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German Pages 340 [170] Year 2017
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LUCAS
DER ÄLTERE Meister Marke Moderne Herausgegeben von Gunnar Heydenreich, Daniel Görres und Beat Wismer
MUSEUM KUNSTPALAST
D HIRMER
Inhalt
6 Leihgeber
82 Cranach und die Modeme
8 Grußwort 11
Vorwort
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Zur Einführung DANIEL GÖRRES I GUNNAR HEYDENRElCH I BEAT WlSMER
Anmerkungen zur Cranach-Rezeption in der Kunst seit der frühen Modeme BEAT WISMER 92 Die Cranach-Forschung im digitalen Zeitalter -
Von Fried länder/Rosenberg zum Cranach Digital Archive Booo BRINKMANN
20 Der selbstbewusste Maler
Lucas Cranach der Ältere im Selbstbildnis SUSANNE WEGMANN
Katalog der ausgestellten Werke
28 Lucas Cranachs Herz-Holzschnitt von 1505,
betrachtet im Sinne des Johannes von Staupitz DIETER KOEPPLIN
11 lll
38 Lucas Cranach der Ältere als Primus inter Pares -
Competitio et aemulatio in der deutschen Aktmalerei ANNE-MARIE BONNET 44 Der Mönch und der Maler - Luther und Cranach
als Vermittler eines neuen Glaubens DANIEL GÖRiUS 52 Friedrich der Weise als Reichsstatthalter:
lV V Vl Vll V111 lX
Prolog 98 Cranach in Wien 100 Der neue Hofkünstler des Kurfürsten 110 Künstlerischer Austausch und Wettstreit 140 Andacht und Vere hrung - Christl iche Motive vor und nach der Reformation 162 Cranach und die Reformation - Bilder des neuen Glaubens 188 Bildnisse von Bürgern und Fürsten 214 Augenweide und Belehrung - Cranach und der Humanismus 226 Die Werkstatt des Malers 248 Modeme und Cranach 294
Zum Nürnberger Bildnis aus der Dominikanerkirche DANIEL HESS I ÜLIVER MACK 58 Die Farbholzschnitte von Lucas Cranach dem Älteren
ELIZABETH SAVAGE I AD STlJNMAN 66 Cranach der Ältere als Zeichner
GEORG JosEF D1ETz / Gurno MESSUNG 72 Cranach? Fragen der Zuschreibung im lichte
kunsttechnologischer Untersuchungen GUNNAR HEYDENREICH
326 Zum Leben Lucas Cranachs des Älteren 327 Glossar 328 Bibliografie 338 Bildnachweis 339 lmpressum
Leihgeber
Für die Ausleihe der Werke gilt unser besonderer Dank
Albertina, Wien Anhaltische Gemäldegalerie Dessau Anhaltische Landesbücherei Dessau, Wissenschaftliche Bibliothek und Sondersammlungen The Art Collections of Prague Castle, Tschechische Republik Bayerisches Nationalmuseum, München Bayerische Staatsbibliothek, München
Kunstmuseum Basel Kunstmuseum Pablo Picasso Münster Kunstmuseum Stuttgart
Sprengel Museum Hannover Staatliche Eremitage, St. Petersburg Staatliche Graphische Sammlung München
Maryan W . Ainsworth · Alexis Ashot · Rüdiger Beck · Dagmar Blaha · Diana Blumenroth · Mar Borobia · Alena Brerankova · Stephanie Buck · Nicola Christie · Roberta Contini · Stephanie
Kunstsammlungen Chemnitz Kunstsammlungen der Veste Coburg Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen D resde _
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Gemäldegalerie
Dietz · Roland Enke · Eszter Fabry · Maria Garlova · Marlies Giebe · G. Ulrich Großmann · Martin Herda · Jana Herrschaft · Aleksandra Hola · Wolfgang Holler · lnken Holubec · Alice Hoppe-
Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett
Harnoncout · Holger Jacob-Friesen · Stefan Kaempf · Stephan Kemperdick · Peter Klein · Stefan Knobloch · Olga Kotkova ·
Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz,
Roland Krischel · Monika Kumi~ga · Sven Kuttner · Justus Lange · Dieter Lücke · Monika Lücke · Christof Metzger · Norbert
Landesarch iv Thüringen - Hauptstaatsarchiv Weimar Lehmbruck Museum , Duisburg Leila Pazooki LWL-Museum für Kunst und Kultur (Westfälisch es Landes-
Bayerische Staatsgemäldesammlungen München , Neue Pinakothek The Duke of Buccleuch & Queensberry KBE Burg Eltz, Münstermaifeld Compton Verney Art Gallery & Park, Warwick, Großbritannien
museum), Münster The Metropolitan Museum of Art, New York
Dorothee Golz Her Majesty Queen Elizabeth 11, The Royal Collection Trust, London Evangelische Kirchengemeinde St. Petri Wörlitz, Sachsen-Anhalt
Moravska galerie v Brne (Brno) , Tschechische Rep ub lik M usee des Beaux-Arts et d 'Archeologie de Besarn;on Musee Unterlinden, Colmar Museo de Bellas Artes de Bilbao
Evangelische Kirchengemeinde Wittbrietzen, Brandenburg E.W.K., Bern
Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid Museum der bildenden Künste Leipzig
Galerie Hans Mayer, Düsseldorf Galleria degli Uffizi , Florenz Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen
Museumslandschaft Hessen-Kassel Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, Peyersche Tobias Stimmer-Stiftung / Sturzenegger-Stiftung Muzeum Archidiecezjalne we Wrodaw, Polen Narodnf galerie v Praze (Prag) The National Gallery, London Nationalmuseum , Stockholm
The University of Arizona Museum of Art, Tucson, Arizon a Verein 1 ooo Jahre Kronach e . V. Von der Heydt-Museum, Wuppertal
Nationalmuseum, Warschau The Nelson-Atkins Museum of Art, Kansas City, Missou ri Niedersächsisches Landesmuseum Hannover Paloma Varga Weisz
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln Wartburg Stiftung Eisenach
Dresden Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz - Direktion Burgen, Schlösser, Altertümer - Schloss Stolzenfels Germanisches Nationalmuseum , Nürnberg Graphische Sammlung ETH Zürich Herzog Anton Ulrich-Museum, Kunstmuseum des Landes Niedersachsen, Braunschweig Joachim und Susanne Schulz Stiftung The J. Paul Getty Museum, Los Angeles Katerina Belkina Klassik Stiftung Weimar, Museen Kulturstiftung Dessau-Wörlitz Kunsthalle Bremen - Der Kunstverein in Bremen
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Darüber hinaus danken wir
Prämonstratenserkloster Nova Rfse, Tschechisch e Repub lik Rijksmuseum, Amsterdam Sammlung Bayer/ Bayer Art Collection, Leverkusen Sammlung Craig Robins, Miami
Kunsthaus Zürich
Sammlung Perez Sim6n, Mexico Sammlung Peter Norton, Los Angeles
Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie
Sammlung Würth, Künzelsau
Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen gemeinnützige GmbH , Schloss Colditz
Michels · lvo Mohrmann · Werner Müller · Elke Nakath · Jan Nicolaisen · Elke Oberthaler · Doris Oltrogge · J6zef Pater · Hans
Staatliches Museum Schwerin / Ludwigslust/Güstrow Staatsbibliothek Bamberg
Portsteffen · Bernhard Post· Nicole Reds · Stefan Rhein · Michael Rief· Achim Riether · Yohan Rimaud · Michael Roth · Dora
Städel Museum, Frankfurt am Main Statens Museum for Kunst, Kopenhagen Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt Stiftung Schloss Friedenstein Gotha
Sallay · Anna Sanden · Jochen Sander· Henrike Sandner · Ingo Sandner · Wolfgang Savelsberg · Werner Schade · Iris Schaefer· Martin Schawe · Katja Schneider · Claudia Schnitzer · Anja Schöne · Günter Schuchardt · Karl Schütz· Helen Smith-Contini .
St. Stephen's Roman Catholic parish, Litomerice, Tschechische Republik
Jörg Stahlmann · Jutta Strehle · Monika Strolz · Dominika Swi~tonska . Yvonne Szafran . Regina Thiede . Petr Tomasek .
Szepmuveszeti Muzeum, Budapest Universitätsbibliothek der LMU München
Margrit Vincent · Svenja Vosskamp · Thomas Weise · Klaus Weschenfelder · Lucy Whitaker · Meike Wolf
sowie privaten Leihgebern , die nicht namentlich genannt werden wollen.
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Grußwort
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ln diesem Jahr gedenken wir des Thesenanschlags von Martin Luther an der Schlosskirche zu Wittenberg vor fünfhundert Jahren. Aus gutem Grunde setzen wir mit diesem Datum den Beginn der Reformation an. Hier steht der Anfang einer neuen Epoche, die geistesgeschichtlich bis heute unsere Zeit prägt. Die Ideen Luthers sind der breiten Bevölkerung bekannt und populär gemacht worden durch die Bilder Lucas Cranachs. Mit sei-
gemacht, die Maßstäbe setzt. Das Schaffen Cranach s und sein Wirken auf die damaligen Zeitgenossen werden uns eindrucksvoll präsentiert. Cranachs Einfluss auf nachfolgende Epochen bis in das 21 . Jahrhundert werden großartig nachgezeichnet. Der Stadtsparkasse Düsseldorf ist es ein besonderes Anliegen, einen Beitrag für das Kunst- und Kulturleben in Düsseldorf zu leisten . Mit dem Museum Kunstpalast ist die Stadtsparkasse Düssel-
nen Werken hat Cranach ganz entscheidenden Anteil an der Verbreitung der Reformation gehabt. In einer Zeit, in der die meisten Menschen nicht lesen und schreiben konnten, war die Bilderwelt Cranachs ein entscheidendes Medium , den Menschen die Welt des Glaubens neu zu erschließen. Dem Museum Kunstpalast ist ein monumentaler Wurf geglückt. Es hat eine Ausstellung mit weltweiten Leihgaben möglich
dorf seit vielen Jahren eng verbunden. Umso mehr freue ich mich , dass die Stadtsparkasse Düsseldorf jetzt eine Ausstellung ermöglichen konnte, die die Aktualität einer fernen Zeit für uns neu erschließt.
Karin-Brigitte Gäbe/ Vorstandsvorsitzende der Stadtsparkasse Düsseldorf
Vorwort
Vor acht Jahren begann am Museum Kun stpalast auf Initiative von Gunnar Heydenreich, Professor für Kunsttechnologie und Restaurierungswissenschaft an der Technischen Hochschule Köln und langjäh riger Mitarbeiter des Restaurierungszentrums der Landeshauptstadt Düsseldorf, ein visionäres Forschungsprojekt: Das Cranach Digital Archive (cda) . Umfassend , digital und auf Inhalten
siven Version des Themas anregte; heute hängt das Bild als Dauerleihgabe in unserem Haus. Das Thema » Marke « indes ergibt sich aus der Arbeitsweise des Meisters, der im Wettstreit mit anderen Künstlern der Zeit stand und sich in einer Werkstatt organ isierte, was einen starken Wiedererkennungseffekt zur Folge hatte. Dass dieses Ausstellungsprojekt das spektakuläre Ausmaß er-
eines in ternationalen musealen Netzwerks basierend , vereint die Webseite lucascranach.org kunsthistorisches, kunsttechnologisches und q uellenkundliches Wissen zu Bildern Lucas Cranachs d . Ä. , seiner Söhne und seiner Werkstatt. Über 250 Partner in aller Welt sind es bi s heute, die Werk- und Provenienzinformationen, hochauflösende Fotografien und Dokumente zur Verfügung gestellt haben , die jedem Interessierten zugänglich sind. Auf diese Weise wurden über 1600 Gemälde mittels 14 ooo Abbildungen erschlossen . Dass dieses Großvorhaben glückt und Forschung und Öffentlichkeit so ein vorbildliches Recherchetool zur Verfügung gestellt werde n kann , ist der Andrew W . Mellon Foundation zu verdanken, die das Projekt seit Anbeginn großzügig unterstützt. Bei aller Begeisterung für die Möglichkeiten hochaufgelöster Aufna hmen und verknüptter Metadaten , frei zugänglicher Archiva li en und wesentlicher Recherchehinweise: Ein Museum wäre kein Museum , wenn es nicht immer auch die Begegnung mit dem O rigi nal suchte, also dem Medium der Ausstellung zugetan wäre. Und so erscheint es als logische Konsequenz der Verbindung des Cranach Digital Archive mit dem Museum Kunstpalast, der Expertise der Mitarbeiter, der weltweit geknüptten Verbindungen und au.eh des gemeinsamen Interesses an Cranach, eine Ausstellung zu generieren . Wir widmen uns Cranach unter den im Untertitel hervorge hobenen Aspekten Meister - Marke - Modeme, wobei ersterer an gesichts der Berühmtheit des großen Hof- und Auttragskünstlers ebenso nahelag wie der letzte: Mit der erfolgreichen Ausstellung EI Greco und die Modem e 2012 hatten wir uns schließlich der Altm reisterrezeption in der Modeme schon einmal aufschluß- und er-
reichen konnte, welches auch die vorliegende Publikation dokumentiert, ist trotz bester Voraussetzungen nicht selbstverständ lich . Alte Meister, insbesondere ihre Gemälde auf Holztafeln , werden stets besonders gut gehütet und es bedarf wohlwollender, der Idee besonders zugetaner Leihgeber, um sie in großer Zahl zusammenzubringen. Die Qualität des Projektes wurde zuforderst von den Kuratoren gesichert, und wenngleich ich selbst für den modernen Teil verantwortlich zeichne, meine ich damit vor allen Dingen Prof. Dr. Gunnar Heydenreich und Daniel Görres. Ihnen gilt mein großer Dank - nicht nur für die langjährige gute Zusammenarbeit, sondern an dieser Stelle vor allem für die Möglichkeit und Durchführung einer solch großartigen, attraktiven Schau . Zur Seite stand dabei ein namhafter wissenschattlicher Beirat, in dem Dr. Bodo Brinkmann (Kunstmuseum Basel), Dr. Susan Foister (The National Gallery London), Dr. Daniel Hess (Germanisches Nationalmuseum , Nürnberg), Prof. Dr. Thomas Kaufmann (Universität Göttingen), Prof. Dr. Dieter Koepplin (Basel), Dr. Guido Messling (Kunsthistorisches Museum Wien) und Dr. Matthias Weniger (Bayerisches Nationalmuseum München) mit ihrer Expertise mitwirkten . Diese illustre Reihe deckt sich teilweise, aber nicht ganz mit der Liste der ausgewiesenen Autorinnen und Autoren dieses Buches, das in seiner Informationsfülle, so will ich mit einiger Zuversicht sagen , einen wichtigen Beitrag zur Cranach-Forschung, aber auch eine hervorragende Ergänzung zum Cranach Digital Archive bietet. Allen, die zum Gelingen dieses Bandes beigetragen haben, mein herzlichster Dank; er schließt neben den Autorinnen und Autoren auch den Hirmer Verlag im Verantwortungsbereich von Kerstin Ludolph
ke nntni sreich angenähert. Und immerhin soll es das Cranach'sche Ur"lgleiche Paar aus der Sammlung der Düsseldorfer Kunstakademie ge'Wesen sein , das Otto Dix zu einer veristischen und hochexpres-
und Peter Grassinger für die Gestaltung ein. Bei Michael Ammann unter der Mithilfe von Christina Böse] war einmal mehr das sorgfältige Lektorat bestens aufgehoben. Ganz persönlich und auch im
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Namen meiner Co-Kuratoren danke ich den Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern . Dieses Projekt war komplex und auch nicht immer unkompliziert; es forderte allen Beteiligten viel ab.
E.ON SE als Stiftern des Museum Kunstpalast ist zuvorderst die Stadtsparkasse Düsseldorf mit dem Rheinischen Sparkassen- und Giroverband zu nennen. Die Rudolf-August Oetker-Stiftung für
Katalog und Ausstellung wurden unterstützt vom Ausstellungsmanagement unter der Leitung von Sandra Bade lt, hier zuvorderst von den ebenso kundigen wie entschlossenen Projektleiterinnen,
Kunst, Kultur, Wissenschaft und Denkmalpflege förderte diese
anfänglich Jessica Keilholz, dann Bianca Raitz-Tinzmann. Der Projektmitarbeiterin Svenja Schütte ist ganz besonderer Dank für die außerordentlich anspruchsvolle und bisweilen kräftezehrende Arbeit an dieser Publikation geschuldet, und der Registrarin Yasmin Limbach danke ich für ihren kompetenten und umsichtigen Einsatz in der Ausstellungslogistik. Viel Engagement erforderte das Projekt auch in den Bereichen Kommunikation , Vermittlung, Technik und Finanzen; hier danken wir stellvertretend Marina Schuster, Birgit van de Water, Andreas Nabrotzky sowie Harry Schmitz. Die Finanzierung dieses Großvorhabens wurde von vielen Schultern getragen . Neben der Landeshauptstadt Düsseldorf und
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Begleitpublikation. Das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend , Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützte das Projekt ebenfalls großzügig, die Prof. Otto Beisheim-Stiftung beteiligte sich finanziell maßgeblich an unserer Vermittlungsarbeit. Bayer Kultur Leverkusen half dabei , unseren Besucherinnen und Besuchern die Nutzung des Audioguides kostenlos anzubieten. All diesen und vielen im und außer Haus Beteiligten verdanken wir das Gelingen des ambitionierten Projekts und - das war der Anspruch - einen neuen Blick und also auch neue Einsichten ins Leben und Werk des Lucas Cranach.
Beat Wismer Generaldirektor, Museum Kunstpalast, Düsseldorf
Zur Einführung D A NIEL GÖRRES / GUNNAR HEYDENREICH / BEAT WISMER
»So steigen auf und sind aufgestiegen allerlei Künste, Malen, Sticken, Graben , wie es seit Christi Geburt nicht dergleichen gab. Dazu sind jetzt solche verständigen Leute mit scharfem Geist, die
junge Lucas in der Zeichenkunst 2 unterwiesen. Leider enden d ie erhaltenen Quellen zu Cranach s Ausbildung bereits an diesem Punkt. Der Kronacher Zunftordnung entsprechend muss seine
nichts verbo rgen lassen . [ ... ] Es ist vorher solcher Witz, Vernunft und Verstand in der Christenheit nicht gewesen auf und in zeitlichen und leiblichen Sachen ; geschweige denn der neuen Funde
Lehre zwei bis drei Jahre gedauert haben ; es fol gte die Gesellenzeit, die von der obli gatorischen Gesellenwanderschaft abgeschlossen wurde. Über Zeitpunkt, Dauer und Stationen dieser Wanderschaft
wie dem Buchdrucken [ ... ]. « 1
ist heute wenig bekannt. Als Kün stler greifbar wird Cranach erstmals in Wien, wo seine
Dieser Au szug der Predigt Martin Luthers zum zweiten Sonntag des Adve nts 1 522 erweist sich als eine treffende Charakterisierung der geistigen Tendenzen seiner Zeit. Die Reformation ist Bestandteil und Phänomen eines allgemeinen Kulturwandels, der nicht
Anwesenheit ab 1502 nachgewiesen ist. Wien war um 1 500 nicht nur die größte Stadt, sondern auch das politische und kulturelle Zentrum des Reichs. Vor allem die Impulse, die von Kaiser Maxi-
nur das geistig-religiöse, sondern auch das wirtschaftlich-soziale und damit auch das politische - Leben veränderte und daher nicht allein eine kirchliche Bedeutung hatte. Ihr entspricht die Überwindung der Uniformität mittelalterlichen Glaubens und Denkens hin zu einer Pluralität, die sich in der öffentlichen Meinungsäußerung niederschlägt. Luther hebt die Bedeutung der Künste und des Buchdrucks hervor und umreißt damit wichtige Aspekte dessen , was di e kommunikationsgeschichtliche Forschung mit dem Begriff der »Medienrevolution « verknüpft. Durch die Erfindung des Buchdruc ks mit beweglichen Lettern setzt eine Entwicklun g ein , die im frühen 16. Jahrhundert eine maßgebliche Erweiterung erfährt, denn dass mit der Typografie nicht nur Nachrichten verbreitet und Bücher vervielfältigt werden konnten, sondern auch die Agitation von Meinungen möglich war, lässt sich an der Vielzahl von Flugschriften dieser Zeit ablesen . Obwohl sich die reformatorische Bewegung auf die Schrift konzentriert, kommt dem Bild bei der
milian 1. (1459- 1519) für die Wissenschaften und Künste ausgingen , zogen auswärtige Intellektuelle und Künstler in die Stadt. Cranach pflegte Kontakt zu den Humani sten der Wiener Universität, aus deren Kreis sich seine wichtigsten Auftraggeber rekrutierten. Spätestens dort muss Cranach Einblick in humanistisches Gedankengut gewonnen haben , was sich in den Werken der Wiener Jahre niederschlägt. Cranachs Kunst wird schon bald zu einem der maßgeblichen Impulsgeber für jene Form des Expressiven in Malerei , Grafik und Skulptur, die die ältere Kunstgeschichte mit dem Begriff »Donaustil « umschrieb . Bemerkenswert ist, dass dieser wichtige Vertreter der deutschen Renaissance erst nach dem Jahr 1 500 kün stlerisch eigenständig in Erscheinung tritt und somit zu einem Zeitpunkt, als er bereits auf die Dreißig zuging - ein Lebensalter, in dem Zeitgenossen wie Dürer bereits auf Hauptwerke ihres Schaffens zurückblicken konnten. Cranach verlässt Wien 1 504/ 05 und folgt der Berufung als Hofmaler Friedrichs III. (1463-1525) , genannt der Weise, nach Wittenberg. Friedrich zählte zu den bedeutendsten Kunstförderern
Vermittlung des neuen Glaubens eine zumindest gleichwertige Rolle zu . Zweifellos dachte Luther bei seinen Worten daher vor allem an einen seiner engsten Vertrauten - jenen Künstler, den
im deutschen Sprachraum. Die Liste der Künstler, bei denen er Werke in Auftrag gab, ist eben so lang wie klangvoll , doch es war
un sere Ausstellung ehrt: Lucas Cranach den Älteren . Cra nach wählte seine Heimatstadt Kronach zum Namen , eine
Cranach , dem der Kurfürst eine Anstellung als Hofmaler anbot. Im Jahr 1 508 verlieh Friedrich ihm ein Wappen, das fortan zum
fränki sche Gemeinde im Bistum Bamberg, wo er 1472 als Sohn des Han s Moller geboren wurde . Wie der Familienname nahelegt,
charakteristischen Signet des Malers und seiner Werkstatt werden sollte : die geflügelte, bekrönte und einen Ring im Maul tragende
übte bere its sein Vater den Beruf des Malers aus; von ihm wird der
Schlange .
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Mit seiner Anstellung in Wittenberg lässt Cranach die expressiven Formen der Wiener Jahre hinter sich und findet zu einem Maistil , der es ihm erlaubt, den Ansprüchen des Hofes ebenso gerecht zu werden wie denen des »freien Marktes «. Seine Werke zeugen gleichsam von einem künstlerischen Selbstbewusstsein, das den kreativen Wettstreit mit anderen Künstlern nicht scheut, sondern ihn sogar zu suchen scheint. Seine innovativen Bildlösungen sind ohne künstlerischen Austausch im Alten Reich nicht denkbar. Die Ausstellung verfolgt daher das Ziel, Cranachs Wechselbeziehungen zu anderen Künstlern seiner Zeit aufzuzeigen und sein pointenreiches und kreatives Spiel mit Rezeption , Aneignung und Überbietung an konkreten Beispielen nachzuzeichnen. Cranach verstand es, innerhalb dieses künstlerischen Wettstreits auf bemerkenswerte Weise künstlerische Themen aufzugreifen und so stark zu prägen, dass sie heute untrennbar mit ihm verknüpft sind. Einen produktiven Wettstreit verfolgte Cranach nicht nur in der Malerei, sondern auch in jener Kunstgattung, die Luther als das »Graben« bezeichnete: der Druckgrafik. Bereits in Wien mit großformatigen Holzschnitten beginnend , sind insbesondere die ersten vier Jahre als neuer Hofkünstler des Kurfürsten eine Phase höchster Kreativität im Feld der Holzschnitte und Kupferstiche. Ihnen sucht die Ausstellung ebenso prominent Rechnung zu tragen wie den Werken der Reformation, die eine zweite Hochphase innerhalb des druckgrafischen CEuvres des Künstlers einleitet. Neben seinen Flugschriften und Titelholzschnitten für die Sache Luthers begründet Cranach mit seinen druckgrafischen und gemalten Porträts des Reformators eine Bildnisoffensive, die sein Abbild nicht nur im gesamten damaligen Reich bekannt machte, sondern unser Bild Luthers bis zum heutigen Tag prägt. Lucas Cranach sollte bis zu seinem Tod im Dienst dreier Kurfürsten stehen. Als Friedrich 111. 1525 starb, folgte ihm sein Bruder und Mitregent Johann 1. ( 1468-1 532) , später als »der Beständige« bekannt, als Kurfürst nach, konnte dieses Amt aber nur sieben Jahre lang führen. Johanns Sohn, Johann Friedrich 1. (1503-1554), den Cranach schon als Sechsjährigen porträtiert hatte, nahm im Jahr 1 532 seine Stelle ein. Die Aufgaben , mit denen Cranach am säch-
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sischen Hof betraut war, erschöpften sich keineswegs in der Lieferung von Gemälden, Holzschnitten und Kupferstichen: Cranach fertigte Entwürfe für Glaser, Teppichknüpfer, Lampenmacher, Schlosser, Stempelschneider und Goldschmiede; er war zuständig für die Gestaltung der fürstlichen Schlösser und für das Verzieren von Gegenständen des höfischen Lebens. Seine Tätigkeit für den
Authentizität, der Arbeitsteilung, der Datierung sowie den ursprünglichen Funktionen und Zusammenhängen in der Ausstellung präsentierter Werke. Nicht zuletzt werden Veränderungen der Gemälde in den letzten 500 Jahren thematisiert und heute getrennte Werke in der Ausstellung wieder zusammengeführt. Mit Cranachs großem ökonomischem Erfolg - den er als Ver-
kursächsischen Hof bestimmte aber keineswegs die Grenzen seiner Produktivität und Schaffenskraft: Er lieferte Kunstwerke für Herrscher und (Kirchen-)Fürsten in ganz Europa, darunter Vertreter des kaiserlichen Hauses Habsburg, der König von Dänemark Christian 11. (1481-1559) , der Mainzer Erzbischof und Kardinal Albrecht von Brandenburg ( 1490-1 545) aus dem Hause Hohenzollern sowie Kirchenfürsten Böhmens und Mährens. Darüber hinaus porträtierte Cranach die bürgerlichen und geistigen Eliten seiner Zeit. Die Ausstellung versucht, Cranach innerhalb dieses Gefüges von Auftraggebern verschiedenster politischer und konfessioneller Prägung zu präsentieren, indem sie einerseits die besonderen Produktionsbedingungen von Cranachs Kunst, dem als zunftfreier Hofkünstler eine Sonderstellung zukam , erschließt und andererseits Cranachs geschicktes Agieren auf einem europäischen Kunstmarkt verdeutlicht. Schon früh baute er in Wittenberg eine Werkstatt auf, deren Produktivität in dieser Zeit ihresgleichen sucht. Als Qualitäts- und Markenzeichen fungiert das Schlangensignet. Die Ausstellung analysiert die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Aufträgen, Materialien, Techniken, Werkstattorganisation und künstlerischen Ausdrucksformen. Veranschaulicht werden verschiedene Stadien des Werkprozesses, unter anderem die serielle Bildproduktion unter Nutzung von Standardformaten und die gegenseitige Beeinflussung von Malerei, Holzschnitt und Buchdruck. Die Ausstellung zeigt unter der Maischicht verborgene und mit infrarotreflektografischen Techniken visualisierte Unterzeichnungen und veranschaulicht neben einem enormen Reichtum an Maimaterialien und höchst effizienten künstlerischen Techniken auch den Einfluss von Handel und ökonomischen Bedingungen auf die Gestalt der Gemälde. Die Untersuchungsergebnisse liefern neue Antworten zu Fragen der
leger, Holz- und Papierhändler, Apotheken- und Grundbesitzer ausbaute - ging sein schneller Aufstieg in der städtisch-ständischen Hierarchie einher: Zwischen 1519 und 1544/45 bekleidete er das Amt eines Ratsherrn der Stadt Wittenberg, viele Jahre davon sogar als Kämmerer oder Bürgermeister. Seine letzten Lebensjahre waren von den politischen Wirren des Schmalkaldischen Krieges bestimmt, in dem eine Allianz von protestantischen Fürsten, unter ihnen auch Cranachs Landesherr Johann Friedrich 1., gegen die Truppen des Kaisers kämpfte. 1547 wird Johann Friedrich in der Schlacht bei Mühlberg von den Truppen Karls V. (1500-1558) gefangen genommen und verliert in der Folge seine Kurwürde sowie weite Teile seines Territoriums. Auf Wunsch des Fürsten folgt Cranach ihm noch in hohem Alter in die Gefangenschaft nach Augsburg und Innsbruck, kann aber 1 552 zusammen mit Johann Friedrich in die neue ernestinische Residenzstadt Weimar zurückkehren , wo Cranach am 16. Oktober 1553 im Haus seiner Tochter Barbara stirbt. Die Inschrift seines Grabsteins lobt ihn als »pictor celerrimus «, den schnellsten Maler. Nachdem Cranachs ältester Sohn Hans, geboren um 1 513 , bereits 1 537 auf einer Italienreise ums Leben gekommen war, führt der Zweitgeborene, Lucas der Jüngere (151 5-1586) , den Werkstattbetrieb weiter. Der Sohn malt den Vater 1 550 in einem eindrucksvollen Bildnis, dass das Antlitz des Vaters vor seinem Weggang ins Exil festhält. Von Lucas Cranach dem Älteren ist nur ein einziges autonomes Selbstbildnis aus dem Jahr 1 531 überliefert, das sich heute auf Schloss Stolzenfels bei Koblenz befindet und den Prolog unserer Ausstellung bildet. Es waren die Werke Lucas Cranachs , in denen sich erstmals Martin Luthers Positionen zum Gebrauch der Bilder manifestierte und die sich von der althergebrachten Aufgabe befreiten, Gegen-
stand der Anbetung sein zu müssen. Die lutherische Reformation und mit ihr die Werke Cranachs machten den Weg frei für eine Kunst, die um ihrer selbst Willen , losgelöst von einem kultischen Zweck, agieren konnte . Mit einigem Recht kann man somit festhalten , dass Luther und Cranach einer modernen Auffassung von Kunst den Weg bereiteten. 3 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass führende Wegbereiter und Vertreter der Modeme in einen ähnlichen Wettstreit mit Cranach eingetreten sind , wie dieser mit seinen Zeitgenossen. Zahllose Künstler adaptierten und interpretierten die Bildsprache und Motive Cranachs und kamen so zu kongenialen Lösungen . Gerade in Düsseldorf als Stadt der Kunst der Modeme und Gegenwart scheint es nahezuliegen , dass die Ausstellung in einem abschließenden Kapitel diesem Aspekt nachspürt. Schon seit 2009 widmet sich das Museum Kunstpalast zusammen mit der Technischen Hochschule Köln im Rahmen des Projektes Cranach Digital Archive (www.lucascranach.org) der Erforschung dieses Künstlers. Das Portal erlaubt es, die ungemeine Produktivität Cranachs genauer nachzuvollziehen, indem es die Forschung zu Werken Cranachs, seiner Werkstatt, seinen Söhnen und Nachfolgern frei zugänglich an einem zentralen Ort zusammen mit hochauflösenden Abbildungen erschließt. Wir freuen uns daher, auch einen Teil der Forschungsergebnisse dieses Projektes mit Cranach. Meister - Marke - Moderne präsentieren zu können. Eine solche Ausstellung wäre ohne die Hilfe der vielen »verständigen Leute « - um erneut Luthers Worte aufzugreifen - niemals denkbar. Daher danken die Kuratoren an dieser Stelle den zahlreichen Kolleginnen und Kollegen, die diese Ausstellung mit Rat und Tat begleitet haben .
1 WA 1 o 12, 5. 95 , Z .26-5 . 96, Z. 11 , behutsam an s Neuhochdeutsch e an gepasst .
2 Ein e Qu elle d es Jahres 1 565 spri cht in die sem Zu sammenhang von »a rtem graphicam «, zit. nach Lüd ec ke 195 3, 5. 84. 3 Die se Th ese untersuchte Wern e r Ho fmann bereits 1983, vgl. Au ss t.-Kat. Hamburg 1983 .
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Der selbstbewusste Maler Lucas Cranach der Ältere im Selbstbildnis S U SANNE WEGMANN
Die Selbstporträts Lucas Cranachs d. Ä. standen in der Forschung stets im Schatten der Selbstdarstellung Albrecht Dürers, die sich nich t nur auf gemalte Porträts beschränkte, sondern von autobiografischen Schriften, von einem reichen Briefwechsel sowie kunsttheoretischen Traktaten begleitet war. 1 Die Formulare der Bildinschriften und das humanistische Künstlerlob, das sich unmittelbar auf Dürers Selbstporträts bezog, banden seine Porträts in den Horizont des zeitgenössischen Kunstdiskurses ein. Die sich aus der reichen Überlieferung ergebenden Möglichkeiten der Kontextual isierung der Porträts erlaubten es , ihrer Vielschichtigkeit näherzukommen. Dass sich diese zugleich aber jeglicher Eindeutigkeit entziehen , sicherte ihnen beständige Aufmerksamkeit in der Forschung. Die Annäherung an Cranachs Selbstporträts wird weniger d urch das Fehlen eigener kunsttheoretischer Schriften des Künstlers erschwert als vielmehr durch die Problematik, dass die funktionalen Ko ntexte, Auftraggeber und Rezeptionssituationen weitgehend im Dunkeln bleiben . Für das autonome Selbstbildnis (Kat. 1) aus Schloss Stolzenfels bei Koblenz kann die Provenienzgeschichte annähernd gesichert nur bi s in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückverfolgt werden .2 Der Erhaltungszustand und Übermalungen im Bereich des Hintergrundes, des Gewandes sowie des Haares veru nklären die Malweise, weshalb das ursprüngliche Erscheinungs bild kaum mehr zu erahnen ist. So wurde das Porträt als möglicherweise unvollendet oder teilweise skizzenhaft ausgeführt beschrieben, was wiederum die Vermutung nährte, das Bildnis sei led iglich als Studie anzusehen. 3 Wie für das autonome Porträt sind fü r di e integrierten Selbstbildnisse, die Cranach als Alphäus in der HI. Sippe (Abb. 2 ), als Hellebardier bei der Enthauptung des Joha nn es des Täufers (Abb. 1, 5) sowie an der Gothaer Tafel des Gastmahls des Holofernes (Abb . 7) zeigen , die ursprünglichen Aufstell ungsorte nicht gesichert. Allein der Auftraggeber der Ent,hauptung des Johannes des Täufers kann aufgrund des Wappens im
Ab b., Lu cas Cran ac h d. Ä., Die En tha uptung des Johann es des Täufers (Aussc hnitt), , 51 5, M alere i auf Lind en ho lz, 84 x 58 cm , Erzbi sc höfli ches '.5.chloss un d Gärten Kro m i'rfz, lnv. KE 2 36 7, 0 26 7
linken Bildvordergrund als der Olmützer Bischof Stanislaus Thurzo identifiziert werden. Doch eine Rekonstruktion als Flügel eines Altarretabels ist ebenso spekulativ wie seine Stiftung für den Prager Wenzelsdom oder die Kollegiatskirche St. Moritz in Olmütz. 4 Während die jüngere Forschung Cranachs autonomes Selbstporträt im Sinne einer kunsttheoretischen Selbstreflexion besprach, wurden die integrierten Bildnisse kaum aus dieser Perspektive wahrgenommen .s Sie gelten vor allem als Werbung des geschäftstüchtigen Werkstattleiters für seine Erzeugnisse. 6 Doch sind gerade die integrierten Porträts als höchst selbstbewusste und kunsttheoretisch reflektierte Auftritte zu werten, die weit mehr als Signaturbildnisse darstellen. 7
Cranachs Sippe Um 1510 / 12 fügt sich Cranach d. Ä. in die Wiener HI. Sippe (Abb. 2 ) ein. 8 An der Stirnseite des rahmenden Rundbogens weisen Wappen mit ineinandergelegten Händen, der dextrarumiunctio, auf eine Vermählung von Eheleuten oder auch grundsätzlich auf familiäre oder soziale Verbindungen hin . Durch den Bogen führt der Blick hindurch auf einen Platz, dessen Zentrum die HI. Familie auf einer Steinbank sitzend bildet: Anna mit dem Jesusknaben auf dem Schoß, dem Maria eine Weintraube reicht. Josef, der Ziehvater Jesu, lehnt abgerückt im Hintergrund rechts in einer Mauernische, den Blick auf die Familie gerichtet. Nach links führt eine Treppe nach oben auf einen Balkon, auf dem eng zusammengerückt die drei Ehemänner der Anna stehen. Die jüngsten Generationen der Familie, die nach Maria geborenen Töchter der Anna, Maria Salome und Maria Kleophas, mit ihren Ehemännern und Kindern , versammeln sich im Bildvordergrund. Bereits Eberhard Sehen k zu Schweinsberg identifizierte die HI. Sippe als Familienbild Cranachs mit dem älteren Cranach in der Rolle des Alphäus. 9 Nach Dieter Koepplin nähme Cranachs Frau Barbara Brengbier die Position der Maria Salome ein, während in der Rolle des Zebedäus Cranachs Schwiegervater, der Gothaer Ratsherr Jobst Brengbier, zu sehen wäre. Bei dieser Identifizierung bezöge Cranach alle Nachkömmlinge der beiden Schwiegersöhne der Anna auf sich .10
21
Abb. 3 Lu cas Cran ac h d . Ä., Die HI. Sippe, um 1 509, Ho lzsch nitt, 227 x 32 1 mm , Anh altisc he Gemäl dega lerie, Dessau, lnv. Gll 15 44
gesehen, als Malerchronist des Hofes vor. Chronos bestimmt den Lauf der Zeit und Cranach hält sie im Bild zum Ruhm seines Fürsten fest. Nicht weniger auffä llig ist auf dem Holzschnitt und im Wiener Sippenbild die Einbeziehung seines Wappentiers . Die geflügelte Schlange in der Bildmitte scheint vor Cranachs Sippe auf !lern unteren Bildrand zu kriechen , ohne dass dabei aber die zweidim en sionale Zeichenhaftigkeit im Hinweis auf das Wappenbild völlig aufgegeben wäre. 15 Auf dem Holzschnitt wird sie mit der Tafel
in die Bildrealität eingefügt. Wie ein abgelegtes Spielzeug der Kinder der HI. Familie liegt die Tafel auf einer freigeräumten Fläche im Vordergrund. In beiden Fällen wird der Blick des Betrachters gezielt auf das Wappentier gelenkt, wodurch die mit der Wappenverleihung verbundene Auszeichnung von Cranachs verdienstvoller und treuer Zugehörigkeit zur kurfürstlichen »Hoffamilie « betont wird .16 Das Wiener Gemälde bezieht sich offenbar auf das Frankfurter Retabel.17 Cranach nimmt in seiner Sippe den Platz ein , den auch Friedrich der Weise besetzt: Beide erscheinen in der Rolle des Alphäus, womit ihnen der kinderreichere Zweig der Familie zugewiesen ist und sie beide das Fortleben ihrer Sippen sichern. Seine enge Verbindung zum Kurfürsten betont Cranach auch, indem er dessen Haltung spiegelbildlich übernimmt. Wie der Kurfürst hält auch Cranach seine Hände vor dem Körper und ergreift mit der oberen Hand den Saum seines Mantels . Als vom Kurfürsten an den Hof berufener und mit einem Wappen ausgezeichneter Maler demonstriert er diese Anerkennung innerhalb seines Sippenbildes, das sein Familienbewusstsein, seine soziale Stellung und seinen Anspruch unterstreichen soll. 18 Die von den Ernestinern auf sich projizierte Vorbildlichkeit der HI. Sippe übertrug Cranach auch auf seine eigene Sippe. 19 Cranach steht hier in der Rolle des Alphäus, in der Haltung des Kurfürsten und zugleich als Maler im Bild. Im Gegensatz zu Friedrich dem Weisen richtet er den Blick auf den Betrachter und macht damit auf seine Autorschaft und seine Profession aufmerksam, die er in den Dienst des Kurfürsten stellt.
Abb . 4 Lu cas Cra nac h d . Ä., Reta bel der HI. Sippe (sog. »To rga uer Al tar«), 1 509, Malere i auf Lind enh o lz, Mi tteltafel 12 1, 1 x 100,4 cm , Flüge l jeweil s 120, 6 x 4 5,3 cm , Städ el Mu se um , Frank fur t am Main , ln v. 1398
Abb. 2 Lu cas Cranac h d. Ä., Die HI. Sippe, um 1510/ 12, Malerei auf Holz, 89 x 71 cm , Ge m äld ega lerie der Akade mi e der Bilde nd e n Kün ste, Wi e n, ln v. GG- 542
Um 1 509 hatte Cranach bereits einen Holzschnitt der HI. Sippe (Abb. 3) geschaffen. Über der Anna-selbdritt-Gruppe ist hier ein Deckenschmuck mit Putten platziert, welche die kursächsischen Wappen präsentieren. 11 Cranach legt eine Tafel mit seiner Signatur » LC « und der geflügelten Schlange zu Füßen der kinderreichen Familie des Alphäus, der zwei seiner Söhne mit Rutenbündel und aufgeschlagenem Buch auf seinen Knien unterrichtet. Auch das Frankfurter Retabel der HI. Sippe (Abb. 4) signierte Cranach auf einer Tafel , die an einer Säule am rechten Bildrand der Mitteltafel aufgehängt ist. Er verwendet hier eine für ihn ungewöhnlich ausführliche Signatur: »Lucas Chronus faciebat Anno 1509«. Auf den Flügelbildern treten nun an die Stelle der Schwiegersöhne die ernestinischen Brüder: Friedrich der Weise und Johann der Beständige. Als einer der Gatten der hl. Anna lehnt Kaiser Maximilian l. auf der Mitteltafel über einer Brüstung mit den kursächsischen Wappen.12 Dass Cranach sich auf dem Holzschnitt und im Frankfurter Retabel, die die HI. Sippe mit den Ernestinern in Verbindung bringen ,
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mit auffälligen beziehungsweise singulär gestalteten Signaturen ins Bild setzte und schließlich eine HI. Sippe mit Porträts seiner eigenen Sippe schuf, dürfte kaum als Zufall zu werten sein. Cranachs Signatur auf dem Frankfurter Sippenaltar hat zu unterschiedlichen Deutungen geführt. Der Zusatz »Chronus «, der seinen Namen variiert, spielt auf seine Herkunft aus Kronach und auf Chronos, den Gott der Zeit, an . Dabei wurde meist vermutet, dass hier ein Lob des Schnellmalers angestimmt wäre.13 Doch ist auch eine andere Lesart möglich: Chronos wird in der Frühen Neuzeit in enger Verbindung zu Historia gesehen. Chronos ist die Zeit, auf die sich Historia bezieht und die sie betrachtet. Chronos selbst bedeutet Vergänglichkeit und Wandel, wodurch er selbst als zerstörerisch wahrgenommen wird. Jedoch kann er Historia auch dienend untergeordnet sein , sodass er mit Historia gemeinsam für die Bewahrung des Nachruhms verantwortlich ist. 14 So stellt sich Cranach, dem kurz zuvor von Kurfürst Friedrich 111. ein eigenes Wappen verliehen wurde, mit dem Chronus-Chronos-Wortspiel, auch etymologisch
SUSA NN E WEGMA NN DER SELBSTBEW U SSTE MALER
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Abb. 5 Luca s Cranach d. Ä., Die Enthauptung des Johannes des Täufers, 1 51 5, Malerei auf Lindenholz, 84 x 58 cm, Erzbischöfliches Schloss und Gärten Kromerfz , lnv. KE 2367, 0 267
Cranach als Hellebardenträger Auch Cranachs Rolle als Hellebardenträger (Abb. 1, 5) auf dem vom Olmützer Bischof Stanislaus Thurzo in Auftrag gegebenen Altarretabel ist als repräsentativer und selbstbewusster Auftritt zu verstehen. 20 Wieder steht Cranach am linken Bildrand und nimmt den Betrachter in den Blick, doch tritt er nun in den Vordergrund und präsentiert sich unüberschnitten in ganzer Figur als Landsknecht mit blankem Harnisch über seinem auffällig bunten Gewand. ln den Händen hält er eine Hellebarde, an deren Beil seine Schlangen-Signatur und die Datierung »15 15 « angebracht sind. Cranach erinnert an dieser Stelle an einen Schreinwächter, der den Betrachter in eine grausige, doch ihm Heil und Erlösung versprechende Szene des Martyriums Johannes des Täufers einführt. 21
Der im Zentrum der Komposition stehende Henker hat seine Aufgabe bereits vollzogen. Er überreicht das abgeschlagene Haupt des Heili gen an Salome, die es mit einer Schüssel entgegennimmt. Zu ihren Füßen liegt der enthauptete Körper, aus dessen Halswunde sich in Strömen Blut ergießt, das sich auf dem Boden in Pfützen sammelt, die ein Hund aufleckt. Das blutige Schwert ist gewissermaßen mit der Hellebarde Cranachs gekreuzt, womit der Maler auf die Blutfarbe aufmerksam macht, die sein Werk ist. Dass ein Hund das so kunstvoll inszeniert gema lte Blut aufleckt, mag auf
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einen Topos des Künstlerlobs hinweisen, der auch mit Dürers im Jahr 1 500 entstandenem Selbstporträt in Verbindung gebracht wurde. Dieses rühmte Conrad Celtis kurz nach seiner Entstehung in einem Epigramm : »So glänzend führt Albrecht, das wunderbare Genie, seinen Pinsel, so glänzend ist seine Farbgebung, dass kürzlich als er sich selbst malte und bereits sein ganzes Gesicht konterfeit war, sein Hund herbeilief. ln Annahme, sein Herrchen sei lebendig, schmiegte er sich an ihn und liebkoste ihn mit der Schnauze.« 22 Dass Cranach hier den Wettstreit mit Dürer aufnimmt, zeigt auch die Platzierung des halbnackten gemarterten Körpers im Vordergrund, der auffällig an die Reihung von halbnackten gemarterten und teilweise enthaupteten Körpern im Vordergrund von Dürers Marter der zehntausend Christen aus dem Jahr 1 508 erinnert. Dürer demonstriert sein Können, komplizierteste Körperhaltungen aus unterschiedlichsten Ansichten in gelungener perspektivischer Verkürzung in s Bild zu setzen. 23 Cranachs Johannes scheint wie eine Fortsetzung dieser Reihe, die er unmittelbar in der Wittenberger Schlosskirche studieren konnte. Doch die ldentifikation oder Kontextualisierung des Künstlers mit Hellebardenträgern oder Landsknechten ist keineswegs singulär, wie insbesondere Hans Baldung Griens Auftreten auf der Rückseite des um 1 512/ 16 geschaffenen Freiburger Hochaltarretabels (Abb. 6) zeigt. 24 Baldung blickt dort über die Schulter eines grün gewandeten Hellebardiers, während ein Knabe davor di e Signaturtafel in Händen hält. Die Landsknechte, die nicht dem üblichen Reglement der Kleiderordnungen unterlagen, zogen mit ihren fantasievollen, in Farben und Schnitten extravaganten Gewandungen Aufmerksamkeit auf sich. Der Faszination ihrer ungezüge lten Freiheit konnte sich kaum ein nordalpiner Künstler des 1 5. und 16. Jahrhunderts entziehen. 2s Baldung stellt seinen Hellebardenträger, der mit sei nem grünen Gewand auf den Beinamen seines Schöpfers »Grien « verweist, als souveräne, Bewunderung einfordernde Bilderfindung heraus. 26 Cranach selbst tritt als bunter, ungezähmt freier Landsknecht ins Bild. Er kleidet sich in ein extravagantes Gewand aus violettem und blauem Stoff mit Schlitzen an den Knien, über den Oberschenkeln und Ärmeln, durch die der gelbe Futterstoff hindurch blitzt, und schmückt sich damit zugleich mit seiner einzigartigen, außergewöhnlichen Erfindungsgabe. Die den Landsknechten zugeschriebenen Eigenschaften »exotisch, ungezähmt und erotisch« rückten sie - wie Matthias Rogg herausstellt - in der zeitgenössischen Wahrnehmung in die Nähe der sogenannten Wilden Männer, und wie diese übernahmen vor allem Hellebardenträger auch häufig eine wichtige Funktion in der heraldischen Repräsentation, indem sie als Wappen träger fungierten.27 Auch Cranach präsentiert als Hellebardier das Wappen seines Auftraggebers, Stanislaus Thurzo, und zeigt sich zugleich mit der Punze seines Wappentiers auf seiner Hellebarde als Hofmaler des sächsischen Kurfürsten, der ihn und sein Können mit diesem Wappen ausgezeichnet hatte. Hellebarden wurden im Verlauf des 1 6. Jahrhunderts zunehmend seltener im Kampf und stattdessen eher für zeremonielle Aufgaben der Leibgarden genutzt. 28 So ist Cranachs Auftritt keineswegs im negativen Sinne mit dem des Henkers des Johannes zu vergleichen, er ist stattdessen im höchsten Maße repräsentativ und von sei nem höfisch-diplomatischen Dienst bestimmt.
Cranach an der Tafel des Holofernes und se in autonomes Selbstbildnis lm Gastmahl des Holofernes (Abb. 7) rückt Cranach fast aus dem Bild. Vom Bildrand überschnitten, im Dunkel des Hintergrunds verharrend und durch einen Apfelbaum vom Bildgeschehen abgetrennt, dessen Stamm seine Signatur und die Datierung »1 531 « trägt, blickt er den Betrachter an. Seine Gestik und die Hände, die sich betont hell von seiner schwarzen Schaube abheben, werden noch vor seinem Blick wahrgenommen. Wieder fasst er mit einer Hand in den Pelzbesatz des Gewandes, während er mit seiner Rechten auf das Geschehen an der höfischen Tafel deutet, auf die lnteraktion zwischen der Tugendheldin Judith und dem Tyrannen, dem sie sich verführerisch nähert, um die von seinem Heer belagerte Stadt Betulia zu retten. Am Kopfende der Tafel sitzend, ergreift Holofernes ein gebratenes Rebhu hn und reicht Judith mit einem Messer ein Stück davon. Der kopflose Vogel in seiner Hand mutet wie eine makabre Vorschau auf sein eigenes Schicksal an, das sich im Hintergrund de r Szene erfüllt. Dort, im Heerlager, steht im vorderen ZeltJudith mit gesenktem Schwert in der Rechten. Sie blickt aus dem Zelt und reicht ihrer Dienerin das abgeschlagene Haupt des Holofernes, die es mit einem geöffneten Sack entgegennimmt. Ebendiese Szene wiederholt in gleicher Weise eine zweite, zugehörige Tafel in Gotha. Die aus dem Hintergrund der ersten Tafel herausgelöste Szene rückt dort als Nah aufna hme an die vordere Bildgrenze heran , sodass der Betrachter nun Details im Inneren des Zeltes
erkennen und dort den enthaupteten Körper des Heerführers auf dem Bettlager sehen kann. Tanja Holste beschreibt Cranachs Rolle an der Tafel des Holofernes als die einer »ne utralen Erzählerfigur«, die den Betrachter in die Chronologie der Ereignisse einführt. 29 Doch gilt se in Fingerzeig vor allem der entscheidenden Szene der Verführung, des Verführtwerdens und dem sich in der Handlung unterschwellig, fast ironisch andeutenden weiteren Geschehen. 30 Es ist dieser alles entscheidende, aber auch ambivalente Moment, auf den Cranach aufmerksam machen will. Die Provenienz der beiden Tafeln legt nahe, dass sie sich ursprünglich im Besitz des sächsischen Kurfürsten Johann des Beständigen befund en haben müssen .31 Als Ausstattung der Schlösser dienten die dem Themenkreis der Weibermacht zuzurechnenden Gemälde der Mahnung des Herrschers.32 Werner Schade verweist zudem auf die politische Deutung der Historie, die Frage der Herrscherwillkür, des Tyrannenmordes und der Eidestreue, die sich im Jahr der Entstehung des Bildes mit der Gründung des Schmalkaldischen Bundes als aktuelle und heikle Problematik darstellte. 33 Das ebenfalls 1531 datierte autonome Porträt Cranachs (Kat. 1) ist stets mit Verweis auf das Gothaer Bild besproch en worden, man sah jenes als Studie zum Gastmahl des Holofernes oder als Teilkopie. 34 Doch auch wenn das Selbstbildnis und das Gastmahl des Holofernes sicherlich keinen geme in samen Rezeptionskontext hatten, liegt es nicht fern, das integrierte und das autonome Porträt im produktionsästhetischen Sinne programmatisch aufeinan-
Abb. 6 Hans Baldung Grien, Kreuzigung, Rückse ite des Hocha ltarretabels im Freiburger Münster, um 1512/16, Malerei auf Holz, Mitte ltafel 253 x 232,4 cm, Seitentafe ln jeweils 288,5 x 101 ,5 cm, Erzbischöfliches Ordinariat Freiburg im Brei sga u
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6 Scheidig 1953 warf eher einen abwertenden Blick auf die integrierten Selbstporträts, vermutete gar, dass das Gothaer Selbstporträt von se inen Mitarbeitern eingefügt worden sei (5. 135). Die Frage der Zuschreibung steht auch im Zentrum der Überlegungen von Holste 2004, 5. 225-232 . Allein Koepplin (Ausst.-Kat . Basel 1974 / 76, Bd. 1, 5. 74-76) relativierte d iese negative Sicht. Genere ll findet diese Porträtgattung im Vergleich zu autonomen Selbstporträts weniger Beachtung, vgl. etwa die Auswahl der Werke bei Pfisterer /vo n Rosen 2005. 7 Vgl. Schweikhart 1 999, der die integrierten Selbstdarstellungen - bezogen auf Bildnisse des 11 . bis 1 5. Jahrhunderts - als »Signaturbildnisse« bezeich net und als »Vorstufen des autonomen Selbstporträts « (5. 165) versteht. Zeitgleich mit den autonomen Bildnissen entstehende integrierte Se lbstbildnisse finden keine Beachtung. Zu Dürers integrierten Selbstporträts siehe zuletzt Chipps Smith 201 6 .
Abb. 7 Lucas Cranach d. Ä., Gastmahl des Holofernes (Ausschnitt mit Selbstbildnis und Gesamtansicht), 1531, Malerei auf Holz, 98,5 x 72,5 cm, Stiftung Schloss Friedenstein, Gotha, lnv. SG 674
der zu beziehen. Das autonome Bildnis stellt in ähnlicher Weise eine vergrößerte Wiederholung dar, wie auch das Zelt des Holofernes auf der zweiten Tafel, dem Tod des Holofernes, aus dem Hintergrund isoliert und nahsichtig präsentiert wird und nun einen detaillierten Einblick erlaubt. Die fokussierte Sicht auf Cranach impliziert eine durch Lichtregie und Bildausschnitt erreichte Konzentration auf sein Gesicht, auf sein Sehen, die im Produktionsprozess einen Wechsel vom selbstbetrachtenden Sehen in den Spiegel zum auffordernden Blick auf den Betrachter bedeutet. 3 s ln der Weitung der Betrachterperspektive und in der Einbindung in den erzählerischen Kontext wandelt sich die Bedeutung des Künstlerblicks von der Selbstbetrachtung hin zur Präsentation seines Werks. Die selbstreflexive Betrachtung des eigenen Tuns ist in dieser Folge Ausgangspunkt für das Schaffen und sein Auftreten im eigenen Werk, in dem der Künstler seine vermittelnde und erläuternde Aufgabe in der blickenden und deutenden Interaktion mit dem Betrachter übernimmt.
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1 Vgl. Ausst.-Kat. Nürnberg 2012, 5. 261-269; Robert 2012; Grebe 2012. Die nachrangige Beachtung der Selbstporträts Cranachs zeigt sich auch bei Koerner 1993, der da~ Thema der Selbstporträts der deutschen Renaissance weitgehend auf Dürer konzentriert. 2 Ausst.-Kat. Berlin 2009, Kat . III. 1 5 (Elke A. Werner); Ausst.-Kat. Gotha/ Kassel 201 5, Kat. 1 (Sebastian Dohe). Ebenfalls als schwierig stellt sic h aufgrund der Übermalungen die Einschätzung Borggrefes dar, dass Cranach hier seine Vertrautheit mit dem »ve nezianischen Stil« (»a soft painterly manner«) aufzeige und diesen imitiere (Ausst.-Kat. Rom/Mai land 201 o, 5. 65). Koepplins Vermutungen (Ausst.-Kat . Basel 1974 / 76, Bd. 1, 5. 7678), dass das Porträt ursprünglich Teil einer größeren Komposition war, konnte durch technologische Untersuchungen widerlegt werden (Heydenreich 2007d , 5. 47). 3 Schade 1972a, 5. 373, der das Bild erstmals als Selbstbildnis Cranachs d. Ä. erkannte, hob die Übermalungen als Problem für die Beurteilung des Gemäldes hervor und schloss unvollendete Partien nicht aus . Auch Werner vermutet, dass Mantel und Haare im Gegensatz zum Gesicht unvollendet blieben (Ausst.-Kat. Berlin 2009, Kat. 111.15 [Elke A. Werner]). 4 Ausst.-Kat. Frankfurt am Main 2007a, Kat. 20, 21. s Ausst.-Kat. Berlin 2009, Kat. 111. 1 5 (Elke A. Werner); Ausst .-Kat. Gotha/ Kassel 201 5, Kat. 1 (Sebastian Dohe) .
8 Ausst .-Kat. Basel 1974 / 76, Bd. 1, 5. 74-76; Trnek 1997, 5. 64-66; Ausst.-Kat. Wien 2004, Kat . 8 (Renate Trnek); Söll-Tauchert 201 o, 5. 278f. 9 Schenk zu Schweinsberg 1926 . 10 Ausst.-Kat. Basel 1974 /76, Bd. 1, 5. 74 (Dieter Koepplin) , dazu auch Bd. 2, 5. 756, Anm. 55 . Koepplin spricht hier die Problematik dieser Id entifizie rung entgegen den Verwandtschaftsverhältnissen an; er zieht auch eine Identifizierung der säugenden Maria Kleophas mit Barbara Brengbier in Erwägung. Doch hat sich die spätere Forsc hun g der Vorstellung angeschlossen, dass Cranach seine Frau wohl nicht das Kind stillend dargestellt hätte, son dern eher eine Amme diese Stelle hätte einnehmen lasse n, während die Ehefrau eine Haube getragen hätte. Vgl. Trnek 1 997, 5. 66. 11 Deutschländer 2012 , 5. 295; Ausst .-Kat. Dessau 2015, Kat. 14 (Norbert Michels). 12 Zur politischen Aussage dieser Verknüpfung der säc hsischen Fürsten mit dem Habsburger Kaiser siehe Ritschel 1996, 5. 15-19; Ausst.-Kat. Frankfurt am Main 2007, Kat . 19 (Bodo Brinkmann); Bannet / Kopp-Schmidt 2010, 5. 146-149. 13 Ausst.-Kat. Basel 1974 /76, Bd. 1, 5. 76 (Dieter Koepplin). Koepplin vermutet in der Namensform einen Hinweis auf den Gott Chronos, auf Vergänglichkeit und auf Kronos-Saturn, bezugnehmend auf die vom Planeten Saturn verursachte Melancholie. Burg 2007 , 5. 485, erkennt hier lediglich einen Herkunftsverweis auf Kronach. Ausst.-Kat. Frankfurt am Main 2007, Kat. 19 (Bodo Brinkmann) sie ht in der Gestaltung der Signatur einen Beleg »für den hohen Rang des Auftrags « (5 . 1 58) und in dem Wortspiel Cranach-Chronos bezeichne sich der Maler als »Schnellmaler« . Vgl. auch Brinkmann / Kemperdick 2005, 5. 204-225, zur Signatur 5. 221f. 14 Vgl. zur frühneuzeitlichen Deutung des Chronos und seiner Verbindung zu Historia und Fama beziehungsweise Veritas Kintzinger 1995 , insbes. 5. 25-29, 37f., 61 f., die ihre Analyse auf die Ikonografie der Perso nifikationen auf Titelholzsc hnitten historiografischer Werke bezieht. Außerdem : Klibansky/Panofsky/Saxl 1994, 5. 309-315, sie zeigen auf, dass im humanistischen Kontext die widersprüchlichen Eigen sc haften des Chronos/ Saturn eine neue Deutung und Einordnung erfahren und schließlich die antike Bedeutung eine Neubelegung erfährt, als Zeitgott Chronos, »desse n hauptsächlich e Funktion die schicksalhafte Zerstörung alles Irdi sche n , aber auch die Rettung der Wahrheit und die Bewahrun g des Nachruhm s ist« (S.313). 1 5 Zur Verleihung des Wappenbriefs an Cranach und zur Gestaltung der Signatur vgl. Horky 201 3 sowie dies. 201 5. 16 Vgl. Warnke 1996, 5. 142-158. 1 7 Es ist sicherlich nicht unmittelbar an eine gemeinsame Reze ptionssituation beider Werke zu denken, doch können ein prominenter Aufstellungsort des Frankfurter Retabels sowie die weitere Verbreitung der HI. Sippe mit den Identifikationsporträts Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen die Bezugnahme für einen größeren Rezipienten kreis verständlich gemacht haben . Vgl. die 1 522 entstandenen Flügelbilder im Wallraf-RichartzMuseum, Köln; dazu Dani e l Görres: Maria Kleophas mit Alphäus und Maria
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Salomas mit Zebedäus, Kurzbeschreibung, in: Cranach Digital Archive, (zuletzt aufgerufen : 09.10.2016). Vgl. Paravicini / Hirschbiegel / Wettlaufer 2007, 5. 646-649, 653f. Vergleichbar auch das Familienbildnis des von Kaiser Maximilian 1. mit dem Dichterlorbeer ausgezeichneten und zum Kaiserlichen Rat berufenen Johannes Cuspinian. Dieses 1 520 von Bernhard Strigel geschaffene Porträt war in einer ursprünglichen Planung möglicherweise bereits der Flügel eines Diptychons, dessen zweiter Flügel die Familie Maximilians ze igt. Beide Familien sind durch Inschriften als Mitglieder der HI. Familie benannt, vgl. dazu mit Angabe älterer Literatur Ausst.-Kat . Wien / München 2011 / 2012, Kat. 1 59, 160 (Karl Schütz). Ausst.-Kat. Frankfurt am Main 2007, Kat. 20, 21 (Bodo Brinkmann). Die Enthauptung des Johannes des Täufers bildete wohl zusammen mit der Enthauptung der hl. Katharina (Erzbischöfliches Schloss und Garten, Kromefi z) zwei Flügelinnenseiten eines Altarretabels . Häufig äußerte sic h die Forschung verwundert über die Rolle , die Cranach in der Enthauptung des Johannes übernimmt, vgl. Ausst.-Kat. Frankfurt am Main 2007, Kat. 20, 21 (Bodo Brinkmann): »Es berührt[ .. . ] ein wenig seltsam, dass der Maler in diese wenig vorteilhafte Rolle sc hl üpft.« Bereits Koepplin (Ausst.-Kat. Basel 1974/76, Bd. 1, 5. 76) bezeichnet Cranachs Rolle als »nicht [ ... ] besonders vorteilhaft«. Holste 2004, 5. 229 deutet den Bli ck Cranachs dagegen psychologisierend als »betrübt« im Sinne einer »sti lle[n] Stellungnahme zum Geschehen«. Zit . n. Robert 201 2, 5. 69 . Albrecht Dürer, Marter der zehntausend Christen, 1 508, Kunsthistorisches Museum, Wien; vgl. Chipps Smith 2016, 5. 80-83 sowie Robert 2012, 5. 77. Vgl. auch Söll-Tauchert 2010, 5. 167-221. Siehe die Künstlerliste bei Rogg 2002, 5. 14, die sicherlich trotz ihres Umfangs von 78 Namen und Monogrammisten-/ Notnamen nicht vollständig ist, zumal Rogg nur die Künstler aufgenommen hat, von denen mehr als ein Bildzeugnis bekannt ist. Vgl. Söll-Tauchert 2010, 5. 178f. Rogg 1996, 5. 112f. ; ders. 2002, 5. 12-14, 211-213. Müller / Kölling 1990, 5. 84f.; Ausst .-Kat . Wien 2003, Kat. Xl.19 (Matthias Pfaffenbichler) . Holste 2004, 5. 229f. Auch Trümper (Ausst.-Kat. Gotha/ Kassel 201 5, Kat . 95, 96) betont das Moment der Verführung, auf das auch der Apfelbaum hindeutet, doch dass das der Judith gereichte Geflügelstück die Form eines weiblichen Geschlechts aufweisen würde, scheint als Deutung durchaus problematisch. Eine Identifizierung dessen , was Judith in der Hand hält, ist schwierig, möglicherweise ist es der abgetrennte Vogelkopf, der auf ihrem Brotstück zu liegen kommt . Siehe Ausst.-Kat. Gotha/Kassel 2015, Kat. 95, 96 (Timo Trümper). Vgl. Ausst.-Kat. Rom 201 o , 5. 222f. (Bernard Aikema) sowie Wiemers 201 5a. Zum Bedeutungswandel der Judith von der Tugendheldin zum Exempel der Weiberlist vgl. Held 1985, 5. 48-50. Vgl. Schade 1972a, 5. 374f. Koepplin sc hwächt die Aussage ab im Sinne »eines Wehrwillens der Protestanten gegenüber dem intervenierenden Kaiser« (Ausst.- Kat. Basel 1974 / 76, Bd. 2, Kat. 478). Dies wird schließlich auch durch Schade bestätigt (Ausst.~Kat. Gotha 1994, Kat. 1 ,4, 1 .5), der zudem eine Id entifizierung des aufwartenden, seinen Hut ziehenden Herrn an der Tafel mit Landgraf Philipp von Hessen vorsch lägt. So ebenfa ll s Müller 2004, 5. 337. Ders. 2015, 5. 80-105, stellt hier zudem Judith a ls »Projektions- und Id entifi kationsfigur spezie ll für das Selbstverständnis der protesta ntischen Fürstin « vor. Ausst.-Kat. Berlin 2009, Kat. 111. 1 5 (Anna E. Werner). Vgl. dazu Thürlemann 2008 , 5. 7-10, der das Sehen in Dürers Erlanger Selbstbildnis im Hinblick auf den Bedeutungswandel im produktions- und rezeptionsästhetischen Kontext herausstellt .
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Lucas Cranachs Herz-Holzschnitt von 1505, betrachtet im Sinne des Johannes von Staupitz DIETER KüEPPLIN
Lucas Cranachs Herz-Holzschnitt trägt am unteren Rand links das sächsische Kurwappen , rechts das sächsische Herzogswappen und in der Mitte das Monogramm »LC« mit dem Datum 1 505, dem Entstehungsjahr des Werkes, zugleich dem Jahr, in dem Cranach von Wittenberg aus seine Hofmalertätigkeit aufnahm (Abb. 2; Kat. 8) . Der dürerisch-großformatige, differenziert gezeichnete Holzschnitt ist in seiner Frontalität, Symmetrie und vertikalen Abstufung von größter Klarheit, zugleich stellt er inhaltlich e Fragen .1 Zehn Jahre später - auch zwischen 1515 und 1517, wie schon 1 503 bi s 1 506, wütete die Pest im Land 2 - malte Cranach für die Leipziger Sebastiansbruderschaft ein großformatiges Bild des trinitarischen »Gnadenstuhls «, um Luthers Begriff zu verwenden (Abb. 3). 3 Auch vor dieser Dreifaltigkeitsdarstellung knien fürbittend Maria, » Mutter der Barmherzigkeit«, und der Pestheilige Sebastian. 4 Wie auf dem Holzschnitt von 1 505 präsentiert Sebastian die abgewendeten Pestpfeile . Zwei am Boden liegende Opfer der Seuche machen deutlich , um was es geht. Auf dem Holzschnitt von 1505 wie auch auf einem auf 1515 datierten Gemälde Cranachs, das Christus als Schmerzensmann an der Martersäule zeigt,5 gesellt sich zum hl. Sebastian der Pestheilige Rochus, und zur mitleidenden Gottesmutter tritt der Evangelist Johannes hinzu, der mit Maria unter dem Kreuz stand. 6 Auf dem Herz-Holzschnitt blickt der kniende Johannes - anders als Maria, Sebastian und Rochus - nicht zum Gekreuzigten auf, sondern öffnet »sein « Buch: die Bibel, die das Johannes-Evangelium sowie die Johannes-Briefe enthält. Seinen ersten Brief entfaltete Johannes aus der Erkenntnis: »Gott ist Liebe. « 7 lm Evangelium des Johannes stehen Sätze, die angesichts des gekreuzigten Erlösers im Herzen, diesem Symbol der Liebe, besonders in Zeiten der Pest eine fundamentale Bedeutung gewinnen mussten (Johannes 3, 14-18) . Sie werden zitiert auf den erzgebirgischen »Pesttalern« von zirka 1 528, die vorne den gekreuzigten Christus mit der Beischrift »lOAN-
1 Lucas Cra nac h d . Ä., Das von Christus un d dem HI. Geist erfü llte Herz des Gläu bigen (Au sschni tt), 1 50 5, Ho lzsc hni tt, 386 x 285 mm,
Abb .
Th e Metropo li ta n Mu seum of Art, New Yo rk, Ha rri s ß risbane Di ck Fun d, 1927 , lnv. 27. 54 .23
NES. 3« und rückseitig die vor der ehernen Schlange knienden Gläubigen zeigen .8 Pest und andere Plagen lassen spontan nicht an einen liebenden, vielmehr an einen zornigen und (versteh bar?) strafenden Gott denken. 9 Auf spätmittelalterlichen »Pestblättern « 10 und auf den Bildern der doppelten lnterzession Mariae und Christi sieht man, wie Gottvater Pfeile auf die Menschheit abschießt. Angesichts der gemeinsamen Fürbitte von Maria und Christus steckt Gott das richtende Schwert in die Scheide zurück, indem er Gnade vor Recht walten lässt. Dabei kommt Mariae Fürbitte - konkret ihrem Schutzmantel sowie ihrer mütterlichen Brust, die sie Gottvater so vorzeigt, wie Christus seine Seitenwunde vorweist - höchste Bedeutung zu. 11 Wenn man solche Darstellungen sieht - erstaunlicherweise auch auf einem von Cranachs Werkstatt » um 1516 / 18« (oder etwas später) für einen unbekannten Auftraggeber gelieferten Tafelbild 12 -, so stellt sich die Frage: Wie ist das auf dem Herz-Holzschnitt von 1 505 zu Füßen des Gekreuzigten sich entrollende Schriftband mit den Worten »VlRGO MATER MARlA« zu verstehen? 13 Maria kniet unter dem gekreuzigten Christus, außerhalb des Herz-Wappens, und nochmals wird Maria innerhalb des Herzens genannt. Warum solche Verdoppelung? Wessen Herz meint das Bild? Von der Beantwortung dieser Frage hängt unsere Einstellung zu dem Holzschnitt ab .14 Oder müsste die Frage etwas anders formuliert werden? 15 Dass wir bei der lnterpretation dieser Herz-Gestalt nicht zuletzt Maria zu beachten haben, wird gestützt durch einen kleinen, fünffarbig kolorierten Holzschnitt in der Tübinger Universitätsbibliothek (Abb. 4). Er bildet mit seiner lkonografie die einzige bekannte Parallele zu Cranachs Holzschnitt von 1505 und ist wohl kurz nach Cranachs Werk entstanden .16 Die deutsche Überschrift bittet Gott um Erbarmen, ihr ist in der zentralen Achse über dem gekreuzigten Christus das pestabwehrende Tau-Zeichen samt dem lNRl-Titulus hinzugefügt.17 Die Spruchbänder enthalten lateinische Texte, nämlich innen: »VlRGO MATER MARIA «, und außen (übersetzt): »Dies ist mein lieber Sohn, den das Volk gekreuzigt hat [ ... ] .« (Da das Schriftband von Maria ausgeht, scheint sie - und nicht Gottvater - dies in Bezug auf den ihr zugewandten Gekreuzigten in fast
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von den Christi-Herzwunden-Bildern, 21 wie sie bezeichnenderweise im Umkreis des Kardinals Albrecht von Brandenburg bis 1 530 aktuell geblieben sind. 22 Ebenso distanzierte sich Cranachs Holzschnitt von den »Pestb lättern « und den Darstellungen der »ars moriendi« aus dem Spätmittelalter. Solche Loslösung setzt einen Vordenker für Cranachs Gestaltung voraus. Nach unserer Vermutung war dies der damals an der jungen Wittenberger Universität lehrende Augustiner-Eremit Johannes von Staupitz (um
1468/ 69-1524).
2 Luca s Cranach d. Ä., Das von Christus un d dem HI . Geist erfüllte Herz des Gläubigen, 1 505 (w ie Abb . 1)
Abb.
biblischer Diktion auszusprechen.) Maria gegenüber kniet ein nimbierter Bettelmönch, vielleicht der hl. Antonius von Padua mit dem Fisch. Das schwebende Herz, das frontal das Bild des Gekreuzigten enthält, ist gleich dem von Cranach gezeichneten Herzen gekrönt. Man ist versucht zu denken: Eine solche - bei Cranach von Hitzestrahlen durchwirkte - Krone kann nur einer heiligen Person zukommen . Aber Paulus (2. Timotheus 4,7-8) schreibt doch: »[ ... ] ich habe Glauben gehalten; hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der Herr an jenem Tage, der gerechte Richter, geben wird, nicht mir aber allein, sondern auch allen, die seine Erscheinung lieb haben. « Gott hat »die Krone des Lebens« denen verheißen, »d ie ihn lieb haben « (Jakobus 1, 12; vgl. Apokalypse 2,10). 18 Die Gestalt des gekrönten Herzens, die Cranach 1 505 formuliert hat, unterscheidet sich von derjenigen des Tübinger Blattes durch eine auffallige Zweiteilung: links plastisch, rechts geflammt. 19 Dass Cranachs Herz-Ikonografie ein neu durchdachtes Konzept zugrunde liegt, zeigt sich in der Abweichung von der Tradition der im Holzschnitt verbreiteten Herzwunden- und Speerbilder. 20 Diese Blätter gehören zum geistigen Hintergrund von Cranachs Holzschnitt insofern, als das Werk von 1 505 sich entschieden absetzt
30
DIETER KOEPPLIN
Staupitz wurde vom sächsischen Kurfürsten Friedrich 111., genannt der Weise, 1502 / 03 nach Wittenberg berufen, um beim Aufbau der 1 502 dort gegründeten, durch König Maximilian bestätigten Universität zu helfen sowie ein am Lehrbetrieb beteiligtes Kloster der Augustiner-Eremiten zu errichten. 23 Erster Kanzler der Universität - dies sei im Hinblick auf Cranachs Holzschnitt von 1 506 mit der Peinigung des hl. Antonius (Kat. 83), eines anderen Nothelfers gegen Seuchen, angemerkt - war Goswin von Orsoy, Generalpräzeptor der deutschen Antoniter und Vorsteher des Antoniterklosters Lichtenburg bei Prettin, ein Vertrauter des Königs Maximilian .24 Der einflussreichere Johannes von Staupitz, der aus einem meißnischen Adelsgeschlecht stammte und seit 1497 an der Tübinger Universität gelehrt hatte, wurde 1 503 in Wittenbergerster Dekan der theologischen Fakultät. Er übernahm die biblische Professur, die er 1 512 weitergab an seinen Schüler, den Augustinermönch Martin Luther, dessen Beichtvater er war. 1 503 wurde Staupitz auch Generalvikar der deutschen Observantenkongregation des Ordens der Augustiner-Eremiten. Diese neue Verpflichtung behinderte freilich sein Wirken an der Universität. 25 Als besonderer Patron der Wittenberger Universität, die zunächst unter den Schutz der Gottesmutter Maria und , was die theologische Fakultät angeht, des Apostels Paulus gestellt wurde, war - offenbar dank Staupitz - der hl. Kirchenvater Augustin (354430) bestimmt.26 Cranach hat ihn um 1515 auf einem Holzschnitt in Anbetung des Schmerzensmannes dargestellt. Sein von Gottes Liebespfeil durchbohrtes Herz ist ihm beigegeben, die kursächsischen Wappen schweben über seinem Kopf (Kat. 78). 27 Auf dem Siegel der theologischen Fakultät der Wittenberger Universität sehen wir den hl. Augustin erneut mit seinem von Gottes Liebespfeil durchbohrten Herzen, er hält es in der Hand. 28 So sehr sich Cranachs Herz-Holzschnitt von den in Nürnberg florierenden »Speerbildern« absetzt, ·so nahe stehen ihm - bei aller ikonografischen Verschiedenheit im Detail - Holzschnitte, die das auf ein Wappenschild gelegte, von den Pfeilen der Gottesliebe und der Nächstenliebe durchbohrte Herz Augustins 29 oder das vom »auserwählten« Augustin hochgehobene, von der Gnadenstuhl-Trinität durchbohrte Herz des Kirchenvaters zeigen (Abb. 5). 30 »Wenn du die Liebe siehst, siehst du die Heiligste Dreifaltigkeit«, schrieb Augustin in De Trinitate. 31 Und in seinen Confessiones (Bekenntnissen): » [ .. . ] die Heiligkeit deines Geistes, die uns liebend emporhebt zur Sicherheit, dass unser Herz droben sei bei dir.« 32 Man merke: unser Herz, das Herz der gläubigen Menschen. Es ist eine Eigenheit des von Cranach gezeichneten hochgehobenen Herzens, dass es zeichenhaft durchflammt wird, dass also nicht nur Christus in Gestalt des gekreuzigten Erlösers in ihm »wohnt«. Für die Einwohnung Christi im Herzen (siehe Paulus in
Eph 3, 17 und Gai 2,20) sowie für die »geistliche Empfängnis«, die »Gottesgeburt« und das Wachsen des Erlösers im Herzen des Gläubigen gab es literarisch eine alte mystische Tradition .33 Bildlich führte sie im Spätmittelalter beispielsweise zu dem 1467 vom Meister E. S. geschaffenen Kupferstich, der das Jesuskind in das offene Herz des Gläubigen eintreten lässt, 34 und sie reichte schließlich bis zu Luthers geistlichem Wappen. 35 Nun wird das von Cranach gezeichnete Herz nicht nur vom gekreuzigten Christus in neuartiger Dominanz erfüllt, in der einen Hälhe durchwirken es ein ikonografisches Novum - auch die Flammen des HI. Geistes und machen es transparent. 36 Die Verwandlung ist verdeutlicht im Kontrast zur anderen, durch Schattierung plastisch gegebenen Herzhälhe.37 Das mit dem Crucifixus wappenartig besetzte Herz ist - konform mit den zwei Naturen Christi - einerseits körperlich (» Fleisch «), andererseits (wie der frühe Luther sich ausdrückte) »durchwärmt« von der Kratt des HI. Geistes. 38 Wichtig ist die Richtung der Flammenzun gen : vom Himmel her erdwärts wirkend . ln solcher Ausrichtung erscheinen die Geistflammen auch auf gewissen Pfingstbildern. 39 Wie fügen sich nun in diesem machtvollen Holzschnitt die Bildelemente, einschließlich Marien-lnschrih, sinnvoll zusammen? Man spürt bald: Es geht um ein Handeln des in Christus sich manifestierenden, barmherzigen Gottes, und es geht um den Menschen, um seine vom HI. Geist entzündete Gegenliebe. Es ist nicht
Abb. 3 Lucas Cranach d. Ä. , Die Dreifaltigkeit, verehrt von Maria und dem hl. Sebastian, um 1 51 5, Malerei auf Hol z, 140 x 1 oo cm, Leipzig, Museum der bildenden Kün ste , ln v. 248
Abb. 4 Süddeutsc her Mei ster, Von Christus erfü lltes Herz, kurz nach 1505 (?), Holzsc hnitt, koloriert, 143 x 93 mm , Universitätsbiblioth ek Tübin ge n , Sig. Gf 194,4
abwegig, Worte des Apostels Paulus zu hören, etwa seine Anrufung der» Liebe des Geistes « im Römerbrief 1 5, Vers 30, und besonders im Römerbrief 5, Verse 5 und 8-9: »Hoffnung aber lässt nicht zu Schanden werden. Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den heiligen Geist, welcher uns gegeben ist. [ ... ] Darum preist Gott seine Liebe gegen uns, dass Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren. So werden wir ja viel mehr durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir durch sein Blut gerecht geworden sind.« Wenn Gottes Zorn Pestpfeile sendet, wie der hl. Sebastian sie an sich nimmt, mögen die Menschen auf einen mit dem gekreuzigten Gottessohn besetzten »Glaubensschild« vertrauen (vgl. Eph 6,16). 40 Sie mögen auch in Zeiten der Pest den Glauben an die Liebe Gottes nicht verlieren. Den zitierten Vers Römer 5,5 zog Staupitz besonders heran in seiner 1517 in München gehaltenen, 1518 gedruckten Predigt Von der Liebe Gottes. 41 Wir dürfen (mit Adolar Zumkeller) annehmen, dass die Grundzüge dieser Betrachtungsweise in Staupitz' Denken bereits vorher lebendig waren. Über das Wirken des in das Herz des gläubigen Christen eingegossenen HI. Geistes hat Staupitz, angeregt etwa durch Johannes Gerson, 42 schon als Lektor an der Universität Tübingen (ab 1498) gesprochen. 43 Gottes Liebe, so Staupitz dann
LUCAS CRANACHS HERZ·HOLZSCHNITT VON 1505
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1517 / 18 in seinen Predigten Von der Liebe Gottes, nehme - von sich aus agierend, nicht herbeigerufen - in der Menschenseele Wohnung. Der Hl. Geist, den Staupitz, Augustin gemäß, 44 als »das Feuer der höchsten Liebe Gottes« bezeichnet, 45 kam nicht zuletzt über die Jungfrau Maria (Lukas 1,35). lm Sinne christlicher Mystik setzte Staupitz das Handeln Gottes für alle Menschen in Parallele zu dem Besonderen, was »mit Maria, der Gebährerin Gottes, geschah, dass sie Gott empfangen sollte in das Gemüt und in den Leib«. Bei »der geistlichen Empfängnis Christi« verhalte es sich mit jeder frommen Seele gleich wie bei der Gottesgebärerin Maria, »wiewohl nicht in gleicher Höhe «. 46 »ln dem gläubigen Herzen spielt die Heilige Dreifaltigkeit«, so predigte Staupitz später, 1523, in Salzburg.»[ ... ] ja, ich sage also, dass der himmlische Vater seinen eingeborenen Sohn, das ewige Wort, in einem solchen Herzen gebiert, und der Vater und der Sohn senden von sich aus den Heiligen Geist.« 47 »Von sich aus« ist betont- keine auf Belohnung schielende Tugendleistung des Menschen. 48 Schon der frühe Staupitz (anders als ein Gabriel Biel oder ein Johannes Geiler von Kaysersberg) 49 verstand die Liebe Gottes, die in Christus erken nbar wurde, als »amor gratuitus «: ein gnadenhaftes Wirken »ü ber all un ser Vermögen, über alle unsere Werke und unser Verdienst«. Für das Wirken des Hl. Geistes im Herzen
Abb. 5 Ober- oder mittel rheinischer Mei ster, Der hl. Augustinus hebt sein vom göttlichen Liebespfeil durchbohrtes Herz dem trinitarischen Gnadenstuhl entgegen, 1450/60, Hol zsc hnitt, koloriert, 273 x 186 mm , National Ga\Jery of Art, Washington, Sammlung Rosenwald , lnv. 1943. 3.584
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DIETER KOEPPL IN
des Gläubigen gebrauchte Staupitz das Bild vom »zuntfeur«: Christus sei der Feuerstein, Zunder seien die von Gott erwählten Seelen. 5 Christi Leiden und Sterben könnten für die Menschen »kein Zuntfeur« geben, wenn sie nicht von der ewigen Liebe Gottes, dem aktiven Hl. Geist, berührt würden . »Also entspringt Liebe aus Liebe, aus der Liebe Gottes zu uns unsere Gegenliebe zu Gott.« 51 Der spätere Staupitz präzisierte das Verhältnis der Liebe zum Glauben, den er (Luthers Theologie nahestehend und abweichend von Thomas von Aquin) als »eine reine lautere Gnade Gottes« bezeichnet hatte: 52 » Dem Glauben folgt die Liebe, [ ... ] eine Entzündung unseres Herzens gegenüber der Liebe Gottes zu uns, angezündet durch das göttliche Wort und den Zuspruch des Heiligen Geistes. Denn Liebe gebiert Liebe [ ... ].« 53 Den Ausgangspunkt bildet Gottes schenkende Barmherzigkeit, »sola Dei misericordia«.54
°
Wenn wir die hier mitgeteilten, meist 1 517 geäußerten, aber wahrscheinlich schon früher gedachten Worte des seit 1 503 in Wittenberg wirkenden Johannes von Staupitz auf Cranachs Holzschnitt von 1 505 beziehen , so werden wir dazu geführt, in diesem Herzen, dem der Hl. Geist und der gekreuzigte Erlöser innewohnen, nicht Gottes Herz, das vorstellungsmäßig im Hintergrund steht, nicht das Herz Jesu, auch nicht das Herz der Virgo mater Maria, sondern das Herz des gläubigen Menschen zu erkennen: 55 das Herz des durch die Liebe Gottes entzündeten , zu Gott geführten Menschen. Die Geistflammen züngeln erdwärts, die Hitzestrahlen des erwärmten Herzens durchdringen nach oben die Krone, die oberhalb der Dornenkrone Christi situiert ist. Auf dem realen Hintergru nd eines individuell dargestellten Schlosses - vermutlich handelt es sich um das Jagdschloss Lochau oder (eher) um das Schlösschen »Neue Lochau «, mit deren Ausmalung der frisch angestellte Hofmaler Cranach 1505 / 06 verschiedentlich beschäftigt wurde 56 - knien fürbittend Maria sowie die Pestheiligen Sebastian und Rochus unter der zentralen Gestalt des gekreuzigten Christus, der, hinterfangen von den Flammen des Hl. Geistes, unverrückbar im liebenden Herzen des Gläubigen »wohnt«. Jagdschloss und Wappen teilen mit, dass dieser Holzschnitt als ein Auftragswerk geschaffen und publiziert wurde. Die Landesherren , Kurfürst Friedrich und Herzog Johann , suchten die Bildbetrachter auch in Zeiten der Epidemie zu bestärken in ihrem Vertrauen auf Gottes Liebe und seine in Christus offenbar gewordene Barmherzigkeit. Das Gottvertrauen zu stärken, musste nicht zuletzt ein praktisches Anliegen des Kurfürsten sein: Die Angst vor der Pest, die 1 506 noch zunahm und zur zeitweiligen Verlegung der Universität nach Herzberg zwang (4 . Juli bis 9. Dezember 1 506), sollte die Studenten nicht davon abhalten, an der Wittenberger Universität zu studieren. Das Wegbleiben der Studenten und die Flucht wichtiger Dozenten wären der Ruin der jungen Universität gewesen. Die Nennung Marias auf dem erregt ausschwingenden, das Flattern von Christi Lendentuch begleitenden Schriftband innerhalb des Herzens - »VlRGO MATER MARIA«, Maria in compassio mit dem Gekreuzigten - entspricht Staupitz' Einsicht, jede fromme Seele werde wie Maria mit »der geistlichen Empfängnis Christi ctlll t
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sondern auch Katalognummern in der Abfolge verschoben, wenn neue Erkenntnisse zur Chronologie dies nahelegten und einige der 1932 nicht illustrierten Derivate in den Rang von Hauptwerken erhoben: So avancierte unsere Münchener Madonna 138a von 1932 im 1979er-Friedländer/ Rosenberg zu der nunmehr auch im Tafelteil illustrierten Nummer 163. Das Beispiel zeigt, dass die Unterteilung des CTuvres in diese zwei Klassen - Hauptwerke und Derivate - keineswegs zwingend ist. Schon allein aus Kostengründen hielt Rosenberg jedoch grundsätzlich daran fest, sodass auch in der Neuauflage von 1 979 fast zwei Drittel der erwähnten Werke ohne lllustration blieben. ln den Folgejahren tauchten auf dem Kunstmarkt jedoch auch weiterhin regelmäßig unbekannte Cranach-Werke auf. Vor allem aber verlagerte sich das Interesse der Forschung entscheidend. Hatte man sich in der Generation Friedländers und Rosenbergs bei allen Gemälden doch in erster Linie auf die Frage nach der jeweiligen Autorschaft des Meisters oder eben »nur« eines Werkstattmitarbeiters beschränkt, rückte nunmehr die Frage nach dem Zusammenspiel der Kräfte in Cranachs Wittenberger Atelier in den Fokus. Einen wesentlichen Wendepunkt markieren dabei die langjährigen Studien Gunnar Heydenreichs, die dieser in seiner 2007 veröffentlichten Dissertation Lucas Cranach the Eider. Painting Materials, Techniques and Workshop Practice zu einem Gesamtbild vereinigte, das die Vorstellung vom Wittenberger Werkstattbetrieb grundlegend veränderte und überhaupt erst auf eine präzise Grundlage stellte.4 Auf Heydenreichs Vorschlag hin unternahmen das Museum Kunstpalast in Düsseldorf und die Technische Hochschule Köln zusammen mit acht großen Museen in Europa und den USA 2009
94
Gna;
56
56, 57 ALBRECHT DÜRER
Adam und Eva,
1504
Kupferstich, 250 x 195 mm Monogramm »AD« und Inschrift, oben links: »ALBERT[VSJ I DVRER I NORICVS 1 FACIEBAT 1 504 « (»Albrecht Dürer aus Nürnberg hat dies gemacht 1504«) Museum Kunstpalast, Düsseldorf, Sammlung der Kunstakademie (NRW) , ln v. KA (FP) 2065 D 1
LUCAS (RANACH D.
Ä.
Adam und Eva, um
1510
Malerei auf Lindenholz, 59 x 44 cm Nationalmuseum, Warschau, lnv . M .Ob 588 MNW
144
KÜNSTLER I SCHER AUSTAUSCH UND WETTSTREIT
Die Komposi tion von Adam und Eva aus Warscha u erweitert unsere Vorstellung davon, wie Albrecht Dürer Lucas Cranach beeinflusste. In seinem Kupferstich von 1 504 zeigt Dürer die Ureltern als Idealbild der ersten Menschen. Dabei orientiert er sich am kl assischen Modell: Nach dem Vorbild der an tiken Statue n Venus de Medici und Apollo von Belvedere stehen die nackten Körper Adams und Evas im Kontrapost, um die Anordnung der sich unter der Haut abzeichnenden uskeln sichtbar werden zu lassen . Hi er zeigt sich Dürers Faszination für die Kunst der nti e, aber auch seine Suche nach einem Propo rtionssystem, das die Darstellung ein er ideale n menschlic hen Figur ermöglicht. Der ·eh zeigt Adam und Eva kurz vor dem Sünenfall: Eva gibt Adam unter Mitwirkung der Schlange den Apfel. Cran ach orien tierte sich in seiner Adamu d-Eva-Darstellung nicht nur an Dürers Kup- rs ·eh, so ndern ebenfalls an dessen Gemäld en zum selben Thema aus dem Jahr 1 507 (S. 1, Abb. 3) . Auch dort stehen die Ureltern - auf je,,•eils separaten Bildtafeln - vor einem einheitlich dunklen Hintergrund, mit dem ihre hellen Körper kon trastieren, wobei ihre ac heit durch Blätter verdeckt wird. Vor allem die Haltung der Adam-Figur verrät den Einfluss von Dürers Madrider Gemälde - die Position des rechten Arms mit der gespreizten Hand neben dem Oberschenkel und die loc ·ere Stell ung des rec hten Beins, das nur eich den Boden berührt . Cranach nutzte 'orla 0 en, darunter die Darstellung der Musula ur in Dürers Arbeiten, doch gestaltete er seine Figuren mit weniger Anspruch auf ana omische Korrektheit und verlie h ihnen zei enössische Züge - sei n Adam trägt einen e räuselten Bart und eine Frisur, wie wir sie von Porträts aus dieser Zeit kennen. Die orizon ta le Anordnung der Bretter des Bildträgers deutet darauf hin, dass das Geälde um 1 51 o/1 2 entstan den ist, noch beor Cl"anach seine Werks tatt vom Wittenberge!" Schloss in die Stadt verlegte (um 1512) . 1 der ne uen Werkstatt wurde er zunächst on einem Tischler beliefert, der Bildträger in er Regel aus vertikal angeordneten Brettern fe ·gte . Es handelt sich demnac h neben den Tafeln aus Besanc;on (Kat. 55) um die früheste Darste llung des Urelte rnpaars in einer eigenständige n Kompositio n, vereint auf einer Ta el. Die mittels der lnfrarotreflektografie sich bare Un terzeichn ung zeigt, dass Cranach den Abstand zwische n Adam und Eva während des Maiprozesses vergrößert hat. AJ FR 44; Heydenreich 2007b; Ausst.-Kat. Brüsse l 2 010, r. 92 ; Ausst.-Ka t. Frankfurt am Main 2013 , r. 5., 6;
57
59 LUCAS CRANACH D.
Ä.
Venus und Cupido, um 1508/09 Holzschnitt, 282 x 200 mm Monogram m »LC «, Schlangensignet und Jahreszahl »1506 «, oben rechts Muse um Kunstpalast, Düsseldorf, Sammlung der Kunstakademie, lnv. KA (FP) 360 D
5 LUCAS
CRA
ACH D.
Ä.
Ad am und Eva, 1509 Holzschnitt, 333 x 230 mm \onogramm »LC «, Schlangensignet und Jahreszahl, o ben links upferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, lnv. A 5391 dam un d Eva unter dem Baum der Erkenntnis machen in Cranachs großformatiger Grafik von 1 509 einen sehr innigen Eindruck. Der entspannt si tzende Adam hält eine Frucht in der Rechten, Eva reckt sich, auf ihren Man n gestützt, nach einer weiteren verbotenen Versuchung . Unmittelbar über ihrer zupacken den Hand lauert die Schlange als bgesandte des Teufels. Cranach gestaltete den Baum m it seinen gelappten Blättern als Feigenbaum . Umlagert ist das Paar von zahlreichen Tieren, besonders die prächtigen Hirsche sowie der Löwe im rechten Bildvordergrund fall en ins Auge. Wie die Darstellung des heimischen Wildes belegt, war Cranach ein brillanter Tierzeichner, der oft die sächsischen Kurfürsten auf der Jagd begleitete. Das 'issen um das Aussehen eines Löwen dürfte aus einer Sekun därquelle stammen. Der Holzschnitt ann als Wettstreit mit Dürers 1 504 aeschaffenem Ku pferstich des Sündenfalls gedeutet werden (Kat. 56) , Cranach wendet sich in dieser eh er pastoralen Szenerie gegen die geschliffene Ästhetik seines von der antien Formensp rache begeisterten Kollegen . Die ursächsischen Wappen in den Bäumen önnen als bil d liche Verweisform auf den Auftraggeber gelesen werden. M H Hollstein 1959, 5. 10, Nr. 1; Noll 2009; zu den • tdarstellungen Cranachs vgl. Bonn et 1 994 sowie den Beitrag von Anne-Marie Bonnet im vorliegenden Band
146
KÜNSTLERIS C HER A USTAUS CH UND W ETTSTREIT
Wo hl zeitgleich mit der lebensgroßen gemalten Darstellung von Venus und Cupido aus St. Petersburg (Kat. 60) zeigt Cranach mit de m vorliegenden Blatt auch im Holzschnitt als erster Künstler nördlich der Alpen die Liebesgöttin als nackte GanzAgur. Noch auf Wolke n stehend, scheint die Göttin zusammen mit dem von ihr in einer sanften Geste gezügelten Cupido soe ben vom Olymp in die nordalpine Landschaft hinabgestiegen zu sein. Der Schleier und einige Locken ihres zum Teil ei nge haubten Haares sind noch vom Wind bewegt. Den Schleier hält die Venus ostentativ abseits ihres Körpers, womit Cranach ihre Nacktheit noch deutlicher ausstellt als in der ge malten Fassung, wo sich ein - freilich nicht im Geringsten verhüllender - Schleier um den Körper der Göttin legt. Die Figurenauffassung der Venus steht in engem Zusammenhang mit Jacopo de ' Barbaris Fama (Kat. 62) . Mit der Land schaftsdarstellung und den kursächsischen Wappen , die Cranach zusammen mit seinem Künstlersignet im Baum am rechte n Rand anbringt, transloziert er die Götter in das Herrschaftsgebiet seines Landesherrn . Da Cranach das hier gezeigte Schlangensignet nicht vor seiner Wappenverleihung 1508 fü hren konnte und au;r:\ ·· · -~ -M·P·X·~I- .-,.-.~ ·
95
94
190
(RANACH UND DIE REFORMATION -
BILDER DES NEUEN GLAUBEN S
(RANACH UND D I E REFORMATION -
BIL D ER DES NEUEN GLAUBENS
96, 97 LUCAS (RANACH D.
IMAGO MARTINI LVTHERI EO RABITV EX•
Ä.
P IJ{E SS A , fl.YO 'l(EVE'l(SVS EST EX PATHMO VVITTE. BERGAM
ANNO
DOMINI
1111.
Bildnis Martin Luthers als Junker Jörg, 1521
Malerei auf Buchenholz, Bildfläche: 33,6 x 25,3 cm Rahmen original Museum der bildenden Künste, Leipzig, lnv. 946 Bildnis Martin Luthers als Junker Jörg, 1522
Holzschnitt mit Typendruck, 3 53 x 214 mm Text, oben: »IMAGO MARTINI LVTHERI EO HABITV EX= I PRESSA, QVO REVERSVS EST EX PATHMO VVITTE= I BERGAM ANNO DOMINI 1522. « (»Bild nis Martin Luthers, so dargestellt, wie er aus seinem Patmos nach Wittenberg zurückke hrte, im Jahre des Herrn 1522. «) Text, unten: »Quaesitus toties, toties tibi Roma petitus, 1 En ego per Christum uiuo Lutherus adhuc. 1 Vna mihi spes est, quo non fraudabor, Jesus, 1 Hunc mihi dum teneam, perfida Roma uale. « (»So oft gesucht, so oft von dir, Rom , angegriffen, lebe ich , Luther, immer noch durch Christus . Eine Hoffnung nur habe ich , die mich nicht täuschen wird: Jesus. Solange ich mich an ihn halte, ge hab dich wohl , treuloses Rom! «) »ANNVS CONFESSIONIS VVOR= MACIAE 1 521 . Caesaris ante peDes, proCeres stetlt ante potentes I ACCoLa qVa Rheni Vangio LittVs aDit. « (»Jahr des Bekenntnisses zu Worms 1 521. Zu des Kaisers Füßen , vor den mächtigen Großen stand er, wo Worms am Ufer des Rheins liegt. «) »ANNVS PATHMI l 1521 . A Rheno properans CapitVr, bene ConsCia PathMI I TeCta, PApae Ngiens retla strVcta, petlt.« (»Jahr von Pathmos 1 521 . Vom Rhein forteilend, wird er gefangen; des Papstes ausgespannte Netze meidend, strebt er unter die eingeweihten Dächer von Pathmos. «) »ANNVS REDITVS EX I PATHMO 1522. CarLstaDII ob Nrlas aD SaXona teCta reCVrrlt, FaVClbVs ex saeVls rVrsVs oVesqVe raplt. « (»Jahr der Rückkehr von Pathmos 1522. Wegen Karlstadts Rase reien eilt er nach Sachsen zurück und reißt die Schafe wieder aus dem wütenden Rachen .«) Kunstsammlungen der Veste Coburg, lnv. H.0064 1
1
Nachdem auf dem Reichstag zu Worms 1 521 die Reichsacht über Martin Luther verhängt worden war, ließ ihn sein Landesherr Friedrich III. von Sachsen in einer fingierten Entführun g auf die Wartburg nach Eisenach und damit unter seinen Schutz bringen, während die Öffentlichkeit im Glauben ge lassen wurde, Luther sei getötet worden . Cranach
Qy:zGrus totln, todrs tibl Roma ptdtus, En rgo per Chr{('tum uluo LuthrrusadhuC', Vna mfhf f'pcsd1, quo nonfraudabor, kfüs, Hunc mih,dum rmtam, pcrRdaRoma ualt, A NN'\' S CONP!!$$JONIS VVOR• MACJ.lll
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C.rj,,JJ ,ntt P,Dtf ,pro('.tm /ft!ltffltt potffltts ACCCILl: qV~ 1\btntVtagloLUtVff.Dlt.
ANNVS PATHMI 1 f t ,.
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gehörte zu den wenigen Menschen , di e Luth er über sein wahres Schicksal in Kenntni s setzte. Die Bildnisaufnahme, die dem Porträt zugrunde liegt, ist wohl zwischen dem 4. und 1o. Dezember 1521 entstanden , als sich Luther unter dem Pse udonym »Junker Jörg« kurzzeitig in Wittenberg aufhielt, um gegen die dort herrschenden Unruhen vorzugehen . Cranach zeigt den Reformator als Halbfigur vor grünem Hintergrund mit schwarzem Gewand , dessen Kragen vom buschigen braunen Bart verdeckt wird. Die linke Hand ruht auf dem Knauf eines Schwertes. Die lebendige Pinselunterzeichnun g lässt (im Gegen satz zu vielen späteren Luth er-B ildn issen) auf Cranachs eigenhändige Umsetzung schließen. Seitenverkehrt und mehr auf die ausdrucksstarken Gesichtszüge konzentriert, li eß
Cranach nahezu zeitgleich einen Bildnisholzschnitt ausgehen, der hier mit einer späteren Texterweiterung gezeigt wird. Beiden Fassungen lag eine gezie lte Medien strategie zugrunde, denn mit den Porträts überbrachte Cranach der Öffentli chke it nicht nur die spektakuläre Nachricht von Luthers überleben , sond ern vermittelte ihr zugleich dessen Abbild in Form eines ebenso entschlossenen wie visionären Mannes . Folgerichtig wird Luthers Exil im lateinischen Text des Holzschnitts mit dem des Apostels Johannes auf der Insel Patmos ve rglichen. DG FR 100; Holl stei n 1959, 5. 107, Nr. 132c; Ausst.Kat . Co bu rg 1972, Nr. 92; Au sst.-Kat . Nürnberg 1983, Nr. 260; Warnke 1984, 5. 49-5 1;
(RANACH UND DIE REFORMATION -
BILDER DES NEUEN GLA UBEN S
193
98 MARTIN LUTHER (ÜBERSETZUNG), LUCAS (RANACH D.
•
Ä . UND WERKSTATT
(ILLU ST RATIONEN)
Das Newe Testament Deutzsch
elchior Lotter d. J. , Wittenberg 1522 (VD16 B 4 318) Verleger: Christian Döring, Lucas Cranach d. Ä. 297 x 198 mm (je Einzelseite) Universi tätsbibliothek der LMU München, lnv. W 2 Luth . 36 artin Lu thers erste Fassung der deutschen Übersetzung des Neuen Testaments erschien im Septem ber 1522 in einem von Cranach zusammen mit dem Goldschmied Christian Döring eigens gegründeten Verlag. Cranach und ei ner seiner Mitarbeiter, der die letzte lllustration mit dem Monogramm »HB « (Hans Brosamer?) signierte, versahen die Apokal ypse des Johannes mit Holzschnittill ustrationen, die sich stark an Dürers Folge zur Apokalypse von 1498 orientieren, diese aber teilweise neu gruppieren und um fünf Darstellungen erweitern. Dass man ein Jahr nach dem Passional Christi und Antichristi (Kat. 1 oo) die Möglichkeit zur Propaganda nic ht ausließ, zeigt die hier dargestellte, wohl von Cranach verantwortete Illustration zur Verm essung von Gottes Tempel (Offb 11, 1-2) . Das dort beschriebene Tier aus dem Abgrund trägt die päpstliche Tiara. Nach Beschwerden des altgläubigen Herzogs von Sachsen, Georg, genannt der Bärtige, wurde diese Polemik in der zwei Monate später erschienenen und daher Dezembertestament ge nannten Auflage getilgt. Das vorliegende Exemplar enthält umfangreiche hand schriftliche Kommentare eines anderen Altgläubigen, des Theologen und Luther-Gegners Johannes Eck. Diesem standen Luther und Andreas Bo denstein, genannt Karlstadt, bei der Leipziger Disputation 1519 gegenüber. Gegen Ecks theologische Position hat Cranach im Auftrag Karlstadts den Holzschnitt Himmel- und Höllenwagen (Kat. 99) ausgehen lassen . DG Holl stein 1 959, S. 28-29, Nr. 30 a-i; Au sst. -Kat. Basel 1974/ 76, Bd. 1, Nr. 221 ; Ausst.-Kat. Frankfurt am Main 2007b, Nr. 44
99 LUCAS (RANACH D.
Ä.
Der Himmel- und Höllenwagen des Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, 1519
Holzschnitt mit Typendruck, 299 x 407 mm Evangelische Kirchengemeinde Wittbriezen Der Herausgabe dieses nur in drei Abzügen erhaltenen Holzschnitts ging eine zirka zweijährige Korrespondenz zwisc hen dem Witte nberger Theologen Andreas Bodenstein und der scholastisc hen Kapazität Ingolstadts, Jo hannes Eck, voraus. Während die Positionen der beiden Parteien zu Beginn wohlwollend ausgetauscht wurden , verschärfte sich der Ton nach Luthers Thesen vom 31 . Oktober 1517 zu n ehm end . Es entbrannte ein e theologische Diskussion, die in einer vom 27 . Juni bis zum 15. Juli 1519 stattfin-
denden öffentlichen Disputation in Leipzig mündete. Im Vorfeld dieser Leipziger Disputation gab Karlstadt den vorliege nd en Holzschnitt bei Cranach in Auftrag. Das Blatt stellt polemisch eine auf Augustinus und Paulus fußende Theologie, die den Weg zu Christus bereitet (oben, rechts nach links), einer scholastischen Position gegenüber, die direkt in den Höllenschlund führt (unten, links nach rechts). Das textlastige Flugblatt markiert den Beginn von Cranachs Bildpropaganda im Dienste der Reformation und verfehlte die angestrebte Wirkung nicht: Eck h öchstpersön li ch beschwerte sich beim Kurfürsten und Leipziger Geistliche zerrissen das Blatt öffentlich auf der Kanzel oder horchten Studenten im Beichtstuhl aus, ob sie darüber gelacht hätten. Ein Exemplar des Drucks erreichte unter anderem auch Albrecht Dürer in Nürnberg. DG
Holl stein 1959, 5. 71 , Nr. 95 ; Barge 1905 , S. 146147, 464- 465 ; Zschelletzsc hky 1972; Mühlhaupt 1 979; Bubenheim er 19 80; Aus st.-Kat . Torgau 2004, Nr. 1 30 ; Au·sst.-Kat. Gotha/ Ka ssel 201 5, Nr. 11
(RAN ACH UND DIE REFO RM ATI O N -
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(RANA CH UND DIE REFORMATION -
BILDER DES NEUEN GLAUBEN S
BILD ER DE S NEUEN G LAUBENS
195
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138, 139 GALEAZZO MONDELLA, GEN. MODERNO
Herkules und Antäus, Anfang 16. Jh. (?) Bleiplakette, 7,2 x 5,6 cm Bayerisches Nationalmuseum, München , lnv. 16/ 601 WERKSTATT PETER VISCHER D.
Ä.
Herkules und Antäus, Anfang 16. Jh. Bronzeplastik, Reste einer Vergoldung, auf Marmorsockel , 22,5 x 14,6 x 9,2 cm Bayerisches Nationalmuseum, München, lnv . 26/77
ercules, der ein nackende n kerel zu tod ruc t« (zit. n. Heydenreich 2007d, S. 41 5). Herkules erlernt in ju ngen Jahren Fertige i en, die zum Großteil auch zur Ausbildung unger Prinzen der europäischen Herrscheräuser gehörte n . Besonders seine Fähigkeiten a s Ringer verdi enen im Kontext unseres Bildes besondere Aufmerksamkeit. 1537 verfasst, veröffentlichte der kursächsische Fechtund Ringmeister Fabian von Auerswald ( 1462 - nach 1 540) 1 539 ein Lehrbuch zur Ringunst, das von der Cranach-Werkstatt mit 87 Illustrationen versehen wurde. Die dort gezeigten Stellungen und Griffe des Ringkampfes önnen zu unserem Bild in Bezug gesetzt werd en: Auerswald tritt in den schlichten Holzschnitten selbst als einer der Kämpfenden auf un d wendet dabei wie Herkules seinen Blick oft dem Betrachter zu. In ihm kann ein möglic her Abnehmer oder Auftraggeber für Tafeln dieses Motivs gesehen werden, erfuhr seine Kunst durch die Tafeln doch eine mythologische Nobilitierung. DG
Es gehört zu einem gä ngige n Verfahren Lucas Cranachs, Werke aus der Druckgrafik oder der Kleinplastik mit seinen Kompositionen in die Tafelmalerei zu überführen und dadurch zu nobilitieren. Die hier gezeigten Beispiele legen die Vermutung nahe, dass es oberitalienische plastische Werke waren, die Cranach für seine Darstellung von Herkules und Antäus (Kat. 136) herangezogen hat. So zeigt etwa die auf den oberitalienischen Medailleur und Stempelschneider Moderno zurückgehende Darstellung von Herkules und Antäus eine nahezu identische Anlage der Figuren und Expressivität der Gesten. Als Herkules erkennt, dass der Riese Antäus seine ihm Unbesiegbarkeit verleihende Kraft aus dem Kontakt zu seiner Mutter Gaia, der Erde, bezieht, hebt er seinen Gegner in die Luft und kann ihn so bezwingen. Modernos Darstellung ist in Form von Medaillen und Plaketten überliefert, die in humanistischen Kreisen gesammelt wurden. Dass die Kleinplastik Italiens sich in Deutschland größter Beliebtheit erfreute, zeigt auch die Münchener Bronzeplastik, bei der es sich um den Nachguss eines deutschen Meisters nach einem itali e nischen Vorbild handeln könnte, das womöglich auf Werken Antonio Pollaiuolos und Andrea Mantegnas basierte. Auch wenn man Rudolf Berliners Zuschreibung der Gruppe an Peter Vischer d. Ä., der ebenfalls für Cranachs Dienstherrn Friedrich III. tätig war, schwerlich in Gänze folgen kann (Heinz Stafski lehnt diese ab), so lässt sich eine stili stische Nähe zu Werken der Vischer-Werkstatt nicht von der Hand weisen. DG
FR 268; Witt/ Wonneberger/ 5chade 1987; Ausst.Kat. Hamburg 2003, Nr. 71; Ausst .-Kat. Brüssel 2010, Nr. 88; Bonnet/ Görres 2015 , 5. 64-65;
Bange 1922, Nr. 475 - 476; Berliner 1926; 5tafski 1962 , 5. 65; Pope-Hennessy 1965, Nr. 162-163; Ausst.-Kat. Basel 1974/7 6, Bd. 2, Nr. 527; Ausst.Kat. Brüssel 201 o, Nr. 87
„
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136, 137 LUCAS CRANACH D.
Ä.
Herkules und Antäus, um 1530 Malerei auf Holz, 26,5 x 17,5 cm Schlangensignet, oben rechts Compton Verney Art Gallery & Park, lnv . 381 N FABIAN VON AUERSWALD (TEXT), WERKSTATT LUCAS CRANACH D.
Ä.
(ILLUSTRATIONEN)
Ringer kunst: fünff vnd achtzig stücke zu ehren Kurfürstlichen gnaden zu Sachssen [ ]
...
Hans Lufft, Wittenberg 1539 (VD16 A4051) 297 x 192 mm Staatsbibliothek Bamberg, 22/JH.Gymn.f.1
In seiner Figurenanordnung vor allem von der oberitalienischen Kleinplastik angeregt, überführt Cranach diesen Kampf des antiken Helden Herkules mit dem Riesen Antäus der seine sagenhafte Kraft aus dem Kontakt zu seiner Mutter Gaia, der Erde, bezieht und daher von Herkules nur besiegt werden kann, indem dieser ihn in die Lüfte hebt in ein kleinformatiges Kunstkammerstück. Der feste Stand des Herkules auf dem schmalen, bühnenartigen Bodenstreifen vor schwarzem Hintergrund bildet einen Kontrast zum sich windenden und wild gestikulierenden Antäus. Nur zwei gemalte Fassungen aus den 1 53oer-Jahren haben sich im Werk Cranachs erhalten, jedoch bestellte Albrecht von Preußen , aus dem Hause BrandenburgAnsbach, Hochmeister des Deutschen Ordens (vgl. Kat. 167) , schon 1 517 eine Tafel mit
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139
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AUGENWEIDE UND BELEHRUNG - CRANACH UND DER HUMANISMUS
AUGENWEIDE UND BELEHRUNG - (RANACH UND DER HUMANISMUS
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140, 141 ALBRECHT DÜRER
Melencolia I, 1514 Kupferstic h, 239 x 187 mm onogram m »AD « und Jahreszahl , unten rechts Inschrift, oben links : »M ELENCOLIA l« useum Kunstpalast, Düsseldorf, Sammlung der Kunstakademie (NRW), lnv. KA (FP) 2058 D LUCAS
Die
CRA
ACH D .
Ä.
elan cholie, 1532
alerei auf Holz, 76,5 x 56 cm Sc langensignet und Jahreszahl auf der Tisch ante usee Unterlin den, Colmar, lnv . 83-5-1
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151 schuf Albrecht Dürer seinen Kupferstich e encolia /. Auch wen n die Deutung des B es bislang keine endgültige Klärung erfa ren hat, scheint dieses doch im Zusammenhang mit der um 1 500 einsetzenden Rezeption es eoplatonism us zu stehen . Während die elancholie im christlichen Mittelalter mit er als sündhaft bewerteten Traurigkeit beziehungsweise Trägheit gleichgesetzt wurde, setzte m die Wende zum 16. Jahrhundert zugleich eine positivere Bewertung ein. So hatte Marsilio Ficino in Anlehnung an Pseudo-Aristoteles as unter dem Einfluss des Saturns stehende elancholische Gemüt als Eigenschaft des zu hohen Gedankenleistungen Befähigten benannt. In mindeste ns vier Fassungen, die zwischen 152 und 1532 entstanden, hatte Cranach ohl als erster Künstler nördlich der Alpen das in der Grafik verbreitete Motiv in die Tafelmalerei übertragen. Wie im Falle von Dürers Kupfe rstich ist auch bei Cranachs Gemälden die Deutung bislang nicht endgültig gelungen. Wiederkehrend findet sich angeführt, dass den Tafeln ein lutherischer Sinngehalt zugru nde liege. Die Gemälde würden demnac h die Traurigkeit als eine Versuchung des Teufels verbildlichen. Diese könne durch fromm es, unbek ümmertes und gottvertrauendes Tun abgewehrt werden. Es ist freilic h festzuha lten , dass Luther den Begriff der Melancholie nicht verwendet, während seine Äußerungen zur Traurigkeit der mittel alterlichen Vorstellung folgen . Erst mit Simon Musaeus bildete sich Mitte des 16. Jahrhu nderts eine spezifisch protestantische Mela ncholievorstellung heraus. B os FR 277A; Ausst.-Kat. Basel 1974/ 76, Bd. 1, Nr. 172 , 173; Klibansky/Panofsky/ Saxl 1992, 5. 562-568; Schuster 2005, 5. 90-96; Ausst.-Kat . Frankfurt am Main 2007b, Nr. 98 141
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AUGENWE IDE UND BELEHRUNG - ( RANACH UND DER HUMANISMUS
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LUCAS ( RA
ACH D.
Ä.
Lot und seine Töchter, um 1528/30
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LUCAS (RANACH D.
Ä.
Judith mit dem Haupt des Holofernes, um 1530 Malerei auf Lindenholz, 89,5 x 61 ,9 cm Schlangensignet, unten rechts The Metropolitan Museum of Art, New York, Rogers Fund , 1911, lnv. 11. 1 5 Das »Buch Judit « des Alten Testaments berichtet von der sc hönen jungen Witwe aus Bethulia, die im Feldlager des assyrischen Belagerers Holofernes vorspricht, dem Feldherrn suggeriert, sie sei eine Verräterin, mit ihm zecht und ihm schließlich mit seinem Schwert den Kopf abschlägt. Nun ohne Führer gleichfa ll s im buchstäblichen Sinne kopflos, kann das assyrische Heer in die Flucht gesch lagen werden . Das biblische Thema wird zur Gattung de r »Weibermacht« gerec hn et, » Minn esklave n « nannte m an di e Männ er, die sich vo n de r Liebe betören li eße n . Doch es schei nt, dass hier eine idea li sierte sächsische Prinzessin in der Rolle der Judith posiert. Di e junge Frau trägt ein mit Straußenfedern üppig verziertes Barett, ein Kleid mit Perlenbesatz sowie sehr kostbaren Schmuck . Ih re mit Edelstein en besetzten Colliers, ei ne Hobe lspankette und Fingerringe, die durch die hauchdünnen Seidenhandschuhe sichtbar sind , spiege ln di e Mode am wettinischen Hof um 1 530. Bemerkenswert ist Cranach s kompositorisch er Umgan g mit dem steil aufgerichteten Schwert, der tödlichen Waffe, die als Attribut deutlich dominanter und phallischer inszeniert wird als etwa bei den italienischen Malern dieser Zeit. Möglicherweise galt Judith auch als Symbolfigur des Schmalkaldischen Bundes, des 1531 geschl ossenen Bündnisses protestantischer Fürsten und Städte. M H FR 230E; Ainsworth/ Waterman 2013, 5. 63 - 66;
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LUCAS (RANACH D.
Ä.
Lucretia, 1537 Malerei auf Holz, 86,9 x 57,9 cm Schlangensignet mit angewinkelten Flügeln und Jahreszahl, unten links Privatsammlung Lucreti a erhebt den Dolch gege n sich und ist im Begriff, Selbstmord zu begehen. Auch we nn es sich um ein e von einer Heidin begangene Todsünde handelt, war das Sujet am Wittenberger Hof beliebt und zählte zu den sogenannten »Römertugenden «. Lucretias Geschichte ist Teil des Gründungsmythos der Römischen Republik und war zugleich ei n mo ra lisches Le hrbeispie l: Die verheiratete Lucreti a widersetzte sich erst tugendhaft de n Avancen des römische n Königsso hnes Sext us Tarquinius, der sie jedoch sch li eß lich vergewaltigte. Nach der Tat li eß Lucretia ihren Mann und ihren Vater Rache schwören, bevor sie sich erdolchte. Die Geschehnisse führten zu einem Volksaufstand , in dessen Folge die Königsfamilie gestürzt und die Römische Republi k gegrü nd et wurde. Der Betrachter wird somit daran erinnert, dass nur der christlich-tugendh afte Herrsc her den Fortbestand seines Reiches gara nti e re n kan n . Die Dynasti e eines Tyrannen wird unterge he n . Die Da rstellun gsweise der nackten Lucretia und di e damit verb und ene erotische Ausstrahlung stehen in Konflikt mit dem dargestellten Moralexempel. Cranach spielt mit dieser Kontroverse und löst sie zugunsten der Tugend, da Lucretia ihren begehrenswerten Körper im dargestellten Moment tötet. J H FR 240P; Bierende 2002 , 5. 184-190; Fo ll ak 2002 , 5. 66-67; Aukt.-Kat . New York 2009, Los 12;
AUGENWEIDE UND BELEHRUNG - (RANACH UND DER HUMANISMUS
alerei auf Buchenholz, 57,4 x 38,5 cm Schlangensignet, rechts Prämonstratenserkloster Nova Rise, als Leihgabe in der Moravska galerie v Brne, In·. 12 on Engeln vo r der bevorstehenden Zers örung seiner Heimatstadt Sodom gewarnt, erlässt der rechts chaffene Lot mit sei ner Familie die Stadt, bevor ein göttlicher Feuerund Schwefelregen auf Sodom niederge ht. us Sorge um eine Zukunft ohne Nach·ommen machen die beiden Töchter des Lot ihren alten Vater betrunken, um ihn zu verführen. Die Darstellung zeigt eine der Töchter, dem Betrachter einen verschwörerischen Blick zuwerfend, bereits umarmt vo n ihrem Vater, wä hrend ihm die zwe ite ne ue n Wein in seine Trinkschale gießt. Die Frau Lots, zeitlich vorausgehe nd im Mittelgrund mit ihrem ann und den Töchtern zu sehen, verstößt gegen das Gebot Gottes, sich während de r Flucht nicht umzuwenden, und erstarrt zur Salzsäule. Cranach bindet den Betrachter in das Wechselspiel von Schauen und Nichtschauen-Dürfen ein, wenn er ihm ge rad e das, ~ as das Gebot zu sehen verbietet, die Zerstörung Sodoms nämlich, in einem malerischen Bravo urstück schildert. Künstlerisch höchst effektiv, erreicht er allein durch den Einsatz leuc htender roter Farbe auf dem tiefschwarzen Hintergrund e in e atmosphärisch aufsergewö hnlich dichte Sch il derung der Katastro phe. Lot und seine Töchter galt dem Publiku m des 16. Jahrhunderts als beli e bte moralische Warnung vor Trunkenheit und Wolllus t und ist dem von Cranach in vielen Variante n behandelten Themen kom plex der »Weibermacht« zuzuordnen. DG
Ausst.-Kat. Basel 1974/ 76, Bd. 2, Nr. 458-459 und 5. 566; Ausst .-Kat. Prag 2005, Nr . 13; Ausst .Kat. Frankfurt am Main 2007 b, Nr. 87; Ausst.- Kat. Prag 2016, Nr. 4 ;
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LUCAS CRANACH D .
Ä.
Das Gastmahl des Herodes, 1533
Malerei auf Lindenholz, 79,5 x 112,6 cm Schlangensignet und Jahreszahl, oben rechts Im Nimbus des Johannes : »S. IOHANES « Städel Museum, Frankfurt am Main , lnv .1193 Salome bezaubert ihren Stiefvater, den Herodes Antipas, bei einem Gastmahl durch ihren Tanz so sehr, dass er ihr einen Wunsch gewährt. In Absprache mit ihrer Mutter Herodias wünscht Salome die Enthauptung von Johannes dem Täufer, der verhaftet worden war, da er die Ehe zwischen Herodias und Herodes Antipas, die Schwägerin und Schwager waren, kritisiert hatte. Das Bild konzentriert sich auf die manieristisch verbogene Salome im Bild-
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AUGENWEIDE UND BELEHRUNG -
vordergrund, die dem entsetzt gestikulierenden Herodes das abgeschlagene Haupt auf einer Servierplatte präsentiert. Anders als in zeitgleichen » Weibermacht«Darstellungen der Druckgrafik präsentiert Cranach noch einen weiteren Gast an der Tafel. Bei dem greisen Mann an der Seite der Herodias dürfte es sich um ihren verarmten ersten Ehemann handeln, der auch ihr Onkel war. Es ist die Topik vom »u ngleichen Paar« (vgl. Kat. 146- 148) , die hier zur Anwendung kommt. Simultan erzählt Cranach also zwei Geschichten von der Macht der Frauen: Während Herodias im Beisein ihres ersten Gatten dem Herodes schöne Augen macht, setzt Salome ihre Reize beim zukünftigen Stiefvater ein und räumt damit den einzigen Kritiker dieser Allianz aus dem Weg. MH
(RANACH UND DER HUMANISMUS
LUCAS CRANACH D.
FR 220A; Brinkma nn/ Kemperdick 2005, 5. 1 96203; Ausst .-Kat. Frankfurt am Main 2007b, Nr. 89;
Ä.
Alter Mann von Kurtisanen betört (?), um 1537
Malerei auf Holz, 81,8 x 120,9 cm Schlangensignet, oben rechts Privatsammlung An einem Tisch sitzt ein lachender Greis in Gesellschaft dreier junger Frauen . Karten und Weinglas verweisen auf Genuss und Ausschweifung, wozu auch die Liebestollheit des Alten zählt: Während eine der Frauen ihm die Augen zuhält, rafft die andere unbemerkt sein Geld zusammen , das die Dritte in ihrer Schürze verstaut. Ein junges Paar am Bildrand kommentiert gestikulierend das Geschehen. Die Darstellung ist eine innovative, mehrfigurige Variante der Thematik des »ungleichen
Paares« und ähnelt in der Figurengruppierung den Kompositionen von Herkules und Omphale nach 1530 (vgl. Kat. 177). Thematik und Motivik ebenso wie Datierung, Querformat und Bildmaß verbinden die Tafel mit zwei weiteren Gemälden: Auf dem einen wird der lüsterne Alte von zwei Frauen betrunken gemacht und bestohlen (FR 291 ), das andere Bild, von Lucas Cranach d. J. gemalt und in Dresden befindlich, zeigt zwei ungleiche Paare, jeweils mit Greis und Greisin, und ein junges Paar (FR 292). Die Tafel , typisch für Cranachs schöpferische Erweiterung bekannter Themen, mag eine der zwei archivalisch belegten »Buhlschaften« aus dem Torgauer Schloss Hartenfels zeigen. Auch als Ergänzung einer »Weibermacht«-Folge, wie sie für das Bild aus Dresden vermutet wurde, wäre sie denkbar . Je
FR 401; Ausst.-Kat. Basel 1974/76, Bd. 2, Nr. 469470; Ausst ,-Kat. Chemnitz 2005, Nr. 32; Aukt.-Kat. New York 2009, Los 19;
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147, 148 LUCAS CRANACH D.
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Das ungleiche Paar: Alte Frau und junger Mann, um 1520/22
Malerei auf Buchenholz, 37,5 x 31 cm Schlangensignet, oben rechts Szepmüveszeti Muzeum, Budapest, lnv. 137 Das ungleiche Paar, um 1530
Malerei auf Buchenholz, 38,8 x 25,7 cm Schl angensignet, rechts Museum Kunstpa last, Dauerleihgabe der Kunstakademie Düsseldorf, lnv. M 2248 Die Popularität des Bildthemas, einer Variante des » Weibermacht«-Sujets, setzt nach 1 500 in der Grafik und der dekorativen Kunst ein und findet in den über vierzig gemalten Variationen Cranachs ihren Höhepunkt. Konstanten bilden die karikierende Darstellung des »lüsternen Alten« und dessen Liebkosung der jungen Frau oder Dirne, deren berechnende Interessen offenkundig sind. In der Düsseldorfer Version dominiert das Groteske, das sich in der gesteigerten Kontrastierung der Partner zeigt. Während das junge, za rte Mädchen den Bart des Greises neckisch zerzaust, präsentiert dieser ihr mit wurstigen Fingern kostbares Geschmeide als Liebespfand . Seltener ist die Verkehrung der Rollen , wie sie auf der Budapester Tafel zu sehen ist, welch e die früheste von Cranachs bekannten Fassu ngen des Themas darstellt. Dort entlohnt ein e fast zahnlose Greisin den ihr in Blick und Umarmung scheinbar zugetanen Jüngling m it Geld für seine Gunst. N icht die Männer, so ndern die Alten werden hier vor Liebestorhei t gewarnt. JC
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FR 154, 287; Ausst .-Kat. Basel 1974/ 76 , ßd . 2, Nr. 463; Stewart 1978; Ausst .-Kat. Frankfurt am Main 2007b , Nr. 91, 93; ;
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( RANA C H UND DER HUMANISMUS
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VIII DIE WERKSTATT DES MALERS
Mit dem Eintritt in sächsische Dienste erfüllte Cranach die umfänglichen Wünsche des Hofes. Die t.\usgestaltung der Schlösser Coburg, Lochau, Altenburg, Wittenberg, Weimar und Torgau beanspruchte die Werkstatt über Jahre in hohem Maße. Der Hofmaler lieferte nicht nur Staffeleibilder und Altarretabel, er schuf auch riesige Wand- und Deckengemälde. Unter seiner Anleitung arbeiteten Tischler, Drechsler und Bildschnitzer. Hausfassaden, Türme und Tore wurden nach seinen Entwürfen bemalt, vergoldet und beschriftet. Über mehr als vier Jahrzehnte hinweg gehörte auch die Ausrüstung von Hoffesten und Turnieren, für Reisen und den Kriegsdienst zu seinen Aufgaben. In Cranachs Werkstatt wurden tausende Wappen gedruckt und Fahnen, Turnierdecken, Rüstungen, Schilde sowie Hellebarden farbig gestaltet. ln den ersten Jahren arbeitete Cranach in der Malerstube des Wittenberger Schlosses, die er sich mit dem Bildhauer Conrat Meit teilte. Um 1512 wurde er Eigentümer von zwei nebeneinander gelegenen Häusern am Markt (heute Nr. 3/4). Hier entstand eine neue Malerwerkstatt, in der er eine wachsende Zahl an Mitarbeitern beschäftigte und zunehmend mehr Gemälde und größere Altarretabel produzierte. Im Jahr 1518 erwarb er den heute erhaltenen Cranach-Hof Schlossstraße 1. Als Malerwerkstatt kommen die zwei- bis dreigeschossigen Gebäude des östlichen und südlichen Flügels infrage. Die angrenzenden Gebäude boten ausreichend Platz für die Lager und Werkstätten der Tischler, Bildschnitzer, Zubereiter, Formschneider, Drucker und Buchillustratoren. Unser Bild von den in der Cranach-Werkstatt tätigen Malern und ihrer Ausbildung ist bis heute fragmentarisch. Die Auszahlungsanordnungen des Hofes erwähnen 1 51 o sechs, 1511 acht und 1512 n eun Gesellen. Bei den Vorbereitungen zur Hochzeit des späteren Kurfürsten Johann und Margaretes v on Anhalt, die am 13. November 1513 stattfand, beschäftigte der Hofmaler bereits zehn Gesellen . .22
Jahre später war er bei der Ausgestaltung des Torgauer Schlosses mit zehn Mitarbeitern, darunter
$eine beiden Söhne und zwei Lehrknaben, tätig. Unterschiedliche Bezahlung und differenzierte Bezeich111 ung lassen erkennen, dass der Hofmaler Großprojekte mit unterschiedlich qualifizierten Malern reallisierte. Die niedriger bezahlten Mitarbeiter wechselten in unregelmäßigen Abständen. Während Lohnigesellen oder Knechte in Torgau zwischen 1535 und 1 538 Dekorationsarbeiten unter Anleitung ausJführten, trafen zahlreiche Tafel- und Leinwandbilder aus Wittenberg ein, das heißt, der Meister und ,weitere qualifizierte Maler produzierten zeitgleich in der Schlossstraße
1
die Ausstattungsstücke. Ohne
2weifel organisierte Cranach nicht nur einen großen, sondern auch einen flexiblen Werkstattbetrieb. Der schier unüberschaubaren Fülle an Kunstwerken, die in der Werkstatt produziert wurden, lag niccht nur eine effiziente Werkstattorganisation mit einer rationalisierten Arbeitsteilung zugrunde. Der Erffulg bestand auch darin, einen einheitlichen Stil zu schaffen, der nicht mehr allein vom Können des Meiisters abhing, sondern auch von Mitarbeitern in gleichbleibender Qualität umgesetzt werden konmte. Cranachs Signet, dessen Ausführung von verschiedenen Händen zeugt, war abschließendes Güttesiegel und Markenzeichen zugleich.
GH
Cranach als Gestalter Die Cranach-Werkstatt lieferte Entwürfe für Glaser, Teppichmacher, Laternenmacher, Kleinschmiede und Goldschmiede. Sie zeichnete eine Leuchterkrone, bemalte einen Geweihkronleuchter, vergoldete Hirschgehörne, rahmte Seidenstickerarbeiten, lieferte Vorhänge, bemalte Tische, Bänke und Kästen und dekorierte eine Orgel. Nach Cranachs farbigen Kostümbildern fertigten Schneider die Hofgarderobe . Die Entwurfstätigkeit umfasste auch Stein- und Holzmodelle für Münzen, Medaillen und Grabplatten sowie Risse für die Dekoration von Geschützen mit »unverschämten, scheußlichen bildnissen« (zit. n. Marx 1989, S. 81), die Eisenschneider und Bronzegießer in Freiberg, Nürnberg, Augsburg und Innsbruck als Vorbild verwendeten. 1538 lieferte er schließlich auch eine Pfefferkuchenform (Heydenreich 2007d, S. 436, Nr. 242). Nur wenige dieser zahlreichen Entwürfe und Zeichnungen für Auftraggeber sind heute erhalten. TN
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DIE WERKS TATT DES MALERS
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149 LUCAS CRANACH D.
Ä.
Giebel mit Wächter auf einem Balkon, um 1512/18
Feder mit Eisengallustinte über Kohlevorzeichnung, Pinsel in Rußtusche, laviert, 209 x 316 mm Klassik Stiftung Weimar, Museen, lnv. KK 96 Ein Wächter hat auf der sprichwörtlich höchsten Zinne Aufstellung genommen und blickt von seinem mit der sächsischen Wappentrias (Markgrafschaft Meißen , Kurschwerter, Herzogtum) geschmückten Aussichtsbalkon herab. Dieser ist, tektonisch durchaus gewagt, vor einen steilen Zinnengiebel platziert, der selbst zu alledem hinter der die Altane stützenden Balustersäule von einer die ganze Konstruktion hochgradig destabilisierenden Muschelnische durchbrochen ist. Freilich ist das alles nicht als architektonischer, sondern als rein dekorativer Entwurf gedacht: Denn bei genauer Betrachtung erweist sich die verkehrte Perspektive der Okuli in der tiefen, die Muschel einfassenden Hohlkehle als so nicht realisierbar, und auch der
\ 'achman n auf dem realiter unzugänglichen Balkon ist bloßes Trompe-l'CEil. Mittels andmal erei sollte hier ein manieri stisches Vexierspiel eröffnet werden, das der massiven Giebelwand ihre Schwere und Strenge nehmen soll te. Zu alledem katapultiert Cranach ein spätgotisches Architekturdetail, wie wir es gebaut und auch aus zeitgenössischen Baumeisterbüchern kennen, mittels maleri scher Dekoration in seine Zeit. Die Wappen weisen die Zeichnung als höfisc hen Auftrag aus, sie fiel damit unter die Aufgaben Cranachs als Hofmaler. Ob dem Entwurf eine malerische Ausführung folgte oder ob es sich um eine Finger- und Augenüb ung für den Werkstattfundus handelte, muss offen bleiben. Das heraldische Konzept und der gotische Giebeltypus könnten aber durchaus mit Modernisierungsplänen in der Meißner Albrechtsburg zusammenhängen. CM
Rosen berg 1960, S. 18, Nr. 14; Ausst.-Kat. Basel 1974/ 76, Bd . 1, Nr. 125; Heydenreich 2007b, 5. 262; Hofbauer 201 o, 5. 128-1 29, Nr. 30; Ausst.Kat . Weimar 20 1 5, Kat . 1 oo
LUCAS CRANACH D .
Ä.
Entwurf für einen Deckenleuchter, um 1530/40
Pinsel in Rußtusche über Kohlevorzeichnung, Lavierung in Schwarz, 1119 x 1305 mm Klassik Stiftung Weimar, Museen, lnv. KK 103 Auf einem aus mehTeren Blättern kollagierten großen Bogen Papier entwirft Cranach detailgenau und sicherlich im Originalmaßstab einen 18-flammig konzipierten Lüster. Für beide Etagen sind je sechs unten weiter als oben auskragende Kerzenarme vorgesehen, die aus s-förmig gebogenen, mit Blattwerk und Maskaronen verzierten Stängeln bestehen. In der flächigen Projektion des Entwurfs sind diese freilich auf insgesamt vier reduziert. Die in ihrer Anzahl verdoppelten Kerzentüllen des unteren Runds sitzen sinnfälligerweise über Sonnengesichtern und flankieren Putti mit den Leidenswerkzeugen (im Entwurf Speer und Kreuz). Zuoberst hat der über Tod und Teufel triumphierende Christus seinen Auftritt, ein Motiv aus dem Themenbereich
von Gesetz und Gnade (vgl. Kat. 11 o). Der Entwurf ist mittels Kohle vorskizziert, dann mit sicherem Pinselstrich ins Reine gezeichnet und überaus gekonnt laviert. Vergleichbares findet sich im Werk Cranachs nur vereinzelt: Ein großformatiger Karton in Wolfenbüttel zeigt den Entwurf einer Kaminsäule, ein zweiter in Dresden einen Wappenhalter. Sollte der Entwurf jemals umgesetzt worden sein - der Verbleib in Weimarer Aktenbeständen spricht eher dagegen -, dann sicherlich in Rotguss. Als ausführende Werkstatt würde man sich die der Vischer in Nürnberg wünschen , doch bleibt das Spekulation. Genauso unbekannt ist der für den Leuchter vorgesehene Bestimmungsort. Eine Verwendung im Profanbereich ist angesichts seiner so dezidiert eschatologisch ausgerichteten Motivik eher auszuklammern; infrage kommt fast nur eine Aufliängung im sakralen Memorialkontext. CM Rosenberg 1960, S. 39, Nr. A24; Hofbauer 201 o, S. 410-411, Nr. 203; Ausst.-Kat. Weimar 20 1 5, Kat. 24
DIE WERKSTATT DES MALERS
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Cranach als Händler Die zentrale Position des nahen Leipzig im Handelsgeflecht seiner Zeit bildete eine Grundlage für Cranachs weitverzweigtes Netzwerk und seinen Erfolg. Hier kreuzten sich zwei Fernhandelsstraßen, die Hohe- oder Königsstraße (Via Regia), die Westeuropa mit Russland verband, und die Reichsstraße (Via lmperii), die von Norddeutschland nach Italien führte. Leipzig war mit einem kaiserlichen Messeprivileg ausgestattet und durfte dreimal im Jahr für jeweils acht Tage Märkte ausrichten. Auf den Märkten handelte man auch Farbmittel und Kunstwerke. 15 20 erwarb der Hofmaler ein Apothekenprivileg, welches ihm allein das Recht zusicherte, in Wittenberg außerha lb der Jahrmärkte unter anderem Gewürze, Konfekt, Zucker und gefärbtes Wachs zu verkaufen (Kat. 154). Im 16. Jahrhundert zählten Farbmaterialien zu den Apothekerwaren. Es dürfte für den Betrieb der großen Malerwerkstatt organisatorische und finanzielle Vorteile geboten haben, Farb- und Heilmittel auf den Messen über den Großhandel einkaufen zu können . In einem Brief an den Kurfürsten er-
152
Cranach als Verleger Martin Luther vermerkte in einem Brief vom 11. Juli 1523 an Georg Spalatin, er sei des Schreibens müde, müsse aber fortfahren, denn des »Lucae Presse braucht Unterhalt« (WA Br 3, Nr. 633, zit. n. der Übersetzung in Ausst.-Kat. Wittenberg 1994, S. 40). Luthe rs Klage bezieht sich auf die Druckerei, die Cranach in Wittenberg zusammen mit dem Goldschmied Christian Döring betrieb. Obwohl keine der bei Cranach/Döring herausgegebenen Schriften den Namen der Offizin trägt, konnten 36 Werke Luthers anhand der Schrifttypen als deren Erzeugnisse identifiziert werden, darunter auch die deutsche Übersetzung des Neuen Testaments mit den Illustrationen Cranachs aus dem Jahr 1522 (Kat. 98). Der Reformator scheint seine gefragten Schriften in dieser Zeit ausschließlich dort veröffentlicht zu haben. Spätestens ab 1521 wohnte der Leipziger Drucker Melchior Lotter d. J. in Cranachs Haus am Markt 5 in Wittenberg. Dort lässt sich auch der Standort der Druckerei vermuten. Cranach und Döring bauten einen regen Handel mit ihren Büchern auf und verkauften diese bis nach Nürnberg und Danz ig, jedoch zog sich Cranach spätestens im Jahr 1526 aus dem Druckereigeschäft zurück, wozu ihn etwa die starke Konkurrenzsituation - 1525 existierten elf Druckereien in Wittenberg - bewogen haben könnte. Die Druckerei übernahm Johann Krug, der bis dahin als Lohndrucker für Cranach tätig war. DG Ausst.-Kat. Kronach 1994, 5. 221-222; Au sst .-Kat. Wittenberg 1994, 5. 27-29, 40, 45; Lücke 1994, 5. 63 ; Lücke 1998, 5. 22; Hennen 201 5, 5. 318
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DIE WERKSTATT DES MALERS
151
Heydenreich 201 oa
Aufträge und Handelsbeziehungen (Auswahl)
1508-1509 Antwerpen Cranach reist in die Niederlande und ve ranlas st den Transport eines Fasses von Antwerpen über Mainz und Frankfurt nach Torgau. um 1510 Breslau Cranach malt die Madonna mit Kind, vermutl ich für den Bischof Johann V. Thurzo in Breslau (Kat . 72). 1515 Olmütz Cranach liefert die Gemälde Die Enthauptung des Johannes des Täufers (S. 24, Abb. 5)
und Die Enthauptung der hl. Katharina an Bischof Stanislaus Thurzo nach Olmütz. 1517 Königsberg Herzog Albrecht von Preußen , Hochmeister des Deutschen Ordens, bestellt bei Cranach ein Gemälde mit der Darstellung des Kampfes zw ischen Herkules und Antäus. 1518 Paris Kurfürst Friedrich III. begrüßt di e Bereitschaft der Mutter des Königs von Frankre ich , eine Re liqui e gegen »etliche Täflein von un se rm Maler [Cranach] « zu tauschen. um 1520 Prag Cranach liefert ein großes Altargemälde für St. Veit in Prag (Kat. 85-89). 1528 Ulm Cranach malt Das Urteil des Paris für die zünftische Kaufmannsfamilie Rattengatter in Ulm (Kat. 132 ) . 1536 Ulm Cranach bezieht Leinwand, das sogenannte » Ulmer Golschen«. 1536 St. Gallen Cranach kauft gebleichte Le inwand aus St . Gallen auf der Leipzi ge r Mes se. 1538 Hamburg Die Stadt Hamburg schickt Franz Timm erm ann zu Cranach in die Lehre. 1539 Frankfurt am Main Cranach malt ze hn große Wappen für den Frankfurter Reichstag. 1550-1552 Augsburg/ Innsbruck Cranach reist nach Augsburg und Inn sbruck als Hofmaler des dort im Exil leb enden Kurfürsten Johann Friedrich 1. und trifft den Maler Tizian. Im Zuge seiner Reise lässt Cranach Gemälde von Augsburg nach Weimar transportieren.
Abb. 25 Aufträge und Handelsbez iehun gen
151 , 152 LUCAS CRANACH D.
wähnt Cranach, dass er seine Waren nicht nur aus Leipzig, sondern auch aus Frankfurt am Main beziehe, und in einem Schreiben vom 10. Oktober 1525 vereinbart der Hofmaler mit dem Verleger Christian Döring die Bezahlung von mehr als 800 Gulden für Papier und andere Materialien an den Straßburger Bürger Friedrich Precht. Aufgrund der umfangreichen Aufträge für Dekorationsarbeiten kaufte Cranach zunehmend größere Materialmengen. Beispielsweise rechnet er allein für die Arbeiten im Torgauer Schloss innerhalb von vier Jahren mehr als 350 Pfund blaue Pigmente im Wert von zirka 370 Gulden ab. TN
Ä.
Der Sündenfall, um 1520/25
Druckstock, Hol z, 282 x 219 x 29 mm Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabi nett, lnv. Derschau 020 Der Sündenfall, 2. Hälfte 20. Jh.
Neudruck auf Japanpapier, 282 x 219 mm Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, lnv . Neudruck von Derschau 020 Cranachs Holzschnitte entstanden in enger Zusammenarbeit mit einem Formschneider, der die Entwürfe etwa durch Abklatsch- oder Griffelverfahren auf Holzstöcke übertrug, welche zuvor geglättet, poliert und leicht geweißt wurden. Cranach könnte auch direkt auf den Holzstock gezeichnet haben. Der Formschneider entfernte das Holz um die Entwurfslinien anschließend mit einem Schneidmesser oder Grabstichel. Die Druckstöcke eines Künstlers, meist aus Obstbaumholz gefertigt, waren ein begehrtes und daher über viele Generationen aufbewahrtes Gut, das von anderen Offizinen aufgekauft und in neuen Zusammenhängen wiederverwendet wurde. Der vorliegende Druckstock zeigt die ikonografisch ungewöhnliche Kombination aus dem Sündenfall und der Mahnung des Engels, die der Vertreibung der Ureltern aus
dem Paradies vorausgeht. Während die Schlange, als anthropomorphes Mischwesen ezeigt, ihr die Verfehlung noch einzuAüstern scheint, reicht Eva Adam bereits den Apfel ·om Baum der Erkenntnis. Der Engel, zur Vertreibung statt eines Schwerts die Geißel in de r Hand haltend, deutet anklagend auf den Baum. Die Schlange in Frauengestalt tritt in verschiedenen Paradiesdarstellungen Cranachs sowie in seiner Kopie des Jüngsten Gerichts von Hieronymus Bosch (Gemäldegalerie, Berlin, FR 99) auf. Der Nürnberger Hans Albrecht von Derschau trug ab 1780 eine Sammlung aus insgesamt 1582 Holzstöcken des 15. und 16. Jahrhun derts zusammen, die der Gothaer Schriftsteller, Verleger und Buchhändler Rudolph Zacharias Becker zwischen 1806 und 1816 für eine Auswahl von Neudrucken heranzog. Bis zur heutigen Zeit könnten noch Abzüge von den Druckstöcken des 16 . Jahrhunderts angefertigt werden, der vorliegende eudruck ist wahrscheinlich zwischen 1959 und 1986 zu Forschungszwecken entstanden. DG
Hollstein 1959, 5. 11 , Nr. 2; Becker 1816, 027; Schuchardt 1851 / 71, Bd. 3, 5. 212-213 ; Jahn 1972 , 5. 298-299; Ausst.-Kat. Basel 1974/76, Bd. 2, r. 358, S. 511 , 513; Kroll 1994; Falk 2004
DIE WERKSTATT DES MALERS
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Altarre tabel in großer Anzahl gehandelt. Wahrsc heinlich besuchte Cranach den bedeutenden Sin t-Baafsmis-Markt am 1. Oktober 1508. Ei n Fass mit unbekanntem Inhalt ließ er vo n Antwerpen nach Köln und von dort aus rheinaufwärts nach Mainz, dann über den Main n ach Frankfurt und schließlich auf dem Landweg über Erfurt und Leipzig nach Torgau trans portieren. GH Hevdenreich 2007d, S. 410- 4, 1; Heyd enreich 201 ob, . 66;
154 URFÜR ST F RI ED RIC H ]]]. VON SACHSEN
Apoth ekenprivileg, ausgestellt für Lucas Cranach d. Ä., Lochau, 6. Dezember 1520 andschrift, Tinte auf Pergament mit dem großen kursächs ischen Siegel (R), 320 x 573 mm S "ftung Luthergedenkstätten in Sachsennhalt, Jnv. Urk . S 1 56, 141-32
28 1 53
153 HANS VON LEIMBACH, LANDRENTMEISTER
Abrechnung über den Transport eines Fasses von Antwerpen nach Torgau, 1508/09 (»Sonnabents der eilftausent jungfrawentag im 1 508 bis sonnabint nach bekehrung Pauli 1 509 «) Handschrift, Tinte auf Papier, 32 5 x 223 mm Landesarchiv Thüringen - Hauptstaatsarchiv Weimar, LATh - HStA Weimar, EGA, Reg. Bb 4204, BI. 28' »4 guld[en] 15 g[roschen] 7 d[enare] furlon von Lucas malers vas, von Antorf [Antwerpen] gein Mentz [ Mainz], von Mentz gein Franckfurt vnd von Franckfurt gein Torgaw [Torgau] «
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DIE WERKSTA TT DES MALERS
1 508 reiste Cranach in die Niederlande, wo er den Hof von Margarete von Österreich in Mechelen besuchte und den Kaiser des Heiligen Römischen Reich s Deutscher Nation , Maximilian 1., bei der Huldigungsfeier für den achtjährigen Erzherzog Karl, den späteren Karl V., traf. Anschließend ist Cranachs Aufenthalt in Antwerpen , einem der bedeutendsten künstlerischen Zentren seiner Zeit, belegt. Die Begegnung mit niederländischen Malern und Kunstmärkten vermittelte Cranach wichtige Impulse. ln den großen Werkstätten Antwerpens könnte Cranach auch Anregung für seine spätere arbeitsteilige Gemäldeproduktion in Standardgrößen erhalten haben . Auf den Antwerpener Frühjahrs- und Herbstmärkten wurden Gemälde, Skulpturen und
Von Gots gen aden, wyr Friderich hertzog zu Sachssen, des Hailigen Romischen Reichs ertzmarschal h vnnd churfurst, Jandgrave in Doringen vn d marggrave zu Meissen , thun hunt mit diesem vnserm brieff fur vnns -nd vn nser erben geyn allermeniglich vnnd be ennen: Nachdem vnser lieber getrewer Lucas Cranach, maler, die apoteken in vnn ser stad Witten berg kauffeweyse an sich vnnd an sein erben bracht, vnd ein apoteken schwerlich an sondere freyheit stadlich magk erhalten ,·erden , wie dan solche apoteken weylend bey dem hochgelarten Martinus Polack Doctor, der derselben apoteken auffrichter 'Tld erster besitzer gewest, auch freyhaiten geha bt, so haben wir gedachtem Lucas Cranach ,-nnd seinen erben mit vorwissen vnnser lieben getrewen des raths zu Witenbergk auch privilegia vn nd freyhaiten , domit sie solche apoteken statlich gemeynem nutz vnd eynem yeden der de r notturfftig zu brauchen , erhalten mogen , gnediglich verschrieben vnnd gegeben. Verschreyben vnd geben ine die hiemit in crafft ditz vnnsers brieffs vnd nemlich dergestalt, darin vnnser stad Wyttenbergk kein ande re apoteken in ansehung des vnkostens, domit diese apoteken in wesen mus erhalden werden, an [=ohne] Lucas Cranach vnnd seiner erben wissen vnnd willen weyl sie dieser apoteken besitzer sein sol aufgericht werden. Ob aber die apoteken an andere wirthe komen wird, so sol doch daruber kein andere apoteken an [ = ohne] vnnser vnd vnser erben wissen vnnd willen zu Wittenbergk auffgericht oder zugelassen werden.
Fur das ander, so sol kein inwoner oder frembder kramer zu Wittenbergk gestossen vurtz, [ con] fect, zugker, tiriack, geferbtes wachs etc. noch anders, so man sonderlich in die apoteken gebraucht, feyl haben oder verkauffen, außgeschlossen in den Freyen jharmergkten so! solchs vnnd anders einem yederman so lange der jharmargkt weret vnnd nit !enger feyl zuhaben frey sein. Vnnd nachdem man in den apoteken sussen wein nit geraten magk, domit nie daran auch nit mange! sey, so soll Luca s oder sein erben, wan ein rath zu Wittenbergk in irem keller nit susse wein schengken macht haben , susse wein in der apoteken zuschengken, doch vff entrichtung geburlicher pflichtung. Vnnd wiewol ein apoteker billich bey der apoteken bleyb, darinnen vleissigs auffsehen habe, das gegen einem yeden trewlich gehandelt werd , wie sich dan seinen eyden vnnd pflichten nach zuthun geburt, derhalben dan ein apoteker in reysen nit wol von der apoteken ziehen magk. Nachdem aber Lucas selbs zu der apoteken nit geschigkt vnnd mit andern hendlen vmbgehet vnnd die apoteken mit knechten bestellet, so so! er die zeit, weyl er die apoteken in hat, wie ein ander burger zu
Wittenbergk in raysen, so furfallen , zufolgen schuldig sein. Wird sich aber begeben, das die apoteken an eynen seiner so[e]ne komen vnnd derselb der apoteken außwartten, darinnen arbaiten vnnd wie eynem apoteker geburt, halden wurd, so sol derselbe der volge, weyl er sich dermaßen halden werd wie in andern steten gefreyet sein, den wir auch solcher dinst hiemit geinwertiglich wollen gefreyet haben. Vff das alles hat gedachter Lucas Cranach für sich vnnd sein erben wiederumb bewilligt, die apoteken zu aller zeit mit guthen frischen materialien zuversehen vnnd die bestendiglich vnnd wol zuerhalten , das auch einem rath zu Wittenbergk vorbehalten sein soll, wan es ime gelegen, die apoteken durch verstendige ertzt [=Ärzte] zu visitiren vnnd was vntuchtige befunden dasselbig weg zuthun vndt zuverschaffen anders vnnd guthe materialia zuschigken. Auch einen zymlichen vnnd gleichen kauff zugeben vnnd niemants zuvbersetzen oder durch seine knecht vbersetzen lassen , wie er dan des dem rathe zu Wittenbergk einen reversal von sich geben sol vnnd bevelen darauff hiemit dem rathe zu Wittenbergk gedachten Lucas Kranach vnnd sein erben bey solchen freyheiten wie obberurt so offt des nott sein wirdet,
zuhandhaben , schutzen vnnd verteydingen, trevlich vnnd vngeuerlich. Zu vrkhunt mit vnserm hirangehangnem insigel wissentlich besiegelt vnnd gescheen zur Lochaw am dornstag Sanct Niclas tag nach Cristi vnnsers lieben hern geburt tausent funffliundert vnnd im zwentzigsten jhare. L.S. « Mit dem im Jahr 1520 an Cranach und seine Erben verliehenen Privileg räumte Kurfürst Friedrich 111. Cranach eine Monopolstellung ein, da er fortan als Einziger das Recht besaß, eine Apotheke in Wittenberg zu betreiben. Auch bestimmte das Privileg, welche Waren ausschließlich in der Apotheke gehandelt werden durften, davon ausgenommen waren all ein die freien Jahrmärkte. Darüber hinaus verband sich mit der Apotheke ebenfalls das Schankrecht für süßen Wein, vorausgesetzt, Cranach bezahlte entsprechende Steuern an den Rat der Stadt. GH Transkription: Monika und Dietrich Lücke 201 6; Schuch ardt 1 8 51 / 71 , Bd. 1, S. 69f.; Ausst.-Kat. Kronach , 994, S. 228; Lücke , 994, S. 62; Lü cke 1998, S. 38-3 9
'"""], .... i.~,
154
D I E WERKSTA TT D ES MA L ERS
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Bildträger 1
55
S EBASTIA
SCHADE , KAMMERSCHREIBER
Ausgaben für Pigmente, Michaelismarkt, Lei pz ig, 1523 Handschrift, Tinte auf Papier, 31 5 x 230 mm Landesarchiv Thüringen - Hauptstaatsarchiv \! eimar, LATh - HStA Weimar, EGA, Reg. Bb 4321 , BI. 34v
tl -
I
1
»Ausgabe, gemeyne ausgabe, maler 1 10 g[rosch en ] 6 d[enare] fur 2 Jot Jack 1 2,5 guld[en] fu r 0, 5 lb [Pfund] oelblau 1 1 guld[en] 15 g[roschen] fur 1 lb [Pfund] 12 l[o] t blau von fe ldung, 1 lb [Pfund] umb loren] 1 ort 11 guld[en] 17 g[roschen] od[enare] fur 1, 5 lb [Pfund] 11 lot lasurlau, ides um b 1 guld[en] 11 guld[en] 6 «[roschen] fur 2,5 lb [Pfund] 12 Jot schlecht lau feldung, ides umb 9 g[roschen] 1 g[rosch en] 8 d [ enare] fur 2 lb [ Pfund] lo ascherblau, ides lb [Pfund] umb 1 g[roschen] l 15 g[ roschen] 9 d[enare] fur 0,5 lb [Pfund ] scheffergrun l 11 g[roschen] 6 d[enare] fur 4 lb [Pfund] 12 lot bleyweyß 1 5 [roschen ] 3 d[enare] fur 0,5 lb [Pfund] zcinober 1 5 g [ ros chen] fur 1 lb [Pfund] spangrun l 4 g [ro schen] fur 2 lb [Pfund] ble gelb l 1 guld [ en] 5 g[roschen] 3 d[enare] fur 1 lb [Pfund] parißrot 1 2 g[roschen] fur 2 lb [Pfund] mennig 1 6 d [ enare] fur ein schachte! 1later[is] 12 guld[en] 8 g[roschen] 3 d[enare] .« usführliche Abrechnungen und Auszahlungsanordnungen wie diese unterrichten uns über di e von Cranach verwendeten Farbmaterialien . Der Maler bezog Pigmente für Gemälde un d Dekorationsarbeiten auf den Leipziger M ärkten in größeren Men gen und verrech nete seine Ausgaben zusammen mit erbrach ten Leistungen . Die Abrechnungen dokum entieren verschiedene Qualitäten und Preise. Sie w ei sen aus, dass Cranach seinem Dien stherrn für Farbmaterialien vergleichs' eise geri ngere Kosten berechnete, so kostete Azuri t bester Qualität etwas weniger als die Hälfte dessen , was zum Beispiel nach der em m inger Apothekentaxe von 1 519 veranschlagt worden wäre. Vermutlich konnte Cranach die Farbmaterialien zu Großhand elspreisen erwerben und in dieser Weise seine Werkstatt ökonomisch stärken. GH
Lucas Cranach malte auf Holz, Leinwand, Pergament und Papier. Tischler fertigten die Tafeln aus unterschiedlichen Holzarten. Linde fand über viele Jahrzehnte Verwendung. Nadelhölzer (Fichte und Tanne) dienten vor allem für größere Tafeln und Retabel. Eichenholz bildet die Ausnahme. Mit der häufigen Wahl von Buchenholz unterscheidet sich Cranach von anderen Malern seiner Zeit. 1528 ist auch Cranachs Handel mit Holz belegt. Obwohl Leinwandgemälde einen großen Anteil seiner Aufträge ausmachten , sind diese Werke heute fast vollständig verloren . Leinwand diente als Trägermaterial sowohl für ephemere, dekorative Arbeiten mit einer wässrig gebundenen Malerei als auch für Ölgemälde nahezu aller Sujets. Pergament nutzte Cranach abseits der Buchmalerei offenbar hin und wieder für Porträts und Wappen, Papier meist für Studien .
Standardisierte Formate In den ersten Wittenberger Jahren malte Cranach auf Holztafeln in individuell abgestimmten Formaten, das heißt die Größe und das Verhältnis der Seitenlängen wurden nach der Entwurfsskizze festgelegt und dem Schreiner übermittelt, der dann die Tafel fertigte. Nahezu zeitgleich mit der Einrichtung einer Druckwerkstatt nutzte Cranach ab etwa 1522 häufig Buchenholz . Bis in die späten 153oerJahre handelt es sich bei etwa siebzig Prozent aller erhaltenen Tafeln um Standardformate (Abb. 26) , das heißt, der Maler entwickelte seine Bildkompositionen nun auf einem zuvor festgelegten Verhältnis von Höhe zu Breite in verschiedenen Größen im Hoch- und Querformat. Da die Größen und Proportionen der kleineren Buchenholztafeln mit den Wittenberger Bucheinbänden übereinstimmen und
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DI E WERKSTATT DES MA LER S
Buchenholz in Mitteldeutschland seit dem Mittelalter für Buchdeckel bevorzugt wurde, darf ein direkter Zusammenhang zwischen Cranachs Verlegertätigkeit und der Wahl von Buchenholz als Bildträger angenommen werden. Dabei bestimmte die Größe der gebräuchlichen Papierbögen Formate und Kompositionen seiner Gemälde. GH Heyde nreich 2007 d, S. 42 -47
Stamm und Brett
Transkri ption: Monika Lücke, Di etri ch Lücke und Gunna r Heyd enreich 2007; Heyd enre ich 200 7d , S. 128ff.; Bl aha 2015 , S. 16of.;
Abb . 27 Mittel s Dend roc hro no logie best imm t: Zur He rstellun g di ese r Ge mä ld e wurden Brette r au s e in em 1 53 1 gefäll ten Buchen stamm ve rwend et
Abb . 26 Stand a rdi sierte Form ate
Die dendrochronologische Untersuchung der inschriftlich datierten Buchenholztafeln gibt Aufschluss über den Zeitraum, der vom Fällen des Baumes bis zum Bemalen der Tafeln verging. Das Gros der in Cranachs Werkstatt verwendeten Bretter weist Lagerzeiten von zwei bis acht Jahren auf, wobei der Durchschnitt bei vier bis fünf Jahren liegt. In einzelnen Fällen scheinen die Bretter hingegen fast ohne Lager- und Trocknungszeit verwendet worden zu sein. Der Vergleich der untersuchten Bretter zeigt über die Altersbestimmung hinaus, dass mehrere Bretter oft aus demselben Stamm
gewonnen wurden. Bislang kann für 72 Werke und Werkzusammenhänge belegt werden, dass sie vermutlich aus insgesamt 14 Stämmen gefertigt wurden. Am größten ist dabei eine Gruppe von über 25 Werken beziehungsweise 39 Einzelbrettern, die aus einem 1524 gefällten Stamm hergestellt wurden . Ein wei terer Stamm, der 1531 gefällt wurde , diente der Herstellung von 13 Werken aus 20 Bret tern (Abb . .27) , für einen dritten , gefällt 1522, sind 9 Werke und 10 Einzelbretter belegt. Ein fast ebenso großer Teil der bisher untersuch ten Tafeln besteht aus einzelnen Brettern, für die bislang keine Verbindung zu anderen Werken nachgewiesen werden konnte. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass eine Zuordnung zu einem Baum nur dann erfolgt, wenn die Jahrringkurven deckungsgleich sind. Un tersuchungen an exzentrisch gewachsenen Bäumen zeigten, dass die Jahrringkurven innerhalb eines Baumes sehr unterschiedlich sein können, sodass sie bei einer späteren Analyse nicht als Bretter aus ein und demselben Baum eingeordnet werden könnten . In· sofern kann diese Aufstellung nur Anhaltspunkte liefern.
D I E WERKSTA TT DES MALERS
257
Abb. 28 Lucas Cranach d. Ä., David in der Wüste Siph (Rückseite, Detai l) um 1 530, Germanisches Nationalmuseum , Nürnberg. Di e aufgeklebten Fasern w urd en an mehreren Holztafeln als tierische Sehnen bestimmt.
Dient die dendrochronologische Analyse in der Regel dazu, die stilist ische zu präzisieren , so ergab sich im Fall eines Luther-Bildnisses ein Widerspruch: Die Inschrift am linken Bild rand der im Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig erhaltenen Tafel gibt das Jahr 1533 an, während der jüngste Jahrring aus dem Jahr 1535 stammt. Diese Diskrepanz wirft die Frage auf, ob hier möglicherweise der Bildnistyp von 1533 einschließlich der Datierung »1533« zu einem späteren Zeitpun kt in der Werkstatt kopie rt wurde. Die Fülle der im laufe der Jahrzehnte zu den Buchenholztafeln Cranachs erstellten Messungen weckt den Wunsch nach einer umfassenden Auswertung alter bis zum heutigen Tage erhobenen Daten . Ausgehend von der in Teilen bereits 1994 und 1998 publizierten Stammzugehörigkeit stellt sich die Frage, ob der Vergleich jüngerer Messkurven nicht möglicherweise weitere Gruppen belegen und eine statistische Auswertung aller Daten unser Wissen um die Lagerung und den Handel des Rohstoffs durch Cranach nicht vielleicht weiter vertiefen könnte. In die Untersuchungen mit einzubeziehen wären in diesem Zusammenhang auch die Buchdeckel aus Buchenholz, welche vor allem während Cranachs Tätigkeit als Verleger und Drucker (um 1522-1526) ebenfalls in standard isierten Formaten im Umfeld der Werkstatt hergestellt wurden. PK, TN Klein 1 994; Klein 1 998
Die Praxis der Holzbearbeitung Tischler fertigten die Holztafeln mit unterschiedlichen Techniken . In Cranachs ersten Wittenberger Jahren produ zierte ein gewisser »Michel Ti schler« sowohl Bildträger für ihn als
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DIE WERKSTATT DES MALERS
auch Fensterläden für den Hof. Offenbar war er wenig mit der Herstellung von größ eren artafeln vertraut. Schäden an den Gemälden • aren die Fo lge . Nach dem Umzug der Werkatt vom Sch loss in die Stadt um 1512 beschäftigte Cranach einen Schreiner, der andere Techniken anwendete. Schadstellen im Holz wurd en häufi ger durch kleine Holzstücke ersetzt un d mit Gewebe oder Fasern überlebt. Fugen wurden gelegentlich mit Lein wand ges ichert. Ab etwa 1515 wurde häufig Fasermate rial in Streifen quer zur Brettrichtu ng auf der Vorderseite und gelegentlich auf der Rückse ite applizie rt, dessen Funktion bis heute ni cht geklärt ist. Möglicherweise sollte es di e Stabilität der Tafeln erhöhen. Jüngste Forschun gen haben gezeigt, dass es sich bei den Fasern nicht wie zunächst angenommen um Flachs ode r Seide, sondern um tierische Sehn en hande lt. Aus Sehnen wurde auch Leim gewonnen - vielleicht handelte es sich um die Reste. Die in der Sehnenprobe von einem Bildnisge mälde Martin Luthers (um 1540, Privatbesitz) enthaltene DNA-Sequ enz sta mmt von einer Felsentaube (Columba livia) (Analysebericht ForTo3/16 vom 29.11.2016, Prof. Dr. Klaus Olek, Dr. Sophia Forat, Labor für Abstamm ungsbegutachtungen GmbH, Rh einbach). Noch im 19. Jahrhundert wird di e Gewinn ung von Le im aus Taubensehnen beschrieben. Auf anderen Tafeln aus der Cranach-Werkstatt erscheinen die Fasern zum Teil länger und könnten von anderen Tieren stammen. Ab etwa 1522 treten die Faserbeklebungen auch bei Buchenholztafeln auf, hi er aber im Bereich der Fugen (Abb. 28) . Diese verände rte Praxis und andere Details der Holzbearbeitung lassen darauf schließen , dass in diese r Zeit ein weiterer Tischler für die Malerwe rkstatt arbeitete. G H
1 56
157
158
1 56, 1 57, 1 58 LU CAS CRANACH D.
Ä.
Martin Luther und Katharina von Bora, 1526
Malerei auf Buchenholz, 18,5 x 14 cm und 19,2 x 13 ,6 cm (um laufend beschnitten, ursprüngliche Größe wahrscheinlich wie die der Exemplare in Eisenach : 22,5 x 16 cm) Schlangensignet und Jahreszahl , links neben Luther Privatsammlung, Schweiz J OACH IM LIN CK
Sammelband mit Außlegung der Evangelien, Einband mit Lutherporträt, um 1530
Buchenholz, Leder, 22,5 x 16 cm Inh alt des Sammelband es: Martin Luth er: Außlegung der Evangelien [ ... ], Heinrich Steiner, Augsburg 1529; Martin Luth er: Der Proph et Jesaia Deutsch, Johannes Lu fft, Wittenberg 1528 Anhaltische Landesbücherei Dessa u, Wissenschaftliche Bibliothek und Sondersammlungen, lnv. Georg 1 577 Das Doppelbildnis Martin Luthers und Katharina von Boras zeigt das Paar im Dreivi ertel-
profil vor blauem Hintergrund. Nach ihrer Hochzeit im Jahr 1525 entstanden zah lreiche Diptychen, die die Eheschließung zwischen der ehemaligen Nonne und dem ehema ligen Mönch dokumentieren. ln Format und Darstellung se hr ähnliche Tafeln befinden sich heute unter anderem in Eisenach , Güstrow und Schleswig. Die in der Buchherstellung des 15 . Jahrhunderts gebräuchlichen Standardformate orientierten sich daran , wie viele Blätter ein Buchdrucker aus einem Bogen Papier gewinnen konnte . faltete man ei nen Pergamentoder Papierbogen ein erstes Mal , so erhielt man das Folioformat, es folgten Quart, Oktav und Sedez. Vergleicht man die Maße von Wittenberger Drucken und Büchern aus den 1 52oer-Jahren , so findet man vor allem das Folio-Format (um 35-37 x 21-24 cm) , das Quart-Format (um 20-23 x 14-16 cm) und das Oktav-Format (um 15-16 x 8,5-10,5 cm). Die Einbände der Bücher bestehen aus Buchenholztäfelchen, welche mit Schweinsoder Kalbsleder bezoge n wurden. Die genannten Papiermaße korrespondieren mit den za hlreichen kleineren Gemäldetafeln aus der Cranach-Werkstatt. Das hi er gezeigte Paar ist zeitnah zu dem von Joachim Linck geschaffenen Einband entstanden und
stimmt im Format mit diesem überein. Die enge Beziehung zwischen Buch- und Gemäldeherstellung wird darüber hinaus auch am von Joachim Linck geschaffenen Bildnis Luthers auf dem Einband sichtbar. Gerahmte gemalte Diptychen wurden traditionell mit Scharnieren verbunden und konnten entsprechend wie ein Buch verschlossen werden. Mit Porträts im Buchformat und Buchdeckeln mit Bildnissen kamen die Wirkungsfelder der Malerwerkstatt und der Buchbinder zur Überschneidung. TN Ausst.-Kat. Basel 1974/ 76, Bd. 2, 5. 503-504; Heydenreic h 2007a; ;
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159,160 LUCAS CRANACH D.
Ä.
Der hl. Hieronymus in einer Landschaft, um 1515
Malerei auf Hol z, 68 x 57,5 cm Schlangensignet, unten mittig Sammlung Perez Sim6n, Mexiko, lnv . 10633 Der hl. Hieronymus in einer Landschaft, um 1515
Malerei aufLindenholz, 51,2 x 37,6 cm Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, lnv. GG 565 Cranach realisierte nahezu identische Kompositionen in unterschiedlichen Formaten auf qualitativ hohem Niveau. Während er den HI. Hieronymus in einer Landschaft aus Mexiko auf einer individuell mit der Darstellung abgestimmten Tafel malte, nutzte er für die Berliner Fassung eine normierte Tafel. Mit der Ausführung auf dem vergleichsweise schmaleren Standardformat wurde die Darstellung deutlich gestreckt. Damit zwang der Maler sich, die Komposition mit zuvor definierten Grenzen der Bildfläche in Einklang zu bringen. Mit der zunehmenden Verwendung von Standardformaten in unterschiedlichen Größen ökonomisierte Cranach seine Bildproduktion . Die zentrale Darstellung zeigt den Heiligen als Verfasser der Vulgata. Der abgelegte Ornat weist ihn als Kardinal aus, während das ansonsten karge Umfeld sein Leben als Eremit betont: Ein Felsblock dient ihm als Sitzmöbel, den Tisch bildet e in über einen Baumstumpf und e inen weiteren Felsen gelegtes Brett. Seine nackten Füße, der lange Bart und das bis auf die Taille heruntergelassene Gewand verstärken diesen Eindruck. Die Darstellung zeigt im Hintergrund zwei weitere Szenen aus der Vita des Heiligen: Während links am Bildrand ein en miniature gemalter Hieronymus vor de.m Gekreuzigten Buße tut, treibt rechts der von ihm gezähmte Löwe eine Karawane zum von Hieronymus gegründeten Kloster. Mit diesem Detail nimmt Cranach Bezug auf e ine Erzählung, derzufolge Händle r einen Esel gestohlen hätten, der bis dahin unter dem Schutz des Löwen Brennholz geliefert habe. Als die Karawane eines Tages wieder vorbeizog und der Löwe den gestohlenen Esel erkannte, habe er die Kaufleute bis zur Klosterpforte getrieben und gezwungen, den Diebstahl zu gestehen. TN
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Heydenreich 2007d , S. 300-301; Ausst.-Kat. Fran kfurt am Main 2007b , Kat. 54; ;
DIE WER KSTATT DE S M A LERS
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Abb. 29 Heinri ch Vogtherr (?), An sicht von St. Gallen mit Leinwandrasenbleiche (Ausschnitt), , 549 . Fechter-Chronik 677a, 5. 43,, Stadtarchiv St. Gallen
Malerei auf weißer Leinwand
Deckengestaltungen
Cranach bezog die Leinwand für seine Gemälde aus Sachsen, Ulm und St. Gallen. Vor allem St. Gallen war für sein hochwertiges gebleichtes Leinen in ganz Mitteleuropa be rühmt. Ein Holzschnitt mit einer Ansicht aus dem Jahr 1549 (Abb . 29) zeigt lange weiße Stoffbahnen auf den Wiesen vor der Stadt. Das gewebte Tuch wurde zunächst mit einer Lauge vorbehandelt und gestampft, bevor es zum Bleichen ausgebreitet wurde. Für die Sonnenbleiehe mussten die Bahnen mithilfe von Eimern an langen Stangen gewässert werden. Nur beste Qualität wurde gesiegelt und verkauft. Gebleichte Leinwand eignet sich hervorragend als Bildträger, da sie nur mit einer dünnen weißen Grundierung versehen werden muss, um einen hellen Malgrund zu bilden. Vermutlich kam dies Cranachs ökonomischer Arbeitsweise entgegen . Wie häufig er gebleichte Leinwand verwendet hat, ist heute nicht mehr nachzuweisen, weil auch dieses Gewebe mit der Zeit nachdunkeln kann und nur wenige Gemälde überliefert sind. GH
Umfangreiche Deckenmalereien auf Leinwand sin d in den Wittenberger und Torgauer Schloss bauten anhand von Baurechnungen un d späteren lnventarverzeichnissen nachzuweisen. Im Schloss Hartenfels gestaltete die Cranach-Werkstatt mindestens 15 Räume auf diese Weise. Man bespannte ganze Decken oder inte grierte die Gemälde in die Balkendecken mit Bretterfüllungen. Neben den wiederh olt auftretenden Wappen, Schilden oder - so die Quellen - »Gewölke[n] mit Engelein« sind Darstellungen von Wasserjagde n, von Justitia und Temperantia sowie der Himmelfahrt Christi und der Höllenfahrt des Papstes (vgl. Kat. 163) belegt. Die Decken gemälde waren von Rahmenwerk und Rosetten eingefasst. Gelegentlich umgaben auf Putz gemalte Friese mit Grotesken oder Histo rien die Tücher ober- und unterhalb von Gesimsen. GH
Heydenreich 2008; Heydenreich u. a. 2008
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DIE WERKSTATT DES MALERS
161 LU CAS (RANACH D. Ä. UND WERKSTATT Christus und die Samariterin am Jakobsbrunnen, um 1552
Malerei auf Leinwand , 88,7 x 1 72 cm Schlangensignet mit angewinkelten Flügeln , links am Brunnenrand Inschrift, oben : »ABER ES KOMT DIE ZEIT VND IST SCHON JETZT DASZ DIE WAHRHAFTIGEN / ANBETER WERDEN DEN VATER. ANBETEN IM GEIST VND IN DER / WAHRHEIT JOHANN AM 1111 « Verein 1ooo Jahre Kronach e. V. , 9631 7 Kronach 1 552 berechnet Cranach »15 fl vor das tuch, das Christus pey dem weib peym brune stat «. Ob diese Abrechnung sich auf das vorliegende Gemälde bezieht, muss aufgrund der umfangreichen Bildproduktion offen bleiben . Der Evangelist Johannes schildert die Begegnung Jesu mit der Frau aus Samaria am Brunnen. Im Gespräch offenbart sich Ch ristus als Erlöser nicht nur der Juden, sondern al ler Menschen. Im Mittelgrund kehren die Apostel aus dem nahe gelegenen Sychar zurück, rechts die Frau, zusammen mit den Bewoh-
nern des Ortes. Die Darstellung des Brandopfers auf dem Berg links im Hintergrund nimmt Bezug auf die Frage der Frau, ob das Gebet an Jerusalem als hei ligen Ort gebunden sei. Die Antwort Jesu ()oh 4,23), die Cranach als Inschrift am oberen Bildrand wiedergibt, belegt den reformatorischen Anspruch, den »wahren Glauben« im Gegensatz zu den tradierten religiösen Gewohnheiten wiederzuentdecken. Bildträger ist ein Gewebe in Leinenbindung mit 19 bis 20 Fäden pro Quadratzentimeter. Es wurde mit Stärkekleister eingestrichen und erhielt eine sehr dünne Leim-Kleister-Kreide-Grundierung. Der Maischichtaufbau in Öltechnik entspricht einer Praxis, die in der Cranach-Werkstatt seit den 1 54oerJahren häufiger Anwendung fand: Die Komposition wurde erst in Grisaille, das heißt in Grautönen , angelegt, bevor die Ausmalung mit Buntpigmenten in deckenden und lasierenden Schichten erfolgte. Die Holztafelgemälde Predigt Johannes des Täufers ( 1 549, Braunschweig) und Bekehrung des Paulus (1549, Nürnberg) entstanden in gleicher Technik. Das Christusgewand ist mit einem
roten Farblack modelliert, dem Smalte zugemischt wurde. Dieses blaue zerstoßene Glas verlieh dem Farblack einen kühleren Ton und beschleunigte wahrscheinli ch die Trocknung der Ölfarbe. Die gleiche Praxis konnte zum Beispiel an dem Gemälde Venus und Adonis (um 1 560) von Tizian nachgewiesen werden, dem Cranach 1550/ 51 in Augsburg begegnete . Da das Gewebe nachgedunkelt ist und die Bildscricht zah lreiche kleine Fehlstellen aufweist, erscheint das Gemälde heute wesentlich dunkler als ursprünglich konzipiert . TN Au sst.- Kat . Kronach , 994, Nr. 2, 5; ßirkmaier u. a. , 995 , 5. , 23; Heydenreich 2007d , 5. , 58, 243 , 249; We ni ger 2014, 5. 262-265;
DIE WERKSTATT DES MALERS
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Verlorene Gemälde
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