Politische Systeme und Kämpfe im alten China [Reprint 2018 ed.] 9783110844238, 9783110032048


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Politische Systeme Und Kämpfe Im Alten China
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Politische Systeme und Kämpfe im alten China [Reprint 2018 ed.]
 9783110844238, 9783110032048

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POLITISCHE S Y S T E M E UND KÄMPFE IM ALTEN CHINA Von

ERICH

HAENISCH

B E R L I N 1951 V E R L A G W A L T E R D E G R U Y T E R & CO VORMALS Gi J . GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG • J . GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG • GEORG REIMER . KARL J. T R Ü B N E R . VEIT & COMP.

Printed in Germany Druck von Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 Archiv-Nr. 34 58 51

Keine Epoche der chinesischen Geschichte hat so rege geistige und politische Auseinandersetzungen gebracht wie der Ausgang der Chou-Dynastie, das 5. bis 3. Jh. v. Chr. — das wäre etwa die Zeit von Xerxes' Zug gegen Hellas bis zu den Tagen Hannibals. — Es war eine Zeit der Not und Unruhe. Das alte Feudalreich der Chou hatte ausgespielt, eigentlich schon seit dem 8. Jahrhundert, als es ans militärisch-politischen Gründen seinen Sitz aus dem Westen — es war eine Fremddynastie — in das chinesische Kerngebiet am Gelben Fluß verlegte. Dieser Umzug hatte nicht nur einen unmittelbaren Machtverlust zur Folge: Der König saß jetzt auf seinem kleinen Krondominium inmitten der großen Territorien starker Lehnsfürsten, gestützt nur auf seine Würde. Aber eben diese hatte gelitten. Nach alter kosmischer Staatsauffassung ist der Herrscher fest, unbeweglich wie der Polarstern, nach Süden gerichtet. Beamtenschaft und Volk, die anderen Gestirne, kreisen um ihn. Die Ahnentafeln des Hauses — es waren damals immerhin schon zwölf Generationen — konnte er ja bei einem Umzug auf einem Wagen mitführen. Wer aber sollte die Opfer an den Gräbern darbringen? Tatsächlich hat die konfuzianische Geschichtsschreibung jede Verlegung der Hauptstadt als unheilvoll betrachtet und gebrandmarkt. Also der König der Chou war aus dem festen Punkt herausgetreten und aus der Richtung gewichen. Sein Ansehen im Reich war geschwächt, die Polizeigewalt ihm aus der Hand geglitten. Zwar wagte niemand, ihm die Reichsinsignien, die neun Dreifüße, zu rauben. Aber die großen Fürsten gebärdeten sich selbstherrlich, usurpierten auch in der Folge den Königstitel Wang und 1* H a e n i s c h : Politische Systeme. *

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meldeten damit ihren Anspruch auf den Todesfall der Dynastie an. Es ging um die Basileia, das Königtum, oder wenigstens die Hegemonie. Sie rüsteten sich darauf durch Stärkung und Vergrößerung ihrer Staaten, indem sie die Kassen durch erhöhte oder neue Steuern auffüllten und ihrem Gebiet Zuwachs schafften mit diplomatischem Zwang oder Angriffskriegen, denen der Herrscher des Reiches nicht mehr zu wehren vermochte. Immer wieder stoßen wir in den Berichten auf den Vermerk: 'Der Staat A nahm dem Staat B zehn, zwanzig oder vierzig Städte'. Die Grenzen wechselten dauernd, und die chinesische Landkarte glich in ihrer Unbeständigkeit der des Balkans in letzter Zeit. Das war die Epoche der kämpfenden Feudalstaaten, eine Zeit unter dem Zeichen von Krieg und Diplomatie, Gewalttat und Betrug. So sagt Sze-ma Kuang. Die Eigenart des Chou-Reiches war das F e u d a l w e s e n und in diesem die K l i e n t e l . Der König hatte bei der Landnahme die Landschaften an seine verdienten Kriegsmänner gegeben. Diese, als Fürsten, gaben Unterlehen an ihre Grafen und Minister, Städte und Güter. Der Lehnsherr zog die Steuern aus seinem Stück, Grundsteuer und Handelssteuer, in Geld oder Naturalien, wovon er wieder einen Teil an den Fürsten abführte. Und sie alle hielten sich an ihren Höfen oder in ihren Häusern eine mehr oder weniger große Schaar von Gästen, Klienten. „Ich habe nun über tausend Klienten" sagt der Herr Chao Kien-tze „wenn zur Mittagstafel die Vorräte fehlen, schicke ich auf den Frühmarkt und lasse die Abgaben erheben (also in Naturalien) und wenn es zum Abendessen fehlt, schicke ich auf den Spätmarkt." Die Klienten erhalten Wohnung und Verpflegung, und zwar werden drei Verpflegungsklassen genannt: Fleisch, Fisch und Gemüse, Stamm. Da war ein junger Mann im Staate Ts'i, namens Feng Huan, arm und ohne Lebensunterhalt. Der meldete sich als Klient beim Minister, Herrn von Meng-ch'ang. „Was

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hast Du gelernt?" fragte ihn der. — »Gar nichts." — „Dann kommst Du in die Gemüseklasse." Nach einer Zeit lehnte er an der Tür, hielt sein Schwert im Arm und klimperte mit den Fingern darauf herum wie auf einer Laute, wozu er eine Strophe sang: „Mein Schwert, wir wollen wieder nach Hause. Hier gibt es nicht einmal Fisch zu essen." Der Minister, der davon hört, sagt: „Der Mann hat Humor. Setzen wir ihn in die Fischklasse!" Durch einen weiteren Scherz bringt er sich in die Fleischklasse, und dort, bei den oberen Klienten, erhält er dann einen richtigen Auftrag. Mancher Klient eines Fürsten bringt es zu hohen Stellen. Es gibt sogar sogenannte Gastminister. Oft gehen die Leute als geheime Agenten und werden zu Aufträgen schmutziger und verbrecherischer Art verwandt. In den Historischen Aufzeichnungen Sze-ma Ts'iens gibt es ein Kapitel von den cStichklienten'. Das sind Männer, die ihre Aufgabe mit dem Dolch erledigen. In der Hauptsache sind aber die Klienten einfache Schmarotzer, die ihrem Patron und damit dem Volk auf der Tasche liegen. Der erwähnte Herr Chao Kien-tze, der von seinen tausend Gästen erzählt, klagt gleichzeitig: „Wo finde ich einen Mann, auf den ich mich verlassen könnte ?" „ N u n " entgegnet der alte Schiffer, der seinen Kahn rudert, „sieh Dir die Wildgans an. Sie hat sechs Schwungfedern am Flügel. Die tragen sie. Und sie hat eine Unmenge von Flaumfedern am Bauch. Davon kannst du ihr ganze Hände voll ausrupfen. Sie fliegt darum nicht höher oder niedriger." D. h. Wirf die ganze Schmarotzergesellschaft von Gästen hinaus! Dir nützt sie nichts. Und wir vom Volk müssen die Kosten tragen! Eine besondere Menschenklasse der damaligen Zeit sind die f a h r e n d e n R e d n e r , etwa den griechischen Sophisten vergleichbar. Wohl gab es schon einen, zahlenmäßig sehr geringen, Stand von Berufsbeamten und Angestellten. Daneben aber standen die freien Politiker. Ihre Laufbahn begann mit der Lehrzeit in einer der politischen

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Schulen, wo sie rhetorische Künste und politische Kniffe studierten. Danach suchten sie sich dann einen Patron, um in seiner Klientel ihr Wissen anzubringen und hochzukommen. Sie zogen oft von Land zu Land, ihre Kunst verkaufend, heute hier, morgen dort, nur auf ihr Fortkommen bedacht und den Erfolg ihrer Pläne. Manche bringen es zu hohen Ehren, viele aber enden auf dem Schafott. Ein typischer Vertreter der Klasse ist Li Sze, der spätere Kanzler des ersten Ts 'in-Kaisers. Ein kleiner Magistratsangestellter in einer Stadt des Südstaates Ch'u, hat er schon als junger Mann seine feste Lebensphilosophie, gewonnen aus der Beobachtung der Ratten: Wo sie unten in der Kloake im Kot wühlten, erregten sie Ekel. Wo sie aber oben auf dem Speicher sich am Korn mästeten, nahm niemand an ihnen Anstoß. Er hatte bis dahin auf seinem kleinen Posten wohl nur in bescheidenem Maße stehlen können. „Die Menschen sind wie die Ratten," sagt er, „es kommt nur darauf an, wohin man sich stellt. Und es gibt nichts so Entehrendes, wie in subalterner Stellung zu bleiben. Der tüchtige Mann nützt seine Zeit." Er besucht eine politische Schule und findet sich dann in die Klientel eines Ministers im Weststaat Ts 'in. Denn diesem gibt er die besten politischen Aussichten. Er bringt es tatsächlich bis zum Gastminister, und schließlich wird er der Mann, der den Staat zur Vormacht führt und seinen Fürsten zur Einigung des Reiches und Errichtung des Kaisertums. Damit schließt die Geschichte des Alten China. Das chinesische Volk, fleißig, intelligent und geschickt, in seinen vier Ständen Gebildeter, Ackerbauer, Handwerker und Handelsmann seiner Natur nach im Grunde mehr den bürgerlichen Berufen als dem Kriegshandwerk geneigt, litt schwer unter der steten Bedrohung seines Lebens und Störung seiner Arbeit. Nach den Landschaften zwar in seiner Eigenart und Kultur verschieden, gleich aber doch in seiner Staats- und Familienordnung sowie in der ihm eigentümlichen Begriffsschrift, fühlte es sich besonders im

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Stammland als Volk verbunden und ersehnte brennend die Wiedervereinigung, Herstellung des Königtums und Rückkehr des goldenen Zeitalters, von dem ihm die Überlieferung sagte. Nur mochte es nicht den Preis der Dezimierung, Verarmung und Zerstörung des Landes dafür zahlen. In einer solchen Zeit der Leiden war nun eine allgemeine Suche nach Heilmitteln, gab es eine Menge von philosophischen und politischen Systemen. Von früher hatte man da noch die taoistische Lehre Laotzes und die von Konfuzius propagierte Traditionslehre von den Regierungssätzen der mythischen Könige. Der Taoismus mit seinem Wort vom Wu-wei, dem Nichthandeln, Quietismus, das nicht den Menschen zur Untätigkeit anhalten will, sondern, vor allem an den Herrscher gerichtet, diesen warnen: 'Selbst unbeweglich und nur die Richtung weisend wie der Polarstern, soll er nicht durch krampfhaftes Regieren den Frieden des Volkes stören'. Die T r a d i t i o n s l e h r e der Familien- und Staatsethik, von der Güte und Rechtlichkeit, Pietät gegen die Eltern und Treue gegen den Fürsten, dem Idealstaat sozialer Fürsorge von oben und Pflichtübung von unten, dem die Liebe des Volkes und damit die Führung im Reich von selbst zufallen werde: 'Keine Anhäufung von Schätzen in den Kassen, der Reichtum liegt besser beim Volke als beim Staate.' Aber den Fürsten mochten diese Lehren, welche die natürliche Güte des Menschen voraussetzten, für die Staatslenkung nicht sicher genug erscheinen. Was sie erstrebten, war Ausnützung der Gelegenheiten, Opportunismus, Zweckmäßigkeit. Es sollen noch zwei Doktrinen großen Anhang gehabt haben: Yang Chus Hedonismus und Moh Tihs allgemeiner Altrui smus, der den Traditionslehrern ärgerlich war, weil er die Familienbeziehungen verwischte. Han Yü, der berühmte konfuzianische Vorkämpfer der Tang-Zeit, eifert einmal gegen das törichte Volk, das den Possen der buddhi-

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stischen Prozessionen nachlaufe und den taoistischen Zauberern und Quacksalbern. Seine Zeit sei ebenso schlimm wie die der ausgehenden Chou, wo, wer nicht zu Yang Chu gehört habe, dem Moh Tih verfallen gewesen sei. Diese beiden Lehren, des Egoismus und des Altruismus, sind ja in einer großen Notzeit begreiflich. Politischen Einfluß aber können sie kaum gehabt haben. Dagegen haben zwei Richtungen entscheidende Bedeutung gewonnen: Das B ü n d n i s s y s t e m und das O r g a n i s a t i o n s s y s t e m . Von diesen soll ausführlicher die Rede sein. Das B ü n d n i s s y s t e m ist die Lehre, die ihr Ziel — und das bleibt immer dasselbe, die Hegemonie — durch Bündnisse, also äußere Politik, Diplomatie, zu erreichen sucht, eine Diplomatie, nur auf den Erfolg bedacht und durch keine moralischen Bedenken gehemmt, mit allen Mitteln arbeitend, Vertragsschluß und Vertragsbruch. Das System heißt die L ä n g s - und Qu er l e h r e . Denn die ganze damalige Politik stand unter dem Zeichen der Längs- und Quer- oder Nordsüdund Ostwestachse. Die Längsachse bedeutet den Zusammenschluß der altchinesischen Staaten im Hoangho-Gebiet, nämlich Chao, Han, Groß-Wei, Ts 'i und Yen, mit Hereinnahme des großen Südstaates Ch 'u am Yangtse, gerichtet gegen den schon genannten Weststaat Ts'in. Die Querachse war das Zusammengehen mit Ts 'in, d. h. die Unterwerfung unter diesen Außenstaat und sein Verwaltungssystem. Viele Staatsleute im Stammland sahen diese Unterwerfung schon als unvermeidlich an. Um diese beiden Richtungen ging in der Hauptsache der politische Streit. Es muß ein fatales Gefühl für die Fürsten und Staatsmänner der damaligen Zeit gewesen sein, eigentlich niemandem recht trauen zu dürfen, auch nicht den eigenen Leuten und Gästen. „Schicke mich als Gesandten zum Nachbarn, oder ich gehe als Gast," sagt der Klient zu seinem fürstlichen Patron, „ich werde ihn in eine Politik lenken, die dir günstig ist und ihm unheilvoll." Ihn begleitet dann ein

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Wagen, beladen außer mit Kostbarkeiten für den fremden Herrscher noch mit Geschenken und Bestechungsgeldern für Minister, Generäle und Sekretäre und nicht zuletzt Dedikationen für die Frauen des Palastes. Man kann sich vorstellen, wie die Haremsdamen in dem noch primitiven Lande Ts 'in auf Schmucksachen und Toiletteartikel aus Chao erpicht gewesen sein mögen. Neben den fremden Gesandten arbeiten die Agenten. Da hat man sich in Ts 'in einen Bewässerungstechniker aus Han verschrieben, und es stellt sich heraus, daß dieser Mann ein politischer Sendling ist, der zersetzende Propaganda treibt. Die Mitglieder des Fürstenhauses und die Würdenträger treten vor den Herrscher: „Die Ausländer, die hier bei uns in Diensten stehen, arbeiten durchweg im Solde ihrer Fürsten an der inneren Zersetzung unseres Volkes. Wir beantragen, sämtliche Fremde auszuweisen." Der erwähnte Li Sze, Klient in Ts'in und gerade in die Stellung eines Gastministers aufgerückt, der sich selbst bedroht sieht, beschwört die Gefahr durch seine berühmte Rede gegen das Ausweisungsedikt. An sich ein Feind der Tradition, verschmäht er es in diesem Falle nicht, alle die verdienten Minister, Beamten und Generäle aufzuführen, die der Staat früher aus dem Auslande, d. h. Stammchina, bezogen hat. Seine Logik ist: „Könntest du, o König, Autarkie treiben ? — Unmöglich, dein Land und Volk ist noch primitiv. Woher bezieht es seine Kulturgüter ? — Sieh dich in deinem Palast um! (Nun folgt eine interessante Liste von allen möglichen Artikeln mit Angabe der Herkunft.) Was da steht, ist doch alles aus dem Ausland. Und das ist nur natürlich. Wenn einem eine Ware gut, zweckmäßig und wohlfeil erscheint, kauft man sie eben und fragt nicht, woher sie kommt. Und bei den Menschen wolltest du anders verfahren? — Dann gälten dir ja die Waren mehr als die Menschen? Das ist ein Widersinn!" Mencius, der Verfechter des Traditionalismus im 4. Jh., ist ein scharfer Gegner der politischen Richtung: durch

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Bündnisse würden Kriege heraufbeschworen. Er wird einmal gefragt, ob nicht Kung-sun Yen und Chang I, zwei Führer der Querachse, wahrhaft große Männer seien: „Sie brauchen nur eine zornige Miene zu zeigen, und die Fürsten geraten in Furcht. Sie brauchen nur friedlich zu sitzen, und die Welt ist wieder in Ruhe." Mencius antwortet: „Das mag sein. Aber wie kann man jene Schwätzer darum große Männer nennen? Sie tragen ihr Gesetz nicht in sich, sondern müssen sich nach den Gelegenheiten richten, sind abhängig wie die Weiber. Sie sind überhaupt keine Männer! — Auf der breiten Basis stehen, auf der korrekten Stelle bleiben, auf dem erhabenen Pfade (der überlieferten Moralgrundsätze) wandeln; wenn man seinen Sinn durchsetzen kann, dem Pfade mit dem Volk gemeinsam folgen, wenn man ihn n i c h t durchsetzen kann, sein Tao für sich allein üben; sich weder durch Reichtum noch hohe Stellung beschmutzen, weder durch Armut noch niedrige Stellung von seinem Standpunkt verdrängen, weder durch Autorität noch Terror sich beugen lassen — das ist, was ich einen großen Mann nenne." Aus diesen Sätzen erkennen wir am besten die abweichende Auffassung der Traditionslehre, die auch für die Staatslenkung auf die ethische Grundlage nicht verzichtet. Was bisher gesagt wurde, ist an sich nichts Neues. Alle Historiker, die sich mit Chinas Geschichte befaßt haben, haben auch die Bedeutung des Zeitabschnittes der Feudalstaatenkämpfe erkannt und gebührend gewürdigt. Schon das letzte der vier klassischen Bücher, das Buch Mencius, zwingt ja den Blick in diese Zeit. In Otto Frankes großem Geschichtswerk können wir der politischen Entwickelung des Zeitalters folgen. Masperos Chine Antique bietet uns eine Kulturgeschichte auch dieses Abschnitts, und Alfred Forkes Kompendium der Geschichte der alten chinesischen Philosophie die Gedanken der verschiedenen damaligen Lehrsysteme. Ich selbst habe in einer Schrift cMencius und Liu Hiang' über denselben Zeitabschnitt gehandelt. So sind

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wir für die Zeit immerhin schon beraten. Aber es bleibt noch manches zu tun. Das einschlägige chinesische Schrifttum ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Von dem bedeutendsten Geschichtswerk, Sze-ma Ts'iens Shiki, hat Édouard Chavannes in seinen Mémoires historiques in 5 Bänden (1895 bis 1905), einer der größten sinologischen Leistungen, etwa die Hälfte in Übersetzung geboten. Gerade der Teil der wichtigen und interressanten Biographien aber ist von ihm nicht mehr bearbeitet worden. Nur vereinzelte Stücke daraus haben von der einen oder anderen Seite eine Übersetzung erfahren. Die Bambusannalen, deren Übersetzung uns Legge geliefert hat, geben eine Chronologie, aber zu den Ereignissen nur ganz dürftigen Stoff. Und die wohl bedeutendste Quelle zur Zeitgeschichte, aus der Sze-ma Ts 'ien in weitem Maße geschöpft hat, ist bisher kaum beachtet worden. Man hat wohl Betrachtungen über sie geschrieben, aber von ihrem Inhalt ist erst sehr wenig erschlossen. Unsere Generation ist der Textarbeit abgeneigt. Es handelt sich hier um eine Auswahl von über 400 politischen Reden, teils ganz kurzen Bemerkungen, teils längeren Ausführungen. Sie trägt den Titel Chan-kuoh ts 'êh, politische Ratschläge an die kämpfenden Staaten, ist um das Ende des 3. Jh. abgefaßt und von Liu Hiang redigiert und herausgegeben, der im 1. vorchr. Jh. mit der Wiederherstellung des proskribierten Schrifttums betraut war. Die Sammlung muß sich wie manche andere nach der Bücherverbrennung herausgegebenen älteren Schriften den Zweifel an der Echtheit ihres Textes gefallen lassen. Maspéro meint, daß sie aus verschiedenen Werken kompiliert sei und ihr Inhalt oft ans Romanhafte streife, so z. B. bei der Persönlichkeit Su Ts'ins. Sicher ist der poetische Schwung mancher Rede und die anekdotische Fassung einiger Erzählungen ihrer geschichtlichen Glaubwürdigkeit abträglich. Auch mag bei der späteren Herausgabe der Wortlaut der Reden an manchen Stellen zurechtgestutzt sein. Eine Fälschung anzunehmen besteht aber kein Anlaß.

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Hohen Wert haben die vielen sachlichen Angaben. Zur politischen Bildung der damaligen Zeit gehörte eine genaue Kenntnis der Einzelstaaten, ihrer Grenzen und ihrer militärischen Topographie, ihres Flußnetzes und ihrer Verbindungswege, der Bevölkerung, ihrer Zahl und ihrer Berufe, der Landesprodukte und des Gewerbes, schließlich der Heere und der militärischen Rüstung. Jeder Berater sucht in seinen Reden seine Kenntnisse anzubringen. So gibt es darin wahre Fundgruben kulturgeschichtlicher Daten. Vor allem aber erhalten wir ein Bild davon, wie damals in der Politik gespielt wurde. Es mag eine gewissenlose Politik gewesen sein, jenseits von Gut und Böse. Aber sie ist klug. Sie hält sich an den ersten diplomatischen Grundsatz, nicht blind nur nach dem zu streben, was man selbst wünscht, sondern vor jeder eigenen Handlung zu fragen, wie der andere reagieren wird. Fürsten und Staatsmänner, die nur auf das eigene Ziel sehen, wie der Hund auf das Stück Fleisch vor der Nase, werden in ihrer Schwäche rettungslos zum Spielball der anderen, der klügeren. Das B ü n d n i s s y s t e m ist der T r a d i t i o n s s c h u l e entgegengesetzt, aber es verzichtet nicht auf die Lehren der Geschichte. Es folgert nicht: weil die Zeiten sich ändern und die Menschen mit ihnen, ist die Geschichte für uns praktisch wertlos. Das chinesische Volk denkt geschichtlich. Seine Geschichtschreibung ist nicht nur referierend, sondern schon seit Konfuzius' Annalen belehrend. Immer bezieht man sich auf die Vergangenheit, besonders in Fragen der Staatsleitung. Was bei uns nicht gebräuchlich ist, daß der Staatsmann in seiner Rede zur Erläuterung Fälle aus der alten Geschichte zitiert, etwa der römischen oder auch der deutschen, und was auch nicht zweckdienlich wäre, weil er in weiteren Kreisen keine Bildung voraussetzen kann, also nicht verstanden würde, das ist und war in China alltäglich, auch in der Zeit der Feudalstaatenkämpfe. Nur daß eben die Vertreter des Bündnissystems nicht wie die der Traditions lehre auf ethische Vorbilder der sagenhaften Zeiten zurückgreifen, sondern prak-

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tische Fälle der jüngeren Geschichte anführen. Wenn wir ihre Reden lesen, fühlen wir uns bei Macchiavelli, seiner florentinischen Geschichte. Gern werden auch Parabeln angewandt, manche von tiefem Sinn. Als Beispiel sei eine solche, allerdings aus etwas späterer Zeit, genannt, vom Schadenfeuer: Ein Gast hat den Hausherrn vermahnt, sein Brennholz vom Herde entfernt zu lagern. Der Rat bleibt unbeachtet, und es kommt wirklich zu einem Brande, der von den Nachbarn gelöscht wird. Ihnen wird zum Dank ein Mahl ausgerichtet, bei dem sie nach dem Grade ihrer Verdienste gesetzt sind, obenan diejenigen, die sich bei der Hilfe Verletzungen zugezogen haben. Da erhebt sich einer der Geladenen und richtet das Wort an den Hauswirt: „Ich vermisse den Gast. Dabei gebührt ihm der erste Platz. Denn er hat mit seiner Mahnung den wertvollsten Beitrag gegeben. Hättest du sie befolgt, dann wäre dir das Unglück und wären dir die Kosten des Mahles erspart geblieben." Das heißt, daß nach einer unglücklichen Unternehmung nicht so sehr die späteren Helfer wie die früheren Warner ausgezeichnet werden müßten. Wie oft ließe sich nicht in der Geschichte der Völker diese Parabel zitieren, ob es sich nun um Staatsmänner oder Heerführer handelt! — Ich will im folgenden zwei Reden aus der Sammlung als Muster vorlegen, damit Stoff zur Zeitgeschichte beitragen und an der einen oder anderen Stelle vielleicht auch einen neuen Gedanken. Da ist zunächst die große politische Rede Su Ts'ins an den König Min von Ts 'i. Das ist der Oststaat, im heutigen Schantung, ein reiches Land, reich schon durch seine Destillation von Seesalz. Ein Volk von verfeinerter Kultur, mit Musik und Belustigungen wie Hahnenkampf und Hundewettrennen, und ein Fürst mit der Prätension auf Führung im Reiche. Su Ts'in, der Hauptvertreter der Längsachse, beheimatet in dem Staat Chou, dem Reichsdominium, einem Handelsland, war nach seinen politischen Studien in die Fremde gegangen, um sich einen Patron zu suchen. Ohne

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Erfolg kehrt er heim und steht eines Tages halb verhungert mit seinem Bücherpäckchen vor der väterlichen Tür, wo er die Vorwürfe seiner Schwägerin entgegennehmen muß: „Wir hier in Chou sind Geschäftsleute, denen es darauf ankommt, ihre 20 Prozent zu machen. Du hast mit deinem wertlosen Studium der Geschwätzigkeit Kapital vertan!" Er läßt sich nicht abschrecken, vertieft sich vielmehr erst recht in seine Kompendien und macht sich von neuem auf den Weg, der ihn zunächst nach dem Weststaat Ts'in führt. Sein Ziel wird schließlich die Zusammenfassung aller Staaten gegen diesen bedrohlichen Rivalen. Mit einem Auftrag des Nordstaates Yen erscheint er vor dem König von Ts ci. Ich kann an dieser Stelle nur die Hauptgedanken seiner Rede vorbringen. Er tritt als Gegner des Angriffskrieges auf, ja des Krieges überhaupt. Der kluge Staatsmann wird seine Ziele mit Politik zu erreichen suchen: «Ich habe gehört — diese immer verwandte Formel deutet wohl auf einen Lehrsatz aus der politischen Schulzeit des Redners — 'Wer zu den Waffen greift, um als erster im Reich mit dem Krieg zu beginnen, der kommt zu Schaden. Wer Verträge eingeht, um über einen anderen herzufallen, und sich dann zum Herrn über ihn macht, der wird Haß ernten und vereinsamen. Wer aber zuletzt aufsteht, der wird eine Stütze finden, und wer sich von den Feindschaften fernhält, wird den rechten Zeitpunkt wählen können.' — Der wahrhaft große Staatsmann wird danach streben, bei seiner Unternehmung sich auf den Auftrag des Himmels zu stützen, um dann im rechten Augenblick zu beginnen. Selbst das beste Schwert kann ohne die Kraft des Menschen nicht schneiden, der härteste Pfeilschaft ohne Stütze von Sehne und Bogenholz den Tod nicht in die Ferne tragen. Hierfür ein Beispiel aus der Geschichte: Der Staat Chao hatte den kleinen Staat Wei angegriffen. Die Lage dort war fatal, und der Fürst machte sich auf und ging barfuß nach Groß-Wei, um

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Hilfe zu erbitten. Der König von Groß-Wei schnallte selbst den Panzer um und sagte Chao die Fehde an. Da entstand eine Panik in Chaos Hauptstadt, und das ganze Land zwischen Strom und Bergen geriet in Aufruhr. KleinWei nützte die Lage und nahm sich von Chao das Gebiet Strom-Ost. Der Südstaat aber, der das Gleichgewicht der Mächte bedroht sah, griff ein für Chao. Groß-Wei erlitt, ebenso wie Chao, enorme Verluste, Klein-Wei aber hatte Gewinn. Klein-Wei war der Pfeil, fand seine Stütze und nützte den rechten Augenblick. — Die Staatsmänner von heute aber sind nicht so klug. Wo ihre Heeresmacht unterlegen ist, wollen sie sich mit dem Stärkeren messen. Wenn ihr Staat ermattet ist, müssen sie sich bei den anderen noch verhaßt machen. Wenn ihre Mühen schon gescheitert sind, müssen sie ihre Pläne durchaus bis zum Ende durchzwingen. Wenn ihr Gebiet beschränkt ist, möchten sie es den Großen gleichtun. Wenn ihre Politik fehlgegangen ist, möchten sie ihren Betrug noch vergrößern. Wer diese 6 Fehler macht, ist von der Hegemonie weit entfernt. Ich kenne einen weiteren Satz: 'Wer sich auf die Staatslenkung versteht, wird eine Weltpolitik erst einleiten, nachdem er zuvor sich in Einklang mit dem Sinn seines Volkes gebracht hat und sich der Stärke seiner Heeresmacht genau vergewissert. So wird er in seiner Politik nicht für andere an die Spitze einer Liga treten und im Kriege nicht für andere einen Stärkeren zu beugen suchen. Wenn er so verfährt, wird er, ohne sein Heer zu verausgaben und sein Ansehen zu schwächen, sein Gebiet vergrößern können und seine Absichten erfüllen.' Ts 'i hat im Verein mit Han und Groß-Wei die Staaten Ts 'in und Ch'u angegriffen. Schließlich befanden sich zehn Staaten im Kriege, die alle sich miteinander messen wollten. Warum hat man Ts 'i allein die Schuld gegeben ?—Weil es bei den Verträgen sich an die Spitze der Liga stellte und im Kriege sich den Stärkeren widersetzen wollte. Das Unheil bei den Mächtigen ist es, daß sie sich zum König über die

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anderen aufwerfen, das Verhängnis der Schwachen, daß sie andere (Staaten) in ihre Politik hineinziehen wollen, um dabei zu gewinnen. Die beste Politik für einen Großstaat ist es, als Letzter aufzustehen und darauf zu achten, daß er ein Unrecht bekriegt, für einen Kleinstaat, strikte Ordnung an den Grenzen zu halten und sich nicht auf die großen Fürsten zu verlassen. Dann kann man in den Arsenalen seine Waffen verrosten, in den Magazinen seine Vorräte verfaulen, in den Kammern seine Monturen verrotten lassen: man bedarf ihrer nicht! Wer soziale Fürsorge und Rechtlichkeit zu seiner Losung macht, wird König werden oder Hegemon. Wer es aber mit dem totalen Krieg hält, wird untergehen. Ist ein Rennpferd ausgepumpt, dann kann eine Schindmähre ihm den Rang ablaufen. Ist ein Preiskämpfer erschöpft, dann kann ein Weib ihn niederringen. Das Geheimnis liegt in dem 'Zuletztaufstehen'. Nicht selbst als Störenfried auftreten, sondern einem anderen diese Rolle überlassen und dann eine Sanktion über ihn verhängen. Seine eigene Kriegsabsicht verbergen und sich die Wahrung des Rechts zum Vorwand nehmen. K r i e g bedeutet den Ruin des Staates und die Verzehrung des Volkswohlstandes in Haupt- und Kreisstädten. Ein Fürst aber wird seine Politik nicht durchführen können, wenn er zuvor die Substanz aufgezehrt hat. Wenn die Männer hören, daß es Krieg gibt, schaffen sie ihre Habe auf den Soldatenmarkt, um ihn auszustatten. Sie hacken die Karrendeichsel ab und schlachten den Zugochsen, um sein Fleisch zu kochen und die Krieger damit zu bewirten. Das ist die Methode, sich schon auf der Reise zu verausgaben. Während die Leute in der Heimat für die Ausgezogenen beten und der Fürst im Palast den Wein für das Siegesmahl ansetzen läßt, wird in den Städten das Kriegsrecht verkündet und auf den Märkten werden die Abgaben eingetrieben. Das ist die Methode der Aushöhlung von innen. Und am Morgen nach der Schlacht? — Die Bestattungskosten für die Ge-

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fallenen und die Arzneikosten für die Verwundeten richten die Familien wirtschaftlich zugrunde. Und die heil geblieben sind, verprassen ihr Geld in Trinkgelagen. Der Verschleiß am Volksvermögen, der hier entsteht, ist auch durch zehnjährige Ackerarbeit nicht wieder einzubringen. Und beim Heere, was da an Lanzen und Hakenspeeren zerknickt, an Schwertringen und Bogensehnen zerbrochen, an Armbrüsten verdorben, an Wagen zerschlagen, an Pferden gefallen und an Pfeilen verschossen ist, zählt über 50 v. H. Dazu kommt, was von den Beamten veruntreut und von den Wärtern unterschlagen wird. Das alles kann auch in zehnjähriger Ackerarbeit nicht wieder eingebracht werden. Ein Staat, der so zweifach geschröpft ist, wird danach kaum imstande sein, sich andere dienstbar zu machen. Die Kriegsexperten von heute aber sind f ü r den totalen Krieg. Sie gelten als die besten, und jedes Land sucht ihre Dienste zu gewinnen. Ich aber sage: Sie dienen nicht dem Heil der Länder. Ein rechter Fürst wird keine Freude daran haben, daß draußen das Heer gefallen ist und drinnen das Volk versehrt und an den Grenzen die ummauerten Städte und die Vorstädte in Ruinen und entvölkert dastehen. Sondern du, o König, solltest deine Politik treiben, ohne selbst die Waffen zu führen. Ohne daß an deinem Hof der Klang der Glocken und Pauken, der Flöten und Lauten, in deinem Palast die Scherze und Späße der Komödianten und Zwerge zu verstummen brauchen, wirst du dann deine Wünsche erfüllen und die anderen Fürsten zur Audienz zwingen können. Allein durch kluge Politik!» Dies sind die Hauptgedanken. Erwägt man, daß die ernste und warnende an den König von Ts°i gerichtete Rede im Grunde gar nicht in seinem, sondern im Auftrage und Interesse des Nordstaates Yen gesprochen ist, so schwindelt einem vor den Künsten der Bündnispolitiker. Nun zur O r g a n i s a t i o n s l e h r e . Wir hörten schon von dem Außenstaat Ts'in im Westen: Ein Fremdvolk auf kargem Boden, primitiv und ungebildet, aber kriegerisch und

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diszipliniert. Da ist das Beispiel des Generals Meng T'ien, des Siegers über die Hunnen und Erbauers der großen Mauer. Der steht vor dem Kommissar, der ihn inmitten seines Heeres verhaften soll. Der General weiß, daß es im Lande gärt. Er hat auch Grund, an der Echtheit des Befehls zu zweifeln. Aber da ist das Siegel des Herrschers. „Ich stehe hier mit dreimal hunderttausend Mann", sagt er, „es wäre mir ein Leichtes, zu rebellieren. Aber meine Familie hat durch drei Generationen dem Fürstenhause gedient. Ich weise den Gedanken des Aufruhrs von mir. Womit habe ich dieses Schicksal verschuldet"? — „Ich werde es sagen, schreibt der Historiker. Daß er, der am Hofe weilte und das Ohr des Herrschers hatte, nicht seine Stimme gegen die ungeheuerliche Gesetzgebung erhoben hat, darin liegt seine Schuld!" Der konfuzianischen Traditionslehre gelten die kriegerischen Lorbeeren des Feldherrn nichts, nichts auch technische, vielleicht weltgeschichtliche Leistungen, wenn der Mann gegen seine Pflicht gefehlt hat. Und diese Pflicht heischt nach der Traditionslehre von jedem Beamten, auch vom Soldaten, daß er gegen das Unrecht, wenn 'der Staatswagen knarrt', sich zu Wort meldet und sich nicht hinter seinem Amtsauftrag und der Disziplin versteckt. Der Organisations- oder Ordnungslehre freilich mochten solche Staatsdiener unbedingter Disziplin willkommen sein, und für sie war der Militärstaat Ts'in der gegebene Träger. Die Lehre heißt fah-shuh. Das Schriftzeichen fah dient heute für den Begriff Recht, jus. So hat man sich an die Übersetzung 'Rechtsschule' gewöhnt und nennt ihre Vertreter die Juristen, Legisten, nicht sehr zutreffend. Fah ist Methode, und fah-shuh ist die Lehre, Staat und Volk nicht nach ewigen ethischen Grundsätzen, sondern allein mit menschlichen Methoden zu lenken: Verordnungen in der Verwaltung, Gesetzen in Zivil- und Strafrecht, Polizei und Militarismus. Zweck ist einzig das Wohl des Staates. Das System stammt aus Altchina und war in der Mitte des 4. Jhs von

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dem Minister Wei Yang in das Staatswesen von Ts'in eingebaut worden. Das ganze Leben war reglementiert. Wer Asche auf die Straße warf, ward bestraft. Nach zehnjähriger Geltung, heißt es, wagte man in Ts'in nicht mehr, einen verlorenen Gegenstand auf der Straße aufzuheben, also wie ein dressierter Hund. Dafür herrschte in dem Polizeistaat auch Ordnung und Sicherheit, und es gab keine Räuber mehr. Das Strafgesetz stand auf der Abschreckungstheorie und unter dem Gedanken von der Schlechtigkeit der menschlichen Natur. Das System war der t a o i s t i s c h e n Sinnesrichtung konträr, auch der Famiüen- und Staatsordnung der T r a d i t i o n s l e h r e . Es betont emphatisch, daß der Staat sich nicht an überkommene Ordnung binden dürfe, und beruft sich auf die Legende von dem Heere, das durch einen Fluß gehen will und der tags zuvor abgesteckten Furt folgt. In der Nacht aber war das Wasser gestiegen, und die Truppe kommt um. Gegen die Ordnungslehre wird gern die Geschichte von Meister Yen angeführt: Der stand mit dem Herzog von Lu auf der Terrasse und schaute zu, wie unten der Wagenlenker sein Viergespann über die Fahrbahn jagen ließ. „Fährt er nicht wundervoll, mein Tung Ye-pi dort?" fragte der Herzog. „Er fährt schon gut," war die Antwort, „aber die Pferde werden ihm durchgehen." Gekränkt wandte der Herzog dem alten Herrn den Rücken. Nach drei Tagen kam der Stalljunge angestürzt: „Ein Unglück ist geschehen! Dem Tung Ye-pi sind die Handpferde durchgegangen und haben die Stangenpferde mit in den Stall gerissen!" Der Herzog befiehlt: „Sofort den Meister Yen holen!" — „Meister" sagt er „wie haben Sie das voraussehen können?" — „Ich habe es an seiner Haltung erkannt", erwidert der. „Wie er den Wagen bestieg und die Leine ergriff, war sein Körper gestrafft. Ob er im Schritt fuhr oder im Renntempo, stand er wie bei der Audienz. Und unablässig peitschte er auf die Pferde ein. Da mußte es ein Unglück geben. Wenn

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du ein Tier in Bedrängnis bringst, schlägt es mit der Tatze zu. Wenn du einen Vogel in Bedrängnis bringst, hackt er mit dem Schnabel. Und wenn du die Menschen in Bedrängnis bringst, dann — betrügen sie." Dasselbe sagt Mencius später zum König von Liang: „O König, wenn du das Volk durch Gesetze und Verordnungen einzwängst, wird es diese zu umgehen suchen. Und wenn du es dann in Strafe nimmst, ist das soviel, wie das Volk in Schlingen und Fallgruben fangen." Auch von dem politischen, dem B ü n d n i s s y s t e m , trennt die O r g a n i s a t i o n s l e h r e eine Kluft. Sie ist ehrlicher. Selbst die konfuzianische Geschichtsschreibung gibt das zu: Ehrlichkeit in einer Zeit des Betruges. Der Mann in Ts'in konnte sich darauf verlassen, daß er die ausgelobte Belohnung auch wirklich erhielt, wenn er sie verdiente, die angedrohte Strafe auch wirklich verbüßen mußte, wenn er sie verwirkt hatte, daß sie jeden traf, ob hoch oder niedrig. Erst als Verbrechernaturen die Gewalt in die Hand bekamen, wurde es anders. Der Ordnungsstaat Ts'in war nun berufen, die Ordnung auch im Reich zu schaffen. Diese Berufung stand seit langem fest. Auch in den altchinesischen Ländern hatte, wie schon angedeutet, die Querachse, das Zusammengehen mit Ts'in, viele Anhänger. Warum zögerte Ts'in und begnügte sich mit kriegerischen Einzelunternehmungen und allmählicher Gebietserweiterung? Es war schon früher einmal ein Staatsmann an den Fürsten mit dem Vorschlag herangetreten, loszuschlagen und die Macht im Reich zu übernehmen. Aber der hatte erwiedert: „Wir sind noch nicht weit genug in dem wen." Man übersetzt 'in der Bildung'. Man sollte aber wohl das Schriftzeichen wen an dieser Stelle in seiner strikten Bedeutung nehmen 'Schrift', d . h . also: „wir, nämlich meine Beamten, sind in der chinesischen Begriffsschrift noch nicht genügend durchgebildet". Hierzu sei eine kurze Erläuterung über den damaligen Stand

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der chinesischen Schrift gegeben: Die chinesische Schrift, deren älteste Proben, die ausgegrabenen, auf Knochen geritzten Orakeltexte, aus der zweiten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends stammen, ist eine aus dem Bild hervorgegangene Begriffsschrift und zeigt folgende konstruktive Entwicklungsstufen: Das reine Bild Baum, das Symbol Wurzel (Strich durch den Fuß des Baumes), die symbolische Zusammensetzung f|c ausruhen (Mensch neben einem Baum), die graphische Variante Ju Fürst zu ^ Beamter. Mit diesen vier Klassen, die nach den Angaben der alten Wörterbücher die Summe von etwa 2000 Zeichen ergaben, waren die graphischen Ausdrucksmöglichkeiten erschöpft. Man half sich nun mit Ersatz- und Falschschreibungen weiter, Ausleihe von Homophonen, indem man z. B. für das Objektpronomen chi das gleichlautende Zeichen für 'gehen' schrieb. Es spricht für den hohen Kulturstand schon der alten Zeit, daß man auch mit der neuen Summe von mehr als 28 Hundert nicht auskam. Und nun griff man in China zu dem Mittel, das man in den Westkulturen als die große Geistestat feiert: zur Lautschrift. Man betrat wenigstens den Weg zu ihr, indem man die Zeichen nicht mehr als selbständige Homophone auslieh, sondern nur als lautliche Komponenten, die man mit einem Begriffszeichen zusammenstellte: ein Baum 7k, der t'ung heißt, der Ölbaum, wird mit dem gleichlautenden Zeichen des Wortes 'gemeinsam' [p] geschrieben = fr] . Mit dieser Methode war eine unbegrenzte Bildungsmöglichkeit für neue Zeichen gegeben. Mit etwa 880 Lautkomplexen und 214 Begriffselementen bringt ein Wörterbuch des 18. Jh. gegen 40 000 Schriftzeichen. So groß war ja nun die Zahl vor 2y2 Jahrtausenden, zur Zeit der Feudalstaatenkämpfe, noch nicht, vielleicht kaum der zehnte Teil. Immerhin aber war schon damals die Beherrschung der Schrift eine Kunst. Man versteht nun, warum die Außenstaaten ihre Beamten solange aus dem Kernland beziehen mußten, und warum der Fürst

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von Ts'in dem natürlich daran lag, in die Schlüsselstellungen der Verwaltung seine eigenen Beamten zu setzen, so skeptisch war. Andererseits fragt man sich, warum sein Enkel, als ihm im Jahre 221 dies Werk der Einigung gelungen war und er, um die Einsprüche gegen die Zentralisation und Organisation des Reiches zu unterdrücken: 'daß niemand mehr unter Berufung auf das Altertum die Gegenwart schmähe', zum Bruch mit der Tradition die gesamte geisteswissenschaftliche Literatur verbrennen ließ, man fragt sich, warum er nicht damals durch systematische Durchgestaltung der Lautschrift nach der letztgenannten, bis dahin nur zusätzlich angewandten Kombination mit einem Schlage die alte Literatur einfach ausschaltete und einen Schlußstrich unter die Vergangenheit setzte ? — Weil es ihm die politische Klugheit verbot, in dem Augenblick, da ihm die Reichsleitung in die Hand gegeben war, auf das übersprachliche Mittel zu verzichten, das allein ihm den Verwaltungszusammenhang in dem weiten, völkisch und sprachlich noch verschiedenartigen Gebiet gewährleistete. Das wäre, als ob heute jemand daran dächte, die ostasiatische, eben diese chinesische Begriffsschrift, abzuschaffen und durch nationale Lautschriften zu ersetzen. Soviel über die Schriftfrage. Im Jahre 316 war der Staat Ts'in wieder gerüstet. Krieg sollte geführt werden, aber nach welcher Front ? Zwei Männer stehen vor dem Fürsten, ein Soldat Sze-ma Ts'o und ein Politiker Chang I, der Führer der Querachsenpolitik. Der erste will einen Kolonialkrieg gegen Shu, das heutige Sze-ch'uan, das Vierstromland. Der andere will Krieg gegen den altchinesischen Staat Han und damit Aufrollung und Austragung der Hegemoniefrage. „Ich möchte Ihre Gründe hören" fragt der Fürst. Chang I erwidert: «Da wir mit dem Staat Groß-Wei in verwandschaftlichen und mit Ch 'u in freundschaftlichen Beziehungen stehen, könnten wir ein Heer nach dem Dreistromland hinunterschicken, um die beiden Pässe Huan-yüan und Ku-shi zu blockieren und die

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Straße nach T'un-liu zu sperren. Da nun Wei die Verbindung nach dem Lande von Nan-yang unterbräche und Ch'u das Gebiet von Süd-Cheng unter seiner Kontrolle hätte und wenn wir, der Staat Ts 'in, mit einem Angriff auf die Städte Sin ch'eng und I-yang dicht an das Vorfeld von Chou heranrückten und danach unter der Losung, den König von Chou für seine Fehler zur Rechenschaft zu ziehen, in das Gebiet von Ch'u und Wei einmarschierten, so würde der König von Chou seine hoffnungslose Lage erkennen und die kostbaren Reichsinsignien, die neun Dreifüße, ausliefern. Wenn wir dann im Besitz der Reichsinsignien und auf Grund der Reichskarte und der Lehnsbriefe auf den Himmelssohn einen Druck ausübten, daß er einen Befehl an das Reich erließe, würde niemand in der Welt wagen, uns die Gefolgschaft zu verweigern. Das aber bedeutete das Königtum. Das Land Shu andererseits ist das entlegenste Land im Westen, ein tibetischer Barbarenstaat. Da gäbe es nur Strapazen für unser Heer und Lasten für unser Volk um eine Aufgabe, bei der kein Ruhm zu holen wäre. Und wenn wir auch das Land gewännen, hätten wir doch keinen Nutzen davon. Ich kenne ein Wort: 'Wer um Ruhm streiten will, muß zu Hofe gehen, und wer um Gewinn streiten will, muß zu Markte gehen'. Jetzt sind das Dreistromland und das Haus von Chou Markt und Hof des Reiches. Wenn da Ew. M. nicht darum kämpfen wollen, sondern um tibetische Barbaren, dann sind Sie vom Königtum weit entfernt.» »Sze-ma Ts 'o sagte: Nein! Ich meinerseits kenne ein Wort: 'Wer seinen Staat reich machen will, muß zuvor sein Gebiet erweitern. Wer sein Heer stärken will, muß sein Volk reich machen. Wer König werden will, muß seine Tugend erhöhen. Wenn er diese drei Bedingungen erfüllt, folgt das Königtum von selbst.' Nun ist Ew. M. Land klein und das Volk arm. Da möchte ich, daß Sie sich an eine leichte Aufgabe machten. Shu ist das entlegenste Land im Westen, ein tibetischer Barbarenstamm, und gegenwärtig ist dort Aufruhr. Wenn

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wir es mit unserem Heer von Ts'in angriffen, wäre das, wie wenn wir mit Wölfen und Schakalen eine Herde Schafe hetzten. Wenn wir das Land nähmen, könnten wir damit unseren Staat vergrößern, wenn wir seine Schätze gewännen, damit unser Volk bereichern und unser Heer aufbessern. Ohne daß wir die Allgemeinheit schädigten, wären die Leute unterworfen. So hätten wir ein ganzes Land erobert, ohne daß man das im Reich als Gewalttat ansähe. Wir hätten einen Gewinn, der sich bis an die Grenzen des Reiches auswirkte, und die anderen Fürsten könnten es uns nicht als Raubgier anrechnen. Von dieser einen Unternehmung hätten wir beides, Ruhm und Effekt und obendrein noch den Namen, daß wir Gewalttaten gewehrt und Unruhen bereinigt hätten. — Wenn wir aber Han angriffen und damit den Himmelssohn bedrohten, kämen wir in einen üblen Ruf, und zudem wäre der Sieg noch nicht sicher. Wir würden uns den Vorwurf des Hochverrats zuziehen, und es wäre gefährlich, gegen den Unwillen des Reiches anzugehen. Ich möchte die Lage ganz klar kennzeichnen: Chou ist nun einmal das oberste Haus des Reiches und Han ist der Staat, mit dem es zusammengeht. Wenn Chou erkennt, daß es die neun Dreifüße verlieren soll, und Han erkennt, daß es das Dreistromland verlieren soll, werden sie die Macht ihrer beiden Staaten zusammenfassen und gemeinsame Politik machen, so daß sie sich auf Ts'i und Chao stützen und sich mitCh'u und GroßWei zu einigen suchen. Sie werden die Dreifüße nach Ch'u schicken und an Wei Gebiet abtreten. Und Ew. M. werden es nicht verhindern können. Damit aber wäre m. E. eine gefährliche Lage geschaffen. Der sicherste Plan ist der Angriff auf Shu.» König Hui sagte: „Gut, ich werde I h n e n folgen." Aus dieser Rede spricht der Soldat, wenn das auch in den Worten selbst nicht zum Ausdruck kommt. Es geht um den Oberlauf der Flüsse Han und Min-Yangtze. — Der Hoangho spielt als nichtschiffbar keine Rolle. — Wer dies Gebiet besitzt,

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hält die Schlüssel des Reiches in der Hand. Wer China haben will, muß zuvor den Paß T'ung-kuan am HoanghoKnie nehmen, den Wei-Fluß aufwärts marschieren und dann nach links abschwenkend über das Ts'in-ling-Gebirge an den Han- und Min-Fluß vorstoßen. Im Frontalangriff, von der Küste westwärts oder von Nord nach Süd läßt sich das weite Land nicht erobern. So sind auch die Mongolen im Jahre 1235 vorgegangen, obgleich ihre Reitergeschwader schon längst die nordchinesische Ebene überflutet hatten. Und so verfuhr im Jahre 315 v. Chr. der Staat Ts'in. In zehn Monaten war das ganze Vierstromland erobert. Eine großzügige Einsiedlung von Bauernfamilien aus Ts'in wurde eingeleitet. Die Stadt Ch'eng-tu erhielt im Jahre 309 ihre Mauer und ist damit älter als manche Stadt am mittleren und unteren Yangtze. Mit dem Wasser des Min wurde die Ebene getränkt, und es entstand dort das fruchtbarste Reisland Chinas. Das Volk von Ts'in wurde reich. Es fällte die Bäume auf den Bergen und baute eine Flotte. Unter Sze-ma Ts 'os Führung schwammen die Kriegsdschunken talwärts, und das Kriegervolk von Ts'in besiegte das Schiffervolk von Ch'u und sperrte ihm den Zugang zu seiner neuen Kolonie Tien im Südwesten, seinem dort stehenden Expeditionsheere den Rückweg. Die Voraussage des Generals war erfüllt: Ts'in hatte jetzt ein großes Land, ein reiches Volk und mit einem starken Heere die beherrschende strategische Stellung. Die Suprematie war ihm sicher. Was folgte, war nur noch eine Liquidation. Als die Dynastie um die Mitte des 3. Jhs erloschen war, übernahm nach achtundzwanzigjährigem Interregnum Ts'in im Jahre 221 mühelos die Herrschaft, schaffte das Feudalwesen ab und führte Zentralisation und Organisation im ganzen Reiche durch, mit Schleifung der Festungen und Einschmelzung der Waffen: 'Nie wieder Krieg!', mit Einheitsmaßen, Anlage von Straßen und Bau der langen Mauer in einem großartigen Arbeits-

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dienstsystem. In der Folge jedoch wurde die Justiz zur Polizei, der Ordnungsstaat zum Terrorregiment. Das Volk tauschte die lange Kriegszeit gegen ein unerträgliches Joch. Nach fünfzehnjähriger Dauer brach der Staat zusammen. Aber sein Werk blieb: Das Einheitsreich Groß-China war begründet, das Alte China vergangen. Von vier Systemen haben wir gehört: dem T a o i s m u s , der die Anarchie predigte: 'Laßt dem Himmel und der Natur ihren Lauf, stört ihn nicht durch menschliche Ordnung! Erst seitdem Maße und Gewichte eingeführt waren, gab es Betrug auf dem Markte.' der T r a d i t i o n s l e h r e , die sich auf das altüberkommene Sittengesetz gründete und mit ihm auszukommen glaubte, ihm jedenfalls auch in der Staatsleitung die Geltung sichern wollte, der B ü n d n i s l e h r e , die sich auf politische Klugheit und diplomatisches Geschick, vor allem in der Außenpolitik, verließ, der O r d n u n g s l e h r e , die nur von menschlicher Ordnung etwas hielt, Organisation und Zentralisation, und in Verwaltung und Gesetz, Polizei, Justiz und Militär, Zwang und Gewalt den Sinn des Staates sah.

Alle diese Fragen, Gegensätze und Kämpfe aus der alten Zeit scheinen ihre Geltung für die Gegenwart, das neue China, verloren zu haben, nur noch wert der geschichtlichen Betrachtung zu sein. Ist dem wirklich so? Nach der zweitausendjährigen Herrschaft des Traditionsstaates und dem kurzen Zwischenspiel von nur 37 Jahren der politischen Richtung hat neuerdings das Organisationssystem die Oberhand gewonnen. Doch sind die Dinge innerhalb der allgemeinen Weltwirrnis noch in Fluß. Die alte Staatsform ist vergangen. Aber die Basis ist geblieben, Zentralisation und Kreiseinteilung. Ohne diese

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hätte das große Land nicht zusammengehalten. Und lebt nicht der Name des Staates Ts 'in, der mit seiner Ordnung über die Grenzen hinaus einen gewaltigen Eindruck erweckt haben muß, in dem Worte 'China' weiter? Auch der F e u d a l g e d a n k e ist nicht tot. Er findet sich trotz allem noch in den Landschaften und Provinzen erhalten und bei allen Umwälzungen tun sich die alten Grenzen wieder auf. Der Chinese ist Partikularist. Ihm gilt der Teil mehr als das Ganze, die Heimat mehr als die Volkseinheit. Die K l i e n t e l hat noch bis in die jüngste Zeit hinein bestanden. Jeder höhere Würdenträger hatte in seinem Yamen einen Klüngel von ihm selbst besoldeter Vertrauter. Der t a o i s t i s c h e Sinn des'noli turbare, noli metangere' ist tief im chinesischen Wesen verwurzelt. Die T r a d i t i o n ist dem Volk durch seine alte Familienordnung und eine zweitausendjährige vorherrschend einseitig konfuzianische Literatur gewahrt. Was schließlich den politischen Sinn der B ü n d n i s l e h r e betrifft, so dürfte noch heute, wer mit ostasiatischen Diplomaten zu tun hat, mit Nutzen die Reden aus der Feudalzeit lesen. Nur sind sie leider — nicht bekannt.

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