jeder Freiheit sei. Politische Freiheit ist keine starre Institution. Politische Freiheit ist eine Beziehung zwischen Menschen. Die Freiheit eines jeden muß von den anderen anerkannt werden, sie muß geschützt und mit Mitteln des Rechts verteidigt werden. Insofern ist Freiheit ein kontinuierlicher Prozeß des Anerkennens und Zustimmens, des Forderns und Gewährens, des Angegriffenwerdens und des Verteidigens, des Infragestellens und der Verantwortung. Die Politische Philosophie hat sich historisch als ein notwendiger Bestandteil des Freiheitsgeschehens erwiesen. Daß die politische Freiheit des Individuums die Anerkennung der politischen Freiheit aller anderen voraussetzt, ist eine philosophische Aussage und keine empirische Behauptung. Sie ist das Fundament, auf dem die modernen westlichen Demokratien errichtet sind. Demokratien funktionieren nur, wenn ihren Bürgern die Idee der politischen Freiheit gegenwärtig ist, wenn sie ihren Sinn verstehen und ihre praktische Bedeutung abschätzen können. Darin liegt durchaus ein normativer Gehalt. Politische Freiheit gründet nicht in dem Freiheitsverständnis irgendeines Schwarzfahrers, der sich die „Freiheit“ nimmt, auf Kosten anderer zu leben. Die durch die strikte Reziprozität des Freiheitsverhältnisses zwischen Bürgern notwendigen rechtlichen und ethischen Begrenzungen führen dazu, daß politische Freiheit auf eine spezifische Art und Weise verstanden werden muß. Gewiß gibt es keinen ein für alle Mal feststehenden Begriff von Freiheit. Um den gesellschaftlichen Grundkonsens darüber, was unter politischer Freiheit zu verstehen sei, worin sie gründe, wie weit sie reiche, im Interesse welcher Güter sie einzuschränken sei, muß beständig gerungen werden. Die Politische Theorie steht in dieser Hinsicht im Zentrum der Politikwissenschaft. Sie ist ein notwendiger Bestandteil des öffentlichen Diskurses über den Freiheitskonsens. In diesem Sinne wurde die Politikwissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg als Demokratiewissenschaft neu begründet. Die Politikwissenschaft ist in der Demokratie als deren eigene Bestandsvoraussetzung institutionalisiert. Der Erfolg einer Demokratie hängt auch davon ab, daß ihre Entwicklung von unterschiedlichen Akteuren kritisch begleitet wird. Das können nicht allein die Medien leisten. Die politiktheoretische Kritik, die das persönliche Bekenntnis zur Demokratie keinesfalls relativiert, schließt die bleibende Herausforderung durch politische Alterna-

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tiven und die Frage nach der bestmöglichen Verfassung ein. Mit einem demokratischen Vorurteil ist der Politikwissenschaft nicht gedient. Unbequem zu sein, ist der vornehmste Dienst, den die Politische Theorie ihrer Gesellschaft leisten kann. Durch ein verschämtes Agieren in der Hintergrundkultur und die Selbstzensur in öffentlichen Debatten um Fragen von grundlegender Bedeutung würde sie der demokratischen Gesellschaft gerade jenen Dienst verweigern, den zu leisten ihre vornehmste Aufgabe ist: zur dauernden Selbsterkenntnis beizutragen. Wenn gilt, daß sich die Politische Theorie nur in einer liberalen Demokratie frei entfalten kann, dann gilt auch das Umgekehrte, daß die Demokratie nur auf der Grundlage einer öffentlich wirksamen Politischen Theorie eine Entwicklung in Frieden, Freiheit, Wohlstand und Gerechtigkeit erreichen kann.

Politische Theorie in Deutschland Von Julian Nida-Rümelin Um die Politische Theorie in Deutschland ist es nicht gut bestellt. Lehrstühle für Politische Ideengeschichte, Philosophie und Theorie werden umgewidmet oder gestrichen. Unterdessen gibt es einige politikwissenschaftliche Institute, in denen Politische Theorie nicht mehr stattfindet. Meist gibt es dann eine Art subkutanen Ersatz, wie etwa eine sich empirisch camouflierende, weiche politische Soziologie, deren inhaltliche Thesen von normativen Ressourcen zehren, die nicht explizit gemacht werden. Doch was als meta-theoretische Kritik der Soziologie und als empirisch gestützter Befund globaler Entwicklungen präsentiert wird, kann nur mühsam die – mir durchaus sympathischen – politischen und sozialen Ziele, d. h. die Normativität dieser Perspektive verdecken. Ähnliche Phänomene kann man in klassischen Bereichen der empirischen Politikwissenschaft beobachten. Deren rationalitätstheoretische Prämissen sind normativer und durchaus umstrittener Natur – der Einsatz des rational choice-Instrumentariums erfolgt allerdings vermeintlich rein deskriptiv. Und wenn der Umschlag in die normative Stellungnahme erfolgt, ist auch dieser wieder rationalitätstheoretisch begründet. Die politische Theorie von James Buchanan illustriert dies eindrucksvoll: Der methodologische Individualismus (wie er programmatisch im ersten Kapitel von The Limits of Liberty formuliert wird1) versucht sich von aller normativ-ethischen Beurteilung freizuhalten, um dann in einem demokratietheoretischen letzten Teil eine tiefgreifende normative Kritik demokratischer Entscheidungsprozesse und ihrer Tendenz zum Aufbau überbordender staatlicher Institutionen und Leitungssysteme zu formulieren. Normative politische Theorie findet also statt – ob man es will oder nicht. Die Frage ist, ob dieser Zweig der Politikwissenschaft sich einer eigenständigen Methodik und einer historischen Reflektiertheit vergewissern muss oder ob er ohne diese auskommt. Die durch ihre Rolle im Nationalsozialismus gründlich desavouierte deutsche Staatswissenschaft mit ihren unterschiedlichen disziplinären Strängen konnte nach dem Krieg nicht fortgeführt werden. Es ist den Alliierten zu verdanken, dass die entstehende Politikwissenschaft der Nachkriegsjahre 1  Vgl.

James Buchanan, The Limits of Liberty, Chicago 1975, S.  1.

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nicht als social science, sondern durchaus auch als normative Disziplin, ja als Demokratie-Schule konzipiert wurde. Es waren oft die Fernwirkungen von Emigranten aus Deutschland sowie der Einfluss von Remigranten aus den USA, die den Aufbau einer so verstandenen Politikwissenschaft mit normativer Dimension prägen. Dass in dieser Aufbauphase ein massiver Rückgriff auf thomistisches Naturrecht und klassische griechische Philosophie erfolgte, entsprach einem restaurativen Trend der Zeit, der auch in anderen Disziplinen – wie etwa der Jurisprudenz – zu beobachten war. Die in den Lehrbüchern bis heute als normativ-ontologisch bezeichnete Politikwissenschaft beruhte auf diesen spezifischen methodischen wie metaphysischen Annahmen. Diese Prämissen führten die deutsche normative Politikwissenschaft spätestens dann in die Krise, als sich die internationale politische Philosophie auf einen analytisch modifizierten Kantianismus (John Rawls, Thomas Nagel, Onora O’Neill oder Christine Korsgaard2), einen analytisch modifizierten Hegelianismus (Charles Taylor oder Robert Pippin3) oder einen analytisch modifizierten Aristotelismus (wie der von Alasdair McIntyre oder Martha Nussbaum4) besann. Die transatlantischen Brückenköpfe wie Paul Lorenzen, aber auch Jürgen Habermas und Karl Otto Apel spielten in der normativen deutschen Politikwissenschaft eine marginale Rolle und konnten daher die zunehmende Isolierung der normativ-ontologisch verstandenen Politikwissenschaft in Deutschland und in einigen katholisch geprägten politikwissenschaftlichen Instituten Italiens und Spaniens kaum aufhalten. Der Politischen Ideengeschichte andererseits drohte an manchen politikwissenschaftlichen Instituten ein ähnliches Schicksal wie der Philosophiegeschichte in den philosophischen: Sie wurde zu einem hoch respektierten und hochgradig spezialisierten Forschungsbereich, der innerhalb des Faches aber wenig anschlussfähig war. Der (von Dieter Henrich postulierten) Philosophiegeschichte in systematischer Absicht muss eine Politische Ideengeschichte in systematischer Absicht entsprechen, was natürlich ganz im Sinne der Gründerväter der normativen Politikwissenschaft in Deutschland wie etwa Arnold Bergstraesser, Eric Voegelin oder Leo Strauss wäre. Auffällig ist jedenfalls, dass sich die Politische Philosophie und Theorie in den 2  Vgl. John Rawls, A Theory of Justice, Cambridge MA 1971; Thomas Nagel, Equality and Partiality, New York / Oxford 1991; Onora O’Neill, Towards Justice and Virtue, Cambridge MA 1996; Christine Korsgaard, The Sources of Normativity, Cambridge MA 1996. 3  Vgl. Charles Taylor, Hegel, New York 1975; ders., Sources of the Self, Cambridge MA 1989; Robert Pippin, Idealism as Modernism: Hegelian Variations, Cambridge MA 1997. 4  Vgl. Alasdair MacIntyre, After Virtue, Notre Dame 1981; Martha Nussbaum, Gerechtigkeit oder das gute Leben, Frankfurt a. M. 1999.



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philosophischen Instituten innovativer und vitaler zeigte als in den politikwissenschaftlichen: Der wichtigste Beitrag zur Demokratietheorie der letzten Jahrzehnte ging von einem Philosophen der Harvard University – John Rawls – aus, der wichtigste Beitrag zur Politischen Theorie aus Deutschland vom Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas.5 Auch die Auseinandersetzung zwischen egalitären und non-egalitären Entwürfen politischer Gerechtigkeit fand diesseits und jenseits des Atlantiks hauptsächlich in den Philosophie-Departments statt. In Deutschland beteiligten sich daran unter anderem Otfried Höffe, Wolfgang Kersting, Angelika Krebs, Christine Chwaszcza, in Österreich Herlinde Pauer-Studer und Peter Koller, in der Schweiz Georg Kohler und Anton Leist, in den USA Martha Nussbaum, Alasdair McIntyre, Elizabeth Anderson, Michael Walzer, Thomas Pogge und viele andere.6 Bis auf zwei Ausnahmen – Koller ist Jurist, Walzer Politikwissenschaftler – sind die hier genannten allesamt Philosophen. Ist es vor diesem Hintergrund dann nicht konsequent, wenn die Reste der normativen Politischen Theorie aus der Politikwissenschaft auswandern? Spricht dafür nicht allein die Tatsache, dass die Politikwissenschaft in der Regel der Sozialwissenschaftlichen Fakultät angehört und damit den gleichen Evaluierungsverfahren der Forschung untersteht wie etwa die Ökonometrie? So werden bspw. die besten Aufsätze aus dem Bereich der normativen Politikwissenschaft und der Politischen Philosophie in philosophischen Zeitschriften publiziert – diese werden aber vom Social Science Citation Index nicht erfasst. Liegt es insofern nicht in der Logik disziplinärer Geschlossenheit, dass diese Sonderform der Politikwissenschaft nun ausgesondert wird? Der internationale Vergleich erlaubt keine einfache Antwort auf diese Frage, wie die Betrachtung zweier Staaten zeigt: So sieht die Yale University am Philosophy Department fünf Bereiche vor, von denen zwei – nämlich analytical political philosophy und history of political thought – der Politischen Theorie zuzuordnen sind. Andererseits ist auch in den USA eine Tendenz, die die Politikwissenschaft zu einer social science mit einer Dominanz empirischer Methoden werden lässt. In Italien weisen dagegen alle politikwissenschaftlichen Institute eine starke Beteiligung der Politischen Ideengeschichte und der Politischen Philosophie auf. Ich persönlich empfinde die aktuell stattfindende Normalisierung der Politikwissenschaft als einen 5  Vgl. John Rawls, A Theory of Justice, Cambridge MA 1971; Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns. 2 Bände, Frankfurt a. M. 1981 sowie ders., Faktizität und Geltung, Frankfurt a. M. 1992. 6  Für einen Überblick über diese Debatte vgl. die Einleitung von Angelika Krebs in: Angelika Krebs (Hrsg.), Gleichheit oder Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 2000, S.  7–37.

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Verlust – einen Verlust an disziplinärer und perspektivischer Vielfalt. In der Neugründungs-Phase der Politikwissenschaft in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg musste aus den Ressourcen anderer Disziplinen – der Jurisprudenz, der Philosophie, der Ökonomie, der Geschichte, aber auch der Geisteswissenschaft – geschöpft werden. Zusammengehalten wurde dieses Fach über Jahrzehnte durch ein Thema und nicht durch eine gemeinsame Methode. Folgerichtig waren die führenden Lehrstuhlinhaber meist erst im Zweitberuf Politikwissenschaftler und hatten zuvor als Juristen, Philosophen, Ökonomen, Historiker reüssiert. Die durch diese Interdisziplinarität entstehenden zentrifugalen Kräfte führten zu Konflikten, aber machten das Fach auch spannend und interessant. Zudem ist die Politikwissenschaft nach meiner Einschätzung (die auch durch einige Jahre politischer Praxis geprägt ist) nicht so sehr als eine empirische, sondern als eine normative Disziplin für die Politik und eine breitere Öffentlichkeit interessant. Wenn sie in Zukunft die normative Fragestellung nach der gerechten politischen Ordnung, nach dem Verhältnis von Freiheit und Gleichheit in der Demokratie, nach Fairness-Kriterien in der internationalen Politik, nach den Prinzipien einer transnationalen Institutionalisierung ausblendet, gewinnt sie an methodischer Kohärenz und verliert an kultureller Relevanz. Interessanterweise bietet gerade der Bologna-Prozess – neben all seiner Schwächen – in dieser Hinsicht eine Chance, die wir für die Politische Theorie nutzen sollten. Denn die Risiken weitgehend verschulter und thematisch wie methodisch verengter BA-Studiengänge korrespondieren mit der Möglichkeit, neue interdisziplinäre MA-Studiengänge zu etablieren, die die theoretische und normative Kompetenz der Philosophie mit der empirischen der Politikwissenschaft verbinden. Dies lässt sich an zwei Beispielen illustrieren: So interessiert die normative Dimension transnationaler Politik7 mindestens drei Disziplinen, nämlich das Völkerrecht als Teil der Jurisprudenz, die Internationalen Beziehungen als Teil der Politikwissenschaft und die Philosophie. Da diese normative Dimension nicht mehr extern an die transnationalen Institutionen und die internationalen Akteure herangetragen wird, sondern in Gestalt des Konstruktivismus in den Internationalen Bezie7  Es gehört zu den Ironien der Geschichte des Fachs, dass der Bereich Interna­ tionale Politik nun, dem angelsächsischen Vorbild der international relations folgend, durch den der Internationalen Beziehungen abgelöst wird. Internationale Beziehungen sind wörtlich verstanden Beziehungen zwischen Nationen. Das Besondere der aktuellen globalen Lage ist jedoch, dass zunehmend Formen der Welt-Innen-, der Welt-Sozial- und der Welt-Umweltpolitik entwickelt werden, die zwischenstaatlichen oder besser überstaatlichen, also transnationalen oder globalen Charakter haben. Damit sind sie unter dem Terminus Internationale Politik besser zu rubrizieren als unter dem der Internationalen Beziehungen – selbst wenn Transnationale Politik die passendste Bezeichnung wäre.



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hungen zu einem konstitutiven Element der empirischen Analyse geworden ist, ist der irreführenden Dichotomisierung von empirischer und normativer Betrachtung ohnehin ein Riegel vorgeschoben. Ähnliches gilt für die Demokratietheorie: Hier ließe sich die Analyse des Systems der Bundesrepublik Deutschland mit der philosophischen Demokratietheorie sowie der historischen Dimension der Entwicklung des Politischen Denkens seit der frühen Neuzeit und des Verfassungsrechts verbinden. Es sind also die pluridisziplinären MA-Studiengänge, die dem sich nun abzeichnenden Defizit einer Theorie-reduzierten Politikwissenschaft begegnen können und sollten. Dass ein solches Vorhaben nur gelingen kann, wenn liebevoll gepflegte wechselseitige Ressentiments abgebaut werden, liegt auf der Hand. Die Philosophie hat in Deutschland keinen Grund, sich in eine splendid isolation zu begeben und sich damit als Kernfach der europäischen Universität aufzugeben. Die Politikwissenschaft kann ihre kulturelle und öffentliche Bedeutung nur bewahren, wenn sie ihre normative Kompetenz nicht leichtfertig preisgibt. Die Jurisprudenz hat ihrerseits Grund, sich stärker interdisziplinär zu öffnen, damit sie sich in der neuen, von Bologna und Exzellenz-Initiative geprägten deutschen Studien- und Forschungslandschaft behaupten kann. Voraussetzung für eine solche insgesamt gedeihliche Entwicklungsperspektive ist, dass in den zu beteiligenden Fächern die Brückenköpfe für transdisziplinäre Kooperationen – soweit noch vorhanden – erhalten bzw. aufgebaut werden. Die betreffenden transdisziplinär ausgerichteten Professuren müssen ihren Teil dazu beitragen, integraler Bestandteil des Faches zu sein, und das Fach als Ganzes sollte alles vermeiden, was zur Marginalisierung dieser Brückenköpfe beitragen könnte. Nachwort Nida-Rümelin lehrte seit seiner Promotion 1984 zu fast gleichen Teilen in der Politikwissenschaft und in der Philosophie. Im vergangenen Sommersemester wechselte er mit seinem Lehrstuhl vom Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft in das Philosophische Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ausschlaggebend dafür war die Entscheidung der LMU, den zweiten Lehrstuhl für Politische Theorie nach der Pensionierung von Herrn Prof. Henning Ottmann zu streichen. Auf Initiative NidaRümelins veranstaltet die Deutsche Gesellschaft zur Erforschung des Politischen Denkens am 1. und 2. Oktober in Berlin eine Tagung zu den Perspektiven der Politischen Theorie zwischen Politikwissenschaft und Philosophie mit internationaler Beteiligung.

Wie man heutzutage in Deutschland (und anderswo) die Geschichte der Ideen und Begriffe schreibt Von Henning Ottmann In den letzten Jahrzehnten haben sich in Deutschland und im englischsprachigen Raum neue Konzepte der sogenannten „Ideen“- und „Begriffsgeschichte“ etabliert. Mit ihnen konkurrieren die Metapherngeschichte im Sinne von Hans Blumenberg und die Diskursgeschichte im Sinne von Michel Foucault (Bödeker 2002). Die folgenden Ausführungen sind auf eine Diskussion der „Ideen“- und „Begriffsgeschichte“ beschränkt. Sie stellen vier Konzeptionen vor: Kosellecks „Historische Semantik“, Ritters „hermeneutische Hypoleptik“, Hermeneutiken der Neo-Klassiker (Arendt, Strauss, Voegelin) sowie den „Kontextualismus“ der Cambridge School. (1)  Reinhart Koselleck, der 2006 verstorbene Historiker, gab zusammen mit Werner Conze die Geschichtlichen Grundbegriffe heraus (1972–97, 8 Bde.) – eine der großen lexikalischen Leistungen der letzten Jahrzehnte. Die Artikel, die manches Mal die Länge von Monographien erreichten, waren in­ spiriert von einer Auffassung von Begriffsgeschichte, die Koselleck eine „Historische Semantik“ genannt hatte (1967 a; 1972). Diese ging aus von einer „Verzeitlichung“ der Begriffe, die Koselleck in der von ihm so genannten „Sattelzeit“ (ca. 1750–1850) wirksam werden sah. Das besondere Interesse des Historikers galt Begriffen wie „Krise“, „Revolution“, „Fortschritt“, „Emanzipation“, „Interesse“, aber natürlich auch einem Großbegriff wie dem der „Geschichte“ selber. Was Verzeitlichung bedeutet, wies Koselleck beispielsweise anhand des Wandels von der Raum- zur Zeitutopie während des 18. Jahrhunderts nach (1982). Begriffe können Prozesse beschleunigen (oder verlangsamen), wobei die Moderne zweifelsohne die Epoche der Beschleunigung der Begriffe und Erfahrungen ist. Der Wandel der Begriffe sollte anhand von Lexika, Klassikern und „niederen“ Quellen (wie Briefen, Zeitungen, Pamphleten, Tagebüchern, Parteiprogrammen etc.) nachgewiesen werden. Das Tempo der Veränderung ist je nach Publikationsart ein anderes. Es ist langsam bei den Lexika, schnell bei den „niederen“ Quellen, nicht vorhanden bei den Klassikern – eine vielleicht ironische Bemerkung des Historikers (1994, S. 16). Die moderne Beschleunigung der Begriffe lässt jedenfalls „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ auseinandertreten (1976). Der Topos „historia magistra vitae“ beginnt seine Bedeutung zu verlieren (1967 b).

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Koselleck war skeptisch gestimmt gegenüber den Ismen und Abstraktionen der Moderne. Wie konnte es überhaupt geschehen, dass die vielen Geschichten durch den Kollektivsingular „Geschichte“ ersetzt worden waren? Politische Begriffe galten Koselleck – in dieser Hinsicht schloss er sich Carl Schmitt an – als „asymmetrische Gegenbegriffe“ (1975). Sie bilden polemische Gegensatzpaare wie „Hellenen und Barbaren“, „Christen und Heiden“, „Mensch und Unmensch“. Aufgabe der Geschichtswissenschaft sollte es sein, überspannte Zukunftserwartungen zu mäßigen und an schon gemachte Erfahrungen zu erinnern. Beim älteren Koselleck führte dies zu immer neuen Reflexionen auf die Erinnerungskultur der Nationen. Er verglich den deutschen und französischen Denkmalskult; er schrieb eine „Ikonologie des gewaltsamen Todes“ (1998); er mischte sich ein in die Diskussion um das Holocaustdenkmal im Lande der Täter (1997), und er sammelte Tausende von Zeugnissen über Kriegerdenkmäler. Die Diskussion über Kosellecks „Historische Semantik“ wird inzwischen international geführt. Es sei nur verwiesen auf die vielen Veröffentlichungen von Melvin Richter (u. a. 1995, zus. mit Lehmann 1996) oder von Kari Palonen (u. a. 2004). (2)  Kosellecks „Historische Semantik“ hat eine konservative Tendenz. Eine ebenfalls konservative Auffassung von Begriffsgeschichte kennzeichnet die „hermeneutische Hypoleptik“ Joachim Ritters (1903–74) und seiner Schüler wie Odo Marquard (* 1928) oder Hermann Lübbe (* 1926). „Hypoleptik“ – der Begriff erinnert an die rhetorische Figur der Hypolepse, mit der jemand an bereits Gesagtes anknüpft. Ritter war der Initiator des größten Lexikons der Philosophie, das je erschienen ist: des „Historischen Wörterbuchs der Philosophie“ (1971–2004, 12 Bde.). Sich auf Aristoteles und Hegel berufend (1969), versuchte Ritter an die im Bestehenden bereits vorhandene Vernunft anzuknüpfen. Die Philosophie der Ritterschule wurde so etwas wie die Normalphilosophie der Bundesrepublik, eine Art Kontrastprogramm zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule (Hacke 2006). Aufgabe des „Historischen Wörterbuches“ sollte es sein, sich dem „‚Forum der geschichtlichen Tradition‘“ zu stellen (eine Formulierung, die Ritter von Gadamer übernahm) (1971, Bd.  I, S.  VII). Ritter (1963) und Marquard (1983, 1986) formten aus dieser Grundlehre eine Theorie der Geisteswissenschaften, nach der diese eine „Kompensation“ der Schäden und Risiken der Modernisierung sind. Hermann Lübbe wiederum hob die Bedeutung hervor, die der Geschichtswissenschaft für die Identitätsstiftung moderner Gesellschaften zukommt (1977, 1985). (3)  Angesichts des im 20. Jahrhundert erfahrenen Traditionsbruches wollten die Autoren der sogenannten „normativen“ Politikwissenschaft (Arendt, Strauss, Voegelin) – man sollte sie besser „Neo-Klassiker“ nennen (Ottmann 2005) – keine hermeneutische Hypoleptik vertreten. Wenn sie noch an etwas „anknüpfen“ wollten, dann an die klassische Philosophie der Antike, an Pla-



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ton (Strauss, Voegelin) oder Aristoteles (Arendt). Eine elaborierte Hermeneutik hat von diesen dreien nur Leo Strauss entwickelt. Jedoch werfen auch die Philosophien von Arendt und Voegelin hermeneutische Grundfragen auf. Für Arendt (1906–75) hatte die totalitäre Katastrophe einen Zusammenbruch auch der traditionellen Hermeneutik nach sich gezogen. Wie kann man ein KZ „verstehen“, wenn zum Verstehen-Können nach traditioneller Lehre Sympathie oder sogar Liebe gehören (1950)? Fordert das 20.  Jahrhundert ein Verstehen ohne Verständnis? Arendt wurde durch ihre Auffassung des totalitären Traditionsbruches zu der These geführt, dass der Totalitarismus ein radikal neues Phänomen sei, das sich mit den Begriffen der traditionellen Tyrannis- und Despotielehre nicht erfassen lasse (1951). Das ist in mancher Hinsicht wahr, in anderer nicht. Es ist wahr, was die Intensität des Terrors, die „Verlassenheit“ der einzelnen, die Rolle der Technik, der Monopolparteien und der neuen Herrschaftsmittel angeht. Es kann jedoch verdecken, dass Ursprünge des Totalitarismus auch zurückreichen zur Tyrannis und zum Cäsarentum der Antike, zu den Sekten des Mittelalters oder zum Absolutismus der Neuzeit. Angesichts des totalen geschichtlichen Bruchs musste Arendt in „The Human Condition“ (1958) auf das AnfangenKönnen und die Initiativität setzen. Damit ließen sich, wie sie es am Beispiel der Amerikanischen Revolution vorführte (1963), Gründungen erklären. Sehr viel schwerer musste es ihr fallen, Kontinuität und Stabilität eines Gemeinwesens zu erfassen. Arendts Versuch, im Anschluss an Kant und Aristoteles, eine Lehre von der Urteilskraft zu entwickeln (1982), stieß auf das Hindernis der gebrochenen Tradition. Der sensus communis, der die Grundlage der Urteilskraft ist, war in Arendts Augen ja nicht mehr vorhanden. Woran sollte also noch anzuknüpfen sein? Eric Voegelin (1901–85) verwarf die Neuzeit als eine Epoche des Gnostizismus (1952), eine These, die er später ein wenig revidierte, aber doch nie aufgegeben hat. Gnosis und Gnostizismus wurden ihm zum großen Tintenklecks, der sich auf immer mehr ausdehnte: auf Hobbes und seine puritanischen Gegner, auf Comte, Hegel und Marx, auf die totalitären Bewegungen. Gnostizismus war immer und überall. Allenthalben – ob im Judentum, im Christentum oder in der Philosophie der Spätantike – entdeckte Voegelin Erstarrungs- und Dogmatisierungstendenzen, die das lebendige Verhältnis zur Transzendenz hatten absterben lassen. Die Berufung auf Erfahrungen von Transzendenz rückte Voegelins Theorie in die Nähe einer privaten Mystik, die wissenschaftlich nicht kommunizierbar ist. In der radikalen Verwerfung der Neuzeit kamen deren „zustimmungsfähige“ Elemente zu kurz (Lübbe 2003). Eine ähnlich radikale Verwerfung der Neuzeit wie bei Voegelin begegnet im Werk von Leo Strauss (1899–1988). Strauss wird die Neuzeit zum ab-

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schüssigen Weg, auf dem das Erbe des Naturrechts und die Idee des guten Lebens verloren gehen. Sie werden ersetzt durch ein geschichtliches, relativistisches Denken sowie durch eine Reduktion des guten Lebens auf das angenehme Leben und das Überleben. Für Strauss wird die antike Philosophie, insbesondere die des älteren Platon, zur „classical solution“. Dieser stellt er – das platonische Bild von den drei Wogen aufgreifend – „Three waves of Modernity“ (1989) gegenüber: Machiavelli – Rousseau – Nietzsche. Für Strauss ist Machiavelli ein „Lehrer des Bösen“; Rousseau ein Philosoph, der zur Antike zurück will, angesichts seines Voluntarismus aber nicht zu dieser zurückkehren kann; Nietzsche ein bezeichnendes Finale im Nihilismus und Immoralismus. Die Krise der Moderne wird immer radikaler, bis sie beim blanken Nihilismus angekommen ist. Seine eigene Hermeneutik erläutert Strauss in „Persecution and the Art of Writing“ (1952). Die Lage der arabischen Philosophen des Mittelalters, die ihre Philosophie vor der religiösen Zensur verbergen mussten (was sie durch Beteuerungen der Konformität mit der Orthodoxie zu bewerkstelligen versuchten), bringt Strauss auf die Idee, philosophische Texte als esoterische und exoterische Botschaften zu lesen. In Zeiten der Verfolgung – und wann bestanden diese für Philosophen nicht? – wird ein Philosoph seine eigentliche Lehre verbergen. In seinen Schriften wird er sie nur in verdeckter Form für aufmerksame Leser zur Sprache bringen. Ansonsten wird er sie nur einem kleinen Kreis von Schülern in nicht verschlüsselter Form mitteilen. Nach außen hin werden die Philosophen den Eindruck erwecken, dass sie keine Atheisten und Aufrührer sind. Dadurch gewinnen sie die Freiheit, auf die es ihnen ankommt: die libertas philosophandi. Die Unterscheidung von esoterisch und exoterisch hat bei Strauss nicht nur mit der Verfolgung und dem Selbstschutz der Philosophen zu tun. Sie ist auch verbunden mit Strauss’ Platonismus. Strauss unterscheidet wie Platon Meinung und Wissen. Die Vielen (bei Strauss „the vulgar“) haben immer nur Meinung. Wissen steht dagegen immer nur wenigen Weisen („the wise“) zur Verfügung. Wie für Platon wäre es auch für Strauss ideal, wenn die Weisen regieren würden. Nur wird es dazu nach Strauss nicht kommen. Wie sollten die vielen Nicht-Weisen bereit sein, die Weisen regieren zu lassen? Auch sind die Philosophen selber an Herrschaft gar nicht interessiert. Sie wollen ihr Leben nicht der Politik, sondern der Wahrheitssuche widmen. Wie kann in dieser Konstellation Politik überhaupt noch möglich sein? Strauss’ Philosophie bietet zwei Antworten an. Politik wird möglich, indem die Herrschaft nicht den vielen Unwissenden, sondern einer Schicht von „gentlemen“ übertragen wird, Männern aus guten Familien, die nach Ruhm und Ehre streben (ein nobles, aber kein philosophisches Ziel). Das Volk wiederum wird mit „likely tales and ‚noble lies‘“ (1988, S.  36) abgespeist. Es kann die wahren Einsichten ja sowieso nicht verstehen. Die von



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Platon übernommene Lehre von der „edlen Lüge“ hat immer wieder zu Verdächtigungen der Straussianer geführt, die im amerikanischen Regierungsapparat tätig sind, zuletzt während des Irakkrieges. Nach Strauss wird es die Aufgabe der Hermeneutik, die verschleierte Intention eines Autors aufzuspüren. Es sei möglich, einen Autor so zu verstehen, wie er sich selber verstanden habe. Im Briefwechsel mit Strauss hat Gadamer (1978) dieser These die klassische Lehre vom Besser-Verstehen entgegengestellt. Wir verstehen einen Autor demnach „besser“ als er sich selber verstanden hat. Das liegt z. B. daran, dass wir die Einwände bereits kennen, die gegen seine Lehre erhoben worden sind, während sie dem Autor unbekannt sein mussten. Der Zeitenabstand ist produktiv. Autoren sind nicht die berufenen Interpreten ihrer eigenen Werke. Wissen sie überhaupt immer, was sie wollen? Ist der Text nicht allemal reicher als das, was der Autor über ihn meint? Die Suche nach der Intention führt bei Strauss zu einem radikalen Anti-Kontextualismus. Man begegnet einem Machiavelli ohne Renaissance, einem Hobbes ohne Bürgerkrieg, einem Locke ohne exclusion crisis. Der Zeithorizont wird ausgeblendet. Der Interpret tritt dem Text gegenüber, als ob dieser gerade entstanden und noch nie von jemandem gedeutet worden wäre. Strauss operiert unter weitgehendem Verzicht auf Sekundärliteratur und Wirkungsgeschichte. Eine Arbeitsweise, die nicht zu empfehlen ist. (4)  Geradezu ein Kontrastprogramm zur Strauss’schen Hermeneutik stellt der Kontextualismus der Cambridge School dar. Der Australier John Pocock (* 1924) und der Engländer Quentin Skinner (* 1940) sind durch vorzügliche Studien zur politischen Philosophie der Renaissance und späterer Jahrhunderte bekannt geworden. Auch wenn das Arbeitsfeld der Cambridge School auf die Neuzeit beschränkt ist (und speziell Skinner Einflüsse der Griechen gern übersieht), sind die Forschungen der Cambridge School von großer Bedeutung für ein Verständnis des neuzeitlichen Republikanismus und der neuzeitlichen Idee von Freiheit. Zudem entwickelt die Cambridge School eine eigene Hermeneutik. Sie vollzieht für die politische Philosophie jenen linguistic turn, den die Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts bereits vorweggenommen hat. Pocock schloss sich zunächst Thomas Kuhn und dessen Konzept von „Paradigma“ und „Paradigmenwechsel“ an. Ihn interessierte, was Paradigmen politischer Gemeinschaften sind und wie in Gemeinschaften Autorität zugeschrieben wird. Das Paradigma gibt den sprachlichen Rahmen vor, innerhalb dessen die Vorstellungen von Gemeinschaft artikuliert und praktiziert werden können. Pococks „The Machiavellian Moment“ (1975) zeigte schlagend, wie die Sprache des Humanismus von Machiavelli über Harrington zu den Amerikanern gewandert war, mehrere Jahrhunderte überbrückend.

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Pocock begriff politische Sprache von der Rhetorik her. Sie dient der Mitteilung und der Verbergung von Absichten. Begriffe können bei Pocock (wie bei Koselleck) als Motoren der Veränderung fungieren. Jedoch muss die Revolutionierung einer Sprache nicht mit der politischen Revolution zusammenfallen. Pocock ersetzt das Paradigma-Konzept später durch eine Anlehnung an Saussure und dessen Unterscheidung von langue und parole. Nun wird die langue als jener Rahmen aufgefasst, innerhalb dessen sich die parole eines Autors (relativ frei) entwickeln kann. Hauptinteresse des Historikers wurde es, Texte „historisch“ zu verstehen. Das heißt, Texte sollten selber als Ereignisse gelten, als Teile des historischen Geschehens (1980). Man soll sie daraufhin befragen, was ein Autor mit ihnen „tun“ wollte und was ein Text tatsächlich bewirkt hat. Rein aus sich selbst lassen sich Texte demnach nicht verstehen. Skinners Version des linguistic turn ist beeinflusst von Austin und Wittgenstein. Wie für Wittgenstein so begegnen auch für Skinner Begriffe innerhalb von Sprachspielen, in denen sie mit Lebensformen verbunden sind. Wie Austin in „How to do Things with Words“ (1962) aufgewiesen hat, kann man mit Begriffen etwas „tun“. Sie können Teil eines Sprechaktes sein, mit dem wir Handlungen vollziehen. Skinner überträgt diese Einsicht von Sprechakten auf Texte der politischen Philosophie. Diese sind für ihn, wie für Pocock, nicht allein durch ihren Inhalt zu deuten. Man muss sie auch daraufhin befragen, was ihre illokutionäre und ihre perlokutionäre Rolle ist. Lockes Second Treatise sollte beispielsweise einen Beitrag liefern zur Verhinderung des katholischen Thronfolgers. Machiavellis Principe sollte die traditionelle Verbindung von honestum und utile auflösen und den Fürsten einen neuen Handlungsspielraum eröffnen. Texte warnen, versprechen, empfehlen. Sie sollen etwas bewirken. An solchen Funktionen eines Textes kommt der Interpret nicht vorbei. Skinners Schlüsselerlebnis war die Lektüre von Lasletts Locke-Interpretation. Laslett hatte nachgewiesen, dass der Second Treatise nicht aus dem Jahr seiner Veröffentlichung, also nicht aus einer Beziehung zur Glorious Revolution, zu deuten war. Er war vielmehr bezogen auf die Zeit der exclusion crisis. Laslett hatte die Entdeckung machen können, weil er sich eingelassen hatte auf die Lage, in der Locke seinen Traktat schrieb. Texte haben ihren zeitgeschichtlichen Ort. Ein Autor muss aus der Zeit heraus gedeutet werden, in der er schrieb. Ein Historiker muss die Frage finden, auf die der Text eine Antwort war. Hermeneutik wird zu einem Collingwoodschen Programm der Fragensuche. Der Kontext wird der Schlüssel zum Werk. Der Kontextualismus – das ist seine starke Seite – verbietet die beliebten Darstellungen, nach denen ein Autor irgendetwas „noch nicht“ oder „schon“ erkannt haben soll. Solche Deutungen sind anachronistisch und überheblich. Sie zehren von der Gnade der späten Geburt.



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Der Kontextualismus – so richtig sein Grundgedanke ist – stößt allerdings auf eigene Probleme. Er leugnet die perennial issues, die in der Geschichtsschreibung der Cambridge School dann doch wieder auftauchen, leitmotivische Themen wie der „Republikanismus“ oder die „Freiheit“. Je nachdem wie dicht der Kontext dargestellt wird, geht die Rangordnung der Autoren verloren. Ein nur im Zeitkontext interessanter Autor wie Henry Parker kommt dann unversehens neben einen Klassiker wie Hobbes zu stehen. Die eigenen Vorurteile werden verdrängt. Gelegentlich wirkt der Kontextualismus wie ein neuer Historismus (King 1993). Dabei hat man natürlich so seine Vorurteile (Wer hat sie nicht?). Die religiösen Überzeugungen vergangener Jahrhunderte werden von Skinner wohl nicht geteilt. Einen eigenen Problemkomplex bildet die Sprachphilosophie, insbesondere die Übertragung der Sprechakttheorie von der gesprochenen Sprache auf das Lesen von Texten. Leser können Autoren nicht direkt befragen. Autoren können Lesern nicht direkt antworten (Harlan 1989). Die Deutung von Sprechakten ist an Konventionen gebunden. Das schlagende Beispiel eines performativen Sprechaktes ist das „Ja“ vor dem Standesbeamten. Es ist die Heirat. Das „Ja“ ist der Akt, da durch den konventionellen Rahmen kein Zweifel an der Bedeutung der Sprechhandlung möglich ist. In der Politik sind die Konventionen brüchiger. Selbst ein hoch zeremonieller Vertragsabschluss wird von vornherein von der Frage bedrängt, ob sich eine Seite nicht bald auf die clausula rebus sic stantibus berufen wird. Je weniger konventionell die Sitten, umso schwieriger wird die Antwort auf die Frage, was ein Sprechakt eigentlich meint. Welche Folgerungen lassen sich aus dieser kursorischen Übersicht über aktuelle Formen der „Ideen“- und „Begriffsgeschichte“ ziehen? Kosellecks „Historische Semantik“ weist mit Recht auf die Verzeitlichungen und Beschleunigungen hin, die mit der „Sattelzeit“ verbunden sind. Diese Epoche wird aber auch in einseitiger Form zum Maßstab der Deutungen gemacht. Würde der Blick geweitet, würde deutlich werden, dass es neben den Innovationen und Beschleunigungen auch stets wiederkehrende Renaissancen gibt, von der karolingischen Renaissance, der Renaissance am Beginn der Neuzeit bis zum Neuhumanismus des 19. oder zur Neo-Klassik des 20.  Jahrhunderts. Es wäre sicher naiv anzunehmen, dass in diesen Renaissancen das Erbe der Alten Welt jeweils unverändert wiedergeboren würde. Jedoch würde der Blick auf die Moderne wohl entdramatisiert, wenn man von vornherein auch die Kontinuitäten und sich durchhaltenden Begriffe in Ansatz brächte. Ritters „hermeneutische Hypoleptik“ verbindet eine Anerkennung der Moderne mit dem Versuch, deren Traditionsbruch durch die Anbindung an die Herkunft auszugleichen. Ein Programm, das Modernitätskritik und Mo-

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dernitätsbewahrung vereint. Die Gefahr dieser Ausgleichsdialektik liegt darin, den Entwicklungen der Moderne einen Primat zuzuerkennen, während dem Ausgleich durch Erinnerung und geisteswissenschaftliche Kompensation eine nur nachträgliche und nur sekundäre Rolle zugewiesen wird (Ottmann 1991). Ein noch so brillanter Aufsatz über Caspar David Friedrich ist aber kein Ersatz für eine zerstörte Landschaft, ganz zu schweigen davon, dass den Wissenschaften nicht nur eine bewahrende, sondern auch eine Gewissheiten und Traditionen unterminierende Rolle zukommen kann. So hat beispielsweise die Bibelexegese des 19.  Jahrhunderts ihren Teil dazu beigetragen, dass den Gebildeten der Glaube verloren ging. Politische Bildung ist ohne einen Kanon klassischer Texte nicht möglich. Daran erinnert zu haben, ist ein Verdienst der Neo-Klassiker. Sie sind jedoch (zumindest Voegelin und Strauss) einem Antikizismus verfallen, der das nötige Maß an Modernitätsbewahrung vermissen lässt. Man schrieb Verfallsgeschichten. Diese wurden der Komplexität moderner Entwicklungen weniger gerecht als die zwischen Herkunft und Zukunft vermittelnden Ansätze von Ritter und Koselleck. Die speziell von Strauss entwickelte Hermeneutik bietet einen Schlüssel für einige Texte. Eine universale Hermeneutik begründet sie nicht. Was ein Autor verbergen will, bleibt meist nicht verborgen. Es wird, wie etwa im Falle Spinozas, von den Zeitgenossen sehr wohl entdeckt. Die Suche nach der Intention eines Autors gestaltet sich unvergleichlich schwieriger, als es Strauss erkennen lässt. Wie soll man sie entdecken, wenn der Autor unter dem Eindruck ihm selbst nicht bewusster Einflüsse des Zeitgeistes steht oder er vielleicht sogar Selbsttäuschungen unterliegt? Strauss leugnet die Produktivität der Wirkungsgeschichte. Er vernachlässigt den Kontext. Seine Hermeneutik bildet den radikalen Gegenpol zum Kontextualismus der Cambridge School. Kontextualismus und Strauss’sche Hermeneutik – liegt die Wahrheit nicht in der Mitte? Strauss geht zu Unrecht am Kontext vorbei. In allem Historischen wittert er immer nur den Relativismus oder aber die Inkonsequenz, alles historisch zu nehmen, nur den Historismus selber nicht. Die Cambridge School wiederum unterschätzt, dass ein Autor nicht nur wirken, sondern auch seine Überzeugungen ausdrücken, ja etwas „Wahres“ sagen will. Würde man den Kontextualismus absolut setzen, würde die Beschäftigung mit den alten Texten eine rein antiquarische Angelegenheit. Aus dem Interpreten würde ein Friedhofswärter gemacht. Die Freude, einem Klassiker seine historische Bedingtheit nachweisen zu können, sollte nicht blind machen für dessen immer neue, je aktuelle Relevanz. Seltsam überein kommen Strauss und die Cambridge School, was die Leugnung oder Verdrängung der eigenen Vorurteile angeht. Beide erwecken den Eindruck, als ob man einen Autor oder eine Zeit verstehen könne, so wie diese sich selbst verstanden haben. Aber zwischen ihnen und uns liegt der „garstige Graben



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der Zeit“. Diesen können wir nur überspringen, wenn wir uns a)  mit der Wirkungsgeschichte eines Textes befassen, b)  die eigenen Vorurteile reflektieren und c)  diese am Text bewähren oder revidieren. So zu tun, als ob vergangene Zeiten eine Haut wären, in die man einfach schlüpfen könnte, dürfte eine vergebliche Hoffnung sein. Der Geschichtsschreibung der Begriffe und Ideen stehen große Veränderungen bevor. Noch immer wird nicht die Fülle der für Politik relevanten Texte untersucht. Dies liegt an dem Vorurteil, dass Politik hauptsächlich in den Texten der Philosophie zu finden sei. Dies führt wiederum dazu, dass man bei der Deutung des Leviathan die Bücher III und IV übergeht, weil dort nicht von Philosophie, sondern von politischer Theologie die Rede ist. Oder man lässt den First Treatise einfach aus, weil dort das Alte Testament gedeutet wird. Politik begegnet aber nicht nur bei Philosophen, sondern auch bei Theologen, Juristen, Historikern oder Dichtern. Deshalb (und aus anderen Gründen) sollte, wenn es um die Erfassung von Politik geht, auch von politischem Denken die Rede sein (Ottmann 1996). Ebenfalls am Anfang steht noch eine Geschichtsschreibung politischer Erfahrungen, die nicht nur Texte, sondern auch Bilder und Kunstwerke einbezieht. Man sollte jedenfalls Politik von überall her zu verstehen suchen, wo auch immer sie sich dokumentiert. Literatur Arendt, H.: Social Science Techniques and the Study of Concentration Camps, in: Jewish Social Studies 12 (1950), S.  49–64. – The Origins of Totalitarianism, New York 1951. – The Human Condition, Chicago 1958. – On Revolution, New York 1963. – Lectures on Kant’s Political Philosophy, R. Beiner (Hrsg.), Chicago 1982. Austin, W.: How to do Things with Words, Oxford 1982. Bödeker, H. E. (Hrsg.): Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte, Göttingen 2002. Hacke, J.: Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik, Göttingen 2006. Harlan, D.: Intellectual History and the Return of Literature, in: American Historical Review 94 (1989), S.  581–609; in: Mulsow / Mahler 2010, S.  155–202. King, P.: Historical Contextualism. The New Historicism? in: History of European Ideas 21 (1993), S.  209–232. Koselleck, R.: Historia magistra vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte, in: H. Braun / M. Riedel (Hrsg.), Natur und

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Stand und Praxis der Politischen Theorie in Italien Von Fulvio Longato Ich möchte eine Vorbemerkung voranschicken, nämlich dass im italienischen Hochschulbildungssystem Politische Philosophie (oder Philosophie der Politik) und Politikwissenschaft zwei eigenständige Fächer bzw. wissenschaftlich-disziplinäre Bereiche sind. Im Unterschied zur Politischen Philosophie umfasst die Politikwissenschaft einige Subdisziplinen, die allerdings nur zur Bezeichnung von Lehrveranstaltungen im Bildungsangebot dienen, jedoch nicht als Lehrstuhlbezeichnungen oder bei Lehrstuhlausschreibungen. Diese Vorbemerkung möge den Ansatz meines Beitrags erläutern. Ich werde beide Fächer behandeln und mit dem neueren, der Politikwissenschaft, beginnen. Um die Frage nach der Selbstdefinition der italienischen Politikwissenschaft und der Rolle der politischen Philosophie beantworten zu können, scheinen einige historische Hinweise notwendig. Sie erlauben, sowohl das heutige Profil beider Disziplinen und im Allgemeinen der politischen Studien im italienischen Universitätssystem als auch die politologische Forschungspraxis zu verstehen und zu bewerten. I. Kurzer politisch-historischer Überblick Die Anfänge der Sozialwissenschaften und insbesondere der politischen Studien in Italien zwischen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts verdanken wir drei führenden Persönlichkeiten – Gaetano Mosca, Vilfredo Pareto und Robert Michels. Sie kamen aus verschiedenen geistigen Hintergründen und persönlichen Geschichten, und nicht alle aus der akademischen Welt. Michels, ein Schüler von Max Weber, kam auf dessen Empfehlung als Flüchtling aus Deutschland nach Italien (1913 nahm er die italienische Staatsbürgerschaft an), wo er in seiner zuerst 1911 erschienenen Fallstudie über das sozialistisch-sozialdemokratische Parteiwesen das berühmte, in den organisationssoziologischen Studien klassisch gewordene „Eherne Gesetz der Oligarchie“ formulierte.1 Mit ihren innovativen Schriften über die Eli1  Michels (1911), Zur Entwicklung der Politikwissenschaft in Italien s. u. a. Graziano (1987), Morlino (1991) und Cotta (1996).

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ten, die ein hohes Maß an kultureller Bedeutung und internationalem Echo gewannen, verfolgten sie das Ziel, die Analyse des gesellschaftlichen und politischen Lebens auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen. 1896, das Jahr der Veröffentlichung von Moscas Hauptwerk Elementi di scienza politica,2 in dem hauptsächlich der Formierung und Reproduktion der „politischen Klasse“ nachgegangen wird, kann symbolisch als das Geburtsjahr der italienischen Politikwissenschaft angesehen werden. Die Entwicklung sowohl der Politikwissenschaft als ein eigenständiges Forschungsfeld als auch überhaupt der Sozialwissenschaften wurde durch den Aufstieg des Faschismus unterbrochen. Zu ihrer Marginalisierung trugen der aus Deutschland importierte Rechtsformalismus sowie die neoidealistische Philosophie von Giovanni Gentile und Benedetto Croce (trotz aller Verschiedenheiten zwischen den beiden) wesentlich bei. Bekanntlich lehnte Croce eine – wie auch immer geartete – empirische Wissenschaft der Politik entschieden ab. Eingebettet zwischen Neoidealismus und kommunistischem Marxismus – selbst in Gramscis Gestalt einer antipositivistischen und ­teilweise idealistisch gefärbten „Philosophie der Praxis“ –, konnte die Politikwissenschaft bis Ende des Zweiten Weltkriegs kein klares Profil vorweisen. Die Wiedergeburt der Politikwissenschaft um die Wende zu den 1950er Jahren erfolgte durch die Bemühungen und Impulse von Bruno Leoni und später von Norberto Bobbio und Giovanni Sartori. Leoni – ein facettenreicher Rechtsphilosoph, dessen Hauptwerk Freedom and the Law (1961)3 aus einer Reihe von Vorträgen entstand, die er 1958 in Kalifornien zusammen mit Friedrich August von Hayek und Milton Friedman gehalten hatte – verstand die Politikwissenschaft als „Wissenschaft der modernen gemeinschaftsorientierten Organisationen, die mit dem Namen des Staates verbunden sind“.4 In der Zeit des Übergangs zur Demokratie in Italien förderte er programmatisch durch die Gründung der Zeitschrift Il Politico (1950) die internationale Offenheit der durch den Faschismus gehemmten politischen Kultur. Die Entprovinzialisierung der politischen und sozialwissenschaftlichen Forschung in Italien wurde in diesen Jahren durch den kulturellen Einfluss und die institutionelle Unterstützung der Vereinigten Staaten entscheidend gefördert. Eine Reihe von Regierungsagenturen und privaten Stiftungen – unter ihnen sei vor allem die Ford Foundation erwähnt – ermöglichten 2  Mosca 3  Leoni

(1982). (1961), Zur politischen Theorie Leonis s. Cubeddu (1995) und Masala

(2005). 4  Leoni (1950), S.  8.



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Austauschprogramme und die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchs an Universitäten in den USA und trugen ebenfalls zur Gründung und zur Finanzierung von Forschungseinrichtungen in Italien bei, wie zum ­Beispiel 1958 der Scuola di specializzazione in scienze amministrative (Aufbaustudium in Verwaltungswissenschaften) – heute S.P.I.S.A – auf Initiative der juristischen Fakultät der Universität Bologna in Zusammenarbeit mit dem Institut für Politikwissenschaft in Berkeley. Es handelte sich allerdings nicht um einen bloßen Import der amerikanischen Politikwissenschaft im Zeitalter des Behavioralismus. Leoni, Bobbio und Sartori – und später ihre Schüler – wussten ihre engen Kontakte zu den US-amerikanischen Hochschulen und zu anderen europäischen (neben den angelsächsischen vor allem den deutschen und französischen) Traditionen in der Politischen Philosophie und im Staatsrecht mit ihren geistigen Wurzeln in der italienischen Tradition der politischen Studien, die bekanntlich auf Machiavelli zurückzuführen sind, jeder auf originelle Weise zu verbinden. Während also bereits in den 50er Jahren der Keim zu einem der Charakteristika der italienischen Politikforschung gelegt wurde, nämlich der Kombination einer empirischen Ausrichtung mit einer starken Neigung zur Theorie und begrifflichen Analyse, gelangte man zu diesem Ergebnis erst auf einem langen und holperigen Weg. Trotz der intensiven Bemühungen, die Politikwissenschaft sowohl methodologisch als auch inhaltlich vom Öffentlichen Recht, den Sozialwissenschaften und selbst von der Politischen Philosophie abzugrenzen, wurde der Politikwissenschaft bis zu den späten 50er Jahren eine nachgeordnete Rolle zugewiesen. Nach Leonardo Morlino, dem zur Zeit amtierenden Präsidenten der International Political Science Association (IPSA), trugen drei Faktoren dazu bei: die Auffassung von einer sekundären Bedeutung der Politik selbst, die eher als Bestandteil von Wirtschaft und Gesellschaft angesehen wurde, ein verbreiteter Antiempirismus und universitäre Vorbehalte.5 In jenen Jahren teilten sowohl die Eliten als auch die Öffentlichkeit, welche durch starke ideologische Komponenten geprägt waren, die Überzeugung, dass die Politik als selbständiger Gegenstandsbereich keinen bedeutenden Beitrag zu den Auswirkungen der politischen Strukturen auf Wirtschaft und Gesellschaft leisten konnte. Um die Wende zu den 60er Jahren änderte sich die Lage vor dem Hintergrund einer wenn auch umstrittenen Schwächung der ideologischen Polarisierung zugunsten reformistischen Einstellungen auf der parteipolitischen Ebene.6 Dies trug auch im akademischen Bereich zu einer bedeutsamen Milderung der antiempirischen Haltung bei. Bobbio lieferte eine Neueinschätzung der Tragweite der Werke der Vorgänger (Mosca und Pareto), 5  Morlino 6  Dazu

(1991), S.  344. s. u. a. Bedeschi (2002).

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betonte somit die ausdifferenzierte Kontinuität der italienischen Tradition der empirischen Politikforschung und setzte das epistemologisches Statut der Politikwissenschaft fest. Die Politikwissenschaft, als empirische Analyse von politischen Phänomenen verstanden, beruhe auf drei Grundmerkmalen: die Wertfreiheit als wissenschaftliche Untersuchungsweise; die Erklärung mittels der Analyse von Einzelfällen als Ziel; eine auf Hypothesen und Verifikation als Gültigkeitskriterien basierende Methode zum Zweck der sachbezogenen Theoriebildung.7 Sartori seinerseits, der bereits Anfang der 50er Jahre die Grundelemente der Politikwissenschaft umriss,8 bemühte sich u. a. um die Entwicklung einer fachwissenschaftlichen Terminologie (mit besonderer Beachtung der Definitionsprobleme)9 und die Verbindung von Theorie und Praxis. Dabei wurden die praktische Funktion, nämlich die Anwendbarkeit der Politikwissenschaft auf politisches Verhalten, auf politische Vorhersagen und auf die Begründung von intellektuell angeleiteten Handlungen betont, die durch das Wechselverhältnis von Zweck und Mittel gekennzeichnet sind.10 Besondere Aufmerksamkeit schenkte Sartori der vergleichenden Politik, die im Vorwort zum ersten Heft der 1971 von ihm in Florenz gegründeten Rivista Italiana di Scienza politica11 als Wesensgehalt der Politik bezeichnet wird. Die Eigentümlichkeit von Sartoris Verbindung von Theorie und empirischer Überprüfung besteht in der Auffassung der komparativen politikwissenschaftlichen Forschung im Sinne einer Methode der Kontrolle von Aussagen und Generalisierungen mittlerer Reichweite anhand von Kategorien, die Vergleiche zwischen relativ homogenen Kontexten ermöglichen und somit die Übertragbarkeit der durchgeführten Analysen erlauben. In dieser Phase der Wiedergeburt der Politikwissenschaft und dann in den folgenden 30 Jahren wurde die Abgrenzung der Politikwissenschaft von den Nachbardisziplinen – Rechtswissenschaft, Politische Soziologie und Politische Philosophie – abgestimmt. Bekanntlich war Bobbio ein Rechtsphilosoph und Sartori war vor seiner Berufung als Professor für Politikwissenschaft an der Universität Florenz im Jahr 1966 zunächst Dozent für moderne Philosophie und erhielt 1963 eine akademische Stellung in angewandter Soziologie. Die Abgrenzung erfolgte also aus dem Inneren der jeweiligen Disziplinen. Dies sollte nicht übersehen werden, um ein zweites, seitdem andauerndes Grundmerkmal der politischen Studien in Italien gebührend einschätzen zu können, nämlich die Betonung der Komplementarität von 7  Bobbio

(1963). (1953). 9  Sartori (1957). 10  Sartori (1962) und Sartori (1967). 11  Sartori (1971). 8  Sartori



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Politikwissenschaft, Politischer Philosophie, Rechtswissenschaft, Öffentlichem Recht und Politischer Soziologie. Es ist bezeichnend, dass Bobbio auch als der Gründungvater der zeitgenössischen Politischen Philosophie Italiens angesehen wird. Die Ähnlichkeit, um nicht zu sagen die erhebliche Übereinstimmung der Positionen von Bobbio und Sartori (aber auch von Leoni) im Hinblick auf die Methodologie einerseits, und der ihnen gemeinsame liberaldemokratische Hintergrund andererseits, erklären zudem die Tatsache, dass es in Italien zu keinen tiefen ideologischen Spaltungen oder scharf entgegengesetzten Konzepten weder in der Politikwissenschaft noch in der Politischen Philosophie gekommen ist. Freilich gibt es einen breitgefächerten Pluralismus der Forschungsfelder, welche die unterschiedlichen akademischen Traditionen und Lehrrichtungen vor allem der Universitäten der Neubegründer der italienischen Politologie (Florenz, Pavia, Turin, mittlerweile auch Bologna, Mailand und Rom) widerspiegeln. Die Parteizugehörigkeit bzw. Parteinähe der Politologen und der politischen Philosophen hat sich aber nicht prägend auf ihre Tätigkeit als Wissenschaftler ausgewirkt. II. Politische Philosophie und Politikwissenschaft – Ausgrenzungen und Beziehungen Die Unterscheidung zwischen Politischer Philosophie und Politikwissenschaft ist bekanntlich ein schwieriges Unterfangen, das nicht nur disziplinäre Grenzen im akademischen Bereich betrifft, sondern auch und in erster Linie die Bestimmung von Gegenstand, Methode und Begriffsapparat der jeweiligen Analysen in Bezug auf die Bewältigung von Problemen, die in der Lebenswelt aufkommen. Die Ausdifferenzierung und Profilierung beider Disziplinen in Italien verdanken sich, wie erwähnt, vor allem den Bemühungen von Bobbio, der in einer Reihe von Beiträgen zwischen den 70er und 90er Jahren eine komparative Klassifizierung unternimmt, die immer noch wegweisend für die heutige Politikforschung ist.12 Bobbios Hauptthese ist, dass die Frage nach den Beziehungen zwischen Politischer Philosophie und Politikwissenschaft von den verschiedenen Konzeptionen der Politischen Philosophie abhängt und daher zu keiner eindeutigen Lösung führen kann. Es gibt nach ihm vier Hauptauffassungen von Politischer Philosophie: als Theorie der „guten“ bzw. „besten“ Republik, als Untersuchung über den letzten Grund der Macht, als Bestimmung des Begriffs des Politischen und als Analyse der Sprache der Politik. 12  Im Folgenden beziehe ich mich auf Bobbio (1969), Bobbio (1971), Bobbio (1984), Bobbio (Turin, 1990) und Bobbio (Mailand, 1990).

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Der normativen Funktion einer Theorie der besten Staatsordnung aufgrund von obersten ethischen Postulaten steht die beschreibende bzw. erklärende Aufgabe der Politikwissenschaft gegenüber. Das Verhältnis zwischen den beiden ist also durch Trennung und Divergenz gekennzeichnet. Dabei neigt Bobbio dazu, die Idee der Normativität mit utopischen Idealen zu identifizieren, was freilich Interpretationsprobleme auch bezüglich der Klassiker des politischen Denkens aufwirft. Ohne hier auf das komplexe und für die Sozialwissenschaften zentrale Frage nach der Trennschärfe zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen eingehen zu können, lässt sich in der heutigen (nicht nur italienischen) Politikforschung feststellen, dass die beiden Aussageebenen auf verschiedene Weise argumentativ verknüpft werden können, ohne deren Unterschied prinzipieller Natur aufzugeben. So zum Beispiel beziehen sich die empirischen Studien zu der Leistungsfähigkeit und Durchsetzbarkeit von verschiedenen Demokratiemodellen auf normative Fragen nach der „guten“ oder „besten“ Ordnung im Sinne des Besterreichbaren unter gegebenen Umständen. Trennung und Konvergenz von Politikwissenschaft und Politischer Philosophie ergeben sich für Bobbio, wenn letztere als systematische Theorie der Herrschaftslegitimation, die ihrerseits auf einer politischen Anthropologie beruht, aufgefasst wird. Die philosophische Reflexion setzt nämlich die Analyse der existierenden Herrschaftsverhältnisse voraus, die der Politikwissenschaft zusteht, diese aber kann nicht umhin, auf die Legitimitätskriterien der Herrschaft hinzuweisen, kraft deren eine bestimmte Staatsform als geboten oder als inakzeptabel angesehen wird bzw. werden soll. Eine noch engere Beziehung zwischen beiden Disziplinen besteht, wenn der Schwerpunkt in der Begriffsbestimmung des Politischen selbst liegt. Bei dieser dritten Variante der Politischen Philosophie hebt Bobbio die Kontinuität der beiden Forschungseinstellungen hervor: unerlässlich sowohl für die Politische Philosophie als auch für die Politikwissenschaft ist die Abgrenzung ihres gemeinsamen Themenfelds, eben des Politischen, zu den Gegenstandsbereichen anderer Disziplinen. Analog zu der Unterscheidung zwischen Allgemeiner Rechtslehre bzw. Rechtstheorie und Rechtswissenschaft im engeren Sinne wäre dabei für Bobbio treffender, von Allgemeiner Politischer Theorie anstatt von Politischer Philosophie zu reden. Nach der vierten (und von Bobbio selbst vorgezogenen) Auffassung besteht die Aufgabe der Politischen Philosophie darin Grundannahmen, Wahrheitsbedingungen und Objektivitätsansprüche der politikwissenschaftlichen Forschungspraxis kritisch zu überprüfen. In Anlehnung an die analytische Sprachphilosophie stellt sich die Politische Philosophie somit vornehmlich als Metareflexion über die argumentative Stichhaltigkeit und sprachliche Angemessenheit der politischen Fach-



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terminologie dar. Auf dieser Basis sind Politische Philosophie und Politik­ wissenschaft aufeinander verwiesen. In seinen Ausführungen nahm Bobbio auf eine sehr ausgewogene und konstruktive Weise zum Verhältnis zwischen den Disziplinen Stellung und betrachtete alle vier Positionen als legitim, was den Pluralismus in der italienischen Politikforschung maßgeblich förderte.13 III. Die Politischen Wissenschaften im akademischen Bereich und in der Öffentlichkeit Bobbios Typologie des Verhältnisses von Politischer Philosophie und Politikwissenschaft spiegelt sich in den vom Ministerium für Unterricht, Universität und Forschung (MIUR) formulierten Leitlinien der Politikforschung und -lehre im Grunde wider. Im italienischen Hochschulsystem, wie eingangs erwähnt, sind die verschiedenen Fächer bzw. Gruppen von Disziplinen wissenschaftlich-disziplinären Bereichen zugeordnet, in denen ihr jeweiliges Profil inhaltlich bestimmt wird. Die Klassifizierung nach bindenden wissenschaftlich-disziplinären Bereichen dient der Rekrutierung des Lehrpersonals, die durch von den Fakultäten ausgeschriebene „vergleichende Bewertungsverfahren“ erfolgt, sowie der Identifizierung der Forschungsgebiete (und dementsprechend der staatlichen Finanzierung von Forschungsprojekten) von Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern innerhalb der Departments. Während die Fakultäten Lehreinheiten mit Koordinationsfunktion von Studiengängen sind, stellen die Departments Forschungseinrichtungen dar, denen Wissenschaftler, auch von verschiedenen Fakultäten, nach homogenen oder ähnlichen wissenschaftlich-disziplinären Bereichen bzw. mit einander integrierenden Forschungsinteressen und -methoden angehören können. Die wissenschaftlich-disziplinären Bereiche, die das breite Spektrum der politischen Studien ausmachen, sind: Politische Philosophie, Politikwissenschaft, Politische Ideengeschichte, Geschichte der politischen Institutionen, Geschichte der internationalen Beziehungen und Soziologie der politischen Phänomene. Die jeweiligen Leitlinien des MIUR sind im Folgenden zusammenfassend wiedergegeben.14 13  Zur Profilierung der Politischen Philosophie s. weiterhin die Beiträge (vor allem von Giulio M. Chodi, Dino Fiorot, Giuliano Marini, Nicola Matteucci und Salvatore Veca) in Fiorot (1990). In dem Dizionario di Politica (Bobbio / Matteucci /  Pasquino (2004)), das als Referenzpunkt der politischen Studien nicht nur in Italien gilt, verfasste Bobbio den Artikel Scienza della politica und Alessandro Passerin d’Entrèves den über Filosofia Politica. 14  Quelle: www.miur.it.

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Gegenstand der Politischen Philosophie ist die Reflexion über die politischen Fragestellungen aus einer theoretischen, nicht empirischen Perspektive. Der Bereich ist unterteilt in die philosophische Analyse des politischen Denkens, der politischen Sprache und der politischen Symbolik, in die Philosophie der Sozialwissenschaften und in die Geschichte der politischen Philosophie. Die Politikwissenschaft erforscht die vielfältigen Aspekte der politischen Wirklichkeit durch die Methode der empirischen Wissenschaften und anhand von verschiedenen Forschungsansätzen, wie zum Beispiel der Theorie der rationalen Entscheidung und des Neoinstitutionalismus. Der Bereich umfasst mehrere Teildisziplinen: Methodologie der Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaften, Politikfeldanalyse (darunter Europäische Politikfeldanalyse), Theorie der komplexen Organisationen; Organisation der europäischen Politik, Internationale Beziehungen, Strategische Studien; Vergleichende Politik, Politische Systeme (darunter Politisches System Italiens), Parteien und Interessengruppen, Vergleichende Rechtssysteme; Lokale Regierung, Lokale Politik; Analyse der politischen Sprache, Politische Kommunikation; Politische Theorie. Der Bereich „Politische Ideengeschichte“ befasst sich mit der historischkritischen Analyse von all den Manifestationen des menschlichen Geistes, die – durch eine Vielzahl von Quellen und Genres – Denkweisen und Fragestellungen sowohl theoretischer als auch praktischer Natur in Bezug auf die Phänomene des gesellschaftlichen Lebens und der politischen Herrschaft sowie auf deren Grundwerte zum Ausdruck bringen. Die Geschichte der politischen Institutionen erforscht die Grundstrukturen des Staates und ihre internen Artikulationen (öffentliche Verwaltung, Justiz, Militär, wirtschaftliche und soziale Institutionen) mit besonderem Augenmerk auf die politisch-historischen Aspekte. Forschungsgegenstand des Bereichs „Geschichte der internationalen Beziehungen“ ist die historische Rekonstruktion der Beziehungen von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren zueinander im internationalen System. Dazu gehören die Geschichte der Verträge, die Geschichte der europäischen Integration und die Geschichte der politischen Beziehungen zwischen Nordamerika und Europa. Die Soziologie der politischen Phänomene beschäftigt sich vorwiegend mit dem Verhältnis von Gesellschaft und politischen Institutionen (Parlament, Regierung, politische Parteien), insbesondere mit der Wirkung strategisch-bindender Entscheidungen auf die gesellschaftlichen Strukturen. Zudem umfasst der Bereich die Analyse des Verhältnisses zwischen sozialen Systemen und Politikfeldern, die Soziologie der öffentlichen Verwaltung,



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die Soziologie der internationalen Beziehungen und die Politische Kommunikation. Die Entwicklung und Konsolidierung der politischen Studien in Italien verdanken sich hauptsächlich der Gründung von Fakultäten für Politische Wissenschaften (im Plural, wohlgemerkt). Auf der Errichtung der Scuola di Scienze politiche e sociali „Cesare Alfieri“ in Florenz im Jahre 1875 folgten vor dem Zweiten Weltkrieg drei weitere Fakultäten im Jahr 1924 in Rom, Padua und Pavia, und 1927 die „Faschistische Fakultät für Politische Wissenschaften“ von Perugia. Nachdem 1948 ein Plan zur Abschaffung der Fakultäten für Politische Wissenschaften als angeblicher Produkte des faschistischen Regimes rückgängig gemacht wurde, mehrte sich ihre Zahl in den 60er und vor allem in den 70er Jahren, in denen die Transformation der Universitäten in Masseninstitutionen der Lehre die Zunahme an Lehrveranstaltungen und Professuren bewirkte.15 In Folge der Umsetzung des „Bologna Prozesses“ seit 1999 bzw. 2001 mit der Einführung des zweistufigen „Drei-plus-zwei“-Abschlusssystems (Laurea – Bachelor und Laurea specialistica bzw. Laurea magistrale – Master) registriert man ein Wachstum und eine weitere Ausdifferenzierung der Studiengänge innerhalb der Fakultäten für Politische Wissenschaften, die ohne weiteres als Stätte der Multi- und Interdisziplinarität betrachtet werden können – zumindest programmatisch. Und dies in zweifacher Hinsicht: sowohl in Bezug auf die politischen Studien im engeren Sinne, als auch auf die Studienordnungen und -pläne der jeweiligen Studiengänge, in denen das Lehrangebot, neben den genannten wissenschaftlich-disziplinären Bereichen, juristische, wirtschaftswissenschaftliche, philosophische, historische, psychologische und soziologische Disziplinen umfasst. Multi- und Interdiszi­ plinarität kennzeichnet die Forschung extrafakultär in den Departments für Politische Wissenschaften, wie es oft selbst aus ihren Benennungen (wie etwa Department für Politische und Soziale Wissenschaften bzw. für Philosophie und Politik oder für Historische und Sozialpolitische Wissenschaften) deutlich hervorgeht. Unter den 95 (staatlichen und gesetzlich anerkannten nichtstaatlichen) italienischen Universitäten gibt es 37 Fakultäten für Politische Wissenschaften. 45 ist die Zahl der einschlägigen Departments, inklusive der universitären Institute und Forschungszentren mit Schwerpunkt Politik. Was das unbefristete Lehrpersonal betrifft, bestehen im wissenschaftlichdisziplinären Bereich Politische Philosophie 44 Stellen für ordentliche Professoren, 24 für zugeordnete Professoren (Associate Professor, W-2), 46 für 15  Zur Geschichte der Fakultäten für Politische Wissenschaften s. Spreafico, Alvazzi del Frate und ausführlicher Lanchester.

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Forscher (Assistant Professor), also insgesamt 115. Im Bereich Politikwissenschaft gibt es 62 Ordinarien, 53 zugeordnete Professoren und 85 Forscher (insgesamt 200 Lehrpositionen). Wenn wir die Stellen in den Bereichen Politische Ideengeschichte (insgesamt 149), Geschichte der politischen Institutionen (68), Geschichte der internationalen Beziehungen (insgesamt 66), und Soziologie der politischen Phänomene (51) dazu rechnen, betragen die Lehrpositionen im Gesamtbereich Politik 649 planmäßige Stellen. Die größte Anzahl von politischen Philosophen und Politikwissenschaftlern ist in den Fakultäten für Politische Wissenschaften tätig. In diesen machen, prozentual betrachtet, politische Philosophen 5,1%, Politikwissenschaftler 8,8%, Historiker politischer Ideen 6,6%, (sonstige) Historiker 9,6%, Rechtswissenschaftler 24,5%, Wirtschaftswissenschaftler 20,6%, (sonstige) Soziologen 13,5% des gesamten Lehrkörpers aus.16 Die Fächer Politische Philosophie und Politische Ideengeschichte sind an einigen Universitäten auch in den Fakultäten für Literatur und Philosophie angesiedelt, meistens (aber nicht nur) an den Universitäten ohne Fakultät für Politische Wissenschaften. Sie sind zudem in den Fakultäten für Rechtswissenschaften, Soziologie, Wirtschaftswissenschaften und in der Fakultät für Bildungsund Kommunikationswissenschaften vertreten. Es soll noch vermerkt werden, dass die Geschichte der politischen Philosophie eine Teildisziplin des wissenschaftlich-disziplinären Bereichs Geschichte der Philosophie bildet. Man kann diese Zahlen verschieden interpretieren. Angesichts der seit mindestens 15 Jahren andauernden, immer noch „unvollendeten“ Reform des Hochschulwesens einerseits, und der schwierigen finanziellen Lage der Universitäten in Italien andererseits wage ich zu behaupten, dass der Gesamtbereich Politik nicht schlechter gestellt ist als andere Lehr-und Forschungsbereiche. Die Ressourcen für Personal, Lehre und Forschung stammen überwiegend aus staatlichen Mitteln und sind im jährlichen Gesamtbudget für die Universitäten enthalten. Der ständige Abbau von Ressourcen und die Budgetstreichungen treffen alle unterschiedslos, sozusagen blind. Sie zielen also nicht auf bestimmte Stellen oder – zumindest bis jetzt – auf einzelne Studiengänge, vorausgesetzt, letztere genügen den vom MIUR festgelegten Minimalanforderungen bezüglich der Anzahl der regulären Studierenden und der den Studiengängen zugewiesenen planmäßigen Lehrstellen. Es wird den einzelnen Universitäten bzw. Fakultäten überlassen, mit dem mühsamen Trade-off zwischen Finanz- bzw. Personalmitteln und Bildungsangebot – der immer öfter einer Quadratur des Kreises ähnelt – zurecht zu kommen. Das wirkt dramatisch nicht zuletzt angesichts der Zahl 16  Quelle: www.miur.it. Zur aktuellen Lage der Politikwissenschaft im italie­ nischen Hochschulbildungssystem s. Freddi / Giannetti (2007) und ausführlicher Capano / Tronconi (2005) und Capano / Verzichelli (2010).



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der Erstimmatrikulierten, die seit 6 Jahren an den Fakultäten für Politische Wissenschaften ständig weit über 20.000 Studierende beträgt. Geteiltes Leid ist halbes Leid? Vor dem Hintergrund der hier nur skizzenhaft geschilderten aktuellen Sachlage – und mit ein wenig Willensoptimismus und doch auch einer Prise Vernunftoptimismus – kann der Umstand, dass die Politische Philosophie, die Politische Ideengeschichte und die Politikwissenschaft in der Regel in eigenständigen Fakultäten für Politische Wissenschaften verankert sind als eine, wenn auch gemäßigte Garantie ihres Fortbestehens und womöglich ihrer steigenden Relevanz angesehen werden. Wie erwähnt, erfreuen sich die Fakultäten für Politische Wissenschaften in Italien einer relativ langen Tradition. Die drei Disziplinen gelten als Pflichtfächer in den Bachelor- und in den meisten Masterstudiengängen, aber auch in den sozialwissenschaftlichen Bachelorstudiengängen an den anderen genannten Fakultäten. Was das Forschungsdoktorat betrifft – es entspricht dem angloamerikanischen Ph.D., dauert im Schnitt drei Jahre und wird durch staatliche Stipendien finanziert, die in jährlich ausgeschriebenen Wettbewerben an die Doktoranden vergeben werden –, gibt es sieben Doktoratsschulen im Bereich Politikwissenschaft (Padua, Florenz, Siena, Trient, Turin, Mailand und Pavia), fünf für Politische Wissenschaften (Catania, Genua, Pisa, Messina und Rom) und zwei im Bereich Politische Philosophie und Politische Ideengeschichte (Padua / Catania und Rom). Zudem sind die drei Disziplinen in allen Doktoratsschulen der Sozialwissenschaften und in den meisten der Rechtswissenschaften (Politische Ideengeschichte auch in den Studienplänen des Doktoratstudiums der Geisteswissenschaften) vertreten.17 Weitere Faktoren haben sowohl zur Verstärkung der politischen Studien im akademischen Raum als auch zu ihrer Resonanz in der Öffentlichkeit beigetragen. Zwei davon seien kurz erwähnt: die Gründung von Fachverbänden, die bei der Herausbildung von universitären Gemeinschaften mitgewirkt haben, und die Publikation einer Vielzahl von Fachzeitschriften. Im Jahr 1973 wurde der Italienische Verein für Politische Wissenschaften (Associazione Italiana di Scienze Politiche) gegründet (die ersten Präsidenten waren Sartori und Bobbio), der 1981 in die Italienische Gesellschaft für Politikwissenschaft (Società Italiana di Scienza politica – SIP) umgewandelt wurde, dann der Italienische Verein der Historiker politischer Ideen (Associazione italiana degli Storici delle Dottrine Politiche – AISPD) 1999, die Italienische Gesellschaft für Politische Philosophie (Società Italiana di Filosofia Politica – SIFP) 2001 und die Gesellschaft für Politische Studien (Società di Studi Politici) 2004 (es handelt sich um eine Neugründung: die Gesellschaft wurde 1924 auf Anregung von Croce gegründet und unter dem 17  Quelle:

www.miur.it.

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Faschismus abgeschafft). Referenzpunkt im Bereich Internationale Beziehungen ist das Institut für Internationale Politikstudien (Istituto di Studi di Politica Internazionale – ISPI; www.ispionline.it), das eine eigene elektronische Zeitschrift publiziert. Unter den Fachzeitschriften sind in erster Linie Filosofia politica, die Rivista italiana di scienza politica und Il Pensiero Politico: Rivista di Storia delle Idee Politiche e Sociali (Florenz) zu nennen, die schwerpunktmäßig die drei politischen Forschungsgebiete vertreten. Die zwei ersten werden von dem Verein für Kultur und Politik Il Mulino gefördert, der mittlerweile der größte italienische Verlag für Bücher und Essays auf dem Forschungsfeld Politik ist. Der Verein wurde in den 50er Jahren in Bologna mit dem Ziel gegründet, die ideologische Konfrontation zwischen der katholischen, der marxistischen und der laizistischen Kultur zu überwinden. Seit den 60er Jahren fördert der Verein das Istituto di studi e ricerche Carlo Cattaneo, der sich, auch durch die Zeitschrift Polis: Ricerche e studi su società e politica in Italia, als eines der bedeutendsten interdisziplinären Forschungszentren für Politik etabliert hat. Die Interdisziplinarität charakterisiert weitere sehr verbreitete Fachzeitschriften, wie z. B. Il Politico. Rivista italiana di Scienze Politiche, Teoria politica (Turin), Ricerche di storia politica (Bologna), Quaderni di Scienza Politica (Pavia), Scienza & Politica: Per una storia delle dottrine (Bologna). Politikfeldorientiert sind Notizie di Politeia: Rivista di etica e scelte pubbliche (Mailand), die Rivista italiana di Politiche Pubbliche (Bologna), Stato e mercato und die Zeitschrift Filosofia e Questioni Pubbliche (Rom) mit ihrem Schwerpunkt auf dem Wechselverhältnis zwischen Politischer Philosophie, Angewandter Ethik und Sozialphilosophie. Unter den einschlägigen elektronischen Zeitschriften heben sich hervor die Rivista della Società Italiana di Filosofia Politica (www. sifp.it), der Bollettino telematico di Filosofia politica (Pisa; bfp.sp.unipi.it) und Etica & Politica / Ethics & Politics (Triest; www2.units.it / etica). Neben den Fachzeitschriften gibt es mehrere Kulturzeitschriften (wie zum Beispiel Il Mulino, Reset, Ideazione, Liberal, Micromega) mit Beiträgen von politischen Philosophen und Politikwissenschaftlern – einige von ihnen wirken auch als Kolumnisten in den meistverbreiteten Tageszeitungen – zur Zeit schreiben sie hauptsächlich über die „unvollendete Demokratie“ Italiens und die anstehende föderalistische Verfassungsreform. IV. Italienische Politikforschung – Ein Ausblick In den politischen Studien hat sich in Italien eine weit ausdifferenzierte Forschungslandschaft herausgebildet, die das breite Spektrum der wissen-



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schaftlich-disziplinären Bereiche abdeckt. Gegenwärtig finden Untersuchungen und Debatten zu allen grundlegenden Fragen der älteren und jüngeren politischen Theorie statt. Eine detaillierte Darstellung auch nur der einschlägigen Hauptströmungen würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.18 Deshalb beschränke ich mich auf einige Bemerkungen zunächst allgemeiner Natur vor dem Hintergrund der Eigentümlichkeit der aktuellen Sachlage in Italien, um dann abschließend die Frage nach der Rolle der Politischen Philosophie im Kontext der neueren Forschungstendenzen wieder aufzugreifen. Bekanntlich gibt es keinen Artenschutz für akademische Disziplinen. Nicht nur, aber vor allem in einer Situation, die durch Ressourcenknappheit und gleichzeitig Studienreform gekennzeichnet ist, scheint – sowohl inner­ universitär als auch außeruniversitär – ein Hang zur Selbstbezogenheit, Selbstbeschäftigung und Nischenkultivierung aussichtslos. Universitätsintern beeinträchtigen solche Neigungen die Interaktionsmöglichkeiten mit anderen Disziplinen bei der Gestaltung von Lehrmodulen, universitätsextern – und das ist m. E. noch schwerwiegender – werden sie wahrgenommen als Symptome der Unfähigkeit, die neuen gesellschaftlichen Entwicklungen und Herausforderungen zu bewältigen. In einem solchen Szenario haben in Italien diejenigen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen bessere Chancen, dem drohenden Verlust an Status und Aufmerksamkeit zu entkommen, die Integrationspotenzial, Bereitschaft zur Zusammenarbeit und – zumindest indirekt – lebensweltliche Nähe nachweisen können. Voraussetzung dafür ist die Ablegung jeglichen disziplinären Hegemonialanspruchs: eine solche Anmaßung wäre nicht nur unzeitgemäß, sondern auch epistemologisch unhaltbar. Die Anerkennung einer Disziplin bemisst sich nach ihrer Forschungs- und Innovationsproduktivität und erfolgt durch andere Disziplinen, indem diese deren Leistungen und Beiträge für relevant, erforderlich, ja unentbehrlich halten. In dieser Konstellation scheinen mir die Politikwissenschaft und die Politische Philosophie relativ gut ausgestattet zu sein. Wie bereits mehrmals betont, sind beide interdisziplinär ausgerichtet und – wie ihre Entwicklung in Italien zeigt – offen für die Kooperation mit den rechts-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Nachbardisziplinen. Und dies über die obsolet gewordene Dichotomie positivistischer Herkunft zwischen Empirie und Theorie hinaus. Die ausgeprägte Tendenz zur Theoriebildung der Politikwissenschaft, die von Bobbio und Sartori hervorgehoben wurde, erleichtert die Aufeinanderverwiesenheit von beiden Disziplinen, wobei allerdings Metho18  Es sei für die Politikwissenschaft u. a. auf Pasquino (1986), Fisichella (1988), Morlino (1989), Panebianco (1989) und Mongardini (2004), für die Politische Philosophie auf Maffettone / Veca (1996), Veca (1998) und Gatti (2007), für die Politische Ideengeschichte auf Galli (2001) und Galli / Esposito (2005) verwiesen.

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den und Herangehensweisen ständig neu zu präzisieren sind. Sie sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass sich die Politische Philosophie der Ergebnisse der empirischen politikwissenschaftlichen Forschung vergewissern muss, wie umgekehrt grundsätzliche Fragen, die sich bei der empirischen Forschung stellen, auf normative Probleme hinführen, mit denen sich die Politische Philosophie seit je hauptsächlich befasst. Diese Diagnose bestätigt sich, wenn man als Indikator die in den letzten 10 Jahren vom MIUR finanzierten „Forschungsprojekte von nationalem Interesse“ (PRIN) in Betracht zieht, zu deren Durchführung sich interuniversitäre Forschungsgruppen bilden – allerdings ohne dabei zu vergessen, dass die ständige Kürzung der Fördermittel die Geistes- und Sozialwissenschaften stark benachteiligt. Die traditionellen politikwissenschaftlichen Forschungsgebiete – politische Institutionen, politische Systeme, Interessengruppen und komplexe Organisationen, vergleichende Politik –, die seit den 90er Jahren fest etablierte Politikfeldanalyse und die neuerdings stark expandierenden Untersuchungen über die politische Kommunikation, die den traditionellen Gegenstandsbereich der empirischen Wahlforschung um die medialen Komponenten erweitern, weisen zunehmend einen fachübergreifenden Charakter auf. Im Forschungsfeld „europäische Politik“ bieten sich Überschneidungsbereiche an, die Fächerkombinationen erfordern. Themenschwerpunke wie die Frage nach den innerstaatlichen Integrationsmöglichkeiten von ethnischen Minderheiten und von Zuwanderern, das Verhältnis von staatlicher Souveränität und den übernationalen Ausformungen der Entscheidungsstrukturen und -organe bis hin zur Verbindung von Government und Governance im europäischen Mehrebenensystem werden im Rahmen der übergreifenden Frage nach der Innovationsfähigkeit, aber auch nach den Defiziten der verschiedenen Demokratiemodelle behandelt, die sich im Laufe des vorigen Jahrhunderts in Europa etabliert haben. Daran schließt sich das erneute Forschungsinteresse an einer Philosophie der internationalen Politik an. Vor dem Hintergrund zunehmender Globalisierungsprozesse und deren Auswirkungen sowohl auf die lebensweltliche Vergesellschaftungsstrukturen als auch auf eine multipolar werdende Weltordnung beschäftigt sich die jüngste italienische Forschung mit den strittigen Fragen der Neugestaltung supranationaler Institutionen im Lichte der aktuellen Debatte über die verschiedenen kosmopolitischen Theorieansätze. Dieser Themenkomplex bildet einen Schwerpunkt der 2001 in Florenz gegründeten Zeitschrift für Völkerrecht und globale Politik Jura Gentium, an der politische Philosophen und Politikwissenschaftler ständig mitwirken. Entgegen dem Eindruck von Fragmentierung und Zersplitterung der Politikforschung hat neuerdings Sebastiano Maffettone für einen „gastfreundli-



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chen Pluralismus“ in der Politischen Philosophie plädiert, der die Integrationsoffenheit und die Bereitschaft zur Interdisziplinarität des Faches mit dem breiten Spektrum der Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften fördere.19 In der sachlichen Konfrontation mit den Nachbardisziplinen über die politischen Phänomene, die politischen Praktiken und die Bildung der politischen Urteilskraft in der Lebenswelt gewinnt die Politische Philosophie ihre Identität, die nicht monolithisch, sondern eben pluralistisch sein muss. In der Praxis der Politischen Philosophie in Italien haben sich zwei Forschungsrichtungen konsolidiert, die normative und die historisch-hermeneutische. Erstere sieht die Hauptaufgaben des Faches in der Reflexion auf die empirische Forschung und in der Explikation bzw. Ausarbeitung von Orientierungsmodellen für die politische Praxis, die, durch die kritische, oft radikale Infragestellung bestehender Denk- und Wahrnehmungsmuster, der Veränderung von etablierten politischen bzw. machtpolitischen Verhältnissen dienen sollen. Die Analysen und theoretischen Vorschläge in den verschiedenen Politikbereichen – Gerechtigkeitsfragen, Umbau des Wohlfahrtsstaates, zivilgesellschaftliches Engagement, Partizipation und deliberative Demokratie, Multi- und Interkulturalität, die Transformation des Nationalstaates im Kontext von Europäisierung und Globalisierung, das Verhältnis von Religion bzw. Zivilreligion und Politik – werden, wie erwähnt, wenn auch mit Bezugnahme auf landesspezifische Probleme, vor dem Hintergrund der einschlägigen internationalen Debatten, mit einem „universalistischen“ Ansatz geführt. Die historisch-hermeneutische Perspektive fokussiert sich auf die Rekonstruktion von politischen Traditionen und auf die Wirkungsgeschichte der politischen Ideen. Die Interpretation des politischen Denkens in und aus seiner Zeit und die Erforschung von Genese und Sinnzusammenhängen der in der Alltagswelt meistens unreflektiert verwendeten politischen Begriffe – wie z. B. Demokratie, Bürgerschaft, Anerkennung, Macht usw. – haben nicht nur einen intrinsischen Wert, sondern sie erfüllen auch eine wesentliche Funktion für den Gegenwart. Sie bilden nämlich einen Fundus von Denk- und Argumentationsmustern, der immer neu bearbeitet werden muss, wobei neue Problemstellungen, alternative Lösungsmöglichkeiten und handlungsorientierende Vorbilder gewonnen werden können. In der Tat, wenn man mit konkreten, d. h. komplexen politischen Fragen konfrontiert ist, erweist sich die Verkoppelung der normativen und der ideengeschichtlichen Dimension mit ihren jeweiligen Methodologien als unentbehrlich. Je mehr die akademische Gemeinschaft einer Disziplin sich des eigenen Forschungspotentials sicher ist, desto selbstbewusster wird sie mit anderen 19  Maffettone

(2000).

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kooperieren. Eine defensive Haltung lässt fast immer Schwäche und Unsicherheit durchblicken. Die angedeutete „Einheit in Vielheit“ der Politikforschung und der Politischen Philosophie als Disziplin lässt sich m. E. am besten bewahren und implementieren durch eine deutlichere Orientierung an lebensweltlichen Problemen, die von der rückgekoppelten Selbstreflexion über die eigene Leistungsfähigkeit begleitet ist. Eine solche Orientierung trägt dazu bei, dass die notwendigen Spezialisierungen, die den wissenschaftlichen Charakter einer Disziplin ja ausmachen, in der breiten Öffentlichkeit als proaktive Faktoren zu Problemlösungen wahrgenommen werden. Es gibt ein breites thematisches Feld, dessen Erforschung exemplarisch eine enge kooperative Zusammenarbeit von verschiedenen Fächern und Kompetenzen verlangt und als Indikator von Vitalität in dem besagten Sinn darstellt: die normativen, politischen und praktischen Implikationen bei dem Schutz und der Förderung von Menschenrechten. Bei den Menschenrechten sind die Grenzen des Juristischen, des Wirtschaftlichen, des Gesellschaftlichen, des Philosophischen fließend, was auf den ersten Blick als ein Nachteil für die innere Einheit und die Autonomie einer Disziplin erscheinen kann. Wenn wir aber davon ausgehen, dass das Profil einer Disziplin erst in der Auseinandersetzung mit den anderen sich abzeichnet, dann werden sowohl ihr Spezifikum als auch ihr Leistungspotential für die anderen Disziplinen ersichtlich. Entgegen einem verbreiteten Vorurteil, nach dem die Philosophie und also auch die Politische Philosophie bloß fragenorientiert und daher nicht problemorientiert ist, geht aus der Durchführung von interdisziplinären und vor allem transdisziplinären Forschungsprojekten, an denen gesellschaftliche Akteure und Menschenrechtsorganisationen mitbeteiligt sind, deutlich hervor, dass Grundlagen -und Prinzipienfragen und die Begriffsanalyse der schwankenden Semantik politischer Termini handfeste Konsequenzen in der Menschenrechtspraxis haben. Und dies um so mehr, als die Politische Philosophie imstande ist, durch ihre Deutungsangebote und ihre normativen Leitvorstellungen die kritisch-rationale und argumentative Einstellung in der spannungsreichen, brüchigen Lebenswelt zu fördern. Literatur Alvazzi del Frate, Paolo: Tra diritto e politica. Le Facoltà di scienze politiche e la formazione della burocrazia in Italia, in: Varni, Angelo / Melis, Guido (Hg.): Burocrazia e scuola. Per una storia del personale pubblico nell’Otto-Novecento, Turin, 2000, S.  249–265. Bedeschi, Giuseppe: La fabbrica delle ideologie. Il pensiero politico nell’Italia del Novecento, Rom, 2002.



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Die Lage der Politischen Theorie in Polen Von Andrzej Przylebski Über zwanzig Jahre nach dem Mauerfall, zu dem die polnische Massenbewegung „Solidarnosc“ maßgeblich beigetragen hat, ist die Frage nach der Lage des politischen Denkens in Polen ganz legitim. Den Kontext dieser Frage bildet einerseits die schlichte Tatsache, dass die Entstehung der ersten freien Gewerkschaften im kommunistischen Block ganz ohne politischen Ideen unmöglich gewesen wäre (auch wenn diese Ideen nicht immer die Gestalt einer voll entwickelten Theorie annahmen1), andrerseits aber die Feststellung, dass sich im heutigen Polen, sowohl im Verwaltungsapparat wie auch in der bürgerlichen Gesellschaft, kaum jemand um eine Inspira­tion eigener Handlungen durch politische Theorien kümmert. Insbesondere die Schwächung des Interesses für die Errungenschaften der politischen Wissenschaften und der politischen Philosophie bei den Politikern muss deshalb als Ausgangspunkt dieser Darstellung gelten, die durch die Sorge um eine reflektierte Politik geleitet wird. I. Vor der Wende Die Situation des politischen Denkens in Polen vor der Wende kann man sich leicht vorstellen: die Parteipolitologen und Parteiphilosophen haben sowohl die Doktrin wie die politische Praxis wesentlich geprägt. Adam Schaff, Leszek Kolakowski oder Zdzislaw Cackowski – ich nenne nur die bekanntesten Marxisten verschiedener Perioden des kommunistischen Regimes in Polen – bereiteten die offizielle Linie der Vereinigten Arbeiterpartei Polens (PZPR) vor, saßen in ihren Gremien, wie dem Zentralkomitee, dem Politbüro usw. Einige von ihnen, wie Leszek Kolakowski oder Zygmunt Bauman, wurden infolge der Distanzierung von der Parteilinie mit der Zeit als Revisionisten abgestempelt, mit der Empfehlung, das Land zu verlassen, was sie auch getan haben. Der Einfluss der Konzepte, die sie im Westen 1  Zu den Versuchen, auf der Idee der Solidarität eine politische Theorie aufzubauen vgl. den Aufsatz von Jacek Koltan („Die Macht, die von unten kommt. Ethos der Solidarität und Politik des Alltagslebens“) in: A. Przylebski (Hg.), „Ethik im Lichte der Hermeneutik“, Königshausen & Neumann, Würzburg 2010, S. 187–198 (und die darin enthalten Literaturhinweise).

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entwickelten, auf die Gestaltung des politischen Denkens in Polen war eher gering, vielleicht mit der Ausnahme von Kolakowskis „Hauptströmungen des Marxismus“. Dieses Werk hat allen, die imstande waren, mit eigenen Augen zu sehen und mit eigener Vernunft zu denken, gezeigt, dass der russische Kommunismus eine Sackgasse ist. Im negativen Sinne war also die Wirkung dieses Buches befreiend, im positiven Sinne hat aber keiner der politischen Exilphilosophen eine politische Theorie ausgearbeitet, die zukunftweisend wäre. Der einzige, der vor der Wendezeit in diesem Bereich wirklich kreativ gewesen ist, war der Posener Jurist und Philosoph Leszek Nowak. Er war mit Abstand der talentierteste polnische Denker der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, schuf Theorien zu verschiedenen Lebens- und Forschungsbereichen, beginnend mit Jura. Darauf folgte eine innovative Theorie zur Ethik, danach eine Wissenschaftsphilosophie, die bis heute, nach seinem Tode, von seinen Anhängern fortgeführt wird. Zuletzt hat er eine Anthropologie entwickelt. Die bekannteste von allen war aber seine Sozialtheorie, die sich selbstverständlich in eine politische umsetzen lässt. Er selbst nannte sie „ein Nicht-Marxscher historischer Materialismus“. Eine Vorarbeit dafür schuf der jugoslawische Sozialphilosoph Milovan Dzilas, mit seiner These über die „rote Bourgeoisie“, mit der die Parteifunktionäre als eine neue parasitäre Ausbeuterklasse betrachtet wurden. Nowak knüpfte daran an und entwickelte eine „Drei-Herren-Theorie“, die in der Zeit der ersten „Solidarnosc“ (1980–1981) sehr populär und einflussreich wurde. II. Nach der Wende: das Schicksal der Politischen Theorie in der politischen Wirklichkeit Die Zeit nach der Wende – und die bildet hier den Schwerpunkt meiner Darstellung – war durch die möglichst schnelle Rückkehr Polens zum kapitalistischen Wirtschaftssystem geprägt. Die einzige effiziente Theorie, die den Entscheidungsträgern die Verwirklichung dieses Ziels zu garantieren schien, war der Liberalismus. Und zwar in seinen verschiedenen Versionen. Als Hauptvertreter dieser Linie galt der Ökonomieprofessor Leszek Balcerowicz, der große Reformer des polnischen Finanzsystems nach dem Mauerfall. Die wichtige Unterstützung für diese Entwicklungsrichtung – die gleichzeitig eine Zurückweisung der Suche nach einem sog. „Dritten Weg“ bedeutete – kam aus den Reihen der „Danziger Liberalen“ mit dem jetzigen Premierminister Donald Tusk an der Spitze. Die Intellektuellen der Opposition und die Solidarnosc-Aktivisten aus Warschau, wie Jacek Kuron, Adam Michnik oder Bronislaw Geremek, versuchten dennoch für den Dritten Weg (eine mittlere Linie zwischen dem



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entfremdenden, liberalen Kapitalismus und dem ebenso dehumanisierenden realen Sozialismus) zu plädieren. Die Partei, die dieses Programm unterstützte – es war die „Freiheitsunion“ (UW) – hatte einen wichtigen Anteil an den Regierungen der ersten 10 Jahre nach der Wende. Mit der Zeit haben sich aber die Wähler völlig von ihr abgewendet. Der Grund waren einerseits verschiedene Konzessionen an die ehemaligen Kommunisten, jetzt zu So­ zialdemokraten umgemünzt, anderseits die Hemmung der Demokratisierungsprozesse durch Elitarismus und Besserwisserei, die diese Partei auszeichnete. Die Korruptionsaffären haben diese politische Richtung (die sich weitgehend an politische Theorien aus Skandinavien orientiert) von der Bühne verschlagen. So kam die rechte bzw. die konservative Seite der politischen Welt zu Wort, was die Belebung der theoretischen, darunter auch der philosophischen, Debatte um die Gestaltung der politischen Sphäre führte. Es war eine Debatte um die Ziele, die Mittel und die Richtung der gesellschaft­ lichen Entwicklung. Mit den Rechten bzw. Konservativen meine ich die zwei Volksparteien: „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), die von den Gebrüder Kaczynski gegründet wurde, und die um Donald Tusk zentrierte „Bürger­ liche Plattform“ (PO), eine Umbildung der Partei der Danziger Liberalen (sie hieß KLD: „Liberal-Demokratischer Kongreß“). Infolge der großen Krise der Sozialisten (bzw. „Sozialdemokraten“) haben die beiden oben genannten Parteien im Jahre 2005 die Wahlen hoch gewonnen. Damit wurde auch – vor allem durch die Initiative der Kaczynskis – die politisch-philosophische Diskussion um die Neugestaltung der Politik initiiert. Als Stichwort der Debatte galt der – für die beiden damals als notwendig empfundene – Aufbau der sog. „Vierten Republik“.2 Nun hat sich rasch herausgestellt, dass die beiden Volksparteien diese Idee ein wenig anders verstehen. Die PO war eigentlich, wie oben angedeutet, eine um populistische Elemente bereicherte Partei der Danziger Liberalen; die PiS – eine wirtschaftlich liberal, kulturell aber eher konservativ und national orientierte Gruppierung. In der Begrifflichkeit der Hegelschen Sittlichkeitstheorie ausgedrückt könnte man vielleicht sagen, dass die PO die These über die Alleinherrschaft der bürgerlichen Gesellschaft vertritt, wäh2  Die 1.  Republik war die Adelsrepublik der frühen Neuzeit, die mit der 3.  Teilung Polens im Jahre 1795 durch Russland, Preußen und Österreich aus der Landkarte verschwand; die 2. Republik lebte 2 Dekaden: in den Jahren 1919–1939; die Zeit 1945–1989 war die Zeit der Existenz der halbautonomen Polnischen Volks­ republik, weshalb im Jahre 1989 die 3.  Republik proklamiert wurde. Die Rede über der 4. Republik hat selbstverständlich nur einen symbolischen Charakter, denn regelkonform konnte auch die Zeit nach den Wahlen 2005 nur als die Fortsetzung der 3.  Republik verstanden werden.

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rend die PiS die Bedeutung der ausbalancierten Triade: Familie – bürger­ liche Gesellschaft – Staat hervorhebt. Dies überträgt sich auf das politische Denken insofern, als die PO den Staat schwächen und seine Aufgaben so weit es geht den NGOs überlassen will, während die PiS ihn stärken möchte. Denn nur in einem starken Staat sieht sie die Garantie für eine ausgeglichene, solidarische und dem Weiterbestehen der Nation dienende Entwicklung des Landes unter ganz neuen Bedingungen, die vor allem durch den Beitritt Polens zur EU und die Aufwachung Russlands geschaffen wurden. Für viele Polen, vor allem der jüngeren Generation, gilt die Einstellung der Bürgerlichen Plattform (PO) als proeuropäisch und modern. Sie glauben, PO verkörpere die Linie bzw. die Ideale, die uns, Polen, „verwest­ lichen“ (Eng. „westernise“) wird und in die neue paneuropäische Gesellschaft (Vereinigtes Europa) integrieren wird. Die PiS, die Hegelianer sozusagen, glauben nicht an das langsame Verschwinden der Nationalstaaten. Sie betonen deshalb die für die Existenz jeder bisher bekannten Gesellschaft tragende Rolle der Familie und die des Staates, und strebten ein „Europa der Nationen“ (und nicht etwa der Regionen oder eines europäischer Superstaates, etwa der „Vereinigten Staaten von Europa“) an. Denn sie sind überzeugt, dass in so einem Superstaat die größeren (v. a. die Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien und Frankreich) über die kleineren (wie die Niederlande, die Slowakei oder die baltischen Länder) bestimmen würden. Und den mittleren, zu denen u. a. Polen gehört, würde dies gar nicht gefallen, denn es würde ihre Rolle erheblich minimieren. Und so ist eine Debatte im Entstehen, die für die Orientierung über die Lage der Politischen Theorie in Deutschland und Europa interessant sein kann. Sie ähnelt ein wenig der Diskussion zwischen zwei großen deutschen Philosophen, Hans-Georg Gadamer und Jürgen Habermas, aus den 70er Jahren. Die PO stünde hier auf der Seite von Habermas: der Vorrang der bürgerlichen Gesellschaft, die durch selbstgesetzte Prozeduren alles bestimmen und alles verändern darf, ohne auf die Tradition, auf die erfahrungsbedingte historische Vernunft der Nation, auf das „wie es ist und war“, zu blicken. Die PiS dagegen plädiert für die Vorsicht vor der Übermacht der bürgerlichen Gesellschaft (und d. h. des Marktes) und für die Berücksichtigung der tragenden Rolle der Familie, der Kirche, der kritisch beleuchteten Tradition und für die regulierende, ausgleichende und stimulierende Funk­ tion des Staates. Die Stärkung des Staates in mancherlei Hinsicht war und ist nach wie vor das Stichwort dieser Partei. Wenn ich die Frage zu beantworten versuche, inwiefern sich die führenden Politiker der politischen Theorie und der politischen Philosophie (die für meine Begriffe in enger Beziehung zueinander stehen) bedienen, so würde ich folgendes sagen: Unterschiedlich, je nach den persönlichen, cha-



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rakterlichen Eigenschaften der einzelnen Politiker. Es ist dennoch nicht zu bestreiten, dass die Führung der „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) am reflektiertesten und durch die Lektüre der Sozialtheoretiker am stärksten geprägt zu sein scheint. Jaroslaw Kaczynski ist ein ausgezeichneter Kenner des politisch-philosophischen Gedankensgutes, jederzeit für eine diesbezügliche Debatte offen und bereit. Die Sozialdemokraten sind in zwei Generationen gespalten: die ältere orientiert sich an dem pragmatischen, antiideologischen Modell von Gerhard Schröder, in dem es für Theorien kaum Platz gibt, die jüngere hat sich um die Zeitschrift „Kultura Polityczna“ versammelt. Eben sie versucht, die neusten Tendenzen der linken politischen Theorie anzueignen, zu diskutieren und zu popularisieren. Einflussreich ist sie momentan nicht, ihre Bedeutung scheint jedoch allmählich zu wachsen, unter anderem durch die Errichtung eines großen Bildungszentrums in Warschau und durch die Entstehung vieler kleiner Filialen in manchen anderen Universitätsstädten (wie mein heimatliches Poznan zum Beispiel).3 Für die Lage der politischen Theorie in der politischen Szene Polens scheint mir dennoch das Verhalten der „Bürgerlichen Plattform“ (PO) am typischsten zu sein. Als sie, infolge der Entmachtung der PiS vor drei Jahren, zu einer regierenden Volkspartei wurde, hat sich ihre Einstellung zur politischen Theorie total verändert. Die Führung der Partei hat auf jegliche Verbindung zu einer konkreten politischen Theorie, einschließlich der des Liberalismus, ihrer früheren Hauptideologie, verzichtet. Von der Partei einer liberalen Gesellschaftsvision wurde sie zur Partei der Staatsverwaltung, die nur am Behalten der Macht interessiert ist. Sie meidet es sorgfältig, irgendwelche politischen Theoretiker in ihrer Reden oder Programmen zu benennen. Statt dessen richtet sie sich auf fast alltägliche Meinungsforschung in allen für die Machterhaltung wichtigen Lebensbereichen. Sie selbst initiiert diese Forschungen, bestellt sie und studiert sie ständig, vor jeder wichtigeren politischen Entscheidung, aus Angst vor dem Verlust der Unterstützung. Auf jegliche größere Visionen bzw. Verwirklichung der großen Ideale wird hier bewusst verzichtet. Die aktuellen Bedürfnisse der politisch mächtigsten Bevölkerungsgruppen sollten die Entwicklungsrichtung des Landes bestimmen. Jede Staatsreform, die die Interessen der künftigen Generationen in den Vordergrund stellen würde, und damit das Interesse der hic et nunc Lebenden in den Hintergrund verdrängte, muss deshalb gemieden werden. Mit Friedrich Nietzsche könnte man diese Einstellung als die „Diktatur der letzten Menschen“ bezeichnen. 3  Zu den führenden polnischen Zeitschriften, in denen politische Theorie vertreten wird, gehören – außer „Krytyka Polityczna“ – „Fronda“, „Przeglad Polityczny“ und „Nowe Panstwo“.

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III. Die Zeit der Postpolitik Die Analytiker des politischen Lebens in Polen nennen es – oft enthusiastisch, was mich verblüfft – das Eintreten in die Epoche der „Postpolitik“. Das Stichwort dieser Zeitenwende soll lauten: so wenig Politik (im klassischen Sinne) wie möglich. Politik als die Suche nach einer gemeinschaft­ lichen, das gesellschaftliche Leben in Richtung auf das Gute und Gerechte führenden Entscheidung soll durch die fachmännische Verwaltung der Gesellschaft ersetzt werden. Die Ziele der Entwicklung einer jeden Gesellschaft seien ja klar, und Gefahren gibt es keine. Wir leben ja in der Zeit des Endes der Geschichte, wie es Francis Fukuyama einmal im Anschluss an die – von ihm falsch verstandene – Schriften Hegels formulierte. Es dürfen keine höheren Ziele (wie z. B. eine gerechtere Welt oder ein nicht entfremdetes Menschentum) gesetzt werden – die Verwaltung des Gegebenen muss das einzige Ziel der Politik werden. Der Preis dieser Umorientierung ist aber sehr hoch: fast alle Reformen, die die vorherige Regierung (eben der PiS-Partei) eingeleitet hatte, wurden gestoppt. Die Angst vor der Verschlechterung des Unterstützungsgrades macht sie für die regierende Partei zu riskant. Es gilt sowohl für die Verwaltungs- und Gesundheitssysteme, wie für die Polizei, die Armee usw. Die Nachfrage nach einer theoretischen Orientierung, nach einer politischen Theorie, geschweige denn einer Philosophie, kann unter solchen Bedingungen nur sehr gering sein, viel geringer als es in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. Die in Polen momentan betriebene „Postpolitik“, die so erfolgreich zu sein scheint – derzeit ist über 50  Prozent der Bevölkerung mit der jetzigen Regierung zufrieden – schafft den Rahmen für die Kreation und die Rezeption der politischen Theorien und für die Präsenz der Politologen in der Öffentlichkeit. Die letzteren werden zu Medienberatern, als Helfer der Politiker, die an ihrem PR-Image zu arbeiten haben. IV. Die jetzige Lage der Politischen Theorie Wie drückt sich diese Situation in der Politischen Wissenschaft an den polnischen Universitäten konkret aus? Auf diese Frage eine eindeutige Antwort zu erteilen ist fast unmöglich, vor allem weil sich die Dinge im Fluß befinden. Dabei spielt auch der Generationenwechsel eine Rolle. Vor kurzem habe ich einen Artikel über einen in Polen kaum bekannten polnischen Journalisten Aleksander Bregman gelesen. Er ist vor allem deshalb unbekannt, weil er seine berufliche Karriere in der Vorkriegszeit anfing, nach dem Krieg der polnischen London-Regierung treu blieb und das kommunistische Polen oft scharf kritisierte. Pawel Lisiewicz, der seine tief politisch-



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theoretischen Gedanken in der Zeitschrift „Nowe Panstwo“ („Neuer Staat“) besprochen hat, kommt zu folgendem Schluss: „Heute würde man Bregman als Politologen bezeichnen. Es besteht kein Zweifel, dass seine Bücher für die polnischen Studenten der Politikwissenschaften zur Pflichtlektüre werden sollten, im Gegensatz zum pseudowissenschaftlichen Kauderwelsch der Exmarxisten, deren Elaborate unsere Studenten auch jetzt lesen müssen.“4 In diesem Zitat finden wir einen deutlichen Hinwies darauf, was der Entwicklung des politisch-theoretischen Denkens in Polen nach der Wende im Wege stand und nach wie vor zu stehen scheint: es ist der vom ersten nichtkommunistischen Premierminister Polens Mazowiecki durchgesetzte „dicke Strich“: ein Verbot, die Funktionäre des alten Regimes, einschließlich ihrer Ideologen, von der Teilnahme an der Bekleidung der öffentlichstaatlichen Funktionen zu eliminieren. Im Bereich der politischen Theorie bedeutete dies das Unmöglichmachen jeder gerechten „Abrechnung“ mit den Propagandisten der marxistischen Ideologie. Es galt: Im neuen Polen sollten alle die gleichen Chancen haben. Man vergaß nur allzu schnell da­ rüber, dass 1989 keine „Stunde Null“ war, sondern eine ganz bestimmte Situation bzw. eine konkrete gesellschaftliche Konstellation, weil es im geschichtlichen Kontinuum keine „tabula rasa“ gibt. Und so behielten die Exmarxisten ihre Lehrstühle und ihren Einfluss auf Studenten, Doktoranden und Medien, kurz: auf die Öffentlichkeit. Der Marxismus war als Theorie so gut wie tot. So wurden von seinen ehemaligen Anhängern keine Theorien gemacht, es wurden lediglich Theorien aus dem Westen, wenn auch in einem sehr eingeschränkten Maß, rezipiert. Ihre eigene Arbeit konzentrierte sich auf den Lehrbetrieb und die aktuelle politische Beratung. Und selbstverständlich auf Intrigen, die neuen Ideen und neuen Ideengebern den Zugang zur Öffentlichkeit erschweren sollen. Die jüngere Generation kann dies vielleicht in der Zukunft ändern. Interessant dabei ist, dass man in dieser Hinsicht meines Erachtens mehr von den politologisch interessierten Historikern als von den eigentlichen Politologen zu erwarten hat. V. Der Fall Migalski: Zum Schicksal eines jungen Gelehrten Der Fall Migalski scheint in dieser Hinsicht für die Lage der politischen Theorie in Polen sehr bezeichnend zu sein. Dr. Marek Migalski ist einer der begabtesten polnischen Politologen der jüngeren Generation. Er ist Autor zahlreicher Publikationen, darunter eigene Bücher und viele Sammelbände, die er zum Druck vorbereitete. Bis 2009 war er „Adiunkt“ (was etwa dem 4  Vgl. P. Lisiewicz, „Rycerz prasy“ („Der Ritter der Presse“), Nowe Panstwo 7 / 2010, S.  34.

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amerikanischen „assistent professor“ entspricht) am Politologischen Institut der Schlesischen Universität zu Kattowitz. Seine trefflichen Analysen der politischen Situation in Polen, auch über die Verwirklichung politischer Ideale, Programme, Visionen usw. durch polnische Politiker und ihre Parteien, haben die Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam werden lassen. Er war sehr präsent in der Presse, im Rundfunk und im Fernsehen, wo er, oft einsam, gegen den „mainstream“ seines Faches, die logische Kompaktheit der konservativen Entwicklungslinie vertrat. Dies machte ihn in den Augen seiner Fachkollegen zum Anhänger einer Politik, die an den polnischen, durch den „dicken Strich“ geprägten Universitäten unbeliebt ist. (Dies zeigte sich sehr deutlich, als die Akademiker die Idee einer Lustration, d. h. der öffentlichen Erklärung, ob sie mit dem staatlichen Sicherheitsdienst des kommunistischen Regimes zusammengearbeitet haben, mit entschiedener Mehrheit ablehnten). Als sich Dr. Migalski mit seinem neuen Buch habilitieren wollte, wurde sein Antrag auf die Durchführung des Habilitationsverfahrens zunächst von der Schlesischen, dann von der Breslauer und letztendlich von der Krakauer Universität abgelehnt. Eine der versteckten Gründe war seine Kritik an seinem Vorgesetzen, dem Direktor des Instituts für Politikwissenschaft in Kattowitz, dem er vorwarf, enger Mitarbeiter der polnischen Stasi gewesen zu sein. (Der Vorwurf hat sich vor wenigen Monaten als wahr erwiesen). Dieses Verhalten der Verdrängung zeigt deutlich, mit welchen Schwierigkeiten diejenigen Politologen zu rechnen haben, die gegen das herrschende, postkommunistische Establishment auftreten. Im Jahre 2009, nach drei Ablehnungen der Durchführung eines Habilitationsverfahrens, hat Dr. Migalski seine wissenschaftliche Karriere unterbrochen. Seine Popularität in der Bevölkerung machte es ihm möglich, in die Welt der Politik zu wechseln: er wurde ins Europaparlament gewählt. In den Politikwissenschaften sehe ich im Moment niemanden, der ihn ersetzen könnte und seine kritische Arbeit fortsetzen würde. Das heißt nicht, dass sich die polnischen Politikwissenschaften nicht entwickeln würden – wenigstens quantitativ. Denn – und hier einige Angaben, die das Bild der politischen Theorie in Polen ergänzen sollen – in der polnischen akademischen Landschaft gehören die politischen Wissenschaften zu denjenigen, die sich materiell (Anzahl und Ausstattung der Institute) und quantitativ (Anzahl der Lehrenden und der Studierenden) am schnellsten entwickeln. Das hängt eng mit der wachsenden Zahl der Studierenden zusammen, die sich von einem Abschluss in der Politologie, die in Polen sehr eng mit den Verwaltungswissenschaften einerseits und mit einer Ausbildung im Bereich des Journalismus andererseits verbunden ist, eine gute Aussicht auf eine berufliche Karriere versprechen.



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VI. Politologie in Polen Es gibt in Polen 39 staatliche und über 400 private Hochschulen. Nur die ersteren – und nur die Hälfte davon, d. h. 18 – sind als echte Universitäten zu bezeichnen und gelten als solche.5 Die privaten Hochschulen dienen der Verbesserung des Bildungstandes der breiten Gesellschaftsmassen, es wird dort – mit ganz wenigen Ausnahmen – keine Forschung betrieben, auch wenn dort manchmal Politikwissenschaften als Studienfach angeboten werden. Wir reden also über die Lage der Politologie (so wird das Fach in Polen genannt) an den polnischen Universitäten. Als Studienfach gibt es die Politologie seit 1975.6 Studiert wird das Fach üblicherweise im Rahmen der Fakultät für Sozialwissenschaften, manchmal im Rahmen anderer Fakultäten: für Soziologie und Geschichte (Universität in Rzeszow), für Geschichte und Pädagogik (Oppeln), in der Humanistischen Fakultät (Stettin, Grünberg). Manchmal ist die Situation so günstig, dass Politologen ihre eigene Fakultät gründen. Dies geschah neulich an meiner Heimatuniversität, Adam-Mickiewicz-Universität zu Posen, wo Politologen einerseits so vermögend und einflußreich waren, anderseits durch Kollegen aus der Fakultät der Sozialwissenschaften als unwissenschaftlich abqualifiziert (und dem entsprechend blockiert) wurden, dass sie ihre eigene Fakultät, die „Fakultät für Politische Wissenschaften und Journalismus“, in ganz neuen Räumlichkeiten des neuen Universitäts-Campus errichtet haben. Ähnliches geschah vor ein paar Jahren in Warschau, Lodz, Krakau und Thorn. In der Mehrheit dieser Fakultäten gibt es ein Institut für Politologie, und in seinem Rahmen einen Lehrstuhl für Politische Theorie. Nach neusten Angaben gibt es solche Lehrstühle an 15 von 18 Universitäten. Üblicherweise sind an diesen Lehrstühlen zwischen 3 und 8 Personen angestellt. In vielen politologischen Instituten gibt es Lehrstühle, die mit dem Lehrstuhl für Politische Theorie eng zusammenarbeiten können, z. B. Lehrstuhl 5  Die übrigen 18 sind es die ehemaligen Hochschulen für Medizin, Landwirtschaft, Ökonomie etc., die vor der Wende Akademien (z. B. „Akademia Medyczna“) hießen. Weil man den Namen zu sehr mit dem russischen Hochschulsystem assoziierte, wurden fast alle dieser Hochschulen jüngst in Universitäten umbenannt. Im Gegensatz zu den ersten 18, die nur den Namen „Universität“ tragen, sind es aber immer Universitäten „für etwas“: für Landwirtschaft, Medizin, Kunst etc. 6  Bezeichnend für Polen war im Unterschied zu anderen Ländern des Ostblocks die Tatsache, dass es bei uns so etwas wie „wissenschaftlichen Kommunismus“ nie gegeben hat. Dafür war die Wissenschaftskultur Polens, durch die Lemberg-Warschauer Schule geprägt, zu hoch, zu weit fortgeschritten, um den herrschenden Kommunisten die Durchsetzung so einer Pseudowissenschaft möglich zu machen. In der 70er Jahren hat man es mit folgenden Spruch erledigt: „Soll Marxismus als Wissenschaft gelten, dann müsste er zuerst an den Tieren bestätigt werden.“

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für politische Philosophie (Warschau, Krakau) oder für politisches Denken (z. B. Maria-Curie-Sklodowska-Universität in Lublin). An der NicolausCopernicus-Universität zu Thorn gibt es darüber hinaus – eine echte Seltenheit, nicht nur in Polen – einen Lehrstuhl für Hermeneutik der Politik, der sowohl mit den politischen Begriffen, mit Symbolen und Mythen zu tun hat, als auch mit den Erscheinungsweisen der „großen ideologischen Erzählungen“, die auf das Bewusstsein der politischen Gemeinschaften und auf die Poetik des politischen Diskurses einwirken. Meines Wissens gibt es auch wenigstens einen Lehrstuhl für Politische Wissenschaften an einer relativ guten – was eine Ausnahme ist – privaten Hochschule. Es ist die Humanistisch-Naturwissenschaftliche Universität in Kielce, im polnischen Süden. Weil es dort keine humanistische oder sozialwissenschaftliche Fakultät gibt, wurde der Lehrstuhl in der Fakultät für Verwaltung untergebracht. An dieser Stelle ist es wichtig zu sagen, dass sein Inhaber Professor Kazimierz Kik ist. Kik ist einer der wenigen Politologen, die in Polen nicht nur unter Fachspezialisten bekannt sind. Aber auch er, durch seine realsozialistischen Sympathien geprägt, kann nicht zu den Koryphäen des Faches gerechnet werden. Und damit sprechen wir einen wichtigen Mangel der politischen Theorie in Polen an: den Mangel an der öffentlichen Präsenz ihrer Vertreter. Deshalb wird die Politische Theorie oft von Forschern aus verwandten Fächern vertreten, die es besser verstehen, politologische Ideen und Analysen der Welt der Medien zu veranschaulichen. So gehören zu den bekanntesten „Politologen“ Polens der Soziologe und Kulturphilosoph Zdzislaw Kransodebski, Inhaber eines Lehrstuhls in Warschau und eines in Bremen, der Philosoph Ryszard Legutko (Universität Krakau, zur Zeit Europa-Abgeordneter) oder der Soziologe Pawel Spiewak (ehemaliger Parlamentsabgeordneter). Die Vertreter der politischen Theorie suchen noch nach den Wegen zur Verbesserung ihrer medialen Präsenz. Man darf annehmen, dass das mit der Attraktivität ihrer Ideen einhergeht. Nur die Zusammenarbeit mit den Historikern, mit den Soziologen und mit den politischen Philosophen kann in dieser Hinsicht einen Wandel bringen. Sonst wird die Misere weiter verwaltet, unter dem Vorwand, dass „wir zu viele Studenten zu bedienen haben, um uns um den echten Wissenschaftsbetrieb kümmern zu können.“ Vor kurzem, im Jahre 2009, fand in Warschau der nationale Kongress der polnischen Politikwissenschaften statt. Charakterstisch war, dass keine Gäste aus dem Ausland eingeladen waren: dies zeigt, wie wenig international verflochten diese Wissenschaften in Polen eigentlich sind. Es wurden dagegen die ehemals führenden Politiker eingeladen: ehemalige Präsident Kwasniewski und ehemalige Premierminister Mazowiecki, also diejenigen, die für die jetzige Lage Polens Schuld tragen. Schuld dafür, dass Polen, das die Wende einleitete, also die Dekommunisierung Osteuropas initiierte, sich



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gegenwärtig in verschieden Statistiken, die das Entwicklungstempo abbilden, nicht nur von den baltischen Ländern oder der Tschechischen Republik, sondern auch von der Slowakei überholen ließ. Diese Einladungen weisen auf die Richtung hin, in der sich die Politologie in Polen entwickelt. In drei Kongresstagen wurden 350 Referate gehalten, es fanden 70 Panels statt, zu allen möglichen Themen, die in diesem Bereich verortet werden können: der Aufbau der bürgerlichen Gesellschaft, die Entwicklung der Demokratie, die Rolle der politischen Ideen in der Gestaltung der sozialen Wirklichkeit, die Modernisierung des Staates und vieles mehr. Das Deskriptive hat das Theoretische stark unterdrückt. Von der Verschlechterung der Lage wurden auch die Soziologie und die (politische) Philosophie nicht geschont. Im Bereich der letzteren gibt es zwar eine Menge neuer Übersetzungen von westlichen Arbeiten und viele eigene Versuche polnischer Philosophen, die jedoch von Fachkollegen kaum rezipiert werden. Vor kurzem gab es in Poznan eine Tagung zum Jubiläum der Soziologie an der Posener Universität. Man darf an dieser Stelle daran erinnern, dass der erste Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie und der eigentliche Gründer der polnischen Soziologie im Jahre 1920 Florian Znaniecki (1882–1958) war, ein weltweit bekannter Soziologe, der nach dem 2.  Weltkrieg in den USA (an der Universität Urbana) seine wissenschaft­ liche Tätigkeit fortsetzen durfte.7 In einem Panel zum Zustand der Soziologie in Polen wiesen viele Teilnehmer auf einen Stillstand hin, auf eine Stagnation der theoretischen Untersuchungen im Bereich der Soziologie, zugunsten der konkreten Gesellschaftsanalysen, die für lokale und nationale Politiker und sonstige Entscheidungsträger von Bedeutung sind. Bezeichnend für die Lage der soziologischen Theorie in Polen war die Antwort eines Soziologiestudenten, der vor dem Tagungsraum von einem Journalisten gefragt, ob ihm der Name Znaniecki etwas sagt, antwortete: „Eigentlich nichts. Wir lesen keine Theoretiker. Wozu auch? Wir erforschen mit unserem Fragebogenarsenal die Gesellschaft. Mit statistischen Methoden, die objektiv anerkannt sind und Wissenschaftlichkeit garantieren“. Diese Art der Objektivierung durch Verwissenschaftlichung im Sinne der Eliminierung alles Qualitativen und seine Ersetzung durch das Quantitative, das Messbare, ist aber eine Krankheit der Humanwissenschaften in der ganzen Welt und überschreitet den Rahmen dieses Berichts. 7  Znaniecki verstand es, in seiner Arbeit die Soziologie mit der Kulturphilosophie zu verbinden. Verteidigung der europäischen Kultur und Zivilisation vor aller Barbarei und Missbildung (darunter vor dem Bolschewismus) betrachtete er als seine intellektuelle Pflicht. Zahlreiche seiner Abhandlungen sind in deutscher Sprache zugänglich, z. B. „Menschen von heute und die Zivilisation der Zukunft“, übersetzt von Sven und Izabela Sellmer (Peter Lang Verlag Frankfurt a. M. 2001) und ­„Moderne Nationen“, übersetzt von S.  Sellmer (Wyd. Poznanskie, Poznan 1997).

Political Theory in the USA: Some Reflections By Martyn P. Thompson I. Introduction I shall offer some observations on the state of political theory1 in America by reflecting upon Anglo-American experience over the past sixty years. The immediate occasion for these remarks is the currently perceived threat to the status of political theory in Germany, the catalyst for which is peculiarly European: the implementation of the “Bologna Accords.” But from an Anglo-American perspective there is something only too familiar about attempts by political scientists to marginalize political theorists in the academic study of politics. Indeed, the troubled relationship between political scientists and political theorists has been a defining characteristic of American political science, especially since the Second World War. So my main concern will be to consider what light Anglo-American experience casts on the role of political theory in the study of politics at a university. My comments, as will become clear, are those of an historian of political thought reflecting on episodes in contemporary Anglo-American academic history. II. Political “Science” versus Political “Theory” In both America and England, it is common to trace back attempts to marginalize political theory in departments of political science to the 1950s. The conventional account is the following. After the Second World War, in pursuit of a “science” of politics modeled on the natural sciences, increasing numbers of American political scientists rejected as mere subjective fantasy the philosophical and historical concerns with the norms of political activity that have traditionally been the objects of enquiry examined by political theorists. In the name of a “genuine” science, these American political scientists attempted with some success to marginalize or to purge altogether political theory from their departments. To be sure, the model of what they 1  The term “political theory” often embraces the four different activities of political philosophy, political theory (prescriptive or explanatory) and the history of political thought. I shall use the term in this expansive sense unless my argument requires distinguishing between them.

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took to be “genuine” political science kept changing. Behavioralism, systems analysis and structural-functionalism gave way to rational choice and mathematical modeling. But all the same, the articles published in the profession’s official journal, the American Political Science Review (APSR), became steadily more technical, more mathematical and therefore, for many readers, more difficult to understand. Dissatisfaction with these “scientific” trends grew amongst increasing numbers of the members of APSA, especially those who were more interested in studying politics than mathematical modeling and statistical analysis. The Association became increasingly fractured as disaffected groups, first in political theory and then in area studies, policy studies and so on, established their own organizations and academic journals, sometimes under APSA’s umbrella, sometimes not. But the pursuit of scientific perfection, now modeled upon the supposed successes of mathematical economics, continued among the profession’s leadership. Eventually, dissatisfaction erupted into public revolt with the widely-discussed “Perestroika Movement” in the year 2000,2 the same year as a similar revolt occurred among postgraduate students of economics in France (demanding a “post-autistic economics” to replace the increasing dominance of mathematical modeling in their discipline).3 The “Perestroika critique” was essentially that the APSA leadership had become unrepresentative of its membership. As a result, the study of politics had become fragmented into specialized sub-branches. But instead of attempting to accommodate these disaffected groups, the leadership had promoted just one set of specialisms. Mere “technicisms” (statistical analysis, formal modeling and rational choice) had pushed all other sub-disciplines to the margins of American political science where political theory had long since been.4 The costs, according to the “Perestroikians,” were immense. First, the pursuit of a universal, value-neutral science of politics had been reduced to a mere parochialism because the presuppositions of formal modelers, rational choice theorists and statistical analysts made their work of relevance only to the cultures of advanced post-industrial societies, in particular to the USA. Second, the rarified technicalities of the dominant sub-discipline rendered them incomprehensible to ordinary, educated readers. Third, even when they could be made comprehensible, they did not 2  So-called after a pseudonymous email from “Mr. Perestroika” complaining about the state of American political science (October 17, 2000). 3  E. Fullbrook (ed.), Real World Economics: A Post-Autistic Reader (London: Anthem Press, 2007), 471–­91. 4  G. J. Kasza in: “’Technicism’ Supplanting Disciplinarity among Political Scientists,” PS: Political Science & Politics, [henceforth PS] 33 (2000), 737–8.



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address questions of any relevance to political practice or public policy. So fourth, in emulating the “scientific” successes of mathematical economics, the dominant mode of American political science had paid the same price. What it had gained in “scientific” rigor had been achieved at the cost of relevance to everyday politics. The result, it was claimed, was a lamentable lack of interest in political scientists as “public intellectuals.”5 The ensuing controversies were enlightening, quite as much for what was not discussed as for what was. Most of the debates revolved around two demands: the demand for a return to “methodological pluralism” and the demand for a political science that would be more “relevant” to practical politics. The “Perestroikians” achieved some success in both. For example, Lee Sigelman as the incoming editor of APSR in 2002 acknowledged that the academic study of politics should no longer be considered a single, unified, scientific “branch of learning” with a single “set or system of rules.” Instead of being a unified science, he wrote, in a manner that abandoned rigor altogether: Political science is a crazy quilt of borrowings from history, philosophy, law, sociology, psychology, economics, public administration, policy studies, area studies, international studies, civics, and a variety of other sources. Any real coherence in political science exists only at the broadest conceptual level, in the form of our widely shared interest in power, the “authoritative allocation of values for society,” “who gets what, when, how,” and the like.6

But if this was a gain, it was not much of one. As a recent critic complained, American political scientists continue to pursue their latter-day version of “scholasticism.” They continue to address merely technical and “narrow questions.” They continue to be “obscurantist and ingrown.”7 As for the second demand, APSA established a second journal, Perspectives on Politics (2003), designed to attract a broad audience by publishing articles relevant to current political and academic concerns.8 And as far as the reintegration of political theory into mainstream American political science is concerned, a former President of APSA recently wrote of the need to reconcile the methods and insights of “rationalists or model builders” with political “theorists” of various kinds. He gave little indication about how this might be achieved. But his conclusion was that a “rigorous po5  R. M. Smith, “Should we make Political Science more of a Science or more about Politics?” PS, 35 (2002), 199–201 and A. Stark, “Why Political Scientists Aren’t Public Intellectuals,” in: PS, 35 (2002), 577–9. 6  L. Sigelman, “Notes from the (New) Editor,” APSR, 96 (2002), viii. 7  L. M. Mead, “Scholasticism in Political Science,” Perspectives on Politics, 8 (2010) [henceforth Perspectives], 453. 8  J. L. Hochschild, “Introduction and Observations,” Perspectives, 1 (2003), 1–2.

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litical science needs to be built on the foundation of contextual and comparative historical studies.”9 So at least history, having been sidelined in American political science for over half a century, was being called out of its exile in the old world to redress the recently recognized imbalance in the new. Given all this, it might seem that all is on the way to being well again with political theory in the USA, especially in its relationships with mainstream political science. But this would be far too hasty a judgment and not just because some political science departments, committed still to a narrow concept of “science” and happy to box themselves into one of the culs-desac of C.P. Snow’s “Two Cultures,”10 continue to eject political theory from their graduate curricula because, they claim, it is “humanistic” and not “social science research.”11 More important than this, perhaps, is the fact that the “Perestroika” debates failed to address two important questions: first, what lessons should be learned from the troubled relationships between the various sub-branches of political science, especially between political theorists and proponents of a “science” of politics; and second, what do those lessons tell us about the role of political theory in the study of politics at a university? Answers to these questions may provide some criteria for assessing the contemporary state of both political theory and political science in America. So it will be helpful to revisit the controversies from the 1950s to the 1970s. In doing so, my purpose will be to highlight aspects of those controversies which have been under-emphasized but which, I believe, shed significant light on the relationships between political science and political theory in contemporary America. The main aspect I shall focus upon draws attention to two divergent understandings of the nature and purpose of theories of political activity. These divergent views underpinned a celebrated disagreement between Bhikhu Parekh and Brian Barry in 1996. Having outlined the principal differences between these understandings and having noted their continuing relevance today, I shall end by drawing some ge­neral conclusions about what might be learned from the troubled relationships between political theory and political science in America.

9  P. J. Katzenstein, “’Walls’ between ‘Those People’? Contrasting Perspectives on World Politics,” Perspectives, 8 (2010), 20. 10  Snow argued that the increasing division between the two cultures was a threat to civilization. C. P. Snow, The Two Cultures: and a Second Look (London: CUP, 1963). 11  Penn State did just this in 2007. See, for example, the thoughtful response by A. Rehfeld, “Offensive Political Theory,” Perspectives, 8 (2010), 465–86.



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III. The “Death of Political Theory” Revisited First, then, what were the controversies from the 1950s to the 1970s essentially about and what issued from them? William Connolly recently recalled that when he began doctoral work in Michigan in the 1960s political “theory was widely held to be a moribund enterprise.”12 This was certainly the case. It was the result of the Behavioralist revolution in American political science led by the likes of Heinz Eulau and David Easton. These Behaviorialists rejected what they called “traditional political research” because, they asserted, it had hindered political science from becoming truly scientific by relying upon the “imaginative insights” of political theorists. What was needed instead was the production of “empirically verifiable” hypotheses, quantification, systematization and a focus on regularities in political behavior, all of which would enable political science to become a genuine science, an explanatory and predictive science, on the model of the natural sciences.13 In England, it is often assumed, something similar was occurring. After all, it was attacks on political philosophy in the 1950s and 1960s that led Peter Laslett to make his much-quoted remark in 1956 that for “the moment, anyway, political philosophy is dead.”14 But Laslett was responding to a very different kind of attack from that of the American Behaviorialists. He was concerned, he said, with the near demise of the English tradition of political philosophy in which philosophers “from Hobbes to Bosanquet” had considered “political relationships at the widest possible level of generality.”15 According to Laslett, this tradition could not be threatened by anything so conceptually confused as Behavioralism. To be sure, he noted, the rapidly accumulating bodies of data derived from the application of the Behaviorialists’ new “statistical techniques” could serve as “evidence” for the traditional “political theorist and even for the historian.” But as for all the rest of the Behaviorialists’ concerns, they all seemed to Laslett to be a waste of academic time. In particular, the Behaviorialists’ incessant creation of “system upon general system of social analysis” was merely “sterile.”16 And, anyway, in addition to all this, the judgment was widespread in English 12  W. E. Connolly, “Then and Now: Participant-Observation in Political Theory,” in: J. S.  Dryzek, B. Honig and A. Phillips (ed.), The Oxford Handbook of Political Theory (Oxford: OUP, 2006), 827. 13  D. Easton, “The Condition of American Political Science (1953),” in: H. Eulau (ed.), Behavioralism in Political Science (New York: Atherton Press, 1969), 30–36. 14  P. Laslett (ed.), Philosophy, Politics and Society (Oxford: Basil Blackwell, 1956), vii. 15  Ibid., vii. 16  Ibid., 179–80.

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academic circles at the time that Behavioralism was far too “American” to be taken seriously.17 It was mostly self-deception. It was just America’s “intense democratic moralism” masquerading as “science.”18 Instead of the rise of Behavioralism, the reasons Laslett offered as possible explanations for the demise of political philosophy were, first, the idea that the ‘horrific’ politics of the twentieth century had “become too serious to be left to philosophers” and, second, that “academic sociologists” of Marxist, post-Marxist and post-Freudian kinds had undermined the autonomy of philosophical reflection with their theories of sociological determinism. But although these may have played a part, they were not, according to Laslett, the real culprits. The real culprits were instead the new philosophers, the “Logical Positivists,” like Russell, Wittgenstein, Ayer, Ryle and Weldon.19 The mortal threat to traditional political philosophy came from the criticisms of linguistic philosophers, especially Weldon.20 According to Weldon, “traditional political philosophy” rested on a mistake. The questions it addressed were “wrongly posed. In the form in which they normally occur they cannot be answered but can be shown to be unprofitable.”21 The purpose of genuinely philosophical thought, he insisted, was solely “to expose and elucidate linguistic muddles.”22 This new direction in philosophy required philosophers, Laslett observed, to “withdraw unto themselves for a time, and re-examine their logical and linguistic apparatus.”23 So with these views in the ascendancy, any philosopher attempting to elaborate, say, “a neat and original theory of political obligation” stood no chance of a hearing.24 Such, at any rate, was Laslett’s conclusion in the 1950s and 1960s. There was an American style of studying politics, one mired in the conceptual confusions of Behavioralism. And there was an “English” style of studying politics, one mortally threatened by the new linguistic philosophers. It has sometimes been remarked that Laslett’s views about the death of political philosophy were excessively alarmist, even without the benefit of 17  Even the warmest British supporters of the new “Behavioral science” in the 1960s expressed reservations. See, for example, W. J. M. Mackenzie, Politics and Social Science (Harmondsworth: Penguin, 1967), 68 and 86–7 (on Talcott Parsons). 18  B. Crick, The American Science of Politics (Berkeley and Los Angeles: University of California Press, 1959), vi. 19  Ibid., ix. 20  P. Laslett / W.G. Runciman (eds.), Philosophy, Politics and Society, Second Series (Oxford: Basil Blackwell, 1962), vii. 21  T. D. Weldon, The Vocabulary of Politics (Harmondsworth: Penguin, 1953), 14. 22  T. D. Weldon, “Political Principles,” in: Laslett (ed.), Politics, Philosophy and Society, 23. 23  Laslett (ed.), Politics, Philosophy and Society, ix. 24  Ibid., vii.



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hindsight.25 Not only were theorists like Oakeshott, Popper, Arendt, Strauss, Voegelin, Wolin, Macpherson and others producing some of their most interesting work during the 1950s and 1960s but also Laslett’s own volumes of the period included essays by major political theorists like Oakeshott, Berlin, MacIntyre, Rawls, Hart, Arendt, Plamenatz and Pocock.26 Not only were there many excellent works in the philosophy of social science published from the 1950s through the 1970s by Peter Winch, Charles Taylor, Georg Henrik von Wright, Alan Ryan and others, each showing in different ways that the presuppositions of an American-style “science of politics” were confused, but also significant works in political theory and the history of political thought were published by Brian Barry, J. R. Lucas, John Pocock, W. H. Greenleaf and others.27 If political theory was really dead, it should not have been kicking quite so much. It has also been remarked that the threat posed in America to political theory by Behavioralism was less grave than appeared to many at the time.28 The threat in terms of jobs, hiring priorities and the distribution of scarce university resources was certainly real. But the threat in terms of understanding and explaining political events, institutions and traditions of political activity was an entirely different matter. One of Sheldon Wolin’s responses in the mid-1960s is instructive.29 Adapting the key categories of Thomas Kuhn’s The Structure of Scientific Revolutions (1962), Wolin suggested that the new Behavioralist and post-Behavioralist political science 25  E. g., W. Nicgorski, “Theory Redivivus,” The Political Science Reviewer, 25 (1996), 79–90 and B. Parekh, “Theorising Political Theory,” Political Theory, 27 (1999), 398–9. 26  Cf. B. Parekh, “Political Theory: Traditions in Political Philosophy,” in: R.E. Goodin and H.-D. Klingemann (eds.), A New Handbook of Political Science (Oxford: OUP, 1996), 503–18. Laslett’s first three volumes of Philosophy, Politics and Society appeared in 1956, 1962 and 1967. 27  P. Winch, The Idea of a Social Science and its Relation to Philosophy (London: Routledge & Kegan Paul, 1958), C. Taylor, The Explanation of Behaviour (London: Routledge & Kegan Paul, 1964), G. H. von Wright, Explanation and Understanding (London: Routledge & Kegan Paul, 1971), A. Ryan, The Philosophy of the Social ­Sciences (London: Macmillan, 1970), B. Barry, Political Argument (London: Routledge & Kegan Paul, 1965), J. R. Lucas, The Principles of Politics (Oxford: Clarendon Press, 1966), J. G. A. Pocock, The Ancient Constitution and the Feudal Law (Cambridge: CUP, 1957), and W. H. Greenleaf, Order, Empiricism and Politics: Two Traditions in English Political Thought 1500—1700 (London: OUP, 1964). 28  John Gunnell recently suggested that the threat was really a disagreement over conflicting “strategies” for “bringing theory to bear on practice and pursuing democratic goals.” J. Gunnell, “The Founding of the American Political Science Association: Discipline, Profession, Political Theory, and Politics,” APSR, 100 (2006), 485. 29  S. Wolin, “Paradigms and Political Theories,” in: P. King and B. Parekh (eds.), Politics and Experience (London: CUP, 1968), 125–52.

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that had swept across American universities was now the new “normal science” there. But it subscribed to an old-fashioned Baconian view of scientific progress and it was clearly unconcerned about subsequent developments in the philosophy of science.30 It did not question its own assumptions; it was in fact impatient of any philosophical attempts to question “fundamental assumptions.”31 It was, then, committed to an outmoded conception of science and to solving puzzles that were only of relevance to liberal-democratic regimes like the American. Traditional political theory and the historical study of the classic texts had certainly been marginalized. But these canonical texts from Plato to Marx were the texts that most resembled those of “extraordinary science.” They were the major “paradigmshifters” in Western traditions of political understanding and explanation. Unlike the new American political science, the classic texts of political theory expressed extraordinary and peculiarly influential responses to actual crises in Western political experience rather than crises generated from within the academy. The Behavioralist revolution, by contrast, was fuelled by academic dissatisfactions and the “scientific” ambitions of political scientists. It was, to adapt Ian Shapiro’s much more recent terms, a “method driven” transformation of the study of politics rather than a “problem driven” transformation.32 Behavioral political scientists had, indeed, attempted to purge their ranks of traditional political theorists with quite some success. But Wolin nevertheless ended on what he took to be an optimistic note. The most interesting thing about the “findings” of behavioral political science, he noted, was that they undermined all of the comfortable assumptions in American political culture about just how well American democracy was functioning. If that continued, he speculated, we might expect a genuine crisis to occur, a crisis of sufficient proportions that it would cause the “extraordinary science” of traditional political theory to “reappear.”33 But, of course, traditional political theorists had not disappeared. Instead, in response to both the hostility they had encountered from political scientists and what they adjudged to be the wrong turn taken by the Behavioralists, they formed new organizations independent of APSA like the international “Conference for the Study of Political Thought” (1967). They planned and eventually launched new, specialized journals like Interpretation (1970), Philosophy and Public Affairs (1971) and Political Theory (1972). Journal 30  Ibid.,

127–8. 151. 32  I. Shapiro, “Problems, Methods, and Theories in the Study of Politics, or What’s Wrong with Political Science and What to do about it,” Political Theory, 30 (2002), 596–619. 33  Wolin, “Paradigms,” 152. 31  Ibid.,



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articles in normative political theory continued to be published in APSR, although their numbers dropped significantly in the decade from 1967 to 1976.34 Graduate students continued to flock towards programs in traditional political theory. The very same linguistic philosophy that Laslett had blamed for the death of political philosophy in fact inspired Quentin Skinner and John Pocock during the 1960s to reinvent the history of political thought. And then the publication of John Rawls’s A Theory of Justice (1971) was heralded by many as inaugurating the “revival” of traditional political theory on a grand scale. But since political theory had been far from dead from the 1950s to the 1970s, we are left with a puzzle. Why did so many people at the time think that it was dead? Bhikhu Parekh noted this problem several years later. The essay in which he addressed the matter generated a sharp response from Brian Barry. The disagreement is revealing in that it illustrates two divergent views of the nature and purpose of political theorizing. And although the divergent views are based upon a distinction that has its roots in the classical world, they are divergent views which are still very much in play in much contemporary political theory in America. IV. Barry versus Parekh The two essays were published in A New Handbook of Political Science (1996). After reviewing the evidence of the “flourishing” of political philosophy in the 1950s and 1960s, Parekh asked why, then, was it “declared dead”? His answer included the observation that many of the critics in the 1950s and 1960s understood the task of political philosophy to be “to set ‘new political goals’” and “to ‘prescribe’ how we should live.” But the major philosophers of the time, he noted, did not understand themselves to be engaged in this kind of enquiry. Rather they “regarded political philosophy primarily as a contemplative, reflective and explanatory inquiry concerned to understand rather than to prescribe. Since their writings did not conform to their critics’ narrow standards of what constituted ‘true’ political philosophy,” he concluded, “the latter predictably pronounced the discipline dead.”35 The distinction Parekh deployed was offered, quite properly, as only part of an answer. But its importance in the present context is that it identifies two different kinds of contemporary political theory. The distinction is a variant of the classical distinction between practical thinking (thought in the 34  L. Sigelman, “The Coevolution of American Political Science and the APSR,” APSR, 100 (2006), 466. 35  B. Parekh, “Political Theory,” 506–7.

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service of acting – that is, recommendation, moral evaluation, justification, and so on) and explanatory thinking (thought in the service of understanding, making comprehensible, clarifying, and so on). But it was here being used to distinguish between an old-style, contemplative, explanatory political philosophy and a new-style, doctrinally engaged and politically committed political theory. Parekh’s argument had its roots in the older conception, Barry’s in the new. Barry did not explicitly object to Parekh’s distinction, although he might well have done so.36 Instead, he objected to two implications that Parekh drew from it: first, an interpretation of Rawls’s A Theory of Justice; second, a critique of contemporary liberalism. As to the first, Parekh’s argument was that Rawls’s philosophy continued the tradition of his philosophical contemporaries in that his ambition was to present a political philosophy “critical in nature, universal in scope, and quasi-foundational in its orientation.” But he also broke with his philosophical contemporaries by imagining that his philosophy could function as “a law-giver” by “devising an entire social structure on the basis of universally acceptable minimum principles.” It was, then, from Parekh’s perspective a hybrid work, a bridge-builder between “political philosophy and other social sciences.” In addition, the social structure Rawls devised was “morally congenial” only to liberal academics because it “reaffirmed” the post-war liberal consensus. It was a politically committed piece. And precisely for these reasons, Parekh concluded that A Theory of Justice was “not one of the most profound books of our time.”37 Rawls himself, of course, had long since conceded at least part of Parekh’s criticism when he retrospectively admitted that the argument of A Theory of Justice was ‘political and not metaphysical.’38 Nonetheless, Barry insisted that Parekh had both mischaracterized Rawls’s argument and underplayed just how innovatory it had been. Rawls owed nothing to the political philosophers of the mid-twentieth century that Parekh admired. Unlike Arendt, Strauss, Oakeshott and the rest, whose works according to Barry lacked a “structure of argument,” Rawls’s book, he claimed, was structured in the manner of the canonical works of traditional political philosophy. It had built upon the “two major liberal political theories” of the previous two centuries: Kantianism and utilitarianism. And it had succeeded in reviving the genre of political philosophy for the first time in almost a century. Cer36  Barry dismissed Arendt, Oakeshott, Voegelin and the like as just “purveyors of secular religion.” B. Barry, “Political Theory, Old and New,” in: Goodin and Klingemann (eds.), A New Handbook, 537. 37  Parekh, “Political Theory,” 507–8. 38  J. Rawls, “Justice as Fairness: Political not Metaphysical,” Philosophy and Public Affairs, 14 (1985), 224.



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tainly, many agreed with Barry’s judgment. But it is telling that Barry chose not to address Parekh’s substantive criticisms of Rawls’s work – that it was hybrid in nature, limited in scope and orientated to function as a law-giver. A possible reason for this is that Barry saw nothing untoward in being hybrid, limited in scope and a would-be law-giver. This seems to be confirmed by Barry’s response to Parekh’s critique of contemporary liberalism. Once again, Barry’s commitments as a liberal political theorist led him to misconstrue what Parekh was actually saying. So let me now outline the second part of the exchange. At the end of his essay, Parekh turned to consider the challenges “facing political philosophy today.” The principal challenge, he suggested, arose from the increasing cultural diversity of modern societies. He certainly criticized contemporary liberals for failing to recognize adequately that there are several different, culturally differentiated interpretations of “such crucial concepts as equality, fairness, justice, social cohesion, political unity and freedom.”39 But the challenge he was concerned with was not just to liberalism as a set of doctrines and a structure of ordered preferences about how we best might live. It was rather a challenge to the whole of the Western tradition of political philosophy because that tradition itself has been “largely predicated on the assumption of cultural homogeneity.” What was lacking and what was now needed, according to Parekh, was a “multiculturally grounded political philosophy, one that can build bridges between cultures, translate the categories of one culture into those of another, and skillfully and patiently evolve culturally sensitive and internally differentiated interpretations of universal categories and principles.”40 The project has certainly appealed to many American political theorists in recent years. “Comparative Political Theory,” championed above all by Fred Dallmayr, is one of the most interesting developments since the turn of the present century. But in response to Parekh’s argument, Barry simply mounted a defense of liberal political ideology. Once again, he addressed only one of Parekh’s points and misinterpreted or ignored the other. This is evident in his astonishing conclusion. He wrote: Parekh suggests that liberals have a great deal to learn from the rest of the world. I agree in this sense: we can learn what to avoid. Only a minority of states in the world provide their citizens with material necessities or with security against violence against each other or by the government. … What we should be led to appreciate by extending our gaze over space and time is the improbability of liberal individualist arrangements in the world.41 39  Parekh,

“Political Theory,” 515. 516. 41  Barry, “Political Theory,” 545. 40  Ibid.,

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Some of this may well be the case but it misses Parekh’s point entirely. His point was how best to come to understand the culturally diverse world in which we live. It was not a recommendation to emulate parts of it and it was certainly not an exhortation to thank goodness that we live as liberal individualists while others do not. For Parekh and others like him, practical recommendation and exhortation of this kind are inappropriate activities for political philosophers as philosophers to engage in. They belong instead among the tools of the trade of ideologists and the politically committed of one kind or another. But for Barry and many others, they are entirely appropriate and for some they are the whole point of the enterprise. V. The Current Scene As for subsequent work in political theory, prescription and exhortation have regrettably proven far more attractive than Parekh’s concerns with conceptual clarification and reflection upon the place of politics in the whole of human experience. To be sure, the causes currently being promoted and the practical recommendations being made are often far different from Barry’s concerns with liberal individualism. Three recent publications illustrate some of these current trends. All three develop in different ways the general themes which I have just identified in the exchange between Barry and Parekh: an old-style political philosophy versus a proposed newstyle; explanation versus prescription; and cultural diversity versus cultural homogeneity. These are themes which must be added, so to speak, to the controversies of the 1950s and beyond between political science as a “hard science” and political theory as “humanistic study.” The three works which I shall outline and briefly criticize are James Tully’s contribution to the thirtieth anniversary edition of the journal Political Theory (2002) and two recent handbooks designed mainly for graduate students: the Handbook of Political Theory (2004) edited by Gaus and Kukathas and The Oxford Handbook of Political Theory (2006) edited by Dryzek, Honig and Phillips. In “Political Philosophy as a Critical Activity,” Tully outlined the theoretical ideas which informed his book, Strange Multiplicity (1995). Since the book promotes an ideal of multicultural constitutionalism, Tully’s work is clearly on the diversity side of the cultural homogeneity versus cultural diversity divide. It is, however, a hybrid work, explicitly designed to solve practical problems and self-consciously presented as both explanatory and prescriptive. And in a manner that I find thoroughly unpersuasive, Tully presents his work as a new kind of political philosophy, one destined to replace the old.



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His core argument is the following. Old-style political philosophy was concerned with “clarification and understanding for its own sake.”42 It focused mainly upon the “basic languages, structures, and public institutions” of self-contained nation states within an international system of states.43 Hobbes’s philosophy was paradigmatic of this kind of philosophy. It aimed, Tully misleadingly asserts, at “understanding and clarifying political concepts” by “abstracting from [their] everyday use and making explicit the context-independent rules for the correct use of our concepts in every case.”44 Its ambition, it is true, was to be comprehensive, systematic, universal and rigorous. But this did not involve distinguishing between the “correct” and “incorrect” use of concepts. Its regulative ideal, again, highly controversially, was supposedly justice. But this old-style philosophical “orthodoxy,” Tully claims, has been increasingly challenged by six new “types of critical study” whose regulative ideal is “orientated to freedom before justice.”45 Tully’s list includes social-democratic theorists, ecological philosophers, feminists, multiculturalists, theorists of empire and globalization, and “postcolonial and postmodern scholars.”46 The new-style political philosophy that Tully constructs is indebted to his reading of Foucault, Wittgenstein and Skinner. From Foucault, he develops his notions of power, oppression and emancipation; from Wittgenstein, he adopts the notion of language-games and anti-essentialism; and he follows Skinner’s lead in interpreting philosophical systems as ideological and in advancing the idea that history can be a kind of political activity. The result goes like this. The world of political activity consists of “practices of governance” and “practices of freedom.” The former are always “experienced as oppressive in some way.” Practices of freedom consist of the manifold ways in which individuals or groups act within these systems of governance by either “following the rules of the game or striving to modify them.” The new “political philosophy as a critical activity” begins when the “voices of democratic freedom are silenced, ignored, deemed unreasonable, or marginalized.”47 The purpose of this “critical activity” is preeminently practical. It is to promote practices of freedom by ameliorating the “oppressive” effects of “governance.” Citizens experiencing “oppression” are to learn new languages 42  J. Tully, “Political Philosophy as a Critical Activity,” Political Theory, 30, 4 (2002), 534. 43  Ibid, 536. 44  Ibid, 544. 45  Ibid, 536, 551. 46  Ibid, 536–7. 47  Ibid, 541.

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of interpretation both of themselves (their identities) and their circumstances. These new languages will help the oppressed overcome their oppression. Tully’s recommended procedure for achieving this end consists of four interrelated studies which involve dialogues between philosophers, scholars and ordinary citizens. Philosophers should begin by conducting “two critical surveys, first of the languages and then of the practices in which the struggles arise, and various solutions are proposed and implemented or not implemented as reforms.” The point of these surveys is not yet to develop solutions. It is rather to ensure that philosophers become fluent in “the language games in which the problem and rival practical and theoretical solutions are articulated.”48 So these new-style philosophers, Tully insists, do not do “anything different in kind from the citizens involved in the argumentation,” despite what old-style philosophers would have us believe.49 Solutions supposedly come from the second set of “critical” enquiries. Tully calls these “historical surveys.” By uncovering the historicity of the languages and practices identified in the first two surveys, those languages and practices are seen as historically contingent and therefore malleable. In this process, alternative modes of political thinking emerge which undermine the previously accepted “hegemonic forms of political thinking.” They offer new ways to overcome the “oppressive practices of governance.”50 The results of these “historical surveys,” Tully tells us, should first be discussed by “political philosophers and scholars in related disciplines” so that they can be “tested” in “multidisciplinary discussions.” Unfortunately, Tully gives no indication of the criteria in terms of which this ‘testing’ is to take place. Instead, he just says that if the outcome is positive, the results should then be “offered” to all interested citizens for their “consideration and response.” But since the results will be deliberately challenging (they will consist of “horizon-expanding reasons” for citizens to act and horizon-expanding “redescriptions” of both themselves and their circumstances), I can envisage nothing but problems. But Tully sees none. Instead, he asserts that this is the best way to achieve his ultimate goal: the institutionalization of a “communicative relationship of reciprocal elucidation and mutual benefit between political philosophy and public affairs.”51 The project has enormous problems but it is by no means untypical of much current work in political theory in North America. Criticism might be pursued in various directions. For example, the work belongs to a very familiar genre, that of prescriptive political theory. But Tully claims that it is 48  Ibid.,

542. 544. 50  Ibid, 548, 551. 51  Ibid, 551, 549. 49  Ibid.,



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the future of political philosophy. He does so, in part, because he believes that reflective and explanatory political philosophy is defunct. But the claim that it is dead and that prescriptive “philosophy” could possibly take its place can only be made by someone who does not recognize any firm distinction between explanation and prescription. The tendency not to do so has grown of late partly because of the influence of two of Tully’s three main intellectual sources: Foucault and Skinner, though definitely not Wittgenstein. Skinner, for example, has encouraged it by insisting that Hobbes’s impressive philosophical system which was designed to explain the logic of sovereignty in the early modern state was just “the deceptively smooth surface” covering a “seething” polemical core.52 The line of criticism I am proposing here, then, would focus on the incoherence Tully’s conception of political philosophy. A second line of criticism might focus on the nature and practicality of the prescriptions themselves. As to the first: in the 1950s and 1960s, prescriptive political theory was largely the domain of social democrats and socialists of various kinds. Their attention was directed towards the economic, political and moral circumstances of low-income working people. This is no longer the case. Contemporary prescriptive theorists overwhelmingly direct their attention towards the “struggles,” not of people, but of intellectually constructed “identities” like those of gender, sexual orientation, race, and so on. Over time, such identities move in and out of the public arena of moral and political concern. People remain; the identities they adopt or have thrust upon them change. For example, hardly anyone nowadays seems to think that left-handed people are evil. All these identities are artificial, culturally specific and vulnerable to changes in fashion. Currently, it is the intellectual fashion to construct them as suffering from a “crisis” of inadequate public “recognition.” And since political activity is assumed to be the means for overcoming these “crises,” political action is transformed into therapy. Political theorists become therapists or patients or both and they are, like the rest of us, impeccably well-qualified for one of these roles but not so much for the other. As to the practicality of all these therapeutic prescriptions, I have already indicated how implausible they seem. People in roughly similar circumstances to those of the theorists themselves may be persuaded to adopt some of the identities currently being offered to them. But even in North America, it is unimaginable that ordinary citizens would accept the “horizon-expanding” prescriptions offered to them, especially when expressed in postmodernist terms. 52  Q.

Skinner, Hobbes and Republican Liberty (Cambridge: CUP, 2008), xvi.

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Let me now turn to the two Handbooks. Both aim to be as comprehensive as possible and both show very clearly that within its own diverse and, as I have indicated, often implausible terms, political theory is currently flourishing in America. Political theorists, at least, seem to think so. Both works celebrate this diversity, Gaus and Kukathas in a rather matter-of-fact way; Dryzek, Honig and Phillips more enthusiastically. But there are significant differences between the two volumes. For example, more than a quarter of the Gaus volume is devoted to themes in the history of political thought, whereas similar themes in the Dryzek volume occupy only one eighth; about a quarter of the Gaus volume discusses theories of the modern state, whereas similar themes occupy only an eighth of the Dryzek volume. The Dryzek volume contains separate essays devoted to “identity politics” and “Cultural Studies”; the Gaus volume does not. The Gaus volume begins with an essay discussing conceptual distinctions between ideology, political theory and political philosophy, whereas the Dryzek volume is remarkable for the absence of any such discussion. In short, in terms of the different kinds of theoretical engagement with politics that I have discussed, the Dryzek volume puts much greater emphasis upon postmodernist, prescriptive and politically committed theories than the Gaus volume does. Yet for all of the keen appreciation for current work in political theory that both volumes display, one can almost guarantee that hardly any political “scientists” will ever look at them. VI. Conclusion I can now return to the original theme of political “science” versus political “theory” and try to draw some general conclusions. The controversies of the 1950s and 1960s, I have suggested, were significant neither because the political “scientists” seemed to win nor because many on both sides mistakenly reported that political theory was dead. Rather, they were significant because they were the occasion for political “science” and political “theory” to go their separate ways. One might argue that this was unfortunate (I shall suggest something of the sort in a moment) but there were good academic reasons why it occurred. These reasons were all at hand in the philosophical literature of the time. I have mentioned the work of Peter Winch, Charles Taylor, von Wright, Alan Ryan, T. S.  Kuhn and others. From many of these works, it was perfectly reasonable to draw the conclusion that political scientists and political theorists constructed the objects of their enquiries (political activities, occurrences, institutions, etc.) in such different ways that they were effectively studying different things. Following Charles Taylor’s technical language, for example, one could say that the scientists had chosen to study political “behavior,” whereas theorists studied



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political “action.” In Taylor’s terms, that is, “behavior” was amenable to the projects proposed by the Behaviorialists. Quantification and the construction of “regularities,” inevitably involved abstracting away practically all of the particularities from observed political activities and this was a necessary first step for them to become not “acts” but “instances” of the operation of laws of cause and effect. With the relatively well-established sub-discipline of psephology as a model, political scientists might then hope to spread the range of causal explanation to the abstract movements, trends, patterns of behavior and the various correlations between them that they constructed in this way. Political theorists, on the other hand, constructed their objects of enquiry in an entirely different manner. For them, political activity was always the activity of free human agents who could always have acted differently and who did what they did for reasons. Here the observed particularities and specificities of actions were construed as integral to their meanings, as was the not so readily observed intentionality embodied in them and without which they would not have been “actions” but mere “bodily movements.” The explanation of these meanings was always, then, a matter of interpretation, never a matter of the operation of some causal mechanism or law. On this view, the objects of enquiry with which political scientists and political theorists were concerned really were different kinds of objects and the explanatory language of the one side could not be translated into the explanatory languages of the other.53 Now the distinction I have just sketched is obviously highly complex and contentious. But I am not concerned to explore it further. I want to suggest, instead, that some such distinction as Taylor’s was involved in the separation of political theory from political science in the 1960s and beyond. Taylor’s arguments themselves were certainly widely discussed at the time and on the many occasions subsequently when theorists have addressed themselves to the troubled relationships between political science and political theory, more often than not, a distinction similar to Taylor’s seems to play a central role. So a second lesson from the academic disputes of the 1950s and 1960s is that explanatory political theory and “hard” political science are not two, competitive ways to explain the same things. They are rather two different ways of explaining different things. Now, of course, one could debate which of them is most appropriate to explain what most interests us about the world of politics. But a more interesting question, perhaps, is whether there is any common ground at all between contemporary political theory and “hard” political science. Cer53  Taylor,

The Explanation of Behaviour, 72–97.

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tainly, a conversation between the two is sometimes possible and conversations presuppose at least some common ground. But the fact that the logic of each enquiry is so different from that of the other suggests that the common ground is to be found not in logic but elsewhere. Laslett found common ground in the data generated by “hard” scientists. Sigelman found common ground in a shared interest in concepts like power, authority and value. Many others, like Ruth Grant, argue that “hard” political science and “humanistic” political theory offer different but complementary explanations of the same political phenomena and therefore they share common ground.54 And although this last might be faulted from a logical point-ofview, it nonetheless captures a significant part of the practice of both political scientists and political theorists. “Pure” science and “pure” theory are to be encountered only rarely. When the practice of political science approached something like “purity” in this sense, it generated hostility from within its own ranks. It appeared to its opponents as “sterile,” irrelevant, obscure and merely technical. When political theory approached “purity” as a reflective and explanatory discipline, it generated hostility from within its own ranks of the kind that led away from explanation and towards prescription. One common thread in both these opposition movements has been a widespread ambition, a temptation many find irresistible, for the professional study of politics to have direct practical consequences. And the dangers inherent in too readily giving in to this temptation comprise the third set of lessons to be drawn from the relationships between political theory and political science since the 1950s. I have already indicated what some of these dangers are for political theorists when reviewing Tully’s flawed proposal for a new “critical” political philosophy. A conversation with colleagues in the field of American political behavior might have led to dramatic modifications of the plan. Let me close with an example from the side of “hard” political science. My point will be that both the project itself and the policy recommendation taken to follow from it could have benefited considerably from a prior conversation with those political theorists who are accustomed to explain human “actions” rather than abstract, quantifiable aspects of human “behavior.” The project was peer-reviewed.55 It has all of the formal characteristics of “hard” political science: an analytical model, an “empirically verifiable” 54  Grant, “Political Theory, Political Science, and Politics,” Political Theory, 30 (2002), 577–95. 55  E. A. Sayre, “Labor Market Conditions, Political Events, and Palestinian Suicide Bombings,” Peace Economics, Peace Science and Public Policy 15 (2009), 1–26.



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hypothesis, quantified databases, and the author is in command of all the necessary analytical techniques. As always in such work, the “actors” are modeled on homo oeconomicus. This is the project: This paper explains the link between changes in labor market conditions and the frequency of suicide bombings [in Israel / Palestine] through an opportunity cost model. Suppose there are two ways a Palestinian youth can spend his time: opportunities in the labor market or “opportunities” in the suicide bombing sector. When labor demand shifts in the market sector, labor supply to the bombing sector changes. If labor demand increases in the market sector, wages increase and unemployment decreases, resulting in fewer youths being willing to become terrorists. When labor demand falls, wages fall and unemployment rises. Since the opportunity cost of being a bomber is now lower, more young people will seek out opportunities in the bombing sector. Thus weak labor market conditions increase the supply of bombers and the number of suicide bombings.”56

After exhaustive scientific analysis, the hypothesis is confirmed. The fact that the hypothesis itself is wildly off-the-mark is simply ignored. Instead, the obvious policy implication is drawn: give them full employment and the problem will go away. No doubt, many will complain that my example is unusual and unrepresentative. That may be true. But my point is that it is not unscientific. It exemplifies what can happen if “hard” political science is conducted exclusively within its own narrow terms of reference You may end up recommending eighteenth century policies to solve twenty-first century problems: just “Let them eat cake.”

56  Ibid,

10.

Die Vorsitzende Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig

Berliner Erklärung der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des politischen Denkens zu den Perspektiven der Politischen Theorie in Deutschland Die Deutsche Gesellschaft zur Erforschung des politischen Denkens (DGEPD) sieht mit Sorge die aktuelle Tendenz einer Ausdünnung der Politischen Theorie, der Politischen Philosophie und der Politischen Ideengeschichte in politikwissenschaftlichen Departments und Instituten der Bundesrepublik Deutschland. Im internationalen Vergleich ist das eine untypische Entwicklung. Anderenorts ist die Politische Theorie ein eigenständiges Fach von vergleichbarem Gewicht wie die Empirische Politikwissenschaft (z. B. Italien), oder sie spielt eine starke Rolle in den einschlägigen Stu­ diengängen (z. B. in den USA in Gestalt der Analytical Political Philosophy, der Political Theory und der History of Political Thought). International befindet sich die Politische Theorie gegenwärtig in einer Blütephase. 1. Die Deutsche Gesellschaft zur Erforschung des politischen Denkens plädiert dafür, dass die Politische Theorie in Deutschland auch weiterhin ein integraler und zentraler Bestandteil des Faches Politikwissenschaft bleibt. Der Gegenstand des Politischen sind die politischen Institutionen und die politische Praxis. Das Handeln der Politiker wie auch der Bürger hat eine normative Dimension – Politik ist Ausdruck von Werthaltungen, und sie rechtfertigt sich über geteilte Normen und Werte. Zudem steht sie in einem weiteren kulturellen und historischen Kontext. Beides, die normative wie die kulturelle und historische Dimension politischer Praxis bedürfen der wissenschaftlichen Analyse, Stellungnahme und Begründung. Dieses leistet die Politische Theorie. Die Politikwissenschaft als Ganze würde gegenüber der Politik und gegenüber der politisch interessierten Öffentlichkeit, gegenüber der Bürgerschaft, an Bedeutung verlieren, wenn sie die normative, die historische und kulturelle Dimension nicht mehr thematisierte. 2. Damit die Politische Theorie auch in Zukunft ein integraler und zentraler Bestandteil der Politikwissenschaft bleiben kann, müssen einige Vorbedingungen erfüllt sein. Die Politische Theorie ist zu einem Gutteil hermeneutische Geisteswissenschaft, sie bedient sich historischer, kultur­ wissenschaftlicher und philosophischer Methoden, und ihre Vertreter

publizieren in Journalen und Buchreihen, die etwa vom Social Sciences Citation Index nicht erfasst werden. Die Politische Theorie kann nur integraler und zentraler Bestandteil des Faches Politikwissenschaft bleiben, wenn Politikwissenschaft nicht in toto dem Gebiet der social sciences zugeordnet wird. Die Programme der Forschungsförderung öffent­licher und privater Träger müssen sich stärker den spezifischen Bedingungen der Politischen Theorie öffnen. Die Kriterien der Forschungsevaluation dürfen sich in der Politikwissenschaft nicht ausschließlich an den Standards empirischer Sozialwissenschaft orientieren. Die Methoden der empirischen Sozialforschung bedürfen der wissenschaftstheoretischen und methodologischen Flankierung, um die kritische Beurteilung ihrer möglichen ideologischen Implikationen zu gewährleisten. 3. Die Einrichtung neuer, interdisziplinärer Master-Studiengänge bietet der Politischen Theorie, die als Fach bereits in sich interdisziplinär angelegt ist, günstige Perspektiven. Diese könnten etwa in Gestalt interdisziplinärer Master-Studiengänge, die politikwissenschaftliche, philosophische und kulturwissenschaftliche Kompetenzen einschließen, genutzt werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang sowohl die Anschlussfähigkeit der Politischen Theorie innerhalb der politikwissenschaftlichen Lehre und Forschung als auch gegenüber den Nachbardisziplinen Philosophie, Geschichte und Kulturwissenschaften sowie gegenüber Fächern wie der Rechtswissenschaft und der Wirtschaftswissenschaft. Die Politische Theorie hat von daher eine Brückenfunktion. Es sind aber auch Master-Studiengänge und Promotionsprogramme mit dem Schwerpunkt Politische Theorie denkbar, die komplementäre Kompetenzen verschiedener Universitäten in Politischer Theorie, Politischer Philosophie und Politischer Ideengeschichte zusammenführen. Die politische Theorie ist Grundlagenwissenschaft. Deshalb darf ihr Gewicht sich nicht verringern. Es nähme der politischen Praxis wie der Wissenschaft von der Politik jene selbstreflexive Dimension, die zur Selbstverständigung und zur Selbstveränderung unabdingbar ist. Berlin, den 2. Oktober 2009

Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig



Prof. Dr. Clemens Kauffmann



Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin

II. Aufsätze

Menschenrechte für Terroristen? Die vertragstheoretischen Grundlagen der rechtlichen Behandlung mutmaßlicher Terroristen durch die Bush-Administration im „War on Terror“ Von Hendrik Hansen Die Frage der rechtlichen Behandlung mutmaßlicher Al Qaida-Terroristen hat nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu einer Spaltung innerhalb der westlichen Wertegemeinschaft geführt. In der öffentlichen Diskussion in Deutschland wurde kritisiert, dass die US-Administration im sogenannten „War on Terror“ in bisher nicht gekanntem Ausmaß Menschenrechte missachtet habe.1 Auf besonders scharfe Kritik stieß erstens die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten mutmaßlichen Mitgliedern von Al Qaida als „illegal combatants“ keinen rechtlichen Status und damit auch kein faires Rechtsverfahren zugestand; das Gefangenenlager in Guantánamo Bay wurde als ein „legal black hole“2 weltweit zum Symbol dieser Haltung.3 Zweitens wurde die Anwendung von Zwang und Gewalt bis hin zur Folter beim Verhör mutmaßlicher Terroristen durch US-Beamte kritisiert (sogenannte „coercive interrogation methods“). Auf US-amerikanischer Seite gab (und gibt) es hingegen eine Reihe von Autoren, die eben diese Praktiken der Bush-Administration unter Verweis auf die Notlage im Kampf gegen den internationalen Terrorismus juristisch und ethisch rechtfertigten.4 Aus ihrer Sicht können die Europäer die z. B. Jürgen Habermas, Der gespaltene Westen, Frankfurt am Main 2004. Sands, Lawless world. The whistle-blowing account of how Bush and Blair are taking the law into their own hands, London 2006, S.  143 und 166. 3  Neben dem Gefangenenlager in Guantánamo Bay ist hier insbesondere auch die Praxis der „rendition“ zu nennen, bei der mutmaßliche Terroristen für eine begrenzte Zeit an Geheimdienste von Ländern ausgeliefert wurden, in denen die Anwendung von Folter (anders als in den USA) nicht gerichtlich verfolgt wird. Einen maßgeblichen Beitrag zur Enthüllung dieser Praxis leistete Jane Mayer mit dem Artikel „Outsourcing torture. The secret history of America’s ‚extraordinary rendition‘ program“, der am 14. Februar 2005 in der Zeitschrift „The New Yorker“ erschien. 4  Z. B. Fritz Allhof, A Defense of Torture: Separation of Cases, Ticking Timebombs, and Moral Justification, in: International Journal of Applied Philosophy Bd. 19 (2005), Heft 2, S.  243–264; Charles Krauthammer, The Truth about Torture. It’s time to be honest about doing terrible things, in: The Weekly Standard Bd. 11 1  Siehe

2  Philippe

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Position einer angeblichen moralischen Überlegenheit nur einnehmen, weil sie von der weltweiten Sicherheit profitieren, die die Vereinigten Staaten dank ihrer militärischen Überlegenheit gewährleisten. Auch wenn die neue Administration unter Präsident Obama einen grundlegenden Wandel im Umgang mit mutmaßlichen Terroristen angekündigt (und zumindest in Teilen vollzogen) hat, stellt sich noch immer die Frage, was die vorherige Administration zu ihrer Vorgehensweise im „War on Terror“ motiviert hat: Welches politische Denken stand hinter der Auffassung, dass Terroristen als „illegalen Kombattanten“ keinerlei Rechte zukamen? War diese Haltung die Folge eines religiösen (evangelikalen) Eifers? Oder war die Bush-Administration von einem Politikverständnis geprägt, nach dem alles politische Handeln auf die Unterscheidung von Freund und Feind zurückzuführen ist? Das politische Denken der Bush-Administration war sicher von einer Vielzahl unterschiedlicher geistiger Strömungen beeinflusst,5 doch für die Erklärung der Behandlung mutmaßlicher Al Qaida-Terroristen im „War on Terror“ genügt es, auf die Wurzeln des vertragstheoretischen Verständnisses des politischen Liberalismus zurückzugehen, wie es maßgeblich von John Locke entwickelt wurde. Guantánamo Bay, so die These dieses Beitrags, ist das logische Resultat eines bestimmten Verständnisses des politischen Liberalismus. Wer die Methoden der Bush-Administration im „War on Terror“ ablehnt, hat somit allen Anlass, sich den Grundlagen des eigenen Verständnisses einer freiheitlichen Gesellschaft zuzuwenden. Um dies zu verdeutlichen, werden im ersten Abschnitt zunächst die rechtlichen Grundlagen für die Behandlung mutmaßlicher Terroristen dargestellt: ihr rechtlicher Status und die rechtlichen Grenzen bei der Wahl der Verhörmethoden. Der zweite Abschnitt untersucht, wie in den Jahren 2001 und 2002 innerhalb der US-Administration die Entscheidungen getroffen wurden, wie mutmaßliche Al Qaida-Terroristen rechtlich zu behandeln seien. Dabei wird deutlich werden, dass diese Entscheidungen nur gegen erhebliche Widerstände innerhalb der Administration und seit 2004 auch gegen Widerstände außerhalb der Administration durchgesetzt werden konnten. Im dritten Abschnitt werden die rechtsphilosophischen Positionen der BushAdministration auf ihre Grundlagen im politischen Liberalismus von John Locke zurückgeführt. (2005), Heft 12 (www.weeklystandard.com); Mirko Bagaric / Julie Clarke, Torture. When the Unthinkable Is Morally Permissible, New York 2007. 5  Vgl. Chantal Mouffe, Schmitt’s Vision of a Multipolar World Order, in: South Atlantic Quarterly Vol.  104 (2005), S.  245–251, hier: S.  245, sowie die Beiträge in: Manfred Brocker (Hrsg.), God bless America. Politik und Religion in den USA, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2005; Tobias Mörschel (Hrsg.), Macht Glaube Politik? Religion und Politik in Europa und Amerika, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006.



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I. Strafrecht und Kriegsrecht – rechtliche Grundlagen für den Umgang mit mutmaßlichen Terroristen Die Frage der rechtlichen Behandlung mutmaßlicher Terroristen kam in der US-Administration im Herbst 2001 im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Krieg auf, als eine größere Zahl von mutmaßlichen Al Qaida-Mitgliedern und Talibankämpfern von US-Streitkräften festgenommen wurde. Zwei Entscheidungen musste die Administration fällen: 1. Welcher rechtliche Status kommt mutmaßlichen Terroristen zu? Von der Beantwortung dieser Frage hängt es ab, ob ein Gerichtsverfahren gegen sie eingeleitet wird, welches Gericht in diesem Fall für sie zuständig ist und welche Rechte sie in einem Rechtsverfahren haben. 2. Wie sind mutmaßliche Terroristen in der Gefangenschaft zu behandeln? Hier ist insbesondere zu prüfen, ob bzw. bis zu welcher Grenze die mit den Vernehmungen betrauten Personen Gewalt anwenden dürfen, wenn zu vermuten ist, dass die Festgenommenen Kenntnisse von geplanten Anschlägen haben, sie diese aber nicht freiwillig preisgeben. Die Bundesrepublik folgt bei der Bekämpfung von Al Qaida und sonstigen islamistischen Terroristen der international üblichen Praxis, Terroristen als Straftäter zu behandeln. Der in Deutschland inhaftierte Mounir al-Motassadeq wurde als Helfer der Hamburger Terrorzelle um Mohammad Atta in einem regulären Strafverfahren von dem Hamburger Oberlandesgericht zu 15 Jahren Haft verurteilt;6 ebenso wurden z. B. die im September 2007 im Sauerland festgenommenen mutmaßlichen Terroristen, die einen Bombenanschlag planten, vor ein ordentliches Strafgericht gebracht und im März 2010 verurteilt. Das entspricht dem üblichen Umgang mit mutmaßlichen Terroristen: Die Bundesregierung lehnte es in der Vergangenheit kategorisch ab, inhaftierten RAF-Terroristen den Status von Kriegsgefangenen zu gewähren, und bestand darauf, sie als Straftäter zu behandeln;7 ebenso verhielt sich die britische Regierung gegenüber inhaftierten IRA-Terroristen oder die spanische Regierung gegenüber ETA-Terroristen. Die Bush-Administration nahm hingegen unmittelbar nach den Terroranschlägen vom 11.  September 2001 die Position ein, dass Strafprozesse ungeeignet seien, um international operierende Terroristen zu bekämpfen. Die Anschläge wurden schon in den ersten Reaktionen der Administration als 6  Urteil des Hamburger Oberlandesgerichts vom 8.1.2007, bestätigt vom BGH am 2.5.2007. 7  Vgl. z. B. Alexander Straßner, Die dritte Generation der „Roten Armee Frak­ tion“. Entstehung, Struktur, Funktionslogik und Zerfall einer terroristischen Vereinigung. Wiesbaden 2003, S.  89  f.

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kriegerische Akte bezeichnet, und dieser Sprachgebrauch wurde von Präsident Bush in seiner Ansprache vor dem Kongress am 20.  September 2001 bekräftigt: On September the 11th, enemies of freedom committed an act of war against our country. Americans have known wars – but for the past 136 years, they have been wars on foreign soil, except for one Sunday in 1941. Americans have known the casualties of war – but not at the center of a great city on a peaceful morning. Americans have known surprise attacks – but never before on thousands of civilians. All of this was brought upon us in a single day – and night fell on a different world, a world where freedom itself is under attack.8

In dem „Krieg“, von dem Präsident Bush hier spricht, kämpfen die „Feinde der Freiheit“ gegen das Land, das die Freiheit verkörpert und dazu berufen ist, sie zu verteidigen. Aus dieser Perspektive erscheint es völlig unangemessen, diesen Feinden mit Hilfe des Strafrechts und unter Einhaltung einer Strafprozessordnung zusetzen zu wollen. Diese Position bekräftigte Michael Mukasey, Justizminister unter George Bush von 2007 bis 2009, in einem Beitrag für das Wall Street Journal, in dem er die Anwendung des Strafrechts auf internationale Terroristen für unverhältnismäßig erklärt.9 Hinzu kommt, so Mukasey, dass die Anwendung des Strafrechts nicht praktikabel sei, weil die Exekutive und insbesondere die Geheimdienste im Rahmen eines Strafprozesses Beweismaterial veröffentlichen müssen, das anderen Terroristen Einblick in ihre Arbeitsweise, ihren Kenntnisstand und ihre Quellen gibt. Würde man hingegen die Regeln des Strafrechts an die Erfordernisse der Verfolgung von Terroristen anpassen (indem z. B. weite Teile des Prozesses unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfänden), so käme es notwendig zu einer Aushöhlung der verfassungsmäßigen Rechte im gesamten Strafrecht.10 Aus dieser Sicht erscheint Guantánamo Bay geradezu als eine Einrichtung, die dem Schutz des Rechtsstaates dient. Wenn es sich nun aber bei dem Kampf gegen Al Qaida nicht um einen Kampf gegen Straftäter handelt, der mit den Mitteln der Polizei und der Strafjustiz geführt wird, sondern um einen Krieg, dann ist entsprechend dem – auch von den Vereinigten Staaten als verbindlich anerkannten – Völkerrecht das internationale Kriegsrecht anzuwenden. Terroristen werden dann zunächst nicht als Straftäter, sondern als Kombattanten in einer kriegerischen 8  Präsident George W. Bush, Address to a Joint Session of Congress and the American People, United States Capitol, Washington D.C., 20.9.2001 (http: /  / archi http: /  / www.archive.org / details /  ves.cnn.com / 2001 / US / 09 / 20 / gen.bush.transcript / ; gwb2001-09-20.flac16; beide zuletzt aufgerufen am 10.8.2010). 9  Michael B. Mukasey, Padilla Makes Bad Law. Terror trials hurt the nation even when they lead to convictions. Wall Street Journal vom 22.8.2007. Der Beitrag erschien kurz vor dem (absehbaren) Rücktritt von Justizminister Alberto Gonzales. 10  Zu diesen Argumenten siehe auch Sands (Anm. 2), S.  206.



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Auseinandersetzung festgenommen, und es ist zu prüfen, ob das Dritte Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen auf sie anzuwenden ist.11 In diesem Abkommen wird der Status von Kriegsgefangenen definiert und festgelegt, wie lange sie festgehalten werden dürfen und wie sie während der Gefangenschaft zu behandeln sind. Anders als Strafgefangene haben Kriegsgefangene weitreichende Rechte, weil das Ziel ihrer Gefangenschaft nicht darin besteht, sie zu bestrafen, sondern nur darin zu verhindern, dass sie sich weiter an den Kampfhandlungen beteiligen. Der privilegierte Status von Kriegsgefangenen kommt aber nur regulären Kombattanten zu, die sich insbesondere dadurch auszeichnen, dass sie ihre Waffen offen tragen und von weitem eindeutig als Kombattanten zu erkennen sind – z. B. durch das Tragen einer Uniform (Artikel 4 des Dritten Genfer Abkommens). Neben regulären Kombattanten kennt das Genfer Kriegsgefangenen-Abkommen eine Ausnahmeregelung für Kombattanten, die einem oder mehreren Kennzeichen regulärer Kombattanten nicht genügen. In Artikel 3 heißt es, dass im „Falle eines bewaffneten Konflikts, der keinen internationalen Charakter aufweist und der auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien entsteht“, die am Konflikt beteiligten Parteien verpflichtet sind, gewisse Mindeststandards einzuhalten. Insbesondere werden untersagt: Angriffe auf Leib und Leben, grausame Behandlung und Folterung, Beeinträchtigungen der persönlichen Würde sowie Verurteilungen ohne vorhergehendes Urteil durch ein ordnungsmäßig bestelltes Gericht. Der Wortlaut des Artikel 3 („Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist“) zeigt, dass es ursprünglich darum ging, auch in Bürgerkriegen die Einhaltung humanitärer Mindeststandards durchzusetzen; als abschreckendes Beispiel stand der Staatengemeinschaft unter anderem der Spanische Bürgerkrieg vor Augen. Doch in der Folge wurde er zunehmend als ein Auffangtatbestand interpretiert, der auf alle nicht-regulären Kombattanten anzuwenden ist. Dies findet seinen deutlichsten Ausdruck in dem Ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen von 1977, in dem vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Kriege gegen Kolonialherrschaft festgelegt wurde, dass das entscheidende Kennzeichen zur Einordnung eines festgenommenen Kombattanten als Kriegsgefangener im Sinne des Genfer Abkommens das offene Tragen der Waffe ist (Art.  44 des Ersten Zusatzprotokolls). Trägt ein Kombattant die Waffen nicht offen oder trägt er keine Uniform, so verwirkt er sein Recht, als regulärer Kriegsgefangener zu gelten (ebd.). Doch auch dann soll er zumindest den Schutz genießen, der in Art.  3 des Genfer Kriegsgefangenenabkommens für Bürgerkriegskombattanten vorgesehen ist, d. h. es sind bei seiner Behandlung die entsprechenden Mindeststandards einzuhal11  Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 12. August 1949 (http: /  / www.admin.ch / ch / d / sr / c0_518_42.html; 10.8.2010).

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ten. Das gilt auch, wenn der Festgenommene ein Terrorist ist: Straftaten müssen nach Art.  75 Abs.  4 des Ersten Zusatzprotokolls in einem ordentlichen Gerichtsverfahren verfolgt werden. Die Anwendung des Kriegsrechts bedeutet also keineswegs, dass festgenommene Kombattanten nicht einen Anspruch auf ein Gerichtsverfahren haben. Vielmehr haben sie, wenn sie behaupten, reguläre Kriegsgefangene zu sein und daran Zweifel bestehen, das Recht, dass in einem fairen Verfahren von einem unabhängigen Gericht ihr rechtlicher Status geprüft wird.12 Zweitens haben sie, wenn ihnen Straftaten zur Last gelegt werden, den Anspruch auf ein ordentliches Gerichtsverfahren (Art.  75 Abs.  4 des Ersten Zusatzprotokolls). Das Völkerrecht kennt somit nur zwei mögliche Rechtsstellungen mutmaßlicher Terroristen (vgl. Übersicht 1):13 –– entweder es gilt der Rechtszustand: dann wird auf Terroristen das jeweilige nationale Strafrecht angewandt, das seinerseits in Einklang mit den international garantierten Menschenrechten stehen muss (z. B. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966, UN-AntiFolter-Konvention von 1984); –– oder eine Regierung erklärt, dass sie sich gegenüber den Terroristen im Kriegszustand und damit im Notstand befindet: dann wird ein Teil der Rechte, die mutmaßlichen Terroristen im Frieden zustehen, aufgehoben, und sie unterliegen der Militärgerichtsbarkeit. Sie haben aber einen Anspruch auf ein faires Gerichtsverfahren, und es sind die Mindestbestimmungen der Genfer Abkommen von 1949 und der Zusatzprotokolle von 1977 hinsichtlich der menschlichen Behandlung von Gefangenen anzuwenden. Eine dritte Kategorie gänzlich rechtloser Kombattanten ist im Völkerrecht nicht vorgesehen, und genau aus diesem Grund geht die Bush-Administration davon aus, dass das Völkerrecht für die Verfolgung von Al Qaida ungeeignet ist (siehe den folgenden Abschnitt  II). Diese Deutung wird der Administration dadurch erleichtert, dass die Vereinigten Staaten die Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen von 1977 bis heute nicht ratifiziert haben und sie insbesondere die Anwendung von Art.  3 des Dritten Genfer Abkommens als Auffangtatbestand für nicht-reguläre Kombattanten ableh12  Art.  5 des Genfer Abkommens von 1949 und Art.  45 des Ersten Zusatzprotokolls. Bis zur Klärung der Rechtsstellung der Gefangenen genießt der Gefangene den vollen Schutz des Kriegsgefangenenabkommens. Diese Praxis ist auch im US-Field Manual festgelegt, das die Verhaltensregeln der US-Soldaten im Einsatz festlegt. 13  Zu der Einteilung siehe: Charlotte Gaitanides, Völkerrechtliche Anforderungen an die Bekämpfung des inernationalen Terrorismus, in: Verein Deutscher Verwaltungsgerichtstag (Hrsg.): Dokumentation zum 15. Deutschen Verwaltungsrichtertag 2007, Stuttgart (Boorberg) 2007, S.  215–230.



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1. Behandlung mutmaßlicher Terroristen nach dem Völkerrecht a. Strafrecht  ← Al Qaida b. Kriegsrecht – reguläre Kombattanten (Art.  4 Genfer Abk.) – irreguläre Kombattanten (Art.  3 Genfer Abk. bzw. 1. ZP)  ← Taliban In Zweifelsfällen: Beurteilung der Kombattanten durch unabhängige Gerichte. Verfolgung von Straftaten einschließlich Terrorismus auch nach dem Kriegsrecht nur durch Gerichte. → „Habeas corpus“ gilt grundsätzlich auch im Kriegszustand. 2. Behandlung mutmaßlicher Terroristen nach der Festlegung von Präsident Bush, 7.2.2002 a. Strafrecht b. Kriegsrecht (Anwendung des Genfer Abk.) – reguläre Kombattanten (Art.  4 Genfer Abk.) – irreguläre Kombattanten: nur im Bürgerkrieg (Art.  3 Genfer Abk.) – illegale Kombattanten (ohne Rechte) ← Taliban c. Recht im Krieg gegen den Terror: illegale Kombattanten (ohne Rechte) ← Al Qaida Beurteilung illegaler Kombattanten erfolgt nicht durch Gerichtsbeschluss; sie können ohne Gerichtsverfahren als Terroristen gefangenen gehalten werden. → Aufhebung von „habeas corpus“ für (mutmaßliche) illegale Kombattanten. Übersicht 1: Vergleich des rechtlichen Status von Al Qaida-Terroristen und Talibankämpfern nach dem Völkerrecht und nach dem Beschluss von Präsident Bush vom 7. Februar 2002 (zu diesem Beschluss s. u., Abschnitt III.1)14

nen.15 Aus der Sicht der Vereinigten Staaten gilt Artikel 3 allein für Bürgerkriegskombattanten, während Kombattanten, die (1) nicht in einem Bürgerkrieg kämpfen, (2) nicht erkennbar als Kombattanten auftreten (z. B. durch Uniform) und (3) ihre Waffen nicht offen tragen, als illegale Kombattanten einzustufen sind, denen keine Rechte zukommen. 14

14  Abkürzungen: Genfer Abk.  = Drittes Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen; ZP  = Erstes Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen. 15  Das „Erste Zusatzprotokoll“ wurde bislang von 167 Staaten unterzeichnet und ratifiziert; von den USA wurde es unter Präsident Carter unterzeichnet, aber die Ratifizierung durch den Kongress wurde von Präsident Reagan gestoppt und ist bis heute nicht erfolgt (Sands, Anm. 2, S.  150). Die USA sehen in dem Zusatzprotokoll die Gefahr einer Unterstützung von Terrorismus, weil ihrer Ansicht nach keine eindeutige Grenze zwischen Befreiungsbewegungen und Terrororganisationen gezogen wird.

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Die zweite oben aufgeworfene Frage, welche Grenzen bei der Vernehmung mutmaßlicher Terroristen hinsichtlich der Anwendung von Zwang und Gewalt gesetzt sind, ist von der Frage ihrer Einordnung als Straftäter oder Kombattanten unabhängig. Das Völkerrecht sieht für Folter und allgemein für alle Formen der grausamen, erniedrigenden und die Menschenwürde verletzenden Behandlungen ein kategorisches (also auch im Falle des Notstandes geltendes) Verbot vor. Das wurde bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen von 1948 (Art.  5) und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 (Art.  7, der laut Art.  4 Abs.  2 des Paktes „notstandsfest“ ist) festgelegt, und 1984 durch die Verabschiedung des „Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“ (kurz: UN-Folterkonvention) bekräftigt. In der Darstellung der Position der US-Administration wird sich jedoch zeigen, dass die Deutung des kategorischen Verbots der Folter Schwierigkeiten aufwirft, insbesondere hinsichtlich der Definition der Folter. II. Die Entwicklung der Position der US-Administration In Bezug auf das Völkerrecht und die Menschenrechte verfolgte die BushAdministration im „War on Terror“ im Wesentlichen zwei Ziele: Erstens sollte für internationale Terroristen als „Feinden der Freiheit“ (siehe die Formulierung von Bush in dem oben angeführten Zitat) die neue völkerrechtliche Kategorie des unrechtmäßigen und dadurch rechtlosen Kombattanten geschaffen werden. Zweitens sollte der von der Administration wahrgenommene Trend zur Reduktion des Handlungsspielraumes des Präsidenten durch das Völkerrecht eingeschränkt und die Prärogative des Präsidenten gestärkt werden. John Yoo, der im Justizministerium maßgeblich an der Entwicklung des Konzepts des „illegal combattant“ beteiligt war, formulierte im Mai 2002 den umfassenden Anspruch der Bush-Administration: What the Administration is trying to do is create a new legal regime.16

Nach der Festnahme einer großen Zahl von Taliban- und Al Qaida-Mitgliedern seit November 2001 wurde in der Administration zunächst die Frage ihrer Rechtsstellung behandelt (Abschnitt II.1). Im Laufe vom Sommer und Herbst 2002 erwiesen sich die Verhöre der Gefangenen in Guantánamo und anderen US-Gefängnissen als wenig ergiebig, und es wurde in der Administration die Frage erörtert, in welchem Ausmaß die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt ist, wenn der Verdacht besteht, dass die Gefange16  Zitiert in: Warren Richey, How long can Guantanamo prisoners be held? In: The Christian Science Monitor, 9.  April 2002 (http: /  / www.csmonitor.com / 2002 / 0409 / p01s03-usju.html, zuletzt aufgerufen am 14.8.2010).



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nen wichtige Informationen über geplante Terroranschläge nicht preisgeben (Abschnitt II.2). Beide Diskussionen verliefen wesentlich innerhalb der Exe­kutive in Form eines Austauschs geheimer Memoranden, die nach dem Abu Ghuraib-Skandal auf Druck des Kongresses veröffentlicht wurden.17 Beteiligt waren vor allem das Weiße Haus, das Justiz-, das Außen- und das Verteidigungsministerium, wobei einige politische Beamte (also solche, die von Bush selbst eingesetzt worden waren) eine Schlüsselrolle spielten. Seit dem Jahr 2004 kam es dann zu einer Wende in der Menschenrechtspolitik gegenüber mutmaßlichen Terroristen, weil zum einen mit dem Abu GhuraibSkandal der Druck der Öffentlichkeit und des Senats auf die Administration wuchs und zum anderen der Supreme Court die erste wegweisende Entscheidung über Guantánamo fällte (Abschnitt III.3). 1. Die Debatte über den Status der Gefangenen (Januar / Februar 2002) In der Diskussion über den rechtlichen Status mutmaßlicher Gefangener haben sich vor allem drei Personen hervorgetan, die der internationalen Öffentlichkeit weniger bekannt geworden sind: –– Alberto Gonzales, White House Counsel to the President, war in den Jahren 2001 und 2002 der maßgebliche Rechtsberater von Präsident Bush; er wurde in der zweiten Amtszeit Nachfolger von Ashcroft als Justizminister (Attorney General), bis er im August 2007 zurücktreten musste; –– John Yoo, ein Rechtsprofessor der University of California in Berkeley, war von 2001 bis Ende 2003 Deputy Assistant Attorney General unter Justizminister Ashcroft; –– Jay Bybee war von 2001 bis Ende 2003 Leiter des Office of Legal Counsel, das die Abteilung für rechtliche Grundsatzfragen im Justizministerium darstellt. Yoo verschickte am 9. Januar 2002 das erste einer Serie von Memoranden, die im Januar und Februar 2002 zur Frage des rechtlichen Status von Talibankämpfern und mutmaßlichen Terroristen produziert wurden. In ihm hielt er fest, dass das Genfer Kriegsgefangenenabkommen auf beide Gruppen keine Anwendung finden kann: –– Al Qaida ist kein Staat und somit auch nicht Unterzeichnerstaat des Genfer Abkommens. Das Genfer Kriegsgefangenenabkommen legt Privilegien für 17  Die Fotos, die die Misshandlung von Häftlingen durch Angehörige der USStreitkräfte im Gefängnis von Abu Ghuraib belegen, wurden im April 2004 veröffentlicht; vgl. die Themenseite auf „Spiegel-Online“: http: /  / www.spiegel.de / thema /  abu_ghuraib /  (12.8.2010).

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reguläre Kombattanten fest, die den Kriterien in Art. 4 entsprechen müssen, und definiert Mindeststandards für die Behandlung von Gefangenen, die in einem Bürgerkrieg festgenommen werden (Art. 3). Die Anwendung dieser Mindeststandards auf andere Kombattanten durch das Erste Zusatzprotokoll von 1977 ist für die Vereinigten Staaten nicht verbindlich, da sie dieses Protokoll nicht ratifiziert haben. Neben regulären Kombattanten und Bürgerkriegskombattanten gibt es somit eine dritte Gruppe: „illegal combattants“, die sich auf keinerlei Rechte berufen können, sondern deren Behandlung allein im Ermessen der Administration liege. –– Auf die Taliban ist das Genfer Abkommen aus mehreren Gründen nicht anwendbar. Erstens stellen die Taliban keine anerkannte Regierung dar, und Afghanistan war bereits vor Beginn des Konflikts kein „functioning state“18, so dass die Taliban nicht als Vertragspartner des Genfer Abkommens anerkannt werden können. Zweitens sind die Taliban keine regulären Truppen im Sinne von Art.  4 des Genfer Abkommens, weil sie keine Uniform (oder sonstige sichtbare Zeichen) tragen, durch die sie als Kombattanten erkennbar sind; und sie sind in ihrem Kampf gegen die USTruppen keine Bürgerkriegstruppen im Sinne von Art.  3 des Genfer Abkommens. Drittens hat der Präsident als „commander in chief“ das Recht, internationale Verträge wie das Genfer Abkommen auszusetzen, wenn die Sicherheit der Vereinigten Staaten es erfordert. In der Argumentation von Yoo zeigt sich zum einen der Wille, den Trend zur Ausweitung der Anwendung von Mindeststandards einer humanitären Behandlung auf alle Arten von Kombattanten umzukehren. Humanitäre Behandlung kann nur regulären Kombattanten zukommen; wer selbst in seinem Kampf keinerlei Regeln respektiert, kann nicht den Anspruch erheben, human behandelt zu werden. Sofern ein illegaler Kombattant human behandelt wird, ist dies ein Akt der Gnade und nicht die Respektierung eines Rechtsanspruchs. Zum anderen vertritt Yoo den Standpunkt, dass das Völkerrecht allgemein unter dem Primat der Sicherheitspolitik steht. Oberste Aufgabe des Präsidenten ist die Gewährleistung der Sicherheit der Vereinigten Staaten; das Völkerrecht kann nur solange eingehalten werden, wie dies den Sicherheitsinteressen nicht widerspricht. Mit diesem Memorandum hat Yoo die Grundzüge der Position formuliert, der Gonzales und Bybee in eigenen Memoranden zustimmten und die sich in der Administration im Wesentlichen durchsetzte. Der damalige US-Außenminister Colin Powell war einer der wenigen, die sich gegen diese Po18  S.  2 des Memorandums von John Yoo vom 9.1.2002; eine Auswahl der wichtigsten Memoranden mit Quellenhinweisen findet sich in Tabelle 1 am Ende des Artikels.



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sition wandten. In seinem Memorandum vom 26. Januar 2002 warnte er vor den Folgen, wenn der Präsident das Genfer Kriegsgefangenenabkommen nicht auf den Konflikt mit Afghanistan anwenden würde und verwies vor allem darauf, dass die USA damit in Widerspruch zu ihrer bisherigen Politik handeln würden, die auf die Stärkung des internationalen Kriegsrechts zielte, um dadurch auch die Sicherheit der eigenen Soldaten im Falle einer Gefangennahme zu erhöhen. Zudem würde eine solche Politik die Unterstützung der Alliierten im US-amerikanischen Kampf gegen den Terrorismus untergraben und die moralische Autorität der USA weltweit beschädigen. Der eigene Vorschlag von Powell lautete, das Genfer Abkommen allgemein für anwendbar zu erklären, Al Qaida-Terroristen jedoch von vornherein und Taliban-Kämpfern fallweise den Kriegsgefangenenstatus abzuerkennen; allen soll jedoch entsprechend der Mindeststandards des Genfer Abkommens eine humane Behandlung zugesichert werden. Präsident Bush übernahm in seiner Entscheidung vom 7.2.2002 im Wesentlichen die Linie, die Yoo vorgezeichnet hatte. Er folgte zwar formell dem Wunsch des State Departments, auf die Taliban grundsätzlich das Genfer Abkommen anzuwenden, doch er hielt zugleich fest, dass nach diesem Abkommen die Al Qaida-Terroristen und Taliban insgesamt – ohne Einzelfallprüfung – illegale Kämpfer seien, weil sie keine sichtbaren Erkennungszeichen tragen. Zudem stimmte er Yoos Auffassung zu, dass er als Präsident das Recht habe, die Anwendung völkerrechtlicher Verträge wie das Genfer Abkommen auszusetzen, wenn die Sicherheit der Vereinigten Staaten dies gebiete. Dieses Argument spielte auch in der Debatte über legale Befragungstechniken eine entscheidende Rolle. Der Unterschied zwischen der Position der US-Administration, wie sie von Präsident Bush in seinem Memorandum festgelegt wurde, und der international vorherrschenden Deutung des Völkerrechts (unter Berücksichtigung des Erstens Zusatzprotokolls von 1977) ist oben in Übersicht 1 veranschaulicht. Dieser Unterschied lässt sich in zwei Punkten zusammen­ fassen: Erstens gab es im Völkerrecht seit dem Zweiten Weltkrieg das Bestreben, für die Behandlung aller Kombattanten – also auch solcher, die mit Heimtücke gegen ihre Gegner vorgehen – Mindeststandards festzulegen, und zweitens soll durch das Kriegsrecht gesichert werden, dass Staaten sich auch dann, wenn sie in ihrer Sicherheit existentiell bedroht sind, an Regeln und humanitäre Mindeststandards halten. Die Bush-Administration führte gegen den ersten Punkt die Kategorie des illegalen Kämpfers ein, und dem zweiten Punkt hielt sie die weit definierte Prärogative des Präsidenten entgegen. Hier von einem Angriff auf das Völkerrecht zu sprechen, ist lediglich die korrekte Beschreibung des Vorgehens der Administration: Yoo hätte dem zugestimmt – er hätte diese Einschätzung jedoch positiv bewertet.

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2. Überlegungen zur Anwendung von Folter in der Administration im Zeitraum August 2002 bis Frühjahr 2003 Nach der Einrichtung von Guantánamo Bay wurden dort zahlreiche Verhöre von Gefangenen durchgeführt, in denen die US-Militärs mit dem Problem einer begrenzten Aussagebereitschaft der Gefangenen konfrontiert wurden.19 Die Beamten gingen davon aus, dass die Gefangenen Informationen über weitere geplante Anschläge von Al Qaida haben, und fürchteten zugleich, dass sie im Falle der Anwendung von Gewalt von US-amerikanischen Gerichten wegen Folter strafrechtlich verfolgt werden könnten. Aus dieser Sorge heraus richteten Bushs Rechtsberater Gonzales und der Rechtsberater des Pentagon William J. Haynes II Anfragen an das Office of Legal Counsel mit der Bitte, die Definition von Folter zu klären, um den Handlungsspielraum der mit den Vernehmungen betrauten Beamten zu erweitern. Bybee verfasste daraufhin als Leiter des Office of Legal Counsel ein geheimes Memorandum, das vom 1. August 2002 datiert ist und nach seiner Veröffentlichung im Jahr 2004 als „torture-memo“ bekannt wurde.20 Folter wird im US-amerikanischen Recht ebenso wie in der UN-Folterkonvention als die „vorsätzliche Zufügung von großen physischen oder seelischen Schmerzen oder Leiden“ definiert.21 Bybee kommt in seiner Deutung dieses Verbots zu folgenden Schlussfolgerungen: –– Das absolute Folterverbot der UN-Folterkonvention und des amerikanischen Rechts gilt nur für die Zufügung extremer Schmerzen oder extremen Leidens. Bei physischen Schmerzen setzt dies voraus, dass schwere körperliche Verletzungen zugefügt werden, deren Folge Tod oder Organversagen sein können. Beim Zufügen seelischer Leiden liegt die Grenze dort, wo andauernde psychische Schäden hervorgerufen werden, z. B. posttraumatische Belastungsstörungen. Zur Begründung beruft Bybee sich auf die UN-Folterkonvention: Dort wird zwischen Folter (Art.  1) und grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen bzw. Strafen (Art.  16) unterschieden. Das kategorische Folterverbot bezieht sich nur auf Fälle extremer Grausamkeit, weil ansonsten die Differenzierung 19  Jane Mayer, Annals of the Pentagon: the memo. How an internal effort to ban the abuse and torture of detainees was thwarted, in: The New Yorker, 27. Februar 2007. 20  Office of Legal Counsel, Memorandum for Alberto R. Gonzales, Counsel to the President, Re: Standards of Conduct for Interrogation under 18 U.S.C. §§ 2340– 2340A, Washington D.C., 1. August 2002 (http: /  / fl1.findlaw.com / news.findlaw.com /  nytimes / docs / doj / bybee80102mem.pdf; zuletzt aufgerufen am 14.8.2010). 21  Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984 (kurz: UN-Folterkonvention), Art.  1; 18 U.S.C. §§  2340–2340A.



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zwischen Art.  1 und Art.  16 nicht sinnvoll ist. Bybee fasst seine Deutung der UN-Folterkonvention (engl. Convention against torture, CAT) folgendermaßen zusammen: „The text of CAT confirms our conclusion that Section 2340A was intended to proscribe only the most egregious conduct. CAT not only defines torture as involving severe pain and suffering, but also makes it clear that such pain and suffering is at the extreme end of the spectrum of acts by reserving criminal penalties solely for torture.“22 –– Sogar das kategorische Verbot der Folter (das sich auf Fälle bezieht, in denen Tod oder Organversagen die Folge sein können) darf der Präsident in seiner Funktion als „commander in chief“ aussetzen, wenn die Sicherheitslage der Vereinigten Staaten dies nach seiner Einschätzung erfordert.23 Nach Bybee ist die Gewaltenteilung nur gewährleistet, wenn die vom Kongress beschlossenen Gesetze den Präsidenten in seiner wichtigsten Funk­ tion als „commander in chief“ nicht binden, weil ansonsten die Unabhängigkeit der Exekutive von der Legislative ausgehöhlt werden würde.24 Bybees Definition der Folter entspricht tatsächlich derjenigen, die sich in der UN-Folterkonvention findet: als Folter gilt dort nicht jede grausame Behandlung von Menschen, sondern nur die besonders grausame Behandlung. Doch der Zweck der sehr engen Definition in der UN-Folterkonvention besteht nicht darin, Freiräume für die Anwendung von Gewalt unterhalb der Grenze der besonders grausamen Praktiken zu schaffen, sondern darin, dass mit der Konvention ein besonders scharfes Schwert gegen die Folter geschaffen wurde: das Recht, eine Person, die selbst gefoltert oder anderen die Anweisung zum Foltern gegeben hat, in jedem Vertragsstaat festzunehmen und zu verurteilen.25 Damit schafft die Konvention eine Ausnahme vom Grundsatz „nulla poena sine lege“, die tatsächlich nur unter restriktiven Bedingungen gelten soll. Diesen Sinn der engen Definition von Folter ignoriert Bybee und stellt den Zweck der Definition so dar, als sollte ein besonders großer Spielraum beim Einsatz von Gewalt bei Vernehmungen geschaffen werden – gegen die ausdrückliche Regelung des Art.  16 der Konvention, der eindeutig auch grausame Behandlungen, die keine Folter nach Art.  1 darstellen, verbietet. Das zweite Argument bezieht sich auf die Prärogative des Präsidenten, die von Yoo, Bybee und Gonzales bereits bei der Diskussion über den Status der gefangenen mutmaßlichen Terroristen und Talibankämpfer betont 22  S.  22 des Memorandums (Fußnote 19); „Section 2340A“ verweist auf das entsprechende US-amerikanische Gesetz gegen Folter (Fußnote 20). 23  S.  36–46 des Memorandums (Fußnote 19). 24  Ebenda, S.  36  f. 25  Ein Beispiel ist die Festnahme von Pinochet in Großbritannien, die nur auf der Grundlage der UN-Folterkonvention erfolgen konnte.

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wurde. Hier wird das Argument erweitert, weil sich aus Bybees Sicht der Präsident in Fällen, in denen die Sicherheit der Vereinigten Staaten gefährdet ist, nicht nur über internationales, sondern auch über nationales Recht hinwegsetzen kann.26 Der Präsident steht demzufolge im Falle eines Notstandes explizit über dem Gesetz – und eben dies wird von Bybee als Ausdruck von Gewaltenteilung gesehen! Hier zeigt sich die enge Verbindung der beiden zentralen Fragen der Diskussion, nämlich einerseits der völkerrechtlichen Frage nach den Rechten von mutmaßlichen Terroristen und andererseits der verfassungsrechtlichen Frage nach den Möglichkeiten der Exekutive, sich im Fall einer Bedrohung über geltendes Recht hinwegzusetzen. Yoo, Bybee, Gonzales und der damalige Vizepräsident Cheney waren nach Ansicht von Mayer (Fußnote 19) von vornherein mit dem Ziel angetreten, die Einschränkungen der Handlungsspielräume des Präsidenten rückgängig zu machen, die aus ihrer Sicht die Folge des Vietnamkriegs und des Watergate-Skandals waren; die Anschläge vom 11.  September 2001 waren für sie lediglich der Anlass, die von ihnen wahrgenommene Aushöhlung der Vorrechte des Präsidenten aufzuheben. Bybees grundsätzliche Ausführungen zur Definition der Folter wurden vom Pentagon im Herbst 2002 konkretisiert. In verschiedenen Rechtsgutachten wurden Listen erlaubter Befragungstechniken zusammengestellt, die zumindest in die Kategorie „grausam, unmenschlich und erniedrigend“ fallen.27 Laut einem „New York Times“-Artikel griff die CIA dabei auf Erfahrungen aus dem Kalten Krieg zurück: Über Jahrzehnte hatte sie ihre Mitarbeiter darin trainiert, im Fall einer Gefangennahme durch die Sowjetunion deren Befragungstechniken standzuhalten; diese Techniken wurden jetzt in das eigene Repertoire übernommen.28 Das Ergebnis ist ein stufenweises Vorgehen, bei dem am Ende der Skala Methoden stehen wie Schlafentzug, vollständiges Entkleiden, Hervorrufen von Angst z. B. durch die Präsenz von Hunden. Die Praxis des „water-boarding“, also des fingierten Erträn26  Die Deutung, dass ein Notstand die Aussetzung des Folterverbots erlaubt, wird im Völkerrecht explizit ausgeschlossen. Nach Art.  2 Abs.  2 der Folterkonvention dürfen „[a]ußergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand“ nicht als Rechtfertigung für Folter dienen (in der Sache gleichlautend: Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Art.  4 Abs.  2 in Verbindung mit Art.  7). 27  Zu den Befragungstechniken, die Rumsfeld persönlich genehmigt hat, siehe das Memorandum von William J. Haynes II. vom 2.12.2002 an den für Guantánamo zuständigen Commander, Major General Michael Dunlavey; den Working Group Report on Detainee Interrogations in the Global War on Terrorism vom 4.4.2003; und das Memorandum von Rumsfeld an den „Head of U.S.  Southern Command regarding approved interrogation methods“ vom 16.4.2003 (siehe Quellenverzeichnis). 28  Scott Shane / David Johnston / James Risen (2007), Secret Endorsement of Sev­ ere Interrogations, in: New York Times vom 4.10.2007, S. A-1.



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kens eines Gefangenen, wird in den publizierten Unterlagen nicht erwähnt, doch es gibt Aussagen von CIA-Offizieren, denen zufolge sie regelmäßig angewandt wurden – u. a. bei Khalid Sheikh Mohammad, dem in Pakistan gefangengenommenen Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001. Bei ihm war nach Auskunft einiger CIA-Offiziere das „water-boarding“ sehr wirkungsvoll; andere CIA-Offiziere zeigten sich weniger beeindruckt und verwiesen darauf, dass das meiste von dem, was er dann erzählt habe, nicht neu gewesen sei.29 Bemerkenswert ist das Vorgehen der Regierung bei der Durchsetzung der Anwendung der Folter innerhalb der Administration. Denn während die Mehrzahl der politischen Beamten (die durch Bush ins Amt gekommen waren)30 sich für die Politik der Administration gegenüber gefangenen mutmaßlichen Terroristen aussprach, wandten sich verschiedene Beamte, die ihre Position über die Laufbahn innerhalb der Ministerien bekommen hatten („career civil servants“), gegen diese Politik. Ein Beispiel dafür ist der damalige leitende Rechtsexperte der Navy, Alberto Mora. Er erfuhr von den Memoranden, die Anweisungen für die Anwendung von Gewalt beim Verhör mutmaßlicher Terroristen enthielten, im Dezember 2002 und kritisierte sie gegenüber der Leitung des Pentagon, Verteidigungsminister Rumsfeld und William J. Haynes II. Mora wandte ein, dass die Anwendung von Folter eine fatale Wirkung auf das Selbstverständnis der Soldaten hat und dass es faktisch nicht möglich sei, diejenigen, die unmenschliche und erniedrigende Befragungen durchführen, von den übrigen Soldaten zu separieren, so dass sich gravierende Auswirkungen auf die Disziplin der Soldaten nicht vermeiden ließen.31 Moras Reaktion ist aus zwei Gründen interessant: Erstens spricht hier ein Praktiker über die Wirkung von Folter und unmenschlichen Befragungstechniken auf die Disziplin in der Armee, und zweitens lesen sich seine Einwände gegen die Politik von Rumsfeld wie eine Prognose des Abu GhuraibSkandals. Eine Wirkung hatte die Intervention jedoch nicht. Rumsfeld richtete zwar eine Arbeitsgruppe über Befragungstechniken ein, in die er Mora einband. Als der erste Entwurf eines Working Group Reports sich an 29  Matthew Weaver, CIA waterboarded al-Qaida suspects 266 times, in: The Guardian, 20.4.2009 (http: /  / www.guardian.co.uk / world / 2009 / apr / 20 / waterboardingalqaida-khalid-sheikh-mohammed, 12.8.2010). 30  Zu ihnen zählen u. a. Yoo, Bybee und Gonzales. 31  Seinen Protest gegenüber Rumsfeld und Haynes vom 15.1.2003 hat Mora am 7.7.2004 in einem Memorandum an Vice Admiral Albert Church niedergeschrieben. Church war damals als Inspector General im Department of the Navy für die Pentagon-Untersuchung der Misshandlung von Gefangenen in Guantánamo Bay verantwortlich. Das Memorandum ist im Internet unter folgender Adresse zu finden: http: /  / www.newyorker.com / images / pdf / 2006 / 02 / 27 / moramemo.pdf (14.8.2010).

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den Vorgaben des „Torture-Memos“ von Yoo orientierte, intervenierte Mora. Die Pentagon-Führung ließ ihn damals glauben, dass sie daraufhin die Versuche, die Anwendung von Zwang und Gewalt zu genehmigen, abgebrochen habe und bei Verhören nunmehr US-amerikanisches und internationales Recht eingehalten werden. Erst im Zuge der Aufarbeitung des Abu GhuraibSkandals erfuhr Mora, dass die Working Group im April 2003 unter Ausschluss aller internen Kritiker (wie ihm selbst) eine Liste von Befragungstechniken verabschiedet hatte, die in Rumsfelds Sinne war (darunter Schlafentzug, Ausnutzen von Phobien z. B. gegen Hunde, vollständiges Entkleiden der Gefangenen etc.). Diese Liste wurde den Befragern in Guantánamo-Bay und im Irak mit der Behauptung zugesandt, es handele sich um die Ergebnisse der Arbeitsgruppe, an der auch Mora beteiligt war. Die Umsetzung des „Torture-Memos“ durch das Pentagon wurde somit nur durch die Ausbootung des Rechtsexperten des Pentagon möglich.32 Dieses Beispiel zeigt, dass die Vorgehensweise der Vertrauten von Präsident Bush vor allem in der ersten Amtszeit innerhalb der Administration umstritten war. 3. Die Wende in der Debatte im Jahr 2004: Abu Ghuraib und die Supreme Court Entscheidung „Hamdi vs. Rumsfeld“ Das Jahr 2004 brachte in der Frage der Behandlung von Terroristen eine entscheidende Wende. Das kam zunächst durch den Abu Ghuraib-Skandal, also die Veröffentlichung der Fotos von sadistischen Misshandlungen von Gefangenen durch US-amerikanische Soldaten in dem irakischen Gefängnis Abu Ghuraib. Für die Bush-Administration kam es in dieser Zeit auf nationaler Ebene zu einer dreifachen Veränderung: –– Erstens gab es bei der Veröffentlichung der Fotos aus Abu Ghuraib einen Aufschrei des Entsetzens in der Öffentlichkeit. Die Stimmung in den USA war zwischen 2001 und 2004 bestimmt von einer Mischung aus Schock über die Anschläge und patriotischer Aufwallung. Das änderte sich nun, auch wegen des absehbaren Misserfolgs der Irak-Invasion, und es kam zu einer hitzigen Diskussion über die Strategie der Vereinigten Staaten im „War on Terror“. –– Zweitens wurde durch den Aufschrei in der Öffentlichkeit der Kongress aktiv. Es kam nun zu einer Reihe von Anhörungen von Regierungsmitgliedern, und schrittweise wurden die Memoranden von Bybee, Gonzales, Yoo und anderen veröffentlicht. Die Regierung war seither bis zu ihrer Abwahl im November 2008 mit ihrer Behandlung gefangener Terroristen gegenüber dem Kongress in der Defensive. 32  Ausführlich

dazu: Mayer (Fußnote 18).



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–– Drittens gab es im Juni 2004 das erste wegweisende Urteil des Supreme Court über Guantánamo-Bay („Hamdi vs. Rumsfeld“): Das oberste Gericht entschied, dass die Inhaftierung der Gefangenen in Guantánamo ohne Gerichtsverfahren „unconstitutional“ sei. Es müsse zumindest durch unabhängige Militärtribunale geprüft werden, ob die Inhaftierten tatsächlich illegale Kombattanten sind. Diese Entwicklung verdeutlicht, dass die Administration sich mehr und mehr in den Problemen verfing, die aus ihrer ursprünglichen Entscheidung resultierten, die Anwendung des Strafrechts auf Al Qaida-Terroristen verhindern zu wollen. Die Administration ging davon aus, dass das Strafrecht für die Verfolgung von Terroristen unangemessen sei. Aber die Konsequenz war ein Eigentor: Wenn die Bekämpfung von Al Qaida ein Krieg ist, dann haben ihre Mitglieder völkerrechtlich gesehen den Status von Kombattanten. Die Juristin Gaitanides (Fußnote 13) schreibt zu Recht, dass damit den Terroristen eine „Lizenz zum Töten“ ausgestellt wurde: Wenn Terroristen Kombattanten in einem Krieg sind, ist ihnen nicht mehr das Töten als solches verboten, sondern nur das Töten, das (z. B. wegen Heimtücke) ein Kriegsverbrechen darstellt. Die Politik der Administration zielte denn auch nicht darauf, Terroristen dem Kriegsrecht zu unterstellen, sondern ihnen jedwede Rechte abzusprechen. Das politische Denken, das dem zugrundelag, war nicht von den Kategorien des Völker- bzw. Kriegsrechts geprägt, sondern von der Vorstellung eines weitgehend rechtlosen Kriegszustandes, wie sie in der neuzeitlichen Vertragstheorie entwickelt wurde. III. Die rechtsphilosophischen Grundlagen der Position der Bush-Administration Die hier zitierten Memoranden sind viel zu nüchtern, als dass die vorgeschlagenen Maßnahmen mit dem Einfluss evangelikaler Eiferer auf die Bush-Administration erklärt werden könnten. Auch eine Zurückführung dieser Maßnahmen auf eine pessimistische Anthropologie, wie sie von Thomas Hobbes vertreten wurde, oder eine Freund-Feind-Logik im Sinne von Carl Schmitt wird diesen Texten nicht gerecht: Yoo, Bybee und die anderen Autoren der Memoranden stellen nicht die liberale Ordnung der Vereinigten Staaten in Frage (die mit der politischen Philosophie von Hobbes oder Schmitt nicht vereinbar wäre), sondern plädieren dafür, die Rechtsstaatlichkeit im Umgang mit den Feinden dieser Ordnung aufzuheben. Die Logik ihrer Argumentation bewegt sich im Rahmen eines bestimmten Verständnisses des politischen Liberalismus und kann sich in ihren beiden entscheidenden Punkten auf John Locke berufen: Sowohl die Suspendierung aller Rechte für diejenigen, die sich selbst an kein Recht halten, als auch das Vorrecht des Präsidenten, sich zum Schutz der Bürger seines Staates über

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geltendes Recht hinwegzusetzen, lässt sich mit Lockes politischer Theorie rechtfertigen. 1. Die Rechtlosigkeit der Feinde der gesellschaftlichen Ordnung Lockes Darstellung des Naturzustandes wird regelmäßig als entscheidende Quelle für das moderne Verständnis der Menschenrechte gedeutet. Während der Naturzustand bei Hobbes ein Zustand ohne gesetzliche Ordnung ist, geht Locke davon aus, dass dem Menschen von Natur aus bzw. von Gott her drei entscheidende Rechte zukommen: –– Die Menschen sind von Natur aus frei, „innerhalb der Grenzen des Gesetzes der Natur ihre Handlungen so zu regeln und über ihren Besitz und ihre Persönlichkeit so zu verfügen, wie es ihnen am besten scheint, ohne dabei jemanden um Erlaubnis zu bitten oder vom Willen eines anderen abhängig zu sein“ (Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung, §  4); –– die Menschen sind von Natur aus gleich: als Geschöpfe der gleichen Gattung sind sie von Natur „von gleichem Rang“ (ebd.); –– die Menschen haben ein natürliches Recht, die Früchte ihrer Arbeit als ihr Eigentum zu betrachten, solange sie die Grenzen der Aneignung berücksichtigen (ebd., §  27).33 Diese Rechte hat der Mensch von Natur aus: Sie wurden ihm von Gott verliehen (ebd., §  6) und sind somit nicht verhandelbar. Doch sie gelten nicht unbedingt: Nur diejenigen können sich auf ihre natürlichen Rechte berufen, die ihrerseits diese Rechte bei anderen Menschen respektieren. Wer dies nicht tut, verliert seine natürlichen Rechte nicht nur graduell (indem er z. B. zeitweise inhaftiert und dadurch in seiner Freiheit eingeschränkt wird), sondern er verliert alle seine Rechte: Wer einem einzelnen oder der Gesellschaft den Krieg erklärt, den darf man aus demselben Grund töten, aus dem man einen Wolf oder einen Löwen tötet. Denn solche Menschen sind nicht durch das gemeinsame Gesetz der Vernunft gebunden und kennen keine anderen Regeln als die der rohen Kraft und Gewalt. Sie dürfen deshalb wie Raubtiere behandelt werden, wie jene gefährlichen und schädlichen Geschöpfe, die einen mit Sicherheit vernichten, sobald man in ihre Gewalt fällt. (§  16) 33  John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977. Zur Naturrechtslehre von Locke und zur Eigentumstheorie siehe z. B. Henning Ottmann, Geschichte des politischen Denkens, Bd. 3 / 1: Die Neuzeit – Von Machiavelli bis zu den großen Revolutionen, Stuttgart: Metzler 2006, S. 375– 378 und 354–358; Walter Euchner, John Locke zur Einführung, Hamburg: Junius 1996, S.  56–67 und 78–97.



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Die Macht, die der Mensch durch sein Recht auf Selbstverteidigung im Naturzustand über andere erlangen kann, ist zwar aus Lockes Sicht „keine absolute und willkürliche Gewalt“, sondern darf nur in dem Umfang ausgeübt werden, der für die Wiedergutmachung des entstandenen Schadens und für die Abschreckung weiterer Straftaten erforderlich ist (§  8). Doch diese Begrenzung gilt nur, sofern es um die Bestrafung einer bereits verübten Straftat geht (§  12). Im Falle eines Angriffs oder einer akuten Bedrohung darf der Angegriffene jeden Angriff auf seinen Besitz oder seine Freiheit als einen Angriff auf seine Person ansehen und den Angreifer vernichten (§ 18). Diese Logik ist es, die im Naturzustand zur Eskalation der Gewalt und zum Umschlag in den Kriegszustand führt: Am Ende ist dieser Zustand trotz aller Freiheit „voll von Furcht und ständiger Gefahr“ (§  123). Die Eskalation folgt nicht aus der Zügellosigkeit derer, die das natürliche Gesetz gegen die Übertreter vollstrecken, sondern liegt in der Logik der Selbstverteidigung und der Selbstdurchsetzung der natürlichen Gesetze: Denn das Gesetz, das zu meiner Erhaltung geschaffen wurde, erlaubt mir die Selbstverteidigung, in allen Fällen wo es nicht einschreiten kann, mein Leben […] vor unmittelbarer Gewalt zu schützen. (§  19).

Wenn der Naturzustand in einen Kriegszustand umgeschlagen ist, so dauert dieser fort, bis der Aggressor einlenkt: Die unschuldige Partei hat dann solange das Recht, den anderen, wo immer sie kann, zu vernichten, bis der Angreifer die Hand zum Frieden bietet und den Wunsch zur Versöhnung äußert, und zwar unter Bedingungen, die alles bisher geschehene Unrecht wiedergutmachen und den Unschuldigen für die Zukunft schützen können. (§  20)

Kurzum: Wenn eine Gruppe von Menschen andere angreift und beständig deren Sicherheit bedroht, hat diese das Recht, sich mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen. Die Angreifer müssen nicht als Menschen behandelt werden, sondern dürfen wie wilde Tiere vernichtet oder auch versklavt werden (§  23). Wer die Rechte anderer nicht respektiert, verliert seinerseits jeden Anspruch, als ein Mensch mit natürlichen Rechten behandelt zu werden. Die Menschenrechte beruhen im politischen Denken von John Locke also auf dem Grundsatz der Reziprozität: Zunächst kommen sie jedem zu, doch wer sie bei anderen nicht respektiert, verwirkt seinen Anspruch, seinerseits als ein Mensch mit natürlichen Rechten behandelt zu werden. Wenngleich die natürlichen Gesetze nicht das Ergebnis einer vertraglichen Vereinbarung sind (sie werden von Locke explizit als vorvertragliche Rechte beschrieben), unterliegen sie doch der Logik des „do ut des“. Eben diese Logik liegt auch den Memoranden zugrunde, die die mutmaßlichen Al Qaida-Terroristen und Talibankämpfer zu völlig rechtlosen („illegalen“) Kombattanten erklären: Sie haben aus der Sicht der Autoren durch

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ihren Angriff auf die Vereinigten Staaten ihre Rechte verwirkt; sofern sie human behandelt werden, ist dies ein Akt der Gnade und nicht die Folge eines völkerrechtlichen Anspruchs. Der Entzug des „habeas corpus“-Rechts ist nur die folgerichtige Anwendung der Lockeschen Überlegung, dass man über denjenigen, den man töten darf, die vollständige Gewalt hat (§  23). 2. Prärogative und Menschenrechte Die Charakterisierung des Naturzustandes hat Konsequenzen für die ­ olitik im gesellschaftlichen Zustand. Da „das Ziel der Regierung die ErP haltung aller“ ist34, hat sie weitreichende Befugnisse im Kampf gegen Angreifer: –– Erstens versetzen sich die Angreifer durch ihre Gewalthandlung gegenüber den Angegriffenen in den Kriegszustand, so dass letzteren alle Selbstverteidigungsrechte zukommen, die ein einzelner im Naturzustand gegenüber einem Angreifer hat; –– Zweitens hat eine Regierung auch da, wo ihr durch das positive Recht Grenzen gesetzt werden, einen erheblichen Handlungsspielraum: Die Prärogative ist nach Locke nichts anderes „als die Erlaubnis, die das Volk seinem Herrscher erteilt, verschiedene Dinge nach seiner eigenen freien Entscheidung zu regeln, wo das Gesetz schweigt, und zuweilen auch gegen den ausdrücklichen Buchstaben des Gesetzes zu handeln, wenn es dem öffentlichen Wohl dient“ (§  164). Ob die Regierung damit auch die Befugnis hat, Feinden das Habeas-Corpus-Recht abzusprechen oder das Folterverbot aufzuheben, wird an dieser Textstelle nicht deutlich – doch da nach der Theorie des Kriegszustandes die Feinde rechtlos sind, ist es nur folgerichtig, dass die Prärogative nicht durch positive Rechte gebunden ist, die den Feinden unaufhebbare Rechte zusichern. Die Argumentation von Yoo, Bybee und Gonzales, die die Stellung des Präsidenten gegenüber dem Kongress und gegenüber dem Völkerrecht stärken wollen, entspricht somit derjenigen von Locke: Sie lehnen wie Locke die Vorstellung ab, dass die Exekutive in allen Fragen an das Recht gebunden ist; vielmehr gibt es aus ihrer Sicht Situationen, in denen die Befolgung des positiven Rechts gravierende Nachteile für das Volk hat – und in diesen Fällen bedarf es der Prärogative, d.  h. des übergeordneten Rechts der Exekutive, sich über positives Recht hinwegzusetzen.

34  Locke, Zweite Abhandlung über die Regierung (Fußnote 32), §  159, im Original hervorgehoben.



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IV. Schlussfolgerung Die Darstellung der Entwicklung der rechtlichen Bestimmungen zur Behandlung mutmaßlicher Terroristen im „War on Terror“ führt zu zwei wesentlichen Ergebnissen. Zum einen zeigt sie, dass eine pauschale Verurteilung der Politik der Vereinigten Staaten in dieser Frage voreilig ist. Die Ausführungen haben verdeutlicht, dass die Maßnahmen der Bush-Administration in den USA sehr umstritten waren. Viele der zitierten Memoranden, in denen die Administration die Behandlung mutmaßlicher Al Qaida-Mitglieder festlegte, waren vertrauliche Dokumente, die erst im Zuge der Senatsanhörungen nach dem Abu Ghuraib-Skandal oder durch Indiskretionen an die Öffentlichkeit gelangten; sobald sie öffentlich wurden, lösten sie in den USA massive Kritik aus. Administrationsinterne Gegner der Linie von Bush, Cheney, Rumsfeld und anderen „Hardlinern“ wurden in der ersten Amtszeit entweder ignoriert und nach außen als Beleg für die Ausgewogenheit der Politik der Administration benutzt (wie der damalige Außenminister Colin Powell), oder sie wurden – wie Alberto Mora – mit Tricks ausgebootet. Nach dem Abu Ghuraib-Skandal wurden die Proteste außerhalb der Administration lauter: Im Senat gab es zahlreiche kritische Anhörungen über das Vorgehen der Bush-Administration im „War on Terror“, und der Supreme Court fällte seit Juni 2004 mehrere entscheidende Urteile, in denen er feststellte, dass auch für Terroristen rechtliche Mindeststandards gelten. Die patriotische Reaktion nach den Anschlägen vom 11.  September 2001 verzögerte somit zwar zunächst die Wirkung der „checks and balances“ um mehrere Jahre; als diese dann aber wieder wirksam wurden, zeigte sich schnell, dass es für Yoos „new legal regime“ außerhalb der Administration keinen breiten Rückhalt gab.35 Zweitens zeigt die Analyse der rechtsphilosophischen Position, die der Politik der Bush-Administration bei der Behandlung mutmaßlicher Terroristen zugrundelag, dass man weder evangelikale Einflüsse noch Einflüsse von solchen Denkern bemühen muss, die (wie Thomas Hobbes oder Carl Schmitt) als Gegner einer gewaltenteiligen bzw. liberalen Ordnung bekannt sind. Die hier behandelten Memoranden lassen sich in den zwei entscheidenden Punkten – der angeblichen Rechtlosigkeit von Terroristen und dem Vorrecht der Exekutive im Falle der Gefahrenabwehr – mit der politischen 35  Die Tatsache, dass Bush im November 2004 im Amt des Präsidenten bestätigt wurde, kann nicht als hinreichender Einwand gegen diese These gelten. Trotz der öffentlichen Empörung über den Abu Ghuraib-Skandal im Frühjahr 2004 geriet der Wahlkampf nicht zu einem Plebiszit über die Einhaltung von Menschenrechten im „War on Terror“. Das Ergebnis der Wahl war wohl wesentlich dem Umstand geschuldet, dass mit John Kerry ein demokratischer Kandidat gegen Bush antrat, dessen Programm mit Leichtigkeit als unklar dargestellt werden konnte.

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Philosophie von John Locke begründen. Wer die Ergebnisse, also insbesondere die Einrichtung von Guantánamo Bay, ablehnen will, muss ihre Begründung kritisieren: Sie beruht auf dem Reziprozitätsdenken, also der Überzeugung, dass die Rechte, die die Freiheit sichern sollen, gegenseitig respektiert werden, so dass derjenige, der die Rechtsordnung fundamental ablehnt und bekämpft, seine eigenen Rechte verwirkt. Jede vertragstheoretische Begründung der liberalen Gesellschaft geht von einer solchen Gegenseitigkeit aus, weil sie als Gegenpol zur Rechtsordnung in der Gesellschaft einen rechtlosen Kriegszustand voraussetzt, durch den die Gründung der Gesellschaft per Vertrag überhaupt erst notwendig wird. Nach den Regeln der Reziprozität ist man dem anderen gegenüber solange verpflichtet, seine Rechte zu respektieren, wie er dies selber tut. Der Respekt der Rechte ist damit instrumentell motiviert: Er dient der Sicherung des eigenen Lebens, des Eigentums und der Freiheit. Wenn diese Ziele von einem anderen Menschen gefährdet werden, so ist es nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten, ihm seine Rechte abzusprechen. In der Politik der Bush-Administration wurde somit ein grundlegendes Problem des Liberalismus in seiner Lockeschen Ausprägung deutlich, nämlich dass das Recht darauf reduziert wird, ein Instrument zur Verfolgung individueller Eigeninteressen zu sein. Diese Sichtweise lässt sich nur überwinden, wenn man die Befolgung des Rechts nicht als ein bloßes Instrument versteht, sondern ihr einen eigenen Wert zuspricht. Die Debatte über die Behandlung mutmaßlicher Al Qaida-Terroristen war also nicht so sehr ein Symptom für einen transatlantischen Bruch in der westlichen Wertegemeinschaft, sondern ist vielmehr weiterhin ein Anlass, die politischen Grundlagen des Liberalismus zu überdenken: Wer die Freiheit nicht mit den Methoden der Bush-Administration verteidigen will, darf die Grenzen der Freiheit nicht vertragstheoretisch begründen.



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Quellenverzeichnis 1. Wegweisende Gerichtsurteile über die Rechte von Guantánamo-Häftlingen im Jahr 2004 28.6.2004, Supreme Court, „Hamdi vs. Rumsfeld“: Hamdi, der US-amerikanischer und saudiarabischer Staatsbürger ist, hat das Recht, gegen seine Einstufung als „illegal combatant“ vor einem unabhängigen Gericht vorzugehen. (American Journal of International Law 2005, S.  261; s. a. Jenny S. Martinez, Hamdi v. Rumsfeld, in: American Journal of International Law, Bd. 98 (2004), S. 782–788. 28.6.2004, Supreme Court, „Rasul vs. Bush“: Bundesgerichte haben das Recht, Fälle anzunehmen, in denen Guantánamo-Inhaftierte auf ihr habeas corpus-Recht klagen. (American Journal of International Law 2005, S.  261; ebd., S.  485; s. a. David L. Sloss, Rasul v. Bush, in: American Journal of International Law, Bd. 98 (2004), S.  788–798. 8.11.2004, US District Court (Washington DC), Judge James Robertson, „Hamdan vs. Rumsfeld“: Die vom Pentagon eingesetzten Militärtribunale für GuantánamoHäftlinge sind unzureichend (American Journal of International Law 2005, S.  262; ebd., 2005, S.  485).

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Hendrik Hansen 2. Ausgewählte Memoranden der Jahre 2002–2004

Datum

Autor

Adressat

9.1.2002

Yoo, Deputy Assistant Attorney General

William J. Haynes II., General Counsel, Dep. of Defense

22.1.2002

Bybee, Head of OLC

White House; Dep. of Defense

25.1.2002

Gonzales, White House Counsel

Präsident

26.1.2002

Powell, Secretary of State

Gonzales, White House Counsel; Assistant to the Pres. for National Security Affairs

1.2.2002

Ashcroft, Attorney General

Präsident

7.2.2002

Bush, Präsident

Vice-President; Sec. of State; Sec. of Defense; Attorney General etc.

1.8.2002

Bybee, Head of OLC

Gonzales, White House Counsel

2.12.2002

William J. Haynes II., General Counsel, Dep. of Defense, ab­gezeichnet von Rumsfeld

Rumsfeld, Sec. of Defense

15.1.2003

Rumsfeld, Secretary of De­fense

Head of U.S.  Southern Command (verantwortl. f. Guantánamo)

4.4.2003

Working Group, Dep. of Defense



16.4.2003

Rumsfeld, Secretary of De­fense

Head of U.S.  Southern Command (verantwortl. f. Guantánamo)

7.7.2004

Navy General Counsel Alberto J. Mora

Vice Admiral Albert T. Church III (s. o., Fußnote 31)

Dep. = Department; OLC = Office of Legal Counsel (im Justizministerium); Sec. = Secretary



Menschenrechte für Terroristen?

Titel

Internetadresse

Application of Treaties and Laws to al Qaeda and Taliban Detainees

http: /  / www.gwu.edu / ~nsarchiv /  NSAEBB / NSAEBB127 / 02.01.09.pdf

Application of Treaties and Laws to al Qaeda and Taliban Detainees

http: /  / www.gwu.edu / ~nsarchiv /  NSAEBB / NSAEBB127 / 02.01.22.pdf

Decision Re: Application of the Geneva Convention on Prisoners of War to the conflict with Al Qaeda and the Taliban

http: /  / www.gwu.edu / ~nsarchiv /  NSAEBB / NSAEBB127 / 02.01.25.pdf

Draft Decision Memorandum for the President on the Applicability of the Geneva Convention to the Conflict in Afghanistan

http: /  / www.gwu.edu / ~nsarchiv /  NSAEBB / NSAEBB127 / 02.01.26.pdf

(ohne Titel)

http: /  / www.gwu.edu / ~nsarchiv /  NSAEBB / NSAEBB127 / 020201.pdf

Humane treatment of al Qaeda and Taliban Detai­nees

http: /  / www.gwu.edu / ~nsarchiv /  NSAEBB / NSAEBB127 / 02.02.07.pdf

Standards of Conduct of Interrogation under 18 U.S.C. §§  2340–2340A

http: /  / fl1.findlaw.com / news.findlaw.com /  nytimes / docs / doj / bybee80102mem.pdf

Counter Resistance Techniques

http: /  / www.gwu.edu / ~nsarchiv /  NSAEBB / NSAEBB127 / 02.12.02.pdf

Counter Resistance Techniques

http: /  / www.gwu.edu / ~nsarchiv /  NSAEBB / NSAEBB127 / 03.01.15.pdf

Working Group Report on interrogation methods

http: /  / www.gwu.edu / ~nsarchiv /  NSAEBB / NSAEBB127 / 03.04.04.pdf

Counter Resistance Techniques

http: /  / www.gwu.edu / ~nsarchiv /  NSAEBB / NSAEBB127 / 03.04.16.pdf

Office of General Counsel Involvement in Interrogation Issues

http: /  / www.newyorker.com / images /  pdf / 2006 / 02 / 27 / moramemo.pdf

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Antrum platonicum Von Henning Ottmann

Abbildung 1: Jan Saenredam after a lost Plato’s Cave (ca. 1604), Amsterdam, Rijksprentenkabinet, in: P. J. J. van Thiel, Cornelis Cornelisz van Haarlem 1562–1638, Doornspijk 1999, Plates no. 115

Das Antrum platonicum, die Platonische Höhle, ist ein Stich von Jan Saenredam aus dem Jahre 1604, geschaffen nach einer Vorlage von Cornelis Corneliszon (1562–1638). Der Stich führt in die große Zeit des holländischen Manierismus. Sie ist u. a. verbunden mit den Namen jener Künstler, die sich wie Corneliszon, Hendrick Goltzius und Karel van Mander in der Haarlemer Akademie zusammengeschlossen hatten. Corneliszon und Golt­ zius sind berühmt für ihre Szenen nach christlichen und mythologischen Motiven, die Körper der Figuren oft seltsam verrenkt oder wie bei Goltzius

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spektakulär vom Himmel stürzend. Der Aufschwung der Kunst vollzog sich in einer Zeit größter Wirren und permanenter Glaubenskriege. Wie es der einflußreichste Philosoph jener Zeit, Justus Lipsius, in De constantia (1584) formulierte, bedurfte der einzelne vor allem der Standhaftigkeit, der Selbstdisziplin und der Unerschütterlichkeit, wollte er gegen die Wirren der Zeit gewappnet sein. Neo-stoische Schicksalslehre und christlichen Vorsehungsglauben vereinend war der Neo-Stoizismus die erfolgreichste Philosophie der Zeit. Lipsius war befreundet mit Rubens, und Rubens hat sich mit Lipsius im Bilde von den Vier Philosophen verewigt. Eine ähnliche Stimmung steht hinter dem Antrum platonicum, einem Stich, der Kunst und Philosophie, Philosophie und Christentum auf engste miteinander verbindet. Eine erste Ebene der Deutung liefert selbstredend das platonische Höhlengleichnis selbst. In diesem Gleichnis stellt Platon, im 7. Buch der Politeia, den Aufstieg der Philosophen zur Erkenntnis dar. Dieser beginnt in der Dunkelheit der Höhle, in der Menschen auf Schattenbilder an der Wand starren, und er führt – nach einer schmerzhaften Wendung des Blicks von den Schatten zu den Gegenständen – aus der Höhle ans Licht. Der Weg der Erkenntnis ist bei Platon zugleich ein Weg der praktischen Befreiung. Wer im Irrtum gefesselt ist, kann nicht frei sein. Aus dem Dunkel ans Licht, aus der Gefangenschaft ins Freie tretend vollzieht der Mensch eine Wende oder Kehre (periagoge), die auch einer religiösen Bekehrung vergleichbar ist: „I was blind but now I see.“ Das Gleichnis von Erkenntnis und Befreiung – das bekannteste philosophische Gleichnis der westlichen Kultur – erzählt keinen Mythos allgemein-menschlicher Auf­ klärung oder allgemein-menschlicher Emanzipation. Befreit werden allein die Philosophen. Nur diese erlangen Erkenntnis (episteme). Die anderen bleiben im Dunkeln, da sie nur Meinung (doxa) besitzen. Wenn die Philosophen nach ihrem Aufstieg wieder in die Höhle hinabsteigen und ihre Erkenntnis den Gefangenen mitteilen wollen, werden sie verlacht oder – wie Sokrates  – zu Tode gebracht. Das Höhlengleichnis läßt sich in unterschiedlichen Perspektiven deuten (Gaiser 1985): als Beginn der Lichtmetaphorik, die noch in der Lichtmetaphorik der Aufklärung wiederkehrt (Bultmann [1948]; Blumenberg [1957]; Bremer [1973]); als eine Geschichte der Befreiung von Täuschungen und Trugbildern, wie sie Bacons Novum Organon (1620) in der Kritik der Idole fortführt; als Beginn der Wahrheitsmetaphysik, auf die Heideg­ gers Lehre von der Wahrheit als „Unverborgenheit“ antwortet (1947); als eine Metaphorik der Geburt des Menschen, der aus der platonischen Höhle wie aus der Höhle des Mutterleibes ans Licht der Welt tritt (Blumenberg 1989). Leo Strauss hat von einer „zweiten Höhle“ geschrieben, in der sich der Mensch in Zeiten des Historismus befinde, einer Höhle noch unterhalb der platonischen (1932). Im Antrum platonicum wird vor allem hervorge-



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hoben, wie scharf die Trennung ist, die jene, die im Dunkeln sitzen, von denen scheidet, die im Lichte stehen. Das Bild hält jenen Moment fest, in dem die Philosophen wieder in die Höhle hinabgestiegen sind und dort – vergeblich – versuchen, die im Dunkeln Sitzenden aufzuklären. Zwei Gestalten wenden sich den im Dunkeln Sitzenden zu. Aber nur drei Menschen hören ihnen überhaupt zu. Der Versuch der Aufklärung wird zum Scheitern verurteilt sein. Viele Details des platonischen Höhlengleichnisses sind korrekt wiedergegeben: die Mauer, das künstliche Feuer, der Weg aus der Höhle ans Licht, die Scheidung der ans Licht Gelangten von denen, die in der Dunkelheit gefangen bleiben. Eigenwillig und von Platon abweichend sind jedoch andere Züge des Bildes. Anders als bei Platon sind die im Dunkeln Sitzenden nicht gefesselt. Sie könnten, wenn sie wollten, den Blick aus eigenem Antrieb wenden. Wie es das unterhalb des Bildes stehende Gedicht ausführt, fehlt ihnen jedoch jeglicher Antrieb dazu. In der letzten Zeile des Gedichts heißt es: „(für sie gibt es) keine Liebe des Lichts, so groß ist ihr Mangel an Vernunft“, „nullus amor lucis, tantum est rationis egestas“. Eine weitere Abweichung von Platons Höhlengleichnis ist die Plazierung der Figuren auf der Mauer. Es sind allegorische Figuren von Tugenden und Lastern. Zwar werden bei Platon hinter der Mauer Standbilder vorbeigetragen. Bei Platon sind es jedoch keine Standbilder von allegorischen Figuren, vielmehr Statuen von beliebigen Lebewesen oder Dingen. Die Veränderung ist erheblich. Nun werden bereits innerhalb der Höhle Tugenden sichtbar. Für Platon wäre dies undenkbar. Tugenden sind für ihn Ideen, d. h. sie sind etwas, was erst außerhalb der Höhle am Ende des Aufstiegs erkannt werden kann. Nach Meinung der kunsthistorischen Experten handelt es sich bei den Tugenden um amor-fides-spes-caritas, bei den Lastern um avaritia-gula-fama (Hirschmann 1915, 83; Vinken 1960, 136 Fn.). Die restlichen Figuren wären noch zu erschließen. Die Plazierung der Tugenden in der Höhle verändert den Sinn des Höhlengleichnisses. Bei Platon könnten die Tugenden keine bloßen Schattenbilder sein. Vielleicht ist dies der Grund dafür, daß auf der Wand mit den Schattenbildern nur die Schatten der Laster, nicht aber die der Tugenden erscheinen. Eine zweite Schicht des Stiches bildet eine Christianisierung des platonischen Gleichnisses. Sie geht wie der gesamte Entwurf zurück auf Hendrick Laurensz Spiegel (1547–1612), einen Kaufmann, Humanisten und Dichter, der mit Dirk Volckertsz Coornheert befreundet war und auch einmal mit Lipsius korrespondierte. Spiegel war der Mäzen des Stichs, und er war zugleich dessen geistiger Vater. Das zeigt die unterste Zeile, in der es heißt: „H. L. SPIEGEL FIGURARI ET SCULPI CURAVIT“. Über das Bild läßt Spiegel in Versalien eine Zeile aus dem Neuen Testament (Jo 3, 19) setzen: „LUX VENIT IN MUNDUN (sic) ET DILEXERUNT HOMINES

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MAGIS TENEBRAS QUAM LUCEM“, (das aber ist das Gericht, die krisis), „das Licht kam in die Welt, aber die Menschen liebten die Dunkelheit mehr als das Licht“. Spiegel war in den calvinistisch gewordenen Niederlanden Katholik geblieben. Wenn er die Lichtsymbolik des Johannes-Evangeliums mit Platons Lichtmetaphorik verband, so bestand für ihn kein Unterschied zwischen philosophischer Erkenntnis und christlicher Offenbarung. Nach van Thiel, dem besten Kenner der Werke von Corneliszon, handelt es sich bei den zwei Gestalten, die mit den im Dunkeln Sitzenden reden, um Christus und Johannes den Täufer, Christus, die stehende, Johannes, die sitzende Figur (1973, 315). Dazu würde es passen, daß die links stehende Gruppe – es sind 11 Männer – die Apostel darstellen könnten (Verdier 1968, 378). Sokrates und Christus würden miteinander verbunden. Sokrates würde wie so oft zu einer Vorgestalt des christlichen Erlösers gemacht. Spiegel diente die platonische Höhle als ein Gleichnis für die Verblendung, in die jeder Mensch geraten kann. In seinem didaktischen Gedicht Herzspiegel (Hertspiegel, ca. 1580–1600, posthum veröffentlicht 1614) entwirft er seine eigene Version der Höhle (III, 71–135). Durch eine liebliche Gegend wandernd öffnet sich vor ihm die Erde. Durch einen Spalt sieht er in eine Höhle, die wie ein Menschenherz geformt ist. Sie ist angefüllt mit Menschen, die auf eine Wand starren. Daß die Höhle die Form eines Herzens hat, war eine Anspielung auf den Titel des Gedichts Herzspiegel. Zum anderen war es eine Hommage an Spiegels Neffen Peter Paaw (Pauw). Pauw hatte den ersten Lehrstuhl für Anatomie an der Universität Leiden inne. Manche – wie Vinken (1960) – meinen, auch im Stich Antrum platonicum die Herzform der Spiegelschen Höhle entdecken zu können. Aber selbst wenn man den damaligen Stand der Kenntnis des Herzens berücksichtigt – man orientierte sich noch an Galen –, so scheint diese Vermutung an den Haaren herbeigezogen zu sein. Die Höhle und ihre Schattenbilder waren nach Spiegel in jedem Menschenherzen zu finden. Man mußte nur in die eigene Seele hinabsteigen und man würde sie sehen. Für den Aufstieg ans Licht wiederum waren ihm die Weisheit der Alten und die christliche Offenbarung in gleicher Weise bedeutend. Wie eng sie für ihn zusammengehörten, zeigt die dritte Bedeutungsebene des Antrum platonicum, die von der bildlichen Darstellung des Höhlengleichnisses zu zwei weiteren Bildern führt. Im Herzspiegel (VII. Buch) – jedes Buch ist einer Muse gewidmet – stellt Spiegel eine Orgel der Euterpe dar. Sie ist bemalt mit dem Antrum platonicum sowie mit zwei weiteren Bildern: der Tabula Cebetis und Arion auf dem Delphin. Die Tabula Cebetis ist ein Dialog aus dem ersten Jahrhundert v. Chr. Er erfreute sich in der Renaissance besonderer Beliebtheit und er wurde gerne



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Abbildung 2: H. Holbein D. J., Titelblatt des Neuen Testaments des Erasmus, Kupferstich, 1522. Basel, Universitätsbibliothek

Ausgaben von Epiktets Encheiridion beigegeben. Um den Dialog lesen zu können, hat Spiegel Griechisch gelernt. Der Text lag allerdings schon in deutschen Übersetzungen vor, die von Willibald Pirckheimer und Hans Sachs stammten. Auch hatte Ludovico Odasio den Dialog bereits auf Lateinisch herausgebracht. Im Heiligtum des Kronos – so der Dialog – hängt ein Tafelbild, das von einem alten Mann erläutert wird. Das Bild zeigt eine Landschaft, die in drei konzentrische Kreise gegliedert ist, jeder Kreis durch ein Tor verschlossen. Die Kreise symbolisieren Stufen der Erkenntnis und der moralischen Bildung – also erneut ein Aufstieg in theoretischer und praktischer Bedeutung, ähnlich wie bei Platon. Die erste Stufe ist die der Täuschung und der Meinung, in der die blinde Tyche (fortuna) herrscht. Die zweite ist die eines Zwischenstadiums, in welchem der Mensch die ersten Täuschungen überwunden hat, er aber von vermeintlichem Wissen und Scheinwissenschaften in die Irre geführt wird. Das dritte Stadium ist das der wahren paideia, durch die der Mensch zum Glück, zur eudaimonia, gelangt.

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Der moralphilosophische didaktische Text war für eine humanistische und christliche Erziehung in gleicher Weise geeignet. Er ähnelte der Erzählung von Herakles am Scheideweige, er erinnerte an das Y der Pythagoreer und er gab eine Symbolik des Lebensweges, den man zugleich als Weg einer moralischen Läuterung wie als den des christlichen Heils betrachten konnte. Künstler der Renaissance haben immer wieder versucht, das in den Dialog übersetzte Bild wieder in ein Bild zurückzuverwandeln. Die wohl bekannteste Darstellung stammt von Hans Holbein, dem jüngeren. Sie zierte 1522 Erasmus’ lateinische Ausgabe des Neuen Testaments. Holbein versah die allegorischen Figuren der paideia und der eudaimonia mit einem Heiligenschein. Reinhold v. Derschaus Hodosophia Viatoris Christiani (1684) enthielt eine Cebetis Christiani Tabula von J. Wichmann. Im Umkreis von Corneliszon und Spiegel ist der dreiteilige Kupferstich der Tabula Cebetis anzusiedeln, den Jacob Matham 1592 nach Hendrick Goltzius gestochen hat. Auch in diesem Fall handelt es sich um ein Bild, das sowohl im Sinne antiker Moralphilosophie als auch im Sinne christlicher Pilgerschaft lesbar war (die Abbildungen bei Hirsch-Luipold u. a. 2005, Anhang). Man wüßte gerne, ob Spiegel an der Entstehung des Bildes von Goltzius mitbeteiligt war. Die Tabula Cebetis war kein religiöses Werk. Zwar verwendete der Dialog eine religionsnahe Sprache. Am Anfang des Lebensweges ein Daimon, darauf folgend die Verführung (apate), die Reue (metameleia), die Katharsis. Die Tabula Cebetis kannte aber nicht einmal die stoische Idee der Vorsehung, nur das blinde Schicksal des Beginns. Der den Lebensanfang begleitende Dämon griff in die weitere Lebensführung nicht ein. Wie Platons Höhlengleichnis so war auch die Tabula Cebetis ein primär philosophisches Lehrstück. Es war allerdings eines, dessen Metaphorik und Begrifflichkeit nach religiöser Anverwandlung rief. Antrum platonicum und Tabula Cebetis – ihnen stellt Spiegel noch ein drittes Bild, Arion auf dem Delphin, zur Seite. Es war ein Bild, das er schon vor dem Höhlengleichnis bei Corneliszon in Auftrag gegeben hatte und das von Jan Muller gestochen worden war. Arion war, so erzählt es Herodot (I, 23–24), der Erfinder des Dithyrambus und der berühmteste Sänger seiner Zeit. Er geriet in die Hände von Matrosen, die ihm seine Schätze rauben und ihn töten wollen. Er bittet, ein letztes Mal singen zu dürfen. Danach stürzt er sich ins Meer. Er wird von einem Delphin gerettet, der ihn sicher an Land bringt. Für Spiegel ist diese Geschichte eine Parabel für die Unerschrockenheit des philosophischen Weisen auf der einen, für das christliche Gottvertrauen auf der anderen Seite. Unter den Stich von Jan Muller setzt er Verse aus Horaz’ Satiren (II, 7, 83–86). „Wer also ist frei? Der Weise, der sich selbst beherrscht, den Armut, Kerker, Tod nicht schrecken kann, der auch die Kraft hat, den Begierden Trotz zu bieten und alle Ehren zu



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Abbildung 3: Jan Muller, Arion on the Dolphin (ca. 1589), Amsterdam, Rijksprentenkabinet, in: P. J. J. van Thiel, Cornelis Cornelisz van Haarlem 1562–1638, Doornspijk 1999, Plates no. 38

verachten, der an dem eigenen Ich Genüge findet, wie eine Kugel abgerundet und vollkommen  …“. Unerschrockenheit und Selbstdisziplin klingen nach einem Neo-Stoizismus, wie er damals modisch geworden war. Die Verse suggerieren sogar eine Autarkie des Weisen, die zur christlichen Erlösungsbedürftigkeit des Menschen nicht recht passen will. Aber Spannungen zwischen der Philosophie der Alten und der christlichen Heilslehre wurden angesichts des Willens zur Vereinigung von Philosophie und Religion nicht bemerkt. Die Geschichte des Arion, die bei Herodot nichts Frommes enthält, wird für Spiegel zu einer moralischen und religiösen Erzählung zugleich. Unter den Stich läßt er sein Motto setzen „in deughd verheugen“, „sich in (oder an) einem tugendhaften Leben erfreuen“. Auch dieses Motto hatte den doppelten Sinn, ein Zeugnis von der Freude des Christenmenschen und der philosophischen Erbschaft der Alten zu sein.

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Literatur Blumenberg, H.: Licht als Metapher der Wahrheit, in: Studium Generale 10 (1957) 432–447. – Höhlenausgänge, Frankfurt a. M. 1989. Bremer, D.: Hinweise zum griechischen Ursprung und zur europäischen Geschichte der Lichtmetaphysik, in: Archiv für Begriffsgeschichte 18 (1973) 7–35. Bultmann, R.: Zur Geschichte der Lichtmetaphysik im Altertum, in: Philologus 98 (1948) 1–36. Gaiser, K.: Das Höhlengleichnis. Thema und Variationen von Platon bis Dürrenmatt, in: Schweizer Monatshefte 65 (1985) 55–65. – Il paragone della caverna. Variazoni da Platone a oggi, Neapel 1985. Heidegger, M.: Platons Lehre von der Wahrheit, Bern 1947. Hirschmann, O.: Beitrag zu einem Kommentar von Karl van Manders „Grondt Der Edel Vry Schilder-Const“, in: Oud-Holland 33 (1915) 81–86. Hirsch-Luipold, R. u. a.: Die Bildtafel des Kebes. Allegorie des Lebens, Darmstadt 2005. Schleier, R.: Tabula Cebetis, oder „Spiegel des Menschlichen Lebens darin Tugent und untugent abgemalet ist“, Berlin 1973. Spiegel, H. L.: Hertspiegel, F. Veenstra (Hrsg.), Hilversum 1992. Strauss, L.: Die geistige Lage der Gegenwart (1932), in: H. Meier (Hrsg.), Gesammelte Schriften. Bd. 2, Stuttgart / Weimar 1997, 441–456. Thiel, P. J. J. van: H. L. Spiegel en het orgel van Euterpe: een Hertspiegel-probleem, in: J. Bruyn u. a. (Hrsg.), Album Amicorum J. G. van Gelder, The Hague 1973, 312–320. – Cornelis Cornelisz van Haarlem 1562–1638. A Monograph and Catalogue Raisonné, transl. from the Dutch by D. L. Webb, Doornspijk 1999. Verdier, Ph.: Des Mystères grecs à l’âge baroque. Commentaires à l’Antrum Platonicum de J. Saenredam, in: A. Kosegarten / P. Tigler (Hrsg.), Festschrift Ulrich Middeldorf, Berlin 1968, 376–391. Vinken, J. P.: H. L. Spiegel’s Antrum Platonicum. A Contribution to the Iconology of the Heart, in: Oud-Holland 75 (1960) 125–142.

Politische Thymotik und das Streben nach Ruhm Eine vergessene Quelle republikanischer Ordnung Von Stefano Saracino Recognition is the central problem of politics because it is the origin of tyranny, imperialism, and the desire to dominate. But while it has a dark side, it cannot simply be abolished from political life, because it is simultaneously the psychological ground for political virtues like courage, public-spiritedness, and justice. All political communities must make use of the desire for recognition, while at the same time protecting themselves from its destructive effects. (Fukuyama, S.  xxi)

Das Verständnis von Ruhm und Ehre als politische Handlungsgüter ist heute nurmehr selten Gegenstand politikwissenschaftlicher Untersuchungen. Ganz im Gegensatz dazu galten sie in der vormodernen Republik als Quellen bürgerlicher Tugend und republikanischer Ordnung und bevölkerten dementsprechend die politischen Semantiken und Denkmodelle in historischer und theoretischer Hinsicht. Die folgenden Erörterungen beschäftigen sich mit der Frage, ob aus Sicht des zeitgenössischen Republikanismus die Vernachlässigung der scheinbar eine längst vergangene republikanische Lebenswelt beschwörenden Termini von Ruhm und Ehre beklagenswert ist, welchen gegenwärtigen Sinngehalt sie für das Nachdenken über Politik in der postheroischen Konstellation des 21.  Jh. zu bieten haben. Wenn im Folgenden zumeist in einem Zug von Ruhm und Ehre die Rede sein wird, so ist das nicht als Einebnung des Unterschieds zwischen den beiden Begriffen zu verstehen, sondern dem vorliegenden Erkenntnisinteresse geschuldet. Eine Analyse dieser Termini und ihrer unterschiedlichen Nuancen ist nicht das Hauptanliegen der folgenden Erörterungen. Vielmehr geht es um die mit ihrer Hilfe gleichermaßen greifbare Urqualität der Politik, die seit Platon in Verbindung mit den anthropologisch-psychologischen Impulsen von Ehrgeiz, Geltungsdrang und Zorn – im platonischen Modell als Attribute des zornmütigen Seelenteils (thymoides) bzw. des timokratischen Menschen behandelt – gedacht werden kann.1 Dem platonischen Sokrates 1  s. zur Rolle des Zorns im Sinne platonischer Thymotik für die Politik des 21.  Jh.s Sloterdjik (2006); Sloterdjik vergegenwärtigt, dass das erste Wort der Ilias

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folgend, gibt es gute Gründe, das Streben nach Ruhm im Sinne eines thymotischen Verhaltens als eigenständige Handlungsdisposition aufzufassen; als dritte Instanz neben der menschlichen Veranlagung zu Vernunftgebrauch einerseits und emotional-erotischem Drang nach körperlichem Genuss und Erwerbslust andererseits. Die folgende Analyse stellt das Nachsinnen über ein republikanisches Ruhmesethos ferner in den Zusammenhang der Rolle, die dem Republikanismus in der philosophischen Debatte zwischen den Strömungen von Liberalismus und Kommunitarismus zukommt. Das Nachdenken über Ruhm und Ehre stellt eine Herausforderung für die Gestaltung der Beziehung zwischen dem Einzelnen und der politischen Bürgergemeinschaft im republikanischen Gemeinwesen dar, womit man sich mitten in der von Liberalismus und Kommunitarismus kontrovers diskutierten Kernthematik befindet. Eine am Ruhmesethos orientierte Begründung politischen Handelns kann ein weiteres Terrain erschließen, auf dem der Republikanismus zu einer zwischen Liberalismus und Kommunitarismus intermediären, alternativen und korrektiven Position führt. I. Tertium datur: Die Debatte zwischen Liberalismus und Kommunitarismus und die intermediäre Position des zeitgenössischen Republikanismus Die besondere Aufmerksamkeit, ja Renaissance, die dem Republikanismus maßgeblich auch aufgrund der Bemühungen der Cambridge School in den letzten beiden Jahrzehnten zukommt, hängt mit seiner Positionierung zwischen Liberalismus und Kommunitarismus sowie neoklassischen politischen Theorien als dominierende Strömungen in der zeitgenössischen politischen Philosophie zusammen.2 Die vom Neorepublikanismus erbrachten systematischen Arbeiten weisen aus der verhärteten Lagerbildung und den widersprüchlichen philosophischen Prämissen von Liberalismus und Kommunitarismus heraus und vermögen bedeutende systematische Schwächen beider Positionen aufzuheben oder zu umgehen. Die Bildung von Gegensatzpaaren aus den Grundannahmen der diesen beiden Lagern nahestehenden Denker, die der Debatte um Liberalismus und Kommunitarismus in der Vergangenheit Antrieb gegeben haben und auch nach wie vor geben, ließe sich aufwendig und ausführlich gestalten. Im vorliegenden Rahmen muss die kurze Skizzierung einiger Fundamentaldifferenzen genügen, die sicherlich den innerhalb der beiden Lager bestehenden Nuancierungen nicht gerecht werden kann und daher nicht fälschlich als und somit der europäischen Literatur und Kultur den Zorn (menis) des Achill benennt, s. ebd. S.  9 ff. 2  s. Spitz (1995); Pettit (1997); Honohan / Jennings (2006); Ottmann (2005).



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Behauptung einer stringenten Gruppenhomogenität aufzufassen ist: Geht es dem Liberalismus um die politische Ordnung des demokratischen Rechtsstaates und der durch ihn gewahrten Zivilgesellschaft, so blickt der Kommunitarismus auf die vormoderne Polisgemeinschaft und versucht sie im Horizont lokaler, auf Kultur, Tradition und Tugend gegründeter Lebensgemeinschaften zu aktualisieren. Der Konzeption universaler Rechtsnormen unter Anerkennung pluralistischer Werteauffassungen und der aus diesen abgeleiteten negativen Freiheitsauffassung im Liberalismus steht der kommunitaristische Fokus auf tugendbezogene partikulare Handlungsgüter sowie ein damit verbundenes positives Verständnis von Freiheit als autonome Selbstverwirklichungskompetenz gegenüber. Bevorzugt die erste Position einen die individuellen Interessen wahrenden Institutionalismus, so geht es der zweiten um eine das Kollektiv bzw. die community priorisierende sowie eindeutig personalistische Ordnungsdeduktion gemäß dem vormodernen politischen Denken. Es lassen sich in diesem Kontext exemplarisch drei Ansätze innerhalb des neorepublikanischen Diskurses anbringen, die dessen intermediäre Eigenschaft verdeutlichen. Sie wurden auf diese Weise in der Debatte um Liberalismus und Kommunitarismus aufgenommen oder wollen gar dezidiert zu ihr beitragen. Einmal wäre zu nennen J. G. A. Pococks aristotelisch fundierte Neubegründung republikanischer Bürgertugend und eines bürgerlich-miliziären Gemeinschaftsethos als Gegenkraft zum korrumpierenden Potential von liberalem Markt und Kommerz in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung.3 Pocock untersucht die Wirkung der republikanischen Theorie aus Machiavellis Discorsi (1513–1519) und James Harringtons Oceana (1656) bei der Genese des modernen Bürger- und Republikverständnisses im atlantischen Raum. Explizit bettet zweitens Maurizio Viroli sein Konzept eines republikanisch statt ethnisch-kulturell-nationalistisch verstandenen Patriotismus in die genannte Dichotomie ein, der jedoch in seiner Bindungskraft über einen liberalen Verfassungspatriotismus hinauszugehen vermag.4 Schließlich ist auf die einflussreichen Arbeiten von Quentin Skinner und Philip Pettit zur republikanischen Freiheit als non-domination, d. h. als durch die republikanische rule of law ermöglichte Abwesenheit jedweder von Willkür bestimmten personalen Herrschaftskonstellation, zu verweisen. Der Status des Bürgerdaseins definiert sich demzufolge über die Unterordnung unter ein Gesetzes- statt eines Personenregiments. Skinner und Pettit Pocock (1975, 1993). (1995), S. 169–187 grenzt sich am Ende seiner akkuraten ideengeschichtlichen Rekonstruktion des republikanischen patria-Begriffs sowohl von Habermas’ Konzeption eines liberalen Verfassungspatriotismus als auch von MacIntyres kommunitaristischen Patriotismusbegriff ab, dem ein nationalistischer Beigeschmack vorgeworfen wird. 3  s.

4  Viroli

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bemühen sich explizit um eine zwischen Liberalismus und Kommunitarismus intermediäre Begriffsbildung innerhalb der von Isaiah Berlin geprägten und an Benjamin Constant anknüpfenden Dichotomie von negativer Freiheit als Zustand der non-interference und positiver Freiheit als Zustand der selfmastery. Das vorherrschende negative Verständnis von Freiheit im Liberalismus wird dabei als in seiner politischen Qualität defizitär aufgefasst. Das Paradoxon einer Wahrung liberalistisch verstandener Freiheit auch unter den Bedingungen einer wohlgesinnten und in die private Lebenswelt nicht intervenierenden Despotie ist hierfür veranschaulichend, was auch Berlin in seinem nachdrücklichen, aber deshalb nicht minder kritischen Eintreten für das negative Freiheitskonzept als Schwachpunkt konstatiert.5 Die genannten neorepublikanischen Philosophen und Ideenhistoriker der Cambridge School legen ihr Augenmerk nur en passant auf die Bedeutung von Ruhm und Ehre. Auch wenn diese in ihrer ideen- und begriffsgeschichtlich akkuraten Analyse des republikanischen Diskurses und seiner historischen Genese immer wieder und vor allem bei der Darstellung des italienischen Renaissance-Republikanismus Berücksichtigung finden6, so nehmen sie zweifelsohne nicht den systematischen Rang ein wie die erwähnten Konzepte von Bürgermiliz, Gemeinwohl und Bürgerethos, des republikanischen Patriotismus und der republikanischen Dialektik von Gesetz und Freiheit. John Pocock und Philip Pettit scheinen das Ruhmesstreben als Hinterlassenschaft eines vorrepublikanischen gotisch-feudalen Ritterethos bzw. aristokratischen Standesethos des Ancien Régime aufzufassen, das vom modernen Republikanismus überwunden wird.7 Es stellt sich die Frage, ob diese Vernachlässigung berechtigt und wohlüberlegt ist, oder aber ob das Nachdenken über die Rolle des Ruhmes und seiner Erstrebung durch den Bürger in einer für das Gemeinwohl und die Republik förderlichen Weise nicht ebenfalls ein bisher unbeachtetes Feld erschließen könnte, auf dem der liberalistisch-kommunita5  s. Berlin (2006), S.  209 / 210; Pettit (1997); Viroli (1992), S.  292; s. Skinners (2002) Kritik am negativen Freiheitsbegriff in den einflussreichen Ansätzen von Berlin und Rawls; die Abgrenzung vom positiven Freiheitsbegriff ist den Autoren zur Formulierung einer republikanischen Freiheitstheorie ebenso unerlässlich, s. Skinner (1990), S.  306 / 307, Pettit, ebd. S.  27–31; Viroli, ebd. S.  281–295; „Taken seriously, the communitarian argument [zur positiven Freiheit, S. S.] is the death of the republic, not a means of revitalizing it“, ebd., S.  289. 6  Zur Bedeutung der Ehre in der Tugendkonzeption der Renaissance und deren Ersetzung durch die Kategorie des self-interest ab dem 17. Jh. s. Skinner (1978), S. 100 / 101, 118–121, 131–135, 137 / 138, 178 / 179. Pocock (1975), S. 123, 133 / 134, 137, 249–253, 279, 286 / 287, 311 / 312, betont die in der politischen Ordnung zu berücksichtigende handlungsmotivierende Rolle der Ehre für die bürgerliche Elite im florentinischen Denken. 7  Pocock spricht vom „feudalen Ideal der Ehre“; s. Pocock (1993), S.  44, ders. (1975), S.  133–135, 465; Pettit (1997), S.  226.



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ristischen Lagerbildung beizukommen ist. Die Wahrnehmung des Menschen ist hier gänzlich in der überkommenen Dualität von Vernunft (logos) und unvernünftiger Begierde (alogon, orexis, epithymia) gefangen. Sie reproduziert die vorherrschende, auf Rationalität und Interesse fußende zweidimensionale Begründung menschlichen und politischen Handelns und scheint die im platonischen Menschen- und Seelenbild zwischengeschaltete dritte Instanz des im Begriff des thymos zum Ausdruck kommenden Ehrgeizes, Geltungs- und Anerkennungsdrangs als politische Antriebskräfte vergessen zu haben.8 Diesbezüglich ist auch Sloterdjiks Kritik an der unter dem Einfluss der Freudschen Psychoanalyse heute vorherrschenden erotodynamischen Reduktion psychischer Erregtheit und Motivation ausschließlich auf die Antriebskräfte der Begierde als Libido und des Interessenskalküls des homo oeconomicus zuzustimmen. Demgegenüber tritt er für eine politische Psychologie ein, die das menschliche Handeln im Spannungsverhältnis von erotodynamischen und thymotischen Regungen begreift: Nie war sie [die Psychoanalyse, S. S.] jedoch dazu bereit, mit gleicher Ausführlichkeit und Grundsätzlichkeit von der Thymotik des Menschen beiderlei Geschlechts zu handeln: von seinem Stolz, seinem Mut, seiner Beherztheit, seinem Geltungsdrang, seinem Verlangen nach Gerechtigkeit, seinem Gefühl für Würde und Ehre, seiner Indignation und seinen kämpferisch-rächerischen Energien.9

Es geht uns hier um ein auf dem thymotischen Ruhmesethos aufbauendes Bürger- und Republikverständnis, das sowohl die tendenzielle moralische Unterforderung des Individuums und Gemeinschaftsvergessenheit im liberalistischen mainstream als auch dessen moralische Überforderung und Absorption durch die Gemeinschaft gemäß dem Kommunitarismus verhindert. Es geht um die Erschließung und Bewertung einer agonalen und bürger­ aktionistischen Position, die der Zurückdrängung der personenbezogenen Auffassung von Politik im Neoliberalismus gegensteuert.10 Schließlich ist 8  Bezüglich des vorliegenden Gedankens zur intermediären Rolle einer am platonischen Gedankengut anknüpfenden politisch-republikanischen Thymotik im Kontext der Liberalismus-Kommunitarismus-Debatte bin ich meinem Kollegen Dirk Lüddecke und seinen Anregungen dankend verpflichtet. 9  Sloterdjik (2006), S.  27 / 28, s. ebd. S.  32 / 33, 40, 294; „Die Kosten der einseitigen Erotisierung sind hoch. Tatsächlich macht die Abdunkelung des Thymotischen das menschliche Verhalten in sehr weiten Bereichen unverständlich […]. Hat man sich dieser Verkennung verschrieben, begreift man die Menschen in Spannungs- und Kampfsituationen nicht mehr. […] Kaum treten bei Individuen oder Gruppen ‚Symptome‘ wie Stolz, Empörung, Zorn, Ambition, hoher Selbstbehauptungswille und akute Kampfbereitschaft auf, nimmt der Parteigänger der thymós-vergessenen therapeutischen Kultur Zuflucht zu der Vorstellung, diese Leute müßten Opfer eines neurotischen Komplexes sein“, ebd. S.  32. 10  „Der Republikanismus ist für den Liberalismus ein Korrektiv, eine Ergänzung, ein Gegenbild. Wenn die Gefahr des Republikanismus darin besteht, daß er zuviel

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danach zu fragen, ob die von Sloterdjik genannten thymotischen Gemüts­ regungen in einer politischen Handlungslehre ernster genommen werden sollten. Die leichtfertigen pathologisierenden oder historisch relativierenden Erklärungen aus der liberalistisch-psychoanalytischen Perspektive haben maßgeblich Anteil am thymos-vergessenen Zeitgeist. II. Chancen, Risiken und Nebenwirkungen der politischen Thymotik oder Das Alkibiades-Problem Platons politische Philosophie kann als diejenige gelten, die aus der thymotischen oder timokratischen Veranlagung des Menschen die weitesten Konsequenzen für das Verständnis von Politik zieht.11 Thymos (Zorn) und time (Ehre) nehmen bei ihm den Löwenanteil bei der Wesensbestimmung der Politik und ihrer Dynamik ein. Vorweg ist allerdings auf eine Übersetzungsschwierigkeit hinzuweisen. Die gängige Wiedergabe des altgriechischen thymos im platonischen Text mit Zorn und Zornmut erscheint zu eng und inhaltlich fehlleitend. In einem weiteren Sinne kann thymos im Altgriechischen für das Mutige, Eifrige, Beherzte, Ehrgeizige und Temperamentvolle im Handeln stehen. Die in der englischsprachigen Platonforschung geläufige Übersetzung mit political oder public spiritedness erscheint hier gelungener. Der thymos als Antriebskraft und Eigenschaft des thymotischen Seelenteils ist laut Platon gleichsam allen Menschen eigen, jedoch je nach Anlage und Talent stärker ausgeprägt und deshalb von Natur der dominierende Impuls des thymotisch-timokratisch veranlagten Menschentyps. Er stellt den zwischen Vernunft (logistikon) und Begierde (epithymetikon) mittleren Seelenteil im dreigliedrigem Seelenmodell Platons dar (s. Politeia, 439e4– 441c3). Die für diesen Seelenteil spezifische Tüchtigkeit bestimmt der platonische Sokrates in der Tapferkeit (andreia) als „richtige Meinung über das Furchtbare“, und sie ist die spezifische Kompetenz des Wächterstandes (phylakes) bzw. Kriegerstandes (stratiotes) im idealen Aufbau der besten Polis (ebd., 429a8–430c7). Ihr zugehörig ist die Eigenschaft einer Härte und Furchtlosigkeit gegenüber den Feinden der Polis und einer Sanftmütigkeit gegenüber den Freunden und Mitbürgern (ebd., 374e–375e). Das Beschützen der Polis ist Aufgabe und Wesen des thymos. Noch vor der Bestimmung seiner Tüchtigkeit und Wesenserfüllung, die für Platon nicht aus sich selbst an Homogenität und Gemeinschaftlichkeit fordern kann, so ist die Gefahr des Liberalismus, daß er ein Gemeinwesen an Unterernährung sterben läßt. Mit dem Privatismus und Individualismus des bourgeois allein ist kein Staat zu machen und keine anspruchsvolle Politik“, Ottmann (2006), S.  7. 11  s. Zuckert (1988); Sloterdjik (2006), S.  40–42.



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heraus möglich ist, sondern von der Unterweisung und Unterordnung unter den ontologisch höchstrangigen logos und dessen Personifizierung durch die Philosophen abhängt, steht Platons Bewertung des thymos als spontane affektuelle Naturanlage und Charaktereigenschaft. Seine Unterscheidbarkeit vom begehrlichen Seelenteil (epithymetikon) und vor allem seine Erhabenheit gegenüber den durch Genuss und Erwerbslust bestimmten seelischen Appetiten ziehen die Aufmerksamkeit des platonischen antihedonistischen Rationalismus an. Die im Eifer, Ehrgeiz und Geltungsdrang enthaltene ­politische Emotionalität des thymos bzw. des thymotischen Menschen und deren spontane Folgsamkeit gegenüber dem logos bzw. dem philosophischen Menschentypus prädisponieren sie zur koalitionären Kraft (xymmachos) in der philosophisch-periagogeischen Weltverbesserung.12 Die im thymos identifizierte dezidiert politische Emotionalität und Dynamik, die sich auch mit Nietzsches Rede von den Temperamentstarken als drittem Menschentypus zwischen den Geistigen und bloß Mittelmäßigen versinnbildlichen lässt (s.  Antichrist, Nr.  57), ist gemäß Platon mit den Eigenschaften des Löwen zu assoziieren. Unter der Führung der Vernunft vermag der in Platons berühmtem Seelenbild als Löwe dargestellte thymos, die niederen, unbegrenzten und unförmigen Affekte des begehrlichen Seelenteils – im selben Bild als vielköpfiges Tier dargestellt – in Schranken zu weisen.13 Der thymos kann im platonischen Sinne als dem politischen Handeln Vitalität und Dynamik spendende Instanz gedeutet werden. Die Implika­ tionen, die sich aus der thymotischen Veranlagung des Menschen für die 12  „Merken wir nun nicht auch anderwärts oftmals, sagte ich, wenn jemanden Begierden gegen seine Überlegung zwingen, dass er selbst schimpft und sich ereifert über das Zwingende in ihm? Und dass also in dem Aufstande beider gegeneinander der Eifer eines solchen ein Verbündeter [xymmachos] der Vernunft wird? Daß er sich aber zu den Begierden gesellen sollte, wenn die Vernunft ausspricht, dass man etwas nicht tun soll, dieses, glaube ich, wirst du nicht sagen können, dass du jemals bei dir selbst bemerkt hättest, dass es geschehen sei, noch bei einem andern […] Und wie? fuhr ich fort, wenn einer glaubt, Unrecht getan zu haben, ist er nicht, je edler, um desto weniger imstande zu zürnen, wenn er auch Hunger und Durst oder sonst etwas dieser Art von dem leiden muß, von dem er glaubt, daß er ihm dieses mit Recht antue? […] Wie aber, wenn jemand Unrecht zu leiden glaubt? Gärt er nicht in diesem und wird wild und verbündet sich mit dem, was ihm gerecht dünkt, mag er auch Hunger und Durst und Kälte und alles dergleichen erleiden müssen, und siegt durch Beharrlichkeit und macht seiner edlen Bestrebungen kein Ende, bis er es entweder durchgeführt hat oder draufgeht“, Politeia, 440a7-d2. 13  s. das Seelenbild in Politeia, 588c7–589b6; der Löwe ist Mitstreiter (xymmachos) der Vernunft (589b3); zur Grenzenlosigkeit und Unförmigkeit der Begierde des epithymetikon ebd., 437d–438a; Gorgias, 492d1–494a6. Nietzsches Rede von der blonden Bestie (s. Genealogie der Moral I / 11) ist mit dem thymos und mit dem Löwen im Seelenbild Platons zu verbinden, s. hierzu Ottmann (2000), S.  205 / 206; Brennecke (1976), S.  136 ff.

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Politik ergeben, aber auch die Konnotation zum Streben nach Ehre werden von Platon in der Verfassungsform der Timokratie als erste Stufe der Entartung der Kallipolis überdeutlich veranschaulicht.14 Es ist eine der zentralen Grundannahmen platonischer politischer Philosophie, dass gemäß der ontologischen Priorität der Seelenordnung vor der Polisordnung das Vorherrschen eines spezifischen Menschentypus oder einer auf die Seelenverfassung zurückführbaren Lebensform sich nachhaltig in der politischen Ordnung niederschlägt.15 Die mannigfachen Ursachen, die der platonische Sokrates für die pathogenetische Entartung der Kallipolis zur Timokratie angibt, sind auf einen essentiellen Grund, nämlich die sich durchsetzende Vorherrschaft des thymos und dessen Emanzipation vom logos zurückzuführen. Am deutlichsten wird dies in Platons Bild des Vater-Sohn-Komplexes ausgedrückt, der sinnbildlich für den Übergang von der Kallipolis zur Timokratie und für die Dynamisierung des thymotischen Seelenteils in der Polis steht. Die Abstinenz von der Politik und Öffentlichkeit und die völlige Geltungs- und Ehrvergessenheit des Vaters, die Missachtung und Respektlosigkeit gegenüber seiner Person verursachen, führen zu einer Traumatisierung des die timokratische Ordnung einleitenden Sohnes und zu dessen gänzlicher Fokussierung auf die vom Vater vernachlässigten Güter (s. Politeia, 549c1–550b8). Dass die politische Gemeinschaft in der Timokratie durch die Erzeugung von Antagonismus, Wettbewerb und konkurrierenden Führungsansprüchen sowie durch die Neigung zum Martialismus in Frage gestellt wird, veranschaulicht die moralische Ambivalenz des thymos ebenso wie das philosophische Vorurteil gegenüber Politik im platonischen Denken. Die platonische Perspektive auf das Thema schärft unsere Wahrnehmung von Thymotik und Ehrstreben als mit Vorsicht zu genießende, aber dennoch unumgängliche politische Denkkategorien.

14  „und recht klar ist nur eines in ihr [der Timokratie, S. S.] wegen der Herrschaft des Zornartigen, nämlich Wetteifer und Ehrsucht“, Politeia, 548c5-7. 15  „Ist es uns nun nicht ganz notwendig, sprach ich, zu gestehen, dass in einem jeden von uns diese nämlichen drei Arten und Handlungsweisen sich finden wie auch im Staate? Denn nirgends anders her können sie ja dorthin gekommen sein. Denn es wäre ja lächerlich, wenn jemand glauben wollte, das Mutige sei nicht aus den Einzelnen in die Staaten hineingekommen, die vorzüglich diese Kraft in sich haben, wie die in Thrakien und Skythien und fast überall in den oberen Gegenden, oder das Wissbegierige, was man vorzüglich unsern Gegenden zuschreiben kann, oder das Erwerbslustige, wovon man sagen könnte, dass man es nicht am schlechtesten bei den Phoinikiern und Ägyptern antrifft“, Politeia, 435e1–436a3; „Und du weißt, daß es auch von Menschen ebenso viele Arten der Ausprägungen geben muß wie von Verfassungen. Oder meinst du, daß die Verfassungen von der Eiche oder vom Felsen entstehen und nicht aus den Gesinnungen derer, die in den Staaten sind, nach welcher Seite hin eben diese den Ausschlag geben und das übrige mit sich ziehen?“, ebd., 544d6-e3.



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Der thymos schafft es bei Aristoteles im Gegensatz zu Platon nicht in den Rang eines fundamentalen ordnungsstiftenden Prinzips von Psyche und Polis. Er zeigt sich jedoch als Schüler Platons, wenn er den thymos im Hinblick auf seine ethische Relevanz reflektiert und ihn wie Platon als zur Gefolgschaft gegenüber der Vernunft veranlagt und den niederen Begierden überlegen begreift.16 Vollends greifbar wird das thymotische Wesen der Politik und das hierin enthaltene Problem, wenn man Platons Auffassung die in Thukydides’ Kriegshistoriographie enthaltene politische Anthropologie und Psychologie gegenübergestellt, ferner Platons und Thukydides’ Beschäftigung mit der Figur des Alkibiades und dessen Beziehung zur attischen Demokratie konfrontiert.17 Die Vita des Alkibiades wurde in der Antike gleichsam als seismisches Ereignis gesehen, was vollends aus dem bei Plutarch (s. Alkibiades, XVI, S.  362) überlieferten Diktum des Archestratos hervorgeht, Hellas hätte zwei Alkibiades zur gleichen Zeit nicht überstanden. Alkibiades repräsentiert archetypisch die im thymos und der Fokussierung politischen Handelns auf Ruhm und Ehre für die Politik enthaltenen Chancen und Gefahren. Blicken wir zunächst auf das von Platon und Thukydides erstellte Psychogramm des Alkibiades. Bei Platon bestimmen die vielversprechenden Eigenschaften und Talente des Alkibiades das Bild seiner Jugend – ein Lebensabschnitt, der von Thukydides wohlgemerkt vernachlässigt wird. Sie spiegeln sich wider in Sokrates’ Verliebtheit und Fürsorge für dessen körperliche und seelische Schönheit, wie sie in Platons Alkibiades und Symposion geschildert wird. Im Verhältnis zwischen Sokrates und Alkibiades verdeutlicht sich ein weiteres Mal die platonische Hoffnung auf eine Symmachie von logos und thymos. Alkibiades wird in dem ihm gleichnamigen platonischen Dialog kurz vor dem Beginn seiner politischen Laufbahn und im Zustand jugendlicher Unverdorbenheit präsentiert. Die zu diesem Zeitpunkt bestehende Charakteroffenheit hinsichtlich seiner zukünftigen – tat16  s. Nikomachische Ethik, IV / 11; VII / 7; „Daß aber die Unbeherrschtheit im Zorn auch weniger schimpflich ist als diejenige in den Begierden, sei nun gezeigt. Der Zorn scheint nämlich teilweise auf die Vernunft zu hören […]. So folgt der Zorn bis zu einem gewissen Grade dem Verstand, die Begierde dagegen nicht“, ebd., S.  263; „Wer nämlich im Zorn handelt, kennt keine Rücksicht auf sich selbst, wie auch Heraklit meint, wenn er sagt, es sei schwer, mit dem Zorn zu kämpfen; denn er erkaufe das Seinige um das Leben“, Politik, V / 11, S.  198. 17  Leo Strauss (1964) und die von ihm angeregten Arbeiten von Forde (1989) und Palmer (1992) aber auch Jacqueline de Romilly (1995) stellen die politischpädagogische Dimension der Kriegshistoriographie des Thukydides noch über dessen historiographischen Charakter. Dieser Strang erkennt in der Figur des Alkibiades einen zentralen Schlüssel zur politischen Aussage seines Werkes.

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sächlich für Athen schicksalhaften – Entwicklung und politischen Rolle verleiht dieser vermutlich sokratisch-platonischen Erziehungsschrift ihren archimedischen Punkt (s. Alkibiades, 105a8-b1, 118c; 127d10-e311). Sowohl Platons als auch Thukydides’ Alkibiades-Bild wird bestimmt von dessen grenzenlosem Verlangen nach Ehre und rühmlicher Größe, weshalb Alkibiades als Schlüsselfigur bezüglich Platons politischer Thymotik und als repräsentatives Beispiel für den timokratischen Menschen angesehen werden sollte. Bezeichnend hierfür stilisieren die antiken Quellen Alkibiades zum Löwen von Athen (Aristophanes, Frösche, 5. Szene, 1418–32; Plutarch, Alkibiades II, IX, XVI). Thukydides erklärt in der eigenen Person – was angesichts der in seinem Werk praktizierten Zurückhaltung in auktorialen Stellungnahmen und Bewertungen bemerkenswert ist – Alkibiades’ ehrgeizige Visionen für Athen aus seinem Streben nach Ruhm (s. Thukydides, VI / 15). Am Ausgangspunkt von Alkibiades’ Curriculum steht laut Thukydides die Kränkung seines thymos: Wegen seiner Jugend von spartanischer Seite missachtet, wird Nikias ihm gegenüber als Verhandlungspartner für die Friedensordnung mit Athen der Vorzug gegeben. Diese Kränkung bewegt Alkibiades zur Unterwanderung des Nikiasfriedens und zur Befürwortung des radikalen Expansionismus Athens – es handelt sich um seinen ersten Auftritt in Thukydides’ Werk: Da nun zwischen Sparta und Athen dieser Streit bestand, rührten sich alsbald die, die in Athen wiederum den Frieden aufkünden wollten. Das war besonders Alkibiades, Kleinias’ Sohn, der seinem Alter nach in jeder andern Stadt für noch recht jung gegolten hätte, aber wegen des Namens seiner Ahnen angesehen war; […] vor allem aber trieb ihn gekränkter Stolz auf die Gegenseite, weil die Spartaner über den Friedensschluß mit Nikias und Laches verhandelt und ihn wegen seiner Jugend übergangen hatten, ohne ihm die Ehre zu geben, gemäß der alten Gastfreundschaft von einst […].18

Der Ehrgeiz, Tatendrang und Machtappetit Alkibiades’ macht dabei nicht an den Grenzen Athens oder Hellas’ halt. Seine Sehnsucht nach Herrschaft über ferne Länder nimmt die universale Herrschaftsambition Alexanders des Großen vorweg.19 Die Überdimensionalität der politischen Ambition des 18  Thukydides, V / 43, S. 336 / 337; s. Plutarch, Alkibiades, XIV, S. 358 und Forde (1989), S.  71–73. 19  „Ich denke nämlich von dir, daß, wenn dir einer der Götter sagte: O Alkibiades, willst du wohl das behaltend, was du jetzt hast, leben oder lieber gleich tot sein, wenn es dir nicht erlaubt sein soll, Größeres zu erwerben? ich denke, du würdest wählen tot zu sein […] Du glaubst, sobald du nur bei den Volksversammlungen der Athener zugegen sein werdest, und das werde ja in gar wenigen Tagen geschehen, werdest du den Athenern dort zeigen, daß du solcher Ehre wert seiest wie weder Perikles noch irgendein anderer von allen, die nur je gewesen, und wenn du ihnen dies gezeigt, werdest du dann am meisten vermögen in der Stadt; wärest du aber hier der größte, dann wärest du es auch bei den andern, nicht nur Hellenen, sondern



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Alkibiades konfligiert mit der demokratischen Ordnung Athens, fordert im inneren das bürgerliche Gleichheitsprinzip heraus und überfordert nach außen die expansionistischen Ziele und Möglichkeiten des attischen Impe­ riums. Das Phänomen Alkibiades wirkt sich höchst störend auf die von Perikles in seiner berühmten Gefallenenrede für Athen formulierte polisförderliche Dialektik von Einzelperson und Kollektiv, von Exzellenz und Gleichheit, von Privatwohl und Gemeinwohl aus. Solange Alkibiades seinem Ehrgeiz durch den attischen Imperialismus frönen kann, ist er Athen treu. Nach seinem Bruch mit der attischen Demokratie läuft er jedoch zum Erzfeind Sparta, schließlich zum persischen Großkönig über. Man kann geneigt sein, in seinem Handeln ein megalomanisches Bestreben zu erkennen, gleichsam selbst in den Rang einer Polis, einer internationalen politischen Macht aufzusteigen.20 Platon und Thukydides wissen allerdings ebenfalls von einer beträchtlichen Mitschuld und Mitverantwortung des athenischen Demos für die Entfremdung des Alkibiades gegenüber seiner Vaterstadt und die Perversion seines politischen Ehrgeizes zu berichten. Sokrates’ größte Sorge betrifft den schädlichen Einfluss des attischen Volkes auf den zur Politik prädis­ ponierten Alkibiades.21 Die führenden Politiker Athens sieht der platonische Sokrates bekanntlich als demagogische Marionetten des in der Demokratie vorherrschenden niederen Volkshedonismus, was überdeutlich in Platons vernichtendem Periklesbild zutage tritt (s. Alkibiades, 119a und Gorgias, 515e2–516 d4). Der aus Platons Perspektive für Alkibiades, aber auch für Athen schicksalhafte Widerstreit des sokratischen Einflusses mit demjenigen des attischen Demos findet in der Politeia seine Entsprechung auch den Barbaren, die mit uns in demselben Weltteil wohnen. Und wenn nun derselbige Gott dir sagte, hier in Europa solltest du zwar herrschen, aber nach Asien solle dir nicht erlaubt sein überzugehen und an die dortigen Angelegenheiten deine Hand zu legen: so dünkt mich, werdest du auch auf diese Bedingungen allein nicht leben wollen, wenn du nicht mit deinem Namen und deiner Macht, kurz zu sagen, alle Menschen erfüllen darfst“, Platon, Alkibiades, 105a3-c6, vgl. Thukydides, VI / 15; Plutarch, Alkibiades, II, S.  347 und XVII sowie Forde (1989), S.  115; Palmer (1992), S.  99. 20  s. Thukydides, VI / 16 und 92, S.  508; Forde, ebd. S.  70, 98 / 99; Palmer, ebd. S.  99, 157. 21  „Und wenn du nur jetzt nicht von dem Volke der Athener verdorben oder hässlicher wirst, werde ich dich nicht verlassen. Denn das besorge ich nur am meisten, daß du uns nicht etwa ein Volksliebhaber werdest und dadurch verderbest; denn gar vielen und guten ist das schon begegnet unter den Athenern. […] Gebrauche also ja die Vorsicht, die ich dir anriet“ (Alkibiades, 132a1-5); „Denn ich [Alkibiades, S. S.] bin mir sehr gut bewusst, daß ich nicht imstande bin, ihm [Sokrates, S. S.] zu widersprechen, als ob man das nicht tun müsste, was er anrät, sondern daß ich nur, wenn ich von ihm gegangen bin, durch die Ehrenbezeugungen des Volkes wieder überwunden werde“, Symposion, 216b3-7.

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im bereits erwähnten Vater-Sohn-Konflikt. In den dort geschilderten konkurrierenden Einflüssen des väterlichen logos und der thymotischen und begehrlichen Impulse aus dem Umfeld des jungen Sohnes spiegelt sich die Situation zwischen Sokrates und Alkibiades im demokratischen Athen eindeutig wider.22 Im Gegensatz zu Platon ist Thukydides’ Verhältnis zur attischen Demokratie durch eine positive Haltung und durch offene Sympathie für die Regierungszeit des Perikles geprägt. Seine Aussagen zur Mitschuld des athenischen Demos sind deshalb umso interessanter. So berichtet Thukydides vom allein durch Alkibiades’ Exzellenz und Erfolg hervorgerufenen Neid und von einer buchstäblichen Verleumdungskampagne der politischen Feinde und allgemein des Demos gegen Alkibiades. Diese mündet in der auf dubiosen Beschuldigungen beruhenden Strafverfolgung des das attische Heer in Sizilien leitenden Alkibiades. Seine Anklage in absentia wegen Blasphemie und tyrannischen Aspirationen durch das Volksgericht von Athen wird von Thukydides eindeutig als abgekartetes Spiel dargestellt.23 Der Vorwurf gegen Alkibiades, nach der Tyrannis zu streben, erscheint Thukydides übertrieben, ja fast schon als Symptom plebejischer Paranoia. Thukydides beklagt an mehreren Stellen seines Werkes das verzerrte Geschichtsbild der Athener von der Tyrannis der Peisistratiden und bringt damit seine Skepsis bezüglich der Einschätzungsfähigkeit des attischen Volkes zum Ausdruck, was die Gefahr einer über der Polis schwebenden Tyrannis anbelangt (s. I / 20 und VI / 54 ff.). Just in der Passage, die von Alkibiades’ Anklage und Abberufung aus Sizilien handelt, fügt Thukydides einen langen Exkurs über die Tyrannenmörder Aristogeiton und Harmodios und über das Wesen der Peisistratidenherrschaft ein, der im Gegensatz zur heroisierenden kollektiven Erinnerung der Athener diesen Anschlag für die Radikalisierung eines vormals benignen Regimes verantwortlich zu machen scheint.24 22  „Hört und sieht nun dergleichen alles der junge Mann […] so wird er von beiden angezogen, indem der Vater das Vernünftige in seiner Seele hegt und pflegt, die andern aber das Begehrliche und Zornartige. Und weil er die Natur zwar eines schlechten Mannes nicht an sich hat, der schlechten Gesellschaft der andern aber doch nicht entgehen kann: so kommt er von beiden auf diese Art angezogen in die Mitte und übergibt die Herrschaft in sich selbst dem Mittleren, dem Streitsüchtigen und Zornartigen, und wird so ein hochmütiger und ehrsüchtiger Mann“, Politeia, 550a5-b8. 23  s. die für den besonnen und gerechten Nikias untypische Verleumdung des Alkibiades wegen seines teuren Lebensstils und seiner Hingabe zu Pferden (VI / 12); die Anklage des Alkibiades im Zusammenhang der Hermenschändung wird als auf unglaubwürdigen Zeugenaussagen basierend und von seinen Feinden aus strategischem Kalkül erst in absentia erhoben dargestellt, s. VI / 27–29, 53–60; ähnlich Plutarch, Alkibiades XX. 24  s. Thukydides, VI / 54–61; Romilly (1995), S.  258; Palmer (1992), S.  88 / 89.



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Thukydides’ Darstellung des Verhältnisses zwischen Alkibiades und dem attischen Demos lässt die Frage nach der Hauptverantwortung ihres Zubruchegehens unbeantwortet. Die bei Thukydides geschilderte Ereignisabfolge in dieser Episode aus Alkibiades’ Leben offenbart die problematische Dialektik von Einzelnem und Gemeinschaft, von politischer Exzellenz und Gleichheit. Ferner ist sie ein Platon ergänzendes Lehrstück zur Auswirkung der politischen Thymotik. Die Sizilienexpedition als Auslöser der zweiten sogenannten dekeleischen Kriegsphase im Peloponnesischen Krieg, die in die katastrophale Niederlage Athens mündet, bildet einen Wendepunkt im Krieg und auch im Werk des Thukydides. Die gerade rekonstruierte und am Anfang dieser Entwicklung stehende und damit für Thukydides über ihren Ausgang entscheidende Episode enthält eine seiner wichtigsten politischen Lehren. Die Konsequenzen des Bruchs zwischen Alkibiades und dem Athener Bürgerkollektiv sind – will man Thukydides Glauben schenken – kriegsentscheidend, weil einerseits der Ausfall seines militärischen Kommandos nicht kompensierbar ist und damit das sizilische Debakel Athens maßgeblich verursacht, andererseits der Überläufer Alkibiades den Spartanern den entscheidenden Rat zur Befestigung von Dekeleia erteilen wird. Es lohnt ein Blick auf die subtile Art und Weise, in der Thukydides die Alkibiades-Affäre zum schicksalhaften und entscheidenden Moment seines Geschichtswerks deklariert: […] vor allem aber wünschte er [Alkibiades, S. S.] Feldherr zu sein und hoffte dadurch Sizilien zu erobern und Karthago und für sich selbst zugleich, wenn er Erfolg habe, Geld und Ruhm zu gewinnen. Denn hoch angesehen in der Stadt, frönte er großen Leidenschaften über sein Vermögen mit den Pferden, die er hielt, und sonstigem Aufwand. Und gerade das wurde einer der Hauptgründe für den Untergang Athens. Denn da die Menge erschrak vor dem Übermaß seiner persönlichen, ganz überbürgerlichen Lebensführung wie auch vor dem geistigen Schwung, womit er jedes einzelne vorkommende Geschäft betrieb, so wurden sie, als wolle er Tyrann werden, seine Feinde, und während er in seinem Amt für den Krieg die besten Anordnungen traf, stießen sich die einzelnen Bürger an seinem Gehaben, gaben die Vollmachten andern und rissen gar bald damit die Stadt zu Boden.25

Die thukydideische Darstellung der megalomanisch-soziopathische Züge tragenden, jedoch für die athenische Polis unverzichtbaren Persönlichkeit des Alkibiades, aber auch der sich entwickelnden irrationalen Feindschaft des Demos gegen ihren fähigsten Anführer ist mit der thymotischen Pro­ blematik zu verbinden. Sie erfasst bei Thukydides sowohl das Hervorragen einzelner politischer Anführer als auch das Bürgerkollektiv als Ganzes. Im Gegensatz zu Platon ist das im thymos gestellte Problem bei Thukydides nicht auf eine kriegerische Standesminderheit reduzierbar. Das Alkibiades25  Thukydides,

VI / 15, S.  380.

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Problem ist zudem nur mit einem doppelten Blickwinkel zu fassen, der mit Sloterdjik gesprochen die „thymotische Dynamik“ in der „individuellen wie kollektiven Psyche“ erforscht26. III. Die perikleische vs. sokratisch-platonische Lösung des Alkibiades-Problems Im vorangehenden Abschnitt deutete sich bereits an, dass die politische Geschichtsschreibung des Thukydides und die platonische Philosophie von Grund auf verschiedene Lösungsansätze für das in der Figur des Alkibiades an die Polis gestellte thymotische Problem entwickeln. Sie lassen sich einordnen einmal als ruhmesethisch-politischer und andererseits als pädagogisch-philosophischer Weg. Beiden gemein ist das Bestreben um eine gleichzeitige Entschärfung des für die Polis erosiven Potentials des thymos, aber ebenso seiner für das politische Gemeinwesen förderlichen Dynamisierung. Die politische oder ruhmesethische Lösung lässt sich in der Gefallenenrede des großen athenischen Staatsmannes Perikles aus dem ersten Kriegsjahr des athenisch-spartanischen Großkonfliktes erfassen (Thukydides, II / 35–46). Die von Perikles hier entwickelte politische Handlungslehre setzt auf die Entfesselung eines Ruhmesstrebens, das durch die Liebe und Verpflichtung zur Vaterstadt seine ethische Qualität erhält.27 Es erbringt einen Ausgleich zwischen Privat- und Gemeinwohl und den Prinzipien von Exzellenz und Gleichheit, die im demokratischen Athen eine historisch einmalige Synthese erlangen. Hierin ist laut Perikles auch das Erfolgsgeheimnis für das Leistungsvermögen und die einmaligen Errungenschaften der attischen 26  Sloterdjik

(2006), S.  71. liegen m. E. zwei Möglichkeiten zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen der Gefallenenrede im II. Buch und der im VI. Buch geschilderten AlkibiadesAffäre vor. Die zweite Episode kann einmal als degenerative Erosion des von Perikles anvisierten Verhältnisses zwischen dem Demos und seinen politischen Anführern verstanden werden, die – wie gezeigt – sowohl in der Entartung des politischen Führungspersonals als auch des Demos gründet. Perikles’ Handlungslehre kann andererseits auch, gewissermaßen die Krise und Katastrophe Athens antizipierend, als Lösung eines in Alkibiades widergespiegelten natürlich-psychologischen Grundproblems der Politik gedeutet werden. Die Thukydidesforschung betont den vom Niedergang und der Niederlage Athens bestimmten antizipierenden Blick im thukydideischen Werk. Beide, sich schließlich nicht unbedingt widersprechenden Perspektiven sind im Folgenden zu bedenken. Forde (1989) und Palmer (1990) bestimmen den Konnex zwischen den Textpartien anders, da sie in der Alkibiades-Affäre eine radikale Kritik des Thukydides an der perikleischen Demokratietheorie der Gefallenenrede erkennen; zur Zentralität der Gefallenenrede für den Zugang zu Thukydides’ politischem Denken s. Ottmann (2001a), S.  142–149. 27  Es



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Demokratie, für den in der Gefallenenrede zelebrierten Status Athens als Schule für ganz Hellas enthalten (s. II / 41). Perikles politisches Handlungskonzept geht von drei zentralen Prämissen aus: Erstens behauptet es eine Priorität von Ruhm und Ehre als höchste politische Handlungsziele. Dem individuellen Ruhm bzw. dem kollektiven Ruhm der Polis wird hier mit Verweis auf die Natur der Sache gegenüber den ebenfalls essentiellen menschlich-politischen Handlungsgütern von Sicherheit, Reichtum und Wohlstand der Vorzug erteilt: Aber aus welcher Gesinnung wir dazu gelangt sind, mit welcher Verfassung, durch welche Lebensform wir so groß wurden, das will ich darlegen […]. [D]er Geltung nach aber hat im öffentlichen Wesen den Vorzug, wer sich irgendwie Ansehen erworben hat, nicht nach irgendeiner Zugehörigkeit, sondern nach seinem Verdienst. […] Von ihnen [den Gefallenen, S. S.] aber hat keiner wegen seines Reichtums, um ihn lieber noch länger zu genießen, sich feig benommen; keiner hat in der Hoffnung der Armut, er könne, wenn gerettet, vielleicht noch reich werden, Aufschub der Gefahr gesucht […] und indem sie hier das Sichwehren und Erleiden für schöner hielten als weichend sich zu retten, haben sie schimpflichem Gerede sich entzogen, aber die Tat mit ihrem Leibe bestanden: und in kürzestem Augenblick sind sie, auf der Höhe ihres Geschicks, nicht aus der Furcht so sehr als von ihrem Ruhme geschieden. […] Denn die Ehrliebe allein altert nicht, und im nutzlosen Rest des Lebens ist nicht der erzielte Gewinn, wie manche sagen, die größte Freude, sondern die erwiesene Ehre.28

Auch auf der Metaebene der von Perikles gehaltenen Laudatio entspricht der die gefallenen Bürger und ihren Verdienst für Athen würdigende Redner dieser Güterhierarchie. Die eigene Größe und Rühmlichkeit erhält gegenüber der schieren Existenzsicherung der Polis oder des individuellen Lebens, ein rühmliches Dasein gegenüber dem bloßen Überleben den deutlichen Vorrang. Es ist bemerkenswert, dass Perikles damit aus der Sicht des platonischen Denkens eine thymotisch-timokratische Deutung des Wesens der attischen Demokratie liefert – ein Wesenszug, den Platon hingegen der spartanischen Verfassung zuspricht. Thukydides’ Athenbild ist damit der platonischen Haltung zur zeitgenössischen athenischen Verfassung als hedonistisches und anarchisches Gebilde entgegengesetzt. Die Priorität des Ruhmes vor dem Vorteil und der Existenzsicherung der Polis scheint mit dem machtzentrierten und realpolitischen Denken zu konkurrieren, wie es in Thukydides’ berühmtem Melierdialog (V / 86–111) am deutlichsten, aber auch anderenorts im Werk vertreten wird. Thukydides’ politischer Realismus 28  Thukydides, II / 36, S.  111; 37, S.  112; 42, S.  115; 44, S.  117; die Priorität der Ehre bei Thukydides indiziert neben der Gefallenenrede die geschilderte alkibiadeische Handlungspsychologie, aber auch die Haltung der Melier im Melierdialog, s. ebd. V / 100–101 und 104; vgl. auch Forde (1989), S.  112, 157; Thukydides bestimmt mit Ehre (time), Furcht (deos) und Nutzen (ophelia) eine Trias politischer Antriebskräfte, s. ebd. I / 75 und III / 45.

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ist aber vor allem für den zwischenstaatlichen Bereich der dominierende und erschöpfende Erklärungsansatz. Die zweite Prämisse der perikleischen Handlungskonzeption erläutert die in der ersten ausgesagte und besteht in der Annahme, dass Ruhm und Ehre ihre Attraktivität als Handlungsgüter qua ihrer Fähigkeit besitzen, die menschliche Lebensgrenze, wenn man will, die natürliche Vergänglichkeit zu transzendieren.29 An anderer Stelle betont Perikles, dass Athen wegen seiner jetzigen Leistungen und Größe die Erinnerung der Nachwelt bevölkern werde (s. II / 64). Alkibiades stand ferner in der festen Überzeugung, dass trotz der durch Neid, Hass und Feindschaft bestimmten Beziehung zu seiner Person die Athener nach seinem Tod sein Andenken ewig erhalten, spätere Menschen den Anspruch erheben würden, mit ihm verwandt zu sein, dass er als echter Sohn der Stadt gelten werde, der Großes für sie getan (s. VI / 16, S.  381). Hinsichtlich dieser Memorisierungsleistung, die Ruhm und Ehre ihren handlungstheoretischen Vorrang verleiht, scheint Perikles von einer völligen Selbstgenügsamkeit der Politik auszugehen und die diesbezügliche Bedeutung von Dichtung und Kunst zu verkennen.30 Die dritte und wichtigste Grundannahme der politischen Ruhmesethik des Perikles besteht darin, dass die Liebe zur Vaterstadt und eine gemeinwohlförderliche Form politischer Exzellenz als sicherste Modi zur Erlangung der Güter von Ruhm und Ehre aufgefasst werden können. Das Curriculum des Alkibiades, das sich mit Thukydides auch als versuchte Instrumentalisierung der Polis und des attischen Imperialismus zugunsten seines persönlichen Ehrgeizes darstellen lässt, legt offen, dass aus Sicht der perikleischen Handlungstheorie Alkibiades an der dritten Prämisse scheitert. Er verfügt nicht mehr über den erforderlichen Grad an Gemeinschaftssinn und Bürgertugend, die Thukydides Alkibiades’ Ziehvater Perikles an anderer Stelle attestiert.31 29  „Denn gemeinsam gaben sie ihre Leiber hin und empfingen dafür jeder in der nicht alternden Lobpreisung ein weithin leuchtendes Grab, nicht das, worin sie liegen, meine ich, sondern daß ihr Ruhm bei jedem sich gebenden Anlaß zu Rede oder Tat unvergessen nachlebt. Denn hervorragender Männer Grab ist jedes Land: Nicht nur die Aufschrift auf einer Tafel zeugt in der Heimat von ihnen, auch in der Fremde wohnt, geistig, nicht stofflich, in jedermann ungeschriebenes Gedächtnis. Mit solchen Vorbildern sollt ihr das Glück in der Freiheit sehen und die Freiheit im kühnen Mut und euch nicht zuviel umblicken nach den Gefahren des Krieges“, Thukydides, II / 43, S.  116. 30  „[wir] brauchen keinen Homeros mehr als Sänger unseres Lobes noch wer sonst mit schönen Worten für den Augenblick entzückt“, ebd. II / 41, S.  114; s. die Kritik an Herodots dichterischer Historiographie I / 22. 31  „Einem Manne, glaube ich, der keinem andern nachsteht in der Erkenntnis des Nötigen und der Fähigkeit, es auszudrücken, der sein Vaterland liebt [philopolis] und über Geld erhaben ist. Wer nämlich die Einsicht hat und sich nicht klar verständlich macht, ist gleich, wie wenn ihm der Gedanke nicht gekommen wäre; und wer beides



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Alkibiades’ notorische Schwäche für Geld war ein in Athen verbreiteter Gemeinplatz. Thukydides attestiert Alkibiades ferner einen im Vergleich zu Perikles pervertierten Patriotismus (s. VI / 92). Perikles’ Rede enthält ein bedingungsloses Eintreten für die vita activa, eine unmissverständliche Forderung an den Bürger, sich an der Politik des Gemeinwesens engagiert zu beteiligen, um das eigene Wohlergehen ebenso wie das der Polis zu sichern (s. II / 39). Darüber hinaus spricht Perikles in der Gefallenenrede von der Notwendigkeit eines emotionalen Bandes, davon, dass sich die Bürger in Liebhaber (erastai) und Freunde (philopolis) des Gemeinwesens verwandeln müssten, und stellt sich selbst als solchen dar.32 Dies fügt sich in Platons Wesensbestimmung des thymos als gegenüber den niederen Begierden höherwertige und unverzichtbare Form politischer Emotionalität und andererseits in Sloterdjiks Weiterentwicklung der politischen Thymotik als im Spannungsfeld der individuellen und kollektiven Psyche zu denkende Kategorie. Perikles versteht den Tod der von ihm gefeierten Gefallenen nicht als altruistischen Opferakt, sondern als konsequente Verfolgung des im Ruhm anvisierten eigenen Glücks. Ein Konflikt zwischen Individualinteresse und Gemeinwohl entfällt dieser Prämisse zufolge.33 Mit der Darstellung der perikleischen Ruhmesethik, deren vollmundige Verheißungen uns weiter unten noch in kritischer Hinsicht beschäftigen werden, und ihrer thymotischen und republikanischen Konnotation befinden wir uns konzeptionell in unmittelbarer Nähe zu Maurizio Virolis republikanischem Patriotismusbegriff, der jedoch in seiner Analyse wohlgemerkt der Rolle von Ruhm und Ehre für die Republik keinerlei Bedeutung beimisst. Die Abwesenheit der Gefallenenrede des Perikles in Virolis ideen- und begriffsgeschichtlich fundierter Abhandlung zum republikanischen patria-Begriff ist verwunderlich. Sie fügt sich in die sträfliche und unnachvollziehbare Vernachlässigung des griechischen Denkens in der diachronischen Beschäftigung mit dem Republikanismus vonseiten der Cambridge School. Virolis, auf den Wurzeln des römischen Republikanismus aufbauender Ansatz fügt sich allerdings ansonsten sehr gut in den Horizont der in Perikles’ Gefallenenrede enthaltenen republikanischen Lehre.34 hat, aber seinem Lande nicht das Beste wünscht, wird schwerlich raten wie ein Freund. Fehlt ihm auch dies nicht, aber er ist schwach vorm Geld, so wird ihm alles miteinander für dies eine feil sein“, ebd. II / 60; s. II / 65. 32  s. die Verwendung der Termini eros und philopolis in II / 43 und II / 60. 33  „In Pericles’ view, glory is the means by which we can rise above our fear of death and our love of gain without being asked to rise above our radical love of our own. […] If personal glory is the greatest good, then by sacrificing all, including one’s life, for the city, one makes a net gain, not a sacrifice“, Palmer (1990), S. 11, 26. 34  Grund der emotionalen Bindung zwischen Bürger und Republik ist für Viroli nicht die natio sondern die civitas, lex und libertas: „The patria, understood as

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Ziehen wir die Schlüsse aus den obigen Beobachtungen zum sokratischplatonischen Verständnis von politischer Thymotik, so wird begreiflich, dass hieraus ein grundverschiedener Lösungsansatz für das in Alkibiades enthaltene Problem hervorgeht. Allein aus der politischen Dimension ist ihm nicht beizukommen. Bürgerlicher Gemeinschaftssinn und ein von ihm geleitetes Ruhmesstreben, Bürgertugend im perikleischen Sinne sind, wenn auch bedeutsam, doch nicht ausreichend dafür. Nur die pädagogische Formung der in der Polis vorhandenen alkibiadeischen Naturen und ihr Erwerb von Seelentugend durch die Philosophen, nur die Unterordnung des thymos unter die Regierung des logos vermögen der in der Phänomenologie des Alkibiades enthaltenen Risiken und Chancen für die Errichtung einer guten Polisordnung habhaft zu werden. Dies wird einmal in den pädagogischen Bemühungen des Sokrates als erastes des jungen Alkibiades zum Ausdruck gebracht. Alkibiades’ thymotische Veranlagung, sein Verlangen nach Ehre sind aufgrund der für Platon bestehenden natürlichen Filiation zwischen thymotischem und vernünftigem Seelenteil auf vielversprechende Weise lenk- und formbar. Entscheidend ist die Sensibilisierung der Seele des Alkibiades dafür, dass zur Erlangung der von ihr angestrebten politischen Exzellenz sittliche Ehrbarkeit und der Erwerb von Tugend unverzichtbar sind, die ihm wiederum allein durch den Philosophen zuteil werden können: Sokrates: Mein Vormund ist besser und weiser als Perikles, der deinige. […] Der Gott, o Alkibiades, welcher mir auch nicht zugelassen hat, vor diesem Tage mit dir zu reden, und dem vertrauend ich auch behaupte, daß Ruhm dir durch keinen andern werden kann als durch mich. (Alkibiades, 124c5-11)

Alkibiades gesteht im Symposion (216a10-b7, 218a2-8), dass allein So­ krates es vermag, in ihm Schamgefühle zu wecken und dass Sokrates’ Reden der Weisheit eine enorme Wirkung auf seine Seele zeigten. Eine hier berichtete Episode belegt die Bedeutung der im Ruhm enthaltenen thymotischen Emotionalität im Erziehungsbestreben des Sokrates. Sokrates versucht Alkibiades’ Ruhmesstreben auf gemeinwohlförderliche Taten zu lenken. So überlässt er Alkibiades nach der Schlacht von Potidaia, an der sie gemeinsam teilnehmen und in der Sokrates dem Alkibiades das Leben rettet, den res­publica, must commend a particular type of love, that is, pietas or caritas, which may be translated as respect and compassion. […] Citizens owe to their patria, went the typical exhortation, a benevolent love similar to the affection that they feel for their parents and relatives, a love that expresses itself in acts of service (officium) and care (cultus). Pietas and caritas involve no cupidity (cupiditas), no desire to posses the object of our love or our desire exclusively; they are, on the contrary, generous affections that extends beyond the family to embrace the republic and all fellow-citizens. For the virtuous citizen, pietas is part of the duties that justice imposes on him; it is the specific way of behaving justly toward one’s own country“, Viroli (1995), S.  19 / 20; Cicero setzt sich in De off. I / 13–17, 55–92 mit Platons Thymotik auseinander.



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ihm für sein Kampfverhalten gebührenden Ehrenpreis.35 Der bedeutendste Schritt in Sokrates’ Bemühungen besteht allerdings darin, Alkibiades einsehen und eingestehen zu lassen, dass er auf Sokrates’ philosophische Unterweisung in die für jegliche politische Exzellenz unverzichtbaren Tugenden von Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit angewiesen ist. Sokrates’ diesbezüglich erfolgreiche Überzeugungsarbeit im Alkibiades gibt dem Dialog ein hoffnungsvolles Ende, ganz ähnlich wie der im Symposion geschilderte Vorsatz des Alkibiades, sich der seelischen Schönheit des Sokrates zu verschreiben und ihr nachzueifern (s. Symposion, 218c1–219d2). Zur sokratischen Pädagogie im Symposion und im Alkibiades kohärent zeigt sich die Tugendethik und die auf ihr basierende Gestaltung der politischen Ordnung in der Politeia. Im hier entwickelten Seelen- und Polismodell werden der Gehorsam und die Folgsamkeit der thymotischen Naturen gegenüber den vernünftigen, widergespiegelt in der Unterordnung des Wächterstandes unter die Philosophenregenten, als essentielle Prämissen entwickelt. Platons ausführliche Beschäftigung mit den Prinzipien der Wächtererziehung im II. und III. Buch der Politeia schließt an die Leitli­ nien  der von Sokrates erfolglos betriebenen pädagogischen Formung des Alkibiades an. Ziel ist dabei einmal die Erzeugung der für den thymotischen Seelenteil spezifischen Tüchtigkeit. Darüber hinaus kommt es auf die Fähigkeit der thymotisch Veranlagten an, neben Tapferkeit die Tugenden von Besonnenheit und Gerechtigkeit umzusetzen (s. Politeia, 430c8–433d11). Es handelt sich dabei um die essentielle Prämisse dafür, dass die in der Seele ebenso wie in der Polis aus thymotischer und vernünftiger Begabung bestehende Minorität der Majorität des begehrlichen Seelenteils und Menschentypus trotzten, ferner von außen drohende Gefahren abwenden kann (s. Politeia, 441e4-b7). Der thymos ist die exekutive Kraft, die die gute Polis35  „Noch als ganz junger Mensch machte er den Feldzug gegen Potidaia mit und hatte dabei Sokrates zum Zeltgenossen und zum Nebenmann bei den Kämpfen. In einem heftigen Gefecht zeichneten sich beide aus, und als Alkibiades eine Wunde empfing, trat Sokrates vor ihn, verteidigte ihn und rettete ihm ganz offensichtlich das Leben und erhielt ihm seine Waffen. Nach klarem Recht also gebührte Sokrates der Preis der Tapferkeit. Als nun aber die Feldherren augenscheinlich geneigt waren, dem Alkibiades wegen seiner Vornehmheit die Ehre zuzuwenden, trat Sokrates in dem Wunsche, das Ehrgefühl für rühmliches Tun in ihm zu stärken, als erster Zeuge für ihn auf und verlangte, daß ihm Kranz und Waffenrüstung verliehen werde“, Plutarch, Alkibiades, VII, S.  352 / 353; vgl. den Bericht des Ereignisses bei Platon, Symposion, 219e–221d. Georg Kaiser parodiert diese Episode in einem 1920 in München uraufgeführten Theaterstück namens Der gerettete ­Alkibiades. Die Überlassung des Preises an Alkibiades geht hier auf Sokrates’ Verlegenheit zurück. Im Stück handelt sich Sokrates einen Kaktusdorn in seinen Fuß ein, womit die Flucht aussichtslos wird und nur tapferes Kämpfen bleibt. Im Stück wird die Rettung von Alkibiades’ Leben zum Grund für Athens Todesurteil gegen Sokrates.

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ordnung verwirklicht und erhalten hilft. Für Platon ist Politik stets die Ausführung philosophischer Erkenntnis oder mit Nietzsche als „Exekutive des Geistigen“ zu verstehen (s. Antichrist, Nr. 57). In ihrem Kern behandelt die Sokratik das aus der thymotischen Veranlagung entspringende Streben nach Ruhm als unverzichtbares Phänomen der Politik, zeigt aber auch dessen Grenzen und mangelnde Selbstgenügsamkeit auf. Platons Beschäftigung mit Alkibiades läuft auf eine Kritik der perikleischen Auffassung hinaus, das am Gemeinwohl orientierte Streben nach Ruhm der Bürgerschaft könne die gute politische Ordnung aus sich selbst heraus garantieren. Die Notwendigkeit der philosophischen Erziehung und Unterweisung zur Entschärfung des in der Figur des Alkibiades der Polis gestellten Problems steht für die Voraussetzungsbedürftigkeit der Politik. IV. Machiavellis thymotisches Politikverständnis Zur Veranschaulichung der Bedeutung und Weiterentwicklung der Ruhmesethik und politischen Thymotik im neuzeitlichen Republikanismus ist hier kein Platz. Die Mühe ihrer Erforschung, die auch die Frage nach der Rezeption des dargestellten thukydideischen und platonischen Gedankenguts zu klären hätte, würde sich vermutlich lohnen. Einige stichprobenartige Befunde zu Machiavellis politischem Denken und vor allem zu seinem Republikanismus sollen dies veranschaulichen. Blickt man auf die Karriere der ruhmesethischen Auffassung bürgerlichen Handelns zu Beginn der Neuzeit, so ist zunächst auffällig, dass sich die primären philosophischen Voraussetzungen grundlegend geändert haben. Eine Tendenz zu pessimistisch-pejorativen Annahmen bezüglich der menschlichen Soziabilität und eine polybianisch geprägte Auffassung der republikanischen Ordnung als auf dem Gleis der Zeit ständig von Degeneration und Korruption bedroht, verändern die Prämissen von Grund auf. Das republikanische Denken Niccolò Machiavellis, an dem, wie die Cambridge School gezeigt hat, bei der Beschäftigung mit der Genese des neuzeitlichen Republikanismus kein Weg vorbeiführt, veranschaulicht die Relevanz unserer bisherigen Argumentation. Der für zivile wie militärische Leistungen gespendete Ruhm nimmt in Machiavellis politischer Theorie und v. a. in der republikanischen Bürger­ ethik der Discorsi den Platz eines apriorischen Guts ein, und zwar sowohl in der Dimension sozial-politischer Gegenwärtigkeit wie in der Dimension des zukünftigen Gedächtnisses der Historie.36 Die systematische Bedeutung 36  Zur Rolle von Ruhm und Ehre als politische Handlungsgüter im Denken Machiavellis s. Strauss (1958), S. 248–251, 282, 291; Skinner (1978), S. 118 ff., 134 ff., 177 ff.; Berlin (1981); Price (1977); Eldar (1986).



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von thymotischen Begriffen wie Ansehen, Ruhm, Ehre und Größe (reputazione, fama, stima, gloria, onore, grandezza) in Machiavellis politischem Denken, und zwar in einer die Discorsi und den Principe verbindenden Perspektive, wurde bisher zu wenig berücksichtigt.37 Machiavellis Reflexionen zur politischen Herrschaft und zum politischen Handeln differieren in seinen beiden Hauptwerken in einem nicht unerheblichen Maß. Blickt man aber etwa auf seine Untersuchung der herrschaftskatalytischen Wirkung von Hass und Verachtung vonseiten der Untertanen im Principe (v. a. Kap. XIX), andererseits auf das Verständnis vom Bürger und der Republik in den Discorsi oder auf seine Beschäftigung mit dem Moment der Staatsgründung und Ordnungsstiftung in beiden Schriften, so harmonisieren sie bezüglich der Rolle des Ruhms als psychopolitisches Schlüsselgut. Zur auch bei Machiavelli präsenten Unterscheidbarkeit und Priorität des thymotischen Verlangens nach Ruhm und Ehre gegenüber der ambitio des homo oeconomicus sei eine Kostprobe aus seiner Geschichte von Florenz gereicht: „Denn gerne geben die Menschen das Ihrige [patrimonio] hin wenn sie sehen, daß es für eigenen Ruhm, eigne Ehre und Größe geschieht“ (V / 8, S.  256). Machiavellis im thymotischen Sinne lesbare politische Handlungskonzeption ließe sich ferner an seinem Begriff der politischen Tüchtigkeit (virtù) und seiner Darstellung des Widerstreits der Daseinsmächte virtù und fortuna ergründen. Die Eigenschaften der Tatkraft und des Impetus (animo), auch des Zorns (ira) sind Voraussetzung für die politische Durchsetzungskraft gegenüber den Launen der Göttin fortuna.38 Das oben geschilderte Seelenbild Platons scheint bei Machiavelli ferner einen, freilich mit der sokratischen Psychologie in Spannung stehenden Nachhall zu finden. Bekanntlich beschreibt Machiavelli das Wesen von Herrschaft in der Fürstenlehre des Principe (Kap. XVIII) anhand eines allegorischen Vergleichs mit dem mythologischen Wesen des Zentauren: Dessen halb menschliche, halb tierische Natur findet seine Entsprechung in der Notwendigkeit, als Herrscher die typisch menschliche Affinität zum Gesetz (legge) mit den tierischen Attributen von Gewalt und List – in der Tierwelt exzeptionell vom Löwen und vom Fuchs beherrscht – zu ergänzen. Es verwundert daher nicht, dass Machiavellis Denken in der zugegebenermaßen teilweise mehr als eigenwilligen Machiavelliexegese der Schule um Leo Strauss im Lichte der platonischen Thymotik, ja als Versuch einer radikalen und antiklassischen Eman37  Als Schlüsselpassagen hierzu s. etwa Principe VI, S.  41; VIII, S.  67; XIV, S.  117; XXI; XXVI, S.  203; Discorsi, I / 6, S.  28; I / 10; I / 43; I / 58, S.  152; II / 2; Geschichte von Florenz, III / 5, S.  141 und V / 1. 38  s. zum Widerstreit von virtù und fortuna Principe XXV, Discorsi III / 9; zur Rede von der „natural ira“ im Zusammenhang der genannten Handlungsmodi s. Decennale Secondo, Vers 88; im Lehrgedicht über den Ehrgeiz äußerst sich Machiavelli positiv zum Ungestüm des Herzens (cor feroce), s. Hoeges (2006), S.  147.

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zipation des thymos und der politischen Exzellenz von allen normativen Maßstäben gedeutet wird.39 Das gemäß der perikleischen Bürgertugend am Gemeinwohl orientierte und durch Vaterlandsliebe geleitete Streben nach Ruhm und Ehre hat auch für Machiavelli einen unschätzbaren Wert. Es wird von ihm als mögliche Lösung der durch die menschliche Natur und ihrem Hang zu Neid und Korruption in der Republik verursachten Ordnungsproblematik aufgefasst.40 Machiavellis Republikanismus grenzt sich vom republikanischen Diskurs seiner Zeit nicht unerheblich durch seinen Fokus auf die ordnungspolitische und freiheitsförderliche Bedeutung des Volkes (popolo) ab.41 Er ließe sich gar als Entdecker der von Sloterdjik in anderem Kontext untersuchten Volksthymotik als Zorn der Benachteiligten und ihrer Bedeutung für die republikanische Ordnung einordnen. Die thymotischen Regungen des Zorns (ira), des Hasses (odio), der Verachtung (disprezzo), des Neids (invidia) und der Undankbarkeit (ingratitudine) spielen in Machiavellis psychologischer Darstellung der in Republiken und Fürstentümer virulenten Antagonismen eine zentrale Rolle. Sie werden bei Machiavelli jedoch dezidiert aus Sicht der ständischen Gruppe des popolo behandelt. Machiavelli sieht es als Faktum an, dass sich in der Republik ein quasithymotischer Antagonismus zwischen dem Volk (popolo, plebe) und der aristokratisch-großbürgerlichen Elite (grandi, nobili) entlädt (s. Discorsi, I / 2–8, Principe, IX). Die Bedeutung des oben dargestellten Alkibiades-Problems, der Gestaltung des Verhältnisses des politischen Genies Einzelner bzw. der Exzellenz politischer Anführer zum Bürgerkollektiv, die Möglichkeit ihrer Integration in die republikanische Ordnung wird ähnlich wie bei Thukydides, dessen Lektüre hier deutliche Spuren bei Machiavelli hinterlässt, zum Schlüsselproblem.42 Die Figur des Staatsgründers oder Ordnungsstifters nach den Vorbildern der 39  s. Strauss (1958), S. 288–291; Mansfield (1996), S. 40, 44; Rasmussen (2009); vgl. auch Zuckert (1988), S.  1–2, 12–16 und Fukuyama (2006), S.  183 / 184. 40  s. zur Kopplung des Strebens nach Ruhm an die Leistung für die Bürgergemeinschaft und an das Gemeinwohl Discorsi I / 10, III / 28, Geschichte von Florenz VII / 1. „Andererseits kann man es auch nicht Tüchtigkeit nennen, seine Mitbürger umzubringen, seine Freunde zu verraten und ohne Treue, Mitleid und Religion zu sein; auf solche Weise kann man zwar Macht [imperio] erwerben, aber keinen Ruhm [gloria]“, Principe VIII, S.  67. 41  Dazu McCormick (2001), Höchli (2005). 42  Machiavelli bespricht in Discorsi III / 16 die Passage aus Thukydides, VI / 15 ff., die uns oben beschäftigt hat. Machiavellis Berührung mit den bei Thukydides berichteten Nachstellungen des Demos gegenüber Alkibiades schlägt sich vermutlich in seiner Wahrnehmung nieder, wonach unverbindliche Verleumdungen unter den Bürgern eine freiheitskatalytische Wirkung besäßen, hingegen formaljuristische Anklagemöglichkeiten des Volkes gegenüber den Amtsinhabern und Großbürgern für die Republik förderlich seien (s. Discorsi, I / 7–8).



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antiken Verfassungsgeber Romulus, Theseus, Lykurg, Solon, Kyros und Moses, aber auch mannigfacher altrömischer Führungsgestalten und Verfassungsdiktatoren ist unbestreitbar ein prägendes und in Machiavellis Schriften wiederkehrendes Thema. Dem ungerechtfertigten Widerstand und neidischen Misstrauen der Bürgerschaft gegen das reformatorische Eingreifen solcher Figuren zu begegnen, deren Handeln ferner in politischer und geschichtsteleologischer Hinsicht auf das Gemeinwohl zu verpflichten, von diesen Fragen hängt im Dasein von politischen Gemeinwesen laut Machiavelli viel, wenn nicht gar alles ab. Ruhm, Ehre und historische Größe winken andererseits als Belohnung für die Verzichtsleistung solcher Führungsgestalten und allgemein politischer Machthaber gegenüber der Versuchung einer tyrannischen Machtergreifung.43 Machiavelli ist von der Instrumentalisierbarkeit ihrer Ehrbedürftigkeit zur Entschärfung des in jeder politischen Regierung inhärenten tyrannischen Potentials überzeugt. In Machiavellis Discursus florentinarum rerum post mortem iunioris Laurentii Medices von 1519 wird ebenfalls diese Karte ausgespielt. Er enthält seinen waghalsigen Versuch, den Medicipapst Leo X. und den Kardinal Giulio de’ Medici – nach dem Aussterben der Nachfolgerlinie Lorenzos des Prächtigen die de facto Herrscher von Florenz und die Adressaten der Schrift – von einer Rückkehr zur republikanischen Staatsform zu überzeugen.44 Die mangelnde Beherrschbarkeit der Zukunft und des zukünftigen historischen Bildes, das sich die Menschen machen werden, hat ohne Zweifel einen disziplinierenden Einfluss auf das Handeln der Mächtigen. Wie Machiavelli in den Discorsi (I / 10) anmerkt, vermochte Julius Cäsar ebenso wie die ihm nachfolgenden Cäsaren den Schriftstellern die freie Äußerung ihrer Ansichten zu verbieten. Es war aber nicht in ihrer Gewalt zu verhindern, dass spätere Generationen mit ihnen abrechnen würden. Das im politischen Denken, in der Literatur und Kunst der Renaissance aufkommende negative Cäsarbild eines die römische Republik zerstörenden Tyrannen und die republikanische 43  s. die Ausformulierung dieses Gedankens in rhetorisch aufgeladener und pathetischer Form in Discorsi, I / 10. 44  „Ich glaube, daß die größte Ehre, die der Mensch erwerben kann, die ist, welche ihm sein Vaterland freiwillig entgegenbringt. Ich glaube auch, daß das größte und Gott wohlgefälligste Gute, das man tun kann, das ist, welches man seinem Vaterland tut. Überdies wird kein Mann wegen irgendeiner Handlung so sehr gepriesen, wie es die werden, welche durch Gesetze und Einrichtungen die Republiken und Reiche reformiert haben. Diese Männer sind, neben den Göttern Erhobenen, die zuerst Gelobten. Da es aber wenige gibt, die es zu tun Gelegenheit hatten, und sehr wenige, die es zu tun verstanden, so ist die Zahl derer klein, die es taten. […] Der Himmel gibt also einem Mann kein größeres Geschenk, noch kann er ihm eine ruhmvollere Bahn zeigen als diese. Von so vielem Glück, das Gott Eurem Haus und Eurer Heiligkeit selbst geschenkt, ist daher das das größte, daß er Euch Macht und Gelegenheit gibt, Euch unsterblich zu machen und auf diesem Weg den Ruhm Eures Vaters und Großvaters weit zu übertreffen“, Machiavelli (2006), S.  939.

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Verehrung seiner Mörder Brutus und Cassius stehen für den vergeltenden, ja purgatorischen Charakter posthumer Entwerfung von Geschichtsbildern.45 Auch Machiavelli leistet seinen Beitrag dazu. Gegenüber dem antiken (sokratischen) Horizont tritt uns bei Machiavelli allerdings eine Radikalisierung des perikleischen Patriotismusbegriffs entgegen. Dies zeigt sich in Machiavellis rabiater Ablehnung der Demutshaltung des christlichen Bürgers und seiner Forderung eines heroisch-martialen Verständnisses von Bürgertugend nach dem Vorbild des heidnischen Staatskults (s. Discorsi II / 2 und III / 41). Der republikanische Bürger hat nach dem eigenen Vorbild Machiavellis, der seinem Freund Francesco Vettori in einem Brief vom 16. April 1527 eingesteht, seine Vaterstadt mehr zu lieben als seine Seele, sein eigenes Heil bedingungslos an das rein innerweltliche Heil der Republik zu knüpfen. Machiavelli wendet sich ferner in seiner Erfassung der ­politischen Bedeutung von Ruhm und Ehre von deren bürgerethischen Verbindlichkeit ab. Die politische Tat ist durch ihre Größe und Außergewöhnlichkeit bei der Gewinnung von Lob und Anerkennung völlig autark. Wenn auch mehr im Sinne eines ernüchternden Realismus als einer Grundüberzeugung tut Machiavelli kund, „daß viele, denen es nicht gelungen ist, durch irgendeine lobenswerte Handlung sich Ruhm zu verschaffen, durch tadelnswürdige Taten ihn zu erlangen sich bemüht haben. […] daß Handlungen, welche Größe an sich haben, wie dies bei den Handlungen der Regenten und Staaten der Fall ist, immer mehr Ruhm als Tadel zu bringen scheinen, welcher Art sie auch seien und welches der Ausgang sein möge“ (Geschichte von Florenz, Proömium, S. 13). Unter dieser Prämisse kann bei ihm davon die Rede sein, dass man in Ehren böse handeln könne: essere onorevolmente cattivi.46 Machiavelli vollzieht eine Loslösung des Rühmlichen vom ethischen Gut, die bei Perikles nicht gedacht werden konnte. V. Aktualisierungsmöglichkeit, Anachronismusverdacht und die Notwendigkeit eines kritischen Schlusses In seiner Geschichte des politischen Denkens identifiziert Henning Ottmann in der Spannung zwischen antiker Agonalkultur und demokratischer Gleichheit, widergespiegelt in der Konkurrenz, aber auch Koexistenz von entnehme dieses Begriffsmodell aus Sloterdjik (2006), S.  166 / 167. Aussage fällt im Kontext der von Machiavelli bestaunten Möglichkeit des Tyrannen Giovanni Pagolo Baglioni, sich des in seiner Gefangenschaft befind­ lichen Papstes Julius II. zu entledigen – eine unter moralischen und christlichen Gesichtspunkten auch für Machiavelli ohne Zweifel schlechte, aber ebenso unbestreitbar für die Achtung und Stabilität der Herrschaft des Pagolo förderliche Tat, so Machiavelli, s. Discorsi, I / 27, S.  80. 45  Ich

46  Diese



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heroischen und harmonischen, von konkurrierenden und kooperativen Merkmalen des Bürgers und seiner politischen Praxis, eine zentrale Hinterlassenschaft der griechischen Poliskultur und allgemein antiken politischen Denkens.47 Sie wurde historisch virulent durch die Entstehung der Polis als Bürgerverband, vollends unter den Rahmenbedingungen der demokratischen Polisordnung Athens. Neben den sich nun durchsetzenden bürgerlichen Gemeinschaftswerten bestehen im antiken Stadtstaat viele Elemente aus dem Werte- und Tugendverständnis der heroischen Gesellschaft und ihrem aristokratischen, nach exklusiver Exzellenz strebendem Ethos weiter.48 Das Aushalten dieser Spannung und ihre Umwandlung in einen fruchtbaren Nährboden für politische und kulturelle Leistungen ist laut Ottmann eine überzeitliche Frage, die sich der Demokratie auch heute nach wie vor stellt. Perikles’ Gefallenenrede kann als ingeniöse Synthese aus den Gegensätzen zwischen dem politischen Exzellenz- und Gleichheitsprinzip, von geometrischem und arithmetischem Gerechtigkeitsverständnis gedeutet werden: Die Stadt vereint die demokratische Gleichheit mit einer Anerkennung der Exzellenz, dem Erbe der agonalen Kultur. Die Vereinigung der Gegensätze bedeutet keine Mittelmäßigkeit. Die Stadt ist vielmehr eine Einheit, welche die Gegensätze gerade erst zur Entfaltung bringt. Die Demokratie […] ähnelt […] dem Wunder der Dialektik, daß Gegensätze sich entfalten und gleichwohl doch eine Einheit zwischen ihnen besteht. Die Lebendigkeit der Demokratie speist sich aus den sie konstituierenden Gegensätzen selbst.49

Eine republikanische Ruhmesethik, wie sie hier in Rückgriff auf die altgriechische Auffassung politischer Thymotik, aber auch mithilfe von Machiavellis Republikanismus entwickelt wurde, ist von großem Wert für eine solche Synthese. Ihr Gelingen entscheidet mit über die Erhaltung der freiheitlichen Ordnung, über die Erhaltung politischer, aber auch persönlicher Freiheit. Die Beschäftigung mit dem unserer Thematik verbundenen Denken von Thukydides, Platon und Machiavelli hat ferner veranschaulicht, dass die moralische Einschätzung von Ruhm und Ehre als politische Handlungsgüter von ihrer Verbindung zur Bürgertugend, zu Gemeinwohl und Patriotismus abhängig ist – ein beachtenswertes Korrektiv für die in der heutigen Wett47  „Aber es ist das Geheimnis dieser Kultur, daß sie die agonalen Werte nicht einfach durch die kooperativen abgelöst hat. Stattdessen ist es der griechischen Kultur gelungen, die Gegensätze auszuhalten. Sie verband den Willen zur Exzellenz mit dem zur Kooperation, den Willen zur Leistung mit dem zum Respekt vor der Gleichheit, die Bildung selbstbewusster Persönlichkeiten mit der Hochschätzung des gemeinsamen Lebens in der Stadt“ (Ottmann 2001a: 16). Dieser Gedanke durchzieht Ottmanns Darstellung des antiken politischen Denkens, s. ders., ebd. S.  15 / 16, 21–29, 104 / 105, 142–149, 168 / 169; ders. (2001b), S.  37 / 38, 146 ff., 151 / 152, 257; ders. (2002), S.  20 / 21, 40–42. 48  s. Adkins (1960); MacIntyre (1995), S.  163–195. 49  Ottmann (2001a), S.  145; ebd. S.  15.

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bewerbsgesellschaft verbreitete gemeinschaftsvergessene und zu häufig unpolitische Exzellenzkonzeption. Die Berücksichtigung des thymotischen Wesens von Politik und der Handlungsgüter von Ruhm und Ehre bei der Bestimmung republikanischer Bürgertugend und politischer Ordnung trägt ferner der moralischen Leistungsfähigkeit des Menschen auf realistische Weise Rechnung. Sie erkennt, dass die Gestaltung der geschilderten Dialektik zwischen Exzellenz und Gleichheit, zwischen dem Einzelnen und dem Bürgerkollektiv weder mit der Forderung nach ethischer Perfektion noch durch eine Gemeinschaftsethik zu erzielen ist, die einseitig auf den Prinzipien der Harmonie, Mäßigung, Besonnenheit und Selbstlosigkeit gründet. Die Bürgertugend und das individuelle Bestreben nach Erfolg, Ehre und Anerkennung vermögen miteinander zu koexistieren. Der Republik ist nicht notwendigerweise an der tugend­ethischen Perfektion ihrer Bürger gelegen. Sie kann damit leben, wenn ihre Bürger den notwendigen Grad an Gemeinschaftstugend als Mittel zum Zweck zur Erhaltung der freiheitlichen Ordnung sowie als Weg zu den genannten individuellen Handlungszielen entwickeln.50 Hierin liegt ein beachtliches Korrektiv gegenüber den hypertrophen moralischen Anforderungen an den Einzelnen im Kommunitarismus. Die Rolle thymotischer Emotionalität in der Politik an der Seite der politischen Rationalität vermag gegenwärtig am besten im Horizont des neorepublikanischen Denkens erfasst zu werden. Die für die heutige politische Ordnung der westlichen Demokratien nach wie vor bedeutsamen Aspekte des Strebens nach politischer Exzellenz und der Beziehung zwischen den politisch-kulturell-ökonomischen Eliten einerseits und der Volks- bzw. Bürgerbasis andererseits sollten im Lichte des thymos und des beidseitigen Verlangens nach Anerkennung reflektiert werden. Die Episode um Alkibiades lehrt, wie verheerend sich hierfür sowohl die plebejische Kleinmütigkeit der Bürgerbasis als auch der Verlust der patriotischen Gemeinschaftstugend vonseiten der Granden auswirken können. Das verbreitete liberalistische Verständnis der Handlungsrationalität sozialer Akteure als primär auf das ökonomische Interesse und ein commodious living fokussiert mag dies nicht zu erfassen. Die Beschäftigung mit der Rolle der Handlungsgüter von Ruhm und Ehre in der Republik soll mit kritischen Stellungnahmen zu den Schwächen und Gefahren einer ruhmesethischen Politikkonzeption schließen. Die im Ruhmbegriff anvisierte Einbindung des Alkibiades in die Polis, die hierin laut Thukydides, Platon und Machiavelli enthaltene Chance zur Entschärfung des tyrannischen Potentials alkibiadeisch-thymotischer Naturen ist 50  s.

Skinner 2002.



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hinsichtlich ihrer persuasiven Kraft zu bezweifeln. Die Hoffnung auf den posthumen Ruhm und auf eine gerechte Würdigung der eigenen Person in einer politischen Erinnerungsgemeinschaft, deren Wertschätzung bereits eine hohe Gesinnung voraussetzt, ist eine mehr als unsichere Zielstellung. Dass Perikles in seiner Gefallenenrede die Gefallenen nicht beim Namen nennt und den ihnen zustehenden Ruhm zwar erwähnt, die Ehrung der Gefallenen jedoch zur Projektionsfläche für ein Enkomion der Stadt Athen nutzt, gibt zu denken. In Machiavellis Behandlung der Rolle des Ruhmes für die ­Politik offenbarte sich ferner eine bemerkenswerte Gefahr. Seine tendenziell herrschaftstechnische und nicht mehr ethisch qualifizierende Betrachtung des Ruhmes lässt die schiere Größe, Überdimensionalität und Ungeheuerlichkeit einer politischen Tat zur Quelle von anerkennendem Lob werden – zumindest vonseiten all jener, die durch die Tat nicht unmittelbar negativ betroffen sind. Er geht von der Selbstgenügsamkeit der politischen Güter von Sicherheit, Wohlstand und Ehre unabhängig von den Maßstäben der Tugend und Religion aus. Die Entfesselung eines patriotisch-republikanischen Ruhmesethos nach dem Modell des Perikles scheint auch in anderer Hinsicht einen hohen Preis zu haben. Der dezidiert bellizistische und imperiale Charakterzug kann als Schattenseite der auf dem thymos und dem Ruhm gegründeten Republikkonzeptionen gelten. Die republikanischen Denker mit Affinitäten zu einer thymotischen Ruhmesethik kennzeichnet scheinbar ausnahmslos eine solche Neigung, sei es bei Perikles, dem altrömischen Republikanismus, Machiavelli und Harrington bis hin zu den modernen Vertretern des Expansionismus der respublica americana. Die platonische Warnung vor dem kriegerischen Wesensmerkmal des thymos und der ihm innewohnenden Feindseligkeit sei hier in Erinnerung gerufen. Es führt die Republik in einen Selbstwiderspruch zwischen ihren inneren und äußeren Zielstellungen. Die Konzentration auf Krieg und Expansion im auswärtigen Bereich steht nicht bloß im Widerspruch zur libertas als Zielsetzung der Republik im Inneren. Sie stimuliert auch die für das Gemeinwohl schädlichen Attribute des thymos. Es sind schließlich die Rahmenbedingungen des attischen Imperialismus und des Peloponnesischen Krieges, die Alkibiades’ überdimensionale Ambitionierung auf den Plan rufen und ihr Nahrung verleihen. Thukydides’ Kriegshistoriographie berichtet ferner von einer unter den Zuständen von Gewalt, Krankheit, Not und Bürgerzwist erzeugten – wohlgemerkt kriegsbedingten – Pathologie der Moral. Sie führt zur Erosion der Handlungslehre des Perikles. Der verschärfte Kriegszustand, ein Großkrieg wie der von Thukydides geschilderte, verwandelt die Bürger der Republik in hobbesianische Selbsterhaltungsstrategen und Nutzenmaximierer, von denen kein gemeinwohlorientiertes Ruhmesverständnis erwartet werden kann. Realpolitik und Machtopportunismus erlangen als Konsequenz im Verlauf des Krie-

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ges in der athenischen Politik gegenüber der ruhmesethischen Haltung des Perikles die Oberhand. Der Melierdialog erzielt diesbezüglich einen bitteren Sieg über die Gefallenenrede. In ihm sind es die unglückseligen Melier, die gegenüber den athenischen Aggressoren Perikles’ Ruhmesethik in ohnmächtiger Gestalt nachhallen lassen, wenn sie den ehrenvollen Kampf für ihre Freiheit der von den Athenern in Aussicht gestellten wohlwollenden Hegemonialherrschaft, ja dem Überleben vorziehen. Ein weiterer schwerwiegender Einwand, der einer ruhmesethischen Begründung politischen Handelns und politischer Ordnung aus heutiger Sicht gemacht werden kann, ist sicherlich ihr anachronistischer Zug. Sie scheint ein Handlungsverständnis, eine politische Lebensform, ja einen Politikbegriff zu implizieren, die den heutigen postheroischen Gesellschaften nicht mehr verfügbar sind. Um es mit Max Weber auf einer anderen Sinnesebene auszudrücken: Das moderne oder postmoderne Ohr scheint für eine von Ruhm und Ehre bestimmte Tonart unmusikalisch veranlagt zu sein. Dass Politik sich in einem postheroischen und postthymotischen Zustand befindet – falls sie dies tut, so allerdings sicherlich mit erheblichen nationalen und regionalen Skalierungen, für die der deutsche Kasus wohl kaum Repräsentationskraft besitzt –, hat einen entpolitisierenden und psychopolitisch nachteiligen Nebeneffekt, auf den Sloterdjik hingewiesen hat. Auf die politische Kanalisierung des thymos der Großen und Talentierten ebenso wie der Benachteiligten und ihrer Forderung nach Anerkennung und Gerechtigkeit, auf den Ausgleich zwischen der Thymotisierung von Individuum und Kollektiv, auf die Mobilisierung von Zivilcourage und politischer Exzellenz, aber auch des Zorns politischer Opposition kann die Politik nicht verzichten. Mit Sloterdjik gesprochen: Sie bedarf auch heute der Liaison von thymos und logos, von Zorn und Einsicht, von Empörung und Lernfähigkeit im Widerstreit zu den im neokapitalistischen way of live blühenden Kräften von hemmungsloser Gier und Gelderwerbslust, ungerechtfertigter Bereicherung und Überbelohnung. So gesehen ist das Nachdenken über die Rolle von Ruhm und Ehre in thymotischer Perspektive eine zu wenig beachtete He­ rausforderung. Vielleicht hat man es ja doch mit einem angestaubten Stück aus der Erbschaft politischen Denkens zu tun, dessen Renovierung sich lohnen könnte.



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„Der Augenblick der Entscheidung ist ein Wahn“ – Kritische Bemerkungen zur postmodernen Entdeckung der politischen Urteilskraft Von Jan Christoph Suntrup Das Konzept der Urteilskraft hat die Philosophie der letzten 30 Jahre stark beschäftigt. Gehörte das Urteilsvermögen in der Antike, gerade in der praktischen Philosophie des Aristoteles, zu den essentiellen Tugenden des homo politicus, bestand nach Kants dritter Kritik die Tendenz, den Geltungsbereich dieser „geheime[n] Kraft“ (Kant) vornehmlich auf den Bereich des Ästhetischen zu beschränken. Dabei hat Kant selbst keinen Zweifel daran gelassen, dass das Vermögen zu urteilen in der gesamten Welt der Praxis gefragt ist. Bereits in der ersten Kritik stellt er fest: „Ein Arzt daher, ein Richter, oder ein Staatskundiger, kann viele schöne pathologische, juristische oder politische Regeln im Kopf haben, in dem Grade, dass er selbst darin gründlicher Lehrer werden kann, und wird dennoch in der Anwendung derselben leicht verstoßen, […] weil es ihm an natürlicher Urteilskraft (obgleich nicht am Verstande) mangelt“.1 Da das Urteilsvermögen des Handelnden stets dieselbe Tätigkeit verrichten muss, nämlich zu bestimmen, was der Fall ist, indem ein Besonderes unter eine Regel subsumiert wird, ist es auch unmittelbar politisch relevant. Hannah Arendt konnte somit in der Kritik der Urteilskraft Kants ungeschriebene politische Philosophie entdecken, da sie in deren Gegenstand, der Beschäftigung mit dem Besonderen sowie dem Bezug des Urteilenden auf einen sensus communis, Themen „von herausragender politischer Bedeutung“ erkannte.2 Auch wenn Arendt keine systematische Theorie des Urteilens ausgearbeitet hat, so nahm das Urteilsvermögen doch stets eine zentrale Rolle in ihrer praktischen Philosophie ein. Die Unerlässlichkeit des richtigen Urteilens erwies sich dabei zunächst im Moment seines Versagens, als den Erfahrungen von organisierter Massenvernichtung und Totalitarismus nur das hilf­lose 1  Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 134 f. / B  173 f. Alle Zitate werden an die neue Rechtschreibung angepasst. Die Übersetzung der französischen Zitate erfolgt durch den Autor. 2  Arendt, Das Urteilen, S.  26.

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Gefühl des „Dies hätte nicht geschehen dürfen“ folgte.3 Waren der „Kontinuitätszusammenhang unserer Geschichte und die Begriffe und Kategorien unseres politischen Denkens“4 einmal gesprengt, die Regeln zum Subsumieren des Besonderen verloren, stellte sich nicht nur für den Historiker die Aufgabe, das Geschehene zu verstehen, sondern für alle Bürger, konnte Arendt doch mit gutem Grund im Verstehen das Gegenstück des Handelns erkennen, da ersteres den Horizont erst aufspannte, vor dem ein sinnvolles Handeln überhaupt möglich war. Dass die Zerstörung der traditionellen Urteilsmaßstäbe keine Überforderung des Menschen bedeutete, lag nach Arendt gerade in seinem Vermögen des Anfangens begründet, was ihn dazu befähigte, „in sich genügend Ursprung zu haben, um ohne vorgegebene Kategorien zu verstehen und ohne den Kodex von Sittenregeln, das heißt Moral, zu urteilen“.5 Ohne dieses Einlassen auf die riskante Urteilsbildung kann von einem genuinen Handeln gar nicht gesprochen werden. Welche gesellschaftliche Gefahr in einem Mangel an Urteilskraft lauern kann, hatte Arendt in ihrer Beobachtung des Eichmann-Prozesses offengelegt. Eichmann erschien dort eben nicht als Inkarnation des Bösen, sondern als gedankenloser Funktionär, der sich dem Urteilen kategorisch verweigert hatte.6 Hannah Arendt hat erheblich zur Rehabilitierung der politischen Urteilskraft beigetragen. Ronald Beiners Studie Political judgment etwa, welche die losen Bezüge der okzidentalen politischen Philosophie auf das Urteilsvermögen in einer kohärenten Theorie der Urteilskraft explizieren und systematisieren wollte, konnte von Arendts Überlegungen ihren Ausgang nehmen.7 Dass sich auch Vertreter der Postmoderne mit dem Konzept der Urteilskraft intensiv auseinandergesetzt haben, kann nur deren fundamentale Kritiker überraschen, die mit dem generellen Vorwurf des Relativismus schnell bei der Hand sind. Für diese wäre es in der Tat unverständlich, wie sich die unterstellte Mentalität des anything goes mit dem Desiderat des Urteilens, das im Bereich des Politischen mit der Unterscheidung von richtig und falsch, gerecht und ungerecht einhergeht, vereinbaren ließe. Im Folgenden soll dieses postmoderne Interesse an der Urteilskraft zunächst genauer verdeutlicht werden (I). Anschließend soll die aporetische Struktur des Urteilens dargestellt werden, die sich bei Jacques Derrida als „Aporie der Regel“ äußert (II), während der Urteilende bei Jean-François Lyotard wegen der vermeintlichen Inkommensurabilität der Sprachspiele in die Lage eines „Richters ohne Gesetzbuch“ gerät (III). Im IV. Abschnitt wird kurz die 3  Arendt,

Elemente, S.  947. S.  947. 5  Arendt, Zwischen Vergangenheit und Zukunft, S.  125. 6  Arendt, Eichmann in Jerusalem. 7  Vgl. Beiner, Political judgment. 4  Ebd.,



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aristotelische Konzeption der phronēsis vorgestellt, die Lyotard als postmoderne Tugend reklamiert. Abschließend (V-VI) lässt sich aber zeigen, dass das postmoderne Bild eines grundlosen Urteilens ohne Kriterien nur schlecht die alltägliche Praxis der gerechten Urteilsfindung erfassen kann. I. Die Notwendigkeit des gerechten Urteilens Mit Jean-François Lyotard ist es der Diagnostiker der condition postmoderne, welcher der Problematik der Urteilskraft viel Aufmerksamkeit in seinem Werk geschenkt hat. Dabei hat er nicht nur im Anschluss an Kant eine eigenwillige ästhetische Theorie des Erhabenen entworfen, sondern die Notwendigkeit zu urteilen stets auch als politisches und ethisches Problem begriffen. Der berühmte Abgesang auf die „großen emanzipatorischen Erzählungen“, seien sie im kapitalistischen, marxistischen oder klassisch aufklärerischen Geist vorgetragen, war nicht mit einer Preisgabe des Ziels der Gerechtigkeit einhergegangen. Dieser Versuchung war Lyotard zu Beginn der 1970er Jahre zeitweilig erlegen, als er in seiner Philosophie normative Kriterien durch das libidinöse Konzept der Intensität ersetzen wollte. Diese Konzeption, die nicht mehr in der Lage war, in begründeter Form zwischen „gut“ und „schlecht“ zu unterscheiden, musste zu eben der relativistischen Haltung führen, welche der Postmoderne so oft vorgeworfen wird. Diese Phase verstand Lyotard später als notwendiges Purgatorium, das sich an seinen Bruch mit dem radikalen Marxismus angeschlossen hatte.8 Die Anerkennung des Problems der Gerechtigkeit findet sich explizit zum ersten Mal im 1979 erschienenen, mit Jean-Loup Thébaud geführten Dialog Au juste. Dass dieses aufschlussreiche Gespräch bis heute nicht ins Deutsche übersetzt worden ist und in der englischen Fassung den irreführenden Titel Just gaming erhielt, hat möglicherweise dazu beigetragen, dass die ethischpolitische Dimension des lyotardschen Denkens häufig übersehen wurde. Für Lyotard ist Gerechtigkeit durch einen theoretischen Diskurs nicht mehr eindeutig zu fixieren. Der traditionellen politischen Theorie (auch Marx) wirft er vor, Gerechtigkeit zu häufig nach dem Modell der platonischen Idee konzipiert zu haben, als Idealzustand, an dem die Wirklichkeit zu messen wäre. Dieser Übergang vom Wahren zum Richtigen sei nicht mehr akzeptabel.9 Nun lässt sich schwerlich behaupten, dass sich die Theo­ riebildung der politischen Philosophie seit Platon nicht weiterentwickelt hätte, aber das grundlegende Vorhaben, ein Modell der gerechten Gesellschaft zu entwickeln, findet sich noch bei jenen Philosophen, welche den großen gerechten Ordnungsentwurf des Gemeinwesens am Reißbrett dem 8  Vgl.

Jean-François Lyotard in: van Reijen / Veerman, Aufklärung, S.  154. An juste, S.  62 ff.

9  Lyotard / Thébaud,

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bescheideneren Prozeduralismus der Verfahrensgerechtigkeit geopfert haben.10 Lyotard hingegen verwirft jeden Versuch, Gerechtigkeit als Modell zu verstehen, und schon gar nicht „im Sinne einer universellen Gesetzgebung, die erlaubt, in all diesen Fällen zu entscheiden, was man zu tun und was man zu lassen hat“.11 Das heißt aber nicht, dass das Streben nach Gerechtigkeit aufgegeben werden muss: „[D]ie wirklich ethische Fragestellung taucht erst dann auf, wenn keine Regeln vorgegeben sind und man trotzdem urteilen muss, d.  h. man hat sich, ob bewusst oder unbewusst, als gerecht zu erweisen, ohne dafür Regeln oder Kriterien an der Hand zu haben“.12 Diese Aufgabe hatte schon Arendt formuliert, wenn auch mit anderem Impetus. Hatte Arendt im regellosen Urteilen nach der Katastrophe vor allem die Notwendigkeit gesehen, einen neuen Sinnzusammenhang für das alltägliche Handeln zu entwerfen, betont Lyotard die ethische Verpflichtung eines gerechten Beurteilens. Das postmoderne Interesse an der Urteilskraft liegt somit auf der Hand. Erstens ist sie das Vermögen, welches der Besonderheit des Einzelnen gerecht werden muss, wenn die universelle Verbindlichkeit von Theorien oder moralischen Gesetzen, aus welchen Gründen auch immer, nicht greift. Zweitens geht mit seinem Ausüben ein untilgbares Moment der Kontingenz einher, das postmoderne Philosophen fröhlicher begrüßen können als auf eine hinreichende Begründung abzielende Universalisten. Dem strukturellen Begründungsdefizit des Urteilens hat sich vor allem Jacques Derrida in seiner Dekonstruktion der Rechtsphilosophie gewidmet. II. Das Begründungsdefizit des Urteils oder die Aporie der Regel Mit seiner Rehabilitierung der Urteilskraft in Au juste hatte Lyotard den Grundstein dafür gelegt, dass sich auch andere postmoderne Philosophen diesem zuvor lange vernachlässigten Vermögen zuwandten. Lyotards Frage nach der Urteilskraft diente wenige Jahre später auf einem Kolloquium in Cerisyla-Salle als Ausgangspunkt einer philosophischen Debatte, an der sich neben 10  John Rawls etwa hat seine Theorie der Gerechtigkeit als Fairness an den Gedanken der reinen Verfahrensgerechtigkeit geknüpft (vgl. Rawls, Theorie, S.  142). Da es hier keinen unabhängigen Maßstab für eine gerechte Entscheidung gibt (man muss nicht nur an Verteilungsfragen denken), wird „ein korrektes oder faires Verfahren“ gesucht, das zumindest zu ebenso fairen Ergebnissen führen soll (ebd., S.  107). Analog wird der fiktive Urzustand bei Rawls so konzipiert, dass er faire Vereinbarungen garantieren soll (ebd., S.  142). Die Bestimmung der jeweiligen Verfahrensregeln, ob in der rawlsschen Variante des politischen Liberalismus oder bei diskursethischen Ansätzen, ist dabei freilich immer an substantielle Gerechtigkeitsvorstellungen gebunden (vgl. Rawls, Reply, S.  421 f.). 11  Lyotard, Lyotard (im Gespräch), S.  117. 12  Vgl. ebd. (im Gespräch), S.  115 f.



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Lyotard selbst auch Jacques Derrida, Jean-Luc Nancy und Philip­pe LacoueLabarthe beteiligten. Schon in seinem damaligen Beitrag, der Kafka-Exegese Préjugés, die sich auf dessen Text Vor dem Gesetz bezog, hatte Derrida darauf hingewiesen, dass kein einziges Urteil als ein­faches Befolgen einer Regel zu verstehen sei: „Wenn die Kriterien einfach verfügbar wären, wenn das Gesetz präsent wäre, da, vor uns, dann gäbe es kein Urteil(en). Es gäbe höchstens Wissen, Technik, Anwendung eines Codes, Anschein von Entscheidung, falschen Prozess oder wiederum Erzählung […]. Es bestünde kein Grund zu urteilen – oder sich wegen des Urteils zu sorgen“.13 Dass dies keine originelle Entdeckung Derridas war, belegt schon folgende Reflexion Kants: „Das Verfahren nach einer Regel, welches keiner Urteilskraft bedarf, ist mechanisch“.14 Jedes Urteil ordnet ein Besonderes einem Allgemeinen unter. Wenn das Allgemeine (der Begriff, die Regel, das Gesetz) schon vorhanden ist, geht die Urteilskraft bestimmend vor, indem sie das Besondere darunter subsumiert. Reflektierend wird sie tätig, wenn sie ein passendes Allgemeines zu einem Besonderen erst suchen muss.15 Wie Lyotard hat sich auch Derrida, in Gesetzeskraft, mit den Bedingungen und Möglichkeiten eines gerechten Urteils beschäftigt. Er betont hier die unaufhebbare Differenz von Recht und Gerechtigkeit, da sich letztere niemals in der Form eines allgemeinen Gesetzes kodifizieren lasse: „Wie soll man den Akt der Justiz [acte de justice], der stets ein Besonderes in einer besonderen Lage betrifft, Individuen, Gruppen, unersetzbare Existenzen, mich, einen / den / als anderen, mit der Regel, der Norm, dem Wert oder dem Imperativ der Justiz in Einklang bringen, wenn diese zwangsläufig eine allgemeine Form aufweisen […]“?16 Diese Klage über die Starrheit des Gesetzes ist aber so alt wie die Rechtsphilosophie selbst – schon Platon hatte im Politikos über sie geklagt und den guten Herrscher als überrechtliche Instanz dazu befugt, die Gesetze im Sinne der Gerechtigkeit auszulegen und zu korrigieren.17 Derrida fasst diese „Erfahrung dessen, was dem Berechenbaren, der Regel nicht zugeordnet werden kann“,18 als eine Aporie der richterlichen Urteilsfindung auf, da die 13  Derrida,

Préjugés, S.  22 f. Anthropologie, S.  411 (Reflexion 924). Vgl. auch Wieland, Urteil und Gefühl, S.  173. 15  Kant, Kritik der Urteilskraft, B XXV f. 16  Derrida, Gesetzeskraft, S.  35. 17  Der „Fremde“, Sokrates’ Dialogpartner im Politikos, vergleicht das Gesetz mit einem „starrköpfigen, ungebildeten Menschen, der niemandes Willen neben dem seinigen gelten lässt“. Die Macht dürfe deshalb nicht in den Gesetzen liegen, „[w]eil ein Gesetz niemals alle denkbaren Fälle in genauer Anpassung umfassen und so allen das Heilsamste vorschreiben kann“ (Platon, Politikos, 294 a, b.). Vgl. auch Menke, Dekonstruktion. 18  Derrida, Gesetzeskraft, S.  49. 14  Kant,

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Unentscheidbarkeit des Einzelfalls der Notwendigkeit der Entscheidung gegenübertritt. Aber selbst wenn das Gesetz scheinbar eindeutig für den Einzelfall geeignet wäre, kann man der aporetischen Struktur des Urteils nicht entkommen, weil es eben nicht einem mechanischen Verfahren entspricht. Damit ein Urteil gerecht genannt werden darf, muss es eine begründete Entscheidung sein, die mit einer Deutung einhergeht. Dieses fresh judgment, wie es Derrida nennt, muss also letztlich einer Regel unterstehen (da ein Gesetz angewandt werden soll), andererseits aber ohne Regel auskommen.19 Der Grund für die Aporie liegt folglich in der grundsätzlichen, jedes Urteil betreffenden Tatsache, dass eine Regel nicht ihre eigene Anwendbarkeit regeln kann. Man kann die Anwendung einer Regel höchstens mit Berufung auf eine andere Regel begründen, gerät dadurch aber leicht ersichtlich in einen infiniten Regress. Diese Aporie verdeutlicht auch, dass die vorrangig einleuchtende Unterscheidung zwischen bestimmender und reflektierender Urteilskraft nicht so unproblematisch ist, wie sie erscheint. Der Richter kann sich nämlich nie auf die rein bestimmende Urteilskraft verlassen, da er immer zunächst die Angemessenheit einer Norm (als Auswahl unter Alternativen) reflexiv prüfen muss: „Die Subsumtion des Falles unter diese Norm und seine Bestimmung durch sie ist deshalb auch hier nur das Schlussglied eines vorrangig von der reflektierenden Urteilskraft gewirkten Handlungsstranges. Insofern bleibt die urteilende Instanz den juristischen Gesetzen auch wieder vorgeordnet“.20 Dem Begründungsdefizit kann also aus strukturellen Gründen nie ganz entkommen werden. Im Moment der Entscheidung ist die Urteilskraft letztlich auf sich allein gestellt und kann sich bei keiner übergeordneten Instanz absichern. Das aporetische Wesen des Urteils hat Derrida auch als „postmoderne Signatur“ bezeichnet.21 Sie muss diejenigen Vertreter der Moderne beunruhigen und die Relevanz der Urteilskraft zu disqualifizieren suchen, welche das kontingente Moment der nicht hinreichenden Begründung nicht hinnehmen wollen. Allerdings bedurfte es nicht der derridaschen Dekonstruktion des Rechts, um die Inkongruenz von Recht und Gerechtigkeit aufzuweisen. Die aufgeklärte Rechtsphilosophie hat schon lange gelernt, das Recht als normativen Diskurs reflexiv zu begreifen.22 19  Ebd.,

S.  47. Urteil und Gefühl, S.  169. Hannah Arendt spricht in einer Kant-Notiz ihrer Denktage­bücher von einem „Rätsel“ der Urteilskraft: „Wenn Urteilen Subsumieren heißt, so ist eigentlich ‚wiederum eine andere Urteilskraft erforderlich  …, um unterscheiden zu können, ob es der Fall der Regel sei oder nicht‘. (Dies besagt eigentlich, dass es eben nur eine ‚reflektierende‘ Urteilskraft gibt!)“; vgl. Arendt, Denktagebuch, S.  571. 21  Derrida, Préjugés, S.  27. 22  Vgl. Gehring, Gesetzeskraft. 20  Wieland,



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III. Die unmögliche Regelung des Widerstreits Lyotard nimmt nicht die Aporie von regellosem und geregeltem Urteilen zum Ausgangspunkt, der sich jeder Schiedsspruch aussetzen muss. Dass es keine absolut sichere Basis für ein Urteil gibt, keine sich selbst anwendende Regel oder ein sich selbst begründendes Kriterium, ist kein postmodernes credo, sondern common sense. Lyotard betrachtet nun den besonderen Fall eines Urteilens, das gänzlich ohne Kriterien auskommen muss. Man befinde sich zunehmend in der „Position eines Richters, der kein Gesetzbuch mehr hat“.23 Der Rückgriff auf das kantische Verständnis der reflektierenden Urteilskraft ist hier naheliegend, zumal Lyotard eine entscheidende Analogie zwischen Kunst und Politik konstatiert, da beide Felder, „wenn auch auf je verschiedene Weise, von der Vorherrschaft jener Diskursgattung ausgenommen sind, die man kognitiv nennt. Mit den Worten Kants bedeutet eine solche Ausnahme, dass wir keine Verwendung für solche Urteile haben, die er bestimmende Urteile nennt“.24 Eine der schwierigsten Situationen für eine solche Urteilsfindung lag für Lyotard während des Algerienkriegs vor. Als analytischer Chronist der Ereignisse für die Gruppe Socialisme ou Barbarie musste er zu einem Urteil über die algerische „Befreiungsbewegung“ gelangen – das Kriterium des Rechts auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung erwies sich als wenig hilfreich, da sich die Züge einer algerischen Militärdiktatur schon abzeichneten.25 Das Problem der fehlenden Urteilsregel stellt sich für Lyotard aber auch auf einer abstrakteren und nun genuin postmodernen Ebene, da es mit seiner Ablehnung einer Metasprache einhergeht. Darauf hatte er schon in Au juste hingewiesen26 und später diese Überlegung zum Ausgangspunkt seines Hauptwerkes Le différend gemacht. Lyotards dort formulierte Sprachphilosophie geht von singulären Satzereignissen aus, die bestimmten Ordnungen unterstellt sind. Hierzu zählen zum einen Satzregelsysteme (régimes de phrases), welche die Sätze nach einem bestimmten Modus formen (argumentieren, erklären, zeigen, erzählen etc.), zum anderen gibt es Diskursarten (genres de discours), welche die Sätze nach einem Ziel verketten, das beispielsweise Wissen, Unterrichten, Rechtfertigen, Beurteilen heißen kann. Problematisch ist diese Verkettung, weil sie vollkommen kontingent ist und die Diskursarten selbst nicht mehr einem reglementierenden Meta-Diskurs unterstehen. Hier liegt die grundlegende Ursache für das Auftauchen eines sogenannten Widerstreits (differend). Lyotard konstatiert nämlich die abso23  Lyotard,

Lyotard (im Gespräch), S.  117. Streifzüge, S.  49. 25  Ebd., S.  57 ff. 26  Lyotard / Thébaud, An juste, S.  73. 24  Lyotard,

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lute Heterogenität der Diskursarten (und auch der Satzregelsysteme), die also eine je eigene Funktionslogik aufweisen und nicht ineinander übersetzbar sind.27 Politisch relevant wird diese Heterogenität schließlich dann, wenn man die Sätze nicht als bloße Ereignisse auffasst, sondern als Sprechakte, in denen verschiedene Geltungsansprüche artikuliert werden.28 Lyotard legt diese Interpretation nahe, wenn er gleich im ersten Satz des Fiche de lecture den Widerstreit als „Konfliktfall zwischen (mindestens) zwei Par­ teien, der wegen des Fehlens einer Urteilsregel, die auf beide Argumenta­ tionen anwendbar wäre, nicht gerecht gelöst werden kann“, definiert.29 Die Ansprüche müssen dabei nicht im argumentativen Genre vorgebracht werden, aber es sollte um die Anerkennung von Ansprüchen gehen, um das ethische Vokabular eines „Unrechts“ (tort) zu rechtfertigen, das Lyotard verwendet.30 Versuchen die beteiligten Parteien, ihren Konflikt im Rahmen derselben Diskursart zu regeln, handelt es sich um einen Rechtsstreit (litige), der zwar einer der Konfliktparteien einen Schaden (dommage) zufügen kann – irreparabel ist dieser jedoch nicht, weil die Regeln des von allen Seiten akzeptierten Rechtsstreits eine permanente Revision zulassen (der litige ist hierbei nicht im strengen juristischen Sinn zu verstehen). Bei einem Widerstreit jedoch wird zumindest einer der Konfliktparteien eine Urteilsregel auferlegt, die sie im Rahmen der von ihr verwandten Diskursart nicht akzeptiert. Solche Fälle entstehen also, wenn die Parteien nicht nach den gleichen Spielregeln spielen, es aber trotzdem zu einem nach bestimmten Regeln gefassten Urteil kommt. Da es nun keine Metaregel gibt, die über die Legitimität der heterogenen Diskursarten entscheiden könnte, ist das Urteil also notwendig mit einem Unrecht (tort) verbunden, das keineswegs als harmlos zu betrachten ist: „Die Relevanz von Lyotards Ansatz wird deutlich, wenn man Problemfälle untersucht. Im Grunde stehen in diesen sprach­analytischen Untersuchungen die Differenzen von Lebensformen, Handlungsweisen, Kulturmustern, Denkansätzen und Weltkonzeptionen zur Debatte“.31 Damit sind zentrale Problemfelder des politischen Alltags betroffen. Beispiele führt Lyotard selbst an. Der Widerstreit zwischen den 27  Lyotard,

Le différend, S.  10 f. Gedankengänge, S.  272. 29  Lyotard, Le différend, S.  9. 30  Lyotards Unrechtsbegriff ist nicht ganz eindeutig, da er zwischen einer modallogischen (jedem nicht artikulierten Satz geschieht Unrecht, da sich an seiner statt ein anderer ereignet) und einer ethischen Bedeutung schwankt (vgl. Waldenfels, Gedankengänge, S.  271). Während es ein naturalistischer Fehlschluss ist, die Kontingenz der Verkettung Unrecht zu nennen, steht bei Lyotard aber auch das ethische Unrecht im Mittelpunkt. 31  Welsch, Vernunft, S.  315. 28  Waldenfels,



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modernen Legitimationserzählungen, die eine politische Ordnung mit einer universellen Idee begründen (wie die Menschenrechtserklärung von 1789), und traditionalen Gemeinschaften, die ihre Identität aus dem narrativen Genre beziehen, berührt das aktuelle Problem des Multikulturalismus.32 Weiteres Unrecht ist in der Geschichte geschehen, weil die Klägerpartei ihre Ansprüche nicht im herrschenden Idiom ausdrücken konnte. Der Kläger wird hier zum Opfer, weil er nicht einmal formulieren und beweisen kann, dass ihm Unrecht geschieht. Die Angeklagten der Moskauer Prozesse konnten ihre Identität der dissidenten Kommunisten nicht artikulieren, da die Regel galt: „Wenn Sie Kommunist sind, sind Sie mit dem Politbüro einverstanden; wenn Sie nicht mit dem Politbüro einverstanden sind, sind Sie kein Kommunist“.33 Wie überzeugend oder dubios man diese Beispiele im Einzelfall auch findet – laut Lyotard kann es unter diesen Bedingungen nicht mehr die politische Aufgabe sein, eine konsensuale Gerechtigkeitskonzeption zu formulieren, welche die verschiedenen Fälle des Widerstreits unzulässig auflöst. Dies wäre für Lyotard eine Politik, die sich als übergeordnetes Genre missverstände und Meta-Regeln entwürfe. Statt ihn zu lösen, gelte es vielmehr, den Widerstreit zu exponieren, ihn darzustellen und damit Fälle von Unrecht aufzudecken.34 Der Philosoph wäre also zunächst „ein Hüter der Heterogenität und ein Wächter der Inkommensurabilität“.35 Dieses Bild erscheint vielen Kritikern Lyotards als problematisch. Lyotard hat in Le différend die heterogenen Diskursarten als Inseln eines Archipels bezeichnet, zwischen denen ein Admiral, in Analogie zur kantschen Urteilskraft, vermittelnd navigiert und erzählt, was er angetroffen hat.36 Der Vorwurf lautet, der Philosoph fungiere, wenn er Fälle des Widerstreits exponiert, als eine MetaInstanz, die in Lyotards Konzeption der inkommensurablen Sprachspiele eigentlich ausgeschlossen sei. Wolfgang Welsch sieht diesen Schritt zwar als widersprüchlich, aber dennoch notwendig an: „Offenbar muss es zwischen den Diskursarten – bei aller Heterogenität – auch eine Vergleichs- und Übergangsmöglichkeit geben, sonst könnte man ihre Heterogenität nicht einmal feststellen, ja sonst vermöchten die Vertreter heterogener Optionen gar nicht miteinander zu sprechen“.37 Die postulierte Inkommensurabilität der Diskursarten berührt aber gar nicht die allgemeine Gültigkeit des Logischen, das sich nicht wie die Vernunft in verschiedene Rationalitäten zer32  Lyotard,

Le différend, S.  211. Judicieux, S.  231. 34  Lyotard, Le différend, S.  206. 35  Welsch, Vernunft, S.  336. 36  Lyotard, Le différend, S.  189 ff. 37  Welsch, Vernunft, S.  324. 33  Lyotard,

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splittern lässt. Richard Rorty hat in einer Diskussion mit Lyotard auf eine Ambivalenz von dessen insularem Sprachmodell hingewiesen, indem er zwischen der plausiblen These, dass es keine universelle Sprache gebe, in die sich jedes Idiom oder jede Theorie neutral übersetzen ließe, und der unhaltbaren These, dass es unerlernbare Sprachen gebe, unterschied.38 Lyotard hat diesen Einwand in einer späteren Betrachtung zumindest implizit akzeptiert und präzisiert, dass er das Problem der Heterogenität und Inkommensurabilität der Diskursarten auf einer anderen Ebene sehe. In Bezug auf die kantschen Kritiken erklärt hier Lyotard, „dass die Neuheit, die durch den Kritizismus eingeführt wird, darin [liegt], dass die Regeln der ethischen oder ästhetischen Diskussion nicht weniger universell gültig sind als jene, die die Erkenntnis bestimmen. Aber sie unterscheiden sich von diesen letzteren, und sie unterscheiden sich voneinander. Die Einheit der Vernunft scheint also zerstört zu sein, es gibt mehrere Arten von Universalität. Zwei Gesprächspartner, von denen der eine in der Argumentation nach der von Kant definierten kognitiven Rationalität vorgeht und der andere nach der ethischen (oder ästhetischen) Rationalität, können nicht zu einer gemeinsamen Überzeugung gelangen, da es keine gemeinsame transzendentale Grammatik gibt. Dank des reflexiven ­Urteils können sie sich nur über die Heterogenität dieser beiden Prozeduren des Denkens einigen“.39

Demnach gibt es also tatsächlich die Möglichkeit, reflexiv die Alterität von Diskursgenres oder Sprachspielen festzustellen. Das bedeutet aber laut Lyotard nicht, dass es eine Metasprache gäbe, „die in der Lage wäre, ohne Rest all die Bedeutungen in sich aufzunehmen, die in den besonderen Sprachen niedergelegt sind“.40 Diese moderne Vorstellung ist für ihn eine „Vernunftverwirrung“. Auch, wenn die sprachlichen Voraussetzungen für eine Aufdeckung des Widerstreits somit gegeben zu sein scheinen, erwächst aus der Detektion der Heterogenitäten noch keine Meta-Regel, welche den différend zu lösen vermöchte. Da Lyotard eine inflationäre Zunahme an Diskursarten konstatiert, wäre es immer schwieriger, sich gerecht zu verhalten.41 Um den Widerstreit überhaupt zu erkennen, bedarf es schon gehöriger Kompetenzen und Tugenden. Lyotard nennt im Grabmal des Intellektuellen die Pflicht zu „Geschmeidigkeit, Toleranz und ‚Wendigkeit‘“, Eigenschaften, die „nicht länger das Gegenteil von Strenge, Aufrichtigkeit und Kraft, Rorty, Cosmopolitisme. Postmoderne Moralitäten, S.  116. 40  Lyotard, Postmoderne für Kinder, S.  89. 41  Lyotard, Lyotard (im Gespräch), S.  116. Auch wenn sich Habermas nicht explizit mit Lyotard auseinandersetzt, kommt er ihm doch zumindest entgegen, wenn er vorbringt, es gebe „keinen Metadiskurs, auf den wir uns zurückziehen könnten, um die Wahl zwischen verschiedenen Formen der Argumentation zu begründen“ (Habermas, Diskursethik, S.  117 f.). 38  Vgl.

39  Lyotard,



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sondern deren Steckbrief“ sein sollen.42 Bei der Urteilsfindung jedoch kann das Aufspüren des Widerstreits nur ein erster Schritt sein. Das Problem bleibe bestehen, wie Lyotard in Au juste bemerkt, dass man zunehmend, ob im Bereich von Ästhetik, Ethik oder Politik, in der Situation des aristotelischen phronimos, des Klugen sei, der seine Urteile ohne feste Kriterien zu fällen vermochte.43 Hier gilt es zunächst zu prüfen, inwiefern der Bezug auf die aristotelische Tugenderörterung als adäquat anzusehen ist und ob hier ein möglicher Ausweg einer postmodernen Urteilskonzeption zu sehen ist. IV. Die praktische Klugkeit der phronēsis In der Nikomachischen Ethik erklärt Aristoteles, dass das menschliche Handeln selbstverständlich an einen orthos logos gebunden sein müsse, was mit „rechter Vernunft“, „rechtem Plan“, aber auch mit „richtiger Regel“ übersetzt werden kann.44 Zugleich beeilt er sich zu sagen, dass man von seiner Abhandlung keinen festen Regelkatalog erwarten dürfe, den man beim Fällen praktischer Entscheidungen mechanisch zur Rate ziehen könne: „Das aber möge im Voraus als zugestanden gelten, dass jede Theorie der Sittlichkeit nur allgemeine Umrisse liefern und nichts mit unbedingter Bestimmtheit vortragen darf. […] Was aber dem Bereich des sittlichen Handelns und des im Leben Nützlichen (tais praxesi kai ta sympheronta) angehört, hat nichts an sich, was ein für allemal feststände […] Und wenn das schon für die allgemeinen Regeln gilt, so lässt das Einzelne und Konkrete noch weniger genaue und absolut gültige Vorschriften zu, da es unter keine Kunst und keine Lehrüberlieferung fällt. Hier muss vielmehr der Handelnde selbst wissen, was dem gegebenen Fall entspricht, wie dies auch in der Heilkunst und in der Steuermannskunst geschieht“.45

Nicht alle dianoetischen, also Verstandestugenden, die Aristoteles in Buch VI der Nikomachischen Ethik vorstellt, sind dem Handelnden bei dieser richtigen Wahl eine Hilfe. Wissenschaft bzw. Erkenntnis (epistēmē), intuitiver Verstand (nous) sowie die höchste Form des theoretischen Wissens, die Weisheit (sophia), haben je für sich mit dem Ewigen und Unveränderlichen zu tun. Thales und Anaxagoras würden beide für weise gehalten, andererseits aber auch für schlechte Ratgeber, „weil sie nicht die irdischen Güter suchen“.46 Diese irdische Welt des Handelns ist aber durch wandelnde Um42  Lyotard,

Grabmal, S.  18. An juste, S.  46 ff. 44  Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1103b31 ff. Originalpassagen werden nach der Ausgabe von I. Bywater zitiert. Letztere Variante (richtige Regel) schlägt Dorothea Frede vor (vgl. Frede, Auf Taubenfüßen). Auch Pierre Aubenque vertritt diese Auffassung (vgl. Aubenque, Prudence, S.  50). 45  Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1103b34 ff. 46  Ebd., 1141b4 ff. 43  Lyotard / Thébaud,

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stände und Kontingenz geprägt, so dass hier nicht erkennende, sondern beratende (bouleutikon) Tugenden gefragt sind. Hierzu ist die technē zu zählen, das technische Wissen des Handwerkers. Wo es aber nicht um die Herstellung von Produkten, sondern um das richtige Handeln geht, benötigt man phronēsis. Sie ist „solidarisch“ mit einer Ontologie der Kontingenz, wie sie Pierre Aubenque detailliert beschrieben hat, und ist deshalb für heutige Leser sehr aktuell.47 Nötig wird sie bei einzelnen konkreten Problemen, wie sie gerade im Feld des Politischen vorherrschen. In der Praxis ist eine Beurteilung des Besonderen gefordert, manchmal eine Regelung einzigartiger Fälle und Probleme, bei denen allgemeine Leitprinzipien kaum weiterhelfen. Diese Tugend der phronēsis kann man am treffendsten mit „Klugheit“ übersetzen,48 wenn man diese in einem moralischen Sinn auffasst und nicht als bloß auf den eigenen Vorteil bedachte kalkulierende cleverness. Die phronēsis trifft keine zweckrationalen Entscheidungen, sondern ist eher ein praktischer Sinn für das Gute.49 Wenn Aristoteles an einer vieldiskutierten Stelle sagt,50 dass die Tugend (aretē) das Ziel (telos) bestimme, während die Klugheit den Weg dazu finde (ta pros to telos), möchte er die phronēsis nicht zur instrumentellen Vernunft, zur bloßen Mittelwahl degradieren. Letztere wäre als Geschicklichkeit (deinotēs) zu bezeichnen, welche von der Wahl des Guten absieht.51 Tugend und Urteilskraft, Ethos und dianoia sind demgegenüber beim klugen praktischen Handeln untrennbar. V. Urteilen ohne Kriterien? Damit ist aber noch nicht viel über die Funktionsweise der Klugheit ausgesagt. Ist sie wirklich als Urteilen ohne Kriterien anzusehen, wie Lyotard meint? Die Notwendigkeit des orthos logos, der richtigen Orientierung bleibt bestehen. Die Kriterien bestimmt Aristoteles, wie angekündigt, nicht direkt und allgemeingültig, sondern auf Umwegen, indem er auf das Vorbild des tugendhaften Menschen verweist, der das lebendige Kriterium für kluges Handeln ist. Der kluge Mann wird also nicht über eine allgemeine Definition der phronēsis identifiziert, sondern umgekehrt. Als Ausgangspunkt der praktischen Vernünftigkeit dient das Beispiel eines abwägenden, Aubenque, Prudence, S.  60 ff. Ottmann, Die Griechen, S.  154 ff. 49  Vgl. Hans-Georg Gadamer in: Aristoteles, Nikomachische Ethik VI (Gadamer), S.  6. 50  Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1145a5 f. 51  Ebd., 1144a23 ff. 47  Vgl. 48  Vgl.



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urteilenden Menschen, was einen Kontrast zur modernen Ethik bedeutet, die häufig auf kategorische Aussagen setzt, die unabhängig von einem Subjekt Geltung beanspruchen. Bei Aristoteles bestimmt jedoch der Kluge die kontingenten, nicht allgemeinen Regeln.52 Diesen nennt er bisweilen spoudaios (den Eifrigen und Tüchtigen), während er in der Nikomachischen Ethik vom exemplarischen phronimos spricht, vom klugen Menschen. Während es in beiden Fällen um das Vorleben der richtigen Regeln geht, verweist die Rede vom phronimos auf die intellektuelle Qualität der richtigen Entscheidungsfindung: „Der Kluge dient nur als Beispiel, weil er mit einer kritischen Intelligenz ausgestattet ist“.53 Es braucht also mehr als Erfahrung, die laut Aristoteles wichtig für das Treffen richtiger Entscheidungen ist, aber eben auch mehr als Scharfsinn. Der phronimos kann nur klug urteilen, wenn er einen entsprechenden Lebensplan hat und sich auf das Gute versteht. Er „scheint sich also darin zu zeigen, dass er wohl zu überlegen weiß, was ihm gut und nützlich ist (kalōs bouleusasthai peri ta autō agatha kai sympheronta), nicht in einer einzelnen Hinsicht, […] sondern in Bezug auf das, was das menschliche Leben gut und glücklich macht“.54 Insofern zielt die Klugheit auch auf das Wohl der Gemeinschaft, auf die Sittlichkeit der polis, deren Produkt der Kluge wiederum ist. Denn seine Urteilskraft beruht eben nicht nur auf Intelligenz, sondern ist ein vom Ethos der Gemeinschaft geprägter Habitus (hexis), der aber nicht auf die bloße Übernahme traditionaler Wertmaßstäbe hinausläuft. Die Sitten können zwar durchaus in manchen Fällen als „relative Allgemeinheiten“55 dienen; vor einer blinden Aneignung schützt aber die Vielfältigkeit der phronēsis, zu der das essentielle Element der Wohlberatenheit (euboulia) zu zählen ist. Diese deliberative Komponente muss dann letztlich die Vermutung begründen, „dass sich der Mensch kraft der ethischen Reflexion immer auch in eine Distanz zu sich, seinem faktischen Handeln und seinem faktischen Ethos setzt“.56 Inwieweit die Klugheit diese Distanzierung wirklich vornehmen kann, ist seit jeher ein Streit der praktischen Philosophie. Die kantische Moralphilosophie (und in ihrem Windschatten die Diskursethik) haben der „eingebetteten“ Klugheit stets misstraut und ihr deliberatives Potential der Universalisierungsprüfung vor einer subjektiven oder intersubjektiven Vernunft unterstellt. In den letzten Jahren wurden Versuche zur Rehabilitierung einer (als vernünftig und ethisch verstandenen) Klugheit wieder selbstbewusster Charland, Postmodern Prudence, S.  263. Prudence, S.  50. 54  Aristoteles, Nikomachische Ethik, 1140a25 ff. 55  Ottmann, Die Griechen, S.  157. 56  Höffe, Ethik und Politik, S.  55. 52  Vgl.

53  Aubenque,

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vorgetragen. Wolfgang Kersting spricht in der Einleitung des von ihm herausgegebenen Sammelbandes zu Konzeptionen der Klugheit von der Hoffnung, „die im Normativen wie im Deskriptiven zuhauf anzutreffenden epistemologischen Mängel moderner praktischer Philosophie zu beseitigen, ein umfassenderes Verständnis von praktischer Vernünftigkeit zu gewinnen und ein angemesseneres Praxiskonzept zu entwickeln“, damit die „in die weltfremden Randbezirke des Naturalen und Supranaturalen geschickte Vernunft in die Lebensmitte alltäglichen Handelns“ zurückkehren könne.57 Paul Ricœur hat vor einigen Jahren den Versuch unternommen, mit dem Konzept der kritischen phronēsis (die er etwas unglücklich auch praktische Weisheit [sagesse pratique] nennt) eine „kleine Ethik“ zu schaffen, welche die aristotelische Klugheit mit der kantischen Moralität und der hegelschen Sittlichkeit versöhnt.58 Ob kantisch oder aristotelisch, hinter den diversen ethischen Konzeptionen steht das Ziel, sich mit der Kriterienlosigkeit der Urteilskraft nicht abzufinden. Beide Wege erweisen sich für postmoderne Theoretiker, insbesondere Derrida und Lyotard, als nicht gangbar. Der Versuch der Universalisierbarkeit von Aussagen und Urteilen wird stets bestenfalls als hoffnungslos interpretiert, schlimmstenfalls als unzulässige Repression von Differenz. Modelle deliberativer Demokratie etwa versuchen, die Vorurteile und Präferenzen diskursiv zu reinigen: „Damit werden sie in eine allgemeine Sprache übersetzt: eine Sprache von Gründen, auf deren Basis gemeinsame Urteile möglich sind. Diese Urteile sind im kantischen Sinne ‚reflektierend‘: Sie steigen von individuellen Perspektiven zu einer gemeinsamen auf, die weder die Summe der einzelnen noch die Perspektive eines Gesamtsubjekts ist“.59 Abgesehen davon, dass Lyotard mit dieser Interpretation der reflektierenden Urteilskraft kaum einverstanden wäre, ist schon das Postulat einer allgemeinen Metasprache nicht mehr mit der Philosophie des Widerstreits zu vereinbaren. Zwar bietet Lyotards Konzeption durchaus den Platz für das wechselseitige Anbringen und Prüfen von Gründen. Wenn sich aber einer oder mehrere der Gesprächsteilnehmer nicht im argumentativen Diskursgenre bewegen, wird es laut Lyotard nicht möglich sein, ihre Ansprüche oder Urteile entsprechend zu übersetzen – deswegen ist Lyotard ja auf der Suche nach einer Gerechtigkeit jenseits des Konsenses.60 Aber auch die aristotelische Bindung an das Ethos einer Gemeinschaft stellt ein Problem dar. Derrida spürte dies wohl, als er über Lyotards Aristoteles-Auslegung in Au juste bemerkte, er wisse nicht, „ob der Gerechte klug genug ist, wenn er 57  Kersting,

Klugheit, S.  10. Ricœur, Soi-même, S.  199 ff. 59  Forst, Kontexte, S.  197 (Herv. im Orig.). 60  Vgl. Lyotard, La condition, S.  106. 58  Vgl.



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vorgibt, sich hierin mit dem Klugen bei Aristoteles zu identifizieren. Man wird ihn nicht nach seinem Kriterium fragen“.61 In seinen späteren Texten hat sich Lyotard, um Missverständnisse zu vermeiden, eher auf das Vermögen der reflektierenden Urteilskraft gestützt, um seine Konzeption eines Urteilens ohne Kriterien zu verdeutlichen. So blieb ihm die Auseinandersetzung mit gewissen Voraussetzungen der antiken Philosophie erspart, die für sein Anliegen irrelevant oder sogar irreführend wären. Wenn Lyotard das kriterienlose Vermögen der phronēsis lobt, findet sich bei ihm keine Referenz zur Sittlichkeit, welche die Tugenden des phronimos zu entwickeln mithilft. Insbesondere der Bezug auf eine wohlgeordnete polis, die Aristoteles nicht mehr voraussetzt, aber anstrebt, muss ihm schon verdächtig vorkommen. Sein Augenmerk gilt nicht primär den Bürgern der Stadt, sondern den Ausgeschlossenen, den Metöken und dem ländlichen pagus.62 Allerdings verhindert Lyotards kategorische Weigerung, Gerechtigkeit als Modell zu begreifen, das Aufstellen eines generellen Kriteriums, das in seiner demokratischen Variante etwa die Einbeziehung der Marginalisierten fordern könnte. Sowohl Derrida als auch Lyotard untergraben letztlich die Möglichkeit eines rationalen und verantwortlichen Urteilens, das auch ohne Letztbegründung anzustreben wäre. Derrida hat aus der Aporetik des Urteilens den schwer hinnehmbaren Schluss abgeleitet, dass der Augenblick der Dezision stets „in der Nacht des Nicht-Wissens und der Nicht-Regelung“ erfolge.63 Somit sei der Augenblick der Entscheidung, in Anlehnung an Kierkegaard, als „Wahn“ zu bezeichnen, da das Urteil stets überstürzt und nicht hinreichend begründet gefällt werden müsse. Dass dieser Wahn nicht nur für den Schiedsspruch des Richters, sondern generell für ethische Urteile gelte, hat Derrida in seinem späteren Text Den Tod geben herausgestellt. Analog zur Aporie von Regel und Regellosigkeit erkennt Derrida hier, in Anlehnung an Überlegungen Jan Patočkas, eine aporetische Struktur des verantwortlichen Urteilens, die sich aus der Spannung ergibt, einerseits einen begründeten Entschluss fällen zu müssen, der aber andererseits nicht mit einer Unterwerfung der Verantwortung unter das Wissen einhergehen dürfe: „Denn wenn der Begriff Verantwortung in der gewissesten Kontinuität seiner Geschichte die Verpflichtung auf ein Handeln, ein Tun, eine Praxis, eine Entscheidung impliziert hat, die über das einfache Bewusstsein oder die einfache theoretische Feststellung hinausreicht, so verlangt derselbe Begriff, dass eine verantwortliche Entscheidung oder Handlung sich selbst als Bewusstsein verantwortet“.64 An61  Derrida,

Préjugés, S.  22. Charland, Postmodern Prudence, S.  278 ff. 63  Derrida, Gesetzeskraft, S.  54. 64  Derrida, Den Tod geben, S.  354 (Herv. im Orig.). 62  Vgl.

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ders gesagt, muss der Handelnde die mit seinem Urteil notwendig auftretende Begründungslücke so weit wie möglich argumentativ schließen, er muss sich rechtfertigen, um als verantwortungsbewusst gelten zu können, während sich andererseits die Entscheidung „nicht von einem Wissen herleiten lassen [darf], dessen Wirkung, Schlussfolgerung oder Auslegung sie lediglich wäre“.65 Dieser Bruch mit dem Wissen ergibt sich nicht nur aus dem bekannten Wesen der Urteilskraft, die als „technische Umsetzung eines kognitiven Dispositivs“ ihre Identität verlieren würde.66 Schwerwiegender ist Derridas Entscheidung, die Verantwortung als Verantwortung vor und gegenüber dem absolut Anderen zu präsentieren. Hier zeigt sich Derrida, wie auch Lyotard, von der Ethik Émmanuel Levinas’ geprägt, die dieser am eindringlichsten in seinem Werk Totalité et infini formuliert hat.67 Verantwortung wird hier im ursprünglichen Sinn als Antwort verstanden, als Eingehen auf den Ruf des Anderen, auf die ethischen Forderungen, die vor allem vom Antlitz des Anderen ausgehen. Dieses verpflichtende „Du sollst“ lässt sich für den Empfänger der Botschaft nicht reflexiv einholen und etwa in allgemeine moralische Prinzipien übersetzen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum Derrida davon spricht, dass der Handelnde „seine Verantwortung [ergreift], indem er sich dem absolutem Verlangen des Anderen jenseits des Wissen ergibt“.68 Der Skandal, der Wahn daran ist, dass dieses blinde Sich-Fügen gegen das Begründungsverlangen der Verantwortung verstößt. Dass sich der Anruf des „Du sollst“ nicht einfach deskriptiv einholen oder sich als allgemein verbindliche Norm erfassen lässt, ist durchaus nachzuvollziehen. Lyotard spricht von einer „Verblendung des Ichs“, wenn der in die Verantwortung, in die Pflicht Gerufene Zeugnis davon ablegt, etwa vor einem Dritten, dem er sich erklärt, da er sich nun selbst die Sender­ instanz anmaßt und über die Verpflichtung redet, statt ihr zu folgen.69 Der Asymmetrie der Verantwortung lässt sich nicht entkommen. Problematisch erscheint es nur, den „Abgrund“ zwischen präskriptiven und deskriptiven Sätzen so klaffend zu gestalten, dass nicht nur die interpersonale Verpflichtung bzw. Verantwortung nicht reflexiv erfasst werden kann, sondern auch die Gerechtigkeit uneinholbar bleibt. Lyotard hatte in Au juste das Wahre rigoros vom Gerechten unterschieden und damit bewirkt, dass sich die Gerechtigkeit nicht mehr auf ein Wissen stützen konnte. In Schwierigkeiten gerät er aber dann, wenn er das Gerechte als Präskription in einem levinas65  Derrida,

Den Tod geben, S.  404. S.  353. 67  Vgl. Levinas, Totalité et infini. 68  Derrida, Den Tod geben, S.  404. 69  Lyotard, Le différend, S.  160. 66  Ebd.,



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schen Sinne deutet. Da Lyotard das gerechte Urteil nicht auf feste Kriterien stützen möchte, vermag er es nicht, seine eigene Unterteilung in gerecht und ungerecht, die ihn vor dem Relativismus schützt, zu begründen: „Wenn du mich fragst, warum ich auf einer bestimmten Seite stehe, würde ich glaube ich antworten, dass ich keine Antwort auf die Frage ‚warum‘ habe und dass das einfach dem Bereich der Transzendenz angehört“.70 Die Gerechtigkeit werde als eine Art Präskription erfahren, die der Verpflichtung gegenüber dem Anderen bei Lévinas ähnelt. Die Gerechtigkeit wird dann zur leeren Transzendenz, über die man nicht mehr sprechen kann. Dadurch wird dann aber das Wesen der reflektierenden Urteilskraft, ob man sie nun phronēsis nennt oder nicht, negiert. Denn wenn man keine Gründe mehr für ein gerechtes Urteil angeben kann, entfällt auch die Notwendigkeit einer abwägenden Vernunft. Zwei Grundprobleme der lyotardschen Urteilsfunktion liegen auf der Hand, selbst wenn man seiner (in dieser Allgemeinheit nicht überzeugenden) These der Inkommensurabilität der Diskursgenres zustimmte. Erstens hat bei Lyotard die reflektierende Urteilskraft, das wird vor allem in den Kant-Exkursen von Le différend deutlich, die Aufgabe, ein „universelles Tribunal“ zu ersetzen, das den Widerstreit autoritär unterdrücken würde. Wenn ihr Mandat aber, wie es Lyotard häufig nahelegt, darauf beschränkt wäre, die Heterogenität der inselartigen Diskursarten festzustellen und zu verteidigen, wäre sie zwar durchaus gefordert, weil ein hohes Maß an „Geschmeidigkeit“ verlangt wäre – von der Aufgabe der Entscheidung wäre sie hier aber entbunden.71 Wird der Urteilskraft aber, zweitens, doch eine gerechte Entscheidung abverlangt, ist es eine Selbsttäuschung zu behaupten, die Abwesenheit allgemeinverbind­ licher Kriterien führe zu einem Urteil, das auf gar keinen Halt mehr zählen kann. Die Aporie der Regel führt zwar tatsächlich dazu, dass die Urteilskraft letztlich auf sich allein gestellt ist – das Bild des „Richters ohne Gesetzbuch“ täuscht aber darüber hinweg, dass das Urteilen immer in einen Sinnzusammenhang eingebettet ist, der Maßstäbe und Kriterien bereit hält. Diese können zwar nie letzte Gewissheit bieten. Dass sich aber das zwangsläufige Begründungsdefizit ironisch aushalten lässt, müsste gerade postmodernen Philosophen nicht fremd sein. Derridas Rede vom Wahn der Entscheidung in der „Nacht des Nicht-Wissens“ kann für schwierige ethische Entscheidungen zwar durchaus Geltung beanspruchen – der Regelfall des Urteilens wird somit aber nicht erfasst. Sowohl die Rede vom Wahn als auch der Bezug auf eine leere Transzendenz ignorieren, dass es auch ohne das Sicherheitsnetz einer für alle verbindlichen Meta-Regel im Normalfall dennoch begründbare Kriterien gibt, die bei der Urteilsfindung helfen. Spä70  Lyotard / Thébaud, 71  Vgl.

An juste, S.  148. Lyotard, Le différend, S.  189 ff.

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testens mit Sellars und seinen Schülern hat die Philosophie gelernt, dass der Prozess der Rechtfertigung, ebenso wie der der Erkenntnis, nicht als Kettenreaktion abläuft, die von einem gesicherten Fundament ihren Ausgang nimmt, sondern dass sich Gründe als gut kohärentistisch erweisen, im Bezug auf ein ganzes Netz von Überzeugungen. So wäre die reflektierende Urteilskraft – analog etwa zur „transversalen Vernunft“, die Wolfgang Welsch vorstellt – durchaus in der Lage, sich zurechtzufinden und begründete Urteile zu fällen, wobei sie gleichwohl um den „Vorletzt-Charakter ihrer Perspektiven und Entscheidungen“ weiß.72 VI. Schluss Die aristotelische Suche nach dem orthos logos, ob bei politischen oder ethischen Entscheidungen, muss auch in der Postmoderne weitergehen. Man täte gut daran, die Maßstäbe der Gerechtigkeit nicht als unbestimmten Anruf zu verstehen, sondern als täglich neu auszuhandelndes Provisorium. Das würde den vielfältigen politischen Problemen, denen moderne pluralistische Gesellschaften ausgesetzt sind, eher gerecht werden. Lyotard und Derrida bringen gewichtige Argumente gegen ein rationalistisches Missverständnis der politischen Entscheidungsfindung vor, indem sie auf das Begründungsdefizit des Urteilens verweisen und gegen die Universalisierbarkeit von Entscheidungen auf die irreduzible Koexistenz verschiedener Ansprüche und Diskursgenres pochen. Wenn wir jedoch keine letztverbindlichen Urteile fällen können, so können es doch gut begründete sein, weil immer „starke Überzeugungen“ in die Urteilsfindung mit einfließen, die als Gerüst unerlässlich sind. Glücklicherweise befinden wir uns nicht mehr in der extremen Lage, die Hannah ­Arendt schilderte, als sie sagte, der Kontinuitätszusammenhang unserer Geschichte und die Begriffe und Kategorien unseres politischen Denkens seien völlig zerstört. Die neue Kontinuität säkularer, demokratischer und pluralistischer Gesellschaften stellt zumindest gewichtige „relative Allgemeinheiten“ bereit, die als Urteilskriterien dienen können, ohne ihre richtige Anwendung zu garantieren oder selbst von Kritik ausgenommen zu sein – denn die Schulung der individuellen Urteilskraft vollzieht sich vor allem in jenen Situationen, die die scheinbare Harmonie liebgewonnener Überzeugungen stören. John Rawls hat schon vor vielen Jahrzehnten für diesen Prozess den Begriff des Überlegungs-Gleichgewichts (reflective equilibrium) verwandt.73 72  Welsch, 73  Vgl.

Vernunft, S.  790. Rawls, Theorie, S.  68 ff.



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Diese permanente wechselseitige Anpassung von Grundsätzen und situa­ tionsgebundenen überlegten Urteilen dürfte unsere Praxis der Urteilsfindung besser beschreiben als die Rede von einem Urteilen ohne Kriterien. Die Entscheidung im Einzelfall wird sich dabei nie universell absichern können – begriffe man aber die lyotardschen Fähigkeiten der Geschmeidigkeit, Toleranz und Wendigkeit als moderne Kardinaltugenden, wäre das eine hervorragende Voraussetzung für eine gute Urteilsfindung, die dem Besonderen gerecht wird. Literaturverzeichnis Arendt, Hannah: Das Urteilen. Texte zu Kants politischer Philosophie, München / Zürich 1998. – Denktagebuch 1950–1973, Erster Band, München / Zürich 2003. – Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München / Zürich 1987. – Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München / Zürich 2006. – Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken  I, München / Zürich 1994. Aristoteles: Ethica Nicomachea. Recogn. brevique adnot. critica instruxit I. Bywater, Oxford 1962 . – Nikomachische Ethik. Nach der Übersetzung von Eugen Rolfes, bearbeitet von Günther Bien, Hamburg 1995. – Nikomachische Ethik VI. Herausgegeben und übersetzt von Hans-Georg Gadamer, Frankfurt am Main 1998. Aubenque, Pierre: La prudence chez Aristote, Paris 2004. Beiner, Ronald: Political judgment, London 1983. Charland, Maurice: Lyotard’s postmodern prudence, in: Hariman, Robert (Hg.): Prudence. Classical virtue, postmodern practice, University Park 2003, S.  259 ff. Derrida, Jacques: Den Tod geben, in: Haverkamp, Anselm (Hg.), Gewalt und Gerechtigkeit. Derrida – Benjamin, Frankfurt am Main 1997, S.  331 ff. – Gesetzeskraft. Der „mystische Grund der Autorität“, Frankfurt am Main 1996. – Préjugés. Vor dem Gesetz, Wien 2005. Forst, Rainer: Kontexte der Gerechtigkeit. Politische Philosophie jenseits von Liberalismus und Kommunitarismus, Frankfurt am Main 2004. Frede, Dorothea: Auf Taubenfüßen: Über Natur und Ursprung des orthos logos in der aristotelischen Ethik, in: Corcilius, Klaus / Rapp, Christoph (Hg.): Beiträge zur aristotelischen Handlungstheorie. Akten der 8. Tagung der Karl und Gertrud Abel-Stiftung vom 08.-11.07 2004 in Blankensee, Stuttgart 2008, S.  105 ff.

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Bemerkungen zur postmodernen Entdeckung der politischen Urteilskraft  217

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Christoph Martin Wieland als politischer Denker: ein Meister des Tentativen Von Walter Euchner I. Vorbemerkungen Die Wieland-Forschung beschäftigt sich zumeist nur am Rande mit Wielands politischen Auffassungen. Dabei war er als Herausgeber des „Deutschen Merkur“ ein Praeceptor Germaniae; ein Aufklärer, der seine Botschaft ironisch und amüsant unter sein Publikum brachte. Über Verfassungsfragen und Regierungskunst äußerte er sich durchaus dezidiert, und deren Wirkung bei Hofe sollte nicht unterschätzt werden. Michael Zaremba, dem wir eine neue Wielandbiografie verdanken, meint zum politischen Wieland, dieser sei „vordergründig kein politischer Autor“ gewesen, doch seine politischen Stellungnahmen hätten „eine beacht­liche Urteilskraft“ bekundet. Freilich sei ihm „das freie Spiel der Gedanken“ wichtiger gewesen als „exakte Begrifflichkeit“ (Zaremba 2007, S.  288 f.). Wieland wollte sich nicht festlegen. Dies ist es, was ich als das „Tentative“ seines politischen Denkens bezeichne. In jüngerer Zeit sind Beiträge mit eindeutig politischer Fragestellung vorgelegt worden, z. B. über Wielands Kommentare zur Französischen Revolution (Fink 1981, S. 414), sodann über die seltsame Schrift „Nachlaß des Diogenes von Sinope“, die in der Literatur zu Recht als Utopie bezeichnet wird (Sengle 1949, S. 226; Schaefer 1996, S. 109). Wieland bezeichnete sie als Republik und zeigte Sympathien für diese Staatsform. Dies muss erstaunen, und in der Tat schrieb er an seine Freundin Sophie La Roche, „Vous voyez que la philosophie de Diogène est beaucoup plus la mienne“ (Bäppler 1974, S.  40). Bei Hofe hütete er sich natürlich, als Republikaner aufzutreten, sondern zeigte sich als Verfechter der aufgeklärten ständischen Gesellschaft. Sein Utopismus war auch nicht so ernst gemeint. Die klassischen Utopisten, in der platonischen Tradition stehend, glaubten an die Konstruierbarkeit eines Gemeinwesens kraft unwiderleglicher Vernunfteinsicht, während Wieland stets mit der menschlichen Torheit rechnete. Mir scheint die Zeit gekommen zu sein, Wieland, den einstigen Liebling des Lesepublikums und heute fast ignorierten Dichter, auch als politischen

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Denker zu würdigen. Dies war auch das Anliegen von J. P. Reemtsma, von dem ein Aufsatz über den politischen Schriftsteller Wieland stammt. Er könne in seinen einschlägigen Schriften allerdings keinen „verbindlichen Kanon“ erkennen (Wieland war eben ein Meister des Tentativen) und zieht deshalb Verbindungslinien zu Wielands literarischer Artistik, seiner Anakreontik und seinen Parodien der Schäferromantik (Reemtsma 1999, S.  228, 238). Diese kann man in der Tat in Wielands Schilderung seiner Inselutopie finden. In meinem Beitrag geht es darum zu zeigen, dass Wieland, bei allem Tentativen seiner Äußerungen, ein ernstzunehmender politischer Kopf war. In diesem Zusammenhang ist die Würdigung Wielands durch Goethe von Interesse, die dieser nach dessen Tod im Jahre 1813 seinem Freunde gewidmet hat. Zunächst preist er Wieland als geistreichen und „heiteren“ Dichter, als naturliebenden und phantasievollen Anakreontiker. Nicht nur in seinem Vaterland, sondern auch im Ausland (vor allem, wie wir sehen werden, in Frankreich), feiere man sein Andenken. Dann aber macht Goethe auf die politische Bedeutung Wielands aufmerksam. Er sei ein guter Kenner der deutschen Reichsverfassung gewesen. Doch in seinen Äußerungen hierüber habe er sich keinesfalls „durch republikanischen oder patriotischen Eifer hinreißen lassen (…).“ Vielmehr hätten sein „weltbürgerlicher Sinn“, seine „angeborene Liberalität“ bewirkt, dass er in einer Zeit, „wo die Macht der Alleinherrschaft noch nicht erschüttert war“, es als sein Hauptgeschäft erachtet habe, „den Machthabern ihre Pflichten dringend vorzustellen und sie auf das Glück hinzuweisen, das sie in dem Glück der Ihrigen finden sollten.“ (Goethe 1958, S.  18 f., 27 f.). Für Gustav Seibt war Wieland seiner Monographie über die Begegnungen von Goethe und Napoleon zufolge „der überragende politische Kopf der Weimarer Schriftsteller.“ Als Napoleon nach der Schlacht bei Jena in Weimar einmarschierte, seien Goethe und Wieland vermutlich die einzigen gewesen, mit deren Namen „Napoleon etwas zu verbinden gewusst hätte“ (Seibt 2008, S.  44, 42). Wieland, ein in ganz Europa bekannter Schriftsteller, der auch politische Fragen zu seinem Gegenstand machte – so lautet die Zwischenbilanz. Wenden wir uns seinen Auffassungen im einzelnen zu, die von mir als tentativ bezeichnet worden sind, d. h. sie sind in keiner Weise dogmatisch, dafür aber höchst originell. II. Wielands Philosoph Diogenes von Sinope Die erste Ausgabe der Diogenesschrift von 1770 trug den Titel ΣΩΚΡΑΤΗΣ ΜΑΙΝΟΜΕΝΟΣ. In der zweiten Auflage veränderte er ihn in „Nachlass des  Diogenes von Sinope“. Der griechische Titel bedeute „aberwitzig gewordener Sokrates“, ein „Spitzname“, der auf Platon zurückgehe, aber ganz



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­ npassend sei. Denn der Diogenes von Sinope, also der Kyniker – im Unu terschied zu dem Philosopiehistoriker Diogenes Laertius – sei ein gutherziger, frohsinniger und vernünftiger Sonderling gewesen, und so wolle er ihn zeichnen (Werke, Bd.  19, S.  XVI).1 Wieland stellt seinen Bericht über Diogenes in eine Rahmenhandlung, die nicht übergangen werden soll, weil sie seinen kauzigen Humor offenbart. Der Erzähler berichtet, wie er in der Bibliothek eines alten Klosters auf eine Handschrift des Diogenes gestoßen sei. Die dort lebenden Mönche hätten diese Bibliothek für überflüssig gehalten, weshalb sie den Pater Küchenmeister zum Bibliothekar befördert hätten. Dies habe aber keinen Schaden angerichtet, denn die Bibliothek habe aus ungenießbaren scholastischen Werken bestanden – bis auf eine Handschrift, die Dialoge des Diogenes enthielt (a. a. O., S.  IV–VII). Diogenes lebte diesen Dialogen zufolge bedürfnislos in der sprichwörtlichen Tonne, ohne den Ehrgeiz, sich um ein Amt „oder eine Stelle in dem Bette einer schönen Frau oder einer reichen Matrone“ zu bewerben (S. 8 f.). Dies bedeutete aber nicht fehlende Geselligkeit. Im Gegenteil, Diogenes galt ja als Weiser, und viele Menschen, auch aus den gehobenen Ständen, suchten seine Gesellschaft. Eines Tages besuchte er eine feine Dame. Er traf sie auf einem „Faulbettchen“ liegend an; ein junger Sklave fächelte ihr Kühlung zu (S.  56 f.). Diese Episode leitet Reflexionen über die Institution der Sklaverei und ihre Berechtigung ein. III. Einige politische Lehren des Diogenes2 Die Reflexionen über die Berechtigung der Sklaverei sind in dem Dialog zwischen Diogenes und Philomedon, einem reichen Bürger, enthalten. Diogenes wollte ihm beweisen, dass der elendeste Wasserträger in Korinth ein schätzbarerer Mann sei als er. Denn dieser nütze dem gemeinen Wesen, „aber wozu nützest du?“ (S.  72 f.). Beide seien sie die Sklaverei los geworden, aber auf verschiedene Weise. Philomedon führte ins Feld, Reichtum verschaffe ihm Einfluss und Ansehen. Diogenes wandte ein, Philomedon bezöge beträchtliche Einkünfte vom Staat, er dagegen nichts. Falsch, so Philomedon, er beziehe seine Einkünfte nicht vom Staat, sondern sie seien sein Eigentum. Interessanterweise brachte Diogenes ein kontraktualistisches Argument ins Spiel, um die Nutzlosigkeit von Philomedons Lebensführung zu zeigen. Dieser besitze sein Eigentum nur kraft des Vertrags, der zwischen 1  Ich

zitiere Wieland nach der Kleinoktavedition von Göschen, Leipzig 1855 ff. geht hauptsächlich auf die historische Gestalt des Diogenes ein, während er Wielands politiktheoretischen Fingerübungen keine größere Bedeutung beimisst (Zaremba 2007, S.  147 ff.). 2  Zaremba

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den Stiftern der Republik getroffen worden sei, als sie die erste Güterteilung vornahmen. „Deine Vorfahren bekamen ihren Antheil unter der Bedingung, daß sie so viel, als in ihren Kräften wäre, zum Besten des Staates beitragen sollen.“ Dieser Vertrag gelte immer noch. Wer Vorteile aus dem Staat ziehe, sei ihm auch Dienste schuldig (S.  73). Diogenes erweiterte seine Kritik durch den Vorwurf, Philomedon beute fremde Arbeit aus, ein Argument, das, zusammen mit seiner Warnung vor einer künftigen sozialen Revolution, geradezu protosozialistisch wirkt – und dies zu Papier gebracht von dem obrigkeitstreuen Bürger Wieland, zwanzig Jahre vor der Französischen Revolution. „Andre müssen deine Felder bauen, (…) Andre in deinen Fabriken arbeiten, Andre die Kleider weben, die du anziehst“ usw., „du allein legst dich hin und thust (…) nichts auf der Welt als essen, trinken, tanzen, küssen, schlafen“, und dies alles kraft seines Vermögens, das er nur besitze, weil es ihm auf Grund der bürgerlichen, auf dem Gesellschaftsvertrag beruhenden Gesetze zustehe (S.  74 f.). Philomedon wandte ein, daß diese Arbeit entweder von Sklaven oder von Arbeitern, die er bezahle, verrichtet werde, doch damit verschlimmerte er seine Position. „Wer gibt dir ein Recht, Menschen, welche von Natur deines gleichen sind, als dein Eigenthum anzusehen?“ Wenn er sich auf die Gesetze berufe, so entsprächen diese nicht dem Gesetz der Natur. Philomedon möge daran denken, was geschehe, wenn seine Sklaven und Lohnarbeiter ihm den Gehorsam aufkündigten. Dann vertrieben sie die Reichen von ihren Gütern und forderten eine neue Teilung. „Sobald der Staat ein Ende hat, fängt der Stand der Natur wieder an, Alles fällt in die ursprüngliche Gleichheit zurück“, und Philomedon könnte von der neuen Teilung mit Sicherheit keinen größeren Anteil erwarten „als der ehrliche Handwerksmann, der deine Füße bekleidet“ (S.  75 ff.). Wielands Argumentation lehnt sich offensichtlich an die naturrechtlichen Sozialvertragstheorien an, aber er macht sich keine von ihnen zu eigen. Keine dieser Theorien rechnet mit einer sozialen Revolution nach Abschluss des Gesellschaftsvertrags. Locke räumt den Bürgern eines Commonwealth, die stets Eigentümer und Steuerzahler sind, zwar das Recht auf Revolution ein, aber nur als Folge des Machtmissbrauchs der Obrigkeit, und bei Rousseau ist die Absetzung einer Regierung, die das bien public verletzt, an viele rechtliche Kautelen gebunden.3 An eine soziale Revolution denkt er nicht. Die Theorien der Französischen Revolution, z. B. „Q’est-ce que le Tiers Etat“ des Abbé Sieyès, waren noch nicht geschrieben. Wieland hat also eine eigenständige Sozialvertragstheorie geschaffen, die mit einer so­ 3  Vgl. Locke, Two Treatises of Government, Second Treatise, Chapt.  XIX, §§  222–226; Rousseau, Du Contrat Social, Livre III, Chap.  XVIII. Zu den Sozialvertragstheorien generell: Kersting 1994.



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zialen Revolution rechnet – eine erstaunliche Leistung. Aber, typisch für Wieland, es handelt sich um einen tentativen Text. Er enthält keinesfalls eine Auffassung, an der er während seiner künftigen publizistischen Kar­ riere festgehalten hätte. IV. Wielands Idee des Weltbürgertums4 Philomedon, verunsichert, fragt noch einmal zurück. Es könne doch nicht sein, dass Diogenes lieber Wasserträger als Philomedon sein wolle. Diogenes antwortet, er wolle weder das eine noch das andere sein. Sein höchstes Ziel sei seine völlige Unabhängigkeit, denn diese Lebensweise entspreche der natürlichen Existenz am besten: „(…) die Geburt macht mich zu keinem Bürger eines besonderen Staats, wenn ich es nicht seyn will. Frei, unabhängig, gleich an Rechten und Pflichten, setzt die Natur ihre Kinder in die Welt, ohne irgend eine andre Verbindung als das natürliche Band mit denen, durch die sie uns das Leben gab, und das sympathetische, wodurch sie Menschen zu Menschen zieht. Die bürgerlichen Verhältnisse meiner Aelteren können mich meines Naturrechts nicht berauben. (…) Kurz, es hängt von meiner Wahl ab, ob ich als Bürger irgend eines einzelnen Staates oder als ein Weltbürger leben will.“ (S.  78 ff.). Ein Weltbürger aber sei (modern formuliert) ein Mensch, der sich keinen Organisationen oder Verbänden anschließe, sondern die Menschen, losgelöst von ihren sozialen Bindungen, „Lebensart, Sprache, Sitten und Privatinteressen als seine Mitbürger oder (…) als seine Brüder ansieht, die ein angebornes Recht auf Solidarität haben, aber auch auf Kritik, wenn sie sich offensichtlich irren.“ (S.  80 f.). Zudem sind die Weltbürger anspruchslos und mit Wenigem zufrieden. Wieland hat viele Jahre nach der Veröffentlichung des „Diogenes von Sinope“ sich noch einmal zum Problem des Weltbürgertums geäußert, nämlich in der Schrift „Das Geheimnis des Kosmopoliten-Ordens“ von 1788. Er bezeichnet darin die Kosmopoliten als eine „unsichtbare Gesellschaft“, die bereits seit Jahrtausenden existiere und die, obwohl sie niemand kenne, einen wichtigeren und dauerhafteren Einfluss auf die Dinge dieser Welt habe als jede andere Geheimgesellschaft (Werke, Bd.  30, S.  397). Nunmehr sei aber die Zeit gekommen, „wo nichts Gutes das Licht zu scheuen Ursache hat“, zumindest in Germanien. Denn hierzulande gebe es „keine Neronen und Domitiane (…), vor denen gute Menschen sich verbergen müssten.5 Deshalb werde nunmehr in dieser Schrift das Geheimnis der Kosmopoliten aufgedeckt. Zaremba 2007, S.  290. ist eine Beschönigung der deutschen Zustände. Als Schiller 1793 nach Württemberg reisen wollte, versicherte er sich zuvor, ob ihn der „alte Herodes“ 4  Hierzu 5  Dies

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Es handle sich bei ihnen um eine geistige Gemeinschaft, die humane Ideale verfolge. „Denn sie betrachten alle Völker des Erdbodens als eben so viele Zweige einer einigen Familie und das Universum als einen Staat, worin sie mit unzähligen andern vernünftigen Wesen Bürger sind, um unter allgemeinen Naturgesetzen die Vollkommenheit des Ganzen zu befördern, indem jedes nach seiner besonderen Art und Weise für seinen eigenen Wohlstand geschäftig ist“ (S.  406)6. Die Kosmopoliten setzen sich zum Ziel, alles, von dem sie erkennen, dass es besser gemacht werden könne, auch zu verbessern, und wenn es sich auch nur um Kleinigkeiten handelt: Sie sind konsequente Meliorierer. Was die politischen Institutionen angeht, so anerkennen sie nur solche, die auf Grund der Gesetze der Natur sich als notwendig, d. h. als „ordre naturel“ (um einen Begriff der klassischen Politischen Ökonomie zu verwenden) erweisen. Wieland verzichtet allerdings darauf, aus dieser Maxime politische Institutionen abzuleiten. Er spricht nur allgemein von einer „Insubordination“ der Kosmopoliten unter die Gesetze „der intellectuellen und moralischen Welt“. Ansonsten „herrscht unter den Kosmopoliten vollkommene Gleichheit“, von individuellen Unterschieden abgesehen (S.  409). Eine politische Institution ist allerdings unverzichtbar: die Preßfreiheit. Es gebe keine eifrigeren Verfechter dieses Freiheitsrechts als der Orden der Kosmopoliten, „da sie in der That das einzige Mittel ist, wodurch er zur Beförderung seines oben angezeigten Zwecks in einem größern und seinen Kräften angemessenen Kreise thätig sein kann. (…), wenn diejenigen, die kein höheres Interesse kennen als die Wahrheit, nicht frei sollten reden dürfen, ‚so müßten endlich – die Steine zu schreien anfangen‘ “ (S.  429). Ein bemerkenswertes Bekenntnis zur Liberalisierung und Entpatriotisierung nicht nur der deutschen, sondern auch der europäischen Staatenwelt! Sie weisen Wieland als Aufklärer aus, dessen fortschrittliche Ideen auch in anderen Ländern wahrgenommen wurden, insbesondere in Frankreich, wie wir bereits gesehen haben. Die Begriffe Weltbürger und Kosmopolitismus hatten ihre Karriere noch vor sich; sie waren und sind bis heute den Konservativen bestimmter Schattierungen, dem ehemaligen Sowjetkommunismus wie dem völkisch angehauchten Etatismus, ein Dorn im Auge.7 (gemeint ist der Herzog Karl Eugen) dort auch in Ruhe lassen würde (Zeller, o. J.). 6  In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass sich diese Gedanken der antiken Philosophenschule der Stoa verdanke. Vgl. dazu Hossenfelder, 1985, S.  66. 7  Kant hat in seiner Schrift „Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ aus dem Jahr 1784 die Idee des Weltbürgertums aufgegriffen. Sie unterscheidet sich in Stil und Argumentation völlig von der Wielandschen Darstellung. Ausgehend von der Prämisse, die Natur wolle, dass der Mensch der Glückseligkeit nur durch den Gebrauch seiner Vernunft teilhaftig werden könne, will Kant zeigen, dass, um diesen Zustand zu erreichen, er eine bürgerliche Verfassung errich-



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V. Die Alexandererzählung: Ein Kulturmodell in falscher politischer Form Auf dem Weg zu seiner utopischen Republik geht es Diogenes zunächst um die Schaffung kultureller Verhältnisse, die freiheitsliebenden Menschen angemessen sind. In Athen lief diese Aufgabe darauf hinaus, diesem lustigen Völkchen seine Idee nahe zu bringen. Noch schwieriger war aber zu erreichen, dass sich die ansässigen, mit abgehobenen Spekulationen befassten Philosophen mit Diogenes’ Gedanken anfreundeten (Werke, Bd.  29, S.  93–105). Eines Tages tauchte ein junger Mann vor ihm auf, der von dem seltsamen Weisen gehört hatte und sich als König Alexander von Mazedonien zu erkennen gab. Er behauptete nichts Geringeres, als das Zeug zum Anführer der ganzen Menschheit zu besitzen (S.  107–111). Er wolle „die noch un­ policirten (ohne politische Ordnung lebenden; W. E.) Völker (…) in neu angelegte Städte ziehen und mit den besten Gesetzen versehen (…); an ­allen großen Flüssen, an allen Seeküsten (…) neue Colonien und Handelsplätze anlegen; alle Provinzen des Landes durch brauchbare Straßen ver­ einigen; dem ganzen Erdboden einerlei Sprache und mit unsrer schönen Sprache unsre Wissenschaften und Künste geben, und (…) im Herzen meiner Eroberungen eine große Stadt anlegen, welche der Vereinigungspunkt aller Nationen (…), der Inbegriff aller Schätze der Natur und Kunst (…), die allgemeine Akademie seiner auserlesenen Geister, kurz die Hauptstadt der Welt und meine Residenz seyn soll“ (S.  112). Für Heinz zeichnet Alexander die Vision einer „Weltkultur“. Da Alexander sie, wenn nötig, mit Gewalt durchsetzen wollte, kann Diogenes sie nicht akzeptieren (Heinz 2005, S.  67). Als Weltbürger müsse er anerkennen, dass Alexander das „Beste des Menschengeschlechts“ ins Auge fasse; deshalb solle er versuchen, seine große Vision auszuführen. Doch er möge bedenken, dass er eine gefährliche Bahn laufe. „Der Mensch kann alles eher ­ertragen, als unumschränkte Gewalt.“ Alexander riskiere, das Opfer von Schmeichlern zu werden, und das ganze Unternehmen könne damit enden, dass „Grausamkeit und Zügellosigkeit deine Regierung verhaßt machen (…).“ Zudem: Die Welt würde unter „zwei Alexandern zu Trümmern geten und, um künftige Kriege zu verhindern, in einen Völkerbund treten müsse ­(Ideen, Dritter und Siebenter Satz, in: Kant 1965, S.  12–17). Kants Schrift reagiert auf Herders geschichtsphilosophische Schriften, die aber nicht konkludent argumentieren, sondern rhapsodisch wirken. Herder spricht vom „Zusammenziehen der Nationen“ und von einer Tendenz zur „allgemeinen Bildung der Menschheit“ (Herder, 1785, S.  374 f.). – Wieland war mit Herder befreundet und förderte ihn nach Kräften. Vgl. zum Ganzen: Albrecht 2005.

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hen“. Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. „Du sagst die Wahrheit, alter Mann. – Lebe wohl“ (S.  14–16). VI. Die Republik des Diogenes Nachdem die Gefährlichkeit der politischen Seite von Alexanders Vision einer Weltkultur erkannt worden ist, kommt Diogenes auf seine Idee der Gründung einer Republik zurück (S.  117). Sie besitzt den Charakter einer Inselutopie.8 Diogenes hat offenbar nicht erkannt, dass er in einen Zielkonflikt geraten ist. Denn er hat auch Alexander gegenüber auf dem Anspruch beharrt, Weltbürger zu sein. Doch wie will er ihn umsetzen, wenn er auf einer weltabgeschiedenen Insel lebt? Diogenes’ Schilderung seiner Republik ist doppelt fiktiv. Fiktiv ist sie als Erzählung, und in der Erzählung wird noch einmal betont, dass die Entdeckung einer unbewohnten, zugleich fruchtbaren Insel auf Diogenes’ Einbildung beruht, er sei ein Zauberer, „der mit Hülfe einer magischen Ruthe alle seine Ideen realisieren könnte.“ (S.  117) Als erstes muss Diogenes sich vorstellen, wie die Insel besiedelt werden soll. Er holt sich also vermittels seines Zauberstabs tausende zwanzigjährige Mädchen aus Gegenden, wo sie am schönsten wachsen, und die Gesundheit und Gestalt geeigneter Gebärerinnen besitzen. Er versetzt sie in ein anmutiges Tal, in dem es Obst und Gemüse gibt. Dazu rekrutiert er die passenden kräftig und gut gebauten Jünglinge. Es kommt, wie es kommen muss: Nach neun Monaten wird ein Vielfaches an gesunden und schönen Kindern geboren (S.  117–120). Es folgt die politische Ausstattung, die alsbald herbeigezaubert wird. „Staatsleute“ sind nicht vonnöten, denn die Republik „muß von sich selbst gehen, wenn sie einmal aufgezogen ist“ (S.  120 f.). Es herrscht also (zunächst) eine prästabilisierte Harmonie der Interessen. Des Militärs bedarf es auch nicht, denn die starken jungen Kerle auf der Insel können sich selbst verteidigen. Luxus, was Wohnen, Kleidung und Ernährung angeht, ist unbekannt, es entsteht auch keine Literatur, Musik, Schauspiel- und Tanzkunst. Die fröhlichen jungen Leute beginnen von selbst zu tanzen, und dazu wird auf einer ländlichen Pfeife aufgespielt (S.  121–125). 8  Es ist unklar, ob sich Wieland mit dem Utopismus beschäftigt hat. Es gibt von ihm eine Miszelle über Thomas Morus aus dem Jahr 1777, die aber nur über dessen Vita berichtet. Aus einer Fußnote geht hervor, dass er eine „Charakteristik“ der „Utopia“ entwerfen wollte, doch es sei bei diesem Vorsatz geblieben (Wieland 1777). Zur Typologie der Utopien der Neuzeit vgl. Saage 1999.



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Die von Platon geforderte Weibergemeinschaft in Kombination mit Eigentumslosigkeit, die Eingang in die klassische utopische Literatur gefunden hat, z. B. in Tomasso Campanellas „Sonnenstaat“, hält Diogenes für abwegig (S.  219). Weit besser sei es, dem Eros in der bukolischen Natur locker kanalisierte Entfaltungsfreiheit zu geben. Man braucht nur ein Fest zwischen Bäumen und Büschen zu veranstalten, es wird eine frugale Mahlzeit gereicht, es wird getanzt und, da „die Sache keinen Aufschub duldet“, werden die Paare passende Verstecke zu finden wissen (S.  129, 131). Patriotische Feste, „das vornehmste Mittel, Eintracht, Geselligkeit und allgemeines Wohlwollen“ unter dem Volke zu erhalten, dienen zugleich dazu, eheliche Bindungen durch besondere Ehrungen zu festigen und diejenigen, denen dies nicht gelingt, mildem Spott auszusetzen (S.  137). Eifersucht ist unbekannt; es gibt nicht einmal ein Wort dafür. Es ist verpönt, sich in fremde Liebesangelegenheiten einzumischen (S.  136). Die Bestellung der Felder und Gärten, die Viehzucht, die Jagd, die Verarbeitung der Baumwolle zu Textilien und die Hauswirtschaft sind arbeitsteilig organisiert, wobei die Geschlechter unterschiedliche Aufgaben haben. Auf diese Weise entstand eine reproduktionsfähige, autarke Ökonomie, in der jedermann reichlich versorgt war. Es hatte sich ein gesellschaftliches Gleichgewicht eingestellt: „Das Schöne und Gute fließt in einer einzigen sanften Wellenlinie zwischen unzähligen Abweichungen fort: es ist seiner Natur nach einförmig; ist dieses Gleichgewicht einmal hergestellt, so geht jede Veränderung – ins Schlimmere“ (S.  139). Gerade diese Störungsanfälligkeit fürchtet Diogenes. Es brauche nämlich nur ein einziger Athener kommen, und man werde sehen, was er in acht Tagen aus der armen Republik machen wird. Die Insulaner würden seine Eleganz und Lebensart bewundern. Er würde sie mit Künsten, Wissenschaft und Gewerbe vertraut machen, und binnen zwanzig Jahren würde es auf der Insel von Handwerkern, Künstlern, Handelsleuten, Staatsmännern, Soldaten, Juristen, Ärzten, Philosophen, Komödianten, Spitzbuben und – Bettlern nur so wimmeln. (S.  39 f.). „Wie glücklich hat er die Republik des Diogenes umgeschaffen! Seine Insel ist nun, Dank sey euren Künsten und Wissenschaften, was alle eure Inseln sind!“ (S.  141). Weil aber Diogenes diese Entwicklung für zwangsläufig erachtet, bemüht er ein letztes Mal seine Zauberrute und macht „die ganze Insel auf immer und ewig – unsichtbar (…)“. Die Seefahrer werden sie „in Ewigkeit nicht finden“. (S.  147)

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VII. Wieland und Rousseau In den zuletzt vorgestellten Passagen der Wielandschen Inselutopie ist Wielands Übernahme von Gedanken Rousseaus deutlich erkennbar. In der Literatur wird gelegentlich darauf hingewiesen. (Sengle 1949, S.  228, 230, Schaefer 1996, S.  109, Wilson 1984, S.  150, Zaremba 2007, S.  160). Da diese Hinweise eher pauschal sind, soll dem Verhältnis Wielands zu Rousseau etwas gründlicher nachgegangen werden. Was die Inselutopie betrifft, so finden sich dort Denkmuster, die sich sowohl im Ersten wie im Zweiten Discours finden. Der Erste Discours aus dem Jahr 1750 beantwortet die Frage der Akademie de Dijon: „Si le rétablissement des Sciences et des Arts a contribué à épurer les mœurs“? Rousseau hat bekanntlich diese Frage verneint, und eben diese Auffassung vertritt auch Diogenes in seinem Bericht über die Folgen des Besuchs eines Atheners auf der Inselrepublik. In anderen Texten, in denen sich Wieland explizit mit Rousseau befasst, hat er diesen Rousseauismus aufgegeben. Es mutet seltsam an, dass alle diese Texte, in denen Wieland Rousseausche Motive aufgreift, dann aber kritisiert oder dagegen polemisiert, in einem kurzen Zeitraum erschienen sind, nämlich im Jahr 1770. Nicht eindeutig ist der Verlauf von Wielands Rezeption des Zweiten Discours, „Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes“ (1755). Er ist der bedeutendere. Wieland hat ihn in mehreren Anläufen aufgegriffen, doch es scheint ihm nicht gelungen zu sein, den ganzen Argumentationszusammenhang des Zweiten Discours zu erfassen. Die Entstehung der Ungleichheit wird von Rousseau in zwei Abschnitten behandelt. Der erste gilt der Phase des Naturzustandes, in dem der Mensch als Wilder („l’homme sauvage“, Rousseau 1966, S.  135) lebte. Die Wilden existierten in völliger Vereinzelung; nicht einmal die Paare, die Kinder zeugten, fanden sich zu einer Familie zusammen. Diese Auffassung hat Wieland immer abgelehnt, denn er ging von der natürlichen Geselligkeit der Menschen aus. Er zitiert beifällig einen nicht weiter genannten Autor: „(…) Menschen (lebten), aller Wahrscheinlichkeit nach, von Anfang an in Gesellschaft (…).“ Dies entspricht dem Stand der heutigen frühgeschichtlichen Forschung.9 Emphatisch setzt Wieland hinzu, dass der Mensch nur seine Augen zu erheben brauche, um den sympathetischen Trieb zu fühlen, der ihn zu Seinesgleichen zieht (Werke Bd.  29, S.  178). Rousseau verlegt den eigentlichen zivilisatorischen Prozess in die zweite Phase des Naturzustandes. In diesem entstehen die Techniken der Na9  Zur methodologischen Bedeutung der Vereinzelungsthese Rousseaus vgl. unten S.  230 f.



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turbearbeitung sowie die ersten Regungen der Künste und der Wissenschaften. Es zeigt sich auch die Gattenliebe, die der „homme sauvage“ nicht kannte. Die Menschen lebten zunächst in bukolischen Zuständen, der „époque la plus heureuse“ der Menschheit (Rousseau 1966, S.  166, 168). Sie glichen jenen der Phantasierepublik des Diogenes. Doch dann begann der „amour propre“, die Selbstsucht, die ursprüngliche Solidarität unter den Menschen zu zerstören – ein ähnlicher Prozess wie auf der Insel des Diogenes. Bei Rousseau ist der Sündenfall, der diesen Prozess ausgelöst hat, die Schaffung des Privateigentums. Die wenigen Sätze, in denen Rousseau diese These aufstellt, stehen am Beginn des zweiten Teils des Zweiten Discours. Sie gehören zu den wirkungsmächtigsten Texten in der Geschichte des politischen Denkens: „Le premier qui ayant enclos un terrain, s’avisa de dire, ceci est à moi, et trouva des gens assés simples pour le croire, fut le vrai fondateur de la société civile. Que de crimes, de guerres, de meutres, que de misères et d’horreurs, n’eût point épargnés au Genre-humain celui qui arrachant les pieux ou comblant le faussé, eût crié à ses semblables. Gardez-vous d’écouter cet imposteur; vous êtes perdus, si vous oubliez que les fruits sont pour tous, et que la Terre n’est à personne“ (Rousseau 1966, S.  164). Wieland hat diese Passage nicht kommentiert. Nirgends geht er auf die Unterscheidung der zwei Phasen des Naturzustands ein. Was Rousseaus Auffassung hinsichtlich des Privateigentums betrifft, so hätte er allerdings entschieden widersprechen müssen. Für ihn war das Privateigentum eine Voraussetzung des Reichtums und des zivilisatorischen Standards einer Gesellschaft. Auch auf der Inselrepublik des Diogenes besaßen die Familien Privateigentum. Im ersten rousseaukritischen Text Wielands, den „Betrachtungen über J. J. Rousseau’s ursprünglichen Zustand des Menschen“ heißt es, Rousseau habe den „abenteuerlichen Satz“ aufgestellt, „dass der ursprüngliche Stand des Menschen der Stand eines zahmen Thiers gewesen sey“. Dies ist eine geschrumpfte Fassung des Satzes, der im Original lautet: „(…) je vois un animal moins fort que les uns, moins agile que les autres, mais à tout prende, organisé le plus avantageusement de tous.“ Wieland zitiert diese Aussage vier Seiten später. Doch der genannten Schrumpfformel, für Rousseau sei der Mensch ein zahmes Tier, schließt Wieland eine hemmungslose Polemik an, die man als Verfälschung bezeichnen muss.10 Rousseaus Behauptung bedeute nichts anderes als den Rat, „in die Wälder zu den Orang-Utans und 10  Zaremba (2007) hat zur Wielands Interpretationen festgestellt: „Direkte Konfrontation mit fremden Argumenten war seine Sache nicht“ (S.  216).

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den übrigen Affen, ihren Brüdern, zurückzukehren, aus welchen sie eine unselige Kette von Zufällen zu ihrem Unglücke herausgezogen habe“ (S.  165). Einen solchen Rat hätte Rousseau für ganz unsinnig gehalten. Denn, wie aus dem Eingangssatz des zweiten Teils des Zweiten Discours hervorgeht, erzeugte die Einführung des Privateigentums irreversibel die bürgerliche Gesellschaft mit ihren egoistischen Verhaltensweisen. Rousseau hat nie gefordert, zur Natur oder zu den Affen zurückzukehren. Er setzte vielmehr auf die Schaffung republikanischer Verhältnisse nach dem Muster des „Contrat social“. Dies alles, so Wieland, sei lächerlich und töricht, die Dachstubenphilosophie eines närrischen Sonderlings (S.  167). „Die geheime Geschichte des Rousseauschen Systems“ laufe darauf hinaus, „(…) alle unsre Wissenschaften, Künste, Polizei (die Instanz, die „policiert“), Bequemlichkeiten, Wollüste und Bedürfnisse von uns zu werfen und nackend“, wie ein Hottentotte „zu unserer ursprünglichen Gesellschaft, den Vierfüßigen, in den Wald zurückzukehren“ (S.  168). Rousseau hatte in seinem Vorwort zum Zweiten Discours auf ein interessantes methodologisches Problem hingewiesen, die in der Naturrechtstheorie des 17. und 18. Jahrhunderts eine Rolle spielte. Es ging um die Frage, wann von einem legitimen Herrschaftssystem gesprochen werden könne. Ausgangspunkt war das Konzept eines herrschaftslosen Naturzustandes, dessen Mängel, vor allem die Unmöglichkeit einer Stilllegung der immer wieder aufbrechenden Konflikte, die Errichtung eines Herrschaftssystems erforderte. Dieses sei aber nur dann legitim, wenn es auf einem Sozialvertrag, abgeschlossen von allen in diesem Naturzustand Lebenden, beruhe. Dabei ergab sich das Problem, ob ein solcher Naturzustand überhaupt jemals existiert habe. Die Frage wurde unterschiedlich beantwortet. Autoren wie Hobbes und Locke vertraten die Auffassung, auf die reale Existenz eines Naturzustandes komme es nicht an, obwohl auf der Welt immer wieder Menschen unter Bedingungen lebten, die dem Modell des Naturzustandes glichen. Die Konstruktion der Schaffung eines Gemeinwesens durch Sozialvertrag sei in erster Linie ein Gedankenexperiment zur schlüssigen Klärung der Frage, wann ein politisches Regime legitim sei. (vgl. dazu Euchner 2004, S.  79). Rousseau stellte in seiner „Préface“ zum Zweiten Discours eben diese Frage: „Quelles expériences seroient nécessaires pour parvenir à connoître l’homme naturel; et quels sont les moyens de faire ces expériences au sein de la société?“ Diese Frage sei schwierig zu beantworten, weil der Naturzustand vielleicht niemals existiert habe. Wie Hobbes und Locke griff Rousseau auf ein Gedankenexperiment zurück, das zeigen sollte, in welchem Zustand die ersten Menschen lebten, nämlich als völlig vereinzelte



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„Wilde“. Diese Annahme drückt aber keinen empirischen Sachverhalt aus, sondern ist ein gedankliches Konstrukt. In einer zweiten Rousseau-Kritik (Werke Bd.  29) erklärt Wieland Rousseaus Frage, wie man zu zuverlässigen Kenntnissen über den natürlichen Menschen kommen könne, für eine „Grille“. Es gebe doch genügend Philosophen und erfahrene Regenten, alle die „Aristotelesse und Pliniusse“ nebst „Kaisern, Königen, Sultanen, Schachs“ usw., die sich hierzu geäußert hätten, und denen könne man doch nicht pauschal misstrauen (S.  206 f.). Zudem kenne man das Verhalten von Kindern, die weitgehend isoliert aufgewachsen seien, wie Findlinge; hierüber gebe es auch Reiseberichte. Das alles vorgebracht im Wielandschen ironischen Plauderton, der den ernsthaften Überlegungen Rousseaus nicht angemessen ist. Am Ende seiner Betrachtungen reduziert Wieland die zentrale Aussage des Zweiten Discours, dass in der „société civile“ als Folge der Etablierung des Privateigentums der überhandnehmende „amour propre“ die ursprüngliche Solidarität zerstöre, auf die These, dass „der Genuß aller Geschenke der Natur und die Verfeinerung aller Künste dasjenige sey, was den Untergang der Staaten am meisten befördere.“ Sein eigenes Credo lautet, „dass die möglichste Benutzung des Erdbodens und die möglichste Vervollkommnung und Verschönerung des menschlichen Lebens das große Ziel aller Bestrebungen, welche die Natur in den Menschen gelegt hat“, sei (S.  238 f.) In einem dritten Anlauf möchte Wieland die „Behauptung, daß ungehemmte Ausbildung der menschlichen Gattung nachtheilig sey“, widerlegen. Er prüft zunächst, was andere Autoren, vor allem Weltreisende, über die Bedürfnisse der Völker, deren Lebensführung jener von Rousseaus Wilden gleicht, zu sagen wissen, z. B. die der Lappen, der „nordamerikanischen Wilden“ (also der Indianer), oder der arabischen bzw. maurischen Beduinen. Die Indianer stünden wohl am ehesten auf dem Entwicklungsstand, der nach Rousseau „dem Menschen der zuträglichste, den wenigsten gewaltsamen Abänderungen unterworfen, kurz, der dauerhafteste und glücklichste“ Zustand sei, auf dem die Menschen hätten verharren sollen (Werke Bd.  29, S.  301 f.). Wieland ist geneigt, diese ideale Entwicklungsstufe den nomadisierenden Beduinen zuzuschreiben. Ihre „hirtenmäßige Lebensart“ hindere sie nicht daran, einfache Künste wie Tanz und Musik zu entwickeln und, soweit ihr Vermögen reiche, hilfsbereit, „gastfrei und leutselig gegen jedermann“ zu sein (S.  304 f.). Alles in allem führe das Studium der Berichte über die Lebensart der Wilden zu dem Ergebnis, dass sich der Mensch mit sehr Wenigem zufrieden gebe (S.  290). In dieser Abhandlung lässt sich Wieland am weitesten auf Rousseaus Positionen ein, ohne gleich in eine derbe oder ironische Polemik zu verfallen. Er räumt ein, dass „äußerste Verfeinerung der schönen Künste, des

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Geschmacks und der Lebensart (…) zugleich eine Folge und Ursache der äußersten Üppigkeit und Ausgelassenheit der Sitten“ seien. „Diese untergraben einen Staat so lange, bis er endlich zusammenstürzt.“ Freilich, wenn sich dies irgendwo auf der Welt ereigne, wo „zugleich der ganze Inbegriff der aufklärenden und nützlichen Wissenschaften und Künste mit nicht wenigem Eifer angebaut worden sind: so wird der eingesunkne Staat in Kurzem neu belebt und in einer ungleich besseren Gestalt und Verfassung sich aus seinen Ruinen wieder emporheben und, durch seine Erfahrungen weise, die schwere Kunst geltend machen, die Privatglückseligkeit mit der öffentlichen dauerhaft zu vereinen“ (S.  312). Es sei aber entschieden falsch zu behaupten, der Stand der Wilden sei der der wahren Jugend der Welt, und individuelle Fortschritte seien nichts als Schritte „zur Abnahme, Verunstaltung und Ausmergelung der Gattung gewesen“ (S.  313). Das Gegenteil ist richtig, „guter Jean Jacques! Die Vereinigung der Menschen in großen Gesellschaften ist in vielen Stücken dem einzelnen Menschen nachtheilig, befördert hingegen offenbar die Vollkommenheit der Gattung.“ Es treffe ja zu, dass der policierte Mensch nicht so stark, gesund, behend, nicht so frei und mit seinem Zustand so zufrieden sei wie der Wilde. Rousseau habe das „so gut bewiesen, als man es nur verlangen kann“ (S.  312). „Aber der policierte Mensch weiß sich aller seiner Kräfte unendliche Male besser zu bedienen, ist unendliche Male geschickter, seinen Wohlstand dauerhaft zu machen, weiß sich unendliche Mal mehr Vergnügungen zu verschaffen, öffnet sich tausend neue Quellen von Glückseligkeit, die dem Wilden ganz unbekannt sind, ist unendliche Mal mehr Herr über die Natur usw. Rousseau hat also eine unrichtige Bemerkung gemacht.“ Man zeige doch, wo es unter den Wilden einen Raffael, einen Erasmus, eine Bacon, einen Galilei, einen Locke, einen Montesquieu, einen Leibnitz (sic)“ gebe (313 f.). Am Ende dieser Untersuchung vollzieht Wieland einen überraschenden Schwenk zum liberalen Denken, das den gesellschaftlichen und ökonomischen Fortschritt dem Wettbewerb zuschreibt. Die natürliche Trägheit des Wilden, deren Gewicht diesen zu den Thieren herabziehe, werde „durch den feinsten Mechanismus der Natur“ überwunden, „der in der bürgerlichen Gesellschaft zu einer Quelle wetteifernder Thätigkeit“ werde: „Ohne Vereinigung kleiner Gesellschaften in große, ohne Geselligkeit der Staaten und Nationen unter einander, ohne die Collisionen der mannigfaltigen Interessen aller dieser größern und kleinern Systeme der Menschen würden die edelsten Fähigkeiten unserer Natur ewig im Keim eingewickelt schlummern (S.  314). Man ist geneigt anzunehmen, dass sich diese Auffassung einer Kantlektüre, vor allem der bereits zitierten „Idee zu einer allgemeinen Geschichte



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in weltbürgerlicher Absicht“ verdankt – wenn Wielands Abhandlung nicht bereits 1770 erschienen wäre, Kants „Ideen“ aber erst 1794. Der Kern des liberalen Denkens liegt in Adam Smith’ Metapher von der „invisible hand“, die bewirke, das die Konkurrenz der wirtschaftlichen Interessen das ökonomische Optimum hervorbringt. Smith’ „Wealth of Nations“ kann aber Wielands Quelle auch nicht sein, denn dieses Werk erschien erst 1776. Wie kam Wieland auf den liberalen Kerngedanken? Stieß er durch eigene Überlegung darauf? Hier gibt es offenbar noch einiges zu erforschen. Eine 1780 erschienene Miszelle zeigt, dass Wieland inzwischen seinen Frieden mit Rousseau gemacht hat. Sie berichtet eine Episode aus den „Confessions“, dem berühmten document humain, in dem Rousseau einige Abgründe seines Lebens enthüllt. Er habe, als er als junger Mann bei einer adligen Familie in Stellung war, einer gleichfalls bediensteten jungen Frau einen Diebstahl in die Schuhe geschoben. In einem Verhör, bei dem auch diese Bedienstete anwesend war, log er ihr dreist ins Gesicht, sie habe den Diebstahl begangen, obwohl der gestohlene Gegenstand bei ihm gefunden worden war, mit dem Ergebnis, dass beide entlassen wurden. Dieses Verbrechen, so Rousseau, nage noch vierzig Jahre später an seiner Seele (Rousseau 1955, S.  107 ff.). Wieland, der Rousseau nunmehr als einen „außerordent­ lichen Menschen“ bezeichnet, berichtet, dass ihn die Beichte Rousseaus äußerst befremdet habe, meint dann aber nach ausholenden psychologischen Betrachtungen, dass er trotz dieser unverzeihlichen Tat kein Bösewicht sei. „(…) versuchen wir’s wenigstens, ob es uns möglich ist, uns an seine Stelle zu setzen, und ob wir nicht finden werden, daß er, aller Einwendungen unseres Gefühls ungeachtet, noch weit mehr mitleidens- als verdammungswürdig ist.“ (Wieland 1780, Werke Bd.  33, S.  21, 36). VIII. Wielands Option für eine aufgeklärte ständische Gesellschaft in den deutschen Ländern Wieland macht es seinen Lesern nicht leicht, sich Klarheit über seine politischen Überzeugungen zu verschaffen. Während Klassiker des politischen Denkens ihre Argumente konkludent more geometrico entwickelten, erwägt Wieland das Für und Wider der Argumente, so dass seine eigentliche Auffassung nicht immer gleich deutlich wird. Er schätzt eben die tentative Argumentation. Seinen Republikanismus im Entwurf der Inselrepublik des Diogenes hat er bald aufgegeben. In späteren Schriften, vor allem, wie wir sehen werden, in seiner Auseinandersetzung mit den Theoretikern und den Ergebnissen der Französischen Revolution, trat immer deutlicher hervor, dass es ihm um eine Reform der ständischen Verfassungen in Deutschland ging, die nach seiner Meinung zu viele Reste des Feudalismus enthielt.

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Auffallend ist der Zickzackkurs seiner Darlegungen, die seinen Entfeudalisierungsinteressen häufig zuwiderlaufen. Die bürgerlichen Freiheiten müssten erweitert werden, aber durch konkrete Rechte, nicht durch die abstrakten Freiheits- und Gleichheitsversprechungen der Französischen Revolution. Wieland war ein Mann der deutschen Höfe.11 Seine geistige Prägung erfuhr er hauptsächlich dort, wie auch seine literarischen Erfolge (Seiffert 1954, S.  89). Der Kasseler Professor Ch. W. v. Dohm bekannte sich zum Prinzip der Volkssouveränität. Das Volk habe das Recht, durch seine Repräsentanten die „Staatsverwaltung“ seines Königs zu beurteilen und im Falle der Unfähigkeit diesen abzusetzen. Denn das Volk bestehe nicht um des Monarchen willen, sondern es verhalte sich umgekehrt. Der Monarch sei „von unten herauf durch das Volk geschaffen“ (Werke Bd.  30, S.  285 f.). Wieland setzte dagegen, dass diese Lehrsätze keinesfalls eine mathematisch deduzierbare Wahrheit darstellen, sondern dass die Obrigkeit ihre Stellung als „gött­ liches Recht“ besitze (S.  286 f.). Eigentlich lägen die Argumente, die die obrigkeitliche Gewalt entweder auf „Gottes Ordnung“ oder aber auf „blose Menschensatzung“ zurückführten, schon längst auf dem Tisch. Er wolle das Problem noch einmal systematisch aufgreifen. Dabei verfuhr Wieland ausnahmsweise more geometrico: Was würde aus dem Menschengeschlecht ohne Regierung und bürgerliche Verfassung? Nicht etwa Barbaren oder Wilde, denn diese hätten auch eine Art von Regierung, zumindest Oberhäupter. Ihm sei nur ein Volk bekannt, das in völliger Freiheit lebe, nämlich die Bewohner des Feuerlands. Diese seien jedoch kaum menschenähnlich und völlig verelendet. Also: − „Wo ist der Beweis, daß die ersten Könige und Obrigkeiten unter den Menschen erwählt worden?“ − „Wie sollt’ es wohl ein Volk anfangen, um sich selbst zu regieren?“12 Da es hierzu unvermögend sei, könne es auch kein „natürliches Recht“ hierzu haben, weshalb es unmöglich sei, „ein Recht, das es nicht hat, einem anderen zu übertragen“ (S.  289 f.). Deshalb gelte: „Eine Menge Volks ist – eine Menge großer Kinder – ebenso unfähig, ohne Obrigkeit sich selbst in einem leidlichen Zustande zu erhalten, als unsere kleinen Kinder leben und gedeihen könnten, wenn man sie der lieben natürlichen Freiheit überlassen wollte. Und warum hat die 11  Berühmt ist sein Wirken in Warthausen bei Biberach und vor allem am Musenhof der Herzogin Anna Amalia in Weimar, wo er zum Prinzenerzieher avancierte. 12  Die Antwort lautet: Durch ein Repräsentativsystem. Wieland hat seinen Locke schlecht gelesen.



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Natur diese letztern so lange, bis sie sich selbst regieren können, der elterlichen Gewalt unterworfen?“ (S.  290). Aus dieser mehrfach wiederholten Gleichsetzung des Volkes mit einem Kind leitet Wieland ab, dass alle Herrschaft auf dem Recht des Stärkeren beruhe. Dies zeige sich am besten in Aufständen und Bürgerkriegen. In ihnen tue sich stets ein Anführer hervor: „Und diesen Anführer hat immer die Natur gemacht.“ Er sei es, der die geistige Kraft habe, die Übrigen mitzureißen und entschlossen zu handeln. Deshalb sage er die schrecklich klingende Wahrheit gerade heraus: „Das Recht des Stärkern sey Jure Divino die wahre Quelle aller obrigkeitlichen Gewalt. (…) Die Natur gibt dem Schwächern einen Beschützer, einen Vater. Das ist ihr großes Gesetz“ (S.  292 f.). Dass „die Herren Philosophen und Staatsgelehrten“, die „auch gern am Ruder sitzen möchten“, anders gesonnen seien, sei verständlich (S.  298). Gleichfalls verständlich ist, dass v. Dohm, Friedrich Heinrich Jacobi und andere Wielandverehrer auf dessen Ausführungen, die die Sozialvertragstheorie einfach vom Tische wischten, entrüstet reagierten. Dergleichen hätten sie von dem Verfasser des „Goldenen Spiegels“ nie erwartet. Wieland äußerte gleichfalls sein Unverständnis. Dass jemand ihm den „offenbar unsinnigen Satz aufbürden wolle, „die Stärke oder physische Kraft sei das Principium dessen, was in menschlichen Handlungen recht oder unrecht ist“, sei ihm ein Rätsel. Man möge doch den Prolog zu „Schach Lolo“ lesen (vgl. den Kommentar zu diesem Vorgang in: Werke Bd.  30, S.  454 ff.).13

13  „Der Goldene Spiegel“ (Werke Bd.  7 und 8) folgt einem Topos, den auch Montesquieu in seinen „Lettres Persanes“ verwandt hat, nämlich die Kritik der poli­ tischen Zustände im eigenen Land durch die fiktive Schilderung der Zustände in einem exotischen Reich. Bei Wieland handelt es sich um den Bericht über die Missstände in Scheschian. Der dort regierende Schach sei ein fauler Dummkopf gewesen, der sich eine prachtvolle Residenz und die entsprechenden Hofschranzen und Hetären leistete. Seine Misswirtschaft habe das Land ruiniert. Da seine Nachfolger vom gleichen Schlag waren, ging Scheschian unter, seine Bevölkerung wurde von den umliegenden Völkern aufgesogen (Werke Bd.  8, S.  273). – In „Schach Lolo“ (Werke Bd.  11) geht es um den in der Kontroverse mit v. Dohm verhandelten Gegenstand, das „göttliche Recht der Gewalthaber“. Habe man sich in den Besitz der Macht gebracht, so folge daraus alles Weitere: Es „befiehlt, wer kann, gehorcht, wer muß. Das ist das ganze Jus Divinum, alles andere sind Subtilitates für die „knasterbärtigen Doctoren“ (S.  282). Falsch sei aber die Annahme, nur das Volk leide unter der Misswirtschaft eines Schachs. Denn dieser, auch, wenn er alles richtig machen wolle, sei von Höflingen umlagert und wisse am Ende nicht mehr aus noch ein. Zwar leide darunter auch mancher brave Mann, doch „wer dabei am Schlimmsten fähret  /  ist doch zuletzt der Schach, – wie Lolo’s Beispiel lehret“ (S.  286 ff.). – Seine Kritiker hat Wieland durch diesen Hinweis wohl nicht beruhigt.

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IX. Die Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis der Französischen Revolution Wieland präzisierte seine politischen Ansichten in seinen Berichten und Kommentaren zur Französischen Revolution, die er hauptsächlich im „Deutschen Merkur“ veröffentlicht hat. Wieland hat wie ein professioneller Journalist gearbeitet, seine Beiträge waren aktuell und wohl informiert, denn er las die französische Presse der verschiedenen Richtungen (Fink 1981). Seine Auseinandersetzungen mit der Französischen Revolution markieren den Höhepunkt seiner politischen Publizistik. In seinen Äußerungen schwingt stets ein skeptischer Grundton mit. Ob Demokraten oder Monarchisten bzw. Aristokraten, beide Gruppen neigten zum Despotismus (Unterredung 1789, in: Werke Bd.  32, S.  37). Er lehnte aber die Revolution nicht prinzipiell ab. Sein hoher Respekt vor Frankreich als Kulturnation blieb auch zur Zeit der Jakobinerherrschaft und der Invasion französischer Truppen im Rheinland ungebrochen. Die Aufhebung der Mönchs- und Klosterorden – eine der ersten Maßnahmen der Nationalversammlung – fand seinen ausdrücklichen Beifall (Kosmopolitische Adresse 1789, in: Werke Bd.  32, S.  67). Wieland sah in der Revolution die Verzweiflungstat eines „aufs Äußerste getriebenen Volkes“ (Unparteiische Betrachtungen 1789, in: Werke Bd.  31, S. 70). Er betonte die „ungeheuren Beschwerden des Französischen Volkes“, die „Verschwendungen und Erpressungen des Hofes, die „schlechte Justizpflege“ (z. B. die Lettres de cachet, d. h. die willkürliche Verhaftung missliebiger Personen), schließlich „die tief kränkende Verachtung und Bedrückung der arbeitsamsten und nützlichsten Classen (…), die schändliche Gleichgültigkeit der Regierung gegen das Elend des Volks, (…) die das Volk schließlich zur Verzweiflung treiben mußte“ (Betrachtungen über die gegenwärtige Lage des Vaterlands, 1793, in: Werke Bd.  31, S.  214). Seine Abneigung galt dem Demokratismus der Revolutionäre aller Richtungen, den Befürwortern der Volkssouveränität wie dem Abbé Sieyès, Rousseau, Montesquieu14, den vielen Gracchussen und Brutussen sowie der amerikanischen Verfassung (Unparteiische Betrachtungen, in: Werke Bd.  31, S.  75; Zufällige Gedanken, in: Werke Bd. 31, S. 124). Die Demokratie aber sei ein „unendlich verwickelte(s), unbehülfliche(s) und unsichere(s)“ politisches System (ebd., S.  123). Wieland gestand ein, dass die Revolution zur feststehenden Tatsache geworden sei. Trotz aller Versuche der Royalisten und Aristokraten, das Rad 14  Montesquieu passt nicht in diese Reihe, denn er war ein eher konservativer Vertreter der Staatsformenlehre, dessen Hauptinteresse die Verhinderung der absoluten Herrschaft war.



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zurückzudrehen, habe die demokratische Partei „eine furchtbare Überlegenheit“ behauptet, und seit dem 10. August 1792 (nachdem die Pariser Commune die Tuilerien erstürmt und den König gefangengenommen hatte), habe die Revolution gesiegt (Betrachtungen über die gegenwärtige Lage des Vaterlandes, 1793, in: Werke Bd.  31, S.  211 f.). Wieland ging noch einen Schritt weiter. In den „Betrachtungen“ über die Folgen dieser revolutionären Ereignisse für Deutschland schrieb er ihnen eine aufklärende Wirkung zu. Zwar habe die Menge in den vergangenen vier Jahren viele unwahre, halb wahre, übertriebene und gefährliche Sätze aufgeschnappt; andererseits seien aber auch „viele Wahrheiten von der höchsten Wichtigkeit (…), eine Menge praktischer Sätze über Gesetzgebung, Regierung, Menschenrechte und Regentenpflichten in allgemeinen Umlauf gekommen und bis zu den untersten Volksclassen (…) durchgedrungen, welche ehemals nur als Geheimlehren das Eigenthum einer kleinen Zahl von Eingeweihten waren (…).“ Dieser Aufklärung Einhalt gebieten zu wollen, „würde jetzt nicht nur moralisch, sondern selbst physisch unmöglich seyn.“ (Betrachtungen, S.  213 f.). Diese dramatischen Ereignisse seien auch tief in die Gemüter der deutschen Zuschauer eingedrungen. Überkommene Vorurteile respektiere man auch in Germanien nicht länger. Doch die revolutionären Ideen träfen in Deutschland auf politische Voraussetzungen, die sich von denen des vorrevolutionären Frankreichs prinzipiell unterschieden. Ein großer Teil der deutschen Verfassung sei auf den Trümmern des alten Feudalsystems erbaut. Es bestehe noch die ganze Adelshierarchie nebst ihrer klerikalen Seite, z. B. Bischöfe und Äbte, die zugleich regierende Fürsten seien; zudem besäße der alte ritterbürtige Adel als Überreste der alten Lehensverfassung Realservituden, die hier und da ziemlich drückend auf den Schultern der Untertanen lägen und Beschränkungen der persönlichen Freiheit und des freien Eigentumsbesitzes nach sich zögen. Kein Wunder also, dass die französische Revolution Ansätze zu pro- und antifranzösischen Parteibildungen gebe (S.  225). Die ehemalige Deutsche Reichsverfassung sei aber, „ungeachtet ihrer unläugbaren Mängel und Gebrechen, für die innere Ruhe und den Wohlstand der Nation im Ganzen unendlich zuträglicher als die Französische Demokratie (…). Denn das Deutsche Reich bestehe aus einer „großen Anzahl unmittelbarer Stände (…), deren jeder die Reichsgesetze, oder Kaiser und Reich, nur insofern diesen die Handhabung und Voll­ ziehung jener Gesetze obliegt, über sich hat.“ Es gebe keinen Regenten in  Deutschland, „dessen größere oder kleinere Machtgewalt nicht durch Gesetze, Herkommen, und auf viele andere Weise, von allen Seiten ein­ geschränkt wäre (…). Werde diese Ordnung verletzt, so verschaffe die

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Reichsverfassung dem Geschädigten „Schutz und Remedur seiner Beschwerden“ (S.  215; 237 ff.).15 Wieland musste einräumen, dass viele Deutsche nicht mehr bereit waren, die von ihm beredt geschilderten Vorzüge der alten Reichsverfassung einzusehen, selbst dort nicht, wo im Verlauf der Revolutionskriege französische Truppen auf deutsches Territorium vorrückten. Denn die große Klugheit der französischen Feldherren habe ihren Soldaten so gute Zucht und Ordnung beigebracht, dass trotz der Atrozitäten im Gefolge der Revolution große Teile der dortigen Bevölkerung auf das französische „neue Evangelium“ hörten und Gefallen an der Lehre von „der Befreiung aller Völker des Erdbodens“, der „unveräußerlichen Souveränetät des Volks und von der Unrechtmäßigkeit der monarchischen Regierung“ fanden. (S.  230 f.). In Mainz wurde 1792 nach dem Einmarsch der französischen Truppen ein Jakobinerklub gegründet, der bis März 1793 bestand. Wieland hielt es für möglich, dass trotz der Einsichten des „aufgeklärten Theils der Deutschen Nation“ die „Folgen des fortdauernden Daseyns von funfzig- oder sechzigtausend bewaffneter Freiheits- und Gleichheitspredigern auf Deutschem Grund und Boden“ sich letztlich doch „mit Rücksicht auf die Ruhe des Ganzen als gefährlich erweisen könnte (S.  232). Besonders nachdrücklich kritisierte Wieland den „demokratischen Despotismus“ der französischen Revolutionäre. In gewisser Weise ist diese Kritik eine Vorwegnahme von J. L. Talmons Analyse der „totalitären Demokratie“, der er die Theorien der französischen Revolutionäre zugrunde legte. Wieland nahm die verfassungstheoretischen Probleme, die sich aus seiner Auseinandersetzung mit den revolutionären „Metaphysikern“ (S.  75) ergaben, zum Anlass, seine eigenen Auffassungen hierzu zu klären. Wieland bekannte sich entschieden zum Zweikammersystem und bedauerte, dass der „demokratische Theil der Nationalversammlung kein Oberhaus (chambre haute) nach englischem Muster“ haben wolle, denn die Revolu­ tionäre wollten auf keinen Fall die errungene Volkssouveränität mit dem Erbadel teilen (Zufällige Gedanken, Juli 1790, Werke Bd.  31, S.  103). Er selbst lobte das englische Muster in höchsten Tönen. Besonders leuchtete ihm die Primogeniturregelung ein, wonach die nachgeborenen Söhne des Erbadels bürgerliche Commoners waren, d. h. dass sie, wenn sie ins Parlament wollten, fürs Unterhaus kandidieren mussten. So entgingen sie der Regel, dass es für den Adel standeswidrig sei, Geschäfte zu betreiben. Der 15  Wielands Evokation des Glücks in den Winkeln des alten Reichs entbehrt nicht der Schönfärberei. Schiller stellte dessen Lage anhand schreiender Missstände in den deutschen Duodezfürstentümern anders dar, z. B. in „Kabale und Liebe“ in der sog. Kammerdienerszene (II / 2; vgl. Alt 2000, S.  353, 358 f.).



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englische Adel, so Wieland, habe unendlich dadurch gewonnen, „dass seinen jüngeren Söhnen alle Wege, wodurch die Gemeinen zu Ansehen, Einfluss und Reichthum gelangen können, offen stehen“ (Unparteiische Betrachtungen, 1790, Werke Bd.  31, S.  100). Wieland verteidigte die Vorzüge einer adligen Abstammung. Sie berechtige zu „de(m) edlen Stolz, der den Abkömmling einer alten, an großen und verdienstvollen Männern reichen Familie antreibt, sich des glänzenden Namens, den er von ihnen geerbt hat, würdig zu machen (…)“. Er erwecke das „Gefühl von Ehrerbietung und Liebe beim Anblick des würdigen Erben eines Namens (…). Diese Gefühle sind tief in der menschlichen Natur gewurzelt, und werden, so lange die Menschen – Menschen bleiben, durch kein Decret irgend einer Nationalversammlung aus ihr herausdecretiert werden“ (Zufällige Gedanken, Juli 1790, Werke Bd. 31, S. 121) Diese Verneigung vor den edlen Geschlechtern dürfte bei Hofe gefallen haben. In Wielands Schriften zur Französischen Revolution finden sich noch weitere Beiträge, die, ohne an konkrete Ergebnisse gebunden zu sein, die Verfassungsfrage aufgriffen. Hier kommt zunächst ein Aufsatz vom November 1792 „Über Constitutionen“ in Betracht, der an den bereits zitierten Artikel von Kant aus dem Jahr 1784 (Kant 1965) anknüpft (vgl. oben, Anm. 7). Es handelt sich um die These, dass der Mensch seine Anlagen nur in einer bürgerlichen Gesellschaft entfalten könne. Deren Grundverfassung werde beim ersten Zusammentritt der werdenden bürgerlichen Gesellschaft durch einen Vertrag festgelegt. Jedes Glied dieser Gesellschaft sei gleich, und zwar vermöge seiner Eigenschaft als freies und vernünftiges Wesen. Dieses dürfe niemals von einem anderen wider seinen freien Willen „als bloßes Mittel oder Werkzeug gebraucht werden“ (Wieland 1792, Werke Bd.  31, S.  275 ff.). In seinen weiteren Ausführungen will Wieland nachweisen, dass der Kontraktualismus mit einer Monarchie verträglich sei, die deshalb nicht durch Agitation „gegen die natürlichen Mängel der monarchischen Regierungsform“ und „für eine ungebührliche Ausdehnung der Rechte des Volkes“ erschüttert werden dürfe (S.  283). Es komme vor, dass eine Masse von Menschen von einem Usurpator geknechtet werde. Eine solche Menschenmasse sei aber keine bürgerliche Gesellschaft und der Usurpator kein rechtmäßiger Regent, sondern ein Tyrann, „von dessen Joche sich durch jedes zweckmäßige Mittel zu befreien recht ist“ (S.  281). Allerdings – die Illegitimität dieses Unterwerfungsverhältnisses kann geheilt werden. Es kann nämlich ein bisher tyrannisch regiertes Volk sich freiwillig einem Eroberer, zu welchem es Vertrauen hat, unterwerfen. Auch wenn dieses anfangs nicht der Fall gewesen sei, so könne doch entweder der Eroberer selbst „sich in der Folge durch eine gerechte, gesetzmäßige und wohlthätiger Regierung die allgemeine Liebe und mit

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ihr die willige Unterwerfung des Volks erwerben, oder (…) diese Verwandlung einer ursprünglich bloß auf Eroberung gegründeten Herrschaft kann unter seinen Nachfolgern, auf einmal oder stufenweise, zu Stande kommen“ (S.  281 f.). Dies klingt allerdings nach Beschwichtigung: Wartet zu, vielleicht besinnt sich der Usurpator oder dessen Nachfolger doch noch eines Besseren. Wieland scheint dies für den Normalfall gehalten zu haben. Denn obwohl er konstatiert, dass sich die meisten „Staaten dem Recht des Stärkeren (alias Faustrecht) verdanken“ (S.  280), gelangt er zu der Aussage: „Genug, es regiert in diesem Augenblicke in ganz Europa kein einziger Fürst, von welchem man mit Wahrheit sagen könnte, dass er seine Macht nicht durch die Constitution des Staates habe, und dass er nicht (wäre es auch nicht immer aus den lautersten Beweggründen) sein eigenes Interesse mit dem Wohl seiner Unterthanen verbunden glaube.“ (S.  282)16 Wielands letzte Aussagen über die Verfassungszustände im Gefolge der Französischen Revolution befinden sich in den „Gesprächen unter vier Augen“, die in der Zeit nach dem Thermidor (dem Sturz und der Hinrichtung Robespierres am 27. / 28. Juli 1794) und vor dem Staatsstreich des Kriegshelden Napoleon Bonaparte am 18. Brumaire (9. November 1799) entstanden sind (Gespräche, Werke Bd.  32). Gesprächspartner sind jeweils zwei Männer, die verschiedene Namen tragen und von denen der eine eine monarchistische und der andere eine „neufränkische“, d. h. dezidiert republikanische, Auffassung vertritt. Zur Vereinfachung wird hier der Monarchist Primus und der Republikaner Secundus genannt. Die Verteidigung einer gemäßigten Monarchie setzt sich schließlich durch. Secundus gesteht ein, dass das Volk sich nicht selbst regieren könne, weshalb es um seines Besten willen genötigt sei, die Ausübung seiner Souveränität „einem kleinen Ausschuss aus seiner Mitte zu übertragen“ (Gespräche, S.  64). Primus wendet ein, dass die Beratungen vor einer Wahl von Stellvertretern immer „tumultuarisch“ verliefen. Beweis: Die Wahl eines Nachtwächters in Jean Pauls „Kuhschnappel“ und – Wieland zitiert sich selbst – in Abdera (S.  65 f.). Secundus fragt pikiert, wie es denn möglich sei, „dass Freiheit und Gleichheit keinen höhern Werth in Ihren Augen haben?“ Primus: Keinen so hohen als Sicherheit und Ordnung. Denn die demokratische Regierungsform stehe zu dem letzten Zweck der bürgerlichen Gesellschaft in geradem Wider16  Auf Schillers Meinung hierzu ist oben, Anm. 15, hingewiesen worden. Zudem hat Wieland vergessen, dass Russland ja auch ein europäischer Staat war. Auf dem Thron saß damals zwar die Zarin Katharina II., die sich mit der Literatur der Aufklärung beschäftigt hatte, aber auf dem Lande gab es immer noch Leibeigenschaft, missliebige Untertanen wurden deportiert usw. (Gitermann 1945, Zweiter Band, S.  240–262).



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spruch. In einer Demokratie gebe es am wenigsten Freiheit und Gleichheit (S.  98 f.). Primus unterstellt also, dass eine Demokratie notwendig despotisch werde. „Nur ein Staat, worin die persönliche Freiheit und die Sicherheit seiner Person und seines Eigenthums mit dem unverletzlichen und unbestrittenen Ansehen der Regierung durch ein unzertrennliches Band verknüpft, durch weise Grundgesetze hinlänglich bestimmt, und durch eine wohlberechnete Vertheilung der höchsten Gewalt gesichert sind“, könne innere und äußere Ruhe, Wohlstand und Respekt gebietendes Ansehen längerfristig herbeiführen. In dieser Hinsicht sei die britische Staatsverfassung Vorbild. Sie möge einem künftigen deutschen Lykurg zum Muster dienen. Secundus zeigt sich unvermutet überzeugt. Pathetisch ruft er aus: „Sie haben Ihr Wort gehalten, mein Freund. Möge doch der Tag kommen, da ein großer Fürst Göttern und Menschen das Schauspiel gebe, „daß es einen Staat in Europa gebe, wo es ihren Enkeln erlaubt und möglich sey, im sichern Schatten eines ewig feststehenden Throns als freie, gute und glück­ liche Menschen zu leben!“ (S.  132 f.). X. Wieland und Napoleon In Europas Realität stand jedoch ein per Plebiszit an die Macht gekommener Kaiser Napoleon Bonaparte ante portas. Wieland hat dieses 1804 eingetretene Ereignis antizipiert. Seine glänzende Analyse, die ihn zu dieser Prognose befähigte, steht gleichfalls in den „Gesprächen unter vier Augen“ aus dem Jahre 1798. Primus konstatiert, dass im gegenwärtigen Frankreich die Argumente der Republikaner und die der Monarchisten dieselben Defizite aufwiesen, so dass es in der Bevölkerung keine eindeutige Mehrheit für das eine oder andere Lager gebe. Wie aus dieser Gleichgewichtslage he­ rauskommen? Da die Republikaner partout keinen König mehr wollten, bleibe als einziger Ausweg ein „Dictator“ übrig. Er müsste ein „liebenswürdiger junger Mann, mit großem hohen Geist, von den größten Talenten in Krieg und Frieden, von unermüdlicher Thätigkeit, von eben so viel Klugheit als Muth (…) kurz ein Mann seyn, wie es in jedem Jahrhundert kaum einen gibt, und dessen Genius alle anderen in Respect zu halten und zu überwältigen wüßte.“ Secundus: „Bonaparte also! Der Vorschlag hat etwas Einleuchtendes“ (S.  53 f.). Diese geniale Antizipation enthält eine gewichtige Implikation. Denn Bonaparte wurde durch Plebiszit Kaiser der Franzosen, d. h. durch die der Französischen Revolution entsprungene Methode, dem Willen des französischen Volkes Geltung zu verschaffen. Wieland als indirekter Befürworter einer Machterlangung durch Plebiszit – ein Gedanke nicht ohne Charme. Er passt zu seinem tentativen Denken.

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Wieland und Napoleon sind sich übrigens während des Erfurter Fürstenkongresses von 1808 im Weimarer Theater begegnet. Beide verstanden sich auf Anhieb und unterhielten sich weit über eine Stunde miteinander. Dies war übrigens derselbe Anlass und Ort, an dem auch Goethe von Napoleon zu einer Audienz empfangen wurde. Wieland verdankte der Begegnung die Aufnahme in die Légion d’Honneur.17 Literaturverzeichnis Alt, Peter-André (2000): Schiller. Leben – Werk – Zeit, Erster Band, München: Verlag C. H. Beck. [Anonymus, d. i. Wieland, C. M.] (1770): ΣΩΚΡΑΤΗΣ ΜΑΙΝΟΜΕΝΟΣ oder die Dialogen des Diogenes von Sinope. Aus einer alten Handschrift, Leipzig: bey Weidmanns Erben und Reich. Bäppler, Klaus (1974): Der philosophische Wieland. Stufen und Prägungen seines Denkens, Bern und München: Francke Verlag. Euchner, Walter (2004): John Locke zur Einführung, Hamburg: Junius. Fetscher, Iring (2005 / 06): „Sollte diese Qual uns quälen, da sie unsre Lust vermehrt?“ Fortschritt und Katastrophen von Goethe bis Walter Benjamin, in: Athenäum. Jahrbuch für Romantik, S.  79–96. Fink, Gouthirt-Louis (1981): Wieland und die Französische Revolution, in: Schelle, Hansjörg (Hrsg.): Christoph Martin Wieland. Nordamerikanische Forschungsbeiträge zur 250. Wiederkehr seines Geburtstags 1983, Tübingen: Max Niemeyer Verlag, S.  407–443. Gitermann, Valentin (1945): Geschichte Russlands, Zürich: Büchergilde Gutenberg. Goethe, Johann Wolfgang (1958): Zum Andenken Wielands, in: Schriften zu Literatur und Leben, zur Politik, zur Kunst und zur Naturwissenschaft, hrsg. v. Ernst Johann, Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main, S.  18–37. Heinz, Andrea (2005): Der Kosmopolitismus bei Wieland um 1770, in: WielandStudien 4. Aufsätze, Texte und Dokumente, Diskussionen, Bibliographie, Heidelberg: Universitätsverlag, S.  49–61. Herder, Johann Gottfried (1784): Auch eine Philosophie der Geschichte der Menschheit, in: von Müller, Johann, Hrsg. (1820): Propyläen der Geschichte der Menschheit von Johann Gottfried von Herder, Carlsruhe im Bureau der deutschen Klassiker, S.  221–375 (374 f.). 17  Vgl. die Schilderung dieses Vorgangs bei Zaremba (2007, S.  262–265 und Seibt 2009). Goethe blieb ein unbeirrter Verehrer Napoleons, auch noch nach der Völkerschlacht bei Leipzig. Er legte auch danach den ihm von diesem verliehenen Orden der Ehrenlegion nicht ab, was ziemlichen Anstoß erregte, besonders bei dem österreichischen Quartiermeister Reichsgraf Colloredo, der im Hause Goethes einquartiert war (vgl. Seibt, S.  203 ff., sowie Fetscher 2005 / 2006, S.  79–96, bes. S.  81 f.).



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Zaremba, Michael (2007): Christoph Martin Wieland. Aufklärer und Poet. Eine Biographie, Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag. Zeller, Bernhard (1959): Schillers Schwabenreise. Berichte, Briefe. Zusammengestellt von Bernhard Zeller, Jahresgabe 1959 der Höheren Fachschule für das Graphische Gewerbe Stuttgart, Druck der Höheren Fachschule für das Graphische Gewerbe Bd.  10, Stuttgart.

The Sacred Quality of the Political: Reflections on Hobbes, Schmitt and Saint Paul Der sakrale Geist der Politik: Bemerkungen über Hobbes, Schmitt und Paulus By Tracy B. Strong* Überall freilich geht diese Annahme, die ich Ihnen hier vortrage, aus von dem einen Grundsachverhalt: daß das Leben, solange es in sich selbst beruht und aus sich selbst verstanden wird, nur den ewigen Kampf jener Götter miteinander kennt, – unbildlich gespro­ chen: die Unvereinbarkeit und also die Unaustragbarkeit des Kampfes der letzten überhaupt möglichen Standpunkte zum Leben, die Notwendigkeit also zwischen ihnen sich zu entscheiden.1 (M. Weber. „Wissenschaft als Beruf“ – Wissenschaftslehre 550) 11] Man ruft zu mir aus Seïr: Wächter, ist die Nacht bald hin? Wächter, ist die Nacht bald hin? 12] Der Wächter aber sprach: Wenn auch der Morgen kommt, so wird es doch Nacht bleiben. Wenn ihr fragen wollt, so kommt wieder und fragt.

(Jesaja xxi: 11–12)2 *  This essay was originally prepared for a Meisterkurs on “Politische Theologie,” organized at the Institut für Philosophie of the Humboldt Universität zu Berlin by and with the participation of Professor Dr. Volker Gerhardt. The other participants were Professor Dr. Enno Rudolph, Professor Dr. Angelo Bolaffi, Professor Dr. Claus Offe. I am grateful to each for their comments as I am to the students who participated actively in the course.   1  “The assumption that I am offering you here is based on a fundamental fact. This is that as long as life is left to itself and is understood in its own terms, it knows only that the conflict between these gods is never-ending. Or, in nonfigurative language, life is about the incompatibility of ultimate possible attitudes and hence the necessity to decide between them.” 2  “One calls to me from Seir: Watchman, is the night almost gone? Watchman, is the night almost gone? The Watchman said: Even if the morning cometh, it is still

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To read Carl Schmitt in the context of Paul and Hobbes is, among other things, to raise the question of the relation of significant elements of the Western tradition to the thought and political choices of Carl Schmitt. If Schmitt joined the NSDAP by mistake – not clear what it was, thinking it merely a more effective form of German nationalism – then it is hard to account for his remaining in the Party and his silence about it after the defeat. If he joined it by accident – thinking that this happened to be the best path to his advancement and for his career, then his thought will at most be only contingently related to National Socialism. This we can reject: too many people have seen links for us, again in the face of Schmitt’s post-war silence, for us simply to excuse or overlook.3 We are left with the fact that reading Schmitt in the context of thinkers such as Hobbes and St. Paul raises that there are many paths to take from within what are apparently our best traditions. I. Introduction: The Nature of Modernity for Carl Schmitt As a preliminary, we should distinguish a “political theology” from a theology that has politics. Liberation theology4, as it was practiced especially in Latin America until Pope John Paul crushed it, is a theology that has a politics: as such there are many antecedents both in Protestant and Catholic thought. The “Social Gospel” teaching of such men as Walter Rauschenbusch5 that was important around the turn of the last century in the United States is only one instance of such creeds: its proponents suggested not that the Second Coming of Christ would make everything right, but that Christ would not come until human beings had brought justice and peace to human relations.6 remains night. If you wish to inquire, then come again and inquire.” (Isaiah, xxi, 11–12). 3  See Volker Neumann, “Carl Schmitt: Introduction,” in: Arthur Jacobson / Bernhard Schlink (eds.), Weimar: A Jurisprudence of Crisis, University of California Press, 2000, p.  282. On the distinction of “mistake” and “accident” and the moral difference it makes, see J.  L. Austin, “A Plea for Excuses,” in his Philosophical Papers, Oxford, Clarendon, 1963. 4  See e. g. Gustavo Gutiérrez, A Theology of Liberation: History, Politics, Salvation, Revised edition: Orbis books. New York, 1988. 5  See Walter Rauschenbusch, Christianity and the Social Crisis, New York, MacMillan, 1908, chapter Seven (“What To Do”). 6  Heinrich Meier has argued that Schmitt has a theological politics and contrasts Schmitt to Leo Strauss’ philosophical politics. (Heinrich Meier, The Lesson of Carl Schmitt: Four Chapters on the Distinction between Political Theology and Political Philosophy, trans. Marcus Brainard, Chicago: University of Chicago Press, 1998. I think rather that Schmitt has a political theology, that is that the way in which he



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As opposed to this, it is central to any notion of political theology that the experience of politics requires a “theology” to be viable – that is, politics must rely on a source of authority that has the quality of being beyond question. I do not mean that people may not resist it – but that is different than questioning it. For something to be beyond question means that one must find that authority in oneself such that one can do no other than acknowledge its claims. To speak of a political theology thus means to speak of a politics in which it is held that problems cannot be resolved by universally agreed upon procedures. The justification of a policy cannot be made in person-neutral terms but must and can only be made authoritatively. If the liberal dream is the rule of law and not of men, then political theology says that this is a vain dream. So a central question of a political theology must be of the status of the authority on the basis of which decisions are taken. In the West (at least) such theological authority has typically been associated with a particular event that is authoritatively formulated, sometimes as a text whose meaning requires interpretation.7 1. The Fate of Authority in Modern Times: Technicity The question of authority under conditions of modernity can only be approached on a bias – from the side as it were. For Schmitt the political realm was, as it had been for Weber, the realm of relations between human beings, persons as opposed to roles: “die Ordnung der menschlichen Dinge.”8 And persons, for Schmitt as for Weber, made up whatever world there was that was not entzaubert – “de-magified.”9 As Weber says, “[g] änzlich versagt hat die Beamtenherrschaft da, wo sie mit politischen Fragen befasst wurde.”10 Politics has to do with persons, bureaucracy with roles. thinks about politics is political and is a secularization of theological concepts. See Andrew Norris, “Carl Schmitt’s Political Metaphysics: On the Secularization of ‘The Outermost Sphere’ Theory and Event (2000) 4. 1 (online only).” 7  Alain Badiou, Saint Paul. The Foundation of Universalism, Stanford, Stanford University Press, 2003, refers to this as the “Christ-Event.” (chapter eight) by which he means the resurrection. 8  Carl Schmitt, “Das Zeitalter der Neutraliserung und Entpolitisierung”, in: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, Berlin. Duncker & Humblot, [1932] 2002, p. 95. Henceforth “BP xx” in text. English edition as The Concept of the Political, trans. George Schwab, with a foreword by Tracy B. Strong, Chicago, University of Chicago Press, 1996. Page numbered in text as BP xx / yy. This article is cited as BP-ZN. 9  Schmitt, ibid, pp.  94–95. 10  Max Weber, “Parliament und Regierung im neugeordneten Deutschland,” Gesammelte Politische Schiften [GPS], Mohr. Tübingen, 1971, p.  351.

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The political realm – and thus the reality of the human – was, for Schmitt, in danger of disappearing. In modern times he saw it being replaced by two realms. One realm was the supposedly neutral space of scientific technique, in which rational and logical conclusions – neutral with regard to human beings – were attainable. “Heute ist nichts moderner als der Kampf gegen das Politische. … Es soll nur das organisatorish-technische und Ökonomisch-soziologische Aufgaben, aber keine politischen probleme mehr geben.11” In 1929, Schmitt will lecture on Barcelona on this topic as “Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen”12 The decline or disappearance of the political is itself always for Schmitt a “political matter,” as he makes clear in the preface to the second edition of PT. If, however, the political is in danger of disappearing as a human form of life, this can only be because sovereignty as Schmitt understands it is increasingly not a constituent part of our present world. Thus in his 1938 book on Hobbes, he will write “die Mechanisierung der Staatsvorstellung hat die Mechanisierung des anthropologischen Bildes vom Menschen vollendet.”13 Schmitt, with explicit reference to Max Weber, sees danger in the increasing sense of the State as “ein grosser Betrieb.” (PT 69 / 65) Increasingly this plant “läuft jetzt von selbst [und] dadurch geht das dezisionistische und personalistische Element des bisherigen Souveränitätsbegriffes verloren.”14 (PT  52 / 48) Schmitt sees it as his role to recover that element for the contemporary period. The Barcelona lecture was published in 1930 and was added to the 1932 edition of The Concept of the Political: Schmitt thought of it as part of his general argument in that book. As the political is for Schmitt the realm of that which is truly human,15 his distress is that the West is loosing touch with that which gives life human meaning. As he develops his argument in this article, the contemporary West stands at the end of a series of “central 11  Carl Schmitt, Politische Theologie, Berlin. Duncker & Humblot, [1022] 2004, p.  68. Henceforth “PT xx” in the text. English edition as Political Theology, trans. George Schwab with a Foreword by Tracy B. Strong, Chicago, University of Chicago Press, 2005. Page numbers in text as PT xx (German) / yy (English): “Today nothing is more modern than the onslaught against the political … There must be no longer be political problems, only organizational-technical and economic-sociological ones.” (English PT 65). 12  BP-ZN 79–95. 13  Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes: Sinn und Feldschlag eines politischen Symbols, Stuttgart, Klett-Cotta, 1995, p.  60 “…  the mechanization of the conception of the State has ended by bringing about the mechanization of the anthropological understanding of human beings.” 14  “A huge industrial plant” … “runs on its own … [and] the decisionistic and personalistic element in the concept of sovereignty is lost.” 15  See Strauss, “Notes on Carl Schmitt,” par. 1, in: Carl Schmitt, The Concept of the Political, Chicago, 1995, p.  83. See footnote 7 above.



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spheres of thought.” “Central spheres” function here pretty much in the manner that Thomas Kuhn understood paradigms. Thus “[i]st ein Gebiet einmal zum Zentralgebiet geworden, so werden die Probleme der anderen Gebiete von dort aus gelöst und gelten nur noch als Probleme zweiten Ranges, deren Lösung sich von selber ergibt, wenn nur die Probleme des Zentralgebiets gelöst sind.” (BP-ZN 85)16” There have been five “central spheres” since the Renaissance, each loosely identified with a century. As he lays it out in the Barcelona lecture, the history of the last 500 years shows a common structure, even though as the controlling force has changed, so also have what counts as evidence, as well as what was the social and political elite. Thus in the XVIth century the world was structured around an explicitly theological understanding with God and the Scriptures as foundational certainties; this was replaced in the next century by metaphysics and rational (“scientific”) research and in the eighteenth by ethical humanism with its central notions of duty and virtue. In the XIXth century economics comes to dominate (although ­Schmitt is seen as a man of the Right he always took Marx completely seriously) and, finally, in the XXieth century technicity is the ordering of the day. And this is at the core of his claim that ours is an age of “neutralisation and depoliticization”: whereas all previous eras had leaders and decision-makers – what he calls here “clercs,” – the era of technology and technological progress has no need of individual persons.17 Schmitt uses the French clerc and no doubt has in mind the 1927 book by Julien Benda, La trahison des clercs (The Treason of the Intellectuals)18. But whereas Benda had seen the clercs as mistakenly turning away from spiritual and eternal values to temporal and political activity, Schmitt, ta­ citly opposing Benda, sees the clerc as the person who most centrally grasps and formulates the core of a particular central sphere.19 16  “If a sphere of thought becomes central, then the problems of other spheres are solved in terms of the central sphere – they are considered secondary problems whose solution follows as a matter of course only if the problems of the central sphere are solved.” 17  This periodisation can be also be found in shorter form in the 1934 preface to Politische Theologie, pp.  1–2. The stages are well discussed in Henning Ottmann, “Das Zeitalter der Neutralisierungen und EntTotalisierungen: Carl Schmitts Theorie der Neuzeit,” in: Reinhard Mehring (ed.), Carl Schmitt. Der Begriff des Politischen. Ein Kooperativer Kommentar, Akademie Verlag. Berlin, 2003, pp. 156–169. See the more extensive discussion in my foreword to Political Theology. 18  A contemporary edition is Julien Benda, Le trahison des clercs, Les cahiers rouges. Grasset, 2003. 19  Jacob Taubes, The Political Theology of Paul, Stanford, Stanford UP, 2004, writes that “He [Schmitt] is a clerk, and he understands his task not to be to establish the law but to interpret the law.” (p.  103).

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The central quality of all transformations that have led to our present stage – “technicity” – is the “striving for a neutral sphere.” For Europe, the attraction of a neutral sphere is that is seemed to provide a solution to the conflicts that had grown up out of quarrels over theology. It transformed the concepts elaborated “in vielen Jahrhunderten theologischen Denkens” into what are for Schmitt “jetzt … Privatsachen.” (BP-ZN 89)20 However, each stage of neutralization became, in Schmitt’s analysis, merely the next arena of struggle. Thus what someone like John Rawls sees as one of the most important achievements of the West – religious toleration – is for Schmitt merely the prelude to another form of conflict. The central question now therefore is what conflicts will arise when the central sphere is technicity, which, “eben weil sie jemand dient, ist … nicht neutral.” (BP-ZN 90)21 Here Schmitt finds himself in opposition to thinkers like Weber, Troeltsch and Rathenau, whom he reads as in despair before the “Entzauberung der Welt”. If one follows them, Schmitt says, one will despair, for the world will appear only as what Weber called a “stahlhartes Gehäuse” with no way out, not even a look.22 This leads to quietism or despair, the most important danger now confronting Europe. This danger arises because it is Russia (i. e. the USSR) who has understood and seized technicity and made it its own in the new arena of conflict. Only in Russia does one now find a sense of a new “strong politics.” Schmitt writes somewhat chillingly in Der Begriff des Politischen that “[d]adurch, dass ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk.”23 He thus closes his Barcelona article with a truncated citation from Vergil’s “Fourth Eclogue”: Ab integro nascitur ordo. The full line is “Magnus ab integro seclorum nascitur ordo” which translates as “a great order of the ages is born from the renewal.” Schmitt’s abbreviated line means “an order is born from the renewal.”24 The eloquent two closing paragraphs of Schmitt’s article are in 20  “By

centuries of theological reflection …” “private matters”. because it serves all … is not neutral”. 22  Max Weber, Die Protestantische Ethik und der Geist der Kapitalismus, in: Religionssoziologie I, Tübingen, Mohr 2003. The standard English translation as “iron cage” is thus misleading: not only can you not get out but you cannot even see out. 23  BP  54: “When a people no longer has the strength or the will to hold itself to the realm of the political, the political does not thereby disappear from the world. It is only a weak people that perishes.” 24  It is worth noting both that this line served as the origins for the motto (“novus ordo saeculorum”) on the Great Seal of the United States as devised by Charles Thompson (an eminent Latinist), and that the following lines in Vergil speaks of the coming of a new child, which was understood by medieval Christianity to be a 21  “Precisely



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effect a call for the West to be equal to the need for this renewed conflict and to oppose the forces of Communism. (Here Schmitt shares concerns with Heidegger). And this is at the core of his claim that ours is an age of “neutralisation and depoliticization”: whereas previous eras still had leaders and decision-makers, the era of technology and technological progress is different in that increasingly it has no need of actual individual persons.25 What is wrong with technicity? The danger and problem with technicity is that it claims to have person-neutral ways of solving disputes. The “organisation-technical” method is characterised by three epistemological presuppositions. The first is that one can make a clear-cut conceptual separation between facts and values and that, in consequence, values were subjective, not of the world, and could be kept apart from ones analysis of social reality. This was not a denial that values were “important” but it was a denial that values were objects of knowledge.26 A second claim was parent to the first. It was a claim that propositions about the world could and should be made to speak for themselves – thus that propositions about the world should have a validity independent of he or she who advanced them. One could and should clearly separate the speaker from the spoken, for if one did one’s work right not just empirical claims about the world but concepts themselves would stand independently of the speaker. In its simplest form, the claim was that a statement like “mass equals force times acceleration” was true independently of who said it and of when and where it was said. The third claim derived from the first two. It held that certain forms of discourse (claims to knowledge) were responsible and responsive to the real world in ways that other forms (one might think of them as emotive, or expressive) were not.27 In the first but not the second, the expectation was that the world would correct mistakes is an erroneous analysis. prophecy of the coming of Christ. The last entry in Schmitt’s Glossarium (published in 1991) reads: “Mit jedem neugeborenen Kind wird eine neue Welt geboren.” He goes on to hope that the child will be an “Aggressor.” 25  This periodisation can be found explicitly in the Barcelona address and is implicit in the first several pages of chapter three of PT; it is made explicit in shorter form in the 1934 preface to PT, pp.  1–2. The stages are well discussed in Henning Ottmann, “Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen: Carl Schmitts Theorie der Neuzeit”, in: Reinhard Mehring (ed.), Carl Schmitt. Der Begriff des Politischen. Ein Kooperativer Kommentar, Akademie Verlag. Berlin, 2003, pp.  156–169. 26  See James Conant, “Must We Show What We Cannot Say,” in: Paul Guyer /  Hilary Putnam (eds.), The Senses of Stanley Cavell, esp. p.  252–253. 27  See the discussion in Stanley Cavell, Themes Out of School, Chicago, 1984, 36.

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On the basis of these presuppositions, Technizität seemed to provide a model of a neutral resolution to disputes and this was its attraction. These presuppositions are central to political liberalism: they ground the possibi­ lity of rational agreement. (Political liberalism does not, of course, think that all humans will behave rationally at all times; but it does think that rationality has a compelling quality such that resisting it is a sign of perversity or ignorance.) 2. The Fate of Authority in Modern Times: Aesthetic Subjectivity Along with science, and perversely companion to it, Schmitt saw the arising of a second realm, the realm of aesthetic subjectivity. The transition to the Technizität sphere is made possible, Schmitt argues by an “Ästheti­ sierung aller geistigen Gebiete [aestheticization of all sectors of the spirit].” (BP-ZN 83) This is the epistemological basis for his critique of liberalism as a clasa discutora, unable to come to any decision on anything because all decisions appear the same. If the scientific realm held out a method for resolving some disputes, the aestheticization of the rest of the world – of that portion not amenable to scientific resolution – subjectivized it and held that was no way to resolve those disputes if they could not be resolved by science. Thus liberal scienticism and romanticism come together – two sides of the same modern coin. From this we get his lapidary sentence from The Crisis of Parliamentary Democracy: If a liberal is asked “Christ or Barrabas, he responds with a proposal to adjourn or appoint a committee of investigation.”28 Responding to the double bind of modern society, Schmitt argues that in such a context the recovery of the political realm must of necessity come from outside the liberal-romantic world, that is, it cannot be justified in terms of the categories of that world. It must come, as Herbert Marcuse argued, from a state whose only “justification is its existence”29 – or rather its practice. Justification must be ontological rather than epistemological. a) Aesthetic Authority (Intermezzo) But how can something come to have the quality of being convincingly present to us, such that it serves as an authority? I believe the model for Schmitt’s approach to these questions has its origin in Kant’s Kritik der 28  Carl

Schmitt, The Crisis of Parliamentary Democracy, MIT, 1985, 62. Negations, Boston 1968, p.  31.

29  H.  Marcuse,



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Urteilskraft. It is here that Kant introduces the concept of “genius.”30 With this concept, Kant seeks to account for the very existence of something that has the quality of being a work of art. This account actually marks the beginning of an important shift in aesthetic theory. Generally speaking prior to the end of the XVIIIth century, examples of the aesthetic had been sought in that which existed naturally. Thus the “sublime” for instance, was generally instantiated with reference to a storm, or a sunset, or some such natural phenomenon. By the late XVIIIth century – let us say by the “storm” section of Beethoven’s Third Symphony or by the D moll sequence that marks the arrival of the Commendatore in the next to the last scene in Don Giovanni – the sublime was also clearly a human product. The genius-artistcreator has become part of the accepted world.31 By introducing the idea of the genius Kant focuses on human creation, thus accomplishing a transformation that started with the XVIIth century. The aesthetic quality is held by Kant “von allem Zwange willkürlicher Regeln so frei scheinen”32 It appears as natural – that is as given in and of itself. Such is “beautiful art” – art which Kant says is both purposive and without an end. As such the origin of that which we experience as art must be without apparent foundation as it is grounded in precisely the incomprehensible.33 So the question naturally arises as to how the work of art comes into being. Since such a work is the work of “subjective universality” (that makes a judgment of beauty without referring to any concept)34 Somewhat later in the section Kant differentiates between the perceiver of beauty and its creator, and clearly thinks that accounting for the creation of beauty a more difficult matter. It is this that leads Kant to introduce the idea of genius. 30  “Genius” is one of the topoi of nineteenth century thought. See the account in Jochen Schmidt, Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik, 1750–1945. 2 volumes, Darmstadt, 1985, which covers thinkers from Klopstock and Lessing, through Kant to Schopenhauer, Nietzsche, and the twentieth century, albeit not always unconventionally. On Kant see also Giorgio Tonelli, “Kant’s Early Theory of Genius (1770–1779): Part I,” in: Journal of the History of Philosophy, v. IV (1966): 109-31 and “Part II,” in: ibid., v. V, pp. 209–24. Thanks to Jackob Pyetranker for calling these articles to my attention. 31  See for instance, F.  Nietzsche, Die Fröhliche Wissenschaft, #  105. I am indebted here to several conversations with Professor Alexander Rehding of the Harvard Music Department. 32  I. Kant, Kritik der Urteilskraft [henceforth KU] § 45, Akademie edition: 5.306. 33  As Dieter Henrich, Aesthetic Judgment and the Moral Image of the World, Stanford University Press, Stanford, CA, 1992, writes: “We must … wonder how understanding, in its lawfulness, can enter a situation that cannot be elucidated by reference to the constitutive usage of the categories and that precludes general concepts.” (p.  47). 34  KU §  6 (5.211).

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“Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel giebt.”35 The genius has the complete freedom of incomprehensibility. “Der Urheber eines Products, welches er seinem Genie verdankt, selbst nicht weiß, wie sich in ihm die Ideen dazu herbei finden, auch es nicht in seiner Gewalt hat, dergleichen nach Belieben oder planmäßig auszudenken und anderen in solchen Vorschrifte.”36 This is originality, which means for Kant that what the genius accomplishes cannot be confined to, nor explained by, any systematic understanding or procedure. In the Anthropology, Kant is clear that the word applies only to an “artist” and only to the artist who does something original. Later in that book he can write that “Das Genie glänzt daher als augenblickliche, mit Intervallen sich zeigende und wieder verschwindende Erscheinung nicht mit einem willkürlich angezündeten und eine beliebige Zeit fortbrennenden Licht, sondern wie sprühende Funken, welche eine glückliche Anwandelung des Geistes aus der productiven Einbildungskraft auslockt.”37 Here it is worth noting that even Newton does not count as a genius for what he did could be set out for all to understand and thus could in principle have been discovered by others.38 It seems to me clear from this that the actual operation of genius remains a bit of a mystery for Kant. Thus he must ascribe it to a “happy seizure of the spirit.” This mysterious quality is all the more important in that Kant thinks that a work of art (of true art) has the quality of providing grounds for others to judge and of at the same time providing the structure – as we might call it – for their mutual comprehensibility. Kant will say that “Die Einbildungskraft (als produktives Erkenntnisvermögen) ist nämlich sehr mächtig in Schaffung gleichsam einer andern Natur, aus dem Stoffe, den ihr die wirkliche gibt”39 Thus Novalis will in the last decade of the XVIIIth 35  KU

§  46  ff (5.307ff). §  46 (5. 308) “He does not know himself how the ideas for [the beautiful work of art] come to him, and also does not have it in his power to think up such things at will or according to plan, and to communicate to others precepts that would put them in apposition to produce similar products.” 37  Anthropologie (5.318n) “Genius … glitters like a momentary phenomenon which appears and disappears at intervals, and vanishes again. It is not a light that can be kindled at will and kept burning for a period of one’s choosing, but it is rather like a spark scattering flash which a happy seizure of the spirit entices from the productive imagination.” 38  KU §  47 (5.309). 39  Ibid §  49 (5.314). “the imagination (as a productive cognitive faculty) is, namely, very powerful in creating, as it were, another nature, out of the material which the real one gives to it.” I suspect that it is in response to this that Nietzsche can write in “Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben” (HL 3 WKG III-1 p.  261): “Denn da wir nun einmal die Resultate früherer Geschlechter sind, sind wir auch die Resultate 36  KU



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century define genius as “the capacity to describe imaginary objects as if they were real and to act upon them as if they were real.”40 What Kant calls genius is pretty much like what might produce what Schmitt understands as the sovereign decision on the exception.41 (Kant’s aesthetics are of course not subjectivist). Kant says that the act of genius imparts “another nature” to the world. So also the sovereign gives the rule in a condition where what to do and be is not previously defined. It is also a pretty accurate description of what happens with the creation of the Leviathan, except that for Hobbes there is apparently no single creative genius for we all make the Leviathan. Where there was nothing there is now something. Yet what is that something? I propose that we see what happens with the creation of the Leviathan as an instance of incarnation. Here Luther’s “eingefleischt” catches the sense of embodiment better than Inkarnation. To further explore Schmitt’s notion of sovereignty, I turn to a consideration of Hobbes.

ihrer Verirrungen, Leidenschaften und Irrthümer, ja Verbrechen; es ist nicht möglich sich ganz von dieser Kette zu lösen. Wenn wir jene Verirrungen verurtheilen und uns ihrer für enthoben erachten, so ist die Thatsache nicht beseitigt, dass wir aus ihnen herstammen. Wir bringen es im besten Falle zu einem Widerstreite der ererbten, angestammten Natur und unserer Erkenntniss, auch wohl zu einem Kampfe einer neuen strengen Zucht gegen das von Alters her Angezogne und Angeborne, wir pflanzen eine neue Gewöhnung, einen neuen Instinct, eine zweite Natur an, so dass die erste Natur abdorrt. Es ist ein Versuch, sich gleichsam a posteriori eine Vergangenheit zu geben, aus der man stammen möchte, im Gegensatz zu der, aus der man stammt – immer ein gefährlicher Versuch, weil es so schwer ist eine Grenze im Verneinen des Vergangenen zu finden, und weil die zweiten Naturen meistens schwächlicher als die ersten sind. Es bleibt zu häufig bei einem Erkennen des Guten, ohne es zu thun, weil man auch das Bessere kennt, ohne es thun zu können. Aber hier und da gelingt der Sieg doch, und es giebt sogar für die Kämpfenden, für die, welche sich der kritischen Historie zum Leben bedienen, einen merkwürdigen Trost: nämlich zu wissen, dass auch jene erste Natur irgend wann einmal eine zweite Natur war und dass jede siegende zweite Natur zu einer ersten wird.” 40  Novalis, Pollen, in: F.  Beiser, Writings of the Early German Romantics, Cambridge UP, p.  12. 41  See Peter Bürger, “Carl Schmitt oder die Fundierung der Politik auf Aesthetik,”, in: Zerstörung, Rettung des Mythos durch Licht (ed. Christa Bürger) Frankfurt, 1986. I owe the reference to Victoria Kahn, “Hamlet or Hecuba: Carl Schmitt’s Decision,” Representations (Summer 2003, 83), pp. 67–96. I came across this article after writing mine and am pleased that she starts hers with some of the same considerations I use.

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II. Thomas Hobbes The frontispiece to the Leviathan is justly famous and has recently been subject to an important commentary by Horst Bredekamp.42 Let us note some additional qualities of the engraving: − The giant who appears on the horizon has the quality of always being in view. When one comes out for ones newspaper in the morning, the Leviathan is there, just as it was when you went to bed. − The body of the giant is composed of individually distinguishable beings all of who face towards the giant; like a theater audience they have an intransitive relationship to that which they behold. You see their backs just as one does when seated in the theater. (Their orientation is, incidentally, a change, requested by Hobbes, from an earlier version where the artist drew them facing outwards). − Under the picture is a double escutcheon (Schild); the banner uniting them proclaims this to be a book about a “Commonwealth Ecclesiastical and Civil.” The important word there is the “and” which joins the instruments of civil power on the left to the ecclesiastical ones on the right. Thus Rousseau in the Contrat Social (iv, 8) writes that Hobbes “[d]e tous les Auteurs Chrétiens … est le seul qui ait bien vû le mal et le remède, qui ait osé proposer de réunir les deux têtes de l’aigle, et de tout ramener à l’unité politique, sans laquelle jamais Etat ni Gouvernement ne sera bien constitué, qui a su réunir les deux têtes de l’aigle.”43 − Over everything there is a citation from Scripture, the book of Job (Hiob): “Non est potestas super terram quae comparetur. (Auf Erden ist nicht seines gleichen).” The verse continues to say that the Leviathan is “without fear.”

42  Horst Bredekamp, Thomas Hobbes: visuelle Strategien. Der Leviathan: Urbild des modernen Staates. Werkillustrationen und Portraits, Berlin, Akademie Verlag, 1999. He argues that the body of the Leviathan draws upon the corpus hermeticum (p.  61  ff). See also my discussion of the frontispiece in “How to Write Scripture: Words, Authority and Politics in Thomas Hobbes,” Critical Inquiry 1993 (20:1) pp.  128–159 and “When Is a Text Not a Pretext? A Rejoinder to Victoria Silver,” pp.  172–178 in the same issue. 43  J.  J.  Rousseau, Du Contract Social, livre 4, chapitre 8, in: Œuvres Complètes, Paris. Gallimard, 1964, volume 3, p.  463. “Of all Christian authors [Hobbes] is the only one who has correctly seen both the disease and the remedy, who has dared to urge the reuniting of the two heads of the eagle and to bring everything back into political unity, without which neither the state nor the government will ever be properly constituted, who has known how to reunite the two heads of the eagle.”



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The passage from Hiob comes at the end of a sequence that begins in book 38 with a comparison of God to a geometer or an architect. [1] Und der HERR antwortete Hiob aus dem Wettersturm und sprach: [2] Wer ist’s, der den Ratschluß verdunkelt mit Worten ohne Verstand? [3] Gürte deine Lenden wie ein Mann! Ich will dich fragen, lehre mich an [4] Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir’s, wenn du so klug bist! [5] Weißt du, wer ihr das Maß gesetzt hat oder wer über sie die Richtschnur gezogen hat? [6] Worauf sind ihre Pfeiler eingesenkt, oder wer hat ihren Eckstein gelegt, [7] als mich die Morgensterne miteinander lobten und jauchzten alle Gottessöhne?44

I do not think it an accident that Hobbes places Scripture over everything. The particular citation is a citation that describes what would be an absolute and unquestionable authority, at least on this earth. (It is thus significant that Hobbes was a Christian mortalist, i.e that he believed that the soul died with the body and would be reborn together only at the Last Judgment. If there were an independently existing soul the this-earth focus would be called into question – cf Lev. 38, 44). Put these points about the frontispiece together and we find that the Commonwealth requires (1) a single, absolute power in and as which we all exist; (2) that the Sovereign has no fear (of death, especially45); and (3) that the existence of the commonwealth is brought about by art – poiesis. The need for this single absolute power derives from the fact that Hobbes knows there to be two kinds of knowledge. The first is natural or mathematical and as he says in the dedication to Humane Nature is “free from controversy.” (English Works 4.xiii). The second kind of knowledge of which Leviathan is possibly a first exemplar is also knowledge, but knowledge in which profit and pleasure intervene. About such knowledge there 44  1. Then the Lord answered Job out of the whirlwind, and said, 2.  Who is this that darkeneth counsel by words without knowledge?  Gird up now thy loins like a man; for I will demand of thee, and 3. 

answer thou me. 4. Where wast thou when I laid the foundations of the earth? declare, if thou hast understanding. 5. Who hath laid the measures thereof, if thou knowest? or who hath stretched the line upon it? 6. Whereupon are the foundations thereof fastened? or who laid the corner stone thereof; 7. When the morning stars sang together, and all the sons of God shouted for joy? 45  It is worth noting that Hobbes spent a lot of time convincing people that they were in fact afraid of violent death, something that the history of the preceding quarter-century called into serious question.

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must be controversy, controversy that cannot be eliminated by any neutral procedure. As Hobbes notes: “The doctrine of right and wrong is perpetually disputed both by the Pen and the Sword; whereas the doctrine of lies and figures is not so; because men care not in the subject what be truth, as a thing that causes no mans ambition, profit or lust.” (Lev.  11). The sovereign has no fear of death because although the being who holds the place of the sovereign can die, the Sovereign itself, as a human construction, will be constantly reborn: it is a ‘mortal God.’ It is thus not the case that civil philosophy is a model of “scientific politics,” nor is Hobbes’ philosophy a “sub-department of physics,” as some have claimed (Watkins, Goldsmith). Yet Hobbes does say that the model of truth for the second kind of knowledge, as well as for the first, is geometry (“the only Science that it hath pleased God hitherto to bestow on mankind.”  – Lev.  28). 1. The Poietics of Theology and Geometry If the model is geometry, where is the theology? The reference in the passage from Hiob to “Worten ohne Verstand”, to the founding of the Earth, and the attribution of these to God’s quality as the geometer of the Earth are important, given Hobbes’ appreciation of geometry. Here one must pay close attention to what Hobbes understood Geometry to be (and indeed to what “science” meant in the XVIIth century)46. Geometry has for Hobbes three qualities: it is, as I just indicated, God given; it depends on human agreement; they must agree on the correct definition of words. As a practice, it is God-given but – or rather, and – it depends on explicit human agreement; it is conventional and it makes error impossible for him who practices it. Hobbes is at the same time a conventionalist, an essentialist, and a theist all at once. “Where the causes are know,” says Hobbes, “there is place for demonstration, but not where the causes are to seek for. Geo­ metry therefore is demonstrable, for the lines and figures from which we reason are drawn and described by ourselves; and civil philosophy is demonstrable because we make the commonwealth ourselves.”47 (The special epistemological status of that “which we make ourselves” was already present in books like Mersenne’s Harmonie universelle and will form the 46  See Ted H. Miller, “The Uniqueness of Leviathan,” in: T. Sorrell (ed.), Leviathan After 350 Years, Cambridge UP, 2001, as well as Douglas M. Jesseph, Squaring the Circle: The War Between Hobbes and Wallis, Chicago. University of Chicago Press, 2000. 47  T.  Hobbes, “Six Lessons for the Professors of Mathematics,” English Works, Molesworth Edition, volume 7: 184.



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basis of the development of modern aesthetics with Baumgarten in the XVIIIth century). “We make the commonwealth ourselves.” Why does this not open the door to relativism? How does this give us authoritative assurance? “Auctoritas, non veritas fecit legem” notes Schmitt citing the Latin edition of Leviathan, chapter  26 (a point Hobbes reinforces in chapter  42) where he relates command and authority to the acts of actual human beings. “Truth of doctrine,” says Hobbes, must rest on authoritative acts and not on “facts.” Nor can it owe nothing to tradition. (Lev. “Review”). I note here that for a Protestant the truth of Scripture does not depend on knowing what Its author meant (for God cannot be known). Scripture is authoritative in and of itself, not because we know the intentions of the author. As for facts and tradition, they are well known sources of error to Protestants.48 It is worth noting that the rather sharp interrogating secretary at Luther’s trial in Worms fastened on this point, arguing that Luther’s doctrine of conscience would destroy the Church: Luther’s response was that conscience should generate a Church, with ultimate authority being located in what was written as Scripture, hence not of human authorship. Hobbes argues that Christians do not know but they do believe Scripture to be the word of God and they believe this because “they have been taught it from their infancy.” (Lev.  43) The authority here is precisely from the fact that there is no available author. It is not a problem for Hobbes that we are taught from infancy: were we not, Scripture could never have authority. After all we are taught grammar from our infancy and that does not make it any less authoritative.49 The problem for Hobbes is then not the question of the authority of the Scriptures – everyone knows that God is their author. Likewise the question is not precisely to know what they mean but only by what they become law. And the answer to that is for Hobbes the Sovereign. Leviathan, chapter thirty-three: 48  See e. g. Jean Calvin, Institutes of the Christian Religion, “Dedication to Francis I.” 49  In the “An Answer to Bishop Bramhall” Hobbes writes: “To obey is to do or forbear as one is commanded, and depends on the will; but to believe, depends not on the will, but on the providence and guidance of our hearts that are in the hands of God Almighty. Laws only require obedience; belief requires teachers and arguments drawn either from reason, or from some thing already believed. Where there is no reason for our belief, there is no reason we should believe. The reason why men believe, is drawn from the authority of those men whom we have no just cause to mistrust, that is, of such men to whom no profit accrues by their deceiving us, and of such men as never used to lie, or else from the authority of such men whose promises, threats, and affirmations, we have seen confirmed by God with miracles.”, English Works, volume 4.

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It is a question much disputed between the divers sects of Christian religion, from whence the Scriptures derive their authority; which question is also propounded sometimes in other terms, as, how we know them to be the word of God, or, why we believe them to be so: and the difficulty of resolving it, ariseth chiefly from the improperness of the words wherein the question itself is couched. For it is believed on all hands, that the first and original author of them is God; and consequently the question disputed, is not that. Again, it is manifest, that none can know they are God’s word, (though all true Christians believe it,) but those to whom God himself hath revealed it supernaturally; and therefore the question is not rightly moved, of our knowledge of it. Lastly, when the question is propounded of our belief; because some are moved to believe for one, and others for other reasons, there can be rendered no one general answer for them all. The question truly stated is, by what authority they are made law.

From what and how is the commonwealth made? Hobbes criticizes the Descartes’ development (in the “Second Meditation”) of the cogito from the act of thinking to a “spirit, a soul, an understanding, a reason.” Hobbes is perfectly happy to say that he is a thing that thinks (that is a body) but he resists Descartes’ move to self-consciousness by arguing that Descartes would thereby commit himself to an endless regress.50 Hobbes must refer the act of thinking to a corporeal, material, this-worldly being. He makes these moves as early as 1640 in De Corpore but they are central to his notion of sovereignty as an artificial soul, existing only when the Leviathan is animated by living persons. We find that this Leviathan is brought into existence in a manner analogous to God’s creation of the world. This is poiesis. “For by art is created that great Leviathan called a Commonwealth, or State, (in Latin Civitas) which is but an artificial man; though of greater stature and strength than the natural, for whose protection and defense it was intended;” (L. Introduction).51

What makes this art possible? In the “Introduction,” Hobbes gives us the means: [T]here is a saying much usurped of late, that wisdom is acquired, not by reading of books, but of men. Consequently whereunto, those persons, that for the most part can give no other proof of being wise, take great delight to show what they think they have read in men, by uncharitable censures of one another behind their backs. But there is another saying not of late understood, by which they might learn truly to read one another, if they would take the pains; and that is, nosce 50  See Descartes, Philosophical Works, Cambridge University Press, 1976, volume 2: 61. This is part of Hobbes’ refusal of any form of dualism. 51  It is worth noting here that Hobbes’ analogy of the various institutions to parts of the body politic draws in part upon a strand of medieval thought that goes from John of Salisbury’s “Policraticus” (a fact noted by Schmitt at the end of PT II) to Fortescue’s “De Laudibus Legem Angliae”.



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te  ipsum, read thyself: which was not meant, as it is now used, to countenance, either the barbarous state of men in power, towards their inferiors; or to encourage men of low degree, to a saucy behaviour towards their betters; but to teach us, that for the similitude of the thoughts and passions of one man, to the thoughts and passions of another, whosoever looketh into himself, and considereth what he doth, when he does think, opine, reason, hope, fear, &c. and upon what grounds; he shall thereby read and know, what are the thoughts and passions of all other men upon the like occasions.52

The art of bringing the Leviathan into existence is based on reading oneself; indeed, the most stunning part of this declaration of intention is Hobbes’ translation of nosce te ipsum. It clearly means “know thyself” yet Hobbes gives it immediately and pointedly as “read thyself.”53 Such reading he goes on to say will cause the characters to become legible. When we have read we will have read what is in the heart of each of us. We will have read ourselves as we construct of artificial man who is the Sovereign and the commonwealth. How can this happen that I find a text I myself, that I know that I am a text? How then can I know that you have found the same text and thus that we have found each other as we found ourselves, that this text is the authoritative base of our commonality? It is not easy: in the “Appendix” to the Latin edition of Leviathan, Hobbes writes: “Natural law is eternal, divine and inscribed only in human hearts. But there are very few men who know who to examine their own heart and read what is written there? Thus it is from written laws that men know what they must do or avoid.”54

Hobbes understands his book as that which he has read in his and thus in our heart: most of us cannot so read. What is in my heart is what is in yours and Hobbes has made us a present of it and made us present to it by his book. What if he is wrong? Here his position is like that of Luther on conscience: if we can convince him that he is wrong, he will change his 52  Hobbes may have in mind the poem “Nosce Te Ipsum” by Sir John Davies (English lawyer, Speaker of the Irish Parliament, and Lord Chief Justice who lived from 1569 to 1626). See Ted H. Miller, “The Uniqueness of Leviathan,” in: T. Sorrell (ed.), Leviathan After 350 Years, Cambridge. Cambridge UP, p.  97 53  For a more extensive discussion see my “How to Write Scripture: Words, Authority and Politics in Thomas Hobbes,” Critical Inquiry 1993 (20:1) pp.  128–159 and “When Is a Text Not a Pretext? A Rejoinder to Victoria Silver,” pp. 172–178 in the same issue. See also Gary Shapiro, “Reading and Writing in the Text of Hobbes’ Leviathan,” Journal of the History of Philosophy 18 [April, 1980], 147–157. 54  See Thomas Hobbes, Léviathan (ed. F. Tricaud) Paris, Siley, 1988, p.  700. I note that Davies’s poem contains the lines: We interpret lawes, which other men haue made, But reade not those which in our hearts are writ.

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mind.55 (As we known, Hobbes was somewhat hard to convince that he was wrong as he produced over ten proofs for the squaring of the circle). What however is inscribed as the Leviathan? It is words that are in our (each of us) heart. At the beginning of the gospel of John we find that “Im Anfang war das Wort … Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.” Christ is thus an incarnation of the word. The Leviathan is also a making flesh – more precisely a making of artificial flesh, at once God, Man, monster, and machine – of the words that are in our heart. Hobbes was worried that he might be thought to be making a mere automaton – only a machine – and he explicitly places the Leviathan on a higher level than a mere automaton. (“Art goes yet further [then automata], imitating that rational and most excellent work of nature, man”). The creature that is made is in fact the civil-philosophical equivalent of Christ in that he / she / it is a “mortal god” and a man. Thus I do not think that Hobbes is best understood as being about “agreement,” as is often argued. Hobbes wants his readers to acknowledge – the covenant is the acknowledgement – that the conditions laid out by him in Leviathan are in fact in each of us, and that as they are mine so also are they yours. That we resist them is the secular equivalent of original sin and the source for our legitimation of a power over us. The move may appear secular but it has a sacral structure. 2. The Sovereign as the People and the People as Sovereign What this means is that for Hobbes the Leviathan is the incarnation of the words in our hearts – and what is in our hearts is material that we find hard to read and to acknowledge. The Leviathan is an incarnation (albeit poietic) of words that are in each of us but which will ordinarily only be recognised when it is made visible such that we can read it in the laws and words of the Sovereign. (Thus Hobbes wanted the Leviathan to be taught in the universities, much as Scripture was taught in church. Leviathan is, to draw upon Wittgenstein, intended as the “grammar” of the political). What is attained with the Leviathan is our recognition of our commonalty with all those others who have given themselves the common text of each. The Sovereign is us, is what is in each of our hearts, something that Hobbes has read even if we have not been able to. (Hobbes is then not so much the author of the Leviathan as its transcriber). 55  Lev.  5: “For who is so stupid, as both to mistake in geometry, and also to persist in it, when another detects his error to him?” See Martin Luther, “An Open Letter to the Christian Nobility of the German Nation,” in: Martin Luther, Three Treatises (Philadelphia, 1947), pp.  22–23.



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This is the key passage: The only way to erect such a common power, as may be able to defend them from the invasion of foreigners, and the injuries of one another, and thereby to secure them in such sort, as that by their own industry, and by the fruits of the earth, they may nourish themselves and live contentedly; is, to confer all their power and strength upon one man, or upon one assembly of men, that may reduce all their wills, by plurality of voices, unto one will: which is as much as to say, to appoint one man, or assembly of men, to bear their person; and every one to own, and acknowledge himself to be author of whatsoever he that so beareth their person, shall act, or cause to be acted, in those things which concern the common peace and safety; and therein to submit their wills, every one to his will, and their judgments, to his judgment. This is more than consent, or concord; it is a real unity of them all, in one and the same person, made by covenant of every man with every man, in such manner, as if every man should say to every man, I authorise and give up my right of governing myself, to this man, or to this assembly of men, on this condition, that thou give up thy right to him, and authorize all his actions in like manner. This done, the multitude so united in one person, is called a Commonwealth, in Latin Civitas. This is the generation of that great Leviathan, or rather (to speak more reverently) of that mortal god, to which we owe under the immortal God, our peace and defence. For by this authority, given him by every particular man in the commonwealth, he hath the use of so much power and strength conferred on him, that by terror thereof, he is enabled to form the wills of them all, to peace at home, and mutual aid against their enemies abroad. And in him consisteth the essence of the commonwealth; which (to define it,) is one person, of whose acts a great multitude, by mutual covenants one with another, have made themselves every one the author, to the end he may use the strength and means of them all, as he shall think expedient, for their peace and common defence. (Lev.  17 – my emphases).

There are several noteworthy elements to this passage: 1. A common power requires covenanting on the part of all concerned; 2. those who do not covenant are considered “foreigners” and enemies (as with Schmitt). They are not part of the “we” that is formed as the Leviathan (note that it is only that they did not covenant that makes them such). What the Leviathan is does not exist prior to the covenanting: there is no pre-existing Geist; 3. that which is the result of the covenant is singular (even if it be composed of many individuals); 4. the existence of the common power requires the acknowledgment by each that s / he is the author of whatever that power does, i. e. that the Sovereign’s acts are my acts, that the Sovereign is my sovereign and the state my state. In effect the Leviathan allows us to read a text of which we are the author, but which we have been unable to read;

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5. This produces what Hobbes calls a “real unity,” what is called homothumadon (“with a common thumos”), a doctrine associated with the corpus mysticum doctrine of the Church by Roman Catholicism and taken over by Hobbes for the commonwealth;56 6. Finally if the Leviathan is a “mortal god” then it is the Christ – at least in the matters with which civil philosophy is concerned. What Hobbes has done is to combine a tradition of covenanting that derives from Protestantism with the Catholic tradition of the corpus mysticum. In this way an act of will produces an unquestionable and authoritative unity.57 The reason that the sovereign cannot be questioned is that the sovereign is my incarnation of myself, of a self that I most often wish to avoid. I am the author of the acts of the Sovereign and they are thus my acts. For Hobbes humans become human, or realise their humanity, accede to something more than what Giorgio Agamben calls “bare life” only when they submit themselves to an authority that they have themselves authorized. The state is a consequence to the convenant and is a katechon in that it holds back the civil war which threatens constantly.58 a) Christianity on Earth Hobbes proclaims on over 20 occasions that “Jesus is the Christ” and he holds this to be the single most important statement defining Christianity. To say “Jesus is the Christ” is to say that He is the Messiah, that is He is anointed and appointed by God to lead a people. It is thus also to say, as does Hobbes in De Cive, xviii, 10: that Jesus is the King who makes society possible. In Lev.  42, discussing excommunication, he notes: “Therefore 56  See e. g. Acts 1.14; 2.46; Romans 15.6. See James Edwards, “Unity Not of Our Making,” Christianity Today, Aug 6, 2001 (Vol. 45, No. 10) pp. 48–50. See also Vatican II, Dogmatic Constitution on the Church, 11: “Strengthened in holy Communion by the body of Christ, [the faithful] manifest in a concrete way the unity of the people of God that this sacrament aptly signifies and wondrously causes”. It may also be the case as Bredekamp argues, that Hobbes draws on the tradition of the Gnostic corpus hermeticum. But although that tradition did indeed have many representations of bodies making up a body, it is also the case that such detailed representations were common at the time. 57  As Jacques Maritain was to put it: “Either sovereignty means nothing, or it means supreme power separate and transcendent – not at the peak but above the peak – and ruling the entire body politic from above. That is why this power is absolute (absolute, that is non-bound, separate) and consequently unlimited.” (Maritain, Man and the State, 47). 58  Wolfgang Palaver, “Hobbes and the katechon” at theol.uibk.ac.at / cover / conta gion / contagion02_Palaver.pdf.



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a true and unfeigned Christian [ie one who truly proclaims Jesus to be the Christ] is not liable to excommunication: nor he also that is a professed Christian, till his hypocrisy appear in his manners, that is, till his behaviour be contrary to the law of his sovereign, which is the rule of manners, and which Christ and his apostles have commanded us to be subject to. For the Church cannot judge of manners but by external actions, which actions can never be unlawful, but when they are against the law of the commonwealth.” It turns out in Lev. 43 that the proclamation of Jesus as the Christ entails obedience to the laws of the sovereign even if that sovereign be “an infidel.” So Jesus as the Messiah entails the re-establishment of the earthly kingdom and thus sovereignty. As Hobbes says in Lev.  41: If then Christ whilst he was on earth, had no kingdom in this world, to what end was his first coming? It was to restore unto God, by a new covenant, the kingdom, which being his by the old covenant, had been cut off by the rebellion of the Israelites in the election of Saul. Which to do, he was to preach unto them, that he was the Messiah, that is, the king promised to them by the prophets …

Schmitt picks up on this and in the Glossarium (23.5.49) draws a severe conclusion: Der wichtigste Satz des Thomas Hobbes bleibt: “Jesus is the Christ”. Die Kraft eines solchen Satzes wirkt auch dann, wenn er im Begriffssystem des gedanklichen Aufbaus an den Rand, ja scheinbar sogar außerhalb des Begiffskreises geschoben wird. Diese Abschiebung ist ein der Verkultung Christi analoger Vergang, wie ihn der Großinquistitor Dostojewskis vornimmt. Hobbes spricht aus und begründet wissenschaftlich, was Dostojewskis Großinquisitor tut: die Wirkung Christi im sozialen und politischen Bereich unschädlich machen; das Christentum ent-anarchisieren, ihm aber im Hintergrunde eine gewisse legitierende Wirkung zu belassen und jedenfalls nicht darauf zu verzichten. Ein kluger Taktiker verzichtet auf nichts, es sei denn restlos unverwertbar. Soweit war es mit dem Christentum noch nicht. Wir können fragen: wer ist dem Großinquisitor Dostojewskis näher: die römische Kirche oder der Souverän des Thomas Hobbes? … Nenne mir Deinen Feind, und ich sage Dir, wer du bist. Hobbes und die römische Kirche: der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt.59 59  Carl Schmitt, Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947–1951. Berlin. Duncker & Humblot, 1991. [entry by date]. “The most important sentence of Hobbes remains: Jesus is the Christ. The power of such a sentence also works even it is pushed to the margins of a conceptual system of an intellectual structure, even if it is apparently pushed outside the conceptual circle. This deportation is analogous to the domestication of Christ undertaken by Dostojewski’s Grand Inquisitor. Hobbes expresses and grounds scientifically what Dostojewski’s Grand Inquisitor does: to neutralise the effect of Christ in the social and political sphere; to de-anarchize Christianity, while leaving it at the same time as a kind of legitimating effect and in any case not to do without it. A clever tactician gives up nothing as long as it is not completely useless. Christianity was not yet spent. Thus we can ask if the grand Inquisitor of Dostojewski is closer to the Roman church or to Hobbes’ sovereign …

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Schmitt, it should be noted, defended the Inquisition as a model of fairness (at least in theory). It was a terribly humane measure when Pope Innocent III created the “Inquisitorial Law.” The Inquisition was probably perhaps the most humane institution conceivable, since it came from the standpoint that no one accused could be condemned without a confession. When, in the course of a century, the practice of the Inquisition degenerated into torture, because one wanted a confession, and had to extort it, that is indeed a dark chapter of cultural history, but seen in terms of legal history, even today the idea of Inquisition can hardly be touched.60

He notes, as had Hobbes, that there is in Christianity a dangerous tendency to introduce rebellion into the political realm. Hobbes and Hegel in particular try to tame this tendency and make use of it in the political realm, by linking religion to the State. Schmitt’s approval is strong: Hobbes and Hegel are what he calls “katechontes”, defined by St. Paul in 2 Thessalonians, ii: 6–7 as “those who hold” back the Apocalypse, thus for Schmitt those who slow down the complete neutralization of what is important about religion for the State.61 The greatest katechon has been the Catholic Church and Schmitt thus finds himself in alliance with the Grand Inquisitor in Dostojewsky.62 What is striking here is that Hobbes thinks the Leviathan (as mortal God, hence as Christ / Messiah) holds back the kingdom of God on this earth or at least makes no move to bring it about. This is why this is a political theology and not a theological politics. Hobbes is clear that once the Tower of Babel destroyed the unity of the human species and the Hebrews elected Saul as king there would and could be no actual kingdom of God on this earth until the Second Coming. Until that time that ends time – the eschaton – the kings of this earth were in effect Christs and they should therefore be obeyed in the manner that one would obey God as King. Earthly Kingdoms thus are Godly in that they hold back human instincts Name your enemy and I will tell you who you are. Hobbes and the Roman Church: the enemy is our characteristic question as form.” 60  Carl Schmitt, Der Angriff, 1 September 1936, quoted from Gopal Balakrishnan, The Enemy: An Intellectual Portrait of Carl Schmitt, Verso, 2000, p.  203. 61  The katechon reappears in the thought of Dietrich Bonhoeffer but not as a being exempt from sin as he tends to in Schmitt’s work. See the discussion in Wolfgang Palaver, “Collective Security. Opportunities and Problems from the Perspective of Catholic Social Teaching,” in: Peace in Europe – Peace in the World: Reconciliation, Creation and International Institutions. Ed. by Iustitia et Pax – Österreichische Kommission, Iustitia et Pax Dokumentation 4, Wien: Südwind-Verlag, 2003, 86–102. 62  I am helped in part of this by the work of Wolfgang Palaver cited in note 55. See the citation from Tertullian below, footnote 137.



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towards anarchy and chaos until the Second Coming. If Jesus as God will be absent until He returns, we need all the more a Jesus of this earth – a Sovereign – until then. Jesus as God plays no real role in Hobbes’ vision of politics (as long as people do not act contrary to the commands of the mortal God they can think privately what they want). Like the Grand Inquisitor, Hobbes’ secularization of theology keeps the anarchic truth of the God Jesus away from this world. I note that Nietzsche had the same insight in his pun on “Christ und Anarchist.”63 When Christ comes in Ivan’s story in The Brothers Karamazov, it is not the end of the world: He has merely come back, for a visit as it were. It is this that the Grand Inquisitor sees as dangerous.64 What is important here is that Hobbes (and Schmitt) are extremely anxious about the role of Christ as Redeemer. Any political theology must therefore legitimate only the role of Christ as Messiah.65 What does it mean to find oneself on the side of the Grand Inquisitor? It is to claim that the political Right has gotten the problem of modern politics correct, even if what it has sometimes proposed to do about it (as with Maistre, Bonald and Cortes) has not always been on target or on the only target. But with this, what now? One can only note in this day an age that the United States today has on its books a sufficient number of emergency powers, established sine die, to allow the executive free hand at the rule of many aspects of my country. The past US administration ruled that certain

63  F.  Nietzsche,

Götzendämmerung – Streifzüge … #  34. Chapter 36 of “The Brothers Karamazov”, Dostojewski has the Inquisitor say: “Man was created a rebel; and how can rebels be happy? Thou wast warned. … Thou hast had no lack of admonitions and warnings, but Thou didst not listen to those warnings; Thou didst reject the only way by which men might be made happy. But, fortunately, departing Thou didst hand on the work to us. Thou hast promised, Thou hast established by Thy word, Thou hast given to us the right to bind and to unbind, and now, of course, Thou canst not think of taking it away. Why, then, hast Thou come to hinder us? … I too was striving to stand among Thy elect, among the strong and powerful, thirsting ‘to make up the number.’ But I awakened and would not serve madness. I turned back and joined the ranks of those who have corrected Thy work. I left the proud and went back to the humble, for the happiness of the humble. What I say to Thee will come to pass, and our dominion will be built up. I repeat, to-morrow Thou shalt see that obedient flock who at a sign from me will hasten to heap up the hot cinders about the pile on which I shall burn Thee for coming to hinder us. For if anyone has ever deserved our fires, it is Thou. To-morrow I shall burn Thee. Dixi.” 65  One finds the same problem in Calvin and any theory of the deus absconditus. 64  In

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prisoners in the “war against terrorism” have in effect no status at all, not even that of a person charged with a crime.66 Finally and even more striking is what Hobbes thinks will happen at the Second Coming. In Leviathan, chapter thirty-seven, he writes that the kingdom of God will itself be a “civil commonwealth,” such that when God returns to earth (now not as the Messiah but as God) the kingdom of God will be established as a commonwealth on this earth. Effectively all that will happen is that God will become the Sovereign and will function in the same manner as the present Sovereign does. In effect, for Hobbes, there is no difference between a commonwealth ruled by a poietic Sovereign and one ruled by God.67 This is why the quality of politics in Hobbes remains sacred. III. Carl Schmitt Hobbes closes his discussion of the necessary qualities of sovereignty in Lev.  18 by asserting that a “a kingdom divided in itself cannot stand:” Schmitt, in his testimony to the court for von Papen on the Preussenschlag case of 1932 (where, after the Altonaer Blutsonntag, von Papen had tried to dismiss the Prussian SPD government for opposing Article 38 commissarial dictatorship) closes his brief with a citation from Lincoln to the effect that a “house divided cannot stand.”68 (Lincoln was of course citing the Bible: Luke xi, 17: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet, und ein Haus fällt über das andre). As with Hobbes, the body politic must be one.69 66  Agamben, The State of Exception, p.  4, compares their situation to those of Jews in Nazi concentration camps. 67  Hobbes does allow that this doctrine might seem strange: “But because this doctrine (though proved out of places of Scripture not few, nor obscure) will appear to most men a novelty; I do but propound it; maintaining nothing in this, or any other paradox of religion; but attending the end of that dispute of the sword, concerning the authority, (not yet amongst my countrymen decided,) by which all sorts of doctrine are to be approved, or rejected; and whose commands, both in speech and writing, (whatsoever be the opinions of private men) must by all men, that mean to be protected by their laws, be obeyed.” (Lev.  35). See also Lev.  33: “But the church, if it be one person, is the same thing with a commonwealth of Christians; called a commonwealth, because it consisteth of men united in one person, their sovereign; and a church, because it consisteth in Christian men, united in one Christian sovereign.” 68  See the account in the excellent Peter Caldwell, Popular Sovereignty and the Crisis of German Constitutional Law, Duke University Press. Durham and London, 1997, pp.  164–176. 69  Hobbes thus must think of the Trinity as one being and three persons.



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Political Theology was originally published in 1922 and represents Schmitt’s most important initial engagement with the theme that was to preoccupy him for most of his life: that of sovereignty, that is, of the locus and nature of the agency that constitutes a political system. The core of a political decision, Schmitt tells us, is a “anspruchsvolle moralische Ent­ scheidung [demanding and moral decision].” (PT  69 / 65) The first sentence of Political Theology is famous: it locates the realm in which Schmitt asserts the question of the centrality of sovereignty. Schmitt places the sentence as the complete initial paragraph to the body of the book. He writes: “Soverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet [Sovereign is he who decides on the exceptional case].”70 (PT  13 / 5) The decisive matter comes from the fact that the “über” may be thought to be potentially ambiguous: it can mean “he who decides what the exceptional case is” or “he who decides what to do about the exceptional case.”71 Yet the fact that this may appear ambiguous should not detain us in a misguided manner: retaining the apparent ambiguity is centrally important to grasping what Schmitt wants to say. Schmitt is saying that it is the essence of sovereignty both to decide what is an exception and to make the decisions appropriate to that exception, indeed that one without the other makes no sense at all. It is thus not only the case that “exceptions” are obvious, as they would be if we think of them as when produced by severe economic or political disturbance. It could appear natural to read what Schmitt says in Germany back through the years of hyper-inflation or the economic depression of 1929. Political Theology, however, was published in March 1922 and cannot be understood as simply the response to these, or any other, developments. (Hyperinflation hits only in 1923). 70  “Sovereign

is he who decides on the exceptional case.” is noted also by John McCormick, in “The Dilemmas of Dictatorship: Carl Schmitt and Constitutional Emergency Powers,” in: Dyzenhaus (1998), p.  223. McCormick sees this, too strongly for me, as a move by Schmitt away from conservatism towards fascism (p.  218). See the following discussion. For the problem in French see the discussion by Julien Freund, a friend of Schmitt and a contributor to his Festschrift, in the right-wing French journal “La nouvelle école”, 44, Spring, 1987, esp. p.  17. Freund opts in French for lors (during, on the occasion of) as the translation of über. This judgment is refused by Jean-Louis Schlegel, the editor of the Gallimard French edition of Théologie politique, Gallimard. Paris, 1988, p.  15, who gives “décide de.” See my discussion of right-wing, left-wing and liberal uses and misuses of Schmitt, in “Dimensions of the New Debate Around Carl Schmitt,” Introduction to Carl Schmitt, The Concept of the Political, Chicago, University of Chicago Press, 1996. For a recent defense of Schmitt by the French Right see Alain de Benoist, “Carl Schmitt et les sagouins, [a sagouin is a person who does shoddy work]” Eléments n°110, septembre 2003, available on line at http: /  / www.grece-fr. net / textes / _txtWeb.php?idArt=180. 71  This

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A second issue with the opening sentence comes from the understanding of Ausnahmezustand. What the first question might seem to reinforce (the absolute and dictatorial and unlimited quality of the decision), this second concern might seem to mitigate. It is the case that Schmitt sometimes uses more general words when speaking of this question, including “state of exception (Ausnahmefall),” crisis or state of urgency (Notstand), and even more generally “emergency, state of need (Notfall).”72 The idea of a “Aus­ nahmefall,” however, has more of a legal connotation: it is more confined than an “exception.” Thus the same issue is raised as with the “über”: can the understanding of what counts as an “exception” be defined in legal terms, or is it more of what one might think of as an open field?73 Note here that he is not talking simply about dictatorship. In Die Diktatur, published one year before PT, Schmitt differentiates between “commissarial dictatorship” –he cites Lincoln in the Civil war as an example – and “sovereign dictatorship.” The former defends the existing constitution and the latter seeks to create the conditions for a new one, given the collapse of the old-one might think to some degree of DeGaulle in 1958. Die Dikatur is a theory of dictatorship; PT, however, is a theory of sovereignty and an attempt to locate the state of emergency in a theory of sovereignty. More importantly, PT in effect discusses that which for ­Schmitt lies under the various kinds of dictatorship and makes both of them possible74 I again do not think this linguistic glide on Schmitt’s part to be accidental. Rather than seeking to determine what precisely an “Ausnahmezustand” (or an “Notfall” or a “Notstand”, etc.) is, the problem should be looked at from the other direction. It is importantly the case for Schmitt that no preexisting set of rules can be laid down that will tell anyone if this situation “is” in actual reality an “exception.” It is of the essence of Schmitt’s conception of the state that there can be no preset rule-fixed definition of 72  Schlegel,

idem. should note here that this question bedevils all situations in which constitutions provide for an exception. For a brief history of XIXth and XXieth century constitutional provisions for exception, including the French 1814 Constitution, World War One in France and Switzerland, the 1920 Emergency Powers Act in England, Lincoln at the beginning of the Civil War [noted by Schmitt, in: Die ­Diktatur, Munich, Duncker & Humblot, 1921, p.  136], the United States under ­Wilson during World War One, Article 16 of the French Fifth Republic, etc. … See Giorgio Agamben, State of Exception, University of Chicago Press, Chicago, 2005, pp.  11–26. 74  I thus resist John McCormick’s conclusion that PT “repudiates much of what is of value in the book published before it” in his “Dilemmas of Dictatorship,” in: Dyzenhaus (1998), p.  241. 73  One



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sovereignty.75 Why not? What is clear here is that the notion of sovereignty contains, as Schmitt tells us, his general theory of the state. (PT 13 / 5) The nature of the sovereign, he remarks in the preface to the second edition (1933) is the making of “eine echte Entscheidung [genuine decision].” (PT 8 / 3) Thus it is not simply the making of a decision, but of a “genuine” decision that is central. The obvious question is what makes a decision “genuine” and not simply an emanation of a “degenerierter Dezionismus [degenerate decisionism].” Schmitt is never “simply” a decisionist, if by that one means simply that choice is necessary and any choice is better than none.76 What constitutes a “genuine decision” is a complex matter in Schmitt. To understand his position one must realize why politics (or here, “the political”) is not the same for Schmitt as “the state,”77 even if the most usual framework for the concretization of politics in modern times has been the state.78 In PT II (1969) taking up the themes of PT, Schmitt writes “Man kann das Politische heute nicht mehr vom Staate her definieren, sondern das, was man heute noch Staat nennen kann, muss umgekehrt vom Politischen her bestimmt und begriffen werden.”79 Underlying the state is a community of people – necessarily not universal – a “we” that, as it defines itself necessarily in opposition to that which it is not, it presupposes and is 75  Thus the exception is part of the “order” even if that order is not precisely juridical. Schmitt engaged in an exchange about this with Walter Benjamin over violence. See Benjamin, “Towards a Critique of Violence,” in: Walter Benjamin, Selected Writings, volume I, Cambridge. Harvard University Press, 1996. See the discussion in Agamben, op. cit., 52–64. 76  I note here that there seem to be strong elements of Schmitt quietly present in much of Henry Kissinger’s analyses of international politics. See for instance his The Necessity for Choice, New York, Harper, 1961. 77  This is a theme from Schmitt’s earliest work, including his Habilitationsschrift, Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, Hellerau, 1917. See Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Zur Einführung, Hamburg, Junius, 2001, pp.  19–21. 78  Cf Max Weber’s definition of the state: “Heute dagegen werden wir sagen müssen: Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes – dies: das ‘Gebiet’ gehört zum Merkmal – das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht.” (Max Weber, Politik als Beruf, Politische Schriften, 397. See also Max Weber, The Vocation Lectures, David Owen / Tracy B. Strong (eds.) p.  xlix. If is important that this is the definition to which the “nowadays” compels us and that Weber here flies directly in the face of those (like the Georgekreis and others) who placed emphasis on the “nation,” on “blood and soil.” See below. 79  Carl Schmitt, Politische Theologie, II, Duncker & Humblot, 1969, 1996, p. 21: “[T]oday one can no longer define politics in terms of the State; on the contrary what we can still call the State today must inversely be defined and understood from the political.”

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defined by conflict.80 It derives its definition from the friend-enemy distinction. That distinction, however, is an us / them distinction, where the “us” is of primary and necessary importance. This claim is at the basis of Schmitt’s rejection of what he calls “liberal normativism,” that is, of the assumption that a state can in the end rest on a set of mutually agreed-to procedures and rules that trump particular claims and necessities. Pluralism is thus not a condition on which politics, and therefore eventually the state, can be founded. Politics rests rather on the equality of its citizens (in this sense Schmitt is a ‘democrat’, although not a liberal!) and thus their collective identification distinguishing them from other such groups: this is the “friend-enemy” distinction, or more accurately the distinction that makes politics possible. It is, one might say, its transcendental presupposition.81 Politics is thus different from economics, where one has “competitors” rather than friends and enemies, as it is different from debate where one has “Diskussionsgegner (discussion opponents).” (BP  28 / 28) Nor is it a private dislike of another individual. Rather it is the actual possibility of a “battling totality” (kämpfende Gesamtheit) that finds itself necessarily in opposition to another such entity. “The enemy,” he notes, “is hostis (enemy) not inimicus (disliked) in the broader sense; polémios (belonging to war) not exthrós (hateful).” (BP  29 / 29)82 These considerations are made in the context of several other arguments. The first comes in his discussion of Hans Kelsen. At the time that Schmitt wrote Politische Theologie, Kelsen was a leader in European jurisprudence, a prominent Austrian jurist and legal scholar as well as a highly influential member of the Austrian Constitutional Court. A student of Rudolf Stammler, Kelsen was a neo-Kantian by training and temperament and shortly before 80  One finds the influence of Schmitt for instance thus in what might appeared to be a far removed locus, e. g. Bertram de Jouvenel, The Pure Theory of Politics, New Haven, Yale University Press, 1964. 81  This is confirmed explicitly in a letter from Leo Strauss to Schmitt, September 4, 1932. It is printed in Heinrich Meier, Carl Schmitt and Leo Strauss: The Hidden Dialogue, Chicago, University of Chicago Press, 1995, p.  124. Meier’s book is an insightful analysis of the difference between political theology and political philosophy – between Schmitt and Strauss. For an attempt at a critique of Meier’s complex political rapprochement of Strauss and Schmitt, see Robert Howse, “The Use and Abuse of Leo Strauss in the Schmitt Revival on the German Right – The Case of Heinrich Meier,“ (forthcoming) a draft of which is available on line at http: /  /  faculty.law.umich.edu / rhowse / Drafts_and_Publications / Meierbookrev.pdf. 82  Translations are mine as Schmitt quotes in Latin and Greek. Schmitt will on the next page read “Love thine enemy” as referring to inimicus, which it is in Latin although in Greek it is exthros.



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the publication of PT had published Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts,83 in which he set out the foundations for what he would later call a “pure theory of law,” a theory of law from which all subjective elements would be eliminated.84 Kelsen sought, in other words, a theory of law that would be universally valid for all times and all situations.85 It is worth noting here that this quarrel is analogous to the quarrel between Heidegger and Carnap, between thought with its feet in the earth and what one might call “freischwebende Gedanken.” Against this Schmitt insists that “alles Recht ist Situationsrecht [all law is situational law].” (PT  19 / 13) What he means by this is that in actual lived human fact it will always be the case that precisely at unpredictable times that “In der Ausnahme durchbricht die Kraft des wirklichen Lebens die Krusste einer in Wiederholung erstarrten Mechanik [the power of real life breaks through the crust of a mechanism that has become stiff by repetition].” (PT  21 / 15) Schmitt, in other words, requires that his understanding of law and politics respond to what he takes to be the fact of the ultimately unruly and unruled quality of human life. And if life can never be reduced or adequately understood by a set of rules, no matter how complex, then this means that in the end rule is of men and not of law, or rather that the rule of men must always existentially underlie the rule of law. For Schmitt, to pretend that one can have an ultimate “rule of law” is to set oneself up to be overtaken by events at some unpredictable but necessarily occurring time and it is to lose the human element in and of our world.86 This is a powerful and important theme in Schmitt. It is not a claim that law is not centrally important to human affairs but that in the end human affairs rest upon humans and cannot ever be independent of them. In his 83  Hans Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, Tübingen, Mohr, 1920. (The Problem of Sovereignty and the Theory of International Law). See the articles on Kelsen, in “European Journal of International Law,” IX. 2 (1998), especially that by Danilo Zolo. 84  A volume of articles comparing Schmitt and Kelsen has appeared: Dan Diner / Michael Stolleis (eds.) Hans Kelsen and Carl Schmitt: A Juxtaposition, Schriftenreihen des Instituts für deutsche Geschichte, University of Tel Aviv, 1999. 85  After 1933 Schmitt was apparently instrumental in the removal of Kelsen from the Law Faculty of the University of Köln. See David Dyzenhaus, Legality and Legitimacy: Carl Schmitt, Hans Kelsen and Hermann Heller, Oxford: Clarendon, 1997, p.  84. 86  One might in fact see much of the philosophical debates in the 1920’s and 1930’s as between those who sought to develop understandings that were independent of time and place and those who argued that all understanding needed to be grounded in concrete historical actuality. One might see Max Weber as the progenitor of both approaches. See the exceptional book by Michael Friedmann, A Parting of the Ways: Carnap, Cassirer, and Heidegger, Chicago. Open Court, 2000.

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discussion of Locke, for instance, he criticizes Locke for saying that while the “law gives authority,” he (Locke) “sieht nicht, dass das Getzetz nicht sagt, wem es Authorität gibt. Es kann doch nicht jeder.  …” (PT  38 / 32).87 Schmitt contrasts this to Hobbes’s discussion (and in doing so brings out qualities often overlooked in discussions of Hobbes). As noted, he cites Leviathan, chapter 26 to the effect that sovereign power and not truth makes laws.88 And he then drives the point home by citing Hobbes to the effect that “For Subjection, Command, Right and Power are accidents not of Powers but of Persons.”89 “Persons,” for Hobbes, are beings constituted or authorized to play a certain role or part.90 Schmitt’s insistence on the necessarily and irreducibly human quality of political and legal actions is key. Those who would elaborate a set of rules by which decisions can be made take the politics out of human life: Schmitt is concerned to keep them in human life. (It is for reasons like this some object to John Rawls’ A Theory of Justice and even more to his Political Liberalism for what appears to them as Rawls’ overly legalistic reliance on courts.91) Hu87  “Did not recognize that the law does not designate to whom it gives authority. It cannot be just anybody …” One might have thought here that Schmitt would have referred to Locke’s discussion of the prerogative. Thus in the Second Treatise on Government, paragraph 156, Locke writes: “What then could be done in this case to prevent the community from being exposed some time or other to eminent hazard, on one side or the other, by fixed intervals and periods, set to the meeting and acting of the legislative; but to entrust it to the prudence of some, who being present, and acquainted with the state of public affairs, might make use of this prerogative for the public good?” and in para 160: “This power to act according to discretion, for the public good, without the prescription of the law, and sometimes even against it, is that which is called prerogative.” Paragraphs 160–168 form a section entitled “Of Prerogative”. There is a lot of secondary literature on this. See e. g. Clement Fatovic, “Constitutionalism And Contingency: Locke’s Theory Of Prerogative,” History of Political Thought, 2004, vol. 25, no. 2, pp. 276–297 as well as the discussion of prerogative in: J. Dunn, The political thought of John Locke: an historical account of the argument of the ‘Two Treatises of Government’, London, Cambridge U.P., 1969. See the short discussion in McCormick, op. cit. 237–238. 88  Schmitt quotes the Latin Leviathan, probably because the formulation is more succinct: “auctoritas, non veritas fecit legem.” The corresponding passage in English is: “… though it be evident truth, is not therefore presently law; but because in all commonwealths in the world, it is part of the civil law: For though it be naturally reasonable; yet it is by the sovereign power that it is law …” 89  Leviathan, chapter 42. The context is the relation of civil to ecclesiastical authority. 90  See my “Seeing the Sovereign: Theatricality and Representation in Hobbes,” in: Stephen Schneck (ed.), Letting Be. Fred Dallmayr’s Cosmopolitan Vision, Notre Dame, University of Notre Dame Press, 2006. 91  See e. g. Sheldon S.  Wolin, “Review of Rawls, ‘Political Liberalism’,” in: ­Political Theory XXIV.1 (February, 1996).



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man society can thus never be made to rest on the determination and application of rules to individual situations. Decisions and judgments would always be necessary. In this Schmitt can be thought to be an initiator (albeit not recognized or known to be such) of contemporary developments such as both Critical Legal Studies on the left and the Law and Economics movement on the right. Thus for Schmitt, the state is not co-founded with the legal order, and in exceptional situations the juristic order that prevails is “keine Rechtsordnung [not of the ordinary kind]”92 (PT 18 / 12) and “normativ betrachtet [ist] aus einem Nichts geboren.” (PT  38 / 31) The point therefore of this notion of sovereignty ultimately unconstrained by formal rules is “Recht zu schaffen [create a juridical order]” under conditions that threaten anarchy.93 Only when freed from normative ties is the authority absolute. This is why this is a political theology – God is neither good nor evil in Himself and his authority is not ethical. The sovereign must decide both that a situation is exceptional and what to do about the exception in order to be able to create or recover a judicial order when the existing one is threatened by chaos. Ethics and the juridical order are grounded in das Nichts. And it was from das Nichts that God created the world. The necessarily extra-ordinary quality of sovereignty is made clear in the analogy he uses to explain his point. He writes: “Der Ausnahmezustand ist wie das Wunder für die Theologie. [The exception in jurisprudence is analogous to the miracle in theology.]” (PT  43 / 36) What does it mean to refer the “exception” to a “miracle?” Clearly, this has to do with “political theology.” To move towards an answer one should look first at the author who remained Schmitt’s touchstone. In the third book of Leviathan, Hobbes first identifies a miracle as an occurrence when “the thing is strange, and the natural cause difficult to imagine” and then goes on to define it as “a work of God, (besides his operation by the way of nature, ordained in the creation,) done, for the making manifest to his elect, the mission of an extraordinary minister for their salvation.”94 Hobbes’ definition is apposite to Schmitt, as for him the “exception” is the occasion for and of the revelation of the true nature of sovereignty. Thus the sovereign does not for Schmitt only define the “exception” – he is also revealed by and in it, which is why Schmitt must refer to a “genuine” decision. 92  See the discussion in R. Howse, “From Legitimacy to Dictatorship – and Back Again,” in: David Dyzenhaus (ed.), Law as Politics, Duke university Press. Durham, 1998, pp.  60–65. 93  PT  13. I have modified Schwab’s translation which is “to produce law.” 94  Hobbes, Leviathan, chapter 37.

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What would be wrong with at least trying to rest human affairs on the rule of law? Schmitt finds two major problems. The first comes from the epistemological relationship between the exception and the norm. Sovereignty is what Schmitt calls a “Grenzbegriff,” a limiting or border concept.95 It thus looks in two directions, marking the line between that which is subject to law – where sovereignty reigns – and that which is not – potentially the space of the exception. (PT  13) To look only to the rule of law will be to misunderstand the nature and place of sovereignty. For Schmitt we only understand the nature of the juridical order by understanding sovereignty, that is, understanding that which opens on to the province of the exception.96 This is because, he asserts, “die Ausnahme ist interessanter als der Normalfall [the exception is more interesting than the rule].” (PT 21 / 15) As with the citation from Kierkegaard that Schmitt uses to support this claim argues, this is not because one cannot think about the rule or the “general,” but because one does not notice anything in the general worth thinking about and thus our thought in this realm would be “nicht einmal mit Leidenschaft [in no case with passion].” (PT idem) The point here, I believe, is that the exception engages the human being in the way that the normal routine does not. Secondly, it is important to realize that one can only have an exception if one has a rule. Therefore the designation of something as an exception is in fact an assertion of the nature and quality of rule. If, as director of the program I say “I am going to make an exception in your case and let you go on the exchange program to Germany despite the fact that you did not have the required grades,” I am affirming both the rule and the fact that the rule is a human creation and hence does not control us automatically. I am also making a judgment that in this case, at this time, the good of all concerned, indicates the need for this exception (and thus that I am not taking a bribe). There can thus be no exceptions without there also being a rule. What though am I affirming in affirming the human quality of the rule? The claim about the exception and thus the grounding of rules on human actions is part of what Schmitt sees as the need to defend the political. As noted earlier, when Max Weber described the workings of bureaucracy he asserted that in no case are bureaucratic (rationalized, rational-legal) rela95  Thus the exception is both part of and not part of the juridical order. See the useful discussion in Agamben, op. cit., 24–26. 96  See the striking and informative discussion in William Scheuerman, Between the Norm and the Exception: The Frankfurt School and the Rule of Law, Cambridge, Massachusetts: MIT Press, 1994. pp.  330 and passim.



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tions, relations between human persons, between human beings. Bureaucracy is the form of social organisation that rests on norms and rules and not on persons. It is thus a form of rule in which there is “‘objective’ discharge of business, …; accordingly to calculable rules and ‘without regard for persons’.”97 What he meant is that it was in the nature of modern civilization to remove the non-rational from societal processes, replacing it by the formalism of abstract procedures. (He did not think everything was always already like this – merely that this was the tendency). The disenchantment of the world is for Weber the disappearance of politics, hence the disappearance of the human, hence the lessening of the role that the non-rational and rule governed play in the affairs of society. “Bureaucracy,” he will proclaim, “has nothing to do with politics.” This, as we have seen above, is Schmitt’s theme also. The five stage development laid out in the Barcelona lecture is at the core of his claim that ours is an age of “neutralisation and depoliticization”: whereas all previous eras had leaders and decision-makers, the era of technology and technological progress has no need of individual persons. It to call attention to this progression that Schmitt starts chapter three of PT with the second most famous sentence of the book: “Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe.”98 (PT  43) What does this mean? Key here is Schmitt’s understanding of “secularised.” Schmitt, who had been a student of Max Weber, accepts the idea of the “demagification” or “disenchantment” (Entzauberung) of the world. To say that all concepts in modern state theory are secularised theological concepts is not to want to restore to those concepts a theological dimension, but it is to point to the fact that what has been lost since the XVIth (“theo­ logical”) century has amounted to a hollowing out of political concepts. They thus no longer have, as it were, the force and strength that they had earlier and are unable to resist the dynamics of technology. The consequence of Schmitt’s notion of secularisation is to try and restore to the concepts of sovereignty and political authority in a secular age the qualities that they had earlier.

97  Max Weber, Economy and Society, Berkeley and Los Angeles, University of California Press, 1967, p.  975. 98  “The central concepts of modern state theory are all secularized theological concepts.” (PT  36) As translator, George Schwab was faced with the difficult task of rendering ‘prägnanten’ – it means ‘concise, succinct’ which is only partly caught by Schwab’s ‘significant’. I have gone (with thanks for a consultation to William Arctander O’Brien) for what I believe to be the meaning rather than for a literal equivalent.

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The modern age is importantly one in which an analogue for transcendent authority must be sought for “bei der Masse der Gebildeten alle Vorstellungen von Trancendenz untergehen [all conceptions of transcendence will no longer be credible to most educated people].” (PT  54 / 50) Any theory of decisionism must therefore rest on immanent criteria. This is the essence of what Schmitt considers the political matter: to find the secular analogue to the sacred. Such was the achievement of Hobbes, who, by creating an artificial yet transcendent sovereign, provided the model for the solution to the problem of modernity as Schmitt posed it. These thoughts help explain the last chapter of PT. There Schmitt argues that Maistre, Bonald and Cortes exaggerate evil. They exaggerate evil in that they fail to see that the humans striving for power not only renders people capable of great evil but also makes possible the domination of a certain class of leaders. There is nothing necessarily wrong with domination for Schmitt. Thus while the decision will emanate from nothingness (das Nichts) it must always be sanctioned by “die Willen des Volkes – the will of the people.” (PT  69 / 66) Thus one might say that Schmitt is not a counter-revolutionary in a reactionary sort of way. He accepts that legitimacy in this age must be in some sense democratic – it certainly cannot be monarchical. Thus although it is clear that he thinks that Maistre, Bonald and Cortes got the problem right, their solutions (monarchy for the Frenchmen and dictatorship for the Spaniard) are unacceptable. As he notes on the last page of PT: “[J]ener gegenrevolutionären Staatsphilosophen … steigern das moment der Dezision so stark dass es schiesslich den Gedanken der Legitimität, von dem sie ausgegangen sind, aufhebt. … Das ist aber we­ sentlich Diktatur, nicht Legitimität. [Those counterrevolutionary philosophers of the state … heightened the moment of the decision to such an extent that the notion of legitimacy, their starting point, was dissolved … This [decisionism] is however essentially dictatorship, not legitimacy.” (PT 69 / 65–66) While Schmitt has sympathies for these theorists over and against the bourgeois liberal thinkers that Cortes and he had stigmatised as a “clasa discutidora” (PT 66), the point of the analysis of the centrality of the exception for sovereignty is precisely to restore, in a democratic age, the element of transcendence that had been there in the XVIth and even the XVIIth centuries – Hobbes, Schmitt believes, understood the problem exactly: he dealt with the problem of transcendence in an age when theological conflicts had made any claim to transcendence apparently inherently questionable. Recall that for Hobbes the sovereign was each of us and that the sovereign’s authority was established by a creative covenant that placed what was written in hearts (the same in each heart) beyond question – it was an absolute authority, like that of Scripture for Protestants.



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Failing such an accomplishment, the triumph of non-political, non-human Technizität – of liberalism and the aestheticization of human judgment – will be inevitable. There is thus in Schmitt a challenge to those who would argue that politics in a democratic age can rest on (rational) discussion.99 Such a claim is for him the privilege, as we saw, of the bourgeois “discussing classes.” Political concepts are secularized theological concepts. The task for politics in the present is to find an immanence that does for politics what transcendence had done in the past. For Schmitt, the secularization of theological concepts in the realm of sovereignty is to be understood as corresponding to the greatest progress in human rationality, progress that has occurred in and because of the State. This is “the distinction between enemy and criminal and from that the only possible foundation for a theory of State neutrality at the time of wars between other states.”100 Secularisation, in other words, has made it possible for conflict to occur between enemies and not between the legal and the criminal.101 Schmitt is claiming here that the modern state based politics is in fact potentially more moderate than a situation in which the opposition is between state and non-state, i. e. criminal. As humanity can have no enemies (barring an invasion form another planet), the idea of a “crime against humanity” is tellingly problematic in that it would involve a change from “friend-enemy” to “human-criminal.” And then anything goes. What is consequent to this understanding of secularisation?102 Three elements are involved. First of all, is his understanding of power. Political power is to be understood on the model of God’s creation – which is how Hobbes had understood it. Power is to make something from that which is not something and thus to be above or not subject to laid-down laws. This understanding of power clearly draws upon medieval theology but it is the point of Schmitt’s last chapter in PT to show that it is basically a modern understanding, most clearly formulated at the beginning of the nineteenth century by the French counter-revolutionary thinkers Joseph de Maistre, Louis de Bonald and the Spanish theorist of dictatorship and authority, Juan Donoso Cortes. These theorists wrote in the conscious intent to create the 99  See the discussion in Chantal Mouffe, “Carl Schmitt and the Paradoxes of Liberal Democracy,” in: Dyzenhaus (1998), 165–168. 100  Schmitt, The Crisis of Liberal Democracy, p.  86. 101  Schmitt will towards the end of his life write on “Die Theorie des Partisans” in an insightful analysis of the transformations in warfare in the post-colonial period. 102  I am conscious in the next three paragraphs of the general influence of Etienne Balibar, “Introduction” to Carl Schmitt, Le Leviathan dans la doctrine de l’état de Thomas Hobbes, Paris, Seuil, 2002.

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philosophical basis for opposition to the Enlightenment, which had; in their eyes, led to the chaos of the French Revolution and the disorders of modernity. This points to the second element in Schmitt’s conception of secularisation. The French revolution is the historically concrete manifestation of kind of revolutionary myth, the myth of the creative power of the democratically equal populace. This is the basis of his criticism of Rousseau, that the “general will” is substituted for the human will of a sovereign. (PT  51 / 46) To these understandings, it was necessary to oppose a myth of a hierarchically ordered and unified people, which the exceptional acts of the sovereign would instantiate. One might think of this as a kind of right-wing Leninism, where the Party is replaced by the Volk and the sovereign becomes the Party-in-action. The sovereign embodies and expresses the “political total will of the German nation” and thus its actions guard and protect that nation.103 The sovereign is the action of “us” against “them” – friends versus enemies.104 Indeed Jacob Taubes notes that Schmitt could have been a Leninist.105 This confrontation, however, must take place at the metaphysical level – that of one faith against another. For this reason the confrontation is one of “political theology.”106 The last point indicates another element in Schmitt’s conception of secularisation. Schmitt is, in political matters, a realist, one of the reasons that people like Hans Morgenthau, the German-American theorist of the primacy of “national interest” in international relations, found him important. Schmitt here continues the line of thought initiated by Carl von Savigny. Savigny, an important legal theorist in the first half of the XIXth century, argued that civil law acquired its character from the Volksbewusstsein – the common consciousness of the people – and was thus the product of the particular historically given qualities that a people might have. Hence, for him there was, in the Germany of that time, with its common language and customs, no real basis for different systems of law.107 For Savigny, the

103  Carl Schmitt, Hüter der Verfassung, Tübingen. Mohr, 1931, p.  159. See the discussion of this passage in Caldwell, op.cit., 115 104  All this, one should note, is quite consonant with a reading of Hobbes. See my “How to Write Scripture: Words and Authority,” in: Thomas Hobbes, Critical Inquiry, Autumn, 1993, and Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Feldschlag eines Symbols, Cotta’sche Buchhandlung, Stuttgart, 1993 (1938). 105  Jacob Taubes, The Political Theology of Paul, Stanford, 2004, p.  102. 106  See the discussion in Hermann Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss and “The Concept of the Political,” Chicago. University of Chicago Press, 2003, p.  77. 107  See the discussion of von Savigny, in: Carl Schmitt, Der Nomos der Erde.



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sovereign or legislator was the expresser of the Volksbewusstsein.108 ­Schmitt, as we have seen, gives this part of Savigny’s thought very strong emphasis. And in the present age, if we think in terms of ‘national interest” we are thinking in terms that are Schmittian. Schmitt’s original understanding of the Volk in his 1928 Verfassungs­ lehre, conceived of the Volk as that which was represented in the Sovereign in the State.109 It is precisely in being represented that that which had not had form (the mass of people) acquires what Schmitt calls Existenz. While the notion of a people carries here some of the sense that the Greeks had of the polis as the attunement of a group of people to a land, Schmitt tends after 1933, especially in Staat, Bewegung, Volk (1934), to give a much more racial meaning, a meaning that is embodied in the idea of Führung and thus the Führer.110 It is important to note that Hobbes has no need of the concept of Volkbewusstsein and is thus close to the earlier Schmitt but not the latter: there is a territorial notion of the state but not an ideological or racial one. In this Hobbes is oddly closer to Max Weber than is Schmitt. When Weber proclaimed in Political as a Vocation that: “Heute dagegen werden wir sagen müssen: Staat ist diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes – dies: das ‘Gebiet’ gehört zum Merkmal – das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht”111 he was insisting against people like Stefan George (and the later Schmitt) that the state was not to be understood as geistlich. Taken together these elements in Schmitt’s thought casts light on what we can surmise was the attraction of National Socialism. Schmitt came, as did Heidegger, from a rural, Catholic, petit-bourgeois upbringing. He describes his childhood, adolescence and youth – the latter lasting for him until the end of World War I during which he served as an officer and at the end of which he was thirty years old – as periods of getting rid of various influences: his Catholicism is “entortet [dis-placed]” and “enttota­ 108  This may make the question of Schmitt’s anti-Semitic writings more complex. One might speak of anti-Judaism, meaning by that that Schmitt saw in German Judaism the kind of pluralism that he found incompatible with the commonalty of the Volk that he saw as essential to the political. In practice, however, certainly in the Third Reich, one could not be opposed to Judaism without being opposed to Jews … 109  Carl Schmitt, Verfassungslehre, Berlin, Duncker & Humblot, 1965 [1928], p.  207. See the interesting discussion in Bernhard Radloff, “Heidegger and Carl Schmitt: The Historicity of the Political”, Heidegger and the Question of National Socialism (Toronto, 2007) Chapter Six. 110  As Rudolf Hess proclaimed at Nuremberg: “Hitler ist Deutschland.” 111  Max Weber, “Politik als Beruf,” Politische Schriften, Tübingen, Mohr, 1968, p.  397.

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lisiert [de-totalised]”; greater Prussianness is “enthegelianisiert [de-Hegelised]”. Likewise during his “manhood,” Weimar Germany is “entpreusst [de-Prussified].”112 While Catholicism was always to remain important to Schmitt, it is important to see in this self description the portrait of a person whose ties to his various traditions are negative and are not replaced by a liberal faith in the future or in progress.113 One has to read therefore his attacks on liberalism in conjunction with the accumulation of “ent-” verbs.114 What remains when one has lost most of that one was? What then was the source of his attraction to Hitler? It was pretty clearly not an admiration of the particular qualities that the man had: even if one discounts the occasion, the disdain he expresses during his interrogation at Nuremberg is palpable.115 One might rather say that Hitler appeared to him something like the entity God had sent to perform a miracle – as in the citation from Hobbes above – and the miracle was the recovery of a this-world transcendence to sovereignty and thus the human realm of the political. From this understanding, the person Hitler was nothing important and Schmitt’s relation to it could only be the relation one has to a miracle: acceptance or rejection. This is all the more likely as very rapidly Hitler seemed to many to behave like as a true statesman in times of exception, legally elected but / or / and capable of making the hard, extra-legal decisions that were necessary. When Hitler and Goering ordered on June 30–July 1 and 2 the execution of all of the leadership of the SA, within two days almost all the press was congratulating them on having saved the country from civil war. Hindenburg sent (or was led to send) a telegram of thanks to the new Chancellor. ­Schmitt published on August  1, 1934 a newspaper article entitled “Der Führer schützt das Recht [The Führer protects the legal order]” defending 112  This is Schmitt’s account in his contribution to H. Quaritsch (ed.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin, Duncker & Humblot, 1988), p. 105. See the discussion in Mehring, Carl Schmitt, pp.  12–15 to which I owe this reference. 113  Schmitt is of course not the only person to be in this situation, nor was Heidegger. For a representative sense of the times, one can still profitably read J. B. Bury, The Idea of Progress; an inquiry into its origin and growth, London, Macmillan, 1920. 114  And thus while left-wing anti-liberals can “learn from” Carl Schmitt, it is not completely clear that it is Carl Schmitt that they are learning. See Paul Piccone / G.  L. Ulmen, “Introduction to Carl Schmitt,” Telos 72 (Summer, 1987), p.  14. See the material cited in Strong, op. cit. footnotes 5–7. 115  Carl Schmitt, Ex Captivate Salus. Experiences des années 1945–1947. Textes et commentaires, A.  Doremus (ed.), Paris, Vrin (2003), p.  41; “He (Hitler) was so uninteresting to me that I don’t even want to talk about it.”



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Hitler’s actions.116 Thus it is the reality of taking power and manifesting sovereignty in the use of power that attracted Schmitt: his understanding of law required that he support Hitler. It was not a question of succumbing to the charisma of a prophet, true or false. Schmitt thus, in his 1938 book on Hobbes, attacks Hobbes for allow privacy of belief. This destroys, he says, the Leviathan from inside. The privacy of belief in the end, Schmitt argues, will put an end to the katechon. Hobbes’ sovereign, while of the same structure as Schmitt’s, is much more restrained: as noted above there is no potential Volksgeist waiting to be awakened.117 And perhaps this is the reason that Schmitt will think Tocqueville to be the most important contemporary historian. Tocqueville understood the irresistibility of the democratic spirit of equality. For Schmitt, as for Max Weber, there are only the words of Jesaja that stand as an epigraph to this article. IV. St. Paul By declaring that the exception in jurisprudence analogous to the “miracle” in theology, Schmitt reaffirms and recuperates for modern political and legal thought a secularized understanding of sovereign power analogous to the overtly theologically based understanding of the middle ages. His work calls to mind the doctrine of “Christ-centered kingship” that we find in a work like Kantorowicz’s The Kings Two Bodies. It is important to note that the grounding of legal power on non-legal sources is not unique to Schmitt, nor indeed to the Middle Ages. Whether or not theorists of the law locate sovereignty in a particular individual (be that an actual person, or an artificial one, as in Hobbes), they very often derives it authority from a source figured as “outside of,” “prior to,” or “beyond” the law. Thus we have God inscribing the tablets for Moses on Sinai (twice in fact); we have Rousseau’s Legislator (who needs to, “pour ainsi dire, changer la nature humaine”). Sieyès has recourse to the pouvoir constituant and de Sade calls 116  The matter is a bit more complex. Ellen Kennedy, mainly on Schmitt’s testimony, argues that he was forced to do so. Schmitt was identified with some elements of the SA and there is some evidence that he was specifically exempted from the purge by Goering. In a somewhat self-pitying and self-aggrandizing poem he wrote for his sixtieth birthday, Gesang des Sechzigjährigen, he notes that he has been “three times in the belly of the fish.” The first is 1934; the second, the attacks on him in 1936 in the Gestapo organ “Das schwarze Korps” (a moment he identifies to his interrogator in Nuremberg as when he “foreswore the devil”) and the last his interrogation after the war when he appears to believe that he might be hung. See Schmitt, Glossarium entry for 12.1.48. 117  See George Kateb, “Hobbes and the Irrationality of Politics,” Political Theory, 17, 3 (August, 1989), pp.  355–391.

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upon “Mother Nature.” Bataille associates sovereignty with killing. Writing around the same time as Schmitt, Freud suggests that even the most egalitarian social arrangements cannot function without some implicit or explicit invocation of an exceptional figure: In Totem and Taboo he invokes a primal figure; in Group Psychology and the Analysis of the Ego this becomes the leader; in Moses and Monotheism, the nation of Israel is founded by a non-Hebrew.118 Political theology is thus concerned not only with the appeal to a source of legitimation figured as “beyond” the law, but with the fact that the Law has the quality of seeking to annihilate or displace the lawless authority of the law’s “beyond.” What Schmitt shows in his critique of “normative” law is that there is necessarily a “gap” in the law such that it is in its nature incapable of addressing such lawless – anomic – situations as revolution or a general strike. It is the case that a spontaneous arising can, as Hannah Arendt argues, give rise momentarily to what Aristide Zolberg has called a “moment of madness” in which “the people” appear to take power and from which there arise various egalitarian groups (the soviets, councils etc).119 But such moments are fleeting and unless a sovereign acts to close this gap in the law by preserving its “spirit” against its “letter,” suspending the constitution to maintain the order of law (or the existence of the state as such) nothing will be achieved. It is thus the case that the archetype of the strategy of the exception is Paul’s account of Christ as the “fulfillment of the law,” the living logos who consigns the “old” written law to obsolescence, and who actualizes in his person the transcendent Kingdom of God. Calvin, in the Institutes, rails against those who would live by the Law and insists that with God we live in love. Both Schmitt and Hobbes take up the terms of Paul’s or Calvin’s polemic against the Mosaic law. It is thus the case that, as Hobbes himself remarks, that Jesus is the Christ is the foundation of all of Paul’s thought: “Besides, this article, that Jesus is the Christ, is so fundamental, that all the rest are by St. Paul … said to be built upon it.” (De Cive 18.9) Paul, a Jew, found himself in struggle with not only the disciples who saw Jewishness a prerequisite to Christianity – who thus wanted to limit the extent of Christianity – but as importantly also with the very foundation of 118  I am indebted here to some conversations with Professor Jason Frank of Cornell University. On Freud see my “Psychoanalysis as a Vocation: Freud, Politics and the Heroic,” Political Theory (February, 1984). 119  Aristide Zolberg, “Moments of Madness,” Theory and Society (1972), esp. p. 172. See also Sidney Tarrow, “Cycles of Collective Action: Between Moments of Madness and the Repertoire of Contention,” Social Science History, Vol.  17, No.  2 (Summer, 1993), pp.  281–307.



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the pax romana. To get some idea of the revolutionary threat that Paul posed, consider the following letter from Pliny the Younger to the imperator Trajanus. Around 111 AD the emperor received a letter from Pliny endor­ sing the request of the citizen of Biythnia (where Pliny was governor) to form an association (collegium) to be a fire brigade as there had been numerous fires in the region. Aside from the fact that permission had to be gained from Rome for such a group, the emperor’s response is important. He writes: “we must remember that it is societies like these which have been responsible for the political disturbances in your province, particularly its towns. If people assemble for a common purpose, whatever name we give them and for whatever reason, they soon turn into a brotherhood.”120 In another letter, Pliny relays a petition from the free city of Amisos to form “benefit-societies.” In this case, Trajanus allowed the formation of these groups provided that the groups were “not used for riotous and unlawful assemblies, but to relieve cases of hardship among the poor.”121 In other cities, however, over which Rome had direct jurisdiction, this was not to be permitted. Trajanus has a clear understanding of the dangers of dividing sovereignty. And the spread of the Christian churches must have over time appeared to the Roman Empire as destructive of the principle of its authority. Instead of all things going through Rome, the Churches were in extensive and ideological communication with each other on a horizontal level. What Trajanus did not grasp is that Paul also sought to replace the universalism of the pax romana with a new universalism resting on the churches composing the Church as the mystical body of Christ.122 The key text here is the First Letter to the Corinthians, chapter 12, 12–27. Paul there argues that just as the body (soma) is composed of many members (méle) so also is the Church composed of many diverse elements but is still one, even as the members remain each individual. (I Cor.  12. 12 and 27: Denn wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus. … Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von 120  Pliny the Younger, Epistles 10.34.1: Sed meminerimus provinciam istam et praecipue eas civitates eius modi factionibus esse vexatas. Quodcumque nomen ex quacumque causa dederimus iis, qui in idem contracti fuerint, hetaeriae eaeque brevi fient. 121  Pliny, op cit, 10.93-94: non ad turbas et ad illicitos coetus, sed ad sustinendam tenuiorum inopiam utuntur. In ceteris civitatibus, quae nostro iure obstrictae sunt, res huius modi prohibenda est. 122  Thus Paul’s founds the Christian Church. Cf Wittgenstein’s remark in “Culture and Value”, p.  35: “The spring that flows quietly & clearly in the Gospels seems to foam in Paul’s Epistles.”

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euch ein Glied.) Paul’s description of the church would, if sketched, look very similar to the portrait of the Leviathan that opens Hobbes’ book. But this vision of the Church is universalistic for there is no principled reason why a given member cannot be of the body. It is thus a threat to the Empire and its claim to be the creator of pax. The Roman word pax tends to refer to a state of affairs achieved and preserved by arms. It is thus political and consists in separating the Roman Empire off from those who are not so pacified. However, in the well-known passage from the Letter to the Galatians, Paul allows no finality in differentiation. (Gal  3.23: Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.)123 For Paul, it is precisely the resurrected Christ, the occurrence of something from beyond the realm of possibility which is affects everyone, regardless of their sex, race, ethnicity and so forth, a Lacanian Real that annihilates the normal, that engenders a new universality. As Nietzsche writes: “Paulus wusste nichts Besseres seinem Erlöser nachzusagen, als dass er den Zugang zur Unsterblichkeit für Jedermann eröffnet habe. …”124 Paul is responding to the promise that he sees instantiated in Jesus’ resurrection, an Event the Truth of which can in no ways be proven but can only be believed. Just as the Real cannot be represented, language itself, Paul asserts, would diminish the promise of the resurrection (I Corinthians 1.17). It is not surprising that the Athenian philosophers refer to Paul as a spermologos – a babbler – Acts 17.18. Were the Church to remain a subdivision sect of the Jews, it would not be a threat – the Jews were well-known to the Romans as an odd people, but one that generally kept to itself. Thus the Church as Paul envisages it is thus an epistemological threat to the Roman Empire, but one to which the Romans will respond politically (by persecuting them – the grounds are laid out in the correspondence between Pliny and Trajanus discussed above). All relations and authority is now to be mediated by and in Christ: to be a disciple of Christ one must hate one’s family and even one’s own life (Lukas 14.26). Christ and the Church function as what Schmitt called a Grenz­ begriff. Jesus says in Matthew 5.17: “Ihr sollt nicht meinen, daß ich ge­ kommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.”125 For Paul, Christ reasserts the

123  It is to this dismemberment that Nietzsche points in the “Von der Erlösung” chapter in Zarathustra II. 124  Nietzsche, Morgenröte, #  72. 125  “Think not that I am come to destroy the law, or the prophets: I am not come to destroy, but to fulfill.”



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Law precisely and only by going beyond it. Thus Romans 13:10: “die Liebe [ist] des Gesetzes Erfüllung (Love is the fulfillment of the Law).” While a number of passages oppose love and the gospel to the Law (e. g. John 1.17; II Cor 3.6-11: Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig),126 overwhelmingly the texts place the law and love into a complex relationship. What seems to me clear in Paul is what Zlavoj Žižek points out: “the very act of fulfilling the Law undermines its direct authority.”127 This was also Nietzsche’s position, as he writes in Jenseits von Gut und Böse (Sprüche und Zwischenspiele 164) “Jesus sagte zu seinen Juden: ‘das Gesetz war für Knechte – liebt Gott, wie ich ihn liebe, als sein Sohn! Was geht uns Söhne Gottes die Moral an!’ [Jesus said to his Jews: ‘The law was for servants – love God as I love him, as his Son! What is morality to us sons of God!’]” While the love of God fulfills the law it is by definition not covered by the law. Thus being a Christian means always living a Grenzbegriff – living as both exception and law. It is thus inherent in the structure of a Church that it both invokes and resists the realm that is beyond the Law. When Paul says “So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung,” he is saying that inherent in the foundation of a Church is the opening to that which is beyond the law. The Church is the fulfillment of the Law but that fulfillment is always from beyond the Law. How did Paul bring his vision about? In the epistles that we are relatively sure Paul wrote, he always begins them by instantiating his authority. Paul had not been a disciple; he had never known Christ. Indeed, his early career was spent in the persecution of those who followed Christ. It was on the road to Damascus that he becomes who and what is is. [Cf. I Cor 15.10: “Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.”] We find a clue in the very first line of the letter to the Romans. Luther renders this as: “Paulus, ein Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, ausgesondert, zu predigen das Evangelium Gottes.”128 The Greek, however, gives us: “Paulos doulos Christou Iesou, kletos apostolosaforismenos eis euangelion Theou.” The key is doulos – slave129. Paul, a Jew, a Roman, describes himself here by ap126  The relation of love and law is a matter of considerable dispute in Christian theology. Some separate the two radically, others refer to a “law of love” which is the same as a “law of grace.” 127  Zlavoj Zizek, The Ticklish Subject, Verso, London, 2000, p.  115. My paragraph here is indebted to pp.  113–116 of this book. 128  “Paul, a servant of Jesus Christ, called to be an apostle, separated unto the gospel of God.” Of the seven epistles reliably attributed to Paul, he invokes his authority as doulos in three (Romans, Philippians and Philemon) and as apostolos (I and II Corinthians, Galatians, and I Thessalonians) in the others. 129  Greek distinguished between a slave proper (doulos) and a slave taken in war (andrapodon).

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propriating a term for precisely those who are at the bottom of the Roman world – slave. And this designation is used as the source of his authority. Why should being a doulos be a claim to authority? Jacob Taubes, in: “Die politische Theologie des Paulus”, argues that the true founder of Christianity was Paul and not Christ.130 In this he picks up on Nietzsche, who in Morgen  68 sees Paul as “the First Christian.” Paul overcomes the law precisely because he comes to revalue what it meant to die on the cross. Instead of being shameful, that death is the prerequisite to living outside the law, thus to living beyond sin. Nietzsche will analyze this more generally in Jenseits and Zur Genealogie: slave morality consists in taking that which had designated the base and shameful and turning it into an instrument of power. Paul thus sought nothing less than to recast the entire Roman system by taking what Romans had despised and rendering it the most worthy of admiration. Slavery to the law is replaced by the transcendent slavery – doulos – to Christ. We find in Romans 8: 2–4: [2]  Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. [3]  Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, [4]  damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist.131

This slavery is the authority by which he sets out the promise of the resurrection. It is precisely because he is a slave that he has authority as being called, as apostolos. The incarnation is of little importance to Paul (and likewise to Hobbes). Life after death – the resurrection – is the promise that the Law is unable to accomplish. And this inability shows the limits of the Law and why Love is the fulfillment of the law. And the question then becomes what are we to be until we pass beyond death. What is required is the Church, the assembly of those who are all similarly summoned by this call. Paul’s vision of the Church is remarkably like that we find in Hobbes. Each individual is individual and yet part of the whole. One soon finds similar sentiments in those who follow Paul. Tertullian, in his Book of Apology Against the Heathen will write: “We are a body formed by our joint cognizance of Religion, by the unity of discipline, by the bond of hope. We come together in a meeting and a congregation as before God, as though we would in one body sue Him by our prayers. This violence is pleasing unto God. 130  Jacob 131  See

Taubes, The Political Theology of Paul, Stanford, 1997, p.  41. also I Corinthians 6. 15–17; I Corinthians 10. 15–17; I Corinthians 12.



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We pray also for Emperors, for their ministers and the powers, for the condition of the world, for the quiet of all things, for the delaying of the end.”132 Tertullian sees the Church as had Paul, and as will Schmitt, as a katechon, that delays the eschaton. Such is the Church for Paul: how is it legitimated and against what is it defined? For Schmitt, Paul defines the Church against its enemies, which Schmitt understands as the Jews. The enemy is something “existentially other and alien.” As I noted, he remarks that “Feind ist hostis nicht inimicus im weiteren Sinne; polémios, nicht echthrós.” (BP 29 / 28) To understand this the key passage is again from Romans: “Im Blick auf das Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber im Blick auf die Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen.”133 The Latin Vulgate is “secundum evangelium quidem inimici propter vos secundum electionem autem carissimi propter patres;” The Greek is “Kata men to euangelion echthroi di humas, kata deten eklogen agapetoi dia tous pateras.” For Schmitt it is important that the Church be the “friend” and that it have an enemy, here the Jews who insisted on circumcision as a prerequisite for becoming Christian and hence denied the universalism that Paul was seeking. Schmitt sees the enemy as hostes and polémios. In this passage, however, Paul (and his Latin translator) refers to them as inimici and echthroi. Thus in Schmitt’s nomenclature Paul’s understanding of the relation of the Church to the Jews is not what Schmitt wishes it to be. The key here is how the “enemy” is defined. For Schmitt, inimicus and echthros are enemies in a private sense (we are thus enjoined to love them by Jesus). Hostes and polémios are enemies in a public sense: they are our enemies and, remarks Schmitt, we are never enjoined to love them, to welcome the Saracens’ capture of Jerusalem, for instance. In Schmitt, the enemy (here the Jews) of the Church is defined politically – and thus we get an insight into Schmitt’s anti-Semitism or rather his anti-Judaism. However, Paul, in this passage, does not define the Christian relation to the Jews politically but rather defines it theologically. While it is clear that concerning the Gospel the Jews (that is those who hold Judaism to be a prerequisite for Christianity) are enemies, it is also clear that they are beloved of God. In my analysis, which leans heavily on Karl Barth and particularly on Jacob Taubes, one is to love ones enemy because since God has revealed himself as the Other in the enemy, by loving the enemy we bring 132  Tertullian, Book of Apology Against the Heathen, Oxford, Parker, 1842, section xxxix, page 80. 133  Romans 11.28: As concerning the gospel, indeed, they are enemies for your sake: but as regards the election, they are beloved of the Father.

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ourselves into the presence of God.134 In Romans 13:8–9 Paul basically says that the only important thing is to love your neighbor as yourself and that everything else follows as it were (including loving God). Against Schmitt, we might call this a social theology rather than a political one What appears in Paul is that loving one’s neighbour, including one’s enemy, is in fact to love God. When Paul condensed the two commandments into one (Romans 13.9: Denn was da gesagt ist: “Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren”, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefaßt: “Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.”) he was establishing a social theology. Love of the neighbour was an instantiation of love of God. One is tempted to conclude that Schmitt’s political theology is not a Christian political theology.135 V. Concluding Remarks What might one say at the end? The friend-enemy definition of politics that underpins Schmitt’s analysis has the advantage of keeping combatants from seeing their enemy as criminal. He writes in “Der Begriff des Politischen”: “Die Menschheit also solche kann kein Krieg führen, denn sie had keinen Feind, wenigstens nicht auf diesem Planeten. Der Begriff der Menschheit schliesst den Begriff des Feindes aus, wie auch der Feind nicht aufhört, Mensch zu sein und darin keine spezifische Unterscheidung liegt. …“ (BP  54–55 / 54) Should however a conflict occur where one group conceives of itself as fighting for humanity, then its opponents will be understood as criminals and a danger to “humanity.” At the end of his book he tells us: “Der Gegner heisst nicht mehr Feind, aber dafür wird er als Friedensbrecher und Friedensstörer hors-la-loi und hors l’humanité ge­setzt. …” (BP 77 / 79) Schmitt wrote these words in apparent response to the “war to end all wars” as conceived by Woodrow Wilson. They anticipate however the accusation of “crimes against humanity” that has become increasingly standard fare since the trials at Nuremberg. The grounds for this universalism, however, are laid in the Pauline universalism, the universalism that claims to affect everyone in the same way. If the political requires friends, enemies and conflict, then in the end Jesus’ life under134  In Matthew 5.44-45 Jesus orders that one love one’s enemies: [44]  Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, [45]  damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er läßt seine Sonne auf-

gehen über Böse und Gute und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte. 135  This raises another large question. For an initial entry to it, see Tristan Storme, Carl Schmitt et le marcionisme, Paris. Editions du Cerf, 2008.



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mines Schmittian politics – which is why Schmitt is on the side of the Grand Inquisitor. Whether or not one accepts his model of the Church, the strength in Schmitt’s theory is that he recognizes that human beings will respond to the possibility of a vigorous public sphere. It is for this reason that the Volk legitimates and is legitimated by the Sovereign. Liberalism, with its neutrality towards final claims, is incapable of providing this. Here one thinks of the work of John Rawls, who explicitly denies that his theory of justice requires a notion of truth and is composed only of that to which reasonable beings with a similar history will rationally consent.136 There are, however, also consequences to construing matters as does Schmitt. The first appears in the Schmitt makes available the kind of justification that the past American administration offers in relation to the “war on terror.” Since any terrorist attack is by definition an exceptional case, the President can claim to act with Emergency powers. And indeed, on September 14 and 23, 2001, President Bush invoked the National Emergencies Act137 and has since then justified his actions (such as spying on individuals without court orders) because “it is a necessary part of my job.” (News conference as per Associated Press, December 19, 2005). Jay Bybee, head of the Legal Council of the Justice Department, said in 2002 that “The President enjoys complete discretion in the exercise of his Commander-inChief authority and in conducting operations against hostile forces” and a memo from February of that year argued that “detainees have no inherent protection under the Geneva Convention – the condition of their imprisonment, good, bad, and otherwise, is solely at the discretion of the President.” The actions of the past and perhaps the present US administration are thus entirely consonant with Schmitt’s doctrine of exception and of the kind of justification that the sovereign can offer for his acts in such cases. Indeed, it would seem to follow that the nature of modernity is to increasingly make all situations exceptional. The second consequence comes with the difference between Hobbes and Schmitt. For Hobbes conflict in the state of nature is individual and not 136  John Rawls, “Justice as Fairness: Political not Metaphysical,” Collected Papers, Cambridge, MA, Harvard University Press, 2001, p.  395. This matter is more complex however. One should reflect carefully on the difference and similarity of the usage by each of “the political.” For both it can take place in a realm that is not Law governed – for Schmitt in the state of exception and for Rawls in the original position. See Miguel Vatter, “The Idea of Public Reason and the Reason of State: Schmitt and Rawls on the Political,” Political Theory (April 2008) 239–271. 137  See Harold Relyea, “Terrorist Attacks and National Emergencies Act Declarations,” for the Congressional Research Service, Library of Congress (RS21017) January 7, 2005.

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political. Hobbes is very clear that that which is political is “institutive” – what I have above called poietic. (E.g. De Cive, XI, 1; VII, 14; V, 12; Lev. XVII). For Hobbes it is the conflict in the state of nature that necessitates the institution of political relations. This means that the political is a solution to the problems of that which is not political. Here Giorgio Agamben has recovered some of Hobbes’ approach. For Schmitt that which lies before the political is of no human account. (And thus in relation to political society is effectively criminal). Agamben, however, starts his considerations before society with “bare life”, the exclusion of which is also the work of sovereignty and the state of exception.138 Whereas Schmitt builds the state around the friend-enemy distinction, Agamben builds it around the homo sacer – a figure in early Roman religion, a “sacred man” who was expelled from the city and who could be killed (but not sacrificed) by anyone. The Sovereign thus shows that he can determine those who are of no account to the community, not even worthy of being sacrificed to the Gods. What does Schmitt miss by grounding his thought on the importance of the political, conceiving of it as he does as friend-enemy?139 First, I think, is the fact that in modern times it has become increasingly difficult to in principle exclude anyone from membership in a polity. Thus the foundation of the political on that which was not deemed worthy of inclusion is undermined. This means, however, that all are members or can claim to be. One thinks here of the struggles in America over those coming across the border for work, or those in Europe who seek asylum in Germany, or Denmark, or the Netherlands.140 Here Paul’s understanding of what one owes them under God is applicable – but it is not political and that gives us some indication as to the problems these situations pose and as to why we have difficulty is finding our way with them. Secondly, in our modern age decisions are made by the state on a whole range of issues that are simply what Agamben calls “zoe”. These include genetically modifying crops, medical technologies, surrogate mothering, cloning and so forth. Biological life itself is presently becoming subject to sovereignty. The domain of the political is thus dramatically extended by technology. It may prove feasible in the not too distant future to clone organs as replacement parts. We are here well beyond the slogan in the Chi138  Giorgio Agamben, Homo Sacer, Stanford, Stanford University Press, 1998; State of Exception, Stanford, Stanford University Press, 2005. 139  I am again indebted here to conversations with Professor Jason Frank of Cornell University. 140  See here, J.  L. Nancy, “La Comparution / Compearance,” (trans. Tracy B. Strong) Political Theory (November 1991).



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nese Cultural Revolution that “latrines are political” as we are the watchword of the “Sixties” that “the personal is political.” Lastly, as noted briefly above, the modern world has produced a whole new kind of people: these may come from what we call “failed states”; or they may be asylum seekers from culturally oppressive regimes; they may be “illegal aliens” in search of employment that cannot be found “at home”; they may be prisoners at Guantanamo. None of this is easily covered by Schmitt’s analysis and is to some degree covered over by the idea of political theology. On the other hand, Schmitt will avoid the path that we find in someone like Bataille, where the exercise of sovereignty becomes only a recovery of the non-rule-bound, the immediate and the non-instrumental. Bataille calls this the “animality that we perceive in sovereignty” and he is in favor of it. He writes that “… we may call sovereign the enjoyment of possibilities that utility doesn’t justify (utility being that whose end is productive activity). Life beyond utility is the domain of sovereignty. … What is sovereign in fact is to enjoy the present time without having to anything else in view but this present time.”141 On this score it is interesting and important to note something to which Heinrich Meier has already called attention: Schmitt’s distaste for Nietzsche. In the Glossarium he scorns the idea of eternal return as in fact making impossible the idea of the katechon. He writes on 26 / 9 / 49 (s.  272) that “if there was an end it would be here so there is nothing to wait for.” He also, interestingly, sees Nietzsche as the forerunner not only of fascism but also of bolshevism, relating him to Trotsky (Glossarium 13.6.48 (s.  163). What Schmitt dislikes in Nietzsche, I think, is later found in Bataille: a distrust of the will and a valuing of what he calls necessity. Thus, drawing an analogy between sovereign-philosophers and artists, he will say of them that “gerade dann, wo sie Nichts mehr ‘willkürlich’ und Alles nothwendig machen, ihr Gefühl von Freiheit, Feinheit, Vollmacht, von schöpferischem Setzen, Verfügen, Gestalten auf seine Höhe kommt, – kurz, dass Nothwendigkeit und ‘Freiheit des Willens’ dann bei ihnen Eins sind.”142 Lastly, there may be something too strong in Schmitt’s reduction of law to normativity and thus his rejection of it as destructive of sovereignty. For Benjamin, the written law of both the Greeks and the Hebrews was a defence against the “tyranny of mythic states.” In the Seventh Seminaire, 141  Georges Bataille, The Accursed Share, MIT Press. Cambridge, MA, 1993, volume 3 (“Sovereignty”), chapter one. 142  F. Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, # 213. In the next paragraph I again owe a debt to Professor Jason Frank.

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Jacques Lacan argues that the Ten Commandments are “nothing other than the laws of speech,” and that speech is the “distance between the subject and das Ding.” Thus written law is not so much a punishment for offense as a way of erecting a barrier against das Ding – that is, against that which is a cathexis of the death drive and all that represents it: God, the mother of the incest prohibition, the neighbor, etc. If these thoughts are on the right track, then law is not only concerned with norms and procedures and petrified regularities – what Badiou dismisses as the logic of “particularism.” The realm of law is also the realm of speech and the symbolic and the way in which humans inscribe a barrier against the tyranny of absolute power that the law may also want to claim. Such would be to reclaim Paul from Schmitt and join him to Hobbes.

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Ulrich Fröschle / Thomas Kuzias (Hrsg.): Alfred Baeumler und Ernst Jünger. Mit einem Anhang der überlieferten Korrespondenz und weiterem Material, Dresden 2008, Thelem, 271  S. Rezensionen Rezensionen

Alfred Baeumler ist heute vergessen. Anders als Heidegger, Ernst Jünger oder Carl Schmitt ist ihm bisher keine Renaissance beschieden gewesen. Seine Mitarbeit im Amt Rosenberg, die ihn zum einflußreichen Türhüter der Philosophie während des Dritten Reiches machte, hat seinen Ruf ruiniert. Er galt und gilt als „Rosenbergs Sänger“1 – ein in jeder Hinsicht vernichtendes Urteil. Bereits mit seinem Buch Nietzsche, der Philosoph und Politiker (1931) – von Rosenberg in den „Nationalsozialistischen Monatsheften“ rezensiert (2 [1931]) – hatte er sich nach geläufiger Meinung auf die Seite der Nationalsozialisten geschlagen. Es war ein langer Weg, den Baeumler bis 1931 zurückgelegt hatte, und es war einer, dessen Ende nicht von Anfang an abzusehen war. Baeumler hatte sich zunächst – ganz akademisch und wie so viele jüngere Philosophen – Kants Philosophie gewidmet. Bei Oswald Külpe hatte er mit einer Arbeit über Das Problem der Allgemeingültigkeit in Kants Ästhetik promoviert (München 1915), beim selben Doktorvater übrigens wie Ernst Bloch. Nach dem Kriege, an dem er als Offizier einer Maschinengewehrkompanie teilnahm, hatte er sich bei Gustav Kafka habilitiert. Das Thema war erneut die Kantische Ästhetik.2 An der TU Chemnitz war er Privatdozent, a.o. Professor und schließlich Ordinarius geworden. Baeumlers geistige Biographie, die ihren Ausgang vom Idealismus nahm, wurde in den 20er Jahren stark beeinflußt von der Begegnung mit Thomas Mann. Baeumler hatte Mann einen Brief zukommen lassen, in dem er die Betrachtungen eines Unpolitischen gegen Spenglers Untergangsphilosophie ausspielte, sehr zur Freude Thomas Manns. Mann setzte sich für die Veröffentlichung des Artikels ein, der 1920 erschien.3 Das zunächst freundliche Verhältnis beider wurde allerdings getrübt, als Mann in der Pariser Erklärung (1926) Kritik an Baeumlers Bachofen-Einleitung übte.4 Thomas Mann warf Baeumler einen „revolutionären Obskurantismus“ vor. Die Deutung des Bachofschen Mythos entspreche weniger dem Geist von Heidelberg als dem von München.5 Die Baeumler-Kritik hatte für Thomas Mann selber erhebliche Konsequenzen. Sowohl sein Essay über Freud als auch die Josephs-Romane sind von der Baeumler-Kritik geprägt. Gegen das Baeumlersche-Bachofensche Verständnis des Mythos will Thomas Mann demonstrieren, daß sich Mythos und Psychoanalyse, Romantik und Psychologie miteinander vereinbaren lassen.6 1  Fr.

Hielscher, Fünfzig Jahre unter Deutschen, Hamburg 1954, 154. Baeumler, Kants Kritik der Urteilskraft, Halle 1923. 3  A. Baeumler, Metaphysik und Geschichte, in: Neue Rundschau (Oktober 1920), 1113–1129. 4  A. Baeumler, Bachofen, der Mythologe der Romantik, in: M. Schröter (Hrsg.), Der Mythos von Orient und Occident. Eine Metaphysik der alten Welt, München 1926, XXIII–CCXCIVI. 5  M. Baeumler u. a. (Hrsg.), Thomas Mann und Alfred Baeumler, Würzburg 1989, 154 ff. 6  H. Ottmann, Oswald Spengler und Thomas Mann, in: A. Demandt / J. Fahrenkopf (Hrsg.), Der Fall Spengler, Köln u. a. 1994, 153–171. 2  A.

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Baeumler war von der Kritik Thomas Manns tief getroffen. Hatte er nicht gerade das Apollinische gegen das Dionysische verteidigt? Baeumler wandte sich, wie es der gerade veröffentlichte Briefwechsel mit Ernst Jünger zeigt, neuen Ufern zu. Wie Jünger wird auch Baeumler ein Nationalrevolutionär. Er verfaßt mehrere Artikel für Ernst Niekischs Zeitschrift Der Widerstand (1926–1934), und es ist Baeumler, der Jünger und Niekisch zusammenführt. In der Zeitschrift Der Widerstand schreibt Baeumler unter Pseudonym. Er läßt seinem anti-römischen Affekt freien Lauf. Am Reformationsfest von 1928 veröffentlicht er unter dem Pseudonym Leopold Martin den Artikel Protestantismus und Widerstand (Fröschle / Kuzias 2008, 198–205). Deutschland muß alles Römische abschütteln. Es muß sich anti-westlich orientieren. „Der echte Protestant kann nicht dem Westen mit seinen verschiedenen Demokratismen verfallen: er kann den Staat weder in französischer Weise zum Menschheitsstaat / vergötzen noch in englischer Weise als Werk der Vorsehung für das Heil der übrigen Welt auffassen und zu einer imperialistischen Hochkirche machen.“ (Fröschle / Kuzias 2008, 203 f.). Das kommende Reich muß ein protestantisch-germanisches sein. Zu dieser Abwendung vom Westen paßt bei Baeumler und Niekisch die Zuwendung zum Osten. So wie Ernst Jünger in Der Arbeiter (1932), so läßt auch Baeumler eine gewisse Sympathie für einen eigenständigen Bolschewismus erkennen. In einer Notiz vom 24.10.1928 notiert er sich: „Auflösung der Scheu vor Rußland … Kampf gegen das System … Eroberung der Arbeiterschaft … Lenin: Marx = x: Nietzsche!“ (Fröschle / Kuzias 2008, 84). Wie bei Jünger so zeigt sich bei Baeumler, wie sich in den 20er Jahren die Rechts-Links-Unterscheidung aufzulösen beginnt. Es gibt nun linke Leute von rechts, die die Gegensätze mischen, konservativ und revolutionär, bolschewistisch und nationalistisch zugleich sein wollen. Baeumlers Verbindung zu Jünger zerbrach, als er scharfe Kritik an Jüngers Schrift Das Abenteuerliche Herz (1929) übte. Baeumler warf Jünger vor, der Demokratie einen letzten Triumph verschafft zu haben. „Den höchsten Triumph der Demokratie nenne ich es, wenn das schlechthin Undemokratische, der Krieg, zum Traum eines Einzelnen gemacht wird …“ (07.01.1929, Fröschle / Kuzias 2008, 146). Wenn schon, dann hätte für Baeumler vom „Traum eines Volkes“ die Rede sein müssen. Baeumler wirft Jünger genau das vor, was Carl Schmitt an der politischen Romantik als Subjektivimus, Okkasionalismus und Ausgang vom „Erlebnis“ bemängelt hatte. Jünger, der Soldat und Weltkriegsheld, war verständlicherweise pikiert. Er antwortete mit einer Gegenkritik an Bachofen und an einer Mythologie des Volkes. „Die Wendung zum Mythos ist der romantischen Wendung zum Katholizismus verwandt genug. Ich verzichte darauf, meinen Raum im Lichte gemalter Fenster zu sehen, lieber schlage ich die Scheiben ein, und mögen sie von bester gothischer Arbeit sein … Wo nichts ist, will ich nichts vormachen, – wo nichts ist, da ist mir ein ehrlicher Nihilismus lieber wie Reste einer Festtafel von vorgestern.“ (23.01.1929, Fröschle / Kuzias 2008, 148). Die Wege trennten sich. Baeumler war mit seinem Nietzsche-Buch unterwegs zum Nationalsozialismus. Zwar zeigte das Buch noch Spuren der Niekisch-JüngerPeriode Baeumlers, insofern es immer noch eine deutsch-russische Allianz propagierte. Deutschland sollte sich gegen den Westen, gegen England und die USA entscheiden. Das kommende Reich sollte ein germanisches sein, jenseits von Aufklärung, Liberalismus und Romantik. Ulrich Fröschle und Thomas Kuzias diskutieren ausführlich, was Baeumler nur bewogen haben mag, vom nationalen Revolutio-



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narismus zum Nationalsozialismus überzugehen. Sie deuten Baeumlers Entscheidung für Hitler als „eine politische, keine philosophische“ (Fröschle / Kuzias 2008, 117). Darüber wäre länger zu diskutieren, als es an dieser Stelle möglich ist. Was die ehemaligen Weggefährten nach der Machtergreifung noch über sich zu  sagen hatten, wurde immer giftiger. In Briefen an Carl Schmitt nennt Jünger Baeumler den „Magister Holzkopf“ (12.01.1942). In Jüngers Strahlungen taucht Baeumler unter dem Pseudonym „Castor“ sogar als Denunziant auf. Castor gehöre, so Jünger, „… zum Typus der Trüffelschweine, denen man in jeder Revolution begegnen wird. Da ihre groben Gesinnungsgenossen unfähig sind, die exquisiteren Gegner festzustellen, bedienen sie sich korrumpierter Intelligenzen höheren Ranges, um sie herauszuschnüffeln und sichtbar zu machen … Jedesmal wenn ich merkte, daß er sich mit mir beschäftigte, machte ich mich auf eine Haussuchung gefaßt. Auch gegen Spengler rief er nach der Polizei, und es gibt Eingeweihte, die behaupten, daß er ihn auf dem Gewissen hat.“7 Jünger (übrigens auch Niekisch) verdächtigten Baeumler, durch einen Artikel zum Verbot des Widerstandes beigetragen zu haben. Niekischs Zeitschrift wurde 1934 verboten. Tilitzky geht davon aus, daß der fragliche Artikel von Baeumler stammt (obwohl dieser seine Autorschaft bestritt).8 So oder so war ein Verbot des Widerstandes abzusehen. Niekisch hatte 1932 sein Buch Hitler. Ein deutsches Verhängnis publiziert. War da zu erwarten, daß seine Zeitschrift im nationalsozialistischen Staat überleben werde? Baeumler rezensierte nach dem Kriege – nun wieder unter Pseudonym – Jüngers Besuch auf Godenholm (1952). Er warf Jünger Sektiererei und „Symboldeuterei aufgrund vorgeblichen Geheimwissens“ vor (Fröschle / Kuzias 2008, 123). Das war verletzend gemeint. Die Bemerkung zielte auf einen Vergleich mit dem George-Kult, in dessen Ablehnung man sich früher einig gewesen war. Für einen Moment haben sich am Ende der 20er Jahre die Wege des Dichters und des Philosophen gekreuzt. Dann entschieden sie sich je anders. Jünger ging auf Distanz zum Dritten Reich. Mit den Marmorklippen (1938) schrieb er ein verschlüsseltes Buch des Widerstandes. Nach dem Kriege zog er sich mehr und mehr in die Figuren des Waldgängers und des konservativen Anarchen zurück, Gestalten, denen nichts wichtiger war als die eigene, unter allen Umständen zu bewahrende Souveränität. Baeumler hatte sich dagegen zum Parteiphilosophen und zum politischen Pädagogen gemacht. Jüngers Haltung mußte ihm als romantischer Subjektivismus erscheinen, die Tat dann doch nicht gewagt, sondern durch nächtelange Diskussionen und verbale Radikalität ersetzt. Der Preis der Politisierung und Parteilichkeit, den Baeumler bezahlte, war hoch. Nach dem Kriege hat er versucht, anders als Heidegger oder Schmitt, sich seiner Vergangenheit zu stellen.9 Gehör gefunden hat er damit nicht. Henning Ottmann 7  E.

Jünger, Strahlungen I, Stuttgart 1979, 391. handelt sich um einen Aufsatz in Rosenbergs Bücherkunde, Chr. Tilitzky, Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und dem Dritten Reich, Teil 1, Berlin 2002, 546 f. 9  A. Baeumler, Hitler und der Nationalsozialismus. Aufzeichnungen 1945–1947, in: Der Pfahl V, München 1991, 159–204; Der Irrtum des Faschismus, in: Der Pfahl VI, München 1992, 138–146. 8  Es

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Manuel Knoll (Hrsg.): Aristokratische oder demokratische Gerechtigkeit? Die politische Philosophie des Aristoteles und Martha Nussbaums egalitaristische Rezeption, Wilhelm Fink Verlag, München 2009, 325  S. In der politischen Philosophie der letzten Jahrzehnte dient Aristoteles immer wieder als Referenz für ganz unterschiedliche Positionen: die Kritik der Moderne (Leo Strauss, Eric Voegelin), die Befürwortung des pluralistischen Verfassungsstaates (Dolf Sternberger) oder der Mischverfassung (Henning Ottmann), die Betonung der Bürgertugenden (Otfried Höffe) und die Begründung sozialdemokratischer Politik (Martha Nussbaum) – um nur einige Beispiele zu nennen. Dagegen steht die Warnung, dass Aristoteles ein vormoderner Denker sei, dessen Vorstellung vom guten Leben nicht mit dem modernen Freiheitsbegriff vereinbar sei (Herbert Schnädelbach) oder dessen Betonung der Tugenden der Bürger in Widerspruch zur modernen Ethik stehe, die allein auf die Wirkung von Institutionen setze (Karl Homann). Zu dieser Debatte will der vorliegende Band von Manuel Knoll, der als Habilita­ tionsschrift an der Ludwig-Maximilians-Universität München entstanden ist, einen Beitrag leisten, indem er die sozialdemokratische Rezeption des Aristoteles durch Martha Nussbaum als Ausgangspunkt für die grundsätzliche Frage nach der Relevanz seiner Philosophie für die Gegenwart nimmt. Diese Frage wird am Ende nicht ganz eindeutig beantwortet, doch es wird die tiefe Skepsis deutlich, die Knoll gegenüber einer Bejahung dieser Frage nach der Relevanz von Aristoteles hegt: Er sei, so die zentrale These, in ethischer und politischer Hinsicht ein aristokratischer Denker, der sich mit unserem demokratischen Verständnis von Politik und Gesellschaft nicht vereinbaren lasse. Knoll weist selbst darauf hin, dass seine Deutung des Aristoteles als Befürworter der Aristokratie nicht neu ist, doch sein Ziel ist es, bei der Begründung dieser Deutung grundsätzlicher anzusetzen als andere Autoren und die aristotelische Verfassungslehre von seiner Theorie der Gerechtigkeit in der „Nikomachischen Ethik“ her zu verstehen (S.  21). Die Argumentation gliedert sich in drei Teile: Im ersten und umfassendsten Teil untersucht Knoll die politische Philosophie und die Ethik von Aristoteles (140  S.); im zweiten Teil vergleicht er seine Deutung der politischen Philosophie von Aristoteles mit derjenigen von Martha Nussbaum (60 S.); im dritten Teil widmet er sich der Frage nach der Relevanz von Aristoteles für die politische Philosophie der Gegenwart (45  S.). Die Auseinandersetzung mit der politischen Philosophie von Aristoteles im ersten Teil lässt sich wiederum in zwei Abschnitte gliedern: Zunächst wird unter Rückgriff auf die „Nikomachische Ethik“ (EN) und die „Politik“ Aristoteles’ Theorie der Gerechtigkeit interpretiert und gezeigt, dass die Option für die Aristokratie bereits im Primat der geometrischen Proportionalität begründet liegt (Kapitel  I–V); dann wird die Befürwortung der Aristokratie durch eine Analyse der Verfassungslehre der ­„Politik“ nachgewiesen (Kapitel VI–VIII). Die Darstellung der Gerechtigkeitstheorie setzt zunächst mit den bekannten Unterscheidungen von allgemeiner und partikularer, austeilender und ausgleichender Gerechtigkeit ein (EN Buch  V; Kapitel  I–III bei Knoll). Die austeilende Gerechtigkeit, deren wesentlicher Anwendungsbereich die Vergabe öffentlicher Ämter und Ehren ist, verteilt diese nach dem Maß der Würdigkeit der entsprechenden Personen und wendet somit die geometrische Gleichheit an. Die ausgleichende Gerechtigkeit hingegen wird im vertraglichen Aus-



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tausch und bei der Bemessung von Strafen bzw. Wiedergutmachungsleistungen angewandt und folgt der arithmetischen Gleichheit, d. h. sie stellt den Ausgleich ohne Ansehung der Person (und insbesondere seiner sozialen Stellung) her. Die Unterscheidung der verschiedenen Arten der Gerechtigkeit ist für die Verfassungslehre von Aristoteles von entscheidender Bedeutung: Es besteht ein „unauflöslicher Zusammenhang zwischen Polis, Verfassung und Gerechtigkeit“ (S.  90), weil die Verfassung festlegt, wem welche Ämter und politischen Kompetenzen in der Polis zukommen. Die Verteilung der Ämter und Kompetenzen entspricht weder in der ­Demokratie noch in der Oli­garchie der verteilenden Gerechtigkeit nach Aristoteles: Die Demokratie vereinseitigt die arithmetische Gleichheit, weil sie alle Bürger ohne Ansehen ihrer Fähigkeiten und ihrer Tüchtigkeit gleich behandelt (S.  96 f.); die Oligarchie verteilt Ämter und Kompetenzen allein nach Maß des Reichtums und mit dem Ziel, den Besitz der Herrschenden zu sichern (S.  95). Der Maßstab der Aristokratie hingegen ist die Tüchtigkeit (areté); damit ist sie aus der Sicht von Aristoteles den beiden verbreiteteren Verfassungen, Oligarchie und Demokratie, überlegen (Kapitel  IV). Die aristokratische Konzeption der Gerechtigkeit, die von der Ungleichheit der Menschen ausgeht, wird nun nach der Deutung von Knoll nicht nur bei der verteilenden Gerechtigkeit, sondern auch bei der austeilenden Gerechtigkeit angewandt. Im Anschluss an Stephanie Haacke („Zuteilen und Vergelten“, Wien 1994) wendet Knoll sich gegen die übliche Deutung der Gerechtigkeitstheorie von Aristoteles und versucht zu zeigen, dass auch die ausgleichende Gerechtigkeit den sozialen Rang der beteiligten Personen berücksichtigt: Der Austausch ist für Aristoteles gleich und gerecht, wenn jeder das erhält oder zugeteilt bekommt, was ihm aufgrund seines sozialen Ranges zusteht. […] Der Austausch erfolgt also nach der verhältnismäßigen Gleichheit gemäß dem Rang oder Wert der tauschenden Personen. (S.  127) Diese Deutung der ausgleichenden Gerechtigkeit spielt in Knolls Argumentation eine entscheidende Rolle, weil er Aristoteles damit nachweisen will, dass er rein aristokratisch denkt. Der soziale Rang ist in allen gesellschaftlichen Beziehungen ausschlaggebend: nicht nur bei der Vergabe von Ämtern, sondern auch in Tauschbeziehungen. Die naheliegende Frage, warum Aristoteles denn den Maßstab der arithmetischen Proportionalität (also der Gleichheit ohne Ansehung des sozialen Rangs der Person) thematisiert, beantwortet Knoll unter Rückgriff auf Haacke mit einem Entlarvungsargument: Dies sei ein „rhetorisches Zugeständnis an die Demokratie“ (S.  130) – Aristoteles fügt sich damit den politischen Machthabern. Knolls Interpretation, nach der die ausgleichende Gerechtigkeit dem Maß der geometrischen Proportionalität folgt, widerspricht jedoch der Argumentation von Aristoteles, wenn man sie in ihrem Zusammenhang betrachtet. Knoll stützt seine Deutung auf folgenden Satz, in dem Aristoteles das Maß der Preisbildung im Austausch behandelt: Es kommen also nach Maßgabe des Verhältnisses eines Baumeisters zu einem Schuster soundso viele Schuhe auf ein Haus oder auf ein gewisses Maß von Lebensmitteln. (Aristoteles: EN V 8, 1133a22-24, Übersetzung E. Rolfes; bei Knoll: S.  126)

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Wenn man diesen Satz losgelöst vom Argumentationszusammenhang deutet, könnte man darin ein Plädoyer für die Anwendung des Maßstabs der geometrischen Proportionalität bei der Preisbildung in Tauschbeziehungen sehen. Tatsächlich aber geht es Aristoteles um einen Aspekt des Tausches, der in jeder Tauschbeziehung eine Rolle spielt: Unterschiedliche Leistungen sind nicht gleichwertig. Entscheidend ist jedoch nicht der soziale Rang des Schusters oder Baumeisters, sondern die unterschiedliche Wertigkeit ihrer Leistungen, die sich in der Austauschrelation ihrer Produkte widerspiegeln muss. Da einer Stunde Arbeit von einem Baumeister und einem Schuster ein jeweils anderer Wert beigemessen wird, können ihre Produkte nicht einfach nach Maß ihres Arbeitseinsatzes (zuzüglich Materialkosten) bewertet werden. Um den dabei anzuwendenden Maßstab geht es Aristoteles in dem Absatz, in dem der oben zitierte Satz steht: Der gesuchte Maßstab ist das Bedürfnis (chreia), das wiederum durch das Geld kommensurabel gemacht wird (EN V 8, 1133a18-33). Die ausgleichende Gerechtigkeit bezieht sich also auf den Ausgleich unterschied­ licher Leistungen; der soziale Stand der Beteiligten spielt dabei höchstens insofern eine Rolle, als eine höhere Leistung (nach Maß des Bedürfnisses) einen höheren sozialen Stand begründen kann. Aristoteles meint also nicht (wie es aus der Deutung von Knoll folgen würde), dass ein Handwerker, der einen höheren sozialen Stand hat, höhere Preise fordern darf oder umgekehrt beim Einkauf von Gütern aufgrund seines Standes Vorzugskonditionen bekommt. Knolls eigenwillige Interpretation der Gerechtigkeitstheorie von Aristoteles ist für seine Argumentation von entscheidender Bedeutung, weil er damit nachweisen will, dass die Gerechtigkeit sich aus der Sicht von Aristoteles grundsätzlich nach der Würdigkeit und Tüchtigkeit (areté) der beteiligten Personen richtet, und zwar in allen politischen, ökonomischen und sozialen Beziehungen. Diese Überlegung wird in den folgenden Kapiteln VII und VIII vertieft, wenn Knoll die naturrechtlichen Grundlagen der politischen Philosophie von Aristoteles behandelt (Unterscheidung von Herr und Sklave, Mann und Frau sowie von Bürgern nach Maß ihrer Tüchtigkeit) und nachweist, dass die in den Büchern VII und VIII der „Politik“ beschriebene beste Verfassung die Aristokratie ist, die von der Politie unterschieden werden muss. Dieser Nachweis, v. a. Kapitel VII, zählt zu den überzeugenden Abschnitten von Knolls Arbeit, weil hier mit Blick auf den Gesamtzusammenhang der „Politik“ argumentiert wird. Knoll weist auf eine entscheidende Stelle am Beginn des vierten Buches der „Politik“ hin, in der Aristoteles vier verschiedene Aufgaben der Verfassungslehre unterscheidet – eine Unterscheidung, die den Schlüssel zur Deutung der unterschiedlichen, aus Sicht mancher Interpreten widersprüchlichen Passagen der Verfassungsanalyse von Aristoteles enthält und eine unitarische Interpretation der „Politik“ ermöglicht. Für die Argumentation von Knoll ist dabei besonders die Unterscheidung der Frage nach dem besten Staat (S.  182) und der Frage nach der Verfassung, die für die meisten Staaten die beste ist (S.  185), relevant: Ersteres ist die Aristokratie, letztere die Politie als eine Mischverfassung, in der der Mittelstand den politischen und sozialen Ausgleich zwischen Armen und Reichen bewirken soll. Doch wenngleich der Nachweis, dass Aristoteles in den Büchern VII und VIII als besten Staat eine Aristokratie darstellt, überzeugend ist, stellt sich die Frage, ob Knolls Charakterisierung der aristotelischen Aristokratie zutrifft. Nach Knolls Deutung stehen auch die Aristokraten in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, und zwar nach Maß ihrer Tüchtigkeit und Klugheit. Das Verhältnis der Aristokraten



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untereinander ist dort wie das Verhältnis von Herr und Knecht oder Mann und Frau von Ungleichheit gekennzeichnet. Diese Deutung stützt sich wesentlich auf eine Stelle, an der Aristoteles darauf hinweist, dass im besten Staat der Ältere über dem Jüngeren stehen soll, weil er ihm in Hinblick auf die Lebenserfahrung und die Klugheit überlegen ist („Politik“ VII 14: 1332b35-1333a3; Knoll: S.  206). Doch wenn man diesen Abschnitt über die Vorzüge des Alters in Verbindung mit der „Nikomachischen Ethik“ liest, lässt er sich anders deuten: Nämlich dass die Aristokraten abgesehen vom Alter und der damit verbundenen Lebenserfahrung und Klugheit einander wesentlich gleichen und somit einander gleichrangig sind. Darauf deuten insbesondere zwei Argumente von Aristoteles hin: Erstens betont er zu Beginn der „Ethik“, dass alle, die in der Ethik unterrichtet werden (und die EN darf als wichtiges „Lehrbuch“ für die Aristokraten in Aristoteles’ Idealstaat verstanden werden), eine gute Charakterbildung haben müssen und die Prinzipien des guten Handelns entweder schon kennen oder sie zumindest leicht erlernen können (EN I 2: 1095b4-8). Zweitens setzt, so zeigt die Platon-Kritik von Aristoteles (EN I 4), die Kenntnis dieser Prinzipien nicht die Erkenntnis des Guten voraus, so dass es unter den Aristokraten keine Unterschiede nach Maß der Verwirklichung einer Erkenntnis geben kann, die die Voraussetzung für ein ethisch gutes Handeln wäre. Aristoteles geht vielmehr davon aus, dass es unter den Aristokraten abgesehen vom Alter und der damit verbundenen Lebenserfahrung eine weitgehende Gleichheit gibt. In diesem Punkt ähnelt übrigens die Aristokratie der Politie: In beiden Staatsformen sind die Herrschenden (nämlich die wenigen Aristokraten in der Aristokratie und der breite Mittelstand in der Politie) untereinander relativ gleich, während sie ungleich sind im Verhältnis zu den ihnen unterstellten Schichten. Knolls einseitige Betonung der Ungleichheit übersieht wie schon bei der Deutung der Gerechtigkeitstheorie die komplexe Verbindung von Gleichheit und Ungleichheit in der Argumentation von Aristoteles. Im zweiten Teil folgt die Auseinandersetzung mit Nussbaums Aristoteles-Rezep­ tion (Kapitel IX – XII). Knoll weist hier en détail nach, dass die sozialdemokratische Interpretation von Aristoteles mit dessen politischer Philosophie unvereinbar ist. In der Einleitung hatte er bereits verdeutlicht, dass dieser Auseinandersetzung ein exemplarischer Charakter zukommt: Auch wenn sich dieser Teil auf Nussbaum konzentriert, geht es ihm grundsätzlich um Positionen, die in Aristoteles einen Vordenker der modernen Demokratie oder des modernen Verfassungsstaates sehen (vgl. S.  19). Das zeigt sich auch im dritten Teil der Arbeit, der die Frage nach der Relevanz der politischen Philosophie von Aristoteles für gegenwärtige politische Debatten aufwirft. Knoll beginnt diesen Teil mit einer „Zusammenfassung“ der politischen Philosophie von Aristoteles (Kapitel  XIII), die die Frage nach der Relevanz eigentlich schon beantwortet. Dort heißt es u. a.: − „Aus postmetaphysischer Perspektive können die Menschen heute keine vorbildlichen natürlichen oder transzendenten Ordnungen mehr erkennen, die eine Orien­ tierung des politischen Handels erlauben würden.“ (S.  275) − Die politische Philosophie von Aristoteles beziehe sich vor allem auf die Vergabe politischer Ämter in der Polis. „Ein derart enger Politikbegriff kann der zeitgenössischen Realität nicht gerecht werden“ (ebd.) – denn erstens reduziert er politisches Handeln auf ein einzelnes Problem (Vergabe von Ämtern) und zweitens

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werden die Überlegungen, die für die antike Polis angestellt wurden, den heutigen großflächigen Nationalstaaten nicht gerecht (S.  275 f.). Mit diesen Bemerkungen, die ihrerseits die politische Philosophie von Aristoteles recht reduziert erscheinen lassen, ist das Urteil eigentlich schon gesprochen: So wie Aristoteles darf man heute nicht mehr denken – das wäre im beste Fall naiv. Dennoch folgen zur Frage nach der Relevanz von Aristoteles zwei weitere Kapitel: Kapitel XIV untersucht die Relevanz für gegenwärtige politische Debatten, das abschließende Kapitel XV die Relevanz für die gegenwärtige politische Philosophie. Die Einschätzung der Frage nach der Relevanz für gegenwärtige politische Debatten fällt nicht so negativ aus, wie man es von den eben zitierten Passagen aus der „Zusammenfassung“ vermuten würde. Knoll geht zunächst auf die Theorie der demokratischen Elitenherrschaft ein (S.  284 ff.) und zeigt, dass die führenden westlichen Demokratien Institutionen der Elitenbildung aufweisen, in denen „gesellschaftliche und politische Eliten nach dem aristokratischen Kriterium der Bestlei­ stung“ ausgewählt werden (S.  289 f.). Ausgehend von dieser Feststellung könnte Knoll die moderne Demokratie als eine Mischverfassung analysieren, die in spezifischer Weise Gleichheit und Ungleichheit (oder in den Worten von Aristoteles: arithmetische und geometrische Gleichheit) verbindet – und damit die Relevanz von Aristoteles für die Gegenwart aufzeigen. Stattdessen folgen ein paar kurze Bemerkungen zur Frage, wie eine bildungspolitische Reform im Geiste von Aristoteles aussehen könnte, die mit der Bemerkung enden, dass sie (in praktischer Hinsicht) „äußerst schwierig“ sein dürfte (S.  291) – was doch eigentliche eine glückliche Fügung sein müsste, denn aus den bisherigen Ausführungen von Knoll lässt sich schließen, dass er eine solche Reform gar nicht für wünschenswert erachtet. Die Untersuchung der Relevanz von Aristoteles für die heutige Philosophie geht von der Frage aus, welche philosophischen Positionen die aktuelle Debatte beherrschen und nennt den Egalitarismus (S.  296 ff.) sowie den Nonegalitarismus (S.  300 f.). Während der Egalitarismus die „moralische Zielsetzung“ verfolgt, „die natürlichen und unverschuldeten sozialen Nachteile durch politisches Handeln zu kompensieren“ (S.  296) und somit davon ausgeht, dass jede Form von Ungleichheit negativ zu beurteilen ist, strebt der Non-Egalitarismus nicht nach weitgehender Gleichheit, sondern danach, dass jede Person genug für ein gutes Leben haben soll (S.  301) – eine Position, die, wie Knoll feststellt, eigentlich auch egalitaristisch argumentiert, weil schließlich jede Person genug haben soll (S.  303). Die Folgerung, dass die „aristokratische Gerechtigkeitskonzeption“ von Aristoteles „weder mit derjenigen des zeitgenössischen Egalitarismus, noch mit jener des Nonegalitarismus vereinbar“ ist (S.  302), kann vor dem Hintergrund von Knolls Aristoteles-Deutung nicht verblüffen. Aristoteles sei vielmehr ein „radikaler antiker Nonegalitarist“ (S.  304), der im Unterschied zum zeitgenössischen Nonegalitarismus von einer fundamentalen Ungleichheit der Menschen ausgeht. Dass Aristoteles nicht nur „radikal“, sondern auch „antik“ ist, impliziert, dass man damals wohl ungestraft so denken durfte – während Aristoteles aus heutiger Sicht „eine extreme Position“ vertritt (S.  306). Die Einordnung von Aristoteles als extremistischen Vertreter einer „fundamentalen Ungleichheit“ der Menschen steht nun in Widerspruch zu der oben bereits gezeigten komplexen Verbindung von Gleichheit und Ungleichheit in dessen politi-



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schem Denken. Bei näherer Betrachtung gibt es nach Aristoteles noch nicht einmal zwischen Herr und Knecht eine fundamentale Ungleichheit, weil auch der Knecht zumindest soweit Anteil an der Vernunft hat, dass er die Vernunft des Herrn vernehmen kann („Politik“ I 5, 1254b20-24). Vor allem aber irritiert die Logik der Argumentation von Knoll: Natürlich mag die Position von Aristoteles aus der Sicht eines zeitgenössischen Egalitaristen oder Nonegalitaristen „extrem“ und „antik“ erscheinen – aber was folgt daraus für die Beantwortung der Frage nach seiner Relevanz? Knoll weist selbst darauf hin, dass es Egalitaristen wie Nonegalitaristen immer um die Gleichheit geht – gerade deshalb könnte Aristoteles besonders relevant für die Gegenwart sein: um daran zu erinnern, dass das politische Denken die Vereinseitigung von Ungleichheit und Gleichheit vermeiden und nach dem richtigen Verhältnis beider fragen soll. 

Hendrik Hansen

Ines Geipel /Andreas Petersen (Hrsg.): Black Box DDR. Unerzählte Leben unterm SED-Regime, marix-Verlag, Wiesbaden, 320  S. Rezensionen Rezensionen

In keinem politischen System ist die Einwirkung des politischen Denkens auf die Lebenswirklichkeit der Menschen so massiv wie in totalitären Systemen: Sie zeichnen sich dadurch aus, dass das Handeln der Menschen nicht nur (wie in autoritären Systemen) durch Ge- und Verbote von außen gesteuert wird, sondern dass mittels der Ideologie das Denken und Fühlen der Menschen bestimmt werden soll. Die Menschen sollen die Ideologie verinnerlichen und dadurch zu neuen Menschen umerzogen werden. In der DDR wurde dieses Ziel als Entwicklung zur „sozialistischen Persönlichkeit“ bezeichnet und war gesetzlich vorgeschriebenes Programm.1 Laut der Verfassung der DDR von 1974 entwickelt die sozialistische Persönlichkeit ihre Freiheit und Würde, indem sie ihre „Kräfte aus freiem Entschluss zum Wohle der Gesellschaft und zu [ihrem] eigenen Nutzen in der sozialistischen Gemeinschaft ungehindert“ entfaltet (Art. 19) – also indem sie sich aus innerem Antrieb als Element des Kollektivs versteht. Welche Wirkungen entfaltet ein solches Programm im Alltag? Wie sieht das Leben derer aus, die sich zu neuen Menschen erziehen lassen sollen? Wie reagieren die Menschen auf die Umerziehung und allgemein auf die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft, wenn sie enteignet, deportiert, verhaftet oder „zersetzt“ werden? Das wird in dem Band „Black Box DDR. Unerzählte Leben unterm SED-Regime“ sehr eindrücklich am Beispiel von 33 Menschen geschildert, die stellvertretend für Millionen von Schicksalen in der DDR stehen und deren Biogramme einen tiefen Einblick in das alltägliche Leben im Sozialismus geben. Herausgegeben wurde der Band von Ines Geipel, die in der DDR Leistungssportlerin war, 1989 in die Bundesrepublik floh und heute als Schriftstellerin und Professorin für Verssprache an der Hochschule für 1  Siehe §  1, Abs.  1 des „Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ vom 25. Februar 1965 (http://www.verfassungen.de/de/ddr/schulgesetz65. htm; zuletzt aufgerufen am 8.9.2010).

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Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin wirkt, und Andreas Petersen, der als promovierter Historiker am Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin arbeitet. Die Biogramme beginnen mit Schicksalen in der Zeit der sowjetischen Besatzung und erzählen vom Alltag in der DDR von deren Gründung bis zu ihrem Ende: Geschildert wird zum Beispiel die Deportation von Bauern aus der Sperrzone an der deutsch-deutschen Grenze im Rahmen der „Aktion Ungeziefer“ des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS); die Enteignung und Vertreibung eines sozialdemokratischen Unternehmers, der bereits von den Nationalsozialisten verfolgt worden war; die Kindheit eines Mädchens, das während der Inhaftierung der Mutter im „Sowjetischen Speziallager 1“, dem KZ Sachsenhausen, geboren wurde; die Verhaftung eines überzeugten jüdischen Stalinisten und SED-Funktionärs im Zuge einer antisemitischen Säuberungskampagne in der SED; die Entführung aus dem Westteil Berlins und die Hinrichtung von zwei früheren MfS-Mitarbeitern, die aufgrund ihrer Enttäuschung über die Entwicklung in der DDR in den Westen geflohen waren und die dortige Polizei über Personen und Strukturen des MfS informiert hatten; die systematische Verfolgung eines Mitglieds der Zeugen Jehovas; das Schicksal eines Mannes, der nach dem Bau der Mauer durch den Teltowkanal nach West-Berlin floh, später als Fluchthelfer von der Staatssicherheit verhaftet und 6 1/2 Jahre inhaftiert wurde – nach seinem Freikauf durch die Bundesrepublik verfolgte ihn das MfS wegen seiner Kritik des SED-Regimes noch in West-Berlin, initiierte Rufmordkampagnen gegen ihn und versuchte (zum Glück erfolglos), ihn zu „liquidieren“. Der große Wert der Biogramme liegt darin, dass sie das einzelne Schicksal in den Lebenskontext einbetten und damit trotz der Kürze der Texte einen Einblick in den Charakter der Personen und in ihren Lebensalltag geben. Das SED-Regime wird auf diese Weise aus der Perspektive derjenigen geschildert, die es erlebt und erlitten haben. Das macht die Singularität der Erzählungen aus, die eine große Vielfalt von Lebenswegen schildern, doch zugleich erfährt der Leser viel über die Funktionsweise eines totalitären Regimes. Zwei Merkmale des SED-Regimes, die in zahlreichen Erzählungen eine Rolle spielen, seien hier herausgegriffen: Der Wille zur Vernichtung jeder Form von Individualität und das erzwungene Schweigen über erlebtes Unrecht. In einer Reihe von Erzählungen wird deutlich, in welchem Ausmaß Individualität einen Menschen in der DDR verdächtig machen konnte, und zwar auch dann, wenn die Menschen ihre Individualität oberflächlich betrachtet in den Dienst des „Aufbaus des Sozialismus“ stellten. Ein besonders prägnantes Beispiel liefert das Biogramm des Landwirtschaftsfunktionärs Friedrich Niendorf, das Andreas Petersen verfasst hat (S.  87–97). Niendorf erlebt als Jugendlicher, wie seine Eltern, die einen mittelgroßen Bauernhof im Fläming bei Berlin besaßen, systematisch zermürbt und schließlich enteignet wurden; sein eigener Traum, den Hof zu übernehmen, wurde damals zunichte gemacht. Um in seinem Dorf etwas bewirken zu können, wählte Niendorf äußerlich den Weg der Anpassung: Er meldete sich freiwillig für zwei Jahre zur Volksarmee, wurde Mitglied der SED und absolvierte ein Studium zum Diplom-Landwirt. Als Landwirtschaftsfunktionär und Mitglied des Gemeinderates in seinem Dorf nahm er dessen Modernisierung in die Hand: Das Dorf bekam fließendes Wasser, wurde an die Kanalisation angeschlossen, die Straßen wurden geteert, ein Feuerwehrhaus gebaut usw. Im Ergebnis entwickelte sich das Dorf dank des unermüdlichen Einsatzes von Niendorf zu einem Vorzeigeort. Dieses Engagement



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machte ihn jedoch verdächtig: Es verträgt sich nicht mit dem geforderten SichEinfügen in das Kollektiv. Wer mehr leistet, stellt eine Bedrohung für die anderen dar, die weniger leisten. Durch die Verbindung von Neid und Ideologie kam es schließlich zu einer Kampagne gegen Niendorf. Diese Verbindung ist bezeichnend, denn schon Karl Marx betont in den „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ von 1844 die Bedeutung des Neides in der Phase des Aufbaus der sozialistischen Ge­sellschaft, die er dort als „rohen Kommunismus“ und später (in der „Kritik des Gothaer Programms“) als „Diktatur des Proletariats“ bezeichnet: Der allgemeine und als Macht sich konstituierende Neid ist die versteckte Form, in welcher die Habsucht sich [im rohen Kommunismus, H. H.] herstellt und nur auf eine andre Weise sich befriedigt. […] Der rohe Kommunist ist nur die Vollendung dieses Neides und dieser Nivellierung von dem vorgestellten Minimum aus.2 Die Funktion des Neides ist es, die sozialen Unterschiede zu nivellieren und den Menschen ihre Individualität zu nehmen. Das traf auch auf die Praxis des Sozialismus zu, wie sie sich im Fall von Niendorf zeigte: Er wurde als „Großbauern-Sohn“ denunziert und schließlich wegen „parteifeindlicher Einstellung“ und anderen kon­ struierten Vorwürfen vor Gericht gestellt und verurteilt. Dieser Fall verdeutlicht, wie Menschen sich durch ihren Einsatz und ihre Leistungsbereitschaft verdächtig machen konnten – und dass die Folgen eines solchen Systems katastrophal sind, denn das Dorf, in dem Niendorf gewirkt hat, ist heute verwaist. Das zweite Merkmal, das zahlreiche Erzählungen in dem Band verbindet, ist das Schweigen. In der DDR lebten vier Millionen Vertriebene; 700.000 Sozialdemokraten, die die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED erlebt hatten; 800.000 Bauern, die in den fünfziger Jahren in die LPGs gezwungen worden waren; 120.000 Überlebende der „Speziallager“ des NKWD; 200.000 Menschen, die als politische Häftlinge inhaftiert waren usw. Alle diese Menschen waren verpflichtet, über das, was sie erlebt und erlitten hatten, zu schweigen – anderenfalls hatten sie mit erneuten Repressionen zu rechnen (S.  7 f., siehe auch S.  118, 135). Dem Schweigen der Opfer aus dem Motiv der Angst entsprach auf Seiten der Täter in der SED und beim MfS das Schweigen aus dem Motiv der Konspiration – und so wurde das Schweigen zu einem allgemeinen Merkmal des Regimes. Doch das Schweigens über das Unrecht konnte – auch dies wird in den Erzählungen deutlich – nicht die Individualität aller Menschen brechen. Die meisten Biogramme geben beeindruckende Beispiele von der Widerstandskraft von Menschen, die sich im Alltag zum Teil auch mit kleinen Gesten gegen das Regime wandten und in vielfältiger Weise Mut bewiesen. Auch deshalb ist den Herausgebern zu danken, dass sie mit diesem Band einen Beitrag dazu leisten, das Schweigen zu brechen: nicht nur, weil damit an die dunklen Seiten der DDR-Vergangenheit erinnert wird (gegen die verbreitete Tendenz zur Verharmlosung der DDR), sondern auch, weil damit auf den Mut hingewiesen wird, den viele Menschen im Alltag unter dem SED-Regime gezeigt haben. Hendrik Hansen 2  Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844, mit einer Einleitung, Anmerkungen, Bibliographie und Register hrsg. von Barbara Zehnpfennig, Hamburg: Meiner-Verlag, S. 83 f. (= Marx-Engels-Werke, Bd. 40, S. 534 f.).

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Simone Ladwig-Winters: Ernst Fraenkel. Ein politisches Leben, Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2009, 447 Seiten. Die Politikwissenschaft firmiert zumal in Deutschland als ein junges Fach, das eine so bewegte wie ehrwürdige Tradition aufweist.1 Mittlerweile ist bereits die zweite Generation abgetreten. Mit Biographien über Karl Dietrich Bracher und Wilhelm Hennis, die mittlerweile auf das 90. Lebensjahr zugehen, sind jüngst zwei herausragende Repräsentanten gewürdigt worden.2 Die Vertreter der ersten Generation, die dieses Fach nicht studiert hatten, sind längst tot (u. a. Wolfgang Abendroth, Arnold Bergstraesser, Theodor Eschenburg, Siegfried Landshut, Eugen Kogon, Eric Voegelin), wenngleich ihre Werke nach wie vor Lebendigkeit versprühen. Zur Gründergeneration gehörte der Theoretiker des Neopluralismusansatzes Ernst Fraenkel, über den Simone Ladwig-Winters mit viel Empathie eine Biographie vorgelegt hat – entstanden unter der Mentorenschaft von Hubertus Buchstein und Gerhard Göhler. Ernst Fraenkel war eine beeindruckende Persönlichkeit. Geboren 1898 in Köln als Sohn eines nationalliberal denkenden Juden, zog der Vollwaise freiwillig in den Krieg, doch die Kriegsbegeisterung ließ später nach. Im Jurastudium beeindruckte ihn der Sozialdemokrat Hugo Sinzheimer, der „Vater des deutschen Arbeitsrechts“. 1921, dem Jahr des ersten Staatsexamens, trat Fraenkel der Sozialdemokratie bei, deren linkem Flügel er nahestand. Nach der schnell verfassten Dissertation bei Sinzheimer 1922 folgten erste Publikationen, darunter die aufsehenerregende Schrift „Zur Soziologie der Klassenjustiz“. 1932 votierte der Anwalt für eine Regelung, die dem späteren konstruktiven Misstrauensvotum des Grundgesetzes entsprach. Im Dritten Reich konnte Fraenkel – da „Frontkämpfer“ – zunächst in seinem Beruf bleiben. Die Verteidigung von rassisch und politisch Verfolgten bildete die Grund­ lage für seinen „Doppelstaat“, der nach der Emigration des Autors in die USA dort 1941 erschien und in dem Fraenkel das Spannungsverhältnis zwischen dem „Normenstaat“ und dem „Maßnahmenstaat“ herausarbeitete. Die ihn politische prägende Zeit in den USA war zwar beruflich nicht sonderlich von Erfolg gekrönt, wohl aber prägend. Er wirkte dann fünf Jahre als Rechtsberater in Korea, ehe er 1951 auf Drängen seines alten Freundes Otto Suhr wieder nach Deutschland gelangte. Bereits 1953 Ordinarius im Fach Politikwissenschaft an der FU Berlin, entfaltete er eine rege Vortrags- und Publikationstätigkeit, die ihm große Anerkennung einbrachte. Fraenkel avancierte zum ­Begründer der Neopluralismustheorie. Zur Zeit der Studentenbewegung geriet er in eine wissenschaftliche, politische und persönliche Isolation. Enttäuscht von der Radikalität der Kritik, starb der gesundheitlich Geschwächte 1975. Obwohl Ladwig-Winters eigens davon spricht, Fraenkels Werk bilde eine „untrennbare Einheit mit seinem Leben“ (13), vernachlässigt sie eine Interpretation des Schrifttums. Die Biographie ist chronologisch angelegt: von dem Kaiserreich (1998–1919), der Weimarer Zeit (1919–1932) und dem Dritten Reich (1933–1938) 1  Vgl. Wilhelm Bleck, Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, München 2001. 2  Vgl. Stephan Schlak, Wilhelm Hennis. Szenen einer Ideengeschichte der Bundesrepublik, München 2008; Ulrike Quadbeck, Karl Dietrich Bracher und die Anfänge der Bonner Politikwissenschaft, Baden-Baden 2008.



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über die Emigration in den USA (1938–1945) und die Aktivitäten in Korea (1946– 1950) bis zum abermaligen Wirken in der Bundesrepublik Deutschland (1951–1975). Der Einschnitt, den die Autorin für 1961 vornimmt, überzeugt nicht. In diesem Jahr wurde Fraenkel Beamter auf Lebenszeit. Da er seine amerikanische Staatsbürgerschaft nicht aufgeben wollte, kam es zu einer Ausnahmeregelung. Erst 1971 nahm Fraenkel die deutsche Staatsangehörigkeit an, und ein Jahr später legte er die amerikanische nieder. Die fehlende Rezeptionsgeschichte ist ein Manko. Fraenkel ist ein bedeutender Gelehrter gewesen, wie seine gesammelten Schriften zeigen.3 Seine frühe „Vorliebe zur Dichotomisierung“ (269) blieb erhalten: plebiszitäre versus repräsentative Demokratie oder Totalitarismus versus Pluralismus, um nur zwei Beispiel zu nennen. Bis auf die Studie über den „Doppelstaat“ stand die Analyse des demokratischen Verfassungsstaates im Vordergrund, nicht die seines ideologischen Antipoden. Der einstige Amerika-Kritiker wurde zum Amerika-Bewunderer, etwa in seinem Buch über „Das amerikanische Regierungssystem“ aus dem Jahr 1960. Die Autorin hat eine gründlich recherchierte Studie vorgelegt. Lücken sind ihr am wenigsten vorzuwerfen. So konnte sie die Korrespondenz mit Otto Kahns-Freund aufspüren, Fraenkels langjährigem Freund. Die instruktiven Abschnitte über die Zeit in den USA und in Korea haben davon profitiert. Erfährt der Leser über diese Lebensphase viel Neues, so trifft das für die letzten 25 Jahre, die Fraenkel wieder in Deutschland verbracht hat, weniger zu. Immerhin war so nicht bekannt, dass er länger noch mit dem Gedanken gespielt hat, abermals in die USA zu übersiedeln, doch blieben attraktive wissenschaftliche Angebote aus. Zudem wurde Fraenkel in Deutschland heimisch. Umso wichtiger wäre eine stärkere Einbeziehung der wissenschaftlichen Aktivitäten gewesen. Bspw. erfährt der Leser nur wenig über den Wandel der Demokratiekonzeption Fraenkels. Wo gibt es Brüche, wo Kontinuitäten? Ist Fraenkels Behauptung wirklich richtig, dass ein Aufsatz von 1932 („Um die Verfassung“) „alles Wesent­liche enthält, was ich in meinem späteren Arbeiten über Pluralismus gesagt habe“4? Zweifel sind angebracht. Der Eigenwert demokratischer Spielregeln galt Fraenkel seinerzeit nicht als sakrosankt; diese fungierten eher als Mittel zum Zweck. Die Autorin nennt zwar die einschlägige Literatur, zieht sie aber ungenügend heran. Umgekehrt ist manches aus zweiter Hand gearbeitet, wenn sie etwa die Kritik an der Neopluralismustheorie Fraenkels referiert. Vielleicht betont Ladwig-Winters zu stark dessen jüdische Identität, hatte dieser doch bereits 1930 das Judentum ver­ lassen. Wer Fraenkel (etwas) gekannt hat, kann die Charakterisierung seiner Person gut nachvollziehen. Er verfügte über Charisma, war überzeugend und zugleich von sich 3  Vgl. Ernst Fraenkel, Gesammelte Schriften, 7 Bde., Baden-Baden 1999 ff. – bisher sind die Bde. 1–5 erschienen: „Recht und Politik der Weimarer Republik“ – „Nationalsozialismus und Widerstand“ – „Neuaufbau der Demokratie in Deutschland und Korea“ – „Amerikastudien“ – „Demokratie und Pluralismus“. 4  Zitiert nach Gerhard Göhler, Vom Sozialismus zum Pluralismus. Politiktheorie und Emigrationserfahrung bei Ernst Fraenkel, in: Politische Vierteljahresschrift 27 (1986), S.  15.

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überzeugt.1 Persönlichen Animositäten nahm er durch „einen auftrumpfenden Gestus“ (281) nicht die Spitze. Die Studie ist anschaulich geschrieben, ohne Fraenkels Leben auf die Brüche zu konzentrieren. Der Gelehrte wäre mit dieser nüchternen Bestandsaufnahme zufrieden gewesen, wohl nicht mit Faktenfehlern. So war Carl Schmitt nicht der „Kronjurist des Dritten Reiches“ (12), die Lex van der Lubbe nicht die „Reichstagsbrandverordnung“ (98), Wolfgang Scheffler nicht Fraenkels Habilitand (279), Rudi Dutschke nicht kurz vor dem Mauerbau nach West-Berlin gekommen (317). Eine gewisse Schwäche besteht weniger in solchen und anderen Fehlern, jedoch in der unzureichenden Durchdringung des Werkes eines zu Recht berühmten Demokratietheoretikers. Die Autorin hat ihr Thema nicht ganz „ausgereizt“. Wer diese Biographie mit den eingangs erwähnten Arbeiten über Bracher und Hennis vergleicht, kommt zum Urteil, dass Ladwig-Winters zwar das Niveau der handwerklich einwandfreien, jedoch nicht besonders originellen Schrift von Quadbeck erreicht, aber nicht das der Schlak-Studie, die besser die intellektuelle Dimension des Porträtierten einfängt. 

Eckhard Jesse

Tilo Schabert: Die zweite Geburt des Menschen. Von den politischen Anfängen menschlicher Existenz, Verlag Karl Alber, Freiburg / München 2009. In welcher Verfassung ist der Mensch bei sich selbst? Und vor allem, wann und wie ist er dabei ein politischer Mensch? Und darüber hinaus, auf welche Weise ein erfolgreicher Mensch? Diese Fragen stellen sich ein, wenn man Schaberts Reflexionen über das Anfangen im Anfang von Politik, eigentlich: über das BeginnenKönnen des Menschen in seiner Politikfähigkeit, liest. In insgesamt 13 kategorialen Schritten (vom Beginn, über die Zahl, den Körper bis hin zum Eros, der Zeit und der Freiheit) wird hier ein geschichts- wie politikphilosophischer Denkhorizont gewoben, den man (leider) in der deutschsprachigen Philosophie der Gegenwart derart abgerundet, auch empirisch gehaltvoll und zugleich fast poetisch, eigentlich sonst nicht findet. Politik und Ethik liegen sich hier nicht als polare Güter gegenüber, sondern sind ineinander verschränkt zu sehen: „Die Würde des Menschen ist sehr eng mit der Würde verknüpft, die Politik im Leben der Menschen hat“ (16). Politik, verstanden hier als richtige Politik (im Sinne einer Anleitung zum guten Tun), führt erst zur Würde des Menschen. Nicht das gute Leben ist entscheidend für diese Betrachtung, sondern ein gutes Tun im Leben. Um Gutes zu tun, bedarf es für den Politiker der strikten Berücksichtigung der Physis: a) der eigenen wie b) die der Anderen, mit denen er agiert. Schabert hat in seinen empirischen Schriften über Mitterand und andere aktiv handelnde Politiker systematisch vorgeführt, was dies inhaltlich bedeutet. Nun aber werden diese Erkenntnisse eingewoben in die analytischen Referenzgrößen des Körpers (im Raum), 1  Vgl. auch Winfried Steffani, Ernst Fraenkel als Persönlichkeit, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 7 (1997), S.  1261–1285.



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des Bewusstseins und der Gnade, Dinge überhaupt tun zu können. Hieraus erfolgt ein durchaus ontologisches Wirkungsfeld für den Politikos. Der menschliche Körper steht stets in irgendeinem Raum. Nicht nur das Zeitverhältnis ist für das Gelingen von Politik entscheidend, sondern ebenso (vielleicht sogar mehr noch) das Raumverhältnis. Jedes scheinbar simple Agieren von Menschen in einer Bahnhofshalle demonstriert bereits einen „Krieg der Körper“ (18). Jeder personale Körper steht in einem Raum, bedarf der physischen Präsenz, um wirklich sein zu können: Nur wenn Raum ist, kann auch gehandelt werden! Der Beginn einer Aktion ist somit immer ein Beginnen im Raum. Das kann zunächst auch (nur) noetisch sein. Es wird sogar noetisch sein müssen, wenn es in der physischen Dimension zum Erfolg kommen soll. „Alles am Menschen ist schöpferische Politik“ (20). Geschöpft wird das Schöpferische aus der Urteilskraft des Geistes. Das setzt seine Inventionsfähigkeit voraus: Nur wer erfindet, kann auch verfügen. Politisches Denken ist insofern die Kunst einer Selbstverfügung – über das eigene Denken (und das der Anderen)! Hierbei ist die Raumpräsenz gleichzeitig auch eine Raumeinnahme. So, wie man im Raum steht, positioniert man auch den Raum in Bezug auf seine Möglichkeiten. Ein Raum hat stets eine beliebige Zahl von Möglichkeiten. Es kommt auf den Menschen an, was daraus gemacht wird. Jede Raum-Einteilung setzt bereits eine Entscheidung voraus. Schabert deutet das Politische im menschlichen Wesen als ein Verfügen-Können über seine Physis im Raum (33): „Wir Menschen werden durch unsere Körper mit politischer Wissenschaft belehrt. Diese verweisen uns aufeinander. Sie sagen uns, daß wir politische Wesen sind, schon weil wir räumliche Wesen sind.“ Um diese Raumorganisation in der zeitlichen Dimension proportional zu ordnen, was die wichtigste Funktion von Politik ist, bedarf es einer Kommunikation über das Angemessene und das Nicht-Zuträgliche. Die Sozialität des Menschen muss demnach erweckt werden. Und diese Erweckung zu gestalten, ist ein Vorgang der Macht. Um dieser Macht mächtig zu werden, ist eine Initiation, ein Erfinden, notwendig. Derjenige Politiker ist hierbei am erfolgreichsten, der das Schöpferische des bisher nicht Dagewesenen, des Unausgesprochenen, des Verdrängten, des Tabuisierten formulieren kann, der Idee seine Stimme gibt – und danach handelt (so authentisch es geht)! Die Ordnung der menschlichen Körper im Raum, das ist die epistemologische Aufgabe der politischen Wissenschaft (43): „Wer denn an eine politische Welt der Menschen denkt, der muß an eine Politik für Körper denken, an das Schaffen einer politischen Welt in, mit und aus einer Welt von Körpern.“ So gesehen ist Hobbes zu Recht Pate einer modernen Verständnisweise von Politik. All die Fragen einer Verteilungsgerechtigkeit, des Guten wie des Schlechten, entzünden sich am Anspruch der Beherrschung von Körpern in einem je spezifischen Raum. Der Staatsmann, der Politikos, ist derjenige, der die Raumentscheidungsfrage im Sinne einer Selbstermächtigung angeht. Und zwar als Selbstermächtigung des Geistes. Das platonische Verständnis vom Sinn der Existenz schwingt mit, wenn Schabert fragt (53): „Unter was für einem Umstand überhaupt könnten Menschen in dem Fluß ihres Lebens Lenker dieses Lebens sein?“ Bevor irgendeine Form von Regieren hier stattfindet, gibt es immer schon ein Selbst-Regieren des erkennenden und han-

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delnden Geistes. Doch die Frage nach dem richtigen Politikos bedeutet: Ist es auch das richtige Erkennen und Handeln, was da stattfindet? Wissen und Wissen-Wollen sind eben nicht dasselbe, wie auch die Macht nicht einfach im Teilen der Dinge besteht, sondern ebenso in der angemessenen Zusammenfügung. Ein wahrer Politikos ist insofern (nur) der, wer es versteht, aus der an sich kosmologischen Evidenz der menschlichen Handlungsmöglichkeiten dasjenige in Zeit und Raum herauszuziehen, was passend ist. Hierbei ist stets eine religiöse Spur in allen säkularen Handlungen mit enthalten. Dies gilt dann auch für die Moderne selbst, die „in ihrer Weise“ ein religiöses Phänomen darstellt (67). Die Moderne verkürzt lediglich das Bewusstsein um die kosmologische Dimension, die metaphysisch nur im Religiösen erfahren werden kann. In der Reduzierung auf die blanke Empirie, auf den nackten Materialismus eines konsumorientierten, hedonisierenden Ich-Bezugs in der Lebenswelt geht praktische Politik dann eben doch nicht auf. Sie erfährt sich vielmehr als Krise der Existenz. Daraufhin muss sie immer wieder von Neuem ansetzen, um diese Krise zu beheben. Das größte Problem ergibt sich hierbei in der Dimension der Zeit. „Die Zeit läßt an ihrer Macht über die Menschen keinen Zweifel“ (125). Doch in der Moderne wird gerade diese ontologische Gegebenheit strukturell ignoriert. Man tut so, kollektiv wie individualistisch, als könne man die Zeit überwinden. Die Ignoranz, oder besser: die Selbsttäuschung der Beherrschbarkeit der Zeit resultiert aus der säkularen Verdrängung des natürlichen Todes. Dadurch jedoch wird die Ontologie alles Zeitlichen nicht wirklich begriffen. Die meisten Menschen der modernen Gesellschaften ignorieren diese Dimension (aus Furcht vor dem eigenen Tod). Die zeitliche Dimension demonstriert, dass alles, was einen Anfang hat, auch zu Ende geht. Insofern ist es angemessen, wenn christliche Metaphysiker den Anfang der Welt vom Ende her gedacht haben. Die Apokalypse ist nur die eine Seite der zeitlichen Dimension. Das Ende von Etwas ist immer schon der Anfang von etwas Neuem. Peter Nitschke

Karl-Heinz Nusser: Menschenrechte und Leistungsgerechtigkeit, Merus Verlag, Hamburg 2007, 184 Seiten. Mit seinem Buch „Menschenrechte und Leistungsgerechtigkeit“ plädiert KarlHeinz Nusser für eine politische Ethik, bei deren Grundlegung eher Platon als Hobbes zurate zu ziehen ist. Denn entgegen einer Lesart, die in Platons politischer Philosophie totalitäre Tendenzen ausmachen will, sieht Nusser in Platon vor allem den Naturrechtsdenker, der auf die selbstzerstörerische Wirkung der Pleonexie und die Notwendigkeit einer gerechtigkeitsbasierten Gemeinschaftsfindung hinweist. Macht soll also im Dienst der Gerechtigkeit stehen, und Letztere erfordert eine vernünftige Begrenzung der menschlichen Bedürfnisse einschließlich des Bedürfnisses nach Machterwerb. Darin findet Nusser auch ein Programm für die Moderne, nicht aber in dem Hobbesschen Modell einer rigorosen Trennung von Macht und Moral und einer Staatsbegründung per Vertrag, die rein individuellem Nutzenkalkül entspringt. Dabei



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lehnt der Autor nicht das Vertragsmodell als solches ab, sondern den mit ihm verbundenen Anspruch der Letztbegründung. Vielmehr bedürfe der Vertrag einer ethischen Fundierung, die im Rückgriff auf Platon, Aristoteles und Kant zu leisten sei. Von Kant aus schlägt Nusser auch den Bogen zu den modernen Menschenrechten; in ihnen sieht er die „moralische Autonomie“ (113) des Menschen bestätigt und gesichert. Die Gerechtigkeit aber, auf deren Grundlage die Gesellschaft zu organisieren ist, soll nicht nach Rawls’schem Muster egalitaristisch ausgerichtet werden, sondern den Leistungsaspekt betonen und insgesamt mehr sein als der bloße Inte­ ressenausgleich. Die Gemeinwohlorientierung, die Nusser vorschwebt, umfasst zudem ebenso einen „kritischen Patriotismus“ (28) wie einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur. Nussers Gang durch die Philosophiegeschichte von der Antike bis zur Gegenwart fördert manche bedenkenswerte Einsicht zutage; vielen Forderungen, die der Autor daraus für die Gestaltung seiner politischen Ethik zieht, wird man sich kaum verschließen können. Dennoch hätte man sich für dieses wertkonservative Programm eine extensivere Begründung gewünscht, eine Beweisführung, die den ideologischen Gegner argumentativ stärker herausfordert. Denn den Gegner zum Dialog zu nötigen, ist allemal das beste Mittel zur Durchsetzung philosophischer Überzeugungen. 

Barbara Zehnpfennig

Autorenverzeichnis Prof. Dr. Walter Euchner, Professor em. für Politikwissenschaft, Georg-AugustUniversität Göttingen. Prof. Dr. Volker Gerhardt, Professor für Praktische Philosophie, Rechts- und ­Sozialphilosophie, Humboldt-Universität zu Berlin. PD Dr. Hendrik Hansen, Vertretung der Professur für Methoden der Politikwissenschaft, Universität Regensburg (WS 2010 / 11), und Privatdozent für Politikwissenschaft, Universität Passau. Prof. Dr. Eckhard Jesse, Professor für Politische Systeme und Politische Institutionen, Technische Universität Chemnitz. Prof. Dr. Clemens Kauffmann, Professor für Politische Philosophie und Ideen­ geschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Prof. Dr. Fulvio Longato, Professor für Geschichte der Philosophie, Universität Triest. Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Staatsminister a. D., Professor für Philosophie, Ludwig-Maximilians-Universität München. Prof. Dr. Peter Nitschke, Professor für die Wissenschaft von der Politik, Universität Vechta. Prof. Dr. Henning Ottmann, Professor em. für Politische Theorie und Philosophie, Ludwig-Maximilians-Universität München. Prof. Dr. Andrzej Przyłębski, Professor für Philosophie, Adam-Mickiewicz-Universität Posen. Stefano Saracino, M. A., Lehrbeauftragter am Geschwister-Scholl-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. Prof. Dr. Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina-School of Governance, Berlin. Prof. Dr. Tracy B. Strong, Professor für Politische Wissenschaft, University of California, San Diego. Jan Christoph Suntrop, M. A., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Käte Hamburger Kolleg „Recht als Kultur“ an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Prof. Martyn P. Thompson, Ph. D., Professor für Politische Wissenschaft, Tulane University, New Orleans. Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig, Professor für Politische Theorie und Ideen­ geschichte, Universität Passau.