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German Pages 418 Year 2013
Björn Weyand Poetik der Marke
Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur
Herausgegeben von Norbert Bachleitner, Christian Begemann, Walter Erhart und Gangolf Hübinger
Band 136
Björn Weyand
Poetik der Marke
Konsumkultur und literarische Verfahren 1900–2000
DE GRUYTER
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät II der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen und im Jahr 2011 verteidigt.
ISBN 978-3-11-030117-5 e-ISBN 978-3-11-030136-6 ISSN 0174-4410 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
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Ein Detail bestimmt plötzlich meine ganze Lektüre. Roland Barthes: Die Lust am Text
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Inhalt
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Inhalt Inhalt fi VII Dank fi XI Einleitung Literatur an der Oberfläche: Die Poetik der Marke – eine andere Literatur- und Kulturgeschichte der Moderne fi 1 1 „Once you ‚got‘ Pop …“: Markenwaren als ein neuer Gegenstand der Literaturwissenschaften fi 4 2 Semiologische und kulturpoetologische Abenteuer: Simmel, Barthes und Greenblatt erkunden die Welt der Warenästhetik fi 19 2.1 Die Begründung eines kulturwissenschaftlichen Interesses an der Ästhetik der Waren: Georg Simmel besucht die Berliner GewerbeAusstellung 1896 fi 19 2.2 Faszination und kulturelle Vernetzung einer Marke: Roland Barthes’ semiologische Lektüre der Citroën DS als Mythos des Alltags fi 27 2.3 Zirkulationsbewegungen zwischen Warenwelt und Literatur: Mit Stephen Greenblatt am Pool fi 33 3 Literatur, an der Oberfläche gelesen: Kulturelle und poetologische Dimensionen von Markenwaren in literarischen Texten. Zur Textauswahl fi 38 Kapitel 1 Die Entdeckung der Oberfläche: Katalog- und Kulturpoetik von Edmund Edels archivistischer Satire Berlin W. (1906) fi 47 1.1 Archivierung der Oberfläche, Verabschiedung der Höhenmetaphorik fi 50 1.2 Warenkunde, Markenkenntnis und der semiologische Mehrwert der Benennung fi 56 1.3 Von der Oberfläche der Warenästhetik zur Oberfläche der Textur fi 60 1.4 Der Umhang von Gerson und die kulturpoetische Funktion fi 65 1.5 „Applanierung aller Werte“: Die Debatte zwischen Sombart und Edel um Reklame, Kultur und Amerikanismus im Morgen fi 70 1.6 Poetik des (Warenhaus-)Katalogs fi 78 1.7 Anthropologie des Schaums: Simmels Philosophie der Mode fi 92
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Inhalt
Kapitel 2 Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive, Fetische und Archivalien wider Willen in Thomas Manns ‚Zeitroman‘ Der Zauberberg (1924) fi 97 2.1 Aus Dichtung wird (beinahe) Wirklichkeit: Eine Nachgeschichte des Zauberberg als Vorgeschichte zu seiner Analyse fi 101 2.2 Sammeln als kulturpoetologische Praktik zwischen Décadence und Reklame fi 105 2.3 Die Grenzen des Symbolischen: Zur Materialität der Dinge im Zauberberg und in Spenglers Untergang des Abendlandes fi 113 2.4 „Die sehr schmackhafte Marke namens Maria Mancini“: Die erotischen Konnotationen der Reklame und die Fetischisierung durch Castorp und Hofrat Behrens fi 125 2.5 Potenzierter Fetischismus: Konvergenzen von Warenästhetik und Psychoanalyse – und Manns Dichtungsprogramm der ‚Beseelung‘ fi 140 2.5.1 Das Fetischkonzept der Psychoanalyse fi 140 2.5.2 Das Fetischkonzept von Marx fi 142 2.5.3 ‚Beseelung‘ fi 144 2.6 Die Maria Mancini als Fetisch der Textur: Zur Semiologie des ‚Leitmotivs‘ fi 147 2.7 Der ‚hermetische Zauber‘ und das Archiv fi 159 Kapitel 3 Die Faszination des Glanzes: Irmgard Keuns Tagebuchroman Das kunstseidene Mädchen (1932) im Schnittfeld von Warenästhetik und Film fi 168 3.1 Denken in Marken, Schreiben wie Film: Die Optik der Oberfläche in zwei poetologischen Schlüsselstellen fi 172 3.1.1 Denken in Marken fi 172 3.1.2 Schreiben wie Film fi 179 3.2 Romantik und Sachlichkeit des Konsums – und die doppelte Ökonomie des Wunsches, ein ‚Glanz‘ zu werden fi 184 3.3 Marken und Masken: Zur master trope des ‚Glanzes‘ fi 191 3.4 ‚Glanz‘ als Element moderner Faszinationsproduktion fi 204 3.4.1 Der ‚Glanz‘ der Warenästhetik: Lichtreklame und Schaufenster fi 204 3.4.2 Der ‚Glanz‘ des Films: Stars und Medienverbünde fi 214 3.4.3 Der ‚Glanz‘ der Konsumierenden: Lesende als Schreibende fi 225 3.5 Materialästhetik: Bembergseide und die poetologischen Synthesen des Kunstseidenen Mädchens fi 231
Inhalt
IX
Kapitel 4 Geschichte im Präsens: Wolfgang Koeppens rhizomorpher Zeitgeschichtsroman Tauben im Gras (1951), Coca-Cola und die Kulturpoetik der Zirkulation fi 241 4.1 Poetik und Textur von Tauben im Gras fi 244 4.1.1 Die Romantextur, literarhistorisch betrachtet: ‚Krise des Romans‘ fi 246 4.1.2 Die Romantextur, poetologisch betrachtet: ‚Geschichte im Präsens‘ fi 249 4.2 ‚Neumodisches Zeug‘ und ‚Symbol der Freundschaft‘: Zur zeitgeschichtlichen Semantik von Coca-Cola in Tauben im Gras und im Nachkriegsdeutschland des Marshallplans fi 257 4.2.1 ‚Neumodisches Zeug‘: Coca-Cola als zeitgeschichtliches Archivale in Tauben im Gras fi 258 4.2.2 ‚Symbol der Freundschaft‘: Coca-Cola in der zeitgenössischen Reklame und im OMGUS-Film Der unsichtbare Stacheldraht (1951) fi 261 4.3 Die ‚Geschichte im Präsens‘ und ihr Präteritum: Coca-Cola und Amerikanismus in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus fi 267 4.4 Zur Zirkulation der Dinge und Zeichen fi 275 4.4.1 Die Tasse der ‚Berliner Manufaktur‘ und Coca-Cola: Deutsche und amerikanische Dingkultur um 1950 fi 276 4.4.2 Zirkulation als kulturpoetologisches Prinzip fi 280 4.5 Tauben auf dem Markusplatz – Abschied von der Kritik der Warenästhetik fi 283 Kapitel 5 Die unendliche Zirkulation: Christian Krachts Roman 1979 (2001) und die politische Ökonomie der Zeichen in der Popmoderne fi 287 5.1 „Die besten Schuhe der Welt“: 1979 als Geschichte eines Paars Schuhe der Marke Berluti fi 291 5.2 „Die ewig gleiche Wiederholung der Schritte“: Wiederholung und Differenz fi 302 5.3 Vom Wesen der Dinge zur Oberflächenhaftigkeit der Postmoderne: Martin Heidegger und Frederic Jameson über Schuhe in der Kunst fi 308 5.4 Filz, oder: Im Reich der Zeichen fi 315 5.4.1 Filz als textile Metapher der Postmoderne fi 316
X
Inhalt
5.4.2
Der ‚glatte‘ Raum und seine Einkerbungen: Die Kunstlandschaft von 1979 zwischen Diegese, Selbstreferentialität und Intermedialität fi 322 Die Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896 und die Präzession der Simulakra fi 329 Kool Killer im Camp: Das Lager, die unendliche Zirkulation und die politische Ökonomie der Zeichen in der Popmoderne fi 338
5.5 5.6
Ausblick Die Zukunft der Oberfläche: Perspektiven für eine künftige literatur- und kulturwissenschaftliche Forschung zur Poetik und Kultur der Marke fi 346 Literatur- und Medienverzeichnis fi 352 1 Primärliteratur fi 352 1.1 Literarische Primärtexte fi 352 1.2 Primärtexte zu Markenwesen und Warenästhetik fi 355 1.3 Weitere zeitgenössische Primärtexte fi 358 1.4 Literatur- und kulturtheoretische Texte fi 365 1.5 Zeitschriften fi 369 1.6 Warenkataloge fi 370 1.7 Filme und Musik fi 370 1.8 Internetquellen fi 370 2 Sekundärliteratur fi 371 3 Verzeichnis der Abbildungen fi 393 Personenregister fi 399 Markenregister fi 404
Inhalt
XI
Dank Zahlreiche Personen und Institutionen haben die Recherchen und Denkprozesse zu dieser Arbeit unterstützt und mich häufig durch ihr teilnehmendes Interesse und ihr Engagement überrascht. Ohne ihre Unterstützung hätte dieses Buch nicht in dieser Form realisiert werden können. Ihnen allen sei dafür herzlich gedankt. Namentlich gilt mein Dank an erster Stelle Prof. Dr. Erhard Schütz. Ihm verdanke ich nicht nur wertvolle Hinweise im Detail, sondern – weitaus grundlegender – eine Begeisterung für die kulturwissenschaftliche Dimension von Literatur und die anhaltende Faszination für die Literatur und Kultur der Weimarer Republik. Prof. Dr. Thomas Wegmann danke ich ebenfalls für wichtige Hinweise und insbesondere für die Überlassung seiner damals noch unpublizierten Habilitationsschrift Dichtung und Warenzeichen, die inzwischen im Wallstein Verlag vorliegt. Die Ausführungen zu den medialen und warenästhetischen Faszinationsphänomenen im Kapitel über Keuns Kunstseidenes Mädchen wären gänzlich undenkbar gewesen ohne die intensiven Diskussionen mit Andy Hahnemann über Faszination, ihre Geschichte und ihre kulturwissenschaftliche Heuristik. Danken möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der diversen Berliner und Frankfurter Bibliotheken sowie den zahlreichen Ansprechpartnern in Firmenarchiven, Werbe- und Bildagenturen, Museen und nicht zuletzt den passionierten Privatsammlern. Ohne ihre Hilfe wäre die intensive Materialerschließung nicht möglich gewesen und manches markengeschichtliche Detail ungeklärt geblieben. Den Inhabern der Bildrechte danke ich für die Erlaubnis, die Bilder in meiner Arbeit verwenden zu dürfen. Dem Suhrkamp Verlag danke ich für die Genehmigung zum Wiederabdruck von Textpassagen aus dem Aufsatz „Ein paar Kapitel von der Oberfläche“. Markenkonsum und Katalogpoetik in Edmund Edels Satire „Berlin W.“ (1906), der in dem stw-Band Warenästhetik. Neue Perspektiven auf Konsum, Kultur und Kunst (Berlin 2011) erschienen und nun in Teilen in das erste Kapitel eingegangen ist. Ermöglicht wurde diese Arbeit auch durch den wertvollen Freiraum, den mir ein Promotionsstipendium des Berliner Senats eröffnet hat; auch dafür möchte ich mich bedanken. Dem Förderungs- und Behilfefonds Wissenschaft der VG WORT danke ich für den großzügigen Zuschuss zu den Druckkosten. Im Dezember 2012 wurde die Arbeit mit einem Tiburtius-Anerkennungspreis – Preis der Berliner Hochschulen ausgezeichnet. Für diese Würdigung möchte ich mich besonders bedanken.
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Dank
Den Herausgebern der Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in ihre Reihe. Christina Riesenweber sei für die kompetente Betreuung seitens des Verlags gedankt, die dabei geholfen hat, dass am Ende aus dem Manuskript tatsächlich ein Buch wurde. Schließlich wäre jedoch all dies nichts ohne den Anteil, den vier ganz besondere Menschen am Entstehen dieser Arbeit genommen haben: Meinen Eltern danke ich für ihr Vertrauen, ihre Geduld und ihre Unterstützung meines Vorhabens. Isabelle Stauffer danke ich für ihre unverzichtbare kritische, konstruktive und immer wieder inspirierende Erstlektüre des gesamten Manuskripts – und für vieles mehr. Meine Tochter Stella hat auf ihre Weise die Buchwerdung des Manuskripts bereichert. Frankfurt am Main und Wolfenbüttel, im Frühjahr 2013 Björn Weyand
Einleitung: Literatur an der Oberfläche: Die Poetik der Marke
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Einleitung Literatur an der Oberfläche: Die Poetik der Marke – eine andere Literatur- und Kulturgeschichte der Moderne „Aber das sind Dinge, daran die Literaturgeschichte glücklicherweise vorübergeht.“ „Sage das nicht, Etienne, nicht glücklicherweise, sage leider.“1 Theodor Fontane: Frau Jenny Treibel (1892)
Markenprodukte haben in der Literatur nichts verloren. Dieser Gemeinplatz erfreute sich noch bis vor wenigen Jahren breiter Zustimmung seitens der Literaturkritik wie der Literaturwissenschaften und oft genug der Literatur selber. Nur so jedenfalls erklärt sich der Aufruhr, der durch die Feuilletons ging, als Mitte der 1990er Jahre jene Autorinnen und Autoren, für deren Texte schnell die Sammelbezeichnung ‚Popliteratur‘ gefunden war, mit diesem Verdikt offen brachen. Romane wie Christian Krachts Faserland (1995)2, Benjamin von Stuckrad-Barres Soloalbum (1998)3, Elke Naters Königinnen (1998)4, Rebecca Casatis Hey Hey Hey (2001)5 oder Judith Hermanns Erzählband Sommerhaus, später (1998)6 begriffen Markenprodukte als selbstverständlichen Bestandteil der literarischen Wirklichkeitsdarstellung. Prada, H&M, Miu Miu, Evian, Jever, Fisch Gosch, IKEA und zahlreiche andere Marken prägten die Welt, in der ihre Figuren lebten, und traten an die Stelle markenloser Gegenstandsbezeichnungen. Das brachte der Popliteratur herbe Vorwürfe ein. „Sinn“, so formulierte etwa Thomas E. Schmidt seine Kritik an der Popliteratur, „durfte nicht vonseiten des Kultursystems auf diese Literatur fallen, sondern vom Universum der Marken her. Die Poetik der Popliteratur war das Branding.“7 Die Beschäftigung der Popliteratur mit einem Oberflächenphänomen wie der Warenwelt verkehrte sich in den Vorwurf vermeintlicher ‚Ober-
1 Theodor Fontane: Frau Jenny Treibel oder „Wo sich Herz zum Herzen find’t“. Roman. In: Ders.: Romane und Erzählungen in drei Bänden. Hg. von Helmuth Nürnberger. München u. Wien 1985: Carl Hanser. Bd. 2: Unwiederbringlich. Frau Jenny Treibel. Effi Briest. S. 253–434, hier S. 315. 2 Christian Kracht: Faserland. Roman. Köln 1995: Kiepenheuer & Witsch. 3 Benjamin von Stuckrad-Barre: Soloalbum. Roman. Köln 1998: Kiepenheuer & Witsch. 4 Elke Naters: Königinnen. Roman. Köln 1998: Kiepenheuer & Witsch. 5 Rebecca Casati: Hey Hey Hey. Roman. München u. Zürich 2001: Diana Verlag. 6 Judith Hermann: Sommerhaus, später. Erzählungen. Frankfurt am Main 1998: S. Fischer. 7 Thomas E. Schmidt: In die Prada-Tasche gemurmelt. Cool und neu und das Ohr am Herzen der ravenden Klasse – für einen Augenblick sah es so aus, als entwickelten die Jüngeren ihre eigene Sprache. Aber leider: Politeratur und Popjournalismus welken dahin. In: Die Zeit, Nr. 38, 12. 09. 2002.
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Einleitung: Literatur an der Oberfläche: Die Poetik der Marke
flächlichkeit‘.8 In der fünften seiner Zehn Thesen zur Krise des Pop moniert Thomas Assheuer im April 2001 demgemäß in der ZEIT: Die Popliteratur sucht ihr Glück in der Beschreibung der Oberfläche. […] Sie ist eine Entscheidung gegen das Tragische, gegen pathetische Tiefe und tödlichen Ernst. Nur wer in die Oberfläche zurücksinkt und sich den Wundern des Trivialen überlässt, so die gewitzten Theoretiker der Popliteratur, entschärft kulturelle Konflikte, die stets im Namen von ‚schweren Zeichen‘ geführt wurden. Das aber ist die falsche Alternative.9
Assheuers ‚falsche‘, allerdings von ihm mehr projizierte denn empirisch belegbare Alternative zwischen dem Ernst und der Tiefe der ‚schweren Zeichen‘ einerseits und den ‚Wundern des Trivialen‘ andererseits macht deutlich, wie es um die kulturelle Wertschätzung der Oberfläche steht: Sie gilt „gemeinhin als suspekt“.10 Die Oberfläche wird lediglich passiv konsumiert, wie Assheuers Vokabeln des ‚Zurücksinkens‘ und ‚Sich Überlassens‘ implizieren; deshalb gilt es, sie kulturkritisch zu ‚entlarven‘.11
8 Jörgen Schäfer weist mit Blick auf die Kritik an der Popliteratur darauf hin, es sei „in der Tat leicht, Texte, die von ‚Oberfläche‘ handeln, als oberflächlich abzuwerten“. Jörgen Schäfer: „Neue Mitteilungen aus der Wirklichkeit“. Zum Verhältnis von Pop und Literatur in Deutschland seit 1968. In: Text + Kritik (2003) X, Sonderband: Pop-Literatur. Hg. von Heinz Ludwig Arnold u. Jörgen Schäfer. S. 7–25, hier S. 10. Diese Kritik deutet sich etwa an, wenn Thomas Ernst zu der Auffassung gelangt, dass die Popliteratur selbst „zur benutzerfreundlichen Oberfläche verkommt“. Thomas Ernst: Popliteratur. Hamburg 2001: Europäische Verlagsanstalt / RotbuchVerlag. S. 89. Von ähnlichem Unbehagen gekennzeichnet ist die im gleichen Jahr erschienene Studie von Johannes Ullmaier: Von Acid nach Adlon und zurück. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur. Mainz 2001: Ventil Verlag. 9 Thomas Assheuer: Im Reich des Scheins. Zehn Thesen zur Krise des Pop. In: Die Zeit, Nr. 16, 14. 04. 2001. Solche Kritik wurde wiederholt vorgebracht. Es finden sich aber auch Ausnahmen: So schreibt Iris Radisch, ebenfalls in der Zeit, begeistert über den „schnöde[n] Realismus“ der neuen Generation: „Andere haben die Welt erklärt, jetzt geht es darum, von ihr zu erzählen […]. Der Nichtangriffspakt, den die junge Nichteinmischungs- und Entspannungsliteratur mit der Welt geschlossen hat, ist eine Provokation. Ein ästhetischer, erkenntnistheoretischer und moralischer Skandal“, dem sie attestiert, er sei „kulturkritischer als die amtliche Kulturkritik sich träumen lässt“. Radisch sieht in der Popliteratur den Beleg dafür, dass sich die Literatur nicht länger vor dem Leben verschließen müsse. Iris Radisch: Mach den Kasten an und schau. Junge Männer unterwegs: Die neue deutsche Popliteratur reist auf der Oberfläche der Welt. In: Die Zeit, Nr. 42, 14. 10. 1999. 10 Hans-Georg von Aburg, Philipp Brunner, Christa M. Haeseli, Ursula von Keitz, Valeska von Rosen, Jenny Schrödl, Isabelle Stauffer u. Marie Theres Stauffer: Vorwort. In: Dies. (Hg.): Mehr als Schein. Ästhetik der Oberfläche in Film, Kunst, Literatur und Theater. Zürich u. Berlin 2008: Diaphanes. S. 7–11, hier S. 7. 11 2003 befindet Katharina Döbler, die Popliteraten seien „längst als Oberflächensurfer […] und metaphysische Nullen enttarnt“. Katharina Döbler: Frische Luft! Wie viel Welthaltigkeit braucht die Literatur? In: Die Zeit, Nr. 25, 12. 06. 2003.
Einleitung: Literatur an der Oberfläche: Die Poetik der Marke
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Dass es bei pop- und anderen literarischen Aneignungen von Markenwaren indes um weit mehr geht als ein passives ‚Sich Überlassen‘ der Literatur an die Warenwelt, bildet eine grundlegende Überzeugung dieser Arbeit. Die von Thomas E. Schmidt pejorativ intendierte Formulierung von der popliterarischen ‚Poetik des Branding‘ spricht entgegen ihrer Absicht aus, dass es sich bei der Aneignung von Marken durch die Literatur um literarästhetisch reflektierte, poetologische Verfahren handelt. Wolf Haas’ 2006 erschienener Metaroman Das Wetter vor 15 Jahren führt diese Reflexion in einem fiktiven Gespräch zwischen der Autorfigur ‚Wolf Haas‘ und einer als ‚Literaturbeilage‘ bezeichneten Gesprächspartnerin vor: Literaturbeilage Sie zählen das ja wieder mal mit einer gewissen Hingabe auf. […] Mir ist es beim Lesen schon so vorgekommen, als ginge es Ihnen ganz ausdrücklich um diesen ganzen Wohlstandsramsch ürgendwie. Diese Aufzählung von Dingen, das geht ja über Seiten: Die Bosch-Bohrmaschinen, die Carrera-Rennbahnen, die Remington-Trockenhauben, die Olivetti-Schreibmaschinen, die Braun-Rasierapparate, die Mauser-Maschinengewehre, die Allibert-Badezimmerschränkchen, die Radios von Philips, die Fritteusen von Kenwood, die Alleszerkleinerer von Moulinex, die Staubsauger von Siemens […]. Das klingt ja, als wäre das Warenlager eines Großkaufhauses explodiert! Wolf Haas Das lässt sich schon erklären. […] [Es gibt] keine Stelle, wo ich im Nachhinein was streichen würde. Also ich hätte jetzt nicht beim Manuskriptüberarbeiten sagen können, Bohrmaschine rein, Stichsäge raus, Pürierstab rein, Diaprojektor raus, Bügeleisen, Kassettenrecorder und Kelomat-Topf rein, Saftpresse und Elektrogriller raus. Literaturbeilage Warum nicht? Wolf Haas Ich hab’s nicht geschafft. Ich hab einfach alles aufgezählt. Ich hab mir ja die Liste organisiert vom Gemeindebeamten […]. Literaturbeilage Sie haben einfach alles aufgezählt? Wolf Haas Ja, das ist der Trick.12
Mit diesem fiktiven Dialog ist die Popliteratur im Stadium ihrer Selbstkommentierung angelangt – die Diskussion um Markenprodukte in der Literatur, die sie ausgelöst hat, wird selbst zum Gegenstand ihrer Darstellung. In seiner nachhaltig diskursprägenden Studie Der deutsche Pop-Roman (2002), der ersten Darstellung, welche die Popliteratur und ihr Verhältnis zur Warenwelt unter verfahrensästhetischen Gesichtspunkten in den Blick nahm, sah Moritz Baßler in einem ‚neuen Archivismus‘ das wichtigste Kennzeichen der Popliteratur. Insbesondere Wolf Haas’ Kriminalromanen um den Kommissar Brenner bescheinigte Baßler, „einen Gutteil der inhaltlichen, formalen und konzeptuellen Aspekte der neuen Archivisten“ zu vereinigen, indem sie einen „souveränen Umgang mit der Enzyklopädie der Gegenwart“ pflegten.13 Das Wetter vor 15 Jahren, Haas’ erster Roman nach dem
12 Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren. Roman. Hamburg 2006: Hoffmann und Campe. S. 210f. 13 Moritz Baßler: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München 2002: C.H.Beck. S. 203.
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Einleitung: Literatur an der Oberfläche: Die Poetik der Marke
(vorübergehenden) Abschluss der Brenner-Reihe,14 greift wesentliche Ergebnisse aus Baßlers Arbeit auf, um sie in Form des Kommentars zugleich zu negieren – und somit in der rhetorischen Figur der Paralipse wiederum zu bestätigen. Hatte Baßler „Sammeln, Kataloge, reine Listen“15 insbesondere von Markennamen als die entscheidenden Verfahren des popliterarischen Archivismus hervorgehoben und die Möglichkeit der kumulativen Fortschreibung dieser Listen betont, so hält die Autorfigur ‚Wolf Haas‘ in Das Wetter vor 15 Jahren nach der Aufzählung der Markennamen durch die Literaturredakteurin dagegen, er habe sich ‚ja die Liste organisiert vom Gemeindebeamten‘. Die potentiell unbegrenzte archivistische Listenbildung wird durch den Rückgriff auf ein amtlich erstelltes Dokument auf ernüchternde Weise als literarisches Verfahren ironisch zurückgewiesen.16 ‚Ich habe es nicht geschafft‘ – das heißt hier auch: ‚Ich habe es nicht geschaffen‘. Ob der popliterarische Archivismus mit dieser poetologischen Selbstkommentierung schließlich an sein Ende gekommen ist oder ob Haas’ Roman nicht genau damit genuin popliterarische Verfahren fortentwickelt, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden. Das Wetter vor 15 Jahren macht jedoch eines deutlich: dass die von der Popliteratur ausgelöste Debatte um Markenprodukte in der Literatur einen unbefangenen Blick auf Literatur und ihr Verhältnis zu Phänomenen der Warenästhetik und Konsumkultur fortan nicht mehr zulässt.
1 „Once you ‚got‘ Pop …“: Markenwaren als ein neuer Gegenstand der Literaturwissenschaften Diese Sensibilisierung für Markenprodukte in der Literatur bildet den Ausgangspunkt für die vorliegende Arbeit. Der Devise Andy Warhols folgend: „Once you ‚got‘ Pop, you could never see a sign the same way again“17, machen sich die Analysen dieser Untersuchung die erhöhte Aufmerksamkeit für die namentliche Nen-
14 2009 erschien mit Der Brenner und der liebe Gott ein weiterer Brenner-Roman. Wolf Haas: Der Brenner und der liebe Gott. Hamburg 2009: Hoffmann und Campe. 15 Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 98. 16 Aus seiner strukturalistischen Herleitung des Archivismus schlussfolgerte Baßler: „[M]it dem Anwachsen der Sammlung zeigen sich Regelmäßigkeiten, es schält sich heraus, worin die Äquivalenz der Elemente eigentlich besteht. Hat man das erstmal begriffen, dann lassen sich nach diesem Muster auch weitere Elemente […] generieren.“ Darauf antwortet Das Wetter vor 15 Jahren: „Je massiver eine Aufzählung ist, umso eher glaubt man, es müsse erst recht eine Auswahl sein, das Aufgezählte stehe für eine Unmenge des Nichtaufgezählten. Aber in Wirklichkeit war’s das auch schon. Die Liste hat nicht mehr als viereinhalb DIN-A4-Seiten gehabt, alphabetisch.“ Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 102. Haas: Das Wetter vor 15 Jahren, S. 212. 17 Andy Warhol u. Pat Hackett: POPism. The Warhol 60s. New York 1980: Harcourt. S. 39.
„Once you ‚got‘ Pop …“
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nung von Markenwaren, die sich der Diskussion um die Popliteratur verdankt, zunutze, um eine neue und bislang geradezu geflissentlich ignorierte Perspektive auf die Literatur der Moderne, der Post- und der Popmoderne zu entwickeln. Denn das eigentliche Skandalon der Popliteratur besteht viel weniger darin, dass sie Markenprodukte benennt – als vielmehr darin, dass ihre Kritiker wie ihre Fürsprecher sich einig waren in der Annahme, allein die Tatsache dieser Nennungen unterscheide die Popliteratur bereits kategorial von aller vorangegangenen Literatur. Davon zeugt neben den zitierten Einwänden auch die euphorische Zustimmung zur Popliteratur, wie sie etwa Florian Illies in Generation Golf (2000) auf den Punkt bringt, wenn er „die Ernsthaftigkeit, mit der Kracht Markenprodukte [in die Literatur, B. W.] einführte“ als „befreiend“ lobt.18 Und auch Moritz Baßler kommt in seiner Kleinen Geschichte des Markennamens in der deutschen Literatur, die er in seiner Studie zum Poproman entwirft, zu dem Schluss, dass erst die Popliteratur beginne, die neuen poetologischen Möglichkeiten auszuschöpfen, welche die moderne Warenwelt eröffnet. Dies geht einher mit einem generalisierenden Befund über die Literatur vor der Popliteratur: Die emphatische Modernisierung der Literatur zu Anfang des 20. Jahrhunderts scheint die zeitgleiche Modernisierung der Warenwelt kaum wahrzunehmen. […] All diese modernen Literaturen, so unterschiedlich sie sich sonst auch geben, haben, wie es scheint, doch eines gemeinsam: sie wollen Literatur im emphatischen Sinne sein, Kunst; und das meint offenbar immer noch: so verdichtet, so zeitlos und schwerwiegend wie möglich und also in größtmöglicher Distanz zur bunten Waren- und Medienwelt, die längst die Realität ihrer Umgebung (und die ihrer Leser) prägt.19
Enzyklopädische und archivistische Verfahren, wie sie Baßler als das „neue[] Prinzip[]“ der Popliteratur herausstellt und als deren Chiffre ihm der archivierte Markenname gilt,20 sind jedoch keine grundsätzlich neue ‚Erfindung‘ der Popliteratur, sondern haben ihre Konjunkturen und ihre je spezifischen historischen Poetologien.21 Die Popliteratur wird deshalb keineswegs zum neuen Maßstab des
18 Florian Illies: Generation Golf. Eine Inspektion. Berlin 2000: Argon. S. 154. 19 Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 161 u. 164. 20 Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 186. 21 So schreibt Michail Bachtin mit Blick auf Rabelais’ Gargantua: „Wie alle großen Werke seiner Zeit hat Rabelais’ Roman enzyklopädischen Charakter. Kein Bereich des Wissens und des praktischen Lebens, der hier nicht vertreten wäre, und zwar durchaus im Detail. […] Die enzyklopädischen Kenntnisse Rabelais’ und sein weiter Horizont haben einen spezifischen Zug, den die Rabelaisforschung noch kaum bemerkt hat – es dominiert überall das Neue, Frische, Erstmalige. Seine Enzyklopädie ist die der neuen Welt. Sie ist konkret und dinglich, und vieles tritt in ihr zum ersten Mal in den Horizont der Zeitgenossen, erhält zum ersten Mal einen Namen oder gibt einem
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Einleitung: Literatur an der Oberfläche: Die Poetik der Marke
Literarischen erhoben, wenn die durch sie bewirkte Sensibilisierung für literarische Aneignungen von Markenwaren produktiv gemacht werden soll.22 Die Geschichte der Literatur ist seit jeher auch die Geschichte von den wechselnden Verfahren der Aneignung und Darstellung von Wirklichkeit,23 einschließlich ihrer materiellen Kultur. „Die innere Bedeutsamkeit der Kunststile“, konstatiert in diesem Sinne Georg Simmel bereits in seinem 1896 erschienenen Aufsatz Soziologische Aesthetik, „läßt sich als eine Folge der verschiedenen Distanz auslegen, die sie zwischen uns und den Dingen herstellen“.24 Das trifft auch auf das Verhältnis der Literatur zur Warenwelt zu. In der mehr als hundertjährigen Geschichte des modernen Markenwesens in Deutschland hat es immer wieder unterschiedlich stark ausgeprägte und überaus vielfältig ausgestaltete Annäherungen der Literatur an die sich kontinuierlich ausbreitende Alltagswirklichkeit der Warenwelt gegeben, wobei neben der Popliteratur der 1990er Jahre die Literatur der Weimarer Republik und die Popliteratur der 1960er Jahre zweifellos die Phasen der intensivsten Auseinandersetzung markieren.25
alten Wort eine neue Bedeutung. Die Welt der Dinge und der Worte (der Sprache) ist in der Renaissance einer gewaltigen Erweiterung und Bereicherung, einer grundlegenden Erneuerung und einer deutlichen, charakteristischen Umgruppierung unterworfen.“ Michail Bachtin: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Hg. von Renate Lachmann. Frankfurt am Main 1987: Suhrkamp. S. 500f. 22 Dies unterscheidet den Ansatz dieser Arbeit von demjenigen Baßlers. In Baßlers Studie zum Pop-Roman gewinnt die Nennung von Markennamen axiologischen Wert: „Grob und vorläufig könnte man die gegenwärtige deutsche Literatur in zwei Gruppen einteilen: in Texte ohne Markennamen, ohne Popmusik-, Film- und Fernsehtitel auf der einen Seite und in Texte mit all diesen Dingen auf der anderen. Daß dieses Buch sich bevorzugt mit der zweiten Gruppe auseinandersetzt und dort auch seine Sympathien ansiedelt, wird der Leser inzwischen bemerkt haben.“ Diese zweite Gruppe ist für Baßler gleichbedeutend mit der Popliteratur. Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 155. Baßler selbst hat diese Unterteilung relativiert in Moritz Baßler: Zur Semiotik des Markennamens in literarischen Texten. In: Thomas Wegmann (Hg.): Markt. Literarisch. Frankfurt am Main, Berlin, Bern u.a. 2005: Peter Lang. S. 171–182. [= Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge. Bd. 12.] 23 Die von Erich Auerbach in seiner großangelegten und bis heute einschlägigen Studie zur Mimesis aufgeworfene Frage, wie „[k]lar umschrieben, hell und gleichmäßig belichtet […] Menschen und Dinge“ in der literarischen Darstellung erscheinen, hat insofern nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Erich Auerbach: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur. Tübingen u. Basel 102001 (1946): A. Francke. S. 5. 24 Georg Simmel: Soziologische Aesthetik [1896]. In: Ders.: Gesamtausgabe. Hg. von Otthein Rammstedt. Bd. 5: Aufsätze und Abhandlungen 1894–1900. Frankfurt am Main 1992: Suhrkamp. S. 197–214, hier S. 209. 25 Zur Popliteratur der 1960er Jahre siehe programmatisch Rolf Dieter Brinkmann: Film in Worten. In: Ders.u. Ralf-Rainer Rygulla (Hg.): ACID. Neue amerikanische Szene. Reinbek bei Hamburg 1983: Rowohlt. S. 381–399. [Erstausgabe: Berlin u. Schlechtenwegen 1969: März Verlag.]
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Doch schon für die Jahrhundertwende lässt sich eine erste Periode verstärkter Aufmerksamkeit konstatieren, die sich beispielsweise in den späten Romanen Theodor Fontanes zeigt: In Frau Jenny Treibel (1892) lässt Fontane seine Figuren nicht nur Bier der Marke Löwenbräu trinken, Meißener Porzellan benutzen, den Ulk oder das Berliner Tageblatt lesen und bei Josty Kaffee konsumieren.26 Mit einer Diskussion über die ‚Echtheit‘ von Oderkrebsen, Werderschen Kirschen und Borsdorfer Äpfeln27 greift der Roman unmittelbar die zeitgenössische Diskussion über den Markenschutz von lokalen Herkunftsbezeichnungen auf.28 Hartmut Böhme hat mit seiner Studie Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne unlängst eindrücklich darauf aufmerksam gemacht, wie eng die Moderne mit einem quantitativen Anwachsen der Dingwelt verbunden ist. Die Moderne ist wesentlich auch eine ‚Sach-Moderne‘.29 Böhme gelangt zu dem Schluss, dass das 19. Jahrhundert auch das Saeculum der Dinge ist. […] Der forcierte Kapitalismus begünstigte ein Besitzstreben, das nicht selten dazu führte, dass z.B. die bürgerlichen Wohnungen der Gründerzeit mit unfasslich vielen Dingen geradezu überbordet wurden. Niemals zuvor war die dingliche Umwelt vergleichbar dicht, mannigfaltig, verlockend, künstlich, faszinierend.30
Diese Entwicklung hat sich im 20. und 21. Jahrhundert noch verstärkt: Die Verfügbarkeit der Dinge ist in der westlichen Welt nicht mehr an den Wohlstand des Bürgertums gebunden, sondern hat sich zu einem Massenphänomen entwickelt. Das Interesse, das die Kulturwissenschaften gegenwärtig den Dingen und der ma-
26 Vgl. Fontane: Frau Jenny Treibel, S. 264, 289, 343 u. 360. Zur „Lust an den Realien“ in Fontanes Romanen siehe Richard Brinkmann: Der angehaltene Moment. Requisiten – Genre – Tableau bei Fontane. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 53 (1979) 3, S. 429–463, hier S. 432. 27 Vgl. Fontane: Frau Jenny Treibel, S. 313. 28 Zu dieser Diskussion siehe etwa – hier am Beispiel des Braunschweiger Spargels und der Teltower Rüben – o. Verf.: Über § 1 des deutschen Markenschutzgesetzes. In: Patent- und Markenzeitung (1890) 12, S. 126f. 29 Vgl. Erhard Schütz: Sach-Moderne. Zur Avantgardisierung und Entavantgardisierung des Faktionalen im erzählenden Sachbuch zwischen 1920 und 1950. In: Sabina Becker u. Helmuth Kiesel, unter Mitarbeit von Robert Krause (Hg.): Literarische Moderne. Begriff und Phänomen. Berlin u. New York 2007: Walter de Gruyter. S. 367–382. Schütz führt den Begriff der Sach-Moderne zwar mit Blick auf faktografische Literatur ein, diese entwickelt sich jedoch, wie bspw. mit Sergej Tretjakovs Biographie der Dinge oder Pierre Hamps Flachs, in den 1920er und 1930er Jahren gerade an (der Produktion von) Dingen. 30 Hartmut Böhme: Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne. Reinbek bei Hamburg 2006: Rowohlt. S. 17f.
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teriellen Kultur entgegenbringen, verdankt sich insofern der unmittelbaren Erfahrung eines stetigen Anwachsens der Dingwelt.31 Allerdings verdient nicht nur die seit Friedrich Theodor Vischers Roman Auch Einer (1879) sprichwörtlich gewordene ‚Tücke des Objekts‘, d.h. die Widerständigkeit der Dinge, Aufmerksamkeit, die einen privilegierten Status innerhalb der Dingforschung genießt.32 Auch die Dinge, die einfach nur konsumiert werden, lohnen eine eingehende Betrachtung.33 Dabei stellt sich der Zusammenhang zwischen Dingkultur und Moderne mit Blick auf das Verhältnis von Literatur und Markenwaren in ganz besonderer Weise her. Denn die Entstehung des modernen Markenwesens und die Etablierung der ‚Moderne‘ als eines Leitbegriffs innerhalb der literarischen wie gesellschaftlichen Debatten datieren beide auf die Jahre um 1890.34 Nachdem in den Jahren zuvor immer wieder Kritik an der bestehenden Rechtslage zum Markenwesen geübt und in Organen wie der seit 1890 erscheinenden Patent- und MarkenZeitung die Erfordernisse einer neuen Gesetzgebung diskutiert wurden,35 tritt am
31 Siehe hierzu Karl-Heinz Kohl: Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte. München 2003: C. H. Beck. Lorraine Daston (Hg.): Things That Talk. Object Lessons from Art and Science. New York 2004: Zone Books. Bill Brown: A Sense of Things. The Object Matter of American Literature. Chicago u. London 2003: The University of Chicago Press. Ders. (Hg.): Things. Chicago u. London 2004: The University of Chicago Press. Gudrun M. König (Hg.): Alltagsdinge. Erkundungen der materiellen Kultur. Tübingen 2005: Verlag der Tübinger Vereinigung für Volkskunde. Überblick über die wichtigsten theoretischen Positionen der material culture-Forschung gibt Hans Peter Hahn: Materielle Kultur. Eine Einführung. Berlin 2005: Dietrich Reimer Verlag. 32 Friedrich Theodor Vischer: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Stuttgart 1879: Hallberger. Zum Interesse an der Widerständigkeit der Dinge siehe exemplarisch die Einleitung zum Themenheft Dinge der Zeitschrift für Kulturwissenschaften: „[I]n der modernen Literatur wird gerade die reduzierte oder verweigerte Zeichenhaftigkeit der Dinge charakteristisch. Sie werde als Ding wahrgenommen, eben weil sie nicht vollkommen funktional in der Handlung aufgehen, sondern eine Eigenlogik entwickeln oder gar lebendig werden.“ Daher seien die skurrilen Figuren bei Musil, Kafka, Walser u.a. „eine Ansammlung von Kommentaren zum ‚Aufstand der Dinge‘“. Michael C. Frank, Bettina Gockel, Thomas Hauschild, Dorothee Kimmich u. Kirsten Mahlke: Fremde Dinge – Zur Einführung. In: ZfK – Zeitschrift für Kulturwissenschaften, (2007) H. 1: Fremde Dinge, S. 9–16, hier S. 11. 33 Siehe hierzu Jean Baudrillard: Le système des objets. Paris 1978 (1968): Éditions Gallimard. Sowie Daniel Miller: The Comfort of Things. Cambridge 2008: Polity Press. 34 Darauf ist inzwischen wiederholt hingewiesen worden, siehe bspw. Moritz Baßler: Moderne und Postmoderne. Über die Verdrängung der Kulturindustrie und die Rückkehr des Realismus als Phantastik. In: Becker u. Kiesel (Hg.): Literarische Moderne, S. 435–450, hier S. 437. 35 Die Patent- und Marken-Zeitung. Zeitschrift für die Interessen des gewerblichen geistigen Eigentums erschien von 1890–1894 vierzehntäglich in Berlin und enthielt Artikel zu Markennachahmung, Werbung und Markenschutz im Deutschen Reich und in anderen europäischen Ländern sowie Kommentare zum deutschen Markenrecht.
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12. Mai 1894 im Deutschen Kaiserreich das Gesetz zum Schutze der Waarenbezeichnungen in Kraft, das den Beginn des modernen Markenwesens in Deutschland in rechtlicher Hinsicht markiert.36 Mit ihm wird die ‚Warenzeichenrolle‘ eingeführt, ein zentrales, in Berlin verwaltetes Register, in dem Markenzeichen eingetragen und damit rechtlich vor Nachahmung geschützt werden. Schon in der Anfangsphase kommt es zu rund 10000 Eintragungen jährlich,37 darunter bis heute bekannte Marken wie Leibniz-Cakes (1892), Odol (1893), Dr. Oetker (1899), Aspirin (1899), Erdal (1903), Kaffee Hag (1906), Persil (1907) und Nivea Creme (1912),38 sodass die Jahre um 1890 auch markengeschichtlich als Beginn des modernen Markenwesens gelten können. Doch nicht nur das: Mit dem 1894 verabschiedeten Gesetz wurde es überhaupt erstmals möglich, auch Wortmarken markenrechtlich zu schützen.39 Seither genießen Markennamen wie Dichterworte gleichermaßen urheberrechtlichen Schutz.40 Etwa zur gleichen Zeit beginnt der Begriff der ‚Moderne‘ zu einer leitenden Kategorie in der Diskussion um eine Erneuerung der Literatur zu avancieren. Im Hinterzimmer eines Lokals am Berliner Spittelmarkt, so will es die Überlieferung, prägt der Literaturhistoriker Eugen Wolff im September 1886 den Begriff mit einem Vortrag im literarischen Verein Durch!41 In seiner
36 Dieses Gesetz hat zwar einen Vorläufer in dem seit 1874 reichsweit geltenden Gesetz über den Markenschutz; dessen Mängel sind jedoch derart eklatant, dass in der Geschichte des Markenwesens übereinstimmend das Gesetz von 1894 als eigentliche ‚Geburtsstunde‘ des modernen Markenwesens in Deutschland gesehen wird. Siehe hierzu Kai-Uwe Hellmann: Soziologie der Marke. Frankfurt am Main 2003: Suhrkamp. S. 52. Zur Entwicklung des modernen Markenwesens siehe auch Elmar Wadle: Markenschutz für Konsumartikel. Entwicklungsstufen des modernen Markenrechts in Deutschland. In: Hannes Siegrist, Hartmut Kaelble u. Jürgen Kocka (Hg.): Europäische Konsumgeschichte. Zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Konsums (18. bis 20. Jahrhundert). Frankfurt am Main u. New York 1997: Campus Verlag. S. 649–670. 37 Vgl. Hellmann: Soziologie der Marke, S. 11. 38 Vgl. Hellmann: Soziologie des Marke, S. 52. 39 Elmar Wadle: Werden und Wandel des deutschen Markenrechts – Zum Rechtsschutz von Markenartikeln. In: Manfred Bruhn (Hg.): Die Marke. Symbolkraft eines Zeichensystems. Bern, Stuttgart u. Wien 2001: Verlag Paul Haupt. S. 75–114, hier S. 95. Das Fehlen dieses Schutzes wurde u.a. auch in der Patent- und Marken-Zeitung diskutiert, siehe H. M.: Markenschutz. In: Patentund Marken-Zeitung, 15. 01. 1890, S. 20–23, bes. S. 22. 40 Zur Entstehung des Urheberrechts für literarische Werke siehe Thomas Wegmann: Tauschverhältnisse. Zur Ökonomie des Literarischen und zum Ökonomischen in der Literatur von Gellert bis Goethe. Würzburg 2002: Königshausen & Neumann. S. 153–186. Zur Geschichte und juristischen Unterscheidung von literarischen Werken und Marken siehe Rudolf Böckenholt: Kommerz in der Kunst, Kunst im Kommerz – Zur Abgrenzung von Werk und Marke. Münster 2003: Lit Verlag. [= Juristische Schriftenreihe, Bd. 223.] 41 Jürgen Schutte u. Peter Sprengel: Einleitung. In: Dies. (Hg.): Die Berliner Moderne 1885–1914. Stuttgart 1987: Philipp Reclam jun. S. 13–94, hier S. 13.
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kurzen, zwei Jahre später in der Reihe der Litterarischen Volkshefte erschienenen Abhandlung Die jüngste deutsche Literaturströmung und das Princip der Moderne (1888) führt Wolff dazu aus, es bestehe seit 1871, also seit der Reichsgründung, Hoffnung auf eine Erneuerung der Dichtung. Wo immer diese Hoffnung gescheitert sei, habe dies einen sich wiederholenden Grund gehabt: Die Unfähigkeit der Dichter, „von der Oberfläche in die Tiefe zu dringen“.42 Entgegen zahlreichen – nicht nur Wolffs – Selbstinterpretationen der Moderne erweist sich jedoch die Aufhebung genau dieses Höhen-Tiefen-Paradigmas als das eigentlich konstitutive Moment einer Moderne, die in der Konsequenz bereit ist, sich auf die warenästhetische Wirklichkeit ihrer Zeit einzulassen.43 Literarische Aneignungen von Markenwaren eröffnen daher einen neuen, angesichts der entstehungsgeschichtlichen Koinzidenz geradezu überfälligen Zugang zur Literatur und Kultur der Moderne.44 Wie eng die Entstehung und Entwicklung der Kultur der Moderne mit derjenigen der materiellen und ökonomischen Kultur verknüpft ist, belegt – um ein besonders prägnantes Beispiel zu nennen – auf eindrucksvolle Weise etwa die Faszination für die Automarke Ford,
42 Eugen Wolff: Die jüngste deutsche Literaturströmung und das Princip der Moderne. Berlin 1888: Richard Eckstein Nachfolger (Hammer & Runge). S. 9. [= Literarische Volkshefte, Nr. 5.] 43 Ein solches Einlassen auf die Gegebenheiten der modernen Welt fordert Wolff, wenn er mit Blick auf Georg Brandes fragt: „[S]ollte die unser ganzes äußere Leben umgestaltende Bewerthung der Dampfkraft und Elektrizität ohne Einfluß auf unser g e i s t i g e s Leben, auf unsere Dichtung sein?“ Wolff: Die jüngste deutsche Literaturströmung und das Princip der Moderne, S. 18. 44 An Geschichten der Moderne herrscht freilich kein Mangel: Neben Hartmut Böhmes Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne erschienen allein in den vergangenen zehn Jahren zahlreiche Studien zur Moderne, darunter Arbeiten wie diejenigen von Johannes Roskothen und Walter Erhart, die einen Schlüssel zur Moderne im Verkehr oder in einer Krise der Männlichkeit entdecken (Johannes Roskothen: Verkehr. Zu einer poetischen Theorie der Moderne. München 2003: Wilhelm Fink. Walter Erhart: Familienmänner. Über den literarischen Ursprung moderner Männlichkeit. München 2001: Wilhelm Fink Verlag. Bes. das Kapitel 1. Familien-Männer. Eine Geschichte der Moderne, S. 23–122.). Jonathan Crary hat die Bedeutung der Aufmerksamkeit für das Verständnis der Moderne hervorgehoben (Jonathan Crary: Suspensions of Perception. Attention, Spectacle, and Modern Culture. Massachusetts 2001 (1999): MIT Press.). Julia Bertschik hat den Zusammenhang von Mode und Moderne materialreich dargelegt (Julia Bertschik: Mode und Moderne. Kleidung als Spiegel des Zeitgeistes in der deutschsprachigen Literatur (1770–1945). Köln, Weimar u. Wien 2005: Böhlau.). Die Diversizität an Zugängen zur Moderne, von der allein schon diese Studien stellvertretend für eine Reihe weiterer zeugen, ist weder einer methodischen oder thematischen Beliebigkeit geschuldet, noch beruht sie auf Vereinnahmungen der Moderne durch die turns der Literatur- und Kulturwissenschaften, sondern sie entspricht den vielfältigen Umwälzungen, welche die Moderne in den Bereichen der Alltagsund Dingkultur, in den menschlichen Beziehungen, in der Infrastruktur und in vielen weiteren Bereichen mit sich gebracht hat. So gibt es in dieser Arbeit wiederholte Berührungspunkte zwischen dem Markenwesen und diesen Aspekten der Moderne.
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die in den 1920er Jahren den gleichermaßen von Ökonomen wie von Literaten geführten Diskurs des ‚Fordismus‘ begründet45: Ob Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Heinrich Hauser, der ‚rasende Reporter‘ Egon Erwin Kisch oder Erika Mann46, sie alle haben Ford auf die eine oder andere Weise literarisiert oder/und beworben. Woher also rührt die trotz Beispielen wie diesem so verbreitete Auffassung, erst mit der Popliteratur der 1990er Jahre seien Markennamen in die Literatur gekommen? Zwei Aspekte mögen hierfür von besonderer Bedeutung gewesen sein, ein literarästhetischer und ein kultursoziologischer. So ist es erstens eine literarästhetisch tradierte Auffassung von Dichtung, die in der Nachfolge des Deutschen Idealismus und seiner Autonomieästhetik noch immer daran festhält, der Künstler habe sich „vor den Verderbnissen seiner Zeit, die ihn von allen Seiten umfangen“47 zu verwahren, wie Friedrich Schiller programmatisch in den Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) fordert. Wenngleich die damit einhergehende Trennung von Kunst und Leben, wie sie vom Deutschen Idealismus proklamiert wurde, bereits um 1900 programmatisch vom Jugendstil aufgehoben wird, wirkt der idealistische Anspruch bis weit in das 20. Jahrhundert nach. Unter diesem Vorzeichen erscheinen Realia, die eine Verbindung zwischen dem literarischen Text und der Lebenswirklichkeit seiner Zeit herstellen könnten, als ‚leidige Tatsachen‘, wie Bernd W. Seiler in seiner gleichnamigen Studie dargelegt hat.48 Die poetologischen Konsequenzen dieser Auffassung finden ihren Nachhall in den literaturwissenschaftlichen Bestimmungsversuchen der Litera-
45 Zum Fordismus siehe Helmut Lethen: Neue Sachlichkeit 1924–1932. Studien zur Literatur des „Weißen Sozialismus“. Stuttgart 21975: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung. Bes. S. 20–25. Zum Fordismus in Amerika-Reportagen der 1920er Jahre siehe Erhard Schütz: Kritik der literarischen Reportage. Reportagen und Reiseberichte aus der Weimarer Republik über die USA und die Sowjetunion. München 1977: Wilhelm Fink. Bes S. 38–75. 46 Zu Erika Manns Engagement für Ford und die Hauszeitschrift Ford im Bild siehe die Neuedition dieser lange Zeit vergessenen Texte: Björn Weyand: „Launige Schilderungen der Erlebnisse mit dem getreuen Ford“. Vier Texte Erika Manns für die Zeitschrift Ford im Bild. Dokumentation und Kommentar. In: Berliner Hefte zur Geschichte des literarischen Lebens 5, 2003, S. 130–147. Sowie Thomas Wegmann: Dichtung und Warenzeichen. Reklame im literarischen Feld 1850–2000. Göttingen 2011: Wallstein. S. 171–174. 47 Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen [1795]. In: Ders.: Sämtliche Werke. Hg. von Peter-André Alt, Albert Meier u. Wolfgang Riedel. Bd. V: Erzählungen, Theoretische Schriften. Hg. von Wolfgang Riedel. München 2004: Deutscher Taschenbuch Verlag. S. 570–669, hier S. 594 [Neunter Brief.]. 48 Bernd W. Seiler: Die leidigen Tatsachen. Von den Grenzen der Wahrscheinlichkeit in der deutschen Literatur seit dem 18. Jahrhundert. Stuttgart 1983: Klett-Cotta. Seilers Studie ist die erste überhaupt, die sich, noch vor der Popliteratur, zumindest in einem Kapitel mit Markennamen in der Literatur beschäftigt hat, siehe S. 260–303.
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tur von Roman Ingarden bis Käthe Hamburger und noch darüber hinaus. In seinen 1955 erschienenen Bauformen des Erzählens schreibt Eberhard Lämmert: Es macht geradezu das Wesen des Dichterischen aus, daß alle benutzten Realien ihres transliterarischen Bezugssystems entkleidet werden und innerhalb der fiktiven Wirklichkeit der Dichtung neuen Stellenwert und eine neue, begrenzte Funktion erhalten. Deshalb kann jede Geschichte einer Erzählung grundsätzlich aus sich selbst heraus verstanden werden.49
Wenn Lämmerts Wesensbestimmung des ‚Dichterischen‘ zufolge jedes Werk ‚aus sich selbst heraus‘ verstanden werden kann, begrenzt dies nicht nur die eigene Semantik der Dinge, die mit dem modernen Markenwesen eine immense Steigerung erfährt.50 Darüber hinaus wirft die erklärte Irrelevanz des Trans- oder Außerliterarischen die Frage auf, wie Verstehen außerhalb paradigmatischer Zusammenhänge – außerhalb der Kultur – überhaupt möglich sein sollte? Die Literatur hat sich in viel stärkerem Maße diesen außerliterarischen Wirklichkeiten geöffnet, als die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung dies lange Zeit wahrhaben wollte. Dies hat neben den literarästhetischen Nachwirkungen des Idealismus auf die literaturwissenschaftlichen Reflexionen des ‚Dichterischen‘, zweitens, einen kultursoziologischen Grund. Die Distanznahme der Literaturwissenschaften gegenüber den literarischen Aneignungen von Markenprodukten entspricht einer umfassenderen, von Pierre Bourdieu in La distinction (1979) beschriebenen „Verschmähung alles Oberflächlichen“51, ja einem Ekel vor allem, was als ‚oberflächlich‘ verdächtigt werden könnte: Auf die Gefahr hin, scheinbar den vom „reinen Geschmack“ gebrandmarkten „leichten“, sprich „oberflächlichen Effekten“ anheimzufallen, könnte gezeigt werden, daß die gesamte Sprache der Ästhetik in einer fundamentalen Ablehnung des Leichten befangen ist, dies Wort in allen ihm von der bürgerlichen Ethik und Ästhetik beigelegten Konnotationen verstanden, daß der „reine Geschmack“, seinem Wesen nach rein negativ, auf einem physischen Widerwillen, auf Ekel (es „macht krank“, „verursacht Brechreiz“) gegenüber allem „Leichten“, „Oberflächlichen“, „Umgänglichen“ in Musik und Schreibweise, aber auch
49 Eberhard Lämmert: Bauformen des Erzählens. Stuttgart 1955: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung. S. 27. 50 „[I]n unserer Gesellschaft“, hält Roland Barthes diesbezüglich fest, „ist kein einziges Objekt frei von einem gewissen Funktionszusatz, einer leichten Emphase, die bedingt, daß die Objekte zumindest immer sich selbst bedeuten“. Roland Barthes: Semantik des Objekts. In: Ders.: Das semiologische Abenteuer. Frankfurt am Main 1988: Suhrkamp. S. 187–198, hier S. 190f. Herv. B. W. 51 Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Übersetzt von Bernd Schwibs u. Achim Russer. Frankfurt am Main 1982: Suhrkamp. S. 399.
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„Leichtfertigen“ in bezug etwa auf die Sitten einer Frau beruht. Die Ablehnung alles Leichten im Sinne von „einfach“, „ohne Tiefe“, „oberflächlich“ und „billig“ deshalb, weil seine Entzifferung mühelos geschieht, von der Bildung her wenig „kostet“, führt ganz natürlich zur Ablehnung alles im ethischen oder ästhetischen Sinn Leichten, was unmittelbar zugängliche und deshalb „infantil“ oder „primitiv“ verschriene Freuden bietet (im Unterschied zu den aufgeschobenen Vergnügen legitimer Kunst).52
Dieser Ekel vor der ‚Konsumierbarkeit‘ trifft Markenwaren, die wichtigsten Objekte der Konsumkultur, gleichermaßen wie die Popliteratur. Denn genau diese ‚leichte Zugänglichkeit‘ war es, die der Popliteratur einen Teil ihrer Kritik eingebracht hat, ungeachtet der Tatsache, dass sich Lesbarkeit und semiologische Komplexität keineswegs ausschließen müssen.53 Indem die Zugänglichkeit allerdings in entscheidender Weise aus der Nennung von Markennamen, also über den Gegenstand der Darstellung mehr als über die Verfahren hergeleitet wird, trifft sich die Kritik an der Popliteratur mit dem, was Bourdieu als den ‚barbarischen Geschmack‘ bezeichnet, demzufolge ein Werk „nur dann umfassend gerechtfertigt [erscheint] (unabhängig davon, wie adäquat es seine Darstellungsfunktion erfüllt), wenn das Dargestellte dies auch verdient, wenn die Darstellungsfunktion einer höheren untergeordnet bleibt, nämlich: ein Stück Wirklichkeit, das würdig ist, verewigt zu werden, dadurch zu glorifizieren, daß man es festhält“.54 Die Oberfläche als derjenige Ort, „der die geringsten Verfestigungen auf[weist]“55, steht solchen Verewigungsnobilitierungen diametral entgegen. Wo die Trennung von Kunst und den flüchtigen (inzwischen aber in Museen für Angewandte Kunst längst musealisierten und valorisierten) Dingen des Lebens nicht vollzogen wird, entsteht daher der Verdacht des Oberflächlichen.56 Unter den in dieser Arbeit verhandelten Prosatexten finden sich mit Thomas Manns
52 Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. 757. Erste Herv. B. W., die weiteren Herv. im Orig. 53 Hans-Peter Kunisch stellte 2001 anläßlich der Leipziger Buchmesse unter dem bezeichnenden Titel Von der Wiederkehr der Literatur fest: „Das jungdeutsche Erzählbächlein plätschert mittlerweile derart vielstimmig, gleichwohl oft unbedarft, aus dem Beziehungs- und NutellaAlltag heraus, daß […] eine Sehnsucht nach Qualität erwacht ist.“ Hans-Peter Kunisch: Die Ansprüche steigen. Von der Wiederkehr der Literatur auf der Leipziger Buchmesse. In: Süddeutsche Zeitung, 26. 03. 2001. 54 Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. 85. 55 Siegfried Kracauer: Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit. In: Ders.: Schriften, Bd. 8, S. 165, hier zit. nach Roskothen: Verkehr, S. 74. 56 „Alles spricht dafür, daß ‚populäre Ästhetik‘ sich darauf gründet, zwischen Kunst und Leben einen Zusammenhang zu behaupten […], oder, anders gesagt, auf der Weigerung, jene Verweigerungshaltung mitzuvollziehen, die aller theoretisch entfalteten Ästhetik zugrundeliegt, d.h. die schroffe Trennung zwischen gewöhnlicher Alltagseinstellung und genuin ästhetischer Einstellung.“ Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. 64.
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Zauberberg und insbesondere mit Wolfgang Koeppens Tauben im Gras indes zwei Romane, deren schwierige Zugänglichkeit seit ihrem Erscheinen thematisiert wurde. Dass sie sich nach den von Bourdieu beschriebenen Kriterien kultureller Distinktion mühelos der ‚legitimen‘ Kunst zurechnen lassen, mag den Grund liefern, weshalb bislang von der Literaturwissenschaft übersehen wurde, dass auch sie Markenprodukte benennen und sich in dieser Hinsicht der Trennung von Kunst und Lebenswirklichkeit verweigern. Der Begriff des Dichterischen, wie ihn Lämmert entwickelt hat, wurde somit auf sie übertragen, obwohl sich die Texte selbst bereits davon, ungeachtet anderslautender Äußerungen ihrer Autoren, emanzipiert hatten. Gemeinsam haben der Begriff des Dichterischen und der Ekel vor dem Oberflächlichen somit einen lange Zeit gut funktionierenden kulturellen Ausblendungsmechanismus gegenüber literarischen Aneignungen von Markenwaren erzeugt, der noch zusätzlich durch Wolfgang Fritz Haugs wirkmächtige Studie Kritik der Warenästhetik (1971) bestärkt worden sein dürfte,57 stellte sich doch nach Haug Warenästhetik als ein Parasit der Hochkultur dar,58 der zudem stets dem Verdacht des Faschismus ausgesetzt war.59 Dass der Ekel vor allem, was mit Oberfläche zu tun hat, am stärksten mit dem Feld der Kultur kollidiert, liefert eine mögliche Erklärung, warum sich die Literaturwissenschaften im Gegensatz zu anderen Disziplinen so nachhaltig distanziert gegenüber dem Feld der Warenästhetik verhalten. Während etwa die Kulturwissenschaften und die Ethnologie, die Soziologie, die Geschichtswissenschaften, die Sprachwissenschaften, aber auch
57 Wolfgang Fritz Haug: Kritik der Warenästhetik. Frankfurt am Main 1971: Suhrkamp. Zu einer Kritik an Haugs Argumentation siehe den Abschnitt 4.5. Tauben auf dem Markusplatz – Abschied von der ‚Kritik der Warenästhetik‘ in Kapitel 4 dieser Arbeit. Zur breiten Diskussion, die die Kritik der Warenästhetik nach sich gezogen hat, siehe Wolfgang Fritz Haug (Hg.): Warenästhetik. Beiträge zur Diskussion, Weiterentwicklung und Vermittlung ihrer Kritik. Frankfurt am Main 1975: Suhrkamp. Der Kritik der Warenästhetik folgte 1972 die Aufsatzsammlung: Ders.: Warenästhetik, Sexualität und Herrschaft. Gesammelte Aufsätze. Frankfurt am Main 1972: Fischer Taschenbuch Verlag. 1980 erschien der Band: Ders.: Warenästhetik und kapitalistische Massenkultur (I). „Werbung“ und „Konsum“. Systematische Einführung in die Warenästhetik. Berlin 1980: Argument-Verlag. 2009 erschien die überarbeitete und erweiterte Neuausgabe: Ders.: Kritik der Warenästhetik. Überarbeitete Neuausgabe. Gefolgt von Warenästhetik im High-Tech-Kapitalismus. Frankfurt am Main 2009: Suhrkamp. 58 Zur Figur des Parasiten im Diskurs um Reklame siehe Wegmann: Dichtung und Warenzeichen, S. 506–517. 59 Haug spricht etwa von der ‚Schicksalsgemeinschaft‘ der Konsumenten. Zu einer Kritik daran siehe Björn Weyand: Von Hitler bis zum iPod. Grundzüge einer Kulturpoetik der Faszination im 20. und 21. Jahrhundert. In: Ders.u. Andy Hahnemann (Hg.): Faszination. Historische Konjunkturen und heuristische Tragweite eines Begriffs. Frankfurt am Main, Berlin, u.a. 2009: Peter Lang. S. 193–211, bes. S. 208f.
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die Kunstgeschichte sich bereits seit längerem mit Konsum, seinen kulturellen Auswirkungen und seiner gesellschaftlichen Tragweite beschäftigen,60 blieb es in den Literaturwissenschaften neben den erwähnten Arbeiten von Seiler und Baßler sowie der materialreichen und als erste ausschließlich am Verhältnis von Warenästhetik, d. i. hier insbesondere Reklame, und Literatur interessierten Studie Dichtung und Warenzeichen61 von Thomas Wegmann weitgehend bei verstreuten Aufsatzpublikationen etwa zu Liebigs Suppenwürfeln in Adalbert Stifters Novelle Abdias (1842)62, zu Odol in Robert Walsers Prosaminiatur Na also (1917)63, zu LeitzOrdnern in Günter Eichs Vierzeiler Büro (1949)64, zu Ingeborg Bachmanns Gedicht Reklame (1956) im Kontext der Markteinführung von ARAL bleifrei-Benzin65 oder
60 Zur Ethnologie und den Kulturwissenschaften siehe Kohl: Die Macht der Dinge. Hahn: Materielle Kultur. Gudrun M. König: Konsumkultur. Inszenierte Warenwelt um 1900. Wien, Köln u. Weimar 2009: Böhlau. Zur Soziologie siehe Eva Illouz: Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus. Frankfurt am Main 2007: Suhrkamp. Hellmann: Soziologie der Marke. Zu den Geschichtswissenschaften siehe Heinz-Gerhard Haupt: Konsum und Handel. Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen 2003: Vandenhoeck & Ruprecht. Siegrist, Kaelble u. Kocka (Hg.): Europäische Konsumgeschichte. Rainer Gries: Produkte als Medien. Kulturgeschichte der Produktkommunikation in der Bundesrepublik und der DDR. Leipzig 2003: Leipziger Universitätsverlag. Zu den Sprachwissenschaften siehe Christoph Platen: „Ökonymie“. Zur Produktnamen-Linguistik im Europäischen Binnenmarkt. Tübingen 1997: Max Niemeyer. Sowie die Beiträge von Bernhard Sowinski: Markenartikel in der sprachwissenschaftlichen Literatur, sowie Kai-Uwe Stoll: Linguistische Erkenntnisse über sprachliche Ähnlichkeit und Verwechselbarkeit von Markennamen. In: Bruhn (Hg.): Die Marke, S. 115–133 u. 135–157. Zur Kunstgeschichte siehe Wolfgang Ullrich: Die Geschichte der Unschärfe. Berlin 22003 (2002): Wagenbach. Bes. S. 118–128. Zur Reklame als Kunst siehe Henriette Väth-Hinz: Odol. ReklameKunst um 1900. Gießen 1985: Anabas-Verlag. [= Werkbund-Archiv, Bd. 14.]. Zu künstlerischen Aneignungen von Marken bei Andy Warhol siehe Arthur C. Danto: Beyond the Brillo Box. The Visual Arts in Post-Historical Perspective. Berkeley, Los Angeles u. London 1992: University of California Press. Zu künstlerischen Auseinandersetzungen mit Markenprodukten und Markenkommunikation siehe Jeannette Neustadt: Ökonomische Ästhetik und Markenkult. Reflexionen über das Phänomen Marke in der Gegenwartskunst. Bielefeld 2011: Transcript. 61 Wegmann: Dichtung und Warenzeichen. 62 Monika Ritzer: Von Suppenwürfeln, Induktionsstrom und der Äquivalenz der Kräfte. Zum Kulturwert der Naturwissenschaft am Beispiel von Adalbert Stifters Novelle Abdias. In: KulturPoetik 2 (2002) 1, S. 44–67. 63 Peter Utz: „Odol“ und andere literarische Quellen – am Beispiel von Robert Walsers Prosastück Na also. In: Stéphanie Cudré-Mauroux, Annetta Ganzoni u. Corinna Jäger-Trees (Hg.): Vom Umgang mit literarischen Quellen. Internationales Kolloquium vom 17.–19. Oktober 2001 in Bern/ Schweiz. Genf u. Bern 2002: Éditions Slatkine – Archives littéraires suisses. S. 159–181. 64 Jörg Döring: Naturmagie mit Markenartikel. Büro – ein unbekanntes Gedicht von Günter Eich. In: Berliner Hefte zur Geschichte des literarischen Lebens (2005) H. 7, S. 125–130. 65 Georg Stanitzek: Werbung. In: Oliver Simons u. Elisabeth Wagner (Hg.): Bachmanns Medien. Berlin 2008: Vorwerk 8. S. 132–147.
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Publikationen zur Werbetätigkeit von Schriftstellern wie Frank Wedekinds Reklamen für Maggi66 sowie den Reklame-Engagements von Erich Kästner, Joachim Ringelnatz, Bertolt Brecht und Anderen.67 Diese Abstinenz der Literaturwissenschaften ist umso erstaunlicher, als in der Forschung der vergangenen Jahre dem Verhältnis von Literatur und Ökonomie große Aufmerksamkeit zuteil wurde, wie insbesondere die Studien Kopf oder Zahl (1996)68 von Jochen Hörisch, Kalkül und Leidenschaft (2002)69 von Joseph Vogl und Der homo oeconomicus und sein Kredit (2004)70 von Bernd Blaschke sowie eine Reihe von Sammelbänden belegen.71 Somit erweist sich ausgerechnet derjenige Aspekt der modernen Ökonomie als am wenigsten beachtet, der selbst Anspruch auf ästhetische Qualität erhebt: die Waren, deren ästhetische Aspekte mit der kapitalistischen Massenproduktion seit dem 19. Jahrhundert zu einem eigenständigen Wert werden, durch den sie sich vom bloßen ‚Gebrauchswert‘ immer weiter emanzipieren. Damit setzt eine Entwicklung zur ‚ästhetischen Ökonomie‘72 (Gernot Böhme) ein, die zu einer immensen ökonomischen Aufwertung und alltagskulturellen Verbreitung von Oberflächen führt.73 Welches gesellschaftliche Interesse diese warenästhetischen Phänomene auf sich ziehen, belegt eine inzwischen stattliche Anzahl von Ausstellungen und Sachbüchern zu den Themen Reklame, Konsumkultur und Markenprodukten.74
66 Hartmut Vinçon (Hg.): Frank Wedekinds Maggi-Zeit. Reklamen / Reiseberichte / Briefe. Mit einem Essay von Rolf Kieser. Darmstadt 21995: Häusser. 67 Robert Kuhn: Wenn Dichter texten … Hamburg 1996: Gruner+Jahr. [= Die Stern Bibliothek.]. Auf seine poetischen Aspekte und ‚poetogenen Strukturen‘ hin reflektiert wird das Verhältnis von Dichtung und Reklame bei Urs Meyer: Poetik der Werbung. Berlin 2010: Erich Schmidt Verlag. [= Allgemeine Literaturwissenschaft – Wuppertaler Schriften, Bd. 13.] 68 Jochen Hörisch: Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes. Frankfurt am Main 1996: Suhrkamp. 69 Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. Zürich u. Berlin 22004: Diaphanes. [München 2002: Sequenzia.] 70 Bernd Blaschke: Der homo oeconomicus und sein Kredit bei Musil, Joyce, Svevo, Unamuno und Céline. München 2004: Wilhelm Fink Verlag. Siehe dort auch für einen ausführlichen Forschungsüberblick das Kapitel Inventur vorliegender Forschungen zu Ökonomie und Literatur, S. 37–105. 71 Siehe hierfür exemplarisch Wegmann (Hg.): Markt. Literarisch. Sowie Georg Mein u. Franziska Schößler (Hg.): Tauschprozesse. Kulturwissenschaftliche Verhandlungen des Ökonomischen. Bielefeld 2005: Transcript. 72 Gernot Böhme: Der Glanz des Materials. Zur Kritik der ästhetischen Ökonomie. In: Ders.: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt am Main 1995: Suhrkamp. S. 49–65. 73 Vgl. Böhme: Der Glanz des Materials, bes. S. 57–59. Zur zunehmenden Ästhetisierung der Alltagswirklichkeit siehe auch Wolfgang Welsch: Grenzgänge der Ästhetik. Stuttgart 1996: Philipp Reclam jun. 74 Zu den wichtigsten Ausstellungen zum Thema zählen die in den folgenden Katalogen dokumentierten: Max Hollein u. Christoph Grunenberg (Hg.): Shopping. 100 Jahre Kunst und Konsum. Ostfildern 2002: Hatje Cantz. Jörg Meißner (Hg.): Strategien der Werbekunst von 1850–1933.
„Once you ‚got‘ Pop …“
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Die vorliegende Arbeit setzt angesichts der Relevanz von Oberflächen in der Moderne75 dem von Bourdieu diagnostizierten Ekel Siegfried Kracauers viel zitiertes Diktum aus dem Ornament der Masse (1927) entgegen: „Der Ort, den eine Epoche im Geschichtsprozeß einnimmt, ist aus der Analyse ihrer unscheinbaren Oberflächenäußerungen schlagender zu bestimmen als aus den Urteilen der Epoche über sich selbst“.76 Diese Einsicht wird noch einmal dahingehend modifiziert, dass die folgenden Analysen sich mit den literarischen Aneignungen dieser Oberflächenerscheinungen beschäftigen. Dabei werden Phänomene der Warenästhetik nicht nur auf thematischer Ebene virulent – literarische Aneignungen von Markenwaren lassen sich trotz ihres „Realitätseffekts“77 nicht auf einen bloßen „Produkt-Realismus“78 reduzieren, wie ihn etwa die Neue Zürcher Zeitung Krachts Debüt Faserland attestierte. Bei den Popliteraten handelt es sich „nicht einfach um Aussteller von ‚Realitätsvokabeln‘“.79 Vielmehr eröffnen die Aneignungs- und
Berlin 2004: Deutsches Historisches Museum. Kai Buchholz u. Klaus Wolbert (Hg.): Im Designerpark. Leben in künstlichen Welten. Darmstadt 2004: Häusser.media Verlag. Unter den Sachbüchern zur Warenästhetik sind insbesondere hervorzuheben: Wolfgang Ullrich: Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur? Frankfurt am Main 2006: S. Fischer. Robert Misik: Das KultBuch. Glanz und Elend der Kommerzkultur. Berlin 2007: Aufbau. Hinzu kommen Sachbücher, die anhand von Konsumprodukten ökonomische Zusammenhänge erklären, so besonders Pietra Rivoli: Reisebericht eines T-Shirts. Ein Alltagsprodukt erklärt die Weltwirtschaft. Berlin 2006: Ullstein. Érik Orsenna: Weiße Plantagen. Eine Reise durch unsere globalisierte Welt. München 2009: Deutscher Taschenbuch Verlag. Sowie der Klassiker der jüngeren Konsumkritik von Naomi Klein: No Logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht. Ein Spiel mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern. München 2005: Wilhelm Goldmann Verlag. Außerdem eine Reihe weiterer konsumkritischer Bücher wie Benjamin R. Barber: Consumed. How Markets Corrupt Children, Infantilize Adults, and Swallow Citizens Whole. New York u. London 2007: W. W. Norton. Neil Boorman: Good Bye, Logo. Wie ich lernte, ohne Marken zu leben. Berlin 2007: Econ. Stefan Kuzmany: Gute Marken, böse Marken. Konsumieren lernen, aber richtig! Frankfurt am Main 2007: Fischer Taschenbuch Verlag. 75 Zur kulturellen Relevanz der Oberfläche in, aber auch vor der Moderne siehe auch Isabelle Stauffer: Oberfläche. In: Stephan Günzel (Hg.): Lexikon der Raumphilosophie. Unter Mitarbeit von Franziska Kümmerling. Darmstadt 2012: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. S. 282. 76 Siegfried Kracauer: Das Ornament der Masse. [Erstdruck: Frankfurter Zeitung, 09. 06. 1927 u. 10. 06. 1927] In: Ders.: Das Ornament der Masse. Essays. Mit einem Nachwort von Karsten Witte. Frankfurt am Main 1977: Suhrkamp. S. 50–63, hier S. 50. 77 Vgl. Roland Barthes: L’effet de réel. In: Ders., Leo Bersani, Philippe Hamon, Michael Riffaterre u. Ian Watt: Littérature et réalité. Paris 1982: Éditions du Seuil. S. 81–90. 78 Michael Schmitt: Produkt-Realismus. Christian Krachts Début ‚Faserland‘. In: Neue Zürcher Zeitung, 05. 03. 1995. 79 Erhard Schütz: Marken, Werte und Manieren. Wertverhältnisse zwischen deutschen und ungarischen Romanen im gegenwärtigen deutschen Literaturmarkt. In: Michael Braun, Birgit Lermen, Lars Peter Schmidt u. Klaus Weigelt (Hg.): Europa im Wandel. Literatur, Werte und Euro-
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Austauschprozesse zwischen Literatur und Warenästhetik – so die zentrale These dieser Arbeit – neue poetologische Spielräume. Das setzt voraus, eine für kulturund konsumkritische Perspektiven auf das Thema Warenästhetik grundlegende Annahme zu verabschieden, derzufolge Warenästhetik als kapitalistische Ausbeutung der ‚wahren‘ Ästhetik erscheint.80 Gegenüber diesem einseitig gedachten Verhältnis von Warenästhetik und den ästhetischen Formen und Positionen der Künste macht sich die Arbeit die durch den New Historicism und den New Economic Criticism dargelegte Überzeugung zu eigen, dass die Wechselbeziehungen zwischen Literatur und Warenästhetik als vielfältige und wechselseitige gedacht werden müssen.81 Erst dann tritt hervor, dass Warenästhetik im Allgemeinen und Markenprodukte im Besonderen einen kulturellen Aspekt der Moderne darstellen, der von kulturpoetologischer Tragweite ist. Der Berliner Soziologe Georg Simmel, der französische Semiologe Roland Barthes und der amerikanische Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt haben – auf sehr unterschiedliche Weise und zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten innerhalb der Geschichte der modernen Konsumkultur – die kulturelle und ästhetische Bedeutung der Waren reflektiert. Auf ihren Spuren wird im Folgenden das kultur- und literaturwissenschaftliche Interesse an der Ästhetik der Waren entfaltet und der methodische Ansatz der vorliegenden Arbeit, der auf Semiologie und Kulturpoetik gründet, entwickelt.
päische Identität (III). Sankt Augustin 2006: Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. S. 207–228, hier S. 221. 80 Siehe zu einer Kritik an dieser Auffassung, wie sie insbesondere durch Haugs Kritik der Warenästhetik vertreten wurde, auch den Abschnitt 1.4. Der Umhang von ‚Gerson‘ und die kulturpoetische Funktion in Kapitel 1 dieser Arbeit. 81 Siehe exemplarisch für den New Historicism und sein Interesse an Austauschprozessen: Stephen Greenblatt: Grundzüge einer Poetik der Kultur. In: Ders.: Schmutzige Riten. Betrachtungen zwischen Weltbildern. Frankfurt am Main 1995: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 107–122. Sowie Ders.: Die Zirkulation sozialer Energie. Einleitung zu Ders.: Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen Renaissance. Frankfurt am Main 1993: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 9–33. Zum New Economic Criticism siehe den Band von Martha Woodmansee u. Mark Osteen (Hg.): The New Economic Criticism. Studies at the intersection of literature an economics. London u. New York 1999: Routledge.
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2 Semiologische und kulturpoetologische Abenteuer: Simmel, Barthes und Greenblatt erkunden die Welt der Warenästhetik 2.1 Die Begründung eines kulturwissenschaftlichen Interesses an der Ästhetik der Waren: Georg Simmel besucht die Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896 Am 1. Mai des Jahres 1896 eröffnet auf dem Gelände des Treptower Parks in Berlin die Berliner Gewerbe-Ausstellung, eine Ausstellung, die eigentlich eine Weltausstellung hatte werden sollen, schließlich aber aufgrund mangelnder Unterstützung der Reichsregierung als Ausstellung der deutschen und insbesondere der Berliner Industrie realisiert wird.82 Auf einem Areal von 1100000 m2 präsentieren rund 4000 Berliner Unternehmen, darunter die AEG, der Pianoproduzent C. Bechstein, der Zigarrenhersteller Loeser & Wolf – titelgebend für Walter Kempowskis Roman Tadellöser & Wolf (1971)83 –, Borsig und Agfa,84 sich und ihre Erzeugnisse. Mehr als sieben Millionen Zuschauer zieht die Ausstellung trotz eines verregneten Sommers bis zu ihrer Schließung am 15. Oktober an.85 Mit an die 700 nachgewiesenen Zeitschriften- und Zeitungsartikeln stellt sie zugleich ein mediales Großereignis des Wilhelminischen Kaiserreichs dar,86 zu dem auch Literarisierungen wie Julius Stindes Roman Hôtel Buchholz (1896/97) aus der erfolgreichen Romanserie um die Berliner Kleinbürgerin Wilhelmine Buchholz und ihre Familie zählt.87 Der Erfolg der Ausstellung liegt zu einem erheblichen Teil in ihrer architektonischen Konzeption begründet, auf die an späterer Stelle noch ausführlicher zurückzukommen sein wird: Sie führte die Besucher nicht nur zu aufwendigen Repräsentationsbauten von Unternehmen wie Sarotti, Feinkost Hefter, dem Adlon,
82 Zu den Plänen einer Weltausstellung und zur Realisierung der Berliner Gewerbe-Ausstellung siehe Erhard Crome: Berliner Gewerbeausstellung 1896. Betrachtung eines Jahrhundertstücks. In: Bezirksamt Treptow von Berlin (Hg.): Die verhinderte Weltausstellung. Beiträge zur Berliner Gewerbeausstellung 1896. Berlin 1996: Berliner Debatte Wissenschaftsverlag. S. 11–27. Zur Berliner Industrie auf der Gewerbe-Ausstellung siehe Uwe Müller u. Frank Zschaler: Weltstadt von Industrie und Gewerbe. Die Berliner Wirtschaft und die Gewerbeausstellung von 1896. In: Die verhinderte Weltausstellung, S. 29–47. 83 Walter Kempowski: Tadellöser & Wolf. Ein bürgerlicher Roman. München 1971: Carl Hanser. 84 Zu den ausstellenden Unternehmen siehe Annemarie Lange: Das Wilhelminische Berlin. Zwischen Jahrhundertwende und Novemberrevolution. Berlin (DDR) 1988: Dietz Verlag. S. 39f. 85 Crome: Berliner Gewerbeausstellung 1896, S. 11. 86 Vgl. König: Konsumkultur, S. 172. 87 [Julius Stinde]: Hôtel Buchholz. Ausstellungs-Erlebnisse der Frau Wilhelmine Buchholz. Herausgegeben von Julius Stinde. Berlin 1897: Verlag von Freund & Jeckel. Der Roman geht hervor aus den ausstellungsbegleitenden Berichten Stindes für die bei Scherl erscheinenden Officiellen Ausstellungsnachrichten.
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Siemens & Halske oder dem Berliner Lokal-Anzeiger, sondern ließ sie durch ganz unterschiedliche Welten wandeln wie ein nachgebautes ‚Kairo‘ samt CheopsPyramide oder ein rekonstruiertes ‚Alt-Berlin‘, das dem Berlin aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs nachempfunden war.88 Regelmäßige Aufführungen steigerten den Erlebniswert dieser Architektur wie der Ausstellung insgesamt und bereiteten mit ihrer „Mischung von Blödsinn, Ungeschmack, Ruppsackigkeit und – glücklichem Ulk“ auch dem sechsundsiebzigjährigen Fontane „den größten Spaß“, wie er in einem Brief an seine Frau Emilie im Oktober 1896, wenige Tage vor Ende der Ausstellung, schreibt.89 Dass die Berliner Gewerbe-Ausstellung somit neben allen gewerblichen, erzieherischen und ideologischen Interessen90 vor allem als eine Vergnügungsveranstaltung für die sich formierende ‚Erlebnisgesellschaft‘ (Schulze91) konzipiert war, macht eine Persiflage auf das von Ludwig Sütterlin entworfene Ausstellungsplakat deutlich, die während der Ausstellung als Postkarte kursierte (Abb. 1–2).92 So konnte der Berliner Plakatkünstler und Karikaturist Edmund Edel, dessen Satire Berlin W. (1906) ein eigenes Kapitel in dieser Arbeit gewidmet ist,93 ebenfalls an den Erlebnis- und Unterhaltungswert, mit dem die Ausstellung in der Bevölkerung verbunden wurde, anschließen, als er im Jahr der Gewerbe-Ausstellung ein Plakat für die Varietégruppe Barrisons entwarf (Abb. 3).
88 Siehe hierzu ausführlicher den Abschnitt 5.5. Die ‚Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896‘ und die Präzession der Simulakra in Kapitel 5 dieser Arbeit. 89 Theodor Fontane: Brief an Emilie Fontane vom 10. 10. 1896. In: Ders.: Werke, Schriften und Briefe. Hg. von Walter Keitel u. Helmuth Nürnberger. Abteilung IV: Briefe. Vierter Band: 1890–1898. Hg. von Otto Drude u. Helmuth Nürnberger. München 1982: Carl Hanser Verlag. S. 599. 90 Dies betraf insbesondere die militaristischen Interessen, die in Marineschauen propagiert wurde, sowie koloniale Interessen, denen die Kolonialausstellung auf der Gewerbe-Ausstellung diente. Siehe hierzu Nana Badenberg: Zwischen Kairo und Alt-Berlin. Sommer 1896: Die deutschen Kolonien als Ware und Werbung auf der Gewerbe-Ausstellung in Treptow. In: Alexander Honold u. Klaus R. Scherpe (Hg.): Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit. Stuttgart u. Weimar 2004: Metzler. S. 190–199, bes. S. 192. Zur Kolonialausstellung siehe auch Daniela Schnitter: Zur ersten Deutschen Kolonialausstellung im Rahmen der Berliner Gewerbeausstellung 1896. In: Die verhinderte Weltausstellung, S. 115–124. Zum Konzept der sogenannten Additional-Ausstellungen, die den ökonomischen Zweck mit Belehrung und Unterhaltung verknüpfen, siehe König: Konsumkultur, S. 169. 91 Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt am Main u. New York 1992: Campus. 92 Zu Sütterlins Plakat im Kontext der sich etablierenden Plakatkunst siehe Hellmut Radermacher: Auf dem Weg zum künstlerischen Plakat. Ludwig Sütterlins Entwurf zur Berliner Gewerbeausstellung. In: Bezirksamt Treptow von Berlin (Hg.): Die verhinderte Weltausstellung, S. 97–103. 93 Siehe Kapitel 1 dieser Arbeit.
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Abb. 1: Ludwig Sütterlins Plakat für die Berliner Gewerbe-Ausstellung, 1896.
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Abb. 2: Postkarten-Persiflage auf Sütterlins Plakat.
Abb. 3: Edmund Edels Plakat für die Barrisons.
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Zu den prominenten Besuchern der Berliner Gewerbe-Ausstellung zählt neben Fontane auch der Berliner Soziologe Georg Simmel, der den Lesern der Wiener Wochenschrift Die Zeit Ende Juli über die Ausstellung berichtet. Auch Simmel setzt sich mit der Ausstellungsarchitektur auseinander. Allerdings zieht ebenso das im Innern der Ausstellungsgebäude Gezeigte kultursoziologische Reflexionen nach sich. Denn hier, wohin sich viele Besucher nur vor dem Regen flüchten,94 sieht Simmel ein gegenwärtiges Prinzip der Warenpräsentation in gesteigertem Maße verwirklicht, ein Prinzip, das „man die Schaufenster-Qualität der Dinge nennen könnte“.95 Die Zurschaustellung der Waren in den Pavillons der Berliner Gewerbe-Ausstellung, in „Riesenschmuckkästen“ (Abb. 4–5), wie Alfred Kerr so spöttisch wie fasziniert bemerkt,96 lässt Simmel die ästhetische Seite der Waren entdecken: Die Warenproduction unter der Herrschaft der freien Concurrenz und mit dem durchschnittlichen Uebergewichte des Angebots über die Nachfrage muss dazu führen, den Dingen über ihre Nützlichkeit hinaus noch eine verlockende Außenseite zu geben. Wo die Concurrenz inbezug auf Zweckmäßigkeit und innere Eigenschaften zu Ende ist – und oft genug schon vorher – muss man versuchen, durch den äußeren Reiz der Objecte, ja sogar durch die Art ihres Arrangements das Interesse der Käufer zu erregen. Dies ist der Punkt, an dem gerade aus der äußersten Steigerung des materiellen Interesses und der bittersten Concurrenznoth eine Wendung in das ästhetische Ideal erwächst. Das Bestreben, dem Nützlichen auch einen Reiz für das Auge zu geben, wie es den Orientalen und den Romanen ganz natürlich ist, entspringt bei uns aus dem Kampfe um den Abnehmer – das Anmuthigste aus dem Anmuthlosesten.97
Für Simmel stellt die Ausstellung der Waren mehr dar als eine bloße „Parade der kapitalistischen Produktion“, die der sozialkritische Beobachter Friedrich Naumann darin sieht.98 Mit der ‚Wendung in das ästhetische Ideal‘ entwirft Simmel
94 Vgl. Crome: Berliner Gewerbeausstellung 1896, S. 26. 95 Georg Simmel: Berliner Gewerbe-Ausstellung. [Erstdruck: Die Zeit. Wiener Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft, Wissenschaft und Kunst, 25. 7. 1896.] In: Ders.: Gesamtausgabe. Hg. von Otthein Rammstedt. Bd. 17: Miszellen, Glossen, Stellungnahmen, Umfrageantworten, Leserbriefe, Diskussionsbeiträge 1889–1918. Anonyme und pseudonyme Veröffentlichungen 1888–1920. Bearb. u. hg. von Klaus Christian Köhnke. Frankfurt am Main 2004: Suhrkamp. S. 33–38, hier S. 36. Zur Warenpräsentation auf Gewerbeausstellungen um 1900 siehe ausführlicher König: Konsumkultur, S. 160–188. 96 Alfred Kerr: Wo liegt Berlin? Briefe aus der Reichshauptstadt 1895–1900. Hg. von Günther Rühle. Berlin 1997: Aufbau-Verlag. S. 151. 97 Simmel: Berliner Gewerbe-Ausstellung, S. 36f. 98 Friedrich Naumann: Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896. In: Ders.: Im Reiche der Arbeit. Neue unveränderte Auflage der Ausstellungsbriefe. Berlin 1913: Verlag von Georg Reimer. S. 9–51, hier S. 45.
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Abb. 4–5: Vitrinen in den Ausstellungshallen der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896: Nahrungs- und Genussmittel (oben) und das „Tabakmuseum“ der Firma Loeser & Wolff (unten).
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nicht weniger als eine Theorie der Warenästhetik – und dies 75 Jahre bevor Wolfgang Fritz Haug diesen Begriff mit seiner Kritik der Warenästhetik prägen wird. Hatte Karl Marx 1867 im Kapital bereits darauf aufmerksam gemacht, dass mit dem Auftritt der Dinge als Waren ihr Gebrauchswert nicht mehr ihr erster Zweck ist, und aus dem damit neu entstehenden Tauschwert seine Überlegungen zum Fetischcharakter der Ware entwickelt,99 so fügt Simmel der Theorie der Ware einen entscheidenden neuen Aspekt hinzu. Marx geht es mit seiner Analyse des Warenfetischismus darum zu zeigen, dass aus den Dingen der Charakter des menschlich Gemachten verschwindet. Simmel dagegen betont gerade die kulturelle – und damit genuin menschliche – Leistung, die den Waren zu eigen ist, wenn er ihre ästhetische Beschaffenheit in den Mittelpunkt des Interesses rückt.100 Auch Simmel erkennt, dass der Gebrauchswert als einziger Maßstab zur Beurteilung und Charakterisierung einer Ware nicht mehr ausreicht. Allerdings sieht er darin weniger ein verurteilenswertes Dahinschwinden des Gebrauchswertes, sondern zeigt sich, eine „neue principielle Synthese zwischen dem äußerlichen Reiz und der sachlichen Zweckmäßigkeit der Dinge“101 konstatierend, der Kunstgewerbediskussion seiner Zeit verpflichtet.102 Das ästhetische Surplus oder „ästhetische[] Superadditum“103, welches das zur Ware gewordene Ding kennzeichnet, stellt insofern seinen Gebrauchswert nicht grundsätzlich in Frage. Es liefert vielmehr einen wichtigen Grundzug für eine Semiologie der Ware und insbesondere der Markenware – denn um solche handelt es sich zum überwiegenden Teil auch auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung –: Eine Markenware ist mehr als ein bloßer Gegenstand, nicht weil sie per se Fetischcharakter trüge (also unabhängig und entgegen ihres Gebrauchswerts ‚sexualisiert‘ würde), sondern weil
99 Vgl. den Abschnitt Der Fetischcharakter der Ware in Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. Buch I: Der Produktionsprozeß des Kapitals (1867/1890). Berlin 1972: Dietz. S. 85–98 [= Karl Marx u. Friedrich Engels: Werke, Bd. 23.]. Zu Marx’ Überlegungen zum Fetisch siehe ausführlicher den Abschnitt 2.5.2. Das Fetischkonzept von Marx in Kapitel 2 dieser Arbeit. 100 Damit geht er auch über Walter Benjamins Analyse der Weltausstellungen hinaus, der darin lediglich „Wallfahrtsstätten zum Fetisch Ware sieht“, die der „Einfühlung in den Tauschwert der Ware“ dienen. Walter Benjamin: Das Passagen-Werk. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser, unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno u. Gershom Scholem. Bd. V: Das Passagen-Werk. Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1991: Suhrkamp. S. 50 u. 267. 101 Simmel: Berliner Gewerbe-Ausstellung, S. 37. 102 Zur Bedeutung des Kunstgewerbes für die Nationalökonomie – hier mit Schwerpunkt auf den Arbeiten Werner Sombarts – siehe Klaus Lichtblau: Kulturkrise und Soziologie um die Jahrhundertwende. Zur Genealogie der Kultursoziologie in Deutschland. Frankfurt am Main 1996: Suhrkamp. S. 232–242. 103 Simmel: Berliner Gewerbe-Ausstellung, S. 37.
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sie eine spezifische ästhetische Qualität und eine „besondere Form semiotischer Dichte“104 aufweist (welche die Grundlage für einen Fetischcharakter bilden können, aber keineswegs müssen). Diese ästhetische und semiologische Beschaffenheit macht Markenprodukte zur „Elite der Dingkultur“.105 Mit dem ‚ästhetischen Superadditum‘ benennt Simmel einen Aspekt von Markenwaren, der die gesamte Markentheorie vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die jüngste Gegenwart durchzieht und der sich semiologisch als Dominanz der Sekundär-, d. i. die konnotative Funktion, über die Primär-, die denotative Funktion, beschreiben lässt. Dabei kann die sekundäre Funktion derart an Bedeutung gegenüber der primären gewinnen, dass sie „zu einer erheblichen Beeinträchtigung oder fast völligen Aufhebung der Primärfunktion führt“.106 Die Sekundärfunktion ist kein exklusives Privileg von Markenprodukten, sie ist im Gegenteil unvermeidlich, sobald Gegenstände in einer Gesellschaft existieren.107 Selbst die
104 Platen: „Ökonymie“, S. 27. 105 Ullrich: Habenwollen, S. 35. 106 Zu Primär- und Sekundärfunktion des Zeichens siehe Umberto Eco: Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte. Frankfurt am Main 1977: Suhrkamp. S. 44. 107 Das unterscheidet das semiologische Zeichen vom sprachlichen Zeichen, wie Roland Barthes an den Beispielen des Regen- und Pelzmantels darlegt: „Viele semiologische Systeme (Gegenstände, Gesten, Bilder) haben eine Ausdruckssubstanz, deren Wesen nicht in der Bedeutung liegt: häufig sind es Gebrauchsgegenstände, von der Gesellschaft für Bedeutungszwecke abgeleitet: die Kleidung dient dem Schutz, die Nahrung der Ernährung, auch wenn sie gleichzeitig der Bezeichnung dienen. Wir schlagen vor, diese semiologischen Zeichen utilitären, funktionalen Ursprungs Funktions-Zeichen zu nennen. Das Funktions-Zeichen zeugt von einer doppelten Bewegung, die es zu analysieren gilt. In einem ersten Schritt […] füllt sich die Funktion mit Sinn; diese Semantisierung ist unabwendbar: sobald es eine Gesellschaft gibt, wird jeder Gebrauch zum Zeichen dieses Gebrauchs: der Gebrauch des Regenmantels besteht darin, vor Regen zu schützen, aber dieser Gebrauch ist untrennbar mit dem Zeichen einer gewissen atmosphärischen Situation verbunden; da unsere Gesellschaft nur standardisierte, normalisierte Gegenstände erzeugt, sind diese Gegenstände zwangsläufig die Realisierung eines Modells, die Worte einer Sprache, die Substanzen einer signifikanten Form; um einen unbedeutenden Gegenstand zu finden, müßte man sich ein absolut improvisiertes Gerät vorstellen, das in nichts einem existierenden Modell ähnelt […]: eine Hypothese, die sich in gleich welcher Gesellschaft kaum realisieren läßt. Diese universelle Semantisierung des Gebrauchs ist entscheidend: sie bringt die Tatsache zum Ausdruck, daß es Reales nur gibt, wenn es intelligibel ist […]. Doch ist das Zeichen einmal konstituiert, kann diese Gesellschaft es durchaus erneut funktionalisieren und von ihm sprechen wie von einem Gebrauchsgegenstand; man wird einen Pelzmantel so behandeln, als würde er einzig dazu dienen, vor Kälte zu schützen. Diese rekurrente Funktionalisierung, die eine zweite Sprache [langage] braucht, um existieren zu können, ist keineswegs dieselbe wie die erste (im übrigen keine reale) Funktionalisierung; die Funktion die re-präsentiert wird, entspricht einer zweiten semantischen (verborgenen) Institution, die zur Ordnung der Konnotation gehört.“ Roland Barthes: Elemente der Semiologie. Frankfurt am Main 1979: Syndikat. S. 35f. [ED: Éléments de sémiologie. In: Communications (1964) H. 4.]
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Dominanz der Sekundärfunktion lässt sich, wie Umberto Eco dargelegt hat, an so alltäglichen – und längst vor der Entstehung des modernen Markenwesens existenten – Gegenständen wie etwa der Ornamentik eines Treppengeländers finden.108 Bezeichnenderweise ist sie aber aufgrund ihrer semiologischen Dichte von der Semiotik gerade an den Gegenständen der Konsumgesellschaften herausgearbeitet worden.109 Der Markentheoretiker Carl Eric Linn beschreibt diesen semiotischen Sachverhalt, wenn er das Produkt im engeren Sinne vom ‚Meta-Produkt‘, das ein Produkt als Marke auszeichnet, unterscheidet. Das Meta-Produkt ist demnach das, „was übrigbleibt, wenn man das physische Produkt entfernt“.110 Linn geht es, wie der Markentheorie insgesamt, dabei nicht nur um die Ästhetik, die sich mit einer Marke und ihrer Ausstattung verbindet, sondern überdies um „all die Deutungen, Vorstellungen, Gefühle und Vorurteile, die geweckt werden, wenn man von einem Produkt spricht oder daran denkt“.111 In einer 2004 geschalteten Kampagne für McDonald’s führt die Inszenierung solcher Gefühlswelten zum Verschwinden des Produkts als dem eigentlichen Denotat der Werbebotschaft: An seine Stelle treten Szenarien der Ausgelassenheit oder – passend zum Slogan ‚ich liebe es‘ – des Verliebtseins oder einfach des Wohlfühlens (Abb. 6). Wie wichtig gerade dieser semiotische und konnotative Überschuss für eine Marke ist, zeigt sich auch an den ökonomischen Parametern: So wird der Wert der Marke Coca-Cola – um deren Literarisierung es im Kapitel 4 dieser Untersuchung gehen wird – auf 68 Milliarden Dollar geschätzt, was den Konzernumsatz von umgerechnet 19,6 Milliarden Euro für 2002 um ein mehrfaches übertrifft.112 Entscheidend ist hierbei jedoch, dass Markenwaren damit kulturgeschichtlich aufgeladene Zeichen par excellence sind. Als Teil des kulturellen Archivs ihrer Zeit, als enzyklopädisch verankerte, d.h. nicht in Wörterbuchbedeutungen oder Gegenstandsbezeichnungen übersetzbare, sondern konnotationsreiche und mit allerlei Texten und Praktiken verbundene Alltagsobjekte verweisen sie auf die Gegenwart, der sie entstammen.113 Literatur, die Markennamen und ihre Konnotationen
108 Vgl. Eco: Zeichen, S. 43f. 109 Siehe etwa Baudrillard: Le système des objets. 110 Carl Eric Linn: Das Metaprodukt. Produktentwicklung und Marketing von Markenartikeln. Landsberg/Lech 1992: Verlag Moderne Industrie. S. 24. 111 Linn: Das Metaprodukt, S. 24. 112 Vgl. Klaus Werner u. Hans Weiss: Das neue Schwarzbuch Markenfirmen. Die Machenschaften der Weltkonzerne. Wien u. Frankfurt a. M. 32003: Deuticke. S. 290. 113 Zum Zusammenhang von Enzyklopädie und Konnotation vs. Wörterbuch und Denotation siehe Umberto Eco: Sémiotique et philosophie du langage. Paris 1988: Quadrige / Presses Universitaires de France. Bes. S. 108–137.
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Abb. 6: Anzeigenkampagne für McDonald’s, 2003.
‚archiviert‘, hilft somit, diese in den Alltagsobjekten materialisierte Gegenwart „in der allgemeinen Enzyklopädie [zu] verankern“.114 Literatur „speichert enzyklopädische Zusammenhänge und damit Kultur“115 – und dies in ihrer gesamten Vielfalt.
2.2 Faszination und kulturelle Vernetzung einer Marke: Roland Barthes’ semiologische Lektüre der Citroën DS als Mythos des Alltags Für den Mythologen Roland Barthes, der zwischen 1954 und 1956 für Les Lettres nouvelles in kurzen Texten Alltagsphänomene wie die Tour de France, das Gesicht der Garbo, Beefsteak und Pommes Frites oder Reklame für Detergentien subtilen semiologischen Analysen unterzieht, ist ein solches Ernstnehmen scheinbar bloß ‚oberflächlicher‘ Gegenstände als ästhetisch zu beschreibender Objekte geradezu
114 Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 167. 115 Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 167.
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selbstverständlich – wobei seine Lektüren dieser ‚Mythen des Alltags‘ in bemerkenswerter Weise zwischen ideologischer ‚Entlarvung‘ der ‚kleinbürgerlichen‘ Mythologien und der eigenen Faszination durch die mythologischen Alltagsobjekte oszillieren.116 Zu den bekanntesten dieser Analysen zählt La nouvelle Citroën, ein Text, der am neuesten Modell der Marke Citroën, der DS 19, das virtuose Repertoire mythologisch-semiologischer Beschreibungs- und Verknüpfungskunst vorführt. Was dieses Verfahren dem kultursoziologischen Blick Simmels auf die ‚Schaufensterqualität der Dinge‘ hinzufügt, ist eine kulturgeschichtliche Verortung und intertextuelle resp. intermediale Vernetzung dessen, was Simmel das ‚ästhetische Superadditum‘ nennt. Denn wenn es sich bei Waren um ästhetische Gebilde handelt, dann steht diese Warenästhetik auch nicht außerhalb der Formen der traditionellen Ästhetik – diese kann sogar, wie Erwin Panofsky anhand von zwölf Jahrhunderten britischer Kultur- und Kunstgeschichte vorgeführt hat, als ‚ästhetischer Vorläufer‘ der Ästhetik etwa der Silver Lady auf dem Rolls Royce-Kühler gelesen werden.117 Wie Simmel geht auch Barthes davon aus, dass „das Objekt tatsächlich zu etwas [dient]“, also einen Gebrauchswert hat, und zugleich über eine im weitesten Sinne ästhetische, zumindest aber bedeutsame Seite verfügt, es somit „auch dazu [dient], Informationen mitzuteilen“,118 die über den Gebrauchswert hinausweisen. Dies beginnt bei der DS 19 schon mit ihrer Namensgebung, die das Auto durch Homophonie zur ‚Déesse‘, zur Göttin, erhebt.119 Barthes geht in seiner Deutung jedoch weit über diese im Markennamen festgeschriebene Deutung hinaus.
116 Zur Entstehung, Rezeption und Verortung der Mythologies in den Diskurs des Strukturalismus in Frankreich und Deutschland siehe Ottmar Ette: Roland Barthes. Eine intellektuelle Biographie. Frankfurt am Main 1998: Suhrkamp. S. 107–129. Sowie Björn Weyand: KulturKlassiker: Roland Barthes (1915–1980), Mythologies (1957). In: KulturPoetik 12 (2012) 2, S. 258–271. 117 In Die ideologischen Vorläufer des Rolls-Royce-Kühlers liest Erwin Panofsky, wenn auch nur – vorgeblich – „scherzhaft“, aus dem Rolls Royce-Kühler und seiner Silver Lady die kulturgeschichtlichen Antinomien und nationalen Eigenheiten Großbritanniens und sieht das „Wesen des britischen Charakters“ darin gespiegelt: „Die Gestaltung des Kühlers faßt sozusagen zwölf Jahrhunderte angelsächsischer Themen und Neigungen zusammen: sie versteckt ein bewundernswertes Stück an Ingenieurskunst hinter einer majestätischen palladinischen Tempelfassade; doch die palladinische Tempelfassade wird überragt von einer windumwehenden „Silver Lady“, deren Art Nouveau-Gestalt vom Geist unverfälschter „Romantik“ durchdrungen scheint“. Erwin Panofsky: Die ideologischen Vorläufer des Rolls-Royce-Kühlers. In: Ders.: Die ideologischen Vorläufer des Rolls-Royce-Kühlers & Stil und Medium im Film. Frankfurt am Main u. New York 1993: Campus Verlag. S. 53–95, hier S. 93. 118 Barthes: Semantik des Objekts, S. 189. 119 Vgl. Roland Barthes: La nouvelle Citroën. In: Ders.: Mythologies. Paris 2003 (1970): Éditions du Seuil [Coll. Points Essais]. S. 140–142, hier S. 141.
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„Je crois“, beginnt er seine Analyse, „que l’autobomile est aujourd’hui l’équivalent assez exact des grandes cathédrales gothiques“.120 Barthes sieht im Automobil „une grande création d’époque, conçue passionément par des artistes inconnus, consommé dans son image, sinon dans son usage, par un peuple entier qui s’approprie en elle un objet parfaitement magique“.121 Der Vergleich des Automobils mit den gotischen Kathedralen und seine Bezeichnung als ‚magisches Objekt‘ schreibt Barthes’ Mythologie in die seit Marx topisch gewordene Deutung von Waren als Dingen mit ‚metaphysischen Mucken‘ ein. Als eine ‚Schöpfung‘ (‚création‘) unbekannter Künstler scheint es, als falle die DS „manifestement du ciel“.122 Auch dies liest sich noch durchaus wie ein Kommentar auf die von Marx denunzierte Verschleierung des Produktionsprozesses durch den Tauschwert, auch wenn der Himmel, von dem die DS fällt, zugleich schon als Himmel von Fritz Langs Metropolis erscheint.123 Doch genau dieser intermediale Verweis legt einen wichtigen Aspekt von Waren frei: dass ihre Aneignung nicht nur durch Gebrauch, sondern ebenso durch Bilder erfolgt und sich die Reklame auch insofern vom Gebrauchswert emanzipiert hat, als sie unabhängig von den zu bewerbenden Produkten konsumiert werden kann und soll. Was die DS am stärksten von den anderen Automobilen der 1950er Jahre auszeichnet, ist Barthes zufolge ihre glatte Oberfläche. Das Glatte, das von Gilles Deleuze und Félix Guattari rund dreißig Jahre später zu einer der wichtigsten Metaphern der postmodernen Theorie erhoben wird,124 nimmt Barthes als das geläufige Attribut der Perfektion.125 Weil diese Oberfläche bei der DS besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht, verschiebt sich das Interesse von der Substanz auf die Fugen (‚joints‘) und darauf, wie die DS ‚zusammengefügt‘ ist126 – materialiter für das staunende Publikum, das begeistert die Einfassungen der Scheiben betastet,127 semiologisch für den Mythologen Barthes, der die DS mit den ‚glatten‘ Ober-
120 Barthes: La nouvelle Citroën, S. 140. 121 Barthes: La nouvelle Citroën, S. 140. 122 Barthes: La nouvelle Citroën, S. 140. 123 Barthes: La nouvelle Citroën, S. 142. 124 Siehe hierzu den Abschnitt 5.4.1. Filz als textile Metapher der Postmoderne in Kapitel 5 dieser Arbeit. 125 „On sait que le lisse est toujours un attribut de la perfection“. Barthes: La nouvelle Citroën, S. 141. 126 „C’est pourquoi on s’intéresse moins en elle à la substance qu’à ses joints.“ Barthes: La nouvelle Citroën, S. 141. ‚joint‘ ist zugleich das Partizip Perfekt zu ‚joindre‘, für aneinanderfügen, verbinden. 127 „[O]n tâte furieusement la jonction des vitres, on passe la main dans les larges rigoles de caoutchouc qui relient la fenêtre arrière à ses entours de nickel.“ Barthes: La nouvelle Citroën, S. 141.
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flächen des Grabtuchs Christi und der Raumschiffe aus der Science Fiction, die beide keinerlei Nahtstellen aufweisen, verbindet: „la tunique du Christ était sans couture, comme les aéronefs de la science-fiction sont d’un métal sans relais“.128 Diese „nouvelle phénoménologie de l’ajustement“129, die Barthes der materiellen Oberfläche der DS zuschreibt, vollzieht seine Analyse damit selbst, insofern sie ein warenästhetisches Objekt wie die DS mit der sakralen und der trivialen Kultur semiologisch zusammenfügt. Wenn Barthes befindet, die DS markiere einen „changement dans la mythologie automobile“, das Auto werde damit „à la fois plus spirituelle et plus objective“130, so verdanken sich diese Vergeistigung und Objekthaftigkeit gleichermaßen der Warenästhetik der DS wie ihrer semiologischen Lektüre durch Barthes. Als Barthes seine Sammlung von Alltagsmythen 1956 in Buchform veröffentlicht, fügt er seinen Analysen ein theoretisches Nachwort hinzu. Le mythe, aujourd’hui systematisiert den entmythologisierenden Zugriff, den Barthes’ semiologische Miniaturen zuvor praktiziert hatten, und entwickelt ihn fort. Der Mythos erscheint demzufolge als ein sekundäres semiologisches System.131 Dieses ist nicht gleichbedeutend mit der konnotativen Sekundärfunktion von Zeichen, wie sie Umberto Eco aufgezeigt hat. Vielmehr macht sich der Mythos nach Barthes ein vollständiges Zeichen in seinen denotativen und konnotativen Dimensionen zunutze, um daraus ein neues, zweites Zeichen, eben den Mythos, zu erzeugen. Ergebnis dieses deformierenden mythologischen Zeichenprozesses ist, dass etwa die Darstellung einer Orange nicht für das Obst selber steht, sondern für seine Eigenschaft des ‚Saftigen‘, Durstlöschenden,132 oder eine Reklameanzeige für Pasta
128 Barthes: La nouvelle Citroën, S. 141. 129 Barthes: La nouvelle Citroën, S. 141. 130 Barthes: La nouvelle Citroën, S. 141. 131 Roland Barthes: Le mythe, aujourd’hui. In: Ders.: Mythologies, S. 179–233, hier S. 187. 132 Dazu führt Barthes in seinem Vortrag Semantik des Objekts, einer Kurzform der Mythologies, den er 1964 auf einem Kolloquium über Die Kunst und die Kultur in der zeitgenössischen Zivilsation in der Fondation Cini in Venedig hält, aus: „[E]ine, wenn auch als ganzes dargestellte Orange bedeutet nur durch die Eigenschaft des Saftigen und Durstlöschenden: das Saftige wird durch die Repräsentation des Objekts bedeutet, und nicht das ganze Objekt: es liegt also eine Verschiebung des Zeichens vor. Wenn ein Bier dargestellt wird, so bildet nicht das Bier die wesentliche Mitteilung, sondern die Tatsache, daß es eiskalt ist: auch hier liegt eine Verschiebung vor. Das könnte man als eine nicht mehr metaphorische, sondern metonymische Verschiebung bezeichnen, das heißt als Sinnverlagerung. Diese Arten metonymischer Bedeutungen sind in der Welt der Objekte äußerst häufig […]. Dadurch gelangt man zu einer Art paradoxalen Definition des Objekts: In der emphatischen Welt der Werbung ist eine Orange das Saftige plus die Orange; die Orange als natürliches Objekt ist immer noch da, um eine ihrer Eigenschaften, die zu ihrem Zeichen wird, zu stützen.“ Barthes: Semantik des Objekts, S. 193f.
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Abb. 7: Anzeige für Pasta und Saucen der Marke Panzani.
der Marke Panzani nicht allein italienische Nudeln bedeutet, sondern vor allem einen verkürzten Begriff italienischer Lebensart – des ‚Italienischen‘ – vermittelt, der Vorstellungen von Marktfrische etc. einschließt (Abb. 7).133 Dabei geht es um ein ‚Natürlichmachen‘134 solcher deformierter, künstlicher Bedeutungen: „Nous sommes ici au principe même du mythe; il transforme l’histoire en nature.“135 Der Mythologe durchbricht diesen Prozess der Zeichenvermischung und unterscheidet das mythologische Zeichensystem von demjenigen, das sich der Mythos zunutze macht und deformiert – so zumindest will es Barthes’ nachgereichte Darstellung von der Tätigkeit des Mythologen.136 Seine mythologische Lektüre
133 Roland Barthes: Rhetorik des Bildes. In: Ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III. Frankfurt am Main 1990: Suhrkamp. S. 28–46. Die Bedeutungsebene des ‚Italienischen‘ wird noch durch die farbliche Gestaltung der Anzeige verstärkt, in der die italienischen Nationalfarben Rot, Grün und Weiß dominieren. 134 „naturalisation du concept“. Barthes: Le mythe, aujourd’hui, S. 204. 135 Barthes: Le mythe, aujourd’hui, S. 202. 136 Vgl. Barthes: Le mythe, aujourd’hui, S. 201f.
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der DS spricht dagegen eine andere Sprache: Zwar tut Barthes das Betasten der DS als kleinbürgerlich ab,137 seine semiologische Analyse allerdings vollzieht dieses Befühlen textuell mit einer derartigen Intensität nach, dass sie nur schwer die Faszination verbergen kann, die der Gegenstand auf den Mythologen selbst ausübt. „Le vin“, führt Barthes über den Mythos des französischen Rotweins aus, „est objectivement bon, et en même temps, la bonté du vin est un mythe: voilà l’aporie“.138 Barthes antwortet auf diese Aporie in der Theorie der Alltagsmythen ideologiekritisch: „Le mythologue sort de là comme il peut: il s’occupera de la bonté du vin, non du vin lui-même“.139 Mit seinen semiologischen Lektüren dieser Mythen zeigt Barthes jedoch, wie sich in und durch die semiologische Analyse, welche die kulturelle Vernetzung der mythologischen Objekte aufdeckt (oder herstellt), die Faszination, die von diesen Objekten ausgeht, zugleich nachvollziehen, steigern und verstehen lässt. Die Faszination der Warenästhetik muss daher nicht einhergehen mit einer völligen Verblendung, wie dies Wolfgang Fritz Haug fünfzehn Jahre nach Barthes will,140 sondern ist dem semiologischen Blick durchaus verträglich. „Das Objekt ist polysemisch, das heißt, es ist mehreren Sinnlektüren zugänglich: vor einem Objekt sind fast immer mehrere Lektüren möglich, und zwar nicht nur von einem Leser zum anderen, sondern manchmal auch im Inneren ein und desselben Lesers“.141 Die Mythologies zeigen, dass sich ein Automobil wie die DS als Nautilus oder als vom Himmel von Metropolis gefallenes Objekt lesen und mit gotischen Kathedralen sowie mit dem Grabtuch Christi vergleichen lässt. Und noch etwas deutet sich in Barthes’ Mythologies an: die Rolle, die der Literatur gegenüber den Mythen zukommen könnte: „A vrai dire, la meilleure arme contre le mythe, c’est peut-être de le mythifier à son tour, c’est de produire un mythe artificiel: et ce mythe reconstitué sera une véritable mythologie. Puisque le mythe vole du langage, pourquoi ne pas voler le mythe?“142
137 Barthes schreibt über das Befühlen der DS: „L’objet est ici totalement prostitué, approprié: partie du ciel de Metropolis, la Déesse est en un quart d’heure médiatisée, acomplissant dans cet exorcisme, le mouvement même de la promotion petite-bourgoise.“ Barthes: La nouvelle Citroën, S. 142. 138 Barthes: Le mythe, aujourd’hui, S. 232. 139 Barthes: Le mythe, aujourd’hui, S. 232. 140 Haug vergleicht die Konsumenten mit den Bewohnern aus Platons Höhlengleichnis, siehe Haug: Kritik der Warenästhetik, S. 55. Zur Faszination der Warenästhetik siehe auch ausführlich den Abschnitt 3.4.1. Der ‚Glanz‘ der Warenästhetik: Lichtreklame und Schaufenster in Kapitel 3 dieser Arbeit. 141 Barthes: Semantik des Objekts, S. 195. 142 Barthes: Le mythe, aujourd’hui, S. 209. Als Beispiel einer solchen Literatur nennt Barthes Gustave Flauberts postum veröffentlichten Roman Bouvard et Pécuchet (1881).
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2.3 Zirkulationsbewegungen zwischen Warenwelt und Literatur: Mit Stephen Greenblatt am Pool Dem Verhältnis von Literatur und Alltagswirklichkeit geht der amerikanische Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt mit besonderer Intensität nach. Dabei steht nicht die entmythologisierende Funktion im Mittelpunkt, die der Literatur gegenüber der Warenwelt zukommen könnte, sondern zunächst einmal eine Kritik am Autonomiekonzept der Literatur. Wenn Lämmerts paradigmatische Bestimmung des Dichterischen auf dem ‚Wesensunterschied‘ zwischen Literatur und Alltagswirklichkeit insistiert und die ‚transliterarischen Bezugssysteme‘ für nichtig erklärt, zieht dies eine Grenze zwischen dem Literar- und dem Warenästhetischen, die schärfer kaum sein könnte. Genau solche Grenzziehungen in Frage zu stellen, oder genauer: die Durchlässigkeit dieser Grenzen des Literarischen zu betonen, ist eines der Grundanliegen des New Historicism.143 Nur kurze Zeit, bevor in Deutschland die Popliteratur damit beginnt, Markennamen in die Literatur zu holen, erklärt Greenblatt in einem seiner bekanntesten Aufsätze mit dem Titel Resonance and Wonder (1990) die Hauptanliegen einer kulturpoetologischen Literaturwissenschaft. In der von ihm so geschätzten Form der Anekdote berichtet er, in einem literaturtheoretischen Beitrag verblüffend genug, über ein Urlaubserlebnis am Pool: In the Yucatan there is an extensive, largely unexcavated late-Classic Maya site called Coba, whose principal surviving feature is a high pyramid known as Nahoch Mul. After a day of tramping around the site, I was relaxing in the pool of the nearby Club Med Archaelogical Villa in the company of a genial structural engineer from Little Rock. To make conversation, I asked my poolmate what he as a structural engineer thought of Nahoch Mul. „From an engineer’s point of view,“ he replied, „a pyramid is not very interesting – it’s just an enormous gravity structure. But,“ he added, „did you notice that Coca Cola stand on the way in? That’s the most impressive example of contemporary Maya architecture I’ve ever seen.“ I thought it quite possible that my leg was being pulled, but I went back the next day to check – I had, of course, completely blocked out the Coke stand on my first visit. Sure
143 So stellt Greenblatt mit Blick auf Shakespeare fest, dass „nur verhältnismäßig wenige Dinge eindeutig vom privilegierten Raum des Schauspielhauses ausgeschlossen waren […]. Das Theater ist zwar von der ‚Außenwelt‘ abgegrenzt und operiert als ein eigenständiger, behördlich konzessionierter Bereich, aber die Grenzen zu dieser Außenwelt erweisen sich als erstaunlich durchlässig.“ Greenblatt: Verhandlungen mit Shakespeare, S. 30f. Stefan Andriopoulos hat diese Grundüberzeugung des New Historicism auf diesen selbst angewandt und die Thematisierung der Grenze in den Zusammenhang mit den Debatten um illegale Einwanderer in den USA sowie James Camerons Alien-Film gestellt. Stefan Andriopoulos: New Historicism und Illegal Aliens: Die Durchlässigkeit diskursiver und nationaler Grenzen. In: Diedrich Diederichsen (Hg.): Loving The Alien. Science Fiction, Diaspora, Multikultur. Berlin 1998: ID Verlag. S. 192–201.
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enough, some enterprising Maya had built a remarkably elegant shelter with a soaring pyramidal roof constructed out of ingeniously intertwining sticks and branches. […] [A] single entrepreneur’s architectural improvisation suddenly had more resonance for me than the mounds of the „lost“ city. My immediate thougt was that the whole Coca Cola stand could be shipped to New York and put on display in the Museum of Modern Art.144
Greenblatts Ausführungen sind in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich für das Verhältnis von Literatur und Markenwaren sowie für den kulturellen Umgang mit Markenprodukten insgesamt. Denn sie verdeutlichen, erstens, den kulturellen Ausblendungsmechanismus gegenüber Marken, der auch für den Umgang der Literaturwissenschaften mit Markenprodukten in der Literatur lange Zeit kennzeichnend war. Greenblatt beachtet den Coca-Cola-Stand bei seinem ersten Besuch nicht, weil er dem Wunsch nach einer Begegnung mit der ‚authentischen‘, ‚reinen‘ Maya-Kultur entgegensteht, so wie Markennamen dem Konzept des ‚Dichterischen‘ nach Lämmert entgegenstehen.145 Zweitens ist bemerkenswert, dass sich für Greenblatt gerade am Verkaufsstand der Marke Coca-Cola ‚Resonanz‘ entzündet, d.h. eine einzigartige kulturelle Dichte, die, dem programmatischen Titel von Greenblatts Aufsatz gemäß, eines der Hauptinteressen des New Historicism bildet. In der Resonanz, so Greenblatt, zeigt sich „the power of the object displayed to reach out beyond its formal boundaries to a larger world, to evoke in the viewer the complex, dynamic cultural forces from which it has emerged and for which – as metaphor or, more simply, as metonomy – it may be taken by a viewer to stand“.146 Coca-Cola gilt als die weltweit bekannteste und zugleich teuerste Marke überhaupt,147 sie bildet „nicht nur das Masterprodukt Amerikas und der ganzen Welt, sondern überdies das Urmus-
144 Stephen Greenblatt: Resonance and Wonder. In: Bulletin of the American Academy of Arts and Sciences 43 (1990) 4, S. 11–34, hier S. 27f. 145 Zur Sehnsucht nach ‚Authentizität‘ sowie ihrer spezifischen Topographie, derzufolge das Authentische „immer […] unter einem modernen Konstrukt [liegt], das als Oberfläche begriffen wird, die durchdrungen werden muß“, siehe auch Helmut Lethen: Versionen des Authentischen: sechs Gemeinplätze. In: Hartmut Böhme u. Klaus R. Scherpe (Hg.): Literatur und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle. Reinbek bei Hamburg 1996: Rowohlt. S. 205–231, hier S. 229. 146 Greenblatt: Resonance and Wonder, S. 19f. 147 Weltweiten Umfragen zufolge ist Coca-Cola heute 98 von 100 Befragten auf der ganzen Welt bekannt. Vgl. Rainer Gries: Produktkommunikation. Geschichte und Theorie. Wien 2008: Facultas Verlags- und Buchhandels AG. S. 9. Laut einer Aufstellung von Interbrand vom September 2009 belegt Coca-Cola unter den 20 international wertvollsten Marken mit knapp 69 Milliarden US-Dollar den ersten Platz, vor IBM (60 Milliarden US-Dollar) und Microsoft (57 Milliarden USDollar). Siehe hierzu ausführlicher http://slogans.de/brands.php?Op=BRanking1 [08. 08. 2010].
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ter des Markenartikels schlechthin“148 – und steht damit aus kulturkritischer Perspektive zugleich symbolisch für das kultur(en)vernichtende Prinzip des globalen Markenwesens, das seit den 1950er Jahren unter dem Schlagwort der ‚Coca-Colonisierung‘149 verhandelt wird: Kaum ein Ort, an dem Coca-Cola nicht erhältlich wäre (Abb. 8–9).150 Wenn Greenblatt seine Überlegungen zur Resonanz an einem Coca-Cola-Stand auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán verdeutlicht, setzt er dem Vorwurf der Monotonie das Interesse an den Transformationen entgegen, die aus der Aneignung einer globalen Marke entstehen können und die von den Kulturwissenschaften und der Ethnologie inzwischen mehrfach untersucht und kommentiert worden sind.151 Der Aneignungs- und Austauschprozess
148 Gries: Produktkommunikation, S. 11. Coca-Cola steht somit auch für den Aufstieg Amerikas zur globalen Supermacht, siehe hierzu auch das Kapitel Coca-Cola and the Rise of America in Tom Standage: A History of World in 6 Glasses. New York 2005: Walker & Company. S. 221–265. 149 Vgl. o. Verf.: Coca-Colonisierung. In: Der Spiegel, 05. 01. 1950. Zu Coca-Cola im Kontext der Debatte um den ‚Amerikanismus‘ in den 1950er Jahren siehe ausführlicher den Abschnitt 4.2. ‚Neumodisches Zeug‘ und ‚Symbol der Freundschaft‘: Zur zeitgeschichtlichen Semantik von ‚CocaCola‘ in ‚Tauben im Gras‘ und im Nachkriegsdeutschland des Marshallplans in Kapitel 4 dieser Arbeit. 150 Das gilt auch für global präsente Marken wie McDonald’s, H&M, etc. George Ritzer spricht daher von der ‚McDonaldisierung‘, siehe George Ritzer: Die McDonaldisierung der Gesellschaft. Frankfurt am Main 1995: S. Fischer. Als Reaktion auf ein Themenheft des Wirtschaftsmagazins brand eins mit dem Schwerpunkt Das Prinzip Marke. Versprechen muss man halten heißt es in einem Leserbrief: „Marken machen die Welt langweiliger, verhindern Arbeitsmöglichkeiten und machen die Menschen trauriger. Ob in London, Rio, Tokio, man ist geneigt zu fragen: Wo ist H&M und McDonald’s? Kenn’ ich eine, kenn’ ich alle“. Stephan Bannas: o. T. [Leserbrief]. In: brand eins, 6 (April 2005) H. 3, S. 158. Andy Warhol hat diese globale Ausbreitung von Marken (und mit ihnen die gesellschaftliche Bedeutung von Warenästhetik) mit den Worten kommentiert: Das Schönste an Tokio ist McDonald’s das Schönste an Stockholm ist McDonald’s das Schönste an Florenz ist McDonald’s Peking und Moskau haben bis jetzt noch nichts Schönes. Andy Warhol, hier zit. nach Karlheinz Barck, Peter Gente, Heide Paris u. Stefan Richter (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Essais. Leipzig 1990: Reclam-Verlag Leipzig. S. 385. 151 „Wenn weltweit gleichartige oder importierte Güter zum persönlichen Besitz werden, eignen sich Personen, die sie als Waren erwerben und damit im Alltag umgehen, die Dinge an. Die Aneignung ist deshalb ein Schlüssel, um abstrakte und anonyme Waren zu Gütern mit subjektiv empfundenen Werten zu machen.“ Hahn: Materielle Kultur, S. 101. Am Beispiel des ‚Amerikanis-
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führt zu Veränderungen an beiden Ausgangsmaterialien: Weder handelt es sich um einen typischen Coca-Cola-Stand, noch um typische Maya-Architekur, sondern um eine überraschende Verbindung, die erst aus dem Zusammentreffen beider entstehen konnte. Resonanz entsteht für Greenblatt in der literatur- und kulturgeschichtlichen Analyse an eben diesen Stellen, die den Austausch kenntlich machen. Damit aktualisiert Resonanz also genau jene ‚transliterarischen Bezugssysteme‘, die Lämmert für irrelevant erklärt. An Markenwaren kann sich diese Resonanz in besonderer Weise entfalten. Drittens erhebt Greenblatt das Produkt, das aus der Aneignung der Marke Coca-Cola durch den Maya-Händler hervorgeht, zu einem musealisierbaren, also kulturell valorablen Objekt, wenn er es ins Museum of Modern Art verschiffen will. Hier soll es zum Gegenstand des Staunens und der faszinierten Anschauung werden und ästhetischen Genuss bereiten. Aus etwas Profanem wie einem CocaCola-Stand wird somit Kultur – Boris Groys hat diesen Prozess in seinem Essay Über das Neue kulturökonomisch beschrieben.152 Aneignungen von warenästhetischen Phänomenen wie Markenprodukten produzieren somit eine ernstzunehmende, innovative Ästhetik – Andy Warhols Campbell’s Soup Cans (1962) oder Jeff Koons’ New Hoover Convertibles, Green, Red, Brown, New Hoover Deluxe Shampoo Polishers, Yellow, Brown Doubledecker (1981–87) aus der Serie The New sind nur die augenfälligsten Beispiele aus dem Bereich der Pop Art, die solche Innovationsprozesse vorführen.153 Der vierte und vielleicht wichtigste Aspekt an Greenblatts Anekdote wird vom Text selbst nicht expliziert. Er betrifft dessen eigene rhetorische Verfasstheit und geht vom Ort des Geschehens aus: der Maya-Stätte namens Coba. Mag dieser Ortsname auch nur den realen Begebenheiten von Greenblatts Erlebnissen entsprechen, so springt er doch förmlich aus dem Text heraus: Denn indem in der geografischen Bezeichnung /Coba/ als distinktives Merkmal ein /b/ dient, wo im
mus‘ führt Kaspar Maase aus: „Wir haben es mit einem Prozeß der Aneignung zu tun: Güter und Verhaltensweisen werden eingebaut in die Lebensweise der Aufnehmenden und damit in ein kulturelles Feld von Traditionen, Wahrnehmungs- und Bewertungsmustern, Zeichen und Distinktionsbezügen. Die Bedeutung dessen, was man als Amerikanisierung bezeichnet, wird erst produziert in den Diskursen und Auseinandersetzungen der jeweils rezipierenden nationalen Kultur“. Kaspar Maase: Amerikanisierung von unten. Demonstrative Vulgarität und kulturelle Hegemonie in der Bundesrepublik der 50er Jahre. In: Alf Lüdtke, Inge Marßolek u. Adelheid von Saldem (Hg.): Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Stuttgart 1996: Franz Steiner Verlag. S. 291–313, hier S. 292. 152 Boris Groys: Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie. Frankfurt am Main 22002 (1999): Fischer Taschenbuch Verlag. 153 Zur künstlerischen Produktivität, die Coca-Cola ausgelöst hat, siehe Christa Murken-Altrogge: Werbung, Mythos, Kunst. Am Beispiel Coca-Cola. Tübingen 1977: Wasmuth.
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Abb. 8: Coca-Cola-Stand in China, um 1930.
Abb. 9: Coca-Cola-Stand vor der Sphinx, 1950er Jahre.
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Einleitung: Literatur an der Oberfläche: Die Poetik der Marke
Markennamen /Coca-Cola/ einmal ein /c/ und einmal ein /l/ steht, schreibt er ein Spiel mit Zeichen fort, das demjenigen des Markennamen selbst entspricht. Der Markenname Coca-Cola setzt somit innerhalb von Greenblatts Anekdote poetologische Energie frei, seine Verbindung mit dem Namen Coba erzeugt eine ‚Spürbarkeit der Zeichen‘ und erhält damit nach Roman Jakobson eine ‚poetische Funktion‘.154 Dass sich die Anekdote in dieser Verknüpfung eines Prinzips bedient, das der Markenname Coca-Cola selbst schon vorgibt, macht diese poetische zugleich zur ‚kulturpoetischen Funktion‘155 – und um genau diese kulturpoetischen Funktionen von Markenwaren geht es, wenn in den Lektüren dieser Arbeit Literatur ‚an der Oberfläche‘ gelesen werden soll.
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Literatur, an der Oberfläche gelesen: Kulturelle und poetologische Dimensionen von Markenwaren in literarischen Texten. Zur Textauswahl
Vor dem Hintergrund dieser semiologisch-poetologischen Auseinandersetzungen mit Markenwaren ist die Bestimmung des ‚Dichterischen‘, wie sie Eberhard Lämmert vorgenommen hat, zu revidieren. In seinen Kapiteln aus der Poetik (1948) entwickelt der Strukturalist Jan Mukaqovsk), wie Roman Jakobson ein Mitglied des Cercle linguistique de Prague, ein auf den ersten Blick ganz ähnliches
154 Roman Jakobson: Linguistik und Poetik [1960]. In: Ders.: Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921–1971. Hg. von Elmar Holenstein u. Tarcisius Schelbert. Frankfurt am Main 1979: Suhrkamp. S. 83–121. Beispiele für die poetische Funktion von Markennamen, etwa durch Reim, finden sich zahlreiche. Eckhart Nickel etwa reimt: „Prada, Prada, was ich bräuchte, wär ein Lada.“ Eckhart Nickel: Was ich davon halte. Erzählungen. München 2000: Quadriga. Serge Gainsbourg verwendet in dem Chanson Comment te dire adieu das Kleenex-Taschentuch als Reimwort: Sous aucun prétexTe je ne veux Devant toi surexPoser mes yeux Derrière un Kleenex Je saurais mieux Comment te dire adieu Serge Gainsbourg: Comment te dire adieu. In: Ders.: Mon propre rôle 1. Présenté par Alain Coelho. Paris 2001 (1991): Folio. S. 204f., hier S. 205. 155 Moritz Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. Eine literaturwissenschaftliche Text-Kontext-Theorie. Tübingen 2005: Francke. Siehe dazu ausführlicher den Abschnitt 1.4. Der Umhang von ‚Gerson‘ und die kulturpoetische Funktion in Kapitel 1 dieser Arbeit.
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Verständnis von Literatur, wie es Lämmert in den Bauformen des Erzählens formuliert, das jedoch in den entscheidenden Punkten davon abweicht. Unter dem Titel Die poetische Benennung und die ästhetische Funktion der Sprache führt Mukaqovsk) aus: Die poetische Benennung wird […] nicht in erster Linie durch das Verhältnis zur angenommenen Wirklichkeit bestimmt, sondern durch die Art ihrer Einordnung in den Text. […] Zwischen der inneren Zusammensetzung des Sprachzeichens in der Dichtersprache und in Äußerungen mitteilender Art besteht also ein erheblicher Unterschied: hier konzentriert sich die Aufmerksamkeit besonders auf das Verhältnis zwischen Benennung und Realität, dort jedoch tritt die Verbindung von Benennung und umgebendem Kontext in den Vordergrund. […] Der Wert der poetischen Benennung besteht allein in der Aufgabe, die sie im semantischen Gesamtaufbau des Werks erfüllt.156
Was Mukaqovsk) damit beschreibt, entspricht recht genau dem, was Jakobson als die ‚poetische Funktion‘ der Literatur beschrieben hat: „Die poetische Funktion“ – so Jakobsons einschlägige Definition – „überträgt das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination“.157 In Übereinstimmung mit Jakobson betont Mukaqovsk), wie in der ästhetischen Verwendung „die Komposition des Sprachzeichens“158 selbst zum Mittelpunkt des Interesses gerät. Damit wird das ‚transliterarische Bezugssystem‘ wie bei Lämmert für nachrangig erklärt. Doch zugleich – und damit unterscheidet er sich von Lämmert – relativiert Mukaqovsk) den Absolutheitsanspruch einer nur auf sich selbst verweisenden Dichtung ohne ‚transliterarisches Bezugssystem‘. Mukaqovsk) stellt fest, dass die Beziehung zwischen der poetischen Benennung und der Realität „zugunsten der auf das Zeichen selbst gerichteten Aufmerksamkeit abgeschwächt“159 werde. Nur mehr rhetorisch fragt Mukaqovsk): „Ist das Werk der Dichtung also ohne jeden Bezug zur Wirklichkeit?“160, um sodann seine These dahingehend zu reformulieren, „daß die Poesie im Laufe ihrer Entwicklung unaufhörlich und immer mit neuen Mitteln die Lexik der gegebenen Sprache mit der Welt der Dinge konfrontiert, die die Lexik wiederzugeben hat und deren Veränderungen sie sich unaufhörlich anpaßt“.161 Markennamen greifen unmittelbar
156 Jan Mukaqovsk): Die poetische Benennung und die ästhetische Funktion der Sprache. In: Ders.: Kapitel aus der Poetik. Frankfurt am Main 1967: Suhrkamp. S. 44–54, hier S. 45–47. 157 Jakobson: Linguistik und Poetik, S. 94. 158 Mukaqovsk): Die poetische Benennung und die ästhetische Funktion der Sprache, S. 48. 159 Mukaqovsk): Die poetische Benennung und die ästhetische Funktion der Sprache, S. 52. Herv. B. W. 160 Mukaqovsk): Die poetische Benennung und die ästhetische Funktion der Sprache, S. 52. 161 Mukaqovsk): Die poetische Benennung und die ästhetische Funktion der Sprache, S. 53.
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in dieses Verhältnis zwischen Poesie, der Welt der Dinge und der Lexik der gegebenen Sprache ein. Mukaqovsk)s Überlegungen führen zur Grundspannung literarischer Texte hin, wie sie Paul de Man in den Allegorien des Lesens (1979) beschreibt – die Spannung zwischen Referentialität und Selbstreferentialität der Literatur: Einerseits kann Literatur nicht einfach als eine bestimmte Einheit einer referentiellen Bedeutung aufgefaßt werden, die ohne Rest dekodiert werden könnte. Ihr Kode ist ungewöhnlich auffällig, komplex und rätselhaft; er zieht ein außerordentliches Maß an Aufmerksamkeit auf sich […]. Andererseits – und das ist das wirkliche Rätsel – kann kein literarischer Formalismus entstehen, der nicht, er mag noch so genau und durch seine analytischen Kräfte noch so bereichernd sein, reduktionistisch erscheinen müßte.162
De Man betont die Faszination, die von der Selbstreferentialität insbesondere der Literatur der Moderne und ihrer ‚Entdeckung der Textur‘ ausgeht.163 Doch zugleich hält er fest, dass „[d]ie Idee einer von ihren referentiellen Zwängen befreiten Sprache […] eigentlich undenkbar“ sei.164 Wenn literarischen Texten ein Vorrang der poetischen vor der referentiellen Funktion zugeschrieben wird, so löscht dies, mit Roman Jakobson, „den Gegenstandsbezug nicht aus, sondern macht ihn mehrdeutig“.165 Literatur an der Oberfläche zu lesen, verfolgt im vorliegenden Kontext daher zweierlei. Erstens heißt es, literarische Texte in den Blick zu nehmen, die sich an der Oberfläche der Warenwelt bewegen, die also jenen Phänomenen Beachtung schenken, die gemeinhin als ‚oberflächlich‘ und irrelevant abgetan werden. Die Lektüren haben eine „Lust daran […], den ‚Alltag‘ einer Epoche, einer Person dar-
162 Paul de Man: Semiologie und Rhetorik. In: Ders.: Allegorien des Lesens. Frankfurt am Main 1988: Suhrkamp. S. 31–51, hier S. 32. 163 Siehe hierzu auch Moritz Baßler: Die Entdeckung der Textur. Unverständlichkeit in der Kurzprosa der emphatischen Moderne 1910–1916. Tübingen 1994: Max Niemeyer. In seinem viel zitierten Brief vom 16. Januar 1852 an seine Geliebte Louise Colet bringt Gustave Flaubert die Selbstreferentialität als Ausweis der Moderne auf den Punkt: „Ce qui me semble beau, ce que je voudrais faire, c’est un livre sur rien, un livre sans attache extérieure, qui se tiendrait de luimême par la force interne de son style, comme la terre sans être soutenue se tient en l’air, un livre qui n’aurait preque pas de sujet ou du moins où le sujet serait presque invisible, si cela se peut. Les œuvres les plus belles sont celles où il y a le moins de matière; plus l’expression se rapproche de la pensée, plus le mot colle dessus et disparaît, plus c’est beau. Je crois que l’avenir de l’Art est dans ces voies. […] Cet affranchissement de la matérialité se retrouve en tout.“ Gustave Flaubert: Correspondance. Bd. II: Juillet 1851 – décembre 1858. Hg. von Jean Bruneau. Paris 1999: Gallimard. S. 31. 164 Paul de Man: Tropen (Rilke). In: Ders.: Allegorien des Lesens, S. 52–90, hier S. 81. 165 Jakobson: Linguistik und Poetik, S. 111.
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gestellt zu sehen“, sie entwickeln eine „Neugierde nach winzigen Details“, wie sie sich in „Gewohnheiten, Mahlzeiten, Wohnungen, Kleidern usw.“ zeigen können.166 Damit führen die Lektüren dieser Arbeit hinein in die Kultur- und Konsumgeschichte des 20. Jahrhunderts. Durch die extensive Archivarbeit, die den Lektüren zugrunde liegt, werden die verhandelten Texte auf neue Weise im „Netzwerk“167 der Kultur ihrer Zeit verortet. Dieses Netz beschränkt sich nicht auf die Markenprodukte allein, sondern nimmt diese als ein Detail des Textes, das kulturgeschichtlich von weiteren Diskursen nicht zu trennen ist168 – von Katalogund Filmwelten über Fetischismus und Faszination, die Sehnsucht nach Glanz und die kapitalistische Zirkulation bis zu den Simulakren der Gegenwart. Zweitens aber eignen sich die zu untersuchenden Texte nicht nur Oberfläche an, sondern verfügen selbst über eine Oberfläche: die Materialität ihrer Texturen.169 Literatur an der Oberfläche zu betrachten bedeutet deshalb auch, diese Oberflächen der Texte, ihre Texturiertheit, mit philologischer Akribie in den Blick zu nehmen, einer Lust am „prunkvollen Rang des Signifikanten“170 nachzugehen. Diese Textoberfläche gestaltet sich durch unterschiedlichste rhetorische, narratorische und poetologische Mittel und Verfahren und ist dementsprechend beschreibbar mit
166 Roland Barthes: Die Lust am Text. Frankfurt am Main 81996 (1974): Suhrkamp. S. 80. Wie diese Lust an Alltagsrealien aussehen kann, beschreibt Barthes am Beispiel von Nahrungsmitteln: „In einem alten Text, den ich gerade gelesen habe (eine Episode aus dem Leben der Kleriker, berichtet von Stendhal), kommt benannte Nahrung vor: Milch, Schnitten, Sahnekäse aus Chantilly, Marmelade aus Bar, Apfelsinen aus Malta, gezuckerte Erdbeeren. Ist das noch eine Lust reiner Darstellung (die dann jedoch nur von einem Feinschmecker empfunden wird)? Aber ich mag eigentlich weder Milch noch Süßspeisen und projiziere mich kaum in die Details solcher Imbisse. Es passiert etwas anderes, was zweifellos an einen anderen Sinn des Wortes ‚Darstellung‘ gebunden ist. […] Das ist es! Dieser Ausruf darf nicht als eine Erleuchtung des Verstandes aufgefaßt werden, sondern als die Grenze der Benennung, der Imagination selbst. Es gibt im Grunde zwei Realismen: der erste entziffert das ‚Reale‘ (was sich darlegen läßt, aber nicht sichtbar ist); der zweite sagt die ‚Realität‘ (was sichtbar ist, aber sich nicht darlegen läßt); der Roman, der diese beiden Realismen mischen kann, fügt der Erkennbarkeit des ‚Realen‘ den phantasmatischen Schweif der ‚Realität‘ hinzu: Verwunderung, daß man im Jahre 1791 ‚einen Apfelsinensalat mit Rum‘ aß wie in unseren Restaurants heut: ein Stück historischer Kenntnis und Eigensinn der Dinge (die Apfelsine, der Rum), einfach da zu sein.“ (ebd., S. 67f.). 167 Stephen Greenblatt: Kultur. In: Moritz Baßler (Hg.): New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Frankfurt am Main 1995: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 48–59, hier S. 55. 168 Zum Detail als Ausgangspunkt für die Kulturwissenschaft siehe Sigrid Weigel: Literatur als Voraussetzung der Kulturgeschichte. Schauplätze von Shakespeare bis Benjamin. München 2004: Wilhelm Fink. Bes. S. 15–62. 169 Vgl. dazu Isabelle Stauffer u. Ursula von Keitz: Lob der Oberfläche. Eine Einleitung. In: Dies. u.a. (Hg.): Mehr als Schein, S. 13–31. 170 Barthes: Die Lust am Text, S. 96.
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den methodischen Instrumentarien der Literaturwissenschaft. Einerseits steht damit die kulturhistorisch interessierte Betrachtung von Literatur und ihren Aneignungsprozessen gegenüber warenästhetischen Oberflächenphänomenen wie Markenprodukten im Zentrum dieser Arbeit, andererseits die formalästhetische Analyse dieser Texte und ihrer Textoberflächen, ihrer Texturen – die, wie die Lektüren dieser Arbeit aufzeigen, ein Gutteil ihrer poetologischen Energie aus ihrem Gegenstand selbst beziehen. Denn „[e]in Konstruktionsprinzip, das auf irgendeinem Gebiet angewandt wird, ist bestrebt, sich zu verbreiten, sich auf möglichst weite Gebiete auszudehnen“171: Diese Hypothese des russischen Formalisten Jurij Tynjanov findet sich in den Austauschbeziehungen zwischen Literatur und Warenästhetik bestätigt. Warenästhetik wird somit zum poetologischen Verfahren literarischer Texte. Die folgenden fünf Kapitel nehmen fünf höchst unterschiedliche literarische Prosatexte aus dem ‚warenästhetischen Jahrhundert‘ in den Blick. Diese Beschränkung des Korpus’ ist keineswegs einem Mangel an Angebot zuzuschreiben: Denn anders als es die bisherige Literaturgeschichtsschreibung will, finden sich in der Literatur seit dem Ende des 19. Jahrhunderts durchaus zahlreiche, auch prominente literarische Texte, in denen Markenprodukte Erwähnung finden. Die Auswahl der hier untersuchten Texte erfolgt also durchaus im Bewusstsein des Ausgelassenen: Theodor Fontanes späte Romane, Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz (1929), Günter Grass’ Die Blechtrommel (1959), Uwe Johnsons Jahrestage (1970–83) sind nur einige der literarischen Werke, die zweifellos ebenfalls lohnende Gegenstände einer an literarisierten Markenprodukten interessierten Untersuchung bilden. Ausschlaggebend für die hier behandelten Texte sind jedoch zwei Kriterien. Erstens entstammen sie alle besonderen historischen Entwicklungsphasen des Kapitalismus in Deutschland: dem Wilhelminischen Kaiserreich, der Weimarer Republik, der frühen Bundesrepublik sowie der gegenwärtigen Situation, in der sich der Kapitalismus global ausgebreitet hat. Denn gerade unter den Bedingungen des Kapitalismus werden die Spannungen und Widersprüche in besonderer Weise relevant, die sich aus den vielfältigen Zirkulationsbewegungen von Dingen in der Sphäre des Alltags einerseits und dem anhaltenden Anspruch der Literatur auf Autonomie andererseits ergeben. Indem die Lektüren dem Zusammenhang und den Wechselbeziehungen zwischen Literatur und zirkulierenden Markenwaren nachgehen, verstehen sie sich auch als ein Beitrag zu einer Theorie der Kultur
171 Jurij Tynjanov: Das literarische Faktum. In: Jurij Striedter (Hg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeine Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München 51994 (1969, 1971): Wilhelm Fink. S. 393–431, hier S. 423.
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nicht nur im, sondern des Kapitalismus – wobei mit Gilles Deleuze und Félix Guattari davon auszugehen ist, dass es ein Grundzug des Kapitalismus ist, sich stets zu erneuern und zu verändern.172 Als eine Konstante dieser Kulturen des Kapitalismus können jedoch mit Stephen Greenblatt eben diese vielfältigen Zirkulationsprozesse gelten. Denn nur der Kapitalismus hat, so Greenblatt, ein derart „schwindelerregende[s] und scheinbar unerschöpfliche[s]“ Maß an Zirkulationsbewegungen hervorgebracht, dass das „starke und nachhaltige Oszillieren zwischen der Etablierung abgegrenzter Bereiche und der Vermengung solcher Bereiche miteinander“ zu seinen charakteristischsten Merkmalen gezählt werden kann.173 Indem die Lektüren dieser Arbeit diese kapitalistische Figur der Zirkulation mit dem New Historicism methodologisch wenden, um die Zirkulationsbewegungen von Markennamen durch die Literatur zu untersuchen, unternehmen sie es folglich, den Kapitalismus in einer Art ‚Selbstanwendung‘ seiner ökonomischen Prinzipien auf seine kulturellen Aspekte hin zu lesen. Zweitens ist den hier analysierten Texten gemein, dass die in ihnen verhandelten Markenprodukte und warenästhetischen Phänomene in besonderem Maße poetologische und kulturelle Energie entfalten: „Demnach nehmen wir von den Tausenden eine Handvoll ins Auge fallender Gestalten in Beschlag, die viel von dem zu umfassen scheinen, was wir brauchen, und die sowohl ein intensives, individuelles Interesse belohnen, als auch den Zugang zu umfassenderen kulturellen Mustern versprechen.“174 In einschlägigen Darstellungen zur Literatur der Jahrhundertwende sucht man vergeblich nach dem Namen Edmund Edels.175 Kapitel 1 zeigt, wie seine 1906 erschienene, damals sehr erfolgreiche und heute weitgehend vergessene Satire Berlin W. Ein Paar Kapitel von der Oberfläche eine archivistische Poetik entwickelt, die derjenigen der Popliteratur auf den ersten Blick ähnelt, sich jedoch gerade durch ihren kulturpoetologischen Bezug zu den Warenhauskatalogen der Jahrhundertwende von popliterarischen Verfahren der Katalogisierung unter-
172 „Es gibt keinen universellen Kapitalismus, keinen Kapitalismus an sich, der Kapitalismus steht an der Kreuzung aller möglichen Formationen; noch schlimmer, er ist von Natur aus immer ein Neokapitalismus.“ Gilles Deleuze u. Félix Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin 52002 (1992): Merve Verlag. S. 35. 173 Greenblatt: Grundzüge einer Poetik der Kultur, S. 115. 174 Stephen Greenblatt: Selbstbildung in der Renaissance. Von More bis Shakespeare (Einleitung). In: Baßler (Hg.): New Historicism, S. 35–47, hier S. 42. 175 So in Franz Norbert Mennemeier: Literatur der Jahrhundertwende. Europäisch-deutsche Literaturtendenzen 1870–1910. Berlin 22001: Weidler. [= Germanistische Lehrbuchsammlung. Bd. 39.] Sowie Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900–1918. Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. München 2004: C. H. Beck.
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scheidet. Gut fünfzig Jahre, bevor Hans Magnus Enzensberger den NeckermannKatalog als ein literarisches Werk rezensieren wird,176 überführt Edel die Warenhauskataloge seiner Zeit somit in ein genuines poetologisches Verfahren seines Textes. Dass Berlin W. trotz seines zeitgenössischen Erfolges später dem Vergessen anheimgefallen ist, mag seiner expliziten Poetik der Oberfläche geschuldet sein, mit der sich die Satire selbst zu einer Ware und einem Gebrauchsgegenstand gemacht hat, statt sich als Ewigkeitswert zu präsentieren. Dass die Satire gleichwohl eine außerordentliche rhetorische und ästhetische Qualität aufweist, macht ihre Wiederentdeckung nicht nur kulturgeschichtlich, sondern auch für ein literarästhetisches Interesse zu einem lohnenden Unterfangen. Mit Thomas Manns Zauberberg (1924) widmet sich Kapitel 2 dagegen einem kanonischen, geradezu als überforscht geltenden Werk der Klassischen Moderne. Während die Fülle verarbeiteter Quellen zum Grundbestand der gegenwärtigen Forschung zum Zauberberg zählt, ist der materiellen Kultur, die ebenfalls darin verarbeitet wurde, nur bedingt Aufmerksamkeit zuteil geworden. Dabei zeigt schon die Auswahl der verhandelten Themen und Gegenstände eine frappante Nähe zu jenen Darstellungen, die um die Jahrhundertwende durch das warenästhetische Medium der Sammelmarken, wie sie etwa Liebig’s Fleischextrakt beigegeben waren, an Verbreitung fanden. Die Lektüre des Romans untersucht den von Thomas Mann formuliertem Anspruch auf Autonomie seiner Werke. Das wichtigste Verfahren, das diesen Anspruch gewährleisten soll, ist die ‚Leitmotivik‘: Durch innertextuelle Verweise lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die Geschlossenheit des Textes und lässt die ‚transliterarischen Bezugssysteme‘ als irrelevant erscheinen. Eines der wichtigsten Leitmotive des Zauberberg ist indes ein Markenprodukt: die Zigarrenmarke Maria Mancini, die der Protagonist Hans Castorp als Fetischobjekt behandelt. Der Roman macht sich die erotischen und sexuellen Konnotationen, die von dieser Zigarrenmarke ausgehen, für die Diegese der Sanatoriumswelt zunutze. Über das Verfahren der ‚Leitmotivik‘ entwickelt er zugleich seinen eigenen, textuellen Fetisch. Kapitel 3 wendet sich mit Irmgard Keuns Das kunstseidene Mädchen (1932) einem Roman zu, der sich ungezügelt den Phänomenen der Warenästhetik öffnet und mit Doris einer Protagonistin eine Stimme verleiht, die sich ganz der Sehnsucht nach ‚Glanz‘ verschrieben hat. Mit der titelgebenden Kunstseide kündigt der Roman bereits an, dass sich auch die von der Poetik tradierte Metapher vom ‚Text als Gewebe‘ – auf die sich auch Thomas Mann mit seiner ‚Leitmotivik‘ be-
176 Hans Magnus Enzensberger: Das Plebiszit der Verbraucher. [1960] In: Ders.: Einzelheiten. Frankfurt am Main 1962: Suhrkamp. S. 137–146. Zum Neckermann-Katalog der 1950er Jahre siehe auch Gries: Produktkommunikation, S. 162–168.
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zieht – den Bedingungen der warenästhetischen Wirklichkeit auszusetzen hat. Der Roman zeigt die Mechanismen moderner Faszinationsproduktion und -konsumtion auf, ohne diese von vornherein kulturkritisch als ‚Verblendung‘ zu diffamieren. Dabei führt der Roman die intermedialen Verbindungen von Warenästhetik und Film vor, wie sie sich seit den 1920er Jahren herausgebildet haben. Wie aktuell die vom Kunstseidenen Mädchen verhandelten Zusammenhänge von Warenästhetik, Medien und dem Wunsch der Konsumenten nach Teilhabe am ‚Glanz‘ sind, zeigt sich schon in der Tatsache, dass die Make up-Marke Max Factor, die aus dem Medienverbund von Warenästhetik und Film in den 1920er Jahren hervorgeht, unlängst als Sponsor für die von Pro Sieben gezeigte Fernsehsendung Die Model-WG, die genau diese Teilhabe am ‚Glanz‘ verspricht, auftrat.177 In der Lektüre von Wolfgang Koeppens 1951 erschienenem Roman Tauben im Gras, mit dem sich Kapitel 4 auseinandersetzt, steht ein einziger Markenname im Zentrum der Analyse: Coca-Cola. Wenngleich die Marke im gesamten Roman nur dreimal Erwähnung findet, so ermöglicht sie doch, „den umfassenden sozialen Wandel, ja eine ganze Lebenswelt durch die Lupe einer bestimmten Textpassage zu betrachten“.178 Der Text geht dem eigentlichen Wirtschaftswunder noch voraus. Situiert im Jahr 1951 – dem Jahr der Koreakrise, die sich auch wirtschaftlich in der jungen Bundesrepublik bemerkbar macht, sowie dem Jahr, in dem Kürzungen der Marshallplanhilfe diskutiert werden179 – steht Tauben im Gras noch vor den breit geführten Diskussionen um den von Ludwig Erhard versprochenen Wohlstand für Alle (1957)180, die von Ernest Zahn analysierte Soziologie der Prosperität (1960)181 oder um die von Vance Packard ‚entlarvten‘ Geheimen Verführer (1958)182. Gleichwohl zeigt gerade Koeppens Roman einen Grundmechanismus der sich erneut formierenden kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auf: Zirkula177 Siehe http://www.maxfactor.de/de/model-wg/index.html [12. 09. 2012] 178 Stephen Greenblatt: Erich Auerbach und der New Historicism. Bemerkungen zur Funktion der Anekdote in der Literaturgeschichtsschreibung. In: Ders.: Was ist Literaturgeschichte? Frankfurt am Main 2000: Suhrkamp. S. 73–100, hier S. 96. 179 Zur ökonomischen und sozialpsychologischen Kontextualisierung von Tauben im Gras siehe Dirk Schindelbeck u. Volker Ilgen: „Haste was, biste was!“ Werbung für die soziale Marktwirtschaft. Darmstadt 1999: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. S. 9–14. Es sind diese Krisen, die zur Gründung der Vereinigung WAAGE führen, die es sich zur Aufgabe macht, die soziale Marktwirtschaft zu bewerben. 180 Ludwig Erhard: Wohlstand für Alle. Düsseldorf u. Wien 1957: Econ. 181 Ernest Zahn: Soziologie der Prosperität. Köln u. Berlin 1960: Kiepenheuer & Witsch. 182 Vance Packard: Die geheimen Verführer. Der Griff nach dem Unbewußten in jedermann. Düsseldorf u. Wien 1958: Econ Verlag. Die Liste der Sachbücher aus diesen Jahren, die über unterschiedlichste Aspekte des Wirtschaftslebens informieren, ließe sich um zahlreiche Titel ergänzen. Allein diese Konjunktur auf dem Büchermarkt zeigt, wie sehr Ökonomie auf das allgemeine Interesse der Zeit stößt.
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tion. Dass dabei diejenige Marke im Zentrum steht, die auch Greenblatt zur Veranschaulichung einiger Grundprämissen des New Historicism dient, eben CocaCola, verbindet sich hier mit einer erneuten Diskussion um den ‚Amerikanismus‘, die schon zu Edmund Edels Zeiten aufkommt. Der Markenname ermöglicht es, in der Lektüre des Romans in besonderer Weise einer – verallgemeinerbaren – Forderung nachzukommen, die Günter Häntzschel für den literaturgeschichtlichen Umgang mit der Literatur der 1950er Jahre aufgestellt hat: Die lineare und diachron vorgehende Literaturgeschichte ist eine Fiktion. Um die Lebenswelt zu begreifen, sollte sie ergänzt werden mit neuen kulturwissenschaftlichen Verfahrensweisen mit ihrer materialen Ausweitung und der Erweiterung ihrer zu untersuchenden Sparten in repräsentativen Querschnitten.183
Das Kapitel geht den synchronen Verschaltungen nach, die der Roman inszeniert, und nimmt dabei Impulse des spatial turn auf, der zu einer erneuten Aufmerksamkeit für Gilles Deleuzes und Félix Guattaris Tausend Plateaus geführt hat.184 Während Tauben im Gras gemeinhin als ein ‚verspätetes Formexperiment‘ gilt, das literarästhetisch eher der Weimarer Republik zuzuordnen ist, zeigt die hier vollzogene Lektüre, dass der Roman im Gegenteil wichtige Aspekte einer postmodernen Poetik vorwegnimmt. Bildet Zirkulation einen wesentlichen Aspekt der postmodernen Ästhetik, so steigert sich dies noch unter den Bedingungen der Popmoderne. Kapitel 5 zeichnet in einer Lektüre von Christian Krachts Roman 1979 (2001) nach, wie sich die Postzur Popmoderne entwickelt und dabei sämtliche Zeichen einer unendlichen, scheinbar zentrumslosen Zirkulationsbewegung aussetzt. Verfilzungen von Kultur mit dem Kommerz, wie sie Adorno in Kulturkritik und Gesellschaft 1951 anprangert, bilden für 1979 die poetologische Basis. Potentiell alles wird dem Roman zum Zeichen, das sich aneignen und mit anderen Zeichen verschalten lässt: von Markenprodukten und Filmzitaten über postmoderne Theorie und die Literatur der Décadence bis zum Holocaust. Selbst das Lager und der Ekel, die letzten Garanten des Authentischen in der postmodernen Theorie, werden damit ins Zitat überführt. Auf diese Weise führt 1979 in letzter Konsequenz die Unausweichlichkeit der Popmoderne vor: „We are Pop. […] Pop redeemed the world in an intoxicating way.“185
183 Günter Häntzschel: Literatur und Buchkultur in den fünfziger Jahren. In: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der fünfziger Jahre. München 2002: Wilhelm Fink Verlag. S. 217–229, hier S. 228. 184 Vgl. insbes. Ulrich Meurer: Topographien. Raumkonzepte in Literatur und Film der Postmoderne. München 2007: Wilhelm Fink. 185 Arthur C. Danto: The Abstract Expressionist Coca-Cola Bottle. In: Ders.: Beyond the Brillo Box, S. 131–145, hier S. 139.
Kapitel 1: Die Entdeckung der Oberfläche: Katalog- und Kulturpoetik
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Kapitel 1 Die Entdeckung der Oberfläche: Katalog- und Kulturpoetik von Edmund Edels archivistischer Satire Berlin W. (1906) Es ist immer dasselbe, man blättert wie in einem Katalog.1 Edmund Edel: Neu-Berlin (1908)
„Es kommt uns seltsam vor“, schreibt Walter Benjamin 1929 in einem Beitrag für Das illustrierte Blatt, „Bücher ernst nehmen zu sollen, die nie Bestandteil einer ‚Bibliothek‘ waren“.2 Was Benjamin den Dienstmädchenromanen des 19. Jahrhunderts attestiert, eine Literatur, die „so lange verachtet“ wurde, wie es „den Aberglauben an die absolute ‚Kunst‘ gab“,3 das trifft ebenso auf die 1906 erschienene Satire Berlin W. Ein Paar Kapitel von der Oberfläche des zu seiner Zeit äußerst populären Berliner Karikaturisten, Illustrators und Plakatkünstlers Edmund Edel zu.4 Auch Berlin W. war vermutlich zu keinem Zeitpunkt Bestandteil einer Biblio-
1 Edmund Edel: Neu-Berlin. Berlin u. Leipzig o.J. 21910 (1908): Hermann Seemann Nachf. S. 83. [= Großstadt-Dokumente. Hg. von Hans Ostwald. Bd. 50.] 2 Walter Benjamin: Dienstmädchenromane des vorigen Jahrhunderts. [Erstdruck in: Das illustrierte Blatt, 01. 04. 1929, S. 340]. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. IV-2: Kleine Prosa. Baudelaire-Übertragungen. Hg. von Tilman Rexroth. Frankfurt am Main 1991: Suhrkamp. S. 620–622, hier S. 622. 3 Benjamin: Dienstmädchenromane des vorigen Jahrhunderts, S. 621. 4 Über die Bedeutung Edmund Edels als Plakatkünstler resümiert der Reklamefachmann Ernst Growald, Mitarbeiter und Berater der zu dieser Zeit wichtigsten Institution für das moderne Plakat, der Berliner Druckerei und Kunstanstalt Hollerbaum & Schmidt, um 1910: „Von meinen alten Freunden aus den ersten Kampf- und Sturmjahren [für das künstlerische Plakat in Deutschland, B. W.] haben sich leider einzelne anderen Zielen zugewendet; unvergessen ist aber ihr Einfluß auf die junge Reklamekunst, besonders Edmund Edel’s sei an dieser Stelle gedacht, der als erster Berliner Künstler an meine Seite trat und der wohl einzige wirklich spezifisch berlinerische Plakatkünstler gewesen und geblieben ist“. Ernst Growald: Die Kunst im Dienste der Reklame. In: Paul Ruben (Hg.): Die Reklame. Ihre Kunst und Wissenschaft. Berlin 21913 (1910): Verlag für Sozialpolitik. S. 17–135, hier S. 125. [Reprint Hamburg 1977: HÖRZU.] Zu Edels Bedeutung als Plakatkünstler siehe auch Marina Sauer: Mit Schirm, Charme und Melone. Der Plakatkünstler Edmund Edel (1863–1934). Katalog zu Ausstellung der Stiftung Pommern, Kiel, vom 15. Mai bis 15. Juli 1994. Kiel 1994: Stiftung Pommern. Sowie die einschlägige Darstellung zur Reklame in Deutschland von Dirk Reinhardt: Von der Reklame zum Marketing. Geschichte der Wirtschaftswerbung in Deutschland. Berlin 1993: Akademie Verlag. S. 57–59. Für das Anzeigenwesen um 1900 hält Reinhardt Edel zusammen mit Thomas Theodor Heine, Henry van de Velde und Peter Behrens für die vier führenden Grafiker. Zur Entwicklung der Plakatkunst um die Jahrhundertwende insgesamt siehe auch Sylvia Meffert: Werbung und Kunst. Über ihre phasenweise Konvergenz in Deutschland von 1895 bis zur Gegenwart. Opladen 2001: Westdeutscher Verlag. Bes. S. 21–102.
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thek. „[F]ür ein paar Wochen“, notiert ein zeitgenössischer Kritiker, sei es allerdings „in allen Ecken der Buchhändler auf[ge]taucht“5 – um dann für lange Zeit aus dem Gedächtnis der Literaturgeschichte zu verschwinden.6 Weshalb also sollte dieses Buch nun, nach über hundert Jahren, von der Literaturgeschichte ernst genommen werden? Für Benjamin rückt an die Stelle der Bibliothek als Qualitätsmerkmal ein Begriff in den Fokus, den sein Beitrag gegen die Literaturgeschichte der „Gipfel[]“7-Betrachtung geltend macht: das „Archiv“8, das diese Bücher selbst bilden. Benjamin zeigt sich fasziniert davon, wie diese Romane den „Stoffhunger des Publikums“9 bedienten. Gerade weil sie Bücher wieder zu dem machten, was sie ursprünglich gewesen seien, nämlich „Gebrauchsgegenstände“, die folglich „nach dem Kreise ihrer Verbraucher klassifiziert“ werden könnten,10 erscheinen ihm die Romane kulturgeschichtlich so interessant. Edels Satire eröffnet dieses kulturgeschichtliche Archiv nicht nur, indem es den Stoffhunger seines Publikums bedient, sondern dieses Publikum zugleich selbst zum Gegenstand hat: die neureiche Gesellschaft des Berliner Westens um 1900. Das folgende Kapitel geht der archivistischen Poetik von Berlin W. nach und zeigt, dass der Text erstens eine Vielzahl profaner Dinge aus der Alltagssphäre des Berliner Westens versammelt und damit den ‚neuen‘ Archivismus der Poplite-
Als Karikaturist belieferte Edel u.a. den Ulk, die Fliegenden Blätter sowie das von ihm und Max Osborn gegründete Satireblatt Narrenschiff. Blätter für fröhliche Kunst. Zu Edels Tätigkeit als Karikaturist siehe Konrad Ege: Karikatur und Bildsatire im Deutschen Reich. Der ‚Wahre Jakob‘, Hamburg 1879/80, Stuttgart 1884–1914. Mediengeschichte, Mitarbeiter, Chefredakteure, Grafik. Münster u. Hamburg 1992: Lit. S. 128–138. 5 Dr. Rudolf Presber, Berlin: Kritik zu Edmund Edel: Berlin W. Zit. nach dem Annoncenteil zu Edmund Edel: Fritz, der Zeitgenosse. Eine merkwürdige Geschichte. Mit vielen Zeichnungen. Hamburg 1909: Verlag von H. Carly. Unpag. Annoncenteil. 6 Dies gilt – im Unterschied zu Edels Plakaten, die bis heute Anerkennung finden und zusammen mit denjenigen Thomas Theodor Heines, Julius Klingers sowie seines Schülers Lucian Bernhard u.a. genannt werden – für Edels satirisch-publizistische Tätigkeit insgesamt. Selbst in Peter Sprengels umfassender Geschichte der Literatur des Wilhelminischen Kaissereichs findet Edmund Edel keine Erwähnung, siehe Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900–1918. Auch in Gertrud Maria Röschs Darstellung zur Satire der Jahrhundertwende bleibt Edel unerwähnt, obwohl Rösch auf Zeitschriften wie die Lustigen Blätter eingeht, für die Edel produktiv war. Gertrud Maria Rösch: Satirische Publizistik, Cabaret und Ueberbrettl zur Zeit der Jahrhundertwende. In: York-Gothart Mix (Hg.): Naturalismus – Fin de siècle – Expressionismus 1890–1918. München 2000: Deutscher Taschenbuch Verlag. S. 272–286. [= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. 7.]. 7 Benjamin: Dienstmädchenromane des vorigen Jahrhunderts, S. 620. 8 Benjamin: Dienstmädchenromane des vorigen Jahrhunderts, S. 621. 9 Benjamin: Dienstmädchenromane des vorigen Jahrhunderts, S. 621. 10 Benjamin: Dienstmädchenromane des vorigen Jahrhunderts, S. 622 u. 620.
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ratur durch einen ‚frühen‘ Archivismus der Jahrhundertwende relativiert, insofern auch Berlin W. bereits „in geradezu positivistischer Weise Gegenwartskultur“ archiviert.11 Überdies werden, zweitens, in Berlin W. weitere „unzählige[] Stimmen“12 hörbar, die den Text mit den Diskursen seiner Zeit verbinden. Archiviert werden somit nicht nur Marken wie Henckell Trocken und Mercedes oder das Konfektionshaus Gerson, sondern ebenso die zeitgenössischen Diskussionen um Reklame, Kultur und Zivilisation, Amerikanismus, Mode und Geltungskonsum. Dieses diskursive Netz, dessen Fäden in Berlin W. zusammenlaufen, verlangt nach einer Literaturgeschichte als Kulturgeschichte, wie sie Edels Zeitgenosse Eugen Kahlschmidt bereits 1908 fordert, wenn er befindet: Eine Literaturgeschichte ist wohl nur dann von wahrhaft historischem Werth, wenn sie aus dem Verständniß des geistigen Gesammtlebens der Vergangenheit heraus und in engster Verbindung mit ihrer Darstellung den dichterischen Niederschlag dieses einstigen Lebens darzustellen trachtet. Die Literaturgeschichte muß Kulturgeschichte werden, muß mehr und mehr den Sonderehrgeiz aufgeben, aus sich allein eine zureichende Erklärung für die literarische Entwickelung der Zeit und Geister zu finden.13
Eine solche kulturgeschichtlich motivierte Literaturgeschichte führt mehrfach aus dem Text heraus und wieder in den Text hinein. Dabei geht es weniger um kulturgeschichtliche ‚Exkurse‘, als vielmehr um die Befriedigung eines genuin literaturästhetischen Interesses. Denn die verhandelten Diskurse erweisen sich als keineswegs bloß thematisch relevant, sondern betreffen – dies ist der dritte Aspekt, den das Kapitel verfolgt – die poetologische Beschaffenheit von Berlin W. selbst, wie die Verbindungen zur Reklamekunst und zum Warenhauskatalog der Zeit zeigen. An diesen Knotenpunkten wird Kulturgeschichte zur Kulturpoetik. Der Warenästhetik kommt damit eine ‚kulturpoetische Funktion‘ zu.14
11 Baßler: Der deutsche Pop-Roman, S. 184. Baßler blendet Vorformen des popliterarischen Archivismus weitgehend aus, wenn er zu dem Schluss kommt, dass die Möglichkeiten zur Aneignung von Markenwaren von der Literatur „vor den 1990er Jahren praktisch nicht umgesetzt“ wurden. Am ehesten sieht Baßler eine Öffnung zur Waren- und Medienkultur vor der Popliteratur noch in den Parlando-Gedichten Gottfried Benns realisiert. Ebd., S. 166 u. 184. 12 Greenblatt: Verhandlungen mit Shakespeare, S. 33. 13 Eugen Kahlschmidt: Literaturgeschichte. In: Die Zukunft, 01. 02. 1908, S. 174–175, hier S. 174. 14 Siehe Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv.
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Kapitel 1: Die Entdeckung der Oberfläche: Katalog- und Kulturpoetik
1.1 Archivierung der Oberfläche, Verabschiedung der Höhenmetaphorik Als der französische Journalist Jules Huret auf seiner Reise durch das Deutschland der Nuller Jahre in Berlin Station macht, führt ihn der Weg auch in den Westen Berlins, der verwaltungsrechtlich noch nicht zu Berlin gehört,15 als ‚Berlin W.‘ aber für zahlreiche Beobachter der Zeit einen Faszinationsort bildet, darunter etwa auch Robert Walser oder Heinrich Mann, dessen ‚Roman unter feinen Leuten‘ Im Schlaraffenland (1900) im angrenzenden Bezirk Tiergarten angesiedelt ist.16 Um die Jahrhundertwende lässt sich in den Villenvierteln um den Kurfürstendamm eine neue obere Mittelschicht nieder, die sich aus Gewinnern der Gründerzeit und Neureichen ebenso wie zahlreichen Intellektuellen zusammensetzt. Sie bilden das geistige und konsumistische Zentrum einer neuen Oberflächenkultur, die „mit dem zunehmenden Reichtum auch de[n] Geschmack an den Äußerlichkeiten“ potenziert.17 Demonstrativer Konsum und Müßiggang, wie ihn der amerikanische Ökonom und Soziologe Thorstein Veblen in seiner 1899 erschienenen Theory of the Leisure Class beschreibt, werden hier offensiv wie nirgends sonst im Wilhelminischen Kaiserreich praktiziert.18 Auch Huret zeigt sich
15 Erst 1920, als mit dem Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin vom 27. April, die Grenzen der Reichshauptstadt neu gezogen werden, werden diese Viertel in das neue ‚Groß-Berlin‘ eingemeindet. Siehe dazu Otto Büsch u. Wolfgang Haus: Berliner Demokratie 1919–1985. Bd. 1: Berlin als Hauptstadt der Weimarer Republik 1919–1933. Berlin 1987: de Gruyter. S. 9f. Zur Entwicklung ‚Groß-Berlins‘ und zu Berlin W. um 1900 siehe auch Lange: Das Wilhelminische Berlin, S. 65–106. 16 Robert Walser: Berlin W. [1910]. In: Ders.: Aufsätze. Zürich u. Frankfurt am Main 1985: Suhrkamp. S. 79–82. Heinrich Mann: Im Schlaraffenland. Ein Roman unter feinen Leuten. Frankfurt am Main 52001 (1988): Fischer Taschenbuch Verlag. Eine der ersten literarischen Darstellungen von Berlin W. liefert Paul Lindau in seinem Roman Der Zug nach dem Westen (1886), über den Fontane urteilt: „[A]uf die Frage: sind diese Schilderungen ein Bild des Lebens von Berlin W. …? muß ich mit einem allerentschiedensten ‚Nein‘ antworten […]. Es sind alte Figuren, […] nicht von der Lebens-, sondern von der Schaubühne heruntergelangt“. Theodor Fontane: Bemerkungen über Paul Lindau, „Der Zug nach dem Westen“. In: Hartmut Steinecke (Hg.): Romanpoetik in Deutschland. Von Hegel bis Fontane. Tübingen 1984: Gunter Narr. S. 227–229, hier S. 227. Eine weitere Literarisierung erfährt Berlin W. in Erdmann Graesers erstmals zwischen 1907 und 1908 erscheinender Romanserie Lemkes sel. Wwe., die schildert, wie eine kleinbürgerliche Familie Lemke nach Berlin W. zieht, sich dort standesbedingt unwohl fühlt und am Ende wieder fortzieht. Erdmann Graeser: Lemkes sel. Wwe. Das falsche Gebiß – Der blaue Amtsrichter – Berlin WW. Humoristischer Roman aus dem Berliner Leben. Berlin o.J. [um 1925]: Paul Franke Verlag. 17 Edel: Neu-Berlin, S. 67. 18 „Conspicous consumption of valuable goods is means of reputability to the gentleman of leisure“, erklärt Veblen. Thorstein Veblen: The Theory of the Leisure Class. An Economic Study of Institutions [1899]. New York 1998: Prometheus Books. S. 75.
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beeindruckt von dem ausgestellten Wohlstand und gerät über die Fortschrittlichkeit ins Schwärmen. Seinen Lesern im Figaro berichtet er: „Charlottenburg, Schöneberg, Wilmersdorf, Schmargendorf, alle diese neuen Viertel sind außerordentlich hübsch. Mir sind diese Häuser, von denen kaum eines dem andern gleicht, eine wahre Freude“.19 Anerkennend äußert sich Huret insbesondere über den selbstverständlichen technischen Komfort, mit dem die Häuser in den neuen Berliner Vierteln ausgestattet seien: „Häuser mit elektrischem Aufzug, Zentralheizung, elektrischem Licht, Baderäumen für die Herrschaft und die Dienstboten, warmes Wasser bei Tag und bei Nacht gehören nicht mehr, wie bei uns in Frankreich, zu den Ausnahmen. Ohne diese Bequemlichkeiten baut man hier kein Haus mehr“.20 Ein gewisses Unbehagen des reisenden Beobachters erregt allein die Kurzlebigkeit des Ganzen. So stellt Huret fest, dass die Skulpturen, die doch solche Bewunderung auf sich zögen, bereits nach kaum drei Jahren anfingen abzubröckeln; der Regen weiche die Stuckornamente auf und lasse das Mauerwerk darunter sichtbar werden. „Indes“, so schiebt Huret seinen Einwand beiseite, „was schert sie das, diese Hausbesitzer und Bauunternehmer? In fünfzehn Jahren reißen sie ja all das wieder nieder, um neue, modernere und noch reichere Bauten an ihre Stelle zu setzen.“21 Mit Berlin W. beschreibt Edel die Gesellschaft dieses Berliner Westens und ihr großstädtisches Treiben auf der Oberfläche einer sich rasant entwickelnden Konsumkultur. Eröffnet wird sein Text jedoch zunächst mit einem dreiseitigen Rückblick auf die Zeit vor Berlin W.: Vor fünfundzwanzig Jahren gab es noch kein Berlin W. Vor fünfundzwanzig Jahren wohnte man noch in der Oranienburgerstraße oder in der Kraußnickstraße oder man hatte ein Haus in der Friedrichstraße. […] Papa hatte damals vielleicht noch einen „Laden“, und Mama’s Hüte wurden in der Annenstraße bei einer kleinen Putzmacherin nach ihren Angaben gefertigt. Und das Höchste der Gefühle war ein Umhang von Gerson, der sechs bis acht Saisons reichen mußte, jedes Jahr geschmackvoll modernisiert. […] Berlin W. war noch nicht erfunden.22
19 Jules Huret: Berlin. München 1909: Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst. S. 29. Der Band Berlin bildet den dritten Teil aus Hurets Werk En Allemagne, das ab 1907 zunächst in Form von Reisebriefen in Le Figaro veröffentlicht wurde. 20 Huret: Berlin, S. 29f. 21 Huret: Berlin, S. 29. 22 Edmund Edel: Berlin W. Ein Paar Kapitel von der Oberfläche. Berlin 1906: Boll u. Pickardt. S. 3 u. 6.
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1906 dagegen, als Edels Buch erscheint, muss der Umhang von Gerson längst keine sechs bis acht Saisons mehr reichen. Berlin W. steht in voller Blüte: Da eines Tages war es da. Es war da, wie eine Seifenblase, die schillernd, gleißend, lüstern aus dem biederen, weißen, gediegenen Seifenschaum sich aufbläht. […] Berlin W. Draußen, wo die Protzenburgen des Geldes den Kurfürstendamm säumen, wo die „Jugendstil“-Architekturen des „bayerischen Viertels“ sich in maßlosen Geschmacksverirrungen gefallen, da draußen, wo […] Berlin eigentlich Charlottenburg, Schöneberg oder Wilmersdorf ist, da draußen liegt Berlin W. Da draußen wohnt „man“. Man hat acht bis zwölf Zimmer, man hat einen Fahrstuhl und ein amtliches Zeugnis, daß man denselben selbst bedienen darf, wofür man fünf Reichsmark bezahlt und das unsichere Gefühl hat, von Zeit zu Zeit stecken zu bleiben. Man hat warmes und kaltes Wasser zu seiner Verfügung, einen eingebauten VakuumreinigerMotor im Hause, und die Dienerschaft braucht nicht mehr wie früher Lampen zu putzen, die Glühstrümpfe zu zerschlagen und die Oefen zu heizen. Man hat zur Erledigung der unbedingt notwendigen Leibesfunktionen zwei bis drei stille, aber dekorativ ausgestattete Räume, man hat eine „Diele“, die je nach dem Geschmacke und den Sommerreisen des Inhabers im orientalischen, friesischen oder „Markiewicz“-Geschmack eingerichtet ist. Wenn man in seiner Familie Mitglieder mit höherem Fluge hat, so ist diese Diele im BiedermeyerStil weiß lakiert [sic!] mit Darmstädter Korbmöbeln. Im übrigen ist die Wohnung stilvoll eingerichtet. Wenn man vor der Gründung der endgültig letzten Kunstrichtung geheiratet hat, schwanken die Formen der Möbel zwischen „Jugend“ und „Pfaff“, ist man jedoch in den letzten fünf Jahren in den heiligen Ehestand getreten, biegen sich die Büffets und die Bibliotheken, die Salonarrangements und die Ehebetten in den geistvollen Wellenlinien van de Veldes oder der Dresdener und Münchener Kunstwerkstätten. […] [A]uf den vielen Etageren und Tischchen stehen französische Bronzen, Kopenhagener Porzellan, echt Meißen, die alle einen wirklichen Provenienzstempel auf der Rückseite haben […]. Im Salon hängen in prachtvollen Goldrahmen richtige Ölgemälde, die man entweder bei Lepke auf der Auktion, bei Cassierer [sic!] oder in Italien auf der Reise erstanden, oder die die gnädige Frau vor ihrer Verheiratung „selbst“ gemalt hat […]. Auf dem Arbeitstisch liegen Bücher und Zeitschriften, wie zufällig vergessen, sorgsam aufgeschnitten, und verraten die literarischen Neigungen der Bewohner: „Neue Rundschau“, Maeterlinck, Skandinavien und Oskar Wilde und etwas derbdeutsche Erotik mit französischem Einschlag. Und das Telephon steht im schmucken, schwarzen Kästchen mit Nickelhörapparat neben dem elektrischen Cigarrenanzünder, neben der elektrischen Stehlampe mit roten und grünen irisierenden Gläsern und neben der Schreibmappe mit den englischen Silberbeschlägen. In der Bibliothek schlummern das Konversationslexikon, Nietzsche, Heines sämtliche Werke und die von der „Gnädigen“ in den letzten Heringsdorfer-Saisons gelesenen „Engelhörner“.23
In Edels Beschreibung kehren nicht nur die von Huret hervorgehobenen Komforteinrichtungen wieder – Huret dürfte beim Verfassen seiner Reisebriefe selbst auf das Buch von Edel, den er als den „geistvolle[n] Monographist[en]“24 von Berlin W.
23 Edel: Berlin W., S. 6–8. 24 Huret: Berlin, S. 107.
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bezeichnet, zurückgegriffen haben –; mit der schier uferlosen Aufzählung von Einrichtungsgegenständen unterwandert Edel überdies eine Forderung von Friedrich Sass aus der Zeit des poetischen Realismus, derzufolge man von der Straße ins Innere der Wohnungen, zu den Menschen schauen müsse, „um etwas mehr als die Oberfläche kennen zu lernen“25. Edel blickt im Eröffnungskapitel von Berlin W., das den Intimität versprechenden Blick auf Die Familie ankündigt, hinter die Stuckfassaden des Berliner Westens, ins Innere der Wohnungen und zeigt – Oberfläche: Denn indem die Möbelstücke Henry van de Veldes oder der Dresdener oder Münchner Kunstwerkstätten (Abb. 10–11) gleichberechtigt neben die Werkausgabe Heines treten, die Schriften Nietzsches neben das Kopenhagener Porzellan und die Gemälde aus dem sezessionistischen Salon von Bruno und Paul Cassirer neben das Konversationslexikon und die Romane aus Engelhorns Allgemeiner Roman-Bibliothek, wird die bürgerliche Höhen- und Tiefenmetaphorik des 19. Jahrhunderts, die eine klare und rigide Trennlinie zwischen dem kulturell Wertvollen und dem Profanen zieht,26 gründlich ignoriert. All diese Gegenstände, unter denen sich immer wieder auch Markennamen wie Meißener Porzellan finden, erscheinen hier als Einrichtungsgegenstände und werden der Werte, die ihnen etwa als kulturellen Gütern zukämen, entkleidet. Auch den kulturellen Objekten kommt keine weitere Bedeutung zu als Teil eines ästhetischen Einrichtungsarrangements zu sein: Die Bücher und Zeitschriften liegen zwar ‚wie zufällig vergessen‘ auf dem Arbeitstisch, doch gerade die vergleichende Konjunktion /wie/ lässt vermuten, dass sie so sorgsam ausgelegt wurden, wie sie aufgeschnitten wurden. Die in dieser Aufzählung vollzogene Aufhebung der bürgerlich tradierten Trennung von ‚Hohem‘ und ‚Niederem‘ findet ihre Entsprechung in der zeitgenössischen Programmatik des Jugendstils, der sich als „Jugend“ unter den aufgezählten Einrichtungsgegenständen wiederfindet. Edels Buch steht selbst gestalterisch durch Vignetten und einige Verzierungen der vom Jugendstil etablierten Buchkunst nahe, wenn es auch bei weitem nicht so überbordend gestaltet ist wie etwa die einschlägigen Jugendstilzeitschriften Pan, Die Insel oder Jugend.27
25 Friedrich Sass: Berlin in seiner neuesten Zeit und Entwicklung, Leipzig 1846: Julius Koffka. S. 9. 26 Zur Unterscheidung von profanem Raum und kulturell Wertvollem siehe Groys: Über das Neue. Zur bürgerlichen Höhen- und Tiefenmetaphorik siehe Gerhard Plumpe: Einleitung. In: Ders.u. Edward McInnes (Hg.): Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848–1890. München 1996: Deutscher Taschenbuch Verlag. S. 17–83, bes. S. 55f. [= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur. Bd. 6.] 27 Zur Buchgestaltung des Jugendstils siehe Otto Julius Bierbaum: Gedanken über Buchausstattung. [Erstdruck in: Zeitschrift für Bücherfreunde. Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen 1 (1897/98) 1, S. 210–212]. In: Jürg Mathes (Hg.): Theorie des literarischen Jugendstils. Stuttgart 1984: Philipp Reclam jun. S. 68–73.
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Abb. 10: Damenzimmer, Entwurf: Prof. Krüger, Vereinigte Werkstätten München.
Abb. 11: Schlafzimmer in Kiefern-Holz weiß gestrichen, Entwurf: M. A. Nicolai, Dresdener Werkstätten für Handwerks-Kunst.
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Der Jugendstil, heißt es programmatisch in der ersten Ausgabe der Zeitschrift Ver Sacrum (1898), kenne „keine Unterscheidung zwischen ‚hoher Kunst‘ und ‚Kleinkunst‘“28. Ihre Maxime: „Das Ziel aller Künste ist Schönheit“29 weiten die Künstler des Jugendstils daher „auf die Baukunst wie auf das Hausgerät, auf die Kleidung wie auf den Schmuck“30 aus, wie Henry van de Velde erklärt. Dieser Anspruch, alle Bereiche des Alltäglichen zu erfassen und somit die topische Trennung zwischen Kunst und Leben aufzuheben, findet seinen Ausdruck nicht zuletzt in zeitgenössischen Magazinen wie den Darmstädter Zeitschriften Innen-Dekoration und Deutsche Kunst und Dekoration, vor allem aber in dem in Berlin W. erscheinenden Kunstgewerbe für’s Haus. Illustrierte Monatszeitschrift für Dilettanten.31 In diesen Magazinen vermischen sich Anleitungen zur ornamentalen Ausgestaltung der eigenen Wohnräume, Musterbogen, Vignettenbeispiele und Schablonen für Fotorahmen mit Berichten über Kunstausstellungen sowie Essays und Kommentaren zu Fragen der Zeit – u.a. berichtet der Kunstkritiker Max Osborn hier auch über die Plakatkunst Edmund Edels.32 In den Magazinen findet sich damit eine ähnliche Mischung von Literatur, Kunst und Dekorativem, wie sie Berlin W. in den Saloneinrichtungen zeigt. Literarästhetisch lassen sich Aufzählungen, wie sie die zitierte Passage liefert, als Verfahren der Katalogisierung beschreiben.33 „Ein Katalog“ – so seine Bestimmung als einem textuellen Konstruktionsprinzip – „ist die tendenziell vollständige Anordnung aller Lexeme eines gegebenen Paradigmas im Syntagma
28 O. Verf.: Weshalb wir eine Zeitschrift herausgeben? [Erstdruck in: Ver Sacrum 1 (1898) 1, S. 5–7.] In: Mathes (Hg.): Theorie des literarischen Jugendstils, S. 73–78, hier S. 76. 29 August Endell: Vom Sehen. [Erstdruck in: Die Neue Gesellschaft 1 (1905), S. 45–47.] In: Mathes (Hg.): Theorie des literarischen Jugendstils, S. 110–114, hier S. 110. 30 Henry van den Velde: Was ich will. [Erstdruck in: Die Zeit. Wiener Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft, Wissenschaft und Kunst 26 (1901) 336, S. 154f.] In: Mathes (Hg.): Theorie des literarischen Jugendstils, S. 106–110, hier S. 110. Vgl. dazu auch das Vorwort zu Ernst Haeckels Kunstformen der Natur: „Die moderne bildende Kunst und das moderne, mächtig emporgeblühte Kunstgewerbe werden in diesen wahren Kunstformen der Natur eine reiche Fülle neuer und schöner Motive finden“. Ernst Haeckel: Kunstformen der Natur. [Bd. 1. Leipzig 1899: Bibliographisches Institut. S. If.] In: Mathes (Hg.): Theorie des literarischen Jugendstils, S. 48–51, hier S. 50. 31 Kunstgewerbe für’s Haus. Illustrierte Monatszeitschrift für Dilettanten. Hg. von C. von Sivers. Die Zeitschrift erscheint ab 1901 in Berlin W 35, Lützowstr. 9, u. Leipzig. 32 Max Osborn: Edmund Edel und seine Plakate. In: Deutsche Kunst und Dekoration, IV (1901) 8, S. 389–400. 33 Gleichwohl bildet nicht jede Aufzählung einen Katalog. Zur Vielfalt aufzählender Verfahren siehe Sabine Mainberger: Die Kunst des Aufzählens. Elemente zu einer Poetik des Enumerativen. Berlin u. New York 2003: Walter de Gruyter. [= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte. Hg. von Ernst Osterkamp u. Werner Röcke. Bd. 22.]
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schlichter Reihung“.34 Ein Katalog versammelt eine Vielzahl von Elementen desselben Gegenstandsbereichs oder ‚Thesaurus‘, nicht um aus ihnen auszuwählen, sondern um sie in ihrer Vollständigkeit wiederzugeben. Er gilt daher als „wohl die einfachste Textur überhaupt.“35 Darauf wird am Ende dieses Kapitels zurückzukommen sein, weil Kataloge ein „Herzstück“36 archivistischer Verfahren ausmachen, das sich zugleich kulturpoetologisch im Bereich der Warenästhetik verankern lässt: in den Warenhauskatalogen, die mit der Jahrhundertwende zunehmend an Verbreitung gewinnen. Entscheidend für die Archivierung der Oberfläche in Berlin W. ist jedoch vorerst, dass es sich bei den gesammelten Dingen um solche handelt, die nicht mehr zeigen als das, „[w]as jeder kundige Berliner wußte“37 – sei es aufgrund der eigenen Saloneinrichtung, sei es aus Magazinen wie dem Kunstgewerbe für’s Haus. Über diesen ‚abbildenden‘, das Paradigma widerspiegelnden Charakter hinaus stellt sich in Berlin W. aber ein satirischer Effekt von Oberfläche ein, auf den der Untertitel Ein Paar Kapitel von der Oberfläche abzielt. Dieser Effekt wird erst durch das Verfahren des Katalogs hervorgebracht, wenn es unter dem gesetzten Paradigma ‚Einrichtungsgegenstände‘ Dinge versammelt, die, wie Nietzsche und Heine, valorisierten Bereichen zugeordnet sind, im Katalog aber „auf einer Ebene [stehen], […] gleich viel und damit auch gleich wenig wert [sind]“.38 Die Textur des Katalogs erfüllt somit in der vorgeführten Aufhebung der Höhen- und Tiefendifferenz nicht einfach das Programm des Jugendstils, sondern erzeugt eine semantische Spannung, indem sie nicht Zusammengehöriges unter einem gemeinsamen Oberbegriff versammelt. Bevor dieses Verfahren näher betrachtet werden soll, gilt es jedoch zunächst die zeitgenössische Praxis des Markenkonsums in Berlin W. in den Blick zu nehmen.
1.2 Warenkunde, Markenkenntnis und der semiologische Mehrwert der Benennung Edel selbst liefert eine markenhistorisch aufschlussreiche Erklärung für die Aufhebung von Hoch- und Alltagskultur in Berlin W. Als er zwei Jahre nach Erscheinen seines Erstlings für Hans Ostwalds Reihe der Großstadt-Dokumente
34 Moritz Baßler: Historistischer und rhetorischer Katalog. In: Ders., Christoph Brecht, Dirk Niefanger u. Gotthart Wunberg: Historismus und literarische Moderne. Tübingen 1996: Niemeyer. S. 134–149, hier S. 134. 35 Baßler: Historistischer und rhetorischer Katalog, S. 134. 36 Baßler: Die neuen Archivisten, S. 102. 37 So ein Annoncentext für Berlin W. In: Edel: Fritz, der Zeitgenosse, unpag. Annoncenteil. 38 Baßler: Die Entdeckung der Textur, S. 137.
Warenkunde, Markenkenntnis und der semiologische Mehrwert der Benennung
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den Band Neu-Berlin (1908) verfasst,39 urteilt er darin über den Erwerb von Kunstwerken: Manchmal werden auch Bilder gekauft, aber der eigene Geschmack muß hinter der „Marke“ zurückstehen. Man erwirbt wohl einen von den berühmten Namen und scheut keine Kosten dafür. Aber man würde sich nicht trauen, selbständig das Bild eines unbekannten Malers zu erwerben, da man erstens in den seltensten Fällen unterscheiden kann, ob etwas gut oder schlecht gemalt ist und zweitens seinen Bekannten damit nicht imponiert.40
Kunst erscheint in Berlin W. somit selbst als ‚Marke‘. Die Funktionsweise von Markenwaren wird dadurch metaphorisch auf die Sphäre des kulturell Valorisierten übertragen. Auf diese Weise bestätigt sich die Feststellung des Reklame- und Markenfachmanns Viktor Mataja, dass „[d]ieser Vorgang nun, bei dem sich die Aufmerksamkeit des Käufers vornehmlich oder ausschließlich auf die erzeugende Firma oder die Bezeichnung richtet, durch welche die Herkunft der Ware aus einem bestimmten Betriebe dargetan wird, […] zweifellos in unsern Zeiten eine stark zunehmende Anwendung [erfährt]“41. Denn „[n]eben den Einwirkungen der Reklame auf das Geschäfts- und Wirtschaftsleben“ seien „auch jene nicht zu übersehen, die sie auf das Geistesleben ausübt“.42 Das Vertrauen in die Marke ist dabei zumeist die Kehrseite einer mangelnden Warenkenntnis und im Falle der metaphorischen Übertragung auf die Kunst die Folge einer mangelnden Kunstkenntnis. Die zunehmende Ersetzung der Warenkunde durch Markenkenntnis setzt recht bald nach der Einführung der ersten großen Marken auf dem deutschen Markt wie Kathreiner’s Malzkaffee, Leibniz-Cakes oder Odol Anfang der 1890er Jahre ein und wird bereits 1897 von Max Rieck erkannt: Was früher von allen Kaufleuten als Grundbedingung gefordert wurde, eine gründliche Warenkenntnis, die sucht man heut bei 95 % vergebens. An die Stelle der Warenkenntnis ist die ‚Markenkenntnis‘ getreten, und die verschafft sich jedes Kind in wenigen Stunden, wenns sein muß. Eine Warenkenntnis konnte aber nur empirisch erlernt werden.43
39 Zur Reihe der Großstadt-Dokumente siehe die erste umfassende Aufarbeitung von Ralf Thies: Ethnograph des dunklen Berlin. Hans Ostwald und die „Großstadt-Dokumente“ (1904–1908). Köln, Weimar u. Wien 2006: Böhlau. Bes. S. 117–213. 40 Edel: Neu-Berlin, S. 57f. 41 Viktor Mataja: Die Reklame. Eine Untersuchung über Ankündigungswesen und Werbetätigkeit im Geschäftsleben. Zweite, verbesserte und ergänzte Auflage. München u. Leipzig 1916 (1909): Verlag Duncker & Humblot. S. 412. 42 Mataja: Die Reklame, S. 119. 43 Max Rieck: Deutscher Kaiser und Deutsches Volksvermögen. Leipzig 1897: Freund. S. 42. So auch Mataja, der Rieck an anderer Stelle zitiert: „[D]as zuerst durch die Reklame unterrichtete und angeregte, dann durch die Erfahrung belehrte Publikum folgt eben weniger den Anpreisun-
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Marken lassen demnach die empirische Schulung der Geschmacksbildung verzichtbar werden, und das heißt wiederum übertragen: es ist in Berlin W. keine Kunstkenntnis nötig, um Kunst zu kaufen. Kunst stellt – in der Terminologie Bourdieus – kein inkorporiertes, sondern nur mehr ein objektiviertes kulturelles Kapital dar, das nicht durch Bildung angeeignet, sondern als materialisierter Träger von Kultur durch ökonomisches Kapital erworben wird44: ‚man erwirbt‘, aber ‚man kann nicht unterscheiden, ob etwas gut oder schlecht gemalt ist‘. Edel karikiert damit nicht nur den ‚Kunstkonsum‘ in Berlin W., sondern reflektiert frühzeitig und ohne idealisierende Verklärung die Mechanismen eines sich zunehmend ökonomisierenden Kunstmarktes.45 Tatsächlich füllt der Marken- resp. Künstlername in Edels metaphorischer Übertragung nicht nur ex negativo die Lücke, die sich durch die mangelnde Kunstkenntnis auftut, sondern umfasst die entscheidenden Grundelemente einer Semiologie der Marke, wie sie um 1900 zunehmend in Abhandlungen von Reklamefachleuten reflektiert und allmählich in Richtung einer Verwissenschaftlichung vorangetrieben werden. Im Zentrum dieser ersten Theoretisierungen der Marke steht neben qualitativen und den genannten warenkundlichen Argumenten insbesondere die Wiedererkennbarkeit und eindeutige Identifizierbarkeit der Markenware. So betont Mataja, dass „bei der Wahl von Bezugsquellen, Marken usw. das rein gedächtnismäßige Moment der bloßen Erinnerung eine große Rolle spielt. […] Die Namen von Geschäftshäusern oder Waren bleiben in unserm Gedächtnis haften, wir verbinden mit ihnen die auszeichnende Vorstellung des Allbekannten, wir assoziieren mit ihnen, was wir über sie, wenngleich durch die Firmen selbst, gehört haben“.46 Marken wird somit bereits in der Frühphase zugesprochen, über die bloße Dingbeschaffenheit hinauszuweisen und einen konnotativen, assoziativen Mehrwert mitzuliefern. Genau dies macht die Dinge in
gen des Detailhändlers, sondern verlangt die ihm bekannten Marken – häufig bei seiner mangelnden Warenkenntnis sehr zu seinem Nutzen“. Mataja: Die Reklame, S. 418. 44 Pierre Bourdieu: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Reinhard Kreckel (Hg.): Soziale Ungleichheiten. Göttingen 1983: Schwartz. S 183–198. [= Soziale Welt. Sonderband 2.] Siehe dazu auch die prägnante einleitende Darstellung zur Theorie Bourdieus von Alarich Rooch: Zwischen Museum und Warenhaus. Ästhetisierungsprozesse und sozial-kommunikative Raumaneignungen des Bürgertums (1823–1920). Oberhausen 2001: Athena. S. 14–46. [= Artificium. Bd. 7.] 45 Ein Aspekt, den Edel ein Jahr später in seinem Roman Der Snob erneut aufgreift: „Für ihn war alles ‚Branche‘. Auch Kunst und Literatur“. Edmund Edel: Der Snob. Roman. Berlin 1907: Egon Fleischel. S. 97. Dies gilt freilich ebenso für den Literaturbetrieb, siehe dazu die Beiträge des Bandes von Erhard Schütz u. Thomas Wegmann (Hg.): literatur.com. Tendenzen im Literaturmarketing. Berlin 2002: Weidler. 46 Mataja: Die Reklame, S. 19.
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Berlin W. zu Medien der sozialen Distinktion: die richtigen Marken ‚imponieren‘. Das gilt auch für Dinge, die nicht im engeren Sinne zu den Marken zu zählen sind, wie die Bilder und Bücher von den Künstlern und Autoren mit ‚berühmten Namen‘,47 aber eben auch und vor allem die Cafés und Warenhäuser, in denen verkehrt und konsumiert wird. Diese Einsicht in die semiologische Besonderheit von Marken liefert die Voraussetzung für die Poetik des Oberflächenarchivismus von Berlin W. Denn um ihr zu entsprechen, werden die Namen der Dinge nicht als ‚leidige Tatsachen‘ vermieden und ersetzt, sondern genannt, was wiederum eine wichtige Voraussetzung für die Bildung von Katalogen ist. Da den Möbeln van de Veldes, der Münchner und der Dresdener Kunstwerkstätten die Möglichkeit einer semiologischen Differenz zugestanden wird, erscheint jede Ersetzung durch generische Bezeichnungen wie ‚Tisch‘, ‚Schrank‘, ‚Stuhl‘ mit dem Verlust der möglicherweise sogar entscheidenden Bedeutungsaspekte verbunden, da sich Marken semiologisch durch eine Dominanz der Sekundärfunktion über die Primärfunktion auszeichnen.48 Aus diesem Grund erweist sich die Poetik des Oberflächenarchivismus zugleich als eine Poetik der Prädikation, der Benennung: Verkehrt wird in Berlin W. dementsprechend nicht in ‚Cafés‘ oder ‚Restaurants‘, sondern im Café des Westens, bei Huster in der Mohrenstraße, bei Borchardt und Hiller, bei Josty am Potsdamer Platz, im Kempinsky [!] oder bei Feinkost Hefter; geraucht werden nicht ‚Zigarren‘ oder ‚Zigaretten‘, sondern Bock und Rosa Aromatica, Upmann, Queen und Henry Clay; getrunken werden nicht ‚Bier‘ oder ‚Sekt‘, sondern Henckell Trocken, Burgeff grün, Irroy Goût Américain, White Curaçao, Pommery, Pilsener und Berliner Weiße mit Himbeer; gelesen werden schließlich nicht ‚Journale‘ und ‚illustrierte Blätter‘, sondern der Simplizissimus [!] und die Jugend, die Vossische, das Berliner Tageblatt und die Lustigen Blätter (für die Edel im übrigen selber tätig war). Dies und was sonst noch so benötigt wird, wie die Parfums Ideal und Peau d’espagne wird nicht im ‚Warenhaus‘, sondern bei Elsner in der Leipzigerstr, bei N. Israel, Gerson, Grünfeld und vor allem bei Tietz und Wertheim besorgt – das Kaufhaus des Westens, das bald darauf als „[d]er edelste Typ des modernen Warenhauses“, ja als „[d]er vornehmste Repräsentant der Warenhausidee in ganz Deuschland“ gilt,49 wird erst im März 1907, ein Jahr nach Erscheinen von Edels Buch, im Herzen von Berlin W. eröffnet. Ge-
47 Wie diese Markenbildung im literarischen Feld um 1900 an Bedeutung gewinnt, zeigt Thomas Wegmann am Beispiel von Hugo von Hofmannsthal, Stefan George und Peter Altenberg. Wegmann: Dichtung und Warenzeichen, S. 259–325. 48 Siehe dazu den Abschnitt 2. Semiologische und kulturpoetische Abenteuer: Simmel, Barthes und Greenblatt erkunden die Welt der Warenästhetik in der Einleitung zu dieser Arbeit. 49 Leo Colze: Berliner Warenhäuser. Berlin u. Leipzig 1908: Hermann Seemann Nachfolger. S. 18–29, hier S. 18. [= Großstadt-Dokumente. Hg. von Hans Ostwald. Bd. 47.]
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reist schließlich wird nicht mit dem Schiff oder Automobil, sondern mit der Hamburg-Amerika-Linie und Cook oder mit dem eigenen Adler oder 30 P.S.-Mercedes Phaeton mit amerikanischem Verdeck und Continental-Bereifung. Ein Blick ins Archiv zeitgenössischer Annoncen und Reklamen macht zahlreiche der genannten Marken mühelos identifizierbar (Abb. 12–15).
1.3 Von der Oberfläche der Warenästhetik zur Oberfläche der Textur Bereits bei der ersten Betrachtung zum Verfahren der Katalogbildung hatte sich angedeutet, dass die Funktion dieses Verfahrens sich nicht in der rein abbildhaften Archivierung von Oberfläche erschöpft.50 Denn jeder Aufzählung kommt, wie Sabine Mainberger in ihrer Studie Die Kunst des Aufzählens konstatiert, „an der Stelle, wo sie auftaucht, eine jeweils genau zu bestimmende rhetorische oder ästhetische Funktion“ zu.51 Deshalb „lassen sich Aufzählungen nicht ersetzen“.52 Das Verfahren ist neben seiner archivierenden durch seine ästhetisierende Funktion gekennzeichnet, die einer spezifischen Rhetorik folgt und auf den satirischen Effekt zielt. Oberfläche ist damit zugleich Gegenstand und textuell erzeugter Effekt. Dieser Befund lässt sich im Hinblick auf die Poetik von Berlin W. insgesamt verallgemeinern. Semiologie und Rhetorik sind nicht voneinander zu trennen,53 ebenso wie aus kulturpoetologischer Perspektive Paradigma und Syntagma nicht unabhängig voneinander funktionieren.54 Berlin W. stellt diese beiden Pole – Semiologie und Rhetorik, Archivismus und Ästhetisierung – aus: Durch zahlreiche rhetorische Wiederholungsfiguren, die unter Ausnutzung von Polysemien maßgeblich den satirischen Charakter von Berlin W. erzeugen, zieht der Text Aufmerksamkeit nicht nur auf all die aufgezählten Dinge, die er benennt, sondern auf seine eigene Textur. Die Oberfläche der Warenwelt rückt damit in spielerische Relation zur Oberfläche der Textes. Auf diese Weise greifen bereits die ersten zwei Kapitel von Berlin W. ineinander. In der zitierten Passage aus dem ersten Kapitel Die Familie heißt es, die
50 Zum Verhältnis von Aufzählung und Beschreibung siehe Mainberger: Die Kunst des Aufzählens, S. 102–118. 51 Mainberger: Die Kunst des Aufzählens, S. 9. 52 Mainberger: Die Kunst des Aufzählens, S. 9. 53 de Man: Semiologie und Rhetorik. 54 „Nihil est in paradigmate, quod non fuerit in syntagmate“, so Moritz Baßlers Grundsatz für die Funktionsweise der ‚kulturpoetischen Funktion‘. Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. S. 234.
Von der Oberfläche der Warenästhetik zur Oberfläche der Textur
Abb. 12: Anzeige Henkell Trocken, 1904/05.
Abb. 13: Anzeige Burgeff „Grün“, „Extra Cuvée“, „Jubiläums Cuvée“, „Immergrün“, 1906.
Abb. 15: Anzeige für Continental-Reifen, entworfen von Edmund Edel, o.J.
Abb. 14: Anzeige der Hamburg-Amerika Linie, 1906.
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Ehebetten bögen sich ‚in den geistvollen Wellenlinien van de Veldes oder der Dresdener und Münchener Kunstwerkstätten‘ oder seien ‚weiß lakiert im Biedermeier-Stil‘. Das darauffolgende zweite Kapitel Die Ehe schließt hieran an und macht am Beispiel von ‚Paul‘ und ‚Madame‘ deutlich, dass sich diese Ehebetten wenn überhaupt, dann tatsächlich vor allem geistvoll und nicht etwa durch leibliche Performanz biegen: Madames Schlafzimmer war ein Traum. Ein weißer Traum mit zarten rosa Wölkchen. Und zarte rosa Träume träumte Madame von Liebe und Leben und von ‚Ausleben‘. Und die Stille der Nacht und das Halbdunkel der Winternachmittage durchzogen lange, schluchzende Seufzer, und sehnende Augen starrten in das Geheimnis der Ferne. Der ‚Herr‘ aber telephonierte, daß er nicht zum Abendbrot nach Hause käme, da er wichtige geschäftliche Abhaltung habe. Wichtige geschäftliche Abhaltung […] durch Pommery in einem kleinen, stillen Zimmerchen mit diskretem Oberkellner […].55
Erscheint die weiße Farbgebung des Biedermeier-Stils zunächst metaphorisch als warenästhetischer Traum im Sinne einer erfüllten Wunschvorstellung (‚Madames Schlafzimmer war ein Traum‘), der durch die Diakope (‚Ein weißer Traum mit zarten rosa Wölkchen‘) zunächst rhetorisch gesteigert wird, so macht sich die Textur im Folgenden die Polysemie des Lexems /Traum/ zunutze, um durch eine Diaphora (‚Und zarte rosa Träume‘) von der metaphorischen, warenästhetischen Bedeutung zu einer zweiten, ebenfalls metaphorischen Bedeutung des Traums als Tagtraum und weiter durch eine Figura etymologica zum Verbum träumen überzugehen (‚Und zarte rosa Träume träumte Madame von Liebe und Leben und von ‚Ausleben‘.‘). Zugleich wird die um das Adjektivattribut /rosa/ organisierte Anadiplose durchbrochen, indem das Bezugswort /Wölkchen/ durch die /Träume/ ersetzt wird (‚mit zarten rosa Wölkchen. Und zarte rosa Träume‘). Mochten die ‚zarten rosa Wölkchen‘ noch als dekoratives Element eines biedermeierlichen Himmelbetts erscheinen, so tritt in der Verbindung mit den Träumen die Bedeutung des ‚Rosigen‘, d. i. des Hoffnungsvollen aber auch Verklärenden hervor,56 das seinen Gegenstand in der Verkettung der Paronomasie ‚Liebe und Leben‘ mit der Figura etymologica ‚Ausleben‘ findet.57 55 Edel: Berlin W., S. 21f. 56 Zu dieser Semantik der Farbe Rosa siehe Caroline Kaufmann: Zur Semantik der Farbadjektive rosa, pink und rot. Eine korpusbasierte Vergleichsuntersuchung anhand des Farbträgerkonzepts. München 2006: Herbert Utz. S. 34f. u. 103. [= Münchner Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft. Bd. 6.] 57 Wie dieses ‚Ausleben‘ aussieht, klärt der Schluss des Kapitels: „Morgen um fünf ist Madame in der Junggesellenwohnung am Schöneberger Ufer. Morgen um fünf Uhr träumt sie ihren rosigen Traum, um acht Uhr ist eine Vorstandssitzung ihres ‚Heims‘ und Paul, ihr Mann, ist froh und zufrieden, daß seine Frau eine Beschäftigung hat. …“. Edel: Berlin W., S. 27.
Von der Oberfläche der Warenästhetik zur Oberfläche der Textur
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Innerhalb der rhetorischen Wiederholungsstruktur verschieben sich somit die Imaginationsräume, die anfangs von der Warenästhetik erfüllt zu werden scheinen, bis durch sie die emotional unerfüllte Realität der Ehe kenntlich gemacht ist – das Weiß des Biedermeier-Schlafzimmers, das die „Tietz und Wertheim-Dekors“ des „jungfräuliche Reinheit atmen[den]“ Boudoirs ablöst,58 steht am Ende nicht mehr für einen warenästhetischen „Faszinationsmehrwert“59 (der zugleich seine Oberflächlichkeit leugnet60), sondern symbolisiert die sich ungewollt fortsetzende Keuschheit eines Ehelebens in getrennten Schlafzimmern: Es liefert, mit Kandinskys Farblehre gesprochen, „das große Schweigen – voll Möglichkeiten“, die allerdings ungenutzt bleiben.61 Damit kommt es zu jener Überschneidung, die Eva Illouz in ihrer historisch-soziologischen Studie Der Konsum der Romantik auf die chiastische Formel von der „Romantisierung der Waren“ und der „Verdinglichung der romantischen Liebe“ gebracht hat.62 Illouz zufolge geht die historische Entwicklung der Warenästhetik, die eine imaginative Aufladung der Waren, ihre „romantische Aura“,63 hervorbringt, mit einer sich zunehmend verdinglichenden und nach ökonomischen Aspekten gestaltenden Grundlage der Eheschließung einher. Dabei sind die beiden Prozesse – „wie die Erfahrung romantischer Liebe sich in ökonomische Praktiken übersetzte und wie im Gegenzug ökonomische Praktiken auf die Gefühlsstruktur übertragen wurden“64 – nicht voneinander zu trennen.65 In Berlin W. erscheinen Gefühle nur mehr als mögliche Zugabe zur ökonomischen Ausstattung: „[B]ei aller Versor-
58 Edel: Berlin W., S. 49. 59 Brigitte Weingart: Faszinationsanalyse. In: Gerald Echterhoff u. Michael Eggers (Hg.): Der Stoff, an dem wir hängen. Faszination und Selektion von Material in den Kulturwissenschaften. Würzburg 2002: Königshausen & Neumann. S. 19–29, hier S. 26f. 60 Wolfgang Ullrich weist darauf hin, dass Weiß diejenige Farbe ist, die im Unterschied zu allen anderen Farben nicht als oberflächlich gilt: „Man definierte das Weiß als Negation der Farbigkeit oder als Summe aller Farben, zählte es also entweder gar nicht zu den Farben oder sah darin eine Überfarbe – und sprach es in beiden Fällen vom Vorwurf des Oberflächlichen frei.“ Wolfgang Ullrich: Einleitung. In: Ders.u. Juliane Vogel (Hg.): Weiß. Frankfurt am Main 2003: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 7–16, hier S. 10. Tatsächlich spricht bereits Marx vom „bunten Körper der Warenwelt“. Marx: Das Kapital, Erster Band. Buch I, S. 116. 61 Wassily Kandinsky: Mein Werdegang [1913]. Hier zit. nach Ullrich: Einleitung [zu: Weiß], S. 12. 62 Eva Illouz: Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus. Frankfurt am Main 2007: Suhrkamp. S. 53. 63 Illouz: Der Konsum der Romantik, S. 53. 64 Illouz: Der Konsum der Romantik, S. 52. 65 Siehe ausführlicher zu Illouz’ Studie den Abschnitt 3.2. Romantik und Sachlichkeit des Konsums – und die doppelte Ökonomie des Wunsches, ein ‚Glanz‘ zu werden in Kapitel 3 dieser Arbeit.
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Kapitel 1: Die Entdeckung der Oberfläche: Katalog- und Kulturpoetik
gung“, heißt es im vierten Kapitel Die Zeit der jungen Liebe, das die Verhandlungen um die Mitgift vorführt, „ist die Liebe nicht ausgeschlossen“.66 Wenn sie sich unterdessen nicht einstellt, liefern die getrennten Schlafzimmer eine pragmatische Lösung, die zur gleichen Zeit u.a. von Hedwig Dohms Roman Christa Ruland (1902) thematisiert wird.67 In diesen getrennten Schlafzimmern lässt sich dann an die Zeit zurückdenken, als die Ehe für die junge Frau noch die Aussicht auf die „bürgerliche[] Berechtigung“ versprach, „das, was sie aus den Romanen wußte, an ihrem Leib und ihrer Seele zu erfahren“.68 Stehen in der zitierten Passage die Imaginationen, welche die Warenästhetik eröffnet, an erster Stelle, um dann rhetorisch in die Realität des Ehelebens überführt zu werden, so liefert die Narration mit der Analepse auf das voreheliche Leben nach, dass diese Imaginationen auch aus der Literatur gespeist sind. Literatur wie Warenästhetik schaffen jeweils auf ihre Weise „Fiktionsräume“69, die ineinander greifen und einander bedingen und prägen. Die rhetorische Wiederholungsstruktur setzt sich über die typisierte Erfahrung von ‚Madame‘ hinweg fort und weitet sich auf das gesamte Berlin W. aus. Durch die konventionalisierte Paronomasie von /Traum/ und /Schaum/ verbinden sich die Träume der ‚Madame‘ mit dem (erneut weißen) Schaum, aus dem Berlin W. gemacht ist, und stehen damit pars pro toto für diesen. In der eingangs zitierten Passage aus dem ersten Kapitel heißt es: ‚Berlin W. war noch nicht erfunden. Da eines Tages war es da. Es war da, wie eine Seifenblase, die schillernd, gleißend, lüstern aus dem biederen, weißen, gediegenen Seifenschaum sich aufbläht‘. Am Ende des ersten Kapitels, unmittelbar bevor im zweiten Kapitel die Träume Erwähnung finden, wird diese Schaummetaphorik noch einmal aufgegriffen: Die „Familie“ von Berlin W. Einst stand ihre Wiege in Hinterpommern, in Schlesien, in Gnesen oder Westpreußen, und der Stammbaum derer von Berlin W. wurzelte auf dem Arbeitsacker des kleinen Provinzmannes. Jetzt hat Berlin W. seine „Familien“, seine „Geschlechter“ und seine „Geschichte“. Aus der nützlichen, ruhigen, gediegenen Arbeitsseife schäumte der schillernde, gleißende Schaum in die luftigen Höhen des tollenden Lebens.70
Berlin W. erscheint nicht nur als eine Gesellschaft, die sich selbst durch zahllose Imaginationen hindurch ‚erfindet‘. In der rhetorischen Wiederholungsstruktur
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Edel: Berlin W., S. 59. Hedwig Dohm: Christa Ruland. Hg. von Nikola Müller u. Isabel Rohner. Berlin 2008: trafo. Edel: Berlin W., S. 26. Ullrich: Habenwollen, S. 94. Edel: Berlin W., S. 17. Herv. B. W.
Der Umhang von Gerson und die kulturpoetische Funktion
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stellt Berlin W. zugleich den erfinderischen Charakter seiner archivistischen Poetik aus. ‚Berlin W. war […] erfunden‘: Dieser Satz liest sich gleichermaßen referentiell wie selbstreferentiell.
1.4 Der Umhang von Gerson und die kulturpoetische Funktion Dieses Changieren zwischen Archivierung und Ästhetisierung warenästhetischer Phänomene bewirkt nicht nur eine Hin- und Herbewegung zwischen Referentialität und Selbstreferentialität von Edels Text. Denn die Oberfläche der Konsumkultur und die Oberfläche der Textur stehen einander in Berlin W. nicht wie zwei getrennte Bereiche gegenüber, zwischen denen es keine Berührungspunkte gäbe und die nur durch die Pendelschläge einer Lektüre miteinander zu verbinden wären. Vielmehr zeichnet es die Poetik von Berlin W. aus, dass sie aus der Oberflächenkultur des Konsums sowohl ihren Gegenstand als auch ihre Verfahren bezieht. Für die Genealogie von Berlin W., wie Edel sie erzählt, für die Herkunft und Geschichte seiner Geschlechter und Familien, die Edel aus den Schäumen hervorbringt, spielt der Umhang von Gerson eine entscheidende Rolle. Heißt es über die Zeit vor Berlin W.: ‚[D]as Höchste der Gefühle war ein Umhang von Gerson, der sechs bis acht Saisons reichen mußte, jedes Jahr geschmackvoll modernisiert‘, so wird später berichtet, wie ‚Grete‘ gemeinsam mit ihrer Mutter „den ganzen Tag […] zu N. Israel und zu Gerson und zu Grünfeld“ lief71 – für Berlin W. zählt Gerson zu den selbstverständlichen Anlaufpunkten. Vom Ende des 19. Jahrhunderts an und noch einmal verstärkt zur Zeit der Weimarer Republik gilt das jüdische Bekleidungsgeschäft Gerson als die erste Adresse der Berliner Konfektion und findet, etwa in Julius Stindes Romanen um die Familie Buchholz (1884–97)72, mehrfache literarische Erwähnung, bevor es später zu einer beliebten Kulisse für den ‚Konfektionsfilm‘ wird.73 Zur poetologischen Antriebskraft wird Gerson aber erstmals für Theodor Fontane während seiner Arbeiten an Frau Jenny Treibel. In einem Brief vom 9. Mai 1888 erklärt Fontane gegenüber seinem Sohn Theo:
71 Edel: Berlin W., S. 64. 72 Vgl. Julius Stinde: Die Familie Buchholz. Aus dem Leben der Hauptstadt. Berlin 1884: Verlag von Freund & Jeckel. 73 Zur Geschichte und herausragenden Stellung Gersons innerhalb der Konfektionsbranche Berlins und des Kaiserreichs, die zu einer Konkurrenz und einem Gegenmodell der Berliner haute couture wurde, siehe Mila Ganeva: Elegance and Spectacle in Berlin. The Gerson Fashion Store and the Rise of the Modern Fashion Show. In: John Potvin (Hg.): The Places and Spaces of Fashion, 1800–2007. New York u. London 2008: Routledge. S. 121–138.
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Berlin, d. 9. Mai 1888. Mein lieber, alter Theo. Schon längst hätte ich Dir ’mal wieder geschrieben, wenn ich nicht, und zwar mit immer steigendem Eifer, mit der Zuendeführung meines neuen Romans beschäftigt gewesen wäre. Nun ist er, im Brouillon fertig, vorläufig beiseite geschoben. Titel: „Frau Kommerzienrätin“ oder „Wo sich Herz zum Herzen find’t“. Dies ist die Schlußzeile eines sentimentalen Lieblingsliedes, das die 50jährige Kommerzienrätin im engeren Zirkel beständig singt und durch das sie sich Anspruch auf das „Höhere“ erwirbt, während ihr in Wahrheit nur das Kommerzienrätliche, will sagen viel Geld, das „Höhere“ bedeutet. Zweck der Geschichte: das Hohle, Phrasenhafte, Lügnerische, Hochmütige, Hartherzige des Bourgeois-Standpunktes zu zeigen, der von Schiller spricht und Gerson meint.74
Frau Jenny Treibel verhandelt die Widersprüche zwischen Bildungs- und Besitzbürgertum, indem die Causerien des Romans die Diskrepanz zwischen Jennys Anspruch auf Bildung und ihrem besitzorientierten Agieren offenkundig werden lassen.75 Wenn mit Jennys Sinn für das ‚Höhere‘76 noch einmal die bürgerliche Höhenmetaphorik explizit aufgerufen wird, so tritt ihre Nichteinlösung durch die Protagonistin nur umso deutlicher hervor. Im Brief an seinen Sohn Theo setzt Fontane – anders als im Roman, in dem beide unerwähnt bleiben – Schiller und Gerson synekdochisch für das Bildungs- und das Besitzbürgertum. 1905, ein Jahr vor Erscheinen von Berlin W., wird Fontanes Äußerung in der Edition von Theodor Fontane’s Briefen an seine Familie im Verlag seines Sohnes Friedrich zugänglich gemacht. Edels Text übernimmt die Konnotationen des Konfektionshauses Gerson als eines Synonyms für „exquisite Eleganz“77, verwendet den Namen jedoch nicht synekdochisch, um damit wie Fontane das ‚Hohle und Phrasenhafte des Bourgeois-Standpunktes‘ zu entlarven. Stattdessen wird ein intertextueller Bezug eröffnet, wenn die Benennung des Kleidungsstückes in Berlin W. auf den Umhang (und nicht etwa auf den Rock oder ein beliebiges anderes Kleidungsstück) fällt und ‚Grete‘ und ihre Mutter von N. Israel zu Gerson gehen. Das Vierte Buch Mose
74 Theodor Fontane: Brief an seinen Sohn Theo vom 9. Mai 1888. In: Theodor Fontane’s Briefe an seine Familie. Zweiter Band. Berlin 31905: F. Fontane & Co. S. 173–178, hier S. 173f. 75 In der Form der Causerie sah Fontane seine Möglichkeit, eine Satire auf seine Zeit zu schreiben, vgl. dazu seine einschlägige Äußerung: „Alles Plauderei, Dialog, in dem sich die Charaktere geben, und mit ihnen die Geschichte. Natürlich halte ich dies nicht nur für die richtige, sondern sogar für die gebotene Art, einen Zeitroman zu schreiben“. Hier zit. nach Helmuth Nürnberger: Theodor Fontane. Reinbek 262004 (1968): Rowohlt. S. 13. 76 „Wissen und Klugheit und überhaupt das Höhere – darauf kommt es an. Alles andere wiegt keinen Pfifferling. Es ist ein Elend mit den Äußerlichkeiten“, so eine von Jennys „süße[n] Selbsttäuschungen“. Fontane: Frau Jenny Treibel oder „Wo sich Herz zum Herzen find’t“, S. 369 u. 386. 77 Mila Ganeva konstatiert, Gersons „brand name became syonymous with exqusite elegance“. Ganeva: Elegance and Spectacle in Berlin, S. 124.
Der Umhang von Gerson und die kulturpoetische Funktion
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schildert die Wanderung des Volkes Israel in das Gelobte Land. Darin heißt es über die Geschlechter von Gerson: Und der Herr redete mit Mose in der Wüste Sinai und sprach: Zähle die Söhne Levi nach ihren Sippen und Geschlechtern, alles, was männlich ist, einen Monat alt und darüber. Also zählte Mose nach dem Wort des Herrn, wie er ihm geboten hatte. […] Dies sind die Geschlechter von Gerson: die Libniter und die Schimiter. Ihre Zahl war 7500, alles, was männlich war, einen Monat alt und darüber. Und die Gersoniten sollten sich lagern hinter der Wohnung nach Westen. Ihr Fürst sei Eljasaf, der Sohn Laëls. Und sie sollten an der Stiftshütte in Obhut nehmen die Wohnung und das Zelt und seine Decken und den Vorhang in der Stiftshütte, die Umhänge am Vorhof und den Vorhang in der Tür des Vorhofs, der die Wohnung und den Altar umgibt, und ihre Seile und was sonst zu ihrem Amt gehört.78
Die Textur von Berlin W. verknüpft Schlüsselbegriffe aus den Numeri neu: Gerson, Israel, Wohnung, Westen und Umhang – um diese Begriffe herum ist eben nicht nur die Herkunft der Geschlechter von Berlin W., sondern bereits die Geschichte des Geschlechtes von Gerson organisiert (bei dem es sich überdies um ein Geschlecht der Leviten handelt, die Edel hier in sehr eigener Weise liest). Das Verfahren der intertextuellen Verknüpfung ist, wie die Rhetorik von Berlin W. insgesamt, auf Polysemien und Homonymien gegründet, denn als Konfektionsartikel hat der ‚Umhang von Gerson‘ semantisch keine Gemeinsamkeit mehr mit dem Geschlecht der Gersoniten und den Umhängen zum Vorhof der Stiftshütte. Was bleibt, sind Signifikanten auf der Textoberfläche, die in ähnlicher Anordnung, aber jeweils unterschiedlicher Bedeutung Berlin W. und das Vierte Buch Mose durchziehen.79
78 Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart 1987: Deutsche Bibelgesellschaft. 4. Buch Mose, Kapitel 3. Herv. B. W. Abweichend von der dortigen Schreibweise ‚Gerschon‘ übernehme ich die um 1900 gebräuchliche Schreibweise ‚Gerson‘, wie sie sich u.a. findet in M. Gottfried Büchner, E. Ch. Lutz, H. Riehm: Biblische Real- und Verbal-Handkonkordanz. Basel 1890: Verlag von Ferd. Riehm. S. 480, Eintrag 1. Gersom; 2. Gerson. Sowie Meyers Konversationslexikon. Leipzig u. Wien 41885–1892: Verlag des Bibliographischen Instituts. Bd. 7. S. 188. Eintrag: Gersoniten. Sowie in der Ausgabe für die britische und ausländische Bibelgesellschaft: Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments, nach der deutschen Uebersetzung Dr. Martin Luthers. Cöln 1886: Gedruckt für die britische und ausländische Bibelgesellschaft. S. 128. 79 Anspielungen auf das Alte Testament finden sich wiederholt in Berlin W. So heißt es über den professionellen Gelegenheitsdichter Gustav Herwig, als er für eine Hochzeit dichtet: „Dann setzte sich Gustav hin und ‚dichtete‘. Er dichtete und verdichtete ein paar ältere Jahrgänge in dieses neue Kunstwerk und machte ein paar neue Kupletverse, nach den Gassenhauern, die heute populär sind. Und als er sein Werk besah, sah er, daß es wohlgetan war und daß es für Lehmanns genügte.“ Edel: Berlin W., S. 70. Vgl. 1. Buch Mose: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“. Die Bibel, 1. Buch Mose, Kapitel 1.
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Dieses als Kontrafaktur zitierte Signifikantennetz lässt den Archivismus von Berlin W. über das enzyklopädische Speichern von bloßen Archivalien der Alltagskultur hinausreichen. Der Kurzschluss zwischen Bildungsgut und Objekten aus dem Bereich der Warenästhetik entspricht einer Strategie, die in der Reklame um 1900 virulent ist und die eine radikale Um- und Entwertung des religiösen und humanistischen Symbol- und Bildungshaushaltes anzeigt.80 Zahlreiche Annoncen der Jahrhundertwende bewegen sich in vergleichbarer Weise auf ‚zweiter Stufe‘81, indem sie sich – wenn auch eher von Pathos als von Witz getragen82 – an Elemente der etablierten ‚Hoch‘-Kultur anlehnen: Eine Odol-Reklame aus dem Jahr 1903 zeigt die markengeschützte Odol-Flasche eingefügt in eine Landschaft, die wie aus Elementen der Toteninsel (1880–86 in fünf Versionen) von Arnold Böcklin neu zusammengesetzt erscheint (Abb. 16). Reklamen wie diese scheinen die These zu bestätigen – wie sie etwa auch Wolfgang Fritz Haug in seiner begriffsprägenden Untersuchung Kritik der Warenästhetik vertritt –, die Reklame verhalte sich stets parasitär gegenüber den Künsten.83 Berlin W. zeigt jedoch, dass diese Annahme insofern zu einseitig gedacht ist, als dieser Prozess in beide Richtungen verläuft. Denn zum einen stellt Berlin W. die
80 Zu den Auseinandersetzungen um die Bildungstradition sowie zur Säkularisierung im Kaiserreich siehe Hans-Peter Ullmann: Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918. Frankfurt am Main 1995: Suhrkamp. S. 181–195. 81 Vgl. Gérard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt am Main 1993: Suhrkamp. 82 Siehe dazu Edels Kritik an der Sezession: „Unser [d. i. der Deutschen, B. W.] Unglück ist unsere Vorliebe für das Pathos. […] Nachdem der Kaufmann einige Jahre lang es sich hat schmunzelnd gefallen lassen, daß man seine Hosenträger an der Anschlagsäule verulkte und gerade durch diesen Ulk das Publikum zwang, sich die Marke und den Namen im Gedächtnis zu behalten, besinnt sich derselbe Kaufmann plötzlich darauf, daß seine verehrten Hosenträger doch ein zu hehres und heiliges Objekt wären, als daß sie durch einen Witz profaniert werden könnten. Und mit dem ihm dem ihm erbeigentümlichen Pathos sucht er nach einer Ausdrucksweise, die diesem Witz gerade entgegengesetzt ist. Und die lieben alten Allegorien, die süßen Gretchen und die ernsten Brunhilden verschwanden, und die sezessionistisch frisierten Seerosenfräuleins traten in die Erscheinung“. Edmund Edel: Kunst, Kultur und Reklame. In: Morgen, 08. 05. 1908, S. 601–605, hier S. 604. 83 So erläutert Haug, die Aneignung von Kunst zu anderen Zweck sei zwar keine Erfindung des Kapitalismus und führt aus: „Man vergegenwärtige sich nur die ungeheuerliche Zauberästhetik in den katholischen Wallfahrtskirchen des ausgehenden Mittelalters“. Aber es liegt Haug zufolge ein fundamentaler Unterschied darin begründet, dass „es im Kapitalismus in erster Linie Verwertungsfunktionen sind, die ästhetische Techniken ergreifen, umfunktionieren und weiterbilden. Das Ergebnis ist nicht mehr auf bestimmte heilige oder Macht repräsentierende Stätten beschränkt, sondern bildet eine Totalität der sinnlichen Welt, aus der bald kein Moment nicht durch kapitalistische Verwertungsprozesse gegangen und durch deren Funktionen geprägt worden ist.“ Haug: Kritik der Warenästhetik, S. 56f.
Der Umhang von Gerson und die kulturpoetische Funktion
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Abb. 16: Annonce aus den Fliegenden Blättern für Odol-Mundwasser, 1903.
Verknüpfung zwischen Markennamen und Bildungsgut im Medium der Literatur überhaupt erst her. Zum anderen eignet sich der Text auf diese Weise ein warenästhetisches Verfahren der Reklame an, um es in ein literarästhetisches Verfahren des Textes zu transformieren.84 Dies trifft den Kern des archivistischen Verfahrens von Berlin W.: Es umfasst demnach nicht nur eine Topik des Archivs, d. h. es enthält nicht nur eine Art ‚Vorratskammer‘ an Gemeinplätzen (in welcher, strukturalistisch gefasst, die „konkreten Kontiguitätsverhältnisse eines
84 Auch Groys betont im Übrigen, dass Kommerzialisierung und Valorisierung komplementär zueinander gelagert sind. Groys: Über das Neue, S. 119f.
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Archivs“85 in Form von Paradigmen aufbewahrt sind). Archiviert wird darüber hinaus auch eine Rhetorik des Archivs, verstanden als einem „Vorrat von Verknüpfungsmustern, von Textfiguren, die […] ihrerseits wieder paradigmatisch sind“86 und somit in der zeitgenössischen Kultur, wie beispielsweise in der Reklame, vorzufinden sind.
1.5 „Applanierung aller Werte“: Die Debatte zwischen Sombart und Edel um Reklame, Kultur und Amerikanismus im Morgen Dass eine solche Annäherung zwischen Kunst und Konsumkultur weder harmlos noch unumstritten ist, zeigt eine Debatte, die ihren Ausgang im Frühjahr 1908 nimmt, als der Nationalökonom Werner Sombart in der von ihm mitbegründeten und herausgegebenen Zeitschrift Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur87 ein Pamphlet gegen das ‚Ärgernis‘ der Reklame veröffentlicht, in dem es um weit mehr als bloß Reklame geht: Zur Disposition steht nicht weniger als der Begriff der Kultur.88 Aus Sombarts Kritik der Reklame spricht ein tiefes Unbehagen an den kulturellen Umwälzungen seiner Zeit. Bereits in seinem programmatischen Leitartikel zur ersten Ausgabe des Morgen, mit dem er die Leitfragen der neu gegründeten Wochenschrift umreißt, hatte Sombart die Notwendigkeit einer Kulturphilosophie mit dem Worten begründet, es sei „in der Richtung auf unsere Kultur […] eine ernste Besinnung heute wohl mehr denn je notwendig. Denn wir scheinen in die Irre zu gehen“.89 Deshalb gelte es, „einen edlen Kulturgeschmack neu zu stabilisieren“.90 Wie dieser Kulturgeschmack auszusehen habe – oder doch zumindest wovon er sich fernzuhalten habe –, davon gibt Sombarts Kampfansage an die Reklame einen Eindruck. Ihre Omnipräsenz im städtischen Alltag mache die Reklame zu einer kulturellen Frage:
85 Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 222. 86 Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 222. 87 Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur, begründet und herausgegeben von Werner Sombart (Kulturphilosophie), Richard Strauß (Musik), Georg Brandes (Literatur), Richard Muther (Kunst), Hugo von Hofmannsthal (Lyrik). Zu den ständig Mitwirkenden zählt die Zeitschrift bald außerdem Hermann Bahr, Otto Julius Bierbaum, Wilhelm Bölsche, Felix Salten, Thomas Mann, Frank Wedekind u.a. 88 Zu dieser Debatte siehe auch Wegmann: Dichtung und Warenzeichen, S. 106–120. 89 Werner Sombart: Kulturphilosophie. Ein Programm. In: Morgen, 14. 06. 1907, S. 1–5, hier S. 1. 90 Sombart: Kulturphilosophie, S. 2.
„Applanierung aller Werte“: Die Debatte zwischen Sombart und Edel
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Denn das ist ja gerade ihr Wesen: daß sie die breite Oeffentlichkeit aufsucht, um hier die Gimpel zu fangen. […] Damit aber wird die Reklame eine öffentliche, eine Kulturangelegenheit. Wir müssen ihr vom Standpunkt einer allgemeinen Kulturbetrachtung und Kulturwertung aus gerecht zu werden suchen. Was ist uns – die die ganze Sache nichts angeht – die Reklame? Nun ich denke, darauf kann die Antwort nur lauten: ein Aergernis, und zwar ein großes. Die Reklame ist jene Erscheinung der modernen „Kultur“, an der aber auch beim besten Willen nichts als Widerwärtiges gefunden werden kann. Sie ist als Ganzes wie in ihren Teilen und in allen ihren Formen für jeden Menschen von Geschmack rundweg ekelhaft. Schon daß sie überhaupt da ist; die Tatsache, daß man Reklame macht, wirkt abstoßend.91
Was dabei die Kultur in Anführungszeichen meint, ist „unsere (das heißt, wie ich neulich sagte, immer: die amerikanische) Kultur“92, die für Sombart wiederum gleichbedeutend ist mit der Kultur der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, deren Entstehung und Entwicklung er sein zweibändiges Hauptwerk Der moderne Kapitalismus (1902) gewidmet hatte. „Die Reklame“, konstatiert Sombart, „ist also ein notwendiger Bestandteil aller amerikanischen, das heißt rein kapitalistischen Wirtschaft. Aber auch nur dieser. Sie ist um so entwickelter, je entwickelter der Amerikanismus ist“.93 Sombart stellt seine Kritik an der Reklame damit in den Kontext jenes Leitbegriffs, der auch in Hurets Urteil über Berlin W. anklingt, wenn er die in Berlin W. beobachtete „merkwürdige Vorliebe für die Fassade, für den Schein“ zu den „heutigen amerikanischen und deutschen Sitten“ zählt.94 Amerikanismus dient um die Jahrhundertwende als „Stichwort zur Charakterisierung einer von materiellen Erwägungen beherrschten und offen zur Schau getragenen Sinnesrichtung“, wie es in einem Historischen Schlagwörterbuch von 1906 unter dem entsprechenden Lemma heißt.95 Der Topos des Amerikanismus bezeichnet damit einen Materialismus, der in den zeitgenössischen Diskursen häufig als Bedrohung des idealistischen Erbes der deutschen ‚Kulturnation‘ empfunden wird. Berlin gilt dabei als diejenige Stadt, die „sich zuerst in Deutschland und am rücksichtslosesten in ganz Europa amerikanisiert hat. […] Daß die[] geistigen Werte dabei fast immer an ihrer Seele Schaden nehmen, steht außer Frage. Sie verlieren an Intimität, Naivität und Keuschheit, sie werden aus Kulturwerten in Zivilisationswerte verwandelt“.96 Der Berliner Schriftsteller und Kunstkritiker
91 Werner Sombart: Die Reklame. In: Morgen, 06. 03. 1908, S. 281–286, hier S. 284. 92 Sombart: Die Reklame, S. 281. 93 Sombart: Die Reklame, S. 284. 94 Huret: Berlin, S. 29. 95 Otto Ladendorf: Historisches Schlagwörterbuch. Straßburg 1906: Verlag Karl J. Trübner. 96 Karl Scheffler: Berlin – ein Stadtschicksal [1910]. Berlin 1989: Fannei & Walz. S. 118 u. 142. [= Berliner Texte. Hg. von Detlef Blum. Bd. 3.]
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Kapitel 1: Die Entdeckung der Oberfläche: Katalog- und Kulturpoetik
Karl Scheffler und viele zeitgenössische Beobachter folgen in ihren kulturpessimistischen Urteilen über Berlin Julius Langbehns Klassiker des Wilhelminischen Gegenwartspessimismus’ Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen (1890).97 Für Sombart steht Berlin W. derart prototypisch für die Amerikanisierung Deutschlands, dass er in seinem Buch Warum gibt es in Amerika keinen Sozialismus? (1906) sogar den „amerikanische[n] Geist[]“ Amerikas in dem Hinweis veranschaulicht, es handele sich dabei um jenen Geist, der einem „in Berlin W. wohl schon des öfteren begegnet“ sei.98 Einen Ausweg aus dieser Gesamtsituation sieht Sombart nicht. „Abhilfe?“, fragt er, um resigniert festzuhalten: „Gibt es keine. Wer wollte dem Kapitalismus etwas anhaben?“ Deshalb bleibe nur die gesetzliche Reglementierung der Reklame – eine Forderung, die Heimatschutzbewegungen dieser Zeit ebenfalls stellen99: „Nur Schutzdämme können wir aufrichten, damit der Schlammstrom der modernen Kultur nicht alles um uns her verwüste. Strenge Gesetze für den Heimatschutz, damit wenigstens das Land von der Reklameseuche frei bleibe“.100 In
97 Langbehn vergleicht Amerika und Berlin im rasanten Wachstum der Reichshauptstadt, im Mangel an Kultur, dem Anteil Zugewanderter, seiner Architektur, dem geschäftigen Geist seiner Einwohner – und kommt zu dem Schluss: Wenn Berlin schon Reichshauptstadt ist, so „ist es nicht zu wünschen, daß es seine geistige Hauptstadt werde“. O. Verf. [= Julius Langbehn]: Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen. Leipzig 141890: Hirschfeld. S. 114. 98 Werner Sombart: Warum gibt es in Amerika keinen Sozialismus? Tübingen 1906: Mohr. S. 18. Auch in einem Beitrag für den Morgen urteilt Sombart: „Berlin ist ein Vorort von New York: nicht mehr, nicht weniger: Alles, worauf der Berliner stolz sein kann, hat New York in zehnfachem Umfange: es ist dreimal so groß, es wächst noch rascher an, es hat zehnmal soviel Verkehr, zehnmal soviel Theater, seine Restaurants und Vergnügungsparks sind zehnmal so groß, sein Lärm ist zwanzigmal lauter, seine Entfernungen sind noch weiter. Und was ist New York? Eine Wüste. Ein großer Kulturkirchhof. Soll die Menschheit auf ihm endigen?!“ Im Folgenden setzt Sombart dann „die ganze norddeutsche (amerikanische) Kultur“ in eins. Werner Sombart: Wien. In: Morgen, 19. 07. 1907, S. 172–175, hier S. 173f. Zu Berlin als der ‚amerikanischsten‘ Stadt Europas um die Jahrhundertwende siehe Ralf Thies u. Dietmar Jazbinsek: Berlin – das europäische Chicago. Über ein Leitmotiv der Amerikanisierungsdebatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In: Clemens Zimmermann u. Jürgen Reulecke (Hg.): Die Stadt als Moloch? Das Land als Kraftquell? Wahrnehmung und Wirkung der Großstädte um 1900. Basel 1999: Birkhäuser. S. 53–94. 99 Zu Reklame und Heimatschutz siehe Christiane Lamberty: Reklame in Deutschland 1890–1914. Wahrnehmung, Professionalisierung und Kritik der Wirtschaftswerbung. Berlin 2000: Duncker & Humblot. S. 465–490. [= Beiträge zur Verhaltensforschung. H. 38.] Zur Heimatschutzbewegung und den daraus hervorgehenden ‚Verunstaltungsgesetzen‘ siehe Reinhardt: Von der Reklame zum Marketing, S. 378–386. Reinhardt betont den bildungsbürgerlichen Charakter der Bewegung und zitiert aus dem Sächsischen Verunstaltungsgessetz von 1909, das Verunstaltung als „Schaffung eines Zustandes […] der das Gemeinempfinden der Gebildeten, das Empfinden der gebildeten Gesamtheit, nicht nur das der Durchschnittsmenschen […] verletzt“ (ebd., S. 378). 100 Sombart: Die Reklame, S. 286.
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der Heimatkunstbewegung der Jahrhundertwende findet diese Sehnsucht nach einer unberührten ländlichen Idylle ihren Ausdruck unter der Parole Los von Berlin!.101 Die Gartenlaube, die bereits bei ihrem Erscheinen 1853 mit dem Anspruch auf Rückzug in die „gut-deutsche Gemütlichkeit“ angetreten war,102 liefert zu dieser Vorstellung auch 1905 die entsprechenden Gegenbilder zur urbanen Lebenswirklichkeit (Abb. 17–18).103 Für Sombart, der wie Edel ein Bewohner von Berlin W. ist,104 steht jedenfalls fest: „Die (Groß-) Stadt ist ja für feineres Kulturleben sowieso verloren“.105 Sombarts Polemik schlägt hohe Wellen in den Zeitungen, auch außerhalb des Morgen.106 Am 8. Mai, rund zwei Monate nach Erscheinen von Sombarts Aufsatz,
101 Zur Heimatkunstbewegung siehe Erhard Schütz: Heimatkunstbewegung. In: Ders., Jochen Vogt u.a.: Einführung in die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts. Bd. 1: Kaiserreich. Opladen 1977: Westdeutscher Verlag. S. 56–68. Sowie Karlheinz Rossbacher: Heimatkunst der frühen Moderne. In: Mix (Hg.): Naturalismus – Fin de siècle – Expressionismus, S. 300–313. 102 „Wenn Ihr im Kreise Eurer Lieben die langen Winterabende am traulichen Ofen sitzt oder im Frühling, wenn vom Apfelbaume die weiß und roten Blüten fallen, mit einigen Freunden in der schattigen Laube – dann leset unsere Schrift. Ein Blatt soll’s werden für’s Haus und für die Familie, ein Buch für Groß und Klein, für Jeden, dem ein warmes Herz an den Rippen pocht, der noch Lust hat am Guten und Edlen! […] es soll Euch anheimeln in unserer Gartenlaube, in der Ihr gutdeutsche Gemütlichkeit findet, die zu Herzen spricht“, heißt es in der Ansprache, mit der sich die erste Ausgabe der Gartenlaube vom 1. Januar 1853 an ihre Leser wendet. Hier zit. nach Karl W. Bauer: Unterhaltungsliteratur I: Eugenie Marlitt. In: Schütz, Vogt u.a.: Einführung in die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts, Bd. 1, S. 187–199, hier S. 189f. 103 Zur Reklame im urbanen Stadtbild siehe auch Karin Knop: Werbung als Signum der Urbanität. In: Werner Faulstich (Hg.): Das Erste Jahrzehnt. München 2006: Wilhelm Fink. S. 147–162. 104 Sombart wohnte in der Suarezstraße 27 in Charlottenburg, Edel gute anderthalb Kilometer entfernt in der Niebuhrstraße 78 in Charlottenburg. Siehe dazu die Einträge in: Berliner Adreßbuch 1906. Berlin o.J.: August Scherl, Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft. Erster Band, S. 413 (Edel). Sowie: Berliner Adreßbuch 1908. Berlin o.J.: August Scherl, Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft. Zweiter Band, S. 2481 (Sombart). Abrufbar über die Seiten der Zentral- und Landesbibliothek Berlin: http://adressbuch.zlb.de [31. 03. 2009]. 105 Sombart: Die Reklame, S. 286. 106 So erscheint etwa im Berliner Tageblatt vom 25. April eine Replik. Sombart selbst meldet sich erst nach sechzehn Wochen mit einer Antwort auf seine zahlreichen Kritiker zu Wort, allerdings nicht im Morgen, sondern in der Zukunft – und tritt zugleich von seiner Herausgeberschaft des Morgen zurück. Siehe dazu Werner Sombart: Ihre Majestät die Reklame. In: Die Zukunft, 27. 06. 1908, S. 475–487. Sowie: M. Biermer: Sombart. Ein Brief. In: Morgen, 03. 07. 1908, S. 887–889. Sowie den Beitrag des Schriftleiters des Morgen, Artur Landsberger: Pro domo. In: Morgen, 10. 07. 1909, S. 908–910. Als Antwort darauf: Werner Sombart: Offener Brief an den Schriftleiter Herrn Dr. Artur Landsberger. In: Morgen, 24. 07. 1909, S. 965–967. Und abschließend, die Aufmerksamkeit lobend, die Sombarts Artikel auf sich gezogen hat und manchen Reklamechef mit Neid erfüllen vermöchte, G. Leonhardt: Offener Brief an Professor Werner Sombart. In: Morgen, 31. 07. 1909, S. 1003–1007.
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Abb. 17: „Dorf-Idylle“, Titelblatt der Gartenlaube Nr. 30, 1905.
veröffentlicht der Morgen erneut drei Antworten auf Sombart, unter denen sich auch eine Entgegnung von Edmund Edel findet.107 Unter dem Titel Kunst, Kultur und Reklame kritisiert Edel Sombarts antiurbanen und antitechnischen Kulturbegriff in Anführungszeichen. Edel lässt die Anführungszeichen weg und fragt: Was ist Kultur? Ist ein rauchender Fabrikschlot nicht ebenso wertvoll für unsere Kultur, wie die polierten Fingernägel oder die seidenen Unterbeinkleider eines Westenschnittästheten? Oder verlangen die Sensibilitätsmenschen, daß man den Fabrikschlot in Van de Veldeschen
107 Am 12. Juni 1909 meldet sich außerdem Hermann Bahr zu Wort und urteilt: „Sombart fängt seit einiger Zeit zu raunzen an. Das war sonst nicht seine Art. […] Raunzen ist die Art von alten Leuten“. Hermann Bahr: Tagebuch. In: Morgen, 12. 06. 1909, S. 746–748, hier S. 746.
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Abb. 18: Reklame auf dem Potsdamerplatz in Berlin, um 1900.
Wellenlinien baut und den Rauch durch einen großen Flacon Eau d’Espagne hindurchführt, damit er ihre Nerven nicht mit dem scheußlichen Kohlendunst verletzt? Man kann auch nicht verlangen, daß man einen Schlackenhügel mit modernem Buchschmuck garniert. Man kann überhaupt nicht unser heutiges Leben nur vom Standpunkt der höchsten Aesthetik und des feinsten Sinnenreizes betrachten […]. Und die paar Leutchen, die den Rauch der Fabrikschlote nicht ertragen können oder die Schnapsplakate, müssen sich wie Schmetterlingspuppen in sich selbst zurückziehen oder mit zugehaltener Nase durch die Straßen gehen. Auch durch die Straßen der Großstadt, die ja für feineres Kulturleben sowieso verloren ist, wie Sombart sagt. Darf ich mir erlauben, den Kopf zu schütteln und zu fragen, welche Kulturen das platte Land hervorbringt, abgesehen von den Kartoffel- und Rübenkulturen, zu denen wir nur digerierende Beziehungen haben.108
Edel stellt Sombarts Kulturbegriff als unzeitgemäß in Frage und setzt ihm ein Verständnis von Kultur entgegen, das neben der ‚hohen‘ Kultur alle Bereiche der gesellschaftlichen und technischen Entwicklung als „Kulturwerte“109 umfasst, da man „sich mit den Dingen abfinden“ müsse, „die man nicht aus der Weltgeschichte wegradieren kann“.110 Er schließt somit die technisch-zivilisatorischen
108 Edel: Kunst, Kultur und Reklame, S. 603. 109 Edel: Kunst, Kultur und Reklame, S. 602. 110 Edel: Kunst, Kultur und Reklame, S. 602.
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Aspekte in seinen Kulturbegriff mit ein, die Sombart seinem Verständnis von Kultur gegenüberstellt und sogar sich selbst außerhalb dieser Sphäre des TechnischZivilisatorischen verortet, wenn er fragt: ‚Was ist uns – die die ganze Sache nichts angeht – die Reklame?‘.111 Die z.T. heftigen Reaktionen dieser Debatte zeugen von der immensen ‚sozialen Energie‘112, mit der die Diskussion um Reklame und Amerikanismus in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts aufgeladen ist.113 Dabei berührt die Debatte die politisch aufgeheizte Diskussion um die Begriffe ‚Kultur‘ und ‚Zivilisation‘. Schematisch urteilt beispielsweise Johannes Gaulke in seiner Auseinandersetzung mit der Ästhetischen Kultur des Kapitalismus (1909), Kultur bedeute „Differenzierung, Entwicklung der individuellen Kräfte und Anlagen, höchste und vielseitige Bildung des einzelnen“, die Zivilisation arbeite „dagegen auf eine Verallgemeinerung der Anschauung und Lebensführung hin; sie schafft geordnete Zustände, Durchschnittsmenschen, willige Arbeitsautomaten“.114 Zivilisation
111 Nicht erst mit der Postmoderne ist fraglich, ob es eine solche ‚archimedische‘ Position außerhalb der Reklamewelten denn überhaupt geben kann (vgl. Baßler: Der deutsche Pop-Roman.). So befindet schon Viktor Mataja: „Der Glaube an die eigene Unnahbarkeit für die Reklame dürfte nun zumeist auf einer Selbsttäuschung beruhen, die ihren Ursprung teils in dieser Übernahme von Vorstellungen und fertigen Behauptungen, teils in einer Unklarheit darüber hat, von wo aus diese zu uns gedrungen sind. […] Die Reklame erreicht auch den Mann durch die Frau, die Eltern durch die Kinder, den Freund durch den Freund; das unverdächtigste Gespräch kann zu einer Ansteckung führen. Man hört sprechen von der Zweckmäßigkeit der Verwendung von Pflanzenfett, von den Vorzügen eines bestimmten Backpulvers usw. und weiß gar nicht, daß die Weisheit, die aufgetischt wird, selbst nur aus Geschöpfen der Reklamekunst stammt“. Mataja: Die Reklame, S. 32–34. 112 Zur ‚sozialen Energie‘ siehe Greenblatt: Verhandlungen mit Shakespeare, bes. S. 15f. 113 Zum Fortwirken des Diskurses über den (Anti-)Amerikanismus in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus bis in die BRD der 1950er Jahre siehe die Abschnitte 4.2. ‚Neumodisches Zeug‘ und ‚Symbol der Freundschaft‘: Zur zeitgeschichtlichen Semantik von ‚Coca-Cola‘ in ‚Tauben im Gras‘ und im Nachkriegsdeutschland des Marshallplans und 4.3. Die ‚Geschichte im Präsens‘ und ihr Präteritum: ‚Coca-Cola‘ und Amerikanismus in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus in Kapitel 4 dieser Arbeit. 114 Johannes Gaulke: Die ästhetische Kultur des Kapitalismus. Berlin 1909: Freier Literarischer Verlag. S. 174. [= Kultur- und Menschheitsdokumente. Hg. von Johannes Gaulke. Bd. 1.] Die Debatte um Kultur und Zivilisation, die insbesondere gegen den ‚Erbfeind‘ Frankreich gerichtet ist, kulminiert in der Propaganda des Ersten Weltkriegs und findet ihren Niederschlag u.a. in Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen (1918). Norbert Elias umreißt die Begriffsgeschichte im ersten Kapitel Zur Soziogenese der Begriffe „Zivilisation“ und „Kultur“ in Über den Prozeß der Zivilisation und verdeutlicht dabei die negativ konnotierte Verbindung des Begriffs Zivilisation zur Topik der Oberfläche: „Hier, im deutschen Sprachgebrauch, bedeutet ‚Zivilisation‘ wohl etwas ganz Nützliches, aber doch nur einen Wert zweiten Ranges, nämlich etwas, das nur die Außenseite des Menschen, nur die Oberfläche des menschlichen Daseins umfaßt. Und das Wort, durch das man im Deutschen sich selbst interpretiert, durch das man den Stolz auf die
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und Kultur, heißt es weiter, seien daher in der Menschheitsgeschichte nie Hand in Hand gegangen. Edel legt mit seiner Entgegnung dieses Fundament der Sombartschen Polemik offen.115 Darüber hinaus verhandelt die Debatte in kulturtheoretischer Perspektive die Frage nach der Stellung und Autonomie der Kunst im Kapitalismus. Das Kunstgewerbe bildet den Brennpunkt beider Debatten, insofern es die Bereiche Kunst und Industriekultur miteinander zu verbinden versucht und den „Übergang von der freien zur angewandten Kunst“ markiert.116 Entsprechend vehement spricht sich Sombart in einer Abhandlung über Kunstgewerbe und Kultur (1908) gegen ein Überhandnehmen des Kunstgewerbes aus und sieht „die Gefahr […], daß es zuviel Kunstgewerbe gebe“, da dies die Hierarchie von kulturell Hoch- und Niedrigstehendem verflachen ließe: Zuviel: im Interesse einer vollen und tiefen Kultur. Weil ich fürchte, daß ein Überwuchern der ästhetischen Werte andere wichtige Werte zerstören wird; weil ich fürchte, daß die Hierarchie der Werte erschüttert wird, daß Hohes erniedrigt, Niedriges erhöht wird. Weil ich eine Applanierung aller Werte fürchte. Und in deren Gefolge den Anbruch einer materialistischen Ebenenkultur ohne Höhen und Tiefen, einer sensualistisch-intellektuellen Tageskultur ohne die Heimlichkeiten der Dämmerung, ohne die Majestät der Nacht.117
Noch einmal wird die Höhen- und Tiefenmetaphorik beschworen, die hier im Bedrohungsszenarium einer ‚Applanierung aller Werte‘ mündet. Sombarts Ekel vor der Reklame rührt von genau dieser vermeintlichen Applanierung der Werte, von der Berührung zweier Bereiche her, die seinem Kulturverständnis nach strikt getrennte Sphären bilden. So sei, hatte Sombart im Morgen geäußert, auch „[d]ie Kunst im Dienste der Reklame […] eine der vielen gründlichen Verirrungen unserer Kultur“.118 Sombart bezieht damit eine ähnlich kulturkonservative Position wie Wilhelm II., dessen Kunstsinn mehrfach Gegen-
eigene Leistung und das eigenen Wesen in erster Linie zum Ausdruck bringt, heißt ‚Kultur‘.“ Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. Frankfurt am Main 191995 (1976): Suhrkamp. S. 2. 115 Vgl. Friedrich Lenger: Werner Sombart. 1863–1941. Eine Biographie. München 21995 (1994): C. H. Beck. S. 169. Siehe zur Debatte auch Lamberty: Reklame in Deutschland 1890–1914, S. 391–196. 116 Max Osborn: Geschichte der Kunst. Eine kurzgefaßte Darstellung ihrer Hauptepochen. Berlin 1924 (1909): Ullstein. S. 446. Zur Debatte um das Kunstgewerbe siehe auch Lichtblau: Kulturkrise und Soziologie um die Jahrhundertwende, S. 232–242. 117 Werner Sombart: Kunstgewerbe und Kultur. Berlin 1908: Marquardt & Co. Verlagsanstalt. S. 120. [= Die Kultur. Sammlung illustrierter Einzeldarstellungen hg. von Cornelius Gurlitt. Sechsundzwanzigster und siebenundzwanzigster Band.] 118 Sombart: Die Reklame, S. 286.
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stand spöttischer Kritik war.119 Anlässlich der Einweihung der Siegesallee im Berliner Tiergarten befand er in seiner Grundsatzrede über Die wahre Kunst im Dezember 1901: „Die Kunst, die zur Reklame hinuntersteigt, ist keine Kunst mehr, mag sie hundert- und tausendmal gepriesen werden“.120 So urteilt auch Sombart, es sei eine „widerwärtige Tatsache“, dass „künstlerisches Schaffen sich hat hergeben müssen, um die beste Stiefelwichse […] anzupreisen“; darüber helfe „auch ein noch so vollendetes Plakat nicht hinweg. […] Die Kunst im Dienste der Reklame ist eine der vielen gründlichen Verirrungen unserer Kultur“.121 Diese Kritik zielt direkt auf Edel, dessen Plakat für Eulen-Wichse, wohl auch wegen seines eingängigen Slogans (‚Womit ick meine Stiebeln Wichse? Mit Eulen-Wichse Wichse Ick se.‘), zu den beliebtesten seiner Zeit zählte (Abb. 19). Sie zielt aber auch indirekt auf Edel, insofern dieser nicht nur als Plakatkünstler die Bereiche Kunst und Reklame miteinander verbindet, sondern, wie gesehen, auch in Berlin W. eine Poetik entwickelt, die aus dem Feld der Warenästhetik ihren Gegenstand – ihre Topik – und ihre Verknüpfungsregeln – ihre Rhetorik – bezieht: Diese kulturpoetologische Verflechtung von Berlin W. in die Diskurse seiner Zeit ist im Folgenden an der Poetik des Katalogs zu spezifizieren.
1.6 Poetik des (Warenhaus-)Katalogs Als die ‚tendenziell vollständige Anordnung aller Lexeme eines gegebenen Paradigmas im Syntagma schlichter Reihung‘ erscheint der Katalog verfahrensästhetisch als ‚wohl die einfachste Textur überhaupt‘: „Als Liste von Begriffen, die einen gegebenen Oberbegriff nach einer vorgegebenen Ordnung vollständig explizieren, ist die einzige semantische Leistung des Kataloges das Denotat, die Aufzählung aller Elemente einer Klasse.“122 Das Verfahren des Katalogs besteht folglich darin,
119 Kurt Tucholsky tut dies 1907 mit seiner ersten Publikation in Form eines Märchens, das von einem Kaiser erzählt, der in seiner Schatzkammer eine Flöte besitze: „Da war eine Landschaft darin, klein, aber voller Leben: Eine Thomasche Landschaft mit Böcklinschen Wolken und Leistikowschen Seen. Rezniceksche Dämchen rümpften die Nase über Zillesche Gestalten, und eine Bauerndirne Meuniers trug einen Arm voll Blumen Orliks – kurz, die ganze moderne Richtung war in der Flöte. Und was machte der Kaiser damit? Er pfiff drauf.“ Kurt Tucholsky: Märchen. In: Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hg. von Mary Gerold-Tucholsky u. Fritz J. Raddatz. Reinbek bei Hamburg 1975. Bd. 1: 1907–1918. S. 39. 120 Wilhelm II: Die wahre Kunst. Ansprache am 18. Dezember 1901, anlässlich der Ausgestaltung der Siegesallee. In: Jürgen Schutte u. Peter Sprengel (Hg.): Die Berliner Moderne 1885–1914. Stuttgart 1987: Philipp Reclam jun. S. 571–574, hier S. 574. 121 Sombart: Die Reklame, S. 286. 122 Baßler: Historistischer und rhetorischer Katalog, S. 134.
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Abb. 19: Plakat für Eulen-Wichse von Edmund Edel, o.J.
die Elemente (und zwar möglichst viele, idealiter alle Elemente) von der vertikalen ‚Achse der Selektion‘ auf die horizontale ‚Achse der Kombination‘ zu projizieren.123 Dieses Prinzip erwies sich als konstitutiv für die ausführlich zitierte Passage aus Berlin W., die eine Vielzahl von Dingen syntagmatisch aneinanderreihte, die dem Paradigma ‚Einrichtungsgegenstände‘ zugeordnet wurden. Kataloge haben als Textverfahren Konjunktur in der Literatur um die Jahrhundertwende: Unter dem Vorzeichen des Historismus erhält das Verfahren der Katalogbildung eine herausgehobene Stellung, insofern es als „positivistische Schreibweise par excellence“ verspricht, das adäquate Mittel zur „Repräsentation empirischer Faktizität im Text“ zu liefern.124 Damit ist der Katalog ein genuin archivistisches Verfahren. Kataloge, die dieses Ideal erfüllen und den Katalogbegriffen „ihre volle Eigenbedeutung“ zu-
123 Vgl. Jakobson: Linguistik und Poetik. 124 Baßler: Historistischer und rhetorischer Katalog, S. 134 u. 137.
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gestehen, stellen die „ultimative literarische Ausprägung“ des historistischen Katalogs dar125 und somit zugleich das denkbar ausgeprägteste Gegenstück zu Lämmerts These, dass alle Realia ihres transliterarischen Bezugssystems entkleidet würden, sobald sie in die Dichtung gelangen. Insbesondere in literarischen Texten der emphatischen Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden jedoch Kataloge mit dem geradezu entgegengesetzten Zweck generiert, den Effekt von Unverständlichkeit zu erzielen.126 Als rhetorische Kataloge verknüpfen sie Dinge miteinander, die sich keinem gemeinsamen Oberbegriff zuordnen lassen – wie etwa „eine alte Öllampe, Schiller, Goethe, Shakespeare, ein oder zwei Fenstergarnituren, ein Stuhlbein, […]“127 – und machen auf diese Weise „die pointengenerierende Kraft apodiktisch setzender Textverfahren“ zu ihrem eigentlichen Thema.128 Auch im Falle von Berlin W. werden unter dem Oberbegriff ‚Einrichtungsgegenstände‘ Dinge genannt, deren Erwähnung insofern überrascht, als sie üblicherweise anderen Gegenstandsbereichen, anderen ‚Thesauren‘, zugeordnet werden (etwa der Literatur, der Philosophie oder der Bildenden Kunst). Die Textur von Berlin W. bezieht damit ebenfalls Pointen aus einer apodiktischen Setzung, aus einer Verbindung mehrerer, kulturell höchst unterschiedlich valorisierter Paradigmen zu einem einzigen. Daraus ergibt sich der zunächst paradoxe Befund, dass Berlin W. zwei unterschiedliche, einander ausschließende Verfahren der Katalogbildung miteinander verbindet: den auf Referenzialisierbarkeit zielenden historistischen Katalog und den entreferentialisierenden, selbstreferentiellen rhetorischen Katalog, in dem die Prädikation tendenziell „reines Verfahren [bleibt], ihre jeweiligen Inhalte sind beliebig bis nichtssagend“.129 Anders jedoch als in emphatisch modernen Texturen strebt die Rhetorik des Katalogs in Berlin W. nicht Unverständlichkeit, sondern lediglich einen satirischen Effekt an. Die Textur zielt auf Pointen, indem sie Dinge unter einem Oberbegriff versammelt, die unterschiedlichen Bereichen entstammen. Diese Dinge bleiben indes nicht gänzlich unvereinbar und unverständlich, sondern werden vereinbar, sobald einige von ihnen eine Umwertung erfahren und auch die Nietzsche-Bände – die für eine solche Umwertung der Werte zugleich Pate stehen – unter dem Aspekt des Arrangements betrachtet werden. Rhetorisch ist der in Berlin W. entworfene Katalog folglich deshalb zu nennen, weil er nicht die ‚einfachste Textur überhaupt‘, also eine Art neutraler Auf-
125 Baßler: Historistischer und rhetorischer Katalog, S. 140. 126 Siehe Baßler: Die Entdeckung der Textur, bes. S. 136–157. 127 Robert Walser: Reisekorb, Taschenuhr, Wasser und Kieselstein. Hier zit. nach Baßler: Die Entdeckung der Textur, S. 142. 128 Baßler: Die Entdeckung der Textur, S. 143. 129 Baßler: Die Entdeckung der Textur, S. 144.
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listung, darstellt, die allein ‚einen gegebenen Oberbegriff nach einer vorgegebenen Ordnung vollständig expliziert‘. Der Katalog beruht stattdessen wesentlich darauf, vorgegebene Klassen von Gegenständen unter einem neuen, vom Text gesetzten Oberbegriff, der im Untertitel des Buchs benannten ‚Oberfläche‘, zusammenzuführen. Insofern erschöpft sich die ‚semantische Leistung‘ dieses Katalogs nicht im Denotat, sondern bezieht textexterne, aber auch durch den Text hergestellte Konnotationen mit ein. Zugleich ist dieser Katalog historistisch zu nennen, insofern der Anspruch auf Referentialisierbarkeit hiervon unberührt bleibt. Der gemeinsame Oberbegriff wertet also um, er entreferentialisiert die Katalogeinträge aber nicht. Damit erweist sich das scheinbare Paradox als eine erneute Konkretisierung der bereits beobachteten Doppelschichtigkeit des archivistischen Verfahrens von Berlin W.: Die Archivierung von Alltagsgegenständen und ihre rhetorische Ästhetisierung überlagern und durchwirken einander. Lässt sich das Verfahren des Katalogs einerseits literaturgeschichtlich vor dem Hintergrund von Historismus und der Ästhetik der literarischen Moderne verorten, so bildet die Modernisierung der Konsum- und Warenkultur einen zweiten, warenästhetischen Resonanzraum.130 Inbegriff dieser neuen Form der Präsentation und Konsumtion von Waren bilden die modernen Markenprodukte und das Warenhaus, deren Entstehung eng aneinander gekoppelt ist.131 Denn der Prozess, der die Warenkunde durch Markenkenntnis ersetzt, liefert zugleich die Voraussetzung für den sich anonymisierenden Kaufakt, wie er im Warenhaus stattfindet. Bürgte zuvor der Besitzer eines Ladens für die Güte der von ihm angebotenen Waren, übernimmt nun die Marke diese Funktion und wird damit unabhängig vom Vertrauen zwischen Kunden und Verkäufer.132 Das doppelte Ziel, den organisatorischen Aufwand des Warenein- und -verkaufs zu rationalisieren und 130 Zum Begriff der Resonanz siehe Greenblatt: Resonanz und Staunen. 131 Zum Zusammenhang von modernem Markenwesen und Warenhaus in den 1890er Jahren siehe Tim Coles: Department stores as retail innovations in Germany: a historical-geographical perspective on the period 1870 to 1914. In: Geoffrey Crossick u. Serge Jaumain (Hg.): Cathedrals of Consumption. The European Department Store, 1850–1939. Aldershot u.a. 1999: Ashgate. S. 72–96, bes. S. 74. Zum Warenhaus als einem Ort der Moderne siehe auch Uwe Spiekermann: Das Warenhaus. In: Alexa Geisthövel u. Habbo Knoch (Hg.): Orte der Moderne. Erfahrungswelten des 19. und 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 2005: Campus Verlag. S. 207–217. Zur Entwicklung des Warenhauses siehe außerdem König: Konsumkultur, S. 92–124. 132 Zur Verschiebung der Verantwortlichkeit für ein Produkt vom Händler zum Hersteller und den damit verbundenen Konsequenzen für den Einzelhandel siehe Lamberty: Reklame in Deutschland 1890–1914, S. 109–114. Dass damit auch die Warenkenntnis der Verkäuferinnen nachrangig wird, belegt die Tatsache, dass in den Warenhäusern den Verkäuferinnen die Lagerdamen übergeordnet waren, die „in der Warenkenntnis ihren Verkäuferinnen überlegen sein [sollen]“, so Paul Göhre: Das Warenhaus. Frankfurt am Main 1907: Literarische Anstalt Rütten & Loening. S. 67. [= Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien. Hg. von Martin Buber. Bd. 12.]
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Abb. 20: Lichthof des Warenhauses Wertheim in Berlin, um 1903.
finanzielle Macht zu bündeln133 sowie „dem Konsumenten ferner den Einkauf fast aller seiner täglichen Bedürfnisse an demselben Orte“ zu ermöglichen,134 führen zum wichtigsten Charakteristikum der Warenhäuser: zu einem breit gefächerten Warenangebot, das die Warenangebote der Gemischtwarenläden und Spezialgeschäfte um ein vielfaches übersteigt und bei zeitgenössischen Beobachtern den Eindruck eines „Meer[s] von Warenmassen“ in „unabsehbare[n], immer neue[n] Reihen von Verkaufsständen“ entstehen lässt (Abb. 20).135 In Warenhäusern verdichtet sich damit jene „Hypertrophie der objektiven Kultur“, die Georg Simmel – ein weiterer langjähriger Bewohner von Berlin W.136 – in seinem Essay Die Groß-
133 Vgl. Göhre: Das Warenhaus, S. 121. Zu den neuen Handelsmethoden der Warenhäuser siehe auch Heinz-Gerhart Haupt: Konsum und Handel. Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen 2003: Vandenhoeck & Ruprecht. Bes. S. 66–71. 134 Göhre: Das Warenhaus, S. 115. 135 Göhre: Das Warenhaus, S. 15. Zum Warenhaus als Inszenierungsraum einer Allverfügbarkeit der Waren siehe Rooch: Zwischen Museum und Warenhaus, S. 133–165. Den quantitativen Aspekt des Warenangebots hebt Haupt auch hervor: „Im Mittelpunkt des Kundenerlebnisses im Warenhaus stand jedoch die Erfahrung einer zuvor unbekannten Menge und Vielfalt an Waren“. Haupt: Konsum und Handel, S. 82. 136 Simmel wohnte in der Nußbaum-Allee 14, Westend. Siehe dazu den Eintrag in Berliner Adreßbuch 1906. Berlin o.J.: August Scherl, Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft. Erster Band, S. 2160.
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städte und das Geistesleben (1903) zur allgemeinen Signatur der Epoche erklärt.137 Die ersten Auseinandersetzungen mit dem Warenhaus thematisieren genau dieses Wuchern des Warenangebots und überführen es in hypertrophe Texturen.138 In seiner 1907 erscheinenden Darstellung Das Warenhaus, einer exemplarischen Beschreibung des Warenhauses Wertheim in Berlin, macht Paul Göhre den listenbildenden Charakter des Warenangebotes explizit: Was für Waren verkauft nun Wertheim? Sie hier aufzuzählen, wäre natürlich Wahnsinn, unmöglich und ist auch absolut unnötig. Es genügt, die Anzahl der Verkaufsabteilungen, Läger genannt, hier aufzuführen. Schon diese bilden eine sehr stattliche Liste. Es gibt fünfundsechzig solcher Läger. In der Reihenfolge einer gewissen sachlichen Zusammengehörigkeit sind es folgende: Damenkonfektion, Trikotagen, Handschuhe, Weißwaren, Kleiderstoffe, Pelzwaren, Damenhüte und Putz, Herrenartikel, Leinenwaren, Futterstoffe, Seidenstoffe, Schuhwaren, Tischzeug, Wäsche, Taschentücher, Hemdenblusen, Herrenkonfektion, Korsetts, Jupons, Schirme, Posamenterie, Liberty, Kissen, Gardinen, Teppiche, Lederwaren, Möbelstoffe, Tapisseriewaren, Tapeten, Lampen, Japanwaren, Korbwaren, Möbel, Kunstmöbel, Kunstgewerbe, Bilder, Antiquitäten, Uhren, Silberwaren, versilberte Waren, Galanteriewaren, Holzgalanterie, Bijouterie, Nippes, Kurzwaren, Kämme, Parfümerie und Seifenartikel, Drogerie, photographisches Atelier, Malerartikel, Schreibwaren, Bücher, optische Instrumente, Nähmaschinen, Musikwerke, Noten, Ansichtskarten, Sportwaren, Spielwaren, Glas und Porzellan, Wirtschaftsartikel, Lebensmittel, Zigarren, zoologische Abteilung, Bankabteilung.139
Wie der Katalog stellt auch die Liste verfahrensästhetisch nichts anderes dar als die Projektion der Elemente eines Paradigmas auf das Syntagma, hier also der Verkaufsabteilungen bei Wertheim, nach ‚einer gewissen sachlichen‘, wenn auch nicht immer auf den ersten Blick ersichtlichen Zusammengehörigkeit geordnet. Deutlich wird dieses Verfahren auch in einer zweiten, nur ein Jahr später in der erwähnten Reihe der Großstadt-Dokumente erschienenen Darstellung der Berliner Warenhäuser von Leo Colze. In der ‚schlichten Reihung‘ des Alphabets listet Colze auf:
137 Georg Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben [1903]. In: Ders.: Gesamtausgabe. Hg. von Otthein Rammstedt. Bd. 7: Aufsätze und Abhandlungen 1901–1908. Frankfurt am Main 1995: Suhrkamp. S. 116–131, hier S. 130. 138 Einen Zusammenhang zwischen enzyklopädisch-archivistischen Schreibweisen und dem Warenhaus stellt Oscar Bie in einem Beitrag für die Neue Rundschau her: „Enzyklopädien und Monographien, Handbücher und Broschüren sind die Charakteristika des modernen Buchhandels. Warenhäuser und Spezialgeschäfte, Handelspaläste und Privatvillen sind dieselben Extreme in unserer Baukunst und unserer Industrieform.“ Oscar Bie: Das Warenhaus [1901]. In: Schutte u. Sprengel (Hg.): Die Berliner Moderne 1885–1914, S. 562–565, hier S. 562. 139 Göhre: Das Warenhaus, S. 36f.
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Kapitel 1: Die Entdeckung der Oberfläche: Katalog- und Kulturpoetik
Man kann in den Berliner Warenhäusern folgende Artikel kaufen: Alsenidewaren, Alpaka-Metallwaren, Andenken, Ansichtskarten, Baby-Ausstattungen, Badewannen, Bänder aller Art, Bilder, Bilderbücher, Blechwaren, Blusen, Blumen, Bonbons, Borden, Brandmalerei, Brautkränze, Brillen, Bücher, Bürstenwaren, Bureaubedarfsartikel, Damen-Hüte, Damen-Konfektion, Damen-Wäsche, Decken, Delikatessen, Eisenwaren, Elektrische Artikel, Emaillewaren, Erfrischungsraum, Erstlingswäsche, Fächer, FahrradArtikel, Farben, Felle, Figuren aller Art, Fischwaren, Fleisch- und Wurstwaren, FrisierUtensilien, Früchte, Fund-Bureau, Futterstoffe, Galanteriewaren, Gardinen, Garne, Gartenmöbel, Gemälde, Geschenk-Artikel, Glas und Porzellan, Grabkränze, Grammophone, Gürtel, Haarschmuck, Handschuhe, Handtücher, Handwerkzeuge, Haus- und Küchengeräte, Herren-Hüte, Herren-Wäsche, Holzgalanterie, Japanwaren, Jugendschriften, Jupons, Kaffee, Kämme, Kameras, Kinder-Hüte, Kinder-Konfektion, Kinder-Wäsche, Kinder-Spielwaren, Kinderwagen, Kleiderstoffe, Knöpfe, Knaben-Anzüge, Kochherde, Koffer, Kommunionartikel, Konfitüren, Konserven, Kontorutensilien, Korbwaren, Korsetts, Kostüme, Krawatten, Küchen-Artikel, Küchen-Möbel, Kurzwaren, Kunst-Gegenstände, Lampen, Läuferstoffe, Lebensmittel, Lederwaren, Leinenwaren, Liköre, Linkrusta-Artikel, Linoleum, Luxuswaren, Mal-Utensilien, Mädchen-Konfektion, Mädchen-Wäsche, MajolikaWaren, Möbel, Möbelstoffe, Modell-Salon, Musikalien, Mützen, Musik-Instrumente, Nadeln, Nickelwaren, Normal-Wäsche, Noten, Obst, Odeur, Oesen, Optik, Orient-Teppiche, Papierwaren, Parfümerie, Pelzwaren, Pfeifen, Phonographen, Photographische Artikel, Photographie-Album, Pincenez, Postkarten-Album, Posamenten, Portieren, Porzellan, Puppen, Putz, Radfahrer-Artikel, Rasier-Utensilien, Reise-Artikel, Reise-Lektüre, Reise-Decken, Röcke, Sammete, Schirme, Schleier, Schmuck, Schneiderei-Artikel, Schreibwaren, Schürzen, Seide, Silberwaren, Spielwaren, Spitzen, Sport-Artikel, SportWagen, Stahlwaren, Steingutwaren, Stöcke, Strickgarne, Strümpfe, Tapisserie, Taschentücher, Teppiche, Tinte, Tisch-Wäsche, Toilette-Artikel, Trikotagen, Turn-Apparate, Uhren, Uhrketten, Unterzeuge, Wachstuch, Wäsche für Damen und Herren, Waschstoffe, Weine, Werkzeuge, Weißwaren, Wollwaren, Zelluloidwaren, Zinkgußwaren, Zimmer-Einrichtungen.140
Aufmerksamen Lesern bietet diese Liste einige ‚Pinguin-Effekte‘, Wörter, die nicht in den vorgegebenen Thesaurus erwerblicher Gegenstände passen und die insofern „aus dem Text hinaus[springen]“141: So zählen der Erfrischungsraum und das Fund-Bureau gewiss nicht zu den Artikeln, die man in Berliner Warenhäusern kaufen kann. Mag es sich hierbei möglicherweise auch bloß um ein Versehen Colzes handeln – was sich schwerlich überprüfen lässt –: Als Textmerkmal bleibt der Effekt festzuhalten, und er erscheint insofern charakteristisch für die zeitgenössische Wahrnehmung des Warenhauses, als er die Unüberschaubarkeit des Warenangebots textuell realisiert. Der Pinguin-Effekt stellt sich als Belohnung nur bei einem Grad an Aufmerksamkeit ein, nach dem auch die Orientie-
140 Colze: Berliner Warenhäuser, S. 78f. 141 Zum Pinguin-Effekt siehe Baßler: Die Entdeckung der Textur, S. 108–113, hier S. 110.
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rung im Warenhaus verlangt, und er sensibilisiert damit für die Heterogenität des im Warenhaus Dargebotenen.142 Paul Göhre benennt die Schwierigkeit, die sich einer Vertextung des Warenangebots im Warenhaus stellt und resümiert mit Blick auf die von ihm aufgelisteten Verkaufsabteilungen: „Überfliegt man diese Namen, so zeigt sich sofort die Unmöglichkeit, für alle diese Abteilungen einen gemeinsamen Oberbegriff zu schaffen. Das ist eben das Charakteristische des Warenhauses, daß es Waren in ganz beliebiger Zusammenstellung offeriert und verkauft.“143 Damit ist aber zugleich ein wesentlicher Aspekt der Poetik von Berlin W. berührt. Der Effekt von Oberfläche beruht in Berlin W. auf der Setzung eines gemeinsamen Oberbegriffs (oder Paradigmas), der Dinge als Einrichtungsgegenstände zusammenfasst, die ganz unterschiedlichen und unterschiedlich valorisierten Bereichen angehören. Dass die aufgezählten Dinge in Berlin W. damit allein durch den poetologischen Leitbegriff der Oberfläche verbunden werden, erfolgt, wie sich nun zeigt, in Entsprechung zum Warenangebot der Warenhäuser, das nur durch Oberbegriffe wie Wertheim oder Kaufhaus des Westens zusammengehalten wird. Wenn dieses Verfahren literarästhetisch eher metaphorisch als Katalogbildung bestimmt worden ist, so lässt es sich kulturpoetologisch nicht nur durch Analogie auf das Warenangebot der Warenhäuser zurückführen, sondern entspricht einer realen Praktik: Denn dieses umfangreiche und heterogene Warenangebot wird um die Jahrhundertwende von den Warenhäusern selbst zunehmend in Katalogen zusammengestellt,144 in denen tatsächlich ‚alle Lexeme auf einer Ebene stehen‘, unabhängig von ihrer kulturellen Valorisation. Eine Seite aus dem Mode-Katalog Warenhaus A. Wertheim Berlin aus dem Jahr 1903/04 zeigt, dass erstens der reihende Stil der Katalogtextur von Berlin W. dem reihenden Stil der zeitgenössischen Warenhauskataloge entspricht: Heißt es in Berlin W., die Diele sei nach orientalischem, friesischem oder ‚Markiewicz‘-Geschmack eingerichtet, mit Darmstädter Korbmöbeln, Möbeln von Pfaff oder aus den Münchener oder den Dresdener Kunstwerkstätten, so reiht der Katalog unter dem Schlagwort ‚Regen-Schirme‘ „Damen-Schirme mit Futteral, vernickeltem Stock u. Griff“ neben „Farbige[n] Damen-Schirme[n], reinseiden, schottisch ka-
142 Zu dieser Heterogenität als einem Grundzug kapitalistischer (Waren-)Zirkulation siehe ausführlich das Kapitel 5 dieser Arbeit. 143 Göhre: Das Warenhaus, S. 37. Herv. B. W. 144 Zur Geschichte des Versandhandels und des Warenhauskatalogs siehe die knappen Abrisse in Lamberty: Reklame in Deutschland 1890–1914, S. 107–109 u. 178–180. Sowie Jörg Hensen: Kataloge im Wandel der Zeit – ein historischer Abriss. In: Roland Mattmüller (Hg.): Versandhandels-Marketing. Vom Katalog zum Internet. Frankfurt am Main 1999: Deutscher Fachverlag. S. 363–398. Außerdem König: Konsumkultur, S. 76–82.
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Kapitel 1: Die Entdeckung der Oberfläche: Katalog- und Kulturpoetik
Abb. 21: Regen-Schirme aus dem Mode-Katalog Warenhaus Wertheim, Berlin, 1903/04.
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riert“ neben „Farbige[n] Damen-Schirme[n], Halbseide, mit schottischer Bordüre“ neben „Damen-Schirme[n] m. langen Silbergriffen“ und so fort auf (Abb. 21). Zweitens stehen diese neben Konfektionsartikeln und nicht zuletzt auch neben Wiener Möbeln (Abb. 22), Salon- und Schreibtischen (Abb. 23), die wiederum neben der Klassiker-Bibliothek (Abb. 24) und Meyers und Brockhaus’ Konversationslexikon (Abb. 25) stehen. In Berlin W. wie im Warenhauskatalog kommt es somit also nicht nur zur Reihung mehrerer Dinge aus einer Warengruppe, sondern darüber hinaus zur Nebenordnung unterschiedlichster, heterogener Warengruppen. Die Topik und Rhetorik des Katalogs in Berlin W. einerseits und des Warenhauskatalogs von Wertheim andererseits stehen damit in einem Verhältnis der Kookkurrenz, d.h. beide Kataloge verfügen über dieselbe „archivimmanente Struktur[]“145 – sie partizipieren an derselben kulturellen Poetik, verstanden als einer „Struktur, über die sich improvisieren läßt“146 und über die beide Kataloge in unterschiedlichen Feldern, dem der Satire und dem der Warenästhetik, ‚improvisieren‘. Diese kulturpoetologische Dimension des Katalogs wirft noch einmal die Frage auf, ob das Unterfangen, die Sensibilisierung für literarische Aneignungen von Markenwaren durch die Popliteratur produktiv für einen neuen Blick auf die Literatur seit der Moderne zu machen, nicht dazu führt, die Popliteratur zum Maßstab zu erheben, der auf vorgängige Literaturen projiziert wird? Denn Kataloge stehen nicht nur in der Literatur der Jahrhundertwende hoch im Kurs, sondern gelten als eines der kennzeichnenden Verfahren der Popliteratur: „Kataloge sind unsere Lieblingsbücher“, zitiert bereits der Buchrücken von Baßlers Studie zur Pop-Literatur den Roman Grovers Erfindung (1990) von Andreas Mand und streicht das Verfahren damit paratextuell heraus.147 Edels frühen Archivismus als eine Art Popliteratur avant la lettre zu lesen, erscheint insofern nicht ganz abwegig, und es ließen sich neben der Archivierung der Warenwelt und dem Verfahren der Katalogisierung der weitgehende Verzicht auf einen plot sowie die Vorliebe für typisierte Figuren als weitere Gemeinsamkeit benennen. So verwundert es nicht, dass Florian Illies, Autor des popliterarischen Sachbuchs Generation Golf, zu den ersten Rezensenten zählt, als es 2001 zu einer kleinen Neuauflage von Berlin W. kommt.148 Begeistert erklärt Illies, das Buch habe seinerzeit „den Status von Popliteratur“ gehabt und sieht in Edmund Edel einen Vorläufer Benjamin von
145 Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 234f. 146 Greenblatt: Kultur, S. 55. 147 Baßler: Der deutsche Pop-Roman, Buchrücken. 148 Edmund Edel: Berlin W. Ein paar Kapitel von der Oberfläche. Neu hg. von Johannes Althoff. Berlin 2001: Verlagshaus Braun.
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Abb. 22–25: Wiener Möbel, Salontische, Klassiker-Bibliothek und Konversationslexika aus dem Mode-Katalog Warenhaus Wertheim, Berlin, 1903/04.
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Stuckrad-Barres.149 Am Verfahren des Katalogs zeigt sich indes die Differenz zwischen der Popliteratur und Edels Archivismus – und die Notwendigkeit, dieses Verfahren zu historisieren. 1998 veröffentlicht Stuckrad-Barre eine Art home story über das Versandhaus Manufactum und beginnt seinen Text mit einem kleinen popliterarischen Katalog: Wenn die Haare ausgehen, die Kinder das Haus verlassen, wenn IKEA nicht mehr sein muß, dann werden viele Menschen zu Kunden der Firma Manufactum. Das ist eine Art Merchandising-Betrieb für saturierte ehemalige WG-Bewohner mit ideologischem Feuer einst und sparflammendem Volvo heute einerseits und für Zurückzurnatur-Reaktionäre in Kniebundhosen, deren matt nur noch schlagendes Herz an der heimischen Scholle hängt, andererseits. Die finden hier zum Beispiel Korkenzieher für 79 Mark, weil die lange halten und gut und schwer in der Hand liegen. Den zahlreichen Menschen, die solches schätzen, flattert einmal im Jahr, nein, man muß sagen, denen rummst ein dicker Batzen Papier in den – tja, paßt das noch? – Briefkasten? 330 Seiten gute Laune, denn „es gibt sie noch, die guten Dinge“.150
Stuckrad-Barres Katalog verzichtet auf die Aneinanderreihung gleicher oder ähnlicher Waren und setzt stattdessen auf die Verbindung von Elementen aus unterschiedlichen Bereichen: Manufactum verbindet sich mit Volvo, Symptomen eines reifen Lebensalters usw. Entworfen wird damit das Szenario einer spezifischen Lebenswelt, die aus der juvenil-popliterarischen Perspektive wie angestaubt wirkt. Betrachtet man den Manufactum-Warenkatalog Nr. 20 von 2007, so findet sich darin beispielsweise der Heeley’s A1-Doppelflügel-Korkenzieher, der wie folgt beworben wird: „Dieses Gerät wurde 1888 für den Engländer H. S. Heeley patentiert und firmiert in der Korkenziehergeschichte als ‚Heeley’s Double Winged Lever Corkscrew A1‘. Die Kraft wird mit einer Hebelübersetzung von etwa 3:1 auf den Korken übertragen und zieht ihn mit größter Leichtigkeit und – dank seines Zentrierrings in der Glocke – äußerst sauber.“151 Durch die Datierung der Patentanmeldung auf das Jahr 1888 weist der Korkenzieher zeitlich eine größere Nähe zu Edmund Edel als zu Stuckrad-Barre auf. Zudem setzt die akribische Beschreibung seiner Funktionsweise auf Waren- statt auf Marken-
149 Florian Illies: Berlin (W). Zur Neuausgabe von Edmund Edels wunderbarer Stadtbeschreibung von 1906. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. 05. 2002, Berliner Seiten, S. 4. 150 Benjamin v. Stuckrad-Barre: Manufactum. In: Ders.: Remix. Texte 1996–1999. Köln 1999: Kiepenheuer & Witsch. S. 147–153, hier S. 147. 151 Der Doppelflügel. (Heeley’s A1.) In: Warenkatalog Nr. 20. Waltrop 2007: Manufactum. S. 203.
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Kapitel 1: Die Entdeckung der Oberfläche: Katalog- und Kulturpoetik
Abb. 26: Korkenzieher aus dem Warenkatalog Nr. 20 von Manufactum, 2007.
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kenntnis und verweist damit sogar durchaus noch auf die Zeit vor der markenorienten Konsumkultur. Dieser Topik entspricht – warenästhetisch konsequent – die Rhetorik des Manufactum-Katalogs: Der Warenkatalog von 2007 zeigt ein ähnliches reihendes Verfahren wie der Wertheim-Katalog von 1904, indem er auf einer Seite unterschiedliche Korkenzieher und Flaschenöffner aufführt (Abb. 26). Wenn die Warenästhetik des Manufactum-Katalog aus der Perspektive der literarischen Verfahrensästhetik Stuckrad-Barres als anachronistisch erscheint, so hat dies seinen Grund im poetologischen Referenzpunkt für Stuckrad-Barres eigenes Textverfahren. Denn diesen bildet der Katalog jenes Einrichtungshauses, das für die Manufactum-Kundschaft ‚nicht mehr sein muß‘: IKEA. Hier tritt an die Stelle des reihenden Stils die gleiche Inszenierung der Waren in lebensweltlichen Szenarien wie in Stuckrad-Barres Text. So entwirft das Cover des Katalogs von 2008 unter dem Motto Sei wie du bist, LEBE WIE DU WILLST! eine vollständig aus IKEA-Möbeln gestaltete Wohn- und Lebenswelt, in deren Vordergrund ein rosafarbenes Sofa zu sehen ist, im Hintergrund, durch Tiefenschärfeneffekt bereits leicht unscharf, zeichnet sich eine in Jeans und tailliert geschnittenem Wollpullover gekleidete Mittdreißigerin an einem Schreibtisch sitzend ab, hinter ihr schließlich ein Computer, der, teilweise verdeckt, noch ausreichend kenntlich ist, um als iMac der Marke Apple identifiziert werden zu können (Abb. 27). In vergleichbarer Weise wie Stuckrad-Barre Manufactum mit der Automarke Volvo kombiniert, um sein Paradigma des Manufactum-Konsumenten zu entwerfen, verknüpft die Titelseite des IKEA-Katalogs die eigenen Einrichtungsgegenstände mit einem Computer der Marke Apple, um so das Paradigma der eigenen Kundschaft zu darzustellen. Dass diese Katalogwelten, die von Stuckrad-Barre lustvoll durchgespielt werden, die Kehrseite in sich bergen, als Bedrohung des individuellen Spielraums erfahren zu werden, als „Kollektivierung des Individualismus“152, führt David Fincher in seiner Verfilmung von Chuck Palahniuks Roman Fight Club (Roman 1996, Film 1999) auf drastische Weise vor: In einer Überblendung der IKEA- resp. FÜRNI-Katalogwelt153 und dem Appartement des Protagonisten, die sich als vollkommen identisch erweisen, zeigt sich, wie bei Edel, dass die Wohnräume längst keine warenästhetisch neutralen Rückzugsorte der Intimität mehr sind
152 Joachim Bessing (Hg.): Tristesse Royal. Das popkulturelle Quintett mit Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander v. Schönburg und Benjamin v. Stuckrad-Barre. Berlin 1999: Ullstein. S. 163. 153 Visuell wird die Marke FÜRNI eingeführt, auditiv dagegen wird IKEA benannt.
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Abb. 27: Cover des IKEA-Katalogs, 2009.
(Abb. 28–30).154 Fincher zeigt damit ein Problem auf, das bereits mit dem Aufkommen der standardisierten Herstellung von Waren theoretisch reflektiert wird und noch einmal in das diskursive Netz führt, das Berlin W. umgibt.
1.7 Anthropologie des Schaums: Simmels Philosophie der Mode Es ist das erklärte Ziel Georg Simmels, mit seiner Philosophie die „Einzelheiten und Oberflächlichkeiten des Lebens an seine tiefsten und wesentlichsten Bewe-
154 Auf andere Weise hat auf dieses Problem der israelische Performance-Künstler Guy Ben-Ner aufmerksam gemacht, der mit seiner Familie illegal in IKEA-Filialen in Berlin, New Jersey und Tel Aviv einzog und damit die Intimität der Familie in die ausgestellten Katalogwelten getragen hat. Siehe hierzu das Video Stealing Beauty (2007) und den Bericht dazu unter http://www.artmagazin.de/kunst/2685/guy_ben_ner_ikea_video [01. 11. 2010].
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Abb. 28–30: Filmstills aus Fight Club (Regie: David Fincher), 1999.
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Kapitel 1: Die Entdeckung der Oberfläche: Katalog- und Kulturpoetik
gungen“ anzuknüpfen.155 In seiner Philosophie des Geldes (1900) stellt er daher nicht nur einen Zusammenhang her zwischen der „Erweiterung der Konsumtion“ und dem allgemeinen „Wachsen der objektiven Kultur“.156 Er benennt überdies die Konsequenz, dass die „Hypertrophie der objektiven Kultur“ einhergehe mit einer „Atrophie der individuellen […] Kultur“157, denn, so Simmel weiter: [J]e sachlicher, unpersönlicher ein Produkt ist, für desto mehr Menschen ist es geeignet. Damit der Konsum des Einzelnen ein so breites Material finden könne, muß dieses sehr vielen Individuen zugängig und anziehend gemacht, kann nicht auf subjektive Differenziertheiten des Begehrens angelegt sein […]. [Es] verschwindet die subjektive Färbung des Produkts auch nach der Seite des Konsumenten hin, denn es entsteht nun unabhängig von ihm, die Ware ist nun eine objektive Gegebenheit, an die er von außen herantritt und die ihr Dasein und Sosein ihm gleichsam als etwas Autonomes gegenüberstellt.158
Die um die Jahrhundertwende neu aufkommenden Kataloge machen dieses Wuchern der objektiven Kultur ebenso augenfällig wie das Schwinden der subjektiven: „Es ist“, schreibt Edel in Neu-Berlin über die Gesellschaft von Berlin W., „immer dasselbe, man blättert wie in einem Katalog. Dieselbe Musik, dieselben Ballhäuser, dieselben Sektmarken“.159 Abwechslung – und damit Entdramatisierung, „[E]ntlast[ung]“160 – bieten die Mechanismen der Mode, wie sie Simmel ein Jahr vor Erscheinen von Berlin W. in seiner Philosophie der Mode (1905) formuliert. Zwar ist in der noch stark hierarchisch strukturierten Wilhelminischen Gesellschaft Simmel zufolge „[j]ede Mode […] ihrem Wesen nach Klassenmode, d.h. sie bezeichnet jedesmal eine Gesellschaftsschicht, die sich durch die Gleichheit ihrer Erscheinung ebensowohl nach innen einheitlich zusammenschließt, wie nach außen gegen andere abschließt“.161 Zugleich aber stellt Simmel seine Philosophie auf die Annahme eines kulturanthropologischen Dualismus, demzufolge die steten Spannungen auf allen Gebieten seines Daseins das Wesen und den Reichtum des Menschen und seiner Existenz ausmachen, und diese Spannungen bestimmen insbesondere das
155 Georg Simmel: Philosophie des Geldes [1900]. In: Ders.: Gesamtausgabe. Bd. 6: Philosophie des Geldes. Frankfurt am Main 1989: Suhrkamp. S. 13. 156 Simmel: Philosophie des Geldes, S. 631. 157 Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben, S. 130. 158 Simmel: Philosophie des Geldes, S. 631 u. 634. 159 Edel: Neu-Berlin, S. 83. 160 Georg Simmel: Philosophie der Mode [1905]. In: Ders.: Gesamtausgabe. Bd. 10: Philosophie der Mode – Die Religion – Kant und Goethe – Schopenhauer und Nietzsche. Frankfurt am Main 1995: Suhrkamp. S. 7–37, hier S. 37. 161 Simmel: Philosophie des Geldes, S. 640.
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Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft und mithin zur Klasse. So lasse sich „[d]ie ganze Geschichte der Gesellschaft […] an dem Kampf, dem Kompromiß, den langsam gewonnenen und schnell verlorenen Versöhnungen abrollen, die zwischen der Verschmelzung mit unserer sozialen Gruppe und der individuellen Heraushebung aus ihr auftreten“.162 Die Geschichte der Gesellschaft erscheint als die Geschichte der Integration und Konformität des Individuums wie seiner Distinktion. Die Mode bedient für Simmel sowohl die „Tendenz zur Nachahmung“ und das „Bedürfnis nach sozialer Anlehnung“ des Einzelnen als auch seine „Tendenz auf Differenzierung“, sein „Unterschiedsbedürfnis“.163 Damit dient die Mode ebenso der vertikalen Distinktion gegenüber sozial niedrigeren (oder höheren) Klassen wie der horizontalen Distinktion innerhalb der eigenen Klasse: Das Wesen der Mode besteht darin, daß immer nur ein Teil der Gruppe sie übt, die Gesamtheit sich aber erst auf dem Wege zu ihr befindet. Sobald sie völlig durchdrungen ist, d.h. sobald einmal dasjenige, was ursprünglich nur einige taten, wirklich von allen ausnahmslos geübt wird, wie es bei gewissen Elementen der Kleidung und der Umgangsformen geschah, so bezeichnet man es nicht mehr als Mode. Jedes Wachstum ihrer treibt sie ihrem Ende zu, weil sie dadurch die Unterschiedlichkeit aufhebt.164
Die Mode schafft somit Differenzen und Distinktionsmöglichkeiten nicht durch Individualität, sondern durch Dynamisierung, insofern es ihr „nur auf den Wechsel an[kommt]“165: „Es liegt, um das Ganze zusammenzufassen, der eigentümlich pikante, anregende Reiz der Mode in dem Kontraste zwischen ihrer ausgedehnten, alles ergreifenden Verbreitung und ihrer schnellen und gründlichen Vergänglichkeit“.166 Dies ist eben die Grundeigenschaft des Schaums, aus dem Berlin W. gemacht ist: seine Vergänglichkeit, die ihn zu einem geläufigen Vanitas-Symbol des Barock werden ließ.167 „Was die Eleganz des Westens von Berlin betrifft“, so Robert Walser im Oktober 1910 ganz im Einverständnis mit Jules Hurets Beobachtung
162 Simmel: Philosophie der Mode, S. 9. 163 Simmel: Philosophie der Mode, S. 10f. 164 Simmel: Philosophie der Mode, S. 16. 165 Simmel: Philosophie der Mode, S. 34. 166 Simmel: Philosophie der Mode, S. 37. 167 So etwa Andreas Gryphius’ Sonett Thränen in schwerer kranckheit: „Was bilden wir uns ein? was wünschen wir zu haben? / Itzt sind wir hoch und groß, und morgen schon vergraben; / Itzt blumen, morgen koth; wir sind ein wind, ein schaum, // Ein nebel und ein bach, ein reiff, ein thau’, ein schatten. / Itzt was und morgen nichts, und was sind unser thaten? / Als ein mit herber angst durchaus vermischter traum.“ In: Andreas Gryphius: Werke in drei Bänden. Bd. 3: Lyrische Gedichte. Hg. von Hermann Palm. Hildesheim 1961: Georg Olms Verlagsbuchhandlung. [= Unveränderter photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1884.]
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über den bröckelnden Putz, „so scheint sie ausgezeichnet durch Lebhaftigkeit und zugleich ein wenig verdorben durch die Unmöglichkeit, sie ruhig zu entfalten“.168 Mit seiner Philosophie liefert Simmel, indem er darin die ‚Einzelheiten und Oberflächlichkeiten des Lebens‘ auf die ‚tiefsten und wesentlichsten Bewegungen‘ des Lebens zurückführt, nicht weniger als eine kulturanthropologische Erklärung des Schaums von Berlin W. Sie erweist sich damit als eine Philosophie auf der Höhe ihrer Zeit – auf der Oberfläche. Simmels an Goethe geschultes Kunstverständnis steht einer Poetik der Oberfläche allerdings diametral gegenüber: „Das Kunstwerk“, führt Simmel in der Philosophie des Geldes aus, „ist unter allem Menschenwerk die geschlossenste Einheit, die sich selbst genügendste Totalität […]. Die Kunst […] beläßt keinem aufgenommenen Element eine Bedeutung außerhalb des Rahmens, in den sie es einstellt“.169 Diese Auffassung des Kunstwerks gilt es im folgenden Kapitel an einem Roman kritisch zu befragen, der sich seinem poetologischen Selbstverständnis nach dieser Bestimmung anschließt: Thomas Manns Der Zauberberg.
168 Robert Walser: Berlin W., S. 79. 169 Simmel: Philosophie des Geldes, S. 629f.
Kapitel 2: Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive
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Kapitel 2 Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive, Fetische und Archivalien wider Willen in Thomas Manns ‚Zeitroman‘ Der Zauberberg (1924) … dass ein Text nicht aus einer Reihe von Wörtern besteht […], sondern aus einem vieldimensionalen Raum […]. Der Text ist ein Gewebe aus unzähligen Stätten der Kultur.1 Roland Barthes: Der Tod des Autors (1967/68)
In seinen poetologischen Selbstverortungen liefert Thomas Mann zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine geradezu überpointierte Gegenposition zur Poetik des Archivismus. Als sich Mann im Februar 1906 – dem Jahr des Erscheinens von Berlin W. – mit seinem „Aufklärungs- und Verteidigungsschriftchen“ Bilse und ich gegen die Vorwürfe zur Wehr setzt, seine Buddenbrooks zählten aufgrund der Nachbildung einiger Figuren nach realen Lübecker Vorbildern zu einer „künstlerisch wertlos[en]“ Literatur, die neben „der eigentlichen Literatur“ stehe, bringt er seine Auffassung über das Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit mit der rhetorisch gestellten Frage auf den Begriff: „Wenn ich aus einer Sache einen Satz gemacht habe – was hat die Sache noch mit dem Satz zu tun?“2 Manns Frage erscheint wie die Vorwegnahme von Eberhard Lämmerts Definition des ‚Dichterischen‘ in den Bauformen des Erzählens, derzufolge alle Realien ihres transliterarischen Bezugssystems entkleidet würden und ‚innerhalb der fiktiven Wirklichkeit der Dichtung neuen Stellenwert und eine neue, begrenzte Funktion erhalten‘.3 Zwar räumt Mann ein, es sei „schlechterdings kein Zufall, daß Einem, der in der Vergangenheit nach starken und zweifellos echten Dichtern sucht, wel-
1 Roland Barthes: Der Tod des Autors. In: Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez u. Simone Winko (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart 2000: Philipp Reclam jun. S. 185–193, hier S. 190. 2 Thomas Mann: Bilse und ich [1906]. In: Ders.: Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Werke – Briefe – Tagebücher. Hg. von Heinrich Detering, Eckhard Heftrich, Hermann Kurzke, Terence J. Reed, Thomas Sprecher, Hans R. Vaget u. Ruprecht Wimmer in Zusammenarbeit mit dem Thomas-Mann-Archiv der ETH, Zürich. Bd. 14.1: Essays I: 1893–1914. Hg. von Heinrich Detering. Frankfurt am Main 2002: S. Fischer Verlag. S. 95–114, hier S. 113 (Vorwort zur ersten Buchausgabe von Bilse und ich), 96 u. 101. Der Titel verweist auf Oswald Fritz Bilse, Verfasser des Militärromans Aus einer kleinen Garnison (1903). Zu Bilse und dem Prozess, in dem der Autor u.a. der Beleidigung von Vorgesetzten angeklagt wurde, siehe Seiler: Die leidigen Tatsachen, S. 234–237. 3 Siehe hierzu den Abschnitt 1. „Once you ‚got‘ Pop …“: Markenwaren als ein neuer Gegenstand der Literaturwissenschaften in der Einleitung zu dieser Arbeit.
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che, statt frei zu ‚erfinden‘, sich lieber auf irgend etwas Gegebenes, am liebsten auf die Wirklichkeit stützten, gerade die großen und größten Namen sich darbieten“.4 Es scheine daher „gewiß, daß die Gabe der Erfindung […] bei weitem nicht als Kriterium für den Beruf zum Dichter gelten kann“.5 Schiller, Goethe, Turgenjew, Shakespeare: Sie alle zitiert Mann herbei, um diese These zu belegen – und schließt mit dem Letztgenannten ausgerechnet jenen Autor mit ein, an dem der New Historicist Stephen Greenblatt rund achtzig Jahre später sein Konzept der kulturellen Energie literarischer Texte entwickeln und exemplifizieren wird.6 Mann jedoch lässt keinen Zweifel am Bestehen eines ‚Wesensunterschieds‘ zwischen Literatur und Wirklichkeit: Die Wirklichkeit, die ein Dichter seinen Zwecken dienstbar macht, mag seine tägliche Welt, mag als Person sein Nächstes und Liebstes sein; er mag dem durch die Wirklichkeit gegebenen Detail noch so untertan sich zeigen, mag ihr letztes Merkmal begierig und folgsam für sein Werk verwenden: dennoch wird für ihn – und sollte für alle Welt! – ein abgründiger Unterschied zwischen der Wirklichkeit und seinem Gebilde bestehen bleiben – der Wesensunterschied nämlich, welcher die Welt der Realität von derjenigen der Kunst auf immer scheidet.7
„Beseelung“ lautet die Formel, die Thomas Mann in Bilse und ich für die Verwandlung der Wirklichkeit in Dichtung anführt, und das meint: „die Durchdringung und Erfüllung des Stoffes mit dem, was des Dichters ist“.8 Dichtung, so die letztlich tautologische Bestimmung, ist mithin, ‚was des Dichters ist‘. Mit dem Zauberberg, zu dem Mann sieben Jahre nach Bilse und ich im Juli 1913 die Arbeit aufnimmt und der weitere elf Jahre später im November 1924 bei S. Fischer erscheint, erhält das Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit eine besondere Ausprägung: Die angehäuften Materialmassen aus medizinischen, biologischen, psychoanalytischen, philosophischen, theologischen und politischen Schriften unterschiedlichster Herkunft, die im Zauberberg verarbeitet werden, übertreffen bei weitem diejenigen früherer Arbeiten und erreichen ein geradezu enzyklopädisches Ausmaß.9 Nicht zuletzt eignet sich der Zauberberg neben die-
4 Mann: Bilse und ich, S. 98f. 5 Mann: Bilse und ich, S. 99. 6 Zur kulturellen oder sozialen Energie siehe insbes. Greenblatt: Verhandlungen mit Shakespeare. Zum Begriff der sozialen Energie siehe auch Wolfgang Behschnitt: Die Macht des Kunstwerks und das Gespräch der Toten. Über Stephen Grennblatts Konzept der ‚Social Energy‘. In: Jürgen Glauser u. Annegret Heitmann (Hg.): Verhandlungen mit dem New Historicism. Das Text-Kontext-Problem in der Literaturwissenschaft. Würzburg 1999: Königshausen & Neumann. S. 157–169. 7 Mann: Bilse und ich, S. 101. 8 Mann: Bilse und ich, S. 100. 9 Zur Anhäufung der Materialmassen im Allgemeinen siehe Hermann Kurzke: Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk. Eine Biographie. Frankfurt am Main 2001: Fischer Taschenbuch Ver-
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sen Textmengen auch eine Reihe von Markennamen wie Lindt- und Gala PeterSchokolade und insbesondere die Zigarrenmarke Maria Mancini an. Zugleich erzeugt das Bemühen, diese Realia in eine ‚wesensunterschiedene‘ Wirklichkeit der Dichtung zu überführen, sie mit einem „hermetischen Zauber“10 zu auratisieren, um sie keinem ‚bloßen‘ Archivismus zu überantworten, eine rigorose Durcharbeitung der Textstruktur, die selbst Walter Benjamin – um noch einmal ihn als Leser zu zitieren – zu bannen verstanden hat. So angezogen wie beschämt berichtet Benjamin während eines Aufenthaltes in der Frankfurter Pension Isolde im Februar 1925 an seinen Freund Gershom Scholem: „Lektüre hat es sonst wenig gegeben. Incredibile dictu: das neue Buch von Thomas Mann: Der Zauberberg fesselt mich durch schlechtweg souveräne Mache.“11 Thomas Mann bezeichnet diese ‚Mache‘ während der Entstehung des Zauberberg als eine Arbeit des ‚Flechtens‘12 und schreibt seinen Roman damit in die lange Tradition eines Verständnisses vom Text als einem ‚Gewebe‘ ein.13 Dass die daraus hervorgehende Textur wiederum im Zusammenhang mit dem Verfahren der ‚Leitmotivik‘
lag. S. 327f. Zu den naturwissenschaftlich-medizinischen Quellen im Besonderen siehe Malte Herwig: Bildungsbürger auf Abwegen. Naturwissenschaft im Werk Thomas Manns. Frankfurt am Main 2004: Vittorio Klostermann. [= Thomas-Mann-Studien. Bd. 32.] Zum Zauberberg bes. S. 72–142. Die aus diesen Materialmassen erwachsende ‚Enzyklopädik‘ des Zauberberg beleuchtet Caroline Pross: ‚Dekadenz des Ganzen‘. Zur Poetik des Enzyklopädischen in Thomas Manns Der Zauberberg. In: Waltraud Wiethölter, Frauke Berndt u. Stephan Kammer (Hg.): Vom Weltbuch bis zum World Wide Web – Enzyklopädische Literaturen. Heidelberg 2005: Universitätsverlag Winter. S. 215–240. 10 Mann: Der Zauberberg, S. 1074. 11 Walter Benjamin: Brief an Gershom Scholem. Frankfurt a. M., 19. 02. 1925. In: Ders.: Gesammelte Briefe. Hg. vom Theodor W. Adorno Archiv. Bd. III: 1925–1930. Hg. von Christoph Gödde u. Henri Lonitz. Frankfurt am Main 1997: Suhrkamp. S. 13–18, hier S. 17. Und im April gesteht Benjamin weiter: „Ich weiß kaum, wie ich es anstellen soll, Dir mitzuteilen, daß dieser Mann, den ich gehaßt habe wie wenige Publizisten mit seinem letzten großen Buch, dem ‚Zauberberg‘, das mir in die Hände fiel, mir geradezu nahe gekommen ist; mit einem Buche, in dem [mich] untrüglich Eigenstes, was mich bewegt und immer bewegte, auf eine Art, die ich streng kontrollieren kann und gelten lassen, ja in vielem sehr bewundern muß, angesprochen hat. Es ist, so wenig anmutend dergleichen Konstruktionen sind, mir dennoch nicht anders denkbar, ja schlechtweg sicher, daß über dem Schreiben eine innere Wandlung mit dem Verfasser sich vollzogen haben muß.“ Walter Benjamin: Brief an Gershom Scholem. Berlin, 06. 04. 1925. In: Ders.: Gesammelte Briefe, Bd. III, S. 25–29, hier S. 27f. 12 In einem Brief an Korfiz Holm. Thomas Mann: Brief an Korfiz Holm, München, 06. 05. 1915. In: Ders.: Selbstkommentare: Der Zauberberg. Hg. von Hans Wysling. Frankfurt am Main 1993: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 12. 13 Siehe dazu die umfassende Studie von Erika Greber: Textile Texte. Poetologische Metaphorik und Literaturtheorie. Studien zur Tradition des Wortflechtens und der Kombinatorik. Köln, Weimar u. Wien 2002: Böhlau.
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steht, zählt inzwischen längst zum Handbuchwissen über Thomas Manns Werk14 – das darin allerdings auch den von Mann selbst gelegten Deutungsfährten folgt.15 Mit einer gewissen Berechtigung hat Susan Sontag daher Thomas Mann zu jenem Typus von ‚überkooperativem Autor‘ gezählt, über den sie befand, er sei derart besorgt über die nackte Macht seiner Kunst, dass er, wenn auch mit ein wenig Schüchternheit und einer Spur des guten Geschmacks der Ironie, in das Werk selbst dessen klare und explizite Interpretation einbaue.16 Was aber geschieht, wenn sich die Leitmotivik, also dasjenige Verfahren, das eine rein intratextuelle Bedeutungskonstitution zu installieren versucht, mit extratextuellen, ‚transliterarischen‘ Realien wie Markennamen, den Elementen einer archivistischen Poetik par excellence, verbindet? Lassen die Resemantisierungsprozesse der Leitmotivik tatsächlich die Frage nach dem Realitätsbezug irrelevant werden, wie es Thomas Manns poetologische Selbstreflexionen wollen? Das folgende Kapitel geht diesem Fragenkomplex nach. Es untersucht zum einen die Aneignungsformen und Vermeidungsstrategien gegenüber Markennamen im Zauberberg und bindet den „eigentümlich träumerische[n] Doppelsinn“,
14 Børge Kristiansen: Das Problem des Realismus bei Thomas Mann. Leitmotiv – Zitat – Mythische Wiederholungsstruktur. In: Helmut Koopmann (Hg.): Thomas-Mann-Handbuch. Stuttgart 2001: Kröner. S. 823–835. Und so urteilt auch der Kommentar der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe der Werke Thomas Manns: „Diese Reise [nach dem Verständnis des Werkes, B. W.] führt zu angemessenen Zielen nur, wenn sie die Anspielungen zu entziffern sowie den hinund herspielenden Spiegelungen und Kontrasten, Variationen, Steigerungen und Entwicklungen zu folgen bereit ist, welche das Netz einer zweiten Sinnschicht knüpfen. Vor allem Leitmotive verbinden in reicher Vielfalt unterschiedliche Textstellen zu neuer Bedeutung und eröffnen so ganz neue psychologische, symbolische und konstruktive Möglichkeiten.“ Michael Neumann: Kommentar zu Thomas Mann: Der Zauberberg. Frankfurt am Main 2002: S. Fischer Verlag. S. 10f. [= Thomas Mann: Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Bd. 5.2.] 15 Siehe Thomas Manns Einführung in den ‚Zauberberg‘ (1939): „Der Roman war mir immer eine Symphonie, eine Werk der Kontrapunktik, ein Themengewebe, worin die Ideen die Rolle musikalischer Motive spielen. Man hat wohl gelegentlich – ich selbst habe das getan – auf den Einfluß hingewiesen, den die Kunst Richard Wagners auf meine Produktion ausgeübt hat. Ich verleugne diesen Einfluß gewiß nicht, und besonders folgte ich Wagner auch in der Benützung des Leitmotives, das ich in die Erzählung übertrug […]. Die Technik […] ist im ‚Zauberberg‘ […] auf die komplizierteste und alles durchdringende Art angewandt.“ Thomas Mann: Einführung in den ‚Zauberberg‘. Für Studenten der Universität Princeton. In: Ders.: Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Bd. XI: Reden und Aufsätze 3. Frankfurt am Main 1960: S. Fischer. S. 602–617, hier S. 611. 16 „Sometimes a writer will be so uneasy before the naked power of his art that he will install within the work itself – albeit with a little shyness, a touch of the good taste of irony – the clear and explicit interpretation of it. Thomas Mann is an example of such an overcooperative author“. Susan Sontag: Against Interpretation. In: Dies.: Against Interpretation and Other Essays. New York 1990 (1961): Picardor. S. 3–14, hier S. 8.
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den der Roman selbst dem Begriff „Zeitroman“ beigibt,17 zurück an die zeitgeschichtlichen, archivistischen Aspekte dieser Genrebezeichnung. Damit erklärt sich der ‚hermetische Zauber‘ des Romans als ein hermeneutischer Zaubertrick: als ein Ergebnis literarischer Strategien, durch die ein „literarische[r] Genius herbeigezaubert“18 werden soll und der Roman seine eigene Lesart zu installieren versucht – im Beharren auf die Irrelevanz transliterarischer Bezüge jedoch Einiges seiner kulturpoetologischen und selbst seiner intendierten ästhetischen Qualität verspielt. Zum anderen unternimmt es die folgende Lektüre, anhand des zentralen Markenprodukts des Romans, der Zigarrenmarke Maria Mancini, die wichtigste Strategie dieses hermeneutischen Zaubertricks, die immer wieder beschworene Leitmotivik des Romans, mit dem durch Hartmut Böhme und KarlHeinz Kohl für die Kultur der Moderne produktiv gemachten kulturwissenschaftlichen Konzept des Fetischismus zu konfrontieren.19 Seit seiner doppelten Theoretisierung durch Marx und Freud verbinden sich im Fetisch die Bereiche der Warenästhetik und der Sexualität miteinander. Diese Verbindung kennzeichnet auch den Umgang Castorps mit der Maria Mancini. Es wird sich jedoch zeigen, dass der Fetisch nicht nur konstitutiv für die Diegese, die erzählte Welt des Zauberberg ist,20 sondern überdies ein Moment der Textlust in sich birgt, die sich gerade an den genannten Markenwaren des Romans entzündet.
2.1 Aus Dichtung wird (beinahe) Wirklichkeit: Eine Nachgeschichte des Zauberberg als Vorgeschichte zu seiner Analyse Gemessen am Gesamtumfang des Romans scheint Markenwaren eine eher marginale Bedeutung im Zauberberg zuzukommen. Zwischen 1912/13 und 1924 wächst der als Novelle und „humoristische[s] Gegenstück“21 zum Tod in Venedig geplante Roman auf ein solches Ausmaß an, dass er im Herbst 1924 in zwei Bänden mit jeweils rund 600 Seiten bei S. Fischer erscheint. Auf diesen über tausend Seiten findet sich kaum ein Dutzend Markennamen. Gleichwohl zeigt die unmittelbare
17 Thomas Mann: Der Zauberberg. Hg. von Michael Neumann. Frankfurt am Main 2002: S. Fischer Verlag. [= Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Bd. 5.1] S. 818. 18 Greenblatt: Erich Auerbach und der New Historicism, S. 100. 19 Böhme: Fetischismus und Kultur. Kohl: Die Macht der Dinge. 20 Zum Begriff der Diegese siehe Björn Weyand: Erzählung. In: Günzel (Hg.): Lexikon der Raumphilosophie, S. 107–108. 21 In einem Brief an Ernst Bertram vom 24. 07. 1913. Hier zit. nach Mann: Der Zauberberg. Kommentar von Michael Neumann, S. 13. Dort auch zur Entstehungsgeschichte des Romans, S. 9–46.
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Wirkungsgeschichte des Romans, welche Aufmerksamkeit die Marken, die Thomas Mann seinen Protagonisten Hans Castorp auf dem Zauberberg konsumieren lässt, bei zeitgenössischen Lesern auf sich gezogen haben. So berichtet Thomas Mann am 4. Dezember 1925, ein Jahr nach Erscheinen des Zauberberg, in einem Brief an Ida Herz: Es war eine Mannheimer Firma, die eine Cigarre mit dem Namen „Zauberberg, Maria Mancini“ herstellen wollte; die Bewilligung hierzu ist ihr aber vom Patentamt verweigert worden, mit der Begründung, daß der Name „Maria Mancini“ schon geschützt sei. Dabei kann es sich nur um die Cigarre handeln, die unter diesem Namen vor dem Kriege von der Bremer Firma Hagedorn und Söhne vertrieben wurde, aber längst nicht mehr existiert. Trotzdem scheint der Name geschützt zu bleiben. Die Mannheimer Firma beschloß darauf, unter meinem Bild und Namen eine Cigarre auf den Markt zu bringen, was ich auch erlaubte. Das war im Sommer, und seitdem habe ich nichts mehr von der Sache gehört. Vielleicht hat der Mann die Lust verloren, was mir eher lieb ist, da die Cigarre vielleicht schlecht geworden wäre und mir die Raucherwelt zu Feinden gemacht hätte.22
Unter dem Hinweis auf die Rauchgewohnheiten des ‚Dichters‘ mag die Anekdote wie eine Belegstelle für Manns poetologische Auffassung von der Dienstbarmachung und dichterischen ‚Beseelung‘ der eigenen Alltagswelt erscheinen, wie er sie in Bilse und ich dargelegt hatte.23 Eine solche Lesart übersieht jedoch, dass es sich bei dem Brief um einen höchst bemerkenswerten Paratext handelt, der auf zentrale Motive des Zauberberg verweist und seine Anweisung zur emblematisch-allegorischen Lesart gleich mitliefert: Eine ‚Mannheimer‘ Firma plant eine Zigarre unter ‚Bild und Namen‘ – den emblematischen Elementen – Thomas Manns, dort verliert jedoch ‚der Mann‘ – der Fabrikant? der Autor Mann? der Mann im Sinne der Geschlechtsbezeichnung? – die ‚Lust‘ und wendet sich von der Zigarrenmarke ab … Überdies verdient die Anekdote, zumal in einer archivistisch interessierten Auseinandersetzung mit Literatur, insofern besondere Aufmerksamkeit, als sie, wie Stephen Greenblatt in seinen zahlreichen Analysen vorgeführt hat, „die Grenzen des Literarischen selbst in Frage [zu] stellen“ vermag und somit einem „Bedürfnis nach etwas außerhalb des Literarischen“ entgegenkommt.24 Sie trifft damit in den Kern der archivistischen Fragestellung, die Erkundung nämlich, auf welche Weise Realia wie Markennamen in die Literatur gelangen – oder eben, wie
22 Thomas Mann: Brief an Ida Herz, München, 04.12.1925. In: Ders.: Selbstkommentare: Der Zauberberg, S. 81f. 23 Zu Thomas Manns Rauchgewohnheiten siehe die Ausführungen von Kurzke: Thomas Mann, S. 333–335. 24 Greenblatt: Erich Auerbach und der New Historicism, S. 99.
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im Falle der Maria Mancini, auch wieder aus dem Text heraus in die Wirklichkeit. Denn wie auch immer die Richtung des Austauschs verläuft: Die Tatsache, dass es einen grenzüberschreiteden Austausch gibt, bestätigt die archivistische Grundannahme, dass Literatur nicht außerhalb der Wirklichkeit, auch nicht außerhalb der ‚oberflächlichen‘ Wirklichkeit von Konsum und Warenästhetik, steht. Die Anekdote um die geplante Neuauflage der Maria Mancini zeugt – und zwar entgegen der programmatischen ‚Beseelung‘ – von einem zutiefst ambivalenten Verhältnis Manns zur Waren- und Markenwelt. Sein anfängliches Einverständnis und seine spätere Erleichterung über den gescheiterten Relaunch und die Alternative, eine Zigarre unter seinem ‚Bild und Namen‘ auf den Markt zu bringen, verdeutlichen die Unentschiedenheit seiner Haltung. ‚Da die Cigarre vielleicht schlecht geworden wäre und mir die Raucherwelt zu Feinden gemacht hätte‘ – in dieser Überlegung formuliert Mann nicht nur die Sorge, der erhoffte Übertragungseffekt von seinem Werk, dem Zauberberg, oder seiner ‚Dichter‘-Persona als Testimonial auf die zu bewerbende Zigarre könne in negativer Weise auf sein Ansehen als ‚Dichter‘ zurückwirken: Mann beweist damit sein Gespür für die Notwendigkeiten moderner Imagepflege im Literaturbetrieb25 und räumt Wechselbeziehungen zwischen Literatur und Wirklichkeit ein, welche die Grenzen des in Bilse und ich hervorgebrachten Anspruchs auf einen ‚Wesensunterschied‘ zwischen diesen beiden Bereichen doch zumindest durchlässig erscheinen lassen.26 Als ambivalent erweist sich Manns Äußerung über die Maria Mancini unter einem archivistischen Gesichtspunkt zudem angesichts des mutmaßenden Gestus, mit dem Mann seine Informationen über die Zigarrenmarke formuliert. Den Erzähler des Zauberberg hatte er die Zigarre als die „sehr schmackhafte[] Bremer Marke namens Maria Mancini“27 anpreisen lassen. Mann selbst bezog die Maria Mancini – wie aus einem seiner Notizbücher hervorgeht – über die Firma Hage-
25 Siehe Bernd Hamacher: Thomas Manns Medientheologie. In: Christine Künzel u. Jörg Schönert (Hg.): Autorinszenierungen. Autorschaft und literarisches Werk im Kontext der Medien. Würzburg 2007: Königshausen & Neumann. S. 59–77. Als prominente Werbefigur hätte Mann 1925 noch durchaus eine gewisse Vorreiterrolle spielen können. Denn in der Weimarer Republik wurde es zu einer wichtigen Werbestrategie, neben Filmstars auch Größen des Literatur- und Kulturbetriebs für Reklamekampagnen zu gewinnen. So warben etwa Max Reinhardt und Max Liebermann für Electrola. Zur Geschichte des Testimonials siehe Michael Kriegeskorte: 100 Jahre Werbung im Wandel. Eine Reise durch die deutsche Vergangenheit. Köln 1995: DuMont Buchverlag. S. 214–221. 26 Um eben diese Durchlässigkeit, nicht um eine generelle Aufhebung der Grenzen zwischen diskursiven Feldern geht es dem New Historicism, vgl. dazu den Abschnitt 2.3. Zirkulationsbewegungen zwischen Warenwelt und Literatur: Mit Stephen Greenblatt am Pool in der Einleitung zu dieser Arbeit. 27 Mann: Der Zauberberg, S. 52.
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dorn & Söhne.28 Gegenüber Ida Herz spekuliert er: ‚Dabei kann es sich nur um die Cigarre handeln, die unter diesem Namen vor dem Kriege von der Bremer Firma Hagedorn und Söhne vertrieben wurde‘. Das Modalverb hebt die scheinbare Erklärungsbedürftigkeit der Marke und den hypothetischen Charakter von Manns Ausführungen hervor. Zugleich schwingt darin eine vermeintliche Gleichgültigkeit Manns gegenüber diesem Wissen um die Marke mit. Diese steht allerdings in deutlichem Widerspruch zur Adressatin, der Mann letztlich eben doch bereitwillig und geflissentlich Auskunft erteilt: Die Nürnberger Buchhändlerin Ida Herz gilt als die ‚Archivarin‘ Thomas Manns, die ihm ihre Dienste freiwillig angeboten hatte und die dieser gerne in Anspruch nahm.29 So sehr Mann durch seine rhetorische Beiläufigkeit die Bedeutsamkeit der Maria Mancini herunterspielt, als wolle er die Verbindung seines Romans zum ‚transliterarischen Bezugssystem‘ der Waren- und Zigarrenwelt kappen, kann er doch nicht sein eigenes archivalisches Interesse an der Marke verschleiern. Der „historische[] Edelrost“30, mit dem das Geschehen und die Dingwelt des Zauberberg dem Vorsatz zum Roman zufolge bereits bei Erscheinen des Romans überzogen sind, entspringt demnach weniger einem strukturellen Gegensatz zwischen Literatur und Warenwelt, der voraussetzt, dass die Flüchtigkeit der Waren bedeutungslos ist gegenüber der dauerhaften Wirkungsabsicht des literarischen ‚Werks‘. Er ist vielmehr – das zeigt die Anekdote um die Neuauflage der Maria Mancini – das Ergebnis einer ambivalenten Haltung gegenüber der Warenwelt, die zwischen hermetischer Abgrenzung und faszinierter Anziehung schwankt.31 Diese Haltung liefert die Grundlage für den Umgang des Zauberberg mit Markennamen.
28 Thomas Mann: Notizbücher 1–6. Hg. von Hans Wysling u. Yvonne Schmidlin. Frankfurt a. M. 1991: S. Fischer Verlag. S. 296 (Notizbuch 6). 29 Zum Verhältnis von Thomas Mann und Ida Herz siehe Friedhelm Kröll: Die Archivarin des Zauberers. Ida Herz und Thomas Mann. Cadolzburg 2001: ars vivendi Verlag. 30 Mann: Der Zauberberg, S. 9. 31 Angesichts dieser ambivalenten Haltung war das Kapitel der Annäherung zwischen Thomas Mann und der Tabakindustrie nach dem Scheitern einer Neuauflage der Maria Mancini auch keineswegs abgeschlossen: 1927 unternahm die Zigarettenfirma Waldorf-Astoria den Versuch, mehrere namhafte Schriftsteller, neben Thomas Mann etwa Hermann Hesse, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Stefan Zweig u.a. für eine Reklameaktion zu gewinnen, bei der den Zigarettenpackungen kleine literarische Texte beigelegt werden sollten. Thomas Mann äußerte sich begeistert auf die Anfrage. Das Vorhaben kam allerdings nicht zustande. Siehe dazu Wegmann: Dichtung und Warenzeichen, S. 216–220.
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2.2 Sammeln als kulturpoetologische Praktik zwischen Décadence und Reklame „Ein einfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen“32: So beginnt die Geschichte Hans Castorps, die der Zauberberg erzählt. Der Besuch bei seinem Cousin Joachim Ziemßen wird kurz vor der festgesetzten Abreise wegen eines Katarrhs, einer „feuchten Stelle“ auf der Lunge,33 zu einem eigenen Aufenthalt. Anstelle der geplanten drei Wochen wird Castorp sieben Jahre im Sanatorium Berghof verweilen, währenddessen ein Liebesverhältnis zur Russin Clawdia Chauchat unterhalten, zahllose Diskussion mit dem Humanisten Lodovico Settembrini und dem Jesuiten Leo Naphta führen, in den Wirren des Schnees im Kreis umherlaufen und dabei jede Orts- und Zeitorientierung verlieren und schließlich der charismatischen Erscheinung des Kolonial-Holländers und Kaffeepflanzers Mynheer Pieter Peeperkorn, Chauchats Gefährten bei ihrem zweiten Aufenthalt im Sanatorium, erliegen, bis er dem Erzähler auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs „aus den Augen“ kommt.34 „Zwei Reisetage entfernen den Menschen […] seiner Alltagswelt“, heißt es bei Castorps Ankunft im Davoser Sanatorium, und diese zwei Reisetage versetzen den Protagonisten in die neue Alltagswelt des Sanatoriums – Castorps Geschichte, die „nicht um seinetwillen“, sondern „um der Geschichte willen“35 und um Castorps „Zeitgenossenschaft“36 willen erzählt wird, ist zugleich die Geschichte seines Umgangs mit und seines Verhältnisses zu den Dingen des Alltags. Dass mehrere von ihnen mit Markennamen benannt werden, blieb bislang weitgehend unbeachtet.37 Dabei prägen neben der Maria Mancini auch Lindt-, Milka- und Gala PeterSchokolade die Diegese der Davoser Sanatoriumswelt ebenso wie Kulmbacher Bier, Chartreuse-Likör, Gruaud Larose und Mumm-Sekt (Cordon rouge, très sec) oder die Bräunungsapparatur Künstliche Höhensonne und das Grammophon Polyhymnia.
32 Mann: Der Zauberberg, S. 11. 33 Mann: Der Zauberberg, S. 277. 34 Mann: Der Zauberberg, S. 1084. 35 Mann: Der Zauberberg, S. 9. 36 Mann: Der Zauberberg, S. 53. 37 Auf die Bedeutung der Maria Mancini hat erstmals Werner Frizen hingewiesen. Werner Frizen: Die „bräunliche Schöne“. Über Zigarren und Verwandtes in Thomas Manns Zauberberg. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 55 (1981) 1, S. 107–118.
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Der Großteil dieser Markenwaren entstammt dem Segment der Genussmittel: Schokolade, Alkoholika und Tabakwaren. In der Sanatoriumswelt des Zauberberg ergänzen diese die opulenten und überwiegend durch ‚Liegekuren‘ unterbrochenen drei Haupt- und zwei Zwischenmahlzeiten, die von Castorp (und den seitenlangen Beschreibungen des Erzählers) anfänglich noch bestaunt werden, während sie bei den schon länger im Sanatorium Verweilenden nur mehr Überdruss erwecken. So wird es zum „Brauch“, den Gerichten „nicht viel Ehre an[tun]“ und „auf das Essen zu schimpfen“.38 Und dennoch wird „[j]ede Schüssel […] zweimal gereicht – und das nicht vergebens. Man füllte die Teller und aß an den sieben Tischen, – ein Löwenappetit herrschte im Gewölbe, ein Heißhunger“.39 Die Schokolade dient den Insassen des Sanatoriums also keineswegs als Ersatz für die verachteten Mahlzeiten – wie sie etwa in der katholischen Welt lange Zeit wegen ihres hohen Nährwertes in heißer, flüssiger Form als Nahrungsersatz während der Fastenperiode diente40 –, sondern sie wird trotz der ohnehin schon bestehenden Übersättigung durch die Sanatoriumsmahlzeiten noch zusätzlich angehäuft und gerade um des Überflusses willen konsumiert. Schokolade erfüllt somit im Sanatorium vor allem eine symbolische Funktion und schreibt eine aristokratische Form des Schokoladengenusses fort, wie sie sich unter Louis XIII. am französischen Hof etabliert: Dort wurde Schokolade nicht zuletzt in Abgrenzung zum bürgerlichen Konsum des stimulierenden, für die Arbeit kräftigenden Kaffee kultiviert und in einem „Zwischenzustand von Liegen und Sitzen“41 konsumiert, der den Müßiggang des Adels symbolisieren sollte (Abb. 31) und in den ‚Liegekuren‘ des Sanatoriums sein Pendant findet (Abb. 32). So wird gegen Ende des Romans das Anhäufen von Schokolade und namentlich der Marke Milka Nut zu einer allgemeinen Belustigung und einem müßiggängerischen Zeitvertreib, der das Sammeln von Briefmarken ablöst: Es war da ferner das Briefmarkensammeln, das, alle Zeit von einzelnen betrieben, zeitweise zu allgemeiner Besessenheit um sich griff. Jeder klebte, schacherte, tauschte. Philatelistische Zeitschriften wurden gehalten, Korrespondenzen mit Spezialgeschäften des In- und Auslandes, mit Fachvereinen und Privatliebhabern unterhalten und erstaunliche Summen zur Gewinnung seltener Wertzeichen selbst von solchen aufgebracht, deren häusliche Verhältnisses den monate- oder jahrelangen Aufenthalt in der Luxusheilstätte nur knapp gestatteten.
38 Mann: Der Zauberberg, S. 27. 39 Mann: Der Zauberberg, S. 117. 40 Wolfgang Schivelbusch: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Eine Geschichte der Genußmittel. Frankfurt am Main 62005 (1990): Fischer Taschenbuch Verlag. S. 97. 41 Schivelbusch: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft, S. 99.
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Abb. 31: Die Morgenschokolade von Pietro Longhi, 1775–1780.
Abb. 32: Liegekur in Davos, Postkarte, 1902.
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Das dauerte so lange, bis eine andere Geckerei zur Herrschaft gelangte und etwa das Anhäufen und unaufhörliche Verzehren von Schokolade der erdenklichsten Sorten zum guten Ton wurde. Alle Welt hatte braune Münder, und die leckersten Darbietungen der Berghofküche fanden faule und krittelnde Genießer, da die Magen mit Milka-Nut, Chocolat à la crème d’amandes, Marquis-Napolitains und goldgesprenkelten Katzenzungen gestopft und davon verstimmt waren.42
Eine solche Sammelleidenschaft bildet in der Zeit der Jahrhundertwende – der Zeit also, von der der Zauberberg erzählt, dessen Geschehen in den Jahren von 1907 bis 1914 angesiedelt ist – einen festen Topos in der Literatur der Décadence43: Joris-Karl Huysmans etwa lässt den Protagonisten Des Esseintes aus seinem Roman À rebours (1884), dem Klassiker der Décadence-Literatur, Sammlungen von exotischen Pflanzen, Likören und – auf dem Panzer einer Schildkröte, die daran zugrunde gehen wird – Edelsteinen anlegen.44 Diese dekadente Sammelleidenschaft findet wiederum eine Reminiszenz in Oscar Wildes The Picture of Dorian Gray (1890/91), wenn sich Dorian von À rebours „nicht weniger als neun Luxusausgaben der ersten Auflage“ verschafft und diese „in verschiedenen Farben binden [lässt], so daß sie seinen verschiedenen Stimmungen und den wechselnden Neigungen seiner Natur entsprachen“.45 Die dekadente Übersättigung, die im Zauberberg mit der Sammelleidenschaft einhergeht und die das Anhäufen von Schokolade als konkret leibliche Übersättigung vorführt, wird in ihrer kulturellen Tragweite bereits 1886 von Anatole Baju in der ersten Ausgabe der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Le décadent littéraire et artistique reflektiert. „Sich den Stand der Dekadenz, den wir erreicht haben, zu verhehlen, wäre der Gipfel des Wahnwitzes“, wendet sich Baju 1886 an die Leser und erklärt: Die Gesellschaft zersetzt sich unter der ätzenden Wirkung einer Zivilisation in Auflösung. Der moderne Mensch ist ein Übersättigter. Verfeinerung der Begierden, der Empfindungen, des Geschmacks, des Luxus, der Genüsse; Neurose, Hysterie, Hypnotismus, Morphiumsucht, wissenschaftliche Scharlatanerie, Schopenhauerismus über alle Maßen – das sind die Vorboten der gesellschaftlichen Veränderung.46
42 Mann: Der Zauberberg, S. 952f. 43 Zudem entspricht der Wechsel des Gegenstandes der Sammelwut den Erscheinungsweisen der Mode, wie sie Georg Simmel beschreibt, siehe dazu den Abschnitt 1.7. Anthropologie des Schaums: Simmels ‚Philosophie der Mode‘ in Kapitel 1 dieser Arbeit. 44 Joris-Karl Huysmans: Gegen den Strich. Frankfurt am Main u. Leipzig 2006: Insel Verlag. 45 Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray. Frankfurt am Main u. Leipzig 2000: Insel Verlag. [= Ders.: Sämtliche Werke. Hg. von Norbert Kohl. Bd. 1.] S. 141. 46 Anatole Baju: An die Leser des „Décadent littéraire et artisitique“. In: Wolfgang Asholt u. Walter Fähnders (Hg.): Fin de siècle. Erzählungen, Gedichte, Essays. Stuttgart 1993: Reclam. S. 169–170, hier S. 169.
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Vieles davon findet sich im Zauberberg wieder, etwa in den spiritistischen Sitzungen gegen Ende des Romans,47 in der zweifelhaften medizinischen ‚Scharlatanerie‘ des Sanatoriums48 oder in der Präsenz von Schopenhauers Metaphysik.49 Die Literatur der Décadence wird somit zu einem wichtigen thematischen Bezugspunkt für den Zauberberg, die dekadente Sammelleidenschaft bildet zudem ein poetologisches Äquivalent zu den angehäuften Materialmassen, die der Roman verarbeitet. Doch neben diesem – hinreichend bekannten – Zusammenhang des Zauberberg mit der literarischen Décadence findet sich ein zweiter, bislang übersehener Bezugspunkt. Denn die Sammelleidenschaft der Jahrhundertwende findet ihren Niederschlag nicht allein in der Literatur der Décadence. Das Sammeln entspricht um 1900 auch einer verbreiteten warenästhetischen Praxis: Um den Absatz zu steigern, geben Markenhersteller ihren Produkten Sammelbilder zu diversen thematischen Serien bei.50 Die bis heute prominentesten Bildserien dienten dem Vertrieb von Liebig’s Fleisch-Extract.51 Doch neben Liebig waren es insbesondere Produzenten von Genussmitteln wie Schokolade und Tabakwaren – also den bevorzugten Konsumgütern der Davoser Sanatoriumsbewohner –, die das Reklamemedium der Sammelmarken nutzten und auf den Bildern bekannte Sagengestalten, mythische und literarische Figuren und mit einer besonderen Vorliebe Szenen aus Wagner-Opern zeigten, daneben aber auch immer wieder Objekte der modernen Technik wie elektrische Beleuchtung oder Transportmittel präsentierten und in geschichtliche Narrative einbetteten, die mit den Entwicklungen der Industrialisierung – deren Produkt die Sammelmarken ja selbst waren – versöhnten oder sich ihren Faszinationswert zunutze machten.52 Es handelt sich dabei um Themen,
47 Siehe Hans Richard Brittnacher: Gespenstertreiben im Rotlicht. Zum Spiritismus in Thomas Manns Der Zauberberg. In: Ders., Wiebke Amthor u. Anja Hallacker (Hg.): Profane Mystik? Andacht und Ekstase in Literatur und Philosophie des 20. Jahrhunderts. Berlin 2002: Weidler. S. 385–412. 48 Zu den v.a. ökonomisch motivierten Behandlungen im Sanatorium siehe Thomas Sprecher: Kur-, Kultur- und Kapitalismuskritik im Zauberberg. In: Ders. (Hg.): Auf dem Weg zum „Zauberberg“. Die Davoser Literaturtage 1996. Frankfurt am Main 1997: Vittorio Klostermann. [= ThomasMann-Studien. Hg. vom Thomas-Mann-Archiv der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Bd. 16.] S. 186–249. 49 Siehe Børge Kristiansen: Thomas Manns Zauberberg und Schopenhauers Metaphysik. Bonn 2 1986: Bouvier. [= Studien zur Literatur der Moderne. Bd. 10.] 50 Zum Medium der Sammelbilder siehe Lamberty: Reklame in Deutschland 1890–1914, S. 174f. 51 Zu den Liebig-Bildern siehe Volker Ilgen u. Dirk Schindelbeck: Am Anfang war die Litfaßsäule. Illustrierte deutsche Reklamegeschichte. Darmstadt 2006: Primus Verlag. S. 20f. 52 Eine umfangreiche Sammlung bietet Bernhard Jussen (Hg.): Reklame-Sammelbilder. Bilder der Jahre 1870–1970 mit historischen Themen. Berlin 2008: Directmedia Publishing. [= Atlas des Historischen Bildwissens. Bd. 2.]
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Kapitel 2: Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive
Abb. 33: Szene aus dem Tannhäuser, Sammelmarke von Hartwig & Vogel Kakao, 1909.
die auch im Zauberberg eine zentrale Rolle spielen und deren im Roman mitunter durchaus krude anmutende Kombination eine kulturpoetologische Parallele in eben der thematischen Ausgestaltung der Sammelmarken findet: Die TannhäuserAnspielungen (Abb. 33), die zahlreichen literaturgeschichtlichen und mythologischen Bezugnahmen,53 die etwa Castorp und seinen Cousin als die Dioskuren „Castorp und Pollux“54 und Castorps Reise als Odyssee (Abb. 34) erscheinen lassen, die Thematik der modernen Technik, die Castorp als Schiffsbauingenieur verkörpert und die durch seine Lektüre des Buches Ocean Steamships (Abb. 35) sowie durch die Künstliche Höhensonne im Sanatorium (Abb. 36) präsent gehalten wird, der römische Gott Mercurius (Abb. 37) – all dies findet sich in bemerkenswerter ‚Kookkurrenz‘55 in den Sammelmarken von Hartwig & Vogel-Schokolade, Berger’s Chocoladen, Stollwerck und anderen Markenherstellern am Beginn des 20. Jahrhunderts.
53 Siehe Eckhard Heftrich: Die Welt „hier oben“: Davos als mythischer Ort. In: Thomas Sprecher (Hg.): Das „Zauberberg“-Symposium 1994 in Davos. Frankfurt am Main 1995: Vittorio Klostermann. [= Thomas-Mann-Studien. Bd. 11.] S. 225–248. 54 Mann: Der Zauberberg, S. 327. 55 Zum Begriff der ‚Kookkurrenz‘ siehe Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, sowie den Abschnitt 1.6. Poetik des (Warenhaus-)Katalogs in Kapitel 1 dieser Arbeit.
Sammeln als kulturpoetologische Praktik zwischen Décadence und Reklame
Abb. 34: Odysseus und die Sirenen, Sammelmarke von Gartmann’s Chocolade, 1905.
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Abb. 35: Doppel-Schrauben-Schnell-Dampfer, Sammelbild von Berger’s Schokoladen, 1910.
Thematisch wie poetologisch steht der Zauberberg somit zwischen Décadence und Reklamebildchen: Mit beiden teilt der Roman zentrale Topoi und Themen sowie die Leidenschaft des Sammelns.56 Dass beide, die Décadence wie die industrialisierte Warenherstellung und -distribution, mit dem – wie gesehen – kontaminierten Begriff der ‚Zivilisation‘ verknüpft erscheinen,57 prägt die zeitge-
56 Zur Wiederkehr der Sammelleidenschaft als dekadenter Praktik in der Popliteratur siehe Niels Werber: „Das graue Tuch der Langeweile“. Der Dandy als Motiv und Verfahren 1900/2000. In: Alexandra Tacke u. Björn Weyand (Hg.): Depressive Dandys. Spielformen der Dekadenz in der Pop-Moderne. Köln, Weimar u. Wien 2009: Böhlau. S. 60–79, bes. S. 61–63. 57 Siehe dazu ausführlicher den Abschnitt 1.5. ‚Applanierung aller Werte‘: Die Debatte zwischen Sombart und Edel um Reklame, Kultur und Amerikanismus im ‚Morgen‘ in Kapitel 1 dieser Arbeit.
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Kapitel 2: Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive
Abb. 36: Entwicklung des künstlichen Lichtes, aus Berger’s Sammel-Album 5, 1910.
Abb. 37: Mercurius, Sammelbild von Stollwerck’sche Chocolade, um 1900.
nössische Kritik des Zauberberg. Schon Baju erklärt Dekadenz in seinen Ausführungen als Effekt der ‚ätzenden Wirkung einer Zivilisation‘. An diese Kopplung der Begriffe Zivilisation und Dekadenz knüpft Conrad Wandrey in seiner Rezension des Zauberberg für die Februar-Ausgabe 1925 des Neuen Merkur an, wenn er konstatiert: „Wie ist doch dieses Lungensanatorium, ein rechtes Sinnbild zivilisatorischer Fortgeschrittenheit, zur Anschauung gebracht!“58 Wandrey folgt damit zwar einer durchaus vom Roman selbst gelegten Lesart, wenn der Erzähler des Zauberberg von der „hochzivilisierte[n] Atmosphäre des ‚Berghofs‘“
58 Conrad Wandrey: Thomas Mann und sein Zauberberg. In: Der neue Merkur 8 (1925), S. 421–436, hier S. 431.
Die Grenzen des Symbolischen: Zur Materialität der Dinge im Zauberberg
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spricht.59 Doch läuft Wandreys Zivilisations-Befund auf ein durchaus wiederholt zu lesendes Urteil der zeitgenössischen Kritik hinaus: Thomas Mann sei ‚bloß‘ noch Schriftsteller,60 seine „eigentlich dichterische Substanz“ sei, wie etwa auch Hans Brandenburg im Mai 1925 in Die schöne Literatur urteilt, mit den Buddenbrooks erschöpft.61 Die Kritik entzieht Thomas Mann damit den kulturellen Ehrentitel des ‚Dichters‘. Die Diskussion um Kultur und Zivilisation, in die Thomas Mann mit seinen Betrachtungen eines Unpolitischen während des Ersten Weltkriegs polemisch eingegriffen hatte, wird nun von der Kritik gegen ihn selbst gewendet. Zur Disposition steht damit auch Manns Anspruch, mehr zu liefern als nur „schöne Oberflächlichkeit“.62 Sein poetologisches Gegenprogramm dazu bildet das ‚Symbolische‘.
2.3 Die Grenzen des Symbolischen: Zur Materialität der Dinge im Zauberberg und in Spenglers Untergang des Abendlandes „[D]as Dichterische, das schien mir immer das Symbolische zu sein“, heißt es in den Betrachtungen eines Unpolitischen.63 Für Mann stellt sich dieses Dichterische maßgeblich durch die ‚Leitmotivik‘ her.64 Sie ermöglicht es, die eingesammelten Dinge derart in Beziehung zu einander zu setzen, dass ihnen mehr als nur ihre ‚oberflächliche‘ Bedeutung zukommt. Die Zusammenhänge von Zivilisation, De-
59 Mann: Der Zauberberg, S. 751. 60 Michael Neumann spricht sogar von einem „Gewohnheitsrecht“, auf das sich Kritiker in ihrem Urteil über den Zauberberg bereits berufen konnten, wenn sie zu dem Schluss kamen, Thomas Mann sei nicht Dichter, sondern bloß Schriftsteller. Neumann: Kommentar zu Thomas Mann: Der Zauberberg, S. 104. 61 Hans Brandenburg: Thomas Manns ‚Zauberberg‘. In: Die schöne Literatur 26 (Mai 1925), S. 193–200. Hier zit. nach Neumann: Kommentar zu Thomas Mann: Der Zauberberg, S. 105. Herv. B. W. 62 Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen. Frankfurt am Main 32004 (2001): Fischer Taschenbuch Verlag. S. 548. 63 Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen, S. 162. 64 So argumentiert Mann auch im Hinblick auf die Betrachtungen eines Unpolitischen: „Mit dem, was ich da sagte und fragte, habe ich die Motive der folgenden Betrachtung wie in einem musikalischen Vorspiel zusammengefaßt. Ich sagte zugleich, was sie sind. Sie sind das umständliche Erzeugnis einer Problematik, die Darstellung eines innerpersönlichen Zwiespaltes und Widerstreites. Daß sie es sind, das macht dies Buch, welches kein Buch und kein Kunstwerk ist, beinahe zu etwas anderem: beinahe zu einer Dichtung“. Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen, S. 61.
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Kapitel 2: Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive
kadenz, materieller Kultur und symbolischer Ausdeutung, die in den Betrachtungen poetologisch ausformuliert und im Zauberberg konzeptuell umgesetzt werden, sind nicht ohne zeitgenössischen Intertext. Im ersten Band seines Untergangs des Abendlandes (1917) erklärt Oswald Spengler programmatisch: „Der Untergang des Abendlandes, so betrachtet, bedeutet nichts Geringeres als das Problem der Zivilisation“.65 Thomas Mann setzt sich während seiner Arbeit am Zauberberg intensiv mit Spenglers Untergang des Abendlandes auseinander und äußert sich in seinen Tagebucheintragungen, in Briefen und Gesprächen anfänglich geradezu euphorisch darüber, bis er sich 1924 – dem Erscheinungsjahr des Zauberberg – mit einem Beitrag, der am 15. März in der Augsburg-Münchner Allgemeinen Zeitung und kurz darauf im Tage-Buch erscheint, öffentlich von Spengler abwendet und ihm Snobismus und Selbstgefälligkeit vorwirft.66 Aus der unmittelbaren Auseinandersetzung ergeben sich Nähen und Differenzen zwischen Spenglers und Manns Denken in den Jahren um 1920 und nicht zuletzt thematische Bezugnahmen auf den Untergang des Abendlandes in Manns Zauberberg.67 Weitaus bemerkenswerter als diese direkte intertextuelle Verarbeitung von Spenglers Gedanken erscheint jedoch die Tatsache, dass es zwischen beiden Texten zu einer Gemeinsamkeit im Umgang mit der materiellen Kultur kommt, die einerseits von einer detailfreudigen Aufmerksamkeit für die Dinge des Alltags geprägt ist, andererseits vom Bestreben, diese Dinge sogleich ‚symbolisch‘ zu nehmen, um so der von Spengler wie von Mann verachteten Gefahr der „intelligente[n] Oberflächlichkeit“68 zu entgehen. Wie das Symbolische für Mann das Wesen der Dichtung begründet, so grundlegend ist es für Spenglers Geschichtskonstruktion: „Dinge wie das ägyptische Verwaltungssystem, das antike Münzwesen, die analytische Geometrie, der Scheck, der Suezkanal, der chinesische Buchdruck,
65 Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. München 152000 (1972): Deutscher Taschenbuch Verlag. S. 43. Herv. im Orig. 66 Thomas Mann: Über die Lehre Spenglers [1924]. In: Ders.: Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Bd. 15.1: Essays II: 1914–1926. Hg. von Hermann Kurzke. S. 735–744. Zu Manns SpenglerRezeption siehe Roger A. Nicholls: Thomas Mann and Spengler. In: German Quarterly, 58 (1985) 3, S. 361–374. Sowie Barbara Beßlich: Faszination des Verfalls. Thomas Mann und Oswald Spengler. Berlin 2002: Akademie Verlag. 67 Die grundlegende Differenz besteht in der Wertung der Zivilisation, so schreibt Spengler zustimmend zur Zivilisation: „Für die prachtvoll klaren, hochintellektuellen Formen eines Schnelldampfers, eines Stahlwerkes, einer Präzisionsmaschine, die Subtilität und Eleganz gewisser chemischer und optischer Verfahren gebe ich den ganzen Stilplunder des heutigen Kunstgewerbes samt Malerei und Architektur hin. Ich ziehe einen römischen Aquädukt allen römischen Tempeln und Statuen vor.“ Spengler: Der Untergang des Abendlandes, S. 61. Zu den intertextuellen Bezügen siehe Beßlich: Faszination des Verfalls, S. 53–88. 68 Spengler: Der Untergang des Abendlandes, S. 38.
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das preußische Heer und die römische Straßenbautechnik“, erklärt Spengler, würden „gleichmäßig als Symbole aufgefaßt und als solche gedeutet“.69 All diese Dinge sind somit von besonderem Interesse für Spenglers Argumentation, haben sich jedoch einzufügen in die „universelle[] Symbolik“70 seiner Darstellung. Mehrfach wendet sich Spengler dagegen, es bei der Betrachtung der ‚Oberfläche‘ zu belassen71 und stellt dem seine an Goethe geschulte ‚Morphologie‘72 entgegen: „Selbst die nüchternsten Tatsachen der Politik nehmen, aus dieser Perspektive betrachtet, einen symbolischen und geradezu metaphysischen Charakter an“73, und sie stehen damit für die jeweiligen Entwicklungsphasen der Kultur, wie sie Spenglers Verfallsmodell entwirft.74 In Spenglers Untergang des Abendlandes wie in Manns Auffassung von Dichtung kommt den Dingen somit dem eigenen programmatischen Anspruch nach stets eine ‚symbolische‘ Bedeutung zu. Die Dinge stehen nicht allein für sich
69 Spengler: Der Untergang des Abendlandes, S. 8f. Herv. im Orig. 70 Spengler: Der Untergang des Abendlandes, S. 64. Herv. im Orig. Die wohl originellste Kritik am Verfahren der symbolischen Ausdeutung stammt von Robert Musil, der Spengler 1921 parodierte: „Es gibt zitronengelbe Falter, es gibt zitronengelbe Chinesen; in gewissem Sinn kann man also sagen: Falter ist der mitteleuropäische geflügelte Zwergchinese. Falter wie Chinesen sind bekannt als Sinnbilder der Wollust. Zum erstenmal wird hier der Gedanke gefaßt an die noch nie beachetete Übereinstimmung des großen Alters der Lepidopterenfauna und der chinesischen Kultur. Daß der Falter Flügel hat und der Chinese keine, ist nur ein Oberflächenphänomen. Hätte ein Zoologe je auch nur das geringste von den letzten und tiefsten Gedanken der Technik verstanden, müßte nicht erst ich die Bedeutung der Tatsache erschließen, daß die Falter nicht das Schießpulver erfunden haben; eben weil das schon die Chinesen taten. Die selbstmörderische Vorliebe gewisser Nachtfalterarten für brennendes Licht ist ein dem Tagverstand schwer zugänglich zu machendes Relikt dieses morphologischen Zusammenhangs mit dem Chinesentum.“ Robert Musil: Geist und Erfahrung. Anmerkungen für Leser, welche dem Untergang des Abendlandes entronnen sind [1921]. In: Ders.: Tagebücher, Aphorismen, Essays und Reden. Hg. von Adolf Frisé. Hamburg 1955: Rowohlt. S. 651–667, hier S. 652f. 71 „Es kann sich demnach in einer Untersuchung wie der vorliegenden nicht darum handeln, die an der Oberfläche des Tages sichtbar werdenden Ereignisse geistig-politischer Art als solche hinzunehmen […]. Es handelt sich nicht um das, was die greifbaren Tatsachen der Geschichte an und für sich, als Erscheinungen zu irgendeiner Zeit sind, sondern um das, was sie durch ihre Erscheinung bedeuten, andeuten.“ Spengler: Der Untergang des Abendlandes, S. 7f. Herv. im Orig. 72 In Anlehnung an Goethes „Idee der Urpflanze“ bezeichnet Spengler ‚Kultur‘ als „das Urphänomen aller vergangenen und künftigen Weltgeschichte“ und stellt in einer Fußnote seiner Einleitung klar: „Die Philosophie dieses Buches verdanke ich der Philosophie Goethes, der heut noch so gut wie unbekannten, und erst in viel geringerem Grade der Philosophie Nietzsches“. Spengler: Der Untergang des Abendlandes, S. 141 u. 68. Herv. im Orig. 73 Spengler: Der Untergang des Abendlandes, S. 8. 74 Vgl. beispielsweise die Passage über Crassus. Spengler: Der Untergang des Abendlandes, S. 47f.
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selbst, sondern immer zugleich auch für einen größeren Zusammenhang.75 Was bedeutet diese ‚symbolische‘ Aufladung der Dinge aber für die Repräsentation von Markenwaren im Zauberberg? Wie gesehen, erscheint die Schokoladenmarke Milka Nut im Zauberberg eingebettet in ein Szenario76, das zu den topischen Grundbeständen der Décadence-Literatur zählt: Sie wird Teil einer Sammelleidenschaft, die zyklisch den Gegenstand ihres Interesses wechselt. Ihr wird damit innerhalb der ‚Dichtung‘ eine Bedeutung zugewiesen, die ihr außerhalb des Romans nicht zukommt. Diese Bedeutungszuweisung wird verstärkt durch ein zweites Szenario zu Beginn des Romans, in dem ebenfalls das Anhäufen von Schokolade – hier sind es die Marken Gala Peter und Lindt – in ein Verfallsgeschehen eingebettet wird. Im Gegensatz zum „[g]roße[n] Stumpfsinn“77 des fortgeschrittenen Romangeschehens steht im Abschnitt über Herrn Albin nicht allein die geistig-moralische Dekadenz, sondern der auch real-körperliche Verfall im Blickpunkt.78 Als der noch junge Herr Albin nach einer sechswöchigen Lungenentzündung von mehreren Sanatoriumsbewohnerinnen aufgefordert wird, das Zigarettenrauchen zu unterlassen, verweigert er dies unter Hinweis auf seine unheilbare Erkrankung und bietet zugleich seine Schokolade zum Verzehr an: „Nein, nein“, sagte er, „lassen Sie mich, es ist gut, ich danke Ihnen. […] Ich bin im dritten Jahr hier … ich habe es satt und spiele nicht mehr mit, – können Sie mir das verargen? Unheilbar, meine Damen, – sehen Sich mich an, wie ich hier sitze, bin ich unheilbar […] Ich brauche nichts mehr zu tun, ich komme nicht mehr in Betracht, ich lache über das Ganze. Wollen Sie Schokolade? Bedienen Sie sich! Nein, Sie berauben mich nicht, ich habe massenweise Schokolade auf meinem Zimmer. Acht Bonbonnieren, fünf Tafeln Gala-Peter und vier Pfund Lindschokolade [sic!] habe ich da oben, – das alles haben die Damen des Sanatoriums mir während meiner Lungenentzündung zustellen lassen …“79
75 Der Begriff Symbol erinnert etymologisch an den antiken griechischen Brauch, sich mit zerbrochenen Tonscherben als Mitglied einer Gemeinschaft auszuweisen. Die Tonscherbe steht damit nicht nur für sich, sondern als symbolon für die Zusammengehörigkeit der Gemeinschaftsmitglieder, die über die zusammenpassenden Scherben verfügen. Vgl. Frauke Berndt u. Heinz J. Drügh: Vorwort. In: Dies. (Hg.): Symbol. Grundlagentexte aus Ästhetik, Poetik und Kulturwissenschaft. Frankfurt am Main 2009: Suhrkamp. S. 9–18, hier S. 10. 76 Zur semiotischen Fundierung des scénario (oder frame, script) siehe Eco: Sémiotique et philosophie du langage, S. 76. Die Semiotik geht von präetablierten und dadurch bereits enzyklopädischen Szenarios aus; ich verwende den Begriff hier, um zu verdeutlichen, dass die Markenwaren in die Diegese und insbesondere in Handlungs- und Verhaltenszusammenhänge eingebunden erscheinen. 77 Mann: Der Zauberberg, S. 947. 78 Zum pathologischen Aspekt der Dekadenz siehe Monika Fick: Literatur der Dekadenz in Deutschland. In: Mix (Hg.): Naturalismus – Fin de siècle – Expressionismus 1890–1918, S. 219–230. 79 Mann: Der Zauberberg, S. 124f.
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Abb. 38: Verpackung der ersten Gala Peter-Milchschokolade, um 1875.
Die Einbettung der namentlich genannten Schokolademarken Lindt, Gala Peter und Milka Nut in die Szenarien der Sammelleidenschaft und des finalen Krankheitsstadiums des Herrn Albin verbindet diese mit den dekadenten Topoi der Übersättigung und des Verfalls. Mit Gala Peter eignet sich die Textur des Zauberbergs allerdings keine beliebige Schokoladenmarke an, sondern die erste Milchschokoladenmarke. Diese wird auf ihrer zeitgenössischen Verpackung gerade als ‚Le plus sain de tous les chocolats‘ beworben, erscheint dem Szenario der unheilbaren Erkrankung also geradezu entgegengesetzt konnotiert (Abb. 38). Eine solche Zuschreibung an das Genussmittel Schokolade war zu dieser Zeit durchaus nicht ungewöhnlich: Als ‚Gesundheitsschokolade‘ bezeichnete die Warenkunde im 19. Jahrhundert Schokoladen ohne Zusatz von Zucker und Gewürzen80 – ‚peu sucré‘ heißt es auch auf der Verpackung der Gala Peter. Um jedoch dem ‚symbolischen‘ Gehalt der Dekadenz zu entsprechen, wird die Marke im Zauberberg einem Prozess der Resemantisierung unterzogen. Die Konnotationen, mit denen die Marke wirbt, werden ‚narkotisiert‘ statt archiviert und durch das Szenario von der Textur überschrieben zu einem ‚Symbol‘ der Dekadenz.81 Verspielt wird damit an dieser Stelle allerdings auch die Möglichkeit eines archivistisch motivierten ironischen Bruchs gegenüber der Dekadenz-Thematik wie
80 Vgl. Alexander Lachmann (Hg.): Waarenkunde in Wort und Bild. Für Kaufleute und Fabrikanten. Leipzig 1855: Verlag von Ernst Schäfer. S. 100. 81 Zur semantischen Narkotisierung siehe Eco: Sémiotique et philosophie du langage, S. 116.
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auch gegenüber der Warenkunde und -ästhetik von ‚Gesundheitsschokolade‘ und Gala Peter. Diese Einbindung in die ‚Symbolik‘ der Dekadenz regelt die Aneignung von realen Markennamen im Zauberberg insgesamt. Denn diese werden nur dann genannt, wenn sie sich in das Bedeutungsfeld der Dekadenz einfügen lassen, sei es durch die Einbindung in konkrete Szenarien der Dekadenz wie im Falle der Gala Peter und weiterer Genussmittel wie dem Mumm, cordon rouge, très sec, von dem Mynheer Peeperkorn gleich drei Flaschen auf einmal ordert,82 sei es durch die semantische Verbindung zum medizinischen Diskurs, wie im Falle des Medikaments Formamint.83 Damit verfügt die Textur des Zauberberg über ein höchst funktionales Aneignungsverfahren gegenüber Markennamen: Fallen nämlich die Markenartikel aus dem vom Roman hergestellten Bedeutungsrahmen der Dekadenz heraus, finden sie keinen namentlichen Eingang in die Textur des Romans. Dies führt zu nicht minder signifikanten Vermeidungsstrategien. Die Beschreibung von Castorps Abendtoilette weicht auf Gegenstandsbezeichnungen aus – schließlich handelt es sich hierbei um ‚kulturelle Pflichten‘: Mechanisch und ohne den rechten Bedacht erledigte er [Castorp, B. W.] die kleinen Handgriffe und kulturellen Pflichten der Nachttoilette, goß hellrotes Mundwasser aus dem Reiseflakon ins Glas und gurgelte diskret, wusch sich die Hände mit seiner guten und milden Veilchenseife und zog das lange Batisthemd an, das auf der Brusttasche mit den Buchstaben H C bestickt war.84
Was in dieser Passage als ‚hellrotes Mundwasser‘ umschrieben wird, findet sich in der zeitgenössischen Enzyklopädie als Chlorodont verankert (Abb. 39),85 dem rotfarbigen Gegenstück zum hellblauen Odol, und dürfte von zeitgenössischen Lesern als diese Marke identifiziert oder ‚aktualisiert‘86 worden sein, da die
82 Mann: Der Zauberberg, S. 861. 83 Mann: Der Zauberberg, S. 255. 84 Mann: Der Zauberberg, S. 137. 85 Siehe Thomas Gubig u. Sebastian Köpcke: Alles begann mit CHLORODONT. Eine Firmengeschichte aus Dresden. O. O. [Dresden] 2007: Dental-Kosmetik GmbH & Co. KG. 86 Wenn hier von ‚Aktualisierung‘ die Rede ist, so trägt dies dem Umstand Rechnung, dass es nicht darum geht, Hypothesen über empirische zeitgenössische Leser anzustellen, sondern darum, im Sinne Ecos einen ‚Modell-Leser‘ zu rekonstruieren, als einem „Operator, der in der Lage wäre, im Wörterbuch gewissermaßen jedes Wort, das dabei vorkommt, nachzuschlagen“ bzw. der in der Lage wäre, eine Verbindung von der zeitgenössischen Enzyklopädie zur Textur des Zauberbergs herzustellen – oder möglicherweise gar nicht in der Lage wäre, dies nicht zu tun. Zum Modell-Leser siehe Umberto Eco: Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten. München 31998 (1990): Deutscher Taschenbuch Verlag. S. 61–82.
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Abb. 39: Emailschild für Chlorodont, um 1925.
Mundwassermarken zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchten, sich gerade über ihre Farbe voneinander abzusetzen. So warb die Marke EOS beispielsweise damit, das „einzig klarbleibende[] Mund- u. Zahnwasser“ zu sein (Abb. 40). Durch das Attribut ‚hellrot‘, das die Identifikation der Mundwassermarke Chlorodont ermöglicht, wird die Gegenstandsbezeichnung zur Antonomasie: Der Eigenname wird ersetzt, bleibt aber durch die Umschreibung identifizierbar. Diese Antonomasie wird syntagmatisch in Nachbarschaft gesetzt zur ebenfalls nicht mit Markennamen benannten, feminin konnotierten Veilchenseife – bei der es sich um Dr. Dralle’s Veilchen-Malattine handeln könnte87 – sowie zu Castorps Batis-
87 Unter der Rubrik Geheimmittel, Spezialitäten etc. findet sich im Herbst 1908 ein Hinweis auf diese Seife, umrahmt von Mitteln zur Verdauungsförderung und Haarentfernung sowie zur Bekämpfung von Hautausschlägen oder Erkrankungen der Atmungsorgane und Präparaten „für schwache Männer“, in: Zeitschrift für Lebensmitteluntersuchung und -Forschung, 16 (September 1908) 6, S. 379.
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Abb. 40: Reklameanzeige für EOS, das ‚einzig klarbleibende Mund- u. Zahnwasser‘, 1905.
themd, dessen Initialen H C wie das individualisierende Gegenstück zu industrialisierten Markenlabels erscheinen.88 Angesichts dieser höchst funktionalen Einbindung (und Vermeidung) von Markennamen erweist sich Manns Symbolbegriff allerdings als einseitig. Goethe – der Gewährsmann für Spengler wie für Thomas Mann – hatte in seiner Auffassung des Symbols die Verbindung von Bedeutung und Materialität betont und
88 Zugleich halten sie jedoch präsent, dass Castorps Geschichte „nicht um seinetwillen“ erzählt wird, wie es im Vorsatz heißt, sondern honoris causa, „um der Geschichte willen“, der der Erzähler „eine gewisse überpersönliche Bedeutung zuzuschreiben geneigt“ ist. Mann: Der Zauberberg, S. 9 u. 53. Siehe hierzu auch Jochen Hörisch: „Die deutsche Seele up to date“. Sakramente der Medientechnik auf dem Zauberberg. In: Friedrich A. Kittler u. Georg Christoph Tholen (Hg.): Arsenale der Seele. Literatur- und Medienanalyse seit 1870. München 1989: Fink. [= Literatur- und Medienanalysen. Bd. 1.] S. 13–23, bes. S. 18. Die Initialen verweisen zudem auf das Formalin, mit dem die Zimmer der Verstorbenen im Sanatorium „ausgeräuchert“ werden und über dessen chemische Formel H2CO Castorp seinen Cousin Joachim aufklärt. Mann: Zauberberg, S. 23.
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damit den entscheidenden Baustein zu einer aisthetisch fundierten Symboltheorie gelegt, die das Symbol von anderen Zeichen unterscheidet.89 In den Symbolisierungsprozessen des Zauberberg droht dagegen die materielle Realität der Dinge vom Symbolischen regelrecht begraben zu werden. So berichtet der Erzähler am Beginn des Schnee-Kapitels: Fünfmal täglich kam an den sieben Tischen einhellige Unzufriedenheit zum Ausdruck mit dem Witterungscharakter des diesjährigen Winters. Man urteilte, daß er seine Verpflichtungen als Hochgebirgswinter sehr mangelhaft erfülle, daß er die meteorologischen Kurmittel, denen die Sphäre ihren Ruf verdankte, durchaus nicht in dem Umfange bereitstelle, wie der Prospekt es verhieß, wie Langjährige es gewohnt waren und Neulinge es sich ausgemalt hatten. Gewaltige Ausfälle an Sonne waren zu verzeichnen, an Sonnenstrahlung, diesem wichtigen Heilfaktor, ohne dessen Mithilfe die Genesung sich zweifellos verzögerte … […] [D]ie Oberleitung [zeigte] ein volles Einsehen in ihre Verpflichtung zu Aushilfe und Schadenersatz. Ein neuer Apparat für „künstliche Höhensonne“ wurde angeschafft, da die beiden schon vorhandenen der Nachfrage derer nicht genügten, die sich auf elektrischem Wege braun brennen lassen wollten, was die jungen Mädchen und Frauen gut kleidete und der Männerwelt trotz horizontaler Lebensweise ein prächtig sportliches und erobererhaftes Aussehen verlieh. Ja, dies Ansehen trug Früchte im Wirklichen; die Frauen, obwohl völlig im klaren über die technisch-kosmetische Herkunft dieser Männlichkeit, waren dumm oder ausgepicht genug, auf Sinnentrug hinlänglich versessen, um sich von der Illusion berauschen und weiblich hinnehmen zu lassen.90
In warenästhetischer Hinsicht ist an dieser Passage – die immerhin das meistzitierte Kapitel des Zauberberg einleitet – bemerkenswert, dass schon das Sanatorium wie ein Konsumartikel beurteilt wird, wenn das Klima an den Reklameversprechungen des Prospekts gemessen wird. Was die Wetterlage nicht einlöst, hat sodann die Anschaffung des ‚Apparats für ‚künstliche Höhensonne‘‘ auszugleichen, der nicht nur künstliche Sonne, sondern damit auch ‚technisch-kosmetische‘ Männlichkeit produziert. In Textkommentaren auf das Schnee-Kapitel finden sich Hinweise auf Stifter-, Andersen- und Hamsun-Reminiszenzen – eine Erklärung der ‚künstlichen Höhensonne‘ dagegen nicht.91 Einzig Thomas Sprecher äußert sich über die Apparatur und erläutert: „Die künstliche Höhensonne, die eine Scheinblüte erzeugt, führt das alte Thema des vorsätzlichen Illusioniertund Betrogenwerdens fort. Immer wieder hat Thomas Mann, von Schopenhauers transzendentaler Ästhetik ausgehend, die Welt als Blendwerk dargestellt und den Menschen als ihm verfallen, als voller Sehnsucht nach Lug und Trug
89 Vgl. Berndt u. Drügh: Vorwort u. Einleitung (Seele). In: Dies. (Hg.): Symbol, bes. S. 11 u. 28. 90 Mann: Der Zauberberg, S. 706f. 91 Vgl. Mann: Der Zauberberg. Kommentar, S. 304f. Sowie Daniela Langer: Thomas Mann: Der Zauberberg. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 2009: Reclam. S. 174.
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Abb. 41: Reklameanzeige für die Künstliche Höhensonne, 1920er Jahre.
und schöner Täuschung.“92 Mit dieser Deutung übergeht auch Sprechers an Realia interessierte Darstellung die Tatsache, dass es sich bei der Apparatur um ein reales Markenprodukt handelt: Die Künstliche Höhensonne, Original Hanau, die 1904 von der Firma Heraeus entwickelt und ab 1906 durch die von W. C. Heraeus und AEG gemeinsam gegründete Quarzlampen GmbH vertrieben wird (Abb. 41). Die Lampe strahlte UV-Licht aus und wurde zu therapeutischen wie zu kosmetischen Zwecken eingesetzt (Abb. 42).93 Im Zauberberg erscheint die Künstliche Höhensonne als Symbol des Blendwerks, aber auch der Dekadenz. Dies verdeckt zum einen, dass über die Apparatur bis weit in die 1920er Jahre hinein und noch darüber hinaus nicht nur in populären Magazinen wie der Gartenlaube94 berichtet wird, sondern ernsthafte medizinische Diskussionen geführt wurden, die von Dissertationen zu Blutuntersuchungen bei den Quartzlampenbestrahlungen 95 über Infektionen im Säug-
92 Thomas Sprecher: Davos im Zauberberg. Thomas Manns Roman und sein Schauplatz. München 1996: Wilhelm Fink Verlag. S. 146. 93 Daniela Gniss: Heraeus – Ein Familienunternehmen seit 1851. Die Entwicklung des Unternehmens im Wirtschaftsraum Hanau. Hanau 2001: Heraeus. S. 63. 94 Professor Dr. H. Rieder: Die Heilkraft des Lichts. In: Die Gartenlaube (1904) Nr. 19, S. 329. 95 Nikolas Waltscheff: Blutuntersuchungen bei den Quartzlampenbestrahlungen . Berlin 1915: Ebering.
Die Grenzen des Symbolischen: Zur Materialität der Dinge im Zauberberg
123
Abb. 42: Gruppenbestrahlung mit der Künstlichen Höhensonne, um 1918.
lingsalter96 bis hin zur Anwendung bei Hautleiden des Hundes97 oder bei rachitischen Haustieren98 reichten. Nicht zuletzt fand die Künstliche Höhensonne einen besonderen Einsatz im Ersten Weltkrieg, auf dessen Schlachtfeldern der Zauberberg endet (Abb. 43).99 Zum anderen – und darin widerspricht die rein symbolische Ausdeutung ihren eigenen Ansprüchen – entgeht einer Lesart, die nur auf die Bedeutung, nicht aber die Materialität der Symbole setzt, dass die materielle Beschaffenheit des Symbols selbst Rückwirkungen auf die Ausdeutung seiner semantischen Seite hat. So erschließt sich erst aus dem Wissen, dass
96 Hedwig Schenk-Popp: Künstliche Höhensonne bei Erysipel und anderen Infektionen im Säuglingsalter. München 1919: Lehmann. 97 Karl Radermacher: Die Quecksilberquarzlampe ‚Künstliche Höhensonne‘ und ihre Anwendung bei Hautleiden des Hundes. Gießen 1917: Klein. 98 Anton Schnell: Untersuchungen über die Verwendbarkeit der Quarzlampe ‚Künstliche Höhensonne‘ bei rachitischen Haustieren. O. O. 1919. 99 Zur Behandlung von Kriegsverletzungen mit der Künstlichen Höhensonne siehe Geh. Sanitätsrat Dr. Hugo Bach: Anleitung und Indikationen für Bestrahlungen mit der Quarzlampe „Künstliche Höhensonne“. Würzburg u. Leipzig 1918: Verlag von Kurt Kabitzsch.
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Kapitel 2: Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive
Abb. 43: ‚Beschleunigte Heilung unserer Verwundeten.‘ Anzeige für die Künstliche Höhensonne, 1914.
es sich bei der Künstlichen Höhensonne um eine Quecksilberquarzlampe handelt, ein Zusammenhang mit dem Motivkomplex des Thermometers, das als ‚Merkurius‘ (lat. Quecksilber) und als ‚Quecksilberzigarre‘ bezeichnet wird.100 An diesem Punkt setzt die leitmotivische Konstruktion des Zauberberg, die immer wieder als Verfahren der intratextuellen Bedeutungssteigerung beschrieben wird, gerade ein extratextuelles Wissen über ein Markenprodukt und seine materielle Beschaffenheit voraus, um zu funktionieren. Damit ist Manns rhetorische Frage: ‚Wenn ich aus einer Sache einen Satz gemacht habe – was hat die Sache noch mit dem Satz zu tun?‘ selbst in Frage zu stellen. „So einfach“, konstatiert denn auch Moritz Baßler in Die kulturpoetische Funktion, „ist es mit der intratextuellen Begrenzung der unendlichen Semiose […] nicht“.101 Denn es ist „nicht, jedenfalls nie allein, der syntagmatische Zusammenhang, die intratextuelle Responsionsstruktur des manifesten Textes, die den Sinn seiner Lexeme bestimmt.“102 Mit der textuellen ‚Symbolisierung‘ erledigt sich der
100 Diesem Motivkomplex wird in dem Abschnitt 2.6. Die ‚Maria Mancini‘ als Fetisch der Textur: Zur Semiologie des ‚Leitmotivs‘ dieses Kapitels noch genauer nachgegangen. 101 Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 245. 102 Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 261. Hans Wysling hat die Kontextanalyse als eines der ‚Probleme‘ der Zauberberg-Forschung bezeichnet: „Das Zeichensystem des Zauberbergs, so autark und ‚hermetisch‘ es sich gibt, läßt sich nicht gegen die außerliterarische Umwelt abschließen. […] ‚Werkimmanente‘ Interpretationen werden im hermeneutischen Zirkel immer wieder auf Stellen stoßen, wo ein Werk eine Auskunft verweigert. Der Interpret steht dann
„Die sehr schmackhafte Marke namens Maria Mancini“
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Eigenwert der angeeigneten materiellen Kultur keineswegs. Das Material hat nicht „für sich genommen keinen Wert“103, sondern ist, allen literarischen Symbolisierungsprozessen zum Trotz, sowohl Bedeutung als auch Materialität.104 Am Beispiel der Zigarrenmarke Maria Mancini soll im Folgenden der Blick auf die Beziehungen zwischen den intratextuellen und den archivistisch-materiellen Bedeutungsspielräumen gerichtet werden. Als zentrales Leitmotiv des Romans ist die Zigarrenmarke in besonderem Maße intratextuellen Bedeutungszuweisungen ausgesetzt, welche die erotischen Konnotationen der Reklame in eine Fetischisierung durch Castorp und Hofrat Behrens überführen. Doch gerade diese Fetischisierung nimmt ihren Ausgangspunkt von der dinglichen Beschaffenheit der Zigarre und produziert unsichere Zeichen.
2.4 „Die sehr schmackhafte Marke namens Maria Mancini“: Die erotischen Konnotationen der Reklame und die Fetischisierung durch Castorp und Hofrat Behrens Unter den Genussmittelmarken des Zauberberg kommt der Zigarre Maria Mancini eine besondere Bedeutung zu. Zum einen bildet sie innerhalb des erzählten Geschehens – auf der Ebene der histoire – Castorps „Verbindung“105 zur hinter sich
vor der Entscheidung, ob er auf diese Auskunft verzichten oder sie auf einem Umweg über Biographie und Zeitgeschichte, vielleicht auch über den Vergleich mit werkexternen Modellen suchen will.“ Hans Wysling: Probleme der Zauberberg-Interpretation. In: Ders.: Ausgewählte Aufsätze 1963–1995. Hg. von Thomas Sprecher u. Cornelia Bernini. Frankfurt am Main 1996: Vittorio Klostermann. [= Thomas-Mann-Studien. Bd. 13.] S. 231–247, hier S. 246f. Der Vorteil einer archivistischen Analyse besteht darin, dass sie die Text-Kontext-Analyse nicht als ‚Umweg‘ begreift, der über den Autor zu legitimieren wäre, dabei aber in der Auswahl von Resonanztexten ebenso wenig beliebig verfährt, sondern, wie Baßler zeigt, diese über den paradigmatischen Zusammenhang einer jeden Äußerung begründen kann. 103 So will es der Kommentarband der Frankfurter Ausgabe zu Lotte in Weimar. Thomas Mann: Lotte in Weimar. Hg. von Werner Frizen. Kommentar. Frankfurt am Main 2003: S. Fischer. [= Große kommentierte Frankfurter Ausgabe. Bd. 9.2.] S. 71. Siehe dazu auch die überzeugend dargelegte Kritik von Christian Rakow: Autorphantasie(n). Zur Kontextualisierung von Thomas Manns Lotte in Weimar. In: Moritz Baßler u. Arne Klawitter (Hg.): Der Mensch ist nicht gegeben. Zur Darstellung des Subjekts in der Moderne. Rostock 2005: Konrad Reich Verlag. S. 62–78. 104 Der Begriff ‚Materialität‘ umfasst hierbei sowohl die zeichenhaften als auch die nicht zeichenhaften Eigenschaften, die den Dingen als Markenwaren außerhalb des Textes zukommt. Zu den nicht zeichenhaften Eigenschaften von Dingen siehe auch Hahn: Materielle Kultur, S. 136–144. 105 Mann: Der Zauberberg, S. 586.
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Kapitel 2: Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive
gelassenen Alltagswelt des Flachlandes. Erst gegen Ende des Romans tauscht Castorp sie gegen die in Davos zu beziehende Marke Rütlischwur ein und gibt sich damit ganz dem „hermetischen Zauber“106 der Davoser Sanatoriumswelt hin. Zum anderen wird sie von der extradiegetischen Erzählinstanz als die „sehr schmackhafte[] Bremer Marke namens Maria Mancini“ mit dem vorausdeutenden Hinweis eingeführt, dass „von [ihr] noch die Rede sein wird“107. In dieser Prolepse deutet sich an, dass der Marke auch auf der Ebene des Erzählens – des discours, der durch diese Erzählinstanz organisiert wird – eine besondere Funktion zuteil wird. Ihre ausführlichste Beachtung erfährt die Zigarre im Kapitel Humaniora, wo sie den Gegenstand eines Gesprächs zwischen Hans Castorp und Hofrat Behrens, dem medizinischen Leiter des Sanatoriums, bildet. Wie Castorp durch Settembrini erfährt, gilt Behrens ebenfalls als „Zigarrenkenner“, was ihn in Castorps Augen als einen „reizende[n] Mann“ erscheinen lässt.108 Der rauchende Hans Castorp, der sich inzwischen nicht mehr zu Besuch, sondern als Patient im Sanatorium Berghof aufhält, und sein Cousin Joachim Ziemßen sitzen im Garten des Sanatoriums, als Hofrat Behrens, „eine Zigarre auch seinerseits im Munde, die sehr schwarz war, und aus der er große, weißliche Rauchwolken sog“109, vorüberkommt. Es entfaltet sich folgender Dialog: „Wie schmeckt der Krautwickel, Castorp? Lassen Sie mal sehen, ich bin Kenner und Liebhaber. Die Asche ist gut: was ist denn das für eine bräunliche Schöne?“ „Maria Mancini, Postre de Banquett aus Bremen, Herr Hofrat. Kostet wenig oder nichts, neunzehn Pfennig in reinen Farben, hat aber ein Bukett, wie es sonst in dieser Preislage nicht vorkommt. Sumatra-Havanna, Sandblattdecker, wie Sie sehen. Ich habe mich sehr an sie gewöhnt. Es ist eine mittelvolle Mischung und sehr würzig, aber leicht auf der Zunge. Sie hat es gern, wenn man ihr lange die Asche läßt, ich streife nur höchstens zweimal ab. Natürlich hat sie ihre kleinen Launen, aber die Kontrolle bei der Herstellung muß besonders genau sein, denn Maria ist sehr zuverlässig in ihren Eigenschaften und luftet vollkommen gleichmäßig.“110
Was in der zitierten Figurenrede Castorps wie ein Reklametext klingt, greift tatsächlich zurück auf Versatzstücke aus der Anzeige, mit der die Maria Mancini im Jahr 1905 in der Preisliste ihres Bremer Herstellers Hagedorn & Söhne beworben wird (Abb. 44): „Maria Mancini, Postre de Banquete“, heißt es dort, was die
106 107 108 109 110
Mann: Der Zauberberg, S. 1074. Mann: Der Zauberberg, S. 52. Herv. B. W. Mann: Der Zauberberg, S. 95. Mann: Der Zauberberg, S. 383. Mann: Der Zauberberg, S. 384.
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Zigarre – in Übereinstimmung mit Castorps Gewohnheit111 – als Nachtischzigarre ausweist, und weiter: „Mk. 120. – per 1000 Stück“. Zwar stimmt Castorps Preisangabe mit dem etwa zwei Jahre zuvor in der Anzeige genannten Preis nicht mehr überein, doch werden die Besonderheit der Mischung und die Leichtigkeit der Zigarre sowohl von Castorp wie auch im Annoncentext (‚besonders feine und leichte Zusammenstellung, Sumatra-Havana‘) hervorgehoben, während Hofrat Behrens die Güte ihrer Asche bestätigt. Diese Produkteigenschaften werden allerdings im gesamten Dialog von erotischen Konnotationen überlagert und regelrecht dominiert, die durch den Markennamen mitbegünstigt werden: Maria Mancini war die Jugendliebe des ‚Sonnenkönigs‘ Louis XIV., deren Leben wiederholt den Stoff für Literarisierungen gab.112 Ihre Darstellung auf der Zigarrenkiste greift zurück auf ein erotisierendes Porträt Pierre Mignards von 1661, das sich in eine erotische Bildtradition einschreibt, wie sie Eduard Fuchs 1910 in Die galante Zeit, dem zweiten Band seiner Illustrierten Sittengeschichte, aufzeigt.113 Wiederkehrendes Motiv dieser Bildtradition ist die nur teils bedeckte Brust der Frau, das sich in Mignards Porträt der Maria Mancini ebenso findet wie in Jean-Baptiste Greuzes La Voluptueuse (Die Wollüstige).114 Im Gespräch zwischen Hofrat Behrens und Castorp werden die erotischen Konnotationen dieser Namensgebung fortgeführt, wenn die Beschreibungen die Zigarre wiederholt anthropomorphisieren. So erkundigt sich der Hofrat bei Castorp nach der ‚bräunlichen Schönen‘ und erklärt sich selbst zum ‚Liebhaber‘, während Castorp sie kurz als ‚Maria‘ bezeichnet und ihr menschliche Eigenschaften wie ‚Launen‘ und Wünsche (‚sie hat es gern, wenn …‘) zuschreibt. Dieses erotisierte Sprechen über die Zigarren setzt sich in noch gesteigertem
111 „Sein erstes Bedürfnis nach beendeter Mahlzeit war die Fingerschale mit parfümiertem Wasser, das zweite die russische Zigarette, die unverzollt war, und die er unterderhand, auf dem Wege gemütlicher Durchstecherei bezog. Sie ging der Zigarre voran“. Mann: Der Zauberberg, S. 52. 112 So u.a. von Julius Grosse: Maria Mancini. 2 Bde. Stuttgart 1869: Hallberger. Auf Französisch erschien bereits zuvor Sophie Gay: Marie de Mancini. 2 Bde. Bruxelles, Livorno u. Lepizig 1840: Meline, Cans et Compagnie. Ausführlich berichtet auch das Damen Conversations Lexikon über ihre Geschichte: Damen Conversations Lexikon. Hg. im Verein mit Gelehrten und Schriftstellerinnen von C. Herlosssohn. Band 7: Majoran bis Ohrenzwang. [o.O.] 1836: Adorf Verlags-Bureau. S. 21f. Zur Maria Mancini siehe auch Peter Schmucker u. Karl-Friedrich Klotz: Maria Mancini. In: Focus MUL 20 (2003) 2, S. 128–137. 113 Eduard Fuchs: Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Zweiter Band: Die galante Zeit. München o.J. [1910]: Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst. 114 Vgl. Fuchs: Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Zweiter Band: Die galante Zeit, S. 18.
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Kapitel 2: Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive
Abb. 44: Die Zigarrenmarke Maria Mancini im Katalog von Hagedorn & Söhne, 1905.
„Die sehr schmackhafte Marke namens Maria Mancini“
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Maße fort, als Castorps Angebot an Hofrat Behrens in einen Tausch der Zigarren mündet: „[…] Darf ich Ihnen eine anbieten?“ „Danke, wir können ja mal tauschen.“ Und sie zogen ihre Etuis. „Die hat Rasse“, sagte der Hofrat, indem er seine Marke hinreichte. „Temperament, wissen Sie, Saft und Kraft. St. Felix-Brasil, ich habe es immer mit diesem Charakter gehalten. Ein rechter Sorgenbrecher, brennt wie Schnaps, und namentlich gegen das Ende hat sie was Fulminantes. Einige Zurückhaltung im Verkehr wird empfohlen, man kann nicht eine an der anderen anzünden, das geht über Manneskraft. Aber lieber mal einen ordentlichen Happen, als den ganzen Tag Wasserdampf …“115
Mit den Zuschreibungen von ‚Charakter‘ und ‚Rasse‘ an die Zigarrensorte des Hofrats, die unmittelbar übergehen in die paranomastische Attribuierung von ‚Saft und Kraft‘, nähern sich die exotistisch-erotischen Konnotationen einer deutlichen Sexualisierung, die mit dem Hinweis auf das Übersteigen der ‚Manneskraft‘, die angebrachte Zurückhaltung im ‚Verkehr‘ und ‚was Fulminantes gegen das Ende‘ kaum mehr an eine Zigarre denken lässt. Die weitere Begutachtung der Zigarren, von der die Erzählinstanz berichtet, setzt schließlich durch die zunächst noch konventionalisierte körperliche Metaphorik der ‚Rippen‘116 sowie den nicht mehr konventionalisierten Metaphern der ‚Haut‘ und des ‚Geäders‘ die Zigarre und den sexuell begehrten Körper in eins und unterzieht diese einem sezierenden Blick: Sie drehten die gewechselten Geschenke zwischen den Fingern, prüften mit sachlicher Kennerschaft diese schlanken Körper, die mit den schräg gleichlaufenden Rippen ihrer erhöhten, hie und da etwas gelüfteten Wickelränder, ihrem aufliegenden Geäder, das zu pulsen schien, den kleinen Unebenheiten ihrer Haut, dem Spiel des Lichtes auf ihren Flächen und Kanten etwas organisch Lebendiges hatten.117
Die Beschreibung des begehrten Körpers entlang seiner anatomischen Fragmente – die ‚schräg gleichlaufenden Rippen‘, das ‚Geäder‘, die ‚Unebenheiten der Haut‘, die ‚Flächen und Kanten‘ – bildet eine lange Tradition, deren Ausgangs- und Höhepunkt die Lyrik des Barock und insbesondere die petrarkistische Liebeslyrik bildet.118 Aus dieser Tradition bezieht auch die zergliedernde Be-
115 Mann: Der Zauberberg, S. 384. 116 Vgl. Lachmann (Hg.): Waarenkunde in Wort und Bild, S. 357. 117 Mann: Der Zauberberg, S. 384. 118 Vgl. dazu bspw. Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus Sonnet. Vergaenglichkeit der schoenheit. Für den Zusammenhang dieser rhetorischen Zergliederung mit der Anatomie der Zeit
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Kapitel 2: Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive
schreibung des (Zigarren-)Körpers im Zauberberg ihre aufzählende Rhetorik der enumeratio partium.119 Paradoxerweise kommt es im Gespräch zwischen Castorp und dem Hofrat gerade unter diesem sezierenden, also einem auf den toten Körper gerichteten Blick (in dem sich durch den Verweis auf das Gerippe ein zentrales Vanitas-Motiv widerspiegelt120) zu einer Verlebendigung der Zigarre. Rhetorisch entspricht diese Verlebendigung einer Prosopopoeia, in der Beschreibung als ‚etwas organisch Lebendigem‘ ruft sie den Topos von der Organizität des ‚Werks‘ auf121 – beide
siehe Hartmut Böhme: Erotische Anatomie. Körperfragmentierung als ästhetisches Verfahren in Renaissance und Barock. In: Claudia Benthien u. Christoph Wulf (Hg.): Körperteile. Eine kulturelle Anatomie. Reinbek 2001: Rowohlt. S. 228–253. Sowie Alexander Koåenina: Anatomie, Vivisektion und Plastination in Gedichten der Frühen Neuzeit (Gryphius, Wiedemann, Brockes). In: Zeitschrift für Germanistik N. F. 19 (2009) 1, S. 63–76. Außerdem Rudolf Drux: Über das anatomische Verfahren der Körperdarstellung in barocken „Sprachgemälden“. Am Beispiel der dekonstruierten Geliebten. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 83 (2009) 1, S. 88–102. Bleibt der diskursive Zusammenhang zur Anatomie in der barocken Lyrik unausgesprochen, so stellt der Zauberberg den zergliedernden Blick auf den Körper selbst in den Kontext des medizinischen Diskurses der Zeit – im Sanatorium Berghof stehen anatomische und seelische Zergliederung auf der Tagesordnung. Siehe dazu ausführlicher Gottfried Fischer u. Friedrich A. Kittler: Zur Zergliederungsphantasie im Schneekapitel des „Zauberberg“. In: Sebastian Goeppert (Hg.): Perspektiven psychoanalytischer Literaturkritik. Freiburg i. Br. 1978: Rombach. S. 23–41. 119 Zugleich erscheint diese Zergliederung im Kontext einer ‚Poetik der Zerstückelung‘, die der Zauberberg zur Signatur der Moderne erhebt. Sie findet sich in den Thematisierungen der Röntgendurchleuchtung des Körpers ebenso wie in der Zeit-Thematik, aber auch mit Bezug auf die medialen Neuerungen wie Fotografie und Film. Nicht zuletzt ist sie eine Grundlage für die Semiologie der Leitmotivik und ihre Dominantsetzung eines isolierten Sems, wie weiter unten beschrieben wird. Zur Zergliederung als Grunderfahrung der Moderne siehe auch Christoph Asendorf: Ströme und Strahlen. Das langsame Verschwinden der Materie um 1900. Berlin 1989: Anabas-Verlag. [= Werkbund-Archiv. Bd. 18.] Bes. S. 16–32. 120 Der Verweis auf das memento mori des Skeletts wird in Joachims und Castorps Röntgenuntersuchung explizit thematisiert: „Er [Hofrat Behrens, B. W.] studierte die Flecke und Linien, das schwarze Gekräusel im inneren Brustraum, während auch sein Mitspäher [Hans Castorp, B. W.] nicht müde wurde, Joachims Grabesgestalt und Totenbein zu betrachten, dies kahle Gerüst und spindeldürre Memento.“ Bei seiner eigenen Untersuchung sieht Castorp „in sein eigenes Grab. Das spätere Geschäft der Verwesung sah er vorweggenommen durch die Kraft des Lichtes, das Fleisch, worin der wandelte, zersetzt, vertilgt, zu nichtigem Nebel gelöst“. Mann: Der Zauberberg, S. 332 u. 333. Zum Skelett als Vanitas-Motiv siehe auch Kerstin Gernig: Skelett und Schädel. In: Benthien u. Wulf (Hg.): Körperteile, S. 403–423. 121 „Ein Organismus“, so Emil Staigers einschlägige Definition für die Literaturwissenschaften, „ist ein Gebilde, in dem jeder einzelne Teil zugleich Zweck und Mittel ist, also selbständig und funktional in einem, wertvoll an sich selbst und gleichzeitig auf das Ganze bezogen.“ Emil Staiger: Grundbegriffe der Poetik. Zürich 1946: Atlantis Verlag. S. 125.
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Aspekte weisen auf den Zusammenhang von Fetischismus122 und Leitmotivik voraus. Vorerst jedoch spricht „Hans Castorp […] es aus“ und bindet diese Lebendigkeit im Motiv der ‚Feuchtigkeit‘ noch einmal zurück an die Sexualisierung der Zigarre: „So eine Zigarre hat Leben. Sie atmet regelrecht. Zu Hause ließ ich es mir mal einfallen, Maria in einer luftdichten Blechkiste aufzubewahren, um sie vor Feuchtigkeit zu schützen. Wollen Sie glauben, daß sie starb? Sie kam um und war tot binnen Wochenfrist, – lauter ledrige Leichen.“123
Der ‚Schutz‘ vor Feuchtigkeit bewirkt das ‚Sterben‘ ‚Marias‘, die damit nicht länger ein Objekt des Begehrens darstellt. Als nicht einmal schöne, sondern nur mehr ‚ledrige‘ Leiche taugt sie selbst als memento mori nicht mehr. Erotisches Begehren und despektierliches Sprechen über das Objekt des Begehrens – das, nimmt man die verlebendigende Metaphorik ernst, ein Subjekt ist – gehen im Gespräch von Castorp und Hofrat Behrens miteinander einher. Dieser patriarchalische Blick, der die Frau zum angeblickten Objekt macht, durchzieht, wie John Berger bilddokumentarisch dargelegt hat, die abendländische Kunstgeschichte, um im 20. Jahrhundert in der Bilderwelt der Werbung und Warenästhetik massenhafte Verbreitung zu finden.124 In der Verwendung von Pierre Mignards Porträt der Maria Mancini für die Reklame und Ausstattung der gleichnamigen Zigarre vollzieht sich diese Verbreitung auf exemplarische Weise. Allerdings geht die Sexualisierung der Maria Mancini durch Castorp und Hofrat Behrens weit über diese bildliche Darstellung hinaus und überschreitet auch das Maß an erotischen Konnotationen, das in den Reklamen des beginnenden 20. Jahrhunderts
122 Umgekehrt bemerkt Roland Barthes über die Paradoxie des Blick auf den Körper des Anderen: „Manchmal kommt mir eine Idee: ich mache mich daran, den geliebten Körper eingehend zu erforschen […]. Erforschen heißt ausgraben: ich grabe den Körper des Anderen aus, so als wollte ich sehen, was darin ist, so als sei die mechanische Ursache meiner Begierde im Körper gegenüber verborgen (ich ähnele jenen Knirpsen, die einen Wecker zerlegen, um herauszufinden, was die Zeit ist). Diese Operation vollzieht sich kalt und staunend; ich bin ruhig, aufmerksam, so als ob ich mich einem merkwürdigen Insekt gegenübersähe, vor dem ich plötzlich keine Angst mehr habe. Manche Teile des Körpers kommen dieser Beobachtung besonders entgegen: die Wimpern, die Nägel, der Haaransatz, die Einzelglieder. Offensichtlich bin ich im Begriff, einen Toten zu fetischisieren.“ Roland Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe. Frankfurt am Main 1988: Suhrkamp. S. 158. Herv. im Orig. 123 Mann: Der Zauberberg, S. 384f. 124 John Berger u.a.: Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt. Deutsch von Axel Schenck. Reinbek bei Hamburg 1996 (1974): Rowohlt. Insbes. S. 42–61. Zum patriarchalischen Blick siehe auch Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft. Aus dem Französischen von Jürgen Bolder. Frankfurt am Main 2005: Suhrkamp. S. 112–121.
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Abb. 45: Annonce für Odol, 1907.
Abb. 46: Annonce für Kupferberg Gold, 1910.
üblich ist (Abb. 45–46): Das Verhältnis zu ihren Zigarren bestimmt auch das Verhältnis von Castorp und dem Hofrat zueinander. In seiner dingtheoretischen Studie A Sense of Things fragt der amerikanische Literaturwissenschaftler Bill Brown: „How do objects mediate relations between subjects, and how do subjects mediate the relation between objects?“125 Die Relation von Dingen und Figuren im Zauberberg fügt diesem Chiasmus des object matter eine weitere Variante hinzu: die Frage, wie das Verhältnis von Subjekten auf die Dinge einwirkt. Angesichts des sexualisierten Diskurses, den Castorp und Hofrat Behrens über die Zigarren führen und diese „zum Objekt männlicher Lust und männlichen Tauschhandels“ machen, erscheint der Tausch ihrer Sorten wie ein im Männerbund organisierter Frauentausch.126 Die Zigarre organisiert somit einerseits eine ‚Verbrüderung‘ von Castorp und dem Hofrat und erweist sich damit als Vermittler zwischen Subjekten. Andererseits organisiert diese Verbrüderung den zwischen erotischer Anziehung und misogyner Objektivierung oszillierenden Blick auf die Zigarre als einem begehrten Körper. Dadurch entsteht zwi-
125 Brown: A Sense of Things, S. 18. 126 Andreas Kraß: Queer Studies – eine Einführung. In: Ders. (Hg.): Queer Denken. Gegen die Ordnung der Sexualität (Queer Studies). Frankfurt am Main 2003: Suhrkamp. S. 7–28, hier S. 11.
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schen Castorp, dem Hofrat und der Zigarre ein trianguläres Beziehungs- resp. Begehrensgeflecht, das gerade durch die Verlebendigung der Zigarre dem entspricht, was Eve Kosofsky Sedgwick in ihrer Studie Between Men als das ‚erotische Dreieck‘ bezeichnet.127 Sedgwick geht es hierbei insbesondere um die Diskontinuitäten innerhalb des homosozialen Kontinuums, um die Wahrnehmung von Asymmetrien und Übergängigkeiten.128 Vermittelt über die Materialität der Zigarre und ihre ‚Lektüre‘ als weiblichem Körper wird die männliche Freundschaft zwischen Castorp und dem Hofrat in eine solche Übergängigkeit zu männlicher Homosexualität überführt und in „ein potentielles Kontinuum affektiver homosozialer Bindungen […] reintegrier[t]“.129 „Ich bin“, wird Castorp später von sich sagen, „gar nicht männlich auf die Art, daß ich im Mann nur das nebenbuhlende Mitmännchen erblicke“130 – der ‚Nebenbuhler‘ kann für Castorp selbst zum Objekt des Begehrens, zum ‚reizenden Mann‘ auch im sexuellen Sinne, werden. Aspekte des homosexuellen Begehrens im Werk Thomas Manns sind der Forschung keineswegs entgangen und haben inzwischen eine beachtliche Menge an Forschungsliteratur hervorgebracht.131 Die maßgebliche Rolle, die einem Marken-
127 Eve Kosofsky Sedgwick: Between Men. English Literature and Male Homosexual Desire. New York 1985: Columbia University Press. Bes. S. 21–27. Sedgwick deutet die Rivalität zweier Männer um eine Frau mit einer Verbindung aus Freuds ödipalem Dreieck, den Ausführungen von LéviStraus zum Frauentausch und René Girards Beobachtung, dass die Beziehung zweier Rivalen ebenso eng ist wie ihre Beziehung zur Geliebten. Vgl. hierzu auch Vgl. Andreas Kraß: Das erotische Dreieck. Homosoziales Begehren in einer mittelalterlichen Novelle. In: Ders. (Hg.): Queer Denken, S. 277–297, bes. S. 292f. 128 Sedgwick: Between Men, S. 24f. 129 Kraß: Das erotische Dreieck, S. 292. 130 Mann: Der Zauberberg, S. 885f. 131 So u.a. Werner Frizen: Zaubertrank der Metaphysik. Quellenkritische Überlegungen im Umkreis der Schopenhauer-Rezeption Thomas Manns. Frankfurt am Main, Bern u. Cirencester 1980. [= Europäische Hochschulschriften. Reihe 1: Deutsche Sprache und Literatur. Bd. 342.] S. 237–248. Des weiteren Karl Werner Böhm: Die homosexuellen Elemente in Thomas Manns „Der Zauberberg“. In: literatur für leser, 3 (1984), S. 171–190. [Wiederabgedruckt in Hermann Kurzke (Hg.): Stationen der Thomas-Mann-Forschung. Aufsätze seit 1970. Würzburg 1985: Königshausen + Neumann. S. 145–165.]. Gerhard Härle: Die Gestalt des Schönen. Untersuchung zur Homosexualitätsthematik in Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“. Königstein/Ts. 1986: Verlag Anton Hain. [= Hochschulschriften Literaturwissenschaft. Bd. 74.] Hans Rudolf Vaget: „Ein Traum von Liebe“. Musik, Homosexualität und Wagner in Thomas Manns Der Zauberberg. In: Sprecher (Hg.): Auf dem Weg zum „Zauberberg“, S. 111–142. Harry Oosterhuis: The Dubious Magic of Male Beauty: Politics and Homoeroticism in the Lives and Works of Thomas and Klaus Mann. In: Christoph Lorey u. John L. Plews (Hg.): Queering the Canon. Defying Sights in German Literature and Culture. Columbia 1998: Camden House. S. 181–206. Heinrich Detering: Das offene Geheimnis. Zur literarischen Produktivität eines Tabus von Winckelmann bis zu Thomas Mann. Durchgesehene u. mit einer Nachbemerkung versehene Studienausgabe. Göttingen 2002: Wallstein. S. 273–322.
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produkt wie der Maria Mancini für die Vermittlung dieses Begehrens zukommt, blieb dabei jedoch unbeachtet. Dabei hat diese entscheidende poetologische Konsequenzen. Als ein Begehren vermittelnder Gegenstand, welcher der ‚oberflächlichen‘ warenästhetischen Wirklichkeit entstammt, organisiert die Zigarrenmarke die queere Zeichenproduktion nirgendwo sonst als an der Oberfläche der Textur. Anders als in einschlägigen Forschungspositionen immer wieder vertreten, handelt es sich bei den homosexuellen Aspekten des Zauberberg also nicht um einen aufzuspürenden ‚homoerotischen Subtext‘, der sich ‚unter‘ dem heterosexuellen Begehren und im Gegensatz zu ihm stehend verbirgt, mithin um eine Oberflächen-Tiefen-Relation.132 Vielmehr erzeugt die Zirkulation der Zeichen an der Textoberfläche des Zauberberg eine Destabilisierung des Binarismus von Homo- und Heterosexualität.133 Der Zigarren- als Frauentausch liefert hierfür das Modell. In Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft markieren für den französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss Frauentausch und Heirat den Beginn von Ökonomie und (Waren-) Zirkulation. Den Spuren von Marcel Mauss’ Essay Die Gabe folgend,134 gelangt Lévi-Strauss zu dem Schluss, „daß die Heirat überall als eine Gelegenheit betrachtet wird, die für die Eröffnung oder den Verlauf eines Tauschzyklus besonders günstig ist“.135 Dass es sich bei diesem Tauschzyklus vor allem um einen Tausch von Zeichen handelt, leitet Lévi-Strauss vom besonderen ‚Objekt‘ des Frauentauschs ab: „[D]ie Frauen [sind] nicht in erster Linie ein Zeichen für gesellschaftlichen Wert […], sondern ein natürlicher Stimulus; und zwar der Stimulus des einzigen Triebs, dessen Befriedigung aufgeschoben werden kann: der einzige folglich, bei dem sich, im Akt des Austauschs und durch die Wahrnehmung der Gegenseitigkeit, die Veränderung vom Reiz zum Zeichen vollziehen und, durch diesen grundlegenden Schritt den Übergang von der Natur zur Kultur definierend, zu einer Institution werden kann“.136 Vor dem Hintergrund von Lévi-Strauss’ kulturtheoretischer Reflexion zum Frauentausch wohnt dem Tausch der Zigarren zwischen Castorp und Behrens so-
132 Eine solche dichotome Topografie verfestigt im übrigen den Gegensatz von Homosexualität und Heterosexualität. Zur Dichotomisierung der Wahrnehmung durch die Einführung des Begriffs Homosexualität in den europäisch-amerikanischen Diskurs um Sexualität im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts siehe Eve Kosofsky Sedgwick: Epistemology of the Closet. New York, London u.a. 1991: Harvester Wheatsheaf. Bes. S. 2 u. 11. 133 Vgl. Kraß: Queer Studies – eine Einführung, S. 18. Eben darin besteht das dekonstruktive Moment des queer reading, vgl. Sedwick: Epistemology of the Closet, S. 9f. 134 Marcel Mauss: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Übersetzt von Eva Moldenhauer. Frankfurt am Main 1990: Suhrkamp. 135 Claude Lévi-Strauss: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft. Übersetzt von Eva Moldenhauer. Frankfurt am Main 1981: Suhrkamp. S. 121. 136 Lévi-Strauss: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, S. 121.
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mit einerseits bereits der strukturelle beständige Aufschub einer Erfüllung von Castorps Begehren inne. Andererseits macht er überdies deutlich, dass die Textur des Zauberberg von permanenten Zeichentauschprozessen geprägt ist – welche die Zeichen instabil lassen werden. In Castorps Erinnerungen an seinen Mitschüler Pribislav Hippe wird eine solche Destabilisierung vorgeführt, wenn sich diese mit seinen Eindrücken von Clawdia Chauchat vermischen: Ja, das war Pribislav. Lange habe ich nicht mehr an ihn gedacht. […] Wie merkwürdig ähnlich er ihr sah, – dieser hier oben! Darum also interessiere ich mich so für sie! Oder vielleicht auch: habe ich mich darum so für ihn interessiert?137
Hippe und Chauchat werden zu austauschbaren und vom Text selbst vertauschten Zeichen. Zwar wird Castorps Überlegung umgehend wieder von ihm selbst als „Unsinn!“ verworfen, aber es bleibt: „Ein schöner Unsinn.“138 Für einen Moment wird hier nicht nur die Zeitstruktur von Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch die grammatikalische Ordnung destabilisiert: Bezeichnet ‚dieser hier oben‘ eine weibliche Person, steht das Demonstrativpronomen also im Dativ, oder steht es im Nominativ und bezeichnet eine männliche Person? In diesem zweiten Fall würde die Person auf dem Zauberberg zur männlichen, die einer weiblichen Person aus der Erinnerung ähnelt: ‚Wie merkwürdig ähnlich er [dieser hier oben] ihr sah‘. Damit stehen die Geschlechtszuschreibungen an Hippe und Chauchat selbst zur Disposition. Das Schnee-Kapitel wiederholt und verdeutlicht diese geschlechtliche Verkehrung: [D]ermaleinst in der Faschingsnacht, als Hans Castorp sich in ebenso toller und schlimmer Lage befunden, indem er der kranken Clawdia Chauchat son crayon, seinen Bleistift, Pribislav Hippes Bleistift zurückgegeben hatte … […] ‚Son crayon‘! Das heißt ‚ihr‘ crayon, und nicht seines, in diesem Fall, und man sagt nur ‚son‘, weil ‚crayon‘ ein Maskulinum ist, alles übrige ist Witzelei. Daß ich mich überhaupt dabei aufhalte!139
Angesichts dieser Verkehrungen und Unsicherheiten in den Geschlechtszuschreibungen erweist sich auch die Geschlechtsidentität des begehrten Körpers, der in der Beschreibung der Zigarre metaphorisch erzeugt wird, als keineswegs eindeutig. Die Materialität der Zigarre schafft Zeichen der Übergängigkeit. So wird durch die Zigarrenmarke Maria Mancini sowie durch die zahlreichen weiblichen Pronomen suggeriert, dass es sich bei der Metaphorisierung der Zigarre um einen Frauenkörper handelt. Doch schon der Zigarrentausch, bei dem die Maria
137 Mann: Der Zauberberg, S. 189. 138 Mann: Der Zauberberg, S. 189. Herv. B. W. 139 Mann: Der Zauberberg, S. 736f.
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Abb. 47: Liegender Knabe von Wilhelm von Gloeden, 1899.
Mancini gegen eine St. Felix-Brasil, eine Zigarrensorte also,140 die einen männlichen Vornamen trägt, getauscht wird, bringt die geschlechtlichen Konnotationen durcheinander, während sich die Pronomen weiterhin auf das grammatikalische Geschlecht der Zigarre beziehen und somit weiblich bleiben. Der metaphorische Körper einer Person dagegen könnte ebenso gut ein männlicher sein, wie er in der homosexuellen Bildwelt der Jahrhundertwende etwa in Gestalt der Jünglingsfotografien Wilhelm von Gloedens kursiert (Abb. 47).141 Die Beschreibung der Zigarre als Körper – und damit als Objekt eines Begehrens – bildet überdies nur die eine Seite sexueller Konnotierung im Gespräch zwi-
140 St. Felix Brasil ist keine eingetragene Marke, sondern eine Sortenbezeichnung und gilt als „das feinste und beste Gewächs“ der südamerikanischen Tabake. Siehe Erdmann-König: Grundriss der allgemeinen Warenkunde. Für Handels- und Gewerbeschulen sowie zum Selbstunterricht entworfen von Dr. Otto Linné Erdmann. Elfte, neu bearbeitete und stark vermehrte Auflage von Prof. Dr. Chr. Rud. König. Leipzig 1886: Verlag von Johann Ambrosius Barth. S. 434. 141 Zu den Fotografien von Gloedens und ihrer Nähe zur camp-Ästhetik siehe auch Roland Barthes: Wilhelm von Gloeden. In: Ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, S. 204–206.
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schen Castorp und dem Hofrat. Denn als „ziemlich lange[r], vorn stumpfe[r]“142 Gegenstand zählt die Zigarre zu jenen Dingen, die sich zum „symbolischen Ersatz“ für den „auffälligere[n] und beiden Geschlechtern interessante[n] Bestandteil des Genitales, das männliche Glied“143 eignen: Die Zigarre erscheint somit als Phallus-Symbol, wozu Sigmund Freud in seinen Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916/17) alle „Dinge, die ihm in der Form ähneln“ für geeignet erklärt.144 Das Gespräch über die Zigarre greift also eine Symbolik auf, die in der zeitgenössischen Enzyklopädie eine prominente Verbreitung findet. Die zeitgenössische Reklame inszeniert Zigarren als ebensolche Dinge, die dem Phallus ‚in der Form ähneln‘. Die Maria Mancini fällt in der Katalogpräsentation von Hagedorn & Söhne allerdings aus diesem Schema graduell heraus: Gegenüber Zigarren wie Estrella Nueva „Astros“ und erst recht der La Flor de Rio Perez „Imperiales“ wirkt die Maria Mancini geradezu zierlich, entsprechend ihrer Beschreibung als ‚schlank‘ durch die narrative Instanz des Zauberberg. In ihrer emblematischen Gestaltung präsentiert die Annonce – und dies im Gegensatz zu den übrigen Zigarrensorten – unter dem Markennamen (inscriptio) nicht nur die Zigarre selbst. Die pictura, also jenes Element der Emblematik, dem die symbolische Schlüsselfunktion zukommt, zeigt neben der Zigarre auch die dazugehörige Kiste mit dem Mignard-Porträt der Namensgeberin. Dies hält die weiblichen Konnotationen des Zigarrennamens auch visuell präsent und begünstigt somit die Lesart der Zigarre als Frauenkörper – einerseits. Anderseits bildet die Dose, wie „alle Arten von Gefäßen“,145 in der Psychoanalyse das weibliche Gegenstück zum Phallus und bestärkt somit die phallische Deutung der Zigarre. Der geöffnete Deckel der Zigarrenkiste, die 50 Stück enthält, führt zudem die Anhäufung vor Augen, die Castorp selbst mit der Zigarre betreibt. Der Annoncentext, als erläuternde subscriptio lesbar, weist auf die ‚feine und leichte Zusammenstellung‘ der Zigarre hin: ‚Sumatra-Havana‘. Mit dieser Emblematik löst die Maria Mancini geschlechterspezifische und topografische Gegensätzlichkeiten auf, die zur Zeit der Jahrhundertwende das
142 Mann: Der Zauberberg, S. 76. 143 Sigmund Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. XI. Hg. von Anna Freud u.a. Frankfurt am Main 1999: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 156. 144 Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 156. Der Symbol-Begriff Freuds unterscheidet sich damit von demjenigen Manns: Freud gründet das Symbol auf einem Ähnlichkeitsverhältnis. „Das Wesen der Symbolbeziehung ist ein Vergleich“, erklärt Freud und räumt zugleich ein: „Man muß auch zugeben, daß der Begriff des Symbols derzeit nicht scharf abzugrenzen ist, er verschwimmt gegen die Ersetzung, Darstellung u.dgl., nähert sich selbst der Anspielung“ (ebd., S. 153). 145 Freud: Die Traumdeutung, S. 359.
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Rauchen von Zigarren und dasjenige von Zigaretten bestimmen, und schafft Übergängigkeiten zwischen beiden Formen des Tabakgenusses. Während das Rauchen von Zigarren als eine männliche Form des Tabakkonsums konnotiert ist, kommt den Zigaretten eine feminine Bedeutung zu.146 Zugleich verbinden sich durch die unterschiedliche Herkunft der Tabake für Zigarren und Zigaretten ganz unterschiedliche kulturelle Assoziationen mit den Genussmitteln: Die Zigarren stehen in der kolonialen Tradition der Eroberung Amerikas, ‚Havanna‘ bildet den Inbegriff für Zigarrenqualität; Zigaretten dagegen werden aus orientalischem Tabak hergestellt und insbesondere um die Jahrhundertwende darüber beworben, am prominentesten wohl durch die Marke Salem Aleikum Cigaretten der Orientalischen Tabak- und Cigarettenfabrik Yenidze mit ihrem moscheeartigen Fabrikgebäude in Dresden.147 Dieser topografische Gegensatz des Rauchens steht im Zusammenhang mit der weiter gefassten Europa-Asien-Diskussion des Zauberberg148 – als ‚Sumatra-Havana‘ verbindet die Maria Mancini die Pole des Westlichen und Östlichen ebenso, wie sie Übergängigkeiten zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit schafft. In der doppelten sexuellen Konnotierung der Zigarre als begehrtem Körper einerseits und Phallus-Symbol andererseits verbinden sich in der Maria Mancini das Lacansche ‚Phallus sein‘ und ‚Phallus haben‘ in einem dinglichen Gegenstand.149 Der Dialog zwischen Castorp und dem Hofrat spielt diese zwei Lesarten
146 Vgl. Schivelbusch: Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft, S. 132–139. 147 Den erotischen Aspekt dieses Orientalismus führt Peter Altenberg in seiner Prosaminiatur Souper vor, die im Umfeld der Wiener Völkerschau 1896 entstand. Der Ich-Erzähler überträgt darin das orientalische Reklame-Bild der Zigarettenmarke Kyriazi Imperatore auf Akóschia, eine Frau der afrikanischen Aschanti („Sie raucht, ein wenig zurückgelehnt.“). Peter Altenberg: Souper. In: Ders.: Ashantee. Berlin 1897: S. Fischer. S. 22–25, hier S. 23. Zu Altenbergs Ashantee siehe Volker Mergenthaler: Völkerschau – Kannibalismus – Fremdenlegion. Zur Ästhetik der Transgression (1897–1936). Tübingen 2005: Niemeyer. Zu Akóschia bes. S. 26f. 148 Dabei bilden ‚Europa‘ und ‚Asien‘ unscharfe Begriffe; so wird bspw. für Asien mitunter Russland synonym verwendet, was wiederum Castorps Rauchgewohnheit, nach dem Essen eine „russische Zigarette“ der Maria Mancini vorangehen zu lassen, eine unterstützende Funktion für die Thematisierung der Europa-Asien-Polarität durch das Rauchen zukommen lässt. Mann: Der Zauberberg, S. 52. Zur Thematisierung von Europa und Asien siehe Paul Michael Lützeler: Die Europa-Asien-Diskussion in Thomas Manns Der Zauberberg. In: Ders.: Kontinentalisierung. Das Europa der Schriftsteller. Bielefeld 2007: Aisthesis. S. 186–200. 149 Vgl. Jacques Lacan: Die Bedeutung des Phallus. In: Ders.: Schriften II. Hg. von Norbert Haas. Weinheim u. Berlin 1986: Quadriga Verlag. S. 119–132, bes. S. 130f. Judith Butler erläutert: „‚Der Phallus sein‘ und ‚den Phallus haben‘ benennt zwei unterschiedliche Positionen oder NichtPositionen (d.h. unmögliche Positionen) in der Sprache. So bedeutet der Phallus ‚sein‘ der ‚Signifikant‘ des Begehrens des Anderen zu sein bzw. als dieser Signifikant zu erscheinen. Anders formuliert: der Phallus ‚sein‘ heißt: das Objekt, der/die Andere eines (heterosexuellen) männ-
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nicht gegeneinander aus, sondern lässt sie – und dies möglicherweise ebenso „ziemlich unbekümmert“150, wie der Erzähler am Ende Castorp auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs aus dem Blick verliert – unentschieden. Zentrale Formulierungen aus der Beschreibung der Zigarre als begehrtem Körper lesen sich somit zugleich als Beschreibung eines Phallus: Hofrat Behrens’ Rede von ‚Saft und Kraft‘ lässt sich ebenso auf den Phallus beziehen wie das ‚Geäder, das zu pulsen schien‘. Dabei ist das ‚Phallus sein‘, also das Objekt des Begehrens, anders als bei Lacan nicht von vornherein heteronormativ festgelegt151: Der Phallus kann sowohl eine Frau wie ein Mann ‚sein‘, die beide durch den Signifikanten der Zigarre vertreten und dabei verlebendigt werden.152 Von besonderem Interesse ist hierbei, dass die Maria Mancini auf diese Weise in eine rhetorische Grundstruktur von Verlebendigung (der Zigarre als Körper) und Ersetzung (der eigentlich begehrten Person durch die Zigarre) eingebunden wird – den Elementen einer Rhetorik des Fetischismus.153 Weist Lacan darauf hin, dass der Phallus aufgrund seiner „signifikanten Funktion“ „den Wert eines Fetisch annimmt“,154 so bildet dies jedoch nur den einen Pol des Fetischismus. Denn indem die sexuelle Fetischisierung der Zigarre im Zauberberg an der ‚sehr schmackhaften Marke namens Maria Mancini‘ durchgespielt wird, verbinden sich darin die zwei leitenden Diskurse des Fetischismus, welche die Moderne hervorgebracht hat: die Psychoanalyse und der Warenfetischismus. Ihrem Zusammenhang gilt es im Folgenden nachzugehen, weil dieser zugleich einen neuen Blick auf Thomas Manns Beanspruchung der ‚Beseelung‘ als einem Privileg der Dichtung sowie auf das Verfahren der Leitmotivik erlaubt.
lichen Begehrens zu sein und zugleich dieses Begehren zu repräsentieren oder zu reflektieren.“ Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Aus dem Amerikanischen von Kathrina Menke. Frankfurt am Main 1991: Suhrkamp. S. 75. Für eine deutliche Kritik an Lacans heteronormativ geprägter Konzeption siehe Hartmut Böhme, der Lacan hierfür „den Tiefstand der strukturalen Psychoanalyse“ attestiert. Böhme: Fetischismus und Kultur, S. 432. 150 Mann: Der Zauberberg, S. 1085. 151 Zum Begriff der Heteronormativität siehe Peter Wagenknecht: Was ist Heteronormativität? Zu Geschichte und Gehalt des Begriffs. In: Ders., Jutta Hartmann, Christian Klesse, Bettina Fritzsche u. Kristina Hackmann (Hg.): Heteronormativität. Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht. Wiesbaden 2007: VS Verlag für Sozialwissenschaften. S. 17–34. 152 Die Subjekte des Begehrens bleiben indes männliche. 153 Siehe Böhme: Fetischismus und Kultur, S. 391–396. 154 Lacan: Die Bedeutung des Phallus, S. 131.
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2.5 Potenzierter Fetischismus: Konvergenzen von Warenästhetik und Psychoanalyse – und Manns Dichtungsprogramm der ‚Beseelung‘ Ursprünglich entstammt das Konzept des Fetischs der aufklärerischen Religionskritik des frühen 18. Jahrhundert und ist ein Produkt der Entdeckerreisen und mithin des Kolonialismus.155 Erst im 19. Jahrhundert wird es auf Phänomene der sich industrialisierenden und modernisierenden Kultur Europas übertragen und erlebt damit eine zweite und dritte Karriere, als Karl Marx den Begriff des Fetischs zur Beschreibung der Warenproduktion und -zirkulation im Kapitalismus nutzt und ein halbes Jahrhundert später Sigmund Freud den Fetischismus der „höchst interessante[n] Gruppe von Abirrungen des Sexualtriebes“156 zurechnet. Im Zauberberg überlagern und potenzieren sich diese beiden Konzepte des Fetischs. Die libidinösen Besetzungen der Maria Mancini machen ein Objekt zu ihrem sexuellen Fetisch, dem bereits aufgrund seiner Erscheinungsform als markenrechtlich geschützter Ware Fetischcharakter zukommt. Beide Konzepte begründen, wie Hartmut Böhme dargelegt hat, eine gemeinsame Rhetorik.157 Der Vergleich beider Konzepte legt jedoch auch eine Differenz frei, die erst durch das moderne Markenwesen, wie es zu Beginn des 20. Jahrhundert reflektiert wird, ausgefüllt wird.
2.5.1 Das Fetischkonzept der Psychoanalyse „Wenn ich nun mitteile, der Fetisch ist ein Penisersatz, so werde ich gewiß Enttäuschung hervorrufen“,158 räumt Sigmund Freud in seinem Artikel Fetischismus (1927) für die Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse ein, und um diese Enttäuschung abzuwenden, führt er aus: Ich beeile mich darum hinzuzufügen, nicht der Ersatz eines beliebigen, sondern eines bestimmten, ganz besonderen Penis, der in frühen Kinderjahren eine große Bedeutung hat, aber später verloren geht. Das heißt: er sollte normalerweise aufgegeben werden, aber ge-
155 Zur Herkunft des Fetischismuskonzepts siehe Kohl: Die Macht der Dinge, S. 69–91. Zum Fetischismus in Religion und Ethnografie siehe Böhme: Fetischismus und Kultur, S. 155–282. 156 Sigmund Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie [1905]. In: Ders.: Gesammelte Werke, Studienausgabe, Bd. V, S. 27–145, hier S. 52. 157 Böhme: Fetischismus und Kultur, S. 391–396. 158 Sigmund Freud: Fetischismus [1927]. In: Ders.: Gesammelte Werke. Studienausgabe, Bd. XIV, S. 309–317, hier S. 312.
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rade der Fetisch ist dazu bestimmt, ihn vor dem Untergang zu behüten. Um es klarer zu sagen, der Fetisch ist der Ersatz für den Phallus des Weibes (der Mutter), an den das Knäblein geglaubt hat und auf den es – wir wissen warum – nicht verzichten will.159
Der Fetisch wird somit zum Ersatz für den ödipal begehrten Phallus der Mutter und tritt „an seine Stelle“160. Damit erfüllt der Fetisch im Begehren eine Funktion, die in der Rhetorik der Trope zukommt: Etwas durch etwas anderes zu ersetzen. So wird dem Fetischisten der Fetisch zum eigentlich begehrten Objekt. Dabei argumentiert Freud doppelt, wenn es um die Wahl des Fetischobjekts geht. So beschreibt er die Genese des Fetischs zunächst als Resultat eines „Haltmachen[s] der Erinnerung“161. Es werde „der letzte Eindruck vor dem unheimlichen, traumatischen, als Fetisch festgehalten“162 – der Blick, der etwa auf die Füße fällt, bevor er den nicht vorhandenen Phallus entdeckt, erhebt diese zu seinem Fetisch. Zugleich räumt Freud jedoch ein, es sei damit nicht behauptet, dass „die Determinierung des Fetischs jedesmal mit Sicherheit durchschaut“163 werden könne. Es lasse sich, so Freud, jedoch aussprechen: „[D]as Normalvorbild des Fetisch ist der Penis des Mannes“.164 Damit verlagert sich die Argumentation auf die symbolischen Eigenschaften des Fetischs, die – wie im Falle der Maria Mancini im Zauberberg – auf einem Ähnlichkeitsverhältnis zum Phallus gründen. So würden „zum Ersatz des vermißten weiblichen Phallus [auch] solche Organe oder Objekte gewählt werden, die auch sonst als Symbole den Penis vertreten“.165 In beiden Fällen setzt die fetischisierende Substitution jedoch einen Akt der ‚Zerstückelung‘ voraus, bei dem ein ‚Teil‘, ein Partialobjekt (etwa die Füße oder ein phallusartiges Objekt aus dem Umfeld einer Person) einen anderen ‚Teil‘ (den Phallus) der begehrten ‚ganzen‘ Person (der Mutter) ersetzt. Der Prozess der Fetischbildung „selektiert einen und genau den einen sexuellen Signifikanten“ und setzt diesen „Teil an [die] Stelle des Ganzen“166. Funktioniert diese rhetorische Figur des pars in loco totius zunächst noch metonymisch, insofern der Fetisch der Peripherie der begehrten Person entstammt, so wird sie metaphorisch, indem der Fetisch anstelle der Person begehrt wird167: „Die fetischistische Synekdoché ist eine Figur, durch welche der Signifikant das Objekt, auf das er referiert, vollständig substitu-
159 Freud: Fetischismus, S. 312. 160 Freud: Fetischismus, S. 313. 161 Freud: Fetischismus, S. 314. 162 Freud: Fetischismus, S. 314. 163 Freud: Fetischismus, S. 315. 164 Freud: Fetischismus, S. 317. 165 Freud: Fetischismus, S. 314. 166 Böhme: Fetischismus und Kultur, S. 393. 167 Böhme: Fetischismus und Kultur, S. 393, vgl. auch 376.
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iert und dabei von diesem Objekt unabhängig wird.“168 Damit beginnt der Fetisch ein Eigenleben zu führen: Die rhetorische Figur der anthropomorphisierenden Prosopopoeia, die tote Dinge als lebendige erscheinen lässt, erweist sich damit neben dem pars in loco totius als die zweite zentrale Figur des Fetischismus169 – wie im Falle der von Castorp und Hofrat Behrens inspizierten Zigarre, deren Geäder zu ‚pulsieren‘ scheint.
2.5.2 Das Fetischkonzept von Marx In Marx’ Ausführungen über den Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis, die 1867 im Ersten Band des Kapital erscheinen, verläuft die Kopplung der beiden Figuren in umgekehrter Richtung: Die Prosopopoeia zieht die Figur des pars in loco totius als Erklärung nach sich. In den viel zitierten Ausführungen heißt es: Eine Ware ist auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, daß sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. Soweit sie Gebrauchswert, ist nichts Mysteriöses an ihr, ob ich sie nun unter dem Gesichtspunkt betrachte, daß sie durch ihre Eigenschaften menschliche Bedürfnisse befriedigt oder diese Eigenschaften erst als Produkt menschlicher Arbeit erhält. Es ist sinnenklar, daß der Mensch durch seine Tätigkeit die Formen der Naturstoffe in einer ihm nützlichen Weise verändert. Die Form des Holzes z.B. wird verändert, wenn man aus ihm einen Tisch macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinäres sinnliches Ding. Aber sobald er als Ware auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, sondern er stellt sich allen andren Waren gegenüber auf den Kopf und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne.170
Das Bild des tanzenden Tischs, das von den ‚wunderlichen Grillen‘ noch überboten wird, lässt die Ware nicht nur als menschlich handelnden, sondern überdies als menschlich denkenden Gegenstand erscheinen – darin liegt der Fetischcharakter der Ware begründet.171 Marx führt aus, die Warenform habe „mit ihrer
168 Böhme: Fetischismus und Kultur, S. 393. 169 Böhme: Fetischismus und Kultur, S. 394f. Siehe zur Anthropomorphisierung auch Kohl: Die Macht der Dinge, S. 107. 170 Marx: Das Kapital, S. 85. 171 Vgl. dazu den Kommentar von Otto Rühle, der den Fetischcharakter an der Metaphorik der Börse aufzeigt. Walter Benjamin zitiert ihn in seinem Passagen-Werk: „Mit dem Preisetikett betritt die Ware den Markt. Ihre stoffliche Individualität und Qualität bildet nur den Anreiz zum Tausche. Für die gesellschaftliche Einschätzung ihres Wertes ist sie völlig belanglos. Die Ware ist ein Abstraktum geworden. Einmal der Hand des Produzenten entflohen und ihrer realen Beson-
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physischen Natur […] absolut nichts zu schaffen“172. Vielmehr sei es „nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen“173 annehme: Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand. Dies nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist.174
Marx macht sich den Begriff des Fetischismus also explizit zunutze, um damit den als Ware erscheinenden Dingen ein ‚eignes Leben‘ zuzuschreiben und sie als ‚selbständige Gestalten‘ zu fassen. Die Argumentation geht den Veränderungen nach, zu denen es kommt, sobald ein Gegenstand vom bloß „nützliche[n] Ding“ zum „Wertding“, zur Ware, wird.175 Als ‚nützliches Ding‘ hat der Gegenstand Gebrauchswert, und dieser realisiert sich für Marx „ohne Austausch […], also im unmittelbaren Verhältnis zwischen Ding und Mensch“, während der Wert „umgekehrt nur im Austausch, d.h. in einem gesellschaftlichen Prozeß“ erzeugt werde.176 Wie auch immer der als vorsozial, vorkulturell gedachte Gebrauch von Dingen vorzustellen ist, kennzeichnend für die Waren, die in Marx’ schematischer Konstruktion dessen Gegenseite bilden, ist, dass ihr gesellschaftlicher Charakter eine Naturalisierung der Arbeit bewirkt, die zu ihrer Herstellung notwendig ist: „Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigen-
derheit ledig, hat sie aufgehört, Produkt zu sein und vom Menschen beherrscht zu werden. Sie hat eine ‚gespenstige Gegenständlichkeit‘ gewonnen und führt ein Eigenleben. ‚Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, daß sie ein vertracktes Dinge ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken.‘ Sie reiht sich, abgelöst vom Willen des Menschen, in eine geheimnisvolle Rangordnung ein, entwickelt oder verweigert Austauschfähigkeit, agiert nach eigenen Gesetzen als Schauspieler auf einer schemenhaften Bühne. In den Börsenberichten ‚steigt‘ Baumwolle, ‚stürzt‘ Kupfer, ist Mais ‚belebt‘, Braunkohle ‚flau‘, Weizen ‚zieht an‘ und Petroleum ‚entwickelt Tendenz‘. Die Dinge haben sich verselbständigt, nehmen menschliches Gebahren an …“. Otto Rühle: Karl Marx. Hier zit. nach Benjamin: Das Passagen-Werk, S. 245. 172 Marx: Das Kapital, S. 86. 173 Marx: Das Kapital, S. 86. 174 Marx: Das Kapital, S. 86f. 175 Marx: Das Kapital, S. 87. 176 Marx: Das Kapital, S. 98.
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schaften dieser Dinge zurückspiegelt“.177 Was menschlich ist, wird als dinglich, als dem Ding innewohnende Eigenschaft, gesehen. Erst dies bewirkt, dass wiederum die Dinge als menschliche Wesen erscheinen, also ihre rhetorische Form der Prosopopoeia. Das Oxymoron von den ‚gesellschaftlichen Natureigenschaften‘ zeigt an, dass es sich hierbei um eine komplexe semiologische Zuschreibung handelt178: Über dem Zeichen des Dings lagert sich ein sekundäres semiologisches System an, sobald das Ding als Ware erscheint, und verwandelt seine Geschichte, seine gesellschaftliche Gemachtheit, in Natur – genau darin liegt das Prinzip des Alltagmythos, dessen unablässige Produktivität für die moderne Waren- und Massenkultur Roland Barthes in seinen Mythologies beschrieben hat.179 Die Waren erscheinen tatsächlich ‚wie vom Himmel gefallen‘.180 Dabei besteht ein Verhältnis der partiellen Analogie zwischen dem ersten und dem zweiten semiologischen System: Das zweite, mythische Zeichen bedient sich beim ersten Zeichen, es lässt dabei „sehr viele Analogien fallen und hält nur einige zurück“.181 Dominiert das sekundäre über das primäre System, wie es als typisch für die Semiologie der Marke herausgearbeitet worden ist,182 und tritt es an dessen Stelle, entspricht dies rhetorisch dem pars in loco totius als der Grundfigur des Fetischismus. Darin liegt das „Quidproquo“ – die Ersetzung des Einen durch das Andere –, das Marx zufolge Arbeitsprodukte in Waren, „sinnlich übersinnliche oder gesellschaftliche Dinge“ verwandelt.183
2.5.3 ‚Beseelung‘ Rhetorisch entsprechen sich der sexuelle und der Warenfetischismus somit in ihrer Verbindung von Prosopopoeia und pars in loco totius. Gleichwohl bleibt eine entscheidende Differenz: Denn zwar beschreibt Marx das ‚Geheimnis‘ des Waren-
177 Marx: Das Kapital, S. 86. 178 Zur semiologischen Lesart von Marx’ politischer Ökonomie siehe Böhme: Fetischismus und Kultur, S. 324–327. Böhme argumentiert – William Pietz folgend –, dass „[a]ll diese rhetorischen Formeln zeigen, dass die politische Ökonomie auf der Ebene des Waren/Geld-Fetischismus in eine semiologische Theorie des Gesamtprozesses der kapitalistischen Gesellschaft mündet“ (S. 327). 179 Barthes: Mythologies. Siehe hierzu ausführlicher den Abschnitt 2.2. Faszination und kulturelle Vernetzung einer Marke: Roland Barthes’ semiologische Lektüre der ‚Citroën DS‘ als Alltagsmythos in der Einleitung zu dieser Arbeit. 180 So Barthes über die Citroën DS, siehe auch hierzu die Ausführungen in der Einleitung. 181 Roland Barthes: Mythen des Alltags. Frankfurt am Main 1964: Suhrkamp. S. 109. 182 Siehe die Einleitung zu dieser Arbeit. 183 Marx: Das Kapital, S. 86.
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fetischismus aus seiner Produktion und gesellschaftlichen Zirkulation heraus – was aber Waren überhaupt erst zu begehrten Dingen macht, erklärt er damit noch nicht. „Das Begehren“, bemerkt Karl-Heinz Kohl deshalb, „stellt offensichtlich den blinden Fleck in Marx’ einseitiger Herleitung des Fetischcharakters der Ware aus der ökonomischen Tauschsphäre dar“.184 Genau diesen ‚blinden Fleck‘ weiß die Markentheorie am Beginn des 20. Jahrhunderts auszufüllen. So widmet der Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler Franz Findeisen in seiner 1918/19 entstandenen Habilitationsschrift Die Markenartikel im Rahmen der Absatzökonomik der Betriebe dem Thema Seele und Ware einen eigenen Abschnitt, in dem er erklärt: „Von Seele und Ware zu sprechen, erscheint zunächst überraschend. Wenn man jedoch bedenkt, daß das wichtigste Absatzmittel, die Reklame, psychologische Einstellung besitzt, so lassen sich Beziehungen zwischen Seele und Ware schon hieraus erkennen. Die Menschenseele wird immer dann besonders empfindsam sein, wenn sie merkt, daß sie mit einer anderen Seele in Berührung kommt“.185 Ebendies erfülle sich in der Markenware: Diesen seelischen Konnex zu schaffen, ist eine der vornehmsten Aufgaben der Marke. Die Markenware spekuliert quasi auf das seelische Verhältnis zwischen Ware und Subjekt. Eine Ware, die nicht fähig ist, ein solch seelisches Verhältnis […] zum Subjekt auszulösen, taugt nicht zur Markenware. Man muß Vertrauen haben zur Ware, daß sie einem bestimmten Zweck am besten genügt.186
Findeisen begegnet mit seinen Ausführungen explizit dem Einwand, „daß ein totes Gut, wie es die Ware darstelle, keinen Einfluß auf die Seele haben kann“.187 Die Reklame diene daher als „Grundlage zur Schaffung der seelischen Voraussetzungen bei den Abnehmern“.188 Gelingt dies, so „legt der Mensch in seinem Sprachgebrauch den Waren selbst seelische Eigenschaften bei, indem er von den ‚Tücken‘ eines Motors spricht, oder indem er den Wein als ‚Freudenspender‘ bezeichnet“.189 Die Reklame erweist sich somit als ein Medium zur ‚Beseelung‘ von Waren. Findeisen gliedert damit die Figur der Prosopopoeia nicht nur in den Reklamediskurs ein und erhebt sie zu einem entscheidenden Bestandteil der Markentheorie. Das Konzept der Ware als einer Seele belegt überdies eine diskursive
184 Kohl: Die Macht der Dinge, S. 112. 185 Franz Findeisen: Die Markenartikel im Rahmen der Absatzökonomik der Betriebe. Berlin 1924: Industrieverlag Spaeth & Linde. [= Betriebs- u. finanzwirtschaftliche Forschungen. Hg. von Prof. Dr. F. Schmidt. II. Serie, H. 10.] S. 37. 186 Findeisen: Die Markenartikel im Rahmen der Absatzökonomik der Betriebe, S. 38. 187 Findeisen: Die Markenartikel im Rahmen der Absatzökonomik der Betriebe, S. 37. 188 Findeisen: Die Markenartikel im Rahmen der Absatzökonomik der Betriebe, S. 38f. 189 Findeisen: Die Markenartikel im Rahmen der Absatzökonomik der Betriebe, S. 38.
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Kapitel 2: Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive
Verbreitung jenes Konzepts, das Thomas Mann in Bilse und ich für sein Werk in Anspruch nahm, um den ‚Wesensunterschied‘ zwischen Literatur und Wirklichkeit zu markieren. ‚Beseelung‘, so zeigt Findeisens Abhandlung, ist nichts, das der Alltagswelt wesensfremd wäre, sondern am beginnenden 20. Jahrhundert durch die Warenästhetik fest in ihr verankert ist. Die als essentiell behauptete Grenze zwischen Literatur und Wirklichkeit revidiert sich damit schon in ihrer programmatischen Verkündung begrifflich selbst.190 Wenn ‚Beseelung‘ aber in der Warenästhetik jenen ‚blinden Fleck‘ markiert und ausfüllt, der sich aus der Begehrensdifferenz von sexuellem und Warenfetisch ergibt, dann stellt sich die Frage, ob nicht ein Dichtungskonzept, das sich auf ‚Beseelung‘ beruft, selbst fetischistische Züge trägt.
190 Nur scheinbar geht Thomas Mann zu diesem Konzept auf ironische Distanz, wenn er Hofrat Behrens über das Grammophon der (fingierten) Marke Polyhymnia sagen lässt: „‚Es ist das neueste Modell […] Letzte Errungenschaft, Kinder Ia, ff, was Besseres gibt es nicht in dem Janger.‘ Er sprach das Wort urkomisch-unmöglich aus, wie etwa ein minder gebildeter Verkäufer es anpreisend getan haben würde. ‚Das ist kein Apparat und keine Maschine‘, fuhr er fort, indem er aus einem der auf dem Tischchen angeordneten buntfarbigen Blechbüchschen eine Nadel nahm und sie befestigte, ‚das ist ein Instrument, das ist eine Stradivarius, eine Guarneri, da herrschen Resonanz- und Schwingungsverhältnisse vom ausgepichtesten Raffinemang! ‚Polyhymnia‘ heißt die Marke, wie die Inschrift hier im inneren Deckel Sie lehrt. Deutsches Fabrikat, wissen Sie. Wir machen das mit Abstand am besten. Das treusinnig Musikalische in neuzeitlich-mechanischer Gestalt. Die deutsche Seele up to date.‘“ (Mann: Zauberberg, S. 965f.). Auch wenn Mann das Grammophon vom Hofrat ‚wie von einem minder gebildeten Verkäufer‘ als die ‚deutsche Seele up to date‘ anpreisen lässt, so hält er selbst am Maßstab der ‚Beseelung fest‘ – dies zeigt seine euphorische Besprechung von Albert Renger-Patzschs Fotoband Die Welt ist schön, die 1928 in der Berliner Illustrirten Zeitung erscheint: „Technifizierung des Künstlerischen – gewiß, es klingt schlimm, es klingt nach Verfall und Untergang der Seele. Aber wenn nun, indem das Seelische der Technik anheimfällt, die Technik sich beseelt?“ Thomas Mann: Die Welt ist schön [Erstdruck: Berliner Illustrirte Zeitung, 23. 12. 1928]. Ders.: Gesammelte Werke. Frankfurt am Main 1990 (1964): Fischer Taschenbuch. Bd. 10, S. 901–904, hier S. 901. Dass Thomas Mann gerade RengerPatzschs Bildband diese ‚Beseelung‘ zugute hält, erscheint wie eine weitere unfreiwillige Bestätigung für die Nähe seines poetologischen Konzepts der ‚Beseelung‘ zur Warenästhetik, bezieht man Walter Benjamins Kritik an Renger-Patzschs Fotografien mit ein, der Reklame als das „wahre Gesicht“ dieser Bilder bezeichnet. Walter Benjamin: Kleine Geschichte der Photographie. [Erstdruck: Die literarische Welt, 18. 09., 25. 09. u. 02. 10. 1931]. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Hg. von Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main 1991: Suhrkamp. Bd. II-1: Aufsätze, Essays, Vorträge. S. 368–385, hier S. 383.
Die Maria Mancini als Fetisch der Textur: Zur Semiologie des ‚Leitmotivs‘
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2.6 Die Maria Mancini als Fetisch der Textur: Zur Semiologie des ‚Leitmotivs‘ Der Fetisch hat nicht allein eine rhetorische, sondern auch eine narrative Struktur. „Ein Fetisch“, erklärt der amerikanische Psychoanalytiker Robert Jesse Stoller, „ist eine Geschichte, die sich als Gegenstand ausgibt“.191 Genau dies tut die Zigarre Maria Mancini: Sie gibt sich als Gegenstand aus und erweist sich als Geschichte. Die Zigarre begleitet Hans Castorp schon in der vorausdeutenden Überzahl von 200 Stück für geplante drei Wochen Aufenthalt auf den Zauberberg und spielt bis zum Ende eine entscheidende Rolle.192 Castorp lässt sich immer wieder „ein paar hundert Stück“ davon aus Bremen „verschr[ei]ben“193, bis er die Maria Mancini schließlich gegen die Marke Rütlischwur eintauscht. „Das verstehe ich nicht!“, stellt Castorp verwundert fest, als Joachim eine Zigarre seines Cousins mit der Begründung ablehnt, er rauche ja nie: „Ich verstehe es nicht, wie jemand nicht rauchen kann, – er bringt sich doch, sozusagen, um des Lebens bestes Teil und jedenfalls um ein ganz eminentes Vergnügen! Wenn ich aufwache, so freue ich mich, daß ich tagüber werde rauchen dürfen, und wenn ich esse, so freue ich mich wieder darauf, ja ich kann sagen, daß ich eigentlich bloß esse, um rauchen zu können, wenn ich damit natürlich auch etwas übertreibe.“194 Unmittelbar darauf und für die Dauer der ersten Tage seines Aufenthaltes macht Castorp dann jedoch die Erfahrung, dass ihm „[j]eder Zug […] eine Enttäuschung“ ist, und er muss die Maria Mancini „geradezu wegwerfen“, da sie ihm „schmeckt wie Papiermaché“.195 Erst im Unterkapitel Das Thermometer, als sich nach Anbruch der dritten Woche abzuzeichnen beginnt, dass aus Castorps Besuch ein eigener Aufenthalt wird, kann Castorp erklären: „Maria ist gottlob die alte, seit einigen Tagen bin ich ihr wieder auf den Geschmack gekommen.“196 Doch von welchem Gott ist hier die Rede? Welchem Gott zum Lobe kommt Castorp der Maria Mancini wieder auf den Geschmack?
191 „[A] fetish is a story masquerading as an object.“ Robert J. Stoller: Observing the Erotic Imagination. New Haven 1985: Yale University Press. S. 155. Hier zit. nach Böhme: Fetischismus und Kultur, S. 401. 192 Dass die Überzahl Resultat des Fetischismus ist, folgt aus dem Zusammenhang von Fetischismus, Sammeln und Narration, auf den Mieke Bal hingewiesen hat. Mieke Bal: Kulturanalyse. Frankfurt am Main 2002: Suhrkamp. S. 117–145 [= Kapitel 5: Vielsagende Objekte. Das Sammeln aus narrativer Perspektive]. 193 Mann: Der Zauberberg, S. 532. 194 Mann: Der Zauberberg, S. 76. 195 Mann: Der Zauberberg, S. 82. 196 Mann: Der Zauberberg, S. 249. Herv. B. W.
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Kapitel 2: Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive
Am Freitag – dem Tag der Venus197 – vor der geplanten Abreise erscheint die Oberin Fräulein von Mylendonk in Castorps Zimmer wegen dessen sich anbahnender Erkältung. Sie gibt ihm ein „harmloses Antiseptikum“ der Marke Formamint mit dem Hinweis, es werde ihm „möglicherweise gut tun“.198 Wichtiger als das Medikament erweist sich jedoch das titelgebende Thermometer, das ihm Fräulein von Mylendonk verkauft: „Hier!“ sagte sie und kramte wieder in ihrer Tasche, um zwei längliche Lederetuis zum Vorschein zu bringen, ein schwarzes und ein rotes, die sie ebenfalls auf den Tisch legte. „Dieser hier kostet drei Franken fünfzig und der hier fünf Franken. Besser fahren Sie natürlich mit dem zu fünf. Das ist etwas fürs Leben, wenn Sie ordentlich damit umgehen.“ Er nahm lächelnd das rote Etui vom Tisch und öffnete es. Schmuck wie ein Geschmeide lag das gläserne Gerät in die genau nach seiner Figur ausgesparte Vertiefung der roten Samtpolsterung gebettet. Die ganzen Grade waren mit roten, die Zehntelgrade mit schwarzen Strichen markiert. Die Bezifferung war rot, der untere, verjüngte Teil mit spiegelig glänzendem Quecksilber gefüllt. Die Säule stand tief und kühl, weit unter dem Normalgrade tierischer Wärme. Hans Castorp wußte, was er sich und seinem Ansehen schuldig war. „Ich nehme diesen“, sagte er, ohne dem anderen nur Beachtung zu schenken. „Den hier zu fünf. Darf ich Ihnen sofort …“ „Abgemacht!“ quäkte die Oberin. „Nur nicht knausern bei wichtigen Anschaffungen! Eilt nicht, es kommt auf die Rechnung. Geben Sie her, wir wollen ihn erst noch recht klein machen, ganz hinunterjagen – so.“ Und sie nahm ihm das Thermometer aus der Hand, stieß es wiederholt in die Luft und trieb so das Quecksilber noch tiefer, bis unter 35 hinab. „Wird schon steigen, wird schon emporwandern, der Merkurius! […] Wünsche gute Ergebnisse!“199
Castorp schreibt dem Thermometer umgehend einen Wert zu, der über den Gebrauchswert hinausgeht, weiß er doch, ‚was er sich und seinem Ansehen schuldig war‘. Er entscheidet sich für das teurere Thermometer für fünf Franken, das auf einer ‚roten Samtpolsterung gebettet‘ liegt. Dass zwischen dem Thermometer und der Maria Mancini ein semantischer Zusammenhang besteht, wird im metaphorischen Kompositum der „Quecksilberzigarre“ – wie Hofrat Behrens das Thermometer bezeichnet – deutlich gemacht und später vom Erzähler in der Rede von der „gläserne[n] Zigarre“ wiederholt.200
197 Castorps Woche im Sanatorium, erklärt die extradiegetische Erzählinstanz, „lief hier von Dienstag bis Dienstag, denn an einem Dienstag war er ja angekommen“. Sie beginnt und endet damit an jenem Tag, der für Mars und die Männlichkeit steht. Seine Abreise plant Castorp für „Dienstag oder Mittwoch“, den Tag also des Mars oder des Merkur, was auf die folgenden Zusammenhänge vorausweist. Mann: Der Zauberberg, S. 245 u. 247. 198 Mann: Der Zauberberg, S. 255. 199 Mann: Der Zauberberg, S. 256f. 200 Mann: Der Zauberberg, S. 75f. u. 267.
Die Maria Mancini als Fetisch der Textur: Zur Semiologie des ‚Leitmotivs‘
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Zigarre und Thermometer werden somit auf der intra- wie auf der extradiegetischen Erzählebene miteinander verknüpft. Wie die Zigarre erhält auch das Thermometer – als ebenfalls ‚ziemlich langer‘ Gegenstand – die Bedeutung eines Phallus-Symbols, während das obsessiv beschriebene Etui in psychoanalytischer Lesart wie „Dosen, Schachteln, Kästen“ und Ähnliches „dem Frauenleib“201 entspricht und zugleich, folgt man Walter Benjamin, einem Kult um Etuis und Dosen entspringt, der sich im 19. Jahrhundert als ein bürgerlicher Umgang mit Waren etabliert und der darauf abzielt, „die Ware auf sentimentale Art zu vermenschlichen: der Ware, wie dem Menschen ein Haus zu geben“.202 Auf diese Weise wird das Thermometer – wie die Maria Mancini – einer doppelten Fetischisierung als Ware und als sexuellem Fetisch unterzogen. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass die Präsentation des in das Etui gebetteten Thermometers den Vergleich mit einem ‚Geschmeide‘, also einem goldschmiedenen Schmuckgegenstand, begründet. Damit wird das Thermometer in seinem Wert gesteigert, es wird vom bloßen Gebrauchsgegenstand zu einem repräsentativen Objekt von symbolischem Kapitalwert. Überdies ist, gemäß Johann Georg Kruenitz’ Oekonomischer Encyclopaedie (1773–1858), was als ‚geschmeidig‘ gilt, „[e]igentlich, was sich leicht schmieden, und in weiterer Bedeutung, was sich leicht ausdehnen läßt“.203 Körperliche Ausdehnung bildet das Funktionsprinzip des Quecksilberthermometers. In der Zauberberg-Passage wird diese Ausdehnung bildlich in die Bewegung des ‚Aufsteigens‘ übersetzt – ‚Wird schon steigen, wird schon emporwandern, der Merkurius!‘ – und liefert damit einen beinahe direkten Verweis auf Freuds Beschreibung der Phallus-Symbole als „Dinge[n], die ihm [dem Phallus, B. W.] in der Form ähnlich, also lang und hochragend sind“ und sich durch „[d]ie merkwürdige Eigenschaft […] sich gegen die Schwerkraft aufrichten zu können“ auszeichnen.204 Darin liegt die „geheimnisvoll obszön[e]“ Bewandtnis begründet, die es mit dem Erwerb des Thermometers auf sich habe, wie Thomas Mann 1919 in sei-
201 Freud: Die Traumdeutung, S. 359. 202 Walter Benjamin: Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter der Hochkapitalismus. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. I-2: Abhandlungen. Hg. von Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main 1991: Suhrkamp. S. 509–690, hier S. 671. 203 Art. ‚Geschmeide‘. In: Johann Georg Kruenitz: Oekonomische Encyclopaedie, oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft, in alphabetischer Ordnung. Berlin 1773–1858: Pauli. Bd. 17: Geld – Gesundheits=Versammlung. S. 487f., hier S. 488. [http:// www.kruenitz1.uni-trier.de/home.htm, 03. 05. 2010]. Herv. B. W. 204 Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 156. Zudem handelt es sich beim Thermometer um einen Gegenstand, der „die Eigenschaft des In-den-Körper-Eindringens […] mit dem Bezeichneten gemein“ (ebd.) hat.
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Kapitel 2: Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive
nem Tagebuch notiert.205 Bei dieser einfachen Wiederholung von Konnotationen der Maria Mancini durch das Quecksilberthermometer bleibt es jedoch nicht. In der Bezeichnung des Thermometers als ‚Merkurius‘, der lateinischen Bezeichnung für Quecksilber,206 wird, in einer erneuten Prosopopoeia, die noch zur Apotheose gesteigert wird, eben jener Gott benannt, um den Castorps wiedergewonnener Geschmack an der Zigarre kreist: Mercurius, der Sohn und Bote des Zeus, der zugleich der Führer der Schatten in das Haus des Hades ist, der Beschützer der Reisenden, der Glücksbringer und die Schutzgottheit der Diebe und Kaufleute und nicht zuletzt der Fruchtbarkeitsgott.207 Zahlreiche seiner Aufgaben erfüllt Mercurius auch für Castorp.208 Seinen Anteil am wiedergewonnenen Ge-
205 „Die Szene mit der Oberin geheimnisvoll obszön. ‚Merkurius‘ amüsierte mich.“ Thomas Mann: Tagebuch, Eintrag vom 21. 10. 1919. Hier zit. nach Thomas Sprecher: Die Krankenschwesterfiguren im frühen Werk Thomas Manns unter besonderer Berücksichtigung von Adriatica von Mylendonk. In: Ders. (Hg.): Literatur und Krankheit im fin-de-siècle (1890–1914). Thomas Mann im europäischen Kontext. Die Davoser Literaturtage 2000. Frankfurt am Main 2002: Vittorio Klostermann. [= Thomas-Mann-Studien. Bd. 26.] S. 35–72, hier S. 57. 206 „Quecksilber, Wassersilber, Merkur (lat. Mercurius oder Hydrargyrum […]“. Brockhaus Konversationslexikon, 14. Auflage, 1894–1896, Bd. 13: Perugia – Rudersport, S. 554. 207 Vgl. Michael Grant u. John Hazel: Lexikon der antiken Mythen und Gestalten. München 111995 (1980): Deutscher Taschenbuch Verlag. S. 203. Über die Vielzahl seiner Aufgaben lässt Lukian in seinen Göttergesprächen den sich elend und geplagt fühlenden Merkur klagen, Lukian von Samosata: Göttergespräche. In: Ders.: Lügengeschichten und Dialoge. Aus dem Griechischen übersetzt und mit Anmerkungen und Erläuterungen versehen von Christoph Martin Wieland. Nördlingen 1985: Franz Greno. S. 455–542, bes. S. 534f. 208 So mag Castorp schon als Reisender auf seinem Weg von Hamburg nach Davos unter dem Schutz Mercurius’ stehen. Spätestens wenn diese Reise als Weg in Hades’ Unterwelt gedeutet wird, ist Mercurius’ Zuständigkeit jedoch angedeutet (diese Verkehrung der real-geografischen Topografie in eine mythische ist Gegenstand des ersten Gesprächs zwischen Castorp und Settembrini, vgl. Mann: Der Zauberberg, S. 90). Und insbesondere ist es ‚Merkurius‘, der eine eigene Ökonomie auf dem Zauberberg in Gang setzt. Denn die ‚guten Ergebnisse‘, die Fräulein von Mylendonk Castorp mit den neu erworbenen Thermometer wünscht, werden mit einer Zahlenbesessenheit gemessen und in Fieberkurven festgehalten, die den Kursschwankungen an der Börse gleichen und die um 1900 an Popularität gewinnen. Noch die Zehntelgrade werden auf ein Halb genau gemessen: „‚Ja, das sind 37 Komma 5½.‘ – ‚Dann ist es etwas zurückgegangen!‘ versetzte Hans Castorp rasch [gegenüber Joachim, B. W.]. ‚Es waren sechs.‘“ Kurz darauf kommentiert Hofrat Behrens die Fieberkurve, die sich aus Joachims „täglich fünfmaligen Messungen“ ergibt, mit den Worten „Komma 7, Komma 9, Komma 8“. Mann: Der Zauberberg, S. 261 u. 271. Zur ökonomischen Organisation des Sanatoriums selbst siehe ebd., S. 201. Zur Darstellung von Fieberkurven um die Jahrhundertwende siehe Sybilla Nikolow: Der statistische Blick auf Krankheit und Gesundheit. ‚Kurvenlandschaften‘ in Gesundheitsausstellungen am Beginn des 20. Jahrhunderts. In: Ute Gerhard, Jürgen Link u. Ernst Schulte-Holtey (Hg.): Infografiken, Medien, Normalisierung. Zur Kartografie politisch-sozialer Landschaften. Heidelberg 2001: Synchron Wissenschaftsverlag
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schmack der Maria Mancini erfüllt ‚Merkurius‘ zum einen innerhalb der Diegese, insofern er die erhöhte Temperatur anzeigt, die den Grund für Castorps weiteren Verbleib im Sanatorium liefert. Doch wie die Bezeichnung des Thermometers als ‚Quecksilberzigarre‘ anzeigt, steht ‚Merkurius‘ zum anderen in einem Textzusammenhang, der durch Bezüge zwischen den Dingen der dargestellten Welt neue Möglichkeiten zur Textauslegung eröffnet. So erscheint Mercurius im Zauberberg nicht nur als der Schutzgott der Waren (lat. merces) wie dem Thermometer und der Maria Mancini, sondern zugleich auch als seine griechische Entsprechung Hermes, der Gottheit der Sprache, Rede und Auslegung (griech. hermeneía).209 Hermes gewinnt seine Macht der Zeichenauslegung durch einen Trick: Er verwischt und verkehrt die eigenen Spuren, für deren Ausdeutung er sich später als zuständig und kompetent erklärt. Eine „hermeneutisch-hermetische[] Verkehrung“ bildet damit, so Jochen Hörisch, die Gründungsfigur der Hermeneutik:210 „spurenreich und doch spurenlos“ lässt Hermes die Kuhherde des Apollon verschwinden und schafft damit „allererst den hermeneutischen Bedarf des Verstehens, den er dann befriedigen zu können sich anheischig macht“211 – ein Vorgehen, das ihn zugleich als raffinierte Gottheit des Handels auszeichnet, die um die Notwendigkeit weiß, dass die Nachfrage für das eigene Angebot oft genug zuallererst geschaffen werden muss. Denn die Ware, erklärt Franz Findeisen das Wesen der Absatzökonomik, diene zwar „zur Befriedigung des Hungers“, zu bedenken sei dabei jedoch, „daß das Hungergefühl künstlich angefacht (Reklame) oder vergrößert werden kann. Der Appetit wächst nicht selten auch beim Essen“.212 Diesem Prinzip folgt die Poetik des Zauberberg. Diese organisiert um die phallusförmigen Waren wie das Thermometer, die Bleistifte und die Zigarren
der Autoren. S. 223–242. Zur Popularisierung des Finanzmarkts um 1900 siehe Urs Stäheli: Spektakuläre Spekulation. Das Populäre der Ökonomie. Frankfurt am Main 2007: Suhrkamp. 209 Zu den etymologischen Herleitungen von Hermes und Mercurius siehe Hans-K. Lücke u. Susanne Lücke: Antike Mythologie. Ein Handbuch. Der Mythos und seine Überlieferung in Literatur und bildender Kunst. Reinbek 1999: Rowohlt Taschenbuch Verlag. S. 444f. Zur Hermes-Gestalt im Zauberberg siehe auch Helmut Koopmann: Die Entwicklung des ‚intellektualen Romans‘ bei Thomas Mann. Untersuchungen zur Struktur von „Buddenbrooks“, „Königliche Hoheit“ und „Der Zauberberg“. Bonn 1962: H. Bouvier Verlag. [= Bonner Arbeiten zur deutschen Literatur. Hg. von Benno von Wiese. Bd. 5.] S. 155–162. 210 Jochen Hörisch: Die Wut des Verstehens. Zur Kritik der Hermeneutik. Erweiterte Nachauflage. Frankfurt am Main 1998: Suhrkamp. S. 15. 211 Hermes stiehlt dem Musengott Apollon fünfzig edle Kühe, bindet ihnen aus Gras geflochtene Sohlen so an die Hufe, dass die vorderen Hufe zu den hinteren werden und umgekehrt. „Anderntags“, kommentiert Jochen Hörisch, „ist die Herde spurenreich und doch spurenlos verschwunden.“ Hörisch: Die Wut des Verstehens, S. 14f. u. 16. Herv. B. W. 212 Findeisen: Die Markenartikel im Rahmen der Absatzökonomik der Betriebe, S. 27.
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ebenfalls ein Wechselspiel von Hermetik und Hermeneutik. So begründet Castorps Tausch der Maria Mancini gegen die Rütlischwur in den Worten der narrativen Instanz einen „hermetischen Zauber“213. Durch diesen Tausch wird Castorps Verbindung zum Festland gekappt, darüber hinaus aber auch die Verbindung des Textes zum ‚transliterarischen Bezugssystem‘ der realen Warenwelt, da sich der Roman mit der Marke Rütlischwur seine eigene, nicht in der vorgängigen Realität vorhandene Marke schafft. Das Unterkapitel Das Thermometer führt diese drei Dinge (Thermometer, Zigarre und Bleistift) zusammen und rückt sie syntagmatisch in einen Zusammenhang, der sich auch in semantischer Hinsicht in der Metonymie ‚ziemlich langer‘ Gegenstände erfüllt214: Während einer der Liegekuren überschlägt Castorp unter Zuhilfenahme eines aus seinem Zimmer geholten Bleistiftes, dass er „dem Leben hier oben wirtschaftlich mehr als gewachsen sei“215, kurz darauf zeigt sein neu angeschafftes Thermometer jene erhöhte Temperatur, die seinen Verbleib im Sanatorium Berghof notwendig erscheinen lässt und damit die Voraussetzung schafft für die spätere ‚Bleistiftübergabe‘ zwischen Castorp und Madame Chauchat während der Walpurgisnacht. Angesichts dieses sich ankündigenden weiteren Verbleibs im Sanatorium entwickelt die Maria Mancini für Castorp wieder ihr volles Aroma. Zu den Launen des Merkur – wie ein Abschnitt des Fünften Kapitels betitelt ist – gehört, dass der „nun also über beide Ohren in Clawdia Chauchat verliebt[e]“ Hans Castorp, „im Besitz des Grußes, des Wortes, des Lächelns“ wie Hermes „[a]uf Flügelsohlen […] eilt[]“.216 In erlebter Rede teilt der Erzähler mit: „Ja, Joachim hatte recht gehabt: Merkurius stieg wieder!“217 ‚Geheimnisvoll obszön‘ ist damit nicht nur der Erwerb des Thermometers, sondern auch seine Benennung als ‚Merkurius‘, dem „geradezu obszön schnell Heranwachsende[n]“218, der in seiner griechischen Gestalt Hermes mit ithyophallischen Steinmalen verehrt wurde.219 213 Mann: Der Zauberberg, S. 1074. 214 Zum Zusammenhang von räumlicher und semantischer Kontiguität siehe Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 245f. 215 Mann: Der Zauberberg, S. 247. 216 Mann: Der Zauberberg, S. 349 u. 357. 217 Mann: Der Zauberberg, S. 358. 218 Hörisch: Die Wut des Verstehens, S. 13. Vgl. dazu auch Lukian: Göttergespräche, S. 475–478 [VII. Merkurs Kindheit und frühzeitige Talente]. 219 Zu Hermes und den Hermen siehe Erika Simon: Die Götter der Griechen. München 1969: Hirmer Verlag. S. 295–316. Dass diese Hermen zugleich als Grenze zwischen einzelnen Stammesterritorien wie auch als bevorzugter Ort des Warentauschs dienten, lässt sie gleichermaßen die hermetische Abgrenzung und die Durchlässigkeit von Grenzen verkörpern, wie sie vom New Historicism im Hinblick auf diskursive Ordnungen theoretisch reflektiert worden sind und die zu den theoretischen Grundannahmen dieser Arbeit zählen. Zu Hermen als Abgrenzung von Stammesterritorien siehe Kohl: Die Macht der Dinge, S. 109.
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Die metonymische Verkettung von Zigarre, Thermometer und Bleistift weist somit über die Funktion der Metonymie als dem Grundprinzip realistischen Erzählens hinaus.220 Sie steht – davon zeugt die metaphorische Ableitung des Begriffs Verkettung – in der tradierten Auffassung des Textes als einem ‚Gewebe‘. Bereits im Mai 1915, noch am Beginn seiner Arbeit am Zauberberg, meldet Thomas Mann an Korfiz Holm: „Jetzt flechte ich auch wieder an meinem Roman weiter“.221 Mann schreibt seinen entstehenden Text damit von Anfang an in die Gewebemetaphorik ein, auf die auch der Erzähler des Romans mit einem kaum zu übersehenden poetologischen Hinweis aufmerksam macht, wenn er staunend feststellt: „Wunderlich hin und her laufende Beziehungen! Es reizt uns, ihre verschlungenen Fäden einen Augenblick allgemein sichtbar zu machen“.222 Mit dieser Leseanweisung wird jener hermeneutische ‚Appetit‘, ein hermeneutische Begehren, erzeugt, das die Leitmotivik befriedigt. Dass die Anleitung erst nach vier verstrichenen Fünfteln der Erzählzeit erfolgt, entspricht den Ansprüchen des hermeneutischen Zirkels – er will wiederholt durchschritten werden223 – wie auch einer ökonomischen Strategie, die auf wiederholten Konsum abzielt. Früh ist das „System von Beziehungen“224, das die Texturen in Manns Werk entwickeln, nicht nur durch die textile Metapher des Gewebes, sondern vor allem mit der musikalischen Entlehnung des ‚Leitmotivs‘ beschrieben worden,225 die
220 Zur Metonymie als Grundprinzip des Realismus siehe Roman Jakobson: Der Doppelcharakter der Sprache. In: Anselm Haverkamp (Hg.): Theorie der Metapher. Darmstadt 1983: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. [= Wege der Forschung. Bd. 389.] S. 163–174, bes. S. 169f. 221 Mann: Brief an Korfiz Holm, München, 06. 05. 1915, S. 12. 222 Mann: Der Zauberberg, S. 877. 223 „Wir erinnern uns hier der hermeneutischen Regel, daß man das Ganze aus dem Einzelnen und das Einzelne aus dem Ganzen verstehen müsse. […] Es ist ein zirkelhaftes Verhältnis“. HansGeorg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen 41975: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). S. 275. Dem entspricht Thomas Manns nachträgliche, in seinem Vortrag Einführung in den ‚Zauberberg‘ (1939) aufgestellte Forderung, den Roman zweimal zu lesen. Unter erneuter Aufrufung des Höhen- und Tiefenparadigmas erklärt Mann darin den Studierenden von Princeton: „Was soll ich nun über das Buch selbst sagen und darüber, wie es zu lesen sei? Der Beginn ist eine sehr arrogante Forderung, nämlich die, daß man es zweimal lesen soll […] denn seine besondere Machart, sein Charakter als Komposition bringt es mit sich, daß das Vergnügen des Lesers sich beim zweiten Mal erhöhen und vertiefen wird“. Mann: Einführung in den ‚Zauberberg‘, S. 610f. 224 Werner Frizen: Thomas Manns Sprache. In: Koopmann (Hg.): Thomas-Mann-Handbuch, S. 854–874, hier S. 868. 225 Als erste umfassende literaturwissenschaftliche Untersuchung zur Leitmotivik bei Thomas Mann siehe Ronald Peacock: Das Leitmotiv bei Thomas Mann. Bern 1934: Paul Haupt, Akademische Buchhandlung vorm. Max Drechsel. [= Forschungen zur Sprach- und Literaturwissenschaft. Hg. von Harry Maync, S. Singer u. F. Strich. H. 55]. Mit Blick auf den Zauberberg erklärt
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sich an jener Kunstform orientiert, die als die am wenigsten referentielle gilt.226 Oskar Walzel sieht in den Leitmotiven in Dichtungen – so der Titel seines Aufsatzes, der sich bereits 1917 mit dem Leitmotiv bei Dickens, Goethe, Zola, E. T. A. Hoffmann, Thomas Mann u.a. auseinandersetzt – ein „rein formales Mittel, den Inhalt der Worte zu steigern, ihm etwas hinzuzufügen“.227 Während die Leitmotivik einerseits den Wörtern etwas ‚hinzufügt‘, nämlich Bedeutungen, die ihnen sonst nicht oder nicht in dieser Weise zukommen, so regelt sie, textsemiotisch betrachtet, andererseits die Begrenzung der Semiose, also des „Prozeß[es] des Zeichengebrauchs, genauer: der unbegrenzten Ersetzbarkeit von Zeichen durch Zeichen“.228 Die metaphorische Bezeichnung des Thermometers als ‚Quecksilberzigarre‘ oder ‚gläserne Zigarre‘ stellt zwischen Zigarre und Thermometer einen Zusammenhang her und macht das Sem [langer, phallusartiger Gegenstand], auf das die extradiegetische Erzählinstanz mit Bezug auf die Zigarre als einem ‚ziemlich langen‘ Gegenstand aufmerksam gemacht hatte, zum tertium comparationis. Als ihr gemeinsames, wiederkehrendes Bedeutungselement, ihr dominant-rekurrentes Sem, etabliert es somit einen isotopen Plan, der sich vom Thermometer und der Zigarre weiter auf den Bleistift überträgt. Die Lexeme /Zigarre/, /Thermometer/ und /Bleistift/ werden dadurch keineswegs vollständig monosemiert: Sie bleiben stets auch in ihrer Gegenständlichkeit erhalten und haben Anteil an der
Peacock, dieser stelle nun „nicht nur die Bewährung, sondern die volle Entfaltung des Leitmotivs als notwendigen Ausdrucks für Manns Gehalt“ dar (ebd., S. 52). Peacock hebt insbesondere die Leitmotivik um Pribislav Hippe und Clawdia Chauchat hervor. 226 Jochen Hörisch: Gott, Geld und Glück. Zur Logik der Liebe in den Bildungsromanen Goethes, Kellers und Thomas Manns. Frankfurt am Main 1983: Suhrkamp. S. 206. Der Aspekt der Entreferentialisierung ist wesentlich für die Terminologie der ‚Leitmotivik‘, so spricht Frizen davon, dass sie ein Beziehungsgeflecht bilde, „dem sich die Wirklichkeit fügen muß“. Frizen: Thomas Manns Sprache, S. 868. 227 Oskar Walzel: Leitmotive in Dichtungen [1917]. In: Ders.: Das Wortkunstwerk. Mittel seiner Erforschung. Leipzig 1926: Verlag Quelle & Meyer. S. 152–181, hier S. 157. Und beinahe identisch formuliert das Thomas-Mann-Handbuch: „Das epische Leitmotiv, so läßt es sich wenigstens im Hinblick auf Thomas Mann definieren, besteht aus einem identischen textlichen Grundelement – Adjektiv oder Substantiv, aber auch Verbindungen von beiden sind häufig. Zum Leitmotiv wird das Grundelement aber erst dadurch, daß es wiederholt wird und so als identisches Element in verschiedenen Bedeutungs- und Sinnzusammenhängen auftaucht. Auf diese Weise verdichten sich viele verschiedene semantische Dimensionen und Schichten und werden zum Kontext der leitmotivischen Einheit. Der Leser, der den Überblick über die leitmotivischen Verflechtungen und Verzweigungen hat, wird deshalb bei der Wahrnehmung der Leitmotive Bedeutungen und Sinnzusammenhänge realisieren, die den isolierten leitmotivischen Elementen selbst fremd sind“. Kristiansen: Das Problem des Realismus bei Thomas Mann, S. 829f. 228 Armin Burkhardt: Semiose. In: Helmut Glück (Hg.): Metzler Lexikon Sprache. Stuttgart 1993: J. B. Metzler. S. 545f., hier S. 545.
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dinglichen Diegese der Sanatoriumswelt – die Zigarre wird weiterhin auch geraucht, das Thermometer auch dazu verwendet, die Temperatur zu messen, mit dem Bleistift wird auch geschrieben und gezeichnet.229 Dennoch geht es immer nur darum, dass Castorp sich „sozusagen ‚einen Bleistift zu leihen‘“230 beabsichtigt. Durch seine isotope Hervorhebung löst sich das Sem [länglicher Gegenstand] von den Lexemen ab, gewinnt an Eigenständigkeit und lässt alle diese Dinge aufeinander verweisen: Die metonymische Nachbarschaft dieser Dinge, die im Unterkapitel Das Thermometer bereits im Kleinen syntagmatisch und semantisch enggeführt wird, weitet sich somit als Verweisungszusammenhang auf die gesamte Textur des Zauberberg aus und begründet darin die Metaphorik des ‚Netzes‘ oder ‚Gewebes‘. Wenn Conrad Wandrey in seiner Besprechung des Zauberberg von „so überlegter, treu fleißiger Künstlerarbeit, bei der ein Glied fehllos ins andere greift“231 spricht, so ist mit dieser Wendung in unbeabsichtigter Polysemie das Zentrum ausgesprochen, um das herum sich die Leitmotivik im Zauberberg organisiert und das zugleich den Endpunkt der Verweisungen bildet232: der Phallus, der selbst
229 Insofern handelt es sich um eine ‚doppelte Isotopie‘: eine diegetisch-dingweltliche, eine phallisch-symbolische. Zur doppelten Isotopie siehe Ugo Volli: Semiotik. Eine Einführung in ihre Grundbegriffe. Tübingen u. Basel 2002: Francke. S. 92. Über die unterschiedlichen Formen des Zusammenspiels von narrativen und diskursiven Isotopien siehe Eco: Lector in Fabula, S. 115–127. 230 Mann: Der Zauberberg, S. 315. 231 Wandrey: Thomas Mann und sein Zauberberg, S. 431. 232 Darin zeigt sich die „Hand eines willensstarken Architekten“, die Conrad Wandrey über die Konstruktion des Zauberberg ins Feld führt (Wandrey: Thomas Mann und sein Zauberberg, S. 430). Sie sorgt dafür, dass das Gewebe eine feste Struktur bildet, wie sie Derrida beschreibt (dieser freilich, um sie zu überwinden): „Die Struktur oder vielmehr die Strukturalität der Struktur wurde, obgleich sie immer schon am Werk war, bis zu dem Ereignis, das ich festhalten möchte, immer wieder neutralisiert, reduziert: und zwar durch einen Gestus, der der Struktur ein Zentrum geben und sie auf einen Punkt der Präsenz, auf einen festen Ursprung beziehen wollte. Dieses Zentrum hatte nicht nur die Aufgabe, die Struktur zu orientieren, ins Gleichgewicht zu bringen und zu organisieren – es läßt sich in der Tat keine unorganisierte Struktur denken –, sondern es sollte vor allem dafür Sorge tragen, daß das Organisationsprinzip der Struktur dasjenige in Grenzen hielt, was wir das Spiel der Struktur nennen könnten. Indem das Zentrum einer Struktur die Kohärenz des Systems orientiert und organisiert, erlaubt es das Spiel der Elemente im Innern der Formtotalität. […] Doch das Zentrum setzt auch dem Spiel, das es eröffnet und ermöglicht, eine Grenze. Als Zentrum ist es der Punkt, an dem die Substitution der Inhalte, der Elemente, der Terme nicht mehr möglich ist“. Jacques Derrida: Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen. In: Ders.: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt am Main 1976: Suhrkamp. S. 422–442, hier S. 422. Zur Verlagerung der Semiose auf ein Zentrum siehe Eco: Semiotik und Philosophie der Sprache, S. 187. Zum Unterschied zwischen Dekonstruktion und hermetischer Semiose siehe Ders.: Die Grenzen der Interpretation. München u. Wien 1992: Carl Hanser. Bes. S. 425–441.
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Kapitel 2: Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive
nicht „benannt“233 wird und der, wie gesehen, nach Lacan sowohl das Subjekt des Begehrens (das den Phallus ‚hat‘) als auch das Objekt des Begehrens (das der Phallus ‚ist‘) bezeichnet.234 Als ein solches Zentrum der Semiose bildet der Phallus den „privilegierte[n] Signifikant[en]“235, der „bestimmt ist, die Signifikatswirkungen in ihrer Gesamtheit zu bezeichnen“ und „diese konditioniert durch seine Gegenwart als Signifikant“236 – auch wenn sich die Präsenz dieses Signifikanten in der Absenz, der Leerstelle, realisiert.237 So weist Lacan darauf hin, dass der Phallus die Rolle der phallozentrischen Konditionierung „nur verschleiert spielen kann“238, „als Zeichen der Latenz“.239 In dieser Latenz erweist sich der Phallus als der „Gipfel des Symbolischen im buchstäblichen […] Sinn“.240 Für Lacan kommt es damit zu einer Annäherung von Logos und Begehren. Denn als ‚privilegierter Signifikant‘ markiert der Phallus die Beziehung des Menschen „als Subjekt zum Signifikanten“, und in dieser Markierung konvergiert „der Part des Logos mit der Heraufkunft des Begehrens“.241 Anders gesagt: Während Conrad
233 „[S]o machte Hans Castorp sich doch wenig Sorge um die geistige Rechtfertigung seiner Empfindungen [für Pribislav Hippe, B. W.] oder gar darum, wie sie etwa notfalls zu benennen gewesen wären.“ Mann: Der Zauberberg, S. 185. Das Umgehen der Benennung wird überdies deutlich, wenn es über einen Vortrag Dr. Krokowskis über die Stinkmorchel, den phallus impudicus, heißt: „Und Dr. Krokowski hatte von einem Pilz gesprochen, berühmt schon seit dem klassischen Altertum seiner Form und der ihm zugeschriebenen [aphrodisierenden, B. W.] Kräfte wegen, – einer Morchel, in deren lateinischem Namen das Beiwort impudicus vorkam, und dessen Gestalt an die Liebe, dessen Geruch jedoch an den Tod erinnerte.“ Mann: Der Zauberberg, S. 551. Zum phallus impudicus siehe auch Erhard Schütz: Romane der Weimarer Republik. München 1986: Wilhelm Fink. S. 60–65. 234 Auf die Nähe dieser Romankonzeption zur psychoanalytischen Theorie Jacques Lacans hat erstmals Jochen Hörisch aufmerksam gemacht. Siehe das Kapitel Liebe und Bedeutsamkeit auf dem ‚Zauberberg‘ in Hörisch: Gott, Geld und Glück, S. 206–239. 235 Lacan: Die Bedeutung des Phallus, S. 128. 236 Lacan: Die Bedeutung des Phallus, S. 126. 237 So konstatiert auch Erhard Schütz: „Nicht von sich aus sind all die Zigarren, Spritzen, Thermometer und Stinkmorchel phallische Objekte“, sondern es handelt sich hierbei um „hergestellte Bedeutungen“: „Der Text deutet in fast jeder seiner Einzelheiten über sich hinaus und bildet mit der Vielfalt der Verknüpfungen ein fast unauflösbares Gewebe. Gerade in der Vielfalt und in den Wiederholungen sind andererseits aber Strukturen erkennbar, unter denen zur ‚Zwei-Deutigkeit‘ des Textes der genuine Bereich von Zweideutigkeiten die eindeutigsten Beweise liefert, eben der Bereich des Phallischen“. Schütz: Romane der Weimarer Republik, S. 64f. Herv. im Orig. 238 Lacan: Die Bedeutung des Phallus, S. 128. 239 Lacan: Die Bedeutung des Phallus, S. 128. 240 Lacan: Die Bedeutung des Phallus, S. 128. Lacan selbst betreibt diese Fetischisierung, und zwar mehr, als dass er diese analysiert (wie er es zu tun vorgibt); diese berechtigte und deutliche Kritik an Lacan übt Böhme: Fetischismus und Kultur, S. 431. 241 Lacan: Die Bedeutung des Phallus, S. 128.
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Wandrey in seiner Besprechung des Zauberberg befindet, dass das „Prinzip des Leitmotivs“ „den Lebensnerv dieser Kunst mit feindlicher Helle des Logos schmerzhaft“242 treffe, so erweisen sich vor dem Hintergrund von Lacans semiotischer Reformulierung der Psychoanalyse Logos und Begehren nicht als einander widersprechend, sondern sie treffen sich im Phallus als dem ‚privilegierten Signifikanten‘. Im Leitmotiv verhilft der Logos dem Text zu Leben und zu einem eigenen Begehren: „Der Roman“, heißt es in Oscar Wildes Bildnis des Dorian Gray (1890/91), „lebt von der Wiederholung, und die Wiederholung verwandelt Begierde in Kunst“.243 Diese Verwandlung stellt jedoch keinen Akt der ‚Sublimation‘ homosexueller Begierden des Autors dar,244 sondern einen performativen Aspekt des Textes selbst, der sich, Hermes beerbend, ‚spurenreich und doch spurenlos‘ in gleichzeitigem Verschweigen (die vermiedene Benennung des Phallus) und obsessivem Hinweisen (durch die leitmotivische Wiederholung) vollzieht.245 Performativ ist diese Gleichzeitigkeit insofern, als sie eine Dynamik in Gang setzt, die – bei aller Monumentalisierung der heteronormativen Ordnung im Phallus als dem ‚privilegierten Signifikanten‘ – das dichotome Schema von heterosexuellem vs. homosexuellem Begehren destabilisiert.246 Der Phallus ist, wie gesehen, zugleich und in nicht entscheidbarer Weise als weibliches und/oder männliches Objekt des Begehrens lesbar – und in solcher Unentschiedenheit liegt nach Derrida der Anfangspunkt des Fetischismus.247
242 Wandrey: Thomas Mann und sein Zauberberg, S. 424. 243 Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray, S. 214. 244 Wie dies in biografistisch argumentierenden Auseinandersetzungen geradezu unermüdlich wiederholt wird. So beispielsweise bei Wolfgang Popp: „[W]ie Proust entscheidet er [Thomas Mann, B. W.] sich, auf die sexuelle Realisierung seines homosexuellen Begehrens zu verzichten und dieses in der Kunst seines literarischen Erzählens zu kompensieren.“ Wolfgang Popp: Männerliebe. Homosexualität und Literatur. Stuttgart 1992: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung. S. 386. Der entscheidende Gewinn eines queer reading besteht eben darin, dass sie eine Lektüreweise ermöglicht, „die nicht nach dem Begehren des Autors, sondern des Textes fragt“. Andreas Kraß: Queer lesen. Literaturgeschichte und Queer Theory. In: Therese Frey Steffen, Caroline Rosenthal u. Anke Väth (Hg.): Gender Studies. Wissenschaftstheorien und Gesellschaftskritik. Würzburg 2004: Königshausen & Neumann. S. 233–248, hier S. 238. 245 Damit handelt es sich um gleichzeitige Verschwiegenheit und Bekanntgabe, secrecy und disclosure, die Sedgwick zu den spezifischen Binarismen zählt, die das Begriffspaar von Heterosexualität und Homosexualität seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hervorbringt. Sedgwick: Epistemology of the Closet, S. 72. 246 Zum Verhältnis von Performativität und Destabilisierung dichotomischer Schemata siehe Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen. Frankfurt am Main 2004: Suhrkamp. S. 33. 247 „Der Fetisch – im allgemeinen – beginnt also erst zu existieren, sobald er beginnt, sich mit Gegensätzen zu verknüpfen. Die doppelte Verknüpfung (double lien), dieses doppelte Ligament
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Als Leitmotiv wird die Maria Mancini somit nicht nur innerhalb der Diegese zum Fetisch Castorps, sie wird zum Fetisch der Romantextur selbst: Indem das Sem [länglicher, phallusartiger Gegenstand] den isotopen Plan entwirft, gewinnt es als rekurrent-dominantes Sem eine Eigenständigkeit gegenüber den Lexemen /Zigarre/, /Bleistift/, /Thermometer/ etc., es steht mitunter pars in loco totium für diese Lexeme und verbindet sie ‚leitmotivisch‘. Damit erübrigt sich eine explizite Benennung des Phallus als dem ‚privilegierten Signifikanten‘. Denn wo Benennung nicht möglich ist,248 vermag – so zeigt es der Mythos um die stumme Philomela, der die Metaphorik des Textes als Gewebe begründet – das Flechten als Ersatz zu dienen.249 Umgekehrt bewirkt das Gewebe, dass der Text „die Benennung auf[löst]“, und gerade diese Auflösung, schreibt Roland Barthes in Die Lust am Text, „nähert ihn der Wollust“.250 Anstelle der direkten Benennung verkettet sich das Gewebe um den, ja: zum Phallus als dem Signifikanten des Begehrens/Begehrten: (Text, Gewebe und Geflecht, das ist dasselbe). Jeder Faden, jeder Code ist eine Stimme; diese geflochtenen – oder flechtenden – Stimmen bilden das Schreiben […]. Der Symbolismus des Geflochtenen ist bekannt: Freud, der an die Herkunft des Webens denkt, sieht darin die Arbeit der Frau, die ihre Schamhaare zusammenflicht, um den Penis herzustellen, der ihr fehlt. Der Text ist im Grunde ein Fetisch.251
Das Begehren überschreitet auf diese Weise die Grenzen der Diegese: Die leitmotivischen Dinge im Zauberberg vermitteln nicht nur das Begehren zwischen den Figuren der Handlung, sondern sie machen den Text selbst zum Fetischobjekt (des Schreibenden oder des hermeneutisch Lesenden), der dadurch ein Eigenleben als sich selbst flechtendes Gewebe – Barthes’ Prosopopoeia der ‚flechten-
(double ligament) definiert also seine subtilste Struktur. […] Die Ökonomie des Fetisches ist mächtiger als die der – entscheidbaren – Wahrheit der Sache selbst“. Jacques Derrida: Glas. Aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek u. Markus Sedlaczek. München 2006: Wilhelm Fink. S. 251f. 248 „I am the Love that dare not speak its name“, erklärt Lord Alfred Douglas im Jahre 1894 öffentlich und macht damit die Verbindung von Heimlichkeit und Enthüllung im Rahmen des Diskurses um Homosexualität und Heterosexualität am und seit dem Ende des 19. Jahrhunderts deutlich. Sedgwick: Epistemology of the Closet, S. 74. 249 Ihrer Zunge beraubt, webt Philomela, was sie nicht mehr benennen kann, sodass ihr das Gewebe zum Ersatz der Sprache wird. Zum Philomela-Mythos siehe Lena Behmenburg: Philomela. Metamorphosen eines Mythos in der deutschen und französischen Literatur des Mittelalters. Berlin u. New York 2009: Walter de Gruyter. [= Trends in Medieval Philology. Hg. von Ingrid Kasten, Niklaus Largier u. Mireille Schnyder. Bd. 15.] 250 Barthes: Die Lust am Text, S. 67. 251 Roland Barthes: S/Z. Frankfurt am Main 1987: Suhrkamp. S. 160.
Der ‚hermetische Zauber‘ und das Archiv
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den Stimmen‘252 – erhält. Zugleich erscheint er „in Fetischobjekte, erotische Orte gespalten“253: die Leitmotive mit ihrem dominant-rekurrenten Sem.
2.7 Der ‚hermetische Zauber‘ und das Archiv Gerade die Dichte dieses Textgewebes ist es, die die Anziehungskraft des Zauberberg für Leser wie Walter Benjamin mitbegründet hat. Die ‚schlechtweg souveräne Mache‘, die insbesondere in den vielfältigen Verbindungen der Dinge zur Leitmotivik des Romans begründet liegt, befriedigt das hermeneutische Begehren und entwickelt damit jenen ‚hermetischen Zauber‘, der glauben macht, das Werk könne „aus sich selbst heraus verstanden werden“.254 Doch entsteht eine gewisse Textlust nicht auch gerade da, wo die vermeintliche Geschlossenheit des Textgewebes die Grenzen der gewobenen Hermetik überschreitet, außerhalb der clotûre einer hermetisch-hermeneutischen Semiose? Für ein archivistisches Interesse an Literatur jedenfalls entzündet sich Lust ebenso sehr an jenen Textstellen, an denen durch das dichte Gewebe des Zauberberg hindurch der ‚Text der Kultur‘ aufscheint, an denen sich der Text also für die vorgängige, außerliterarische Wirklichkeit öffnet. Auch dies impliziert ja die Gewebemetaphorik nach Barthes: dass sich der Text als „ein Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur“255 flicht – einschließlich der Stätten der Warenund Alltagskultur. „‚Hermetik‘“, befindet denn auch Hans Castorp, „ist gut gesagt“, nachdem ihm Naphta Ausführungen darüber gehalten hat, dass die „Stätte der Verwesung“ das Gefäß sei, „worin der Stoff seiner letzten Wandlung und Läuterung ent-
252 Die performative, autogenerative Qualität des Text-Gewebes betont Barthes nachdrücklich in Die Lust am Text: „Text heißt Gewebe; aber während man dieses Gewebe bisher immer als ein Produkt, einen fertigen Schleier aufgefaßt hat, hinter dem sich, mehr oder weniger verborgen, der Sinn (die Wahrheit) aufhält, betonen wir jetzt bei dem Gewebe die generative Vorstellung, daß der Text durch ein ständiges Flechten entsteht und sich selbst bearbeitet; in diesem Gewebe – dieser Textur – verloren, löst sich das Subjekt auf wie eine Spinne, die selbst in die konstruktiven Sekretionen ihres Netzes aufginge. Wenn wir Freude an Neologismen hätten, können wir die Texttheorie als eine Hyphologie definieren (hyphos ist das Gewebe und das Spinnetz).“ Barthes: Die Lust am Text, S. 94. 253 Barthes: Die Lust am Text, S. 83. 254 Lämmert: Bauformen des Erzählens, S. 27. 255 Barthes: Der Tod des Autors, S. 190. „Textualität“, stellt Baßler entsprechend fest, „ist eben das Medium nicht nur des Einzeltextes, sondern auch des Archivs, nicht nur der Intra-, sondern auch der Intertextualität, nicht nur der Kontiguität, sondern auch der Äquivalenz.“ Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, S. 245.
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gegengezwängt wird“.256 Das liest sich zunächst poetologisch: Das Buch als Stätte einer quasi-heideggerschen ‚Ver-wesung‘, als dem Ort, an dem ein Stoff – in Analogie zu den Ausführungen aus Bilse und ich – einen ‚Wesensunterschied‘ erfährt und ‚geläutert‘ wird. Doch Castorp durchkreuzt diese Poetik der Läuterung. In seinen Überlegungen gerät die hermetische Stätte der Verwesung zu einer archivistischen Stelle der Verweisung: „‚Hermetisch‘ – das Wort hat mir immer gefallen. Es ist ein richtiges Zauberwort mit unbestimmt weitläufigen Assoziationen. Entschuldigen Sie, aber ich muß immer dabei an unsere Weckgläser denken, die unsere Hamburger Hausdame – Schalleen heißt sie, ohne Frau und Fräulein, einfach Schalleen – in ihrer Speisekammer reihenweise auf den Börtern stehen hat, – hermetisch verschlossene Gläser mit Früchten und Fleisch und allem möglichen darin. Sie stehen Jahr und Tag, und wenn man eines aufmacht, nach Bedarf, so ist der Inhalt ganz frisch und unberührt, weder Jahr noch Tag hat ihm was anhaben können, man kann ihn genießen, wie er da ist. Das ist nun allerdings nicht Alchimie und Läuterung, es ist bloß Bewahrung, daher der Name Konserve. Aber das Zauberhafte daran ist, daß das Eingeweckte der Zeit entzogen war; es war hermetisch von ihr abgesperrt, die Zeit ging daran vorüber, es hatte keine Zeit, sondern stand außerhalb ihrer auf seinem Bort. Na, soviel von Weckgläsern. Es ist nicht viel dabei herausgekommen. Pardon. Sie wollten mich, glaube ich, noch weiter belehren.“257
Mit seinen Ausführungen unterläuft Castorp selbst die ‚unbestimmt weitläufigen Assoziationen‘, die das Wort Hermetik eröffnet und die im Kontext der Alchimie vor allem zu Hermes Trismegistos führen, einer Verbindung des griechischen Hermes und der ägyptischen Gottheit Thot.258 Seine Fähigkeit, „durch magische Siegel Schätze oder Gefäße zu verschließen“259, übersetzt Castorp in moderne Haushaltsführung und erklärt sich das Wesen der Hermetik über die Einmachgläser aus der Hamburger Speisekammer. Ausgerechnet den Begriff der Hermetik erschließt sich Castorp damit über ein Markenprodukt, das ab 1900 der Aufbewahrung und Frischhaltung von Nahrungsmitteln diente: die Weck’schen Einrichtungen, zu denen insbesondere die von Castorp genannten ‚Weckgläser‘
256 Mann: Der Zauberberg, S. 770. 257 Mann: Der Zauberberg, S. 770f. 258 Zur Gestalt des Hermes Trismegistos sowie zum Hermetismus siehe Florian Ebeling: Das Geheimnis des Hermes Trismegistos. Geschichte des Hermetismus von der Antike bis zur Neuzeit. Mit einem Vorwort von Jan Assmann. München 2005: C. H. Beck. Thot galt den Ägyptern als Erfinder der Alchimie, daneben u.a. als Gott der Zeit und der Zeitabschnitte, als Vertreter des Geistes und als Schutzherr der Bibliotheken. Siehe das Lemma ‚Hermes Trismegistos‘. In: Meyers Konversationslexikon. Leipzig u. Wien 41885–1892: Verlag des Bibliographischen Instituts. Bd. 8: Hainleite – Iriartea. S. 431f. 259 Lemma ‚Hermetisch‘. In: Meyers Konversationslexikon, Bd. 8, S. 432.
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Abb. 48: Erklärung der Gummiringe von Weck-Gläsern im Kochbuch „Koche auf Vorrat!“ der J. Weck G.m.b.H., um 1905.
zählen. Die ‚magischen Siegel‘ des Hermes Trismegistos erweisen sich hierbei als Gummiringe von „erklassige[r] Qualität, wodurch eine vielfache Benutzung […] möglich wird“260, wie das von der J. Weck G.m.b.H. herausgegebene Kochbuch „Koche auf Vorrat!“ erklärt (Abb. 48). Castorp setzt damit den Ausführungen
260 „Koche auf Vorrat!“. Handbuch für die Frischhaltung aller Nahrungsmittel mit den „Weck’schen Einrichtungen. 1. Bändchen: Obst, Gemüse, Pilze, Obst- und Beerensäfte, Mus, Marmelade, Kraut, Gelee und Latwerge. Hg. von der J. Weck G.m.b.H. Oeflingen 6o. J. [um 1909]: J. Weck G.m.b.H. S. 15.
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Naphtas über die veredelnde Wandlung und Läuterung des Stoffs durch Verwesung eine Konservierungsmethode entgegen, die wörtlich dazu dient, die Zersetzung „durch Verwesung und durch Fäulnis“261 zu verhindern. Bei der Konservierung in den Weck-Gläsern handelt es sich also gerade nicht um ‚Alchimie und Läuterung‘, also nicht um eine Veränderung, die einen ‚Wesensunterschied‘ mit sich brächte. Die Nennung der Marke Weck widersetzt sich der alchimistischen Tradition der Hermetik, die sie zu thematisieren vorgibt und rückt an die Stelle der alchimistischen ‚Beseelung‘ die archivistische Konservierung. Damit stellt sich abschließend noch einmal die Frage nach dem Verhältnis von Markenwaren und der ‚Hermetik‘ der Zauberberg-Textur. Zur ‚Hermetik‘ der abgeschiedenen Sanatoriumswelt, die sich gegen Ende des Romans noch steigert, gehört es, dass Castorp nach Clawdia Chauchats zweiter und endgültiger Abreise die Maria Mancini gegen eine Zigarrenmarke eintauscht, die er in Davos erhält. Mit diesem Tausch gibt sich Castorp vollends dem „hermetischen Zauber“262 hin. „Er hatte“, teilt die narrative Instanz mit, „hier oben eine Marke gefunden, die ihm zusagte, und der er nun ebenso Treue trug wie einst jener Freundin“263: [E]in Fabrikat, […] mit dem versehen, man einfach wie am Meere lag und es aushalten konnte, – eine besonders gut gepflegte Sandblattzigarre, namens „Rütlischwur“, etwas gedrungener, als Maria, mausgrau von Farbe, mit einem bläulichen Leibring, sehr fügsam und mild im Charakter und zu schneeweißer, haltbarer Asche, in welcher die Adern des Deckblattes stehen blieben, so gleichmäßig sich verzehrend, daß sie dem Genießenden statt einer fließenden Sanduhr hätte dienen können und ihm nach seinen Bedürfnissen auch so diente, denn seine Taschenuhr trug er nicht mehr.264
Der ‚hermetische Zauber‘ stellt sich durch den Tausch der Zigarrenmarke zunächst innerhalb der Diegese ein: Hatte die Maria Mancini „eine Art von Verbindung zwischen ihm, dem Entrückten, und dem Flachlande, der alten Heimat“265 gebildet, so erscheint „in der späten Zeit […] jede Fühlung mit dem Flachlande restlos aufgehoben“266. Darüber hinaus ersetzt die Rütlischwur Castorp nicht nur die Maria Mancini, sondern auch seine Taschenuhr. Auch hiermit wird eine Verbindung zum Flachland gekappt, wo die messbare Zeit, wie Georg Simmel 1903 bemerkt, in das „Verhältnis der Lebenselemente eine Präzision“ und einen „rech-
261 262 263 264 265 266
„Koche auf Vorrat!“, S. 28. Mann: Der Zauberberg, S. 1074. Mann: Der Zauberberg, S. 1074. Mann: Der Zauberberg, S. 1074. Mann: Der Zauberberg, S. 586. Mann: Der Zauberberg, S. 1074.
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nenden Geist“ gebracht habe, der „äußerlich durch die allgemeine Verbreitung der Taschenuhren bewirkt“ werde.267 Dieser doppelte Tausch innerhalb der Diegese bedeutet aber auch in archivistischer Hinsicht eine Hinwendung zu ‚hermetischem Zauber‘. Denn getauscht werden damit zwei reale gegen eine fiktive Marke. So handelt es sich bei Castorps Taschenuhr um ein „Glashüttenerzeugnis“268, das aufgrund seiner damit benannten Herkunft als die Glashütter Marke Nomos identifiziert werden könnte, für die Anfang des 20. Jahrhunderts Wilhelm Busch, Ernst Haeckel, Gerhart Hauptmann, Richard Strauß, Cosima Wagner, Ida Boy-Ed – die Förderin des jungen Thomas Mann – und zahlreiche weitere Schriftsteller, Musiker und Künstler mit ihrem Namen warben.269 „[G]ravierte[] Monogramm[e]“270, wie sie auch Castorps Taschenuhr zieren, zählten zu den Besonderheiten der Nomos-Uhren (Abb. 49), die ansonsten Simmels Beobachtung entsprechend den zeitökonomischen Anforderungen an den „moderne[n] Mensch[en]“271 dienlich zu sein versprachen. Dass Castorp auf das Tragen der Taschenuhr verzichtet, bedeutet auf der Ebene der histoire wie auf der Ebene des discours eine Abwendung von räumlichen und zeitlichen Koordinaten. Die Herkunftsbezeichnung der Uhr verweist noch auf eine konkrete geografische Topografie. Die hermetische Welt gegen Romanende dagegen entwirft einen Ort, der durch die fingierte Zigarrenmarke Rütlischwur zur politischen Utopie wird: Mehr als nur ein weiteres Motiv auf den Sammelmarken von Schokoladeherstellern (Abb. 50) steht der Rütlischwur für die um 1900 wirkmächtige homosoziale Utopie des Männerbundes – „Wir wollen
267 Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben, S. 119. 268 Mann: Der Zauberberg, S. 823. 269 Siehe Nomos-Uhr-Gesellschaft: Die moderne Taschenuhr. Glashütte/Sachsen o.J. [ca. 1907]: Nomos-Uhr-Gesellschaft Guido Müller & Co. S. 29–50. 270 Mann: Der Zauberberg, S. 822. 271 Nomos-Uhr-Gesellschaft: Die moderne Taschenuhr, S. 5. Dort heißt es weiter: „Die Uhr ist die sichtbare Zeit. Sie regelt unsern Tag im großen und im kleinen. Der moderne Mensch, den der rastlose Fortschritt auf allen Gebieten, die stets wachsenden Forderungen und Verpflichtungen des öffentlichen wie des privaten Lebens immer mehr zu einer konsequenten und planvollen Ausnutzung seiner Zeit zwingen, kann eine gute Uhr einfach nicht entbehren. Die Uhr wird in seiner Hand zu einer Art stillen Zauberwesens. Sie ist ihm die sicherste und treueste Helferin bei der Arbeit, die wertvollste Dienerin beim Vergnügen. Sie schafft uns Klarheit, Ruhe, Sicherheit und Freude, sie vermehrt unsere Leistungen, erhöht unseren Lebensgenuß und fördert, wenigstens indirekt, unseren Wohlstand. Der Mangel einer zuverlässigen Uhr bringt Unsicherheit und Unordnung in unser Leben, hat tausend Widerwärtigkeiten und Unannehmlichkeiten zur Folge, hindert und erschwert unsere Tätigkeit und vermindert schließlich sogar unseren Erwerb. Kurz, die Uhr ist das eigentlich regulierende Element in unserer ganzen äußeren Lebensführung“.
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Abb. 49: Werbung der Nomos-Uhr-Gesellschaft für Monogramm-Gravierungen, um 1907.
sein ein einzig Volk von Brüdern“272 –, wie sie insbesondere durch Hans Blüher in Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft (2 Bde., 1917/19) konzipiert und popularisiert wird.273
272 Friedrich Schiller: Wilhelm Tell. Schauspiel. Zweiter Aufzug, Zweite Szene. In: Ders.: Sämtliche Werke. Hg. von Peter-André Alt, Albert Meier u. Wolfgang Riedel. Bd. II: Dramen 2. Hg. von Peter-André Alt. München 2004: Deutscher Taschenbuchverlag. S. 913–1029, hier S. 964. 273 Siehe dazu Claudia Bruns: Politik des Eros. Der Männerbund in Wissenschaft, Politik und Jugendkultur (1890–1934). Köln 2008: Böhlau. Zur ‚Erfindung‘ des Männerbundes um 1900 bes. S. 10–28. In diesem Kontext stehen auch die Männerbünde Naphtas (Jesuitenorden), Settembrinis (Freimaurerei) und Behrens’ (Studentenkorps). Siehe dazu Böhm: Die homosexuellen Ele-
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Abb. 50: Der Schwur auf dem Rütli, Sammelbild von Hartwig & Vogel’s Tell-Chocolade, 1909.
Die Ersetzung der realen Marke Maria Mancini durch die fingierte Rütlischwur erweist sich somit als keineswegs vernachlässigbares poetisches Element: Die Hinwendung des Romans zu fingierten Marken – neben der Rütlischwur handelt es sich auch bei der Grammophonmarke Polyhymnia um eine fingierte Marke274 –
mente in Thomas Manns „Der Zauberberg“, S. 186f. Zur Konzeption der Männerbünde bei Blüher und Thomas Mann siehe auch Bernd Widdig: Männerbünde und Massen. Zur Krise männlicher Identität in der Literatur der Moderne. Opladen 1992: Westdeutscher Verlag. Bes. S. 33–72 u. 128–143. Zu Manns Rezeptions Blühers siehe Hans Wißkirchen: Republikanischer Eros. Zu Walt Whitmans und Hans Blühers Rolle in der politischen Publizistik Thomas Manns. In: Gerhard Härle (Hg.): „Heimsuchung und süßes Gift“. Erotik und Poetik bei Thomas Mann. Frankfurt am Main 1992: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 17–40. Auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs – auf dessen Ausbruch die Zigarre durch die Datierung des Rütlischwurs auf den 1. August vorausweist – werden diese Aushandlungsprozesse um die Männlichkeitsentwürfe der Moderne kulminieren, siehe dazu Albrecht Koschorke: Die Männer und die Moderne. In: Wolfgang Asholt u. Walter Fähnders (Hg.): Der Blick vom Wolkenkratzer. Avantgarde – Avantgardekritik – Avantgardeforschung. Amsterdam u. Atlanta 2000: Editions Rodopi. S. 141–162. 274 Mann: Der Zauberberg, S. 965f. Ganz der archivistischen Funktion enthoben sind freilich auch die fingierten Markennamen nicht: Ihrer Referentialisierbarkeit auf reale Markenprodukte enthoben, verweisen sie dennoch auf die zeitgenössischen Konstruktionsprinzipien von Mar-
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Kapitel 2: Herme(neu)tischer Zauber: Markenwaren als Leitmotive
Abb. 51: Zigarrenmarke Thomas Mann, 1931.
wirkt somit bedeutungssteigernd für die zunehmende und vom Roman selbst thematisierte Hermetik des Geschehens und realisiert überdies den Prozess der ‚Hermetisierung‘ als Verfahren des Textes selbst – das als solches allerdings erst dann kenntlich wird, wenn eine archivistische Lektüre den Markenwaren einen eigenen Wert beimisst anstatt den hermeneutischen Weisungen des Romans zu folgen und sein transliterarisches Bezugssystem der Warenwelt von vornherein für irrelevant zu erklären. Wenn Literatur aus Sachen Sätze macht, so haben diese Sätze eben doch eine ganze Menge mit den Sachen zu tun. Mit Irmgard Keuns Das kunstseidene Mädchen erscheint nur acht Jahre nach dem Zauberberg, 1932, ein Roman, der aus den Sachen der Warenwelt nicht nur Sätze macht, sondern die Faszination, die von warenästhetischen Phänomenen auszugehen vermag, zu
kenwaren zu Beginn des 20. Jahrhunderts. So werden durch die Firma Hartwig & Vogel Kakaound Schokoladenwaren unter der Marke Tell Chocolade Cacao vertrieben. Der Name Polyhymnia ist nicht nur einer mythologischen Figur entliehen, sondern erscheint wie eine Verbindung der damaligen Marken Polyphon und Hymnophon. Zur fingierten Marke Polyhymnia siehe Björn Weyand: Leitmotiv Marke. Markennamen zwischen kultureller Zeitgenossenschaft und ästhetischer Resemantisierung in Thomas Manns Der Zauberberg. In: Tim Lörke u. Christian Müller (Hg.): Thomas Manns kulturelle Zeitgenossenschaft. Würzburg 2009: Königshausen & Neumann. S. 117–131.
Der ‚hermetische Zauber‘ und das Archiv
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seinem eigentlichen Gegenstand erhebt und dabei die Mechanismen dieser Faszinationsproduktion und -konsumtion aufzeigt. Ein Jahr zuvor war es im übrigen doch noch zu einer Kooperation zwischen Thomas Mann und der Tabakindustrie gekommen: 1931 wird der Name des inzwischen mit dem Nobelpreis geadelten Dichters schließlich zum Namen einer Zigarrenmarke (Abb. 51).
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Kapitel 3: Die Faszination des Glanzes
Kapitel 3 Die Faszination des Glanzes: Irmgard Keuns Tagebuchroman Das kunstseidene Mädchen (1932) im Schnittfeld von Warenästhetik und Film Larmoyante Klagen über diese Wendung zum Massengeschmack hin sind verspätet.1 Siegfried Kracauer: Kult der Zerstreuung (1926)
Im Oktober 1929 finden die Leser des Scheinwerfer, der Zeitschrift der Städtischen Bühnen in Essen, eine programmatische Abhandlung über die Literatur und ihren Stellenwert in einer Gesellschaft, die von Massenkultur, Reklame, Film und amerikanischen Einflüssen geprägt ist. Darin heißt es: Ich für meinen Teil gestehe, daß ich eine gute Automobilreklame mit weit größerem Genusse lese als eines jener Produkte, in denen unter Voraussetzung völlig verfehlter Ansprüche versucht wird, Fragestellungen des deutschen Idealismus oder des Naturalismus wieder aufzuwärmen. Denn eine solche Reklame ist doch immerhin noch ein Spiegel unserer eigenen Existenz und nicht der Spiegel eines versunkenen Spiegelbildes. Nein, da greife, ich schon lieber auf die Quellen zurück, lese Hamann, Herder, Hoffmann, Laurence Sterne oder meinetwegen Zola und selbst Ibsen, aber ich will eher meinen Abend durch das amerikanischste Filmstück ausfüllen lassen als durch jene Klappermühlen, deren Triebwerk noch immer an diese Quellen angeschlossen ist, ohne daß ihr gelebtes Sein, ihr intelligibler, ja, selbst ihr empirischer Charakter einem solchen Anschlusse im mindesten entspräche. Ein amerikanischer Film nämlich gestattet mir, immerhin Beobachtungen am lebenden Objekt zu machen, er gibt mir etwa Aufschlüsse über die moderne großstädtische Sentimentalität, die dem flüchtigen und näselnden Schluchzen der Saxophone entspricht, während dieser kümmerliche Maskenzug „großer“ und „menschlicher“ Gefühle mich mit Langeweile und Ekel erfüllt.2
Ein ganzer Katalog neusachlich geprägter Topoi lässt diese Überlegungen manifestartigen Charakter gewinnen: Die Bevorzugung der Reklame als einem ‚Dokument‘ der zeitgenössischen Wirklichkeit gegenüber der Literatur mit ihrem histo-
1 Siegfried Kracauer: Kult der Zerstreuung. Über die Berliner Lichtspielhäuser. [Erstdruck: Frankfurter Zeitung, 04. 03. 1926]. In: Ders.: Das Ornament der Masse. Essays. Frankfurt am Main 1977: Suhrkamp. S. 311–317, hier S. 313. 2 Ernst Jünger: O. S. [Rezension zu Arnolt Bronnen: O. S. Berlin 1929: Rowohlt. Erstdruck: Der Scheinwerfer. Blätter der Städtischen Bühnen Essen 3 (1929) 3, S. 29–31]. In: Erhard Schütz u. Jochen Vogt (Hg.): Der Scheinwerfer. Ein Forum der Neuen Sachlichkeit 1927–1933. Essen 1986: Klartext-Verlag. S. 356–358, hier S. 357.
Kapitel 3: Die Faszination des Glanzes
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rischen Ballast des deutschen Idealismus, die Berufung auf die Empirie als notwendiger Grundlage der Literatur, die Einforderung eines Gebrauchswertes und die Bezeichnung literarischer Werke als ‚Produkte‘, die Orientierung an der Großstadt als Ort modernen Lebensgefühls, die Bezugnahme auf amerikanische Vorbilder und schließlich das Herbeizitieren des Films als Konkurrenzmedium der Literatur entsprechen der Programmatik und Ästhetik der Neuen Sachlichkeit, wie sie in der Weimarer Republik zwischen 1924 und 1932 lebhaft diskutiert worden ist.3 Tatsächlich handelt es sich allerdings um einen Auszug aus einer Besprechung von Arnolt Bronnens heftig umstrittenem Oberschlesien-Roman O. S., der nicht zuletzt zum Bruch zwischen Bronnen und Brecht führte. Als Rezensent firmiert der sich im Verlaufe der Rezension als „Nationalist“ ausweisende Ernst Jünger.4 Auf die ‚unheimlichen Nachbarschaften‘, zu denen es in der Weimarer Republik zwischen so unterschiedlichen Autoren wie Brecht, Walter Benjamin, Marieluise Fleißer u.a. einerseits und Jünger, Bronnen oder Carl Schmitt andererseits kommt, ist insbesondere im Hinblick auf den Kältekult und seine Verhaltenslehren hingewiesen worden.5 Wie Jüngers Ausführungen zeigen, besteht diese diskursive Nähe ebenfalls in der Auseinandersetzung mit massenkulturellen Oberflächenphänomenen wie Reklame und Film sowie in der Auffassung, dass sich die Literatur an diesen zu messen lassen habe – so unterschiedlich auch die
3 Zur Programmatik und Ästhetik der Neuen Sachlichkeit siehe Sabina Becker: Neue Sachlichkeit. Bd. 1: Die Ästhetik der neusachlichen Literatur (1920–1933). Köln, Weimar u. Wien 2000: Böhlau. Sowie den dazugehörigen Materialienband Dies. (Hg.): Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente. Köln, Weimar u. Wien 2000: Böhlau. Zu den literarischen Debatten der Weimarer Republik insgesamt siehe Anton Kaes (Hg.): Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918–1933. Stuttgart 1983: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung. 4 Jünger: O. S., S. 358. In Bronnens Roman erkennt Jünger vor allem einen „symptomatische[n] Wert“ einer „Zeit ohne Ordnung, Gesetz und absolute Wertungen“ im Politischen und Moralischen: „Der Wert des Romans nun liegt eben darin, daß er einen Eindruck gibt, in welcher Weise sich die Auflösung der juristischen und moralischen Gesetze innerhalb der eigenartigen Landschaft der modernen Zivilisation vollzieht.“ Jüngers Interesse gilt dem daraus entstehenden „anarchischen Raum[]“, von dem es „vollkommen nebensächlich“ sei, ob er „gut, schön oder gesetzlich ist“ (S. 357, 356 u. 358). Jünger wird diesem im Umbruch befindlichen Raum mit Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt (1932) eine eigene Abhandlung widmen und darin die gespenstische Ruderalfläche einer „Werkstättenlandschaft“ entwerfen, die von der Mobilmachung eines neuen soldatischen Typus schwärmt. Ernst Jünger: Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt [1932]. Stuttgart 1982: Klett-Cotta. 5 Helmut Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt am Main 1994: Suhrkamp. Zur Wendung der ‚unheimlichen Nachbarschaften‘ siehe Ders.: Unheimliche Nachbarschaften. Neues vom neusachlichen Jahrzehnt. In: Jahrbuch zur Literatur der Weimarer Republik, 1 (1995), S. 76–92.
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Kapitel 3: Die Faszination des Glanzes
Schlussfolgerungen ausfallen, die aus dieser Beobachtung gezogen werden.6 In der Weimarer Republik kommt es damit zu einer umfassenden Neubewertung der Oberfläche, die in Siegfried Kracauers in der Einleitung dieser Arbeit bereits zitierten Befund mündet: „Der Ort, den eine Epoche im Geschichtsprozeß einnimmt, ist aus der Analyse ihrer unscheinbaren Oberflächenäußerungen schlagender zu bestimmen als aus den Urteilen der Epoche über sich selbst.“7 Kracauer stellt dieses methodologische Motto seiner Auseinandersetzung mit der Tanzvarietégruppe Tillergirls und ihren symmetrisch-synchronisierten Performances voran. Sein Text bildet ein Glanzstück kultursemiologischer Analyseleistung der Weimarer Republik, das mit der Einsicht endet, eine Flucht vor der Realität der „leere[n] und äußerliche[n] Flachheit“ des Massenornaments stelle keine Alternative dar: „Der Prozeß führt durch das Ornament der Masse mitten hindurch, nicht von ihm aus zurück.“8 Am 9. und 10. Juni 1927 erscheint Kracauers Essay in der Frankfurter Zeitung. Gerade einmal zweieinhalb Jahre nach Erscheinen von Thomas Manns Zauberberg kommt die Oberfläche – bei aller Kritik, die Beobach-
6 Ernst Jünger etwa dient das Markenwesen in Der Arbeiter als Argument für den Prozess der Entindividualisierung, den er mit dem soldatischen Typus des Arbeiters beschreibt und vorantreiben will: „Die Tatsache der Reklame, deren Technizität in ein und derselben Weise für eine Zigarettenmarke wie für die Jahrhundertfeier eines Klassikers in Bewegung gesetzt wird, verrät sehr deutlich das Maß, bis zu dem Qualität und Handelswert identisch geworden sind. Qualität in diesem Sine ist eine Unterart der Reklame, durch die der individuelle Charakter der Masse als Bedürfnis vorspiegelt wird. Da aber der Typus [des Arbeiters, B. W.] dieses Bedürfnis gar nicht mehr verspürt, wird dieser Vorgang in bezug auf ihn zur reinen Fiktion. So wird der Mann, der einen bestimmten Wagen fährt, sich niemals im Ernste einbilden, im Besitze eines auf seine Individualität zugeschnittenen Mittels zu sein. Er würde im Gegenteil und mit Recht gegen einen Wagen Mißtrauen empfinden, der nur in einer einmaligen Ausführung besteht. Was er als Qualität stillschweigend voraussetzt, ist vielmehr der Typ, die Marke, das durchkonstruierte Modell. Die individuelle Qualität besitzt für ihn dagegen den Rang eines Kuriosums oder einer musealen Angelegenheit.“ In der ‚organischen Konstruktion‘, die Jünger entwirft, wird das Oberflächenphänomen der Automarke eingebunden in eine Metaphysik des ‚Elementaren‘, in der Oberfläche und Tiefe in eins fallen und die Oberfläche mit Tiefe regelrecht durchtränkt wird: „Ein neues Prinzip weist sich durch die Schaffung neuer Tatsachen, eigentümlicher und wirksamer Formen aus – und diese Formen sind tief, weil sie existentiell auf dieses Prinzip bezogen sind. Im Wesentlichen gibt es den Unterschied zwischen Tiefe und Oberfläche nicht“. Jünger: Der Arbeiter, S. 133 u. 162. Herv. B. W. 7 Siegfried Kracauer: Das Ornament der Masse. [Erstdruck: Frankfurter Zeitung vom 09. u. 10. 06. 1927]. In: Ders.: Schriften. Hg. von Inka Mülder-Bach. Bd. 5–2: Aufsätze 1927–1931. Frankfurt am Main 1990: Suhrkamp. S. 57–67, hier S. 57. Zu Kracauers Begriff der Oberfläche siehe ausführlicher Inka Mülder-Bach: Der Umschlag der Negativität. Zur Verschränkung von Phänomenologie, Geschichtsphilosophie und Filmästhetik in Siegfried Kracauers Metaphorik der „Oberfläche“. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 61 (1987) 2, S. 359–373. 8 Kracauer: Das Ornament der Masse, S. 67.
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ter wie Kracauer daran üben – somit zu ihrem eigenen Recht: Sie soll nicht ‚beseelt‘ und resemantisiert, sondern zuallererst semiologisch erfasst werden. Diese Auffassung stellt kein Privileg des Simmel-Schülers Kracauer dar,9 noch spricht in ihr die vereinzelte Stimme eines Feuilletonisten der Frankfurter Zeitung,10 sondern sie wird von zahlreichen Autorinnen und Autoren der Weimarer Republik geteilt.11 Diese breite Öffnung der Literatur für die massenhaft in Erscheinung tretenden Oberflächenphänomene bildet den Hintergrund für Irmgard Keuns zweiten Roman Das kunstseidene Mädchen, der im Juni 1932, in den letzten Monaten der Weimarer Republik, erscheint und auf dem Buchmarkt zu einem der größten Verkaufserfolge des Jahres wird.12 Bereits einen Monat nach seinem Erscheinen erlebt der Roman eine zweite Auflage.13 Im Zentrum dieses tagebuchartig angelegten Romans steht die achtzehnjährige Doris, die davon träumt, ein ‚Glanz‘ zu werden, das heißt: ein Leben zu führen, das dem der (meist amerikanischen) Filmstars wie Colleen Moore oder der 1930 nach Amerika übergesiedelten Marlene Dietrich gleicht, über die in Magazinen wie Die Dame, Der Querschnitt, Uhu oder dem Film-Kurier regelmäßig berichtet wird. Zu diesem ‚Glanz‘ gehören gleichermaßen die mediale Aufmerksamkeit wie der Konsum von Mode und Kosmetik. Der Glanz der titelgebenden Kunstseide, die in den 1920er Jahren zu weiter Verbreitung findet, steht somit metonymisch für den Wunsch der Protagonistin, selbst ein ‚Glanz‘ zu werden, und für die warenästhetische Verfügbarkeit von Glanz verleihenden Konsumgütern. Das kunstseidene Mädchen begnügt sich jedoch nicht damit, einmal mehr „die alte mimetische Funktion“14 der Literatur zu erfüllen und die Präsenz von
9 Zu Kracauers Verhältnis zu seinem Lehrer Simmel siehe Siegfried Kracauer: Georg Simmel. [Erstdruck: Logos IX (1920) 3.] In: Ders.: Das Ornament der Masse, S. 209–248. 10 Zur Bedeutung des Feuilletons der Frankfurter Zeitung in der Weimarer Republik siehe Almut Todorow: Das Feuilleton der Frankfurter Zeitung in der Weimarer Republik. Zur Grundlegung einer rhetorischen Medienforschung. Tübingen 1996: Niemeyer. Sowie Karl Prümm: Die Stadt der Reporter und Kinogänger bei Roth, Brentano, Kracauer. Das Berlin der zwanziger Jahre im Feuilleton der „Frankfurter Zeitung“. In: Klaus R. Scherpe (Hg.): Die Unwirklichkeit der Städte. Großstadtdarstellungen zwischen Moderne und Postmoderne. Reinbek 1988: Rowohlt. S. 80–105. 11 Zur Theoretisierung und poetologischen Aufwertung der Oberfläche in der Weimarer Republik siehe auch Roskothen: Verkehr, S. 65–102. 12 Nach einer Umfrage in Das Tagebuch 13 (1932) H. 50, S. 1971–1973. Hier nach Hiltrud Häntzschel: Irmgard Keun. Reinbek 2001: Rowohlt. S. 41. 13 Vgl. Kerstin Barndt: Sentiment und Sachlichkeit. Der Roman der Neuen Frau in der Weimarer Republik. Köln, Weimar u. Wien 2003: Böhlau. S. 167. 14 Zur Kritik daran siehe Stauffer u. Keitz: Lob der Oberfläche, bes. S. 16.
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Oberflächenphänomenen wie Film und Warenästhetik in der Alltagswelt der Weimarer Republik durch eine ‚oberflächliche‘ Darstellungsweise abzubilden: Film, Konsum und Amerikanismus bestimmen nicht nur die Vorstellungswelt der Protagonistin und die Diegese des Romans, sie prägen die Beschaffenheit der Romantextur selbst.15 Das kunstseidene Mädchen rechnet, entsprechend einer Forderung Lion Feuchtwangers, damit, dass die Leserinnen und Leser „aus eigener Anschauung oder durch Film und Rundfunk die äußere Struktur der Welt ziemlich genau kennen“16 – und dass zwischen den Strukturen, die sich aus eigener Anschauung ergeben und denjenigen, die den medialen Vermittlungen der Welt entstammen, möglicherweise gar nicht so deutlich zu trennen ist, weil die zeitgenössische Wirklichkeit eine medial geprägte ist. Mit der folgenden Analyse weitet sich daher der Blick auf die ‚Literatur an der Oberfläche‘: Im Fokus der Lektüre stehen neben der diegetischen, narratorischen und ästhetischen Funktion von Markenwaren und Film die Mechanismen moderner Faszinationsproduktion, wie sie durch Waren- und Filmästhetik massenweise hervorgebracht und angewandt werden. Diese Mechanismen samt ihren Ambivalenzen reflektiert und inszeniert Das kunstseidene Mädchen und entwickelt dabei aus der Faszination für warenästhetische Oberflächenphänomene eine Poetik, die dem titelgebenden Gegenstand gemäß ist: Kunstseide ist die Faser, aus dem die Textur des Kunstseidenen Mädchens gemacht ist.
3.1 Denken in Marken, Schreiben wie Film: Die Optik der Oberfläche in zwei poetologischen Schlüsselstellen 3.1.1 Denken in Marken „Es ist etwas Hohes mit der Kunst“, notiert die achtzehnjährige Doris in ihr Tagebuch: „ich leide um sie“.17 Dieses Leiden wird mitbegründet von den Grenzen
15 Diese Prägung der Romantextur durch die Oberfläche der Warenästhetik geht damit auch weit über den bloßen Montagecharakter hinaus, wie ihn Maren Lickhardt in ihrer Analyse des Kunstseidenen Mädchens als einem ‚Diskursroman‘ konstatiert. Maren Lickhardt: Irmgard Keuns Romane der Weimarer Republik als moderne Diskursromane. Heidelberg 2009: Universitätsverlag Winter. Zur Präsenz von Mode, Marken und Medien bes. S. 195–206. 16 Lion Feuchtwanger: Der Roman von heute ist international. [Erstdruck: Berliner Tageblatt vom 25. 09. 1932, Beiblatt „Die Brücke“.]. In: Kaes (Hg.): Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente, S. 392–395, hier S. 393. 17 Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen. Nach dem Erstdruck von 1932. Mit einem Nachwort und Materialien hg. von Stefanie Arend u. Ariane Martin. Berlin 2005: Claassen Verlag. S. 35.
Denken in Marken, Schreiben wie Film
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ihres Wissens18 – und abgemildert durch ihren Umgang damit. Als Doris für eine Statistenrolle in Wallensteins Lager (1798), dem ersten Teil von Schillers Wallenstein-Trilogie, probt, traut sie sich nicht, ihr Unwissen einzugestehen und ihre Kolleginnen nach der Bedeutung des Wortes „Marketenderin, was ein Fremdwort ist“19, zu fragen: „Denn dann wird man nur unterdrückt.“20 Deshalb erklärt sich Doris die Bedeutung des Wortes selbst: Und weil die zwei Weiber, die Marketenderin heißen, doch so ein Odeur haben, denke ich mir – es kommt von Marke. Und Tender ist doch was mit Zügen – also herumziehende Marke. Und so sehe ich wieder, daß man mit ein bißchen Nachdenken sich vieles selber erklären kann und gar nicht fragen braucht.21
Trotz der inzwischen geradezu selbstverständlichen Hinweise der Forschung auf die enorme Präsenz der Konsum- und Populärkultur im Kunstseidenen Mädchen ist bemerkenswerter Weise gerade diese Passage bislang unkommentiert geblieben.22 Dabei stellt sie eine Schlüsselstelle für den gesamten Roman dar, die wie in einer miniaturhaften Verdoppelung, einer mise en abyme, entscheidende formale Elemente des Romans und seines discours bündelt und hinsichtlich der histoire proleptisch auf das folgende Geschehen vorausweist.23 Denn die etymologischen Spekulationen, die Doris anstellt, kennzeichnen den Stellenwert, den Marken für die Protagonistin und ihr Streben nach ‚Glanz‘ einnehmen – sie dienen ihr als Mittel zur Weltwahrnehmung und -erklärung. Daraus ergeben sich Konsequenzen für die narratorische und rhetorische Konzeption des Romans:
18 So schreibt Doris: „Ich war eine kurze Zeit in einer ganz traurigen Wolke, denn immerzu sind in meinen Leben Dinge, die ich nicht weiß und immer muß ich tun als ob und bin manchmal richtig müde vor lauter Aufpassen, und immer soll ich mich schämen müssen, wenn Worte und so Sachen sind, die ich nicht kenne“. Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 40. 19 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 35. 20 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 36. 21 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 36. 22 Zur Konsum- und Populärkultur im Kunstseidenen Mädchen siehe u.a. Katharina von Ankum: Material Girls: Consumer Culture and the „New Woman“ in Anita Loos’ Gentlemen Prefer Blondes and Irmgard Keun’s Das kunstseidene Mädchen. In: Colloquia germanica 27 (1994) 2, S. 159–172. Sowie das Kapitel Irmgard Keun oder die Ästhetik von Konsumnomadinnen in Wegmann: Dichtung und Warenzeichen, S. 329–355. Maren Lickhardt bezeichnet Keuns Romane sogar als „Zeit-, Pop- oder Diskursromane“, siehe Maren Lickhardt: Ikonen, Oberflächen, Kamerafahrten. Visualität in Irmgard Keuns Weimarer Romanen. In: Dagmar von Hoff u. Bernhard Spies (Hg.): Textprofile intermedial. München 2008: Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung. S. 325–337, hier S. 325. 23 Zur mise en abyme siehe Lucien Dällenbach: Le recit spéculaire. Contribution à l’étude de la mise en abyme. Paris 1977: Éditions du Seuil.
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Erstens motivieren Marken und der ‚Glanz‘, der von ihnen ausgeht, den Fortgang der Handlung, die histoire des Romans. Als Mädchen ohne Bleibe, wie der Roman zunächst heißen sollte und in Anzeigen angekündigt wurde,24 hangelt sich Doris in Berlin von einer Beziehung zur nächsten, wobei jede Beziehung in unterschiedlichem Maße mit Konsum verbunden ist. Die etymologische Sinndeutung der Marketenderin als ‚herumziehender Marke‘ liefert damit auch die Entsprechung zu Doris’ nomadischer Existenz25 und überschneidet sich mit der historischen Semantik der Marketenderinnen, die als Händlerinnen mit dem Militär zogen.26 Die Tagebuchaufzeichnungen (und mit ihnen der Roman) enden mit ungewissem Ausgang, als Doris ohne Geld und Unterkunft im Wartesaal des Berliner Bahnhofs Friedrichstraße verschiedene Perspektiven durchspielt, vom ‚Glanz‘ auf der Tauentzienstraße über den Rückzug mit einem ungeliebten Mann bis zur Prostitution27 – und in dieser letztgenannten Möglichkeit berührt sich Doris’ Existenz wider Willen mit derjenigen von Marketenderinnen: Als Händlerinnen, die die Truppen durch den Krieg begleiteten, waren die Marketenderinnen, zumindest in ihrer frühneuzeitlichen Erscheinungsform etwa während des Dreißigjährigen Krieges, nicht nur kaufmännisch Handeltreibende mit Gütern zur Verpflegung, sondern zumeist selbst ‚Ware‘.28 Die doppelte Ökonomie, die diesem Romangeschehen zugrundeliegt, wird den Gegenstand eines eigenen Abschnitts bilden.29 Zweitens prägen Marken die Perspektive der Protagonistin, die aufgrund der Tagebuchform nicht nur als Aktantin, sondern zugleich als die autodiegetische narrative Instanz des Romans auftritt. Damit werden Marken zu einem entscheidenden Element der aktorialen Fokalisierung30 sowie des discours und seiner
24 Siehe die Verlagsankündigung in Häntzschel: Imrgard Keun, S. 37. 25 Zur nomadischen Existenzform Doris’ siehe Heinrich Detering: Les vagabondes. Le retour des héroïnes picaresques dans le roman allemand. In: Études Littéraires 26 (Hiver 1993–1994) 3, S. 29–43. 26 So verzeichnet Friedrich Kluges Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache zur Bedeutung des Wortes Marketender: „die Truppe begleitender Händler“. Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. Berlin 242002 (1883): Walter de Gruyter. S. 599. 27 Siehe Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 205. 28 Vgl. hierzu ebenfalls die Etymologie des Wortes Marketenderin, das nicht nur auf das italienische mercatante für ‚Händler‘, sondern mit diesem wiederum auf das lat. mercari für ‚handeln‘ resp. merx für ‚Ware‘ zurückgeht. Vgl. Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 599. 29 Siehe den Abschnitt 3.2. Romantik und Sachlichkeit des Konsums dieses Kapitels. 30 Zu dieser und den folgenden narratologischen Kategorien siehe Gérard Genette: Discours du récit. Essai de méthode. In: Ders.: Figures III. Paris 1972: Éditions du Seuil (collection Poétique). S. 65–282. Sowie Ders.: Nouveau discours du récit. Paris 1983: Éditions du Seuil.
Denken in Marken, Schreiben wie Film
Abb. 52: Plakat für Bulgaria Krone zu 5 Pfennig, o.J.
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Abb. 53: Anzeige für Atikah Auslese zu 6 Pfennig, 1928.
Rhetorik. Doris taxiert die Menschen in ihrem Umfeld maßgeblich über das Konsumverhalten, das ihr in den Blick gerät, und die ‚feinen Unterschiede‘, die dieses im Sozialen anzeigt und erzeugt.31 Wiederholt bewertet sie Männer darüber, ob sie Zigaretten ‚zu fünf‘, ‚zu sechs‘, d.h. zu fünf oder sechs Pfennig, oder zu noch höheren Stückpreisen kaufen32 – ein ökonomisches Kriterium, das in zeitgenössischen Anzeigen für Zigarettenmarken dominant platziert wird (Abb. 52–53). Doris’ Verzicht auf die Nennung der Markennamen von Zigaretten entspricht da-
31 Vgl. Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. 355: „Ob Getränke (verschiedene Mineralwasser, Weine, Aperitifs) oder Autos, Zeitungen, Wochenzeitschriften, Ferienorte und Ferienformen, Hauseinrichtung und Gartengestaltung, ganz zu schweigen von den politischen Programmen: jedem dieser Bereiche sind jene distinktiven Merkmale beigegeben, mit deren Hilfe die grundlegenden gesellschaftlichen Unterschiede fast ebenso vollständig zum Ausdruck gebracht werden können wie durch die äußerst komplexen und verfeinerten Ausdruckssysteme, die von den legitimen Künsten bereitgestellt werden.“ 32 „Und er bestellt Zigaretten zu acht, wo er sonst bestimmt nur zu vier raucht. Das Schwein. Und wenn einer wirklich solide ist, raucht er zu sechs mit einer Dame, denn das ist anständig und nicht übertrieben, und der Umschwung später ist nicht so kraß. Mir hat ein Alter mal welche zu zehn bestellt – was soll ich sagen, der war Sadist, und was er genau gewollt hat, ist mir peinlich niederzuschreiben.“ Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 13.
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Kapitel 3: Die Faszination des Glanzes
mit der nahezu gleichrangigen Stellung von Preis und Markenname in der Reklame und verfährt insofern archivistisch, zeigt aber zugleich eine entscheidende ästhetisierende Funktion an, die denjenigen Marken zukommt, die Doris nicht selbst konsumiert. Werden sie genannt, so dient diese Nennung weniger der neusachlichen Detailversessenheit oder der Erzeugung von ‚Realitätseffekten‘33, wie die Packung Camel-Zigaretten auf Christian Schads Gemälde Sonja aus dem Jahr 1928. Vielmehr dienen die Marken, die zur Beschreibung und Charakterisierung von Personen genannt werden, zugleich als semantisches und rhetorisches Spielmaterial für Doris resp. für die Textur des Romans. Denn während der Versuch einer etymologischen Erklärung des ‚Fremdworts‘ /Marketenderin/ das Lexem zu einem Signifikanten macht, der zerlegt und mit einer neuen Semantik verbunden wird, stellen Markennamen für Doris keine ‚Fremdwörter‘ dar. Ihre Semantik macht sich Doris daher als tertium comparationis für ihre Mitmenschen zunutze, wobei die ausgewiesene Inadäquatheit dieser Vergleichsgrößen einen entscheidenden Anteil an der spezifischen Rhetorizität des Kunstseidenen Mädchens ausmacht. So mündet Doris’ Beschreibung ihres ersehnten Widersehens mit Hubert in dem hyperbolischen Vergleich, dieser habe „Ringe um die Augen wie Continentalreifen“ gehabt.34 Eine ihrer Bekanntschaften qualifiziert Doris mit den Worten ab, er rede „so gesalbt, als wenn er eine ganze Dose Niveacreme ausgeleckt hätte“.35 Eine unausgesprochene Figura etymologica führt dabei von /gesalbt/ zur /Salbe/ als dem Denotat der Marke Nivea und dem Synonym zur benannten /Creme/. Doris’ Vergleich ist aber mehr als nur ein Wortspiel: Die Wahl der Niveacreme – anstelle von Creme Mouson, für die Otto Dix in den 1920er Jahren unter dem Slogan „Das Gesicht der Zeit“ eine Reklame gestaltet,36 oder anderen bekannten Gesichtscremes der Weimarer Republik – liefert zugleich einen Kommentar auf die Entwicklung der Marke Nivea vom Synonym für Fettcreme zur Dachmarke resp. zum Hyperonym für unterschiedlichste Kosmetikprodukte, u.a. zur Haarpflege.37 Vor diesem Hintergrund erscheint die ‚Stimmsalbe‘ wie eine parodistische Überbietung der realen Erweiterung der Produktpalette der Marke Nivea und verweist damit auf einen dritten Aspekt ihres Denkens in Marken. Denn drittens enthalten Doris’ Spekulationen über den Zusammenhang von Marke und Marketenderin treffende Aspekte der Warenkultur der Weimarer Republik. Was Doris mit ihrem etymologischen Versuch in diachroner, historischer
33 Barthes: L’effet de réel. 34 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 60. 35 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 23. 36 Siehe die Anzeige in Ilgen u. Schindelbeck: Am Anfang war die Litfaßsäule, S. 90. 37 Vgl. http://www.nivea.de/history [16. 09. 2009]. Zur Geschichte der Marke Nivea siehe auch Gries: Produktkommunikation, S. 195–254.
Denken in Marken, Schreiben wie Film
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Abb. 54: Plakat für Kaffee Hag, 1925.
Perspektive misslingt, gelingt ihr somit in synchroner Hinsicht umso besser. Der ‚Odeur‘ der Marketenderinnen macht das Diffuse, Nicht-Greifbare der Marke zum Gegenstand ihrer Spekulationen, das den Roman in Gestalt des ‚Glanzes‘ von Anfang bis zum Schluss durchzieht. Für Doris liefert er das Argument für eine vermeintlich kausallogische Schlussfolgerung: ‚Weil die zwei Weiber, die Marketenderin heißen, doch so ein Odeur haben, denke ich mir – es kommt von Marke‘. Durch diese Kausallogik werden die Marken für Doris zum Mittel der Welterklärung. „Der rote Mond“, wird sie über eine ihrer Berliner Bekanntschaften schreiben, „schwitzte und bekam Herzklopfen, weil daß wir kein Kaffee Hag tranken. Ich mochte ihn nicht – den Kaffee und den roten Mond.“38 Doris ‚naturalisiert‘ damit den Zusammenhang von ausbleibendem Herzklopfen und dem Konsum von Kaffee Hag, wie er in der Reklame für die Kaffeemarke mit den Slogans Kaffee Hag schont Ihr Herz und Herzklopfen? Dann: Kaffee Hag beworben wird (Abb. 54).39 A. Halbert lobt in seinem Handbuch Praktische Reklame (1927) den „starken Erinnerungswert“ dieser Reklamen.40 Doris macht aus diesem Erinnerungswert zunächst eine logische Kausalität, die sie in dem folgenden Hinweis, sie habe ihn nicht gemocht, durch Polysemie in die durchgängige Liebessemantik ihres Tagebuchs überführt: ‚Der rote Mond‘ bereitet ihr kein Herzklopfen. Den assoziativen Charakter von Markenwaren, den Doris’ ‚weil daß‘ begründet, thematisiert sie selbst an einer weiteren Bekanntschaft, die sie als den „Laxinmann“41 bezeichnet:
38 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 77. Herv. B. W. 39 Zur Naturalisierung künstlich geschaffener Zusammenhänge siehe Barthes: Mythologies. 40 A. Halbert: Praktische Reklame. Hamburg 1927: Falken-Verlag. S. 99. 41 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 18.
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Armin heißt er – eigentlich hasse ich diesen Namen, weil er in der Illustrierten mal als Reklame für ein Abführmittel gebraucht wurde. Und immer, wenn er mal vom Tisch aufstand, mußte ich denken: Armin, hast du heute morgen auch Laxin genommen? und mußte idiotisch lachen und er fragte: „Warum lachst du so silbern, du süßes Geschöpf?“ Und ich: „Ich lache, weil ich so glücklich bin.“42
Damit verbinden sich Marken für Doris sowohl mit diskursiven, durch Reklame beförderten und vermeintlich kausalen Zusammenhängen als auch mit nichtdiskursiven Aspekten wie dem ‚Odeur‘, der die aisthetische Seite der Marke, aber auch die Flüchtigkeit warenästhetischer Oberflächenerscheinungen erfasst und die soziale Komponente des ‚Rufs‘ miteinschließt. In ihrer Etymologie des Begriffs ‚Marketenderin‘ führen die unausgesprochenen Konnotationen zudem zum erotischen Begehren sowie zur käuflichen Liebe, die einen wesentlichen Aspekt der realen historischen Semantik des Wortes ausmacht. Über die ältere der beiden Marketenderinnen stellt Doris fest, sie sei „eine Alte, die mit den vielen Soldaten schläft. Das wird nicht gesagt, aber man kann es herausmerken“.43 Diese Käuflichkeit der Liebe bildet in Reflexionen kapitalistischer Verhältnisse und warenästhetischer Phänomene zur Zeit der Weimarer Republik – bei Walter Benjamin ebenso wie etwa bei Erich Kästner oder Bertolt Brecht – das wiederkehrende Komplement sich verdinglichender menschlicher Beziehungen zur Vermassung und künstlichen Auratisierung von Waren.44 Dass Doris sich die Rolle der jüngeren Marketenderin, der Nichte der älteren, die „natürlich auch mit den Soldaten schläft, denn was soll sie sonst tun“,45 erschleicht, kündigt das Leben an, das sie bald darauf in Berlin führen wird und das zwischen Emanzipation und Prostitu-
42 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 17. 43 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 35. Herv. B. W. 44 So schreibt Walter Benjamin: „In der Gestalt, die die Prostitution in den großen Städten angenommen hat, erscheint die Frau nicht nur als Ware sondern im prägnanten Sinne als Massenartikel. Durch die artifizielle Verkleidung des individuellen Ausdrucks zugunsten eines professionellen, wie er als Werk der Schminke zustande kommt, wird das angedeutet.“ Benjamin: Charles Baudelaire (3. Zentralpark), hier S. 686. In Fabian (1931) heißt es zum Warencharakter der Liebe: „Früher verschenkte man sich und wurde wie ein Geschenk bewahrt. Heute wird man bezahlt und eines Tages, wie benutzte Ware, weggetan. Barzahlung ist billiger, denkt der Mann. […] Ihr wollt den Warencharakter der Liebe, aber die Ware soll verliebt sein.“ Erich Kästner: Fabian. Die Geschichte eines Moralisten. München 172001 (1989): Deutscher Taschenbuch Verlag. S. 91. Zur Prostitution etwa in der Lyrik Brechts siehe Jan Knopf: Gelegentlich: Poesie. Ein Essay über die Lyrik Bertolt Brechts. Frankfurt am Main1996: Suhrkamp. S. 215–232. 45 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 35.
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tion schwankt,46 bis am Ende vom ‚Glanz‘, der sie sein möchte und den sie mit der Warenästhetik der Marken teilt, möglicherweise nicht mehr übrig bleibt als die Käuflichkeit selbst.
3.1.2 Schreiben wie Film Im gleichen Jahrzehnt, in dem sich das moderne Markenwesen in Deutschland etabliert und mit seinen neuartigen Bezeichnungen, den Markennamen, die bis dahin im Alltagsleben geläufigen Gegenstandsbezeichnungen verdrängt oder ganz neue Objekte hervorbringt, für die es noch gar keine Gattungsbezeichnungen gibt, erlebt ein zweites Medium seinen Aufstieg zum massenkulturellen Gut: Im Oktober 1895 präsentieren die Brüder Skladanowsky im Berliner Variété Wintergarten mit ihrem Bioskop die erste öffentliche Filmvorführung in Deutschland.47 Markenwesen wie Film stellen, je auf ihre Weise, Herausforderungen an die Literatur dar. Dabei teilen sie nicht nur ihre gemeinsame Geburtsstunde in den neunziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, sondern provozieren das erodierende bürgerliche Kulturverständnis durch ihre explizit ökonomische Erscheinungsform, ihre Versprechungen vom besseren Leben sowie ihre Hinwendung zur Masse und ihren Verzicht auf ‚Tiefe‘. Film und Kino bilden auch die zweite Leitreferenz neben Markenwaren für Doris. Ihre narratorische und konzeptuelle Konsequenzen für den Roman sollen im Folgenden, analog zu den Marken, ebenfalls in einem Dreischritt umrissen werden. In einer der meist zitierten Passagen des Romans reflektiert Doris ihr Tagebuchschreiben als ein ‚Schreiben wie Film‘: Und ich denke, daß es gut ist, wenn ich alles beschreibe, weil ich ein ungewöhnlicher Mensch bin. Ich denke nicht an Tagebuch – das ist lächerlich für ein Mädchen von achtzehn und auch sonst auf der Höhe. Aber ich will schreiben wie Film, denn so ist mein Leben und wird noch mehr so sein. […] Und wenn ich später lese, ist alles wie Kino – ich sehe mich in Bildern.48
Auch wenn Doris selbst ihre Aufzeichnungen nicht als Tagebuch verstanden wissen will, so teilen sie doch, narratologisch betrachtet, entscheidende Merkmale
46 Vgl. zu dieser Ambivalenz Liane Schüller: Vom Ernst der Zerstreuung. Schreibende Frauen am Ende der Weimarer Republik: Marieluise Fleißer, Irmgard Keun und Gabriele Tergit. Bielefeld 2005: Aisthesis Verlag. S. 172f. 47 Zu den Anfängen des Films in Deutschland siehe Wolfgang Jacobsen: Frühgeschichte des deutschen Films. In: Ders., Anton Kaes u. Hans Helmut Prinzler (Hg.): Geschichte des deutschen Films. Stuttgart u. Weimar 1993: J. B. Metzler. S. 13–37. 48 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 10f.
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des tagebuchförmigen Schreibens. Neben der autodiegetischen narrativen Instanz mit fixierter interner Fokalisierung trifft dies insbesondere auf den Zeitpunkt des Erzählens zu: So erzählt Doris ihre Ereignisse nicht aus der sicheren zeitlichen Distanz und in Kenntnis des Ausgangs ihrer Geschichte, sondern in Form des eingeschobenen Erzählen (narration intercalée), bei dem die Zeitpunkte des Erzählens sich immer wieder zwischen die berichteten Ereignisse selbst schieben oder sich mit diesen überlagern und es zu einer Vermischung von späterem und gleichzeitigem Erzählen kommt. Die intermediale Neukonzeption der Tagebuchform als einem ‚Schreiben wie Film‘ bedeutet dabei mehr als ein bloßes Verweisen auf ein zeitgenössisches populäres Medium, das in der Weimarer Republik als das Oberflächenmedium schlechthin gilt und damit wiederholt auch den Vorwurf der ‚Oberflächlichkeit‘ auf sich gezogen hat.49 Auch sie hat, erstens, narratorische Konsequenzen, denn der Verweis auf den Film bewirkt eine entscheidende Modifikation der Tagebuchform: Wenn Doris diesen zum Leitmedium ihres Schreibens erklärt mit der Begründung, ihr Leben sei ‚wie Film‘ und sie selbst sehe (fast) so aus wie der Hollywood-Star Colleen Moore, so verbindet sie damit das faktuale autobiografische Genre des Tagebuchs mit dem fiktionalen Medium des Erzählfilms. Durch diese Vermischung von Film und Tagebuch werden Doris’ Aufzeichnungen zu einem Schwellenphänomen zwischen Film und Leben, Fiktion und Wirklichkeit. Sie entsprechen damit den Bedingungen, die das Kino in den 1920er Jahren selbst etabliert, wenn es mit dem aufkommenden Starsystem gezielt die Grenzen seiner Fiktion überschreitet und die im Film erzählten Aufstiegsgeschichten im Medienverbund mit Magazinen als die Geschichten der Stars beglaubigt.50 Zweitens prägt auch der Film, analog zu Marken, die Perspektive der Protagonistin Doris; er stellt darüber hinaus Narrative zur Verfügung, nach denen die eigene Lebensgeschichte modelliert werden kann. Das Zielpublikum des Kinos bilden in der Weimarer Republik vornehmlich Frauen,51 und insbesondere die
49 Zur Debatte um Oberflächenerfassung und Oberflächlichkeit des filmischen Mediums siehe Stauffer u. von Keitz: Lob der Oberfläche, S. 16–22. Zur Debatte um den Film insgesamt siehe Anton Kaes (Hg.): Kino-Debate. Texte zum Verhältnis von Literatur und Film 1909–1929. München u. Tübingen 1978: Deutscher Taschenbuch Verlag u. Niemeyer. Sowie Ders. (Hg.): Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente, bes. S. 219–239. 50 Zum Film als Schwellenmedium siehe Thomas Elsaesser u. Malte Hagener: Filmtheorie zur Einführung. Hamburg 2007: Junius. S. 49–73. Zu Starsystem und Medienverbund siehe den Abschnitt 3.4.2. Der ‚Glanz‘ des Films dieses Kapitels. 51 Dass das Kino in den 1920er Jahren vor allem ein weibliches Publikum anzieht, wird bereits in zeitgenössischen Auseinandersetzungen hervorgehoben. So betont Iris Barry 1926: „Now one thing never to be lost sight of in considering the cinema is that it exists for the purpose of pleasing
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weiblichen Angestellten, wie sie Siegfried Kracauer 1929 in Fortsetzungen der Leserschaft der Frankfurter Zeitung präsentiert: „Verkäuferinnen, Konfektionäre[], Stenotypistinnen usw. […], die in den Magazinen und den Kinos dargestellt und zugleich gezüchtet werden“.52 Kracauer betont damit ebenfalls den Schwellencharakter des Films und der Magazine, die zugleich die Wirklichkeit abbilden und prägen. Als Schreibkraft in einer Anwaltskanzlei entspricht Doris zu Beginn des Romans in paradigmatischer Weise der von Kracauer geschilderten Angestelltenschicht und stellt damit zugleich eine typische Vertreterin der ‚Neuen Frau‘ dar,53 die sich durch ein eigenes Einkommen Eigenständigkeit sichert und vom Aufstieg der Angestelltenschicht profitiert.54 Damit erscheint Doris zunächst als eine Neuauflage von Gisela, der Protagonistin aus Keuns ein Jahr vor dem Kunstseidenen Mädchen erschienenen und ebenfalls überaus erfolgreichen Debütroman Gilgi – eine von uns (1931), oder wie die Verkörperung einer der zahllosen Angestelltenfiguren aus Filmen wie Die Privatsekretärin (1931).55 Doch als Doris ihre ortho-
women. Three out of every four of all cinema audiences are women.“ Iris Barry: Let’s go to the Pictures. London 1926: Chatto & Windus. S. 59. 52 Siegfried Kracauer: Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland [1929]. Frankfurt am Main 1971: Suhrkamp. S. 65. 53 Zur Diskussion um die ‚Neue Frau‘ als Kontext des Kunstseidenen Mädchens siehe Doris Rosenstein: Irmgard Keun. Das Erzählwerk der dreißiger Jahre. Frankfurt am Main, Bern u.a. 1991: Peter Lang. S. 13–60. [= Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte. Bd. 28.] Sowie Barndt: Sentiment und Sachlichkeit, darin zum Kunstseidenen Mädchen S. 167–208. Zur ‚Neuen Frau‘ in der Weimarer Republik siehe außerdem Katharina von Ankum (Hg.): Women in the Metropolis. Gender and Modernity in Weimar Culture. Berkeley, Los Angeles u. London 1997: University of California Press. Des weiteren Jens Fleming: „Neue Frau“? Bilder, Projektionen, Realitäten. In: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der zwanziger Jahre. München 2008: Wilhelm Fink. S. 55–70. Zu den medialen Vermittlungen im Kontext der Mode siehe Gesa Kessemeier: Sportlich, sachlich, männlich. Das Bild der ‚Neuen Frau‘ in den Zwanziger Jahren. Zur Konstruktion geschlechtsspezifischer Körperbilder in der Mode der Jahre 1920 bis 1929. Dortmund 2000: Edition Ebersbach. Als ein zeitgenössisches Dokument zur Diskussion um die ‚Neue Frau‘ siehe Dr. Elsa Herrmann: So ist die neue Frau. Hellerau 1929: Avalun-Verlag. Herrmann hebt u.a. insbesondere den Aspekt der Berufstätigkeit hervor, vgl. S. 35f. Zur Situation der weiblichen Angestellten siehe Ute Frevert: Kunstseidener Glanz. Weibliche Angestellte. In: Kristine von Soden u. Maruta Schmidt (Hg.): Neue Frauen. Die zwanziger Jahre. Berlin (West) 1988: Elefanten Press. S. 25–31. 54 1933 beträgt die Zahl der Angestellten in Deutschland etwa vier Millionen, das entspricht 11–12 % der Erwerbstätigen. Vgl. dazu Carl Dreyfuss: Beruf und Ideologie der Angestellten. München u. Leipzig 1933: Duncker & Humblot. S. 3. 55 Zum Einfluss von Film und Literatur auf das Bild der Angestellten siehe neben Kracauers Studie auch Dreyfuss: Beruf und Ideologie der Angestellten, S. 242–252. Zu Literarisierungen der Angestelltenkultur siehe Christa Jordan: Zwischen Zerstreuung und Berauschung. Die Angestellten in der Erzählprosa am Ende der Weimarer Republik. Frankfurt am Main u.a. 1988: Peter Lang.
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grafischen Schwächen durch verführerische Blicke gegenüber ihrem Chef wettmachen will und dieser darin ein sexuelles Angebot sieht, über dessen Zurückweisung er sich empört, verliert Doris ihre Anstellung: Und alles kam so: ich hatte zu wenig Briefe geschrieben wegen an Hubert denken und mußte auf einmal mit Dampf loslegen, um noch was fertig zu kriegen – natürlich weit und breit kein Komma in den Briefen, was aber ein System von mir ist: denn lieber gar keine Kommas als falsche, weil welche reinstricheln unauffälliger geht als falsche fortmachen. Und hatte auch sonst Fehler in den Briefen und dunkle Ahnungen daraufhin. Und guck schon gleich beim Reinbringen [der Briefe in das Zimmer des Chefs, B. W.] wie Marlene Dietrich so mit Klappaugen-Marke: husch ins Bett […], zittre […] noch für alle Fälle wild mit den Nasenflügeln […], da passiert es, und ich merke zu spät, daß ich mit meinen Nasenflügeln zu weit gegangen bin. Springt doch der Kerl auf und umklammert mich und atmet wie eine Lokomotive kurz vor der Abfahrt.56
Mit diesem Ende ihrer Erwerbstätigkeit in der Kanzlei endet auch Doris’ Laufbahn als Angestellten-Typus der ‚Neuen Frau‘ und beginnt die eigentliche Geschichte ihres wechselhaften ‚Glanzes‘, für die sie in die (Film-)Rolle des Flappers wechselt.57 Gleichwohl bleibt sie in wesentlichen Aspekten der von Kracauer beschriebenen Angestelltenkultur verhaftet – insbesondere im „Drang, im Glanz und in der Zerstreuung zu leben“.58 Wenn Doris ihr Äußeres mit dem des Stummfilmstars Colleen Moore vergleicht, einer der wichtigsten Flapper-Darstellerinnen des Hollywoodfilms, erweist sich dies erneut als ein nur bedingt adäquater Vergleich: „Und ich sehe aus wie Colleen Moore, wenn sie Dauerwellen hätte und die Nase mehr schick ein bißchen nach oben.“59 Explizit wird der vollzogene Vergleich durch ein Konditionalgefüge wieder zurückgenommen, das die Einschränkung jedoch nicht bei Doris’ Äußerem sucht, sondern ‚Korrekturen‘ am gewählten Vergleichsobjekt Moore vornimmt. Doris’ Selbstbespiegelung im Medium des Films hat damit nicht nur formenden Einfluss auf ihre Identitätsbildung, sondern sie formt sich zugleich die Medienwirklichkeit nach den eigenen Bedürfnissen. Die Schilderung des Vorfalls, der zu Doris’ Kündigung führt, legt schließlich einen dritten Aspekt des Films als Referenzmedium offen. Wenn Doris ihre Blicke
56 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 24f. 57 Zu den medialen Inszenierungen des Flappers in der Weimarer Republik siehe Isabelle Stauffer: Von Hollywood nach Berlin. Die deutsche Rezeption der Flapper-Filmstars Colleen Moore und Clara Bow. In: Julia Freytag u. Alexandra Tacke (Hg.): City Girls. Bubiköpfe & Blaustrümpfe in den 1920er Jahren. Köln, Weimar u. Wien 2011: Böhlau. S. 111–126. 58 Kracauer: Die Angestellten, S. 92. Zum Kunstseidenen Mädchen im Kontext der Angestelltenkultur und der Angestelltenromane der Weimarer Republik siehe Jordan: Zwischen Zerstreuung und Berauschung, S. 81–117. 59 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 11.
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mit den Worten beschreibt, sie schaue ‚wie Marlene Dietrich so mit KlappaugenMarke: husch ins Bett‘ zitiert sie Marlene Dietrichs Rolle der Lola in Der blaue Engel (1930) heran, die das Star-Image Dietrichs wesentlich prägte. Indem Doris dabei einen metaphorischen Gebrauch des Begriffs Marke macht,60 führt sie die beiden Diskurse von Markenwesen und Kino, von Warenästhetik und Film zusammen. Wie in der Etymologie der ‚Marketenderin‘ überträgt Doris den Begriff und das Prinzip der Marke auf eine Person.61 An die Stelle des ‚Odeur‘ als dem besonderen ‚Markenzeichen‘ tritt bei Marlene Dietrich der Blick, der – darin liegt seine funktionale Parallele zur Marke – ein kalkuliertes, wenn auch in diesem Fall verkalkuliertes Feld (erotischer) Konnotationen aufruft. Im Falle Armins verbinden sich Konnotationen aus Film und Reklame, denn bevor sein Name die Assoziation mit dem Abführmittel Laxin auslöst, erregt sein Gesicht Doris’ Interesse, weil es sie an den Schauspieler Conrad Veidt „wie er noch mehr auf der Höhe war“ erinnert.62 Marken und Film prägen somit durchgängig die Weltwahrnehmung von Doris. Zu einer Optik der Oberfläche wird die an Doris gebundene aktoriale Fokalisierung jedoch nicht nur durch die Verwendung von Film und Marken als Vergleichsgrößen und Medien der Selbstbespiegelung. Der Effekt von Oberfläche entsteht, wie sich in der Lektüre von Edels Satire Berlin W. gezeigt hatte,63 wenn das tradierte bürgerliche Wertesystem mit seiner Höhenmetaphorik außer Kraft gesetzt wird. Als Doris nach ihrer Entlassung aus der Anwaltskanzlei dank der Vermittlung durch ihre Mutter – die als Garderobiere im Schauspielhaus arbeitet – ein Engagement für eine Statistenrolle in Wallensteins Lager erhält, sieht sie
60 Bereits im Zusammenhang mit Edmund Edels Urteil über den Markenwert von Kunstwerken in Berlin W. war der metaphorische Gebrauch des Markenbegriffs als Indiz dafür gewertet worden, dass Marken schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts keineswegs mehr ein bloß ökonomisches Konzept bilden, das nur Experten vertraut wäre, sondern fest im Alltagsdenken verankert ist, siehe dazu den Abschnitt 1.2. Warenkunde, Markenkenntnis und der semiologische Mehrwert der Benennung in Kapitel 1 dieser Arbeit. Die Marke bildet damit ein ‚Kollektivsymbol‘, das zur Erklärung unterschiedlichster gesellschaftlicher und kultureller Phänomene geeignet scheint, vergleichbar dem Automobil, das sich zur gleichen Zeit als ‚Kollektivsymbol‘ etabliert, vgl. Jürgen Link u. Siegfried Reinecke: „Autofahren ist wie das Leben“. Metamorphosen des Autosymbols in der deutschen Literatur. In: Harro Segeberg (Hg.): Technik in der Literatur. Ein Forschungsüberblick und zwölf Aufsätze. Frankfurt am Main 1987: Suhrkamp. S. 436–481. 61 Dieses Prinzip der Übertragung von Markeneigenschaften auf eine Person greift Keun auch in ihrem Nachkriegsroman Ferdinand (1950) auf. Irmgard Keun: Ferdinand, der Mann mit dem freundlichen Herzen. Düsseldorf 1981: Claassen. 62 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 17. 63 Siehe hierzu den Abschnitt 1.1. Archivierung der Oberfläche, Verabschiedung der Höhenmetaphorik in Kapitel 1 dieser Arbeit.
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darin ein „[e]inschneidendes“ Ereignis: „[D]enn ich bin jetzt Künstlerin“.64 Ist schon dies eine deutliche Überbewertung ihrer Rolle, so verkehrt eine Diaphora die Höhen-Tiefen-Semantik und ihr Wertesystem vollends. Auf ihre Feststellung, es sei ‚etwas Hohes mit der Kunst‘, folgt ihre Selbstermutigung: „[Ich] hatte auch schon einen Erfolg heute. Also ich hatte doch raus, daß die von der Schauspielschule mehr sind als die nur so mitmachen. Und da ich nun mal dabei bin, dachte ich: bei den Tiefsten bleibe ich nicht“.65 Doris ‚übersetzt‘ das ‚Hohe‘ der Kunst in eine soziale Hierarchie, die bestimmend für ihr Wertesystem ist und macht aus einem kulturellen Wert das symbolische und ökonomische Kapital des Prestiges. Nachdem es ihr gelingt, von der Statistin zur Sprechrolle der Marketenderin ‚aufzusteigen‘, sieht sie sich ihrem Ziel, ein ‚Glanz‘ zu werden, nahe und fasst den Entschluss: Ich will so ein Glanz werden, der oben ist. Mit weißem Auto und Badewasser, das nach Parfüm riecht, und alles wie Paris. Und die Leute achten mich hoch, weil ich ein Glanz bin […]. Ich werde ein Glanz, und was ich dann mache, ist richtig – […] nichts kann mir mehr passieren an Verlust und Verachtung, denn ich bin ein Glanz.66
Der Wunsch, ein ‚Glanz‘ zu werden, ist damit von Anfang an von einer doppelten Wunschstruktur getragen: dem Wunsch nach Konsum und dem Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung. Beiden Wünschen liegt ein ökonomisches Interesse resp. eine ökonomische Struktur zugrunde, die im Folgenden betrachtet werden sollen.
3.2 Romantik und Sachlichkeit des Konsums – und die doppelte Ökonomie des Wunsches, ein ‚Glanz‘ zu werden Doris wird es im Verlauf des gesamten Roman nicht zu einem wirklichen ‚Glanz‘ schaffen. Die große gesellschaftliche Anerkennung wird ihr verwehrt bleiben, und ein Leben im Konsum ist ihr jeweils nur auf Zeit möglich. Als sie schließlich obdachlos im Wartesaal des Bahnhofs Friedrichstraße ihre Notizen beendet, fasst sie den Gedanken, dass es „[a]uf den Glanz […] nämlich vielleicht gar nicht so furchtbar an[kommt]“.67 Doch bis dahin prägt ihr Wunsch, ein ‚Glanz‘ zu werden, ihr Denken und Handeln. Da der ‚große‘ Glanz ausbleibt, bestimmt der Wunsch
64 65 66 67
Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 30. Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 35. Herv. B. W. Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 45. Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 205.
Romantik und Sachlichkeit des Konsums
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danach umso mehr Doris’ Privatleben und mithin ihr Intimstes: ihre Liebesbeziehungen und ihre sexuelle Selbstbestimmung, die sich in besonderer Weise im Spannungsfeld von Romantik und Konsum realisieren und mit dem Kalkül verbinden, das Ziel des ‚Glanzes‘ zu erreichen. Als Angestellte war es Doris gelungen, ihren Chef durch verführende Mimik eine Weile über fehlende Interpunktion zu besänftigen, bis die Situation durch ihre Blicke nach Marlene Dietrichs Vorbild eskalierte. Die ‚Klappaugen-Marke‘ erweist sich als eine Fehlkalkulation – „denn ich hatte mit dem allen doch erst vier Wochen später gerechnet“.68 Aber sie bleibt darum doch eine Kalkulation, deren Fehlschlagen immerhin noch einen pädagogischen Ertrag einbringt: „und sehe wieder, daß man nie auslernt“,69 kommentiert Doris nüchtern. Mit vergleichbar sachlichem Kalkül setzt Doris auch im Privaten ihre weibliche Ausstrahlung zielorientiert ein. Schon in der unbenannten rheinischen „mittlere[n] Stadt“70 erhält Doris nach einem Rendezvous die erstrebte Armbanduhr als Geschenk ihres Verehrers Arthur Grönland, in dessen Familienname die Kälte als dem zentralen Topos der Emotionslosigkeit neusachlicher Beziehungskonzepte anklingt.71 Durch den Einsatz ihrer eigenen Körperlichkeit nähert sie sich im Verlaufe des Romans mehrfach der Grenze zur Prostitution, die sie jedoch ihrem eigenen Verständnis nach erst am (offenen) Ende des Romans erwägt zu überschreiten.72 Doch handelt es sich bei dem Kunstseidenen Mädchen nicht schon allein durch die Verbindung von Konsumbegehren und scheinbar kalkulierter Romantik letztlich um ein „Tagebuch [des] horizontalen Gewerbes“,73 wie Hermann Kesten es rückblickend bezeichnet hat? „Der Kapitalismus ist unerbittlich in die privatesten Nischen unseres zwischenmenschlichen und emotionalen Lebens eingedrungen“, konstatiert die Soziologin Eva Illouz in ihrer 2003 erschienenen Studie Der Konsum der Romantik. „Aber“, so fragt Illouz weiter, „lässt sich daraus schließen, dass sich die Qualität der Liebesbeziehung dadurch verschlechtert hat?“74 Die Vermengung von Liebesromantik und Konsumbegehren stellt ein Charakteristikum der kapitalistischen
68 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 25f. Herv. B. W. 69 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 26. 70 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 7. 71 Siehe Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 14f. Zum Kälte-Topos siehe Lethen: Verhaltenslehren der Kälte. Zum Liebeskonzept der Neuen Sachlichkeit siehe außerdem Elke Reinhardt-Becker: Seelenbund oder Partnerschaft? Liebessemantiken in der Literatur der Romantik und der Neuen Sachlichkeit. Frankfurt am Main 2005: Campus Verlag. S. 205–298, zu den ökonomischen Grundlagen der Liebe bes. S. 230–236, zu Keuns Roman Gilgi – eine von uns S. 291–298. 72 Siehe Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 205. 73 Hermann Kesten: Meine Freunde, die Poeten. München 1959 (1953): Kindler. S. 347. Hier zit. nach Barndt: Sentiment und Sachlichkeit, S. 184. 74 Illouz: Der Konsum der Romantik, S. 180.
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Lebensformen seit dem frühen 20. Jahrhundert dar, das Illouz in den bereits zitierten Chiasmus von der ‚Romantisierung der Waren‘ und der ‚Verdinglichung romantischer Liebe‘ fasst.75 Das bedeutet für die Praxis romantischer Liebe nicht, dass sie fortan einzig dem ökonomischen Kalkül unterworfen wäre und nur als geglückt gelten kann, wenn sie mit einem Maximum an Konsum einhergeht. Vielmehr bestehen konsumorientierte und weniger konsumorientierte Praktiken nebeneinander.76 Doch als ein Ergebnis von Illouz’ Studie zeigt sich, dass „romantische Aktivitäten, an denen Konsum beteiligt ist, Symbole von größerer Kraft und Resonanz transportieren als diejenigen, bei denen Konsum keine Rolle spielt“.77 Denn um ‚romantisch‘ zu sein, braucht die zwischenmenschliche Interaktion einen symbolischen Raum, der von zeitlichen, räumlichen, emotionalen und künstlichen Grenzen eingehegt wird78 – nur dann wird die ‚Romantik‘ ihrem Anspruch gerecht, sich vom Alltag zu unterscheiden. Konsum kann die Funktion erfüllen, genau solche Grenzziehungen zu erleichtern und zu verstärken. Wenn sich Doris’ Rendezvous mit Arthur Grönland mit dem Geschenk einer Armbanduhr verbindet, folgt dies einem Muster, wie es in den 1920er Jahren in einer Anzeige von Tavannes Watch Co. vorgeführt wird: „Glückliche Stunden“ ist das Bild eines Blicke und Liebesversprechen tauschenden Paares untertitelt (Abb. 55). Die Anzeige erscheint 1928 in der Zeitschrift Die Dame. Der Text führt kleingedruckt aus, dass diese glücklichen Stunden „sich gewöhnlich an ein Geschenk“ ketten, und „[s]eit es Tavannes durch Einführung rationeller Arbeitsmethoden gelungen ist, sowohl praktische Sportuhren als reichverzierte Luxusuhren zu erschwinglichen Preisen herzustellen, ist es möglich, bei jeder Gelegenheit eine zweckentsprechende Präzisionsuhr zum Geschenk zu machen.“ Rationalisierung und Ökonomisierung werden damit nicht zu Romantik verhindernden Faktoren erklärt, sondern begünstigen sie: Denn durch sie wird die Teilhabe am Konsum als einem Intimität stiftenden Element der Massenkultur überhaupt erst für weite Kreise erreichbar.79 Aufgrund dieser Verknüpfungen von Konsum und Romantik spricht Illouz von einer Entwicklung der romantischen Interaktion in Richtung einer „politischen Ökonomie der Liebesbeziehung“.80 Die Widersprüchlichkeiten des Kapitalismus sind vor diesem Hintergrund nicht in der Vermengung der sich scheinbar widersprechenden Konzepte von Ro-
75 Vgl. Kapitel 1, Abschnitt 1.3. Von der Oberfläche der Warenästhetik zur Oberfläche der Textur in dieser Arbeit. 76 Siehe Illouz: Der Konsum der Romantik, S. 155. 77 Illouz: Der Konsum der Romantik, S. 158. 78 Illouz: Der Konsum der Romantik, S. 142. 79 Zur Herstellung von Intimität durch Konsum siehe Illouz: Der Konsum der Romantik, S. 100. 80 Illouz: Der Konsum der Romantik, S. 89.
Romantik und Sachlichkeit des Konsums
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Abb. 55: Anzeige für Tavannes Watch Co., 1928.
mantik und Konsum zu sehen, sondern im Ideal ihrer Trennung bei gleichzeitig praktizierter Vermischung.81 Die von Illouz herausgearbeitete Verschränkung von Konsum und Romantik begründet insofern nicht nur eine politische, sondern
81 „Liebe“, resümiert deshalb Thomas Wegmann, „lässt sich ohne Konsum vielleicht denken, aber nicht realisieren“, und verweist auf Doris’ ‚Gebet‘: „Vater unser, der du bist im Himmel, mache doch mein Inneres so gut und fein, daß er [gemeint ist Doris’ letzte Beziehung Ernst, B. W.] mich lieben kann. Ich kaufe ihm eine Krawatte, denn das kann ich“. Wegmann: Dichtung und Warenzeichen, S. 349; das Zitat Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 190.
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zugleich die narratorisch überaus effektive Ökonomie für das Geschehen im Kunstseidenen Mädchen. Letztlich resultiert die gesamte Dynamik des Romans aus dem Wechselspiel von (neu-)sachlichem Kalkül, das die Liebesbeziehungen einem Prozess der Verdinglichung unterwirft, und einer romantischen Leidenschaft, deren Sehnsüchte oftmals dem medial und warenästhetisch geprägten Blick der Protagonistin entspringen. So trennscharf nämlich, wie es Doris als Devise formuliert, funktionieren ihre Beziehungen nicht: „Mit einem Fremden schlafen, der einen nichts angeht, ganz umsonst, macht eine Frau schlecht. Man muß wissen wofür. Um Geld oder aus Liebe.“82 Tatsächlich steht die Verdinglichung der Romantik – mit Ausnahme der ‚Klappaugen-Marke‘, die im Beruflichen, nicht im Privaten verortet ist – jedoch niemals für sich allein, sondern vermischt sich mit realen Gefühlen. So bedauert Doris schon im Hinblick auf das Rendezvous mit Arthur Grönland, sich sieben rostige Sicherheitsnadeln in Büstenhalter und Hemd gesteckt zu haben, um auch unter Alkohol so ‚sachlich‘ zu bleiben, dass das Verhältnis nur den Zweck erfüllt, eine Armbanduhr zum Geschenk zu bekommen: [H]eimlich hatte ich eine furchtbare Wut auf die Sicherheitsnadeln, denn er hatte süße schwarze Augen und einen tollen Kommant, und die kleine goldene Uhr tickte mir wunderbar am Arm. Aber letzten Endes habe ich viel zu viel Moral, um einen Mann erleben zu lassen, daß ich Wäsche mit sieben rostigen Sicherheitsnadeln trage. Später habe ich sie fortgelassen.83
Der abschließende Hinweis zeigt – geradezu als ein Resumé aus ihrem Selbstzwang zur Sachlichkeit – an, dass es Doris neben dem Konsum eben auch um die Romantik geht.84 Dieses Bedürfnis nach Romantik führt zur zweiten ökonomischen Komponente des Wunsches, ein ‚Glanz‘ zu werden. „Ich bin jetzt schon fast ein Glanz“,85 erklärt Doris, nachdem sie mit ihrer Statistenrolle Premiere gefeiert hat. Zu dieser Selbsteinschätzung tragen nicht nur die Geschenke ihrer Verehrer – darunter ein Korb mit Ölsardinen, Tomatenpüree und Mettwurst, „drei edle Schachteln Katzenzungen mit lila Band“, sowie eine Einladung in eine Bar, die auf einer Karte zusammen mit der Hupe eines „Raten-Opels“ überbracht wird86 –, also die Teil-
82 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 61f. 83 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 15f. 84 Zum Gefühlsdiskurs im Kunstseidenen Mädchen siehe auch Urte Helduser: Sachlich, seicht, sentimental. Gefühlsdiskurs und Populärkultur in Irmgard Keuns Romanen Gilgi, eine von uns und Das kunstseidene Mädchen. In: Stefanie Arend u. Ariane Martin (Hg.): Irmgard Keun 1905/2005. Deutungen und Dokumente. Bielefeld 2005: Aisthesis Verlag. S. 12–27. 85 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 52. 86 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 52.
Romantik und Sachlichkeit des Konsums
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habe am Konsum für sich genommen bei, sondern maßgeblich die Anerkennung und Aufmerksamkeit, die sich darin ausdrücken. So notiert Doris mit Stolz in ihr Heft, es seien außer ihrer ersten Liebe Hubert „alle Männer im Theater [gewesen], mit denen mich einmal Beziehungen verbanden. Ich hätte nicht gedacht, daß es so viele sind. Sonst war das Theater sehr leer. Außer meinen Männern war kaum Publikum da“.87 Damit erfüllt sich auf unerwartete Weise die Befürchtung des Regisseurs Klinkfeld, der Sprecheinsatz der jungen Marketenderin könne zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, darum „sollte die junge Marke von Klinkfeld gestrichen werden, weil sie nur vom Militär ablenkt, aber jetzt hat er sich umbesonnen und sie soll einen Satz schreien“.88 Dass dieser Sprecheinsatz – zumindest in der Darstellung Doris’ – nun tatsächlich die größte Aufmerksamkeit auf sich zieht und der Inszenierung dank der Besetzung zu Publikum verhilft, entspricht ganz den Spielregeln des Star-Systems, das durch den Film der 1920er Jahre etabliert wird: Der ‚Star‘ Doris wird somit zur eigentlichen Attraktion der Inszenierung von Schillers Wallenstein und lässt das Stück selbst nachrangig erscheinen. So macht auch ein Teil von Doris’ Verehrern keinen Hehl daraus, dass „ihnen lieber wie der ganze Schiller“ sei, wenn Doris auf dem Tisch tanzt und dabei Schlager singt.89 Doris zieht unterdessen aus der Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wird, ein Selbstbewusstsein, das sie ihre Zweifel vergessen lässt, „[o]b man wohl ein Glanz werden kann, wenn man es nicht von Geburt ist“.90 Nach der Premierenfeier im Kreis ihrer Freunde und dem Konsum von Bier und Asbach Uralt hegt sie einerseits Hoffnungen auf mediale Aufmerksamkeit: „Vielleicht stehe ich auch morgen in der Zeitung wegen einer Kritik.“91 Doch zugleich verbinden sich diese Hoffnungen mit dem Optimismus, damit ihre erste Liebe Hubert wiederzugewinnen, „[w]o ich nun berühmt bin und ein Glanz“.92 Innerhalb ihrer Schilderung der Premierenfeier schreibt sich Doris damit vom ‚schon fast‘ zum ‚nun‘ des ‚Glanz‘-Seins voran. Individuelle und (erhoffte) mediale Anerkennung und Aufmerksamkeit bestärken sich dabei gegenseitig. Diese lassen sich aber nicht als „bloße Äußerlichkeit“ erledigen,93 durch die Doris als Trägerin einer „schier unendliche[n] Menge an
87 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 51f. 88 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 36. Im Original gehört zu dieser Rolle neben dem Satz „Base, sie wollen fort“ noch der zweite Sprecheinsatz: „Gäste dort zu bedienen sind.“ Friedrich Schiller: Wallenstein. Ein dramatisches Gedicht. Wallensteins Lager. In: Ders.: Sämtliche Werke, Bd. II, S. 269–311, hier S. 282. 89 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 53f. 90 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 47. 91 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 54. 92 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 54. 93 Georg Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. München 2007: Deutscher Taschenbuch Verlag. S. 75.
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‚falschem Bewußtsein‘“ hinreichend charakterisiert wäre.94 Denn in Doris’ Wunsch nach Aufmerksamkeit exemplifizieren sich grundlegende Mechanismen der medialen Kulturökonomie. Wie Georg Franck in seinem ‚Entwurf‘ zu einer Ökonomie der Aufmerksamkeit ausführt, gehört das „Verlangen, überhaupt eine Rolle im Seelenleben anderer zu spielen“ und in dieser Rolle zu gefallen, zu den Grundlagen menschlicher Existenz und kann deshalb auch nicht „einfach als Gefallsucht abgetan werden“.95 Denn die Aufmerksamkeit Anderer bildet, so Franck, das Fundament des Selbstwertgefühls: „Auch und gerade unsere Selbstwertschätzung genügt sich nicht selbst. Was wir von uns selbst halten dürfen, hängt in eminentem Maße von der Wertschätzung ab, die wir von anderen empfangen.“96 Franck sieht daher die elementare Form der Zwischenmenschlichkeit in einem „Tausch von Beachtung“.97 Damit steht Francks Theorie der Aufmerksamkeit auf einem ökonomischen Fundament, das mit dem des materiellen Wohlstandes vergleichbar ist: „Die Maximierung des Selbstwerts nimmt im Tausch der Beachtung die Rolle ein, die die Maximierung des Nutzens im Tausch dinglicher Güter einnimmt. […] Zum Wohlbefinden reicht materieller Wohlstand nicht. Sobald die materiellen Grundbedürfnisse befriedigt sind, wird es für das Wohlbefinden sogar wichtiger, wie man vor sich selbst dasteht.“98 Für Doris geht es sowohl um das Erreichen materiellen Wohlstandes als auch um die Erfüllung des Wunsches nach Aufmerksamkeit; beide Ziele sind eng miteinander verknüpft und verlaufen, da sie an die politische Ökonomie des Rendezvous’ gekoppelt sind, in gegenseitiger Abhängigkeit. Am Theater versucht Doris ein letztes Mal, unabhängig von einer realen Liebesbeziehung Aufmerksamkeit zu erlangen. Da sie jedoch weiß, dass die ‚ökonomische‘ Ressource Aufmerksamkeit die Investition eines Startkapitals erfordert, verschafft sie sich zunächst Anerkennung unter ihren Schauspielerkolleginnen, indem sie ein Verhältnis mit dem Direktor des Theaters fingiert und sich damit jenen „Seitenglanz“ von ihm verschafft, mit dem sie später ihre Freundin Therese „mit beglänzen“ will, wenn sie selber ein ‚Glanz‘ ist.99 Diese Investition setzt Do-
94 Klaus R. Scherpe: Doris’ Gesammeltes Sehen. Irmgard Keuns kunstseidenes Mädchen unter den Städtebewohnern. In: Ders.: Stadt. Krieg. Fremde. Literatur und Kultur nach den Katastrophen. Tübingen u. Basel 2002: Francke. S. 37–47, hier S. 37. 95 Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 75. 96 Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 75. 97 Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 76. 98 Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 76f. 99 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 58. Zum ‚Abglanz‘ einer Person, die Aufmerksamkeit auf sich zieht, auf die sie umgebenden Personen siehe auch Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 132.
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ris’ ‚Karriere‘ allerdings vor allem ein jähes Ende. Schon kurz nachdem sie angefangen hat, sich als ‚Glanz‘ zu sehen, muss sie feststellen: „Ich habe ausgeglänzt, meine Karriere ist hin“.100 Als sie befürchtet, ihre fingierte Liebesbeziehung sei inzwischen zum Theaterdirektor vorgedrungen, entschließt sie sich zur Flucht nach Berlin – begleitet von einem Fehmantel, den sie am selben Abend für ein Rendezvous mit Hubert aus der Garderobe des Theaters in der (vorgeblichen) Absicht entwendet hatte, ihn dort nach dem Rendezvous wieder an seinen Ort zu bringen. Dieser Mantel, der innen mit „Futter aus Crepe marocain, reinseiden“101 gefüttert ist, wird in Berlin zu ihrem Requisit des ‚Glanzes‘ – das sie zur stolzen Besitzerin von Kunstseideartikeln der Marke Bemberg macht. Schon als sie von der Statistenrolle zum Sprecheinsatz ‚Base, sie wollen fort‘ aufsteigt, ist sie der Auffassung, dass ihr nun zum ‚Glanz‘ noch der Abendmantel fehle. So folgt auf ihre Abwägung, ob man ein ‚Glanz‘ werden könne, wenn man es nicht von Geburt an sei, die Überlegung: „[I]ch bin doch jetzt schon Schauspielschule. Ich habe aber noch keinen Abendmantel – alles ist halber Kram – das Stück mit Fuchs ist nachmittags eine gute Sache und abends ein Dreck.“102 Mit dem entwendeten Fehmantel wird Doris in Berlin fortsetzen, was sie in der mittleren Stadt mit der fingierten Liebesbeziehung zum Theaterdirektor begonnen hatte: Sie wird „die alltäglichen ontologischen Grenzen zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen“ (Sloterdijk103) überspielen und sich als ‚Glanz‘ inszenieren. Mit dieser Maskerade etabliert die Textur des Romans zugleich die master trope des ‚Glanzes‘.
3.3 Marken und Masken: Zur master trope des ‚Glanzes‘ In Berlin wird Doris keine Anstellung mehr haben und sich, mehr noch, vehement der Arbeit verweigern. Selbst als sie am Ende des Romans obdachlos im Wartesaal sitzt, ist sie in all ihrer Unentschlossenheit in diesem Punkt entschlossen: „Ich will nicht arbeiten […]. Ich will – will – ich weiß nicht – […] arbeiten tu ich nicht“.104 Stattdessen ist der Fehmantel das Mittel, das ihr den Aufstieg zum ‚Glanz‘ ermöglichen soll:
100 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 56. 101 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 60. 102 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 47. 103 Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft. Frankfurt am Main 1983: Suhrkamp. S. 856. 104 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 205.
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Es geht etwas vorwärts. Ich habe fünf Hemden Bembergseide mit Handhohlsaum, eine Handtasche Rindleder mit etwas Krokodil dran, einen kleinen grauen Filzhut und ein Paar Schuhe mit Eidechsenkappen. […] Im allgemeinen kann ich nicht klagen. Da war ich zuerst auf dem Kurfürstendamm, da stand ich vor einem Schuhgeschäft, da sah ich so süße Schuhe, da kniff mich eine Idee – ich tat Sicherheit von ganz großer Dame in mich, wozu mir der Feh half – und riß mir einen Absatz vom Schuh und hinkte in das Geschäft. Und legte den Absatz dem schwarzen Rayon in die Hände. Sagt er mir: „Gnädige Frau.“ Sag ich: „So ein Unglück, wo ich tanzen wollte und hab nicht mehr Zeit für nach Haus und nicht genug Geld bei mir.“ Ging ich aus dem Laden mit Eidechsenkappen und abends mit dem schwarzen Rayon in ein Kabarett.105
Durch den Fehmantel hat Doris die nötige Sicherheit, um als ‚große Dame‘ aufzutreten, und zieht die Aufmerksamkeit auf sich, die sie benötigt, um sich von romantischen Affären mit begehrten Konsumgütern beschenken zu lassen, die wiederum den ersehnten ‚Glanz‘ in Form von weiterer Aufmerksamkeit und weiteren Konsumgütern näher rücken lassen.106 Das Feh wird somit zur Eintrittskarte in eine Schleife von Rückkopplungseffekten, die das aufmerksamkeitsökonomische Charakteristikum des ‚Glanzes‘ bilden.107 Es verleiht ihr, wie die Homophonie nahelegt, eine feenhafte Erscheinung und entscheidet damit auch über ihr Schicksal, ihr fatum (so die lateinische Wurzel, auf die das Lexem /Fee/ zurückgeht108). Zum ersten ökonomischen Ertrag dieser aufmerksamkeitsökonomischen Rückkopplungseffekte zählen insbesondere die fünf Hemden aus Bembergseide. Von den übrigen Kleidungsstücken und modischen Accessoires, die Doris ihrem ‚Glanz‘ in Berlin verdankt, heben sich diese insofern ab, als sie durch ihr Material auf den Titel des Romans verweisen und ihre Besonderheit somit schon paratextuell angezeigt wird. Überdies kommt ihnen auch auf der Ebene der histoire eine besondere Bedeutung zu, da Doris die Hemden, wie den Mantel, einem Diebstahl und anschließender Flucht verdankt und sie fortan mit vergleichbarer Sorgfalt hütet wie den Fehmantel mit reinseidenem Innenfutter. Kunstseide und echte Seide erfahren damit die gleiche Wertschätzung durch Doris, als bestünde zwi105 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 76. 106 Zur Ökonomie des Fehmantels siehe Volker Klotz: Forcierte Prosa. Stilbeobachtungen an Bildern und Romanen der Neuen Sachlichkeit. In: Rainer Schönhaar (Hg.): Dialog. Literatur und Literaturwissenschaft im Zeichen deutsch-französischer Begegnung. Festgabe für Josef Kunz. Berlin 1973: Erich Schmidt Verlag. S. 244–271, bes. S. 262. Klotz bezeichnet den Fehmantel als Doris’ „ungedeckte[n] Scheck“, dessen „Geltungskredit“ sie nutze (ebd.). 107 Zu den Rückkopplungsschleifen der Aufmerksamkeitsökonomie vgl. Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 127. 108 Vgl. Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache.
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schen ihnen kaum ein Unterschied. Dies steht im Gegensatz zu Doris’ eigener Abwertung von Kunstseide gegenüber echter Seide, wenn sie befindet, „man sollte nie Kunstseide tragen mit einem Mann, die zerknautscht dann so schnell und wie sieht man aus dann nach sieben reellen Küssen und Gegenküssen? Reine Seide –“.109 Die Kunstseide der Marke Bemberg scheint von dieser verminderten Wertschätzung jedoch ausgenommen. Wenn ihre Beziehungen enden, achtet Doris darauf, dass sie den „Koffer mit meinen Bemberghemden“110 als ihrer wichtigsten Habseligkeit neben dem Feh nicht zurücklassen muss. Die Kleidungsstücke aus Bembergseide treten damit für Doris nicht nur gleichberechtigt neben diejenigen aus echter Seide, über die sie nach und nach in Berlin verfügen wird, wie ihren „Kimono aus reiner Seide“, ihre „Hemden […] aus Crepe lavable“ oder ihre „weißen Seidenschuhe“,111 sondern es kommt ihnen sogar ein Mehrwert gegenüber den seidenen Stücken zu – die weißen Seidenschuhe wird Doris verschenken, den Verlust eines Nachthemdes aus Bembergseide bedauern und berechnen: „Zehn Mark.“112 Wie ist das zu erklären? Kunstseide ist ein Stoff, der sich in den 1920er Jahren überaus großer Beliebtheit erfreut und von unterschiedlichsten Herstellern und Fachgeschäften beworben wird (Abb. 56). Synthetisierende Verfahren ermöglichen es seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, Fasern so zu bearbeiten, dass sie den Glanz von echter Seide gewinnen.113 Durch ihren künstlichen Glanz gibt die Kunstseide somit vor, etwas zu sein, das sie nicht ist – eine Eigenschaft, die in der Rhetorik der simulatio zukommt. Doch dabei bleibt es nicht, wenn die Kunstseide den Markt als Marke betritt: Eine Anzeige für Strümpfe aus Bembergseide, die 1928 in der Zeitschrift Die Dame erscheint, wirbt mit den Slogans: „Der Strumpf aus Bembergseide – der Liebling der Frauen“ und „Bembergseide, das kunstseidene Edelprodukt“ (Abb. 57). Damit werden die Erzeugnisse aus Bembergseide zum einen vom Imitat zu einem eigenständigen, edlen Produkt aufgewertet. Nachdrücklich weist die Anzeige darauf hin, dass „Strümpfe aus Bembergseide […] nur echt [sind] mit dem Stempel ‚Bembergseide‘“. ‚Echtheit‘ und Originalität werden somit zum Ausweis auch von künstlichen Massenprodukten. Indem der Markenname Bembergseide die Gegenstandsbezeichnung Kunstseide obsolet werden lässt – tatsächlich stellt Doris keinerlei Verbindung zwischen der von ihr abgelehnten Kunstseide und ihrer geschätzten Bembergseide her –, vollzieht sich jener Prozess der ‚Naturali-
109 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 104. 110 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 146. 111 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 116, 118 u. 122. 112 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 150. 113 Ausführlicher wird darauf in Abschnitt 3.5. Materialästhetik: ‚Bembergseide‘ und die poetologischen Synthesen des ‚Kunstseidenen Mädchens‘ in diesem Kapitel zurückzukommen sein.
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Abb. 56: Anzeige für „Setilose“-Wäsche, 1931.
sierung‘ des Künstlichen, die Roland Barthes in seinen Mythologies beschrieben hat.114 Die Marke Bembergseide etabliert ein zweites semiologisches System, welches das erste, auf den Gegenstand Kunstseide bezogene vergessen lässt. Zu diesem sekundären semiologischen System gehört, dass das Produkt aus Bembergseide, wie die zitierte Reklame zeigt, zu einem geliebten Subjekt erhoben wird, wenn der Strumpf aus Bembergseide als ‚Liebling der Frauen‘ beworben wird. Der Strumpf wird damit verlebendigt – erneut tritt hier also die Figur der Prosopopoeia hervor. Diese bildet auch das verbindende Element zwischen den Hemden aus Bembergseide und dem Feh. Denn über die Reklame wird der Bembergseide zugesprochen, was Doris’ quasiamourösem Verhältnis zum Feh entspricht.115
114 Vgl. dazu den Abschnitt 2.2. Faszination und kulturelle Vernetzung einer Marke: Roland Barthes’ semiologische Lektüre der ‚Citroën DS‘ als Alltagsmythos in der Einleitung zu dieser Arbeit. 115 Schon als Doris den Mantel an der Garderobe erblickt, beschreibt sie dies wie einen coup de foudre: „Da sah ich an einem Haken einen Mantel hängen – so süßer, weicher Pelz. So zart und grau und schüchtern, ich hätte das Fell küssen können, so eine Liebe hatte ich dazu. […] Es war echt Feh“ (Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 59f.). Die anthropomorphen Zuschreibungen (‚zart‘, ‚schüchtern‘) sowie Doris’ Wunsch, den Mantel zu küssen und ihre ‚Liebe‘ zu ihm machen den Mantel zu einem Liebesobjekt, der zum Subjekt wird, wenn Doris unmittelbar vor ihrer Flucht nach Berlin das Begehren als ein gegenseitiges beschreibt: „Der Mantel will mich, und ich will
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Abb. 57: Anzeige für Bemberg-Strümpfe, 1928.
Für den semiologischen Zusammenhang des ‚Glanzes‘ interessieren hier weniger die fetischisierenden Implikationen, die von einer verlebendigenden Rhetorik mitbegründet werden (können),116 als die rhetorische Figur der Prosopopoeia
ihn, wir haben uns.“ (S. 62). Als Doris den Mantel bei der Wiederbegegnung mit ihrer ersten Liebe Hubert trägt – für diesen Zweck hatte sie den Mantel entwendet –, wird der Mantel dann auch zum Ersatz für die Zuneigung, die sie bei Hubert nicht findet: „Saß der Hubert da und […] hatte eine Bewunderung für mich, die nicht gut gewesen ist und mich nicht stolz machte. Um mich war der Mantel und hatte mehr schlagendes Herz für mich als Hubert.“ (ebd., S. 60.). Noch als sich Doris auf Drängen Ernsts, ihrer letzten Beziehung, dazu durchringt, den Pelz an seine Eigentümerin zurückzuschicken, erklärt sie, „daß tausend Pelzmäntel auf mich regnen könnten […], aber ich würde nie mehr einen so mit mein Herz lieben wie dieses Feh“ (ebd., S. 185). Zur Übersendung des Mantels wird es indes nicht mehr kommen, weil die Beziehung zu Ernst zuvor endet. 116 Zur Prosopopoeia im Kontext der Fetischtheorie siehe ausführlich den Abschnitt 2.5. Potenzierter Fetischismus: Konvergenzen von Warenästhetik und Psychoanalyse – und Manns Dichtungsprogramm der ‚Beseelung‘ in Kapitel 2 dieser Arbeit.
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selbst. Paul de Man hat die Prosopopoeia von ihrer Etymologie her neu erschlossen und darin „die Trope der Autobiographie“117 ausgemacht. Als prosopon poien verleiht die Trope, wörtlich verstanden, eine Maske oder ein Gesicht und entspricht damit dem autobiografischen Spiel des „Geben[s] und Nehmen[s] von Gesichtern, [der] Maskierung und Demaskierung, Figur, Figuration und Defiguration“.118 Dabei handelt es sich auch hier nicht einfach um simulatio oder dissimulatio, sondern um die stete Ambivalenz von Zeigen und Verbergen. Genau diese Eigenschaften machen sie indes auch zur master trope des ‚Glanzes‘ und eines bedeutenden Bestandteils der Alltagskultur der Weimarer Republik. In einem Berliner Café sitzend notiert Doris: Ich – mein Feh – der ist bei mir – meine Haut zieht sich zusammen vor Wollen, daß mich in dem Feh einer schön findet, den ich auch schön finde. Ich bin in einem Café – da ist Geigenmusik, die weht weinerliche Wolken in mein Gehirn – etwas weint in mir – ich habe eine Lust, mein Gesicht in meine Hände zu tauchen, damit es nicht so traurig ist. Es muß sich soviel Mühe geben, weil ich ein Glanz werden will. Es strengt sich ungeheuer an – und überall sitzen Frauen, von denen die Gesichter sich anstrengen.119
‚Glanz‘ verlangt nach Maskerade. Im autobiografischen Genre des Tagebuchs demaskiert sich Doris’ Ich, wenn sich die Sehnsucht nach der Maske wie in einem stream of consciousness, also narratorisch in einem hohem Maß an Unmittelbarkeit, Ausdruck verschafft. Und doch ist diese Unmittelbarkeit rhetorisch wiederum nur durch die Prosopopoeia einzuholen, die das Gesicht zu einem eigenständigen Aktanten macht, hinter dem das vermeintlich authentische Ich zurücktritt: Nicht Doris muss sich ‚soviel Mühe geben‘, sondern ihr Gesicht. Diese „Sehnsucht nach den Masken“,120 die Doris mit zahlreichen Frauen um sich herum teilt, nimmt Helmuth Plessner 1924 zum Ausgangspunkt seiner Gesellschaftstheorie Grenzen der Gemeinschaft. Durch Helmut Lethens Relektüre von Plessners Maskerade-Theorie in den Verhaltenslehren der Kälte sind die Grenzen der Gemeinschaft zu einem Schlüsseltext für das Verständnis der Neuen Sachlichkeit avanciert und haben die literaturwissenschaftliche Diskussion um die Literatur der
117 Paul de Man: Autobiographie als Maskenspiel. In: Ders.: Die Ideologie des Ästhetischen. Hg. von Christoph Menke. Frankfurt am Main 1993: Suhrkamp. S. 131–146, hier S. 140. 118 de Man: Autobiographie als Maskenspiel, S. 140. 119 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 78. Herv. B. W. 120 Helmuth Plessner: Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus [1924]. Frankfurt am Main 2002: Suhrkamp. S. 41.
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Weimarer Republik maßgeblich mitbestimmt.121 Plessners Theorie der Maskerade erscheint allerdings – wie die von Lethen in den Blick genommenen Verhaltenslehren und literarischen Texte der Weimarer Republik überhaupt – als ein „virile[s] Genre“, das „eine rein männliche Welt […] konstruier[t], in der die Polarisierung der Geschlechter bis zum Verstummen der weiblichen Stimme getrieben ist“.122 So erstaunt es zunächst nicht, dass fünf Jahre nach Plessner, 1929, Joan Rivieres weibliche Maskerade-Theorie Womanliness as a Masquerade bei dem Versuch ansetzt, „zu zeigen, daß Frauen, die nach Männlichkeit streben, zuweilen eine Maske der Weiblichkeit aufsetzen“.123 Doch im Verlaufe ihrer Argumentation verliert dieses Streben nach Männlichkeit an Bedeutung. Schließlich hält Riviere ein und erklärt: Der Leser mag sich nun fragen, wie ich Weiblichkeit definiere und wo ich die Grenze zwischen echter Weiblichkeit und der „Maskerade“ ziehe. Ich behaupte gar nicht, daß es diesen Unterschied gibt; ob natürlich oder aufgesetzt, eigentlich handelt es sich um ein und dasselbe.124
Mit dieser Ineinssetzung von Maskerade und ‚echter Weiblichkeit‘ liefert Riviere nicht nur den Ansatzpunkt, von dem aus dekonstruktivistische Gender-Theorien später biologistische Geschlechtermodelle aushebeln werden.125 Wenn Riviere
121 Lethen liest die Grenzen der Gemeinschaft als „ein Manifest der Neuen Sachlichkeit“. Lethen: Verhaltenslehren der Kälte, S. 75–95, hier S. 95. Zur intermedialen Verbreitung des Maskeradedenkens in der Weimarer Republik siehe auch Björn Weyand: Gesichtslosigkeit. Konzeptualisierungen von Photographie und Theater im neusachlichen Jahrzehnt. In: Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge (2002) 1, S. 70–82. 122 Lethen: Verhaltenslehren der Kälte, S. 14. Vgl. zu diesem Aspekt auch Barndt: Sentiment und Sachlichkeit, S. 187f. Analog zu Plessners Ausschluss von Frauen aus seiner MaskeradeTheorie wird Kurt Pinthus, der Herausgeber der einschlägigen Anthologie expressionistischer Lyrik Menschheitsdämmerung (1920), 1929 die Neue Sachlichkeit unter dem Titel Männliche Literatur abhandeln. Zwar wählt Pinthus, wie er erklärt, diesen Begriff „nicht nur als Gegensatz und Gegenwort zu feministischer Weichlichkeit, mit der letzthin allerlei Epheben verschiedenen Alters den Anschein der Poesie oder die Poesie selbst zu erwecken versuchten“. Pinthus geht es ebenso um den Gegensatz des Mannes zum „Jünglingstum“ des Expressionismus. Faktisch kommen in seiner Betrachtung auch Autorinnen wie Anna Seghers, Marieluise Fleißer und Gina Kaus vor, deren Büchern er eine „männliche“ Wirkung attestiert. Kurt Pinthus: Männliche Literatur. [Erstdruck: Das Tagebuch 10 (1929) 1, S. 903–911]. In Kaes (Hg.): Weimarer Republik. Manifeste und Dokumente, S. 328–335, hier S. 328 u. 332. 123 Joan Riviere: Weiblichkeit als Maskerade. In: Liliane Weissberg (Hg.): Weiblichkeit als Maskerade. Frankfurt am Main 1994: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 34–47, hier S. 35. 124 Riviere: Weiblichkeit als Maskerade, S. 39. 125 Siehe Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, S. 75–93. Zur Produktivität der MaskeradeTheorie siehe außerdem Claudia Benthien: Das Maskerade-Konzept in der psychoanalytischen und kulturwissenschaftlichen Theoriebildung. In: Dies. u. Inge Stephan (Hg.): Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Köln, Weimar u. Wien 2003: Böhlau. S. 36–59. [= Literatur – Kultur – Geschlecht. Kleine Reihe. Bd. 18.]
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die „Tatsache, daß Weiblichkeit wie eine Maske übergestreift werden kann“126 hervorhebt, so überantwortet sie damit die Frage der Geschlechtlichkeit auch einer ‚Alltagsästhetik des Performativen‘,127 die geradewegs auf das von Plessner formulierte ‚anthropologische Grundgesetz‘ zuführt, demzufolge der Mensch „von Natur, aus Gründen seiner Existenzform künstlich“ sei.128 ‚Echtheit‘ oder Natürlichkeit auf der einen und Künstlichkeit auf der anderen Seite werden damit nicht länger als Gegensätze betrachtet, sondern in eine Kulturpoetik der Ambivalenz überführt, die die Maskerade-Theorien mit der Kunstseide der Marke Bemberg gemein haben: Marken und Masken entfalten einen Glanz des Ambivalenten. Der immense Aufschwung der kosmetischen Industrie während der 1920er Jahre lässt diesen Zusammenhang von Marke und Maske evident werden, er macht Maskeraden zu einer massenhaft verfügbaren Ware und erhebt sie zugleich zu einem Imperativ weiblicher Modernität:129 „Style your Face – Modernisieren Sie Ihr Gesicht“, wirbt die amerikanische Kosmetikmarke Elizabeth Arden 1931 in der Zeitschrift Die Dame.130 Der imperativische Gestus der Reklame zeigt den sozialen Druck an, der von der Maskerade ausgeht. Mehrere Anzeigen für kosmetische Produkte der Zeit bezeichnen das Gesicht metaphorisch als das ‚Kapital‘ der Frau.131 In Plessners Theorie der Maskerade findet sich das aufmerksamkeitsökonomische Fundament dieser Metaphorik ausformuliert:
126 Riviere: Weiblichkeit als Maskerade, S. 41. 127 Vgl. Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen. Zum Wechsel von der essentialistischen zur kosmetisch-performativen Identität der Weiblichkeit in den 1920er Jahren siehe auch Kathy Peiss: Making Up, Making Over. Cosmetics, Consumer Culture, and Women’s Identity. In: Victoria de Grazia u. Ellen Furlough (Hg.): The Sex of Things. Gender and Consumption in Historical Perspective. Berkeley, Los Angeles and London 1996: University of California Press. S. 311–336. 128 Helmuth Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie. Frankfurt am Main 1981: Suhrkamp. S. 385. Herv. im Orig. [= Gesammelte Schriften. Hg. von Günter Dux, Odo Marquard u. Elisabeth Ströker. Bd. IV.] Auch diese naturkünstliche Bestimmung des Menschen hat für Plessner nur Gültigkeit im Hinblick auf das männliche Geschlecht. Lethen reformuliert daher Plessners Grundsatz: „Der Mann sei von Natur aus künstlich.“ (Lethen: Verhaltenslehren der Kälte, S. 94. Herv. im Orig.) Weiblichkeit bleibt in Plessners Theorie mit dem tradierten Topos der (‚natürlichen‘) Natürlichkeit assoziiert. 129 Siehe Katharina von Ankum: Karriere – Konsum – Kosmetik. Zur Ästhetik des weiblichen Gesichts. In: Claudia Schmölders u. Sander L. Gilman (Hg.): Gesichter der Weimarer Republik. Eine physiognomische Kulturgeschichte. Köln 2000: DuMont. S. 175–190. 130 Die Anzeige findet sich in Ankum: Karriere – Konsum – Kosmetik, S. 176. 131 Zur Kapitalisierung des Gesichts und Körpers siehe auch Wegmann: Dichtung und Warenzeichen, S. 347f. Sowie die Anzeige für Palmolive-Seife in von Ankum: Karriere – Konsum – Kosmetik, S. 178.
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Kann der Mensch es nicht wagen, einfach und offen das zu sein, was er ist, so bleibt ihm nur der Weg, etwas zu sein und in einer Rolle zu erscheinen. Er muß spielen, etwas vorstellen, als irgendeiner auftreten, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und sich die Achtung der anderen erzwingen. […] Nackte Ehrlichkeit wirkt, wenn nicht ganz besondere Umstände mithelfen, einfach als Spielverderberei, mit der weiter nichts anzufangen ist, als daß man darüber hinweggeht.132
Anders ausgedrückt: Mangelnde Maskenhaftigkeit hat den Entzug von Aufmerksamkeit zur Folge. Gleichwohl wird der Mensch hinter seiner Maske immer nur „bis zu einem gewissen Grade unsichtbar“.133 „Und ich bin wohl sehr für Puder und rot auf den Lippen – besonders Coty dunkel –“, erklärt auch Doris unter Nennung ihrer bevorzugten Marke Coty, „aber ich finde, man soll sich nicht so schminken, daß man ein Lachen hat, das einem nicht mehr aufs eigne Gesicht gehört“.134 Die Maskerade bewegt sich damit zwischen Authentizität und Künstlichkeit und kann in ihrer Künstlichkeit sogar durchschaut werden, ohne deshalb an Wert zu verlieren. So zeigt Riviere am Beispiel einer Fallgeschichte, dass die „Frauenmaske, obwohl sie für andere Frauen [und möglicherweise ebenso sehr für andere Männer, B. W.] durchschaubar war, bei Männern Erfolg hatte und ihren Zweck erfüllte“.135 Die Maskerade entzieht sich der statischen Antithetik von Natürlichkeit und Künstlichkeit – sie ist eine Angelegenheit der Performanz. Die Beziehung zu Alexander stellt den Höhepunkt in Doris’ Streben nach ‚Glanz‘ dar. Doris sieht sich selbst am Ziel angelangt und berichtet euphorisch an ihre Freundin Therese aus der mittleren Stadt, wie sie ihren ‚Glanz‘ performiert: Ich habe es erreicht. Ich bin – o Gott – Mutter, ich habe eingekauft: ein kleines Pelzjakett und Hüte und feinste Zervelatwurst – ist es ein Traum? Gewaltig bin ich. Ich bin so voll Aufregung. […] [I]ch fahre mit einem Mercedes, und sogar meine Fußnägel sind gelackt, und ich bilde mich geistig und sage manchmal „c’est-ça olala“. Und bin eine Dame. Meine Hemden sind aus Crepe lavable aus Paris mit handeingestickten Motiven, ich habe einen Büstenhalter, der hat 11 Mark 50 gekostet, und ein Paar Schuhe, die Modelle sind aus echt Straußenleder. Warum könnt ihr mich nicht sehen?136
132 133 134 135 136
Plessner: Grenzen der Gemeinschaft, S. 82–84. Plessner: Grenzen der Gemeinschaft, S. 82. Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 50f. Riviere: Weiblichkeit als Maskerade, S. 44. Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 116 u. 118.
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Kapitel 3: Die Faszination des Glanzes
Waren Doris’ erste Auftritte in Berlin unter Zuhilfenahme des Fehs als ihrem einzigen Requisit des ‚Glanzes‘ noch ein Schauspiel der Hochstapelei,137 so scheint ihre performierte Maskerade nun dem Wirklichkeit gewordenen ‚Glanz‘ zu entsprechen.138 Ihr Bericht zeigt, dass sich keineswegs nur Markenprodukte der kosmetischen oder der Bekleidungsindustrie zur Maskerade eignen. In ihrer Formulierung: ‚Ich fahre mit einem Mercedes, und sogar meine Fußnägel sind gelackt‘ werden Kosmetik und die Automarke Mercedes in einer Weise enggeführt, dass sie beide zu Elementen einer Maskerade werden und mit ihrem Körper zu verschmelzen scheinen. Sie lassen Doris „in Eleganz an erster Stelle“ stehen, wie es in einer zeitgenössischen Annonce für Mercedes Benz heißt (Abb. 58). Noch einmal verbinden sich in der Wahl der Marke Mercedes Benz und insbesondere durch ihre verkürzte Benennung als Mercedes, wie schon in Doris’ etymologischer Erklärung der Marketenderin, eine Marke und eine Person, insofern die Marke Mercedes Benz das Wissen um ihre Namensgeberin Mercedes Adrienne Manuela Ramona Jellinek zum Bestandteil des Markenbildes gemacht hat.139 Doris’ abschließende Frage ‚Warum könnt ihr mich nicht sehen?‘ zeigt an, dass ‚Glanz‘ Aufmerksamkeit braucht. Doris schafft sich deshalb ihre eigene Bühne in der Großstadt. Im Selbstbewusstsein des ‚Glanzes‘ fährt sie mit dem Taxi durch die Straßen von Berlin und wird sich selbst zum ‚Film‘: Ich machte mir einen Traum und fuhr in einem Taxi eine hundertstundenlange Stunde hintereinander immerzu – und allein und durch lange Berliner Straßen. Da war ich ein Film und eine Wochenschau. […] Und bin heute allein Taxi gefahren wie reiche Leute – so zurückgelehnt und den Blick meines Auges zum Fenster raus – immer an Ecken Zigarrengeschäfte – und Kinos – der Kongreß tanzt – Lilian Harvey, die ist blond – Brotläden – und Nummern von Häusern mit Licht und ohne – und Schienen – gelbe Straßenbahnen gleiteten an mir vorbei, die Leute drin wußten, ich bin ein Glanz – ich sitze ganz hinten im Polster und gucke nicht, wie das hopst auf der Uhr – ich verbiete meinen Ohren, den Knack zu hören – blaue Lichter, rote Lichter, viele Millionen Lichter – Schaufenster – Kleider – aber keine Modelle […].140
137 Zur Hochstapelei als verbreitete Praktik der Weimarer Republik siehe Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft, S. 849–859. Zum literarischen Motiv der Hochstaplerfigur in der Weimarer Republik siehe Barndt: Sentiment und Sachlichkeit, S. 181–184. 138 Zu Doris’ Maskerade siehe auch Justine J. Malecki u. Oliver Ruf: Maskierte Städtebewohnerinnen. Weiblichkeitskonstruktionen im Kunstseidenen Mädchen Irmgard Keuns und in Magdalena Felixas Die Fremde. In: Jahrbuch zur Kultur und Literatur der Weimarer Republik (2007) 11, S. 47–69. 139 Zur Namensgebung der Marke Mercedes Benz siehe Fabian Müller: Daimler-Benz. München 2000: Ullstein Taschenbuch. S. 55–77. 140 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 121.
Marken und Masken: Zur master trope des ‚Glanzes‘
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Abb. 58: Anzeige für Mercedes Benz, 1928.
Sprachlich schwankt Doris’ Erzählung zwischen Präsens und Präteritum resp. Perfekt, narratorisch zwischen nachträglichem Erzählbericht und stream of consciousness. Dem entspricht eine Ambivalenz in der Inszenierung des ‚Glanzes‘: Einerseits sucht sich Doris für ihren Auftritt eine ‚große‘ Bühne außerhalb ihres nächsten Umfeldes, wenn das Publikum auch vor allem von den Fahrgästen einer Straßenbahn gebildet wird und die Bühne im abgeschlossenen Raum eines Taxis besteht. Dabei wird der Maskerade-Charakter ihrer Rolle (‚wie reiche Leute – so zurückgelehnt und den Blick meines Auges zum Fenster raus‘) deutlich angesichts der Mühe, die es ihr bereitet, die akustisch und visuell präsente Ökonomie der Taxiuhr auszublenden. Andererseits genügt sich diese Selbstinszenierung selbst, als ein zugleich performierter und imaginierter ‚Glanz‘. ‚Da war ich ein Film‘, sagt Doris, nachdem sie betont hatte, sie fahre allein und noch bevor das ‚Publikum‘ aus der Straßenbahn Erwähnung findet. Narzisstisch spiegelt sich Doris als ‚Glanz‘ im Glanz der Großstadt mit ihren ‚Millionen Lichter[n]‘, ihren Schaufenstern und Kinos, an denen Reklame für Der Kongreß tanzt zu sehen ist
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Kapitel 3: Die Faszination des Glanzes
Abb. 59: Lichtreklame für den Film Der Kongress tanzt am Ufa-Palast am Zoo, 1931.
(Abb. 59), einen der erfolgreichsten Filme des Kinojahres 1931 mit dem Filmstar Lilian Harvey in der Hauptrolle.141 Der imaginative Charakter, den das ‚Glanz‘-Sein für Doris hat, zeigt sich noch deutlicher, als Doris ihren ‚Glanz‘ in Alexanders Wohnung performiert: Und dann tue ich etwas ganz Großes. In meinem Negligé, was meine Füße seidig umwallt und meine Knie streichelt, bewege ich mich vor und hebe ganz langsam meine beiden Arme, die von Spitzen überstürzt werden – und an meinen Füßen rosa seidene Pantoffeln mit Pelz dran – und dann hebe ich meine Arme wie eine Bühne und schiebe die große Schiebetür auseinander und bin eine Bühne. Ich glaube, daß eine Schiebetür das äußerste an Vornehmheit ist. Und schiebe sie wieder zusammen und gehe zurück und tue es nochmal – und bin eine Bühne mindestens zehnmal jeden Vormittag. So ein Leben, so ein Leben.142
Dass diese Performance zwischen den Flügeln einer Schiebetür stattfindet, die sich öffnen und schließen wie ein Theatervorhang, begründet Doris’ Rede von der
141 Zugleich liegt im Hinweis auf Harveys blonde Haarfarbe auch ein Moment der Distinktion, siehe dazu Leo A. Lensing: Cinema, Society, and Literature in Irmgard Keun’s Das kunstseidene Mädchen. In: The Germanic Review 60 (1985) 4, S. 129–134, bes. S. 132. 142 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 119.
Marken und Masken: Zur master trope des ‚Glanzes‘
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Bühne, deren metonymische Verschiebung (‚ich bin eine Bühne‘ statt ‚ich bin eine Darstellerin auf einer Bühne‘) zugleich eine metaphorische Ineinssetzung von Doris und der Bühne, von ihrem Ich und ihrer Maskerade, mit sich bringt. Als Teil der Bühne steht die Schiebetür für jenen Ort, der Doris in der mittleren Stadt das Höchstmaß an Beachtung eingebracht hatte, als das ‚äußerste an Vornehmheit‘ steht sie für ein Leben in Wohlstand. Somit verbinden sich in der Schiebetür noch einmal in verdichteter Form die beiden Elemente des ‚Glanzes‘: Aufmerksamkeit und Teilhabe am Konsum. Dass sich dieses Agieren (wie) auf der Bühne allerdings im nicht-öffentlichen Raum einer Privatwohnung vollzieht, macht deutlich, wie sehr der Wunsch nach ‚Glanz‘ das private Verhalten nach medialen Vorbildern formt und Übergängigkeiten zwischen Intimität und medialisierter Öffentlichkeit schafft. Damit kommt der Schiebtür nicht nur ein realer räumlicher, sondern auch ein bildlicher Schwellencharakter zu. Anders als eine in Scharnieren aufgehängte Tür bevorzugt die Schiebetür keinen der Räume, die sie miteinander verbindet, durch eine vorgegebene Öffnungsrichtung und konstituiert somit einen dritten, liminalen Raum, in dem beide Räume zusammentreffen: einen Raum der Übergängigkeit und Ambivalenz.143 Doris bespielt diesen Raum als ‚Glanz‘ und legt damit ein weiteres strukturierendes Element ihres Wunsches, ein ‚Glanz‘ zu sein offen, seinen Spiegeleffekt. Denn sie gibt sich nicht nur selbst die Maske des ‚Glanzes‘, sondern imaginiert überdies ein Publikum, das sie mit ihrer Performance als ‚Bühne‘ apostrophiert und in dessen Aufmerksamkeit sie sich spiegelt.144 Die Apostrophe zählt wie die Maske zu den Erscheinungsformen der Prosopopoeia.145 Als master trope des ‚Glanzes‘ ist dieser damit jenes Spiel von Spiegelungen eingeschrieben, das dem spiegelnden Effekt glänzender Ober-
143 In dieser Verwandlung der trennenden und Gegensätze schaffenden Grenze in eine verbindende Schwelle liegt die Leistung einer (Alltags-)Ästhetik des Performativen: „Eine Ästhetik des Performativen zielt auf diese Kunst der Grenzüberschreitung. Sie arbeitet unablässig daran, Grenzen, die, historisch gesehen, im ausgehenden 18. Jahrhundert errichtet wurden und seitdem als ebenso unverrückbar wie unüberwindbar und in diesem Sinne als quasi natürliche, das heißt von der Natur gesetzte Grenzen galten – wie die Grenzen zwischen Kunst und Leben, zwischen Hochkultur und populärer Kultur, zwischen der Kunst der westlichen Kultur und derjenigen anderer Kulturen, denen das Konzept der Autonomie von Kunst fremd ist –, zu überschreiten und so den Begriff der Grenze zu redefinieren. Während bisher das Trennende, die Abschottung, die prinzipielle Differenz als die ihn bestimmenden Aspekte im Vordergrund standen, macht eine Ästhetik des Performativen den Aspekt der Überschreitung und des Übergangs stark. Die Grenze wird zur Schwelle, die nicht voneinander trennt, sondern miteinander verbindet.“ FischerLichte: Ästhetik des Performativen, S. 356. 144 Das Motiv des Spiegels durchzieht daher nicht von ungefähr den gesamten Roman. Siehe dazu auch Wegmann: Dichtung und Warenzeichen, S. 349f. 145 Vgl. de Man: Autobiographie als Maskenspiel, S. 140.
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Kapitel 3: Die Faszination des Glanzes
flächen entspricht und in den 1920er Jahren zu einem Topos warenästhetischer Inszenierung und städtischer Wahrnehmung avanciert.
3.4 ‚Glanz‘ als Element moderner Faszinationsproduktion 3.4.1 Der ‚Glanz‘ der Warenästhetik: Lichtreklame und Schaufenster „Was macht zuletzt Reklame der Kritik so überlegen?“, heißt es in der Prosaminiatur Diese Flächen sind zu vermieten aus Walter Benjamins Einbahnstraße (1928). „Nicht was die rote elektrische Laufschrift sagt – die Feuerlache, die auf dem Asphalt sie spiegelt“, lautet die Antwort.146 Ein ‚Glanz‘ zu werden, ist der dezidierte und dennoch vage bleibende Wunsch von Doris. Im gesamten Roman findet sich keine einzige Bestimmung dessen, was Doris genau damit anstrebt. Benjamins aphoristisches Resumé zur Überlegenheit eines warenästhetischen Phänomens wie der Reklame gegenüber dem diskursiv-argumentativen Medium der Kritik bietet eine Erklärung dafür, warum das so ist. Denn nicht obwohl die Kritik die besseren Argumente liefert, unterliegt sie der Reklame, sondern weil sie überhaupt diskursiv verfährt. Benjamin schließt den diskursiven Anteil der Reklame explizit aus – ‚nicht was die rote elektrische Laufschrift sagt‘ – und entdeckt den Grund für ihre Überlegenheit in ihrer sinnlichen Entfaltung. Erst wenn dem Reklametext durch das optische ‚Medium‘ der spiegelnden Straßenoberfläche ihre Schriftlichkeit entzogen wird und die sprachliche Mitteilung hinter den visuellen Eindruck zurücktritt, entfaltet die Reklame ihre überlegene Wirkung (Abb. 60): „Man kann“, befindet Siegfried Kracauer analog zu Benjamin, „in diesem Gewimmel noch Zeichen und Schriften erkennen, doch Zeichen und Schriften sind hier ihren praktischen Zwecken enthoben, das Eingehen in die Buntheit hat sie zu Glanzfragmenten zerstückelt, die sich nach anderen Gesetzen als den gewohnten zusammenfügen.“147 Die Wirkung dieser ‚Glanzfragmente‘ ist nur aisthetisch, durch „sinnlich-affektive Teilnahme an den Dingen“,148 erfahrbar und kann diskursiv nicht eingeholt werden. Deshalb wird Doris scheitern, als sie den blinden Herrn Brenner am ‚Glanz‘ des nächtlichen Berlin teilhaben lassen will.
146 Walter Benjamin: Einbahnstraße. [Erstausgabe: Berlin 1928: Ernst Rowohlt Verlag.] In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. IV-1: Kleine Prosa. Baudelaire-Übertragungen. Hg. von Tillman Rexroth. Frankfurt am Main 1991: Suhrkamp. S. 83–148, hier S. 132. 147 Kracauer berichtet dies über die Lichtreklamen in Paris. Siegfried Kracauer: Lichtreklame. [Erstdruck: Frankfurter Zeitung, 15. 01. 1927]. In: Ders.: Schriften, Bd. 5–2, S. 19–24, hier S. 19. 148 Gernot Böhme: Der Glanz des Materials. Zur Kritik der ästhetischen Ökonomie. In: Ders.: Atmosphäre. Frankfurt am Main 1995: Suhrkamp. S. 49–65, hier S. 51.
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Abb. 60: Lichtreklamen und ihre Spiegelungen auf dem glänzenden Asphalt der Friedrichstraße, 1926.
Die Erzählungen ihrer eigenen Erlebnisse des ‚Glanzes‘ hatten Herrn Brenner zwar neugierig gemacht und Doris ‚ihre Augen auspacken‘ lassen.149 Doch der Versuch, Herrn Brenner diesen ‚Glanz‘ selbst erleben zu lassen, führt zur Enttäuschung: „Ich könnte heulen. Gehen wir – alles sieht anders aus […] und es ist kein Glanz […]. Er soll mir nicht danken – er soll nur mein Berlin schön finden. Und jetzt sieht mir alles ganz anders aus“.150 Die ‚blauen Lichter, roten Lichter, viele Millionen Lichter‘, die Doris auf ihrer nächtlichen Taxifahrt wahrnimmt, lassen sich nicht diskursiv erfahrbar machen. Benjamins Prosaminiatur versucht dem Umstand der Nicht-Diskursivierbarkeit mit den Mitteln der Rhetorik Rechnung zu tragen und semantischen Überschuss zu produzieren: Um den Widerschein der Reklameschrift auf der Straße fassbar zu machen, verbinden sich in der ‚Feuerlache‘ das Feuer mit seiner Farbmetaphorik und das Wasser der Lache zum Oxymoron. Mit gutem Grund verzichtet Benjamins Text darauf, die Voraussetzung für diesen Spiegelungseffekt zu benennen, denn der Glanz, den die Lichter der Großstadt erzeugen, verdankt sich
149 „Ich packe meine Augen aus“. Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 103. 150 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 110–112.
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maßgeblich zwei architektonischen Elementen, die in der Weimarer Republik zu Topoi – und damit vorgefertigten Diskursbausteinen – des feuilletonistischen und literarischen Schreibens über Berlin aufsteigen: der glatten Oberfläche des neuen Baustoffs Asphalt151 und der spiegelnden Oberfläche der Schaufenster.152 Zeitgenössische Filme wie Joe Mays Asphalt (1929) führen diese Topik des Glanzes vor: Die Anfangsszenen zeigen einen Straßenzug im nächtlichen Berlin mit zahlreichen Reklamen u.a. für die Galéries Lafayette, Lux Seifenflocken, Trumpf Wäsche und Schenker’s Transport-Organisation (Abb. 61–62) und sorgen damit in den Feuilletons und Filmmagazinen der Zeit für eine der ersten deutschen Product Placement-Debatten.153 Eine besondere aufmerksamkeitslenkende Wirkung entfaltet dabei ein Schaufenster, das die Passanten derart in Bann schlägt, dass Taschendiebe hier ihr Handwerk ausüben: Es ist ein Schaufenster, in dem ein Mannequin Bembergseide zur Schau trägt (Abb. 63–64).154 Die Reklametechniken der Weimarer Republik zielen insbesondere mit den neuartigen Mitteln, welche die elektrische Lichtreklame bereitstellt,155 auf die Er-
151 Siehe hierzu Erhard Schütz: Asphaltreklame – Die nächtlich erleuchtete Metropole. Kontinuitäten und Variationen eines Berlin-Topos bis 1945. In: Hermann Haarmann (Hg.): Berlin im Kopf. Arbeit am Berlin-Mythos. Exil und Innere Emigration 1933 bis 1945. Berlin 2008: B&S Siebenhaar Verlag. S. 73–89. Sowie die Anthologie von Christian Jäger u. Erhard Schütz (Hg.): Glänzender Asphalt. Berlin im Feuilleton der Weimarer Republik. Berlin 1994: Fannei & Walz. [= Berliner Texte. Neue Folge. Bd. 10.] Dieser Topos begründet auch den Begriff der ‚Asphaltliteratur‘, der in diffamierender Absicht von den Nationalsozialisten instrumentalisiert wurde. 152 Siehe dazu Janet Ward: Weimar Surfaces. Urban Visual Culture in 1920s Germany. Berkeley, Los Angeles u. London 2001: University of California Press. S. 191–240. 153 Zur Inszenierung der Stadt sowie zur Produktion und Rezeption von Asphalt siehe Guntram Vogt: Die Stadt im Film. Deutsche Spielfilme 1900–2000. Mitarbeit Philipp Sanke. Marburg 2001: Schüren. S. 185–196. Auf die Debatte um das Product Placement lässt die zeitgenössische Rezension Hans Wollenbergs schließen, der in der Lichtbildbühne schreibt, „die prozeßumwobene Reklame in diesem Film ist so diskret, daß man sie nicht spürt“. Hier zit. nach Vogt: Die Stadt im Film, S. 190. 154 Siehe hierzu ausführlicher Björn Weyand: An den Rändern des Semiologischen. Zur Faszination warenästhetischer Phänomene in Irmgard Keuns Das kunstseidene Mädchen (1932) und Joe Mays Asphalt (1929), gelesen mit Roland Barthes’ Mythologies (1957). Erscheint in: Kodikas/ Code – Ars Semeiotica (2013). [im Druck] 155 Zur elektrischen Lichtreklame siehe Ward: Weimar Surfaces, S. 92–141. Der Einsatz der elektrischen Beleuchtung findet in den 1920er Jahre seinen Höhepunkt in der Veranstaltung Berlin im Licht, die 1928 nach einer Idee von Frankfurter Elektrizitäts-, Handels- und Fremdenverkehrsverbänden in der Hauptstadt veranstaltet wird, siehe hierzu Janos Frecot u. Klaus-Jürgen Sembach: Berlin im Licht. Photographie der nächtlichen Stadt. Berlin 2002: Nicholaische Verlagsbuchhandlung. Bes. S. 7.
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Abb. 61–62: Reklamen in Außen- und Studioaufnahmen in Joe Mays Asphalt, 1929.
zeugung solcher nicht diskursivierbarer ‚Atmosphären‘ und ihre Anziehungskraft.156 Dies erklärt auch die überaus präsente Lichtmetaphorik des Kunstseidenen Mädchens.157 Im Oktober 1928 widmet das Fachmagazin Seidels Reklame dem
156 Zur Produktion von Atmosphären als nur aisthetisch erlebbaren Eindrücken im Kapitalismus siehe Böhme: Der Glanz des Materials, S. 62–65. Sowie Ders.: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre. München 2001: Wilhelm Fink Verlag. Bes. S. 52f. 157 Vgl. Stefanie Arend u. Ariane Martin: Nachwort. In: Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 206–266, bes. S. 257.
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Abb. 63–64: Ein Schaufenster für Bembergseide und seine inszenierte Anziehungskraft in Asphalt.
Thema Licht eine eigene Ausgabe und zeigt auf der Illustration des Titelblatts jene Farbenvielfalt, die Doris bei ihrer nächtlichen Taxifahrt beschreibt (Abb. 65). In einem Artikel über die Beleuchtung von Geschäftsfassaden und Schaufenstern erklärt der Berliner Architekt Karl Nöthling: Die Werbefront des Ladens ist das „Antlitz“ des Geschäftes und die Werbefenster sind die „Augen“ darin. Jeder weiß, wie anziehend ein schönes Antlitz mit schönen Augen wirkt. Das schönste Antlitz aber ist um seine faszinierende Wirkung gebracht, wenn die Augen gleich-
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sam erloschen sind, wenn ihnen der lichtvolle strahlende Blick fehlt! A l s o L i c h t u n d G l a n z s p i e l e n a u c h h i e r d i e e r s t e w i c h t i g s t e R o l l e ! 158
Licht und Glanz bilden damit die Elemente einer warenästhetischen Theorie der Anziehungskraft. Nicht zufällig ist dabei von der ‚faszinierenden Wirkung‘ die Rede. Denn die Metaphorik, in der die Werbefront zum ‚Antlitz‘ und die Schaufenster zu ‚Augen‘ werden, greift auf die Ursprünge des Begriffs ‚Faszination‘ zurück, bevor dieser im Verlaufe des 20. Jahrhunderts zu einem Schlagwort der ‚Erlebnisgesellschaft‘ avanciert.159 Bis ins 19. Jahrhundert bezeichnet Faszination ausschließlich den interpersonellen ‚Augenzauber‘,160 eine ‚Verzauberung‘, ‚Behexung‘ oder Bannung einer Person durch den Blick einer anderen (das lateinische fascinare meint ‚verzaubern‘, ‚verhexen‘ oder auch ‚verblenden‘). War diese Bezauberung lange Zeit negativ konnotiert und mit dem ‚bösen Blick‘ verbunden, so wird Faszination im 19. Jahrhundert ein entscheidendes Moment literarischer Inszenierungen des erotischen Begehrens.161 Im Verlauf des 20. Jahrhunderts erfährt das Konzept der Faszination zusätzlich zu seiner konnotativen Aufwertung noch eine weitere grundlegende Transformation: Es löst sich allmählich aus den interpersonellen Zusammenhängen heraus und wird damit zu einer Anziehungskraft, die von (fast) allem Möglichen ausgehen kann und in der Folge zu einer verbreiteten Qualität von Dingen wird.162 Mehr noch, Faszination wandelt sich damit von einem transitiven in ein intransitives Vermögen, das heißt im Vordergrund steht nicht mehr die passiv erlebte und geradezu entmächtigende Faszination durch eine Person, sondern die aktive Faszination mit und für Gegenstände aller Art.163
158 Karl Nöthling: Werbefront – Werbefenster – Ladenraum. In: Seidels Reklame. Das Blatt für Werbewesen und Verkaufstechnik, 12 (1928) 10, S. 454–457, hier S. 454. Herv. im Orig. Der Beitrag steht in einer ganzen Reihe von Artikeln über den Einsatz von Lichtreklame, die in diesen Jahren in der Zeitschrift erscheinen. 159 Zur Begriffsgeschichte der Faszination siehe Andy Hahnemann u. Björn Weyand: Faszination. Zur Anziehungskraft eines Begriffs [Einleitung]. In: Dies. (Hg.): Faszination. Historische Konjunkturen und heuristische Tragweite eines Begriffs. Berlin, Frankfurt am Main u. a. 2009: Peter Lang. S. 7–32. Zum Begriff der Erlebnisgesellschaft siehe Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. 160 Vgl. Brigitte Weingart: Blick zurück. Faszination als ‚Augenzauber‘. In: Hahnemann u. Weyand (Hg.): Faszination, S. 33–48. 161 So etwa in E. T. A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann, siehe dazu Andreas Degen: Festgezaubert. Positionen zur poetischen Faszination bei Ludwig Tieck, E. T. A. Hoffmann und in der Ästhetik des 19. Jahrhunderts. In: Hahnemann u. Weyand (Hg.): Faszination, S. 59–89. 162 Damit stehen der Aufstieg und die Umwertung der Faszination in engem Zusammenhang mit dem Aufstieg der Massenkultur seit dem 19. Jahrhundert. Vgl. Böhme: Fetischismus und Kultur, S. 18. 163 Diesen Schluss hat erstmals Steven Connor gezogen: „In our century, fascination has completed its move from a transitive to an intransitive condition. Attention has shifted away from the
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Abb. 65: Leuchtreklame auf dem Titelblatt von Seidels Reklame, 1928.
power to fascinate possessed by certain persons or beings, to the power of fascination as it may be lent to or bestowed upon fascinating objects, ideas or persons. The twentieth century has emphasised our own fascination with things, the susceptability to becoming fascinated now being converted into a positive power.“ Steven Connor: Fascination, skin and the screen. In: Critical Quarterly 40 (1998) 1, S. 9–24, hier S. 12.
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Der Beitrag aus Seidels Reklame dokumentiert damit den Entstehungsprozess dieser neuen Faszinationskultur des 20. Jahrhunderts aus dem Kontext der Warenästhetik und markiert den Umschlagspunkt vom klassischen zum modernen Faszinationskonzept. Noch bedarf es dazu des metaphorischen Verweises auf den interpersonellen ‚Augenzauber‘, faktisch jedoch handelt es sich um eine Ding-Faszination, die aus diesem interpersonellen Kontext bereits herausgelöst ist.164 Dass hierbei dem ‚Glanz‘ eine besondere Bedeutung zukommt, verbindet die Warenästhetik noch einmal mit dem Erbe der Romantik. Denn mit dem ‚Glanz‘ eignet sich die Warenästhetik einen visuellen Eindruck an, der von Romantikern wie Eichendorff geschätzt (und literarisiert) wurde,165 und der somit im wörtlichen Sinne zu einer ‚Romantisierung der Waren‘ (Illouz) beiträgt. Überdies steht der ‚Glanz‘ in direktem Bezug zur interpersonellen, sich durch Blickkontakt herstellenden Faszination des ‚Augenzaubers‘: Im Mittelhochdeutschen bezeichnet /blic/ neben dem [Blick der Augen] auch [Glanz] und [Blitz] ebenso wie das dazugehörige Verb /blicken/ sowohl im Sinne von [blicken] als auch von [glänzen] verwendet wird.166 Damit wird deutlich, dass die Prosopopoeia im Kontext der modernen Warenkultur keineswegs ein Privileg des Fetischismus ist. Sie ist ebenfalls ein Kennzeichen der Faszination, wenn auch insofern kein notwendiges, als sich mit der Umwertung der Faszination zu einer Relation zwischen Menschen und Dingen die Metaphorik des Blicks verliert, die Nöthlings Beitrag explizit macht.167 Im ‚Glanz‘ allerdings bleibt eine semantische Spur von der etymologischen Herkunft der Faszination erhalten. Gerade das macht den ‚Glanz‘ bis heute zu einem der kulturell wirksamsten Signifikanten der Faszinationsproduktion.168 So erscheint während der 1920er Jahre in der Zeitschrift Die Dame eine ganze Reihe von Anzeigen, die mit silber- oder goldfarbenem Glanz auf sich aufmerksam machen, für Produkte wie mon parfum von Bourjois Paris oder No. 4711 Köl-
164 Zur Entwicklung der Ding-Faszination siehe auch Björn Weyand: Von Hitler bis zum iPod. Gründzüge einer Kulturpoetik der Faszination im 20. und 21. Jahrhundert. In: Hahnemann u. Weyand (Hg.): Faszination, S. 193–211, bes. S. 201–211. 165 Siehe Weingart: Blick zurück, S. 46. 166 Vgl. die Einträge blic und blicken in Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. Mit den Nachträgen von Ulrich Pretzel. Stuttgart 381992: S. Hirzel. S. 23. Siehe zu diesem etymologischen Zusammenhang von Blick und Glanz auch Weingart: Blick zurück, S. 46. 167 Lacan pointiert diesen Aspekt in dem Satz über die Sardinenbüchse: „Elle me regarde“, mit dem doppelten Sinn: „Sie sieht mich an“ / „Sie betrifft mich“. Jacques Lacan: Das Seminar. Buch XI: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Weinheim u. Berlin 1996: Quadriga Verlag. Siehe dazu auch Weingart: Faszinationsanalyse, bes. S. 26f. 168 Vgl. Böhme: Der Glanz des Materials.
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nisch Wasser.169 Unter ihnen findet sich als eine der ersten Reklamen, die sich dieses Mittel zu nutze machen, eine ganzseitige Anzeige der Kosmetikmarke Coty, deren Lippenstift Doris, wie gesehen, wertschätzend erwähnt. In moderner serifenloser schwarzer Schrift wirbt sie mit dem Markennamen „COTY“ und dem Slogan „DER SIEG DES GUTEN GESCHMACKS“ (Abb. 66). Unterhalb dieser Sloganinscriptio, in der Anzeigenmitte, bilden verschiedene Produkte der Marke die pictura, mit Parfum, Puder und einem roten Lippenstift, der farblich mit der roten Umrandung der Anzeige sowie mit dem dreimaligen rot hervorgehobenen ‚O‘ des Markennamens und des Wortes ‚Million‘ korrespondiert. Die gesamte Anzeige ist mit einem großflächigen goldfarben glänzenden Hintergrund unterlegt, der sich deutlich von der Mehrzahl der übrigen Anzeigen in der Dame absetzt und je nach Lichteinfall unterschiedlich stark das Licht reflektiert. Bemerkenswert an der Anzeige ist über den goldfarbenen Glanz hinaus das Verhältnis, das die ästhetische Gestaltung mit dem Reklametext eingeht. Nöthling erklärt im Hinblick auf die Schaufenstergestaltung, der Einsatz von ‚Glanz‘ sei ein „Mittel zur suggestiven Erregung der Aufmerksamkeit der Passanten und ihrer Kauflust“.170 Deshalb machten sich „[d]ie Kosten hierfür […] bezahlt“.171 Die ökonomische Investition, die der ‚Glanz‘ erfordert, wird damit über einen aufmerksamkeitsökonomischen Gewinn gerechtfertigt, der sich wiederum ökonomisch niederschlägt. Die Coty-Anzeige macht sich die Faszination des ‚Glanzes‘ zunutze, um die Aufmerksamkeit der Leserinnen der Dame zu gewinnen. Doch zugleich wirbt die Anzeige mit der Aufmerksamkeit, die der Marke Coty ohnehin schon zukommt: „Zehn MILLIONEN Verwöhnte Frauen aller Länder nehmen COTY“, heißt es in der Anzeige zur Demonstration des „Welterfolg[es]“ der Marke, der durch den Jahresumsatz von „10 MILLIONEN FLASCHEN PARFUM“ und „33 MILLIONEN SCHACHTELN PUDER“ belegt werden soll. Darin kommt ein charakteristischer Grundzug der modernen Faszinationsproduktion zum Ausdruck, der diese sowohl von der interpersonellen Faszination des 19. Jahrhunderts wie auch vom Fetisch unterscheidet: Faszination ist im 20. Jahrhundert ein Zirkulationsphänomen, dessen individuelle Erfahrbarkeit immer schon zugleich eine kollektive Faszination zur Voraussetzung hat.172 Da sich Faszination im Verlaufe des 20. Jahrhunderts zu einem aufmerksamkeitsökonomischen Konzept entwickelt, unterliegt sie den gleichen zirkulären Rückkopplungsschleifen, die sich schon im Hinblick auf Doris’ Einsatz des Fehmantels beobachten ließen. Somit ist es immer auch die Faszination
169 Siehe exemplarisch Die Dame (1928) 5, S. 38 u. 53. 170 Nöthling: Werbefront – Werbefenster – Ladenraum, S. 454. 171 Nöthling: Werbefront – Werbefenster – Ladenraum, S. 454. 172 Vgl. Hahnemann u. Weyand: Einleitung – Faszination, bes. S. 28.
‚Glanz‘ als Element moderner Faszinationsproduktion
Abb. 66: Ganzseitige Reklameanzeige für Coty aus Die Dame, 1928.
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selbst, die Faszination auslöst.173 Dabei lebt die Faszination des warenästhetischen Glanzes von dem Versprechen, sein Licht auf den zurückzuwerfen, der sich darin spiegelt und somit selbst an Anziehungskraft gewinnt. Über den Blick ins Schaufenster notiert Doris: „Ich sehe – mich in Spiegeln von Fenstern und dann finde ich mich hübsch, und dann gucke ich die Männer, und die gucken auch“.174 Im Medienverbund mit dem Film erhält dieser Effekt eine zusätzliche Dimension.
3.4.2 Der ‚Glanz‘ des Films: Stars und Medienverbünde Auf die Ähnlichkeiten zwischen Schaufenster und Filmbild ist in der Theorie des Films wiederholt hingewiesen worden.175 Der kultur- und sprachgeschichtliche Konnex zwischen Faszination und bannendem resp. gebanntem Blick macht deutlich, dass das visuelle Medium Film geradezu prädestiniert erscheint für die Erzeugung von Faszination. Wie der faszinierende Blick begrenzt, lenkt und bannt auch der Film den Blick des Betrachters als seinem ‚faszinierten‘ Gegen-
173 So konstatiert Steven Connor: „What fascinates most of all, in fact, is the power of fascination itself“. Connor: Fascination, skin and the screen, S. 12. Zu den Rückkopplungsschleifen siehe auch Weyand: Grundzüge einer Kulturpoetik der Faszination, bes. S. 200–202. 174 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 99. Zum Schaufenster in der Literatur siehe auch Thomas Wegmann: Erzählen vor dem Schaufenster. Zu einem literarischen Topos in Thomas Manns Gladius Dei und anderer Prosa um 1900. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 33 (2008) 1, S. 48–71. 175 „Film spectatorship epitomized a tendency that strategies of advertising and consumer culture had been pursuing for decades: the stimulation of new needs and new desires through visual fascination. […] If cinema and consumerism converged in a large-scale transformation of perception and ideology, they also shared certain methods and psychic mechanisms. The emerging ‚aesthetics‘ of the shop window, for instance, in many ways resonates with classical principles of representation and address. New technologies of transparent glass and electric lighting made it possible to capture the shopper’s attention and to transfigure the mundane purpose of shopping, creating an imaginary scene that transcended the mere commodities for which it was being staged in the first place. Essential to this effect was the concealment of the very techniques used to achieve it and the derealization of the economic transaction. […] Like a freeze-frame tableau, at once fascinating and inaccessible, the shop window turns on a similar paradox as classical spectatorship, the viewer’s simultaneous separation from and projection into an imaginary space.“ Miriam Hansen: Babel and Babylon. Spectatorship in American Silent Film. Cambridge (Massachusetts) u. London 1991: Harvard University Press. S. 85. Dabei wird nicht nur das Filmbild als Schaufenster gestaltet, sondern umgekehrt werden in den 1920er Jahren Schaufensterpuppen zunehmend mit den Gesichtszügen von Filmstars versehen, siehe dazu Bertschik: Mode und Moderne, S. 208.
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über.176 Dementsprechend sind die anfänglichen Impulse zu einer modernen Theorie der Faszination von den Filmwissenschaften ausgegangen.177 Bezeichnenderweise steht in den ersten theoretischen Auseinandersetzungen mit dem Medium Film in den 1920er Jahren die Großaufnahme des Gesichts im Zentrum,178 durch die der Film tatsächlich den Zuschauer ‚anzublicken‘ scheint. Wie verbreitet die Auffassung von der ‚blickenden‘ Leinwand in den 1920er Jahren ist, zeigt die Gestaltung eines Kinosaals durch den Architekten und Bühnenbildner Friedrich Kiesler aus dem Jahr 1928, in der die Leinwand bei geschlossenem Vorhang die Form einer Iris annimmt (Abb. 67). Zugleich ist die Faszination des Mediums Film aus einem ‚Spiegeleffekt‘ der Leinwand erklärt worden, aus der Eigenschaft des Films, als Medium zur Selbstwahrnehmung des Zuschauers zu fungieren, der sich darin ‚spiegelt‘179 – so, wie sich Doris im Glanz der Großstadt spiegelt. „But how nice!“, schreibt Iris Barry, die spätere Gründerin des Film Departments im Museum of Modern Art in New York, 1928 in ihrem Buch Let’s go to the Pictures über das Erlebnis des Films: „It is almost as though it had happened to oneself.“180 In seinen poststrukturalistischen Arbeiten verknüpft Christian Metz das Medium Film mit Jacques Lacans psychoanalytischer Theorie des ‚Spiegelstadiums‘. Dieses organisiert, so Lacan, die Dialektik, „welche von nun an das Ich (je) mit sozial erarbeiteten Situationen verbindet“ und damit „das ganze menschliche Wissen in die Vermittlung durch das Begehren des andern umkippen“ lässt.181 Das Spiegel-
176 Zur Begrenzung des Blickfeldes im Film siehe Rudolf Arnheim: Film als Kunst [1932]. Frankfurt am Main 2002: Suhrkamp. S. 31–34. 177 Explizit als Theorie der Faszination bei Connor: Fascination, skin and the screen. Eine Theorie der skopophilen Faszination durch den Film liefert auch Laura Mulvey in ihrem einschlägigen Aufsatz über Film und Blick, Laura Mulvey: Visuelle Lust und narratives Kino. In: Weissberg (Hg.): Weiblichkeit als Maskerade, S. 48–65. 178 Am nachdrücklichsten bei Béla Balázs: Der sichtbare Mensch. Eine Film-Dramaturgie. Halle o.J. (1924): Verlagsbuchhandlung Wilhelm Knapp. Bes. S. 73–86. Bereits drei Jahre vor Balázs erklärt Jean Epstein die Faszination des Films aus dem amerikanischen close up, siehe dazu Connor: Fascination, skin and the screen, S. 17f. Auch Max Brod und Rudolf Thomas heben die Faszination der Großaufnahme hervor, sehen dabei allerdings vor allem „[f]ür Frauenschönheit […] durch die Großaufnahmen eine neue Epoche angebrochen“. Max Brod u. R.[udolf] Thomas: Liebe im Film. Gießen 1930: Kindt & Bucher. S. 21. 179 Siehe hierzu Elsaesser u. Hagener: Filmtheorie, bes. S. 83f. 180 Barry: Let’s go to the Pictures, S. 8. 181 Jacques Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint. Bericht für den 16. Internationalen Kongreß für Psychoanalyse in Zürich am 17. Juli 1949. In: Ders.: Schriften I. Ausgew. u. hg. von Norbert Haas. Weinheim u. Berlin 31991 (1986): Quadriga Verlag. S. 61–70, hier S. 68.
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Abb. 67: Friedrich Kiesler: Film Guild Cinema, Auditorium mit „Screen-o-scope“, New York 1929.
stadium markiert damit jene „Schwelle“182, an der sich das Subjekt nicht mehr nur aus sich selbst heraus, sondern ‚von außen‘ wahrnimmt, durch den Blick Anderer. Auf die Bedeutung dieser Form der Selbstwahrnehmung für die Subjektresp. Figurenkonstitution von Doris ist bereits hingewiesen worden.183 Wenn Do-
182 Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, S. 65. 183 Helmut Lethen bezeichnet Doris im Anschluss an David Riesman daher auch als ‚RadarTypus‘, das sind „Menschen, die sich permanent im Spiegel der Fremdwahrnehmung definieren, Nähe und Distanz auf ihren Bewegungsspielraum hin taxieren, Wahrnehmungsformen der Massenmedien auf sich beziehen, Moden als Orientierungsmarken benutzen“. Lethen: Verhaltenslehren der Kälte, S. 242.
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ris erklärt, sie wolle ‚schreiben wie Film‘, weil sie sich selbst „in Bildern“ sehe,184 so findet diese poetologische Selbstaussage ihr filmtheoretisches Korrelat in der Adaption des Spiegelstadiums durch die poststrukturalistische Metapher des Kinos als Spiegel: „Man kann“, schreibt Lacan, „das Spiegelstadium als eine Identifikation verstehen im vollen Sinne, den die Psychoanalyse diesem Terminus gibt: als eine beim Subjekt durch die Aufnahme eines Bildes ausgelöste Verwandlung.“185 Neben der Faszination durch den ‚Blick‘ der Leinwand und durch die Möglichkeiten zur Identifikation verfügt der Film über eine dritte Form moderner Faszinationsproduktion, die mit den beiden erstgenannten zusammenhängt und die auch für Das kunstseidene Mädchen von Bedeutung ist: den Medienverbund. Faszination wurde bereits als ein ‚Zirkulationsphänomen‘ bezeichnet – was fasziniert, zirkuliert und steigert damit wiederum die Faszination. Um die Erzeugung solcher aufmerksamkeitsökonomischer Zirkulationsprozesse ist das noch junge Medium des abendfüllenden narrativen Films in besonderem Maße bemüht.186 Steht der Film schon aus seiner Entstehungsgeschichte heraus in besonderer Beziehung zur Konsumkultur, so setzt er, auch als er sich von seinen Ursprüngen als einer Jahrmarktsattraktion emanzipiert,187 aufgrund seiner ökonomischen Grundlagen nicht auf einen ‚autonomen‘ Status, wie ihn andere Künste aus einem emphatischen Selbstverständnis heraus für sich beanspruchen, sondern bewegt sich zwischen den Diskursen und Medien. Die hohen Produktions- und Distributionskosten des Films machen diesen zu einer ökono-
184 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 11. 185 Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, S. 64. Herv. im Orig. Wenn das Tagebuch diese Funktion für Doris übernimmt, so folgt sie damit der Devise des Filmstars Greta Garbo: „Man muß das Papier, auf dem man schreibt, wie einen Spiegel nehmen, wenn man über sich selbst schreiben will“. Greta Garbo: Nachwort. In: Franz Blei: Die göttliche Garbo. Berlin 1930: Kindt & Bucher Verlag. Unpag. 186 Zur Herausbildung dieses ‚klassischen‘ Film- und insbesondere Hollywoodstils seit 1909, der auf einer klaren und kohärenten, aber zugleich auf die für das Verständnis notwendigen Elemente reduzierten Narration beruht, siehe die begriffsprägende Studie von David Bordwell, Janet Staiger u. Kristin Thompson: The Classical Hollywood Cinema. Film Style & Mode of Production to 1960. London 1985: Routledge. Zur Narration bes. S. 24–41 u. 174–193. In konzentrierter Form und mit Blick auf die Ökonomie dieses Stils findet sich dies ebenfalls dargestellt bei Elsaesser: Wie der frühe Film zum Erzählkino wurde. Zum Weimarer Kino und seinem Verhältnis und seinen (auch personellen) Austauschbeziehungen zu Hollywood siehe Ders.: Das Weimarer Kino – aufgeklärt und doppelbödig. Berlin 1999: Vorwerk 8. 187 Zu den Anfängen des Films als einer Jahrmarktsattraktion siehe Tom Gunning: The Cinema of Attractions. Early Cinema, Its Spectator, and the Avant-Garde. In: Thomas Elsaesser (Hg.): Early Cinema. Space Frame Narrative. London 1990: British Film Institute. S. 56–62.
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Abb. 68: Ufa-Kino Berlin mit Außenwerbung für Fritz Langs Metropolis, 1928.
misch kalkulierten Ware,188 die demgemäß mit den Mitteln des Markenwesens und der Warenästhetik vermarktet wird. So werben Filmfirmen wie Phoebus Film mit dem Slogan „Diese Marke garantiert Ihren Erfolg!“,189 während Nöthling
188 Diese werden wiederholt von der Filmtheorie reflektiert, so u.a. 1932 von Rudolf Arnheim in Film und Kunst: „Filme aber kosten zu viel Geld, als daß man sie für die happy few herstellen könnte. Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen, etwa die Kurzfilme der Avantgardisten. Alles übrige wird unter dem Gesichtspunkt produziert, daß ein Film seine Herstellungskosten, die ja immer in die Hunderttausende gehen, wieder einbringen und noch einen Gewinn für mindestens drei kaufmännische Instanzen, die Produktion, den Verleih und den Theaterbesitzer abwerfen muß.“ Arnheim: Film als Kunst, S. 269f. 189 Zur gleichen Zeit empfiehlt Iris Barry in ihrem Buch Let’s go to the Pictures den Zuschauern, sich an den Marken der Produktionsfirmen zu orientieren und diese als Ausweis der Qualität der zu nehmen: „The producing firms are little known to the public, particularly out of America. This is a pity. […] Each producing firm has a definite personality, a recognizable quality: by their trade marks shall ye know them. […] A First National picture is not like a Metro-Goldwyn, a Fox film differs from a Warner Bros. The public should notice the difference, pick and choose its preferences and not go to a Fox film and complain, when by looking a little further it could have had an Allied Artists’ production and complete satisfaction“. Und mit Blick auf Deutschland erklärt Barry:
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das Ufa-Kino und seine Reklame für Fritz Langs Metropolis (1927) als ein „[g]utes Beispiel kombinierter Lichtreklame“ hervorhebt (Abb. 68).190 Tatsächlich können Film und Kino in Sachen Faszinationsproduktion als „research and development-Abteilung“ der Konsumkultur gesehen werden, wie Thomas Elsaesser gezeigt hat.191 Dreh- und Angelpunkt des interdiskursiven und intermedialen Aspekts von Faszination durch den Film ist jedoch das in den 1920er Jahren entstehende Starwesen. Stars stellen den erfüllten Traum des ‚Glanzes‘ dar.192 In entscheidender Weise trägt das Starsystem dazu bei, dass der Film zu einem ‚Schwellenphänomen‘ wird und sich in zwei Richtungen öffnet: zur Warenästhetik und zur Alltagswelt des Publikums. Stars stärken die An- und Einbindung des Mediums Film in warenästhetische Zirkulationsprozesse, indem sie peritextuell193 als Werbeträger für die Filme fungieren, in denen sie mitspielen, und epitextuell von der Reklame als ‚Testimonials‘ für Produkte entdeckt werden, die mit den Filmen in Beziehung stehen können, aber keineswegs müssen. Mit Blick auf Das kunstseidene Mädchen bedeutet das: Der neue Film mit Colleen Moore (Abb. 69)194 erweist sich als ebenso viel versprechend wie Strümpfe aus Bembergseide, für die der Filmstar Marlene Dietrich wirbt (Abb. 70). Den Übergang von der filmischen Fiktion zur außerfilmischen Wirklichkeit stellen Stars insofern dar, als sie nicht nur als die Figuren wahrgenommen werden, die sie innerhalb des Films verkörpern, sondern über eine immense Anzahl von Epitexten auch als mehr oder weniger ‚private‘
„Any big film made by Ufa stands a very good chance of being an exceptional one“. Barry: Let’s go to the Pictures, S. 197f. u. 213. 190 Nöthling: Werbefront – Werbefenster – Ladenraum, S. 454. 191 Siehe Thomas Elsaesser: Wie der frühe Film zum Erzählkino wurde. Vom kollektiven Publikum zum individuellen Zuschauer. In: Schenk (Hg.): Erlebnisort Kino, S. 34–54, hier S. 53. 192 Zu Stars und Glanz siehe Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 113–180. Eben dies entzieht auch sie der Diskursivierbarkeit und steigert die Faszination: „Aura, Charisma, irgendeine Ausstrahlung oder Kraft – mit vielen Metaphern wird versucht, dieses gewisse Etwas [des Stars, B. W.] und ‚je ne sais quoi‘ zu fassen, und es steigert die Faszination, dass gerade das nie überzeugend gelingt.“ Wolfgang Ullrich u. Sabine Schirdewahn: Zur Einleitung. In: Dies. (Hg.): Stars. Annäherungen an ein Phänomen. Frankfurt am Main 2002: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 7–9, hier S. 7. 193 ‚Peritexte‘ bilden nach Gérard Genettes Definition jene Untergruppe der Paratexte, die den Text als Buch ‚einkleiden‘, im Gegensatz zu den ‚Epitexten‘, die sich durch räumlichen Abstand vom Buch auszeichnen. Vgl. Gérard Genette: Seuils. Paris 1987: Éditions du Seuil. 194 Am Beispiel von Mary Pickford und Charlie Chaplin beschreibt Iris Barry diese Umwälzung des Kinos durch das Startum: „But something […] happened. They had become ‚stars‘. Their names were billed in large type outside cinemas. One went, not to see ‚the pictures,‘ [sic!] but to see Mary Pickford and Charlie Chaplin. There was in effect a revolution.“ Barry: Let’s go to the Pictures, S. 104f.
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Abb. 69: Anzeige für Erfahrene Frau gesucht mit Colleen Moore in der Hauptrolle, 1929.
Personen außerhalb des Films, die in einer Wirklichkeit leben, die mit derjenigen ihrer Figuren ebenso wie mit derjenigen des Publikums zumindest partiell identisch erscheint.195 Durch diese paratextuellen und intermedialen Vernetzungen
195 „The earth quakes when Anna Q. Nilsson cuts off her ‚wonderful‘ hair. Colleen Moore’s dislocated spine raised more sympathy than a calamitous earthquake. Charle Chaplin’s latest mar-
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trägt das Starsystem dazu bei, dass die Schwellen des einzelnen Films gezielt überschritten werden.196 Erst die Verbindung der Werbung für den Film mit der Werbung der Stars für glanzvolle Produkte und den Geschichten über das Privatleben der Stars machen das Kino zu dem, was es für Doris und zahlreiche andere Besucher ist: Eine Welt, in der „alles so zu[geht], wie es in der Wirklichkeit zuginge, wenn es so zuginge, wie es uns gerecht und schön erscheint“ und für deren Funktionieren der Mensch „leichten Herzens den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Schein“ wissentlich oder nicht ignoriert.197 Diese doppelte Öffnung des Films durch das Startum zur Warenästhetik einerseits und zur Alltagswirklichkeit der Stars, ihrer Figuren und der Rezipienten andererseits schafft bis dahin nicht gekannte Überlagerungen von (filmischer) Fiktion, Konsumkultur und alltäglicher Lebenswelt. Dabei liegt der Erfolg dieser Verbindung gerade in den Ambivalenzen, die sie erzeugt. „Der Film“, so Walter Benjamin in seinem Aufsatz über Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, „antwortet auf das Einschrumpfen der Aura mit einem künstlichen Aufbau der ‚personality‘ außerhalb des Ateliers. Der vom Filmkapital geförderte Starkultus konserviert jenen Zauber der Persönlichkeit, der schon längst nur noch im fauligen Zauber ihres Warencharakters besteht.“198 Ist die ‚natürliche‘ Aura für Benjamin an eine physische Präsenz des auratischen Objekts oder der auratischen Person gebunden (die „Einmaligkeit
riage caused more gossip than all the ‚Smart Set‘ toegether“, stellt Barry mit Blick auf das Startum der genannten Schauspieler fest. Barry: Let’s go to the Pictures, S. 107. Diese Bedeutung des Privaten unterscheidet die Stars von den picture personalities, den ersten Schauspielern, die sich ausschließlich über den Film einen Namen machten und die um 1910 die Theaterschauspieler, die zum Film gewechselt waren, ablösten: „With the emergence of the star, the question of the player’s existence outside his or her work in film became the primary focus of discourse“. Das Image der picture personalities war maßgeblich durch das Kino geprägt und verwies weder auf eine Bühnenkarriere (wie bei ihren Vorgängern) noch auf die Schauspieler als Privatpersonen (wie bei ihren Nachfolgern, den Stars). Siehe Richard deCordova: Picture Personalities. The emergence of the star system in America. Urbana u. Chicago 1990: University of Illinois Press. S. 98. 196 Genette fasst unter dem Begriff der Paratexte jene Elemente, die die Schwelle eines Textes zum Buch markieren: „Le paratexte est donc pour nous ce par quoi un texte se fait livre et se propose comme tel à ses lecteurs, et plus généralement au public. Plus que d’une limite ou d’une frontière étanche, il s’agit ici d’un seuil, ou […] d’un ‚vestibule‘ qui offre à tout un chacun la possibilité d’entre, ou de rebrousser chemin.“ Genette: Seuils, S. 7f. Zur Intermedialität des Stars siehe auch Jens Ruchatz: Personenkult. Elemente einer Mediengeschichte des Stars. In: Annette Keck u. Nicolas Pethes (Hg.): Mediale Anatomien. Menschenbilder als Medienprojektionen. Bielefeld 2001: Transcript Verlag. S. 331–349. 197 Arnheim: Film als Kunst, S. 163. 198 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit [Dritte Fassung]. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. I-2: Abhandlungen, S. 471–508, hier S. 492.
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Abb. 70: Marlene Dietrich als Testimonial für Bemberg-Strümpfe, 1927.
und Dauer“ des Kunstwerks, das „Hier und Jetzt“ des Bühnenschauspielers199), die durch die Bedingungen der technischen Reproduzierbarkeit obsolet geworden scheint, so erlebt die Aura als ‚künstliche‘ ihre Wiederkehr im Star und in der Warenästhetik. Doch teilt der künstliche Zauber mit dem natürlichen jene Ambivalenz von Nähe und Ferne, wie sie Benjamin chiastisch für die Aura (als der „Ferne, so nah sie sein mag“) wie für die Spur (als der „Nähe, so fern sie sein mag“) geltend macht.200 Der Star ist immer beides zugleich, auratisch und unnah-
199 Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 479 u. 489. 200 Zur Aura siehe Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 479. Im Passagen-Werk stellt Benjamin Aura und Spur einander gegenüber: „Spur und
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bar in seinem Glanz und allgegenwärtig in der Spur seiner selbst, die sich durch seine kursierenden medialen Präsentation und ihre ‚Präsenz-Effekte‘201 zieht. Damit organisiert er ein ganzes Bündel von Ambivalenzen der Nähe und Ferne: Er ist nah, insofern er als ‚gewöhnlich‘ gilt, und fern, insofern er zugleich als ‚besonders‘ gilt;202 er ist nah, insofern seine medialen Vermittlungen omnipräsent sind, fern, insofern er als Person abgeschirmt im fernen Hollywood oder am Wannsee residiert; er ist nah, weil er in den home stories als privater Mensch erscheint, fern, weil seine Berühmtheit die Voraussetzung dafür ist, dass überhaupt über ihn berichtet wird;203 er ist nah, insofern er dieselben Produkte konsumiert (oder dies zumindest durch Reklamen suggeriert zu tun) wie sein Publikum, und fern, insofern er diese zugleich in einem Umfang konsumieren kann, wie er dem Publikum nicht zugänglich ist. Schließlich ist der nah, indem er Identifikation erlaubt, fern, indem er unerreichbares Objekt des Begehrens bleibt.204
Aura. Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft. In der Spur werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser.“ Benjamin: Das Passagen-Werk, S. 560. 201 Zu den Präsenz-Effekten technischer Medien und ihrer Abgrenzung von realer Präsenz siehe Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, S. 175. 202 Zur Ambivalenz von ‚Gewöhnlichkeit‘ und ‚Besonderheit‘ des Stars siehe Richard Dyer: Stars. New Edition. With a Supplementary Chapter and Bibliography by Paul McDonald. London 1998: British Film Institute. S. 35 u. 43f. Richard deCordova zeigt diese Ambivalenz an der zeitgenössischen Berichterstattung über Stars in amerikanischen Magazinen wie Photoplay auf, bei denen es sich oftmals um home stories handelte, und kommt zu dem Schluss: „The connotations of conventionality, stability, and normalcy that could be attached to the presentation of the star’s homes were important to the argument that film actors led healthy lives. Yet these connotations existed along with others that increasingly, no doubt, overshadowed them. In many respects the houses of the stars were obviously not normal. They were, in fact, immense, luxurious, and excessive.“ deCordova: Picture Personalities, S. 107. 203 Zur Öffentlichkeit des Privatlebens der Stars in den 1920er Jahren siehe den Eintrag Stars in Hans Ulrich Gumbrecht: 1926. Ein Jahr am Rande der Zeit. Frankfurt am Main 2001: Suhrkamp. S. 221–231. 204 Darauf beruht Laura Mulvey zufolge die Faszination der Stars, wenn sie die Dialektik von Ähnlichkeit und Verschiedenheit, des Glamourösen und des Gewöhnlichen sowie „zwei gegensätzliche Aspekte der lustbringenden Strukturen des Schauens in der konventionellen Kinosituation“ als Fundamente des Starsystems herausarbeitet: „Die erste, skopophilische [Struktur des lustbringenden Schauens, B. W.], resultiert aus der Lust, eine andere Person durch Anschauen als Objekt sexueller Stimulation zu benutzen; die zweite, entwickelt durch Narzißmus und die Konstitution des Ego, erwächst aus der Identifikation mit dem Bild das gesehen wird. Im Hinblick auf den Film bedeutet die eine Struktur die Trennung der erotischen Identität des Subjekts vom Objekt auf der Leinwand (aktive Skopophilie), die andere verlangt die Identifikation des Ego mit dem Objekt auf der Leinwand über die Faszination des Zuschauers durch das Ähnliche und das Wiedererkennen des Ähnlichen.“ Mulvey: Visuelle Lust und narratives Kino, S. 54.
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Mag die Künstlichkeit dieser Aura für Benjamin auch nur einen ‚fauligen Zauber‘ bedeuten – ihrer Wirkung tut dies keinen Abbruch. Im Gegenteil, denn der Mensch, so hatte es sich im Zusammenhang der Maskerade-Theorien der Weimarer Republik erwiesen, ist nach Plessner ohnehin ‚von Natur‘ aus künstlich. Genau das macht die Aura der Stars so erfolgreich: Sie ist als Maskerade imitierbar. In einer Gesellschaft, die ihre essentialistischen Argumentationsmuster gegen eine Alltagsästhetik des Performativen eingetauscht hat, werden Attribute des ‚Glanzes‘, wie sie von den Stars vorgeführt werden, vom Publikum verkörperbar.205 Der Aufschwung der kosmetischen Industrie während der 1920er Jahre verdankt sich wesentlich diesem Umstand. Make-up, ein Produkt, das Anfang der 1920er Jahre für die Filmindustrie entwickelt wurde, wird schon bald darauf von seinem Erfinder Max Factor als Society Make-Up zur kosmetischen Massenware gemacht.206 Als die Kosmetik-Marke Armand 1929 in den USA eine Anzeige schaltet, die die Gesichter von acht Frauen-Typen zeigt, findet sich darunter neben dem Cleopatra Type auch der Colleen Type,207 nach dem Vorbild der von Doris erwähnten Schauspielerin Colleen Moore – in den Mythen des waren- und filmästhetischen Alltags stehen alte und neue mythische Figuren eng beieinander.208 Typisierungen wie diese dienen nicht nur die Einordnung des eigenen Typs, sondern bieten vor allem Vorlagen zu seiner Modellierung.209 Doris’ Selbstbeschreibung, sie sehe aus ‚wie Colleen Moore, wenn sie Dauerwellen hätte und die Nase mehr schick ein bißchen nach oben‘, zeigt, wie erfolgreich solche Typisierungen funktionieren – und es zeigt zugleich, dass Doris durchaus nicht nur von diesen Mechanismen ‚gekannt‘ wird, wie Kracauer dies in kulturkritischer Perspektive über die Schlager und die Angestellten anmerkt,210 sondern dass Doris die Bilder als solche erkennt und noch in ihrer Nachahmung
205 Zum Konzept der Verkörperung oder des embodiement siehe Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, S. 130–160. 206 Vgl. von Ankum: Karriere – Konsum – Kosmetik, S. 182. Zu Max Factor und den von ihm ‚gestalteten‘ Hollywood-Gesichtern siehe auch Paddy Calistro u. Fred E. Basten: Das Hollywood Archiv. Glamour & Geheimnis: Hollywoods Goldene Jahre. Wien 2000: Christian Brandstätter Verlag. S. 120–125. 207 Die Anzeige findet sich in Ankum: Karriere – Konsum – Kosmetik, S. 184. 208 Vgl. Barthes: Mythologies. 209 1932 erscheint in der Zeitschrift Die Reklame ein Beitrag, der zu dem Schluss kommt: Das „Streben nach Normung des fraulichen Äußeren im Verein mit der Uniformierung des Geschmacks durch den Film vereinfacht den Reklamefachleuten das Handwerk“. Helm Wienkötter: Die ‚genormte Frau‘ in der Reklame. In: Die Reklame (1932) 25, S. 438. Hier zit. nach Wegmann: Dichtung und Warenzeichen, S. 345. 210 „Aber nicht sie ist es, die jeden Schlager kennt, sondern die Schlager kennen sie, holen sie ein und erschlagen sie sanft“, so Kracauer über eine Angestellte. Kracauer: Die Angestellten, S. 68.
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Momente der Distinktion ihnen gegenüber sucht. Als moderne Konsumentin weiß Doris solche Ambivalenzen nicht nur auszuhalten, sondern zu schätzen. Wie entscheidend für den Erfolg des Starsystems die Verknüpfung von Film, Konsumkultur und Medien in den 1920er Jahren ist, belegt die Verdreifachung des Umsatzes an Henna-Farbe um 1929: Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Filmstar Clara Bow auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.211 Dass es zu ihrer Nachahmung einer roten Haarfarbe bedurfte, war im Zeitalter des Schwarz-Weiß-Films erst über entsprechende Berichte in Fanmagazinen zu erfahren.212
3.4.3 Der ‚Glanz‘ der Konsumierenden: Lesende als Schreibende Der Film It (1927), in dem Bow die Hauptrolle spielt, dürfte zu diesem Absatzgewinn beigetragen haben. Der Film führt die Mechanismen des filmischen Medienverbundes vor und holt die Zirkulation von Medien in die Diegese, wenn der titelgebende Cosmopolitan-Artikel von Elinor Glyn handlungsmotivierend zitiert wird und der realen Cosmopolitan-Autorin, Schriftstellerin und nicht zuletzt Verfasserin des Drehbuchs zu It einen Auftritt in dem Film verschafft.213 Der Film eröffnet zugleich die Möglichkeiten zu einer Alltagsästhetik des Performativen, wenn er erklärt, das ‚it‘ sei eine zwar seltene, aber letztlich für ‚any plain Jane‘ erreichbare Eigenschaft, deren Effizienz vorgeführt wird: „‚IT‘ is that quality possessed by some few persons which draws all others with its magnetic life force. With it you win all men if you are a woman – and all women if you are a man.“214 Unschwer lässt sich in diesem Versprechen auf das ‚it‘ oder Das gewisse Etwas – so der deutsche Verleihtitel des Films – die Erfüllung dessen erkennen, worauf Doris hofft: die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zu ziehen. Indem It im Medium des Films vorführt, wie durch Einsatz des ‚it‘ der Aufstieg der von Clara Bow gespielten Warenhausangestellten Betty Lou zur zukünftigen Ehefrau des Warenhausbesitzers Cyrus Waltham gelingt, und diese Anleitung
211 Analog dazu berichtet Arnheim von der „Greta-Gabo-Frisur“ als einem „Vorbild für Millionen Mädchen“. Arnheim: Film als Kunst, S. 174. 212 Siehe hierzu Marsha Orgeron: Making It in Hollywood: Clara Bow, Fandom, and Consumer Culture. In: Cinema Journal 42 (Summer 2003) 4, S. 76–97, bes. S. 77. 213 Der Artikel war in Fortsetzung im Februar und März im Cosmopolitain erschienen. Siehe Orgeron: Making It in Hollywood, S. 96, Anm. 27. 214 Hiert zit. nach Orgeron: Making It in Hollywood, S. 96, Anm. 27. Zur medialen und ökonomischen Ausnutzung der brüchig gewordenen Grenze zwischen Öffentlichkeit und Privatraum (und damit zwischen der Welt der Stars und der Welt der Zuschauerinnen und Zuschauer) durch die populären Fanmagazine der Zeit siehe ebd., S. 93.
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mit dem Versprechen verbindet, jeder könne ‚it‘ haben, arbeitet er einem Befund zu, den Walter Benjamin in seinem Kunstwerk-Aufsatz ausformulieren wird: Die Trennlinie zwischen Autoren und Rezipienten wird zunehmend durchlässig. Die „Unterscheidung zwischen Autor und Publikum“, so Benjamin, „ist […] im Begriff, ihren grundsätzlichen Charakter zu verlieren“. Sie werde „eine funktionelle, von Fall zu Fall so oder anders verlaufende“, denn: „Der Lesende ist jederzeit bereit, ein Schreibender zu werden.“215 Zwar entwickelt Benjamin diese Überlegungen zunächst am Medium der Schrift, doch fügt er hinzu, diese ließen sich nicht nur „ohne weiteres auf den Film übertragen“, sondern seien „in der Praxis des Films […] stellenweise bereits verwirklicht worden“216 – allerdings vornehmlich im russischen Film, denn: In Westeuropa verbietet die kapitalistische Ausbeutung des Films dem legitimen Anspruch, den der heutige Mensch auf sein Reproduziertwerden hat, die Berücksichtigung. Unter diesen Umständen hat die Filmindustrie alles Interesse, die Anteilnahme der Massen durch illusionäre Vorstellungen und durch zweideutige Spekulationen zu stacheln.217
Während der russische Film – wie etwa Sergej Eisenstein in seinem Revolutionsfilm Panzerkreuzer Potemkin (1925) – Statisten zu den eigentlichen Darstellern macht, etablieren der westeuropäische und der amerikanische Film das Starsystem, das nur wenige Privilegierte als Darsteller zulässt. Deshalb braucht es die ‚illusionären Vorstellungen‘, um die Grenze zwischen Lesenden und Schreibenden, zwischen Filmsehenden und Filmdarstellern, zu überwinden. Was Betty Lou im Cosmopolitain liest, kann sie erfolgreich performieren und wird so zur Autorin ihrer selbst. Das Publikum von It kann wiederum performieren, was es auf der Leinwand durch Betty Lou und Clara Bow dargeboten bekommt: das ‚it‘ einer Angestellten und den ‚Glanz‘ des Filmstars – ohne freilich selbst ein Filmstar zu sein. Die Alltagsästhetik des Performativen transformiert somit auch diese Grenze in eine Schwelle und begründet das von Sloterdijk benannte Spiel mit den ‚alltäglichen ontologischen Grenzen zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen‘. Doris’ Formel des ‚Schreibens wie Film‘ erweist sich insofern als eine Konsequenz aus der schwindenden Grundsätzlichkeit dieser Differenzen. Als Filmsehende wird Doris zur Schreibenden des Drehbuchs ihres Lebens und löst für sich Benjamins Votum ein: „Jeder heutige Mensch kann einen Anspruch vorbringen, gefilmt zu werden.“218
215 Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 493. 216 Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 494. 217 Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 494. 218 Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 493. Herv. im Orig.
‚Glanz‘ als Element moderner Faszinationsproduktion
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Als Doris ihr Filmtagebuch schreibt, geschieht dies bereits unter den Bedingungen des Tonfilms, der sich ab 1929 durchzusetzen beginnt.219 Auf dem Höhepunkt ihrer ‚Karriere‘ als ‚Glanz‘ äußert sie gegenüber ihrer Freundin Therese aus der ‚mittleren Stadt‘ ihre Hoffnung: „[V]ielleicht werde ich eine Kanone beim Film“220, obgleich sie zuvor mehrfach eine Karriere beim Film ausgeschlossen oder als aussichtslos erachtet hatte.221 Ihr bereits zitierter Wunsch, in ihrem ‚Glanz‘ – den sie einer Affäre mit Alexander, einem verheirateten Hochstapler kurz vor dem Ruin verdankt – von Therese und ihrer eigenen Mutter gesehen zu werden (‚Warum könnt ihr mich nicht sehen?‘), bleibt zwar unerfüllt. Doch Doris versteht es, den nicht-diskursiven Anteil des Glanzes medial zu übermitteln, und das nicht etwa durch eine Fotografie, die ihrem Brief beigelegt wäre. Denn für die Übermittlung ihrer Botschaft findet Doris ein Medium, das ihr den Verzicht auf die Schriftkultur ermöglicht. Um Therese an ihrem ‚Glanz‘ teilhaben zu lassen, schickt sie ihr „ein Koffergrammophon mit achtzehn Tauberplatten […] und einer von mir“222, die sie im Warenhaus Tietz mit ihrem Bericht vom ‚Glanz‘ bespricht. Mit dem Tonfilm und seinen erhöhten Produktionskosten steigt der Druck zur Kommerzialisierung223 – und erweitern sich zugleich die Möglichkeiten hierzu. Denn beim Tonfilm handelt es sich nicht erst aufgrund paratextueller Vernetzungen, sondern schon rein technologisch um einen Medienverbund, nicht um eine Apparatur, sondern um zwei.224 Dies ermöglicht zusätzlich zum
219 Zur Einführung des Tonfilms und seinen ästhetischen, auch visuellen Konsequenzen siehe Bordwell, Staiger u. Thompson: The Classical Hollywood Cinema, S. 298–308. Sowie am Beispiel Walter Ruttmanns, des Regisseurs von Berlin die Sinfonie der Großstadt (1927/28), Thomas Elsaesser u. Malte Hagener: 6. September – Walter Ruttmann: 1929. In: Stefan Andriopoulos u. Bernhard J. Dotzler (Hg.): 1929. Beiträge zur Archäologie der Medien. Frankfurt am Main 2002: Suhrkamp. S. 316–349. Zur Funktion der Musik im Tonfilm siehe Daniela Sannwald: Der Ton macht die Musik. Zur Definition und Struktur des frühen Tonfilms. In: Malte Hagener u. Jan Hans (Hg.): Als die Filme singen lernten. Innovation und Tradition im Musikfilm 1928–1938. München 1999: edition text + kritik. S. 29–38. 220 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 118. 221 Noch in der mittleren Stadt urteilt Doris über einen Verehrer und sein Versprechen: „Erst sagte er allerdings, er wollte mich zum Film bringen – na, ich ging nachsichtig darüber hinweg. Sie können nun mal nichts dafür, die Männer, es ist eine Krankheit von jedem, daß sie jedem Mädchen erzählen, sie wären Generaldirektor vom Film oder hätten wenigstens unerhörte Beziehungen. Ich frage mich nur, ob es noch Mädchen gibt, die darauf reinfallen?“ Später räumt Doris ein: „Ich habe auch schon Film versucht, aber das bietet wenig Aussicht“. Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 18 u. 75. 222 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 117. 223 Marianne Kubaczek u. Wolfgang Pircher: 15. Oktober – Fading. Über das Verschwinden der Musik im Tonfilm. In: Andriopoulos u. Dotzler (Hg.): 1929, S. 350–369, hier S. 369. 224 Vgl. Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, S. 489.
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Kursieren der Bilder von den Stars in den Magazinen auch das Kursieren von Filmschlagern auf Grammophonplatten.225 Der als ‚König des Belcanto‘ gefeierte Tenor Richard Tauber, der 1930 seinen ersten Tonfilm präsentiert, wird zum Vorbild für die Ausschöpfung dieser Möglichkeiten und die ‚Tauber-Platten‘, von denen Doris gleich achtzehn Stück verschickt, verhelfen der Schallplattenindustrie der Weimarer Republik zu einem ihrer größten ökonomischen Erfolge.226 Wenn Doris eine Grammophonplatte bespricht, ermöglicht ihr dies mediale und performative Teilhabe am ‚Glanz‘ des Films: Sie begibt sich damit in die selben Medien wie die Stars Tauber und Marlene Dietrich (Abb. 71), deren Markenkonsum sie teilt, wenn sie Bemberg-Seide trägt oder im Mercedes Benz durch Berlin fährt (Abb. 72). Zugleich erweist sich dieser ‚Glanz‘, wie schon der Tanz auf der Türschwelle, als eine vor allem private Angelegenheit. Auf der Ebene der histoire
225 Zur Entstehung des Tonfilms, seiner Nähe zur Operette und zum Erfolg der Tonfilmschlager siehe die Beiträge des Bandes von Hagener u. Hans (Hg.): Als die Filme singen lernten. Darin zur globalen Zirkulation der Filmschlager insbes. den Beitrag von Brian Currid: Das Lied einer Nacht. Filmschlager als Organe der Erfahrung, S. 48–60. 226 Für die Ausnutzung der ökonomischen Möglichkeiten, die sich aus dem Tonfilm sowohl für die Schallplatten- wie für die Filmindustrie ergeben, plädiert anlässlich der bevorstehenden Premiere von Richard Taubers Film Ich glaub’ nie mehr an eine Frau im Februar 1930 ein Bericht in Film und Ton, dem Wochenbeiblatt der Licht-Bildbühne: „Die Wechselwirkungen, die sich aus dem Schallplattengeschäft und dem Tonfilm ergeben, werden bei uns längst noch nicht in ihrer vollen Bedeutung erkannt und sind daher durchaus noch nicht so systematisch ausgebaut worden, wie es im Interesse der Produzenten, Verleiher und Theaterbesitzer der Tonfilmproduktion möglich wäre. […] Am 3. Februar wird Richard Taubers erster Tonfilm ICH GLAUB’ NIE MEHR AN EINE FRAU seine festliche Uraufführung im Capitol erleben. Hat man sich in der Filmbranche schon einmal klargemacht, daß im ganzen deutschen Schallplattengeschäft die Platten mit Richard Tauber den denkbar größten Absatz finden? Wenn aber heute Tauber der bei weitem beliebteste deutsche Schallplattensänger ist, wenn es feststeht, daß der Umsatz mit Tauber-Platten den aller anderen Schallplatten erheblich übertrifft, so muß man schließen, daß das Publikum nicht minder den Wunsch haben wird, gerade Richard Tauber im Tonfilm zu hören und zu sehen, wie es ihn auf der Schallplatte bevorzugt. […] Wann werden unsere Tonfilm-Fabrikanten die systematischen Ausnutzungs-Möglichkeiten, die in der Komposition von Tonfilm-Schlagern und in der Verwendung von Tonfilm-Sängern liegen, mit wachem und konstruktivem Geist ausbauen? Gewiß sind schon einige der bisher erschienenen Tonfilm-Schlager auf dem Schallplatten-Markt erschienen. Man darf feststellen, daß die Ufa z.B. planmäßig vorgegangen ist, und einige Schlager, vor allem ‚Bin kein Hauptmann, bin kein großes Tier‘ aus ‚Melodie des Herzens‘ erfreuen sich schon zweifelloser Beliebtheit. Daß hier aber im allgemeinen noch sehr viel auszubauen ist und die Möglichkeiten noch längst nicht allgemein und in ihrer vollen Reichweite erfaßt sind, liegt klar zutage.“ H. W-g. [= Hans Wollenberg]: Die Wechselwirkung: Schallplatte und Film. In: Film und Ton. Wochenbeiblatt der Licht-Bildbühne, 01. 02. 1930. Eine Dokumentation dieses und weiterer Beiträge zur Diskussion um Tonfilm und Schallplatte findet sich unter http://www. cinegraph.de/kongress/98/ifkmat11.html [28. 08. 2009].
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Abb. 71: Anzeige für Marlene Dietrichs Filmschlager auf Electrola-Platten, 1931.
liefern die Tauber-Platten den Grund, weshalb Doris geduldig den Erzählungen aus Alexanders Kindheit zuhört: Doris schenkt ihm Aufmerksamkeit als Gegenleistung für sein Geld. Die Ebene des discours hebt dieses Tauschgeschäft hervor, wenn sie Alexanders Kosenamen für Doris gegen das Stückchen ‚Glanz‘ ausspielt. Doris’ Bericht über die Tauber-Platte geht Alexanders Frage unmittelbar voran: „‚Hast du mich auch ein bißchen lieb, meine Taube, und nicht nur mein Geld?‘ fragt er voll Angst – und das rührt mich so, daß ich ihn wirklich ein bißchen lieb habe.“227 Der Signifikant der Romantik (der Kosename /Taube/) und der Signifikant des filmischen Konsums (/Tauber-Platte/) erweisen sich damit als nahezu identisch, wobei die Warenästhetik noch als Komparativ der Intimität erscheint. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch die Materialität von Doris’ Tagebuch an Bedeutsamkeit: ein „schwarzes, dickes Heft“ mit darauf aufgeklebten „ausge-
227 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 117.
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Abb. 72: Anzeige für Daimler-Benz mit Richard Tauber als Testimonial, o.J. (um 1930).
schnittne[n] weiße[n] Tauben“228 – Intimität ist nicht jenseits der Zeichenwelten von Film und Warenästhetik zu haben. Was für die Stars gilt, trifft somit auch für Doris und die Alltagskultur der Weimarer Republik zu: Die Unterscheidung zwischen privat und öffentlich, zwischen natürlich und künstlich verliert an Eindeutigkeit. Und dies prägt nicht nur die ästhetische Materialität des Tagebuchheftes mit seinen aufgeklebten Tauben, sondern auch die Textur des Romans.
228 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 12.
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3.5 Materialästhetik: Bembergseide und die poetologischen Synthesen des Kunstseidenen Mädchens Das Tagebuch gilt als Form des authentischen Ausdrucks der Innerlichkeit. Es enthält „[d]urch die Abfolge von Tagen strukturierte schriftliche Aufzeichnungen“229 bzw. setzt sich zusammen aus „mehrere[n], in regelmäß[igen] Abständen (meist tägl[ich]) verfaßte[n] und chronolog[isch] aneinandergereihte[n] Aufzeichnungen, in denen der Autor Erfahrungen mit sich und seiner Umwelt aus subjekt[iver] Sicht unmittelbar festhält“.230 An diesen Topos der Unmittelbarkeit und Natürlichkeit schließen auch Äußerungen von Doris an, wenn sie sich entscheidet, „mal für mich ohne Kommas zu schreiben und richtiges Deutsch – nicht alles so unnatürlich wie im Büro“.231 Doch zugleich erscheint es Doris „lächerlich für ein Mädchen von achtzehn und auch sonst auf der Höhe“, Tagebuch schreiben zu wollen.232 Ihr Gegenkonzept, zu ‚schreiben wie Film‘, eignet sich deshalb exzessiv die inauthentischen Künstlichkeiten ihrer massenkulturellen Gegenwart an. Ließ sich der Tagebuchroman noch unter die ‚Naturformen‘ der klassischen literarischen Ästhetik subsumieren, wie sie Goethe postulierte,233 so konfrontiert Das kunstseidene Mädchen die Tagebuchform mit den neuen, ihre Artifizialität nicht verbergenden Domänen der Ästhetik: der Warenästhetik und der Filmästhetik. ‚Auf der Höhe‘ sein heißt, die tiefe Innerlichkeit des Tagebuchs mit der Oberfläche der Filmwelt und der Konsumkultur zu messen (Abb. 73). 234 Diese Konfrontation des ‚natürlichen‘, tradierten Formbestandes der Ästhetik mit den modernen, ‚künstlichen‘ Formen bedeutet indes nicht einfach eine Erneuerung oder Ersetzung der alten Formen durch die neuen. Sie entspricht viel-
229 Sibylle Schönborn: Tagebuch. In: Jan-Dirk Müller (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Berlin 2007: Walter de Gruyter. Bd. III: P-Z. S. 574–577, hier S. 574. 230 Klaus Hübner: Tagebuch. In: Günther Schweikle u. Irmgard Schweikle (Hg.): Metzler Literatur Lexikon. Stuttgart 21990: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung. S. 454–455, hier S. 454. 231 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 11. Herv. B. W. 232 Keun: Das kunstseidene Mädchen, S. 10. Zum Kunstseidenen Mädchen im Kontext des (weiblichen) Genres des Tagebuchs siehe Gesche Blume: Irmgard Keun. Schreiben im Spiel mit der Moderne. Dresden 2005: Thelem. S. 104–116. [= Arbeiten zur Neueren deutschen Literatur. Hg. von Dorothee Kimmich, Walter Schmitz, Detlev Schöttker u. Marek Zybura. Bd. 23.] 233 Johann Wolfgang Goethe: Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des west-östlichen Divans. In: Ders.: Werke. Hamburger Ausgabe. Bd. 2: Gedichte und Epen II. Hg. von Erich Truntz. München 1998: Deutscher Taschenbuch Verlag. S. 126–267, S. 187f. 234
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Abb. 73: „Auf der Höhe“ – Anzeige für Dorndorf Schuhe, 1928.
mehr jener Verbindung von Natürlichkeit und Künstlichkeit, wie sie in Helmuth Plessners Devise, der Mensch sei ‚von Natur‘ künstlich, zum Ausdruck kommt: Natürlichkeit und Künstlichkeit stellen demnach keine Gegensätze dar, sondern verbinden sich als Komplemente einer Ambivalenz, die derjenigen von Nähe und Ferne gleicht, die im Anschluss an Benjamin als Grundzug des Starwesens ausgemacht werden konnte – und sie entspricht der Materialität der titelgebenden Kunstseide: Kunstseide basiert in der in den 1920er Jahren am stärksten verbreiteten Form der Viskose-Kunstseide auf Zellstoff, der aus Fichtenholz hergestellt wird und das Ausgangsmaterial für Papier und für Zelluloid liefert.234 Je nach Wei-
234 Vgl. Alfred Dauber: Die Herstellung der Viskose-Kunstseide. In: Erich Greiffenhagen (Hg.): Kunstseide. Vom Rohstoff bis zum Fertigfabrikat. Für den Bedarf des Textilkaufmanns. Berlin 1928: Verlag des „Konfektionär“, L. Schottländer & Co. S. 15–39.
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terverarbeitung entsteht aus dem Zellstoff somit entweder Kunstseide als dem wichtigsten materiellen Träger der Mode in der Weimarer Republik, Papier als dem materiellen Träger von Schrift und Literatur oder Zelluloid als dem materiellen Träger des Films.235 Im Falle der von Doris begehrten Bemberg-Seide liegen die Dinge allerdings noch einmal anders. Unter dem Titel Das Ideal der Frau – Der Strumpf aus Bembergseide erteilt eine um 1927 erschienene Broschüre Auskunft über die Herstellung der Bemberg-Kunstseide. In einer neusachlichen Fabrik- und Maschinenbeschreibung, wie sie sich zur gleichen Zeit unter dem Eindruck der rationalisierten Produktionsmethoden Henry Fords zuhauf in den Reportagen etwa eines Heinrich Hauser oder Egon Erwin Kisch für eine eher männliche, technikbegeisterte oder -kritische Leserschaft finden,236 gibt der Beitrag Streiflichter auf die Herstellung der Bembergseide Einblick in den Produktionsprozess, um der „merkwürdige[n] und für unsere Zeit charakteristische[n] Erfahrung, daß unsere Damenwelt sich heute viel mehr für technische Fragen interessiert als früher“237 Rechnung zu tragen: Wir lassen uns mit dem Fahrstuhl in das oberste Stockwerk der Vorbereitungsräume fahren. Wir stehen vor dem Rohstoff, großen Ballen gepreßter Linters. Sie kommen aus Amerika. Es ist Baumwolle, die von den Samenschalen der Baumwollfrüchte stammt und chemisch den hochwertigsten Rohstoff auf dem Gebiete der Zellulose darstellt; denn sie besteht, von geringen Verunreinigungen abgesehen, ganz aus reiner Zellulose. Die wenigen Verunreinigungen werden in mehreren Arbeitsgängen, die wir nun verfolgen können, in Reinigern, Bäuchkesseln, Bleichholländern sorgfältig und vollständig entfernt, und zwar unter möglichster Schonung der eigentlichen Baumwollfaser. Hierin schon liegt eine der Grundbedingungen für die guten Eigenschaften der Bembergseide. Die blendend weiß aus dem Bleichholländer kommenden Linters werden nun noch geschleudert und sind jetzt bereit zur Umwandlung in Kunstseide. […] In […] den ‚Lösekesseln‘, geht die geheimnisvolle Mischung vor sich. Hierzu dient eine blaue Flüssigkeit, die unter Verwendung von Kupfersulfat, Soda, Natronlauge, Ammoniak und Wasser hergestellt wird. Sie heißt kurz ‚Cuprammonlösung‘. In diese wird die Baumwolle eingetragen. Die Faser quillt auf und geht, unterstützt durch Rühren, langsam in Lösung, aber in eine eigenartige Lösung, die die Chemiker ‚kolloid‘ nennen. Es entsteht eine sehr zähe blaue Flüssigkeit, die ‚Spinnstoff-Lösung‘. […]
235 Zum Filmmaterial siehe Paolo Cherchi Usai: Ursprünge und Überlieferung. In: Geoffrey Nowell-Smith (Hg.): Geschichte des internationalen Films. Stuttgart u. Weimar 1998: J. B. Metzler. S. 6–13, bes. S. 6f. 236 Siehe dazu Schütz: Kritik der literarischen Reportage, S. 38–75. Zum ‚Fordismus‘, den die Begeisterung für Fords rationalisierte Massenproduktion auslöst, siehe auch Lethen: Neue Sachlichkeit 1924–1932, bes. S. 20–25. 237 A. Z.[art]: Streiflichter auf die Herstellung der Bembergseide. In: Das Ideal der Frau – Der Strumpf aus Bembergseide. Hg. von der J. P. Bemberg AG. Berlin o.J. [ca. 1927]: Erasmusdruck. S. 7–14, hier S. 7.
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Aus dem Löseraum gehen wir in den ‚Spinnsaal‘ und kommen in einen riesigen Hallenbau, in dem schier endlos sich Spinnmaschine hinter Spinnmaschine reiht. Das Auge wird gefesselt durch die Bewegung der sich drehenden Häspel, auf denen sich hellgrüne Stränge aufwickeln. Wir stehen vor dem schon ziemlich fertigen Kunstseidenfaden. […] In langer Reihe stehen hinter den Häspeln Glastrichter […]. Was geschieht hier? Die gereinigte Spinnlösung wird durch Rohrleitungen zu den Brausen gedrückt und durch diese dann in genau geregelten Mengen herausgepreßt. Die Fäden fallen herab und ziehen sich, durch die Wasserbewegung unterstützt, immer dünner aus. Hierbei erhärten sie aber auch; denn das Wasser entzieht ihnen Ammoniak und Kupfer. Sie verlassen den Trichter unten schon als fester, blauer, noch kupferhaltiger Kunstseidenfaden. Dieses Kupfer wird ihnen sofort, noch vor dem Haspel, durch ein schwefelsaures Bad entzogen. Im Grunde ist nun die Kunstseide schon fertig. Was jetzt folgt, ist nur noch die Strangwäsche. In ihr wird das Kupfer endgültig, dann auch die Säure herausgewaschen, der Strang geseift und getrocknet.238
Im Unterschied zu vollsynthetischen Fasern wie Nylon, im Unterschied aber auch zu Viskose-Kunstseide aus Fichtenholz-Zellulose basiert die Bemberg-Kunstseide auf einem natürlichen Rohstoff, der zudem schon lange vor den Möglichkeiten seiner synthetischen Bearbeitung zu Gewebe verarbeitet wurde: Baumwolle. Die Bemberg-Kunstseide macht sich dazu ein Verfahren zunutze, das zuvor von den Vereinigten Glanzstoff-Fabriken A. G. Elberfeld entwickelt wurde, dem Kupferverfahren, das als „rein deutschen Ursprunges“ gilt.239 Dabei wird die BaumwollZellulose mit chemischen Substanzen behandelt und in einem speziellen Bemberg-Verfahren gesponnen. Durch dieses Verfahren erhält die Bemberg-Kunstseide einen „zurückhaltenden, unaufdringlichen, angenehmen Glanz“.240 Die materielle Beschaffenheit der Bemberg-Kunstseide liefert damit die poetologische Gewebestruktur für Das kunstseidene Mädchen: Als synthetisch bearbeitete Faser, die aus einem natürlichen Rohstoff hergestellt wird, der in der Gewebeherstellung eine lange Geschichte hat, entspricht sie einer Romantextur, die auf dem tradierten Genre des Tagebuch(roman)s basiert und dieses durch die Synthese mit Waren- und Filmästhetik in eine eigene, neuartige Erscheinungsweise verwandelt. Das kunstseidene Mädchen folgt damit nicht den Alternativen der Viskose-Kunstseide – Schrift (Papier) oder Film (Zelluloid) oder Seidenimitat –, sondern verbindet in der Bemberg-Seide die Tradition des Textes als ‚natür-
238 A. Z.[art]: Streiflichter auf die Herstellung der Bembergseide, S. 7–10. 239 A. Zart: Die Kupferseide. a) Die Herstellung von Kunstseide nach dem Kupferverfahren von Glanzstoff. In: Greiffenhagen (Hg.): Kunstseide, S. 40–42, hier S. 40. 240 A. Zart: Die Kupferseide. b) Die Herstellung von Kunstseide nach dem J. P. Bemberg-Verfahren. In: Greiffenhagen (Hg.): Kunstseide, S. 43–53, hier S. 43. Der Text ist in weiten Teilen wortidentisch mit A. Z.[art]: Streiflichter auf die Herstellung der Bembergseide.
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lichem‘ Gewebe241 mit Film und Warenästhetik zu einer Textur des ‚Glanzes‘ von eigener Qualität. Schon die fehlende Datierung der einzelnen Tagebucheinträge erzeugt eine weit weniger klar strukturierte Gliederung des Textes als dies für Tagebücher respektive Tagebuchromane in der Regel konstitutiv ist – das unterscheidet im übrigen Das kunstseidene Mädchen in formaler Hinsicht grundlegend von Anita Loos’ konventionell gehaltenem Tagebuchroman Gentlemen Prefer Blondes, der zum Argument für die Plagiatsvorwürfe gegen Keuns Roman seitens Kurt Tucholskys und anderer wird.242 Bei dieser Abweichung von der Tagebuchform bleibt es nicht: Wiederholt unterwandert Das Kunstseidene Mädchen den für das Tagebuch üblichen Charakter reflektierter Schilderungen des Erlebten, und dies keineswegs aufgrund der ‚naiven‘ Sicht der Protagonistin Doris, sondern durch die narratorische Anlage des Romans. So kommt es mehrfach zu Übergängigkeiten zwischen nachträglichem Erzählen und streams of consciousness, dem gegenwärtigsten Modus des Erzählens überhaupt. Zwar ist in der Forschung zum Kunstseidenen Mädchen auf die stream of consciousness-Technik hingewiesen worden,243 ihre Unverträglichkeit mit der Form des Tagebuchs dabei allerdings nie zum Gegenstand der Erörterung gemacht worden. Dabei übersteigt die Verwendung der streams of consciousness die Möglichkeiten des gleichzeitigen Erzählens, die die narration intercalée eröffnet, und produziert auf diese Weise Inkohärenzen der Tagebuchform. Diese beschränken sich nicht auf die Vermischung von nachträglichem Erzählen und
241 Siehe hierzu den Abschnitt 2.6. Die ‚Maria Mancini‘ als Fetisch der Textur: Zur Semiologie des ‚Leitmotivs‘ in Kapitel 2 dieser Arbeit. 242 Schon bei diesen Plagiatsvorwürfen kommt es zu einer Synthese: So wird Keun vorgeworfen, bei Loos und bei Robert Neumanns Karriere (1931) plagiiert zu haben. Zur Diskussion um die Plagiatsvorwürfe siehe Barndt: Sentiment und Sachlichkeit, S. 169–184. Sowie Arend u. Martin: Nachwort, S. 229–237, dort auch die einschlägigen zeitgenössischen Rezensionen und Dokumente dazu, S. 273–298. Zu Keun und Loos siehe außerdem von Ankum: Material Girls. Dass Das kunstseidene Mädchen jedoch ganz bewusst aus solchen Synthesen seine ästhetische Qualität bezieht, zeigt schon die Anlage der Figur der Doris, die die zwei kontrastiven Figuren aus Anita Loos’ Gentlemen Prefer Blondes zusammenführt: Dort nämlich steht Dorothy für die sexuelle Autonomie und Unabhängigkeit, die mit der Neuen Frau assoziiert wird, während Lorelei die sexuellen Investitionen tätigt, die einen Warenaustausch in Gang setzen und zugleich eine Warenförmigkeit der Figur vermuten lassen. Diesen Aspekt der Figuren in Gentlemen Prefer Blondes hat Laura Mulvey herausgearbeitet. Laura Mulvey: Den Blick demaskieren. Hollywood-Kino, weibliches Publikum und Konsumkultur. In: Irmbert Schenk (Hg.): Erlebnisort Kino. Marburg 2000: Schüren. S. 130–142, hier S. 138. 243 Siehe bspw. Ariane Martin: Kultur der Oberfläche, Glanz der Moderne. Irmgard Keuns Roman Das kunstseidene Mädchen (1932). In: Matthias Luserke-Jacqui (Hg.): Deutschsprachige Romane der klassischen Moderne. Berlin u. New York 2008: Walter de Gruyter. S. 349–367, bes. S. 365.
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Kapitel 3: Die Faszination des Glanzes
stream of consciousness, sondern beinhalten ebenso mehrere briefförmige Textpassagen, die unvermittelt in Doris’ Erzählungen hereinbrechen und deren Status sich weder eindeutig als zitierte Briefe noch als niedergeschriebene Gedanken noch als autonome Gedankenrede zuordnen lässt.244 Damit weist sich die Textur selbst als eine ‚künstliche‘ und nur in ihrer Künstlichkeit funktionierende aus.245 Indem die Romantextur formale Eigenschaften des Tagebuchs mit dem stream of consciousness verbindet, eignet sie sich überdies eine narratorische Form des Modus an, die, etwa durch James Joyces Ulysses (1922), zum Inbegriff moderner Prosa avanciert und die in der deutschsprachigen Literatur der Moderne prominent vertreten wird durch das Werk Arthur Schnitzlers und insbesondere seinen Leutnant Gustl (1901) und Fräulein Else (1924). Die damit im Kunstseidenen Mädchen hergestellte ‚Kookkurrenz‘246 von idealistischer Tradition (Tagebuch) und Moderne (stream of consciousness) findet ihre verblüffende Parallele im Jahrgang 1925 der Zeitschrift Die Dame. Zeitgleich erscheinen hier Loos’ Roman unter dem Titel Die Blonde und die Herren. Reisetagebuch einer New Yorker Berufsschönheit und Schnitzlers Traumnovelle als Vorabdruck.247 Die Verbindung von ‚hoher‘ Literatur und populären Phänomenen der Warenästhetik und der Unterhaltungsindustrie, die kennzeichnend ist für die Textur von Keuns Kunstseidenem Mädchen, erweist sich somit als ebenfalls kennzeichnend für die Alltagskultur der Weimarer Republik – und damit als kulturpoetologisch verankert. Sie entspricht einer Zeit, in der Ansichten wie der eingangs von Ernst Jünger zitierten
244 Vgl. Keun: Das kunstseidene Mädchen, insbes. S. 80, 83, 120 u. 195. 245 Auf die Artifizialität der Romantextur des Kunstseidenen Mädchens ist bereits mehrfach hingewiesen worden, allerdings stets nur im Hinblick auf syntaktische und rhetorische Merkmale, während die narratorische Inkohärenz unbeachtet blieb. Zu den Eigenarten dieser ‚Kunstprosa‘ siehe insbes. Klotz: Forcierte Prosa, S. 267–271. Sowie Arend u. Martin: Nachwort, bes. S. 253–264. Dass damit der Roman auch die Warenkultur nicht einfach mimetisch nachbildet, sondern sie für die Bildung von Metaphern etc. nutzt, d.h. er sich immer auch der Tatsache bewusst ist, dass es sich bei Markenwaren um Signifikanten handelt, betont Wegmann: Dichtung und Warenzeichen, S. 331f. Zur Schriftkultur als einer problematisierten Grundlage dieser Prosa siehe Annette Keck: Buchstäbliche Anatomien. Vom Lesen und Schreiben des Menschen – Literaturgeschichten der Moderne. Würzburg 2007: Königshausen & Neumann. [= Studien zur Kulturpoetik. Bd. 5.] S. 229–252. Sowie zur Bedeutung der Redeschrift für den Roman Ilke Vehling: „Schreibe, wie Du hörst“. Die Redeschrift der Neuen Frau in Das Kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun. In: Sabine Biebl, Verena Mund u. Heide Volkening (Hg.): Working Girls. Zur Ökonomie von Liebe und Arbeit. Berlin 2007: Kulturverlag Kadmos. [= copyrights. Hg. von Dirk Baecker u. Elmar Lampson. Bd. 21.] S. 77–100. 246 Zum Begriff der ‚Kookkurrenz‘ siehe Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv, sowie den Abschnitt 1.6. Poetik des (Warenhaus-)Katalogs in Kapitel 1 dieser Arbeit. 247 Siehe hierzu ausführlicher Lethen: Neue Sachlichkeit 1924–1932, S. 32–38.
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weniger ein polemischer als deskriptiver Status zukommt: Reklame und Film liefern demnach einen ‚Spiegel unserer eigenen Existenz‘, während Neuauflagen des deutschen Idealismus eher als ‚Spiegel eines versunkenen Spiegelbildes‘ erscheinen, als ebensolche aber präsent sind. Das kunstseidene Mädchen zieht daraus nicht den Schluss, die Reklame dem Idealismus einfach nur vorzuziehen, wie Jünger dies vorschlägt. Durch die synthetische Verbindung von tradiertem Formbestand der Literatur mit der Waren- und Filmästhetik wird der Roman dem Umstand gerecht, dass das Bildungsgut, mit Kracauer gesprochen, ein „nur mehr historischer Besitz geworden“ ist.248 Das kunstseidene Mädchen führt das bürgerliche Bildungsgut in seiner neuen ‚Historizität‘ vor, die es in der Massenkultur angenommen hat: Was an bildungsbürgerlichen Restbeständen in den Text hineingerät, hat nur mehr den Umfang der Schlagerrefrains, die Doris durch den Kopf schwirren oder jener Kurzfasern, die sich hinter den Linters verbergen, die in der Beschreibung der Bemberg-Kunstseidenproduktion als ‚hochwertigster Rohstoff auf dem Gebiete des Zellulose‘ gepriesen werden, tatsächlich aber ein Abfallprodukt der Baumwollproduktion darstellen. So lassen sich in der Textur des Kunstseidenen Mädchens Elemente des pikarischen Romans,249 des Bildungs- resp. Entwicklungsromans250 oder des novellistischen Erzählens251 ausmachen. Dass Doris sich die Rolle der Marketenderin in Wallensteins Lager erschleichen kann, wirft nicht nur ein Licht auf ihre eigene nomadische, die Prostitution streifende Existenz, sondern verweist als bildungsbürgerliches Element auf den Prolog, in dem Schiller eine Lobrede auf die Schauspielkunst verfasst, auf „[d]er scherzenden, der ernsten Maske Spiel“252, das Doris und die Kultur der Weimarer Republik auf ihre Weise betreiben. Doch zugleich verweist Schillers ‚dramatisches Gedicht‘ schon auf die populärkulturellen Elemente, die im Kunstseidenen Mädchen neben die-
248 Kracauer: Kult der Zerstreuung, S. 313. 249 Zum Kunstseidenen Mädchen als pikarischem Roman siehe Detering: Les vagabondes, bes. S. 33–37. Als Gemeinsamkeiten mit dem pikarischen Roman lassen sich bspw. die Schläue der Protagonistin und ihre soziale Stellung, sowie die Episodenhaftigkeit der Erzählung und die interne Fokalisierung geltend machen. 250 In diese Richtung argumentiert Volker Klotz, wenn er konstatiert, es deute sich „gegen Ende des Romans […] eine innere Entwicklung der Mittelpunktsperson an. Freilich eine negative“. Klotz: Forcierte Prosa, S. 265. Damit würden Doris’ „Wunschträume und anfangs so intakten Wertkategorien vom ‚Glanz‘ […] relativiert und zerrieben“ (ebd.). Zur Lesart des Kunstseidenen Mädchens als Entwicklungsroman siehe auch Schüller: Vom Ernst der Zerstreuung, S. 162. Eine Parallele zu Goethes Wilhelm Meister ließe sich darin sehen, dass es ihre Mutter ist, die Doris die Rolle am Theater verschafft. 251 Mit dem Pelz eignet sich Roman ein topisches novellistisches Dingsymbol an. 252 Schiller: Wallenstein, S. 270–274, hier S. 270.
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Kapitel 3: Die Faszination des Glanzes
sen bildungsbürgerlichen Versatzstücken stehen, stellt es doch, in der Bearbeitung Alfred Brauns, das erste Hörspiel der deutschen Rundfunkgeschichte dar, das 1925 in der Berliner Funkstunde gesendet wird.253 Neben diesen bildungsbürgerlichen ‚Kurzfasern‘ stehen, entsprechend dem multimedialen Selbstentwurf Doris’ – ‚Ich bin eine Bühne‘, ‚Ich bin ein Film‘, ‚Ich bin eine Wochenschau‘, ‚Ich bin ein Detektivroman‘ etc. – narrative Entlehnungen aus Filmromanen wie Max Barthels Aufstieg der Begabten (1929)254 oder aus Berichten und Romanen über Büroangestellte wie Christa Anita Brücks Schicksale hinter Schreibmaschinen (1930)255 oder schließlich das filmisch populäre Cinderella-Narrativ256 – wenn diese Narrative bei Keun sich auch nicht mehr zur Aufstiegs- und Erfolgsgeschichte vollenden. Vor dem Hintergrund dieser ‚synthetischen‘ Poetik erscheint auch die Frage obsolet, ob das Kunstseidene Mädchen als Roman der Neuen Sachlichkeit gelten kann. So eignet sich der Roman neusachliche Topoi ebenso selbstverständlich an wie die bildungsbürgerlichen und populärkulturellen Versatzstücke, ohne sich damit diesen zu verschreiben.257
253 Vgl. Hans Vilmar Geppert: „Wenn ich mit dir rede kalt und gemein“? Bert Brechts Lesebuch für Städtebewohner im Kontext von Rundfunk, Film und Roman der 20er Jahre. In: Helmut Koopmann (Hg.): Brechts Lyrik – neue Deutungen. Würzburg 1999: Königshausen & Neumann. S. 49–73, hier S. 57. 254 Max Barthel: Aufstieg der Begabten. Berlin 1929: Der Bücherkreis. Zum Kunstseidenen Mädchen und Aufstieg der Begabten siehe ausführlicher auch Malecki u. Ruf: Maskierte Städtebewohnerinnen. 255 Zum Genre der Büroromane und zu entsprechenden Artikeln im Uhu und anderen Magazinen siehe Julia Bertschik: Mode und Moderne S. 198–207. 256 Iris Barry bezeichnet die Schauspielerin Mary Pickford aufgrund ihrer Rollen als „the perpetual Cinderealla, the little girl in rags who in the end resides in a glittering castle […]. In so far she is Everywoman“. Barry: Let’s go to the Pictures, S. 58. Zu den sozialen Aufstiegsmärchen in Filmen der frühen 1930er Jahre wie Der Kongreß tanzt (1931), Die drei von der Tankstelle (1930), Ein blonder Traum (1932) u.a. siehe auch Helmut Korte: Der Spielfilm und das Ende der Weimarer Republik. Ein rezeptionshistorischer Versuch. Göttingen 1998: Vandenhoeck & Ruprecht. S. 322–361. Zu den Parallelen zwischen diesen Filmen und dem Kunstseidenen Mädchen siehe Gerd-Peter Rutz: Darstellungen von Film in literarischen Fiktionen der zwanziger und dreißiger Jahre. Hamburg 2000: Lit. S. 138–172. [= Beiträge zur Medienästhetik und Mediengeschichte. Hg. von Knut Hickethier. Bd. 8.] 257 So konstatiert auch Doris Rosenstein in Bezug auf das Kunstseidene Mädchen: „Die Autorin verwendet neusachlich inspirierte Darstellungsmittel und -prinzipien und kombiniert sie mit gestalterischen Elementen, die das puristische neusachliche Arsenal […] sprengen.“ Rosenstein führt insbesondere den „satirisch-ironische[n] Zugriff“ als Abweichung von der Neuen Sachlichkeit an. Doris Rosenstein: „Mit der Wirklichkeit auf du und du“? Zu Irmgard Keuns Romanen „Gilgi, eine von uns“ und „Das kunstseidene Mädchen“. In: Sabina Becker u. Christoph Weiß (Hg.): Neue Sachlichkeit im Roman. Neue Interpretationen zum Roman der Weimarer Republik. Stuttgart u. Weimar 1995: J. B. Metzler. S. 273–290, hier S. 278.
Materialästhetik
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Larmoyante Klagen über diese „Wendung zum Massengeschmack hin“ seien verspätet, befindet Siegfried Kracauer bereits im März 1926 angesichts der Ausdehnung der „Oberflächensphäre“ der Weimarer Republik.258 Denn das bürgerliche Bildungsgut sei deshalb ein historischer Besitz geworden, „weil die ökonomische und gesellschaftliche Wirklichkeit sich gewandelt hat, der es zugeordnet war“.259 Mit seinen poetologischen Synthesen verschafft Das kunstseidene Mädchen einer kulturellen Umbruchsituation zu einem literarischen Resonanzraum, in der das Verwischen althergebrachter Grenzen auch als Freiraum begriffen wird, der neue ästhetische Vergnügen zu bereiten vermag.260 Nur ein Jahr nach Erscheinen des Kunstseidenen Mädchens sollten diese Freiräume indes ihr jähes Ende finden. Mit der Machtergreifung des nationalsozialistischen Regimes nimmt der „Triumph der Synthese“261 eine neue Wendung: An die Stelle der Kunstseide auf Baumwollbasis treten, vorangetrieben insbesondere durch die I. G. Farben, Bemühungen um Spinnfasern aus Kohle und Kalk.262 Auch diese synthetischen Stoffe bringen ein neues synthetisches Genre der Literatur hervor: den ‚Tatsachenroman‘. Mit ihrer Verbindung von wissenschaftsgeschichtlichen ‚Fakten‘ und dramatisierten Forscherschicksalen im Dienste der ‚Volksgemeinschaft‘ zählen Bücher wie Karl Aloys Schenzingers Anilin. Roman der deutschen Farbenindustrie (1937)263, Hans Dominiks Vistra, das weiße Gold Deutschlands
258 Kracauer: Kult der Zerstreuung, S. 313. 259 Kracauer: Kult der Zerstreuung, S. 313. Das Publikum der populären Kultur, schreibt Georg Franck über den veränderten Bildungsbegriff, „will sehr wohl gebildet werden – nur eben nicht im Sinne der alten Bildungskultur. Man will auf direktem Weg mitbekommen, wie man es macht, mit der eigenen Person groß – oder eben etwas größer – herauszukommen. […] Stars werden nicht – jedenfalls nicht nur – angehimmelt, weil die Leute Lust am Anhimmeln hätten, sondern weil sie sehen und lernen möchten, wie man es macht, zu glänzen.“ Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 169. 260 Zu diesen Effekten der Künstlichkeit siehe Gumbrecht: 1926, S. 276 u. 383. Überdies verleiht der Roman – auch in narratorischer Hinsicht – einer Figur eine Stimme, die zu den Verliererinnen des ‚mentalen Kapitalismus‘ von Warenwelt und Film zählt. Denn Doris schenkt den medialen Räumen der Aufmerksamkeit eine Beachtung, die ihr selbst auch zu den besten Zeiten nicht zuteil wird, so sehr sie sich darum bemüht. Insofern ‚korrigiert‘ Keuns Roman die gerechtigkeitstheoretische Asymmetrie des mentalen Kapitalismus, ohne die Protagonistin in ihrer Naivität bloßzustellen oder sie wie Hans Falladas Roman Kleiner Mann – was nun? zu idealisieren. Zur gerechtigkeitstheoretischen Asymmetrie des mentalen Kapitalismus siehe insbes. das Kapitel Marken und Cameras in Georg Franck: Mentaler Kapitalismus. Eine politische Ökonomie des Geistes. München u. Wien 2005: Hanser. S. 219–239. 261 Robert Bauer: Zellwolle siegt. Leipzig 21942 (1941): Wilhelm Goldmann Verlag. S. 182. 262 Vgl. Bauer: Zellwolle siegt, S. 182–191. 263 Karl Aloys Schenzinger: Anilin. Roman der deutschen Farbenindustrie. Berlin 1937: „Zeitgeschichte“ Verlag und Vertriebs-Gesellschaft m. b. H.
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Kapitel 3: Die Faszination des Glanzes
(1936)264 oder Robert Bauers Zellwolle siegt (1941) zu den Bestsellern des ‚Dritten Reichs‘.265 Seit den 1950er Jahren firmiert dieses Genre unter seinem neuen Namen: ‚Sachbuch‘.
264 Hans Dominik: Vistra, das weiße Gold Deutschlands. Die Geschichte einer weltbewegenden Erfindung. Leipzig 1936: Koehler & Amelang. 265 Vgl. Tobias Schneider: Bestseller im Dritten Reich. Ermittlung und Analyse der meistverkauften Romane in Deutschland 1933–1944. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte (2004) 1, S. 77–96. Schenzinger Anilin führt Schneiders rekonstruierte Bestsellerliste auf Platz 1 an. Zu zeitgenössischen Sachbüchern über die Textilindustrie im ‚Dritten Reich‘ siehe auch Julia Bertschik: Nationalsozialistische Popularisierung des Wissens. Das Textilsachbuch im ‚Dritten Reich‘. In: Andy Hahnemann u. David Oels (Hg.): Sachbuch und populäres Wissen im 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main u.a. 2008: Peter Lang. S. 149–158.
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Kapitel 4 Geschichte im Präsens: Wolfgang Koeppens rhizomorpher Zeitgeschichtsroman Tauben im Gras (1951), Coca-Cola und die Kulturpoetik der Zirkulation [Zeitgeschichte] wird gewiß keinem naiven Realismus huldigen dürfen, als ob je Geschichte im Sinne geistiger Vergegenwärtigung Geschichte im Sinne des Geschehenen „abbilde“.1 Hans Rothfels: Zeitgeschichte als Aufgabe (1953)
Als Wolfgang Koeppens Tauben im Gras im Herbst 1951 im Verlag Scherz & Goverts erscheinen, fällt das Urteil der Kritiker über den Zeit- und Wirklichkeitsbezug des Romans nahezu einstimmig aus. So schreibt Hans Georg Brenner vom „Griff in die Gegenwart“, Axel Kaun bezeichnet Tauben im Gras als einen „Roman aus unseren Tagen“, und Wolfgang von Einsiedel sieht darin einen „dichterischen Zeitroman“2. Im Tagesspiegel schöpft Walter Schürenberg gar „[n]eue Hoffnung für den Gegenwartsroman“, während Karl Korn den Roman in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung doppelsinnig als einen „Roman, der Epoche macht“3 feiert. Heinz Schöffler schließlich stellt seine Besprechung in den Konturen. Blätter für junge Dichtung unter den Titel: „Ein Dichter schreibt Zeitgeschichte“. Schöffler erhebt Koeppens Roman damit nicht nur zum faktografischen Geschichtswerk,4 sondern rückt ihn in den Kontext eines historiografischen Interesses an der jüngsten Geschichte, das sich ein Jahr nach Erscheinen von Tauben im Gras in der Umbenennung des 1949 gegründeten Deutschen Instituts für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit in Institut für Zeitgeschichte manifestiert.5 Die Rezeption der Tauben
1 Hans Rothfels: Zeitgeschichte als Aufgabe. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1 (1953) 1, S. 1–8, hier S. 5. 2 Wolfgang von Einsiedel: Ein dichterischer Zeitroman. [ED: Merkur 6 (1952), S. 1181–1183.] In: Ulrich Greiner (Hg.): Über Wolfgang Koeppen. Frankfurt am Main 1976: Suhrkamp. S. 33–35. 3 Karl Korn: Ein Roman, der Epoche macht. [ED: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 10. 1951] In: Greiner (Hg.): Über Wolfgang Koeppen, S. 25–29. Die weiteren Titel von Rezensionen sind dem im dortigen Anhang befindlichen Verzeichnis entnommen, S. 287f. 4 Auch der Spiegel nimmt Tauben im Gras als faktografischen Text und bezeichnet den Roman als „Zeitbericht“ und einen „‚Roman‘ genannte Reportage“. [o. Verf.]: Zeitbericht: Atempause auf Schlachtfeld [Rezension zu Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras.]. In: Der Spiegel, 26. 12. 1951, S. 32f. 5 Zur Geschichte der Zeitgeschichtsschreibung und ihrer Konjunktur im Nachkriegsdeutschland siehe Gabriele Metzler: Einführung in das Studium der Zeitgeschichte. Paderborn 2004: Schöningh. S. 19–27.
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im Gras als eines Buchs von zeitgeschichtlichem Interesse wurde vom Verlag noch vor seinem Erscheinen auf paratextuellem Wege wirksam befördert. So hatte Scherz & Goverts den Roman in einem Verlagsprospekt als „ein[en] völlig aktuelle[n] Gegenwartsroman“ vorangekündigt, als „die bedeutendste literarische Gestaltung der Nachkriegszeit […], geformt von einem überlegenen Geist“.6 Tatsächlich nimmt der Roman im literarischen Feld der ersten Nachkriegsjahre insofern eine Sonderstellung ein, als er im Unterschied zu vielen anderen literarischen Erscheinungen, die sich mit der jüngeren Zeitgeschichte auseinandersetzen, seinen Gegenstand in der unmittelbaren Gegenwart und der Alltagswirklichkeit seines Erscheinungsjahres 1951 findet und nicht – jedenfalls nicht vorrangig – im Nationalsozialismus und seiner Aufarbeitung.7 Ausgehend von einer poetologischen Lesart von Tauben im Gras lassen sich das besondere Verhältnis des Romans zur neuen bundesrepublikanischen Gegenwart und mit ihm sein zeitgeschichtlicher, archivistischer Gehalt8 als der Versuch einer Geschichtsschreibung deuten, die darauf abzielt, ‚Geschichte im Präsens‘ zu erfassen und in einer adäquaten Form literarisch zu gestalten. Die rhizomorphe Textur, die aus dieser Poetik hervorgeht, und ihre archivistische Offenheit für Markennamen stehen als die formal hervortretenden Eigenschaften der Tauben im Gras im Mittelpunkt dieses Kapitels: Sie führen den Text über sich selbst hinaus und in das kulturelle Archiv seiner Entstehungs- und dargestellten Zeit mitsamt ihren zeitgeschichtlichen Ambivalenzen und Widersprüchen hinein und werfen damit auch die Frage nach dem ‚Präteritum‘ dieser ‚Geschichte im Präsens‘ auf. Wiederholt haben die formalen Aspekte des Romans – begünstigt durch autobiografische Äußerungen Koeppens – in der zeitgenössischen Rezeption wie in der Forschung zu der Auffassung geführt, es handle sich bei Tauben im
6 Zit. nach Günter u. Hiltrud Häntzschel: „Ich wurde eine Romanfigur“. Wolfgang Koeppen 1906–1996. Frankfurt am Main 2006: Suhrkamp. S. 83. 7 Zu dieser Einschätzung und der Verortung der Tauben im Gras im literarischen Feld der Nachkriegszeit siehe Norbert Altenhofer: Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras (1951). In: Paul Michael Lützeler (Hg.): Deutsche Romane des 20. Jahrhunderts. Neue Interpretationen. Königstein im Ts. 1983: Athenäum. S. 284–295, bes. S. 284. 8 Zum Verhältnis von Zeitgeschichte und Literatur seit 1945 siehe Wolfgang Hardtwig: Zeitgeschichte in der Literatur 1945–2000. Eine Einleitung. Sowie Erhard Schütz: Jeder gute Roman ist ein historischer Roman – Aber nicht jeder zeitgeschichtliche Roman ist ein historischer Roman … Noch eine Einleitung. In: Dies. (Hg.): Keiner kommt davon. Zeitgeschichte in der Literatur nach 1945. Göttingen 2008: Vandenhoeck & Ruprecht. S. 7–25 u. 26–34. Zum Verhältnis von Zeitgeschichte und Archivismus siehe die zeitgeschichtlich perspektivierte Vorarbeit zu diesem Kapitel, Björn Weyand: Jetztzeitarchivalik. Markenwaren als zeitgeschichtliche Archivalien der Nachkriegszeit: Heinrich Bölls Das Brot der frühen Jahre (1955) und Wolfgang Koeppens Tauben im Gras (1951). In: Schütz u. Hardtwig (Hg.): Keiner kommt davon, S. 74–86, bes. S. 85f.
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Gras um ein ‚verspätetes Formexperiment‘,9 das seine Zeitgenossenschaft eher in der Literatur der 1920er Jahre und namentlich in James Joyces Ulysses (1922, dt. 1927), John Dos Passos’ Manhattan Transfer (1925, dt. 1927) sowie Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz (1929) finde als im Jahre 1951.10 Die folgende Lektüre argumentiert demgegenüber in eine andere Richtung: Demnach erweist sich Tauben im Gras gerade aufgrund seiner experimentellen Form nicht als ‚verspätet‘, sondern als frühe Ausarbeitung einer Poetik, die in mehrfacher Hinsicht die ‚Kartografierung‘ einer postmodernen kapitalistischen Kultur vorwegnimmt, wie sie Gilles Deleuze und Félix Guattari 1980 in ihren Mille Plateaux entwickeln werden und wie sie Stephen Greenblatt in den Grundzügen einer Poetik der Kultur (1986) beschreibt.11 Deleuzes und Guattaris Forderung: „Man müßte Amerika einen be-
9 Darauf ist in der Forschung immer wieder hingewiesen worden, bspw. von Martin Hielscher: Zitierte Moderne. Poetische Erfahrung und Reflexion in Wolfgang Koeppens Nachkriegsromanen und in Jugend. Heidelberg 1988: Winter. S. 9f. Bereits Wolfgang von Einsiedel befindet in seiner Rezension: „Und doch ist sein Verfahren kaum, wie man im ersten Augenblick vermuten könnte, experimenteller Natur. Er verwertet lediglich auf eigenwillig-überzeugende Weise die Resultate, die frühere literarische Experimente – durch die Namen James Joyce, Virginia Woolf, Dos Passos und Huxley zu kennzeichnen – in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren gezeitigt haben“. Von Einsiedel: Ein dichterischer Zeitroman, S. 34. Zu einer (kritischen) Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Tauben im Gras zu Döblins Berlin Alexanderplatz siehe zuletzt Sabina Becker: Ein verspäteter Modernist? Zum Werk Wolfgang Koeppens im Kontext der literarischen Moderne. In: Treibhaus. Jahrbuch für die Literatur der fünfziger Jahre 1 (2005): Wolfgang Koeppen & Alfred Döblin. Topographien der literarischen Moderne, S. 97–115. Sowie Peter Sprengel: Wolfgang Koeppen. Die Wiederholung der Moderne. In: Sabina Becker u. Helmuth Kiesel (Hg.): Literarische Moderne. Begriff und Phänomen. Berlin 2007: Walter de Gruyter. S. 403–415. 10 Siehe hierzu bspw. die vergleichende Studie von Kathleen L. Komar: Pattern and Chaos. Multilinear Novels by Dos Passos, Döblin, Faulkner and Koeppen. Columbia 1983: Camden House. Zu Koeppen S. 73–91. Siehe auch Hans-Edwin Friedrich: „Kreuzritter an Kreuzungen“. Entsemantisierte Metaphorik als artistisches Verfahren in Wolfgang Koeppens Roman Tauben im Gras: Reaktion auf den Wertezerfall nach 1945. [Erstdruck: IASL 18 (1993) 1, S. 86–122.] In: Jürgen Egyptien (Hg.): Wolfgang Koeppen. Neue Wege der Forschung. Darmstadt 2009: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. S. 62–102, hier S. 62. 11 Zu den kunsttheoretischen Implikationen der Mille Plateaux siehe Stefan Heyer: Deleuzes & Guattaris Kunstkonzept. Ein Wegweiser durch Tausend Plateaus. Wien 2001: Passagen Verlag. Mit dieser Perspektive grenzt sich die folgende Lesart auch von der Debatte ab, die die Nachkriegsliteratur unter den generellen Restaurationsverdacht stellt: Seinen Ausgangspunkt nimmt dieser Verdacht maßgeblich von drei Artikeln Hans Werner Richters, dem Mitbegründer der Gruppe 47, die zwischen 1946 und 1947 in der Nachkriegszeitschrift Der Ruf erscheinen. Der Verdacht der Restauration richtet sich nicht nur gegen die sich formierende bundesrepublikanische Gesellschaft, sondern insbesondere auch gegen die Schriftsteller. So wird Koeppens Roman Das Treibhaus, der zwei Jahre nach Tauben im Gras als zweiter Teil der ‚Trilogie des Scheiterns‘ erscheint, in Anspielung auf Erich Kästners Roman Fabian oder die Geschichte eines Moralisten (1931) unter dem Titel Felix oder die traurige Geschichte eines Moralisten rezensiert: „Wir gestehn es offen, daß wir den Roman
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Kapitel 4: Geschichte im Präsens
sonderen Platz einräumen“12 realisiert sich dabei nicht nur auf thematischer, sondern auch auf ästhetischer Ebene. Der (Wieder-)Einzug von amerikanischen Konsumgütern wie der zum „Symbol der Freundschaft“13 erhobenen Limonadenmarke Coca-Cola in die westdeutsche Gesellschaft nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur gibt einigen Figuren Hoffnung auf ein angenehmes Leben in Komfort und Wohlstand nach amerikanischem Vorbild, anderen dagegen erscheint diese als „neumodisches Zeug“.14 Tauben im Gras nimmt sich dieses neumodischen Zeugs an und reflektiert auf diese Weise die kulturpoetischen Grundlagen des Kapitalismus: die freie Zirkulation von Waren – die zugleich eine Zirkulation von Dingen und von Zeichen ist – und die kulturellen Prozesse der Verknüpfung, Archivierung sowie Semantisierung, die damit einhergehen.
4.1 Poetik und Textur von Tauben im Gras So sehr die zeitgenössischen Rezensionen die Aktualität von Tauben im Gras auch betonen, leicht zugänglich war und ist der zeitgeschichtlich-archivistische Gehalt des Romans unterdessen nicht. Beinahe entschuldigend mutet daher der Nachsatz der Verlagsankündigung an, die Gegenwart sei von einem ‚überlegenen Geist‘ geformt. Koeppens Verleger Henry Goverts wusste um die Schwierigkeiten,
der deutschen Nachkriegsrestauration von den deutschen Schriftstellern erwarten. Und wir bedauern aufrichtig, daß Das Treibhaus dieses Buch nicht ist. Wir vermissen das Agens, den Impetus und die aufrüttelnde Leidenschaftlichkeit. Wir finden, dem Himmel sei’s geklagt, Resignation bei Autor und Held. Sie aber sind die Bestätigung der Restauration“. Wie Helmut Kiesel in seiner intensiven Auseinandersetzung mit Literaturgeschichten der westdeutschen Nachkriegsliteratur feststellt, kann innerhalb der Literaturgeschichtsschreibung geradezu von einer „Fixierung“ auf die Restaurationsthese gesprochen werden, die in anderen Disziplinen, etwa den Sozialwissenschaften, längst relativiert worden ist. Helmuth Kiesel: Die Restaurationsthese als Problem für die Literaturgeschichtsschreibung. In: Walter Erhart u. Dirk Niefanger (Hg.): Zwei Wendezeiten. Blicke auf die deutsche Literatur 1945 und 1989. Tübingen 1997: Max Niemeyer Verlag. S. 13–45, dort auch das Zitat aus Stadelmeyers Rezension, S. 15 [im Orig.: Peter Stadelmeyer: Felix oder die traurige Geschichte eines Moralisten. In: Frankfurter Hefte 7 (1953), S. 962–963, S. 963.]. 12 Gilles Deleuze u. Félix Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Übersetzt von Gabriele Ricke u. Ronald Voullié. Berlin 52002 (1992): Merve Verlag. S. 33. 13 So in einer Anzeige für Coca-Cola aus dem Jahr 1951. 14 Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras. Frankfurt am Main 2006: Suhrkamp. S. 128. [= Ders.: Werke. Hg. von Hans-Ulrich Treichel, Bd. 4.]. Zur entstehenden Konsumkultur der 1950er Jahre siehe Axel Schildt: Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und „Zeitgeist“ in der Bundesrepublik der 50er Jahre. Hamburg 1995: Hans Christians Verlag. S. 351–363. [= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte. Hg. von der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg. Bd. 31.]
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welche die Lektüre von Tauben im Gras den Lesern und potentiellen Käufern des Romans bereiten würde. Am 2. Juli 1951, wenige Monate vor Erscheinen des Romans, bestätigt Goverts in einem Brief an Koeppen den Erhalt der letzten einhundert Manuskriptseiten, äußert sich überzeugt, „dass hier ein literarisch bedeutendes Werk vorliegt“ – und bittet den Autor zugleich, einige Vorschläge in Betracht zu ziehen, welche „die Lektüre erleichtern sollen, ohne die Wirkung zu schwächen“.15 Goverts befürchtet, der Leser werde „nach 30 Seiten […] erschöpft und leicht verwirrt durch die vielen Menschen und die verschiedenartigen Assoziationen, das Buch weglegen“.16 Die künstlerischen Mittel des Romans scheinen dem Verleger „ein wenig übertrieben“: [W]eniger wäre mehr. Und die sich allzu schnell folgenden Bilder und Vorstellungen schwächen sich gegenseitig. Das Presto-Tempo der vielen aneinander vorbeiagierenden Menschen, vor allem am Anfang, ohne erholsame Piano-Stelle und zu diesem Gewirr eine nicht notwendige, ungewöhnliche Interpunktion, Klammersätze und Zeitungs-Schlagzeilen verwirren.17
Goverts’ Kritik benennt entscheidende Eigenheiten, die die Textur von Tauben im Gras auch in der kurz darauf erschienenen Version aufweist – die von Koeppen tatsächlich vorgenommenen Überarbeitungen sind nicht dokumentiert18 –: Der Roman beschreibt einen Tag des Erscheinungsjahres 1951 in einer ungenannten, durch zahlreiche Namens- und Ortsangaben wie dem Bräuhaus aber als München identifizierbaren Stadt.19 Durch die einmontierte Zeitungsmeldung „ANDRÉ GIDE GESTERN VERSCHIEDEN“ lässt sich der Tag auf den 20. Februar datieren.20 Erzählt wird nicht die Geschichte eines einzelnen Protagonisten oder einer überschaubaren Zahl von Personen; vielmehr werden in mehr als hundert durch Spatien getrennten Erzählsequenzen rund dreißig Figuren gezeigt, aus dem Blick verloren und im Verlaufe des Romans erneut in den Fokus gerückt. Die Figuren stehen nur teilweise zueinander in Beziehung, sodass auch die Verknüpfung der
15 Henry Goverts an Wolfgang Koeppen, Brief vom 02. 07. 1951. Konvolut Wolfgang-KoeppenBriefe im Wolfgang Koeppen-Archiv Greifswald, Inventar Nr. 98.7402, Archiv-Nr. 24457. Zit. nach Hans-Ulrich Treichel: Kommentar. In: Koeppen: Tauben im Gras, S. 232–265, hier S. 243. 16 Goverts an Koeppen (02. 07. 1951), zit. nach Treichel: Kommentar, S. 242. 17 Goverts an Koeppen (02. 07. 1951), zit. nach Treichel: Kommentar, S. 242. 18 Lapidar schreibt Koeppen einen Monat nach Erhalt des Briefes seines Verlegers an diesen zurück: „Die Änderungen am Manuskript der TAUBEN wurden nach Ihren Weisungen in der verabredeten Weise ausgeführt.“ Wolfgang Koeppen an Henry Goverts, Brief vom 03. 08. 1951, Archiv-Nr. 24497. Zit. nach Treichel: Kommentar, S. 243. 19 Bernd W. Seiler zählt Orts- und Zeitangaben ebenso zu den ‚leidigen Tatsachen‘ wie Markennamen. Seiler: Die leidigen Tatsachen, S. 94–148 u. 149–205. 20 Koeppen: Tauben im Gras, S. 98. Auf diese Datierung ist in der Forschung mehrfach hingewiesen worden, siehe bspw. Treichel: Kommentar, S. 261.
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zumeist nur momenthaften Schilderungen keinem kausalen, narratorischen oder überhaupt bedeutungstragenden Zusammenhang folgt, sondern entweder unvermittelt geschieht oder allein auf der Ebene der Textur, etwa durch sprachliche Äquivalenzen und Wortwiederholungen, hergestellt wird.21 Dass Goverts seine Kritik an der Fülle der ‚vielen aneinander vorbeiagierenden Menschen‘ rhetorisch in Form einer Katachrese hervorbringt, wenn er angesichts des ‚Presto-Tempos‘ der Schilderungen ‚erholsame Piano-Stellen‘ vermisst, mag die befürchtete Erschöpfung der Leser seitens des Verlegers selbst bestätigen, verweist zudem aber unbeabsichtigt auf eine weitere Besonderheit des Romans: seine geradezu übersättigte Bildlichkeit, die das gegenwärtige Geschehen immer wieder in zahlreichen Vergleichen mit Gestalten der antiken Mythologie zu fassen versucht.22
4.1.1 Die Romantextur, literarhistorisch betrachtet: ‚Krise des Romans‘ Literarhistorisch finden einige der formalen Merkmale der Textur von Tauben im Gras ihre Vorläufer tatsächlich in den genannten Großstadtromanen von Dos Passos, Joyce und Döblin: Der Verzicht auf eine Erzählung mit einer durchgängigen Handlungsstruktur und die immense Ausweitung des Figurenarsenals gleicht Dos Passos’ Manhattan Transfer; in der erzählerischen Ausdehnung eines einzigen Tages und in der Verbindung von Gegenwart und mythologischen Figuren wie Odysseus oder Nausikaa finden sich Parallelen zu Joyces Ulysses; die Montage-Technik und der Topos der gesellschaftlichen Kälte erinnern an Döblins Berlin Alexanderplatz.23 Doch wird die Erfahrung von Desorientierung in der All-
21 So endet bspw. ein Abschnitt über Washington Price mit dem Satz: „Die Seide verschwand wie ein gefangener Schmetterling unter seiner Hand.“ Der darauffolgende Abschnitt über Odysseus Cotton greift das Lexem /Hand/ auf, zudem handelt es sich wie bei Washington Price um die Hand eines Schwarzamerikaners: „Die schwarze Hand des Negers und die gelblichen schmutzigen Hände der Griechen nahmen die Würfel“. Koeppen: Tauben im Gras, S. 67. 22 So wird der Roman vom Blick der Auguren eröffnet, die den Willen der Götter zu lesen versuchen: „Flieger waren über der Stadt, unheilkündende Vögel. Der Lärm der Motoren war Donner, war Hagel, war Sturm. Sturm, Hagel und Donner, täglich und nächtlich, Anflug und Abflug, Übungen des Todes, ein hohles Getöse, ein Beben, ein Erinnern in den Ruinen. Noch waren die Bombenschächte der Flugzeuge leer. Die Auguren lächelten. Niemand blickte zum Himmel auf.“ Koeppen: Tauben im Gras, S. 9. 23 Nach einer Reihe zitierter Zeitungsmeldungen heißt es gleich zu Beginn von Tauben im Gras: „Das Frühjahr war kalt. Das Neueste wärmte nicht“. Koeppen: Tauben im Gras, S. 9. In Berlin Alexanderplatz kündigt eine Kapitelüberschrift an: „Wiedersehen auf dem Alex, Hundekälte. Nächstes Jahr, 1929, wirds noch kälter“. Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz. München 412001 (1965): Deutscher Taschenbuch Verlag. S. 165. Herv. im Orig.
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tagswelt zur Entstehungszeit von Koeppens Roman erneut virulent und lässt sich nicht allein auf die Tradition literarischer Beschreibungen der Großstadt zurückführen. So findet der Verlust von Einheit, der die Textur der Tauben im Gras kennzeichnet, eine kulturkritische Reflexion in Adornos Aufsatz über den Standort des Erzählers im zeitgenössischen Roman (1954). Drei Jahre nach Erscheinen von Koeppens Roman, allerdings ohne auf diesen Bezug zu nehmen, befragt Adorno darin den „gegenwärtigen Stand des Romans als Form“24 und gelangt zu dem einschlägigen Ergebnis, dass die Voraussetzungen des Erzählens nicht länger gegeben seien: [Die Stellung des Erzählers] wird heute bezeichnet durch eine Paradoxie; es läßt sich nicht mehr erzählen, während die Form des Romans Erzählung verlangt. […] Zerfallen ist die Identität der Erfahrung, das in sich kontinuierliche und artikulierte Leben, das die Haltung des Erzählers einzig gestattet. […] Das antirealistische Moment des neuen Romans, seine metaphysische Dimension, wird selber gezeitigt von seinem realen Gegenstand, einer Gesellschaft, in der die Menschen voneinander und von sich selber gerissen sind.25
In Tauben im Gras zersplittert die auktoriale Erzählhaltung in einen permanenten unvermittelten Wechsel von Erzählerreflexion und Figurenperspektive,26 in ein vielfaches Changieren zwischen Nullfokalisierung und variabler interner Fokalisierung, in kaum merkliche Übergängigkeiten in Distanz und Mittelbarkeit.27 An die Stelle einer geschlossenen Erzählung, eines ‚kontinuierlichen und artikulierten Lebens‘, treten mit der Polyperspektivität des Romans Diskontinuität und Fragmentarität;28 die Anzahl der Figuren und ihre scheinbare Beziehungslosigkeit lässt die Menschen ‚voneinander gerissen‘ erscheinen. Gleichwohl vermag auch Adornos Analyse über den Krisenzustand des modernen Romans, ebenso wie die literarhistorischen Traditionslinien der ‚klassischen Moderne‘, die eigenwillige Textur von Tauben im Gras nur bedingt zu erklären: Sie gibt vielmehr Aufschluss über die Matrix einer allgemeinen Krisenhaftigkeit
24 Theodor W. Adorno: Der Standort des Erzählers im zeitgenössischen Roman. [Vortrag für den RIAS Berlin, Erstdruck: Akzente (1954) 5.] In: Ders.: Noten zur Literatur. Frankfurt am Main 1998: Suhrkamp. S. 41–48, hier S. 41. 25 Adorno: Der Standort des Erzählers im zeitgenössischen Roman, S. 41, 42 u. 43. 26 Vgl. Erhard Schütz: Wolfgang Koeppen. In: Ders.u. Jochen Vogt: Einführung in die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts. Bd. 3: Bundesrepublik und DDR. Opladen 1980: Westdeutscher Verlag. S. 71–81, hier S. 76. 27 Zu Distanz und Fokalisierung siehe Genette: Discours du récit, S. 183–224. 28 Zur Bedeutung der Fragmentarität für das Romanwerk Koeppens siehe Hans-Ulrich Treichel: Fragment ohne Ende. Eine Studie über Wolfgang Koeppen. Heidelberg 1984: Carl Winter Universitätsverlag.
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traditioneller Erzählkonzepte, in die sich Adornos Analyse – im unausgesprochenen Anschluss an Walter Benjamins Aufsatz Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows (1937)29 – und Koeppens Roman je auf ihre Weise einschreiben. Während Adornos Kritik auf die Standardisierung in der verwalteten Welt abzielt, die es unmöglich mache, „etwas Besonderes zu sagen [zu] haben“,30 geht der Verlust der narrativen Einheit in Tauben im Gras mit der literarischen Erfassung einer Mannigfaltigkeit von Figuren, Geschehnissen, Vorgängen und Erlebnissen einher, die durchaus und gerade in ihrer Profanität und Alltäglichkeit erzählenswert scheinen, sich aber nicht mehr zu einer als großem Sinnzusammenhang fügenden Narration zusammenführen lassen, weil die Wirklichkeit vielfältiger und komplexer erscheint als dies in der Form eines ‚klassischen‘ Romans zu schildern wäre. Anders gesagt: In Adornos und Koeppens Wirklichkeitsauffassung stehen Kulturkritik und ein quasi postmodernes Denken von Mannigfaltigkeiten einander gegenüber. Diese „Mannigfaltigkeiten sind die Realität“, so Deleuze und Guattari, „sie setzen keine Einheit voraus, gehen in keine Totalität ein und gehen erst recht nicht auf ein Subjekt [wie etwa einen Erzähler, B. W.] zurück.“31 Die Geschichte einer einzelnen Person, die „in hohem Grade erzählenswert scheint“, weil ihr, wie es im Zauberberg noch heißt, „eine gewisse überpersönliche Bedeutung“ zukommt,32 die also ausreichend repräsentativ erscheint, um sie ins Zentrum eines tausendseitigen Romans zu stellen, gibt es 1951 nicht mehr oder noch nicht wieder.33 Stattdessen zeigt Tauben im Gras unterschiedlichste Figuren wie den Schauspieler Alexander, der die Rolle eines Erzherzogs in
29 Walter Benjamin: Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. II-2: Aufsätze, Essays, Vorträge. Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. S. 438–465. Zu Benjamins Reflexionen des Erzählens und zu seiner eigenen poetologischen Praxis des Erzählens siehe auch Erhard Schütz: Aroma oder Kunst nicht zu erklären. Walter Benjamins erfahrener Erzähler. In: Text + Kritik (2009) 31/32: Walter Benjamin. Dritte Auflage: Neufassung. Gastredaktion: Thomas Wegmann. S. 97–106. 30 Adorno: Der Standort des Erzählers im zeitgenössischen Roman, S. 42. Herv. im Orig. 31 Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. II. Gerade die metaphysische Dimension, die Adorno zufolge den ‚neuen Roman‘ kennzeichne, wird in Tauben im Gras, wenngleich durch vielfache Bezüge auf Mythologisches vordergründig mit dem Geschehen verknüpft, zugleich wieder in Frage gestellt, siehe dazu auch den Abschnitt 4.4.2. Zirkulation als kulturpoetologisches Prinzip in diesem Kapitel. 32 Mann: Der Zauberberg, S. 9 u. 53. 33 Zum Topos des Interregnums, das sich in der Nachkriegszeit in einem ‚Nicht mehr‘ und ‚Noch nicht‘ artikuliert, siehe Klaus R. Scherpe: Erzwungener Alltag. Wahrgenommene und gedachte Wirklichkeit in der Zeitschriften- und Reportageliteratur der Nachkriegszeit. In: Ders.: Die rekonstruierte Moderne. Studien zur deutschen Literatur nach 1945. Köln, Weimar u. Wien 1992: Böhlau. S. 23–100, hier S. 27. [= Literatur – Kultur – Geschlecht. Bd. 3.]
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„DE[M] DEUTSCHE[N] SUPERFILM“34 spielt; Philipp, den unproduktiven Schriftsteller; eine Gruppe amerikanischer Lehrerinnen; oder die junge Carla Behrend, die von dem schwarzamerikanischen US-Soldaten Washington Price ein Kind erwartet und die, „hungrig nach dem Leben, wie es ihr Filme zeigten“35, sich als „eine verwunschene Prinzessin, zu niederem Dienst gezwungen“36 sieht und sich in „die Bilderwelt unzähliger Magazine“ imaginiert, „die ihr das Damenleben in Amerika zeigten, die automatischen Küchen, die Waschwunder und Spülmaschinen, die alles reinigten, während man im Liegestuhl der Television folgte, Bing Crosby erschien in jedem Heim, die Wiener Sängerknaben jubelten vorm elektrischen Herd, im schwellenden Polster des Pullmanwagens fuhr man von Ost nach West, […] keine Angstträume ängstigten mehr, denn you can sleep soundly tonight mit Maybels Magnesium Milch“.37
4.1.2 Die Romantextur, poetologisch betrachtet: ‚Geschichte im Präsens‘ Angesichts dieser Unzulänglichkeit literarhistorischer Erklärungen für die besondere Textur von Tauben im Gras erweist es sich als naheliegend, die Erklärung im Roman selbst zu suchen. In poetologischen Lesarten von Tauben im Gras sind die Vielfalt von Personen, ihre Beziehungslosigkeit untereinander und das textuelle Verknüpfungsverfahren des Romans daher wiederholt vor dem Hintergrund des titelgebenden Bildes der Tauben im Gras gedeutet worden,38 das Gertrude Steins Operas and Plays (1932) entliehen ist und dem Roman in Form der Klage „Pigeons on the grass alas“ als Motto und ausgewiesenes Stein-Zitat vorangestellt wird.39 Von der Figur Philipp, einem scheiternden Schriftsteller, der wiederholt als verschlüsselte Selbstdarstellung Koeppens gedeutet worden ist und dem au-
34 Koeppen: Tauben im Gras, S. 12. 35 Koeppen: Tauben im Gras, S. 17. 36 Koeppen: Tauben im Gras, S. 17. 37 Koeppen: Tauben im Gras, S. 49f. 38 So bspw. von Georg Bungter: Über Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“. In: Ulrich Greiner (Hg.): Über Wolfgang Koeppen. Frankfurt am Main 1976: Suhrkamp. S. 186–197, dort heißt es S. 190: „‚Tauben im Gras‘ – das ist auch zugleich die Chiffre für die semantische Komposition dieses Buches. Das scheinbar zufällige, planlose Sich-Überkreuzen und Durcheinanderlaufen spiegelt sich in der formalen Anlage. Die einzelnen Erzählstränge sind gleichsam vielfach zerschnitten, die Partikel nach Art eines unregelmäßigen Webmusters durcheinander geknüpft.“ Norbert Altenhofer sieht im Motto gar die inscriptio des Romans, von dem er urteilt, es finde sich darin „kaum ein Bild, dem nicht sogleich die deutende subscriptio folgte“. Altenhofer: Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras (1951), S. 287. 39 Koeppen: Tauben im Gras, S. 7.
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tobiografistische Lesarten daher eine besondere Deutungshoheit zusprechen,40 wird dieses Bild als ein Gleichnis für „das Sinnlose und scheinbar Zufällige der menschlichen Existenz“ gesehen.41 Auch paratextuell ließe sich argumentieren, dass dieser poetologischen Lesart eine privilegierte Stellung zukommt, insofern sie nicht allein auf der Stimme einer einzelnen Figur beruht, sondern durch Titel und Motto des Romans gestützt wird. Allerdings neigen die poetologischen Ausdeutungen des Tauben-Motivs zu einem ahistorischen Existentialismus, der die Erfahrung mangelnder Sinnhaftigkeit anthropologisch statt historisch begreift.42 Doch gerade dies widerspricht der zeitgeschichtlichen Dimension des Romans wie auch seiner narratorischen Komplexität.43 Der Ausgangspunkt für eine alternative poetologische Lesart von Tauben im Gras, die die archivistische Qualität des Romans in den Blick nimmt, findet sich daher an anderer, randständigerer Stelle: in den Schilderungen und Reflexionen der Figur des Richard Kirsch. Für den achtzehnjährigen Soldaten der US-Luftwaffe ist der Dienst im Deutschland des Wiederaufbaus eine Reise in das „Land der Väter“44 – sein Vater, der Reichswehrsoldat Wilhelm Kirsch war vor Hitler von Deutschland nach Columbus, Ohio, emigriert45 –, die er mit einer Mischung aus
40 Vgl. bspw. Häntzschel: „Ich wurde eine Romanfigur“, S. 88. Friedhelm Marx hat darauf hingewiesen, dass den privilegierten Lektüren der Figur Philipps zumindest die Figur des Naturwissenschaftlers Schnakenbachs an die Seite zu stellen sei. Dies ermöglicht ein neues Bezugssystem für die Poetik des Romans; so erklärt Marx die Aspekte der Dezentrierung, der Diskontinuität und der Unschärfe mit Verweis auf Heisenbergs Unschärferelation. Friedhelm Marx: Kein Zauberwort, keine Formel. Wolfgang Koeppens Poetik der Unschärfe in Tauben im Gras. In: Ders., Wolfgang Bergem u. Lothar Bluhm (Hg.): Metapher und Modell. Ein Wuppertaler Kolloquium zu literarischen und wissenschaftlichen Formen der Wirklichkeitskonstruktion. Trier 1996: Wissenschaftlicher Verlag Trier. S. 61–73. [= Schriftenreihe Literaturwissenschaft. Bd. 32.] 41 Koeppen: Tauben im Gras, S. 215. 42 So bspw. Friedbert Stühler: Totale Welten: der moderne deutsche Großstadtroman. Regensburg 1989: Roderer. S. 106f.: „Die Tauben im Gras erweisen sich als Chiffre für die Zufälligkeit des menschlichen Lebens und für die Heimatlosigkeit des einzelnen Menschen. Die zufällige Begegnung von Menschen in der Großstadt München findet im Bild von den Tauben im Gras ihre existenzialistische Ausdeutung: Die Menschen sind dem Zufall preisgegeben, für sie gibt es keine metaphysische Orientierung oder einen Sinnbezug.“ Bereits Karl Korn bezeichnet Tauben im Gras als einen Roman „in Sartres Sinne“. Korn: Ein Roman, der Epoche macht, S. 29. Zur Präsenz zeitgenössischer Philosopheme in Tauben im Gras siehe auch Altenhofer: Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras (1951), S. 286. 43 So konstatiert auch Hans-Edwin Friedrich: „Man wird der Erzähltechnik Koeppens nicht gerecht, wenn man den Autor mit einer Person wie Philipp identifiziert.“ Friedrich: „Kreuzritter an Kreuzungen“, S. 95. 44 Koeppen: Tauben im Gras, S. 39. 45 Vgl. Koeppen: Tauben im Gras, S. 121–123.
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Neugierde für das ihm Unbekannte und missionarischem Eifer antritt, denn „er glaubte, es sei nun die Zeit seines Landes, das Jahrhundert der gereinigten Triebe, der nützlichen Ordnung, der Planung, der Verwaltung und der Tüchtigkeit“ gekommen.46 Doch „zunächst würde es neben dem Dienst eine Art ironisch-romantischer Welt- und Schloßbesichtigung sein“,47 bei der ihn Deutschland und seine Bevölkerung „nicht mehr [beschäftigten] als andere alte Völker: oberflächlich“.48 Richards Überzeugung von der künftigen kulturellen Hegemonie der USA lässt das in Trümmern liegende Deutschland als romantische Restkulisse eines ‚alten Volkes‘ erscheinen, die nur mehr von historischem Schauwert ist wie ein Schloss aus vergangenen Zeiten. So verstellt das Geschichtswissen auch zunächst den Blick auf die Gegenwart: [Er] blickte herab auf sie in aller Tatsächlichkeit, herab auf ihre Länder, ihre Könige, ihre Grenzen, ihren Hader, ihre Philosophen, ihre Gräber, ihren ganzen ästhetischen, pädagogischen, gedanklichen Humus, ihre ewigen Kriege und Revolutionen, er blickte herab auf ein einziges lächerliches Schlachtfeld, die Erde lag unter ihm wie auf einem Chirurgentisch: arg zerschnitten. Natürlich sah er es nicht wirklich so; er sah weder Könige noch Grenzen, wo vorläufig nur Nebel und Nacht war, auch sein geistiges Auge stellte es sich nicht vor, sein Schulwissen war es, das den Erdteil so sah.49
Richard Kirschs Blick ‚von oben herab‘ suggeriert eine Geringschätzung des betrachteten Europa aus der Perspektive amerikanischer kultureller Hegemonie, aus der dieses als ‚lächerlich‘ erscheint. Doch der Blick von oben bezeichnet zugleich das Wahrnehmungsmodell des Romans: den kartografischen Blick, den Richard Kirsch vom Flugzeug aus vollzieht und der Länder und Grenzen erfasst (also die kartografischen Elemente im engeren Verständnis), aber ebenso den ‚ästhetischen, pädagogischen, gedanklichen Humus‘ vermisst. Kirschs Sicht ist nicht auktorial, sondern aktorial, sie bietet keinen allwissenden Überblick, sondern ist Teil der rhizomorphen Gesamtanlage von Tauben im Gras und entspricht dem von Deleuze und Guattari fomulierten Imperativ: „Karten, nicht Kopien machen“.50 Wie jede Karte ist auch Richard Kirschs kartografische Wahrnehmung „selber ein Teil des Rhizoms“.51 Das Grundprinzip der Karte ist Deleuze und Guattari zufolge Konstruktion anstelle der einfachen Reproduktion einer Kopie.52 ‚Kar-
46 Koeppen: Tauben im Gras, S. 38. 47 Koeppen: Tauben im Gras, S. 38. 48 Koeppen: Tauben im Gras, S. 37. Herv. B. W. 49 Koeppen: Tauben im Gras, S. 38. 50 Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 24. 51 Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 24. 52 Vgl. Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 24.
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ten, nicht Kopien machen‘ heißt also in Bezug auf Tauben im Gras und seine zeitgeschichtliche Dimension: „keinem naiven Realismus huldigen […], als ob je Geschichte im Sinne geistiger Vergegenwärtigung Geschichte im Sinne des Geschehenen ‚abbilde‘“.53 Was Hans Rothfels in seinem Eröffnungsbeitrag für die erste Ausgabe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1953 formuliert, findet sich in Tauben im Gras bereits zwei Jahre zuvor realisiert: Ein Bewusstsein für die Konstruktion der zeitgeschichtlichen Darstellung.54 Dass Richard Kirschs Blick von oben verstellt wird durch das ‚Schulwissen‘ über die Geschichte Europas, löst eine Reflexion über Geschichte und den Prozess der Geschichtswerdung aus. Dem Schulwissen von Geschichte, das einer „Kindermarter“ gleichkommt, stellt Richard in erlebter Gedankenrede eine andere Wahrnehmung von Geschichte gegenüber: Geschichte war Vergangenheit, die Welt von gestern, Jahreszahlen in Büchern, eine Kindermarter, jeder Tag aber bildete auch wieder Geschichte, neue Geschichte, Geschichte im Präsens, und das bedeutete Dabeisein, Werden, Wachsen, Handeln und Fliegen. […] Erst morgen würde alles seinen historischen Namen erhalten, mit dem Namen seinen Sinn, würde echte Geschichte werden, in Schulbüchern altern, und dieser Tag, dies Heute, dieser Morgen würde einst für ihn ‚meine Jugend‘ sein.55
Die geronnene, in Büchern festgeschriebene Geschichte steht hier einer ‚Geschichte im Präsens‘ gegenüber, wie sie von Richard in der Gegenwart erlebt wird. Diese ‚Geschichte im Präsens‘ ist durch fehlende Sinnhaftigkeit gekennzeichnet, die aber nicht existentialistisch begründet ist, insofern sie noch mit späterer Sinnbildung als ‚echter Geschichte‘ rechnet. Die ‚Geschichte im Präsens‘ bezeichnet also jenes Zwischenstadium, in dem sich die Geschichte ereignet und bereits als künftige Geschichte wahrgenommen wird, aber (noch) nicht als sinnhaft geordnete erscheint – sie bildet narratologisch ein „sinnindifferentes“ Geschehen, das seinem „narrativen Sinn“ innerhalb einer resp. ‚der‘ Geschichte vorgängig ist.56 An die Stelle der ‚echten‘ geordneten Geschichte tritt, poetologisch
53 Rothfels: Zeitgeschichte als Aufgabe, S. 5. 54 Zur Gegenüberstellung von Abbildung und Konstruktion siehe auch Walter Benjamins Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie; auch Benjamin fordert, im Anschluss an Brecht und seinen Dreigroschenprozeß (1931) der einfachen Abbildung misstrauend, eine „photographische Konstruktion“. Benjamin: Kleine Geschichte der Photographie, S. 384. 55 Koeppen: Tauben im Gras, S. 38f. Herv. B. W. 56 Zur Unterscheidung von sinnindifferentem Geschehen und Geschichte (hier im narratologischen Sinn einer histoire, nicht der Histoire oder Historie) siehe Karlheinz Stierle: Die Struktur narrativer Texte. In: Helmut Brackert u. Eberhard Lämmert (Hg.): Funkkolleg Literatur I. Frankfurt am Main 1977: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 210–233.
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gewendet, eine vielgestaltige Kartografierung der vergehenden Gegenwart, in der sich die faktischen Zeichen und Ereignisse der künftigen Schulbuchgeschichte – vom Marshallplan und dem European Recovery Program bis zur Koreakrise, dem Kalten Krieg und seinen atomaren Bedrohungen – gleichrangig mit den fiktiven Figuren und der realen Alltagswelt verknüpfen, für die sich, zumindest bis zur „Entdeckung der 50er Jahre“ und ihrer materiellen Kultur durch die Sozial-, Kultur- und Literaturwissenschaften seit den 1990er Jahren,57 kein späteres Geschichtsbuch interessieren würde. Doch genau darin besteht für Deleuze und Guattari das Ideal eines Buchs: „alles auf […] ein und derselben Fläche auszubreiten: wahre Ereignisse, historische Bedingungen, Ideenentwürfe, Individuen, gesellschaftliche Gruppen und Konstellationen“.58 Als poetologisch verstandene Formel für die diegetische Konzeption von Tauben im Gras bezeichnet die ‚Geschichte im Präsens‘ die Konzeption einer zeitgeschichtlich-archivistischen Gegenwartsdarstellung, welche die heterogenen Elemente der sich transformierenden und als bundesrepublikanisch formierenden Alltagswirklichkeit, einem ‚Mischraum‘ sowohl in soziologischer – wie das Figurenspektrum des Romans zeigt59 – als auch in politischer und kultureller Hinsicht, versammelt: Amerikanismus, Wiederaufbau und nationalsozialistisches Erbe stehen hier thematisch ebenso nebeneinander wie Figuren unterschiedlichster Herkunft. Aus dieser Poetik der ‚Geschichte im Präsens‘ lassen sich zwei entscheidende ästhetische Eigenheiten der Tauben im Gras erklären: zum einen die narratorische Konzeption, zum anderen die archivistische Offenheit der Romantextur für Dinge des Alltags. So bedeutet die ‚Geschichte im Präsens‘, erstens, narratologisch betrachtet den beschriebenen Verzicht auf die Einheit des Figurenpersonals und der Handlung sowie auf eine durchgängige Erzählung. Stattdessen fügen sich die einzelnen Textblöcke und fragmenthaften Erzählungen zu einer rhizomorphen Textur, einem von Spatien unterbrochenen und assoziativen Wort-
57 Vgl. hierzu den Abschnitt Die Entdeckung der 50er Jahre in Schildt: Moderne Zeiten, S. 16–21. Tatsächlich wird sich die Zeitgeschichtsschreibung auch für die fiktiven Figuren aus Tauben im Gras interessieren. So zählt Koeppens Roman zu den immer wieder zitierten literarischen Texten in zeitgeschichtlichen Darstellungen der 1950er Jahre, so bspw. bei Dirk Schindelbeck u. Volker Ilgen in ihrer Darstellung der Interessenvertretung der deutschen Unternehmerschaft Die WAAGE, Dirk Schindelbeck u. Volker Ilgen: „Haste was, biste was!“ Werbung für die soziale Marktwirtschaft. Darmstadt 1999: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. S. 9. 58 Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 19. 59 Bereits das Verlagsprogramm hebt die Heterogenität der Figuren als eine Qualität des Romans hervor: „Fesselnd werden die verschiedensten Menschen geschildert, Deutsche aus allen Kreisen, Amerikaner, die reisen, Intellektuelle jeder Schattierung, darunter ein weltberühmter angelsächsischer Dichter, aber auch Neger, die zur Besatzung gehören.“ Zit. nach Häntzschel: „Ich wurde eine Romanfigur“, S. 83.
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wiederholungen verbundenen Textraum zusammen. Wie im Rhizom, für das gilt, dass jeder Punkt mit jedem anderen verbunden werden könne und müsse,60 zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass die einzelnen Figuren, so zusammenhanglos sie zunächst erscheinen, sämtlich durch die Textur miteinander in Beziehung gesetzt werden, sei es, dass sie zufällig oder beabsichtigt einander am Romanschluss im Bräuhaus oder im Amerikahaus oder im Verlaufe des Romans an einer Straßenkreuzung begegnen, sei es, dass sie über gemeinsame Bekannte miteinander in Verbindung gebracht werden.61 Anstelle des „Tableaus“62 oder Panoramas, das der Roman von der Bundesrepublik entwerfe – wie es seit den zeitgenössischen Rezensionen zur Beschreibung von Tauben im Gras heißt63 –, ist insofern treffender von Plateaus zu sprechen. Diese bilden für Deleuze und Guattari einen Gegenpol des in Kapitel gegliederten Buchs und kommunizieren „miteinander über Mikro-Fissuren“.64 Die rhizomorphe Gestalt des Romans bildet zunächst den ästhetischen Ausdruck für die noch ungewisse Sinnbildung einer Übergangszeit, für jenen ‚Schwebezustand‘, wie ihn in Tauben im Gras die Figur des Mr. Edwin – ein amerikanischer Schriftsteller, der als verschlüsselte Darstellung T. S. Eliots gelesen wird65 – mit Bezug auf München beschreibt und ins Exemplarische überträgt:
60 Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 16. 61 So konstatiert Bungter, dass es „am Ende des Buches keine Romangestalt gibt, die nicht jeder anderen irgendwie begegnet oder zumindest durch gemeinsame ‚Bekannte‘ verbunden wäre.“ Bungter: Über Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“, S. 187. In dieser netzartigen Verknüpfung liegt auch die spezifische Poetik von Tauben im Gras als eines ‚Großstadtromans‘, durch die sich der Roman von anderen Großstadtromanen wie Manhattan Transfer, Berlin Alexanderplatz oder Ulysses unterscheidet. Dabei steht die Netzstruktur der Großstadt jedoch auch für eine umfassendere, rhizomorphe Alltagswirklichkeit. Zur Stadt als einem Raum, den „ein Netz aus lauter Netzen“ „durchzieht und verschaltet“ siehe Friedrich A. Kittler: Die Stadt ist ein Medium. In: Gotthard Fuchs, Berhard Moltmann u. Walter Prigge (Hg.): Mythos Metropole. Frankfurt am Main 1995: Suhrkamp. S. 228–244, hier S. 229. 62 Karl Korn spricht von einem „Tableau des besetzten Landes, auf dem eine pointillistische Technik kleinster minuziöser Pünktchen ein Gesamt von klarer künstlerischer Ordnung und ausgewogener Komposition ergibt“. Korn: Ein Roman, der Epoche macht, S. 27. Auch Wolfgang von Einsiedel macht sich die Metaphern der bildnerischen Künste zu eigen, wenn er Koeppen die Vereinigung der „Technik des Malers mit der des Graphikers“ zu gute hält und weiter vom „Zeitenfresko“ spricht. Von Einsiedel: Ein dichterischer Zeitroman, S. 34f. 63 Siehe Tilmann Ochs: Kulturkritik im Werk Wolfgang Koeppens. Münster 2004: Lit Verlag. S. 162, dort mit Verweis auf weitere Sekundärliteratur zur panoramatischen Deutung des Darstellungsverfahrens. 64 Vgl. Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 37. 65 Vgl. Marx: Kein Zauberwort, keine Formel, S. 66.
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Edwin sah in dieser Stadt ein Schauspiel und ein Beispiel, sie hing, hing am Abgrund, war in der Schwebe, hielt sich in gefährlicher mühsamer Balance, sie konnte ins Alte und immerhin Bewährte, sie konnte ins Neue und Unbekannte schwanken, konnte der überlieferten Kultur treu bleiben, doch auch in vielleicht nur vorübergehende Kulturlosigkeit absinken, vielleicht als Stadt überhaupt verschwinden […].66
Dieser Schwebezustand stellt sich – zumindest rückblickend betrachtet – indes nicht als Transit auf der Rückkehr zu den ‚großen Erzählungen‘ dar,67 sondern kündigt vielmehr bereits deren postmodernes Ende an.68 Die dezentrierte Darstellungsform des Romans entspricht nicht einfach jenem von Hans Sedlmayr 1955 konstatierten und breit diskutierten Verlust der Mitte, in dem die Kunst als symptomatisch für die Zeit und ihre sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, ja ihre „kosmische[n] und anthropische[n]“ „Störungen“ gedeutet wird.69 Sedlmayr konstatiert das „Auseinandertreiben der Gegensätze“, aber auch eine „Aufhebung des Unterschieds von ‚Oben‘ und ‚Unten‘“, die er negativ als „Hypertrophie der niederen Geistesformen im Menschen auf Kosten der höheren“ deutet.70 Zwar finden sich diese Aspekte auch in Tauben im Gras: Das Auseinandertreiben der Gegensätze manifestiert sich in der Bedrohung durch die polare Weltordnung des Kalten Krieges, die den Roman eröffnet („SPANNUNG, KONFLIKT, man lebte im Spannungsfeld, östliche Welt, westliche Welt“, „Deutschland war in zwei Teile gebrochen“71), die Aufhebung des Unterschieds von ‚Oben‘ und ‚Unten‘ zeigt sich etwa in der Verbindung von antiken Mythen („Die Auguren lächelten.“72) und Alltagsmythen („Schlagzeilen der Filmblätter: ALEXANDER SPIELT DEN ERZHERZOG, DER DEUTSCHE SUPERFILM“73). Doch Tauben im Gras bildet damit den beklagten ‚Verlust der Mitte‘ nicht ab. Durch die rhizomorphe und damit auch „azentrische[]“74 Textur gelangen die von Sedlmayr in kulturkritischer Absicht
66 Koeppen: Tauben im Gras, S. 109. 67 Transit ist der Titel einer Lyriksammlung, die Walter Höllerer 1956 herausgibt. Walter Höllerer (Hg.): Transit. Lyrikbuch der Jahrhundertmitte. Frankfurt am Main 1956: Suhrkamp. 68 „Die große Erzählung hat ihre Glaubwürdigkeit verloren, welche Weise der Vereinheitlichung ihr auch immer zugeordnet wird“. Jean-François Lyotard: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht. Hg. von Peter Engelmann. Wien 41999: Passagen-Verlag. S. 112. 69 Hans Sedlmayr: Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit. Berlin (West) 1955: Ullstein. S. 128. [Erstausgabe: Salzburg 1948: Otto Müller Verlag.] 70 Sedlmayr: Verlust der Mitte, S. 114 u. 128. Herv. im Orig. 71 Koeppen: Tauben im Gras, S. 9. u. 10. 72 Koeppen: Tauben im Gras, S. 9. 73 Koeppen: Tauben im Gras, S. 12. 74 Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 36.
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herangezogenen Phänomene als „Gegebenheiten“ in den Roman.75 Die Verbindung von high und low wird damit auch nicht als Verlust (‚Hyperthrophie der niederen Geistesformen‘) beklagt, sondern Tauben im Gras folgt darin dem ‚amerikanischen Rhizom‘,76 in dem Bing Crosby und die Wiener Sängerknaben wie selbstverständlich nebeneinander stehen.77 Zweitens ergibt sich unter archivistischem Interesse aus der rhizomorphen Gestalt der Textur und der Einebnung hierarchisierender Differenzen zwischen dem, was zur ‚echten‘ Geschichte gehören wird und dem, was dazu nicht gehören wird, eine ‚archivistische‘ Offenheit für Alltagswirklichkeit. Wenn Deleuze und Guattari in den Tausend Plateaus die bereits zitierte Formel Rhizomatik = PopAnalyse78 aufstellen, so erklärt sich daraus auch der Zusammenhang von rhizomorpher Textur und der für die Literatur der 1950er Jahre ungewöhnlichen Einbeziehung alltagsweltlicher Oberflächenphänomene in die Diegese des Romans wie der neu- oder wiederentstehenden und insbesondere der aus Amerika importierten Massen-, Unterhaltungs-, Konsum- und Warenkultur79: Von Pernod, Sanella und Guerlain über Maxwell Coffee, Maybels Magnesium Milch und die Vereinsbank bis zu Dupont Nylon, American Express und nicht zuletzt Coca-Cola reicht das Spektrum der in Tauben im Gras erwähnten Markennamen. Wenn es von der Figur des Richard Kirsch heißt, er interessiere sich nicht mehr als ‚oberflächlich‘ für das Nachkriegsdeutschland, so liegt gerade in diesem poetologisch deutbaren Interesse des Romans für die Oberfläche der Zeitgeschichte eine bemerkenswerte Öffnung der Literatur zur Alltagswelt hin, die dem zeitgenössischen Verständnis
75 Ähnlich urteilt auch Theodor Heuss über den Verlust der Mitte, wenn er den Zustandsbeschreibungen Sedlmayrs zustimmt, sich jedoch der eindeutigen Wertung enthält: „Hans Sedlmayr hat schon recht in seinem so angeregten und anregenden, verstimmten und verstimmenden Buch: die ‚Mitte‘, von der aus eine Zeiteinheit begriffen, erlebt, vielleicht auch gedeutet werden kann, ist verloren. Der Pluralismus eines Lebensgrundgefühls und damit auch der inhaltlichen und formalen Wertungen ist eine Gegebenheit. Verlust? Bereicherung?“.Theodor Heuss: Zur Kunst dieser Gegenwart. Tübingen 1956: Wunderlich Verlag. Hier zit. nach Hermann Glaser: Kleine Kulturgeschichte der Gegenwart, mit einem Führer durch das Sachschrifttum. Frankfurt am Main 1959: Ullstein Taschenbücher-Verlag. S. 155. 76 „[A]lles, was wichtig war und ist, [geschieht] durch das amerikanische Rhizom“. Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 33. 77 Vgl. Koeppen: Tauben im Gras, S. 50 bzw. das Zitat am Ende des vorangegangenen Abschnitts in diesem Kapitel. 78 Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 40. 79 Gleichwohl besteht angesichts der Öffnung hin zu den profanen Gegenwartsdingen eine mehr als nur begriffliche Ähnlichkeit zwischen Koeppens ‚Geschichte im Präsens‘ und der von Eckhard Schumacher mit Bezug auf die Popliteratur geprägten Wendung von der „Geschichte der Gegenwart“. Vgl. Eckhard Schumacher: Gerade Eben Jetzt. Schreibweisen der Gegenwart. Frankfurt am Main 2003: Suhrkamp.
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des ‚Literarischen‘ diametral entgegenstehen: Eberhard Lämmerts bereits mehrfach aufgerufene Bestimmung des ‚Wesens des Dichterischen‘, derzufolge ‚alle benutzten Realien ihres transliterarischen Bezugssystems entkleidet‘ würden,80 findet ihren literatur- und theoriegeschichtlichen Entstehungskontext in den selben Jahren wie Koeppens Tauben im Gras – 1955, also vier Jahre nach Koeppens Roman, erscheinen Lämmerts Bauformen des Erzählens in der Metzlerschen Verlagsbuchhandlung.81
4.2 ‚Neumodisches Zeug‘ und ‚Symbol der Freundschaft‘: Zur zeitgeschichtlichen Semantik von Coca-Cola in Tauben im Gras und im Nachkriegsdeutschland des Marshallplans 1950 heißt es in einem Bändchen über Getränke, ihre Herstellung und Wirkung, das in der populärwissenschaftlichen Kosmos-Reihe erscheint, in einem Eintrag zu den neuen ‚Coca-Getränken‘: Coca-Getränke. Seit einigen Jahren werden als erfrischende Getränke Coca Cola, Isocola, Africola usw. viel genannt. Es sind Limonaden mit Coffeingehalt aus Kaffee oder Auszügen von Früchten des afrikanischen Colabaums (C o l a v e r a ) bzw. Blättern des südamerikanischen Cocastrauches (E r y t h r o x y l o n c o c a ), der auch auf Ceylon und Java angebaut wird. Die rundliche, 2,5–4 cm große und 24–40 g schwere Colanuß hat einen bitter schmeckenden, braunen Samenkern, der etwa die doppelte Menge Coffein enthält wie die gleiche Menge Kaffeebohnen. Cocablätter enthalten Cocain.82
Wie bereits diese warenkundliche Beschreibung zeigt, sind die ‚Coca-Getränke‘ in besonderer Weise markengebunden. Zu ihrer Erläuterung bedarf es der Nennung der Markennamen wie Coca-Cola, Africola oder der heute nicht mehr bekannten
80 Siehe ausführlicher den Abschnitt 1. „Once you ‚got‘ Pop …“: Markenwaren als ein neuer Gegenstand der Literaturwissenschaften in der Einleitung zu dieser Arbeit. 81 Wie sehr Lämmerts Auffassung dem allgemeinen Verständnis von Literatur in den 1950er Jahren entspricht, zeigt der exemplarische Blick in die Erzählung eines Autors, der im Erscheinungsjahr von Tauben im Gras den Preis der Gruppe 47 erhält und dessen Werk bis heute aufgrund seiner Schilderung von Zeitgeschichte hochgehalten wird: Heinrich Bölls Das Brot der frühen Jahre, das im selben Jahr erscheint wie Lämmerts Bauformen. Der Roman verzichtet auf die Nennung von Markennamen, und das obwohl sein Protagonist am wirtschaftlichen Aufschwung partizipiert und deshalb aus seinen Zigaretten Distinktionsgewinn bezieht. Siehe hierzu ausführlicher Weyand: Jetztzeitarchivalik, bes. S. 76–80. 82 Paul Andres: Getränke. Herstellung und Wirkung. Stuttgart 1950: Kosmos. Gesellschaft der Naturfreunde (Franckh’sche Verlagshandlung). S. 13.
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Isocola. ‚Coca-Getränke‘ lassen sich – wie alle Markenprodukte – nicht auf ihre rein denotativen Komponenten (‚Limonade mit Coffeingehalt‘) reduzieren. Eine zeitgenössische Variation über die konnotative Funktion von Markenwaren formuliert Hans F. J. Kropff in seiner 1953 erschienenen Studie Die Werbemittel und ihre psychologische, künstlerische und technische Gestaltung: „Die Marke […] beschleunigt und vertieft die Ideenverbindung mit dem Erzeugnis“.83 Diese Ideenverbindung zwischen dem Erzeugnis als Marke und dem Konsumenten stellt sich jedoch nicht allein durch Werbemittel her. Sie ist immer das Ergebnis eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses, in dem das lancierte Markenimage akzepiert, revidiert oder gar negiert werden kann.84 Dies zeigt sich in besonderer Weise am Beispiel der Marke Coca-Cola: Sie wird 1951 von der konzerngeleiteten Werbung zum ‚Symbol der Freundschaft‘ erhoben und als solches auch in Filmen für die deutsch-amerikanische Verständigung inszeniert (4.2.2). In Tauben im Gras dagegen vermittelt sie keine Freundschaft, sondern eine ökonomisch fundierte Herr-Knecht-Beziehung und wird von Josef, dem Dienstmann, als ‚neumodisches Zeug‘ verachtet (4.2.1).
4.2.1 ‚Neumodisches Zeug‘: Coca-Cola als zeitgeschichtliches Archivale in Tauben im Gras Ein Szenarium in Tauben im Gras, in dem Coca-Cola Erwähnung findet, zeigt den schwarzen US-Amerikaner Odysseus Cotton und seinen deutschen Dienstmann Josef als Zuschauer eines Baseballspiels auf der Stadiontribüne. Josefs Dienst besteht insbesondere darin, für Cotton einen Musikkoffer zu tragen, aus dem es Night and Day, Candy I call my sugar candy und Stormy Weather schallt. Dieser Dienst schließt für Josef allerdings die Verpflichtung zum widerwilligen Verzehr eines Sandwichs nach amerikanischer Art mit ein: Stormy-Weather: die Musik der Kinoorgel wehte, wogte, bebte und rasselte. Sie wehte, wogte, bebte und rasselte aus allen Lautsprechern. Synchron mit den Lautsprechern wehten, wogten, bebten und rasselten die Töne aus dem Musikkoffer, den Josef neben sich auf die Bank gestellt hatte. Er kaute an einem Sandwich. Er kaute schwer an dem dicken viel-
83 H.[ans] J. F. Kropff: Die Werbemittel und ihre psychologische, künstlerische und technische Gestaltung. Essen 1953: Girardet. S. 91. [= Grundriß der Werbung. Hg. von Carl Hundhausen im Auftrage des wissenschaftlichen Beirats des Zentralausschusses der Werbewirtschaft, Wiesbaden. Bd. 2.] Für eine umfassende Darstellung des Produkt- und Reklameverständnisses nach 1945 – mit Schwerpunkt auf kommunikationstheoretischen Ansätzen – siehe Gries: Produkte als Medien. 84 Vgl. dazu die Ausführungen Baudrillards zur Werbung in: Le système des objets, S. 229–274.
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schichtigen Brot. Er mußte seinen Mund bis zum äußersten aufreißen, um von dem dicken Sandwich etwas abbeißen zu können. Es war ein fader Geschmack. Auf den Schinken hatte man eine süßliche Paste geschmiert. Der Schinken schmeckte wie verdorben. Der süßliche Geschmack störte Josef. Es war, als wäre der Schinken verdorben und man hätte ihn dann parfümiert. Auch die grünen Salatblätter, die man zwischen den Schinken und das Brot gelegt hatte, waren nicht nach Josefs Geschmack. Das Sandwich war wie das Grab einer Schinkensemmel, mit Efeu bepflanzt. Josef würgte mit Widerwillen an dem Brot. Er dachte an seinen Tod. Er aß die fremde, fremdländisch schmeckende Speise nur aus anerzogenem Gehorsam. Er durfte Odysseus, seinen Herrn, nicht beleidigen. Odysseus trank Coca-Cola. Er setzte die Flasche an den Mund und trank sie leer. […] Josef hatte sich drücken können. Vor dem Coca-Cola hatte er sich drücken können. Er mochte das neumodische Zeug nicht.85
Der Selbstverständlichkeit und Banalität des Konsums von Coca-Cola durch den schwarzen US-Amerikaner Odysseus Cotton – grammatikalisch in die einfachste Form des Aussagesatzes gefasst (‚Odysseus trank Coca-Cola.‘86) – steht der deutliche Abscheu seines deutschen Dienstmanns Josef gegenüber, dem Coca-Cola ähnlich fremdartig erscheint wie das mit phänomenologischer Akribie verachtete Sandwich. Für Josef ist Coca-Cola ein ‚neumodisches Zeug‘, das ihm ebenso Inbegriff für die in die junge Bundesrepublik Einzug haltende amerikanische Kultur ist wie das Sandwich. Die narratorische und semantische Komplexität der zitierten Passage lässt charakteristische Eigenheiten der Textur von Tauben im Gras exemplarisch sichtbar werden. So weist die Beschreibung dieses Szenariums, narratologisch betrachtet, spezifische Wechsel im Modus, d.h. in der Distanz zwischen Erzählerund Figurenrede sowie in der Fokalisierung des Geschehens, auf. Der Abschnitt beginnt mit der überblicksartigen Schilderung durch eine auktoriale, nullfokalisierte Erzählinstanz, die sich durch die geradezu aufdringliche Verwendung rhetorischer Wiederholungs- und Klangfiguren Präsenz als eine die Textur organisierende Instanz verschafft: Die zweimalige Wiederholung der überwiegend asyndetischen Verbgruppe ‚wehte, wogte, bebte und rasselte‘ wird in ihrer rhetorischen Nachdrücklichkeit verstärkt durch die internen Alliterationen (/wehte/, /wogte/) und Assonanzen (/wehte/, /bebte/), aus denen klanglich wie rhyth-
85 Koeppen: Tauben im Gras, S. 128. 86 Erstmals Aufmerksamkeit erhalten hat dieser Satz durch Ulf Eisele: Odysseus trinkt CocaCola. Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“. In: Eckart Oehlenschläger (Hg.): Wolfgang Koeppen. Frankfurt am Main 1987: Suhrkamp. S. 258–274. Eisele, der sich in seinem Aufsatz gegen die Lektüre von Tauben im Gras als Zeitroman wendet und sich intensiv mit dem „Scheitern des realistischen Ansatzes“ (S. 270) beschäftigt, deutet den Satz als „die Fratze der Tautologie, das Sichselbst-Nachäffen im Fremden“, das „an die Stelle des in der Widerspiegelung zu gewinnenden Schönen“ (S. 271) getreten sei. Dass es sich bei Coca-Cola um eine reale Marke handelt, interessiert Eisele nicht, für ihn steht der Satz synekdochisch für den scheiternden Realismus.
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misch einzig das dreisilbige und durch die Konjunktion /und/ eher separierte als verbundene /rasselte/ herausfällt. Während die reduplicatio der ersten Wiederholung den auktorialen Überblick bestärkt (‚die Musik wehte, wogte, bebte und rasselte aus allen Lautsprechern‘), richtet sich mit der zweiten repetitio das Augenmerk auf die Figur des Dienstmannes Josef und seinen Musikkoffer. Der Hinweis auf die Gleichzeitigkeit des Geschehens (‚Synchron mit den Lautsprechern wehten, wogten, bebten und rasselten die Töne aus dem Musikkoffer‘) entspricht dabei in nuce der Gesamtkonzeption des Romans, die, wenngleich Tauben im Gras das Geschehen im Verlauf eines Tages erzählt, weniger auf Entwicklung als auf die Abbildung des Gleichzeitigen hin angelegt ist87 – auch darin zeigt sich die avant la lettre postmoderne Poetik des Romans, die eher am Raum als an der zeitlichen Entwicklung interessiert ist: „L’époque actuelle“, konstatiert Michel Foucault auf einer Konferenz des Cercle d’études architecturales im März 1967, „serait peut-être plutôt l’époque de l’espace. Nous sommes à l’époque du simultané, nous sommes à l’époque de la juxtaposition, à l’époque du proche et du lointain, du côte à côte, du dispersé.“88 Mit der Schilderung von Josefs Abscheu gegenüber dem Sandwich nähert sich der auktoriale Erzählerbericht durch die Gedankenberichte (‚Josef dachte an seinen Tod.‘) wiederholt der erlebten Gedankenrede an, überführt die Nullfokalisierung in die interne Fokalisierung Josefs und gibt damit den Wertungen dieser Figur eine Stimme (‚Es war ein fader Geschmack.‘, ‚Der Schinken schmeckte wie verdorben.‘). Der Umschreibung des Sandwiches als ein ‚dickes vielschichtiges Brot‘ kommt auch mit Blick auf die semantische Dichte des Romans eine poetologische Erklärungskraft zu. Anders als beispielsweise in Bölls Brot der frühen Jahre erschöpfen sich die semantischen Spielräume des Brots in Tauben im Gras nicht in der Symbolik eines Grundnahrungsmittels oder eines christlichen Symbols.89 Allein die Zuweisungen, die die Romantextur gegenüber dem Sandwich selbst explizit vornimmt, sind komplex: Das Misstrauen Josefs gegenüber dem Fremden
87 Koeppen schreibt vom Roman als dem „Versuch einer Aufhebung der Zeit zu einer Gleichzeitigkeit allen Geschehens“. Seine Konzeption eines solchen Romans deckt sich jedoch nur bedingt mit der formalen Beschaffenheit von Tauben im Gras, wie sie oben beschrieben wurde. Wolfgang Koeppen: Vom Tisch. [ED: Text und Kritik 34 (1972).] In: Ders.: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Hg. von Marcel Reich-Ranicki in Zusammenarbeit mit Dagmar von Briel u. HansUlrich Treichel. Bd. 5: Berichte und Skizzen II. Frankfurt am Main 1986: Suhrkamp. S. 283–301, hier S. 298. 88 Michel Foucault: Des espaces autres [1967/84]. In: Ders.: Dits et écrits. 1954–1988. Tome IV: 1980–1988. Paris 1994: Éditions Gallimard. S. 752–762. 89 Zur Symbolik des Brots in Bölls Das Brot der frühen Jahre siehe Weyand: Jetztzeitarchivalik, bes. S. 77f.
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äußert sich in körperlichem Ekel (‚Josef würgte mit Widerwillen an dem Brot‘),90 der nur durch die Tugend des Gehorsams zu überwinden ist, und lässt das Sandwich einerseits geschmacksarm (‚fade‘) erscheinen, andererseits drängt sich sein schlechter Geschmack in den Vordergrund (‚wie verdorben‘), der wiederum künstlich überdeckt (‚parfümiert‘) wird. Das Fremde erscheint somit gleichzeitig als das Qualitätslose und das durch hervorstechende negative Eigenschaften Gekennzeichnete, Ekel Erregende, nicht ‚Natürliche‘. Der Vergleich, das Sandwich sei ‚wie das Grab einer Schinkensemmel‘ übersetzt das Fremde schließlich in eine Verfallsstufe des Eigenen.91 Während das Brot somit zum Objekt vielfältiger semantischer Zuschreibungen wird, erscheint die Semantik der Marke Coca-Cola in geradezu proportionaler Verkehrung zu den Theoremen des Markenwesens über den konnotativen Gehalt von Markenwaren unterkomplex. Die semantischen Zuschreibungen an die Marke beschränken sich in der zitierten Passage auf den Konsum von Coca-Cola durch den Schwarzamerikaner Odysseus und die Ablehnung durch seinen deutschen Dienstmann Josef. Der semantischen Dichte des Sandwichs steht das nur binäre Schema von Konsum oder Ablehnung der Marke Coca-Cola gegenüber. Wie verhält sich dieser Umstand zur zeitgeschichtlichen Semantik der Marke Coca-Cola selbst?
4.2.2 ‚Symbol der Freundschaft‘: Coca-Cola in der zeitgenössischen Reklame und im OMGUS-Film Der unsichtbare Stacheldraht (1951) Ein Blick ins zeitgeschichtliche Archiv der Marke Coca-Cola führt nicht allein zu den Werbemitteln, die die Coca-Cola-Company selbst entwickelt, um ihr Getränk auf dem westdeutschen Nachkriegsmarkt zu etablieren. Die maßgebliche ‚Ideenverbindung mit dem Erzeugnis‘, von der F. J. Kropff mit Blick auf das Marken-
90 Dabei erweist sich die ungewollte Einverleibung des Brotes als prototypische Ekel-Situation, besteht doch – so Menninghaus im Anschluss an Aurel Kolnai – das „elementare Muster des Ekels“ in der „Erfahrung einer Nähe, die nicht gewollt wird. Eine sich aufdrängende Präsenz, eine riechende oder schmeckende Komsumtion wird spontan als Kontamination bewertet und mit Gewalt distanziert.“ Winfried Menninghaus: EKEL. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung. Frankfurt am Main 1999: Suhrkamp. S. 7. 91 Damit erfüllen das Sandwich und die als ‚neumodisches Zeug‘ abgetane Coca-Cola eine Funktion, die Amerika in den Amerikanismus-Debatten wiederholt zukommt: Sie werden zum „Aufhänger für einen Diskurs, der sich um das Pro und Contra der Modernisierung“ dreht. Frank Becker: Amerikabild und „Amerikanisierung“ im Deutschland des 20. Jahrhunderts – ein Überblick. In: Frank Becker u. Elke Reinhardt-Becker (Hg.): Mythos USA. „Amerikanisierung“ in Deutschland seit 1900. Frankfurt u. New York 2006: Campus. S. 19–47, hier S. 20.
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Abb. 74: „Symbol der Freundschaft“ – Coca-Cola-Kampagne, 1951.
wesen spricht, findet sich nicht nur in der Markenstrategie des Unternehmens. 1951, im Jahr des Erscheinens von Tauben im Gras, veröffentlicht die Coca-ColaCompany Deutschland in den Coca-Cola-Nachrichten, dem unternehmensinternen Werbemagazin, eine Anzeige, die den Globus zeigt, davor eine männliche Hand, deren Haltung an die fackeltragende Hand der Freiheitsstatue erinnert. Hell erleuchtet werden Nordamerika und Europa, die Hand hält an Stelle der Fackel eine Flasche Coca-Cola, die mit ihrer Form und dem Schriftzug wichtige Elemente des Markendesigns als inscriptio präsentiert. Dazu bildet in Majuskelschrift der Slogan die subscriptio: „Symbol der Freundschaft“ (Abb. 74). Erst später wurde die Anzeige auch außerhalb der Coca-Cola-Nachrichten geschaltet. Doch zur Verbreitung der Botschaft, die von dieser Anzeige ausging, brauchte es nicht einmal eine vom Unternehmen eigens lancierte Kampagne. Denn im sel-
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ben Jahr erscheint der Kurzfilm Der unsichtbare Stacheldraht, der in der Regie von Eva Kroll als Re-Orientation-Film von der amerikanischen Militärverwaltung für das besetzte deutsche Gebiet (Office of Military Government, United States, OMGUS) produziert wurde.92 Mit Filmen wie diesen versuchte die Militärverwaltung, die deutsch-amerikanischen Beziehungen und die demokratische Entwicklung in Westdeutschland zu fördern und nicht zuletzt für das als Marshallplan bekannte European Recovery Program zu werben.93 Der Film zeigt das gegenseitige Unverständnis und die Vorbehalte zwischen dem prototypischen Deutschen Herrn Schulze und seinem amerikanischen Gegenbild Mr. Jones. Sie sind – in schlichter Symbolik – Nachbarn auf gegenüberliegenden Seiten derselben Straße, die durch den titelgebenden ‚unsichtbaren Stacheldraht‘ voneinander getrennt sind. Herr Schulze, so heißt es aus dem Off-Kommentar, ist „gegen deutsch-amerikanische Beziehungen“, und zwar „aus Prinzip“. Doch Mr. Jones „hat auch nicht viel übrig für die deutsch-amerikanischen Beziehungen“: „Und die leiden natürlich darunter –“, erklärt die Off-Stimme, „eigentlich schade, nicht wahr?“. Als ihre Ehefrauen, vom Einkauf nach Hause kommend – Frau Schulze vom Grünwarenhändler, Mrs. Jones „natürlich von der C[entral] Ex[change]“ – auf der Straße aus Unachtsamkeit aneinanderstoßen, fallen sämtliche Einkäufe zu Boden und ergeben ein Durcheinander von Waren: Brandt-Zwieback und andere Markenprodukte liegen zwischen ‚amerikanischem‘ Stauden- und ‚deutschem‘ Knollensellerie (Abb. 75). Der Erzähler eilt als vermittelnde Instanz zu Hilfe und organisiert einen Tausch der Selleriesorten, der zu einer ersten Annäherung zwischen Familie Schulze und Familie Jones führt – die schließlich bei dem späteren gemeinsamen Verzehr von Bier und Coca-Cola während eines Nachbarschaftsabends des Deutsch-Amerikanischen Freundschaftskomitees entscheidende Fortschritte macht: „Schließlich ist das gar kein so schlechtes Rezept, sich erst einmal gegenseitig auf den Geschmack zu kommen.“ Beide Getränke werden im Film als Sinnbilder für die deutsche und die amerikanische Kultur inszeniert (Abb. 76).94 Am Ende des Abends zeigt der Film die Ehepaare auf dem Heimweg
92 Der unsichtbare Stacheldraht. BRD 1951. (Regie: Eva Kroll, Drehbuch: Jochen Huth). Dieser und andere Filme zur Phase der Re-Education und Re-Orientation in Westdeutschland sowie zur Aufbauphase in der DDR sind dokumentiert in der DVD-Edition: Selling Democracy. Die Filme des Marshallplans. Hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, in Kooperation mit dem Bundesarchiv-Filmarchiv, dem Deutschen Historischen Museum Berlin und den Internationalen Filmfestspielen Berlin. 2006. 93 Rainer Rother: Selling Democracy. Einleitung im Begleitheft zur vorgenannten DVD-Edition. S. 7–16. 94 Während im Bild nur die Flasche ohne den Schriftzug Coca-Cola zu sehen ist, wird die Marke auditiv beim Namen genannt.
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Abb. 75–76: Brandt-Zwieback, Coca-Cola und Bier als Symbole nationaler Identität in Der unsichtbare Stacheldraht (Regie: Eva Kroll), BRD 1951.
als beinahe schon befreundete. Als Mr. Jones Herrn Schulze vorschlägt, sich dem amerikanischen Brauch gemäß beim Vornamen zu nennen, stellt sich heraus, dass sie diesen teilen: So verabschieden sich Wilhelm und Bill voneinander. Gerade das Holzschnittartige des Films, das vom Filmdienst für Jugend und Volksbildung als offene Diskussion über „das Problem der deutsch-amerikanischen Verständigung“ und als Aufzeigen eines „Weg[s] aus dem Wirrwarr der Mißverständnisse und Fehler, der Schlagzeilen und Vorurteile“ gelobt wird, vom Evangelischen Film-Beobachter zwar nicht in der Intention, wohl aber in der „Art der Darlegung“ als „etwas zu plump, zu dürftig ausgefallen“ deutlich kritischer
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begutachtet wird,95 vermag die Symbolkraft der Marke Coca-Cola im Prozess der Amerikanisierung der westdeutschen Gesellschaft zu bezeugen, die sich die Propaganda für den Marshallplan und das European Recovery Program gezielt zunutze machte und zugleich mitprägte. Im Deutschland des Marshallplans wird Coca-Cola zum Sinnbild Amerikas, zum Alltagsmythos, der im Sinne Barthes’ für das ‚Amerikanische‘ steht.96 Dies zeigt, dass die Amerikanisierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft und ihre Westanbindung sich zuerst und vor allem im Bereich des Konsums und der Alltagskultur vollzogen.97 So bilanziert Friedrich Sieburg in seinen Essays und Polemiken Die Lust am Untergang (1954) drei Jahre nach Erscheinen von Tauben im Gras und Der unsichtbare Stacheldraht: Und doch ist der Einfluß der Besatzung auf unsere Existenz ungeheuer, ja, man kann sagen, daß er auf unsere gesamte Zivilisation abzufärben beginnt. Wir glauben, von ihrem „way of life“ unberührt zu sein, in Wirklichkeit aber unterliegen wir einem Verwandlungsprozeß, der tiefer geht als alles, was wir seit Menschengedenken an fremden Einflüssen erfahren haben. […] Aber stärker als diese unmittelbaren Einwirkungen [wie die Amerikahäuser98, B. W.] ist die allmähliche Durchdringung unseres Alltags mit einem Amerikanismus, der nur die Oberfläche zu berühren scheint und doch in den Kern geht.99
95 Filmdienst für Jugend und Bildung. Filmkatalog. München, Januar 1952. Sowie Evangelischer Film-Beobachter, Film Nr. 363. Beide zit. nach dem Begleitheft zu Selling Democracy, S. 35f. 96 Zu Barthes’ Konzept des Alltagsmythos siehe den Abschnitt 2.2. Faszination und kulturelle Vernetzung einer Marke: Roland Barthes’ semiologische Lektüre der ‚Citroën DS‘ als Alltagsmythos in der Einleitung zu dieser Arbeit. In seinen Mythologies beschäftigt sich Barthes wiederholt mit nationalen Zuschreibungen durch Alltagsmythen, etwa in seiner Analyse von BeefSteak mit Pommes Frites oder französischem Rotwein (Barthes: Mythologies, S. 69–74 u. 231f.); in seiner oben erwähnten Analyse einer Panzani-Annonce für Pasta und Tomatensaucen untersucht Barthes die reklametechnische Konstruktion des ‚Italienischen‘ (Barthes: Rhetorik des Bildes). 97 So konstatiert etwa Frank Becker: „Nirgendwo sonst besitzt die Rede von einer faktischen Amerikanisierung so viel Plausibilität wie hier [im Bereich der Alltagskultur, B. W.]“. Becker: Amerikabild und „Amerikanisierung“ im Deutschland des 20. Jahrhunderts – ein Überblick, S. 35. Dies hat seinen Grund auch darin, dass der Marshallplan u.a. auf der Idee einer „Konsumdemokratie“ beruht, wie sie Eric Woldemar Stoetzner, emigrierter ehemaliger Anzeigenleiter der Frankfurter Zeitung, bereits 1943 entwickelt hatte. Siehe hierzu Dirk Schindelbeck: Marken, Moden und Kampagnen. Illustrierte deutsche Konsumgeschichte. Darmstadt 2003: Primus Verlag. S. 17f. 98 Zu den Nutzern der Amerikahäuser zählten nur zwischen 5 und 7 % der Stadtbewohner. Zur Bedeutung der Amerikahäuser und ihrer vor allem Kultur vermittelnden Funktion im Prozess der Amerikanisierung siehe Axel Schildt: Die USA als Kulturnation – zu den Vortragsprogrammen der Amerika-Häuser. In: Ders.: Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre. München 1999: Oldenbourg. S. 167–195, hier S. 171. 99 Friedrich Sieburg: Die Lust am Untergang. Selbstgespräche auf Bundesebene. Hamburg 1954: Rowohlt. S. 168.
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Sieburg ruft das Höhen- und Tiefenparadigma, den vermeintlichen Gegensatz von Oberfläche und Essenz auf, um im Folgenden dennoch die wichtigsten Wirkungen auf der Oberfläche zu verorten: „Aber es bleibt in den meisten Fällen bei den großblumigen Hemden, den Cowboyhosen und dem Coca-Cola. Dinge dieser Art sind es, die das Ideal unserer Jugend zu bilden beginnen. Uns war von den Siegern die Lehre Abraham Lincolns zugedacht, wir haben uns mit den Chesterfields begnügt.“100 Amerika gerät während der Aufbauhilfe zu einem Imaginationsraum, dessen massenkulturelle Phänomene und Wohlstandsinsignien in zunehmendem Maße in der eigenen erfahrbaren Alltagswelt an Präsenz gewinnen und damit zu Katalysatoren der Faszination wie des Abscheus, die das imaginierte Amerika (mitunter zugleich) hervorruft, geraten. Konsumprodukte wie Chesterfields und Coca-Cola stehen – nicht nur bei Sieburg – pars pro toto für diesen imaginierten american way of life, für das „Paradies“101, das etwa die Figur der Clara darin sieht. Deshalb organisieren sich um diese Markenprodukte die Polaritäten, welche die Debatte um die Amerikanisierung der deutschen Nachkriegsgesellschaft freisetzt.102 Diese Polaritäten bestimmen auch den binären Schematismus des Konsums von Coca-Cola durch Odysseus Cotton und der Ablehnung von Coca-Cola als ‚neumodisches Zeug‘ durch seinen Dienstmann Josef in Tauben in Gras. Der Roman führt keine glückliche Versöhnung vor wie Der unsichtbare Stacheldraht, sondern belässt es – zunächst – bei dieser Bestandsaufnahme der gegensätzlichen Geschmäcker. Die Abwertung von Coca-Cola als ‚neumodisches Zeug‘ verweist jedoch zugleich auf die Widersprüchlichkeiten der deutschen Nachkriegsgesellschaft und auf ein Präteritum in der ‚Geschichte im Präsens‘. Dieses gilt es im Folgenden in den Blick zu nehmen.
100 Sieburg: Die Lust am Untergang, S. 169. Zwar bedauert Sieburg: „Der Anteil der amerikanischen Lebensform an unserer heutigen Existenz hat eine Übermacht gewonnen, die weit über das uns Gemäße hinausgeht“, räumt aber zugleich ein: „Die Welt der Sieger […] ist nach wie vor eine große Welt, an der teilzunehmen würdig und notwendig ist“ (ebd., S. 170). 101 Koeppen: Tauben im Gras, S. 50. 102 Kaspar Maase hat darauf hingewiesen, dass die Debatte um die Amerikanisierung im Nachkriegsdeutschland „lange aufgehäufte mentale Polarisierungen“ aktualisiert habe. „Auf die aktuelle Situation wurden Amerikabilder projiziert, die sich über Jahrhunderte herausgebildet hatten. ‚Amerika‘ war stets eine ambivalente Konstruktion im Bewußtsein der Europäer – Utopie und Dystopie in einem.“ Maase: Amerikanisierung von unten, S. 297. In Vorträgen in den Amerikahäusern wurde spätestens seit Ende der fünfziger Jahre darüber diskutiert, dass und inwiefern das Amerikabild der Deutschen eine Projektion sei. Axel Schildt: Die USA als Kulturnation – zu den Vortragsprogrammen der Amerika-Häuser, S. 175.
Die ‚Geschichte im Präsens‘ und ihr Präteritum
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4.3 Die ‚Geschichte im Präsens‘ und ihr Präteritum: Coca-Cola und Amerikanismus in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus Im August 1929 berichtet der spätere Hollywood-Regisseur Billy Wilder im Berliner Magazin Tempo über seine Begegnung mit dem amerikanischen Filmproduzenten W. R. Wilkerson: W. R. Wilkerson trinkt Coca Cola. Coca Cola, das schmeckt wie abgebrannte Pneumatiks. Aber es soll sehr erfrischend sein. W. R. Wilkerson ist in Coca Cola verliebt. Er trinkt das vierte Glas. Wenn einer in Coca Cola verliebt ist, dann kannst du mit wundervoller Chance um deine letzte Hose wetten, daß dieser Liebhaber ein Amerikaner ist.103
Wilders Satire fällt in kein beliebiges Jahr. 1929 ist das Jahr der Markteinführung von Coca-Cola in Deutschland.104 Wilder parodiert mit seinem Feuilleton den emphatischen Amerikanismus der Weimarer Republik, ähnlich wie Lion Feuchtwanger dies mit seinem Lyrikband PEP. J. L. Wetcheek’s amerikanisches Liederbuch (1928) tut, in dem es heißt: „Amerika ist gut, Amerika ist groß, Amerika zahlt 100 Prozent.“105 Weder Coca-Cola noch der Diskurs über Amerikanismus sind also um 1950 gänzlich neu in Deutschland.106 Die Debatten um eine Amerikanisierung reichen – dies zeigt bereits der Vergleich von Berlin W. mit amerikanischen Städten107 – bis zur Jahrhundertwende zurück und kulminieren in der Weimarer
103 Billy Wilder: „Hallo, Herr Menjou?“ Er spricht ein reizendes Deutsch – Seine Mutter stammt aus Leipzig. [Erstdruck: Tempo, 05. 08. 1929]. In: Billy Wilder: Der Prinz von Wales geht auf Urlaub. Berliner Reportagen, Feuilletons und Kritiken der zwanziger Jahre. Hg. von Klaus Siebenhaar. München 2000: Diana. S. 162–166, hier S. 162. 104 Ulf Biedermann: Ein amerikanischer Traum. Coca-Cola: Die unglaubliche Geschichte eines 100jährigen Erfolges. Hamburg 1985: Rasch und Röhring. S. 54. 1961 macht Billy Wilder die Coca-Cola-Company zum Gegenstand seiner filmischen Adaption von Ferenc Molnárs (noch markenfreier) Komödie Eins, zwei, drei. Ferenc Molnár: Eins, zwei, drei. Ein Spiel in 1 Akt. Wien u. Berlin 1929: Marton. One, Two, Three. Regie: Billy Wilder. USA 1961. 105 Lion Feuchtwanger: PEP. J. L. Wetcheeks amerikanisches Liederbuch. Potsdam 1928: Gustav Kiepenheuer Verlag. S. 21. 106 Zur Debatte um Amerikanismus und Amerikanisierung siehe Alf Lüdtke, Inge Marßoleck u. Adelheid von Saldern: Einleitung – Amerikanisierung: Traum und Apltraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts. In: Dies. (Hg.): Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts, S. 8–33. 107 Siehe den Abschnitt 1.5. ‚Applanierung aller Werte‘: Die Debatte zwischen Sombart und Edel um Reklame, Kultur und Amerikanismus im ‚Morgen‘ in Kapitel 1 dieser Arbeit.
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Kapitel 4: Geschichte im Präsens
Republik in provokatorischer Zustimmung zu Amerika.108 Welcher Stellenwert kommt dieser Vergangenheit aber innerhalb der ‚Geschichte im Präsens‘ zu? „Das Rhizom“, schreiben Deleuze und Guattari, „ist eine Anti-Genealogie. Es ist ein Kurzzeitgedächtnis oder ein Anti-Gedächtnis“.109 Damit wird die Frage nach Herkünften, Vorgeschichten und Entwicklungssträngen hinfällig. Gleichwohl „gibt [es] baumartige Verknotungen in Rhizomen“110 und damit die Möglichkeit, über die Jetztzeit hinaus Teile der Vergangenheit zu erfassen. Mehrfach finden sich in Tauben im Gras solche baumartigen Verknotungen in Gestalt genealogischer Passagen, die immer wieder das „Bärtchen mit Markenschutz“111 in die Textur ragen lassen, das metonymisch für Hitler und die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft steht. So wird die Figur des siebzigjährigen Josef mit dem folgenden biografischen Abriss eingeführt: Unter dem Vordach des Bahnhofs wartete Josef, der Dienstmann. Die rote Dienstmannsmütze saß streng, militärisch grade auf dem kahlen Haupt. Was hatte Josefs Rücken gebeugt? Die Koffer der Reisenden, das Gepäck der Jahrzehnte, ein halbes Jahrhundert Brot im Schweiß des Angesichts, Adams Fluch, Märsche in Knobelbechern, die Knarre über der Schulter, das Koppel, der Sack mit den Wurfgranaten, der schwere Helm, das schwere Töten. Verdun, Argonnerwald, Chemin des Dames, er war heil herausgekommen, und wieder Koffer, Reisende ohne Gewehr, Fremdenverkehr zum Gebirgsbahnhof, Fremdenverkehr zum Hotel, die olympischen Spiele, die Jugend der Welt, und wieder Fahnen, wieder Märsche, er schleppte Offiziersgepäck […].112
Während Josef Coca-Cola als ein ‚neumodisches Zeug‘ verachtet, liefert die Nennung der wenigen biografischen Daten zugleich den Hinweis darauf, dass er mit der Marke gewiss sehr viel länger vertraut ist, als sein Abscheu zu erkennen gibt. Bei den Olympischen Spielen – gemeint sind hier die IV. Olympischen Winterspiele, die vom 6. bis 16. Februar 1936 in Garmisch-Partenkirchen stattfanden –
108 Zum Amerikanismus im 20. Jahrhundert siehe Becker: Amerikabild und „Amerikanisierung“ im Deutschland des 20. Jahrhunderts – ein Überblick. Zum literarischen Amerikanismus seit der Jahrhundertwende siehe Dieter Heimböckel: Zivilisation auf dem Treibriemen: Die USA im Urteil der deutschen Literatur um und nach 1900. In: Becker u. Reinhardt-Becker (Hg.): Mythos USA, S. 49–69. Zum Amerikanismus in der Weimarer Republik siehe Erhard Schütz: Romane der Weimarer Republik. München 1986: Fink. Bes. S. 70–88. Sowie Ders.: Kritik der literarischen Reportage. Außerdem Lethen: Neue Sachlichkeit 1924–1932, bes. S. 19–55. Eine Dokumentation von Beiträgen zur Diskussion findet sich in Kaes (Hg.): Weimarer Republik, S. 265–286. 109 Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 36. 110 Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 35. 111 Koeppen: Tauben im Gras, S. 23. 112 Koeppen: Tauben im Gras, S. 28. Herv. B. W.
Die ‚Geschichte im Präsens‘ und ihr Präteritum
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arbeitete Josef ebenfalls als Dienstmann. Als einer der wichtigsten Sponsoren für sportliche Großereignisse wie der Deutschlandfahrt und den Deutschen Fußballmeisterschaften (Abb. 77–78) engagierte sich Coca-Cola auch bei den Olympischen Spielen (Abb. 79) und warb selbst im Wintersport mit dem Slogan: „Trink CocaCola eiskalt“ (Abb. 80). Gemeinsam mit den Konkurrenten Afri-Cola und SinalcoCola richtete Coca-Cola während der Sommerspiele in Berlin wie auch während der Winterspiele einen ‚Erfrischungsdienst‘ ein. Durch dieses Engagement im Sportsektor konnte Coca-Cola seinen Umsatz im ‚Dritten Reich‘ weiterhin steigern.113 Mochte der ‚Erfrischungsdienst‘ während der Olympischen Spiele dem Ziel des nationalsozialistischen Regimes entsprechen, nach Außen hin Internationalität auszustrahlen – in der offiziellen Bilderwelt, die ein deutsches Publikum erreichte, war von Coca-Cola nichts mehr zu sehen114 –, so diente das von Coca-Cola betriebene Sponsoring von nationalen Sportveranstaltungen insbesondere dem Zweck, Coca-Cola als ‚deutsche‘ Marke zu etablieren, um somit die Produktion aufrechterhalten zu können; begleitet wurden diese Maßnahmen von Anzeigen etwa in Zeitungen wie Die Wehrmacht, Der Stürmer oder dem Illustrierten Beobachter (Abb. 81).115 Wie weit dies gelang, zeigt die Tatsache, dass das Coca-ColaUnternehmen 1937 auf der Reichsausstellung Schaffendes Volk in Düsseldorf – eine Schau, die u.a. der Inszenierung der Ergebnisse von Hitlers Vierjahresplan dienen sollte – eine Abfüllanlage präsentieren konnte (Abb. 82), vor der sich
113 Zu Coca-Cola im ‚Dritten Reich‘ siehe Helmut Fritz: Das Evangelium der Erfrischung. CocaColas Weltmission. Reinbek 1985: Rowohlt. S. 72–80. Sowie Mark Pendergrast: Für Gott, Vaterland und Coca-Cola. Die unautorisierte Geschichte der Coca-Cola-Company. München 1996: Heyne. Bes. S. 326–349. Auf die anhaltende, auch kulturelle Bedeutung von Coca-Cola – und mit ihr des Amerikanismus – im ‚Dritten Reich‘ hat erstmals Hans Dieter Schäfer aufmerksam gemacht: Das gespaltene Bewußtsein. Über die Lebenswirklichkeit in Deutschland 1933–1945. In: Ders.: Das gespaltene Bewußtsein. Deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933–1945. München u. Wien 1981: Carl Hanser Verlag. S. 114–162, bes. S. 117f. Siehe auch die überarbeitete Fassung: Das gespaltene Bewußtsein. Alltagskultur im Dritten Reich. In: Ders.: Das gespaltene Bewußtsein. Vom Dritten Reich bis zu den langen Fünfziger Jahren. Erweiterte Neuausgabe. Göttingen 2009: Wallstein. S. 9–87, bes. S. 14–17. Zum Amerikanismus im ‚Dritten Reich‘ siehe außerdem Frank Becker: Amerikanisierung im „Dritten Reich“? Wege und Irrwege der Moderne. In: Ders. u. Reinhardt-Becker (Hg.): Mythos USA, S. 150–170. Zur Nähe von Nationalsozialismus und Roosevelts New Deal siehe außerdem Wolfgang Schivelbusch: Entfernte Verwandtschaft. Faschismus, Nationalsozialismus, New Deal, 1933–1939. Frankfurt am Main 2008: Fischer Taschenbuch. 114 Siehe hierzu den bildreichen Band von Erich Mindt (Hg.): Olympia 1936. Die XI. Olympischen Spiele Berlin und Die IV. Olympischen Winterspiele Garmisch-Partenkirchen. Berlin 1936: „Sport und Spiel“ Verlags- und Vertriebs-G.m.b.H. 115 Siehe dazu auch Ilgen u. Schindelbeck: Am Anfang war die Litfaßsäule, S. 114f.
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Kapitel 4: Geschichte im Präsens
Abb. 77–80: Coca-Cola als Sponsor der Deutschlandfahrt (o.J.), der Deutschen Fußballmeisterschaft 1938, der 11. Olympischen Spiele 1936 in Berlin und der Deutschen Skimeisterschaft 1937.
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Abb. 81: Anzeige für Coca-Cola aus dem Illustrierten Beobachter, 1939.
auch Reichsminister Göring, als „Beauftragter für den Vierjahresplan“, ablichten ließ;116 zwei Jahre später fuhr Coca-Cola mit der Deutschen Wehrmacht in den Zweiten Weltkrieg (Abb. 83). Erst 1941, als der Zucker rationiert wird, die USA in den Krieg eintreten und in Essen der Sirup versiegt, muss die Produktion von
116 Pendergrast: Für Gott, Vaterland und Coca-Cola, S. 339. Zur Ausstellung Schaffendes Volk siehe ausführlich Stefanie Schäfers: Vom Werkbund zum Vierjahresplan. Die Ausstellung Schaffendes Volk, Düsseldorf 1937. Düsseldorf 2001: Droste. Wie sehr die nationalsozialistische Industriepolitik sich selbst an den USA orientierte, zeigt Rüdiger Hachtmann: „Die Begründer der amerikanischen Technik sind fast lauter schwäbisch-allemannische Menschen“: Nazi-Deutschland, der Blick auf die USA und die „Amerikanisierung“ der industriellen Produktionsstrukturen im „Dritten Reich“. In: Lüdtke, Marßolek u. von Saldern (Hg.): Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts, S. 37–66.
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Kapitel 4: Geschichte im Präsens
Abb. 82: Selbstpräsentation des Coca-Cola-Konzerns auf der Reichsausstellung Schaffendes Volk in Düsseldorf, 1937.
Abb. 83: Coca-Cola zieht mit der Deutschen Wehrmacht in den Zweiten Weltkrieg, 1939.
Die ‚Geschichte im Präsens‘ und ihr Präteritum
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Abb. 84: „Coca-Cola ist wieder da“, 1949.
Coca-Cola eingestellt und durch die als Ersatzgetränk entwickelte Fanta ersetzt werden.117 Diese relative Kontinuität des Coca-Cola-Vertriebs in Deutschland bis in den Zweiten Weltkrieg hinein sorgte dafür, dass sich Coca-Cola in einer Umfrage 1947 unter den ersten dreißig erinnerten Marken fand, wenn auch deutlich hinter Maggi, Erdal, Nivea, Persil oder Salamander.118 Doch der Bekanntheitsgrad der Marke reichte aus, um die Rückkehr von Coca-Cola in die deutsche Konsumwelt nach dem Weltkrieg mit dem Slogan Wieder da! zu bewerben (Abb. 84), wie dies für zahlreiche deutsche Markenprodukte wie Persil, Sunlicht Seife oder Nivea Zahnpasta ge-
117 Fritz: Das Evangelium der Erfrischung, S. 72. 118 Hubert Strauf u. Ernst Weiß: Bilanz der Marke. Unveröffentlichtes Manuskript, 1947. Hier zit. nach Schindelbeck: Marken, Moden und Kampagnen, S. 20.
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Kapitel 4: Geschichte im Präsens
Abb. 85–86: Anzeigen für Persil und Nivea Zahncreme, 1948/49.
schah (Abb. 85–86).119 In Tauben im Gras findet sich kein Hinweis auf diesen Bekanntheitsgrad der Marke Coca-Cola und ihre Vorgeschichte im ‚Dritten Reich‘.120
119 Zur allgemeinen Verbreitung solcher „Wieder da!“-Kommunikationen in der Produktwerbung Ende der 1940er Jahre siehe Gries: Produkte als Medien, S. 157–159. Siehe auch Michael Kriegeskorte: Werbung in Deutschland 1945–1965. Köln 1992: DuMont. S. 17. 120 Wie fest Coca-Cola in der zeitgenössischen Enzyklopädie um 1950 verankert ist, zeigt eine Nachricht des neugegründeten Magazins Der Spiegel. So ist es dem Nachrichtenmagazin am 22. August 1951 eine Nachricht wert, dass Aenne Lehr – die Gattin des damaligen Bundesinnenministers Robert Lehr – „während eines Aufenthaltes an einer Tankstelle in Braunfels (Krs. Wetzlar) eine Flasche Coca-Cola [verlangte]“. Der Tankstellenwart, heißt es in dem Bericht weiter,
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Das Präteritum der ‚Geschichte im Präsens‘ wird nicht von einer auktorialen moralischen Instanz eingeführt, sondern bedarf einer archivistischen Lektüre, für die ein Markenname wie Coca-Cola einen besonders geeigneten ‚Suchbefehl‘ liefert.121 Die Lebensläufe, die das Rhizom selbst sichtbar werden lässt, bleiben dagegen fragmentarisch und entziehen sich damit eindeutigen Festlegungen.122 Anstelle moralischer Verurteilung von Handlungsweisen der Figuren werden so die Widersprüchlichkeiten der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft durch die Zirkulation von Dingen und Zeichen sichtbar gemacht.
4.4 Zur Zirkulation der Dinge und Zeichen Tauben im Gras belässt es nicht bei der bisher aufgezeigten Gegenüberstellung von Odysseus Cottons Coca-Cola-Konsum und Josefs Verweigerung sowie bei den Oppositionen, die dem Verhältnis zugrunde gelegt werden können.123 Der Roman sucht nicht „nach einer ‚Struktur‘ mit formalen Oppositionen“,124 oder geht jedenfalls nicht in solchen Binarismen auf, sondern kartografiert Mannigfaltigkeiten und ihre rhizomatischen Verbindungen. Durch weitere Erwähnungen von Coca-Cola erweitern sich die lokalen Verortungen und mit ihnen die semantische Dimension der Marke: Coca-Cola zirkuliert durch den Roman, stellt dabei Verbindungen zwischen Figuren her und führt zugleich vor, wie sich die Zirkulation von Markenwaren und diejenige von anderen Dingen unterscheiden.
„durfte ihr den Wunsch nicht erfüllen, weil der Landrat Tankstellen den Verkauf von erfrischenden Getränken untersagt hat. Das Verbot stützt sich auf einen alten Erlaß, wonach Getränke nicht in Häusern ausgeschenkt werden dürfen, denen die erforderlichen Toiletten fehlen, und deren Türen nicht nach außen zu öffnen sind“. Der Spiegel, 22. 08. 1951, S. 13 (Rubrik ‚Personalien‘). 121 Vgl. Baßler: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. 122 Dies zeigt sich auch am Beispiel des Dr. Frahm, den Carla Behrend für eine Abtreibung aufsucht und dessen Rolle während des Nationalsozialismus ungeklärt bleibt. Stattdessen heißt es: „Und er, Doktor Frahm, Facharzt für Frauenheilkunde und Chirurgie, wußte, was er tun sollte, wußte es, ohne daß sie es aussprach, wußte, was der vorgestreckte Bauch bedeutete, und er dachte ‚Eid des Hippokrates, kein Leben sollst du nehmen, was geben sie jetzt an mit diesem Eid, wer ist wohl drauf gekommen? Kater nach den Euthanasieprozessen“. Koeppen: Tauben im Gras, S. 64. 123 Zu diesen Oppositionen gehören bspw.: Coca-Cola als Sinnbild für den amerikanischen way of life vs. die deutsche ‚Kultur‘; Schwarz – das tertium comparationis zwischen Odysseus und Coca-Cola – vs. Weiß; reich vs. arm; Herr vs. Knecht; das Night and Day, das aus dem Koffer schallt, als ein Tag vs. Nacht; schließlich auch Mörder vs. Opfer, da Odysseus – möglicherweise – seinen Dienstmann Josef mit einem Stein erschlägt, nachdem ihm durch Susanne sein Geld gestohlen wurde, er jedoch Josef verdächtigt hatte. Vgl. Koeppen: Tauben im Gras, S. 166f. 124 Gilles Deleuze u. Félix Guattari: Kafka. Für eine kleine Literatur. Frankfurt am Main 1976: Suhrkamp. S. 12.
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Kapitel 4: Geschichte im Präsens
4.4.1 Die Tasse der ‚Berliner Manufaktur‘ und Coca-Cola: Deutsche und amerikanische Dingkultur um 1950 Das Szenarium zwischen Odysseus Cotton und seinem Dienstmann Josef findet, nachdem sich der Blick auf einige andere Figuren gerichtet hat, seine Fortsetzung auf der Zuschauertribüne während des Baseballspiels. Der zu langsame Lauf des Schwarzamerikaners Washington Price versetzt Odysseus in Rage: Diesmal war Washington nicht schnell genug. Er verlor den Lauf. Er keuchte seine Brust hob und senkte sich wie ein auf und nieder gedrückter Blasebalg in einer Schmiede. Er verlor den Lauf. Der Mann am Mikrophon war nicht länger Washingtons Freund. Aus allen Lautsprechern schimpfte der Reporter. Er schimpfte aufgeregt aus dem kleinen Koffer zwischen Josef und Odysseus. Odysseus schleuderte eine Coca-Cola-Flasche auf das Spielfeld.125
Noch nach dem Spiel – Washington Price erringt schließlich den Sieg für die RedStars – ist Odysseus enragiert: „Dann sprang Odysseus auf die Tribünenbank. Er hielt eine Coca-Cola-Flasche wie eine wurfbereite Handgranate“.126 Tauben im Gras überlagert in diesem Stadion-Szenarium die traumatischen Kriegserinnerungen des Dienstmanns Josef, der während des Spiels eingeschlafen ist,127 mit einem Vorfall, wie er in der zeitgenössischen Presse von Sportveranstaltungen amerikanischer Soldaten geschildert wird. So berichtet Der Spiegel vier Jahre zuvor von einem Footballspiel im Olympiastadion unter Hinweis auf den im Allgemeinen hohen „Spielerverbrauch“ beim Football: „Die Zuschauer hatten ebenfalls einen Verlust zu beklagen. Als die Wellen der Begeisterung zu hoch schlugen, sauste einem Girl eine leere Coca-Cola-Flasche auf den Kopf. Durch handfeste Boxhiebe ernüchterte ihr Begleiter den Enthusiasten sehr schnell“.128 Die Nennung der Marke Coca-Cola eröffnet somit erneut eine Verbindung von der Romantextur zum zeitgeschichtlichen Archiv samt seinen historischen Verknotungen. Neben dieser Zirkulation der Marke von der Alltagswirklichkeit in die Literatur verdient hier die vom Text selbst inszenierte Zirkulation von Dingen Aufmerksamkeit: Der Wurf der Coca-Cola-Flasche auf das Spielfeld bedeutet auch einen räumlichen Übertritt vom Aktionsraum Odysseus’ und Josefs (der Tribüne) in dasjenige von Washington Price (das Spielfeld). Die Passage zieht auf diese 125 Koeppen: Tauben im Gras, S. 131. 126 Koeppen: Tauben im Gras, S. 137. 127 „Josef hatte es immer gequält. Insgeheim hatte es ihn gequält. Er hatte nicht gern daran gedacht: er hatte getötet, er hatte Menschen getötet, er hatte Reisende getötet; er hatte sie getötet am Chemin-des-Dames und im Argonnerwald“, heißt es, kurz bevor Josef von einem Schlag auf die Schulter durch Odysseus geweckt wird. Koeppen: Tauben im Gras, S. 137. 128 [o. Verf.]: Erlaubt ist, was gefällt. Coca-Cola köstlich und erfrischend. In: Der Spiegel, 29. 11. 1947, S. 21 (Sport).
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Weise eine Linie von der Geschichte um Odysseus und Josef zu derjenigen um Washington Price und der mit ihm liierten, von Amerika träumenden Carla Behrend. Die Zirkulation von Menschen und Dingen bildet ein wichtiges Verfahren zur Herstellung von Verbindungslinien im rhizomorphen Geschehens- und Texturgefüge von Tauben im Gras.129 Eine Tasse „der Berliner Manufaktur“130 – also vermutlich der von Friedrich dem Großen gegründeten Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin131 – wird von Emilia, der Lebensgefährtin des erfolglosen Schriftstellers Philipp, im Antiquitätengeschäft verkauft und gerät dort zusammen mit einer Rosenholzmadonna, die Philipp gehörte, in die Hände des amerikanischen Erfolgsschriftstellers Mr. Edwin. Während Edwin ein Vorbild für Philipp ist, wundert sich Emilia, die Edwin im Antiquitätenladen beobachtet, dass dieser „so auf die Sachen aus ist die Philipp gefallen“.132 Edwin und Philipp begegnen sich nicht, aber über die wandernden Dinge wird eine Verbindung zwischen ihnen hergestellt, auch wenn sich Edwin gegen einen Kauf der Madonna und der Tasse entscheidet. Später wird von einer weiteren Figur, Christopher, berichtet, er habe „in einem Antiquitätengeschäft eine Tasse der Berliner Porzellanmanufaktur gekauft, eine Tasse mit dem Bild eines großen preußischen Königs“, um sie seiner Freundin Henriette zu schenken: „Henriette würde sich über die Tasse mit dem Bild des preußischen Königs freuen. Henriette war eine Preußin, wenn sie jetzt auch eine Amerikanerin war“.133 Damit werden komplexe Wanderbewegungen und Verflechtungen entwickelt: Emilia hat preußische Wurzeln und muss die materielle Erbschaft des Preußentums veräußern; die Tasse mit dem Bildnis Friedrichs des Großen wandert durch die Hände des Amerikaners Philipp, der ein Vorbild für Emilias Gefährten Edwin darstellt; schließlich gelangt die Tasse an eine in Paris lebende Amerikanerin preußischer Herkunft. Mag es sich damit vielleicht auch eher um ein „von Hand zu Hang gehende[s]“ als um ein aktiv ‚wanderndes Ding‘ handeln,134 so „positioniert und verkettet“135 es doch in poetologisch relevanter Weise die Subjekte, um die es in Tauben im Gras geht.
129 Hierauf haben insbesondere Hans-Edwin Friedrich und Kathleen L. Komar hingewiesen. Friedrich: „Kreuzritter an Kreuzungen“, S. 84. Komar: Pattern and Chaos, S. 77. 130 Koeppen: Tauben im Gras, S. 148. 131 Zur Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin siehe Erika Herzfeld: Preußische Manufakturen. Großgewerbliche Fertigung von Porzellan, Seide, Gobelins, Uhren, Tapeten, Waffen, Papier u.a. im 17. und 18. Jahrhundert in und um Berlin. Bayreuth 1994: Verlag der Nation. 132 Koeppen: Tauben im Gras, S. 149. 133 Koeppen: Tauben im Gras, S. 178. 134 Zu ‚wandernden Dingen‘ und ihrer Abgrenzung gegenüber den von Hand zu Hand gehenden Dingen führt Michael Niehaus in seiner Studie aus: „Es [das wandernde Ding, B. W.] geht nicht auf in den Akten, die Subjekte mit ihm vollziehen können, weil es einen eigenen Weg hat. Aus der Geschichte, in das wandernde Ding figuriert, ist es das Ding selbst, das wandert. […] Es
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Dieser Zirkulationsform des ‚Wanderns‘ oder ‚von Hand zu Hand-Gehens‘ steht mit Coca-Cola eine andere Form der Zirkulation gegenüber: die Zirkulation nicht mehr eines individuellen, manufakturgefertigten Erinnerungsstücks, sondern eines massenproduzierten Markenprodukts. Noch bevor Odysseus und Josef CocaCola konsumieren bzw. sich dem verweigern, passieren sie auf ihrem Weg Baracken und durchqueren „die auf Trümmerfeldern errichteten Ladenstraßen“136: Sie gingen vorbei an den Trinkbuden, den Stehausschänken, verboten für alliierte Soldaten, und aus den Holzverschlägen krochen sie hervor, die Schlepper, die Wechsler, die Schnapper: „He, Joe, Dollar? Joe, hast du Benzin? Joe, ein Girl?“ Sie saßen schon in den Buden, die Ware, bei Limonade, Coca Cola, schlechtem Kaffee, stinkender Brühe, den Bettendunst, den Geruch der Umarmungen von gestern noch nicht abgewaschen, die Hautflecken überpudert, das von Bleiche und Färbung tote Puppenhaar wie gebündeltes Stroh, sie warteten, Geflügel auf Bestellung täglich frisch […].137
Coca-Cola steht hier in einer Reihe mit vermeintlich ‚heimischen‘ Getränken wie Limonade und Kaffee. Dass Coca-Cola gerade von den Prostituierten, die sich selbst illegalerweise den alliierten Soldaten als ‚Ware‘ anbieten, konsumiert wird, mag kulturkritischen, allegorischen Lesarten Vorschub leisten, die den Konsum amerikanischer Waren als „Prostitution der Seele“138 gegenüber den Besatzern begreifen.139 Allerdings erweisen sich zahlreiche der zwischenmenschlichen Beziehungen in Tauben im Gras als von ökonomischen Aspekten überlagert – von denen die Prostitution hier eine Extremform darstellt140 –, und dies nicht nur im Verhältnis der Deutschen zu den Amerikanern.141 Bemerkenswerter
ist, gleichsam als Subjekt der Geschichte, mehr als nur Objekt“. Michael Niehaus: Das Buch der wandernden Dinge. Vom Ring des Polykrates bis zum entwendeten Brief. München 2009: Carl Hanser Verlag. S. 391. Herv. im Orig. 135 Niehaus: Das Buch der wandernden Dinge, S. 31. 136 Koeppen: Tauben im Gras, S. 42. 137 Koeppen: Tauben im Gras, S. 41. 138 Karl Marx: Das Kapital. Hier zit. nach Benjamin: Charles Baudelaire, S. 559. 139 Solche Verfahren allegorischer Ausdeutung von Markenprodukten finden sich bspw. in Texten Rolf Dieter Brinkmanns. Zu Brinkmanns Gedicht Persil am letzten Tag des Jahres (1968), in dem Persil als ‚Weißmacher‘ gegen braune – d.h. hier: nationalsozialistische – Flecken dient, siehe Baßler: Zur Semiotik des Markennamens in literarischen Texten. 140 „[I]n der Hure“, so Benjamin, feiere die Ware „ihre Menschwerdung“. Benjamin: Charles Baudelaire, S. 671. 141 Zum Ineinandergreifen von Erotik und Ökonomie in Tauben im Gras siehe Anja Gerigk: Dynamik der Zeichen-Werte. Koeppens Tauben im Gras als Semiologie der Nachkriegsstadt. In: Simone Hirmer u. Marcel Schellong (Hg.): München lesen. Beobachtungen einer erzählten Stadt. Würzburg 2008: Königshausen & Neumann. S. 139–150, bes. S. 142f.
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als die möglichen kulturkritischen Implikationen dieses Szenariums erweist sich daher aus kulturpoetologischer Perspektive, dass Tauben im Gras mit der wiederholten Nennung der Marke Coca-Cola sich nicht auf die Opposition von Odysseus und Josef beschränkt, sondern eine weitere Personengruppe hinzufügt und damit die Zirkulation der Marke durch die unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären der bundesrepublikanischen Nachkriegswirklichkeit kartografiert. Anders als die Tasse der Berliner Manufaktur muss Coca-Cola nicht weitergereicht werden, um zu zirkulieren, sie ist gleichzeitig für verschiedene Figuren verfügbar. Ihre Zirkulationsform ist nicht das Wandern, sondern die potentielle Omnipräsenz. Damit verliert die Flasche als Trinkgefäß im Gegensatz zur Tasse der Berliner Manufaktur auch ihren Eigenwert – sie ist geradezu zum Wegwerfen gemacht, wie das Stadion-Szenarium und seine archivistische Verankerung zeigen. Coca-Cola und die Tasse der Berliner Manufaktur verweisen damit auch auf unterschiedliche Dingkulturen. In ihrer 1946 erscheinenden Amerika-Fibel für erwachsene Deutsche schreibt die Journalistin Margret Boveri über Das Verhältnis des Amerikaners zum Ding: Weil in Amerika die Zeiten der Knappheit immer nur kurz waren, und weil auch dann, an europäischen und asiatischen Notzeiten gemessen, immer noch Überfluß herrschte, wendet der Amerikaner an das, was er wegwirft, im allgemeinen keinen Gedanken. „To scrap“ ist für ihn ein mechanischer Vorgang, nicht eine Trennung, ein Sich-Lösen, das lange überlegt und oft mit Trauer oder Wehmut vollzogen wird. In Europa […] herrscht die Anhänglichkeit an das Ding, auch und gerade an das alte gebrechliche Ding; in Amerika wird der Gegenstand weggeworfen, wenn er nahezu oder auch nur dreiviertels ausgeschöpft und verbraucht ist; er wird durch ein Neues ersetzt.142
Ein heikler Punkt wird berührt, wenn Boveris Darstellung das Verhältnis der Amerikaner zu den Dingen auf die Besatzungssituation in Deutschland überträgt und den Schluss zieht, es sei „gut zu wissen, daß für den Amerikaner im beschlagnahmten Haus ein Stuhl nur ein Stuhl ist, ein Glas nur ein Glas – nicht das Glas vom Urgroßvater aus Ulm, nicht der Stuhl, in dem seit Kinderzeiten geträumt, gelesen, gehofft, getrauert, geliebt worden ist, sondern ein Möbelstück, das ersetzbar, dessen Wert in Dollar auszudrücken ist“, und zwar nicht, weil der Amerikaner die Dinge nicht kenne, sondern weil er im Gegensatz zum Deutschen nicht fühlt, wenn er „in ein fremdes Haus komm[t], was die Gegenstände dieses Hauses, die abgenutzten, wieder polierten und vom vielen Menschenumgang genährten Stücke ausstrahlen“; es fehlt die „Scheu wie vor etwas Lebendigem“.143 In „unse-
142 Margret Boveri: Amerika-Fibel für erwachsene Deutsche. Ein Versuch Unverstandenes zu erklären. Freiburg/Br. 1948: Badischer Verlag. S. 97f. [Erstausgabe: Berlin 1946: Minerva-Verlag.] 143 Boveri: Amerika-Fibel für erwachsene Deutsche, S. 110.
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rem vom Amerikanischen so unterschiedenen Verhältnis zum Ding“ sieht Boveri „eine Quelle der Kraft, deren wir uns gar nicht genug bewußt werden können“ – allerdings nicht aus bloßer Überlegenheit, sondern um jene „amerikanische[n] Eigenschaften […], die für uns vorbildlich sein können“, zu übernehmen.144 In der ‚deutschen‘ oder ‚europäischen‘ und der ‚amerikanischen‘ Dingkultur stehen sich – mit Deleuze und Guattari gesprochen – somit ein von ‚Wurzeln‘ geprägter und ein ‚wurzelloser‘ Umgang mit Dingen gegenüber. Werden diese unterschiedlichen Dingkulturen in Tauben im Gras durch Coca-Cola und die Tasse der Berliner Manufaktur verkörpert, so zeigt der notbedingte Verkauf der Tasse, wie der Zweite Weltkrieg gerade auch diese Dingkultur getroffen hat. Die Trümmerliteratur führt in der Inventur der verbliebenen Dinge daher die existenzielle Bedeutsamkeit von Küchenuhren, Bleistiften etc. vor.145 Tauben im Gras schildert dagegen die (Wieder-)Eingliederung der erinnerungsbeladenen Tasse in den ökonomischen Kreislauf als eine Gegebenheit, die neben der Zirkulation von Markenwaren und ihren Zeichen steht: „SANELLA IMMER FRISCH“, heißt es unmittelbar auf den Verkauf der Tasse an die Antiquarin Frau de Voss.146 Tauben im Gras überlagert damit die Zirkulationsbewegungen von Personen, Dingen und Zeichen innerhalb der Diegese – und entwirft zugleich einen eigenen Zeichenraum.
4.4.2 Zirkulation als kulturpoetologisches Prinzip Nachdem Odysseus und Josef die Ladenstraße durchquert haben, stoßen sie auf eine Ampelkreuzung. An ihr kreuzen sich nicht nur die Wege mehrerer Figuren aus Tauben im Gras. Die Kreuzung bildet außerdem einen ‚Kreuzungspunkt‘ der Zeichen: Von der /Kreuzung/ stellen sich auf der Signifikantenebene Verbindungslinien zu den mehrfach erwähnten /Kreuzen/, dem /Roten Kreuz/, dem /Kreuz Christi/ oder dem nationalsozialistischen /Hakenkreuz/ her.147 Anders als die ‚leitmotivische‘ Zeichenverweisung in Thomas Manns Zauberberg148 organi-
144 Boveri: Amerika-Fibel für erwachsene Deutsche, S. 112. 145 Vgl. hierzu exemplarisch Borcherts paradigmatische Erzählung Die Küchenuhr und Eichs ebenso paradigmatische Verse der Inventur: „Dies ist meine Mütze, / dies ist mein Mantel, / hier mein Rasierzeug / im Beutel aus Leinen.“ etc. Wolfgang Borchert: Die Küchenuhr. In: Ders.: Das Gesamtwerk. Reinbek bei Hamburg 1991: Rowohlt. S. 201–204. Günter Eich: Inventur. In: Sämtliche Gedichte. Hg. von Jörg Drews. Frankfurt am Main 2006: Suhrkamp. S. 42f. 146 Koeppen: Tauben im Gras, S. 150. 147 Siehe hierzu ausführlich Friedrich: „Kreuzritter an Kreuzungen“. 148 Siehe den Abschnitt 2.6. Die ‚Maria Mancini‘ als Fetisch der Textur: Zur Semiologie des ‚Leitmotivs‘ in Kapitel 2 dieser Arbeit.
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siert sich das Signifikantennetz in Tauben im Gras nicht um einen ‚zentralen‘ Signifikanten herum. Als Rhizom ist das Netz azentral und stellt zugleich Textkohärenz und Dissoziation (oder: Dissemination) her.149 In der Kreuzung – als Ort der diegetischen Topografie – und dem Signifikanten /Kreuzung/ – als einem Zeichen, das in abgewandelter Gestalt durch die Textur zirkuliert und so eine Topologie des auf sich selbst verweisenden Textes etabliert – kreuzen sich somit schließlich Zirkulationsformen der histoire und des discours, der Diegese mit ihrem erzählten Raum und der Textur mit ihrem Textraum.150 Tauben im Gras verhandelt Zirkulation somit nicht nur auf inhaltlicher Ebene, sondern macht sie zu einem seiner Konstruktionsprinzipien. Damit verfährt der Roman archivistisch und selbstreferentiell zugleich. Indem Tauben im Gras die Alltagswirklichkeit des Jahres 1951 kartografiert, wird diese vom Roman konstruiert. Der Roman geht deshalb aber nicht in bloßer Selbstreferentialität auf.151 Denn jede Karte ist selbst Teil des Rhizoms, das Buch „bildet mit der Welt ein Rhizom“.152 Wenn Tauben im Gras durch Markenprodukte wie Coca-Cola „Intensitäten“153 in sich eindringen lässt, so auch deshalb, weil dies – so Stephen Greenblatt – zu den kulturpoetologischen Grundzügen der Kultur im Kapitalismus zählt: „Denn […] eines der Begleitphänomene des Kapitalismus [ist] das starke und nachhaltige Oszillieren zwischen der Etablierung abgegrenzter diskursiver Bereiche und der Vermengung solcher Bereiche miteinander.“154 Tauben im Gras zeigt die poetologische Energie, die diese Kulturpoetik des Kapitalismus freizusetzen vermag. Die Überschreitung der Gren-
149 Friedrich: „Kreuzritter an Kreuzungen“, S. 67. 150 Zur Darstellung von Raum im Text und zum Text als Raum siehe Jurij M. Lotman: Die Struktur literarischer Texte. München 31993 (1972): Wilhelm Fink. Bes. S. 311–329. 151 Auf die Bedeutung, welche der Spannung zwischen dem Selbstbewusstsein von der eigenen Konstruktion und dem Wirklichkeitsbezug für Koeppens ‚Trilogie des Scheiterns‘ zukommt, hat nachdrücklich Erhard Schütz hingewiesen und diese als „mit geschärftem Bewußtsein der eigenen Aporien auf sich zurückkomm[ende]“ Moderne gelesen. Damit ist zugleich der Moderne-Diskussion um das Werk Wolfgang Koeppens eine entscheidende Wendung gegeben: Die ‚Moderne‘ von Koeppens Romanen lässt sich nicht allein durch „Verknüpfung[en]“ mit den Werken von Joyce, Döblin etc. erklären, sondern „in dem, wie er [Koeppen, B. W.] schreibt“, zeigt sich selbst ein Aushandlungsprozess der Moderne – der u.a. die Frage der Repräsentation von Geschichte in der Literatur betrifft und der von der Postmoderne fortgeführt wird. Erhard Schütz: Der Dilettant in der geschriebenen Geschichte. Was an Wolfgang Koeppens Roman „Das Treibhaus“ modern ist. In: Oehlenschläger (Hg.): Wolfgang Koeppen, S. 275–288, hier S. 286. 152 Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 24 u. 22. Herv. B. W. 153 Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 13. 154 Greenblatt: Grundzüge einer Poetik der Kultur, S. 115. Zirkulation ist darum allerdings kein grundsätzliches Privileg des Kapitalismus, dieser bewirkt aber spezifische Ausprägungsformen von Zirkulation. Zur Zirkulation unter Bedingungen des Totalitarismus am Beispiel zirkulierender Faszinosa im Nationalsozialismus siehe Weyand: Von Hitler bis zum iPod.
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Kapitel 4: Geschichte im Präsens
zen des Literarischen hin zum ‚transliterarischen Bezugssystem‘ des Alltäglichen bewirkt eine permanente Vermischung, Überlagerung und Verknüpfung zwischen Zeichen unterschiedlichster Herkunft: So zählen zu den auffälligsten Zeichen, die Tauben im Gras zirkulieren lässt, die zahlreichen Nennungen mythologischer Figuren, die den Romanfiguren als bürgerliche Namen (wie im Falle von Odysseus Cotton) gegeben werden oder zum Vergleich herangezogen werden. So heißt es über die Figur Susannes, die mit Odysseus eine Affäre beginnt: „Susanne war Kirke und die Sirenen, sie war es in diesem Augenblick, sie war es eben geworden, und vielleicht war sie auch noch Nausikaa.“155 Die Reihung dieser Zuschreibungen, ergänzt um das mutmaßende Adverb ‚vielleicht‘, zeigt jedoch, dass der Referenz auf die Mythologie hier nicht die Funktion einer eindeutigen Erklärungskraft zukommt.156 Die Zeichen der ‚alten‘ Mythologie vermischen sich mit den Mythen des Alltags und ihrem Traum vom amerikanischen Wohlstand. So ist auch der viel diskutierte Schluss des Romans, der den Romananfang wiederholt und ihn vom Präteritum ins Präsens überführt, weniger durch Nietzsches ewige ‚Wiederkunft des Gleichen‘157 erklärt als durch die Zirkulation der Zeichen selbst. In der zirkulären Konzeption des Romans führen die Zeichen Zirkulation als ein Grundprinzip des Romans vor – nicht um die Unausweichlichkeit des Geschehens aufzuzeigen, sondern um dem Bewusstsein von der Zei-
155 Koeppen: Tauben im Gras, S. 157. 156 So argumentiert etwa noch Martin Hielscher, wenn er die mythische und religiöse Metaphorik für „unmittelbar Welt- und Geschichtsdeutung“ hält und konstatiert: „die Welt ist so schicksalhaft geschlossen und unfrei wie im Mythos, die Geschichte ist eine Folge von Katastrophen“. Martin Hielscher: Wolfgang Koeppen. München 1988: C. H. Beck. S. 85. Dem ist bspw. durch Klaus Scherpe entgegengehalten worden, dass gerade „[d]ie unmäßige Inanspruchnahme des Mythologischen“ erkennen lasse, „daß der Mythos als quasi natürliche Berufungsinstanz, als Sicherung von Bedeutungen gegenüber der Spähre [sic!] des Gesellschaftlichen, von der Koeppens Darstellung ausgeht, weitgehend außer Kraft gesetzt wird. […] [E]in tieferer oder höherer Sinn will sich damit nicht recht einstellen.“ Klaus R. Scherpe: Die Realität eines nicht-realistischen Romans. Wolfgang Koeppens Imaginationen des Nachkriegsalltags in „Tauben im Gras“. In: Ders.: Die rekonstruierte Moderne. Studien zur deutschen Literatur nach 1945. Köln, Weimar u. Wien 1992: Böhlau. S. 159–188, hier S. 178f. Friedhelm Marx stellt die ‚Unschärfe‘ der verwendeten mythologischen Zeichen in Tauben im Gras in den Kontext der physikalischen Thematisierung von Unschärfe durch Heisenberg, Marx: Kein Zauberwort, keine Formel, bes. S. 70. 157 „Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und werden musst: siehe, d u b i s t d e r L e h r e r d e r e w i g e n W i e d e r k u n f t –, das ist nun d e i n Schicksal! […] Siehe, wir wissen, was du lehrst: dass alle Dinge ewig wiederkehren und wir selbst mit, und dass wir schon ewige Male dagewesen sind, und alle Dinge mit uns.“ Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra (Der Genesende). In: Ders.: Kritische Studienausgabe. Hg. von Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. München 1999: Deutscher Taschenbuch Verlag. S. 275f.
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chenhaftigkeit und dem Konstruktionscharakter zeitgeschichtlicher Kartografie zu entsprechen.158
4.5 Tauben auf dem Markusplatz – Abschied von der Kritik der Warenästhetik Genau zwanzig Jahre nach dem Erscheinen von Tauben im Gras schildert Wolfgang Fritz Haug in seiner Kritik der Warenästhetik (1971) ein weiteres Bild einer Ansammlung von Tauben: In Venedig wird eine kolorierte Ansichtspostkarte feilgeboten, die zugleich für diese Stadt und einen amerikanischen Konzern wirbt. Sie zeigt den Markusplatz, menschenleer, mit dem notorischen Heer von Tauben. Die Tauben stellen sich dar in organisierter Form: in riesigen Charakteren bilden sie den Namen Coca-Cola. Die Charaktere sind die des „gesetzlich geschützten“ Markendesigns. Die Vorlage für das Werbefoto wurde dadurch hergestellt, daß die Werbemanager das Markenzeichen mit Taubenfutter durch angeheuerte Gelegenheitsarbeiter auf den Platz streuen ließen.159
Dieses Bild von den Tauben auf dem Markusplatz, eine Werbekampagne des Coca-Cola-Konzerns, wird für Haug zu einem Schlüsselbild für den Kapitalismus (Abb. 87). In ihm verdichten sich Kollektive Praxis und Illusionsindustrie im Kapitalismus – so der Titel des Unterkapitels in Haugs Kritik der Warenästhetik –; Entfremdung und Ausbeutung des Kapitalismus werden darin für Haug offenkundig, denn: Die Tauben flogen nicht herbei, um das Markenzeichen zu bilden, sondern um ihren Hunger zu stillen. Das Futter wurde nicht gestreut, um die Tauben zu füttern, sondern um sie auf seiner Spur als Statisten arbeiten zu lassen. Das Arrangement ist den Tauben absolut fremd und äußerlich. Während sie sich das Futter einverleiben, sind sie unters Kapital subsumiert und von ihm einverleibt.160
„Das Bild“, bilanziert Haug, sei „ein Triumph kapitalistischer Werbetechnik“, zeige es doch „sinnbildlich einen grundlegenden Aspekt des Kapitalismus“.161 Als
158 „Wir haben“, so Deleuze und Guattari über ihre Mille Plateaux, „[diesem Buch] eine zirkuläre Form gegeben, aber nur zum Spaß.“ Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 37. Auch bei Deleuze und Guattari besteht dieser ‚Spaß‘ freilich nicht in einer beliebigen Vergnügung, sondern entspricht den Anforderungen, die sie selbst an ein rhizomorphes Buch stellen. 159 Haug: Kritik der Warenästhetik (1971), S. 152. 160 Haug: Kritik der Warenästhetik (1971), S. 152. 161 Haug: Kritik der Warenästhetik (1971), S. 152.
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Abb. 87: Coca-Cola-Kampagne auf dem Markusplatz in Venedig, 1960er Jahre.
Allegorie kapitalistischer Verhältnisse stehe es für das „Profitinteresse“162 der Kapitalisten, die den Arbeitern gegenüberstehende „fremde Macht des Kapitals“163 und den „bloßen Schein“164, sowohl in der Produktions- wie in der Konsumtionssphäre, der diese Verhältnisse verdeckt. Macht Haugs Studie auch auf den ‚blinden Fleck‘ der Warenästhetik aufmerksam – die Tatsache, dass Waren produziert werden müssen, und die Frage, unter welchen Bedingungen dies geschieht –, so erweist sich die Argumentation in kulturtheoretischer wie in semiologischer Hinsicht als unterkomplex.165 Semiologisch erweist sich Haugs Deutung der Tauben auf dem Markusplatz als unzureichend, insofern sie die vielfachen alltagsmythologischen Überlagerungen übersieht, zu denen es allein durch die Wahl Venedigs als Ort für die Werbekampagne kommt: So sind die Tauben zwar keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal Venedigs, sondern finden sich in allen großen Städten; auf dem Markusplatz aber
162 Haug: Kritik der Warenästhetik (1971), S. 152. 163 Haug: Kritik der Warenästhetik (1971), S. 153. 164 Haug: Kritik der Warenästhetik (1971), S. 158. 165 Zu einer Kritik an Haugs Bildbeschreibung dieser Kampagne siehe auch Georg Stanitzek: Etwas das Frieda Grafe gesagt hat. In: Heinz Drügh, Christian Metz u. Björn Weyand (Hg.): Warenästhetik. Neue Perspektiven auf Konsum, Kultur und Kunst. Berlin 2011: Suhrkamp. S. 175–195.
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stehen sie, mit Barthes gesprochen, für den Mythos des ‚Venezianischen‘. Als Symbol einer idealen Stadt und als Symbol der Schönheit wie auch der Todesverfallenheit166 bringt Venedig überdies eine ganze Reihe von Konnotationen mit sich, welche sich die Kampagne zunutze macht – die Symmetrie des Markusplatzes verweist auf Ideale der Schönheit, die relative (keineswegs aber, wie von Haug behauptet, absolute) Menschenleere des sonst übervollen Platzes, die ihn wie ‚ausgestorben‘ erscheinen lässt, gemahnt an dekadent-symbolistische Szenerien wie Georges Rodenbachs verlassene Kanalstadt aus Bruges-la-Morte (1892) und ruft damit Kulturgut aus der Zeit der Markengründung von Coca-Cola wach. Insbesondere aber reflektiert die Kampagne in Venedig als einem literarisch tradierten Ort und Symbol des Irrealen167 eben jenen Illusionscharakter schon selbst, den Haug ihr zum Vorwurf macht. Der ‚bloße Schein‘, den Haug mit seiner Kritik offenzulegen meint, erweist sich vielmehr als ein vervielfachtes Spiel mit Künstlichkeiten: Der künstlich-irrealen Stadt Venedig fügt der Coca-ColaSchriftzug eine weitere künstliche Komponente hinzu, die ästhetisch bereits auf die digitalen Bildwelten vorausweist, und stellt so die Künstlichkeit von Warenästhetik überhaupt aus. Warenästhetische Phänomene sind, wie die Coca-ColaKampagne zeigt, somit durchaus imstande, Zeichen nicht etwa nur willkürlich in Besitz zu nehmen, sondern sie sich selbstreflexiv mitsamt ihren kulturellen Konnotationen produktiv anzueignen und sie durch neue Zusammenhänge zirkulieren zu lassen. Damit ist zugleich die kulturtheoretische Unterkomplexität von Haugs Kritik der Warenästhetik berührt. Haug thematisiert den Kapitalismus als eine monologische Herrschaftsform, die darauf abzielt, durch die Faszination der Warenästhetik die Menschen zu verblenden. In der „Technokratie der Sinnlichkeit“, welche die Warenästhetik etabliere, sieht Haug ein Herrschaftsinstrument ersten Ranges.168 Als alles beherrschendes System, in dem wenige Monopolisten über ‚die Menschen‘ manipulativ Macht ausüben, führt der Kapitalismus, wie ihn Haug vor Augen hat, zu einer willenlosen, beherrschten Masse von Betrogenen. Allerdings zeigte bereits die Lektüre von Keuns Kunstseidenem Mädchen in Kapitel 3, dass ein Verständnis von Faszination als bloßer ‚Verblendung‘ oder ‚Verhexung‘ dem Umstand nicht gerecht wird, dass sich Faszination im Laufe des 20. Jahrhunderts von einem transitiven zu einem intransitiven Vermögen entwi-
166 Siehe Susanne Gramatzki: Venedig. In: Günter Butzer u. Joachim Jacob (Hg.): Metzler Lexikon literarischer Symbole. Stuttgart u. Weimar 2008: J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung. S. 402–404. 167 Gramatzki: Venedig. 168 Siehe Haug: Kritik der Warenästhetik (1971), S. 55–57.
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Kapitel 4: Geschichte im Präsens
ckelt hat.169 Das Misstrauen, das aus Haugs Klage über die Entmündigung der Konsumenten spricht, erweist sich somit selbst als eine entmündigende Geste.170 Überdies erfasst der Vorwurf der Monologisierung nur eine Seite kapitalistischer Lebenswirklichkeit und übersieht, dass „monologische Totalisierung“ und die „Tendenz der Differenzierung“, Deterritorialisierung und Reterritorialisierung, im Kapitalismus „gleichzeitig wirksam“ sind und gerade diese gegenläufigen Tendenzen eine beständige Dynamik erzeugen.171 Die Lektüre von Tauben im Gras hat gezeigt, wie die Kulturpoetik des Kapitalismus, ihre Zirkulation von Dingen und Zeichen, literarästhetisch produktiv wird.172 Haugs Analyse entgehen die zahlreichen Austausch- und Aneinungsprozesse, die Verhandlungen und das „Gedränge konkurrierender Repräsentationen“173 – und mit ihnen das innovative ästhetische Potential, das sie in sich bergen. Das folgende Kapitel zeigt, wie Christian Krachts Roman 1979 die Ästhetik kapitalistischer Zirkulation unter den Bedingungen der Popmoderne radikalisiert.
169 Siehe insbes. den Abschnitt 3.4. ‚Glanz‘ als Element moderner Faszinationsproduktion im Kapitel 3 dieser Arbeit. 170 Siehe zu dieser Kritik an Haug auch Weyand: Von Hitler bis zum iPod, S. 208–210. 171 Greenblatt: Grundzüge einer Poetik der Kultur, S. 112f. Zu Deterritorialisierung und Reterritorialisierung siehe Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus. 172 Deshalb sind die Missstände des Kapitalismus auch weniger durch ein marxistisches Begriffsinventar zu erfassen als durch eine Beschreibung der aufmerksamkeitsökonomischen und damit wiederum medialen und zeichenhaften Aspekte, siehe hierzu die Ausführungen zu Georg Francks Konzept des ‚mentalen Kapitalismus‘ in Kapitel 3, Abschnitt 3.2. Romantik und Sachlichkeit des Konsums – und die doppelte Ökonomie des Wunsches, ein ‚Glanz‘ zu werden. 173 Greenblatt: Verhandlungen mit Shakespeare, S. 16.
Kapitel 5: Die unendliche Zirkulation
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Kapitel 5 Die unendliche Zirkulation: Christian Krachts Roman 1979 (2001) und die politische Ökonomie der Zeichen in der Popmoderne Alle Kultur nach Auschwitz, samt der dringlichen Kritik daran, ist Müll.1 Theodor W. Adorno: Negative Dialektik (1966) Und schaudernd erfuhren wir noch einmal, daß großer Pop die große Müllkippe ist, auf der man, spielend, schöne Dinge entdecken kann.2 Moritz von Uslar: Davos (1999)
Christian Krachts Roman 1979 führt zum Ausgangspunkt der Überlegungen zum Verhältnis von Literatur und Markenwaren zurück: zur Popliteratur. Seit den 1960er Jahren bildet der Topos der ‚Oberfläche‘ eine der wichtigsten Kategorien der Pop-Literatur.3 1979 wurde bei seinem Erscheinen von den Kritikern als Endpunkt der Popliteratur gesehen, ja: als eine überfällige Rückkehr der Literatur zu ihrer vermeintlich angestammten ‚Tiefe‘ begrüßt. Dass gerade jener Autor für das Ende der Popliteratur verantwortlich zeichnen sollte, der zuvor aufgrund seines Romanerstlings Faserland (1995) als deren Begründer und forthin als einer ihrer Protagonisten verhandelt wurde,4 basierte auf einem scheinbar schlagenden
1 Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 6: Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit. Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1973: Suhrkamp. S. 7–412, hier S. 359. 2 Moritz von Uslar: Davos. In: Christian Kracht (Hg.): Mesopotamia. Ernste Geschichten am Ende des Jahrtausends. Stuttgart 1999: Deutsche Verlags-Anstalt. S. 13–29, hier S. 18. 3 Dies zeigt sich besonders in den programmatischen Texten Rolf Dieter Brinkmanns. Rolf Dieter Brinkmann: Die Lyrik Frank O’Haras. In: Ders.: Der Film in Worten. Prosa, Erzählungen, Essays, Hörspiele, Fotos, Collagen 1965–1974. Reinbek bei Hamburg 1982: Rowohlt. Siehe hierzu auch Jörgen Schäfer: „Mit dem Vorhandenen etwas anderes als das Intendierte machen“. Rolf Dieter Brinkmanns poetologische Überlegungen zur Pop-Literatur. In: Text + Kritik, Sonderband (2003): Popliteratur, S. 69–80, bes. S. 74f. Zum Verhältnis von Pop und Oberflächenästhetik sowie zur Geschichte des Pop überhaupt siehe auch Thomas Hecken: Pop. Geschichte eines Konzepts 1955–2009. Bielefeld 2009: transcript Verlag. S. 265–271. 4 Vgl. Johannes Birgfeld u. Claude D. Conter: Vorwort. In: Dies. (Hg.): Christian Kracht. Zu Leben und Werk. Köln 2009: Kiepenheuer & Witsch. S. 9–10, hier S. 9. Zur Popliteratur im literarischen Feld der 1990er Jahre siehe auch Kerstin Gleba u. Eckhard Schumacher: 1990 … Einleitung. In: Dies. (Hg.): Pop seit 1964. Köln 2007: Kiepenheuer & Witsch. S. 193–203.
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Argument: der Nennung resp. Nicht-Nennung von Markennamen. So urteilte Harald Jähner – der am Performance-Protokoll Tristesse Royale, an dem auch Kracht als Diskutant beteiligt war, moniert hatte, es gehe „hier stets um Markennamen“5 – in seiner Rezension zu 1979: Die Obsession, die Welt ausschließlich an Hand ihrer Oberfläche zu interpretieren und den Grad an Wahrhaftigkeit von Menschen über ihren äußeren Habitus darzustellen, macht nicht fröhlich. 1995 ließ Christian Kracht seinen Helden in „Faserland“ durch Deutschland stolpern, durch ein Vaterland voller Marken, Moden und Manieren, ein gerümpelhaftes Zeichensystem, das den Autor andauernd zu melancholisch ausfasernden Dechiffrierungsleistungen zwang […]. Krachts neuer, sein zweiter Roman heißt und spielt „1979“; er setzt dem Jahr ein Denkmal, in dem Ayathollah Khomeni das prowestliche Regime des Schahs von Persien stürzte und den fundamentalistischen Religionsstaat begründete, also das Gegenmodell zu Warenwelt, aus der Christian Kracht bislang sein literarisches Material bezog. Sechsundsiebzig Markennamen tauchten in „Faserland“ auf, in „1979“ sind es neben ein paar Popbands nur noch drei […].6
5 Harald Jähner: Fünf Freunde und das Grand-Hotel. In: Berliner Zeitung, 01. 12. 1999. Dass es sich bei einigen Markennennungen um kunstvoll arrangierte Product Placements handelt, konnte unlängst Jörg Döring aufzeigen, siehe Jörg Döring: Paratext Tristesse Royale. In: Tacke u. Weyand (Hg.): Depressive Dandys, S. 178–198. 6 Harald Jähner: Dandys Straflager. Christian Kracht unterzieht sich der islamischen Revolution. Die Popliteratur konvertiert zu Askese und Terror. In: Berliner Zeitung, 09. 10. 2001. Jähner steht in seiner Einschätzung nicht allein; so schreibt Hubert Spiegel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Vieles spricht dafür, daß ‚1979‘ ein Buch ist, das einen Endpunkt markiert. Mit Krachts Roman ‚Faserland‘, der beschrieb, wie ein junger Schnösel durch ein Luxus-Deutschland der Schönen und Leeren reiste, nahm die kurze Scheinblüte der deutschen Popliteratur 1995 ihren Anfang. Mit ‚1979‘ ist sie an ihrem vorläufigen Ende angelangt. Dazwischen liegen gerade einmal sechs Jahre, Jahre der Aufgeregtheiten, der Mißverständnisse, Marketingkampagnen und Wichtigtuereien.“ Bei 1979 handele es sich demnach um „ein[en] Abgesang auf die kurze Scheinblüte des literarischen Pop, ein Pamphlet gegen die Dekadenz und moralische Verrottung des Westens, dem die Revolution Chomeinis als gut und wünschenswert gegenübergestellt wird“. Hubert Spiegel: Wir sehen uns mit Augen, die nicht die unseren sind. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09. 10. 2001. Allerdings gab es schon früh Stimmen, die auch auf die Kontinuitäten zwischen Faserland und 1979 sowie auf die „gut sichtbar platzierten Ironiepartikel“ hinwiesen, siehe dazu bspw. Ingo Arend: Der Gesang des Pennälers. Madenbrei für Alle: Christian Krachts umstrittener Roman „1979“ ist ein Spiel mit dem Feuer. In: Freitag 50, 07. 12. 2001. Auch Gustav Seibt weist angesichts der intertextuellen Anspielung auf Joris-Karl Huysmans A rebours daraufhin, man dürfe „[n]ach dieser Initiation […] nichts mehr wörtlich nehmen“. Gustav Seibt: Dunkel ist die Speise der Aristokraten. Das Jahr „1979“ und der Zerfall der schönen Schuhe: Christian Kracht ist ein ästhetischer Fundamentalist. In: Süddeutsche Zeitung, 12. 10. 2001.
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Wurde Faserland als „Markendandy-Literatur“7 verschrien, als ein Roman, der die Oberfläche der Warenwelt zum eigentlichen Gegenstand hatte, so erschien 1979 als die Rückkehr zur Ernsthaftigkeit,8 als Dandys Straflager – wie Jähner seine Rezension betitelte – oder gar als „Roman zur Zeit“9, die immerhin die Zeit der Terroranschläge vom 11. September war. Die ‚Obsession, die Welt ausschließlich an Hand ihrer Oberfläche zu interpretieren‘ schien demnach tatsächlich an ihr Ende gekommen. Entgegen dieser Lesart erweist sich das Spektrum der in 1979 erwähnten Marken allerdings keineswegs als so reduziert, wie Jähner in seiner Rezension glauben machen will: Genannt werden nicht nur zahlreiche Bekleidungsmarken wie Pierre Cardin, Yves Saint Laurent, Lacoste, Charvet, Brooks Brothers und Hermès, sondern ebenso die Automarken Cadillac, Jeep und Peugeot, die Feuerzeugmarke Bic oder die Genussmittelmarken Pepsi-Cola, Chateau Palmer (Jahrgang 1961) und Frito Lay’s Salt and Vinegar Chips sowie schließlich die Zeitschriftenmarken Quick und Stern. Die folgende Auseinandersetzung mit 1979 zielt indes nicht auf eine Klärung der Frage, ob der Roman tatsächlich „die Beerdigung der Popliteratur durch den besten Popliteraten“ dokumentiert, wie Martin Hielscher im November 2001 in der Welt erklärt, nachdem er als Lektor des Kiepenheuer & WitschVerlages als einer der ersten und wichtigsten Fürsprecher der Popliteratur hervorgetreten war.10 Vielmehr verortet die im Folgenden entwickelte Lektüre den
7 Ullmaier: Von Acid nach Adlon und zurück, S. 33. Dass dieses ‚postmoderne Dandytum‘ von der Popliteratur indes ästhetisch produktiv gemacht wurde, zeigt Fabian Lettow: Der postmoderne Dandy – die Figur Christian Kracht zwischen ästhetischer Selbststilisierung und aufklärerischem Sendungsbewusstsein. In: Ralph Köhnen (Hg.): Selbstpoetik 1800–2000. Ich-Identität als literarisches Zeichenrecycling. Frankfurt am Main, Berlin u.a. 2001: Peter Lang. S. 285–305. Sowie die Beiträge des Bandes von Tacke u. Weyand (Hg.): Depressive Dandys. 8 Das Bedürfnis der Literaturkritik nach solcher Ernsthaftigkeit zeigt sich erstmals zwei Jahre vor Erscheinen von 1979, anlässlich des von Christian Kracht herausgegebenen Bandes Mesopotamia. Ernste Geschichten am Ende des Jahrtausends, auf dessen Einbandrückseite das Motto prangt: „Irony is over. Bye Bye.“, das allerdings selbst dem Pop, nämlich dem Album This is Hardcore (Island/Universal, 1998) der britischen Popband Pulp entliehen ist. Der Spiegel hält zwar die Geschichten für „Schrott“, nimmt aber das Ernsthaftigkeitsbekenntnis durchaus für bare Münze und bezeichnet die Autoren als „die schreibenden Boten der neuen Ernsthaftigkeit“. Wolfgang Höbel: ist ja gar nicht alles supergut. Im Sammelband „Mesopotamia“ schildern junge Autoren den Ernst des Globetrotter- und Literatenlebens. In: Der Spiegel, 11. 10. 1999. 9 Elmar Krekeler: Kampf des Kulturlosen. Das Buch zur Zeit: In Christian Krachts neuem Roman ‚1979‘ wird ein Hedonist von sich selbst erlöst. In: Die Welt, 06. 10. 2001. 10 Martin Hielscher u. Thomas Hettche: Zurück in die Wirklichkeit. Ein Schriftsteller und ein Lektor diskutieren über die neue deutsche Literatur. In: Die Welt, 24. 11. 2001. Zur Diskussion um Christian Krachts Roman Faserland als Begründung der Popliteratur und 1979 als deren Ende
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Roman im weiter gefassten kulturpoetischen Raum der ‚Popmoderne‘, jener Ausprägung der Postmoderne, welche die von Leslie A. Fiedler geforderte Grenzüberschreitung und Überwindung alter Gräben11 (zwischen high und low, Literatur und Phänomenen der Warenästhetik, etc.) nicht als kulturellen Verlust, noch als zu erkämpfendes Ideal, sondern als inzwischen gegebene Wirklichkeit erfährt, die es mit ästhetischen Mitteln zu erkunden gilt.12 Innerhalb dieses kulturellen Paradigmas lotet 1979 die neuen ästhetischen Spielräume bis an ihre Grenzen aus, die sich aus der Aneignung und Verbindung von Oberflächenphänomenen wie Markenprodukten, Popmusik und Filmen einerseits mit Verweisen auf die Literatur der Klassischen Moderne, tradierte Symboliken und postmoderne Theorieentwürfe andererseits entwickeln lassen. Dabei erzeugt der Roman ein permanentes Oszillieren zwischen einer Poetik der Oberfläche und einer Poetik der Tiefe: „Surface is an illusion“, wie Kracht in seinen Reiseberichten Der gelbe Bleistift (2000) den britischen Maler David Hockney zitiert – „but so is depth“.13 So suggeriert die Auslöschungsgeschichte von 1979 auf der Ebene der histoire eine ‚Tiefe‘, die an die Lagerliteratur des 20. Jahrhunderts gemahnt. Die genannten Marken-, Band- und Filmnamen, die aufgrund der fixierten internen Fokalisierung dem Protagonisten und Ich-Erzähler zuzuschreiben sind, bewirken dagegen auf der Ebene des discours den Eindruck einer ‚oberflächlichen‘, naiven Weltsicht. Jedoch finden sich auf der discours-Ebene neben den explizit genannten Markennamen zahlreiche nicht benannte, aber leicht dechiffrierbare Verweise auf literarische und philosophische Texte. Die Dechiffrierungsleistung, zur der diese herausfordern, lässt wiederum den Eindruck entstehen, der Text verlange nach ‚hermeneutischen Tiefenoperationen‘ – die allerdings stets aufs Neue auf Theorien der Oberfläche stoßen. 1979 ist das Jahr postmoderner Theoriebildung schlechthin: In ihm erscheint nicht nur Jean-François Lyotards Bestands-
siehe kritisch Baßler: Die neuen Archivisten, S. 110–115. Sowie Heinz Drügh: „ … und ich war glücklich darüber, endlich seriously abzunehmen“. Christian Krachts Roman 1979 als Ende der Popliteratur? In: Wirkendes Wort 57 (2007) H. 1, S. 31–51. 11 Vgl. Leslie A. Fiedler: Überquert die Grenze, schließt den Graben! Über die Postmoderne. [1968] In: Uwe Wittstock (Hg.): Roman oder Leben. Postmoderne in der deutschen Literatur. Leipzig1994: Reclam Verlag Leipzig. S. 14–39. 12 Siehe zu diesem Begriff der Popmoderne Alexandra Tacke u. Björn Weyand: Einleitung. Dandyismus, Dekadenz und die Poetik der Pop-Moderne. In: Dies. (Hg.): Depressive Dandys, S. 7–16, hier S. 12. 13 Christian Kracht: Der gelbe Bleistift. Köln 2000: Kiepenheuer & Witsch. S. 9. In Hockneys Serie Commercial Printings is an artist’s (direct) medium heißt es wörtlich: „SURFACE is illusion but so is depth“. Die Serie findet sich in: David Hockney. A Retrospective. Los Angeles 1988: Museum Associates, Los Angeles County Museum of Modern Art. S. 289–312 (unpag.), der zitierte Teil S. 310–311.
„Die besten Schuhe der Welt“
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aufnahme La condition postmoderne,14 sondern ebenso Julia Kristevas Ausführungen über Le vréel, Pierre Bourdieus Studie über La distinction, oder, postum, Michail Bachtins Ästhetik des Wortes; sowie in unmittelbarer zeitlicher Nähe Jean Baudrillards La précession des simulacres (1978) und Gilles Deleuzes und Félix Guattaris Mille Plateaux (1980). Als ein ‚historischer‘ Roman über das Jahr 1979 partizipiert der Roman an diesen Diskursen. Durch die zahllosen Verweise, die sich daraus ergeben, entsteht ein Überschuss an möglichen Bedeutungen, der letztlich das Durchlaufen eines ‚hermeneutischen Zirkels‘ unmöglich macht. An seine Stelle tritt eine endlose Zirkulation von Zeichen ohne Zentrum.15 Dabei treten immer neue Zeichen hervor, die zu einer poetologischen Lesart herausfordern. Unter ihnen ziehen insbesondere die ledernen Halbschuhe der Marke Berluti Aufmerksamkeit auf sich. Mit ihnen setzen sich daher die ersten Abschnitte dieses Kapitels auseinander und zeigen das Textverfahren von Wiederholung und Differenz sowie die Zusammenhänge zur kunsttheoretischen Debatte zwischen Martin Heidegger und Frederic Jameson auf, die sich ebenfalls an einem Paar Schuhe entzündet. Wenn die Berluti-Schuhe des Protagonisten im zweiten Teil des Romans durch Filzschuhe ersetzt werden, eignet sich der Roman damit die privilegierte textile Metapher der Postmoderne an, die zugleich mit der Konzeption des ‚glatten‘ Raums verbunden ist, wie ihn Deleuze und Guattari entwerfen. Die warenästhetische Herkunft solcher Räume zeigt eine neuerliche Betrachtung der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896.
5.1 „Die besten Schuhe der Welt“: 1979 als Geschichte eines Paars Schuhe der Marke Berluti Der Klappentext der Taschenbuchausgabe von 1979 fasst den Plot des Romans mit folgendem Abriss zusammen: „Die besten Schuhe der Welt konnten also noch nicht einmal einen Monat in den Bergen überstehen, dachte ich, und dann kam mir Christopher wieder in den Sinn, wie ich die Schuhe in seinem Sterbezimmer mit der Spitze nach vorne zur Wand gestellt hatte.“ – Während in Teheran die Panzer des Schahs aufgefahren werden, stirbt der Freund des namenlosen Ich-Erzählers nach einer Drogenparty elendiglich in einem Teheraner Volkskrankenhaus. Auf den Ratschlag eines zwielichtigen Rumänen begibt sich der Ich-Erzähler in das
14 Jean-François Lyotard: La condition postmoderne. Rapport sur le savoir. Paris 1979: Éditions de Minuit. 15 Zur Aufgabe des Zentrums in der Postmoderne und den Auswirkungen auf Zeichenprozesse siehe den einschlägigen Vortrag von Derrida: Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen.
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Kapitel 5: Die unendliche Zirkulation
von China besetzte Tibet, zum Heiligen Berg Kailasch, den er „zu seiner Seelenreinigung“ umrunden soll. Statt dessen wird er gefangengenommen und in ein chinesisches ArbeitsUmerziehungslager gesteckt. Seiner Selbstauslöschung steht nichts mehr im Wege. – Eine Geschichte vom Untergang der Zivilisation und vom Ende aller Ideologien.16
Als Geschichte einer ‚Selbstauslöschung‘, wie sie der Klappentext ankündigt, beschreibt 1979 in zwei Teilen und zwölf nummerierten, aber nicht weiter betitelten Kapiteln den Weg des Ich-Erzählers vom revolutionären Iran Ayatollah Chomeinis über das buddhistische Tibet und den heiligen Berg Mount Kailasch bis ins maoistische Umerziehungslager in China, in dem sich der Erzähler alle zwei Wochen einer freiwilligen Selbstkritik unterzieht. Gedeutet als ein Sinnbild für den ‚Untergang der Zivilisation‘ und das ‚Ende aller Ideologien‘ fügt sich der Roman in das semantische Feld der Dekadenz, wie es Oswald Spengler in Der Untergang des Abendlandes entwirft und zu einem Topos der Moderne macht,17 ebenso wie in das postideologische Denken der Postmoderne.18 Doch zugleich – und dieser Aspekt soll im Folgenden eingehender betrachtet werden – deutet der Klappentext an, dass es in 1979 in entscheidender Weise auch um dingliche Gegenstände geht. Während der Plot linear und mit geradezu konventionellen Mitteln erzählt wird und auf die avancierten narratorischen Verfahren eines postmodernen Erzählens ‚sous rature‘, wie es etwa durch Koeppens Tauben im Gras in der dargelegten Weise erprobt wird,19 verzichtet, ist es gerade die dingliche Ebene des Romans, die permanent neue Zeichenverweise eröffnet und Komplexität erzeugt. Von besonderem Interesse sind dabei jene Schuhe, die im Klappentext als ‚die besten Schuhe der Welt‘ bezeichnet werden: Schuhe der Pariser Marke Berluti. Aus der Textur von 1979 stechen die Berluti-Schuhe zunächst vor allem durch ihre wiederholte namentliche Nennung hervor. Dieses Verfahren der wiederholten Nennung einer Marke teilen die Berluti-Schuhe nicht nur mit der Barbour-Jacke aus Krachts Romanerstling Faserland (1995), die von hier aus zu einem Dingsymbol der Popliteratur avancierte,20 sondern mit einem
16 Klappentext der Taschenbuchausgabe: Christian Kracht: 1979. Roman. München 2003: Deutscher Taschenbuch Verlag. 17 Siehe dazu den Abschnitt 2.3. Die Grenzen des Symbolischen: Zur Materialität der Dinge im ‚Zauberberg‘ und in Spenglers ‚Untergang des Abendlandes‘ in Kapitel 2 dieser Arbeit. 18 Vgl. Jean Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod. München 1982: Matthes & Seitz. S. 8. 19 Siehe Kapitel 4 dieser Arbeit. 20 Vgl. Martin Brinkmann: Unbehagliche Welten. Wirklichkeitserfahrungen in der neuen deutschsprachigen Literatur, dargestellt anhand von Christian Krachts „Faserland“ (1995), Elke Naters’ „Königinnen“ (1998), Xaver Bayers „Heute könnte ein glücklicher Tag sein“ (2001) und Wolfgang Schömels „Die Schnecke. Überwiegend neurotische Geschichten“ (2002). In: Weimarer Beiträge 53 (2007) 1, S. 17–46, hier S. 17.
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Text, der in dieser Arbeit bereits Gegenstand einer einlässlichen Lektüre wurde: Thomas Manns Zauberberg mit seiner ‚Leitmotivik‘. Diese bildet daher einen Vergleichspunkt für das Verfahren der wiederholten Nennung in 1979. So wie die Geschichte Hans Castorps entlang der Zigarrenmarke Maria Mancini erzählt wird, so ist auch die Geschichte des namenlosen Protagonisten und Ich-Erzählers von 1979 maßgeblich die Geschichte der Berluti-Markenschuhe. Diese Geschichte gilt es zunächst zu rekonstruieren. Teil Eins (Iran, Anfang 1979) zeigt den Ich-Erzähler und seinen Freund Christopher in Iran. Die erste Nennung der Berluti-Schuhe führt diese – wie der Klappentext – als die ‚besten Schuhe der Welt‘ ein. Zu diesem Zeitpunkt werden die Schuhe nicht vom Erzähler, sondern von Christopher getragen. Beim Blick auf dessen verwundete, nässende Beine befindet der Erzähler: Er sah für mein Gefühl etwas lächerlich aus, denn seine verbundenen Beine steckten in hellbraunen Halbschuhen, ohne Socken, seine beigefarbene Cordhose lag noch auf dem Koffer neben dem Bett. Die Beine hatten wieder angefangen zu nässen, durch die Verbände hindurch. Seine hellbraunen Halbschuhe waren von Berluti, Christopher hatte mir einmal erzählt, es wären die besten Schuhe der Welt, es gäbe sogar einen Klub der Berluti-Schuhbesitzer, die sich in der Nähe des Place de Vendôme trafen, um ihre Berlutis mit Krug zu putzen.21
Verachtung für die Erscheinung ihres Trägers und Ekel vor dessen Körperlichkeit verbinden sich in der Beschreibung des Erzählers mit einer gewissen Bewunderung für die Besonderheit und Exklusivität der Berluti-Schuhe, die von einigen ihrer Besitzer mit Champagner der Marke Krug geputzt würden. Mit dieser ausführlichen Kommentierung durch den Erzähler wird den Berluti-Schuhen eine erhöhte Aufmerksamkeit zuteil, die sie gegenüber Christophers Pierre CardinHemden22 oder dem Yves Saint Laurent-Blazers eines Gastes23 und dem LacostePullover des Gastgebers während einer Teheraner High Society-Party auszeichnet, die lediglich – wie etwa auch in den Berichten Peter Scholl-Latours aus Iran zur Zeit der islamischen Revolution – benannt werden.24 Dies hat sowohl litera-
21 Christian Kracht: 1979. Roman. Köln 2001: Kiepenheuer & Witsch. S. 19f. 22 Kracht: 1979, S. 22. 23 Kracht: 1979, S. 38. 24 Kracht: 1979, S. 42. Peter Scholl-Latour schreibt über eine Party im Teheraner Hilton Hotel im September 1978: „Am späten Abend trifft sich im Garten des Hotels die Crème der iranischen Geschäftswelt. Die Männer tragen weißen Smoking. Die Frauen haben sich Dior-Abendkleider aus Paris kommen lassen.“ Peter Scholl-Latour: Allah ist mit den Standhaften. Begegnungen mit der islamischen Revolution. Stuttgart 1983: Deutsche Verlags-Anstalt. S. 133.
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turgeschichtliche als auch konsumtheoretische Gründe. Denn Schuhe bilden ein tradiertes literarisches Requisit zur sozialen Markierung von Figuren und Personen: „Ein Mensch ist […] der Schnitt und die Verarbeitung seiner Schuhe“, wie es in Frederic Tutens Roman Tintin in the New World (1993) heißt, mit dem 1979 im übrigen die Verbindung von Elementen aus Thomas Manns Zauberberg und Hergés Tim und Struppi-Comics teilt.25 In einem Roman über das Jahr 1979 stehen sie jedoch nicht nur für die soziale Position ihres Trägers, sondern rufen gleichzeitig die theoretische Reflexion über die Mechanismen sozialer Distinktion mit auf. 1979 erscheint mit Pierre Bourdieus Studie La distinction die soziologische Theorie, welche die Funktionsweise dieser Distinktionsmechanismen beleuchtet. Darin schreibt Bourdieu: Ist unter allen Gegenstandsbereichen keiner so umfassend geeignet zur Manifestation sozialer Unterschiede wie der Bereich der Luxusgüter und unter ihnen besonders die Kulturgüter, so deshalb weil in ihnen die Distinktionsbeziehung objektiv angelegt ist und bei jedem konsumtiven Akt, ob bewußt oder nicht, ob gewollt oder ungewollt, durch die notwendig vorausgesetzten ökonomischen und kulturellen Aneignungsinstrumente reaktiviert wird.26
Kulturgüter stellen für Bourdieu eine Subkategorie der Luxusgüter dar. Luxusgüter im Allgemeinen wie Kulturgüter im Besonderen eignen sich nach Bourdieu insofern vorzugsweise zur Ausübung sozialer Distinktion, als sie beide nicht voraussetzungslos konsumiert werden können – sie setzen Kapital und Kenntnis voraus. Mit den Berluti-Schuhen ist in 1979 ein Markenprodukt präsent, das wie die warenästhetische Realisierung von Bourdieus Theorie erscheint. Denn die Berluti-Schuhe und der Habitus ihrer Träger üben ihre Distinktion über die Verbindung luxuriöser und kultureller Werte aus. So wird die Exklusivität der maßangefertigen Schuhe der Marke Berluti durch den von Christopher erwähnten ‚Klub der Berluti-Schuhbesitzer‘ und seinen Brauch unterstrichen, die Schuhe in einem Akt der Verschwendung mit Champagner der Marke Krug zu putzen. Dieser Distinktionsgeste fügt sich die kulturell valorisierte Namensgebung dieses Klubs hinzu: der im Roman nicht benannte, aber real existierende Club (Abb. 88) bezeichnet sich als Swann Club und nimmt sich damit Prousts Figur aus dem ersten Teil von
25 Frederic Tuten: Tim und Struppi in der Neuen Welt. Frankfurt am Main 1996: Fischer Taschenbuch Verlag. [Tintin in the New World. A Romance. New York 1993: William Morrow.] Zu Schuhen als Symbolen des sozialen Status siehe Sylvia Heudecker: Schuh. In: Butzer u. Jacob (Hg.): Metzler Lexikon literarischer Symbole, S. 334f. Vgl. auch Monika Wagner: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne. München 2001: C. H. Beck. S. 85f. 26 Bourdieu: Die feinen Unterschiede, S. 355. Herv. im Orig.
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À la recherche du temps perdu (1913–27) und ihren Habitus als Lebemann aus besseren Kreisen zum Vorbild.27 Der wiederholte Hinweis, dass es sich bei Christophers Berluti-Schuhen um ‚hellbraune Halbschuhe‘ handele, lässt zudem ein Modell wahrscheinlich werden, das durch Namen und Slogan der sozialen Distinktion Christophers wie der Handlung des Romans weiter zuspielt: das Modell Wild Dandy, das zeitweise mit dem Slogan ‚For the man constantly on the go‘ beworben wurde.28 Auf diese Weise erhält die Marke Berluti innerhalb des Romans einen doppelten Verweisungscharakter: Zum einen verweist sie auf den sozialen, warenästhetisch erzeugten Distinktionswert, zum anderen auf die Textwelt der literarischen Klassischen Moderne (die mit dem von Berluti unterstützten Swann Club selbst Teil dieser Warenästhetik geworden ist). Dies lässt die Schuhe als ein poetologisches Reflexionsobjekt des Romans erscheinen, verbindet 1979 doch ebenfalls Warenästhetik und die Ästhetik der Klassischen Moderne miteinander. Dabei entspricht der Wunsch nach dandyesker Distinktion durch den Konsum des richtigen Markenprodukts dem popkulturellen Wunsch nach „Abgrenzung“29, wie er in Tristesse Royale verhandelt wird, und führt auf das von Susan Sontags Notes on „Camp“ (1964) verhandelte Dilemma, „how to be a dandy in the age of mass culture“.30 Damit bringt der Roman eine weitere Theorie der Oberflä-
27 Darüber informiert die Web-Präsenz von Berluti: „Le premier rendez-vous eut lieu à l’Hôtel Crillon en 1992. Depuis, les membres du Club célèbrent l’art du lustrage dans des lieux d’exception chaque fois différents. La règle est de ne pas en avoir. Sauf celle-ci: comme du salon proustien, en sont exclus les ‚ennuyeux‘. Le dernier en date a eu lieu en 2007. Placé sous le signe du ‚Dandy‘, le Club s’est réuni à la Spencer House à Londres, comme un hommage à l’élégance, à l’humour et la liberté d’esprit de nos clients anglais.“ http://www.berluti.com/#/lounge/ swann/4 [20. 10. 2010]. Über den Swann Club und sein Ritual, die Berluti-Schuhe mit Dom Pérignon zu putzen berichtet auch das Magazin Focus, Marika Schaertl: Spleen mit Schampus. In: Focus, 03. 05. 2004. 28 So war es noch 2005 auf der Homepage von Berluti zu lesen. http://www.berluti.com [16. 10. 2005]. 29 Bessing: Tristesse Royale, S. 64. Der Wunsch nach Abgrenzung wird in Tristesse Royale als popkultureller Mechanismus diskutiert: „CHRISTIAN KRACHT Das Problem ist der Konsens. JOACHIM BESSING Aber warum sträuben wir uns gegen den Konsens? Es ist doch eigentlich schön, ein Teil von etwas zu sein. BENJAMIN V. STUCKRAD-BARRE Pop basiert gleichzeitig auf dem Prinzip des Ausschließens und des Konsenses. Pop entsteht aus der Verschachtelung, aus dem Segmentieren und in einer Gegenbewegung, die dann wiederum vielen einleuchtet.“ (ebd., S. 27). 30 Susan Sontag: Notes on „Camp“. In: Dies.: Against Interpretation and Other Essays. New York 1990: Picador / Farrar, Straus and Giroux. S. 275–292, hier S. 288. Zur Bedeutung von Mode und Markenkonsum in der Popliteratur unter dem Vorzeichen von Dandytum und Dekadenz siehe Isabelle Stauffer: Faszination und Überdruss. Mode und Marken in der Popliteratur. In: Tacke u. Weyand (Hg.): Depressive Dandys, S. 39–59.
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Abb. 88: Mitglieder des Swann-Club putzen ihre Berluti-Schuhe mit Dom Pérignon.
che ins Spiel, denn Camp – ein Schlagwort, das der New Yorker Homosexuellenszene entstammt31 – bezeichnet in Sontags Ausdeutung eine ästhetizistische Erlebnisweise, die Oberfläche und Stil zugunsten des Inhalts betont.32 Dandytum und Dekadenz rücken noch deutlicher in den Fokus, als Christopher auf einer Party kollabiert und in ein ärmliches Teheraner Krankenhaus gebracht werden muss, in dem er schließlich sterben wird. Hasan, der Fahrer, trägt Christopher auf dem Rücken in das Krankenhaus, „[d]ie Berluti-Schuhe an seinen Füßen schleiften dabei durch den Straßenstaub“.33 Ihre hellbraune Farbe korrespondiert dabei mit dem „hellbraune[n] Kunstleder“ der Bahre, auf die Christo-
31 Zum Zusammenhang von Camp und Homosexuellenkultur siehe Jack Babuscio: Camp and the Gay Sensibility. In: David Bergman (Hg.): Camp Grounds. Style and Homosexuality. Amherst 1993: The University of Massachusetts Press. S. 19–38. Sowie den Band von Fabio Cleto (Hg.): Camp. Queer Aesthetics and the Performing Subject: A Reader. Ann Arbor 1999: The University of Michigan Press. Darin zu den verschiedenen Herkünften des Camp-Begriffs der Beitrag von Mark Booth: Campe-toi! On the Origins and Definitions of Camp. S. 66–79. 32 „Camp art is often decorative art, emphasizing texture, sensuous surface, and style at the expense of content.“ Sontag: Notes on „Camp“, S. 278. 33 Kracht: 1979, S. 71.
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pher im Krankenhaus gelegt werden wird. Damit werden die zwei Seiten der Dekadenz: Verfall, Krankheit und Todesnähe einerseits und ein überfeinerter ästhetischer Geschmackssinn, für den die Berluti-Schuhe stehen, andererseits durch Farbisotopie – und somit ein Verfahren, das der Décadence-Literatur der Jahrhundertwende selbst entspringt – miteinander verbunden.34 Die dandyistische Geste in dieser Matrix der Dekadenz vollzieht der Ich-Erzähler, als er an Christophers Sterbebett im Teheraner Krankenhaus die Schuhe „ordentlich nebeneinander [stellt], mit den Schuhspitzen zur Wand“35 und damit versucht, im vom Armut und Tod gezeichneten Krankenhaus, im Geruch von Müll, in „leicht feuchte[r], tote[r] Luft“36, in dieser Atmosphäre offener physischer Dekadenz, Baudelaires Definition des Dandys gerecht zu werden und ein letztes heroisches Aufbäumen durch Sinn für ästhetische Ordnung zu bewerkstelligen.37 So bedauert der Ich-Erzähler den Tod seines Freundes Christopher auch vor allem aufgrund seiner ästhetischen Inszenierungsmängel, die ihn als keinen „gut ausgearbeiteten Tod“ erscheinen lassen, über dessen Schwinden bereits Malte Laurids Brigge in Rainer Maria Rilkes gleichnamigem Roman aus dem Jahr 1910 die Klage erhoben hatte: „Wer giebt heute noch etwas für einen gut ausgearbeiteten Tod? Niemand. Sogar die Reichen, die es sich doch leisten könnten, ausführlich zu sterben, fangen an, nachlässig und gleichgültig zu werden; der Wunsch, einen eigenen Tod zu haben, wird immer seltener“.38 Für den Ich-Erzähler ist es allerdings weniger der Wunsch nach einem eigenen, individuellen Tod als nach einem Tod, wie er ihn aus den Medien kennt:
34 Farbattribuierungen sind für den gesamten Roman 1979 von herausgehobener Bedeutung. In der Literatur der Décadence finden sie sich u.a. in Huysmans Roman À rebours und in Wildes Dorian Gray, etwa wenn sich Dorian neun Luxusausgaben der ersten Auflage von À rebours kauft, die er in verschiedenen Farben binden lässt, um sie entsprechend seinen verschiedenen Stimmungen zu verwenden. Vgl. den Hinweis darauf in Abschnitt 2.2. Sammeln als kulturpoetologische Praktik zwischen Décadence und Reklame in Kapitel 2 dieser Arbeit. 35 Kracht: 1979, S. 76. 36 Kracht: 1979, S. 71. 37 „Le dandysme est le dernier éclat d’héroïsme dans les décadences“. Charles Baudelaire: Le peintre de la vie moderne [1863]. In: Ders.: Écrits sur l’art. Texte établi, présenté et annoté par Francis Moulinat. Paris 1999: Le livre de poche. S. 503–552, hier S. 538. 38 Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Frankfurt am Main u. Leipzig 2000: Insel Verlag. S. 14. Das massenhafte Sterben im Teheraner Krankenhaus in 1979 gleicht demjenigen im Hôtel-Dieu in Paris: „Jetzt wird in 559 Betten gestorben. Natürlich fabrikmäßig. Bei so enormer Produktion ist der einzelne Tod nicht so gut ausgeführt, aber darauf kommt es nicht an. Die Masse macht es.“ (ebd., S. 13f.).
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Ich hatte mir alles anders gewünscht, eher wie bei Wallis Simpson und dem Herzog von Windsor […]. So ein Ende, so ein langes Zusammensein mit so einem Ende hatte ich mir gewünscht. Und nicht diesen eingefallenen Papiersack, der vor mir auf dem Laken mit nicht wieder verschließbarem Mund in diesem Höllenkrankenhaus in Teheran lag. Nicht diese Hülle, etwas anderes, es war so wenig schick.39
Noch einmal erprobt der Roman damit die Möglichkeiten eines Dandytums unter den Bedingungen der Massenkultur und lässt seinen Protagonisten dezidiert den Wunsch nach einem Leben gemäß den Bildwelten der Massenmedien aussprechen. Entscheidend ist demnach nicht das Erreichen eines Außerhalb der Massenmedien, sondern die Wahl der vermeintlich ‚richtigen‘ Bilder, die diese anbieten. Gleichzeitig wirft Christophers Tod für den Ich-Erzähler eine Reihe ‚existentieller‘ Fragen40 auf und führt ihn zu der Gewissheit: „Ich will so nicht mehr weiterleben, dachte ich, so nicht. Irgend etwas muß sich ändern.“41 Wie diese Veränderung aussehen könnte, weiß er allerdings nicht. Nach Christophers Tod eignet sich der Ich-Erzähler die Berluti-Schuhe an und tauscht sie gegen seine Ledersandalen ein, mit denen er gegen den Widerstand Christophers „der Bourgeoisie einen Fußtritt ins Gesicht zu geben“ glaubte.42 Ideologische Unterstützung für seinen Wunsch nach Veränderung findet der Ich-Erzähler, mehr zufällig, durch die anti-westliche Revolution in Iran.43 Der Cafébesitzer Massoud, bei dem er einkehrt, erklärt ihm, dass Amerika der „große[] Satan“44 sei, den es zu vertreiben gelte: „Wir haben uns alle verschuldet, weil wir Amerika zugelassen haben. Wir müssen alle Buße tun. Wir werden Opfer bringen müssen, jeder von uns. […] Schauen sie mal hinaus, auf die Straße. Sehen Sie es? Der Schah ist bald weg, vielleicht ist er jetzt schon weg. In diesem
39 Kracht: 1979, S. 78. 40 „Und ich dachte: Was ist Jungsein? Wie ist es beschaffen? Wie sieht es aus? Sieht es aus wie etwas, das man liebt? Ist es vorbei, ehe man es erkennt? Ist es hell, während alles andere dunkel ist? Bin ich eine alte Seele? Wo ist alles hin? Warum geht alles so schnell? Wo sind die Jahre hin? Warum bin ich nun alt, während um mich herum alles jung ist? Wo sind meine Muskeln hin? Kann ich alles zurückdrehen, in dem ich Sport mache? Und wenn ich das tue, wie lächerlich ist das? Was ist es, das Leben? Und wie wird es besser? Und wenn es besser wird, wie kann ich es erkennen?“ Kracht: 1979, S. 79. 41 Kracht: 1979, S. 79. 42 Kracht: 1979, S. 23. 43 Zum historischen Kontext der anti-westlichen Revolution in Iran siehe Paul Michael Lützeler: Der Bürgerkrieg als Thema in Christian Kracht 1979. In: Birgfeld u. Conter (Hg.): Christian Kracht, S. 101–115. 44 Kracht: 1979, S. 98.
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Land wird eine neue Zeitrechnung beginnen, außerhalb des Zugriffs Amerikas. Es gibt nur eine Sache, die dagegen stehen kann, nur eine ist stark genug: der Islam. Alles andere wird scheitern. Alle anderen werden in einem schaumigen Meer aus Corn Flakes und Pepsi-Cola und aufgesetzter Höflichkeit ertrinken.“45
Amerika – das steht hier einmal mehr, nun aus islamistischer Sicht, die sich darin mit bundesrepublikanischer Kultur- und Konsumkritik trifft,46 exemplarisch für Marken, Konsumismus und einen gänzlichen Werteverlust. Synekdochisch stehen hierfür diesmal, anders als in Tauben im Gras, nicht Coca Cola, sondern Pepsi-Cola und Corn Flakes. Zwar räumt der Ich-Erzähler ein: „Ich habe Ihnen gerne zugehört, auch wenn ich es nicht ganz verstanden habe, was Sie über Amerika gesagt haben“.47 Doch als ihn Massoud durch einen unterirdischen Geheimgang zu Mavrocordato bringt, einem Rumänen, den er auf der Party kennengelernt hatte, nach der Christopher verstorben war, unterbreitet dieser ihm jenen Vorschlag, der den Ich-Erzähler mit Aussicht auf Läuterung zum Berg Kailasch führen wird.48 Den Schlusspunkt ihres Gesprächs markiert die Bitte Mavrocordatos an den IchErzähler, eine Tüte Chips aus der Küche zu holen: „Ich suchte in den Küchenschränken, öffnete mehrere Schubladen, bis ich eine Tüte Frito Lay’s Salt and Vinegar Chips fand, ich riß sie auf, leerte die knusprigen Kartoffelflocken in eine Lalique-Schale“.49 Mit Frito Lay’s-Chips, die hier wie in Werbesprache als ‚knusprige Kartoffelflocken‘ bezeichnet werden, wird somit am Vorabend zum Aufbruch des Ich-Erzählers gen Tibet ebenjenem Feindbild gehuldigt, das diese Reise zuvor begründen sollte: Denn Pepsi-Cola und Frito Lay’s sind nicht nur zwei amerikanische Marken, sondern bilden seit 1965 einen gemeinsamen Konzern.50 Mit Teil Zwei des Romans (China, Ende 1979) werden die Berluti-Schuhe schließlich auf die Probe gestellt. Der Teil zeigt die Durchwanderung des Himalaya bis zum Berg Kailasch sowie dessen Umrundung. Den Anforderungen des Gebirges können die Berluti-Schuhe allerdings nicht genügen. Die Wanderung bis zum Berg Kailasch bedeutet ihre allmähliche Auflösung:
45 Kracht: 1979, S. 98f. 46 Vgl. hierzu etwa exemplarisch das Kapitel Kulturindustrie in Max Horkheimer u. Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente [1944/69]. Frankfurt am Main 1988: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 128–176. 47 Kracht: 1979, S. 99. 48 Vgl. Kracht: 1979, S. 114f. 49 Kracht: 1979, S. 115. 50 1965 schließen sich die Frito-Lay, Inc. und die Pepsi-Cola Company zur PepsiCo, Inc. zusammen. Siehe http://pepsico.com/Company/Our-History.html [16. 08. 2010].
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Die Berluti-Schuhe fielen langsam auseinander, ein paar Wochen würden sie wohl noch halten, aber dann war sicher Schluß. In der Sohle des linken Schuhs war bereits ein Loch. Ich spürte mit den Zehen Steine unter mir, kleine Kiesel rutschten beim Gehen durch das Loch nach oben. Der rechte Schuh war an der Spitze ganz offen, das Leder bog sich häßlich und franste aus. Die besten Schuhe der Welt konnten also noch nicht einmal einen Monat in den Bergen überstehen, dachte ich […].51
Kurz darauf sind die Berluti-Schuhe „durchnäßt und aufgeweicht“, sodass sich Eisklumpen an den Socken des Erzählers bilden.52 Bei Erreichen des Mount Kailasch tauscht der Ich-Erzähler die Berluti-Schuhe schließlich gegen ein Paar Filzschuhe ein, die ihm sein Führer angefertigt hat: „Ich zog sie mir über die Füße. Die zerlaufenen Berluti-Schuhe stellte ich auf den Felsen, hinter dem ich uriniert hatte.“53 Solchermaßen zu Abfall erklärt und zugleich auf einem Felsen inthronisiert, erscheinen die Berluti-Schuhe wie ein Kommentar auf die Aneignung von Abfällen durch die Pop Art und Popliteratur seit den 1960er Jahren, an der auch 1979 partizipiert.54 Wie die Zigarre Castorps erscheinen die Schuhe des Ich-Erzählers von 1979 somit als eine ‚Geschichte, die sich als Gegenstand ausgibt‘ – als solche hatte der amerikanische Psychoanalytiker Robert Jesse Stoller den Fetisch definiert und als solche war die Maria Mancini als Textfetisch und ‚Leitmotiv‘ des Zauberberg in Erscheinung getreten.55 Die Berluti-Schuhe in 1979 teilen eine Reihe semantischer und struktureller Merkmale mit Castorps Maria Mancini: Neben ihrer wiederholten namentlichen Nennung sind es insbesondere die dekadenten, aber auch sexuelle Konnotationen. Aus psychoanalytischer Sicht stellen Schuhe ein bevorzugtes Fetisch-Objekt dar;56 literarisch werden sie als Symbol der Vagina tradiert 51 Kracht: 1979, S. 127. 52 Kracht: 1979, S. 131. 53 Kracht: 1979, S. 138. 54 Zu Müll als Gegenstand der Kunst siehe Wagner: Das Material der Kunst, S. 57–67. In der jüngeren Forschung hat der Müll erhöhte Aufmerksamkeit auf sich gezogen, siehe hierzu exemplarisch die Beiträge der Bände von Dirck Linck u. Gert Mattenklott (Hg.): Abfälle. Stoff- und Materialpräsentation in der deutschen Pop-Literatur der 60er Jahre. Hannover 2006: Wehrhahn Verlag. Sowie von Andreas Becker, Saskia Reither u. Christian Spies (Hg.): Reste. Umgang mit einem Randphänomen. Bielefeld 2005: transcript Verlag. 55 „[A] fetish is a story masquerading as an object.“ Stoller: Observing the Erotic Imagination, zit. nach Böhme: Fetischismus und Kultur, S. 401. Siehe hierzu auch den Abschnitt 2.6. Die ‚Maria Mancini‘ als Fetisch der Textur: Zur Semiologie des ‚Leitmotivs‘ in Kapitel 2 dieser Arbeit. 56 „So verdankt der Fuß oder Schuh seine Bevorzugung als Fetisch – oder ein Stück derselben – dem Umstand, daß die Neugierde des Knaben von untern, von den Beinen her nach dem weiblichen Genitale gespäht hat“. Freud: Fetischismus, S. 314.
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und bilden insofern das Komplement zur phallischen Symbolik des Zauberberg.57 Wie die Zigarren im Zauberberg verbrauchen sich auch die Schuhe in 1979 im ‚Konsum‘: Die Zigarren werden zu Asche, die Berluti-Schuhe zerfallen. Am Ende werden sowohl die Berluti-Schuhe wie auch die Maria Mancini ersetzt, und an die Stelle der Marke tritt eine andere (die Rütlischwur) bzw. ein nicht markengebundener Gegenstand (die Filzschuhe, die im chinesischen Lager noch einmal durch Tennisschuhe nicht benannter Marke ersetzt werden). Trotz dieser Gemeinsamkeiten zwischen den Berluti-Schuhen in 1979 und der Maria Mancini im Zauberberg sind die Verfahren der wiederholten Nennung keineswegs identisch. Zwar dienen die Wiederholungen im Zauberberg wie in 1979 der Erweiterung des semantischen Feldes, jedoch fügen sie sich in 1979 weder zur ‚Leitmotivik‘ noch sind sie um einen zentralen Signifikanten (den ‚privilegierten Signifikanten‘ des Phallus im Zauberberg) herum organisiert. Die Wiederholungen in 1979 zitieren das leitmotivische Verfahren des Zauberberg an und können insofern als hypertextueller Verweis auf der Ebene des discours gelesen werden,58 letztlich verfehlen diese Wiederholungen die Leitmotivik jedoch ebenso wie der Ich-Erzähler von Faserland das „blöde Grab von Thomas Mann“59, um das er am Romanende auf dem Friedhof von Kilchberg bei Zürich kreist, ohne es zu finden. Dieses Umkreisen eines ‚leeren Zentrums‘ ist konstitutiv für das Werk Krachts.60 Zu dem Wenigen, was in 1979 ein Zentrum aufweist, zählt eine Praline, die den Erzähler „[i]m Zentrum der Schokolade […] eine Pistazie“61 finden lässt. Ansonsten verlaufen Gespräche „[i]rgendwie […] im Kreis“62, wird in „kreisenden Handbewegungen“63 gestikuliert oder mit dem Finger „ein[] kleine[r] freie[r] Kreis auf der beschlagenen Spiegeloberfläche“64 freigerieben, sodass es insgesamt scheint, „als gäbe es kein Zentrum mehr, oder gleichzeitig nur noch ein Zentrum und
57 Zum Schuh als Symbol der Vagina siehe Sylvia Heudecker: Schuh. In: Butzer u. Jacob (Hg.): Metzler Lexikon literarischer Symbole, S. 334f. 58 Katharina Rutschky liest die Barbour-Jacke in Faserland als „Parodie auf das Leitmotiv von Mann“. Ob die Funktion dieser Wiederholung wirklich in der Parodie zu suchen ist, sei dahingestellt; wichtiger erscheint die Tatsache, dass hiermit ein intertextueller Verweis auf ein literarisches Verfahren, das sich mit dem Werk Thomas Manns verbindet, vorliegt. Katharina Rutschky: Wertherzeit. Der Poproman – Merkmale eines unerkannten Genres. In: Merkur 57 (2003) H. 2, S. 106–117, hier S. 115. 59 Christian Kracht: Faserland. Roman. Köln 1995: Kiepenheuer & Witsch. S. 164. 60 Vgl. Sven Glawion u. Immanuel Nover: Das leere Zentrum. Christian Krachts ‚Literatur des Verschwindens‘. In: Tacke u. Weyand (Hg.): Depressive Dandys, S. 101–120. 61 Kracht: 1979, S. 103. 62 Kracht: 1979, S. 88. 63 Kracht: 1979, S. 58. 64 Kracht: 1979, S. 92.
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nichts mehr darum herum“65. Durch dieses Fehlen eines Zentrums weiten sich die wiederholten Nennungen der Berluti-Schuhe nicht zu einem gewebeartigen Bedeutungsnetz aus. An seine Stelle treten Wiederholungen, die immer neue Differenzen erzeugen, letztlich aber ziellos und zirkulär bleiben. Dieses Prinzip gilt es im Folgenden eingehender zu untersuchen.
5.2 „Die ewig gleiche Wiederholung der Schritte“: Wiederholung und Differenz Als der Erzähler bei Erreichen des Mount Kailasch die Berluti-Schuhe auf einem Felsen zurücklässt, verändert dies zugleich die Art seines Gehens. Den Berg vor Augen – ein Symbol nicht nur der Spiritualität, sondern ebenso der ästhetischen Erfahrung und insbesondere durch Peter Handkes Lehre der Sainte-Victoire (1980) auch der poetologischen Selbstreflexion66 – wird aus der repetitiven Abfolge von Schritten ein zielgerichtetes Voranschreiten: Es war anders, wenn man plötzlich ein Ziel hatte, die Augen waren nicht mehr auf den Boden gerichtet, auf die ewig gleiche Wiederholung der Schritte, sondern der Blick ging nach oben, immer weiter hinauf, je mehr ich mich dem Berg näherte.67
Diese ‚ewig gleiche Wiederholung der Schritte‘, die der Erzähler hinter sich zu lassen erklärt, steht im Kontext selbst wiederholter Thematisierungen der Wiederholung in 1979 schon auf der Ebene der histoire. Bereits in der Eingangspassage des Romans heißt es über eine Autofahrt: „Wir hatten nur zwei Kassetten dabei; wir hörten erst Blondie, dann Devo, dann wieder Blondie.“68 Am deutlichsten zeigt sich die Struktur der Wiederholung jedoch gerade bei der Umrundung des Mount Kailasch, also genau dort, wo der Ich-Erzähler meint, der Wiederholung zu entkommen. Mavrocordato hatte dem Ich-Erzähler den Mount Kailasch als das
65 Kracht: 1979, S. 94. 66 In Auseinandersetzung mit Cézanne begibt sich Handke am Mont Saint-Victoire auf die Suche nach „Dinge[n] des Anfangs“ und hofft auf eine poetische Wesensschau: „‚Sich einträumen in die Dinge‘ war ja lange eine Maxime beim Schreiben gewesen: sich die zu erfassenden Gegenstände derart vorstellen, als ob ich sie im Traum sähe, in der Überzeugung, daß sie dort erst in ihrem Wesen erscheinen.“ Peter Handke: Die Lehre der Sainte-Victoire. Frankfurt am Main 1980: Suhrkamp. S. 34 u. 26. Zu den symbolischen Bedeutungen des Bergs siehe Dirk Niefanger: Berg. In: Butzer u. Jacob (Hg.): Metzler Lexikon literarischer Symbole, S. 38–40. 67 Kracht: 1979, S. 139. 68 Kracht: 1979, S. 17.
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„Zentrum des Universums“69 angepriesen. Die Umrundung des Bergs erweist sich für den Ich-Erzähler jedoch nicht als die ihm versprochene ‚Erleuchtung‘, sondern wird als „reichlich banal“ und lediglich „mühsam und langweilig dazu“ empfunden,70 und weist damit jegliche spirituelle oder künstlerische Inspiration zurück – eine Erfahrung, die der Erzähler mit dem Ich-Erzähler aus Handkes Lehre der Sainte-Victoire teilt, der nach dem Erreichen des dortigen früheren ‚Gartens der Mönche‘ feststellt: „Es gab kein Gipfelerlebnis“.71 Für den Ich-Erzähler aus 1979 führt jedoch die Begegnung mit zwölf tibetischen Pilgern nach der ersten, enttäuschenden Umrundung zu einem Gipfelerlebnis eigener Art: Zwar bewirkt auch die Umrundung nach buddhistischem Brauch, d.h. sich immer wieder mit dem gesamten Körper auf die Erde werfend, zu keiner Reinwaschung oder religiösen Erleuchtung. Doch es erscheint dem Ich-Erzähler „viel lustiger, in einer Gruppe um den Kailasch herumzurobben als alleine.“72 Dieses Vergnügen weckt sein Bedürfnis nach Wiederholung: Ich brannte darauf, gleich am nächsten Tag die langsame Kreiselbewegung um den Berg zu wiederholen, ich war regelrecht süchtig danach geworden. Jetzt die nächsten Monate so zu verbringen, mit diesen Pilgern, deren Sprache ich nicht verstand, vielleicht sogar Jahre, schien mir eine perfekte Lebensaufgabe.73
Der Wiederholung, deren Beendigung der Ich-Erzähler, den Mount Kailasch im Blick, zunächst mit Freude erlebt, setzt er schon kurz darauf die Wiederholung der ‚Kreiselbewegung‘ um den Berg herum als ‚perfekte Lebensaufgabe‘ entgegen. Damit stehen, der Topografie des Romans entsprechend, auch ein westliches, auf Einmaligkeit und ein télos gerichtetes Denken und ein östliches, auf Wiederholung beruhendes Denken einander gegenüber – zumindest scheint es so. Denn in der Wertschätzung für Praktiken des Iterativen treffen sich ostasiatische und postmoderne Philosophie und Kunst.74 Die Topografie von 1979 erweist
69 Kracht: 1979, S. 114. 70 Kracht: 1979, S. 140. 71 Handke: Die Lehre der Sainte-Victoire, S. 66f. 72 Kracht: 1979, S. 145. 73 Kracht: 1979, S. 146. 74 Siehe hierzu Birgit Mersmann: Bild-Fortpflanzungen. Multiplikationen und Modulationen als iterative Kulturpraktiken in Ostasien. In: Giesela Fehrmann, Erika Linz, Eckhard Schumacher u. Brigitte Weingart (Hg.): Originalkopie. Praktiken des Sekundären. Köln 2004: DuMont. S. 224–241. Zur postmodernen Kultur der Wiederholung siehe auch Erhard Schütz: Aneigentümlichkeiten. Beobachtungen zum Plagiat in einer Kultur originaler Wiederholung. In: Alexander Honold u. Manuel Köppen (Hg.): ‚Die andere Stimme‘. Das Fremde in der Kultur der Moderne. Köln, Weimar u. Wien 1999: Böhlau. S. 311–327.
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sich insofern als eine Kunstlandschaft, die ihre postmoderne Konstitution im Raum spiegelt: Die momenthaft aufgezeigte Alternative eines teleologischen Konzepts von Bewegung und Denken verdeutlicht nur die zirkuläre Struktur des Romans. Das mit der Taschenbuchausgabe von 1979 veränderte Motto des Romans zitiert die theoretische Referenz dieser postmodernen Zirkularität. Die Motti der Erstausgabe, die dem viktorianischen Dichter Alfred Lord Tennyson und der New Wave-Band New Order entliehen waren,75 werden ersetzt durch ein Motto, das Jean Baudrillard bei Karl Marx entleiht und fortschreibt: „History reproducing itself becomes farce / Farce reproducing itself becomes history“.76 Die Implikationen dieses Mottos für die historische Wirklichkeitsdarstellung in 1979 bilden einen Fluchtpunkt dieses Kapitels. Vorerst interessiert an diesem Motto, wie seine Wiederholung zugleich Differenz erzeugt.77 Baudrillard setzt sich mit Marx’ vielzitierten Ausführungen aus Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (1852) auseinander, in denen es heißt: „Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“78 Was Marx also schon im Rekurs auf Hegel über das Napoleon-Duplikat Napoleon III. formuliert, kommentiert nun Baudrillard mit den Worten: On connaît l’analyse que faisait Marx de Napoléon III. Napoléon le Petit, comme doublure grotesque de Napoléon Ie. Événement parodique, avatar dégradé de l’original, à travers lequel l’histoire se donne l’air d’avancer alors qu’elle est en train de se défaire. History reproducing itself becomes farce – à quoi on pourrait ajouter: Farce reproducing itself becomes history.79
75 „Far, far beneath in the abysemal sea / His ancient, dreamless, uninvaded sleep / The kraken sleepeth.“, wird Tennyson zitiert; New Order mit dem Songtitel „Everything’s gone green“ von 1981. Kracht: 1979, S. 13. Zu Krachts Verhältnis zur New Wave siehe Christoph Rauen: Schmutzige Unterhose wird sauberer Büstenhalter. Zur ‚Überwindung‘ von Postmoderne und Pop bei Christian Kracht. In: Birgfeld u. Conter (Hg.): Christian Kracht, S. 116–130, bes. S. 120. 2006 erscheint die gleichnamige Textsammlung von Christian Kracht: New Wave. Ein Kompendium 1999–2006. Köln 2006: Kiepenheuer & Witsch. 76 Kracht: 1979 (2003), S. 13. 77 Zu Wiederholung und Differenz als Schlüsselkategorien der postmodernen Theoriebildung siehe Gilles Deleuze: Differenz und Wiederholung. Aus dem Französischen von Joseph Vogl. München 1992: Wilhelm Fink. 78 Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. In: Karl Marx u. Friedrich Engels: Werke. Band 8. Berlin (DDR) 1972: Dietz Verlag. S. 115–123, hier S. 115. 79 Jean Baudrillard: À l’ombre du millénaire ou Le suspens de l’an 2000. Paris 1998: Sens & Tonka. S. 25.
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In der Wiederholungsfigur des Chiasmus – die für Paul de Man stets als „Ergebnis einer Leere“ entsteht, „eines Verlusts […], der die rotierende Bewegung zwischen den Polaritäten ermöglicht“80, die also selbst eine Kreiselbewegung vollführt – fügt Baudrillard dem Zitat von Marx eine neue Bedeutungskomponente hinzu, welches seinerseits dem Zitat von Hegel eine neue Bedeutungskomponente gegeben hatte. Jede Wiederholung produziert somit eine semantische Differenz, aber eine Differenz, welche die vorangegangene Semantik nicht ‚korrigiert‘, nicht deund resemantisert, sondern dem Wiederholten zusätzliche semantische Aspekte abgewinnt und hinzufügt. An dieses Verfahren schließt die Wiederholungsstruktur von 1979 an. So wiederholt schon die implizite Bezugnahme auf Marx durch das Baudrillard-Motto einen Teil der vorangestellten Widmung „Für Olaf Dante Marx“81 – einen ehemaligen Redakteur des Musikmagazins Spex und Kollegen Krachts bei der Zeitschrift Tempo – und fügt dem Namen eine neue Semantik hinzu, indem sie sich die Homonymie der Namen zunutze macht (auf Dante wird an späterer Stelle zurück zu kommen sein). Anders jedoch als im Zauberberg, dessen ‚leitmotivische‘ Wiederholung darauf abzielte, Signifikanten so miteinander zu verflechten, dass daraus ein Netz oder ‚Gewebe‘ entsteht und sich auf diese Weise zwischen den Signifikanten neue Zusammenhänge herstellen, die letztlich sämtlich auf den Phallus als den privilegierten Signifikanten zulaufen, zielt die Wiederholung in 1979 nicht auf die eine ‚obszöne Bewandtnis‘, sondern auf die Vervielfältigung von Differenzen durch Wiederholung. In dieses Spiel der Wiederholungen und Verdopplungen sind Dinge und Markenprodukte in besonderer Weise eingebunden, wie sich an den Berluti-Schuhen zeigt, die mit jeder erneuten Nennung mit neuen und häufig poetologisch lesbaren Bedeutungen versehen werden. Daneben sind es etwa die „zwölf genau gleiche[n]“ hellblauen Pierre Cardin-Hemden, die Christopher auf der Reise durch den Iran bei sich hat.82 Ihre Erwähnung vervielfältigt nicht nur das zuvor im Singular erwähnte Exemplar dieser Hemden innerhalb der histoire, sondern verdeutlicht zudem das textuelle Prinzip der Wiederholung und Vervielfältigung auf der Ebene des discours. Denn die Tatsache, dass Christopher genau zwölf davon besitzt, wird zu einem textuellen Moment der Wiederholung, wenn der Erzähler erwähnt, dass er am Mount Kailasch auf zwölf tibetische Pilger trifft, mit denen er den heiligen Berg umrundet.83 Lenkt schon diese Wiederholung die Aufmerksamkeit auf die numerische Konzeption des Romans, so wird die Selbstreferentialität noch dadurch gesteigert, dass zwölf zudem der Anzahl der Kapitel von
80 de Man: Tropen (Rilke), S. 81. 81 Kracht: 1979, S. 7. 82 Kracht: 1979, S. 22. 83 Vgl. Kracht: 1979, S. 142.
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1979 entspricht, sodass die innerhalb der Diegese wiederholte Anzahl der Hemden und Pilger die außerhalb der Diegese liegende Struktur des Romans wiederholt.84 Wenn die Oberfläche des Spiegels, auf dem der Ich-Erzähler Kreise freireibt, als ‚beschlagen‘ beschrieben wird, liest sich das auch als Hinweis auf den problematisch gewordenen Repräsentationsanspruch der Literatur und die entsprechende Spiegelmetaphorik. Die wechselseitigen Spiegelungen zwischen innerhalb und außerhalb der Diegese liegenden Elementen stellen auch die Möglichkeiten der Repräsentation zur Disposition.85 Noch bevor die Berluti-Schuhe gänzlich unbrauchbar geworden sind, kommt es zu einer Begegnung mit einem „kleine[n] Mönch“,86 die das Scheitern von Repräsentation demonstriert, als der Ich-Erzähler versucht, den Mönch mit Hilfe einer Zeichnung auf dem Boden nach dem Mount Kailasch zu fragen: Ich malte derweil mit der dreigeteilten Spitze meines Stabes die Umrisse eines Berges in den Sand zu unseren Füßen. Der kleine Mönch hockte sich hin und sah es sich genau an, erkannte aber nicht, was ich da zeichnete, obwohl er die Stirn in tiefe Falten legte und den Kopf mal nach rechts und mal nach links hielt. Ich dachte, daß es so viele verschiedene Dinge, die nach oben hin spitz zuliefen, hier in dieser Einöde ja gar nicht gab, aber er schien wirklich nicht zwischen meinen Skizzen des Berges und dem Berg, den ich suchte, einen Zusammenhang herstellen zu können. Ich wischte den Sand mit der aufgeplatzten Spitze des Berluti-Schuhs an meinem Fuß immer wieder glatt und begann die Zeichnung von neuem […], aber es nützte nichts – der Mönch wußte nicht, was ich meinte.87
84 In diesem Kontext kann auch das wiederholt erwähnte Paisley-Tuch gelesen werden, dessen ornamentales Muster selbst aus wiederholten und ineinander verschachtelten Motiven besteht. Zugleich wird das Paisley-Muster von Christopher in seiner historischen Genese erklärt, es bildet also, wie viele der Dinge in 1979, ein Objekt, das sowohl Selbstreferentialität als auch semantische Dichte erzeugt: „Weißt Du, woher das Paisleymuster, das im Iran so beliebt ist, eigentlich stammt? Man sagt, daß Omar, der die bis dahin zoroastrischen Perser zwang, den Islam anzunehmen, es als Symbol entwickelte, um die Gebrochenheit der Macht des Zoroastrertums zu verdeutlichen. Sieh nur, das Paisley ist eine Fichte, die sich beugt. Und die Fichte ist ja das Zeichen der Zoroastrer, siehst Du?“. Kracht: 1979, S. 64f. 85 Mit den Spiegelungen zwischen der intradiegetischen und der extradiegetischen Ebene wird anstelle einer einfachen Widerspiegelung der Wirklichkeit ein „jeu de miroirs internes“ erzeugt, wie es Claude Simon für seine dem Nouveau roman nahestehende Prosa beschrieben hat. Dieses Spiel führt zu einer Oszillation zwischen einer tendence référentielle und einer tendence littérale (Jean Ricardou). Siehe hierzu Ilias Yocaris: Esquisse d’une nouvelle approche de la référence. In: La Revue des Lettres Modernes (1997): Claude Simon 2: L’écriture du féminin/masculin, S. 153–181, hier S. 153. 86 Kracht: 1979, S. 134. 87 Kracht: 1979, S. 134f.
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Wiederholt zeichnet der Ich-Erzähler den Mount Kailasch bzw. „einen anderen Berg, eine andere Grundform, Berge mit mehreren Gipfeln“,88 aber diese Zeichnungen bleiben für den Mönch unverständlich – trotz seinem hermeneutischen Bemühen, für das er seine Stirn in ‚tiefe Falten‘ legt. Der Ich-Erzähler produziert damit immer neue Zeichen, die als bloße Signifikanten ein Spiel von Wiederholung und Differenz eröffnen, das sich nicht der Repräsentation fügen will. Der Berluti-Schuh schafft dafür die Voraussetzung: Indem der Ich-Erzähler mit dessen aufgeplatzter Spitze den Sand ‚glatt‘ wischt, schafft er einen ‚glatten‘, von festen Bedeutungen befreiten Raum im Sinne von Deleuze und Guattari, den er dann immer von Neuem ‚einkerbt‘89 – und zwar vergeblich, insofern die damit eröffneten Sinnangebote für den Mönch uneingelöst und ‚glatt‘ bleiben. Auch dieses intradiegetisch inszenierte Spiel der Signifikanten von Wiederholung und Differenz findet eine Entsprechung auf der Ebene des discours, wenn der Ich-Erzähler mit der ‚dreigeteilten Spitze‘ seines Stabes zeichnet, er seine Zeichnungen mit der ‚aufgeplatzten Spitze‘ seines Schuhs verwischt und schließlich irritiert ist über die Unfähigkeit des Mönches, in seinen Zeichnungen den Mount Kailasch zu erkennen, obwohl es doch ‚so viele verschiedene Dinge, die nach oben hin spitz zuliefen, hier in dieser Einöde ja gar nicht gab‘.90 Hat sich jedoch mit diesem Misstrauen in die Repräsentation auch die Materialität der innerhalb der Diegese dargestellten Dinge erledigt? Keineswegs. Doch erfordert die Krise der Repräsentation andere als hermeneutische Zugangsweisen zu dieser Materialität. Im Folgenden soll die ästhetiktheoretische Debatte, wie sie von Martin Heidegger und Frederic Jameson am Beispiel von Schuhen als Gegenstand der künstlerischen Darstellung geführt wurde, umrissen werden. Sie zeigt, dass die Materialität allem Misstrauen in die Repräsentation zum Trotz von semiologischem Interesse bleibt.
88 Kracht: 1979, S. 135. 89 Zum glatten und gekerbten Raum siehe das Kapitel 1440 – Das Glatte und das Gekerbte in Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 657–693. 90 Als ein weiterer textinterner Verweis kommt das oben erwähnte Ausrichten der Schuhe ‚mit der Spitze zur Wand‘ im Teheraner Krankenhaus hinzu.
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5.3 Vom Wesen der Dinge zur Oberflächenhaftigkeit der Postmoderne: Martin Heidegger und Frederic Jameson über Schuhe in der Kunst Mit den Berluti-Schuhen eignet sich 1979 kein beliebiges Kleidungsstück an. Nicht nur, dass durch die Marke Berluti, wie gezeigt, die soziale Distinktion eines warenästhetischen Dandytums und die Literatur der Klassischen Moderne konnotiert werden. Schon die Schuhe als Schuhe, also unabhängig von ihrer Marke, stellen ein konnotationsreiches Stück Bekleidung dar. Auf sie trifft in besonderer Weise zu, was Michail Bachtin über das Verhältnis von Dingen und Wörtern im Prozess der Literarisierung konstatiert: So findet jedes konkrete Wort (die Äußerung) jenen Gegenstand, auf den es gerichtet ist, immer schon sozusagen besprochen, umstritten, bewertet vor und von einem ihn verschleiernden Dunst umgeben oder umgekehrt vom Licht über ihn bereits gesagter, fremder Wörter erhellt. Der Gegenstand ist umgeben und durchdrungen von allgemeinen Gedanken, Standpunkten, fremden Wertungen und Akzenten. Das auf seinen Gegenstand gerichtete Wort geht in diese dialogisch erregte und gespannte Sphäre der fremden Wörter, Wertungen und Akzente ein, verflicht sich in ihre komplexen Wechselbeziehungen, verschmilzt mit den einen, stößt sich von den anderen ab, überschneidet sich mit dritten; und all das kann das Wort wesentlich formen, sich in allen seinen Bedeutungsschichten ablagern, seine Expression komplizieren, auf das gesamte stilistische Erscheinungsbild einwirken.91
1979 erscheinen Bachtins Ausführungen über die Ästhetik des Wortes postum auf deutsch. Für Krachts Roman 1979 ist der von Bachtin beschriebene Umstand, dass jeder Gegenstand noch vor seiner aktuellen Literarisierung als schon ‚besprochener‘ erscheint, insofern von poetologischer Tragweite, als die mit den Schuhen verbundenen tradierten Symboliken des sozialen Status, des Sexuellen, aber auch der poetischen Entfaltungsfreiheit nicht vereindeutigt werden – der Roman stößt, mit Bachtin gesprochen, kaum eine der möglichen Bedeutungen ab.92
91 Michail M. Bachtin: Die Ästhetik des Wortes. Hg. von Rainer Grübel. Frankfurt am Main 1979: Suhrkamp. S. 169f. 92 Mit Bachtins Ausführungen teilt der Roman überdies die Lichtmetaphorik resp. Lichtführung, die in 1979 – ähnlich wie in der zitierten Passage aus Bachtins Ästhetik des Wortes – von der „[F]inster[nis]“ (Kracht: 1979, S. 75) des Teheraner Krankenhauses über „fahlorangenes Licht“ (S. 42), wiederholtes „Mondlicht“ (S. 41 u. 131), „Neonlampen […] ohne wirkliche Helligkeit“ (S. 72), dem „gelbe[n] Schein der kleinen Nachttischlampe“ mit „diffus[em] und geheimnisvoll[em]“ (S. 78f.) Licht bis zum hellen „Licht der Scheinwerfer“ (S. 70) reicht. Die Lichtführung teilt 1979 zudem mit dem Magischen Realismus, vgl. dazu Michael Scheffel: Magischer Realismus. Die Geschichte eines Begriffes und ein Versuch seiner Bestimmung. Tübingen 1990: Stauffenburg Verlag. Bes. S. 91f. Zum Verhältnis von Popliteratur und Magischem Realismus siehe
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Unter den ‚besprochenen Gegenständen‘ des 20. Jahrhunderts erweisen sich Schuhe jedoch noch über ihre tradierte Symbolik hinaus als besonders bedeutsam, werden sie doch zu einem der wichtigsten Objekte für die kunstästhetische Debatte um Moderne und Postmoderne. Ihren Ausgangspunkt nehmen die Erörterungen in Martin Heideggers Vortrag Der Ursprung des Kunstwerks, den dieser am 13. November 1935 in der Kunstwissenschaftlichen Gesellschaft zu Freiburg i. Br. hält. Heidegger setzt sich darin mit einem Gemälde Vincent van Goghs auseinander, das ein Paar Bauernschuhe zeigt, und erkennt in dieser bildnerischen Darstellung „die Eröffnung dessen, was das Zeug, das Paar Bauernschuhe, in Wahrheit ist“ (Abb. 89).93 Der Vortrag fragt nach dieser ‚Wahrheit‘ der Schuhe ebenso wie nach dem „Wesen der Kunst“.94 Dabei weist die ‚Wahrheit‘ der Dinge, die das Kunstwerk Heidegger zufolge imstande ist offenzulegen, stets über ihre konkrete, individuelle Erscheinungsform hinaus: „[I]m Werk“, so Heidegger, „handelt es sich […] nicht um die Wiedergabe des jeweils vorhandenen einzelnen Seienden, wohl dagegen um die Wiedergabe des allgemeinen Wesens der Dinge.“95 Deshalb reiche es nicht aus, „im Bilde die bloß dastehenden leeren, ungebrauchten Schuhe an[zu]sehen“: Nach dem Gemälde von van Gogh können wir nicht einmal feststellen, wo diese Schuhe stehen. Um dieses Paar Bauernschuhe herum ist nichts, wozu und wohin sie gehören könnten, nur ein unbestimmter Raum. Nicht einmal Erdklumpen von der Ackerscholle oder vom Feldweg kleben daran, was doch wenigstens auf ihre Verwendung hinweisen könnte. Ein Paar Bauernschuhe und nichts weiter. Und dennoch. Aus der dunklen Öffnung des ausgetretenen Inwendigen des Schuhzeugs starrt die Mühsal der Arbeitsschritte. In der derbgediegenen Schwere des Schuhzeuges ist aufgestaut die Zähigkeit des langsamen Ganges durch die weithin gestreckten und immer gleichen Furchen des Ackers, über dem ein rauher Wind steht. Auf dem Leder liegt das Feuchte und Satte des Bodens. Unter den Sohlen schiebt sich hin die Einsamkeit des Feldweges durch den sinkenden Abend. In dem Schuhzeug schwingt der verschwiegene Zuruf der Erde, ihr stilles Verschenken des reifenden Korns und ihr unerklärtes Sichversagen in der öden Brache des winterlichen Feldes. Durch dieses Zeug zieht das klaglose Bangen um die Sicherheit des Brotes, die wortlose Freude des Wiederüberstehens der Not, das Beben in der Ankunft der Geburt und das Zittern in der Umdrohung des Todes. Zur Erde gehört dieses Zeug und in der Welt der Bäuerin ist es behütet.96
auch Moritz Baßler: „Totenpark mit Riesenrad“. Zum Verhältnis von Magischem Realismus und Pop. In Linck u. Mattenklott (Hg.): Abfälle, S. 215–232. 93 Martin Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerks. Mit einer Einführung von Hans-Georg Gadamer. Stuttgart 1960: Philipp Reclam jun. S. 30. Herv. im Orig. 94 Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerks, S. 30. 95 Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerks, S. 31. 96 Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerks, S. 27f. Herv. im Orig.
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Abb. 89: Ein Paar Schuhe von Vincent van Gogh, 1887.
Nichts, so Heidegger, deute in van Goghs Darstellung der Schuhe auf deren Herkunft und Verwendung hin, ‚und dennoch‘ ersteht in Heideggers Beschreibung des Bildes die bäuerliche ‚Welt‘. Dies geschieht für Heidegger jedoch nicht etwa im Sinne eines Archivismus durch ‚kulturelle Energie‘ – gerade hierfür fehlen die Anhaltspunkte. Heidegger wirft die Frage auf, ob es nicht zum Werk gehöre, „daß es in Bezügen steht“, und befindet: „Das Werk gehört als Werk einzig in den Bereich, der durch es selbst eröffnet wird. Denn das Werksein des Werkes west und west nur in solcher Eröffnung“.97 Dass das Kunstwerk trotz dieser Geschlossenheit dennoch Aufschluss über die Schuhe gibt, überantwortet Heidegger der Hermeneutik und zitiert deren Topos des Gesprächs98: „Dieses [das Kunstwerk, B. W.]
97 Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerks, S. 37. 98 Zum Gespräch als dem Grundmodell der Hermeneutik siehe insbes. Gadamer: Wahrheit und Methode.
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Abb. 90: Diamond Dust Shoes von Andy Warhol, 1980.
hat gesprochen“,99 deshalb gibt es „zu wissen, was das Schuhzeug in Wahrheit ist“.100 Mit der Postmoderne verschiebt sich jedoch das Erkenntnisinteresse oder genauer: verschieben sich, wie Julia Kristeva in ihrem 1979 erscheinenden Aufsatz über Le vréel darlegt, die epistemologischen Grenzen von der ‚Wahrheit‘ zur Wirklichkeit.101 Gut ein halbes Jahrhundert nach Heidegger, 1991, stellt Frederic Jameson in Postmodernism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism Heideggers Lesart von van Goghs Bauernschuhen eine Lektüre von Andy Warhols Diamond Dust Shoes aus dem Jahr 1980 (Abb. 90) gegenüber. In van Goghs und Warhols Darstellungen von Schuhen stehen für Jameson Moderne und Postmoderne
99 Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerks, S. 29. 100 Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerks, S. 29f. 101 Julia Kristeva: Le vréel. In: Dies.: Folle vérité. Vérité et vraisemblance du texte psychotique. Séminaire dirigé par Julia Kristeva et édité par Jean-Michel Ribettes. Paris 1979: Éditions du Seuil. S. 11–35.
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einander exemplarisch gegenüber. Während van Goghs Bauernschuhe bei Heidegger eine hermeneutische Deutung nach sich ziehen, verwehren die Schuhe Warhols, die durch eine glänzende Oberfläche aus Diamantenstaub versiegelt sind, diesen Zugang: There is […] in Warhol no way to complete the hermeneutic gesture and restore to these oddments that whole larger lived context of the dance hall or the ball, the world of jetset fashion or glamour magazines.102
Das Bild der Schuhe eröffnet kein Gespräch mit seinem Betrachter und verweigert sich somit der Voraussetzung hermeneutischen Verstehens.103 Es steht für das Ende des hermeneutischen „Tiefenmodells“ (depth model).104 Was Warhols Darstellung der Schuhe von derjenigen van Goghs unterscheide, sei ihre Oberflächenhaftigkeit: „The first and most evident [difference, B. W.] is the emergence of a new kind of flatness or depthlessness, a new kind of superficiality in the most literal sense, perhaps the supreme formal feature of all the postmodernisms“.105 Indem sich Warhols Bild der Möglichkeit einer hermeneutischen Tiefenoperation entzieht, ‚entbirgt‘ es keine ‚Wahrheit des Seienden‘, sondern vollzieht eine Angleichung an die Wirklichkeit der Hochglanzbilder aus Reklameanzeigen – allerdings:106 [I]t is as though the external and colored surface of things – debased and contaminated in advance by their assimilation to glossy advertising images – has been stripped away to reveal the deathly black-and-white substratum of the photographic negative with subtends them.107
Für Jameson markiert die Gegenüberstellung von van Goghs Bauernschuhen und Warhols Dance Hall-Schuhen nicht bloß eine Veränderung des gezeigten Gegenstandes, sondern eine fundamentale Veränderung der Objektwelt überhaupt, die nun von Bildern der Reklame geprägt ist, und ebenso fundamentale Veränderungen in der Disposition der Subjekte nach sich zieht, weshalb Jameson aus marxis-
102 Frederic Jameson: Postmodernism, or, The Cultural Locig of Late Capitalism. London u. New York 1991: Verso. S. 8f. 103 „Andy Warhol’s Diamond Dust Shoes evidently no longer speaks to us with any of the immediacy of Van Gogh’s footgear; indeed, I am tempted to say that it does not really speak to us at all.“ Jameson: Postmodernism, S. 8. 104 Jameson: Postmodernism, S. 12. 105 Jameson: Postmodernism, S. 9. 106 Jameson: Postmodernism, S. 9. 107 Jameson: Postmodernism, S. 9.
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tischer Perspektive die Verdinglichung (commodification) zum Hauptgegenstand von Warhols gesamtem Werk erhebt108 – diese bildet das tödliche Schwarz-WeißSubstrat, das die Diamond Dust Shoes Jameson zufolge aufdecken. Jameson wie Heidegger exemplifizieren in ihren Bildlektüren ihre philosophischen Positionen. Hermeneutische Fundamentalontologie und eine marxistische Sicht auf die Postmoderne stehen damit einander gegenüber. Jamesons Abgrenzung von Heideggers Deutung des van Gogh-Gemäldes erzeugt dabei Oppositionen zwischen Moderne und Postmoderne, zwischen dem tradierten ‚Tiefenmodell‘ und der neuen Oberflächenhaftigkeit (superificiality), zwischen Hermeneutik und ihrem Versagen. Bemerkenswert ist dabei die Bedeutung, die den dargestellten Dingen innerhalb – und auch entgegen – ihren Lesarten zukommt. Denn wenngleich Heidegger erklärt, dass das Kunstwerk ‚spreche‘, so liest er die existentielle Sorge, den Angelpunkt seiner Philosophie, doch vielmehr in die Materialität der Schuhe hinein als aus ihnen heraus und macht aus einem Paar alter Schuhe, die vermutlich van Gogh selbst gehört haben, ausgetretene Bauernschuhe, in die sich die Mühsal der Feldarbeit eingeschrieben habe.109 Diese Fehllektüre zeigt eine wichtige Materialeigenschaft der Schuhe auf: die Fähigkeit des Leders, die Individualität ihres Trägers anzunehmen110 – sie zeigt aber zugleich auf, wie prekär die Kategorien sind, die sich eine hermeneutische Lektüre, wie Heidegger sie vollzieht, zur Voraussetzung macht. 1979 verhandelt diesen prekären Status, wenn sich der Ich-Erzähler die Berluti-Schuhe seines Freundes Christopher aneignet, ohne dabei die individuelle Form zu thematisieren.111
108 Vgl. Jameson: Postmodernism, S. 9. 109 Rüdiger Safranski weist darauf hin, dass es sich um die Schuhe des Künstlers handelt, die Heidegger irrtümlicherweise für Bauernschuhe hält. Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Martin Heidegger und seine Zeit. Frankfurt am Main 2001: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 333. 110 Am Beispiel von Peter Greenaways Installation The Physical Self (1991–92) führt Monika Wagner in ihrer Studie über Das Material der Kunst diesen Aspekt des Leders von Schuhen aus: „An der jeweiligen Individualität der getragenen Schuhe […] ist ganz wesentlich ihr Material – das Leder – beteiligt. Leder wird bei Schuhen, Handschuhen oder anderen Bekleidungsstücken nicht nur funktional als eine zweite Haut benutzt, vielmehr handelt es sich dabei materialiter um enthaartes Fell, also um animalische Haut. Die Geschmeidigkeit und Elastizität gegerbter Tierhäute läßt im vielfachen Gebrauch eine Formung durch den Körper zu und bewahrt so dessen Form, ja sogar dessen Verhalten wie in einem Langzeitabdruck. Damit erst werden die durch Gestaltung und Verarbeitung unterschiedlichen Massenartikel – Schuhe oder Handschuhe – zu „Individuen“ mit einer mehr oder weniger gealterten Haut, die ihre jeweilige Geschichte erzählen.“ Wagner: Das Material der Kunst, S. 86. 111 Mit der Aneignung der Schuhe des Verstorbenen wiederholt der Roman zugleich ein wiederkehrendes Motiv aus den Kriegsromanen des 20. Jahrhunderts, wie es sich u.a. in Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues (1929) findet. Dort wird die Aneignung der Stiefel als ein heikler
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Berluti-Schuhe werden maßangefertigt und somit schon im Produktionsprozess individuell nach dem künftigen Träger geformt.112 Im Roman stehen die Schuhe jedoch für die Auslöschung ihres einstigen Trägers. Als die Schuhe bei Ankunft am Mount Kailasch zerfallen, hat der Ich-Erzähler Christophers Gesicht bereits vergessen,113 womit der Text zugleich einen seit der Moderne und insbesondere bei Brecht immer wieder thematisierten Topos aufruft.114 Jameson erkennt den Oberflächencharakter der postmodernen Ästhetik und weiß um die Unzulänglichkeit der Hermeneutik angesichts dieser Kunst. Dass die Diamond Dust Shoes darum nichts über die Welt, der sie entstammen, aussagen, wie Jameson meint, ist allerdings nicht plausibel. Denn indem Warhols Bild sich der Reklame angleicht, legt es den entscheidenden Zug dieser Schuhe offen: sie sind nicht gänzlich losgelöst von der Warenästhetik und den glamour magazines semantisierbar. Diese Semantisierungen sind aber eben nicht hermeneutisch, nicht durch Rückgriff auf ein ‚Tiefenmodell‘, sondern semiologisch, an der Oberfläche der im ‚postmodernen Raum‘115 befindlichen Erscheinungen zu klären und
Akt dargestellt, der den prekären Status der Individualität im Ersten Weltkrieg offenlegt. Als die Kameraden ihren beinamputierten Mitkombattanten Kemmerich im Lazarett besuchen und wissen, dass er nicht überleben wird, sorgt sich Müller um die Stiefel, „herrliche englische Schuhe aus weichem, gelben Leder“ und will sie mitnehmen; der Ich-Erzähler, der während Kemmerichs Tod anwesend ist, wird Müller die Schuhe aus dem Lazarett mitbringen: „[E]r probiert sie an. Sie passen genau. –“. Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues. Berlin 1929: Propyläen-Verlag. S. 21f. u. 39. In Faserland stiehlt der Protagonist die Barbour-Jacke eines Freundes. Vgl. Kracht: Faserland, S. 81. 112 http://www.berluti.com/#/creation/tailored [04. 10. 2010]. 113 „Die besten Schuhe der Welt konnten also noch nicht einmal einen Monat in den Bergen überstehen, dachte ich, und dann kam mir Christopher wieder in den Sinn, wie ich die Schuhe in seinem Sterbezimmer mit der Spitze nach vorne zur Wand gestellt hatte, und als ich versuchte, mir Christophers Gesicht vorzustellen, konnte ich ihn nicht mehr sehen.“ Kracht: 1979, S. 127. Die Schuhe eröffnen dem Ich-Erzähler damit seine einzige Erinnerung, die narratorisch zugleich die einzige interne Analepse und das einzige repetitiv erzählte Geschehen des Romans bildet. Diese Erinnerung bezieht sich jedoch gerade nicht auf ihren einstigen Träger, sondern einzig auf das eigene Tun des Ich-Erzählers, die dandyistische Geste, mit der er die Schuhe im Teheraner Krankenhaus ausgerichtet hatte. 114 Vgl. etwa die Verse aus der Erinnerung an die Marie A.: „Und fragst du mich, was mit der Liebe sei? / So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern. / Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst / Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer / Ich weiß nur mehr: Ich küßte es dereinst.“ Bertolt Brecht: Erinnerung an die Marie A. In: Ders.: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei u. Klaus-Detlef Müller. Bd. 11: Gedichte 1: Sammlungen 1918–1938. Bearb. von Jan Knopf u. Gabriele Knopf. Frankfurt am Main / Berlin u. Weimar 1988: Suhrkamp / Aufbau-Verlag. S. 92f., hier S. 92. 115 Zu Jamesons Konzept des postmodernen Raums siehe Björn Weyand: Postmoderner Raum. In: Günzel (Hg.): Lexikon der Raumphilosophie, S. 310–311.
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können von hier aus kulturpoetologische Relevanz erlangen: So entspricht die in 1979 vollzogene und für die ansonsten gegenwartsbezogene Popliteratur ungewöhnlich erscheinende Verlagerung des Geschehens in die Vergangenheit einem historisierenden Verfahren, das nicht nur literaturtheoretisch unter dem Vorzeichen des New Historicism, sondern ebenso warenästhetisch seit Beginn der 1980er Jahre an Verbreitung findet – zu den besonderen Gestaltungsverfahren der Marke Berluti gehört die 1980 eingeführte Herstellung einer künstlichen ‚Patina‘, von der das Unternehmen behauptet, sie sei eine Erfindung „qui révolutionne l’univers du soulier masculin“.116 Jameson selbst führt indes wieder ein hinter der Oberfläche liegendes Substrat ein, wenn er vermeint, Warhols Bilder deckten vor allem die Verdinglichung als dem ‚tödlichen Schwarz-Weiß-Substrat‘ auf. Vielmehr rückt die getilgte Farbigkeit die Diamond Dust Shoes in die Nähe der im kollektiven Bildgedächtnis verankerten Schwarz-Weiß-Fotografien von Schuhbergen aus den nationalsozialistischen Konzentrationslagern117 und zeigt damit, dass jede künstlerische Aneignung die Dinge verändert und in vielfache semiologische Bezüge setzt. Der Schrecken, der von solchen Bezügen ausgeht, gehört für 1979 zum ästhetischen Programm, wie sich im Folgenden anhand der poetologischen Metapher des Filzes zeigt.
5.4 Filz, oder: Im Reich der Zeichen Mit ihrer Inthronisation als Müllkunst endet die Geschichte der Berlutis. Damit ist jedoch noch nicht die Geschichte des Schuhwerks an ihrem Ende angelangt. Angesichts der sich allmählich vollziehenden Auflösung der Lederschuhe beginnt der Ich-Erzähler damit, sich unter Anleitung seines Führers Filzschuhe zu nähen; heimlich stellt der Führer die Schuhe fertig und überreicht sie dem Erzähler am Mount Kailasch.118 Wie die Schuhe aus Leder bildet auch der Filz einen diskursprägenden Gegenstand der Kunst, der vor allem nach 1945 und insbesondere im Werk Joseph Beuys’ als vielseitiges Material Verwendung findet.119 Der Tausch der Berluti-Schuhe gegen die Filzschuhe bedeutet auch einen Tausch poetologisch zu deutender Objekte. Mit den Lederschuhen der Marke Berluti wurden Warenästhetik, Dekadenz und Klassische Moderne sowie die kunsttheoretische Debatte um Moderne und Postmoderne konnotiert. Die Aneignung des Filzes demonstriert
116 117 118 119
http://www.berluti.com/#/creation/sheen/1 [18. 08. 2010]. Diese Assoziation entgeht freilich auch Jameson nicht, siehe Jameson: Postmodernism, S. 8. Vgl. Kracht: 1979, S. 128 u. 138. Wagner: Das Material der Kunst, S. 197–221.
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zunächst das Abstreifen des wichtigsten Markenprodukts, das in 1979 vorkommt, und kündigt den Weg in eine markenfreie Welt an, in entsprechender Gegenbewegung zu Andy Warhols Topografie des Pop: „The farther west we drove, the more Pop everything looked on the highways.“120 Zugleich eignet sich die Textur mit dem Filz eine wichtige textile Metapher der Postmoderne an.
5.4.1 Filz als textile Metapher der Postmoderne Die Filzschuhe bilden, materialästhetisch betrachtet, nur mehr einen Teil der gesamten Bekleidung des Protagonisten, von der sie sich materialiter nicht unterscheiden. Denn auf dem Weg zum Mount Kailasch erhält der Ich-Erzähler von seinem Führer auch ein Gewand aus Filzstreifen gegen die Kälte. Damit wird die tradierte textile Metaphorik des Textes als Gewebe zur Disposition gestellt. Kaum zufällig lässt der Ich-Erzähler mit seiner hell karierten Unterhose von Brooks Brothers – einer Marke, die schon vom Ich-Erzähler in Faserland erwähnt wird121 – ein Stück gewebeförmiges Textil zurück, als er sich nach einem Bad in einem Gebirgssee wieder in seinen Filz hüllt und das Markendessous jenem tibetischen Mönch vermacht, dem er vergeblich den Mount Kailasch in den Sand zeichnet: Während wir unsere Filzgewänder wieder überstreiften, kam der junge Mönch näher, hockte sich hin und untersuchte unsere Unterhosen, die wir zum Trocknen in die Sonne auf einen flachen Stein gelegt hatten. Meine Unterhose war von Brooks Brothers, sie war kariert, mit einem hellen MadrasMuster versehen. Der Mönch hielt sie hoch und sah mich bittend an. Ich gab ihm mit einer Geste zu verstehen, er könne sie gerne behalten.122
Der Text als ‚Gewebe‘ produziert unablässig ‚wunderlich hin und her laufende Beziehungen‘, wie es in Thomas Manns Zauberberg heißt, d.h. er stiftet, wie in Kapitel 2 gesehen, immer wieder sinngebende Zusammenhänge zwischen den Zeichen, welche einerseits die Semantik eines einzelnen Zeichens (wie dem Thermometer oder der Zigarre) erweitern, andererseits letztlich jedoch der Begrenzung der Semiose dienen (der Phallus als End- und Angelpunkt der Bedeutungszuweisung). Das Gewebe besteht aus durchgängigen Fäden, die aus dem Ineinander von Kette und Schuss zu unterschiedlichsten Mustern verarbeitet werden können. Das Madras-Muster der Brooks Brothers-Unterhose hebt diese
120 Warhol u. Hackett: POPism, S. 39. 121 „Meine Hemden sind alle von Brooks Brothers.“ Kracht: Faserland, S. 92. 122 Kracht: 1979, S. 133.
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Abb. 91: Boxer Shorts mit Madras-Muster von Brooks Brothers.
Eigenschaft des Gewebes hervor, da es mit seinen verschiedenfarbigen Fäden diese Verwobenheit und damit die einzelnen Fäden und ihren Verlauf betont (Abb. 91). Dass es sich bei dem von dem tibetischen Mönch untersuchten Kleidungsstück um ein Dessous handelt – also ein Stück Wäsche, das für gewöhnlich verborgen und nicht offen sichtbar getragen wird –, kann als banalisierender Kommentar auf den Anspruch gewebeartiger Texturen gelesen werden, nur durch tiefenhermeneutische Operationen zugänglich zu sein. Dieser Anspruch wird zugleich dadurch negiert, dass die Unterhose vom Ich-Erzähler auf einen Stein gelegt wurde und somit offen zutage liegt. Während der Zauberberg tiefenhermeneutische Lektüren von seinen Lesern erwartet und dazu zahlreiche Hinweise erteilt, wird dieser Anspruch in 1979 – topografisch bedeutungsvoll im Angesicht des Berges als dem Symbol poetischer Selbstreflexion inszeniert123 – nur mehr zitiert und zugleich abgelegt. Wenn der Ich-Erzähler die Unterhose dem interessierten Mönch überlässt und sich mit dem Filz begnügt, den er oberflächlich am Körper trägt, verzichtet mit ihm auch die Textur auf das Gewebe und setzt an seine Stelle den Filz als poetologische textile Metapher.124
123 „Er [der Führer des Ich-Erzählers, B. W.] sagte, Filz sei für alles gut, im Grunde brauche man nur Filz, um hier oben zu überleben.“ Kracht: 1979, S. 128. Herv. B. W. 124 Zur poetologischen Ausdeutung des Filzes siehe Drügh: „ … und ich war glücklich darüber, endlich seriously abzunehmen“, S. 44. Bereits der Titel von Krachts Erstlingsroman Faserland (1995) stellt poetologische Lesarten von Textilien bereit. Gefragt, was der Titel Faserland be-
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Im Unterschied zum Gewebe bildet Filz, wie Monika Wagner in ihrer Studie über Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne ausführt, gerade kein geordnetes System von Fäden: Filze sind keine Gewebe, bestehen nicht aus einem geordneten System von Fäden und gewinnen ihren Halt nicht aus der Verzahnung von Kette und Schuß. Vielmehr werden die tierischen Haare gewalkt und durch Wasser, Wärme und mechanischen Druck unentwirrbar miteinander verfilzt. In diesem Amalgam lassen sich Fasern verschiedener Herkunft, Wolle von Schafen, Haare von Ziegen, Hasen, Kamelen oder auch von Menschen zusammen verarbeiten.125
Die Heterogenität des Ausgangsmaterials und die Ungeordnetheit des Endprodukts unterscheiden den Filz somit grundlegend vom Gewebe. Diese Beschaffenheit macht Filz zur privilegierten textilen Metapher der Postmoderne. Als „so etwas wie ein Anti-Gewebe“126 ersetzt der Filz die Gewebe-Metapher und ihre Implikationen (wie die Geschlossenheit des Gewebes, das souveräne webende Subjekt und die begrenzte Semiose127). In den Mille Plateaux beschreiben Deleuze und Guattari die Materialeigenschaften des Filzes ähnlich wie Monika Wagner: Er [der Filz, B. W.] braucht keine einzelnen Fäden, die miteinander verwoben werden, sondern ist nur eine Verschlingung von Fasern, die durch Pressen zustande kommt […]. Das so verwickelte Material ist keineswegs homogen; und trotzdem ist es glatt und Punkt für Punkt dem Raum des Gewebes entgegengesetzt (es ist theoretisch unendlich, offen und in allen Richtungen unbegrenzt; es hat keine Vorder- oder Rückseite und auch keinen Mittelpunkt; es verbindet nichts Festes und Bewegliches, sondern breitet eher eine kontinuierliche Variation aus).128
In Übereinstimmung mit Wagner betonen auch Deleuze und Guattari die Heterogenität des im Filz verbundenen Materials. Mit dem Zurücklassen des madrasgemusterten Gewebes zugunsten der Kleidung aus Filz inszeniert 1979 eine Partizipation an dieser postmodernen Ästhetik des Heterogenen, die mit ihrer
deute, antwortet Kracht: „So etwas wie ‚Ausfasern‘. Kann auch ‚Faseln‘ bedeuten. In Deutschland definiert man sich über Telefonfasern, Kleidungsfasern, was weiß ich. Die Faserstruktur auf dem Buchumschlag hat sich die Designerin von ihrem T-Shirt abgedruckt.“ In: Die legendärste Party aller Zeiten. Christian Kracht über seinen Roman „Faserland“, über Grünofant-Eis, Busfahrer und die SPD. In: Berliner Zeitung, 19. 07. 1995. 125 Wagner: Das Material der Kunst, S. 215. 126 Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 659. 127 „Ein Gewebe hat im Prinzip eine bestimmte Anzahl von Eigenschaften“. Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 658. Herv. B. W. 128 Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 659. Herv. im Orig.
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‚kontinuierlichen Variation‘ zugleich eine Ästhetik von Wiederholung und Differenz ist.129 Poetologisch gelesen vermag der Filz die auffällige Verbindung von hochund populärkulturellen Zeichen in 1979 zu erklären,130 die sich in den zahlreichen Verweisen auf die bereits genannten und eine ganze Reihe weiterer literarischer Werke einerseits sowie den Nennungen von Hollywood-Filmen, Markenprodukten und Bandnamen andererseits manifestiert.131 Bereits die Pop-Ästhetik der 1970er Jahre hat die vor allem warenästhetisch bedingte Zunahme von Zeichen zu ihrem Gegenstand gemacht und, wie Ferdinand Kriwet in seinem Band COM.MIX (1972), zum Anlass genommen, unterschiedliche Zeichenkulturen aus der Welt der Schrift- und Zeichensprache – so der Untertitel von Kriwets Zeichensammlung – miteinander zu konfrontieren.132 Was COM.MIX jedoch „[i]n freien wie didaktischen Gegenüberstellungen und Kombinationen“133 in einer visuellen Liste aneinanderreiht, um eine historische Kontinuität aufzuzeigen,134 wird in 1979 gerade wegen seiner Heterogenität zum Filz und damit zu einem konnotationsreichen Material verbunden. Denn „[d]ie undurchsichtige Herkunft der ein-
129 Als poetologisches Prinzip macht der Filz auch die Verwendung der zahlreichen Farbadjektive erklärbar, die sich wie farbige Einsprengsel in der gesamten Textur des Romans finden, ohne jedoch ‚Fäden‘, also Isotopien zu bilden. Die Farbattribuierungen in 1979 eröffnen keine, jedenfalls keine ‚leitmotivisch‘ durchgehaltenen semantischen Zusammengehörigkeiten zwischen den Zeichen, sondern die Farben vermischen sich – so sehr sie auch für sich genommen mitunter sogar grell hervorstechen – im Hinblick auf die Farbsemantik des gesamten Romans wie die Farben der verwendeten Fasern im Filz zu einer „diffuse[n] grau-braune[n] Farbigkeit […], ohne wie in einem Gewebe ein Muster zu bilden“. Wagner: Das Material der Kunst, S. 216. 130 Vgl. Drügh: „ … und ich war glücklich darüber, endlich seriously abzunehmen“, S. 44. 131 Zu den intertextuellen Verweisen auf Popsongs sowie die Konnotationen von Bandnamen siehe das Kapitel Anfang und Ende der neuen Popliteratur? – Christian Kracht in Sascha Seiler: „Das einfache wahre Abschreiben der Welt“. Pop-Diskurse in der deutschen Literatur nach 1960. Göttingen 2006: Vandenhoeck & Ruprecht. S. 280–291, bes. S. 288–291. 132 „Dieses Buch ist eine Sammlung signifikanter Beispiele aus dem Repertoire historischer und aktueller, sich ständig vermehrender Zeichen menschlicher Kommunikation“, erklärt der Klappentext zu COM.MIX. [Ferdinand] Kriwet: COM.MIX. Die Welt der Schrift- und Zeichensprache. Köln 1972: DuMont. Klappentext. Zu Kriwets Aneignungen von vorgefundenem Zeichenmaterial siehe auch Brigitte Weingart: „Sehtextkommentar“. Zu den Bilderschriften und Schriftbildern von Ferdinand Kriwet. In: Dirck Linck u. Stefanie Rentsch (Hg.): Bildtext – Textbild. Probleme der Rede über Text-Bild-Hybride. Freiburg i. Br., Berlin u. Wien 2007: Rombach. S. 85–116. 133 Kriwet: COM.MIX, Klappentext. 134 „Die Tradition dieser Zeichensprache reicht ungebrochen – allenfalls zeitweise verdeckt – von Kerbhölzern und Feldmalereien zu Lochkarten und Neonfassaden, von Hieroglyphen und Geheimschriften zu Computer-Codes und Formelsprachen, von Stempeln, Siegeln, Wappen und Eigentumszeichen zu Waren- und Vereinszeichen […] etc. etc.“. Kriwet: COM.MIX, Klappentext.
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zelnen Ausgangsmaterialien“, so Wagner, „etwa durch Rohstoffbeschaffungen im Nationalsozialismus, als selbst Haare von KZ-Opfern verplant wurden, gibt Anlaß zu beängstigenden Vermutungen“.135 Als poetologische Metapher ist Filz in der Literatur nach dem Holocaust mit diesen Vermutungen kontaminiert und steht der ‚Reinheit‘ der sich seit 1945 erneut etablierenden Warenwelt gegenüber.136 1979 führt die Unausweichlichkeit solcher Kontaminationen am Beispiel der Swastika vor. Erneut nutzt der Roman dazu das Verfahren von Wiederholung und Differenz, indem zunächst ein „großes schwarzes Hakenkreuz“ erwähnt wird, das Alexander, ein Bekannter des Ich-Erzähers, während der Teheraner Party auf seinem roten T-Shirt trägt.137 Das T-Shirt selbst wiederholt, der bürgerschreckenden Punk-Praktik der 1970er Jahre entsprechend, das Parteisymbol der NSDAP, wie es sich etwa auch Vivienne Westwood mit ihrem Swastika-Shirt für die Sex Pistols angeeignet hatte (Abb. 92).138 Zusammen mit der Pistazienpraline bildet das Hakenkreuz eines der wenigen Objekte des Romans, die ein Zentrum aufweisen;139 allerdings wird seine Gestalt immer wieder – und insbesondere im Nationalsozialismus – als Wirbelmotiv und somit als eine Form von zirkulärer Struktur gedeutet.140 Der Roman wiederholt nun wiederum dieses Symbol an späterer Stelle, wenn der Ich-Erzähler bei Erreichen des Mount Kailasch „an der Südflanke des Berges […] klar und deutlich ein gigantisches, von der Natur aus Eis und Fels geschaffenes Hakenkreuz“ zu erkennen vermeint, das „mindestens einen Kilometer hoch und ebenso breit“ sei.141 Der Ich-Erzähler wendet die Augen ab, „ich konnte diese große Swastika nicht ansehen“.142 Obgleich hier die Swastika als buddhistisches Glückssymbol erscheint (Abb. 93),143 stellt sie für den Ich-Erzäh-
135 Wagner: Das Material der Kunst, S. 215. 136 Auf diese Opposition von Filz und Warenwelt weist Monika Wagner hin. Siehe Wagner: Das Material der Kunst, S. 217. 137 Kracht: 1979, S. 38. 138 Zur Verwendung des Hakenkreuzes in der Punk-Kultur der 1970er Jahre siehe Lorenz Jäger: Das Hakenkreuz. Zeichen im Weltbürgerkrieg. Eine Kulturgeschichte. Wien 2006: Karolinger Verlag. S. 215–218. 139 „Ich beobachtete Christopher, der am anderen Endes des Gartens neben Alexander stand, ein frisches Wasserglas Wodka in der Hand, mit dem Finger in Alexanders Brust bohrend, ins Zentrum des Hakenkreuzes hinein.“ Kracht: 1979, S. 56. 140 Elisabeth Weeber: Das Hakenkreuz. Geschichte und Bedeutungswandel eines Symbols. Frankfurt am Main, Berlin, Bern u.a. 2007: Peter Lang. S. 22f. 141 Kracht: 1979, S. 139f. 142 Kracht: 1979, S. 140. 143 Zur Herkunft und Tradition der Swastika in Indien und Tibet siehe Weeber: Das Hakenkreuz, bes. S. 45–54.
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Abb. 92: Swastika-Shirt von Vivienne Westwood für die Sex Pistols, 1970er Jahre.
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Abb. 93: Die Swastika als buddhistisches Symbol auf dem Thron des Regenten Reting Rimpotsche.
ler – zumindest offenbar, denn ausgesprochen wird dies nicht – die überdimensionierte Version des nationalsozialistischen Hakenkreuzes dar.144 Hatte der IchErzähler das Hakenkreuz-T-Shirt auf der Teheraner Party mit den noch harmlosen Worten kommentiert: „Interessantes T-Shirt“ und dafür von seinem Träger die Frage gestellt bekommen: „Was weißt Du darüber?“,145 so wird ihm gerade diejenige Swastika unerträglich, die nicht, jedenfalls nicht von sich aus, auf den Nationalsozialismus verweist und von der er annimmt, sie sei ‚von der Natur aus Eis und Fels geschaffen‘. Damit schildert der Roman eine Lesart seiner Zeichen, die er für den extradiegetischen Leser selbst provoziert, wenn das Ende von 1979 im Lager spielt, das in der deutschsprachigen Literatur nach 1945 unweigerlich
144 Damit verhandelt der Roman auch die deutsche Erinnerungskultur, siehe hierzu Christian Rink: Christian Kracht und die „totale Erinnerung“. Zur Vermittlung des ‚Erinnerungsdiskurses‘ als Aufgabe der Interkulturellen Literaturwissenschaft. In: Christoph Parry u. Edgar Platen (Hg.): Autobiographisches Schreiben in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Bd. 2: Grenzen der Fiktionalität und der Erinnerung. München 2007: Iudicum. S. 242–254. 145 Kracht: 1979, S. 38.
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die nationalsozialistischen Konzentrationslager konnotiert. Und er zeigt, dass es keine ‚Natur‘, keinen Raum jenseits der kulturell geprägten Wahrnehmung, gibt.146
5.4.2 Der ‚glatte‘ Raum und seine Einkerbungen: Die Kunstlandschaft von 1979 zwischen Diegese, Selbstreferentialität und Intermedialität In der postmodernen Theorie korrespondiert der Filz mit Konzeptionen des Raums. In L’HOMME et la matière (1943) beschreibt der Anthropologe André Leroi-Gourhan die Oberfläche ‚geschmeidiger Festkörper‘, zu denen er auch den Filz zählt, als gleichmäßige oder ‚kontinuierliche‘: La classification adoptée ici est fondée sur leur [gemeint sind die ‚solides souples‘, B. W.] état définitif: les uns se présentent en surfaces continues (écorce, papier, feutre, cuir) les autres ont une surface irrégulière, faite d’éléments plus ou moins étroitement assemblés (étoffes, vanneries).147
An diese Beschreibung der amorphen, glatten Oberflächen schließen Deleuze und Guattari in den Mille Plateaux an und unterscheiden den ‚glatten‘ Raum, dem sie den Filz zuordnen, vom ‚gekerbten‘ Raum, der mit dem strukturierten Gewebe in Beziehung gesetzt wird.148 Als filzartige Textur entspricht 1979 demgemäß dem glatten Raum. Davon zeugt auch die Betonung eines fehlenden Zentrums.149 Dieses glatte ‚Reich der Zei-
146 Gerade Tibet ist ein Ort, der von geopolitischen Interessen besetzt ist. So lässt sich das Hakenkreuz zugleich als Hinweis auf die nationalsozialistische Tibet-Erforschung lesen, die sich nicht zuletzt über die Herkunft des Hakenkreuzes begründet. Dokumentiert und medial als Faszinosum inszeniert wird diese Erforschung bspw. durch den von Heinrich Himmler geförderten Film von Ernst Schäfer u. Hans-Albert Lettow: Geheimnis Tibet. Ein Filmdokument der SchäferExpedition 1938/39. Deutschland 1943. Zum nationalsozialistischen Interesse an Tibet siehe auch Wolfgang Kaufmann: Das Dritte Reich und Tibet. Die Heimat des „östlichen Hakenkreuzes“ im Blickfeld der Nationalsozialisten. Ludwigsfelde 2009: Ludwigsfelder Verlagshaus. Zu den geopolitischen Fiktionen, die sich um Tibet entfaltet haben, siehe auch Andy Hahnemann: „Eine andere Globalisierung war möglich“. Zur „Geopolitical Fiction“ im Deutschland der zwanziger und dreißiger Jahre. In: Silvia Marosi, Sarah Heinz, Oliver Preukschat u.a. (Hg.): Globales Denken. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Globalisierungsprozesse. Frankfurt am Main, Berlin, Bern u.a. 2006: Peter Lang. S. 121–138. 147 André Leroi-Gourhan: L’HOMME et la Matière. Évolution et Techniques 1. Paris 1943: Albin Michel. S. 243. Herv. B. W. 148 Vgl. Deleuze u. Guatttari: Tausend Plateaus, S. 658f. 149 Vgl. Deleuze u. Guatttari: Tausend Plateaus, S. 671.
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chen‘ erweist sich indes als mehrfach ‚gekerbt‘: Als Textraum wird 1979 durch die paratextuellen Elemente strukturiert, die den Roman in zwei Teile und zwölf durchnummerierte Kapitel unterteilen. Dabei geben die Titel der beiden Teile sowohl eine räumlich-topografische als auch eine zeitliche Einteilung des Romangeschehens wieder: Teil Eins ist mit Iran, Anfang 1979 betitelt, Teil Zwei trägt den Titel China, Ende 1979. Die Anzahl der Kapitel symbolisiert mit der Zahl Zwölf die vollkommene Ordnung150 und steht somit für eine Einkerbung par excellence. Von einem ‚glatten‘ Raum, dem ein Buch entspricht, das wie Koeppens Tauben im Gras ohne Kapitel auskommt, scheint 1979 damit, dem poetologisch zu lesenden Filz zum Trotz, weit entfernt. In der Struktur gleicht 1979 durchaus traditionellen Romanen. Doch erzeugen die paratextuelle und topografische Strukturierung tatsächlich hermeneutische und räumliche Tiefe? Wie gesehen, ist die Zwölf sowohl paratextuelles Element als auch wiederholtes Element innerhalb der Diegese (die zwölf hellblauen Pierre Cardin-Hemden Christophers, die zwölf tibetischen Pilger) und bewirkt durch diese textinternen Spiegelungen selbstreferentielle Effekte. Auch die Titel der beiden Teile stehen zwischen Diegese und Selbstreferentialität: Zum einen zeigen sie die räumliche und zeitliche Strukturierung der Diegese an, zum anderen sind Anfang 1979 und Ende 1979 zugleich als selbstreferentielle Bezeichnungen des Anfangs- und des Schlussteils von 1979 lesbar – und sparen auch hier das Zentrum, einen Mittelteil, aus, dessen es nach dem gängigen Dispositionsschema bedürfte.151 Hinsichtlich der topografischen Strukturierung des Romans tritt die zweiteilige Untergliederung in Iran und China allerdings in Konkurrenz zu einer dreiteiligen Struktur, die sich neben Teheran aus dem Mount Kailasch und dem chinesischen Umerziehungslager zusammenfügt, die mit Dante als Hölle, Fegefeuer und Paradies gelesen werden können. Damit wird nach Karl Marx ein weiterer intertextueller Bezugspunkt eröffnet, den die Widmung an Olaf Dante Marx enthält: Dante Alighieris Divina Commedia. Das Teheraner „Höllenkrankenhaus“152, in dem Christopher stirbt, macht den Bezug zum Inferno explizit.153 Diese Verbindung zu literarisch tradierten dystopischen, infer-
150 Zur Zahl Zwölf als Symbol der Ordnung und der Vollkommenheit siehe Ulrich Ernst: Zwölf. In: Butzer u. Jacob (Hg.): Metzler Lexikon literarischer Symbole, S. 442f. 151 Zum dreigliedrigen Dispositionsschema siehe Clemens Ottmers: Rhetorik. Stuttgart 2007: J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung. S. 62–64. 152 Kracht: 1979, S. 78. 153 Mit der Divina Commedia teilt 1979 überdies die Midlife-Crisis ihres Protagonisten: „Grad in der Mitte unsrer Lebensreise / Befand ich mich in einem dunklen Walde, / Weil ich den rechten Weg verloren hatte“, so der Beginn der Divina Commedia (Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Übersetzt von Hermann Gmelin. Stuttgart 2003: Philipp Reclam jun. S. 7 [Inferno, Erster Gesang]). In 1979 wirft der Tod Christophers, wie oben beschrieben, Fragen über das Älterwerden auf.
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Abb. 94: Cover der Erstauflage von 1979.
nalen Welten wird unterstrichen durch den Romantitel, der mit der bloßen Jahreszahl auf George Orwells 1949 erschienenen Roman Nineteen Eighty-Four verweist,154 sowie durch die flammende Aufmachung des Buchcovers, das durch ihre Gestalter – den Grafikdesigner Peter Saville, der seit 1979 Plattencover für Joy Division, New Order u.a. gestaltete, und den Typografen Paul Barnes, der für diese Bands Logos entwarf – zugleich in den Bereich der Popkultur verweist (Abb. 94). In dieser Topografie entspricht der Mount Kailasch, der „heiligste Berg der Welt“, wie ihn Reinhold Messner in der von Christian Kracht und Eckhart Nickel herausgegebenen Zeitschrift Der Freund bezeichnet,155 dem Purgatorio, dem Läuterungsberg, auf dem zwar geradezu demonstrativ jede Reinigung des Protagonisten ausbleibt („Ehrlich gesagt fühlte ich mich nicht besonders anders, während
154 George Orwell: Nineteen Eighty-Four. London 1990: Penguin Books. 155 Reinhold Messner: Hommage à Tichy. Eine tiefe Verneigung vor dem sanftesten aller Bergsteiger. In: Der Freund (2004) H. 2, S. 16–17, hier S. 17. Zur Zeitschrift Der Freund siehe auch Moritz Baßler: Der Freund. Zur Poetik und Semiotik des Dandyismus am Beginn des 21. Jahrhunderts. In: Tacke u. Weyand (Hg.): Depressive Dandys, S. 199–217.
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ich um den heiligen Berg herummarschierte. […] Die Reinwaschung, die Mavrocordato erwähnt hatte, war einfach nicht passiert.“156) bzw. sich auf die körperliche Reinigung durch ein Bad im Gebirgssee beschränkt.157 Jedoch wird gerade hier, wo nach Dante „die tote Dichtung neu erstehen“158 soll, die neue textile poetologische Metapher des Filzes etabliert und in Anspielung auf den jüdischchristlichen Schöpfungsmythos mit den Worten kommentiert: „Ich fand, daß es gut aussah.“159 Das Ausbleiben eines ‚Gipfelerlebnisses‘ teilt der Ich-Erzähler von 1979 nicht nur mit jenem aus Peter Handkes Lehre der Sainte-Victoire, sondern die fehlende Erleuchtung verbindet ihn überdies mit Carl Einsteins Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders (1912), wo es im zwölften Kapitel heißt: „Herr, gib mir ein Wunder, wir suchen es seit Kapitel eins. Dann will ich normal sein, aber erst dann“.160 Den Angriff eines Hundes hat er wiederum mit Heinrich Harrers Schilderungen aus Sieben Jahre in Tibet (1952) gemein,161 und die Begegnung mit den buddhistischen Pilgern zum Mount Kailasch, die sich der Länge nach hinwerfend zum heiligen Berg begeben, greift neben den Schilderungen Harrers auch seine zusätzlich publizierten Fotografien sowie Sequenzen aus Jean-Jacques Annauds Verfilmung Seven Years in Tibet (1997) auf (Abb. 95–97). Durch den Vergleich der Himalaya-Landschaft mit dem „Lande Mordor“162 aus J. R. R. Tolkiens 2001 verfilmtem Lord of the Rings (1954/55) oder der zwölf tibetischen Pilger mit „abgelehnte[n] Komparsen aus Star Wars“, die „eine Art Busby-Berkeley-Choreographie“ aufführen,163 werden diese intermedialen Bezüge zusätzlich erweitert und verweisen auf weitere Kreismotive (Abb. 98). Nicht zuletzt ruft der Berg Kailasch zudem erneut den Diskurs des Dandytums auf, das der Erzähler somit nicht hin-
156 Kracht: 1979, S. 140f. 157 Dieses Bad ist zugleich von körperlicher Annäherung zwischen dem Protagonisten und seinem Führer geprägt: „Wir tauchten immer wieder unter, lachten, bespritzten uns gegenseitig mit dem Wasser und scheuerten uns mit dem hellen Sand vom Grunde des Sees die Kruste der letzten Wochen von der Haut. Das Bad war wie eine Salbung. Ich hatte mich noch nie so sauber gefühlt, so zutiefst und im Innersten rein.“ Kracht: 1979, S. 132. 158 Dante: Die Göttliche Komödie, S. 137 [Purgatorio, Erster Gesang]. 159 Kracht: 1979, S. 126. Vgl. die Genesis, wo es über Gottes Schöpfung der Welt wiederholt heißt: „Und Gott sah, daß es gut war.“ Die Bibel, 1. Buch Mose, Kapitel 1. 160 Carl Einstein: Bebuquin [1907/12]. Stuttgart 2000 (1985): Philipp Reclam jun. S. 34. 161 Kracht: 1979, S. 126. Vgl. Heinrich Harrer: Sieben Jahre in Tibet. Mein Leben am Hofe des Dalai Lama. Wien 1952: Ullstein. S. 64f. Zu Sieben Jahre in Tibet als einem Klassiker der Nachkriegsliteratur siehe Björn Weyand: Heinrich Harrer: Sieben Jahre in Tibet. Mein Leben am Hofe des Dalai Lama. In: Elena Agazzi u. Erhard Schütz (Hg.): Handbuch Nachkriegskultur. Literatur, Sachbuch und Film in Deutschland (1945–1962). Berlin 2013: de Gruyter. S. 618f. 162 Kracht: 1979, S. 125. Herv. im Orig. 163 Kracht: 1979, S. 142.
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Abb.95–96: Tibetische Pilger, fotografiert von Heinrich Harrer.
Abb. 97: Tibetische Pilger in Jean-Jacques Annauds Verfilmung Seven Years in Tibet, 1997.
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Abb. 98: Kreis-Choreographie aus Footlight Parade von Busby Berkeley, 1933.
ter sich lässt, sondern das vom Text ein weiteres Mal assoziiert wird.164 Die Schilderungen der chinesischen Haft und Umerziehung nehmen schließlich Elemente des Berichts Gefangen in Tibet (1958) von Harrers Kameraden Robert Ford auf, der 1950 in Gefangenschaft gerät und gezwungen wird, sich in Verhören durch Geständnisse „rein [zu] waschen“165 und sich „wöchentlichen Kritik- und Selbstkri-
164 Baudelaire attestierte dem Dandytum eine Selbstdisziplin, wie sie nur die Schüler des Meisters vom Berg Kailasch hatten. Siehe hierzu Johannes Birgfeld: Christian Kracht als Modellfall einer Reiseliteratur des globalisierten Zeitalters. In: Annakutty V. K. Findeis, Hans-Wolf Jäger u. Françoise Knopper (Hg.): Akten des XI. Internationalen Germanistenkongresses Paris 2005: „Germanistik im Konflikt der Kulturen“. Bd. 9: Kulturkonflikte in der Reiseliteratur. Bern u.a. 2007: Peter Lang. S. 405–411, bes. S. 410. 165 Robert Ford: Gefangen in Tibet. Mit einem Vorwort von Heinrich Harrer. Frankfurt am Main 1958: Verlag Heinrich Scheffler. S. 217.
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tik-Sitzungen“166 zu unterziehen. Dabei bildet das Lager in der topografischen Ordnung des Romans – in intertextueller Verkehrung bekannter literarischer Lagerdarstellungen wie etwa Primo Levis Ist das ein Mensch? (1947) oder Alexander Solschenizyns Im ersten Kreis (1968), in denen die nationalsozialistischen oder kommunistischen Lager mit Dantes Inferno in Beziehung gesetzt werden167 – das Paradiso: „Wir bekamen […] nichts zu essen, ab und zu befühlte ich […] meine Rippen und die Hüftknochen, die endlich, endlich weit vom Körper weg heraustraten, wie ich es immer schon gewollt hatte. Ich dachte an Christopher, daran, daß ich mich immer zu dick gefühlt hatte, und ich war glücklich darüber, endlich seriously abzunehmen“.168 Mit diesen zahlreichen intertextuellen und intermedialen Verweisen nimmt der Roman immer neue Einkerbungen des diegetischen und textuellen Raums vor, die allerdings gerade dadurch zu frei flottierenden Zeichen werden. Mit der Divina Commedia teilt 1979 die Symbolik der Zahlen,169 die allerdings in 1979 keinen semantischen Mehrwert und keine ‚Tiefe‘ erzeugt, sondern eher dem Freiwerden der Zahlen als Signifikanten in Gerhard Rühms 1979 erschienenem 12! ein zahlengedicht vergleichbar ist.170 Das Eintreten des Protagonisten der Divina Commedia in immer neue Kreise des Inferno, Purgatorio und Paradiso wird in 1979 in die wiederholten Thematisierungen des Kreisens und der Kreisläufe überführt, die in eine unendliche Zirkulation der Zeichen münden: Am Ende der Einkerbung, die der Kapitalismus in beispielloser Weise vervollkommnet hat, schafft und konstituiert das zirkulierende Kapital zwangsläufig erneut eine Art von glattem Raum […].171
Der Raum, der von 1979 entworfen wird, oszilliert zwischen Diegese, Selbstreferentialität und Intermedialität und erweist sich durch diese Zirkulationsbewegung als genuin ‚kapitalistische‘ Ästhetik. ‚Surface is an illusion, but so is depth‘ – das gilt somit nicht nur im Hinblick auf den kulturtheoretischen Topos der Oberfläche, sondern auch ganz wörtlich in Bezug auf den diegetischen Raum des Ro-
166 Ford: Gefangen in Tibet, S. 267. 167 Primo Levi: Ist das ein Mensch? In: Ders.: Ist das ein Mensch? / Die Atempause. München u. Wien 1988: Carl Hanser. Zu Dante siehe bes. das Kapitel Der Gesang des Odysseus, S. 115–121. Alexander Solschenizyn: Im ersten Kreis. Frankfurt am Main 1985: Fischer Taschenbuch Verlag. 168 Kracht: 1979, S. 166. Herv. im Orig. 169 Zur Symbolik der Zahlen in der Divina Commedia siehe Manfred Hardt: Nachwort. In: Dante: Die Göttliche Komödie, S. 535–563, bes. S. 554–563. 170 Gerhard Rühm: 12! ein zahlengedicht. In: Ders.: um zwölf uhr ist es sommer. Gedichte, Sprechtexte, Chansons, Theaterstücke, Prosa. Stuttgart 2000: Philipp Reclam jun. S. 174–176. 171 Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus, S. 681.
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mans. Die Heterogenität, die dem Filz zu eigen ist, kennzeichnet den Zeichen- wie den diegetischen Raum des Romans. Die Heterogenität der intertextuell und intermedial aufgerufenen Elemente wird in eine Kunstlandschaft verwandelt, welche die heterogenen Elemente, wie die Fasern im Filz, homogenisiert. Die Konstruktion dieser Kunstlandschaft hat – so die These, die im folgenden Abschnitt verfolgt werden soll – ein warenästhetisches Vorbild: Die Gewerbe- und Weltausstellungen, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts an der Etablierung eines warenästhetischen Weltbildes arbeiten. Am Beispiel der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, die bereits in der Einleitung zu dieser Arbeit auf den ästhetischen Wert der Warenkultur geführt hatte, lässt sich dies nachvollziehen.
5.5 Die Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896 und die Präzession der Simulakra Als Georg Simmel 1896 die Berliner Gewerbe-Ausstellung besucht und darüber den Lesern der Wiener Wochenschrift Die Zeit berichtet, beschäftigt ihn nicht nur die beschriebene Präsentation der einzelnen Waren und ihre ‚Schaufenster-Qualität‘.172 Wie bei zahlreichen anderen Besuchern gilt seine besondere Aufmerksamkeit der Architektur dieser Ausstellung. Bereits zwei Wochen vor ihm widmet der Kunstkritiker Fritz Stahl der Architektur der Gewerbe-Ausstellung einen Artikel in der Zeit und attestiert ihr, dass sie „eine Art vorbildlicher Geltung gewinnen wird“.173 Verantwortlich für die Gestaltung des Ausstellungsgeländes und der Bauten zeichneten maßgeblich die drei Berliner Architekten Karl Hoffacker, der vier Jahre später auch auf der Weltausstellung in Paris mit Bauten vertreten war, Hans Grisebach und Bruno Schmitz, dem späteren Architekten der Kaiser-Wilhelm-Denkmäler an der Porta Westfalica, am Kyffhäuser und am Deutschen Eck.174 Entscheidend für den Erfolg der Ausstellung war, dass sie sich nicht auf repräsentative Bauten für die ausstellenden Unternehmen beschränkte. Zum Konzept des Ausstellungsgeländes im Treptower Park gehörte eine Erlebnisarchitektur, welche die Besucher in ein Alpen-Panorama des Deutschen Alpenvereins führte, ein
172 Siehe den Abschnitt 2.1. Die Begründung eines kulturwissenschaftlichen Interesses an der Ästhetik der Waren: Georg Simmel besucht die ‚Berliner Gewerbe-Ausstellung‘ (1896) in der Einleitung zu dieser Arbeit. 173 Fritz Stahl: Die Architektur der Berliner Gewerbeausstellung. In: Die Zeit, 11. 07. 1896, S. 26–27, hier S. 26. 174 Zur Architektur der Berliner Gewerbe-Ausstellung siehe ausführlicher Elke Dittrich: Märchenschloß und Eisenhalle – Die Architektur der Berliner Gewerbeausstellung. In: Die verhinderte Weltausstellung, S. 57–74.
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Nordisches Blockhaus bestaunen ließ, ihnen die Möglichkeit gab, sich von venezianischen Gondolieri über einen See fahren zu lassen, oder – dies war der besondere Höhepunkt – durch ein ‚Kairo‘ mit nachgebauter Cheops-Pyramide zu wandeln, von deren (über einen Aufzug zu erreichende) Plattform aus sie auf das angrenzende ‚Alt-Berlin‘ aus dem 17. Jahrhundert blicken konnten.175 In seinem Bericht für die Zeit erklärt Simmel, es sei „von großem culturhistorischem Interesse, die Herausbildung eines eigenartigen Stiles für solche Darbietungen zu verfolgen“.176 Auf dem Treptower Ausstellungsgelände erkennt der Kultursoziologe einen „specifische[n] Ausstellungsstil“, der zwar auch die Präsentation der Waren betrifft, jedoch „[a]m markiertesten […] in den Baulichkeiten“ hervortrete.177 Dieser Stil besteht zum einen in einer „ganz neue[n] Proportion zwischen Festigkeit und Vergänglichkeit“, da den Gebäuden der Ausstellung der „Charakter einer Schöpfung für die Vergänglichkeit […] unmissverständlich aufgeprägt“ sei; gerade deshalb wirkten sie „absolut nicht unsolid“.178 Zum anderen bedient auch die Architektur, wie die ausgestellten Waren, ein modernes Bedürfnis nach „Mannigfaltigkeit“: Keine Erscheinung des modernen Lebens kommt diesem Bedürfnis so unbedingt entgegen, wie die großen Ausstellungen, nirgends sonst ist eine große Fülle heterogenster Eindrücke in eine äußere Einheit so zusammengebracht, dass sie der durchschnittlichen Oberflächlichkeit doch als zusammengehörig erscheinen […].179
Simmel teilt diesen Eindruck der ‚großen Fülle heterogenster Eindrücke‘ mit anderen Beobachtern der Gewerbe-Ausstellung. So verbringt der Theologe, liberale Reichstagsabgeordnete und spätere Mitbegründer des Deutschen Werkbunds Friedrich Naumann ganze sechs Tage auf der Ausstellung. Geradezu kapitulierend eröffnet er seinen Bericht von der Berliner Gewerbe-Ausstellung, den er zunächst in der von ihm gegründeten Zeitschrift Die Hilfe und später in Buchform veröffentlicht, mit einer Aufzählung des Gesehenen: Ein grenzenloses Vielerlei! Es ist ganz unmöglich, die Anzahl von Dingen auch nur anzudeuten, die man sieht. Man ist nichts anders als eine Ameise, die mit 50000 anderen Ameisen zusammen in einem Bau herumkrabbelt, der aus allen Materialien der alten und neuen Welt zusammengetragen ist. Alle Zeiten, Landschaften, Betriebsformen sind willkürlich ge-
175 Vgl. Paul Lindenberg: Pracht-Album photographischer Aufnahmen der Berliner GewerbeAusstellung 1896. Berlin o.J. [1896]: The Werner Company. S. 43–48. 176 Simmel: Berliner Gewerbe-Ausstellung, S. 35. 177 Simmel: Berliner Gewerbe-Ausstellung, S. 35. 178 Simmel: Berliner Gewerbe-Ausstellung, S. 35f. 179 Simmel: Berliner Gewerbe-Ausstellung, S. 34f.
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sammelt. Alpenlandschaft, Seewarte, Landschenke, Kairo, Ostafrika, amerikanischer Salon, Nordpol, Spinnerei, Buchdruckerei, Möbelmagazin, Elektrizität, Straßenbahn, Menagerie, Tingeltangel, Wohlfahrtspflege, Stadtverwaltungsberichte, Schulhefte, historische Trachten, Rudolf Herzog, Porzellan, Schlosserei, Arzneimittel, Sport, Chokoladen, Pianino, Kunstgärtnerei, Papierfabrik, Leichenverbrennung, Seekrieg, Taucher, Weltmusik – es ist zum Davonlaufen. Wer das alles fassen will, der verliert den Verstand.180
Der enumerative Charakter dieser Schilderung erinnert kaum zufällig an Leo Colzes Aufzählung von Dingen, die sich in den Berliner Warenhäusern zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwerben lassen.181 Den Schnittpunkt der Berliner Gewerbe-Ausstellung mit den neu entstehenden Warenhäusern der Jahrhundertwende bildet die moderne Warenästhetik, die eng mit der von Simmel an anderer Stelle konstatierten ‚Hypertrophie der objektiven Kultur‘ verbunden ist und ihre Entstehung dem damit einhergehenden Bestreben nach Differenzierung einerseits und der Ausweitung historischer und geografischer Herkünfte oder Nachbildungen der Dinge andererseits verdankt.182 Wie aber entsteht aus dieser Heterogenität ein Zusammenhang? Wo Naumann Goethe herbeizitiert und seine Fähigkeit zu ‚sehen‘ für sich selbst reklamiert, um die Mannigfaltigkeit des Ausstellungsgeländes zu bewältigen,183 die Gewerbe-Ausstellung also mit Goethe ‚sehen‘ will, dort richtet Simmel sein Interesse auf den Umstand, dass sich „Anmuth und Würde“ – die titelgebenden Kategorien aus Friedrich Schillers klassischer Programmschrift aus dem Jahre 1793184 – in der Architektur der Ausstellung gerade „in ganz eigenen Maßen mi-
180 Naumann: Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 9. 181 Siehe den Abschnitt 1.6. Poetik des (Warenhaus-) Katalogs in Kapitel 1 dieser Arbeit. 182 So hebt Simmel in der Philosophie des Geldes die Vielfalt der Stile als charakteristischen Zug der Kultur um 1900 hervor und erklärt diese aus dem Historismus: „Ich meine die Vielheit der Stile, mit denen die täglich anschaubaren Objekte uns entgegentreten – vom Häuserbau bis zu Buchausstattungen, von Bildwerken bis zu Gartenanlagen und Zimmereinrichtungen, in denen Renaissance und Japonismus, Barock und Empire, Präraffaelitentum und realistische Zweckmäßigkeit sich nebeneinander anbauen. Dies ist der Erfolg der Ausbreitung unseres historischen Wissens, welche nun wieder in Wechselwirkung mit jener hervorgehobenen Variabilität des modernen Menschen steht. […] Daher die verwirrende Mannigfaltigkeit der Stile, die von unserer Kultur aufgenommen, dargestellt, nachgefühlt werden.“ Simmel: Philosophie des Geldes, S. 641f. 183 „Vater Goethe war ein kluger Mann, wenn er sagte: in der Beschränkung zeigt sich erst der Meister“, erklärt Naumann und beruft sich kurz darauf auf Goethes Fähigkeit zu ‚sehen‘, die er sich zu eigen macht. Naumann: Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 9f. 184 Friedrich Schiller: Über Anmut und Würde. In: Ders.: Sämtliche Werke. Hg. von Peter-André Alt, Albert Meier u. Wolfgang Riedel. Bd. V: Erzählungen, Theoretische Schriften. Hg. von Wolfgang Riedel. München 2004: Deutscher Taschenbuch Verlag. S. 433–488.
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schen“,185 also eine neue ästhetische Qualität erzeugen. Diese ästhetische Qualität beruht zum einen darauf, dass das „Anmuthigste aus dem Anmuthlosesten“186 hervorgeht, wenn Produkte mit ästhetischem Wert aus profanen ökonomischen Interessen heraus erzeugt werden. Zum anderen ist es der ‚specifische Ausstellungsstil‘ selbst, der die „Einheit des Ganzen“187 begründet, weil sein Charakteristikum gerade darin besteht, jenen Stilpluralismus, den Simmel vier Jahre später in der Philosophie des Geldes als Signatur der Zeit diagnostiziert, in sich zu vereinen. Dieser ‚Stil‘ bildet somit die Klammer, welche eine Einheit verschiedenster Stile schafft.188 „[N]ur Stil, so disparat das Einzelne zum Einzelnen sich theoretisch auch verhalten möge, nur Stil schafft unbefangen Zusammenhänge“, urteilt wenige Jahre später ganz ähnlich Richard Schaukal über die Ästhetik der Ausstellungen (1910).189 Zwei Faktoren begünstigen für Simmel diese Einheit des Ausstellungsstils: die Idee, „dass diese Unübersehbarkeit von Objecten in einer Stadt produciert sind“190 sowie zweitens „als schließlichen Einheitspunkt und farbegebendes Charakteristicum“ das Amüsement, den „Generalnenner Vergnügen“.191 Dieses Vergnügen der Zuschauer richtet sich insbesondere auf jene Elemente der ausgestellten Kunstlandschaft, die ihre Künstlichkeit am deutlichsten werden lassen: ‚Alt-Berlin‘ und ‚Kairo‘. Im Pracht-Album photographischer Aufnahmen der Berliner Gewerbe-Ausstellung, einer Art großformatigem Führer und Erinnerungsbuch zur Gewerbe-Ausstellung, heißt es über das von Hoffacker entworfene ‚AltBerlin‘, das den Besuchern das Berlin zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges begehbar machen soll (Abb. 99):
185 Simmel: Berliner Gewerbe-Ausstellung, S. 36. Herv. B. W. 186 Simmel: Berliner Gewerbe-Ausstellung, S. 37. 187 Simmel: Berliner Gewerbe-Ausstellung, S. 35. 188 Auch Naumann setzt sich mit dem ‚Stil‘ der Ausstellung auseinander und reflektiert am Beispiel des Hauptgebäudes über die Entstehung von neuen Stilen: „Was macht nun aber einen neuen Stil? Die Elemente scheinen uns folgende zu sein: 1. Neue Bedürfnisse schaffen neue Bauformen (Bahnhöfe, Postämter, Kasernen, Ausstellungshallen, Fabriken, große Versammlungsräume, neue große Theater). 2. Neues Material tritt in Verwendung (Holzzement, Aluminium, Wellblech, Gips, Zementguß und vor allem Eisen). 3. Ausländische Stilarten werden nachgeahmt und lassen gewisse Eindrücke auch da zurück, wo man nicht bloß nachahmen will (Konstantinopel mit seinen Minarets und Kuppeln, China, Japan).“ Naumann: Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 31. 189 Und weiter urteilt Schaukal: „Ausstellungen – abgesehen von historischen – können nur durch Anordnung der auszustellenden Gegenstände nach ä s t h e t i s c h e n Gesichtspunkten erträglich werden (Analogon; das ästhetische Schaufenster).“ Richard Schaukal: Zur Ästhetik der Ausstellungen. In: Ders.: Vom Geschmack. Zeitgemäße Laienpredigten über das Thema Kultur. München 1910: Georg Müller. S. 135–139, hier S. 137 u. 138f. 190 Simmel: Berliner Gewerbe-Ausstellung, S. 35. 191 Simmel: Berliner Gewerbe-Ausstellung, S. 33.
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Abb. 99: ‚Alt-Berlin‘ auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung, 1896.
Ein glücklicher Gedanke war es […], den Besuchern unserer Ausstellung das frühere, das alte Berlin vor Augen zu führen, nicht etwa mittelst Leinwand und Pappe, Oel und Wasserfarben, sondern in äusserst soliden, massiven Bauten, mit Zuhülfenahme alten, durchaus „echten“ Materials; denn die Veranstalter dieser Sonderaustellung „Alt-Berlin“ schickten ihre Sendapostel in der ganzen Mark umher, die zu erwerben trachteten, was an aus frühern Zeiten stammenden Dachziegeln, Schlössern, Thüren, eisernen und hölzernen Verzierungen u. s. w. zu erhalten war, und auf diese Weise wurde unter der geschickten Oberleitung des Architekten H o f f a c k e r eine Nachbildung der ehemaligen Kurfürstenstadt erzielt, wie sie getreuer nicht gedacht werden kann.192
Die getreue Nachbildung unter Rückgriff auf ‚authentische‘ Versatzstücke bildet damit den Grundgedanken dieses ‚Alt-Berlin‘, wobei allerdings Pappe, Öl und Wasserfarben durchaus ebenso zum Einsatz kamen wie das ‚echte‘ Material.193 Ganz ähnlich wird über das unter Wohlgemuths Regie erbaute ‚Kairo‘ ausgeführt (Abb. 100):
192 Lindenberg: Pracht-Album photographischer Aufnahmen von der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 48f. 193 Zu den verwendeten Materialien in ‚Alt-Berlin‘ siehe Gaby Huch: „Alt-Berlin“ – eine mittelalterliche Stadt wird lebendig. In: Die verhinderte Weltausstellung, S. 125–134, bes. S. 130.
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Abb. 100: ‚Kairo‘ auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung, 1896. Freilich, die Täuschung ist vollkommen – denn was in diesem Kairo in „echter“ Nachahmung geleistet wurde, grenzt an das Wunderbare. Nicht nur wurden zahllose alte Bestandtheile einzelner Häuser aus Aegypten hierhergebracht und beim Aufbau verwendet, sondern es wurde daneben auch Rücksicht genommen, den grossen Zeugen der Pharaonenzeit den Stempel der Wahrheit aufzudrücken, und das ist derart gelungen, dass kaum eine genaue Untersuchung die Nachbildung ergiebt und dass man immer von neuem zweifeln wird, ob nicht über diese Tempelruinen doch schon Jahrtausende hingegangen.194
Das Pracht-Album bewirbt das ‚Alt-Berlin‘ und das ‚Kairo‘ der Gewerbe-Ausstellung als originalgetreue Nachbildungen zeitlich und räumlich entlegener Orte und entspricht damit ganz dem Geist des Historismus, wie ihn Simmel in der Philosophie des Geldes umreißt als die „unvergleichliche Fähigkeit, das Fernliegendste – im zeitlichen wie im räumlichen Sinne – zu reproduzieren und lebendig zu machen“.195 Mit den wiederkehrenden Begriffen der ‚Nachbildung‘ und der
194 Lindenberg: Pracht-Album photographischer Aufnahmen von der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 44. 195 Simmel: Philosophie des Geldes, S. 641.
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‚Nachahmung‘ orientiert sich das Sprechen über die Ausstellungsarchitektur an einer Ästhetik der Mimesis.196 So wird von zahlreichen Beobachtern die große ‚Ähnlichkeit‘ der Ausstellungsbauten mit den Originalen hervorgehoben. Als „nachahmende Architekturen von äußerstem Raffinement“ etwa bezeichnet Fritz Stahl ‚Kairo‘ und ‚Alt-Berlin‘.197 Und Alfred Kerr sieht in ‚Alt-Berlin‘ ein „Meisterwerk moderner Bau- und Imitationskunst“ verwirklicht: „Es ist eine unglaubliche Illusion“.198 Doch bei aller Illusion durch Imitation handelt es sich um eine Mimesis, die immer schon als solche wahrgenommen und gerade deshalb für ihren täuschenden Charakter goutiert wird. So gesteht Alfred Kerr: „Es ist wahr: im Grunde ist ‚Kairo‘ nur ein enormes Tingeltangel. Aber eines, das die Phantasie in ungeahntem Maße anregt. Hier ist der leibhaftige Orient. Beduinen, Derwische, Kairenser, Türken, Griechen und die dazugehörigen Weiberchen und Mägdlein sind in unbestreitbarem Originalzustande vorhanden.“199 Was hier gezeigt werde, ist, so Friedrich Naumann, die „Außenseite des Muhamedismus“, sprich: seine Oberfläche – „Halbmonde, Harems, Moscheen und dahinter die steinernen Erinnerungen der Pharaonen“.200 „Merkwürdig“, beobachtet Naumann weiter: [I]n einem Raum mit ältesten ägyptischen Säulen arbeitet eine moderne Druckerei mit Setzmaschine und gibt dort das „Kleine Journal von Kairo“ heraus! Arabische Diener bringen – Münchener Bier! Auf den nubischen Eseln sitzen – Berliner Fräulein! Und die Pyramide selbst ist nur Theaterwand. Alles ist Schein, aber freilich, ein großer, bunter, anregender Schein, ein Ausstattungsstück, wo Hunderte von Asiaten [sic!] ihre eigene Rolle spielen, so gut das unter der wechselnden Sonne Berlins gehen will.201
196 Siehe hierzu Werner Jung: Von der Mimesis zur Simulation. Eine Einführung in die Geschichte der Ästhetik. Hamburg 1995: Junius. 197 Stahl: Die Architektur der Berliner Gewerbeausstellung, S. 27. Stahl grenzt diese Nachahmung sogar ausdrücklich ab von der Berliner Architektur, über die er konstatiert, es sei nicht zu leugnen, „dass bis vor einem Jahrzehnt ziemlich allgemein und heute noch hier und da gerne mit billiger Imitation der Schein des Reichthums gesucht wird“ (ebd., S. 26). Die Architektur der Ausstellung hält er dagegen für „[k]ünstlerisch, stilvoll im Sempersinne“, d.h. gemäß „der Eigenart der Aufgabe“ (ebd.). 198 Kerr: Wo liegt Berlin?, S. 152. Selbst Friedrich Naumann, der wenig Gefallen an ‚Alt-Berlin‘ findet, weil er die Berliner Geschichte nicht für ausstellenswert hält, räumt ein: „Alle Gebäude und Türme sind naturgetreu den damaligen Verhältnissen entsprechend: Georgentor, Spandauer Tor, Heilige Geist-Kirche, das alte Rathaus, der Markt, die holländische Teestube.“ Naumann: Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 30. 199 Kerr: Wo liegt Berlin?, S. 151. 200 Naumann: Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 37. 201 Naumann: Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 37.
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Während Beobachter wie der sozialdemokratische Vorwärts diese „Welt des Scheins, der dekorativen Kulisse“202 kritisieren, stört die Druckerei für die meisten Besucher die Illusion ebenso wenig wie die zahlreichen Geschäfte und Lokale, die in den Gebäuden untergebracht sind, oder der Aufzug zur Plattform der ‚Cheops-Pyramide‘. In der Ausstellungsarchitektur der Berliner Gewerbe-Ausstellung werden somit von den Beobachtern insbesondere drei Aspekte immer wieder verhandelt: Erstens das Verhältnis von ‚Deterritorialisierung‘ und ‚Reterritorialisierung‘,203 das durch den sich globalisierenden Warenverkehr, aber auch den sich industrialisierenden Tourismus neue Dimensionen erreicht.204 Einerseits wird das ‚Fernliegendste‘ präsentiert,205 andererseits wird es, wie bei Simmel, an die lokale Produktion rückgebunden, um schließlich wiederum internationale Aufmerksamkeit zu erregen.206 Zweitens zeigt sich in der Gestaltung des Ausstellungsgeländes ein Charakteristikum dessen, was Michel Foucault als ‚Heterotopie‘ bezeichnen wird, nämlich „le pouvoir de juxtaposer en un seul lieu réel plusieurs espaces, plusieurs emplacements qui sont en eux-mêmes incompatibles“.207 Drittens stellt sich die Frage nach dem Verhältnis von Warenästhetik und Authentizität. Wenngleich die begriffsgeschichtliche Karriere der ‚Authentizität‘ erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren Anfang nimmt,208 reicht die Neuaushandlung des Phänomens Authentizität ins 19. Jahrhundert und ist eng mit der Entstehung und Entwicklung der Warenästhetik verknüpft. Am ‚Kairo‘ der Berliner Gewerbe-Ausstellung zeigen sich die Herausforderungen, mit denen ein tradiertes Authentizitätsverständnis konfrontiert wird, in besonders deutlicher Weise.209 Mehrfach
202 Zit. nach Lange: Das Wilhelminische Berlin, S. 38. 203 Siehe zu diesen Begrifflichkeiten Deleuze u. Guattari: Tausend Plateaus. 204 So ist die ‚Cheops-Pyramide‘ auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung auch im Kontext der Ägypten-Mode zu sehen, die durch das Stangensche Reisebüro Unter den Linden, das 1878 die erste Gesellschaftsreise um die Erde organisiert hatte, sowie durch die Berichte des Berliner Journalisten Ludwig Pietsch darüber, ausgelöst wurde. Vgl. Lange: Das Wilhelminische Berlin, S. 59. 205 Siehe dazu auch am Beispiel der Pariser Weltausstellung 1889: Beat Wyss: Bilder von der Globalisierung. Die Weltausstellung von Paris 1889. Berlin 2010: Insel Verlag. 206 Zur internationalen Berichterstattung über die Berliner Gewerbe-Ausstellung siehe Petra Crome: Public relations und die Berliner Gewerbeausstellung 1896. In: Die verhinderte Weltausstellung, S. 83–95. 207 Foucault: Des espaces autres, S. 758f. Foucault nennt als Beispiele Theater, Kino und Gärten. 208 Vgl. Susanne Knaller u. Harro Müller: Einleitung. In: Dies. (Hg.): Authentizität. Diskussion eines ästhetischen Begriffs. München 2006: Wilhelm Fink. S. 7–16. 209 Zur Entwicklung der Authentizität als ästhetik- und kulturtheoretischer Kategorie siehe Susanne Knaller: Genealogie des ästhetischen Authentizitätsbegriffs. In: Dies. u. Müller (Hg.): Authentizität, S. 17–35.
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wird diesem ‚Kairo‘ von Expertenseite seine Authentizität bescheinigt: „Bekannte, welche den Nil, Syrien oder Tunis selber gesehen haben“, schreibt Friedrich Naumann, „versichern uns, daß die Aehnlichkeit sehr groß ist.“210 Allerdings handelt es sich gerade bei ‚Kairo‘ um eine Kunstlandschaft mit Zitatcharakter, deren ‚ursprünglicher‘ Referent keineswegs so eindeutig ist, wie es die Rede von der Authentizität suggeriert. Denn seit der Exposition Universelle de Paris 1867 entwickelt sich ein künstliches Kairo zum regelmäßigen Höhepunkt der Weltausstellungen (als solche war die Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896 schließlich ursprünglich konzipiert). In Paris ließ der Vizekönig von Ägypten erstmals Moscheen, Cafés und Nachbildungen berühmter Bauwerke aufbauen.211 Auf den nachfolgenden Weltausstellungen wurde dies wiederholt, sodass jedes neue ‚Kairo‘ nicht nur das Kairo in Ägypten, sondern auch dessen Simulakrum auf der vorangegangenen Weltausstellung zitierte und zu übertreffen versuchte.212 Wiederholung und Differenz, die poetologischen Grundprinzipien von 1979, finden sich somit bereits auf den Weltausstellungen verwirklicht und stehen hier in engem Zusammenhang mit dem Orientalismus der Jahrhundertwende, auf den wiederum 1979 rekurriert.213
210 Naumann: Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896, S. 36. Zu diesen Bekannten zählt etwa auch der Inhaber des Stangenschen Reisebüros Carl Stangen. Siehe Carl Stangen: Kairo in Berlin. In: Albert Kühnemann (Hg.): Groß-Berlin. Bilder von der Ausstellungsstadt. Berlin 1896/97: W. Pauli’s Nachf. S. 130–139. 211 Siehe hierzu Winfried Kretschmer: Geschichte der Weltausstellungen. Frankfurt am Main u. New York 1999: Campus Verlag. S. 82f. 212 Im Anschluss an Timothy Mitchells Studie Colonising Egypt (1991) beschreibt Dominik Finkelde die Irritationen, die der Besuch einer ägyptischen Delegation in der rekonstruierten Hauptstraße Kairos auf der Pariser Weltausstellung 1889 auslöst. Irritierend wirken auf die ägyptischen Besucher die Simulation vermeintlicher Authentizität und das Charakteristikum der europäischen Kultur des 19. Jahrhunderts, „die Welt in ein Abbild ihrer selbst zu verwandeln“. Dominik Finkelde: Die Welt als Bild. Zur Domestizierung der Fremde durch den Kitsch im 19. Jahrhundert am Beispiel von Weltausstellung und Interieur. In: KulturPoetik 7 (2007) 2, S. 166–178, hier S. 166. Zum Zitatcharakter des ‚Kairo‘ auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896 siehe Alexander C. T. Geppert: Ausstellungsmüde. Deutsche Großausstellungsprojekte und ihr Scheitern, 1880–1930. In: Wolkenkuckucksheim 5 (2000) H. 1. http://www.tu-cottbus.de/theoriederarchitektur/Wolke/ deu/Themen/001/Geppert/geppert.htm [08. 10. 2010]. In diesem Bemühen um natürlich erscheinende Künstlichkeit treffen sich die Weltausstellungen und die sich zeitgleich etablierende Literatur der Décadence: „Après les fleurs factices singeant les véritables fleurs, il voulait des fleurs naturelles imitant des fleurs fausses“, heißt es in Huysmans À rebours, das Verhältnis von Natürlichkeit und Künstlichkeit in letzter Konsequenz umkehrend. Zum Verhältnis von Natürlichkeit und Künstlichkeit in der Décadence (insbesondere in der Wiener Variante) siehe Dirk Niefanger: Produktiver Historismus. Raum und Landschaft in der Wiener Moderne. Tübingen 1993: Max Niemeyer. S. 178–192. 213 Siehe hierzu Steffen Schneider u. Mirjam Schneider: Zerstörung des Selbst, Erwartung des Anderen: Opferfiguren in den imaginären Orientreisen Der Sandmann von Bodo Kirchhoff und
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Kapitel 5: Die unendliche Zirkulation
Als ihr Fluchtpunkt erweist sich das „Abbild einer Unendlichkeit von Abbildern“, die in letzter Konsequenz „kein Original und sogar keinen Ursprung fortbestehen lassen“214: die hyperreale Welt der Simulakren, die das Ende des Realen,215 das Ende der Ideologie, das Ende der Geschichte216 und das Ende der Demokratie217 zu bedeuten vorgibt. Aber bedeutet das Voranschreiten dieser hyperrealen warenästhetischen Wirklichkeiten auch das Ende der Kritik?
5.6 Kool Killer im Camp: Das Lager, die unendliche Zirkulation und die politische Ökonomie der Zeichen in der Popmoderne „Es gibt keine Ideologie mehr, es gibt nur noch Simulakren.“218 Baudrillards Bilanz vom Ende der Ideologien und Triumph der Simulakren zählt längst zu den Gemeinplätzen postmoderner Theorie. In seinen Perspektiven für das Design der Zukunft (1989) greift Wolfgang Welsch diese auf und zieht daraus ästhetische Konsequenzen: Nirgendwo haben wir mit Originalen, sondern allenthalben mit Simulakren zu tun. Dabei handelt es sich um Wiederholungen, die nicht identische Reproduktionen, sondern verschobene Darstellungen sind, die auf andere Wiederholungen verweisen, die ihrerseits
1979 von Christian Kracht. In: Rüdiger Görner u. Nima Mina (Hg.): ‚Wenn die Rosenhimmel tanzen‘. Orientalische Motivik in der deutschsprachigen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. München 2006: Iudicum. S. 213–242, zu 1979 bes. S. 230–242. 214 Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 95. Erneut zeigt sich hierin die enge Verbindung von Warenästhetik und Film, wie sie bereits in Kapitel 3 am Beispiel von Irmgard Keuns Kunstseidenem Mädchen herausgearbeitet wurde. So wendet sich der Filmtheoretiker Béla Balázs 1924 in Der sichtbare Mensch noch vehement gegen die Verwendung künstlicher Requisiten im Film, die genau diese Entwicklung hin zu ‚Abbildern von Abbildern‘ bedeute: „Es ist auch meine Erfahrung und Überzeugung, daß die Ausstattung eines Films unbedingt echt sein muß. Nur sehe ich den Grund dafür nicht darin, daß ‚die Photographie nicht lügt‘. Nicht darauf kommt es hier an, sondern darauf, daß sie e i n A b b i l d ist. Wenn sie nun keinen Originalgegenstand darstellt, wird sie zum Abbild eines Abbildes und verliert vollends die Realität. Eine Kulisse auf dem Theater kann wirken. Aber eine photographierte Kulisse ist die Reproduktion einer Reproduktion und die sinnfällige Materie verflüchtigt sich in ihr zu Andeutungen.“ Balázs: Der sichtbare Mensch, S. 122. 215 Jean Baudrillard: La précession des simulacres. In: Traverses (1978) 10: Le simulacre, S. 3–37, bes. S. 13f. 216 Francis Fukuyama: The end of History and the Last Man. New York 1992: Macmillan. 217 Colin Crouch: Postdemokratie. Frankfurt am Main 2008: Suhrkamp. [Postdemocrazia. Rom 2003: Gius, Laterza & Figli.] 218 Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod, S. 8.
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schon Verschiebungen und Verstellungen vorgenommen haben. Entsprechend müßte sich im Design der Blick nicht mehr einfach auf ein Objekt richten, sondern auf die Reihen, in denen es steht, und auf die Beziehungen, die es unterhält. Die Verflechtungen der Simulakren sind wichtiger als diese selbst.219
Deshalb, so Welsch, könne die Hervorbringung von Neuem, die „Produktion von Noch-nicht-Dagewesenem“ in der Postmoderne „auch unter Verwendung traditioneller Zeichen geschehen“.220 1979 treibt diese Einsichten der Postmoderne ins Extrem. Die Verfilzung ‚traditioneller‘ Zeichen der Klassischen Moderne mit denen der Marken-, Medien-, und Popkultur der 1970er Jahre, der kunstästhetischen Debatten um Moderne und Postmoderne sowie schließlich der postmodernen Theorie der Differenz und Wiederholung und der Simulakren erzeugt somit tatsächlich etwas Neues: eine politische Ökonomie der Zeichen, die aus der unendlichen Zirkulation eine selbstreflexive Poetik der Popmoderne generiert, in der Moderne und Postmoderne miteinander und mit sich selbst konfrontiert werden. „Alle Kultur nach Auschwitz“, erklärt Adorno 1966 in der Negativen Dialektik, „samt der dringlichen Kritik daran, ist Müll.“221 Adorno räumt – sein berühmtes Diktum revidierend222 – ein, es möge falsch gewesen sein, dass sich nach Auschwitz kein Gedicht mehr schreiben lasse.223 Doch Auschwitz stelle die Kultur vor einen ausweglosen Zirkel, denn „[w]er für Erhaltung der radikal schuldigen und schäbigen Kultur plädiert, macht sich zum Helfershelfer, während, wer der Kultur sich verweigert, unmittelbar die Barbarei befördert, als welche die Kultur sich enthüllte. Nicht einmal Schweigen kommt aus dem Zirkel heraus […].“224 Die Popliteratur antwortet dieser rigorosen Kulturkritik mit einem programmatischen Gegenentwurf. Dem circulus vitiosus stellt sie die Zirkulation der Zeichen gegenüber: „Und schaudernd erfuhren wir noch einmal, daß großer Pop die große Müllkippe ist, auf der man, spielend, schöne Dinge entdecken kann“.225 Diesen Schauder erzeugt 1979, wenn der Roman durch Wiederholung und Differenz
219 Wolfgang Welsch: Perspektiven für das Design der Zukunft. [1989] In: Ders.: Ästhetisches Denken. Stuttgart 62003 (1990): Philipp Reclam jun. S. 201–218, hier S. 210f. 220 Welsch: Perspektiven für das Design der Zukunft, S. 215. 221 Adorno: Negative Dialektik, S. 359. 222 „Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“ Theodor W. Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft. In: Petra Kiedaisch (Hg.): Lyrik nach Auschwitz? Adorno und die Dichter. Stuttgart 1995: Philipp Reclam jun. S. 27–49, hier S. 49. Herv. B. W. 223 Adorno: Negative Dialektik, S. 355. 224 Adorno: Negative Dialektik, S. 360. 225 Uslar: Davos, S. 18.
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Kapitel 5: Die unendliche Zirkulation
Abb. 101: Calvin Klein-Kampagne für Obsession, 1994.
die Homonymie der von Sontag beschriebenen camp-Kultur und des totalitären concentration camp in einer Weise miteinander in Beziehung setzt, dass die körperliche Ausgezehrtheit, die auf Fotografien aus den nationalsozialistischen Konzentrationslagern dokumentiert ist, auf das Hervortreten der Hüftknochen reduziert und auf diese Weise mit Hans Castorps dekadentem Schönheitsideal226 wie mit dem heroin chic verbunden wird, wie er in der Modeszene erstmals Mitte der 1990er Jahre durch die Obsession-Kampagne von Calvin Klein mit Kate Moss warenästhetisch inszeniert wird (Abb. 101)227 – eine künstlerische Strategie, wie
226 Vgl. Mann: Zauberberg, S. 419. 227 Zu der Kampagne und den Protesten dagegen siehe Katherine Kendall: Kate Moss. Model of Imperfection. New York 2005: Chamberlain Bros. Bes. S. 49–61.
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Abb. 102: Self Portrait at Buchenwald: It’s the Real Thing von Alan Schechner, 1991–93.
sie ähnlich Alan Schechner mit seinem Self Portrait at Buchenwald: It’s the Real Thing (1991–93) verfolgt, das den Künstler mit einer Dose Diet Coke in einer Lagerbaracke, umrahmt von ausgemergelten Häftlingen, zeigt (Abb. 102). Mit solchen „Verfilzung[en] von Kultur mit dem Kommerz“228 – wie sie Adorno in Kulturkritik und Gesellschaft 1951 anprangert – treibt 1979 die Literatur an die Grenzen des Sagbaren. Der Roman zeigt aber zugleich, dass es kein Außerhalb dieser Grenzen gibt.229 Selbst im maoistischen Lager, das nach Warhols Ost-West-
228 Adorno: Kulturkritik und Gesellschaft, S. 37. 229 Vgl. hierzu auch Claude D. Conter: Christian Krachts posthistorische Ästhetik. In: Birgfeld u. Conter (Hg.): Christian Kracht, S. 24–43.
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Kapitel 5: Die unendliche Zirkulation
Topografie den am weitesten vom Pop entfernten Punkt bildet und wo der Protagonist „ein Paar alte Tennisschuhe, die gar nicht mal schlecht aussahen“230, deren Marke aber nicht genannt wird, erhält, prägt das warenästhetische Körperideal die (Selbst-)Wahrnehmung des Ich-Erzählers. Genau dies unterscheidet die Popvon der Postmoderne und macht die Begriffsprägung zu mehr als bloßer Wortspielerei: Forderte nämlich die Postmoderne einerseits unter dem Leitspruch Cross the Border, close the gap! die Überwindung althergebrachter Grenzen, um bestehende Bereiche wie Literatur und Warenästhetik miteinander zu verbinden, so beanspruchte sie für sich in der Foucaultschen oder Blanchotschen Variante andererseits eine pensée du dehors, ein Denken und Schreiben, das sich in einem noch nicht artikulierten und niemals adäquat artikulierbarem Außerhalb zu bewegen hätte.231 Die Bedingungen der Popmoderne lassen beides nicht länger zu. Zum einen, weil die tradierten Grenzen längst an Durchlässigkeit gewonnen haben und das Nebeneinander von high und low zu einer selbstverständlichen Alltagswirklichkeit geworden ist.232 Zum anderen, weil die unendliche Zirkulation der Zeichen, Marken und Bilder, die der Kapitalismus zu einem der kulturpoetologischen Grundzüge gegenwärtiger Kultur gemacht hat,233 keinen Signifikanten unberührt lässt. Mao ist seit Warhols Porträt von 1973 ebenso Terror wie Pop,234 während Werbekampagnen wie Oliviero Toscanis Anzeigenserie für Benetton ebenso Reklame wie Politik zu sein beanspruchen, wenn darin ein sterbender Aids-Kranker oder die blutverschmierte Uniform eines erschossenen bosnischen Soldaten gezeigt wird.235 ‚History repeating itself becomes farce, farce reproducing itself becomes
230 Kracht: 1979, S. 154. 231 „Dans la mesure où le désastre est pensée, il est pensée non désastreuse, pensée du dehors. Nous n’avons pas accès au dehors, mais le dehors nous a toujours déjà touchés à la tête, étant ce qui se précipite.“ Maurice Blanchot: L’écriture du désastre. Paris 1980: Éditions Gallimard. S. 16. Vgl. auch Michel Foucault: Das Denken des Draußen. In: Ders.: Schriften zur Literatur. Frankfurt am Main 1988: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 130–156. 232 So wurde bspw. die französische poststrukturalistische Theorie bereits in den 1980er Jahren durch die deutsche Pop-Theorie, insbesondere im Umfeld der Zeitschrift Spex, rezipiert, siehe hierzu Seiler: „Das einfache wahre Abschreiben der Welt“, S. 89–102. 233 Das dokumentiert der umfangreiche zweibändige Bildatlas von Gerhard Paul (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder. Bd. I: 1900 bis 1949. Bd. II: 1949 bis heute. Göttingen 2008/09: Vandenhoeck & Ruprecht. 234 Siehe hierzu den Beitrag von Gerhard Paul: Mao. Das Porträt als Reliquie und Pop-Ikone. In: Ders. (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder, Bd. II, S. 322–329. Sowie Roman Luckscheiter: Maos mediale Absorption. Helga Nowaks Hörspiel Fibelfabel aus Bibelbabel (1972) im Kontext. In: IASLonline [16. 09. 2007], http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=2695 [20. 10. 2010]. 235 Zu Oliviero Toscanis Benetton-Kampagnen und der breiten Diskussion, die sie ausgelöst haben, siehe Barbara Könches: Ethik und Ästhetik in der Werbung. Phänomenologie eines Skandals. Frankfurt am Main, Berlin, Bern u.a. 2001: Peter Lang. Sowie die, wenngleich von großer
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history‘, wie es im Baudrillard entlehnten Motto des Romans heißt: Wenn die Geschichte sich nur noch als Farce wiederholt,236 so ist zugleich die beständige Selbstwiederholung dieser Farce selbst zur historischen Signatur geworden – in der Popmoderne ist die Postmoderne im Stadium ihres zirkulären Selbstzitats angelangt, sie bildet keinen Gegendiskurs mehr zur Moderne, sondern wird gleichermaßen von der Zirkulation vereinnahmt wie die Moderne. 1979 verhandelt diesen Aspekt popmoderner Zeichenzirkulation und mit ihm zugleich die entscheidenden Pole des 20. Jahrhunderts, für das sich die Erfahrungen von Totalitarismus als ebenso prägend erweisen wie die kulturelle Ausdehnung der kapitalistischen Zirkulation. Ihre Verbindung ist von Künstlern um die Jahrtausendwende mehrfach hergestellt worden, wie etwa von Zbigniew Libera mit seinem LEGO Concentration Camp von 1996 (Abb. 103).237 1979 teilt mit diesen Werken die Verbindung von Warenästhetik und totalitärem Lager. Die Poetik der Verfilzung eröffnet aber andere semantische Zusammenhänge als das metaphorische, in-eins-setzende Verfahren des LEGO Concentration Camp. Wenn Giorgio Agamben in Homo sacer das Lager zum nómos der Moderne, zur „verborgene[n] Matrix […] des politischen Raumes, in dem wir auch heute noch leben“238 erhebt,
Zustimmung geprägte, Arbeit von Lorella Pagnucco Salvemini: Toscani. die Werbekampagnen für Benetton 1984–2000. München 2002: Knesebeck. [Benetton – Toscani. Storia di una avventura 1984–2000. O.O. 2002: Bolis Poligrafiche.] Toscani selbst äußert sich programmatisch und polemisch zu den Kampagnen und erklärt, mit ihnen einen „Nürnberger Prozeß [!] gegen die Werbung“ zu führen. Oliviero Toscani: Die Werbung ist ein lächelndes Aas. Mannheim 21996: Bollmann. S. 15. [La Pub est une charogne qui nous sourit. Paris 1995: Hoëbeke.] Siehe auch Benettons eigene Rechtfertigung der Kampagnen in Luciano Benetton (mit Andrea Lee): Benetton. Die Farben des Erfolgs. Zürich 1994: Schweizer Verlagshaus. S. 204–226. [Io e i miei fratelli. Mailand 1990: Sperling & Kupfer Editori.] 236 Davon zeugen bspw. die gefälschten Erinnerungen Binjamin Wilkomirskis an seine vermeintliche Kindheit im KZ und die Debatte, die das Buch nach sich gezogen hat. Binjamin Wilkomirski: Bruchstücke. Aus einer Kindheit 1939–1948. Frankfurt am Main 1998 (1995): Suhrkamp. Zur Debatte siehe u.a. Ruth Klüger: Kitsch ist immer plausibel. Was man aus den erfundenen Erinnerungen des Binjamin Wilkomirski lernen kann. In: Süddeutsche Zeitung, 30. 09. 1998. 237 Siehe hierzu den Ausstellungskatalog von Norman L. Kleeblatt: Mirroring Evil. Nazi Imagery/Recent Art. New Jersey 2002: Rutgers University Press. Eine Verbindung von Warenästhetik und ‚Drittem Reich‘ stellt sich auch insofern ganz faktisch her, als mit Hans Domizlaffs Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens eines der bis heute im Marketing meist geschätzten Bücher zur Markentheorie im ‚Dritten Reich‘ entstanden ist, dessen Autor zugleich als Theoretiker der politischen Propaganda in Erscheinung getreten ist. Hans Domizlaff: Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens. Ein Lehrbuch der Markentechnik. Hamburg u. Berlin 1939: Hanseatische Verlagsanstalt. Siehe auch Ders.: Propagandamittel der Staatsidee. Leipzig 1932: Poeschel & Trepte. 238 Giorgio Agamben: Homo sacer. Die Souveränität der Macht und das nackte Leben. Frankfurt am Main 2002: Suhrkamp. S. 175.
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macht 1979 aus diesem juristischen nómos, dem Gesetz oder der Rechtsordnung, einen nomós, einen (Zeichen-)Raum, der vom Nomaden, dem Erfinder des Filzes, durchquert wird.239 Nicht einmal Leiden, Ekel und Tod, die letzten Garanten des Realen in der Postmoderne,240 führen aus den Zirkulationsbewegungen dieser Semiosphäre heraus.241 Diese radikale Transformation des Politischen in Zeichen242 kann sich auf eine Politik der Zeichen berufen, wie sie Baudrillard anhand der Kool Killer – Graffito-Zeichen aus dem New York der 1970er Jahre – entwirft: Dieser Angriff folgt einer Art von revolutionärer Intuition – daß nämlich die grundlegende Ideologie nicht mehr auf der Ebene politischer Signifikate, sondern auf der Ebene der Signifikanten funktioniert – und daß hier das System verwundbar ist und bloßgestellt werden muß.243
239 Zum Nomadismus im Werk Krachts siehe Klaus Bartels: Fluchtpunkt Katmandu. Globaler Nomadismus bei Christian Kracht. In: Hans Richard Brittnacher u. Magnus Klaue (Hg.): Unterwegs. Zur Poetik des Vagabundentums im 20. Jahrhundert. Köln, Weimar u. Wien 2008: Böhlau. S. 291–302. Auf die nomadische Herkunft des Filzes weist Monika Wagner hin, siehe Wagner: Das Material der Kunst, S. 216. 240 Vgl. Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod. Sowie Julia Kristeva: Pouvoirs de l’horreur. Essai sur l’abjection. Paris 1980: Éditions du Seuil. Zum Ekel als „Qualität einer unbedingten Wirklichkeitserfahrung“ und eines „Bruch[s] mit allen medialen Codierungen“ seit Moses Mendelssohn siehe Menninghaus: EKEL, hier S. 544, zu Kristeva S. 516–567. 241 Zu Jurij M. Lotmans Begriff der Semiosphäre als dem „semiotische[n] Raum, außerhalb dessen die Existenz von Semiosen unmöglich ist“ siehe Wegmann: Dichtung und Warenzeichen, S. 87f. 1979 führt die Zirkulation bis ins Lager fort: So wird den Insassen Blut abgenommen, das dann in den „Volkskreislauf“ eingespeist wird; am Ende ziehen die Häftlinge Maden in ihrem eigenen Kot, die sie sich zuführen, um der Unterernährung entgegenzuwirken (Kracht: 1979, S. 177 u. 180). Während der Roman damit scheinbar von der bloßen Zeichenhaftigkeit zur existentiellen Körperlichkeit überzugehen scheint, führt er zugleich neue Zeichenverweise ein: Zum Zeitvertreib führen die Häftlinge eine Art Puppentheater mit Mao als Protagonisten auf, das dem platonischen Höhlengleichnis gleicht (ebd., S. 179. Vgl. Platon: Politeia. Siebentes Buch, 514a-518b. In: Ders.: Sämtliche Werke. Hg. von Ursula Wolf. Bd. 2: Lysis, Symposion, Phaidon, Kleitophon, Politeia, Phaidros. Reinbek bei Hamburg1994: Rowohlt. S. 194–537.). Das Züchten von Maden kann als direkter Verweis auf Deleuzes Differenz und Wiederholung gelesen werden, wo es resümierend heißt: „Kurz, das System des Trugbildes muß mit Begriffen beschrieben werden, die sich von Anfang an von den Kategorien der Repräsentation stark zu unterscheiden scheinen“, und dazu zählt auch „die Konstitution passiver Ichs und larvenhafter Subjekte in diesem System“. Deleuze: Differenz und Wiederholung, S. 346. Zugleich führt der Roman damit die Herkunft der Zirkulation als gleichermaßen ökonomischer wie physiologischer Metapher vor, als die sie im 18. Jahrhundert konzipiert wird, siehe dazu Vogl: Kalkül und Leidenschaft, S. 223–246. 242 Zur Zeichenhaftigkeit des Politischen in der Popliteratur siehe auch Niels Werber: Der Teppich des Sterbens. Gewalt und Terror in der neusten Popliteratur. In: Weimarer Beiträge 49 (2003) 1, S. 55–69. 243 Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod, S. 125.
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Abb. 103: LEGO Concentration Camp von Zbigniew Libera, 1996.
Wenn alles nur noch Zeichen, nur noch Simulakrum ist,244 besteht die Aufgabe darin, diese Zeichenprozesse offenzulegen. Dass 1979 genau hieran arbeitet, macht seine Ökonomie der Zeichen zur politischen. Es legt aber zugleich das verborgene Zentrum offen, mit dem der Roman, allen scheiternden oder banalisierten Zentrumsbildungen zum Trotz, rechnet: das zeichenkundige Subjekt, das, gemäß den Bedingungen der Popmoderne gleichermaßen philologisch wie warenästhetisch geschult, bereit ist, diesen inszenierten Zeichenprozessen nachzugehen.
244 Auch die Revolution im Iran ist bereits eine mediale, siehe dazu Schneider u. Schneider: Zerstörung des Selbst, Erwartung des Anderen, S. 242. Peter Scholl-Latour berichtet über den medialen Gegenschlag mit zirkulärer Struktur bei der Rückkehr Khomeinis nach Teheran im Februar 1979: „Plötzlich kam es doch zu einem Zwischenfall. Auf den zirkulär aufgestellten Fernsehapparaten in der Flugplatzhalle brach die Übertragung der Rückkehr Khomeinis abrupt ab, die kaiserliche Hymne ertönte, und ein Standbild des Schah in schamarierter Uniform erschien auf der Mattscheibe. Diese Störsendung kaisertreuer Elemente wurde sofort abgeschaltet, aber sie war symptomatisch für den Widerstand, den der amtierende Premierminister Schapur Bakhtiar der islamischen Revolution immer noch entgegenzusetzen gewillt war. Bakhtiar war vom Schah unmittelbar vor dessen Abreise ins Exil als Regierungschef installiert worden und beriet sich zur gleichen Stunde fieberhaft mit den Generälen der Kaiserlichen Armee, wie man Khomeini und seinen Anhängern notfalls mit Waffengewalt in den Arm fallen und die Proklamierung des Islamischen Gottesstaates verhindern könne.“ Scholl-Latour: Allah ist mit den Standhaften, S. 96.
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Ausblick: Die Zukunft der Oberfläche
Ausblick Die Zukunft der Oberfläche: Perspektiven für eine künftige literatur- und kulturwissenschaftliche Forschung zur Poetik und Kultur der Marke Ich glaube: die Oberfläche hat eine große Zukunft.1 Bertolt Brecht: Tagebücher (1925)
Die Sensibilisierung für die literarästhetische Produktivität von Markenwaren, die sich der Popliteratur und ihrer Rezeption um die Jahrtausendwende verdankt, konnte in den fünf Kapiteln dieser Arbeit genutzt werden, um ganz unterschiedliche Verfahren der Aneignung und Literarisierung von Marken und warenästhetischen Phänomenen in der Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts sowie ihre vielfältigen kulturpoetologischen Vernetzungen aufzuzeigen. Die in dieser Studie verhandelten Texte – von Edmund Edels Satire Berlin W. über Thomas Manns Zauberberg, Irmgard Keuns Das kunstseidene Mädchen, Wolfgang Koeppens Tauben im Gras bis zu Christian Krachts 1979 – sind für diesen Zeitraum repräsentativ in dem Sinne, dass sie zentrale Aspekte warenästhetischer Kultur vom Wilhelminischen Kaiserreich bis zur Gegenwart in poetologisch relevanter Weise verhandeln. Als Facetten dieser Poetik der Marke standen Poetiken der Katalogisierung und der Fetischisierung, der Faszination, der Zirkulation und der Hyperrealisierung im Fokus der Lektüren. Sie entsprechen Praktiken, die – mit allen historischen Modifikationen, die es dabei zu berücksichtigen gilt und die in den vorangehenden Kapiteln beleuchtet wurden – vielfach bis in die Gegenwart hinein fortwirken. Auf diese Weise ermöglicht die Auseinandersetzung mit der Poetik der Marke auch ein Verständnis der warenästhetisch geprägten Kultur, in der wir gegenwärtig mehr denn je leben. „[W]enn die Erkundung einer bestimmten Kultur zum besseren Verständnis eines literarischen Werkes führt, das in dieser Kultur hergestellt wurde, so wird die sorgfältige Lektüre eines literarischen Werkes auch zum besseren Verständnis der Kultur führen, in der es hergestellt wurde“2 – von dieser Überzeugung des New Historicism sind die Analysen dieser Arbeit getragen. Die vorangegangenen Kapitel haben sich mit literarischen Texten beschäftigt, die unter dezidiert kapitalistischen Verhältnissen entstanden sind: während
1 Bertolt Brecht: o. T. [Autobiographische Notiz, 1925.]. In: Ders.: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei u. Klaus-Detlef Müller. Bd. 26: Journale I: 1913–1941. Bearb. von Marianne Conrad u. Werner Hecht, unter Mitarbeit von Herta Ramthun. Frankfurt am Main 1994: Suhrkamp. S. 283. 2 Greenblatt: Kultur, S. 51.
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des Wilhelminischen Kaiserreichs, in der Weimarer Republik, der frühen Bundesrepublik und in der jüngsten Vergangenheit. In fortführender Perspektivierung schließt sich daher die Frage an, wie sich das Verhältnis von Warenästhetik und Literatur unter dem Vorzeichen von – ihrem eigenen Verständnis nach – nichtoder ‚anti-kapitalistischen‘ Regimen wie dem Nationalsozialismus und der DDR gestaltet. So wäre es, wie am Ende von Kapitel 3 angedeutet, beispielsweise ein lohnendes Unternehmen zu untersuchen, wie die ‚Tatsachenromane‘ Karl Aloys Schenzingers, die zu den Bestsellern des ‚Dritten Reichs‘ zählten, nicht nur synthetische Stoffe wie das von der BASF und späteren I. G. Farben aus Anilin gewonnene Indigo zum Gegenstand haben,3 sondern zugleich eine Poetik der Synthese entwickeln, indem sie Faktuales und Fiktionales derart miteinander verbinden, dass daraus der Vorläufer zu einer neuen literarischen Gattung, dem Sachbuch, wird. Zugleich könnte eine solche Lektüre neues Licht auf die nationalsozialistische Geopolitik werfen,4 geht es doch in diesen Romanen oft genug auch um die Überlegenheit deutscher Produkte wie dem Medikament Germanin, dem Hellmuth Unger den gleichnamigen, später verfilmten Roman Germanin. Geschichte einer deutschen Großtat (1938) widmet.5 Überdies wäre es interessant zu fragen, inwieweit nicht gerade das nationalsozialistische Herrschaftssystem einerseits kapitalistische Zirkulation zu verhindern versuchte und verbot, sie andererseits aber tolerierte, gar förderte oder schlechtweg – wie im Falle von privatwirtschaftlich vertriebenen NS-Devotionalien – nicht zu unterbinden imstande war.6 Auch mit Blick auf die Literatur der DDR ist die Frage nach der Zirkulation von Waren von besonderem Interesse. So hat der bulgarische Kulturanthropologe Ivaylo Ditchev die These aufgestellt, der Kommunismus sei lediglich eine Variante des Kapitalismus, insofern auch im Kommunismus dem Konsum eine herausragende Bedeutung zugekommen sei.7 Zugleich kommt es in der DDR zur Überlagerung
3 Schenzinger: Anilin. 4 Zur geopolitischen fiktionalen Literatur der zwanziger und dreißiger Jahre siehe Andy Hahnemann: Texturen des Globalen. Geopolitik und populäre Literatur in der Zwischenkriegszeit 1918–1939. Heidelberg 2010: Universitätsverlag Winter. 5 Siehe hierzu Stephan Besser: Germanin. Pharmazeutische Signaturen des deutschen (Post)Kolonialismus. In: Alexander Honold u. Oliver Simons (Hg.): Kolonialismus als Kultur. Literatur, Medien, Wissenschaft in der deutschen Gründerzeit des Fremden. Tübingen u. Basel 2002: A. Francke. S. 167–195. [= Kultur – Herrschaft – Differenz. Hg. von Moritz Csáky, Wolfgang Müller-Funk u. Klaus R. Scherpe. Bd. 2.] 6 Zur Zirkulation des ‚Nazi-Kitsches‘ siehe Weyand: Von Hitler bis zum iPod, S. 201–211. 7 Ditchev konstatiert eine ambivalente Haltung des Kommunismus gegenüber dem Konsum: „Die rein diesseitige Grundlegung der Ideologie enthielt einerseits den Massenkonsum als Endziel des Kommunismus (‚die Befriedigung der ständig wachsenden Bedürfnisse der Arbeiter‘). […] Doch andererseits war der Konsum immer etwas Schuldbehaftetes (die Sünde des ‚Waren-
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von zwei Zirkulationssystemen: der Zirkulation von Markenprodukten aus der DDR und der Zirkulation von Markenprodukten aus der BRD. Nicht nur politisch, auch warenästhetisch bedeutet 1989 eine tiefgreifende Zäsur, die erhebliche Teile der Alltagswelt der DDR zum Verschwinden bringt. Mit ihrem Roman Moskauer Eis (2000) hat Annett Gröschner gezeigt, wie eng Erinnerungsdiskurse und Identitätsbildung mit Markenprodukten verknüpft sind.8 Produktiv fortführen ließe sich die Untersuchung ästhetischer Aneignungen von Markenwaren zudem in komparatistischer und medienwissenschaftlicher Perspektive. Die Mehrzahl der Marken, die uns umgibt, hat eine globale, zumindest jedoch transnationale Verbreitung. Marken wie Prada, McDonald’s oder Coca-Cola finden sich demgemäß nicht nur in deutschsprachiger Literatur, sondern ebenso etwa in Michel Houellebecqs Plattform (Frankreich 2001)9, Bret Easton Ellis’ American Psycho (USA 1991)10, Dorota Masłowskas Schneeweiß und Russenrot (Polen 2002)11 oder Javier Marías’ Mein Herz so weiß (Spanien 1992)12. Komparatistische Lektüren eröffnen die Möglichkeit, unterschiedliche ästhetische Verfahren der literarischen Aneignung von globalen Gütern vor dem Hintergrund nationaler literarästhetischer Traditionen zu beleuchten und so die Annahme der material culture-Forschung zu überprüfen, derzufolge „es nicht richtig [ist] zu vermuten, daß der Konsum von weltweit gleichen Dingen zu einer globalen Homogenisierung führt“.13 Ulf Erdmann Ziegler hat mit seiner ‚Autogeographie‘ Wilde Wiesen (2007) ein literarisches Beispiel für die Verbindung von kultureller Identität, geografischer Herkunft und Marken geliefert.14 In einer medienwissenschaftlichen Ausweitung des Untersuchungsfeldes zur Poetik der Marke steht an erster Stelle der Film als ein Medium, das selbst als ‚Oberflächenmedium‘ gilt.15 Wie in Kapitel 3 aufgezeigt, entsteht der Film etwa zeitgleich mit dem modernen Markenwesen in Deutschland und teilt mit Marken eine beson-
wahns‘).“ Ivaylo Ditchev: Die Konsumentenschmiede. Versuch über das kommunistische Begehren. In: Boris Groys, Anne von der Heiden u. Peter Weibel, unter Mitarb. von Anja Herrmann u. Julia Warmers (Hg.): Zurück aus der Zukunft. Osteuropäische Kulturen im Zeitalter des Postkommunismus. Frankfurt am Main 2005: Suhrkamp. S. 278–338, hier S. 293. 8 Annett Gröschner: Moskauer Eis. Roman. Berlin 32003 (2000): Aufbau Taschenbuch Verlag. Zur Identitätsbildung durch Marken siehe auch den Roman von Umberto Eco: Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana. Illustrierter Roman. München 2004: Carl Hanser. 9 Michel Houellebecq: Plattform. Köln 2002: DuMont. 10 Bret Easton Ellis: American Psycho. Köln 2002 (1991): Kiepenheuer & Witsch. 11 Dorota Masłowska: Schneeweiß und Russenrot. Köln 2004: Kiepenheuer & Witsch. 12 Javier Marías: Mein Herz so weiß. Stuttgart 1996: Klett-Cotta. 13 Hahn: Materielle Kultur, S. 100. 14 Ulf Erdmann Ziegler: Wilde Wiesen. Autogeographie. Göttingen 2007: Wallstein. 15 Vgl. Stauffer u. Keitz: Lob der Oberfläche, S. 16–22.
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dere Form der Faszinationsproduktion. Durch den kategorial verschiedenen Wirklichkeitsbezug des Films gegenüber der literarischen Diegese stellt sich beim Film die Frage nach der Welthaltigkeit16 im Allgemeinen und nach der Aneignung von Markenprodukten im Besonderen auf grundsätzlich andere Weise als in der Literatur: Da der Film die Dinge nicht benennt, sondern immer konkret-sinnlich zeigt,17 verfügt er nicht über die Möglichkeit, Markenprodukte durch Gegenstandsbezeichnungen zu ersetzen, sondern kann, etwa wenn ein Auto gezeigt wird, dieses allenfalls als Marke unkenntlich machen oder ein eigens entworfenes Auto zeigen. Dies begünstigt zugleich die vielfältigen (und vielfältig genutzten) Formen des Product Placement, auf das der Film aufgrund seiner ökonomischen Grundlagen zudem in höherem Maße angewiesen ist als die Literatur.18 Auf wiederum andere Weise kommt das ökonomisch motivierte Product Placement in den virtuellen Welten von Computerspielen zum Tragen und liefert damit einen Untersuchungsgegenstand für die Game Studies: Rollenspiele wie The Sims bieten käuflich zu erwerbende Add Ons, mit denen die Spieler ihre virtuellen Figuren mit Möbeln von IKEA oder Bekleidung von H&M ausstatten können.19 Neben diesen historischen und medialen Ausweitungen des Gegenstandsbereichs eröffnet sich jedoch noch eine ganz andere Perspektive für eine Beschäftigung der Literatur- und Kulturwissenschaften mit Markenwaren und Warenästhetik. Als ein gemeinsamer Topos erwies sich in allen fünf Kapiteln die Bezugnahme auf den Begriff der ‚Oberfläche‘. So sehr das bürgerliche Höhenund Tiefenparadigma des 19. Jahrhunderts bis in die jüngste Gegenwart als Wertmaßstab in Anspruch genommen wird, so deutlich zeigen indes die Lektüren dieser Arbeit, dass „die moderne Welt […] ihre wichtigen Objekte und Erfahrungen auf den Oberflächen [versammelt]“, wie Max Bense 1952 konstatiert.20 Ganz gleich, welcher Wertung diese Expansion von Oberflächenphänomenen unterzogen wird, gibt der Blick auf die gut hundertjährige Geschichte des modernen Markenwesens Anlass zu der Annahme, dass die Tagebuchnotiz des jungen Bertolt Brecht sich nach über achtzig Jahren keineswegs erledigt, sondern vielmehr be-
16 Vgl. Gertrud Koch: Filmische Welten – Zur Welthaltigkeit filmischer Projektionen. In: Joachim Küpper u. Christoph Menke (Hg.): Dimensionen ästhetischer Erfahrung. Frankfurt am Main 2003: Suhrkamp. S. 162–175. 17 Vgl. Margrit Tröhler: Die sinnliche Präsenz der Dinge oder: die skeptische Versöhnung mit der Moderne durch den Film. In: Christian Kiening (Hg.): Mediale Gegenwärtigkeit. Zürich 2007: Chronos Verlag. S. 283–306. Zum Realitätseindruck im Film siehe auch Christian Metz: Semiologie des Films. München 1972: Wilhelm Fink. Bes. S. 20–35. 18 Zu einem literarischen Fall von Product Placement siehe Döring: Paratext Tristesse Royale. 19 Siehe http://www.amazon.de/Sims-Ikea-Home-Stuff-UK/dp/B00169L7QK/ [18. 03. 2013]. 20 Max Bense: Plakatwelt. Vier Essays. Stuttgart 1952: Deutsche Verlags-Anstalt. S. 15.
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stätigt und an Brisanz gewonnen haben dürfte: „Ich glaube: die Oberfläche hat eine große Zukunft.“21 Darin liegt nicht nur eine fortwährende Herausforderung der Literatur, des Films und der Computerspiele, die sich dieser Wirklichkeit auf je ihre Weise zu stellen haben. Auch die Literatur- und Kulturwissenschaften haben allen Grund, sich davon herausgefordert zu fühlen, wollen sie dem Anspruch gerecht werden, durch historisches Bewusstsein und interpretatorische Kompetenz auch zu einem klareren Verständnis der Gegenwart beizutragen. Die Lektüren dieser Arbeit haben die Zeichenprozesse, die sich an Marken und ihren literarischen Aneignungen nachvollziehen lassen, verfolgt. Betrachtet man auf diese Weise „die Gesamtheit der Kultur sub specie semiotica, so heißt das nicht, Kultur sei nur Kommunikation und Signifikation, sondern es bedeutet, daß man sie gründlicher verstehen kann, wenn man sie unter semiotischen Gesichtspunkten betrachtet“.22 Gerade die semiologische und kulturpoetologische Lektüre von Christian Krachts 1979 hat allerdings gezeigt, wie der Roman die Zirkulation der Zeichen unter den aktuellen Bedingungen der Popmoderne bis an ihre Grenzen treibt. Das wirft die Frage nach dem auf, was jenseits der Zeichen existiert. Dieses in der Semiosphäre, in der wir leben, „Unabgegoltene[]“23, rückt unter dem Vorzeichen der Postsemiotik oder Posthermeneutik in jüngster Zeit in den Fokus kulturwissenschaftlicher Überlegungen. Das Bewusstsein für diese „Residuen des ‚Asemiotischen‘“24 suspendieren indes nicht die Semiotik. Denn das Wissen um „die Materialität der Dinge, die Leiblichkeit des Körpers, aber auch das Übriggelassene, die untilgbaren Reste, derer wir nicht Herr werden, de[n] Verfall, das Altern oder die zeitliche Erosion, die nicht erfasst, begriffen oder berührt werden können“ verlangt gleichwohl danach, diese Phänomene „durch anderes wahrnehmbar und bezeichenbar“ zu machen,25 sie also zu semiotisieren, soll darüber kommuniziert werden. Das gegenwärtige Produktdesign zielt mehr denn je auf ein „multisensory enhancement“, ein Ansprechen möglichst aller Sinne und damit ein Übersteigen der Grenzen des Semiotischen, wie sich selbst an so alltäglichen Gegenständen wie Duschgeltuben zeigen lässt.26 Warenästhetik erzeugt
21 Brecht: o. T. [Autobiographische Notiz, 1925.]. 22 Umberto Eco: Semiotik. Entwurf einer Theorie der Zeichen. München 1987: Wilhelm Fink Verlag. S. 52. Herv. im Orig. Allerdings ist Eco zugleich der Ansicht: „Kultur kann völlig unter einem semiotischen Gesichtspunkt untersucht werden.“ (ebd., S. 54). 23 Dieter Mersch: Posthermeneutik. Berlin 2010: Akademie Verlag. S. 13. [= Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Sonderband 26.] 24 Mersch: Posthermeneutik, S. 13. 25 Mersch: Posthermeneutik, S. 13. Herv. im Orig. 26 Wolfgang Ullrich: Unter der Dusche. [Ästhetikkolumne.] In: Merkur (2008) 709, S. 512–517, hier S. 512. Durch die nicht-zeichenhaften Aspekte haben sich die zeichenhaften indes keines-
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und erfordert daher eine ‚neue Intelligenz‘ (Steven Johnson),27 weil sie uns mit zeichenhaften wie nicht zeichenhaften Dimensionen von qualitativ zunehmender Komplexität und quantitativ wachsendem Ausmaß konfrontiert. Deshalb braucht es Kompetenzen zur Wahrnehmung und Beschreibung der semiotischen wie der nicht-semiotischen Aspekte unserer warenästhetischen Alltagswirklichkeit.28 Denn erst diese Kompetenzen schaffen überhaupt die Möglichkeit von Kritik. Am Nullpunkt einer neuen Kritik der Warenästhetik steht daher keine Neuauflage eines als gesichert geltenden kulturkritischen Instrumentariums,29 sondern eine semiologische Einlässlichkeit im Umgang mit der Semiosphäre der Waren und ihren asemiotischen, aisthetischen und atmosphärischen Qualitäten.30
wegs erledigt: Produkte werden heute von den Marketingtheorien unter Rückgriff auf zeichentheoretische Erkenntnisse konzipiert, siehe hierzu Gries: Produkte als Medien, bes. S. 72–77. 27 Steven Johnson: Neue Intelligenz. Warum wir durch Computerspiele und TV klüger werden. Köln 2006: Kiepenheuer & Witsch. 28 Vgl. auch Wolfgang Ullrichs Forderung nach einer akademischen Verankerung der Konsumkulturforschung in Ullrich: Habenwollen, S. 203. Zu den nicht-semiotischen Aspekten der Warenästhetik siehe Weyand: An den Rändern des Semiologischen. 29 Vgl. dazu etwa die Neuauflage von Haug: Kritik der Warenästhetik (2009). 30 In Roland Barthes’ Analyse der DS deutet sich eine solche Verbindung an, wenn Barthes die DS mit den Zeichen der Kultur kurzschließt und zugleich mit seinem Text das Befühlen der Oberfläche nachvollzieht.
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Literatur- und Medienverzeichnis
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Primärliteratur
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Primärtexte zu Markenwesen und Warenästhetik
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Weitere zeitgenössische Primärtexte
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Benjamin, Walter: Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter der Hochkapitalismus. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. I-2: Abhandlungen. Hg. von Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main 1991: Suhrkamp. S. 509–690. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit [Dritte Fassung]. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. I-2: Abhandlungen. Hg. von Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main 1991: Suhrkamp. S. 471–508. Benjamin, Walter: Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. II-2: Aufsätze, Essays, Vorträge. Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. S. 438–465. Benjamin, Walter: Das Passagen-Werk. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. V: Das PassagenWerk. Hg. von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main 1991: Suhrkamp. Benjamin, Walter: Brief an Gershom Scholem. Frankfurt a. M., 19. 02. 1925. In: Ders.: Gesammelte Briefe. Hg. vom Theodor W. Adorno Archiv. Bd. III: 1925–1930. Hg. von Christoph Gödde u. Henri Lonitz. Frankfurt am Main 1997: Suhrkamp. S. 13–18. Benjamin, Walter: Brief an Gershom Scholem. Berlin, 06. 04. 1925. In: Ders.: Gesammelte Briefe. Hg. vom Theodor W. Adorno Archiv. Bd. III: 1925–1930. Hg. von Christoph Gödde u. Henri Lonitz. Frankfurt am Main 1997: Suhrkamp. S. 25–29. Bense, Max: Plakatwelt. Vier Essays. Stuttgart 1952: Deutsche Verlags-Anstalt. Berliner Adreßbuch 1906. Berlin o.J.: August Scherl, Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft. Zentralund Landesbibliothek Berlin, http://adressbuch.zlb.de [31. 03. 2009]. Berliner Adreßbuch 1908. Berlin o.J.: August Scherl, Deutsche Adreßbuch-Gesellschaft. Zentralund Landesbibliothek Berlin, http://adressbuch.zlb.de [31. 03. 2009]. Bierbaum, Otto Julius: Gedanken über Buchausstattung. [Erstdruck in: Zeitschrift für Bücherfreunde. Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen 1 (1897/98) 1, S. 210–212.] In: Jürg Mathes (Hg.): Theorie des literarischen Jugendstils. Stuttgart 1984: Philipp Reclam jun. S. 68–73. Biermer, M.: Sombart. Ein Brief. In: Morgen, 03. 07. 1908, S. 887–889. Blanchot, Maurice: L’écriture du désastre. Paris 1980: Éditions Gallimard. Blei, Franz: Die göttliche Garbo. Berlin 1930: Kindt & Bucher Verlag. Boveri, Margret: Amerika-Fibel für erwachsene Deutsche. Ein Versuch Unverstandenes zu erklären. Freiburg/Br. 1948: Badischer Verlag. S. 97f. [Erstausgabe: Berlin 1946: Minerva-Verlag.] Brecht, Bertolt: o. T. [Autobiographische Notiz, 1925.]. In: Ders.: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. von Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei u. Klaus-Detlef Müller. Bd. 26: Journale I: 1913–1941. Bearb. von Marianne Conrad u. Werner Hecht, unter Mitarbeit von Herta Ramthun. Frankfurt am Main 1994: Suhrkamp. S. 283. Brockhaus Konversationslexikon. 14. Auflage. Leipzig 1894–1896: Brockhaus. Brod, Max u. R.[udolf] Thomas: Liebe im Film. Gießen 1930: Kindt & Bucher. Bucher, Edmund u. Albrecht Kindt (Hg.): Film-Photos wie noch nie. Gießen 1929: Kindt & Bucher Verlag. Büchner, M. Gottfried, E. Ch. Lutz u. H. Riehm: Biblische Real- und Verbal-Handkonkordanz. Basel 1890: Verlag von Ferd. Riehm. Crouch, Colin: Postdemokratie. Frankfurt am Main 2008: Suhrkamp. [Postdemocrazia. Rom 2003: Gius, Laterza & Figli.] Damen Conversations Lexikon. Hg. im Verein mit Gelehrten und Schriftstellerinnen von C. Herlosssohn. [o.O.] 1836: Adorf Verlags-Bureau. Döbler, Katharina: Frische Luft! Wie viel Welthaltigkeit braucht die Literatur? In: Die Zeit, Nr. 25, 12. 06. 2003.
360
Literatur- und Medienverzeichnis
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Weitere zeitgenössische Primärtexte
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Literatur- und Medienverzeichnis
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Weitere zeitgenössische Primärtexte
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Literatur- und kulturtheoretische Texte
365
Tucholsky, Kurt: Märchen. In: Ders.: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hg. von Mary GeroldTucholsky u. Fritz J. Raddatz. Reinbek bei Hamburg 1975. Bd. 1: 1907–1918. S. 39. van den Velde, Henry: Was ich will. [Erstdruck in: Die Zeit. Wiener Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft, Wissenschaft und Kunst 26 (1901) 336, S. 154f.] In: Jürg Mathes (Hg.): Theorie des literarischen Jugendstils. Stuttgart 1984: Philipp Reclam jun. S. 106–110. Walser, Robert: Berlin W. [1910]. In: Ders.: Aufsätze. Zürich u. Frankfurt am Main 1985: Suhrkamp. S. 79–82. Waltscheff, Nikolas: Blutuntersuchungen bei den Quartzlampenbestrahlungen . Berlin 1915: Ebering. Wandrey, Conrad: Thomas Mann und sein Zauberberg. In: Der neue Merkur 8 (1925), S. 421–436. Warhol, Andy u. Pat Hackett: POPism. The Warhol 60s. New York 1980: Harcourt. Wilder, Billy: „Hallo, Herr Menjou?“ Er spricht ein reizendes Deutsch – Seine Mutter stammt aus Leipzig. [Erstdruck: Tempo, 05. 08. 1929]. In: Billy Wilder: Der Prinz von Wales geht auf Urlaub. Berliner Reportagen, Feuilletons und Kritiken der zwanziger Jahre. Hg. von Klaus Siebenhaar. München 2000: Diana. S. 162–166. Wilhelm II: Die wahre Kunst. Ansprache am 18. Dezember 1901, anlässlich der Ausgestaltung der Siegesallee. In: Jürgen Schutte u. Peter Sprengel (Hg.): Die Berliner Moderne 1885–1914. Stuttgart 1987: Philipp Reclam jun. S. 571–574. Wolff, Eugen: Die jüngste deutsche Literaturströmung und das Princip der Moderne. Berlin 1888: Richard Eckstein Nachfolger (Hammer & Runge). S. 9. [= Literarische Volkshefte, Nr. 5.] W-g., H. [= Hans Wollenberg]: Die Wechselwirkung: Schallplatte und Film. In: Film und Ton. Wochenbeiblatt der Licht-Bildbühne, 01. 02. 1930.
1.4 Literatur- und kulturtheoretische Texte Agamben, Giorgio: Homo sacer. Die Souveränität der Macht und das nackte Leben. Frankfurt am Main 2002: Suhrkamp. Auerbach, Erich: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur. Tübingen u. Basel 102001 (1946): A. Francke. Bachtin, Michail M.: Die Ästhetik des Wortes. Hg. von Rainer Grübel. Frankfurt am Main 1979: Suhrkamp. Bal, Mieke: Kulturanalyse. Frankfurt am Main 2002: Suhrkamp. Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez u. Simone Winko (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart 2000: Philipp Reclam jun. S. 185–193. Barthes, Roland: Mythologies. Paris 2003 (1970): Éditions du Seuil [Coll. Points Essais]. Barthes, Roland: Mythen des Alltags. Frankfurt am Main 1964: Suhrkamp. Barthes, Roland: Elemente der Semiologie. Frankfurt am Main 1979: Syndikat. [ED: Éléments de sémiologie. In: Communications (1964) H. 4.] Barthes, Roland: L’effet de réel. In: Ders., Leo Bersani, Philippe Hamon, Michael Riffaterre u. Ian Watt: Littérature et réalité. Paris 1982: Éditions du Seuil. S. 81–90. Barthes, Roland: S/Z. Frankfurt am Main 1987: Suhrkamp. Barthes, Roland: Fragmente einer Sprache der Liebe. Frankfurt am Main 1988: Suhrkamp. Barthes, Roland: Semantik des Objekts. In: Ders.: Das semiologische Abenteuer. Frankfurt am Main 1988: Suhrkamp. S. 187–198.
366
Literatur- und Medienverzeichnis
Barthes, Roland: Die Lust am Text. Frankfurt am Main 81996 (1974): Suhrkamp. Barthes, Roland: Rhetorik des Bildes. In: Ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III. Frankfurt am Main 1990: Suhrkamp. S. 28–46. Baßler, Moritz (Hg.): New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Frankfurt am Main 1995: Fischer Taschenbuch Verlag. Baßler, Moritz: Die kulturpoetische Funktion und das Archiv. Eine literaturwissenschaftliche Text-Kontext-Theorie. Tübingen 2005: Francke. Baudrillard, Jean: Le système des objets. Paris 1978 (1968): Éditions Gallimard. Baudrillard, Jean: Der symbolische Tausch und der Tod. München 1982: Matthes & Seitz. Baudrillard, Jean: La précession des simulacres. In: Traverses (1978) 10: Le simulacre, S. 3–37. Baudrillard, Jean: À l’ombre du millénaire ou Le suspens de l’an 2000. Paris 1998: Sens & Tonka. Berger, John u.a.: Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt. Deutsch von Axel Schenck. Reinbek bei Hamburg 1996 (1974): Rowohlt. Böhme, Gernot: Atmosphäre. Frankfurt am Main 1995: Suhrkamp. Böhme, Gernot: Der Glanz des Materials. Zur Kritik der ästhetischen Ökonomie. In: Ders.: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt am Main 1995: Suhrkamp. S. 49–65. Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre. München 2001: Wilhelm Fink Verlag. Böhme, Hartmut: Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne. Reinbek bei Hamburg 2006: Rowohlt. Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Übersetzt von Bernd Schwibs u. Achim Russer. Frankfurt am Main 1982: Suhrkamp. Bourdieu, Pierre: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Reinhard Kreckel (Hg.): Soziale Ungleichheiten. Göttingen 1983: Schwartz. S 183–198. [= Soziale Welt. Sonderband 2.] Bourdieu, Pierre: Die männliche Herrschaft. Aus dem Französischen von Jürgen Bolder. Frankfurt am Main 2005: Suhrkamp. Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Aus dem Amerikanischen von Kathrina Menke. Frankfurt am Main 1991: Suhrkamp. Connor, Steven: Fascination, skin and the screen. In: Critical Quarterly 40 (1998) 1, S. 9–24. Deleuze, Gilles: Differenz und Wiederholung. Aus dem Französischen von Joseph Vogl. München 1992: Wilhelm Fink. Deleuze, Gilles u. Félix Guattari: Kafka. Für eine kleine Literatur. Frankfurt am Main 1976: Suhrkamp. Deleuze, Gilles u. Félix Guattari: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin 52002 (1992): Merve Verlag. Derrida, Jacques: Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen. In: Ders.: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt am Main 1976: Suhrkamp. S. 422–442. Derrida, Jacques: Glas. Aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek u. Markus Sedlaczek. München 2006: Wilhelm Fink. Eco, Umberto: Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte. Frankfurt am Main 1977: Suhrkamp. Eco, Umberto: Semiotik. Entwurf einer Theorie der Zeichen. München 1987: Wilhelm Fink Verlag.
Literatur- und kulturtheoretische Texte
367
Eco, Umberto: Sémiotique et philosophie du langage. Paris 1988: Quadrige / Presses Universitaires de France. Eco, Umberto: Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten. München 31998 (1990): Deutscher Taschenbuch Verlag. Eco, Umberto: Die Grenzen der Interpretation. München u. Wien 1992: Carl Hanser. Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. Frankfurt am Main 191995 (1976): Suhrkamp. Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. Frankfurt am Main 2004: Suhrkamp. Foucault, Michel: Des espaces autres [1967/84]. In: Ders.: Dits et écrits 1954–1988. Tome IV: 1980–1988. Hg. von Daniel Defert u. François Ewald. Paris 1994: Éditions Gallimard. S. 752–762. Foucault, Michel: Das Denken des Draußen. In: Ders.: Schriften zur Literatur. Frankfurt am Main 1988: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 130–156. Franck, Georg: Mentaler Kapitalismus. Eine politische Ökonomie des Geistes. München u. Wien 2005: Hanser. Franck, Georg: Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. München 2007: Deutscher Taschenbuch Verlag. Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen 41975: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck). Genette, Gérard: Discours du récit. Essai de méthode. In: Ders.: Figures III. Paris 1972: Éditions du Seuil (collection Poétique). S. 65–282. Genette, Gérard: Nouveau discours du récit. Paris 1983: Éditions du Seuil. Genette, Gérard: Seuils. Paris 1987: Éditions du Seuil. Genette, Gérard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt am Main 1993: Suhrkamp. Greenblatt, Stephen: Selbstbildung in der Renaissance. Von More bis Shakespeare (Einleitung). In: Moritz Baßler (Hg.): New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Frankfurt am Main 1995: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 35–47. Greenblatt, Stephen: Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen Renaissance. Frankfurt am Main 1993: Fischer Taschenbuch Verlag. Greenblatt, Stephen: Resonance and Wonder. In: Bulletin of the American Academy of Arts and Sciences 43 (1990) 4, S. 11–34. Greenblatt, Stephen: Grundzüge einer Poetik der Kultur. In: Ders.: Schmutzige Riten. Betrachtungen zwischen Weltbildern. Frankfurt am Main 1995: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 107–122. Greenblatt, Stephen: Kultur. In: Moritz Baßler (Hg.): New Historicism. Literaturgeschichte als Poetik der Kultur. Frankfurt am Main 1995: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 48–59. Greenblatt, Stephen: Erich Auerbach und der New Historicism. Bemerkungen zur Funktion der Anekdote in der Literaturgeschichtsschreibung. In: Ders.: Was ist Literaturgeschichte? Frankfurt am Main 2000: Suhrkamp. S. 73–100. Groys, Boris: Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie. Frankfurt am Main 22002 (1999): Fischer Taschenbuch Verlag. Hahnemann, Andy u. Björn Weyand (Hg.): Faszination. Historische Konjunkturen und heuristische Tragweite eines Begriffs. Berlin, Frankfurt am Main u.a. 2009: Peter Lang. Hahnemann, Andy u. Björn Weyand: Faszination. Zur Anziehungskraft eines Begriffs [Einleitung]. In: Dies. (Hg.): Faszination. Historische Konjunkturen und heuristische Tragweite eines Begriffs. Berlin, Frankfurt am Main u.a. 2009: Peter Lang. S. 7–32.
368
Literatur- und Medienverzeichnis
Heyer, Stefan: Deleuzes & Guattaris Kunstkonzept. Ein Wegweiser durch Tausend Plateaus. Wien 2001: Passagen Verlag. Hörisch, Jochen: Die Wut des Verstehens. Zur Kritik der Hermeneutik. Erweiterte Nachauflage. Frankfurt am Main 1998: Suhrkamp. Illouz, Eva: Der Konsum der Romantik. Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus. Frankfurt am Main 2007: Suhrkamp. Jakobson, Roman: Linguistik und Poetik [1960]. In: Ders.: Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921–1971. Hg. von Elmar Holenstein u. Tarcisius Schelbert. Frankfurt am Main 1979: Suhrkamp. S. 83–121. Jakobson, Roman: Der Doppelcharakter der Sprache. In: Anselm Haverkamp (Hg.): Theorie der Metapher. Darmstadt 1983: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. [= Wege der Forschung. Bd. 389.] S. 163–174. Jameson, Frederic: Postmodernism, or, The Cultural Locig of Late Capitalism. London u. New York 1991: Verso. Johnson, Steven: Neue Intelligenz. Warum wir durch Computerspiele und TV klüger werden. Köln 2006: Kiepenheuer & Witsch. Kraß, Andreas: Queer Studies – eine Einführung. In: Ders. (Hg.): Queer Denken. Gegen die Ordnung der Sexualität (Queer Studies). Frankfurt am Main 2003: Suhrkamp. S. 7–28. Kraß, Andreas: Queer lesen. Literaturgeschichte und Queer Theory. In: Therese Frey Steffen, Caroline Rosenthal u. Anke Väth (Hg.): Gender Studies. Wissenschaftstheorien und Gesellschaftskritik. Würzburg 2004: Königshausen & Neumann. S. 233–248. Kristeva, Julia: Le vréel. In: Dies.: Folle vérité. Vérité et vraisemblance du text psychotique. Séminaire dirigé par Julia Kristeva et édité par Jean-Michel Ribettes. Paris 1979: Éditions du Seuil. S. 11–35. Kristeva, Julia: Pouvoirs de l’horreur. Essai sur l’abjection. Paris 1980: Éditions du Seuil. Lacan, Jacques: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint. Bericht für den 16. Internationalen Kongreß für Psychoanalyse in Zürich am 17. Juli 1949. In: Ders.: Schriften I. Ausgew. u. hg. von Norbert Haas. Weinheim u. Berlin 31991 (1986): Quadriga Verlag. S. 61–70. Lacan, Jacques: Das Seminar. Buch XI: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Weinheim u. Berlin 1996: Quadriga Verlag. Lacan, Jacques: Die Bedeutung des Phallus. In: Ders.: Schriften II. Hg. von Norbert Haas. Weinheim u. Berlin 1986: Quadriga Verlag. S. 119–132. Lämmert, Eberhard: Bauformen des Erzählens. Stuttgart 1955: J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung. Lévi-Strauss, Claude: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft. Übersetzt von Eva Moldenhauer. Frankfurt am Main 1981: Suhrkamp. Lotman, Jurij M.: Die Struktur literarischer Texte. München 31993 (1972): Wilhelm Fink. Lyotard, Jean-François: La condition postmoderne. Rapport sur le savoir. Paris 1979: Éditions de Minuit. Lyotard, Jean-François: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht. Hg. von Peter Engelmann. Wien 41999: Passagen-Verlag. Man, Paul de: Semiologie und Rhetorik. In: Ders.: Allegorien des Lesens. Frankfurt am Main 1988: Suhrkamp. S. 31–51. Man, Paul de: Tropen (Rilke). In: Ders.: Allegorien des Lesens. Frankfurt am Main 1988: Suhrkamp. S. 52–90. Man, Paul de: Autobiographie als Maskenspiel. In: Ders.: Die Ideologie des Ästhetischen. Hg. von Christoph Menke. Frankfurt am Main 1993: Suhrkamp. S. 131–146.
Literatur- und kulturtheoretische Texte
369
Mauss, Marcel: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Übersetzt von Eva Moldenhauer. Frankfurt am Main 1990: Suhrkamp. Mersch, Dieter: Posthermeneutik. Berlin 2010: Akademie Verlag. [= Deutsche Zeitschrift für Philosophie. Sonderband 26.] Miller, Daniel: The Comfort of Things. Cambridge 2008: Polity Press. Mukaqovsk), Jan: Die poetische Benennung und die ästhetische Funktion der Sprache. In: Ders.: Kapitel aus der Poetik. Frankfurt am Main 1967: Suhrkamp. S. 44–54. Ottmers, Clemens: Rhetorik. Stuttgart 2007: J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung. Sontag, Susan: Against Interpretation. In: Dies.: Against Interpretation and Other Essays. New York 1990 (1961): Picardor. S. 3–14. Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich 1946: Atlantis Verlag. Stierle, Karlheinz: Die Struktur narrativer Texte. In: Helmut Brackert u. Eberhard Lämmert (Hg.): Funkkolleg Literatur I. Frankfurt am Main 1977: Fischer Taschenbuch Verlag. S. 210–233. Tynjanov, Jurij: Das literarische Faktum. In: Jurij Striedter (Hg.): Russischer Formalismus. Texte zur allgemeine Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa. München 51994 (1969, 1971): Wilhelm Fink. S. 393–431. Volli, Ugo: Semiotik. Eine Einführung in ihre Grundbegriffe. Tübingen u. Basel 2002: Francke. Weingart, Brigitte: Faszinationsanalyse. In: Gerald Echterhoff u. Michael Eggers (Hg.): Der Stoff, an dem wir hängen. Faszination und Selektion von Material in den Kulturwissenschaften. Würzburg 2002: Königshausen & Neumann. S. 19–29. Welsch, Wolfgang: Grenzgänge der Ästhetik. Stuttgart 1996: Philipp Reclam jun. Welsch, Wolfgang: Perspektiven für das Design der Zukunft. [1989] In: Ders.: Ästhetisches Denken. Stuttgart 62003 (1990): Philipp Reclam jun. S. 201–218. Woodmansee, Martha u. Mark Osteen (Hg.): The New Economic Criticism. Studies at the intersection of literature an economics. London u. New York 1999: Routledge.
1.5 Zeitschriften brand eins. Wirtschaftsmagazin (1999–) Das Magazin (1924–1941) Der Freund (2004–2006) Der Querschnitt (1922–1936) Deutsche Kunst und Dekoration (1897–1934) Die Dame (1911–1943) Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt (1853–1937) Die Praktische Berlinerin (1905–1927) Die Zukunft (1892–1922) Film-Kurier (1919–1945) Kladderadatsch (1848–1944) Kunstgewerbe für’s Haus. Illustrierte Monatszeitschrift für Dilettanten (1900–1914) Morgen. Wochenschrift für deutsche Kultur (1907–1909) Patent- und Markenzeitung. Zeitschrift für die Interessen des gewerblichen geistigen Eigentums (1890–1894) Seidels Reklame (1913–1935)
370
Literatur- und Medienverzeichnis
1.6 Warenkataloge Hagedorn & Söhne. Katalog 1905. IKEA. Katalog 2009. Manufactum: Warenkatalog Nr. 20. Waltrop 2007: Manufactum. Mode-Katalog Warenhaus Wertheim, Berlin. 1903/04. [Reprint: Hildesheim, Zürich u. New York 2000: Olms.] Nomos-Uhr-Gesellschaft: Die moderne Taschenuhr. Glashütte in Sachsen o.J. [ca. 1907].
1.7 Filme und Musik Asphalt. Deutschland 1929. Regie: Joe May. Der blaue Engel. Deutschland 1930. Regie: Josef von Sternberg. Der unsichtbare Stacheldraht. BRD 1951. Regie: Eva Kroll, Drehbuch: Jochen Huth. Fight Club. USA 1999. Regie: David Fincher. Footlight Parade. USA 1993. Regie: Busby Berkely. Geheimnis Tibet. Ein Filmdokument der Schäfer-Expedition 1938/39. Deutschland 1943. Regie: Ernst Schäfer u. Hans-Albert Lettow. One, Two, Three. USA 1961. Regie: Billy Wilder. Selling Democracy. Die Filme des Marshallplans. Hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, in Kooperation mit dem Bundesarchiv-Filmarchiv, dem Deutschen Historischen Museum Berlin und den Internationalen Filmfestspielen Berlin. 2006. Seven Years in Tibet. USA u. Großbritannien 1997. Regie: Jean-Jacques Annaud. Pulp: This is Hardcore. Island/Universal 1998.
1.8 Internetquellen http://www.berluti.com http://brooksbrothers.com http://www.cinegraph.de http://www.maxfactor.de/de/model-wg/index.html http://www.nivea.de http://pepsico.com/Company/Our-History.html http://www.slogans.de
Sekundärliteratur
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2 Sekundärliteratur Aburg, Hans-Georg von, Philipp Brunner, Christa M. Haeseli, Ursula von Keitz, Valeska von Rosen, Jenny Schrödl, Isabelle Stauffer u. Marie Theres Stauffer: Vorwort. In: Dies. (Hg.): Mehr als Schein. Ästhetik der Oberfläche in Film, Kunst, Literatur und Theater. Zürich u. Berlin 2008: Diaphanes. S. 7–11. Altenhofer, Norbert: Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras (1951). In: Paul Michael Lützeler (Hg.): Deutsche Romane des 20. Jahrhunderts. Neue Interpretationen. Königstein im Ts. 1983: Athenäum. S. 284–295. Andriopoulos, Stefan: New Historicism und Illegal Aliens: Die Durchlässigkeit diskursiver und nationaler Grenzen. In: Diedrich Diederichsen (Hg.): Loving The Alien. Science Fiction, Diaspora, Multikultur. Berlin 1998: ID Verlag. S. 192–201. Ankum, Katharina von: Material Girls: Consumer Culture and the „New Woman“ in Anita Loos’ Gentlemen Prefer Blondes and Irmgard Keun’s Das kunstseidene Mädchen. In: Colloquia germanica 27 (1994) 2, S. 159–172. Ankum, Katharina von (Hg.): Women in the Metropolis. Gender and Modernity in Weimar Culture. Berkeley, Los Angeles u. London 1997: University of California Press. Ankum, Katharina von: Karriere – Konsum – Kosmetik. Zur Ästhetik des weiblichen Gesichts. In: Claudia Schmölders u. Sander L. Gilman (Hg.): Gesichter der Weimarer Republik. Eine physiognomische Kulturgeschichte. Köln 2000: DuMont. S. 175–190. Anna, Susanne (Hg.): Historische Plakate 1890–1914. Stuttgart 1995: DACO-Verlag. Arend, Stefanie u. Ariane Martin: Nachwort. In: Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen. Nach dem Erstdruck von 1932. Mit einem Nachwort und Materialien hg. von Stefanie Arend u. Ariane Martin. Berlin 2005: Claassen Verlag. S. 229–237. Asendorf, Christoph: Ströme und Strahlen. Das langsame Verschwinden der Materie um 1900. Berlin 1989: Anabas-Verlag. [= Werkbund-Archiv. Bd. 18.] Bachtin, Michail: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Hg. von Renate Lachmann. Frankfurt am Main 1987: Suhrkamp. Badenberg, Nana: Zwischen Kairo und Alt-Berlin. Sommer 1896: Die deutschen Kolonien als Ware und Werbung auf der Gewerbe-Ausstellung in Treptow. In: Alexander Honold u. Klaus R. Scherpe (Hg.): Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit. Stuttgart u. Weimar 2004: Metzler. S. 190–199. Barck, Karlheinz, Peter Gente, Heide Paris u. Stefan Richter (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Essais. Leipzig 1990: Reclam-Verlag Leipzig. Barndt, Kerstin: Sentiment und Sachlichkeit. Der Roman der Neuen Frau in der Weimarer Republik. Köln, Weimar u. Wien 2003: Böhlau. Babuscio, Jack: Camp and the Gay Sensibility. In: David Bergman (Hg.): Camp Grounds. Style and Homosexuality. Amherst 1993: The University of Massachusetts Press. S. 19–38. Bartels, Klaus: Fluchtpunkt Katmandu. Globaler Nomadismus bei Christian Kracht. In: Hans Richard Brittnacher u. Magnus Klaue (Hg.): Unterwegs. Zur Poetik des Vagabundentums im 20. Jahrhundert. Köln, Weimar u. Wien 2008: Böhlau. S. 291–302. Barthes, Roland: Wilhelm von Gloeden. In: Ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III. Frankfurt am Main 1990: Suhrkamp. S. 204–206. Baßler, Moritz: Die Entdeckung der Textur. Unverständlichkeit in der Kurzprosa der emphatischen Moderne 1910–1916. Tübingen 1994: Max Niemeyer.
372
Literatur- und Medienverzeichnis
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Verzeichnis der Abbildungen
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3 Verzeichnis der Abbildungen Einleitung Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3
Abb. 4–5
Abb. 6
Abb. 7 Abb. 8
Abb. 9
Ludwig Sütterlin: Plakat für die Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896. Foto: © MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst, Wien. Persiflage auf Sütterlins Ausstellungsplakat, Postkarte. Quelle: Sammlung des Verf. Edmund Edel: Plakat für die Barrisons, Persiflage auf Sütterlins Ausstellungsplakat. Quelle: Marina Sauer: Mit Schirm, Charme und Melone. Der Plakatkünstler Edmund Edel (1863–1934). Katalog zu Ausstellung der Stiftung Pommern, Kiel, vom 15. Mai bis 15. Juli 1994. Kiel 1994: Stiftung Pommern. Vitrinen in den Ausstellungshallen der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896. Quelle: Paul Lindenberg: Pracht-Album photographischer Aufnahmen der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896. Berlin o.J. [1896]: The Werner Company. S. 145 u. 159. Anzeigenkampagne für McDonald’s. Quelle: McDonald’s 2003: unternehmerischer Mut mit Erfolg belohnt. Jahresbericht 2003. Beilage, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. 03. 2004. © McDonald’s Deutschland Inc. Anzeige für Pasta und Saucen der Marke Panzani. Quelle: http://www.flickr.com/ photos/44407010@N08/4075155255/#/ [10. 12. 2010]. Coca-Cola-Stand in China, um 1930. Quelle: Ulf Biedermann: Ein amerikanischer Traum. Coca-Cola: Die unglaubliche Geschichte eines 100jährigen Erfolges. Hamburg u. Zürich 1985: Rasch und Röhring. S. 47. Coca-Cola-Stand vor der Sphinx, 1950er Jahre. Quelle: Ulf Biedermann: Ein amerikanischer Traum. Coca-Cola: Die unglaubliche Geschichte eines 100jährigen Erfolges. Hamburg u. Zürich 1985: Rasch und Röhring. S. 115.
Kapitel 1 (Berlin W.) Abb. 10 Prof. Krüger, Vereinigte Werkstätten München: Damenzimmer. Quelle: Deutsche Kunst und Dekoration VII (1903/04) 12, S. 653. Abb. 11 M. A. Nicolai, Dresdener Werkstätten für Handwerks-Kunst: Schlafzimmer in Kiefern-Holz weiß gestrichen. Quelle: Deutsche Kunst und Dekoration VII (1903/04) 4, S. 241. Abb. 12 Anzeige Henkell Trocken. Quelle: Deutsche Kunst und Dekoration VIII (1904/05) 4, Umschlagrückseite außen. © Henkell & Co. Sektkellerei KG. Abb. 13 Anzeige Burgeff „Grün“, „Extra Cuvée“, „Jubiläums Cuvée“, „Immergrün“. Quelle: Kladderadatsch LIX (1906) 19, Beiblatt zum Kladderadatsch, Erstes Beiblatt, n. p. © Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien GmbH. Abb. 14 Anzeige Hamburg-Amerika Linie. Quelle: Kladderadatsch LIX (1906) 2, Beiblatt zum Kladderadatsch, Zweites Beiblatt, n. p. © Hapag-Lloyd AG. Abb. 15 Anzeige Continental-Reifen, entworfen von Edmund Edel, Kunstanstalt Hollerbaum & Schmidt Berlin (o. J.). Quelle: Marina Sauer: Mit Schirm, Charme und Melone. Der Plakatkünstler Edmund Edel (1863–1934). Kiel 1994: Stiftung Pommern. S. 159. Abb. 16 Annonce aus den Fliegenden Blättern für Odol-Mundwasser (1903). Quelle: Henriette Väth-Hinz: Odol. Reklame-Kunst um 1900. Gießen 1985: Anabas-Verlag. S. 38. [=Werkbund-Archiv. Bd. 14.] © GlaxoSmithKline Consumer Healthcare GmbH & Co. KG.
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Abb. 17 Abb. 18
Abb. 19
Abb. 20
Abb. 21–25
Abb. 26 Abb. 27 Abb. 28–30
Literatur- und Medienverzeichnis
Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt, 1905, Nr. 30, Titelseite. © Kelter Verlag. Postkarte: Berlin: Potsdamer Platz mit Blick in die Potsdamer Straße (um 1900). Quelle: http://images.zeno.org/Ansichtskarten/I/big/AK01694a.jpg [05. 04. 2013]. Edmund Edel: Plakat für Eulen-Wichse (o.J.). Quelle: Marina Sauer: Mit Schirm, Charme und Melone. Der Plakatkünstler Edmund Edel (1863–1934). Kiel 1994: Stiftung Pommern. S. 157. Warenhaus Wertheim, Berlin: Lichthof und Abteilung für Wein und Spirituosen. Quelle: Mode-Katalog Warenhaus Wertheim, Berlin, 1903/04 [Reprint]. Hildesheim, Zürich u. New York 2000: Olms. S. 1 u. 145. © Georg Olms Verlag AG. Regen-Schirme, Wiener Möbel, Salontische, Klassiker-Bibliothek u. Konversationslexika. Quelle: Mode-Katalog Warenhaus Wertheim, Berlin, 1903/04 [Reprint]. Hildesheim, Zürich u. New York 2000: Olms. S. 75, 117, 119, 134 u. 137. © Georg Olms Verlag AG. Korkenzieher. Quelle: Warenkatalog Nr. 20, Manufactum, 2007. S. 203. © MANUFACTUM GmbH & Co. KG, www.manufactum.de. IKEA, Katalog 2009. Cover. Fight Club. Regie: David Fincher. 1999. Film Stills.
Kapitel 2 (Der Zauberberg) Abb. 31 Pietro Longhi: Die Morgenschokolade (1775–1780). Quelle: http://images. zeno.org/Kunstwerke/I/big/1850061a.jpg [22. 02. 2013]. Abb. 32 Liegekur in Davos. Postkarte, 1902. Quelle: Thomas Sprecher (Hg.): Aus dem Weg zum „Zauberberg“. Die Davoser Literaturtage 1996. Frankfurt am Main 1997: Vittorio Klostermann. [= Thomas-Mann-Studien. Bd. 16.] Nach S. 96. Abb. 33 Szene aus dem Tannhäuser. Sammelmarken, Hartwig & Vogel Kakao, Dresden, 1909. Quelle: Bernhard Jussen (Hg.): Reklame-Sammelbilder. Bilder der Jahre 1870–1970 mit historischen Themen. Berlin 2008: Directmedia Publishing. [= Atlas des Historischen Bildwissens. Bd. 2.] Abb. 34 Odysseus und die Sirenen. Gartmann Sammel-Album, Serie 121–150, Gartmann, Ch. L., Kakao, Altona, 1905. Quelle: Bernhard Jussen (Hg.): Reklame-Sammelbilder. Bilder der Jahre 1870–1970 mit historischen Themen. Berlin 2008: Directmedia Publishing. [= Atlas des Historischen Bildwissens. Bd. 2.] Abb. 35 Doppel-Schrauben-Schnell-Dampfer. Berger’s Schokoloaden. Quelle: Bernhard Jussen (Hg.): Reklame-Sammelbilder. Bilder der Jahre 1870–1970 mit historischen Themen. Berlin 2008: Directmedia Publishing. [= Atlas des Historischen Bildwissens. Bd. 2.] Abb. 36 Entwicklung des künstlichen Lichtes. Berger’s Sammel-Album 5, Serien 1–25, Berger, Robert, Schokoladenfabrik, Pössneck, 1910. Quelle: Bernhard Jussen (Hg.): Reklame-Sammelbilder. Bilder der Jahre 1870–1970 mit historischen Themen. Berlin 2008: Directmedia Publishing. [= Atlas des Historischen Bildwissens. Bd. 2.] Abb. 37 Mercurius. Sammelbild, Stollwerck’sche Chocolade (um 1900). Quelle: Bernhard Jussen (Hg.): Reklame-Sammelbilder. Bilder der Jahre 1870–1970 mit historischen Themen. Berlin 2008: Directmedia Publishing. [= Atlas des Historischen Bildwissens. Bd. 2.]
Verzeichnis der Abbildungen
Abb. 38 Abb. 39
Abb. 40 Abb. 41 Abb. 42
Abb. 43
Abb. 44 Abb. 45
Abb. 46
Abb. 47 Abb. 48
Abb. 49 Abb. 50
Abb. 51
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Verpackung der ersten Gala Peter-Milchschokolade. Quelle: Nestlé Historical Archives, Vevey. © Société des Produits Nestlé S. A. Chlorodont, Emailschild (um 1925). Quelle: Thomas Gubig u. Sebastian Köpcke: Alles begann mit CHLORODONT. Eine Firmengeschichte aus Dresden. O. O. [Dresden] 2007: Dental-Kosmetik GmbH & Co. KG. S. 27. © Werksarchiv der DENTAL-Kosmetik GmbH & Co. KG Dresden. EOS einzig klarbleibendes Mund- u. Zahnwasser, Reklameanzeige (1905). Quelle: Die Praktische Berlinerin (1905) 33, S. 606. Künstliche Höhensonne, Reklameanzeige [ca. 1920er Jahre]. Quelle: Archivbestand der Heraeus Noblelight GmbH. © Heraeus Noblelight GmbH. Künstliche Höhensonne, Gruppenbestrahlung. Quelle: Geh. Sanitätsrat Dr. Hugo Bach: Anleitung und Indikationen für Bestrahlungen mit der Quarzlampe „Künstliche Höhensonne“. Würzburg u. Leipzig 1918: Verlag von Kurt Kabitzsch. S. 16. „Beschleunigte Heilung unserer Verwundeten.“ Anzeige für die Künstliche Höhensonne (1914). Quelle: Archivbestand der Heraeus Noblelight GmbH. © Heraeus Noblelight GmbH. Maria Mancini. Quelle: Katalog Hagedorn & Söhne, 1905. Odol, Annonce, 1907. Quelle: Michael Weisser: Deutsche Reklame. 100 Jahre deutsche Werbung 1870–1970. Ein Beitrag zur Kunst- und Kulturgeschichte. Bassum 2002: Doell-Verlag. S. 5. © GlaxoSmithKline Consumer Healthcare GmbH & Co. KG. Kupferberg Gold, Annoncen, 1910. Quelle: Michael Weisser: Deutsche Reklame. 100 Jahre deutsche Werbung 1870–1970. Ein Beitrag zur Kunst- und Kulturgeschichte. Bassum 2002: Doell-Verlag. S. 143. © Henkell & Co. Sektkellerei KG. Wilhelm von Gloeden: Liegender Knabe (1899). Quelle: Eva-Monika Turck: Thomas Mann. Fotografie wird Literatur. München, Berlin u.a. 2003: Prestel. S. 65. „Koche auf Vorrat!“. Kochbuch der J. Weck G.m.b.H., um 1905. Quelle: „Koche auf Vorrat!“. Handbuch für die Frischhaltung aller Nahrungsmittel mit den „Weck’schen Einrichtungen“. 1. Bändchen: Obst, Gemüse, Pilze, Obst- und Beerensäfte, Mus, Marmelade, Kraut, Gelee und Latwerge. Oeflingen o.J. [ca. 1905]: J. Weck G.m.b.H., S. 15. © J. WECK GmbH u. CO. KG. Quelle: Nomos-Uhr-Gesellschaft: Die moderne Taschenuhr. Glashütte in Sachsen o.J. [ca. 1907]. S. 78. Schwur auf dem Rütli. Hartwig & Vogel, Kakao, Dresden, 1909. Quelle: Bernhard Jussen (Hg.): Reklame-Sammelbilder. Bilder der Jahre 1870–1970 mit historischen Themen. Berlin 2008: Directmedia Publishing. [= Atlas des Historischen Bildwissens. Bd. 2.] Zigarrensorte Thomas Mann, 1931. Quelle: Bärbel Schrader u. Jürgen Schebera: Die „goldenen“ zwanziger Jahre. Kunst und Kultur der Weimarer Republik. Wien, Köln u. Graz 1987: Hermann Böhlau Nachf. S. 193.
Kapitel 3 (Das kunstseidene Mädchen) Abb. 52 Trias: Anzeige für Bulgaria Krone. (o. J.). Quelle: Hellmut Rademacher u. René Grohnert (Hg.): Kunst! Kommerz! Visionen! Deutsche Plakate 1888–1933. Ausstellungskatalog des Deutschen Historischen Museums, Berlin. Heidelberg 1992: Edition Braus. S. 200. © Stiftung Deutsches Historisches Museum, Berlin.
396
Abb. 53 Abb. 54
Abb. 55 Abb. 56 Abb. 57 Abb. 58 Abb. 59
Abb. 60 Abb. 61–64 Abb. 65 Abb. 66 Abb. 67
Abb. 68
Abb. 69 Abb. 70
Abb. 71
Abb. 72
Abb. 73
Literatur- und Medienverzeichnis
Anzeige für Atikah Auslese. Quelle: Die Dame (Oktober 1928) 1, S. 79. Plakat für Kaffee Hag, 1925, Entwurf: Eduard Scotland im Auftrag der Kaffee-Handels-Aktiengesellschaft (Kaffee HAG). Quelle: A. Halbert: Praktische Reklame. Hamburg 1927: Falken-Verlag. S. 99. © Mondelez International, Archives & Information Resources. Anzeige für Tavannes Watch Co. Quelle: Die Dame (1928) 3, S. 86. Anzeige für „Setilose“-Wäsche. Quelle: Das Magazin 6 (1931) 71, S. 4981. Anzeige für Bemberg-Strümpfe, „Der Strumpf aus Bemberg-Seide – Der Liebling der Frauen“. Quelle: Die Dame (1928) 5, S. 63. Anzeige für Mercedes Benz, 1928. Quelle: Die Dame (1928) 1, unpag. © Daimler AG, Mercedes-Benz Classic Archive, Stuttgart. Der Kongreß tanzt. Uraufführung am Ufa-Palast am Zoo, Berlin. Quelle: Klaus Kreimeier: Die Ufa-Story. Geschichte eines Filmkonzerns. München u. Wien 1992: Carl Hanser. S. 233. Theo Rockenfeller: Berlin Friedrichstraße, 1926. © ullstein bild. Filmstills aus Asphalt, Regie: Joe May. Dtld. 1929. Seidels Reklame, Titelblatt, Oktober 1928. Anzeige für Coty. Quelle: Die Dame (1928) 3, S. 61. Friedrich Kiesler: Film Guild Cinema, Auditorium mit „Screen-o-scope“, New York 1929 (Foto: Ruth Bernhard). PHO 2805/0. © 2013 Österreichische Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung. Ufa-Kino Berlin mit Außenwerbung für Fritz Langs Metropolis. Quelle: Karl Nöthling: Werbefront – Werbefenster – Ladenraum. In: Seidels Reklame. Das Blatt für Werbewesen und Verkaufstechnik, 12 (1928) 10, S. 454–457, hier S. 454. Anzeige für Erfahrene Frau gesucht (1929), den ‚neuen Film mit Colleen Moore‘. Quelle: Film-Kurier, 1929, unpag. Marlene Dietrich als Testimonial für Bemberg-Strümpfe, 1927. Quelle: http://www.deutsches-strumpfmuseum.de/technik/garne/kunstseide/ Bild_06.htm. [30. 10. 2009]. Mit freundlicher Genehmigung der Marlene Dietrich Collection GmbH, München, sowie des Deutschen Strumpfmuseums/KulturBüro Schödel. Anzeige für Marlene Dietrichs Filmschlager auf Electrola-Platten. Quelle: Der Querschnitt XI (Mai 1931) 5, S. 361. Mit freundlicher Genehmigung der Marlene Dietrich Collection GmbH, München. Richard Tauber als Testimonial für Mercedes Benz. Quelle: Michael Jürgs: Gern hab’ ich die Frau’n geküßt. Die Richard-Tauber-Biographie. München 2000: List. Unpag. Abb.teil nach S. 32. © Daimler AG, Mercedes-Benz Classic Archive, Stuttgart. Anzeige Dorndorf Schuhe. Quelle: Die Dame (1928) 2, S. 54.
Kapitel 4 (Tauben im Gras) Abb. 74 ‚Symbol der Freundschaft‘. Coca-Cola-Kampagne, 1951. Quelle: Helmut Fritz: Das Evangelium der Erfrischung. Coca-Colas Weltmission. Reinbek bei Hamburg 1985: Rowohlt. S. 19. Abb. 75–76 Der unsichtbare Stacheldraht. BRD 1951. Regie: Eva Kroll, Drehbuch: Jochen Huth. Filmstills. Abb. 77–79 Coca-Cola als Sponsor der Deutschen Fußballmeisterschaft 1936, der Deutschlandfahrt und der Olympischen Spiele 1936. Quelle: Helmut Fritz: Das Evangelium
Verzeichnis der Abbildungen
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der Erfrischung. Coca-Colas Weltmission. Reinbek bei Hamburg 1985: Rowohlt. S. 77, 75 u. 76. Coca-Cola als Sponsor der Deutschen Skimeisterschaft 1938. Quelle: Volker Ilgen u. Dirk Schindelbeck: Am Anfang war die Litfaßsäule. Illustrierte deutsche Reklamegeschichte. Darmstadt 2006: Primus Verlag. S. 114. Coca-Cola, Anzeige aus dem Illustrierten Beobachter, 1939. Quelle: Mark Pendergrast: Für Gott, Vaterland und Coca-Cola. Die unautorisierte Geschichte der CocaCola-Company. München 1993: Heyne. (Abbildungsteil) Selbstpräsentation des Coca-Cola-Konzerns auf der Reichsausstellung Schaffendes Volk in Düsseldorf, 1937. Quelle: Stefanie Schäfers: Vom Werkbund zum Vierjahresplan. Die Ausstellung Schaffendes Volk, Düsseldorf 1937. Düsseldorf 2001: Droste. S. 231. Coca-Cola zieht mit der Deutschen Wehrmacht in den Zweiten Weltkrieg, 1939. Quelle: Ulf Biedermann: Ein amerikanischer Traum. Coca-Cola: Die unglaubliche Geschichte eines 100jährigen Erfolges. Hamburg u. Zürich 1985: Rasch und Röhring. S. 62. Reklame für Coca-Cola mit dem ‚Wieder da‘-Slogan, 1949. Quelle: Peter Aldenrath: Die Coca-Cola-Story. Wie Erfolge gemacht werden. Nürnberg 1999: Tessloff Verlag. [= Was ist Was Business]. S. 57. Anzeige „Ein großer Augenblick! Endlich wieder Persil“, 1948. Quelle: Dirk Schindelbeck: Marken, Moden und Kampagnen. Illustrierte deutsche Konsumgeschichte. Darmstadt 2003: Primus Verlag. S. 20. © Henkel AG & Co. KGaA. Anzeige „Endlich wieder Nivea Zahnpasta“, 1949. Quelle: Michael Kriegeskorte: Werbung in Deutschland 1945–1965. Köln 1992: DuMont. S. 19. © Beiersdorf Aktiengesellschaft. Coca-Cola-Kampagne auf dem Markusplatz, Venedig. Quelle: Ulf Biedermann: Ein amerikanischer Traum. Coca-Cola: Die unglaubliche Geschichte eines 100jährigen Erfolges. Hamburg u. Zürich 1985: Rasch und Röhring. S. 110/111.
Kapitel 5 (1979) Abb. 88 Mitglieder des Swann-Clubs putzen ihre Berluti-Schuhe mit Champagner der Marke Dom Pérignon. Quelle: http://www.berluti.com/#/lounge/swann [20. 10. 2010]. Abb. 89 Vincent van Gogh (Dutch, 1853–1890): A Pair of Boots, 1887. Oil on canvas. 12 7/8 × 16 1/4 in. (32.7 × 41.3 cm.) © The Baltimore Museum of Art: The Cone Collection, formed by Dr. Claribel Cone and Miss Etta Cone of Baltimore, Maryland, BMA 1950.302. Photography By: Mitro Hood. Abb. 90 Andy Warhol: Diamond Dust Shoes, 1980. Quelle: Frederic Jameson: Postmodernism, or, The Cultural Locig of Late Capitalism. London u. New York 1991: Verso. Unpaginierter Abbildungsteil, nach S. 10. © 2013 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts Inc. / Artists Rights Society (ARS), New York. Abb. 91 Traditional Fit Blue with Green Madras Boxers von Brooks Brothers. Quelle: http://www.lyst.com/clothing/brooks-brothers-traditional-fit-blue-with-greenmadras-boxers/#fullscreen=img8221729 [28. 08. 2012] Abb. 92 Swastika-Shirt von Vivienne Westwood für die Sex Pistols, 1970er Jahre. Quelle: [o. Verf.]: Intertextuality in Fashion, http://www.metapedia.com/wiki/index.php?title=Bcd8 [05. 10. 2010].
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Abb. 93
Abb. 94 Abb. 95–96
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Abb. 102 Abb. 103
Literatur- und Medienverzeichnis
Die Swastika als buddhistisches Symbol auf dem Thron des Regenten Reting Rimpotsche während Minderjährigkeit des jetzigen Dalai Lama. Quelle: Heinrich Harrer: Meine Tibet-Bilder. Text: Dr. Heinz Woltereck. Seebruck am Chiemsee 1953: Heering-Verlag. S. 75. © Marktgemeinde Hüttenberg. Christian Kracht: 1979. Köln 2001: Kiepenheuer & Witsch. (Cover) © Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG. Tibetische Pilger, fotografiert von Heinrich Harrer. Quelle: Heinrich Harrer: Meine Tibet-Bilder. Text: Dr. Heinz Woltereck. Seebruck am Chiemsee 1953: HeeringVerlag. S. 129. Die erste Abbildung ist auch enthalten in: Ders.: Sieben Jahre in Tibet. Mein Leben am Hofe des Dalai Lama. Wien 1952: Ullstein. Nach S. 44. © Marktgemeinde Hüttenberg. Tibetische Pilger in Jean-Jacques Annauds Verfilmung Seven Years in Tibet. Quelle: Seven Years in Tibet. Regie: Jean-Jacques Annaud. USA u. Großbritannien 1997. (Filmstill) Kreis-Choreographie aus Footlight Parade (1933) von Busby Berkeley. Quelle: http://pruned.blogspot.com/2010/07/pruned-v20.html [20. 10. 2010]. ‚Alt-Berlin‘ auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896. Quelle: Paul Lindenberg: Pracht-Album photographischer Aufnahmen der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896. Berlin o.J. [1896]: The Werner Company. S. 47. ‚Kairo‘ auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896. Quelle: Paul Lindenberg: Pracht-Album photographischer Aufnahmen der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896. Berlin o.J. [1896]: The Werner Company. S. 189. Calvin Klein-Kampagne für Obsession, 1994. (Model: Kate Moss. Fotograf: Mario Sorrenti.) http://www.supermodelstars.com/advertisings/calvinklein/images/ calvinklein-obsession-19950101-katemoss.jpg [18. 10. 2010]. Alan Schechner: Self Portrait at Buchenwald: It’s the Real Thing, 1991–93. Quelle: http://dottycommies.com/holocaust01.html [20. 02. 2013]. © Alan Schechner. Zbigniew Libera: LEGO Concentration Camp, 1996. Quelle: Norman L. Kleeblatt (Hg.): Mirroring Evil. Nazi Imagery/Recent Art. New York, New Brunswick, New Jersey u. London 2001: The Jewish Museum New York u. Rutgers University Press. S. 76. © images courtesy of Raster gallery, Warsaw.
Trotz intensiver Recherchen konnten nicht in allen Fällen die Inhaber der Bildrechte ausfindig gemacht werden. Bei bestehenden Rechtsansprüchen wenden Sie sich bitte an den Verlag.
Personenregister
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Personenregister Adorno, Theodor W. 46, 247f., 287, 339, 341 Agamben, Giorgio 343 Andersen, Hans Christian 121 Annaud, Jean-Jacques 325, 326 Assheuer, Thomas 2 B Bachtin, Michail 291, 308 Baju, Anatole 108, 112 Barnes, Paul 324 Barry, Iris 215 Barthel, Max 238 Barthes, Roland 25–32, 97, 144, 158, 159, 194, 265, 285 Baßler, Moritz 3–5, 15, 87, 124 Baudrillard, Jean 291, 304f., 338, 343f. Bauer, Robert 240 Benjamin, Walter 47f., 149, 159, 169, 204f., 221–226, 232, 248 Bense, Max 349 Berger, John 131 Berkeley, Busby 325, 327 Beuys, Joseph 315 Blanchot, Maurice 342 Blaschke, Bernd 16 Blüher, Hans 164 Böcklin, Arnold 68 Böhme, Gernot 16 Böhme, Hartmut 7, 101, 140 Bonaparte, Napoléon siehe Napoleon I. 304 Bourdieu, Pierre 12f., 14, 17, 58, 291, 294 Boveri, Margret 279f. Bow, Clara 225f. Boy-Ed, Ida 163 Braun, Alfred 238 Brecht, Bertolt 11, 16, 169, 178, 314, 346, 349 Brenner, Hans Georg 241 Bronnen, Arnolt 169 Brown, Bill 132 Busch, Wilhelm 163 C Casati, Rebecca 1 Cassirer, Bruno 53 Cassirer, Paul 53 Chomeini, Ayatollah 292
Colze, Leo 83f. Crosby, Bing 249, 256 D Dante, Alighieri 305, 323, 325, 328 Deleuze, Gilles 29, 43, 46, 243, 248, 251, 253, 254, 256, 268, 280, 291, 307, 318, 322 Derrida, Jacques 157 Dickens, Charles 154 Dietrich, Marlene 171, 182f., 185, 219, 222, 229 Ditchev, Ivaylo 347 Dix, Otto 176 Döblin, Alfred 42, 243, 246 Dohm, Hedwig 64 Dominik, Hans 239 Dos Passos, John 243, 246 E Eco, Umberto 26, 30 Edel, Edmund 20, 21, 43f., 46, 47–78, 79, 87, 89, 91, 94, 183, 346 Eich, Günter 15 Eichendorff, Joseph von 211 Einsiedel, Wolfgang von 241 Einstein, Carl 325 Eisenstein, Sergej 226 Ellis, Bret Easton 348 Elsaesser, Thomas 219 Enzensberger, Hans Magnus 44 Erhard, Ludwig 45 F Feuchtwanger, Lion 11, 172, 267 Fiedler, Leslie A. 290 Fincher, David 91f., 93 Findeisen, Franz 145f., 151 Fleißer, Marieluise 169 Fontane, Emilie 20 Fontane, Theo 65f. Fontane, Theodor 1, 7, 20, 22, 42, 65f., 353, 360, 374, 384 Ford, Henry 233 Ford, Robert 327 Foucault, Michel 260, 336, 342 Franck, Georg 190 Freud, Sigmund 101, 137, 140f., 149 Fuchs, Eduard 127
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Personenregister
Garbo, Greta 27 Gaulke, Johannes 76 Gloeden, Wilhelm von 136 Glyn, Elinor 225 Goethe, Johann Wolfgang 80, 96, 98, 115, 120, 154, 231, 331 Göhre, Paul 83, 85 Göring, Hermann 271 Goverts, Henry 244–246 Grass, Günter 42 Greenblatt, Stephen 18, 33–38, 43, 46, 98, 102, 243, 281 Grisebach, Hans 329 Gröschner, Annett 348 Groys, Boris 36 Guattari, Félix 29, 43, 46, 243, 248, 251, 253, 254, 256, 268, 280, 291, 307, 318, 322 Haas, Wolf 3f. Haeckel, Ernst 163 Halbert, A. 177 Hamburger, Käthe 12 Hamsun, Knut 121 Handke, Peter 302f., 325 Häntzschel, Günter 46 Harrer, Heinrich 325, 326, 327 Harvey, Lilian 200, 202 Haug, Wolfgang Fritz 14, 24, 32, 68, 283–286 Hauptmann, Gerhart 163 Hauser, Heinrich 11, 233 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 304f. Heidegger, Martin 160, 291, 307, 308–313 Heine, Heinrich 53, 56 Hermann, Judith 1 Hermes 151f., 157, 160 Hermes Trismegistos 160f. Herz, Ida 102, 104 Hielscher, Martin 289 Hitler, Adolf 250, 268, 269 Hockney, David 290 Hoffacker, Karl 329, 332 Hoffmann, E. T. A. 154 Hörisch, Jochen 16, 151 Houellebecq, Michel 348 Huret, Jules 50–52, 71, 95 Huysmans, Joris-Karl 108
Illies, Florian 5, 87 Illouz, Eva 63, 185–187, 211 Ingarden, Roman 12 I Jähner, Harald 288f. Jakobson, Roman 38–40 Jameson, Frederic 291, 307, 311–315 Johnson, Steven 351 Johnson, Uwe 42 Joyce, James 236, 243, 246 Jünger, Ernst 168f., 237 K Kahlschmidt, Eugen 49 Kandinsky, Wassily 63 Kästner, Erich 16, 178 Kaun, Axel 241 Kempowski, Walter 19 Kerr, Alfred 22, 335 Keun, Irmgard 44f., 166, 171, 181, 235, 236, 238, 285, 346 Khomeni, Ayathollah siehe Chomeini, Ayathollah Kiesler, Friedrich 215, 216 Kisch, Egon Erwin 11, 233 Koeppen, Wolfgang 14, 45f., 241, 242, 244, 245, 247, 248, 249, 257, 292, 323, 346 Kohl, Karl-Heinz 101, 145 Koons, Jeff 36 Korfiz, Holm 153 Korn, Karl 241 Kracauer, Siegfried 17, 168, 170f., 181f., 204, 224, 237, 239 Kracht, Christian 1, 5, 17, 46, 286, 287–291, 292, 301, 305, 308, 324, 346, 350 Kristeva, Julia 291, 311 Kriwet, Ferdinand 319 Kroll, Eva 263, 264 Kropff, Hans F. J. 258, 261 Kruenitz, Johann Georg 149 L Lacan, Jacques 138f., 156f., 215–217 Lämmert, Eberhard 12, 14, 33–39, 97, 257 Lang, Fritz 218, 219 Langbehn, Julius 72 Leroi-Gourhan, André 322 Lethen, Helmut 196f. Levi, Primo 328
Personenregister
Lévi-Strauss, Claude 134 Libera, Zbigniew 343, 345 Linn, Carl Eric 26 Loos, Anita 235, 236 Lyotard, Jean-François 290 M Mainberger, Sabine 60 Man, Paul de 40, 196, 305 Mancini, Maria 127 Mand, Andreas 87 Mann, Erika 11 Mann, Heinrich 50 Mann, Thomas 13, 44, 96, 97–104, 113, 114, 115, 120, 121, 124, 146, 149, 153, 154, 163, 167, 170, 293, 294, 301, 316, 346 Mao 342 Marías, Javier 348 Marx, Karl 24, 29, 101, 140, 142–144, 145, 304f., 323 Marx, Olaf Dante 305, 323 Mauss, Marcel 134 May, Joe 206, 207 Merkur 112, 148, 150, 152, 241, 301, 350, 390 Messner, Reinhold 324 Metz, Christian 215 Mignard, Pierre 127, 131, 137 Moore, Colleen 171, 180, 182, 219, 220, 224 Mose 66f. Moss, Kate 340 N Naters, Elke 1 Naumann, Friedrich 22, 330, 331, 335, 337 Nausikaa 246 Nickel, Eckhart 324 Nietzsche, Friedrich 53, 56, 80, 282 Nöthling, Karl 208–212, 218 O Odysseus 111, 246 Orwell, George 324 Osborn, Max 55 Ostwald, Hans 56 P Packard, Vance 45 Panofsky, Erwin 28 Philomela 158 Plessner, Helmuth 196–198, 224, 232 Proust, Marcel 294
401
Rieck, Max 57 Rilke, Rainer Maria 297 Ringelnatz, Joachim 16 Riviere, Joan 197–199 Rothfels, Hans 241, 252 Rühm, Gerhard 328 S Saville, Peter 324 Schaukal, Richard 332 Schechner, Alan 341 Scheffler, Karl 71f. Schenzinger, Karl Aloys 239, 347 Schiller, Friedrich 11, 66, 80, 98, 173, 189, 237, 331 Schmidt, Thomas E. 1, 3 Schmitt, Carl 169 Schmitz, Bruno 329 Schöffler, Heinz 241 Scholem, Gershom 99 Scholl-Latour, Peter 293 Schopenhauer, Arthur 109, 121 Schulze, Gerhard 20 Schürenberg, Walter 241 Sedgwick, Eve Kosofsky 133 Sedlmayr, Hans 255 Seiler, Bernd W. 11, 15 Shakespeare, William 80, 98 Sieburg, Friedrich 265 Simmel, Georg 6, 18, 19–27, 28, 82, 92–96, 162f., 171, 329–332, 334, 336 Skladanowsky, Max u. Emil 179 Sloterdijk, Peter 191, 226 Solschenizyn, Alexander 328 Sombart, Werner 70–78 Sontag, Susan 100, 295f., 340 Spengler, Oswald 113–115, 120, 292 Sprecher, Thomas 121f. Stahl, Fritz 329, 335 Stein, Gertrude 249 Stifter, Adalbert 15, 121 Stinde, Julius 19, 65 Stoller, Robert Jesse 147, 300 Strauß, Richard 163 Stuckrad-Barre, Benjamin von 1, 89–91 Sütterlin, Ludwig 20, 21
402
Personenregister
Tauber, Richard 228, 230 Tennyson, Alfred Lord 304 Tillergirls 170 Turgenjew, Iwan 98 Tuten, Frederic 294 Tynjanov, Jurij 42 U Unger, Hellmuth 347 Uslar, Moritz von 287 V van de Velde, Henry 53, 55, 59, 62 van Gogh, Vincent 309–313 Veblen, Thorstein 50 Veidt, Conrad 183 Vischer, Friedrich Theodor 8 Vogl, Joseph 16 W Wagner, Cosima 163 Wagner, Monika 318, 320
Wagner, Richard 109 Walser, Robert 15, 50, 95 Walzel, Oskar 154 Wandrey, Conrad 112f., 155–157 Warhol, Andy 4, 36, 311–315, 316, 341f. Wedekind, Frank 16 Wegmann, Thomas 15 Welsch, Wolfgang 338f. Westwood, Vivienne 320, 321 Wilde, Oscar 108, 157 Wilder, Billy 267 Wolff, Eugen 9f. Z Zahn, Ernest 45 Ziegler, Ulf Erdmann 348 Zola, Émile 154
Markenregister
403
Markenregister Adler 60 Adlon 19 AEG 19, 122 Africola 257 Agfa 19 American Express 256 Apple 91 ARAL 15 Armand 224 Asbach Uralt 189 Aspirin 9 Atikah Auslese 175 B Barbour 292 BASF 347 Bemberg 191, 192–195, 198, 206, 208, 219, 222, 228, 231–234, 237 Benetton 342 Berger’s Chocoladen 110, 111 Berliner Tageblatt 7, 59 Berliner Weiße 59 Berluti 291–302, 305–307, 308, 313–315 Bic 289 Bock Zigarren 59 Bong’s Klassiker-Bibliothek 87, 88 Borchardt 59 Borsig 19 Bourjois Paris 212 Brandt Zwieback 263, 264 Bräuhaus 245, 254 Brockhaus 87 Brooks Brothers 289, 316, 317 Bulgaria Krone 175 Burgeff 59, 61 C C. Bechstein 19 Cadillac 289 Café des Westens 59 Calvin Klein 340 Camel 176 Chartreuse 105 Charvet 289 Chateau Palmer 289 Chesterfield 266 Chlorodont 118, 119
Citroën 27–32 Coca-Cola 26, 33–38, 45, 241, 256, 257–275, 276–281, 283–285, 348 Continental 60, 61 Cook 60 Coty 199, 212, 213 Creme Mouson 176 D Dom Pérignon 296 Dorndorf Schuhe 232 Dr. Dralle’s Veilchen-Malattine 119 Dr. Oetker 9 Dresdener Werkstätten für HandwerksKunst 53, 54, 59, 62, 85 Dupont Nylon 256 E Electrola 229 Elizabeth Arden 198 Elsner 59 Engelhorn’s Allgemeine Roman-Bibliothek 53 EOS Mundwasser 119, 120 Erdal 9, 273 Eulen-Wichse 78, 79 Evian 1 F Fanta 273 Feinkost Hefter 19, 59 Fisch Gosch 1 Ford 10f. Formamint 118, 148 Frito Lay’s 289, 299 FÜRNI 91, 93 G Gala Peter 99, 105, 116–118 Galéries Lafayette 206 Germanin 347 Gerson 49, 52, 59, 65–67 Gruaud Larose 105 Grünfeld 59 Guerlain 256 H H&M 1, 349 Hagedorn & Söhne 103f., 126, 128, 137 Hamburg-Amerika-Linie 60, 61 Hartwig & Vogel 110, 165
404
Markenregister
Henckell Trocken 49, 59 Henry Clay 59 Heraeus 122 Hermès 289 Hiller 59 I I. G. Farben 239, 347 Ideal 59 IKEA 1, 91, 92, 349 Irroy 59 Isocola 258 J Jeep 289 Jever 1 Josty 7, 59 Jugend 59 K Kaffee Hag 9, 177 Kathreiner’s Malzkaffee 57 Kaufhaus des Westens 59, 85 Kempinski 59 Königlich Kopenhagen 53 Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin 277 Krug 293f. Kulmbacher Bier 105 Künstliche Höhensonne 105, 110, 121–124 Kupferberg Gold 132 L Lacoste 289, 293 Laxin 183 LEGO 343, 345 Leibniz-Cakes 9, 57 Leitz 15 Liebig’s 15, 44, 109 Lindt 99, 105, 116, 117 Loeser & Wolf 19, 23 Löwenbräu 7 Lustige Blätter 59 Lux 206 M Maggi 16, 273 Manufactum 89–91 Maria Mancini 44, 99, 101–104, 105, 125–139, 140, 141, 147–152, 158, 162, 165, 293, 300f. Max Factor 45, 224 Maxwell Coffee 256
Maybels Magnesium Milch 249, 256 Mc Donald’s 26, 27, 348 Meißener Porzellan 7, 53 Mercedes Benz 49, 60, 200, 201, 228 Meyer’s Konversationslexikon 87 Milka 105, 106, 116, 117 Miu Miu 1 Mumm 105, 118 N N. Israel 59, 65, 66 Neckermann 44 Nivea 9, 176, 273, 274 No. 4711 Kölnisch Wasser 211f. Nomos 163, 164 O Odol 9, 15, 57, 68, 69, 118, 132 Opel 188 P Panzani 31 Peau d’espagne 59 Pepsi-Cola 289, 299 Pernod 256 Persil 9, 273, 274 Peugeot 289 Phoebus Film 218 Pierre Cardin 289, 293, 305, 323 Pilsener 59 Polyhymnia 105, 165 Pommery 59 Prada 1, 348 Pro Sieben 45 Q Quarzlampen GmbH 122 Queen 59 Quick 289 R Rolls Royce 28 Rosa Aromatica 59 Rütlischwur 126, 147, 152, 162–165, 301 S Salamander 273 Salem Aleikum Cigaretten 138 Sanella 256 Sarotti 19 Schenker 206 Siemens & Halske 20
Markenregister
Simplicissimus 59 Sinalco-Cola 269 Stern 289 Stollwerck 110, 112 Sunlicht Seife 273 T Tavannes Watch Co. 186, 187 Thomas Mann 166, 167 Tietz 59, 227 Trumpf 206 U Ufa 202, 218, 219 Upmann 59
405
Vereinigte Glanzstoff-Fabriken A.G. Elberfeld 234 Vereinigte Werkstätten München 53, 54, 59, 62, 85 Vereinsbank 256 Volvo 89, 91 Vossische Zeitung 59 W Weck 160–162 Wertheim 59, 82, 83, 85–88, 91 White Curaçao 59 Y Yves Saint Laurent 289, 293