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German Pages [387] Year 2018
Jan Gross
Pluralität als Herausforderung Die Leuenberger Konkordie als Vermittlungs modell reformatorischer Kirchen in Europa
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar, David Fergusson und Christiane Tietz
Band 162
Jan Gross
Pluralität als Herausforderung Die Leuenberger Konkordie als Vermittlungsmodell reformatorischer Kirchen in Europa
Vandenhoeck & Ruprecht
Die Arbeit wurde im Jahr 2017 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät, Fachbereich 01 der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation aufgenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-3253 ISBN 978-3-666-53127-9
Vorwort
Die vorliegende Arbeit entstand infolge meiner Eindrücke aus meiner ehrenamtlichen Mitarbeit als Delegierter des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes an der GEKE- Konsultation „ecclesia semper reformanda“. Die Zusammenarbeit innerhalb der Kirchengemeinschaft und zugleich die unterschiedlichen Zugänge zur Leuenberger Konkordie motivierten mich, das für die versöhnte Verschiedenheit der evangelischen Kirchen in Europa grundlegende und für die Ökumene bedeutende Dokument näher zu untersuchen. Hierzu bot mir das interdisziplinäre Graduiertenkolleg 1575 „Die christlichen Kirchen vor der Herausforderung ‚Europa‘“ einen hervorragenden Rahmen. Das Ergebnis meiner Untersuchungen ist nicht zuletzt einer Vielzahl an Personen und Institutionen zu verdanken, die mich mit Rat und Tat, durch Stipendien sowie den Zugang zu Literatur unterstützten. Meiner Doktormutter, Prof. Dr. Christiane Tietz (Zürich), danke ich für die Betreuung dieser Arbeit, für alle anregenden Gespräche, die den Fortschritt der Arbeit förderten, und die Erstellung des Erstgutachtens. Prof. Dr. Irene Dingel (Mainz) danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Ich danke der Theologischen Fakultät in Mainz für die Annahme dieser Arbeit als Dissertationsschrift und für die Verleihung des theologischen Doktorgrades. Dem Graduiertenkolleg 1575 und der DFG danke ich für die Gewährung eines dreijährigen Promotionsstipendiums sowie die großzügige Förderung der Drucklegung. Für das sechsmonatige Forschungsstipendium im Anschluss daran danke ich dem Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz. Mein Dank gilt auch der EKHN und dem Zentrum Ökumene in Frankfurt für die finanzielle Unterstützung meiner Teilnahme als Gast an der GEKE-Vollversammlung in Florenz 2012. Der GEKE Geschäftsstelle in Wien und insbesondere Prof. Dr. Martin Friedrich danke ich für die Gespräche, die Versorgung mit Unterlagen und die wertvollen Einblicke in die Arbeit der GEKE. Dem Institut für Ökumenische Forschung in Straßburg danke ich für die Gelegenheit, in der dortigen Bibliothek zu arbeiten. Ebenso danke ich dem Konfessionskundlichen Institut in Bensheim für die Nutzung der Bibliothek und des Archivs. Dem Verlag Vandenhoeck & Ru-
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Vorwort
precht danke ich für die Veröffentlichung dieser Arbeit in der Reihe „Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie“. Für die persönliche Unterstützung über die gesamte Zeit meiner Promotion danke ich an erster Stelle meiner Frau Rebecca Gross. Sie war mir nicht nur liebevolle und geduldige Gesprächspartnerin, sondern las auch die gesamte Arbeit Korrektur im ersten Durchgang. Ich danke meinen Eltern, Geschwistern und Freunden. PD Dr. Dr. Stefan Seit sowie dem Philosophischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz danke ich sehr herzlich für die stets offene Tür und die wertvollen gedanklichen Anstöße. Ich danke für anregende Gespräche (in alphabetischer Reihenfolge) Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Beintker, Prof. Dr. André Birmelé, Bischof Dr. Michael Bünker, Prof. Dr. Theodor Dieter, Dr. Wilhelm Hüffmeier, Prof. Dr. Elisabeth Parmentier, Prof. Dr. Christoph Schwöbel, Dr. h.c. Thomas Wipf und den vielen weiteren Gesprächspartnern, die die Entwicklung meiner Arbeit mit Interesse verfolgt haben. Es ist meine große Hoffnung, mit dieser Arbeit zu einem konstruktiven Verständnis der Leuenberger Konkordie als m. E. bislang fruchtbarstes ökumenisches Dokument beizutragen und den teils kontroversen Debatten eine die unterschiedlichen Perspektiven integrierende, anregende Gesamtschau zu bieten. Mainz, im Februar 2018
Jan Gross
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Die Leuenberger Konkordie – Einigungsdokument und Modell von Kirchengemeinschaft reformatorischer Kirchen in Europa . . . . . . .
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1. Der theologische Dialog im Vorfeld der Leuenberger Konkordie 1.1 Die Gespräche von 1955 bis 1960 . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Bad Schauenburger Gespräche von 1964 bis 1967 . . . . 1.3 Die Leuenberger Gespräche und die Skizze einer Konkordie . 1.4 Die Formulierung der Leuenberger Konkordie . . . . . . . . 1.5 Zusammenfassung der historischen Entstehungsschritte . . .
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2. Aufbau und inhaltliche Ausrichtung der Leuenberger Konkordie . . .
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3. Das Konzept von Kirchengemeinschaft der Leuenberger Konkordie – Eine Leitinterpretation in vier Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Hinleitung zur Problemstellung . . 2. Problemanalyse und Fragestellung . 3. Leitende Thesen der Untersuchung 4. Methode und Vorgehensweise . . . 5. Forschungsstand . . . . . . . . . . .
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4. Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut der Leuenberger Konkordie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Kirche als Heils- und Zeugnisgemeinschaft im heilsgeschichtlichen Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
4.2 Die Konsensmethode der Konkordie als Interpretation des Augsburgischen Bekenntnisses, Artikel VII . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Der methodische Rahmen: Die Aufnahme der reformatorischen Kriterien durch die Konkordie . . . . . . . 4.2.2 Die Definition des hermeneutischen Kriteriums für die reine Verkündigung des Evangeliums und die rechte Verwaltung der Sakramente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.1 Das Evangelium als Ursprung der reformatorischen Glaubensgewissheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.2 Die Glaubensgewissheit über das Evangelium . . . . . 4.2.2.3 Das Evangelium von der freien Gnade Gottes als hermeneutisches Regulativ kirchlicher Lehre . . . . . 4.2.2.4 Das Verhältnis von Evangelium, Glaubensgewissheit und ihren Explikationsformen – eine Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Der Umfang des für die Erklärung von Kirchengemeinschaft notwendigen Konsenses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Die Unterscheidung zwischen dem grundlegenden Zeugnis und den geschichtlich bedingten Denkformen – Die Art des Konsenses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.1 Das gemeinsame Verständnis des Evangeliums . . . . 4.2.4.2 Die Entkräftigung der Lehrverurteilungen . . . . . . . 4.2.4.3 Die Art des Konsenses und die Grundlage der Kirchengemeinschaft (systematisierende Zusammenfassung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Verständnis und Modell von Kirchengemeinschaft . . . . . . . . . 4.3.1 Die zweifache Bestimmung von Kirchengemeinschaft als proiectum und processus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Der Aspekt der Erklärung von Kirchengemeinschaft . . . . . 4.3.3 Der Aspekt der Verwirklichung von Kirchengemeinschaft . . 4.3.3.1 Die Verwirklichung von Kirchengemeinschaft in Zeugnis und Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3.2 Die Bedeutung der Lehrgespräche . . . . . . . . . . . 4.3.4 Konsequenzen aus der Erklärung und Verwirklichung von Kirchengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4.1 Organisatorische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . 4.3.4.2 Die Bedeutung der gesamtkirchlichen Ökumene . . .
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Inhalt
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5. Systematisierende Zusammenfassung zum Leuenberger Konzept von Kirchengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Die Ekklesiologiestudie „Die Kirche Jesu Christi“ – Interpretation und Entfaltung des Leuenberger Modells . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Kirchengemeinschaft als Verwirklichungsprozess. Eine Kontextualisierung der Ekklesiologiestudie . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Von der Leuenberger Konkordie zur Ekklesiologiestudie . . . . . 1.2 Zentrale Wegpunkte der Kirchengemeinschaft seit der Ekklesiologiestudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie durch die Ekklesiologiestudie . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Aufbau und inhaltliche Schwerpunkte der Ekklesiologiestudie . . 2.2 Die Entfaltung des ekklesiologischen Theorems der Leuenberger Konkordie als Grundlage der Interpretation ihrer ökumenischen Hermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus als der Grund von Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Die Gestalt von Kirche als Zeugnis ihres Grundes . . . . . . 2.2.2.1 Die Kirche als Leib Christi . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.2 Das Verhältnis zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.3 Die Wesenseigenschaften der geglaubten Kirche als Vorgabe für die sichtbaren Kirchen . . . . . . . . . . 2.2.2.4 Die Kennzeichen wahrer Kirche – Maßstab menschlicher Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . 2.2.2.5 Die Differenzierung der Kennzeichen wahrer Kirche mithilfe der Kennzeichen erfahrbarer Kirche . . . . . 2.2.3 Die Bestimmung von Kirche und der Auftrag der Christen . 2.2.4 Zusammenfassung. Die Unterscheidung von Grund, Gestalt und Bestimmung als ekklesiologische Hauptthese und Basis des hermeneutischen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die Einigung von Kirchen und das Verständnis von Kirchengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Das gemeinsame Kriterium für die Einheit der Kirche . . . . 2.3.2 Das Handeln Gottes als Ermöglichungsgrund gegenseitiger Anerkennung als wahre Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
2.3.3 Der Charakter der Übereinstimmung als „doppelschichtiger Grundkonsens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Kirchengemeinschaft als vorgegebene Einheit und sich entfaltender Einigungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie durch die Ekklesiologiestudie (systematisierende Zusammenfassung) . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Gegenüberstellung der Interpretation der vorliegenden Untersuchung und der Interpretation der Kirchenstudie und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das Leuenberger Modell von Kirchengemeinschaft im ökumenischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kritik am evangelischen Modell von Kirchengemeinschaft . . . . . . . 1.1 Zentrale Kritikpunkte am Modell der Leuenberger Konkordie . . . 1.1.1 Die Mehrdeutigkeit der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1.1 Die Interpretation von CA VII als Unterscheidung zwischen fides iustificans und fides dogmatica und ihre Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1.2 Die Interpretation von CA VII als Unterscheidung zwischen theologischer Grunderkenntnis und Kirchenordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Weitere Kritikpunkte an der Leuenberger Konkordie . . . . 1.2 Zentrale Kritikpunkte an der Interpretation des Leuenberger Modells durch die Kirchenstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Die Unterscheidung und Zuordnung von Grund und Gestalt 1.2.1.1 Das opus Dei und das opus hominum im Verhältnis „wesensmäßiger Asymmetrie“ . . . . . . . . . . . . . 1.2.1.2 Das opus Dei und das opus hominum im Verhältnis der Unterscheidung und Identität . . . . . . . . . . . 1.2.2 Das Einheitsverständnis – sichtbare Einheit als bleibende Verschiedenheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Die Zuordnung des Amtes zum Grund oder zur Gestalt . . . 1.2.4 Die ökumenische Offenheit des Leuenberger Modells . . . . 1.3 Zusammenfassung und Auswertung der Kritik . . . . . . . . . . .
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Inhalt
2. Die begriffliche Identifizierung von Modell und Methode im ökumenischen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Das Leuenberger Modell – Kirchengemeinschaft als „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Entstehung und Bedeutung des Konzeptes der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Die Mehrdeutigkeit des Konzeptes der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ und seine Kritik . . . . . . . . 2.2 Die begriffliche Identifizierung der Methode der Leuenberger Konkordie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Der Gedanke eines ökumenischen Grundkonsenses . . . . 2.2.1.1 Das Verständnis vom Grundkonsens und seinem Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.2 Der differenzierte Konsens als eine Form des Grundkonsenses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.3 Der referentielle Konsens – evangelisches Proprium oder Aspekt jedes differenzierten Konsenses? . . . . 2.2.1.4 Die mehrdeutige Lesart des differenzierten Konsenses und seine Kritik . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Der Begriff der Grunddifferenz . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Zusammenfassung und Auswertung der Betrachtungen zur begrifflichen Identifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Gegenüberstellung der Betrachtungen zum ökumenischen Diskurs und der Interpretation durch die vorliegende Untersuchung . . . . .
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Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Kirchenamtliche und kirchenoffizielle Dokumente sowie Dokumente der bi- und multilateralen Ökumene (ausgenommen Dokumente der Leuenberger Kirchengemeinschaft/GEKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
1.2
Veröffentlichungen aus den Gesprächsphasen, die zur Leuenberger Konkordie führten, die Leuenberger Konkordie, Veröffentlichungen der Leuenberger Kirchengemeinschaft/GEKE und unveröffentlichte Referate aus Lehrgesprächen der Leuenberger Kirchengemeinschaft/GEKE . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Weitere Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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361 365 366 385
Einleitung
1.
Hinleitung zur Problemstellung We now need a new culture of cooperation that goes beyond traditional geographical, political and religious boundaries. The ecumenical concept of „reconciled diversity“ is an excellent source of inspiration for developing such a culture.1
Mit dem Begriff der „reconciled diversity“ greift der frühere Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Durão Barroso, ein ökumenisch-theologisches Konzept zum Umgang mit Pluralität auf. Dieses Konzept, das er hier verkürzt zitiert, ist in der Formel „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ nicht nur leitend für die kirchlichen Einigungsbemühungen. Auch für den Weg hin zu einem geeinten Europa wird mit diesem Begriff eine Vision verbunden. So nennt ihn Barroso in seiner Rede im Mai 2008 auf dem Katholikentag in Osnabrück eine „herausragende Inspirationsquelle für den europäischen Integrationsprozess“2. Der ursprünglich dem kirchlichen Kontext entstammende Leitgedanke zum Umgang mit Pluralität wird dabei auf die ebenfalls von Pluralität geprägte Situation in Europa übertragen. Das originär ökumenisch-theologische Konzept soll Vorbild sein für die Zielvorstellung von einer „neuen Kultur der Zusammenarbeit“, die bisherige Grenzen zwischen den Menschen und Völkern Europas überwinden soll.3 Doch nicht erst diese Rede Barrosos führt den Vorbild1 Barroso, José Manuel Durão, The future mission of the EU – without justice and solidarity no peace, 23. 05. 2008, (http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-08–264_en.htm?locale= en). 2 Bereits ein knappes Jahr zuvor, am 6. September 2007, betont er auf der Dritten Ökumenischen Europäischen Versammlung in Sibiu die große Bedeutung des kirchlichen Engagements für den europäischen Integrationsprozess. Vgl. Barroso, José Manuel Durão, La diversité réconciliée dans une Europe unifiée, pdf S. 2 u. 6 (http://europa.eu/rapid/press-release_SPE ECH-07–509_fr.htm). 3 Von der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ als einem „identitätsstiftenden Gedanken für die Zukunft der Kulturen, Völker und Staaten Europas“ spricht auch Beintker, Michael, Europa als unabgegoltene Idee. Ekklesiologisch orientierte Beobachtungen und Reflexionen, in: ZThK 111 (2014), 56–75; 64. Vgl. hierzu ferner Steinmeier, Frank-Walter, Versöhnte
14
Einleitung
charakter des ökumenischen Konzeptes vor Augen. Bereits das im Jahr 2000 verabschiedete Europa-Motto „in Vielfalt geeint“ zeugt von der Aufnahme von dessen gedanklicher Struktur in das politische Konzept Europas.4 Die Formel wird zwar im Zusammenhang mit dem europäischen Integrationsprozess bemüht, ihre inhaltliche Bestimmung ist jedoch unklar und wird bereits im kirchlichen Diskurs kontrovers beurteilt.5 Die Übertragung der Wendung aus dem theologischen Kontext auf die politische Ebene birgt deshalb die Gefahr der Aufnahme einer bloßen Worthülse, die einer integrativen Kraft entbehrt, solange sie nicht inhaltlich bestimmt wird. Obwohl der Gedanke einer „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ kein Novum des 20. Jahrhunderts ist, wurde er erst ausgehend von dem Impuls der „Einheitserklärung“ auf der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Neu-Delhi 1961 im ökumenischen Kontext als strukturelle Zielvorstellung entwickelt.6 Unbeantwortet blieb dabei jedoch die Frage nach ihrer Verwirklichung und somit das ökumenische Grundproblem schlechthin: Wie sollte die Pluralität unterschiedlich geprägter und „sichtbar voneinander getrennter Konfessionskirchen und Denominationen zusammengeführt werden
Verschiedenheit – eine evangelische Wegweisung für Europa“, in: epdD 13 (2013), 7–11. Steinmeier bezeichnet die LK, an die das Konzept der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ anknüpft, als „Wegweisung für Europa und über Europa hinaus“ (a. a. O., 11). Zurückhaltender äußert sich hingegen Friedrich Weber über den Vorbildcharakter des ökumenischen Konzeptes für den europäischen Integrationsprozess: „Das Konzept […] unterscheidet sich erheblich vom Konzept der EU einer Einheit in Vielfalt, da es für die Vielfalt der Gemeinschaft einen notwendigen gemeinsamen Grundkonsens voraussetzt“ (Weber, Friedrich, 40 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft. Bilanz und Perspektiven, in: Cath[M] 67 [2013], 161–178; 174). Der Skepsis Webers kann jedoch entgegnet werden, dass die Diskussion „europäischer Grundwerte“ nicht abgeschlossen ist und somit das einigende Potential eines „Grundkonsenses“ auch auf politischer Ebene nicht verkannt wird. 4 Abweichend von dem spezifisch theologischen Inhalt des Ökumenemodells soll das Europamotto zum Ausdruck bringen, „dass sich die Europäer in der EU zusammengeschlossen haben, um sich gemeinsam für Frieden und Wohlstand einzusetzen, und dass gleichzeitig die vielen verschiedenen europäischen Kulturen, Traditionen und Sprachen den gesamten Kontinent bereichern“ (http://europa.eu/about-eu/basic-information/symbols/motto/index_de. htm). Der Gedanke einer Einheit in der Vielfalt ist darüber hinaus in einer Vielzahl theologischer und philosophischer Quellen, insbesondere der Metaphysik, wiederzufinden. Vgl. hierzu u. a. Habermas, Jürgen, Die Einheit der Vernunft in der Vielfalt ihrer Stimmen, in: ders., Philosophische Texte, Bd. 5 (Kritik der Vernunft), Frankfurt a.M. 2009, 117–154. 5 Burkhard Neumann bezeichnet den Begriff etwa als eine bloße „formale Rahmenbedingung von Kircheneinheit“ (Neumann, Burkhard, Leuenberg als ökumenisches Modell? Katholische Anfragen und Überlegungen, in: Cath[M] 67 [2013], 179–192; 181). 6 Vgl. Visser ’t Hooft, Willem Adolph [Hg.], Neu-Delhi 1961, Dokumentarbericht über die dritte Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen, Stuttgart 21962, 130. Noch deutlich weniger entfaltet war die Formel „Unity in diversity“ bereits in den konfessionsübergreifend agierenden Studentenbewegungen im 19. Jahrhundert das Leitmotiv. Vgl. Weber, Friedrich, 40 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft, 165.
Hinleitung zur Problemstellung
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zur gesuchten sichtbaren Einheit“7? Exemplarisch konkretisiert und realisiert wurde die ökumenische Formel zuerst 1973 in einem spezifisch evangelischen Ökumenemodell reformatorischer Kirchen in Europa, der Leuenberger Konkordie.8 Die Konkordie ist somit eine herausragende Quelle, wenn die Wendung der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ inhaltlich bestimmt werden soll. Im Vorfeld der Konkordie sahen sich die evangelischen Kirchen in Europa in der Mitte des 20. Jahrhunderts vor einer doppelten Herausforderung. Sowohl die in ihren Glaubensbekenntnissen bekannte Einheit von Kirche als auch das konkrete Umfeld der Kirchen, das zunehmend eine Einheit bildende Europa, wirkten sich als Herausforderung zu sichtbarer Einheit und einer gemeinsamen Stimme auf die evangelischen Kirchen aus.9 Dabei stieß diese Herausforderung auf eine hochgradige Partikularisierung des Protestantismus sowohl auf rechtlicher als auch auf theologischer Ebene. Die evangelischen Kirchen sahen sich dazu herausgefordert, diese Partikularisierung und Pluralität als Einheit zu denken, ohne jedoch ihre in den Bekenntnissen fixierten Glaubensaussagen abzuschwächen und damit ihre konfessionelle Identität aufzugeben. Theologisch betrachtet standen die Kirchen dabei in einem Spannungsfeld zwischen der Einheit, die sie bekennen als die „durch Gottes Heilshandeln begründete Ge7 Weber, Friedrich, 40 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft, 166. 8 Vgl. Meyer, Harding, Versöhnte Verschiedenheit. Aufsätze zur ökumenischen Theologie, Bd. 1, Frankfurt a.M./Paderborn 1998, 109. Vgl. das Diskussionspapier der zwei Genfer Konsultationen der Konfessionellen Weltbünde 1974, gekürzt abgedruckt in: Gassmann, Günther/ Meyer, Harding (Hg.), Die Einheit der Kirche. Voraussetzungen und Gestalt, LWB-Report 15, Juni 1983, LWB, Genf/Stuttgart 1983, 29–34; 31, §24. 9 Die Herausforderung durch Europa wird umso deutlicher einerseits angesichts der Tatsache, dass evangelische Christen mit maximal 15 % in Brutto eine Minderheit in Europa bilden – in manchen Ländern sogar nur 1 % der Bevölkerung – während etwa 50 % der Europäer Mitglied der römisch-katholischen Kirche sind. Andererseits führt das evangelische Selbstverständnis zu einer Vielzahl an Stimmen legitimer Repräsentanten der einzelnen Kirchen, sodass Vertreter des europäischen Parlaments, wenn sie die Haltung der evangelischen Christen in Europa zu einem bestimmten Thema in Erfahrung bringen wollten, mehr als 100 Kirchenleitungen zu befragen hätten. Vgl. Beintker, Michael, Europa als unabgegoltene Idee, 67f. Zu den Zahlenangaben vgl. Dill, Ricarda, Art. Europa, in: EStL, 2006, 473–486; 483. Vgl. ferner Hüffmeier, Wilhelm, „Ein schlafender Riese“?, in: Hüffmeier, Wilhelm (Hg.), Solo Verbo, (FS Bischof Hans Christian Knuth), Kiel 2008, 604–621; 615. Die Herausforderung durch die Vielfalt der evangelischen Konfessionen ist in sich doppelschichtig: Erstens sind die evangelischen Kirchen zur Herausstellung einer „evangelischen Katholizität“, ihrer Einheit in der Vielfalt ihrer Bekenntnisse, herausgefordert. Zweitens ist mit dem Bekenntnis zur Einheit bereits die Notwendigkeit des ökumenischen Dialogs über den innerevangelischen Kontext hinaus veranlagt (vgl. hierzu Bünker, Michael/Friedrich, Martin [Hg.], Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa [Leuenberger Konkordie], Neuausgabe der Ausgabe von 1993, Leipzig 2013, Artikel 46 u. 49). Aus der Leuenberger Konkordie wird im Folgenden zitiert unter Angabe der Artikelnummer und ggf. des Satzes. „LK“ steht für Leuenberger Konkordie, die darauffolgende Zahl markiert die Artikelnummer. Bei Art. 8 a)–12 e) sowie 31 a)–33 c) wird die Artikelnummer unter Auslassung der Buchstaben genannt.
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Einleitung
meinschaft der Menschen mit Gott“10, und der Pluralität bzw. Partikularisierung der kirchlichen Konkretisierungen dieser Einheit in den institutionellen Gestalten von Kirche, die der glaubhaften Bezeugung der Einheit dienen sollen. Darüber hinaus waren die Kirchen durch gegenseitige Lehrverurteilungen in ihren Bekenntnissen voneinander getrennt, was es zu entkräften galt. Dieser enormen Herausforderung begegneten reformierte, lutherische, unierte und weitere reformatorische Kirchen Europas mit der Erarbeitung der Leuenberger Konkordie, die versöhnend vermittelt zwischen einer Pluralität, die ehemals durch Grenzziehungen und gegenseitige Lehrverurteilungen bestimmt ist, und einer bezeugten und gewünschten Einheit. Mitten im Kalten Krieg, im Jahr 1973, wurde die finale Version des Einheitsmodells der Leuenberger Konkordie formuliert. Bereits zu Beginn umfasste das Modell auch lutherische Kirchen des Baltikums sowie lutherische und reformierte Kirchen Südosteuropas. Die ökumenischen Bemühungen griffen folglich über die damaligen Blockgrenzen hinweg und reichten weit über die damaligen Grenzen der europäischen Staatengemeinschaft hinaus.11 Diese erweiterte Versöhnungsleistung der Konkordie führte dazu, dass sie von vornherein auch für den politischen Kontext von großer Bedeutung war. Die theologische Besonderheit des Modells besteht darin, dass auf Basis der gemeinsamen Interpretation eines originär protestantischen Gedankenguts nach rund 450 Jahren der Trennung erstmals Kirchengemeinschaft unter weiterhin an ihrer konfessionellen Identität festhaltenden Kirchen erklärt wird. Versöhnung wird dabei nicht als einmaliger Akt verstanden. Vielmehr verpflichten sich die Kirchen mit der Erklärung von Kirchengemeinschaft durch die Unterzeichnung der Konkordie zu fortwährender Verwirklichung dieser Kirchengemeinschaft als versöhnte Gemeinschaft. Sowohl die politische als auch die theologische Bedeutsamkeit der Konkordie bestätigten sich in diesem Verwirklichungsprozess. So führte die in der Konkordie angelegte Verpflichtung zur Verwirklichung der erklärten Kirchengemeinschaft zur Entstehung der „Leuenberger Kirchengemeinschaft“, seit 2003 „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ (GEKE) genannt. Diese versteht sich selbst als „wichtigste Vertretung des europäischen Protestantismus mit dem Anspruch, die Zukunft unseres Kontinents mitzugestalten“12, und umfasst 10 Hintzen, Georg, Verwirklichungen kirchlicher Einheit unter reformatorischen Kirchen, in: ders./Thönissen, Wolfgang (Hg.), Kirchengemeinschaft möglich?, 17–72; 63. 11 Vgl. Seils, Martin, Zwanzig Jahre Leuenberger Konkordie, in: Zeichen der Zeit, 47 (1993), 109–112; 111. Die Unterwanderung der „bis 1989 herrschenden Systemgegensätze“ (Beintker, Michael, Europa als unabgegoltene Idee, 58) in Europa während der Zeit des Ost-WestKonfliktes war eine besondere Herausforderung und Leistung der damaligen ÖkumeneBemühungen sowohl der Leuenberger Kirchengemeinschaft als auch der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK). Vgl. ebd. Vgl. ferner Greschat, Martin, Der Beitrag des Protestantismus zur Einigung Europas nach 1945. 12 Friedrich, Martin, 30 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft. Was die Leuenberger
Hinleitung zur Problemstellung
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mittlerweile den überwiegenden Teil der reformatorischen Kirchen in Europa. Das theologische Modell der Konkordie ist also die Grundlage der evangelischen Kirchen, um „auf der europäischen Ebene als eine eigenständige Größe wahrgenommen zu werden“13 in einem Europa, das auch politischer und gesellschaftlicher Gestaltungs- und Handlungsraum ist.14 Über ihren Anspruch, gemeinsame Stimme reformatorischer Kirchen in Europa zu sein, besitzt die GEKE neben ihrem grundlegend theologischen Charakter also auch den Charakter einer politischen Interessengruppe.15 Mit diesem so formulierten Anspruch wird derjenige Charakterzug des Leuenberger Modells betont, der über die ursprüngliche Ausrichtung auf die theologische Versöhnung hinausreicht und insbesondere mit dem Fall des Eisernen Vorhangs Europa als Ebene der gemeinsamen Verantwortung gegenüber dem Evangelium hervorhebt.16 Die Kon-
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Konkordie bewirkt hat, in: Hüffmeier, Wilhelm/Hahn, Udo (Hg.), Evangelisch in Europa. 30 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft, Frankfurt a.M. 2003, 67–114; 67. Beintker, Michael, Europa als unabgegoltene Idee, 65. Vgl. das Lehrgesprächsergebnis „Gestalt und Gestaltung protestantischer Kirchen in einem sich verändernden Europa“ (2006), in: Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten – Evangelisches Profil in Europa. Texte der 6. Vollversammlung der GEKE – Leuenberger Kirchengemeinschaft – in Budapest, 12.–18. September 2006, Frankfurt a.M. 2007, 43–75; 61: „Die GEKE muss sich vom Grund, Auftrag und Wesen einer Kirche Jesu Christi her in ihrem Reden und Handeln auf den geographischen, politischen und gesellschaftlichen Kontext beziehen, in dem sie existiert“. Vgl. die bereits in LK 29 formulierte Zielsetzung, „eine möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst an der Welt“ zu erstreben. Vgl. zu dem Anliegen der gemeinsamen Stimme u. a. Noll, Rüdiger, Mit einer Stimme gegenüber den europäischen Institutionen sprechen?!, in: Flügge, Thomas (Hg.), Wo Gottes Wort ist: Die gesellschaftliche Relevanz von Kirchen in der pluralen Welt, (FS Thomas Wipf), Zürich 2010, 249–259. Zur europäischen Ausrichtung der Gemeinschaft vgl. auch die bereits 1992 veranstaltete erste Europäische Evangelische Versammlung „Christliche Verantwortung für Europa“, vgl. hierzu epdD 17 (1992) (Folge 1) u. epdD 23 (1992) (Folge 2). Zur Analyse der kirchlichen Interessenvertretung in Brüssel vgl. Böllmann, Friederike, Organisation und Legitimation der Interessen von Religionsgemeinschaften in der europäischen politischen Öffentlichkeit. Vgl. die wesentlichen Einflussfaktoren auf die Gespräche, die zum Abschluss der Leuenberger Konkordie führten. Zu nennen sind hierzu neben den vielen anderen nationalen Gesprächen u. a. die Synode zu Halle 1937, die Arnoldshainer Abendmahlsthesen 1957 und die Thesen zur Kirchengemeinschaft 1970, aber auch auf internationaler ökumenischer Ebene die Vollversammlung des ÖRK in Lund 1952. Vgl. hierzu Kap. A 1 der vorliegenden Untersuchung. Vgl. ferner Seils, Martin, Zwanzig Jahre Leuenberger Konkordie, 111f: „Daß die reformatorischen Kirchen im weitergehenden Prozeß europäischer Einigungsbestrebungen bereits in der Leuenberger Konkordie zusammengeschlossen sind und sich zu gemeinsamem Zeugnis, Dienst und Lehrgesprächen verpflichtet wissen, ist ein nicht ausdrücklich beabsichtigtes, aber nun ziemlich wichtiges Ergebnis der Konkordie, die 1973 entstand“. Das anfängliche Zurückhalten der Kirchen aus der Politik wird auch sichtbar am Scheitern der „Ökumenischen Kommission für europäische Zusammenarbeit“ in den 1950er bis 1970er Jahren. Die Kirchen „blieben durchweg gleichgültig gegenüber der sich rasch verändernden Situation in Westeuropa“ (Greschat, Martin, Der Beitrag des Protestantismus zur Einigung Europas nach 1945, in: Pastoraltheol. 87 [1998], 86–104; 94).
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Einleitung
kordie dient demnach auch als Grundlage für das gemeinsame öffentliche Zeugnis von der geglaubten Einheit, die Grenzen überwindet. Sie ist darüber hinaus Basis für den kirchlichen Dienst am Menschen im politischen Raum. Entsprechend formuliert die Kirchengemeinschaft in ihrem bislang bedeutendsten Lehrgesprächsergebnis, der 1995 veröffentlichten Ekklesiologiestudie „Die Kirche Jesu Christi“17: Verantwortung kann in einer multikulturellen Gesellschaft nicht isoliert wahrgenommen werden. Daraus ergibt sich für die Kirchen die Notwendigkeit, in der Kraft desselben Ursprungs und desselben Auftrags in derselben Welt zu kooperieren. Zu solchem gemeinsamen Zeugnis und Dienst haben sich die Kirchen, die die Leuenberger Konkordie als Ausdruck des Willens zur Kirchengemeinschaft unterzeichnet haben (LK 35 und LK 36), verpflichtet.18
Folglich ist die Bedeutung der Leuenberger Konkordie für den europäischen Versöhnungs- und Integrationsprozess sowie die gemeinsame Sprachfähigkeit evangelischer Kirchen als wichtige zivilgesellschaftliche Institutionen nicht zu unterschätzen.19 Zugleich bleibt die Wirkung des Modells nicht auf den europäischen Kontext beschränkt, wie es mit der Betonung des Attributs der Katholizität der Kirche, „mit dem gerade globale Grenzüberschreitung statt kon17 Zur Charakterisierung als bislang bedeutendstes Lehrgesprächsergebnis vgl. das Geleitwort der Herausgeber in: Bünker, Michael/Friedrich, Martin (Hg.), Die Kirche Jesu Christi, (Leuenberger Texte 1), Leipzig 42012, 9–15; 9–11. Aus der Kirchenstudie wird folgend zitiert unter Angabe der Kapitelnummer (falls vorhanden) und der Seitenangabe. „KJC“ steht für „Die Kirche Jesu Christi“, die darauffolgende Zahl, eingeleitet durch eine römische Ziffer, markiert die Kapitelnummer, dann folgt die Seitenangabe. Abweichende Ausgaben der Studie mit zusätzlicher Jahresangabe. Der Reihentitel „Leuenberger Texte“ wird im Folgenden abgekürzt als „LT“. 18 KJC, Einleitung, 26–30; 27. Vgl. auch die Bitte der Europäischen Evangelischen Versammlung an die Leuenberger Kirchengemeinschaft, „der Verpflichtung der evangelischen Kirchen zu gemeinsamem Zeugnis und Dienst mehr als bisher Ausdruck zu geben“ (Europäischen Evangelischen Versammlung, Beschluss über die Nacharbeit, in: epdD, 17 [1992], 5–35; 5). 19 Walter Kasper schildert die essentielle Bedeutung des Christentums insgesamt für den Integrationsprozess Europas als „geistlichen Kitt“, ohne den „Europa nicht wieder zusammenwachsen [kann]“ (Kasper, Walter, Ökumene und die Einheit Europas, in: Augustin, George/Krämer, Klaus [Hg.], Walter Kasper. Gesammelte Schriften, Bd. 14 [Wege zur Einheit der Christen], 667–684; 677). Vgl. auch das Lehrgespräch „Gestalt und Gestaltung protestantischer Kirchen in einem sich verändernden Europa“, in: Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 43–75; 62f. 67. Vgl. ferner Losansky, Sylvia, Öffentliche Kirche für Europa. Eine Studie zum Beitrag der christlichen Kirchen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in Europa, Leipzig 2010; Schreiber, Monica, Kirche und Europa. Protestantische Ekklesiologie im Horizont europäischer Zivilgesellschaft, (Praktische Theologie im Wissenschaftsdiskurs 12), Berlin u. a. 2012. Einen guten Einblick in das Verhältnis Evangelischer Kirchen und Europa bieten auch Luibl, Hans Jürgen u. a. (Hg.), Unterwegs nach Europa. Perspektiven evangelischer Kirchen. Frankfurt a.M. 22001 und Friedrich, Martin u. a. (Hg.), Theologie für Europa. Perspektiven evangelischer Kirchen, Frankfurt a.M. 2006.
Problemanalyse und Fragestellung
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tinentaler Identitätsvergewisserung angezeigt wird“20, in der Kirchenstudie bekräftigt wird.21 So gilt die Konkordie im ökumenischen Kontext als das wohl bislang erfolgreichste Ökumenemodell mit Vorbildcharakter für viele weitere ökumenische Einigungen, so zum Beispiel die 1997 in den USA verabschiedete „Formula of Agreement“ oder die 2006 verabschiedete „Amman-Erklärung“ der Kirchen im Nahen Osten, aber auch für den Dialog mit der römisch-katholischen Kirche.22
2.
Problemanalyse und Fragestellung
Die Formel der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ muss inhaltlich geklärt werden, wenn sie in der theologischen Diskussion, aber auch auf politischer Ebene als gemeinsame Leitidee fruchtbar sein soll. Hierzu wird in dieser Arbeit die Leuenberger Konkordie als paradigmatische Realisierung der ökumenischen Wendung untersucht. Dabei zeigt sich, dass das Konsensmodell der Leuenberger Konkordie ungeachtet des großen Zuspruchs, den es sowohl innerkirchlich als auch von Seiten der Politik erfährt, noch 40 Jahre nach seiner Entstehung unterschiedlich gedeutet wird. Die inhaltliche Offenheit der leitenden Ökumeneformel spiegelt sich folglich in der Vielfalt der Interpretationen ihrer Quelle wider. Auch die nachträgliche Interpretation der Konkordie durch die Leuen20 Beintker, Michael, Europa als unabgegoltene Idee, 57. 21 Katholizität ist hier zu verstehen im Sinne von allumfassend, nicht im konfessionellen Sinne. Vgl. KJC, I.2.3, 37f. Die Übertragung des Leuenberger Modells in andere Kontexte wird bereits in der LK als Hoffnung formuliert (LK 49). 22 Vgl. Scharbau, Friedrich-Otto, Leuenberg. Theologische und kirchenrechtliche Folgerungen, in: ZevKR 40 (1995), 320–344. Vgl. ferner Koslowski, Jutta, Die Einheit der Kirche in der ökumenischen Diskussion. Zielvorstellungen kirchlicher Einheit im katholisch-evangelischen Dialog, (Studien zur systematischen Theologie und Ethik 52), Münster 2008, 169. Positiv gewürdigt wird die Konkordie insbesondere mit Blick auf die sichtbaren Ergebnisse, zu denen die Anwendung des Modells geführt habe (vgl. u. a. Schwöbel, Christoph, Gottes Ökumene. Über das Verhältnis von Kirchengemeinschaft und Gottesverständnis, in: Härle, Wilfried u. a. [Hg.], Befreiende Wahrheit, [FS Eilert Herms], Marburg 2000, 449–466; 462; Meyer, Harding, Ökumenische Zielvorstellungen, [BenshH 78/Ökumenische Studienhefte 4], Göttingen 1996, 129). Auf Basis der 2006 verabschiedeten „Amman-Erklärung“ gründete sich die „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen im Nahen Osten“ (Fellowship of Middle East Evangelical Churches, FMEEC). Zum Vorbildcharakter für katholische Überlegungen vgl. Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft, in: ders./Hintzen, Georg, Kirchengemeinschaft möglich?, 127–136; 130: „Wenn es überhaupt eine Gestalt der Einheit der Kirchen gibt, dann ist es die Kirchengemeinschaft. Kirchengemeinschaft bedeutet: Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft auf der Grundlage einer weitgehenden Übereinstimmung im Verständnis von Rechtfertigung und Kirche. […] Dieses aus der lutherischen und reformierten Tradition hervorgegangene Modell der Kirchengemeinschaft, das in der Leuenberger Konkordie erklärt und praktiziert wurde, ist dabei Vorbild auch für katholische Überlegungen“ (Herv. v. J.G.).
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Einleitung
berger Kirchengemeinschaft in ihrer Ekklesiologiestudie führte weder zu einer einheitlichen Rezeption der Methode, noch zu einem homogenen Verständnis des Modells. So variieren die Interpretationen der im Modell wirksamen Konsensmethode sowohl innerevangelisch als auch im weiteren ökumenischen Diskurs und evozieren somit den Eindruck, es bestehe eine Kontroverse über die Konkordie insgesamt.23 Im Zentrum der Kontroverse steht die inhaltliche Deutung der für den Konsens tragenden Verhältnisbestimmung zwischen dem zur Einheit der Kirche Notwendigen und dem nicht-Notwendigen sowie das darin reflektierte Verhältnis von Glaubensgewissheit, der fides qua, und Explikation des Glaubens, der fides quae. Das Gespräch zwischen der Leuenberger Kirchengemeinschaft und den Anglikanern und Orthodoxen, aber auch der im Jahr 2013 aufgenommene Dialog mit der römisch-katholischen Kirche machten erneut darauf aufmerksam, dass unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten der Konkordie und deren Deutung durch die Kirchenstudie möglich erscheinen. Die Identifizierung des ökumenischen Modells ist jedoch unabdingbar für eine mögliche Anwendbarkeit und Übertragung innerhalb des ökumenischen Dialogs. Auch wurde im erweiterten ökumenischen Dialog deutlich, dass die jeweilige Methodeninterpretation je nach hermeneutischer Grundentscheidung zu einer unterschiedlichen Beurteilung der Leistung der Leuenberger Konkordie mit Blick auf die Einheit der Kirche führt. Während ein breiter evangelischer Konsens darüber besteht, dass mit der Konkordie Kirchengemeinschaft unter bekenntnisverschiedenen Kirchen erklärt wird, fällt etwa das römisch-katholische, aber auch das orthodoxe und das anglikanische Urteil über die konkrete Leistung der Konkordie zurückhaltender aus. In Abhängigkeit von der Interpretation der Methode werden entweder die noch ungeklärten Fragen betont oder es wird die mangelhafte ökumenische Anschlussfähigkeit des Modells aufgrund einer fundamentalen Abweichung von den eigenen kirchlichen Überzeugungen hervorgehoben.24
23 Gunther Wenz konstatiert treffend, der Dissens beginne beim Verständnis des Konsenses (Wenz, Gunther, Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis. Eine Stellungnahme zum Votum der Kammer für Theologie der Evangelischen Kirche in Deutschland zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen, in: ÖR 51 [2002], 353–366; 62). Zur gängigen Beschreibung der Methode werden etwa die Begriffe „doppelschichtiger Grundkonsens“, „propositionaler“ oder „differenzierter Konsens“ sowie „referentieller Konsens“ verwendet. Vgl. Kap. C 2 der vorliegenden Untersuchung. 24 Die Feststellung von Georg Hintzen, „Einheit unter getrennten Kirchen wird […] in dem Maße möglich, in dem sich ihre Ekklesiologien als kompatibel erweisen“ (Hintzen, Georg, Verwirklichungen kirchlicher Einheit unter reformatorischen Kirchen, 63), kann folglich präzisiert werden: Der Weg zur Einheit ist grundsätzlich möglich, wenn die Methode eines ökumenischen Modells sich als kompatibel auch mit den Anforderungen anderer Ekklesiologien erweist.
Problemanalyse und Fragestellung
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Die unterschiedliche Rezeption von Methode und Modell hat erstens Konsequenzen für das Verständnis der ökumenischen Wendung der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“, mit der das Leuenberger Modell von Kirchengemeinschaft erläutert wird.25 Dies hat sodann Konsequenzen für die Deutung der theologischen Identität und Sichtbarkeit der GEKE sowie für den ökumenischen Anspruch des evangelischen Modells, der umfassenden Einheit der Kirchen zu dienen.26 Die Relevanz der Problemstellung dieser Studie liegt also darin, dass die Unklarheit über das Verständnis von Methode und Modell Konsequenzen für die einheitsstiftende Wirkung und die Übertragbarkeit des evangelischen Einigungskonzeptes der Leuenberger Konkordie in andere Kontexte hat. So bleibt auch offen, was für ein Verständnis des ökumenischen Konsensmodells bei der Bezugnahme auf europäischer, politischer Ebene zugrunde liegen kann, wie sie eingangs zitiert wurde. Aus der Problemanalyse ergibt sich die leitende Forschungsfrage, wie „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ im Sinne der Leuenberger Konkordie zu verste25 Zu einem vergleichbaren Eindruck gelangt Neumann, Burkhard, Kirchengemeinschaft aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche, in: Weinrich, Michael u. a. (Hg.), Kirchen in Gemeinschaft – Kirchengemeinschaft? Impulse der Leuenberger Konkordie für die ökumenische Zukunft, Neukirchen-Vluyn 2014, 37–50; 39: „So sehr Einheit […] ein biblischer Grundgedanke ist, so sehr ist er zugleich, wie die verschiedenen Modelle und Formen von Einheit und Kirchengemeinschaft zeigen, interpretationsbedürftig und wird er […] offenkundig von der je eigenen kirchlichen Tradition her interpretiert“. 26 Vgl. die unterschiedlichen Beschreibungen des theologischen Charakters der GEKE. Diese deuten auf ein unklares Verständnis des zugrunde liegenden Modells hin. So äußerte sich die frühere Präsidentin der Leuenberger Kirchengemeinschaft, Elisabeth Parmentier: „Friedliche Koexistenz, wie ich sie zur Zeit zwischen unseren Mitgliedskirchen erlebe, ist noch keine Kirchengemeinschaft“ (Parmentier, Elisabeth, Seltenes Modell einer wirklichen Einheit. Interview mit Prof. Dr. Elisabeth Parmentier, in: Hüffmeier, Wilhelm/Hahn, Udo [Hg.], Evangelisch in Europa. 30 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft, Frankfurt a.M. 2003, 115– 126; 115). Parmentier differenziert dabei zwischen dem über die Konkordie formulierten gemeinsamen Grund für Kirchengemeinschaft einerseits und der sichtbaren, verwirklichten Gestalt von Kirchengemeinschaft andererseits. Verwirklicht scheint die Kirchengemeinschaft nach ihrer Auffassung noch nicht zu sein. Mit dem Begriff der „friedlichen Koexistenz“ greift Parmentier einen in der ökumenischen Bewegung immer wieder angesprochenen Gedanken auf, dessen Gebrauch meist dazu diente, den Zustand des Stillstandes von Ökumene zu umschreiben und somit auf einen Missstand hinzuweisen. Vgl. hierzu u. a. auch die Bemerkung Walter Kaspers im Jahr 1987 über die ökumenische Situation, die „gegenwärtig wie blockiert“ scheint und auf den Zustand „einer friedlichen Koexistenz“ einzumünden scheint (Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft, in: Augustin, George/Krämer, Klaus [Hg.], Walter Kasper. Gesammelte Schriften, Bd. 14 [Wege zur Einheit der Christen], 262–291; 264). In der Dokumentation einer Konsultation im September 2010 heißt es hingegen: „Die GEKE ist nicht eine Assoziation oder Föderation von Kirchen, sondern eine Gemeinschaft von Kirche[n], d. h. eine Kirche“ (Birmelé, André, Von der Leuenberger Konkordie zur Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa [GEKE], in: epdD Nr. 50/51 [2010], 19). Auf ihrer Homepage bezeichnet sich die GEKE als „Verbund der evangelischen Kirchen in Europa“ (http://www.leuenberg.eu/de/einf-hrung, Herv. v. J.G.).
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Einleitung
hen ist. Diese Fragestellung wird hier systematisch-theologisch untersucht. Die systematisch-theologische Arbeit widmet sich dem Konsensmodell der Leuenberger Konkordie und lokalisiert den Klärungsbedarf auf zwei Ebenen. Erstens ist das theoretische Modell der Leuenberger Konkordie zu untersuchen und dessen Gemeinschaftskonzept zu rekonstruieren. Die Konkordie wird dabei analysiert als ein kirchlicher Text, der sich primär an der theologischen Diskussion orientiert und dessen Ziel die Einigung der Kirchen ist, während politische Ereignisse lediglich sekundär sind. Aus fundamentaltheologischer Perspektive wird somit das evangelische Vermittlungsmodell zwischen Einheit und Vielfalt, die Leuenberger Konkordie in ihrer Funktionsweise, analysiert. Hierzu wird gefragt, welches theoretische Konzept von Kirchengemeinschaft zum Denken von Einheit in der Vielfalt die Konkordie entwickelt. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Analyse der Methodologie des Modells gewidmet.27 Zweitens ist das Weiterdenken dieses Konzeptes im Verwirklichungsprozess der Kirchengemeinschaft zu analysieren und dessen Interpretation im ökumenischen Diskurs zu beleuchten. Im Fokus steht hierbei die theoretische Dimension des Verwirklichungsprozesses: Es wird untersucht, wie das, was in der Theorie angelegt ist, auf theoretischer Ebene eingeholt und entfaltet wird und welche Aspekte von Methode und Modell im weiteren ökumenischen Dialog besondere Beachtung erfahren. Die Berücksichtigung des Verwirklichungsprozesses ist von Bedeutung, insofern die Kirchengemeinschaft sich selbst, angeleitet durch das Konzept der Konkordie, vom Prozess laufender Extensivierung, Intensivierung und Überprüfung her bestimmt. Kirchengemeinschaft ausgehend von der Leuenberger Konkordie ist eine im ständigen Wandel befindliche Gemeinschaft. Die Identifizierbarkeit der Gemeinschaft im ökumenischen Gespräch und politischen Raum ist also nicht nur an das Gründungsdokument der Konkordie gebunden, sondern auch an den interpretierenden Umgang mit dem Dokument durch die Gemeinschaft selbst.28 27 Die Notwendigkeit einer näheren Analyse der Methode ergibt sich aus dem Anspruch ökumenischer Anschlussfähigkeit des Modells: „Eine eingehendere Untersuchung der Methodologie dieser ‚Erklärungen‘ [sc. u. a. Erklärung von Kirchengemeinschaft in der LK, Anm. v. J.G.] ist aus diesem Grunde wichtig, da der Weg, den die reformatorischen Kirchen eingeschlagen haben, sich im Dienste der ganzen ökumenischen Bewegung stehend weiß und stehen will“ (Birmelé, André, Kirchengemeinschaft. Ökumenische Fortschritte und methodologische Konsequenzen, [Studien zur systematischen Theologie und Ethik 38], Münster 2003, 249). Anmerkungen, die in Zitaten in eckigen Klammern stehen und mit „sc.“ (scilicet) eingeleitet werden, sind Erläuterungen des Verfassers und werden im Folgenden nicht gesondert als solche markiert. 28 Vgl. Wenz, Gunther, Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis: Zur Leuenberger Konkordie und ihrer Interpretation. 40 Jahre Leuenberger Konkordie, in: US 68 (2013), 60–67; 64: „Nachgerade in ihrem [sc. die Leuenberger Konkordie] Fall ist der Prozess der Rezeption nicht lediglich die Hinnahme eines Gegebenen, sondern gemäß dem Charakter der getroffenen Vereinbarung ein konstruktiver Vorgang. Was die Leuenberger Konkordie ist,
Leitende Thesen der Untersuchung
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Das Forschungsziel und Interesse der Untersuchung besteht darin, einen eigenen Vorschlag für das Verständnis des evangelischen Modells zum Umgang mit Pluralität zu machen. Indem die Arbeit das theoretische Modell der Konkordie rekonstruiert und auch die theoretische Entfaltung des Modells durch die Kirchengemeinschaft berücksichtigt, leistet sie einen eigenen Beitrag nicht nur zum kirchlichen Einigungsprozess und zur ökumenischen Anschlussfähigkeit des protestantischen Einigungsmodells, sondern auch zu einer Identifizierung und möglichen Übertragbarkeit des Modells für den Europa-Diskurs. Mit dieser systematisch-theologischen Reflexion des Gemeinschaftsverständnisses der Leuenberger Konkordie und der Begründungsstrukturen von Kirchengemeinschaft ergibt sich ein Mehrwert, der über das hinausgeht, was in den Dokumenten zwar angelegt ist, jedoch nicht expliziert wird. Überdies bietet die Arbeit erstmals eine integrative Gesamtschau erstens über das Modell der Konkordie und dessen theoretische Entfaltung durch die Ekklesiologiestudie und zweitens über die im ökumenischen Diskurs zur Interpretation dieses Modells gebräuchlichen unterschiedlichen Termini. Die Betrachtungen bilden eine Grundlage für die Bestimmung des kirchlichen Selbstverständnisses der GEKE.29 So kann ausgehend von der Interpretation des Konsensmodells untersucht werden, wie sich die GEKE zwischen Kirchengemeinschaft (Singular) und einer Gemeinschaft von Kirchen (Plural) selbst verortet und wie die dogmatischen Vorüberlegungen tatsächlich umgesetzt werden.30
3.
Leitende Thesen der Untersuchung
Die Untersuchung zum Einigungsmodell der Leuenberger Konkordie geht von folgender Leitthese zu der geschilderten Problemstellung aus: Mit der Konkordie entwickeln die reformatorischen Kirchen ein dynamisches Einigungsmodell, das entscheidet sich wesentlich im Prozess ihrer Wahrnehmung, wie denn auch die von ihr erklärte Kirchengemeinschaft konkrete Gestalt erst im Vollzug ihrer Realisierung annimmt“ (Herv. v. J.G.). 29 Die Untersuchung des ekklesiologischen Selbstverständnisses der GEKE ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Eine spätere Analyse des Selbstverständnisses wäre von Bedeutung, um die Selbstverortung und Wahrnehmung der GEKE im ökumenischen Dialog als auch in der Kooperation mit anderen zivilgesellschaftlichen Institutionen und politischen Einrichtungen zu erörtern. 30 In Anbetracht des auf der Vollversammlung in Florenz 2012 in Auftrag gegebenen Lehrgesprächs zum Thema „Kirchengemeinschaft“ bietet die vorliegende Untersuchung folglich eine systematische Vor- und Begleitüberlegung zur Bestimmung des ekklesiologischen Selbstverständnisses. Zum Lehrgesprächsthema vgl. epdD Nr. 50/51 (2010). Vgl. ferner Weinrich, Michael u. a. (Hg.), Kirchen in Gemeinschaft – Kirchengemeinschaft?
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Einleitung
Kirchengemeinschaft als Projekt (lat. proiectum, Vorausgeworfenes) und fortwährenden Verwirklichungsprozess versteht. Die Leuenberger Konkordie deutet „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ als ein Modell zum Umgang mit Pluralität, die einerseits getragen wird von einer immer schon vorausgeworfenen Einheit in der Verschiedenheit als das Versöhnungswerk Gottes. Andererseits ist diese Einheit mit der bleibenden Aufgabe verbunden, in einem gemeinsamen Explikationsprozess in Zeugnis und Dienst der Kirchen sichtbar gemacht zu werden. Diese Leitthese wird von den folgenden untergeordneten Thesen gestützt: Die Leuenberger Konkordie ordnet sich selbst in ein Geschichtskonzept von Kirche ein, das durch die Aspekte von Sammlung und Sendung charakterisiert ist. Ausgehend von der geglaubten Einheit in Jesus Christus sind die Gläubigen ausgesandt, diese Einheit sichtbar und glaubwürdig in der Welt zu bezeugen, damit möglichst viele Menschen zum Glauben kommen. Auf dem Sendungsweg zu einer solchen, wachsenden Einheit ist die Konkordie zu verstehen als ein Punkt der „Sammlung“ der verschiedenen Kirchen. Vor der Herausforderung zur Einheit und konfrontiert mit der faktischen Vielfalt evangelischer Konfessionen rekurriert die Konkordie interpretierend auf ein spezifisch protestantisches Verständnis religiöser Konsensbildung.31 Indem die Konkordie sich rückbezieht auf zentrale Elemente aus der historischen Formierungsphase des Protestantismus, stellt sie sich selbst in eine Tradition immer wiederkehrender notwendiger Umkehr und Rückbesinnung auf die Einheit.32 Von zentraler Bedeutung in der Konsensbildung ist die Unterscheidung des zur Einheit der Kirche Notwendigen und Hinreichenden einerseits und des Nicht-Notwendigen andererseits. Diese Unterscheidung wird maßgeblich bestimmt durch die Verhältnisbestimmung zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln der Menschen mit Blick auf die Einheit und Kirchengemeinschaft. Es handelt sich dabei um das Schlüsseltheorem, mithilfe dessen das Einigungskonzept der Leuenberger Konkordie in dieser Arbeit verstanden wird. Das theoretische Konzept der Konkordie ist nicht nur eine hermeneutische Anwendung zum Denken von Einheit in der Vielfalt. Es impliziert auch seine theoretische Einholung und Entfaltung und ist folglich als dynamisches Modell 31 Gemeint sind zum einen der für die lutherische Konfession maßgebliche Artikel VII der Confessio Augustana sowie Calvins für die Reformierten wichtige Institutio IV.1.9. Das Konzept der Konkordie sucht somit den Anschluss an charakteristische Theoriestücke, die Theologen des frühen Protestantismus entwarfen, um mittels einer Ausdifferenzierung des Konzeptes kirchlicher Gemeinschaft den religiösen und politischen Ort des Protestantismus außerhalb der Papstkirche (wenngleich jedoch innerhalb der einen christlichen Kirche) zu bestimmen. 32 Mit dem Begriff der historischen Formierungsphase ist hier die Reformationszeit bis zur Konfessionalisierung gemeint.
Leitende Thesen der Untersuchung
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zu verstehen. Die 1995 veröffentlichte Kirchenstudie der Leuenberger Kirchengemeinschaft ist ausgehend von der Konkordie zu verstehen als ein Teil des Prozesses. Die Kirchenstudie ist einerseits das Ergebnis der Anwendung der Leuenberger Hermeneutik und andererseits eine Reflexion der Konsensmethode und Entfaltung der impliziten Ekklesiologie des Modells der Konkordie durch die Kirchengemeinschaft selbst. Die Studie bietet folglich eine Interpretation der in der Konkordie impliziten Verhältnisbestimmung zwischen dem Werk Gottes und dem Handeln des Menschen mit Blick auf die Einheit. Der ökumenische Diskurs über das Leuenberger Modell und dessen Interpretation durch die Kirchenstudie verdeutlicht, dass die Leuenberger Konkordie unterschiedliche Interpretationen ihres Modells und der darin enthaltenen Verhältnisbestimmung zulässt. Auch die nachträgliche Reflexion der Kirchenstudie akzentuiert lediglich eine Zuordnungsvariante, ohne jedoch andere mögliche Varianten gänzlich auszuschließen. Die Interpretationstendenz der Kirchenstudie und das in ihr reflektierte Verhältnis zwischen dem opus Dei und dem opus hominum ist der zentrale und strittige Gegenstand des ökumenischen Diskurses über das Leuenberger Modell und die theologische Deutung der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“.33 Die verschiedenen Deutungen, so soll hier gezeigt werden, schließen einander nicht aus. Sie können interpretiert werden als Akzente, die unterschiedliche Ebenen der Einheit betreffen. Die Differenzen lassen sich erkennen an den unterschiedlichen Interpretationen der Methode der Konkordie, mit denen dem sichtbaren Zeugnishandeln des Menschen eine unterschiedliche Qualität im Einigungsprozess und somit ein unterschiedliches Verhältnis zum Werk Gottes zugesprochen wird.34 Als Metainterpretation ermöglicht das angebotene Verständnis eine integrierende Subordination der unterschiedlichen Deutungen. Hierzu wird in dieser Studie dem Dissens über das Konsensmodell ein zwischen den Verschiedenheiten vermittelndes Verständnis entgegengestellt, innerhalb 33 Vgl. Wenz, Gunther, Communio ecclesiarum, in: Graf, Friedrich Wilhelm/Korsch, Dietrich (Hg.), Jenseits der Einheit. Protestantische Ansichten der Ökumene, Hannover 2001, 111–124; 120: „Insbesondere die Unterscheidung von Grund und Gestalt der Kirche, welche die Studie elementar prägt, bedarf einer intensivierten Diskussion, da sich in ihrem Zusammenhang die Bestimmung des Verhältnisses von geglaubter und sichtbarer Wirklichkeit der Kirche(n) und damit ein Kardinalproblem ökumenischer Ekklesiologie entscheidet“. In demselben Aufsatz beschreibt Gunther Wenz die Interpretation der Kirche als Konsensgemeinschaft als „eine der interessantesten Fragen ökumenischer Ekklesiologie“ (ebd., 115f). 34 Diese Schwierigkeit, die als evangelisches Dilemma gesehen werden kann, beschreibt Paul Tillich bereits treffend in seiner Reflexion über die religiöse Lage des Protestantismus in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen (1926): „Das ist die tiefe innere Not des Protestantismus, dass er gegen jede religiöse oder kulturelle Verwirklichung, die für sich etwas sein will, das Nein sprechen muss, dass er aber solche Verwirklichung braucht, um auch nur das Nein sinnvoll sprechen zu können“ (Tillich, Paul, Die religiöse Deutung der Gegenwart, Stuttgart 1968, 80).
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Einleitung
dessen sowohl der referentielle Projektcharakter als auch der explizierende, vertiefende Prozesscharakter der Konkordie betont werden. Das evangelische Einigungsmodell wird folglich interpretiert als ein Verfahren, das verschiedene Akzentuierungen zulässt. Als ein Vermittlungsmodell leitet die Konkordie zum fortwährenden Dialog der Kirchen an.
4.
Methode und Vorgehensweise
Das ökumenische Konzept der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ wird in der GEKE paradigmatisch realisiert. Es wird in deren Gründungs- und Grundlagendokument, der Leuenberger Konkordie, entwickelt und entsprechend dem theoretischen Modell im Anschluss an die Zustimmung zu dem Konsensdokument von der Gemeinschaft reflektiert und verwirklicht. Sowohl die Leuenberger Konkordie als auch der Verwirklichungsprozess der erklärten Kirchengemeinschaft sind somit zu berücksichtigen, wenn das Verständnis des ökumenischen Konzeptes der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ im Sinne der Leuenberger Konkordie rekonstruiert werden soll. Die methodische Herangehensweise an die Forschungsfrage ist eine systematisch-theologische. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt demnach nicht auf der Kirchengeschichte, der praktischen Theologie oder anderen Gebieten der wissenschaftlichen Theologie. Der primäre Fokus liegt auf einer fundamentaltheologischen Untersuchung, wobei weiterführende Aspekte der Ekklesiologie mit in den Blick genommen werden. Eine Reflexion der Charakteristika ekklesiologischer Betrachtungen, wie etwa des Amtsverständnisses, wird nicht durchgeführt. Vielmehr werden deren Voraussetzungen analysiert. Es wird also eine Ebene untersucht, die Auswirkungen auf die Ekklesiologie hat. Die Untersuchung widmet sich hierzu der Methode und dem Modell, die anhand der zentralen Quellen der Kirchengemeinschaft analysiert werden. Es wird eine hermeneutische Herangehensweise an die Textgrundlagen gewählt. Die Untersuchung erfolgt in vier Schritten, die aufeinander aufbauen. In einem ersten Schritt wird die für die Untersuchung maßgebliche Quelle, die Leuenberger Konkordie, analysiert.35 Die Leuenberger Konkordie ist die Grundlage für die Erklärung von Kirchengemeinschaft und verbindlich für ihre Unterzeichnerkirchen. Es handelt sich um einen kirchlich-juristischen Text, der aus sich selbst verstanden werden will. So kommt der eigentliche Text der Konkordie ohne weitere Erläuterungen und ohne erklärenden Anhang aus. Zur Erläuterung des mit dem Text dargelegten Konzeptes von Kirchengemeinschaft 35 Als Textgrundlage wird die aktuelle Neuausgabe der Leuenberger Konkordie (2013) verwendet.
Methode und Vorgehensweise
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wird zusätzlich der sogenannte „Leuenberger Bericht“ berücksichtigt, der im finalen Erarbeitungsprozess der Konkordie an die Kirchen verschickt wurde.36 In ihm wird reflektiert, welches Verständnis von Kirchengemeinschaft der Leuenberger Konkordie zugrunde liegt.37 Dieser Bericht sowie weitere Berichte und einzelne Vorversionen, die im Vorfeld der Konkordie an die Kirchen versandt wurden, werden bei der historischen Einordnung des Textes beachtet.38 Ausgehend von der fundamentaltheologischen Herangehensweise wird die Verhältnisbestimmung zwischen Evangelium, Glauben und Explikation des Glaubens als tragende methodische Grundentscheidung des Modells aufgezeigt. Diese Verhältnisbestimmung wird zudem in einem übergeordneten Rahmen des Modells lokalisiert. Diese selbständige Analyse des theoretischen Einigungskonzeptes der Leuenberger Konkordie bildet die zentrale Grundlage für das weitere Vorgehen. Der zweite Schritt der Untersuchung fokussiert den von der Methode geleiteten und im Modell zu verordnenden Verwirklichungsprozess der Kirchengemeinschaft, der mit der Konkordie erklärt wird. Als maßgebliche Quelle und aussagekräftiges Paradigma für diesen Prozess wird die 20 Jahre nach der Leuenberger Konkordie von der Leuenberger Kirchengemeinschaft erarbeitete Ekklesiologiestudie „Die Kirche Jesu Christi“ behandelt.39 Auch im Umgang mit diesem Dokument werden Texte aus dem historischen Erarbeitungsprozess berücksichtigt, welche die inhaltliche Ausrichtung maßgeblich beeinflussten und 36 Den frühen Unterzeichnerkirchen war im Unterschied zu später hinzutretenden folglich der Entstehungsprozess des abschließenden Textes bekannt. 37 Vgl. Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzepts „Kirchengemeinschaft“, in: Schreiner, Josef (Hg.), Communio sanctorum: Einheit der Christen – Einheit der Kirche, (FS Bischof Paul-Werner Scheele), Würzburg 1988, 204–231; 221. Vgl. auch LK, Einleitung, 7, Anm. 4. 38 Als Quellen dienen der Abschlussbericht der Schauenburger Gespräche sowie der Leuenberger Gespräche (abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg. Entstehung und Bedeutung der Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa [Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien 48], Paderborn 1983, A10–A38; A55–A67). Die Ergebnisse der ersten Gespräche in Arnoldshain und auf dem Liebfrauenberg wurden nicht an die einzelnen Kirchen verschickt. 39 Vgl. Bünker, Michael/Friedrich, Martin (Hg.), Die Kirche Jesu Christi, (LT 1), Leipzig 4 2012. Die Kirchenstudie ist, wie alle anderen Lehrgesprächsergebnisse der Kirchengemeinschaft, Gegenstand einer zu schließenden Vereinbarung. Diese Vereinbarung erfordert zusätzlich zur Leuenberger Konkordie die Zustimmung der Kirchen, um Kirchengemeinschaft erklären zu können. So heißt es in den „Leitlinien zur Begründung der Mitgliedschaft in der GEKE“, in: Bünker, Michael/Jaeger, Bernd (Hg.), Frei für die Zukunft, 197–199; 198, Nr. 5: „Gegenstand der Vereinbarung muss […] immer auch eine Bewertung der nach 1973 durchgeführten Lehrgespräche sein. Deren Ergebnisse sind zwar nicht in gleicher Weise bindend wie die Leuenberger Konkordie, denn sie behandeln Fragen, bei denen verbleibende Differenzen nicht in sich kirchentrennend sind“. Im Falle des Widerspruchs zum Ergebnis eines Lehrgesprächs ist im Einzelnen zu erörtern, welche Konsequenzen sich für den Beitritt ergeben.
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als erläuternde Quellen zum Textverständnis dienen.40 Die Ekklesiologiestudie ist das bislang wichtigste Ergebnis der theologischen Zusammenarbeit der Kirchen in der Leuenberger Kirchengemeinschaft/GEKE. Die Studie ist nicht nur Bestandteil des theoretischen Gesamtkonzeptes im Sinne einer theoretischen Entfaltung des mit der Konkordie zugrunde liegenden Konzeptes von Kirchengemeinschaft. Sie ist auch zu verstehen als Selbstreflexion der Kirchengemeinschaft auf die Konsensmethode der Konkordie im Verwirklichungsprozess der Kirchengemeinschaft. An dem Text lässt sich erkennen, wie die Kirchengemeinschaft ihr eigenes Gründungsdokument nachträglich interpretiert und theologisch entfaltet. Dabei tritt der Charakter der Konkordie als ein produktives, hermeneutisches Verfahren deutlich zutage. In einem dritten Schritt wird der ökumenische Diskurs über das evangelische Einigungskonzept und dessen nachträgliche Deutung und Entfaltung in der Ekklesiologiestudie skizziert. Die Betrachtung zeigt zum einen die Interpretationsmöglichkeiten des Leuenberger Modells auf. Zum anderen wird deutlich, dass die jeweiligen Interpretationen in Abhängigkeit von bestimmten hermeneutischen Grundentscheidungen unterschiedlich sind. Hierzu wird die Kritik an der Leuenberger Konkordie aufgenommen, wobei der Fokus der Betrachtung auf der Kritik an Methode und Modell des Einigungskonzeptes liegt. Der ökumenische Diskurs über die Kirchenstudie wird mit einem Schwerpunkt auf die Stellungnahmen aus römisch-katholischer Perspektive skizziert. Die darin vorgebrachten Kritikpunkte werden im Diskurs durch die unterschiedlichen verwendeten Begriffe reflektiert. Abschließend wird die in der vorliegenden Arbeit entwickelte Interpretation des Leuenberger Modells in ein Verhältnis zu den zitierten Deutungen gestellt. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich die unterschiedlichen Interpretationen im innerevangelischen Bereich so verstehen lassen, dass sie verschiedene Ebenen der kirchlichen Einheit betreffen. Der vorliegende Interpretationsansatz erhebt den Anspruch, als Metainterpretation diese unterschiedlichen Interpretationen subordinieren zu können. Auf diese Weise wird die Integrität und ökumenische Anschlussfähigkeit des evangelischen Modells betont. Überdies dient die vermittelnde Interpretation dazu, das evangelische Modell im ökumenischen Dis40 Von zentraler Bedeutung sind die Referate von Eilert Herms (Herms, Eilert, Die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie. Ihre Bedeutung für das Miteinander der an der Konkordie beteiligten Kirchen in ökumenischer und sozialethischer Hinsicht, [unveröff. Referat in der Projektgruppe Ekklesiologie], Villigst, 11.–15. Dezember 1989) und Georg Kretschmar (Kretschmar, Georg, Orthodoxe Ekklesiologie und die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie, [unveröff. Referat in der Projektgruppe Ekklesiologie], Driebergen, 17. September 1990). An ihnen lässt sich nicht nur die systematische Grundausrichtung der nachträglichen Interpretation der Leuenberger Konsensmethode erkennen, sondern auch eine innere Spannung des Dokumentes, die den Eindruck einer Inkonsistenz entstehen lassen kann, da unterschiedliche Ebenen von Kirchengemeinschaft betont werden.
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kurs im Sinne eines evangelischen Verständnisses der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ zu identifizieren. Aus dem geschilderten Vorgehen der Untersuchung ergibt sich die folgende Gliederung: A. Interpretation des Einigungsmodells der Leuenberger Konkordie B. Analyse der Kirchenstudie als Teil des Verwirklichungsprozesses und der Selbstreflexion der Leuenberger Kirchengemeinschaft auf ihr produktives Basisdokument, die Leuenberger Konkordie. C. Der ökumenische Diskurs über die Leuenberger Konkordie und deren Selbstreflexion und ekklesiologische Entfaltung in der Kirchenstudie. – Wesentliche Kritik an den beiden Dokumenten – Analyse der für den ökumenischen Diskurs wesentlichen Begriffe – Gegenüberstellung der vorliegenden Interpretation und der Ergebnisse aus den Betrachtungen zum ökumenischen Diskurs
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Forschungsstand
Die Leuenberger Konkordie ist Gegenstand zahlreicher Publikationen. Auch die später erarbeitete Kirchenstudie wurde in ökumenisch orientierten Publikationen vielfach berücksichtigt und ist bis heute Bestandteil der ökumenischen Auseinandersetzung. Nicht nur der im Leuenberger Modell angelegte Reflexionsprozess, sondern auch der von Kontroversen geprägte Rekurs auf das evangelische Einigungskonzept im kirchlichen und wissenschaftlichen Diskurs verdeutlichen die Notwendigkeit einer neuerlichen Beschäftigung mit dem Modell, wenn dessen ökumenische Identifizierbarkeit und Anschlussfähigkeit sichergestellt werden soll. Die vorliegende Untersuchung des Leuenberger Modells greift dabei erstens auf umfassende Arbeiten zum weiteren ökumenischen Kontext und den unterschiedlichen Ökumenemodellen sowie auf die Einordnung des Modells der Leuenberger Konkordie in den Kontext anderer ökumenischer Einheitsvorstellungen und Modelle zurück.41 Zweitens verzichtet sie auf eine detaillierte Darstellung und Analyse des historischen Kontextes und der Genese, da diese bereits Gegenstand unterschiedlicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen sind und umfangreich aufgearbeitet wurden.42 Insbesondere der theologische Entwick41 Vgl. hierzu insbesondere die umfangreiche Arbeit von Koslowski, Jutta, Die Einheit der Kirche in der ökumenischen Diskussion; Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg (1983), 643–681; Meyer, Harding, Versöhnte Verschiedenheit, Bd. 1; Groscurth, Reinhard (Hg.), Wandernde Horizonte auf dem Weg zu kirchlicher Einheit, Frankfurt a.M. 1974. 42 Bei der historischen Aufarbeitung werden unterschiedliche theologiegeschichtliche Refe-
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lungsprozess der Gemeinschaft verdeutlicht darüber hinaus, dass eine Untersuchung der historischen Wurzeln nicht zur Rekonstruktion des Leuenberger Modells ausreicht.43 Für die Analyse des Modells hat dies zur Konsequenz, dass renzen aufgezeigt. So knüpft Martin Friedrich in seiner kirchengeschichtlichen Analyse „Von Marburg nach Leuenberg“ (Waltrop 1999) an die Marburger Religionsgespräche von 1529 an und verdeutlicht die Bedeutung der Leuenberger Konkordie angesichts der langjährigen Trennung der evangelischen Konfessionen. Tuomo Mannermaa beschreibt die Leuenberger Konkordie in seiner kritischen Analyse „Von Preußen nach Leuenberg“ (Hamburg 1981) als späten Realisierungsversuch der preußischen Kirchenunion von 1817 auf europäischer Ebene. Die Untersuchung Mannermaas geht allerdings, offenbar fehlgeleitet durch seine Leitthese, von einigen historischen Irrtümern aus, die ihn zu der Annahme einer direkten Verbindung von „Preußen“ und „Leuenberg“ führen (vgl. hierzu Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzeptes „Kirchengemeinschaft“, 219–223). Einen Einblick in den größeren entstehungsgeschichtlichen Kontext der Konkordie bietet Lienhard, Marc, Lutherisch-reformierte Kirchengemeinschaft heute: der Leuenberger Konkordienentwurf im Kontext der bisherigen lutherisch-reformierten Dialoge, [Ökumenische Perspektiven 2], Frankfurt a.M. 21973). Lienhard war selbst an der Erarbeitung des Dokumentes beteiligt und einer der beiden Vorsitzenden im Fortsetzungsausschuss der Leuenberger Konkordie. Seine Untersuchung fokussiert die unterschiedlichen regionalen lutherisch-reformierten Gespräche in Europa und Nordamerika, die im Vorfeld und parallel zur Erarbeitung der Konkordie geführt wurden und ebenfalls einen mitunter entscheidenden Einfluss auf deren Formung ausübten (etwa die deutschen Thesen zur Kirchengemeinschaft). Darüber hinaus bietet Lienhard eine Erläuterung des theologischen Ergebnisses der Konkordie. Aus der Vielzahl der Aufsätze, die sich mit der Entstehungsgeschichte der Konkordie beschäftigen, seien hier paradigmatisch genannt: Zeddies, Helmut, Wie die Leuenberger Konkordie entstand, in: Hüffmeier, Wilhelm/Hahn, Udo (Hg.), Evangelisch in Europa. 30 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft, Frankfurt a.M. 2003, 11–16; Birmelé, André, Leuenberger Konkordie. Lutheraner und Reformierte auf dem Weg der Kirchengemeinschaft, in: Lutherische Kirche in der Welt 35 (1988), 145–167; ders., De Luther à Leuenberg, 137–150; Hüffmeier, Wilhelm, Von der preußischen Union zur Leuenberger Kirchengemeinschaft, in: Hessische Kirchengeschichtliche Vereinigung: JHKGV 53 (2002), 299–314 u.v.m. Wichtiges Quellenmaterial zu den Gesprächen im Vorfeld der Konkordie und Stationen der Textgenese bietet zum einen die systematisch-theologische Arbeit von Elisabeth Schieffer, Von Schauenburg nach Leuenberg (1983). In einer detaillierten Betrachtung der mit der Entstehung der Konkordie in direktem Zusammenhang stehenden Vorgespräche auf europäischer Ebene werden die theologischen Themenstellungen, über die im Vorfeld der Konkordie seit 1955 beraten wurde, veranschaulicht. Die bei Schieffer noch fehlenden Quellentexte werden ergänzend aufgenommen durch die Editionsarbeit von Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971 bis 1973, Münster 2003. 43 So auch Weinrich im Jahr 2013 (Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute. Eine Zwischenbilanz nach 40 Jahren, in: Ev. Theol. 73 [2013], 467–476; 469): „Wir können uns heute […] nicht mehr einfach an ihre [sc. Leuenberger Konkordie] Wiege stellen und nach dem verzweigten Familienstammbaum ihres Entstehens fragen, wenn wir nicht gleichzeitig unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, was aus diesem Bekenntnis [sic!] geworden ist und wie weit wir mit dem Elan von 1973 heute vorangekommen sind“. Wenn die Konkordie als Bekenntnis bezeichnet wird, dann ist der Begriff erklärungsbedürftig. So wird in der Konkordie formuliert: „Die Konkordie läßt die verpflichtende Geltung der Bekenntnisse in den beteiligten Kirchen bestehen. Sie versteht sich nicht als ein neues Bekenntnis. Sie stellt eine im Zentralen gewonnene Übereinstimmung dar, die Kirchengemeinschaft zwischen Kirchen
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diese sich nicht auf die theologischen Gespräche im historischen Entstehungsprozess der Konkordie beschränken darf, sondern auch deren Weiterentwicklungsprozess wahrnehmen muss. Die Untersuchung des ökumenischen Modells der Leuenberger Konkordie als ein dynamisches Modell von Kirchengemeinschaft muss auch die Entwicklungen innerhalb der Leuenberger Kirchengemeinschaft/GEKE, deren Prozess der Selbst-Reflexion und den ökumenischen Diskurs berücksichtigen.44 Eine solche Analyse des Leuenberger Modells, die auch die neueren Entwicklungen systematisch zur Interpretation heranzieht, stand noch aus und wird von der vorliegenden Untersuchung geboten. Die Sichtung von Publikationen, die sich mit dem Modell und der ökumenischen Methode der Leuenberger Konkordie befassen, kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl das Modell als auch die Methode Gegenstand einer Vielzahl wissenschaftlicher Auseinandersetzungen sind. Mit Blick auf die Identifizierung des Modells ist Einigkeit zumindest auf begrifflicher Ebene festzustellen – Es wird allgemein als eine Realisierung des Modells von „Kirchengemeinschaft“ bezeichnet. Dass hiermit jedoch noch kein wirklicher Konsens über die Konkordie erzielt ist, wird deutlich an den sehr unterschiedlichen, teilweise kontroversen Interpretationen und Beurteilungen der ökumenischen Methode und ihrer Leistung mit Blick auf die Einheit.45 Diese bleibende Kontroverse über das Ververschiedenen Bekenntnisstandes ermöglicht“ (LK 37, Satz 1–3). Die Bezeichnung der Konkordie als Bekenntnis ist demnach irreführend. Vielmehr sollte sie verstanden werden als eine gemeinsame hermeneutische Lesart der unterschiedlichen Bekenntnisse. 44 Maßgebliche Quellen zur Wahrnehmung des Entwicklungsprozesses sind die Berichtsbände der Vollversammlungen sowie die Veröffentlichungen der Lehrgesprächsergebnisse der Leuenberger Kirchengemeinschaft/GEKE. Über die oben genannten Betrachtungen zur Entstehung der Leuenberger Konkordie hinaus gibt es eine Vielzahl weiterer Darstellungen zur historischen Einordnung der Konkordie und ihrer weiteren Entwicklungsgeschichte. Vgl. hierzu paradigmatisch Hauschildt, Friedrich, Die theologische Bedeutung der Leuenberger Konkordie, in: ZevKR 50 (2005), 281–305; Friedrich, Martin, 30 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft, in: Hüffmeier, Wilhelm/Hahn, Udo (Hg.), Evangelisch in Europa. 30 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft, Frankfurt a.M. 2003, 67–114. 45 Zum Modell von „Kirchengemeinschaft“ in Zusammenhang mit der Konkordie vgl. u. a. Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzepts „Kirchengemeinschaft“; Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg; Koslowski, Jutta, Die Einheit der Kirche in der ökumenischen Diskussion. Herms, Eilert, Von der Glaubenseinheit zur Kirchengemeinschaft, Plädoyer für eine realistische Ökumene, (Marburger Theologische Studien 27), Marburg 1989; ders., Von der Glaubenseinheit zur Kirchengemeinschaft, Bd. 2, (Marburger Theologische Studien 68), Marburg 2003; Dieter, Theodor, Kirchengemeinschaft – Eine erklärungsbedürftige ökumenische Konzeption, in: Munzert, Susanne/ Munzert, Peter (Hg.), Quo vadis Kirche? Gestalt und Gestaltung von Kirche in den gegenwärtigen Transformationsprozessen, (FS Joachim Track), Stuttgart 2005, 273–289. Die Reflexionen über das Modell von Kirchengemeinschaft und seine Realisierung durch die Leuenberger Konkordie wurden insbesondere in Anknüpfung an die Leuenberger Kirchenstudie weitergeführt. Die Interpretation der Methode der Leuenberger Konkordie ist meist entweder lediglich Aspekt einer größeren Betrachtung oder aber Gegenstand von Artikeln und Auf-
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ständnis des Leuenberger Einigungskonzeptes selbst nach dessen Interpretation durch die Kirchenstudie verdeutlicht nachdrücklich die Notwendigkeit einer
sätzen. Aus der Vielzahl der Beschäftigungen mit der Leuenberger Methode hervorzuheben ist der Interpretationsansatz von Herms, der auch die Leuenberger Kirchenstudie maßgeblich in ihrer Auslegungstendenz der Konkordie prägte: Herms, Eilert, „Das gemeinsame Verständnis des Evangeliums“. Das Ermöglichungs-, Verpflichtungs- und Ordnungsprinzip für Kirchengemeinschaft nach der Leuenberger Konkordie, in: ders., Von der Glaubenseinheit zur Kirchengemeinschaft, Bd. 2, 563–584; ders., Gemeinschaft aus der Kraft Gottes, in: ders., Kirche für die Welt. Lage und Aufgabe der Kirchen im vereinigten Deutschland, Tübingen 1995, 462–466; ders., Lehrkonsens und Kirchengemeinschaft, in: ders., Von der Glaubenseinheit zur Kirchengemeinschaft, Bd. 2, 251–268; ders., Konsensustexte und konfessionelle Identität, in: ders., Von der Glaubenseinheit zur Kirchengemeinschaft, 136–187. Ein ähnlicher Interpretationsansatz findet sich bei Härle, Wilfried, Creatura Evangelii. Die Konstitution der Kirche durchs Gottes Offenbarung nach lutherischer Lehre, in: Herms, Eilert/Zak, Lubomir (Hg.), Grund und Gegenstand des Glaubens nach römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Lehre. Theologische Studien, Tübingen 2008, 482–502; Schwöbel, Christoph, Gottes Ökumene; vgl. ferner Hauschildt, Friedrich, Wie lassen sich lutherische Identität in kirchlicher Verbindlichkeit und die Zustimmung zur Leuenberger Konkordie miteinander vereinen?, in: Lutherische Identität in kirchlicher Verbindlichkeit 2007, 46–60. Einen anderen, von der Interpretation durch Herms abweichenden Ansatz verfolgen Dieter, Theodor, „Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“. Ein ökumenischer Meilenstein, BThZ 18 (2001), 147–168; ders., Was ist und zu welchem Ende betreibt man Konsensökumene? (Unveröff. Manuskript Februar 2015); Vgl. auch Kühn, Ulrich, Strukturen kirchlicher Einheit. Ein Versuch aus evangelischer Sicht, in: Walter, Peter u. a. (Hg.), Kirche in ökumenischer Perspektive, (FS Walter Kasper), Freiburg (Brsg.) 2003, 247–267; ders., Traktat IX: Ekklesiologie. A) Die Geschichte der Kirche, in: Beinert, Wolfgang/Kühn, Ulrich, Ökumenische Dogmatik, Leipzig/Regensburg 2013, 420–461. Vgl. ferner die Interpretationen bei Birmelé, André, Kirchengemeinschaft nach lutherischem Verständnis, in: Weinrich, Michael u. a. (Hg.), Kirchen in Gemeinschaft – Kirchengemeinschaft?, 22–36; ders., Sichtbare Einheit: eine bleibende Aufgabe für die Leuenberger Kirchengemeinschaft, in: Jolkkonen, Jari u. a. (Hg.), Unitas Visibilis. Studia oecumenica in honorem Eero Huovinen, (Schriften der Luther-Agricola-Gesellschaft 57), Helsinki 2004, 42–54; Wenz, Gunther, Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis: Zur Leuenberger Konkordie und ihrer Interpretation; Parmentier, Elisabeth, Identität und Ökumenekultur. Die Perspektive der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), in: MdKI 58 (2007), 63–68; dies., La Pertinence de la Concorde de Leuenberg. 37 ans après sa parution, in: Flügge, Thomas (Hg.), Wo Gottes Wort ist: Die gesellschaftliche Relevanz von Kirchen in der pluralen Welt, (FS Thomas Wipf), Zürich 2010, 261–273. Der Sammelband von Beintker, Michael/Heimbucher, Martin (Hg.), Verbindende Theologie. Perspektiven der Leuenberger Konkordie, (Evangelische Impulse 5), Neukirchen 2014 bietet eine Zusammenstellung von Interpretationen unterschiedlicher Aspekte der Konkordie. Eine Lesart der zentralen hermeneutischen Entscheidung der Konkordie bietet darin der Aufsatz von Beintker, Michael, Der Wandel der Denkformen und die Hermeneutik der reformatorischen Bekenntnisse, in: a. a. O., 145–170. Kritische Interpretationen etwa in dem Sinne, dass die Konkordie methodisch inkonsistent und unzureichend zur Erklärung von Kirchengemeinschaft sei, finden sich bei Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg: Hintergrund und Entwicklung der theologischen Methode der Leuenberger Konkordie, (Arbeiten zur Geschichte und Theologie des Luther-
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Analyse, die es ermöglicht, die unterschiedlichen Interpretationen in ein Verhältnis zueinander und zu dem Gesamtkonzept zu stellen.46 tums 1), Hamburg 1981; Die zwei Aufsatzbände von Asendorf, Ulrich/Künneth, Friedrich Wilhelm (Hg.), Von der wahren Einheit der Kirche, Berlin 1973; dies., Leuenberg, Konkordie oder Diskordie? Ökumenische Kritik zur Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa, Berlin 1974, bieten einen guten Überblick über die Lutherische Kritik an der Konkordie. Vgl. auch Hoffmann, Gottfried, Lutherische Identität und Leuenberger Konkordie?, in: Lutherische Theologie und Kirche 34 (2010), 141–173; Klän, Werner, Diesseits und jenseits von „Leuenberg“. Eine konkordienlutherische Sicht auf die Frage nach kirchlicher Gemeinschaft derer, die mit Ernst Lutheraner sein wollen, in: Lutherische Theologie und Kirche 34 (2010), 141–173; Klän, Werner/da Silva, Gilberto (Hg.), Die Leuenberger Konkordie im innerlutherischen Streit. Internationale Perspektiven aus drei Konfessionen, (OUH Ergänzungsband 9), Göttingen 2012; Kiviranta, Simo (Hg.), Theologische Grundprobleme im Leuenberger Konkordienentwurf. Memorandum der Arbeitsgruppe der evangelisch-lutherischen Kirche Finnlands, (Schriften der finnischen Gesellschaft für Missiologie und Ökumenik XXII) Helsinki 1973; Persenius, Ragnar, Critical Questions from a Nordic Lutheran Perspective, in: Hüffmeier, Wilhelm/Podmore, Colin (Hg.), Leuenberg, Meißen und Porvoo – Konsultation zwischen den Kirchen der Leuenberger Kirchengemeinschaft und den an der Meißener Erklärung und der Porvoo-Erklärung beteiligten Kirchen, (LT 4), Frankfurt a.M. 1996, 60–65; Sasse, Hermann, Ein letztes Wort zu ‚Leuenberg‘, in: ders., Corpus Christi. Ein Beitrag zum Problem der Abendmahlskonkordie, hg. v. Hopf, Friedrich Wilhelm, Erlangen 1979, 146–149. 46 Interpretationen der Kirchenstudie und Stellungnahmen hierzu bieten Nüssel, Friederike, Kriterien kirchlicher Einheit nach evangelischem Verständnis. Einblicke in die innerevangelische Diskussion, in: Cath(M) 60 (2006), 100–117; Leipold, Heinrich, Die Leuenberger Kirchenstudie. Ein Basistext der reformatorischen Kirchen, in: MdKI 46 (1995), 73–78; ders., Einheit auf dem Prüfstand. Zum Zielkonflikt im ökumenischen Dialog. Ein Plädoyer für das Leuenberger Modell der Kirchengemeinschaft, in: Schönemann, Friederike/Maassen, Thorsten (Hg.), Prüft alles, und das Gute behaltet! Zum Wechselspiel von Kirchen, Religionen und säkularer Welt, (FS Hans-Martin Barth), Frankfurt a.M. 2004, 83–132; Frieling, Reinhard, Art. Kirche, in: EStL, Stuttgart 2006, 1128–1139; Hüffmeier, Wilhelm, Die Kirchen im zusammenwachsenden Europa. Modelle der Kirchengemeinschaft in Europa. Kirchliche Einheit als Kirchengemeinschaft – Das Leuenberger Modell, in: Koppe, Rolf (Hg.), Das Handeln der Kirche in Zeugnis und Dienst, Hermannsburg 2003, 265–280; Hüffmeier, Wilhelm, Die Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa (Leuenberger Kirchengemeinschaft) – Grund, Aufgaben und Ziele, in: ders./Ionita, Viorel (Hg.), Konsultation zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Leuenberger Kirchengemeinschaft (LKG) zur Frage der Ekklesiologie, (LT 8), Frankfurt a.M. 2004, 40–47; Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“. Die Leuenberger Kirchenstudie und ihre Bedeutung für den Weg vorwärts nach Meissen, in: Dalferth, Ingolf U./Oppenheim, Paul (Hg.), Einheit bezeugen – Zehn Jahre nach der Meissener Erklärung. Beiträge zu den theologischen Konferenzen von Springe und Cheltenham zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Kirche von England, Frankfurt a.M. 2003, 420–435; Birmelé, André, Zur Ekklesiologiestudie der Leuenberger Kirchengemeinschaft, in: Kirche in ökumenischer Perspektive (2003), 46–61; Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute; ders. u. a. (Hg.), Kirchen in Gemeinschaft – Kirchengemeinschaft?. Kritische Stellungnahmen aus katholischer Perspektive: Koch, Kurt, Dass alle eins seien. Ökumenische Perspektiven, Augsburg 2006, 58–62; ders., Kirchengemeinschaft oder Einheit der Kirche? Zum Ringen um eine angemessene Zielvorstellung der Ökumene, in: Walter, Peter u. a. (Hg.), Kirche in ökumenischer Perspektive, (FS Walter Kasper), Freiburg (Brsg.) 2003, 135–162; Neumann, Burkhard, Leuenberg als ökumenisches Modell?; ders., Kirchen-
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Nicht nur die innerevangelische Rezeption des Leuenberger Konzeptes, sondern auch dessen Rezeption durch die anglikanische Kirche und die orthodoxen Kirchen sowie insbesondere Stellungnahmen römisch-katholischer Theologen unterstreichen die Notwendigkeit einer Klärung des Verständnisses des Leuenberger Konzeptes. Als zentrale Frage hinsichtlich der ökumenischen Methode erweist sich die darin wirksame Verhältnisbestimmung von opus Dei und opus hominum, die häufig missverständlich auch über die Begriffe „Grund“ und „Gestalt“ rezipiert wird.47 Diese Verhältnisbestimmung ist nicht nur eine der zentralen Fragen, die an die Quellentexte des Leuenberger Einigungskonzeptes gemeinschaft aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche; Löser, Werner, Die Leuenberger Kirchenstudie aus katholischer Sicht, in Cath(M) 49 (1995), 261–275; Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft? Anmerkungen zur Leuenberger Konkordie aus katholischer Perspektive, (unveröffentlichtes Manuskript des bei der Konsultation der GEKE und dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen in Wien vom 8. bis 9. Februar 2013 gehaltenen Vortrags); ders., Die Leuenberger Konkordie als ökumenisches Einheitsmodell? Umrisse eines katholischen Konzeptes von Kirchengemeinschaft, in: Cath(M) 49 (1995), 1–31; ders., Einheitsverständnis und Einheitsmodell nach katholischer Lehre, in: ders./Hintzen, Georg, Kirchengemeinschaft möglich?, 98–102; ders., Kirchengemeinschaft als ökumenisches Einheitsmodell? Eine katholische Perspektive, in: Walter, Peter u. a. (Hg.), Kirche in ökumenischer Perspektive, (FS Walter Kasper), Freiburg (Brsg.) 2003, 163–177; Kasper, Walter, Kirchengemeinschaft als ökumenischer Leitbegriff, in: ThRv 98 (2002), 3–12. Anglikanische Perspektive: Hill, Christopher, Critical Questions from an Anglican Perspective, in: Hüffmeier, Wilhelm/Podmore, Colin (Hg.), Leuenberg, Meißen und Porvoo – Konsultation zwischen den Kirchen der Leuenberger Kirchengemeinschaft und den an der Meißener Erklärung und der Porvoo-Erklärung beteiligten Kirchen, (LT 4), Frankfurt a.M. 1996, 65–68; Hill, Christopher, „The Church of Jesus Christ“. An Anglican perspective with Reference to the Meissen-Process, in: Dalferth, Ingolf U./Oppenheim, Paul (Hg.), Einheit bezeugen. Zehn Jahre nach der Meissener Erklärung. Beiträge zu den theologischen Konferenzen von Springe und Cheltenham zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Kirche von England, Frankfurt a.M. 2003, 405–411; Davie, Martin, The Church of Jesus Christ: An Anglican Response, in: Ecclesiology 1 (2005), 59–86; Orthodoxe Perspektive: Larentzakis, Grigorios, Ekklesiologie in der Leuenberger Kirchengemeinschaft: Bemerkungen aus orthodoxer Sicht, in: Hüffmeier, Wilhelm/Ionita, Viorel (Hg.), Konsultation zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Leuenberger Kirchengemeinschaft (LKG) zur Frage der Ekklesiologie, (LT 8), Frankfurt a.M. 2004, 89–116; Tsetsis, Georges, The Leuenberg, Meissen and Porvoo Agreements seen from an Orthodox perspective, in: Hüffmeier, Wilhelm/Podmore, Colin (Hg.), Leuenberg, Meißen und Porvoo – Konsultation zwischen den Kirchen der Leuenberger Kirchengemeinschaft und den an der Meißener Erklärung und der Porvoo-Erklärung beteiligten Kirchen, (LT 4), Frankfurt a.M. 1996, 109–112. 47 Hierauf wurde bereits früher hingewiesen (vgl. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 249; Wenz, Gunther, Communio ecclesiarum, 120). Die Unklarheit besteht weiterhin. Auch die ekklesiologische Bedeutung einer solchen Klärung wird mehrfach angemerkt. Vgl. Beintker, Michael, Die Studie „Die Kirche Jesu Christi“ aus evangelischer Sicht, in: Hüffmeier, Wilhelm/Ionita, Viorel (Hg.), Konsultation zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Leuenberger Kirchengemeinschaft (LKG) zur Frage der Ekklesiologie, (LT 8), Frankfurt a.M. 2004, 56–72; 61; Thönissen, Wolfgang, Die Problematik von Grund und Gestalt. Eine Skizze zur ökumenischen Hermeneutik, in: Cath(M) 56 (2002), 111–127.
Forschungsstand
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gestellt werden. Sie ist überdies die zentrale ökumenische Frage im evangelischkatholischen Dialog, die in verschiedenen ekklesiologischen Fragestellungen reflektiert wird.48 Die Uneinigkeit wird zusätzlich reflektiert durch die unterschiedlichen, im ökumenischen Diskurs gebräuchlichen Begriffe zur Identifizierung der Methode. Hierzu fällt auf, dass die ökumenischen Begriffe nicht einheitlich gebraucht, sondern mit unterschiedlichen Definitionen verbunden werden.49 Auch angesichts der begrifflichen Unklarheiten ist also eine klärende Untersuchung der inhaltlichen Aussagen nötig. Nicht zuletzt trägt die Kontroverse über die Konkordie zu einer inhaltlichen Unklarheit der ökumenischen Leitidee der „Einheit 48 Zur Untersuchung der verschiedenen Etappen und Erkenntnisse aus dem bisherigen evangelisch-katholischen Dialog vgl. Meyer, Harding, Versöhnte Verschiedenheit. Aufsätze zur ökumenischen Theologie, Bd. 2 (Der katholisch/lutherische Dialog), Frankfurt a.M./Paderborn 2000; Die Arbeit von André Birmelé, Kirchengemeinschaft (2003), untersucht den lutherisch-katholischen Dialog zwischen 1972 und 1999 und den darin gefundenen Konsens in der Rechtfertigungslehre. Eine detaillierte Analyse des Leuenberger Modells bietet auch diese Arbeit nicht. Von besonderer Bedeutung für die vorliegende Untersuchung ist die Betrachtung zur ökumenischen Methodologie und den konfessionell spezifischen Divergenzen. Zur LK und zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) vgl. Peura, Simo, Leuenberg und die ökumenische Methode der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, in: Jolkkonen, Jari u. a. (Hg.), Unitas Visibilis, 174–194. 49 Einen wichtigen Beitrag zur Erläuterung des unterschiedlichen Verständnisses von Grundkonsens und Grunddifferenz leistet der Sammelband Birmelé, André/Meyer, Harding (Hg.), Grundkonsens – Grunddifferenz. Studie des Straßburger Instituts für Ökumenische Forschung. Ergebnisse und Dokumente, Frankfurt a.M./Paderborn 1992; weitere Beiträge bei: Offizielle Stellungnahme des katholisch/evangelischen Comité Mixte Frankreichs, Zum Verhältnis Grundkonsens – Grunddifferenz, übers. v. Birmelé, André, in: ÖR 37 (1988), 221– 230; Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel. Ursprung und Intention, in: Wagner, Harald (Hg.), Einheit – aber wie? Zur Tragfähigkeit der Formel vom „differenzierten Konsens“, (QD 184), Freiburg (Brsg.) 2000, 36–58; Härle, Wilfried, Ökumenische Enttäuschungen (2010); Böttigheimer, Christoph, Grundkonsens statt Wesensdifferenz, in: Cath(M) 1 (1999), 54–61; Neuner, Peter, Grundkonsens, Grunddifferenz – Metamorphosen einer ökumenischen Metapher, in: Brosseder, Johannes/Wriedt, Markus (Hg.), „Kein Anlass zur Verwerfung“. Studien zur Hermeneutik des ökumenischen Gesprächs, (FS Otto Hermann Pesch), Frankfurt a.M. 2007, 11–32; Birmelé, André, Kirchengemeinschaft; Parmentier, Elisabeth, La Pertinence de la Concorde de Leuenberg; Schwöbel, Christoph, Konsens – Differenz – Referenz. Perspektiven ökumenischer Hermeneutik, in: ÖR.B 82 (2008), 147–172; ders., Gott in Beziehung, Studien zur Dogmatik, Tübingen 2002; ders., Offenbarung, Glaube und Gewissheit in der reformatorischen Theologie, in: Herms, Eilert und Zak, Lubomir (Hg.), Grund und Gegenstand des Glaubens nach römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Lehre. Theologische Studien, Tübingen 2008, 214–234; Dieter, Theodor, Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“. Ein ökumenischer Meilenstein, in: BThZ 18 (2001), 147–168; Peura, Simo, Leuenberg und die ökumenische Methode der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre; Körtner, Ulrich H.J., Wohin steuert die Ökumene? Vom Konsens- zum Differenzmodell, Göttingen 2005; Slenczka, Reinhard, Kirchengemeinschaft und theologischer Konsens, in: KuD 29 (1983), 174–179; Nüssel, Friederike, Wie ist ökumenischer Konsens evangelisch möglich?, in: ZThK 106 (2009), 434–457.
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Einleitung
in versöhnter Verschiedenheit“ sowie des Verständnisses von Kirchengemeinschaft bei. Die Sichtung des Forschungsstandes verdeutlicht, dass die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit, wie „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ im Sinne der Leuenberger Konkordie zu verstehen ist, bislang unbeantwortet blieb. Es besteht demnach weiterhin Forschungsbedarf. Insbesondere wird deutlich, dass ein Forschungsansatz, der nicht nur die vielfältigen Sichtweisen auf das Leuenberger Konzept wahrnimmt, sondern auch deren Zusammenhänge verdeutlicht, bisher noch aussteht. Die vorliegende Untersuchung schließt diese Forschungslücke durch eine Deutung, die eine integrative Sicht der unterschiedlichen evangelischen Interpretationen ermöglicht und Anknüpfungspunkte für den weiteren ökumenischen Dialog bietet. Die Interpretation der Leuenberger Konkordie als ein produktives hermeneutisches Modell kirchlichen Einigungsprozesses, das Spielraum für unterschiedliche Interpretationstendenzen lässt, würdigt die verschiedenen Interpretationen in ihrem Anspruch und in ihrer Berechtigung hinsichtlich der Offenheit des Leuenberger Modells. Zugleich wird diese Offenheit der Methodeninterpretation der Konkordie nicht als Grund für ein Scheitern des Projektes der Kirchengemeinschaft gedeutet, sondern als Teil des Konzeptes und Ermöglichung weiterer Gespräche im Rahmen eines gefundenen Konsenses, in deren Verlauf sich bestimmte gemeinsame Interpretationstendenzen herausstellen. Überdies leistet die vorliegende Untersuchung eine systematische Rückbindung des Kernthemas des aktuellen ökumenischen Dialogs, nämlich der Verhältnisbestimmung von opus Dei und opus hominum, an das so interpretierte Modell der Konkordie und bietet somit einen konstruktiven Ansatz für den ekklesiologischen Diskurs.
A.
Die Leuenberger Konkordie – Einigungsdokument und Modell von Kirchengemeinschaft reformatorischer Kirchen in Europa
Die Leuenberger Konkordie ist ein Dokument, dessen geringer Bekanntheitsgrad selbst unter Theologen angesichts der bahnbrechenden Bedeutung des mit der Konkordie formulierten Konsenses verwundert. Mit der Unterzeichnung der Konkordie erklärt eine wachsende Anzahl reformatorischer Kirchen in Europa seit 1973 Kirchengemeinschaft untereinander. Die Kirchen überwinden somit eine mehr als vier Jahrhunderte lang währende Trennung voneinander, die nicht nur dogmatisch festgeschrieben war, sondern auch ganz konkrete Auswirkungen auf den kirchlichen Lebensalltag hatte. Von maßgeblicher Bedeutung für die in der Konkordie zum Ausdruck kommende veränderte gegenseitige Wahrnehmung waren zum einen die Erfahrungen einzelner Kirchen einer teilweise bereits gelebten Abendmahlsgemeinschaft trotz der in den Bekenntnissen fixierten gegenseitigen Lehrverurteilungen. Die Bedeutung theologischer Einsichten des 16. Jahrhunderts für das kirchliche Leben hatte sich folglich gewandelt. Zum anderen war der methodische Durchbruch, der zu Beginn der 1970er Jahre zur abschließenden Formulierung der Leuenberger Konkordie führte, notwendig, um das, was teilweise bereits in einzelnen Ländern und Kirchen gelebt wurde, auch systematisch-theologisch einzuholen und öffentlich zu bezeugen. Dieses in der Konkordie entwickelte Modell von Kirchengemeinschaft ist einerseits zu verstehen als Abschluss einer langen Trennungsgeschichte des Großteils der europäischen reformatorischen Kirchen. Spuren der unterschiedlichen Phasen der Entstehungsgeschichte der Konkordie und der geschichtlichtheologischen Wurzeln des Dokumentes lassen sich noch im abschließenden Wortlaut entdecken.1 Andererseits ist die Leuenberger Konkordie der Beginn einer wachsenden, gelebten und theologisch reflektierten Kirchengemeinschaft in Europa, deren methodische Basis als Vorbild bereits auf andere kirchliche Erklärungen ausstrahlte. Bis heute ist das in der Konkordie entwickelte Modell allerdings nicht nur Gegenstand großen Zuspruchs, sondern auch Konfliktpunkt und Objekt einer 1 Vgl. hierzu die Hinweise im Rahmen der Interpretation des Dokumentes.
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Die Leuenberger Konkordie
kontroversen Diskussion sowohl innerevangelisch als auch im breiteren ökumenischen Dialog. Dieser Kontroverse wird in der vorliegenden Arbeit eine eigene Interpretation der Konkordie entgegengestellt, die diese als ein in sich konsistentes Modell zum versöhnenden Umgang mit Pluralität versteht. Die Betrachtung zum Grundmodell der Leuenberger Konkordie gliedert sich in zwei Teile. Erstens werden die wesentlichen Etappen der Entstehungsgeschichte der Konkordie skizziert. Das Dokument wird dabei insbesondere hinsichtlich seines Charakters als Abschluss einer Trennungsgeschichte betrachtet. Zweitens wird das Konsensmodell anhand des Quellentextes rekonstruiert und interpretiert. Die Konkordie wird somit in ihrer Eigenschaft als Ausgangspunkt eines gemeinsamen Prozesses, einer gelebten Kirchengemeinschaft, untersucht.
1.
Der theologische Dialog im Vorfeld der Leuenberger Konkordie
Die Bemühungen zur Überwindung der Trennung zwischen Lutheranern und Reformierten kamen mit den Unionen des 19. Jahrhunderts zu einem vorläufigen, jedoch nicht zufriedenstellenden Abschluss.1 Auch die Erfahrungen in Deutschland in der Zeit des Kirchenkampfes und des Zweiten Weltkrieges führten einerseits zu neuen Trennungen, die quer durch die Konfessionen verliefen, und andererseits zu neuen Formen der Gemeinsamkeit.2 So gaben mit der Barmer Theologischen Erklärung im Jahr 1934 Unierte, Lutheraner und Reformierte als Bekennende Kirchen ein gemeinsames Zeugnis ab.3 Gerade die Zeit des 1 Vgl. Friedrich, Martin, Von Marburg nach Leuenberg. 2 Mit dem Begriff des Kirchenkampfes wird auf den im Jahr 1933 entflammten Konflikt innerhalb der „Deutschen Evangelischen Kirche“ zwischen der „Bekennenden Kirche“ und den „Deutschen Christen“ verwiesen. Die „Deutschen Christen“ entstanden 1933 aus einer nationalsozialistischen Kirchenpartei und forderten eine evangelische Reichskirche mit völkischreligiösem Charakter. Die „Bekennende Kirche“ entstand aus einer Oppositionsbewegung, die sich den theologischen Entfremdungen und Machtansprüchen der „Deutschen Christen“ widersetzte und 1934 die „Barmer Theologische Erklärung“ (BThE) publizierte. Vgl. Nicolaisen, Carsten, Art. Nationalsozialismus (Geschichtlich und kirchengeschichtlich), in: RGG4, Bd. 6, 79–91. 3 Die Barmer Theologische Erklärung ist Gegenstand einer Vielzahl an Publikationen. Vgl. paradigmatisch Axt-Piscalar, Christine, Das lutherische Verständnis von Bekenntnis und die Frage nach einer möglichen Rezeption der Barmer Theologischen Erklärung durch die lutherischen Kirchen, in: KuD 57 (2011), 338–345; dies., Der Umgang mit den reformatorischen Bekenntnissen in konkreten historischen Situationen – Barmen und Leuenberg, in: Illert, Martin (Hg.), Die Bedeutung der Konzilien und Bekenntnisse für den ökumenischen Dialog. Dokumente des Dialoggesprächs mit dem Ökumenischen Patriachat in Konstantinopel, Leipzig 2015, 95–112; Dickel, Frithard/Scholz, Horst (Hg.), Vernünftiger Gottesdienst. Kirche nach der Barmer Theologischen Erklärung, (FS Hans-Gernot Jung), Göttingen 1990; Fleischmann-Bisten, Walter, „Barmen“ als Bekenntnis innerhalb der EKD: konfessionskundliche Aspekte und Konsequenzen, in: MdKI 63 (2012), 8–11; Heimbucher, Martin/ Weth, Rudolf (Hg.), Die Barmer Theologische Erklärung. Einführung und Dokumentation, Neukirchen-Vluyn 72009; Hüffmeier, Wilhelm/Stöhr, Martin (Bearb.), Barmer theologische Erklärung: 1934–1984. Geschichte – Wirkung – Defizite (Unio und confessio 10), Bielefeld 1984; Hüffmeier, Wilhelm, 70 Jahre Barmer Theologische Erklärung, in: KJ 131/132 (2004/ 2005), 211–223; Kandler, Karl-Hermann, Zum Stellenwert der Barmer Theologischen Er-
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Der theologische Dialog im Vorfeld
Kirchenkampfes verdeutlichte, dass weder ein formalistischer Konfessionalismus noch ein relativierender Unionismus das in dieser Zeit der fundamentalen Anfechtung dringende Bekenntnis leisten konnte. Vielmehr ging es um die Frage, was die unterschiedlichen Bekenntnisse der Reformation angesichts der politischen Situation und der Herausforderung durch die Häresie der „Deutschen Christen“ gemeinsam zu sagen hätten, freilich im Bewusstsein, dass sich hieraus auch Folgen für das Verhältnis der Konfessionen untereinander ergeben konnten.4 Tatsächlich wurde 1937 auf der Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union in Halle ein Versuch zur Überwindung der Trennung und zur Schaffung einer Abendmahlsgemeinschaft unternommen.5 Dabei wurde bereits eine für die Entwicklung der Leuenberger Konkordie wichtige Überlegung getätigt. Es wurde unterschieden zwischen einerseits dem gemeinsam Anerkannten, Christus als Gnadengabe und Gnadengeber, und andererseits den verschiedenen Lehrauffassungen, welche die „Art und Weise der Selbstmitteilung des Herrn“6 betreffen. Es war nicht intendiert, die konfessionellen Eigenheiten und Gegensätze zu überwinden, sondern füreinander anschlussfähig zu ma-
klärung: ein Votum, in: KuD 58 (2012), 288–293; Krötke, Wolf, Barmen – Barth – Bonhoeffer. Beiträge zu einer zeitgemäßen christozentrischen Theologie (Unio und confessio 26), Bielefeld 2009; Moltmann, Jürgen, Die Barmer Theologische Erklärung 1934–2009: Kirche im Widerstand – Kirche auf dem Weg in die Selbständigkeit, in: Ev. Theologie 69 (2009), 405–416; Norden, Günther van, 75 Jahre Barmer Theologische Erklärung: Ein Nachtrag, in: Kirchliche Zeitgeschichte 23 (2010), 594–605; Sauter, Gerhard, Was sagt die Barmer Theologische Erklärung uns heute?, in: Zeitschrift für dialektische Theologie 22 (2006) Sonderausgabe, 7–18; Slenczka, Notger, Die Vereinbarkeit der Barmer Theologischen Erklärung mit Grundüberzeugungen der lutherischen Kirche und Theologie, in: KuD 57 (2011), 346–359; Sommer, Wolfgang, Kirche auf dem Weg zu ihrer politischen Neuorientierung: die Barmer Theologische Erklärung und die lutherische Tradition der Zwei Regimente-Unterscheidung, in: DtPfrBl 114 (2014), 268–273; Stiewe, Martin, Die Barmer Theologische Erklärung von 1934 nach mehr als 70 Jahren, in: WuD 28 (2005), 193–204; Thiele, Christoph, Das Kirchenrecht und die Barmer Theologische Erklärung, in: ZevKR 56 (2011), 294–305; Weber, Friedrich, Bekenntnis und Bekennen: Die Barmer Theologische Erklärung und die Confessio Augustana als die evangelischen Kirchen verbindenden Bekenntnisse, in: KuD 56 (2010), 323–330; Weinrich, Michael, God’s free grace and the freedom of the church: theological aspects of the Barmen Declaration, in: International journal of systematic theology 12 (2010), 404–419. 4 Vgl. Niemöller, Gerhard, Synode zu Halle 1937. Die zweite Tagung der vierten Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, (Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes 11), Göttingen 1963, 11. Vgl. Präambel der BThE: „Wir befehlen es Gott, was dies für das Verhältnis der Bekenntniskirchen untereinander bedeuten mag“. 5 Vgl. Niemöller, Gerhard, Synode zu Halle 1937; vgl. ferner Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg, 155; Lohff, Wenzel, Grund und Grenze der Kirche. Von der Bedeutung des Augsburgischen Bekenntnisses für das Bemühen um Kirchengemeinschaft im deutschen Protestantismus, in: ders. (Hg.), Fundus des Glaubens, Göttingen 1986, 91–110; 98. 6 Niemöller, Gerhard, Synode zu Halle 1937, 442.
Der theologische Dialog im Vorfeld der Leuenberger Konkordie
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chen.7 Infolge der Synode konnten sich die Kirchen allerdings lediglich auf eine Empfehlung gegenseitiger Gastfreundschaft, nicht aber auf volle Abendmahlsgemeinschaft einigen. Aufgenommen wurde der Impuls zur Schaffung einer Abendmahlsgemeinschaft durch die EKD auf der Zweiten Kirchenversammlung von Treysa 1947. Der Rat der EKD wurde bevollmächtigt, theologische Gespräche zum Abendmahl zu halten, um die auch zwischen den Gliedkirchen noch nicht gegebene Abendmahlsgemeinschaft zu realisieren.8 Erst zehn Jahre später, im Jahr 1957, wurden die „Arnoldshainer Abendmahlsthesen“ fertiggestellt, die dem Rat der EKD im Juli 1958 präsentiert und 1962 ergänzt wurden.9 Die acht Thesen, mit denen ein Lehrkonsens über das Abendmahl erreicht werden sollte, stießen bei den Mitgliedskirchen allerdings auf breite Ablehnung, insbesondere bei den lutherischen Kirchen.10 Für die Erarbeitung der Leuenberger Konkordie und den darin enthaltenen Konsens über das Verständnis des Abendmahls waren die Arnoldshainer Thesen dennoch von großer Bedeutung.11 Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern Europas wurden in dieser Zeit theologische Gespräche auf nationaler Ebene geführt, die sich auf die Arbeit an der Leuenberger Konkordie auswirkten, insofern theologische Fortschritte in Einzelfragen für die gegenseitige Annäherung auf europäischer Ebene fruchtbar gemacht werden konnten.12 Sie wurden teilweise parallel, teil7 Somit wird auf der Bekenntnissynode bereits eine ähnliche Intention erkennbar wie im späteren Modell der Konkordie. 8 Vgl. Burlacioiu, Ciprian, Leuenberger Konkordie, Meissener Erklärung und die dazu entstandenen Gemeinschaften, in: Orthodoxes Forum 26 (2012), 37. 9 Vgl. Niemeier, Gottfried (Hg.), Zur Lehre vom heiligen Abendmahl. Bericht über das Abendmahlsgespräch der EKD 1947–1962, München 1964; vgl. ferner Boelens, Wim Luurt, Die Arnoldshainer Abendmahlsthesen. Die Suche nach einem Abendmahlskonsens in der Evangelischen Kirche in Deutschland 1947–1957 und eine Würdigung aus katholischer Sicht, Assen 1964; Theologischer Ausschuss der Arnoldshainer Konferenz, Das Mahl des Herrn. 25 Jahre nach Arnoldshain. Ein Votum, Neukirchen-Vluyn 1982; Jahrhunderten, Tübingen 2 1963; Kandler, Karl-Herrmann, Arnoldshain und das Abendmahl: die Herausforderung der lutherischen Abendmahlslehre durch die Arnoldshainer Abendmahlsthesen, Berlin 1970. 10 Einzig die Kirchen der Arnoldshainer Konferenz gewähren einander seit 1969 Abendmahlsgemeinschaft auf Grund der Arnoldshainer Thesen. Vgl. Weber, Friedrich, 40 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft, 162. 11 Vgl. Wenz, Gunther, Einführung in die evangelische Sakramentenlehre, Darmstadt 1988, 193ff; Härle, Wilfried, Dogmatik, Berlin u. a. 42012, 560. 12 Die Gespräche der reformatorischen Kirchen untereinander, die auf nationaler Ebene geführt wurden, waren teilweise von erheblicher Bedeutung für den Einigungsprozess auf supranationaler, europäischer Ebene. Sie spiegelten zum einen das veränderte innerprotestantische Verhältnis zueinander wider. Zum anderen konnten Erfolge, die in nationalen Gesprächen und Vereinbarungen in Europa erzielt wurden, teilweise für die Gespräche im Vorfeld der Konkordie fruchtbar gemacht werden. Nationale Gespräche wurden unter anderem geführt in Deutschland (Arnoldshainer Abendmahlsthesen, 1957; Thesen zur Kirchengemeinschaft, 1970), Frankreich (Thèses de Lyon, 1968) und Holland (Abendmahlsthesen, 1958), vgl. Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg. Lutherisch-reformierte
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Der theologische Dialog im Vorfeld
weise bereits im Vorfeld der auf europäischer Ebene stattfindenden Gespräche geführt und konnten in mehreren Ländern noch vor Fertigstellung der Konkordie als abgeschlossen gelten.13 Die Gespräche evangelischer Kirchen, die im Vorfeld der Leuenberger Konkordie auf europäischer Ebene geführt wurden, fanden in drei Phasen statt und wurden ursprünglich motiviert durch den ökumenischen Appell, den die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) 1952 auf ihrer dritten Weltkonferenz in Lund (Schweden) an die Kirchen richtete: Wir möchten […] unsere Kirchen ernsthaft bitten, zu prüfen, ob sie wirklich alles tun, was sie tun sollten, um die Einheit des Volkes Gottes sichtbar zu machen. Sollten unsere Kirchen sich nicht fragen, ob sie immer die genügende Bereitschaft zeigen, mit anderen Kirchen ins Gespräch zu kommen, und ob sie nicht in allen Dingen gemeinsam handeln müßten, abgesehen von solchen, in denen tiefe Unterschiede der Überzeugung sie zwingen, für sich allein zu handeln?14 Kirchengemeinschaft, Zürich 1967, 49–109; Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen. Auf dem Weg II, Zürich 1971, 153–174; Lienhard, Marc, Lutherisch-reformierte Kirchengemeinschaft heute, 9–30; vgl. ferner Birmelé, André, De Luther à Leuenberg, in: RHPhR 85 (2005), 137–150, 138. In Polen wurde 1970 der Consensus von Sandomir erneuert und Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft verwirklicht, vgl. Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 164–169. Tschechoslowakei und Schottland (Auf dem Weg, 47f; 52–59). In Nordamerika erschienen in Folge der unter Zustimmung des Lutherischen und des Reformierten Weltbundes geführten Gespräche der Jahre 1961–1966 „Zusammenfassende Erklärungen“, vgl. Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 110–118; zu detaillierteren Studien vgl. Empie, Paul C./ McCord, James I., Marburg Revisited. A Reexamination of Lutheran and Reformed Traditions, Minneapolis 31967 und Friedrich, Martin, Von Marburg nach Leuenberg; Knappe Darlegung bei Birmelé, André, Leuenberger Konkordie, 147. 13 Meyer, Harding, Die interkonfessionellen Gespräche des LWB, in: US 25 (1970), 306. 14 Vischer, Lukas (Hg.), Die Einheit der Kirche. Material der ökumenischen Bewegung (Theologische Bücherei 30), München 1965, 94, Ziff. 3. Ergänzt wird der Appell durch den Zusatz, dass kirchliche Trennungen oft durch „weltliche Mächte und Einflüsse“ geschehen seien, wobei die Kirchen sich zu solchen Trennungen hätten bewegen lassen, „anstatt die alleinige Herrschaft Christi zu bezeugen“ (ebd.). Somit werden insbesondere die Erfahrungen aus der Zeit der zwei Weltkriege angesprochen. Dass es sich bei dem zitierten Appell erst um einen Teil kirchlicher Verpflichtung handelt, wird an dem darauffolgenden Absatz deutlich. Neben der Verpflichtung der Kirchen untereinander, ihre Einheit in Christus zu bezeugen, fordert der Gehorsam gegen Gott auch, „daß die Kirchen in ihrem Auftrag gegenüber der Welt die Einheit suchen“ (Vischer, Lukas [Hg.], Die Einheit der Kirche, 94, Ziff. 4). Die Kirchen haben „den Massen“ gegenüber „die Verpflichtung, das eine Evangelium zu verkündigen und das Einssein der Kirche sichtbar zu machen“ (ebd.). In einer solchen sichtbaren Gemeinschaft sollten „alle Glieder, die Jesus Christus als lebendigen Herrn und Heiland bekennen, einander anerkennen als solche, die ganz zu seinem Leibe gehören, auf daß die Welt glaube“ (Vischer, Lukas [Hg.], Die Einheit der Kirche, 116, Ziff. 86). Während der ökumenische Appell noch von der Einheitsvorstellung einer „organischen Union“ ausging, entwickelte sich in den europäischen Gesprächen der reformatorischen Kirchen das davon abweichende Ziel einer Kirchengemeinschaft (vgl. a. a. O., 107). Auch weicht das Ergebnis der innerevangelischen Ge-
Der theologische Dialog im Vorfeld der Leuenberger Konkordie
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Obwohl diese Gespräche auf die evangelischen Konfessionen und den europäischen Rahmen beschränkt blieben, standen sie also von Beginn an im Dienst der weltweiten Ökumene.15 Die erste Gesprächsreihe begann im Jahr 1955 und lief bis 1960. Erst 1964 wurden die Gespräche unter Mitverantwortung des Lutherischen und Reformierten Weltbundes in einer zweiten Gesprächsreihe, den sogenannten Schauenburger Gesprächen, wieder aufgenommen und bis 1967 geführt. Den methodischen Durchbruch brachten schließlich die „Leuenberger Gespräche“ von 1969 bis 1970, in deren Folge es zur abschließenden Formulierung der Konkordie kam.16
spräche, die Konkordie, von dem Ziel ab, insofern sie nicht von der gegenseitigen Anerkennung der Kirchen spricht, sondern den Aspekt der gegenseitigen Gewährung stärker betont. Somit wird zum Ausdruck gebracht, „dass eine partikulare Kirche nicht aus eigener Autonomie Aussagen über andere Kirchen treffen sollte, sondern sie nur feststellen kann, gemeinsam mit anderen an der einen Kirche zu partizipieren“ (Friedrich, Martin, Kirchengemeinschaft auf Grundlage der Leuenberger Konkordie, in: Weinrich, Michael u. a. [Hg.], Kirchen in Gemeinschaft – Kirchengemeinschaft, 13–21; 20, Herv. i. O.). Dennoch war der Impuls zur sichtbaren Einheit, zur größtmöglichen Gemeinsamkeit im Zeugnis in der Welt, der von der Konferenz in Lund ausging, grundlegend für die knapp zwei Jahrzehnte später verabschiedete Leuenberger Konkordie (vgl. Lienhard, Marc, Lutherisch-reformierte Kirchengemeinschaft heute, 30f). 15 Bereits in Lund wurde angeregt, den Gesprächsrahmen zunächst auf Kirchen zu beschränken, die konfessionell benachbart sind und in räumlicher Nähe zueinander stehen (Lienhard, Marc, Einführende Bemerkungen zum Entwurf einer Konkordie Teil I–III, Leuenberg 1971, 1 [masch. 14 S., unveröffentlicht. Zitiert in: Schieffer, Elisabeth, Von Leuenberg nach Schauenburg, 404]; vgl. auch den Hinweis in FO/7 1:10 June 1971 [Vorlage], Entwurf zur Konkordie der reformatorischen Kirchen in Europa, in: Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971 bis 1973, 1). Eine solche „Wiedervereinigung“ von Kirchen mit „ähnlichem geistigen Erbe“ schließe jedoch nicht die „Wiedervereinigung im weiteren Rahmen“ aus (Vischer, Lukas [Hg.], Die Einheit der Kirche, 107, Ziff. 43). Vgl. auch Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 6: „Die Wiederherstellung der Kirchengemeinschaft zwischen lutherischen und reformierten Kirchen im europäischen Raum könnte darüber hinaus die ökumenische Bewegung als ganze dem Ziel der Einheit aller Christen näher bringen“. Vgl. auch a. a. O., 21: „Die lutherischen und reformierten Kirchen Europas verstehen eine Herstellung ihrer Gemeinschaft nicht als Blockbildung reformatorischer Kirchen, sondern sehen sie im Horizont der Begegnung aller Kirchen“. Dieser Anspruch wird schließlich auch in der Konkordie zum Ausdruck gebracht (vgl. LK 46–49). 16 Aufgrund der damals noch jungen ökumenischen Bewegung konnte die Leuenberger Konkordie noch keine Ergebnisse des internationalen theologischen Dialogs rezipieren. Vgl. Birmelé, André, Leuenberg – Meissen – Porvoo. Zur Gemeinschaft der anglikanischen, lutherischen, reformierten und unierten Kirchen Europas, in: Hüffmeier, Wilhelm/Podmore, Colin (Hg.), Leuenberg, Meißen und Porvoo – Konsultation zwischen den Kirchen der Leuenberger Kirchengemeinschaft und den an der Meißener Erklärung und der PorvooErklärung beteiligten Kirchen, (LT 4), Frankfurt a.M. 1996, 20–35; 23. Mit der Leuenberger Konkordie wurde jedoch ein breiter ökumenischer Rezeptionsprozess sowohl innerhalb der Leuenberger Kirchengemeinschaft als auch über diese hinausgehend angestoßen, deren Gegenstand die Konkordie ist. Vgl. hierzu Kap. B u. C der vorliegenden Untersuchung.
44
1.1
Der theologische Dialog im Vorfeld
Die Gespräche von 1955 bis 1960
Im Juli 1955 kamen zwanzig Theologen zu einem vorbereitenden Gespräch in Davos zusammen und berieten, welche Themen Gegenstand der zunächst inoffiziellen lutherisch-reformierten Dialoge sein sollten.17 Darüber hinaus wurden die Zielsetzungen und Planung der Beratungen festgelegt, die den Ausgangspunkt für die zur Leuenberger Konkordie führenden Gespräche darstellten. Das in Davos noch sehr allgemein formulierte Ziel der lutherisch-reformierten Lehrgespräche bestand darin, „das gegenseitige Verhalten der beiden Konfessionen bzw. lutherischer und reformierter Kirchen zu beeinflussen“18. Auffällig ist hierbei, dass zunächst nicht der Gedanke einer möglichst vollständigen Repräsentanz die Zusammensetzung der Teilnehmer bestimmte, sondern pragmatische Gründe für die Auswahl der repräsentierten Länder ausschlaggebend gewesen sind. So sollten Länder, „in denen zwischen beiden Konfessionen Schwierigkeiten bestehen (Frankreich, Deutschland) und solche, die aus ihren günstigen Bedingungen heraus Hilfe geben könnten (Holland, Skandinavien, Ungarn)“19, an den Dialogen teilnehmen. Zwischen den Jahren 1956 und 1960 fanden fünf Tagungen statt, bei denen lutherische und reformierte Theologen zum Dialog nach Arnoldshain und 1960 auf den Liebfrauenberg kamen. Ziel dieser Treffen war es, die lutherisch-reformierten Beziehungen über die Begegnung auf europäischer, also überregionaler Ebene zu verbessern.20 Diese Herausforderung wurde auf zwei Weisen angegangen: Zum einen wurde über Gemeinsamkeiten vor dem Horizont ökumenischer Fragen, über Veränderungen gegenüber früheren Differenzlehren sowie über aktuelle lutherisch-reformierte Unterschiede diskutiert. Zum anderen sollten konkrete theologische Lehrfragen bearbeitet werden.21 So wurden nach einer im März 1956 veranstalteten ersten Konsultation in den vier darauffolgenden Jahren die Themen „Die Autorität der Heiligen Schrift für die Verkündigung der Kirche“ (1957)22, „Die Gegenwart Christi“ (1958)23, „Die Gegenwart
17 18 19 20
Vgl. Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 8. A. a. O., 9. A. a. O., 11. André Birmelé spricht sogar von der „Vorbereitung eines zukünftigen größeren Lehrkonsenses“, vgl. Birmelé, André, Leuenberger Konkordie, 147. Auch Peter Brunner spricht in einem Vortrag bereits 1955 von dem Ziel einer Lehrkonkordie im Sinne eines verbindlichen Lehrgespräches zwischen konfessionell benachbarten Kirchen (vgl. Brunner, Peter, Die Einheit der Kirche und die Verwirklichung der Kirchengemeinschaft, in: ders., Pro Ecclesia. Gesammelte Aufsätze zur dogmatischen Theologie, Bd. 1, Berlin u. a. 1962, 234, Nr. 6). 21 Vgl. Lienhard, Marc, Lutherisch-reformierte Kirchengemeinschaft heute, 31. 22 Vgl. Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 17. 23 Vgl. a. a. O., 26.
Die Gespräche von 1955 bis 1960
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Christi in der Taufe“ (1959)24 und „Die Gegenwart Jesu Christi und das Abendmahl“ (1960)25 erörtert. Hervorzuheben ist die Agenda der Tagung von 1957. Dort wurde in der dritten Gesprächseinheit der Gegenstand „Die Einheit der Kirche“ behandelt.26 „Einheit der Kirche“ sollte dabei nicht im Sinne „einer gemeinsamen Dachorganisation“27 der verschiedenen Kirchen verstanden werden, sondern ausgehend von der Einheit der Kirche in Jesus Christus als ihrem gegebenen Grund.28 Das Verhältnis zwischen Christus und der Kirche entspricht dabei dem der Gabe und Aufgabe. Im dritten Teil des Referates wird in Rückbezug auf CA VII hervorgehoben, dass aufgrund der zentralen Stellung Christi in Bezug auf die Kirche die menschliche Lehre nicht das entscheidende Kriterium für das Verhältnis der Kirchen zueinander in der Kirchengemeinschaft sei.29 Kirchengemeinschaft basiere vielmehr auf der gegenseitigen „Anerkennung der ‚Kirchen‘ als Glieder im Leib Christi“, der „Anerkennung der Gültigkeit des Abendmahls in der anderen ‚Kirche‘“30 sowie der gegenseitigen Zulassung zur Abendmahlsfeier. Kirchengemeinschaft gehe also von der stets vorauszusetzenden Einheit der Kirche in Jesus Christus aus.31 24 Vgl. a. a. O., 31. 25 Vgl. a. a. O., 36. 26 Einführungsreferate von Anders Nygren und David Cairns, Berichterstatter im Protokoll: Wolfgang Metzger. Vgl. Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 21 mit Verweis auf das Protokoll Arnoldshain 1957, 25. 27 Vgl. Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 21 mit Verweis auf das Protokoll Arnoldshain 1957, 25. 28 Vgl. Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 21. 29 Vgl. a. a. O., 22 mit Verweis auf das Protokoll Arnoldshain 1957, 26. 30 Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 22 mit Verweis auf das Protokoll Arnoldshain 1957, 27 u. 44. 31 Inwiefern das Verständnis von Kirchengemeinschaft beeinflusst wurde von der Diskussion in Deutschland und auf Ebene des LWB, soll hier nicht näher untersucht werden. Es ist jedoch festzustellen, dass die inhaltliche Bestimmung des Begriffs in der theologischen Diskussion einen Wandel erfuhr: Zu Beginn der 1950er Jahre vertrat die VELKD ein Verständnis von Kirchengemeinschaft, das sich an dem Begriff von koinonia/communio „im neutestamentlichen Sinn […] als Gemeinschaft der Christen mit Jesus und Teilhabe am Leib Christi und nur sich daraus ergebend als Gemeinschaft untereinander“ orientierte (Burlacioiu, Ciprian, Leuenberger Konkordie, Meissener Erklärung und die daraus entstandenen Gemeinschaften, 38f). Das Verhältnis bekenntnisverschiedener Kirchen stand somit noch nicht im Fokus (vgl. Dieter, Theodor, Kirchengemeinschaft – Eine klärungsbedürftige ökumenische Konzeption, 276). 1957 wurde von Ernst Kinder auf der Vollversammlung des LWB in Minneapolis das Verständnis einer „Kirchengemeinschaft von geschichtlichen Kirchen“ geprägt. Somit wurde der koinonia-Begriff nun nicht mehr nur zur Bezeichnung der Beziehung einzelner Christen mit dem Herrn verwendet, sondern auch zur Beschreibung zwischenkirchlicher Beziehungen. Kirchengemeinschaft war Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft gemäß CA VII, die auch einen zur Bekenntnisgemeinschaft notwendig explizierten Lehrkonsens verlange. Vgl. Kinder, Ernst, Grundsätzliche Gedanken über die Einheit der Kirche an Hand von Confessio Augustana, Artikel VII, in: Die Einheit der Kirche. Aus der Arbeit der
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Der theologische Dialog im Vorfeld
Die Gespräche dieser ersten Phase waren vorrangig geprägt durch einen „propädeutischen Charakter“32, insofern sie zu keinen operationalisierbaren Resultaten führten.33 Dennoch waren sie wichtig, da sie die Teilnehmer in der Einsicht bestärkten, dass die früheren konfessionellen Differenzen mit den aktuellen überwiegend nicht mehr kongruent waren. Die bestehenden Unterschiede ähnelten darüber hinaus lediglich konfessionellen „Akzentsetzungen“, da sie „bei erreichter Annäherung der Standpunkte“34 keine klassischen Kontroversfragen mehr darstellten. Nach der Tagung auf dem Liebfrauenberg 1960 erfuhren die Gespräche einen für den Betrachter unerwarteten Abbruch. Dieser mag der Einsicht geschuldet sein, dass der vergleichende Lehrgesprächsprozess einer konkreten Zielsetzung entbehrte und folglich endlos hätte fortgeführt werden können.35 Obwohl viele der Fragen, die im Verlauf der Gespräche behandelt wurden, in späteren Beratungen große Bedeutung erlangten, wie die Frage nach dem Wesen der Kirche und eine erste Definition des Begriffs „Kirchengemeinschaft“36, wurden die Ergebnisse dieser ersten Phase später kaum rezipiert. Gründe hierfür könnten in der ausgebliebenen Zusammenfassung und Verbreitung der Ergebnisse liegen.37 Durchgängig von maßgeblicher Bedeutung für die Gespräche bis zur Erarbeitung der Konkordie blieb allerdings die methodische Orientierung an CA VII.
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Theologischen Kommission des Lutherischen Weltbundes, Berlin 1957, 79–92; vgl. auch Brunner, Peter, Die Einheit der Kirche und die Verwirklichung der Kirchengemeinschaft, 231f. Vgl. ferner die Übersicht zu den einzelnen Aspekten des Begriffs von „Kirchengemeinschaft“ Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzepts „Kirchengemeinschaft“, 229f. Meyer, Harding, Die interkonfessionellen Gespräche des LWB, in: US 25 (1970), 306. Die Gespräche lassen sich lediglich mittels vervielfältigter Protokolle, veröffentlichter Referate und Thesen zur Taufe sowie einer Stellungnahme zu den Arnoldshainer Abendmahlsthesen rekonstruieren. Vgl. Lienhard, Marc, Lutherisch-reformierte Kirchengemeinschaft heute, 31. A. a. O., 32. Dies spiegelte sich auch in der unregelmäßigen Teilnahme und der mangelhaften Publizität wider. Vgl. Lienhard, Marc, Lutherisch-reformierte Kirchengemeinschaft heute, 32. Vgl. ferner Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 44; 48. Vgl. Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 22 mit Verweis auf das Protokoll Arnoldshain 1957, 27 u. 44. Vgl. Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 42f. Allerdings wurden die wichtigsten Ergebnisse der Gespräche auf dem Vorbereitungstreffen für die nächste Gesprächsphase zumindest zusammenfassend vorgestellt, vgl. a. a. O., 48 mit Bezugnahme auf den Bericht von Terrence Tice. Darüber hinaus sollten „die wichtigsten Texte aus der Zeit von 1955–1960 zugänglich gemacht werden“ (a. a. O., 60) für die Gespräche in Bad Schauenburg.
Die Bad Schauenburger Gespräche von 1964 bis 1967
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Die Bad Schauenburger Gespräche von 1964 bis 1967
Erst im Jahr 1964 wurden die lutherisch-reformierten Dialoge auf europäischer Ebene wieder aufgenommen. Diese zweite Phase bedeutete nicht nur in zeitlicher Hinsicht einen Neuansatz, sie unterlag auch einer methodischen Zäsur.38 So wurden die Fortschritte der ökumenischen Bewegung, wie sie auf der dritten Vollversammlung des ÖRK in Neu-Delhi 1961 über die Beschreibung der Kriterien kirchlicher Einheit ersichtlich wurden, auch für die weiteren bilateralen Beratungen zwischen lutherischen und reformierten Theologen „als Anregung und Begründung der Notwendigkeit des Gesprächs“39 zugrunde gelegt.40 Die starke Einbindung in den breiteren ökumenischen Kontext wird auch über die Involvierung der beiden konfessionellen Weltbünde, des Reformierten und des Lutherischen Weltbundes, deutlich. Diese sollten nun, so wurde es auf einer Vorbesprechung 1963 in Bossey entschieden, mitverantwortlich für die Gespräche sein und gleichzeitig die Leitung übernehmen, um deren Verbindlichkeit zu erhöhen.41 Zugleich wurde hiermit der Frage Nachdruck verliehen, wie Konfessionalismus und Ökumene, wie Vielfalt und Einheit miteinander verbunden werden könnten.42 38 Auffällig ist bereits die Formulierung im Bericht, im Jahr 1963 habe die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung gemeinsam mit dem Lutherischen und dem Reformierten Weltbund „eine Arbeitsgemeinschaft ins Leben gerufen“. Das Gespräch in Schauenburg wird folglich entweder nicht in Zusammenhang mit den Gesprächen in Arnoldshain und Liebfrauenberg gebracht, oder die weitgehend neue Konstellation der Gesprächsteilnehmer führte zu dieser Formulierung. Vgl. Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 9. 39 Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 60f. 40 Zur dritten Vollversammlung in Neu-Delhi vgl. Visser ’t Hooft, Willem Adolf (Hg.), NeuDelhi 1961. 41 Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 59. Die explizite Einbeziehung der konfessionellen Weltbünde in das ökumenische Gespräch war seiner Zeit gewissermaßen voraus: Eine führende Rolle im ökumenischen Dialog übernahmen die Konfessionskirchen und konfessionellen Weltbünde sonst erst mit der Beteiligung der katholischen Kirche in der ökumenischen Bewegung im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil 1965 (vgl. Meyer, Harding, „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ – „konziliare Gemeinschaft“ – „organische Union“. Gemeinsamkeit und Differenz gegenwärtig diskutierter Einheitskonzeptionen, in: ÖR 27 [1978], 377–400; 380f). Das Konzil ist selbst bereits beeinflusst von verschiedenen innerkatholischen Bewegungen und Initiativen. In ihm wurde die ökumenische Bewegung als „gnadenhaftes Wirken des Heiligen Geistes“ anerkannt. Hervorzuheben ist aus dem Zweiten Vatikanum das Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio (1964), das gewissermaßen eine „Magna Charta“ darstellt. Vgl. Klein, Aloys, Art. Ökumene. Geschichte, in: LThK, Bd. 7, 1017–1022; 1021. 42 Vgl. Meyer, Harding, „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ – „konziliare Gemeinschaft“ – „organische Union“, 381: „Die von vielen und über lange Zeit hinweg vertretene Auffassung von der grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Konfession und Ökumene, von konfessioneller Loyalität und Bindung einerseits und ökumenischer Verpflichtung und Verantwortung an-
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Der theologische Dialog im Vorfeld
Neben der verstärkten Einbindung in den ökumenischen Kontext wurde nun auch der europäische Rahmen stärker bedacht. Mit Beginn des Mauerbaus 1961 vertiefte sich die Trennung Europas in Ost und West. Diese Trennung ging auch „quer durch die Konfessionen“43 und verdeutlichte, wie dringlich die Zusammenarbeit der Kirchen auf der supranationalen Ebene geworden war.44 Infolge dessen sollte ein informeller Kontakt zur 1959 gegründeten Konferenz Europäischer Kirchen hergestellt werden. Methodisch orientierten sich die Schauenburger Gespräche an der Frage, ob die kirchliche Trennung der beiden Konfessionen noch nötig und gerechtfertigt sei.45 Hierzu sollte eine Lehrkonkordie erarbeitet werden.46 Als Leitsatz für die Entscheidungen der Kirchen sollte gelten, „alles gemeinsam zu tun, was das
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dererseits enthüllt sich mehr und mehr als Vorurteil, zumindest als ein im Lichte neuer Entwicklungen und Einsichten radikal zu revidierendes Urteil“. Bericht. Kirchen in Europa auf dem Weg zueinander, in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 9–30; 11. Der Eindruck einer intendierten Einbeziehung des europäischen Kontextes und einer größeren Verbindlichkeit der Gespräche wird durch weitere Überlegungen in Schauenburg bestätigt. Neben den Weltbünden sollten auch die einzelnen Kirchen das Gespräch autorisieren. Darüber hinaus gab es nun die Auflage, dass die verschiedenen Gebiete Europas gleichmäßig vertreten sein sollten. Zu einer numerisch gleichmäßigen Vertretung kam es jedoch nicht, da die Gruppe der deutschen Repräsentanten zahlenmäßig am größten war. Ob die deutschen Kirchen somit überproportional vertreten waren, das heißt gemessen an der Zahl der Kirchenmitglieder, die sie vertraten, wäre noch zu überprüfen. Eine Einschränkung erfuhr die Arbeitsmethode, die eine größtmögliche Verbindlichkeit zum Ziel hatte – „alles Reden muss verpflichtend sein für die Kirchen“ (Protokoll Schauenburg 1964, 19, Angabe in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 62), allerdings dadurch, dass die Teilnehmer nicht von den Kirchen offiziell delegiert waren. Die Ergebnisse der Gespräche konnten folglich lediglich empfehlenden Charakter haben. Die Frage war leitend in Schauenburg, sie stand jedoch selbst in einem größeren Kontext und war gewissermaßen lediglich Mittel zum Zweck, die ökumenische Verpflichtung des Zeugnisses vom gemeinsamen apostolischen Wort zu erfüllen. Vgl. Bericht. Kirchen in Europa auf dem Weg zueinander, in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 9–30; 9. Die Grenze der Gemeinsamkeit im Sichtbaren wird in Lund über das Kriterium der tiefen Differenzen in der „Überzeugung“ definiert. Entsprechend soll in Schauenburg die Notwendigkeit der Trennung überprüft werden, vgl. a. a. O., 29. Vgl. Peters, Albrecht, Zum lutherisch-reformierten Gespräch, in: LR, 14. Jg. (1964), 160–176; 160. Hiermit wurde im Rahmen der von der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung veranstalteten Vorbereitungskonferenz die Zielsetzung reformatorischer Gespräche aus einem Vortrag Peter Brunners aus dem Jahr 1955 aufgenommen: „Darüber hinaus sollen wir, belastet mit dieser Not [sc. wenn das apostolische Wort verstummt], es dennoch wagen, mit den uns benachbarten Kirchen in ein verbindliches Gespräch darüber einzutreten, wie sie und wie wir das apostolische Zeugnis hören. Das Lehrgespräch zwischen den Kirchen, die durch Lehrunterschiede getrennt sind, geführt mit dem Ziel, eine Lehrkonkordie aufzustellen, ist das schlechterdings entscheidende Mittel, um unserer ökumenischen Verpflichtung gerecht zu werden“ (Brunner, Peter, Die Einheit der Kirche und die Verwirklichung der Kirchengemeinschaft, 233).
Die Bad Schauenburger Gespräche von 1964 bis 1967
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Gewissen nicht gebietet getrennt zu tun“47. Die Frage nach der aktuellen Angemessenheit kirchlicher Trennung wurde in Schauenburg auf zwei Weisen berücksichtigt, erstens mittels theologischer Thesenreihen und zweitens mittels eines Abschlussberichtes, in dem auch explizit die nicht-theologischen Faktoren in ihrer Bedeutung für die kirchliche Einheit benannt wurden. Die Schauenburger Gespräche behandelten neben grundsätzlichen theologischen Fragen, die bereits Gegenstand der ersten Gesprächsphase waren, insbesondere die Lehrverurteilungen in den Bekenntnisschriften.48 Die Ergebnisse aus der Beschäftigung mit den Lehrverurteilungen, die auf den Tagungen in den Jahren 1964 bis 1967 erarbeitet wurden, wurden in drei Thesenreihen (Wort Gottes und die Gegenwart Gottes, das Verständnis des Gesetzes, der Begriff des Glaubensbekenntnisses) publiziert und den 83 lutherischen, reformierten und unierten Kirchen in Europa, sofern sie Mitglied in einem der konfessionellen Weltbünde oder dem ÖRK waren, mit der Bitte um Stellungnahme zugesandt.49 Anhand der Thesenreihen wurde deutlich, dass zwar die klassischen Lehrunterschiede zwischen den beiden Konfessionen „nicht wirklich aufgearbeitet und überwunden“50 waren. Die bisherige theologische Arbeit habe aber gezeigt, 47 Bericht. Kirchen in Europa auf dem Weg zueinander, in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 9–30; 29. Die ursprüngliche Fassung, „in allen Dingen gemeinsam handeln, abgesehen von solchen, in denen tiefe Unterschiede der Überzeugung zwingen, für sich allein zu handeln“, wird also leicht abgeändert aufgenommen, wobei „tiefe Unterschiede der Überzeugung“ in Schauenburg mit „Gewissen“ interpretiert werden. „Alles gemeinsam tun“ bedeutet „in gemeinsamer Entscheidung eine glaubwürdige kirchliche und christliche Existenz zu vollziehen und in allen Fragen des geistlichen Lebens und der ethischen Verantwortung einen gemeinsamen Weg zu suchen“ (Bericht. Kirchen in Europa auf dem Weg zueinander, in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung [Hg.], Auf dem Weg, 9–30; 28). 48 Lienhard, Marc, Lutherisch-reformierte Kirchengemeinschaft heute, 30–32. Themen der Tagungen waren: Wort Gottes und Gegenwart Gottes (1964), Wie redet die Kirche vom Gesetz? (1965), Das Bekenntnis (1966), Die Grenzen der Kirche (1967). 49 Hierzu wurden die bereits erreichten Annäherungen der Kirchen zueinander auf nationaler Ebene mit in den übergeordneten Prozess der europaweiten innerprotestantischen Einigungsbemühung einbezogen. Die bisherigen Erfolge wurden im Unterschied zur ersten Dialogphase jedoch auch für die Kirchen untereinander genutzt, indem konkret auf erzielte Fortschritte einzelner Länder eingegangen wurde und diese an die einzelnen Kirchen zur Rezeption mittels des Berichts herangetragen wurden. Als wichtige Veränderungen auf nationaler Ebene wurden in diesem Zusammenhang unter anderem die Gründung der EKD (1945), das Abendmahlsgespräch in Holland (1956) sowie die Arnoldshainer Thesen (1957) und die Thesen von Lyon, die 1968 aus den lutherisch-reformierten Gesprächen in Frankreich entstanden, genannt (vgl. Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung [Hg.], Auf dem Weg, 49–109 sowie Bericht. Kirchen in Europa auf dem Weg zueinander, in: a. a. O., 9–30; 12– 14). Vgl. Lienhard, Marc, Lutherisch-reformierte Kirchengemeinschaft heute, 34. Vgl. ferner Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A39–A54. Veröffentlichung der Ergebnisse in: Bericht. Kirchen in Europa auf dem Weg zueinander, in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 9–30. 50 Bericht. Kirchen in Europa auf dem Weg zueinander, in: Sekretariat für Glauben und Kir-
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so der Bericht, dass die Verurteilungen die heutigen Partnerkirchen nicht mehr träfen und folglich ihren kirchentrennenden Charakter verloren hätten.51 Das Verhältnis zu den Bekenntnissen des 16. Jahrhunderts hatte sich demnach verändert: Die Texte werden weniger als aktuelles Bekenntnis verstanden, sondern eher als Mittel, sich selbst in der geschichtlichen Tradition besser zu verstehen. Die Aussagen des Bekenntnisses sind in weiten Kreisen darum nicht mehr verbindliche Weisung für die Auslegung der Schrift.52
Diese veränderte Einsicht im Umgang mit den Lehrgegensätzen sollte für die weiteren Gespräche als methodischer Schlüssel dienen, um das Fernziel, die Kirchengemeinschaft, zu erreichen.53 Die Auffassung einer Geschichtlichkeit von Bekenntnisaussagen traf auf die weitere Einsicht, dass viele der Unterschiede zwischen den Kirchen, insbesondere Differenzen im strukturellen und organisatorischen Bereich, bedingt seien durch deren jeweiligen historischen und kulturellen Kontext: „Die besondere Gestalt der einzelnen Kirchen ist in der Regel weit mehr als in der konfessionellen Tradition in den besonderen geschichtlichen Umständen des betreffenden Landes begründet“54. Sowohl die konfessionellen Grenzen als auch die Trennungen zwischen den Kirchen, die durch nationalstaatliche Grenzen erzeugt wurden, erwiesen sich folglich angesichts der neu entdeckten Gemeinsamkeiten, wie auch der gemeinsamen Kirchengeschichte, als nicht mehr zeitgemäß.55
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chenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 9–30; 23. Mit Blick auf die Barmer Theologische Erklärung wird festgestellt, dass auch diese gemeinsame Formulierung nicht darüber hinwegsehen lasse, dass die in den Bekenntnisschriften ausgesprochenen Lehrverurteilungen und Gegensätze noch nicht theologisch überwunden seien (vgl. ebd.). Vgl. Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 26f. Bericht. Kirchen in Europa auf dem Weg zueinander, in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 9–30; 15. Dass die in den Bekenntnissen ausgesprochenen gegenseitigen Verwerfungen nicht mehr aktuell sind, impliziert allerdings nicht, dass an die Stelle der bisherigen Bekenntnisse ein neues gemeinsames Bekenntnis treten muss (vgl. a. a. O., 27). Vgl. Zeddies, Helmut, Wie die Leuenberger Konkordie entstand, 12. Auf den methodischen Schlüssel wird im Zusammenhang mit der Interpretation der Leuenberger Konkordie genauer eingegangen. Bericht. Kirchen in Europa auf dem Weg zueinander, in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 9–30; 25. Vgl. auch die Feststellung über das Verhältnis kirchlicher und ethnischer Zugehörigkeit: „Sämtliche Erwägungen, die wir bisher angestellt haben, zeigen, daß im Verhältnis lutherischer und reformierter Kirchen die Bindung an bestimmte ethnische Gruppen eine entscheidende Rolle spielt. Die Bindung an die Konfession ist in der Regel zugleich mitgetragen von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, und die beiden Bindungen vermischen sich immer wieder unwillkürlich“ (a. a. O., 26). So wird etwa über die gemeinsame Geschichte festgestellt: „Die gemeinsame Geschichte der Theologie bleibt ein Band, das insbesondere die europäischen Kirchen verbindet“ (a. a. O.,
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Die Bedeutung nicht-theologischer Faktoren wurde sodann ausführlich in einem Bericht reflektiert, der den Thesenreihen in der Publikation für die Kirchen einleitend vorangestellt wurde. Dieser Bericht informierte, ebenfalls orientiert an der Frage der Aktualität kirchlicher Trennung der beiden Konfessionen, über das Ziel der Schauenburger Gespräche, das Verhältnis der teilnehmenden europäischen evangelischen Kirchen zueinander und deren individuellen sozialen und politischen Kontext. Darüber hinaus wurden die den Kirchen gemeinsamen aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in Europa bedacht. Vor diesem Hintergrund wurde nach einer möglichen Vertiefung der Gemeinschaft hin zu umfassenderer Einheit gefragt.56 So betonte der Bericht insbesondere die Bedeutung Europas, das als eine gemeinsame Herausforderung zu mehr Einheit und zu kirchlichen Handlungen entsprechend dem geistigen, politischen und sozialen Wandel wahrgenommen wurde57: Der europäische Kontinent bildet in steigendem Maße eine Einheit, die eine Gemeinschaft zumindest gemeinsamer Probleme und Schwierigkeiten wird. Die politischen Probleme stellen sich nicht mehr in erster Linie in nationalen oder regionalen, sondern in übergreifenden Bereichen. Die Kirchen können sich darum in ihrem Zeugnis den öffentlichen Problemen gegenüber nicht mehr wie bisher auf den nationalen Raum beschränken.58
Europa wurde in dem Bericht jedoch auch als Chance zu mehr Einheit gesehen, insofern sich im Gespräch auf supranationaler Ebene „manche Positionen, die bisher als unveräußerliches Erbe der Reformation angesehen worden sind, […] 21). Michael Weinrich sieht diese Überlegung als eine Konsequenz aus den Erfahrungen der BThE: „Auf dem Hintergrund der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 hat sich die Frage aufgedrängt, ob nicht die fundamentalen reformatorischen Gemeinsamkeiten substanziell viel tragfähiger sind als die anhaltend konfessionalistisch gepflegten Trennungslinien“ (Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie. Eine Zwischenbilanz nach 40 Jahren, in: Ev. Theol., 73 [2013], 467–476; 471). 56 Vgl. Lienhard, Marc, Lutherisch-reformierte Kirchengemeinschaft heute, 33. Vgl. ferner Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 68. Neben dem Umgang mit den Lehrdifferenzen, der als methodischer Schlüssel für die weiteren Gespräche dient, kommt dem Bericht eine große Bedeutung für die Methode und zukünftige Definition des Begriffs der Kirchengemeinschaft zu (vgl. Lienhard, Marc, Einheit in versöhnter Verschiedenheit. Der schwierige Weg nach Leuenberg, in: Hüffmeier, Wilhelm/Hahn, Udo [Hg.], 30 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft, 24–43; 25). 57 Vgl. Bericht. Kirchen in Europa auf dem Weg zueinander, in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 9–30; 16: „Lutherische und reformierte Kirchen sind heute mit Problemen konfrontiert, neben denen der konfessionelle Gegensatz relativiert erscheint. Sie sind mit in den raschen Wandel der Zeit hineingenommen. Sie müssen ihre Stelle finden in den geistigen, politischen und sozialen Umwälzungen. Sie müssen ihre äußere Gestalt verändern, um den Anforderungen gewachsen zu sein. Sie sehen sich aber vor allem dem bisher ungelösten Problem gegenüber, wie sie der heutigen Welt das ihnen aufgetragene Wort ausrichten sollen“. 58 A. a. O., 18.
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Der theologische Dialog im Vorfeld
in diesem weiteren Zusammenhang als nationale oder regionale Besonderheiten [erwiesen]“59. Die Gespräche auf europäischer Ebene ermöglichten demnach, dogmatische Engführungen zu vermeiden und deren ursprüngliche Konfrontationscharakteristik abzumildern. Sie erleichterten somit die Entdeckung des Verbindenden zwischen den Bekenntnissen, das es nun galt, gemeinsam auszusagen.60 Neben der veränderten politischen und gesellschaftlichen Situation nannte der Bericht zwei weitere Veränderungen, die sich den Kirchen als gemeinsame Herausforderung stellten. So sollte zum einen die Entstehung junger Kirchen außerhalb Europas in ihrer theologischen und ekklesiologischen Bedeutung für die reformatorischen Kirchen in Europa bedacht werden. Zum anderen sollten die reformatorischen Kirchen ihr Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil überdenken. Hierzu wurde überlegt, „ob sie [sc. die lutherischen und reformierten Kirchen] die durch das Konzil aufgeworfenen Fragen gemeinsam zu beantworten vermögen“61. Die reformatorischen Kirchen wurden somit aufgefordert, sich gemeinsam auch gegenüber der römisch-katholischen Kirche neu zu verorten.
1.3
Die Leuenberger Gespräche und die Skizze einer Konkordie
Im Schauenburger Bericht war bereits angeklungen, dass die Gespräche dem Ziel der Kirchengemeinschaft dienten. Nötig hierzu sei „eine von den Kirchen zu ratifizierende gemeinsame theologische Erklärung […], die aufweist, daß die in den Bekenntnissen enthaltenen gegenseitigen Verurteilungen ihre aktuelle Bedeutung verloren haben und eine volle Kirchengemeinschaft möglich ist“62. Von 59 A. a. O., 10. Vgl. auch a. a. O., 5: „Die Gespräche auf europäischer Ebene sind ein Versuch, die Bemühungen in den einzelnen Ländern in ihrem weiteren Zusammenhang zu sehen“. 60 Vgl. a. a. O., 20. 61 Ebd. Den Einfluss des Zweiten Vatikanischen Konzils auf die ökumenische Bewegung und ihre Zielvorstellungen betont auch Nelson, J. Robert, Konziliarität – Konziliare Gemeinschaft, in: ÖR 27 (1978), 359–376; 360. 62 Bericht. Kirchen in Europa auf dem Weg zueinander, in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 9–30; 27. Der Begriff „Kirchengemeinschaft“ war zu diesem Zeitpunkt unter den teilnehmenden Kirchen allerdings noch nicht klar definiert. Kirchengemeinschaft war vielmehr eine Art ökumenische Leitidee, die inhaltlich unterschiedlich bestimmt wurde. Erst in Folge der Leuenberger Gespräche wurde mit dem „Leuenberger Bericht“ eine detaillierte, wenn auch nicht abgeschlossene Beschreibung dessen gegeben, was Kirchengemeinschaft aus Sicht der teilnehmenden evangelischen Kirchen bedeutet (vgl. Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzepts „Kirchengemeinschaft“, 224). Auf die grundsätzliche Entwicklungsfähigkeit des Begriffs macht u. a. Georg Hintzen aufmerksam: „Das Modell der Kirchengemeinschaft ist offener und variabler, als seine erste Verwirklichung in der Leuenberger Konkordie vermuten ließ“ (Hintzen, Georg, Das Modell der Kirchengemeinschaft, Innerprotestantische Entwicklungen seit der Leuenberger Konkordie, in: Cath[M] 52 [1998], 155–185; 184). Zum Begriff der Kirchenge-
Die Leuenberger Gespräche und die Skizze einer Konkordie
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Bedeutung ist der Zusatz, dass dies geschehen könne, „ohne daß heute ein gemeinsames neues Bekenntnis formuliert werden müßte“63. Somit standen das Ziel und das Vorgehen der Leuenberger Gespräche zum Thema „Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung“ bereits im Voraus fest.64 Zur dritten Gesprächsreihe in der Zeit von 1969 bis 1970 luden die Weltbünde und die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung ein.65 Der im Vergleich zu den vorausgehenden Dialogen erweiterte Teilnehmerkreis umfasste nun erstens weitere europäische Länder.66 Zweitens wurde der konfessionelle Rahmen erweitert und es waren nun auch unierte Kirchen aus Deutschland an den Gesprächen beteiligt.67 Diese Erweiterung des theologischen und konfessionellen Rahmens wurde begleitet von einer größeren Verbindlichkeit durch einen offiziell kirchlichen Charakter. Die Teilnehmer waren nun beauftragte Repräsentanten der Kirchen und überdies nicht zwangsläufig Vertreter der wissen-
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meinschaft und seiner Entwicklung vgl. u. a. Meyer, Harding, Versöhnte Verschiedenheit, Bd. 1, 137–162; Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 667–670; Koslowski, Jutta, Die Einheit der Kirche in der ökumenischen Diskussion, 162–195. Bericht. Kirchen in Europa auf dem Weg zueinander, in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 9–30; 27. Vgl. Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzepts „Kirchengemeinschaft“, 220f. Vgl. auch die Fragestellung „was unter Kirchengemeinschaft zu verstehen sei und auf welchem Weg sie zwischen den drei evangelischen Traditionen verwirklicht werden könne“ (Geiger, Max u. a. [Hg.], Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 5). Im Gegensatz zu den bisherigen Gesprächen war es nicht mehr das Ziel, bestimmte theologische Kontroversfragen zu erörtern und nach deren aktueller Bedeutung für die reformatorische Kirchentrennung zu fragen. Denn in Schauenburg konnte festgestellt werden, dass die bestehenden Unterschiede zwischen den beiden Konfessionen ihre kirchentrennende Bedeutung verloren hatten. Obwohl der Auswertungsausschuss der Schauenburger Gespräche für die weiteren Gespräche betont hatte, es sei nun sinnvoll, „noch grundsätzlicher als bisher nach den dogmatischen Grundlagen des Gemeinsamen und des Trennenden“ zu fragen, hatte man sich in Leuenberg anders entschieden (Protokoll Tutzing 1968, 3, zitiert in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 241). Es fanden zwei Tagungen in der Zeit vom 8. bis 12. April 1969 und 31. März bis 4. April 1970 auf dem Leuenberg bei Basel statt. Nach diesem ist auch die Gesprächsreihe benannt. Vgl. Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung, Lutherisch-reformierte Gespräche in Europa, in: ÖR 19 (1970), 1. Vgl. auch Meyer, Harding, Mit dem Ziel einer Lehrkonkordie. Neues Stadium der lutherisch-reformierten Gespräche in Europa, in: EK 2 (1969), 341–342 und Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 243. Vgl. Meyer, Harding, Mit dem Ziel einer Lehrkonkordie; vgl. hierzu Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 3. Mit dem Ziel, den Teilnehmerkreis „europäischer“ zu gestalten, wurden nun auch Kirchen aus Nordeuropa (England, Dänemark, Finnland) und Osteuropa (Polen, Ungarn, Rumänien) eingeladen. Vgl. Protokoll Leuenberg 1969 vom November 1969, masch. 10 S., 1f, erwähnt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 240. Vgl. Meyer, Harding, Mit dem Ziel einer Lehrkonkordie, 341. Auch an den Leuenberger Gesprächen waren verhältnismäßig viele Theologen aus Deutschland beteiligt. Allerdings führte der umfassende Gesprächsrahmen dazu, dass insbesondere die spezielle Problemlage in Deutschland „das Gesamtgespräch nicht über Gebühr beherrschte“ (ebd.).
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Der theologische Dialog im Vorfeld
schaftlichen Theologie.68 Darüber hinaus sollten die Ergebnisse von den Synoden und Gemeinden mitverantwortet werden.69 Die Ergebnisse der Leuenberger Gespräche wurden im Anschluss an die beiden Tagungen in Form eines Berichts über „Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung“ an die teilnehmenden Kirchen in Europa versandt.70 Der Bericht enthält neben zwei Reflexionen über die neutestamentlichen und die kirchengeschichtlichen Aspekte von Kirchengemeinschaft eine skizzenhafte Erläuterung zum Modell von Kirchengemeinschaft.71 Grundzüge dieses Modells wurden in 68 Lienhard, Marc, Einheit in versöhnter Verschiedenheit. Der schwierige Weg nach Leuenberg, in: Hüffmeier, Wilhelm/Hahn, Udo (Hg.), Evangelisch in Europa, 25. 69 Vgl. Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 240 mit Bezug auf Protokoll Tutzing 1968, 2. Vgl. Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 7: „Soll das Ziel der Gemeinschaft zwischen den Kirchen der Reformation erreicht werden, so darf die Verständigung nicht auf offizielle Gespräche beschränkt bleiben. Vielmehr muss sie von der wachsenden Bereitschaft in den Gemeinden getragen werden, die alten Grenzen zu überwinden und die Fragen, die sich heute dem christlichen Glauben stellen gemeinsam anzugreifen“. Die gesuchte Gemeinschaft sollte folglich nicht nur eine theologische Lehrgemeinschaft sein. Sie sollte sich, insofern sie von den Gemeinden mitgetragen werden sollte, auch konkret im Gemeindeleben bewähren. 70 Auf den zwei Tagungen wurden zahlreiche Referate zum Thema Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung gehalten. Referate aus dem Jahr 1969 in: ÖR 1 (1970), 1–55: Goppelt, Leonhard, Kirchentrennung und Kirchengemeinschaft nach dem Neuen Testament (Paulus); Staedke, Joachim, Die Entstehung der innerprotestantischen Kirchentrennung im 16. Jahrhundert; Fagerberg, Holsten, Die Vertiefung der innerprotestantischen Kirchentrennung im 19. Jahrhundert; Dantine, Wilhelm, „Kirchlichkeit“ und „kirchliche Gesellschaft“. Referate aus dem Jahr 1970 in: Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 25–152: Geyer, Hans-Georg, Einige Überlegungen zum Begriff der kirchlichen Lehre; Lienhard, Marc, Die Verwerfung der Irrlehre und das Verhältnis zwischen lutherischen und reformierten Kirchen. 71 Das Referat über die neutestamentlichen Aspekte von Leonhard Goppelt enthält zwei Aspekte, die hier zusammengefasst werden sollen, da sie Aussagen über das methodisch wesentliche Verhältnis zwischen der Lehraussage und dem Evangelium enthalten. Erstens wird der neutestamentliche Begriff der Koinonia eingeführt und definiert als eine geschenkte geistliche Gemeinschaft, die Grenzen und Verschiedenheiten christlicher Gemeinschaften transzendiert: „Die gelebte Koinonia umschließt innerhalb der Ekklesia, das heißt der Ortsgemeinde wie der Gesamtkirche, eine große Mannigfaltigkeit und Spannungsweite von Verkündigungsweisen, Theologien und Lebensformen“ (Geiger, Max u. a. [Hg.], Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 10, Nr. 3). Die Grenzen der Verschiedenheit innerhalb der Koinonia ergeben sich aus der Prüfung von „Verkündigung, Lehre und Leben am apostolischen Evangelium“ (a. a. O., Nr. 4). Dieses Evangelium wird zweitens definiert als formulierte Tradition des Osterkerygmas sowie des Erdenwirkens Jesu, die den urchristlichen Gemeinden gegeben sei. Diese Tradition sei jedoch im Neuen Testament als „lebendiges, pneumatisches Kerygma verstanden“ (ebd.), das sich auf eine bestimmte Situation bezieht. Entsprechend beurteile Paulus fragliche Häresien nicht anhand von festen Definitionen, sondern mittels der Interpretation der soteriologischen Mitte des Evangeliums, der ausschließlichen Heilsmittlerschaft Jesu „für die jeweilige Verkündigungssituation“ (ebd.). Entsprechend dieser Ausführungen seien auch die Lehrurteile der Reformation zu werten als dynamische „geistliche Auseinandersetzung um die Wahrheit“ (a. a. O., Nr. 5).
Die Leuenberger Gespräche und die Skizze einer Konkordie
55
der späteren Leuenberger Konkordie aufgenommen, jedoch nicht mehr entfaltet.72 Insbesondere die Erläuterung zur Kirchengemeinschaft „Lutherisch-reformierte Kirchengemeinschaft in Europa“ gibt wichtige Hinweise auf das der Konkordie zugrunde liegende Verständnis von Kirchengemeinschaft. Im abschließenden Text sind diese Hinweise jedoch nicht mehr enthalten: Im ersten von insgesamt drei Abschnitten wird in dem Bericht zunächst definiert, was Kirchengemeinschaft bedeutet.73 Kirchengemeinschaft ist demnach zunächst eine Versöhnungshandlung, mit der auf die biblische Verheißung der Einheit und die Herausforderung durch säkulare Trennungsfaktoren geantwortet wird.74 Sie ist zu verstehen als „Tatzeugnis von der in Christus geglaubten Einheit“75, sie ist also kein Selbstzweck, sondern „um des christlichen Zeugnisses willen in Wort und Tat da“76. Sie bedeutet zudem die Aufhebung von Kirchentrennung, also kirchentrennender Verschiedenheiten und gegenseitiger Lehrverurteilungen sowie die Gewährung von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft, also die „gemeinsame Teilhabe an dem in Wort und Sakrament gegenwärtigen und wirkenden Christus“77. Kirchengemeinschaft im Sinne des Leuenberger Berichts ist demnach einerseits eine Teilhabegemeinschaft an etwas Gegebenem, eine geistliche Gemeinschaft. Andererseits ist Kirchengemeinschaft als Tatzeugnis eine nach „größtmöglicher Gemeinsamkeit im innerkirchlichen Leben und im Zeugnis und Dienst an der Welt“78 strebende Gemeinschaft. Somit wird einem rein statischen und auf die Gottesdienstgemeinschaft beschränkten Verständnis von kirchlicher Einheit widersprochen. Zugleich ist hiermit Kirchengemeinschaft nicht als qualitative Vorstufe einer Einheit zu verstehen, sondern als geschichtlicher Wachstums- und Bewährungsprozess. 72 Bericht in: Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 8–24. Harding Meyer konstatiert, dass die spätere Kürze der Konkordie darin begründet liege, dass ihre Aufgabe die „Erklärung von Kirchengemeinschaft“, nicht der „Reflexion über [Kirchengemeinschaft]“ gewesen sei (Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzepts Kirchengemeinschaft“, 221, Herv. i. O). 73 Vgl. Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 14f, Nr. 14. 74 Vgl. a. a. O., 14, Nr. 12 u. 14. Unter säkularen Trennungsfaktoren sind nicht-theologische Entwicklungen im Kontext der Kirchen zu verstehen, die sich spaltend auf die kirchliche Einheit auswirken. 75 A. a. O., 14f, Nr. 14. 76 Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzepts „Kirchengemeinschaft“, 225. 77 Ebd. Vgl. auch Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 14f, Nr. 14. 78 Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 15, Nr. 14. Die Formulierung „größtmögliche Gemeinsamkeit im innerkirchlichen Leben und im Zeugnis und Dienst“ steht in engem Zusammenhang mit einer Formulierung aus Schauenburg. Dort heißt es, die Kirchen müssten Klarheit über ihren Weg der Nachfolge und die Art und Weise missionarischer Verantwortung finden. Ausgehend davon sollten sie gemeinsam eine glaubwürdige kirchliche und christliche Existenz führen und in allen Fragen geistlichen Lebens und ethischer Verantwortung einen gemeinsamen Weg suchen.
56
Der theologische Dialog im Vorfeld
Zu einer solchen Kirchengemeinschaft, die „der in Christus vorgegebenen Einheit gerecht“79 wird, so erklärt Abschnitt zwei, bedarf es des Miteinanders von gelebter Gemeinschaft und des Lehrgesprächs, mithilfe dessen das gemeinsame Verständnis des Evangeliums festgestellt wird und überkommene Kontroverspunkte aufgearbeitet werden.80 Für das Lehrgespräch nennt der Bericht drei Aspekte, die zu berücksichtigen sind. Erstens wird als methodische Grundentscheidung und Eingrenzung des zur Einheit notwendigen Lehrkonsenses auf die Differenzierung in CA VII verwiesen, mit der zwischen dem zur Einheit der Kirche Hinreichenden und dem Nicht-Notwendigen unterschieden wird. Diese Unterscheidung wird interpretierend aufgenommen als Differenzierung zwischen dem „wahren und ausreichenden Grund von Kirchengemeinschaft“ und der „jeweiligen geschichtlichen Ausgestaltung“81. Zur Herstellung von Kirchengemeinschaft gefordert wird also der durch das Lehrgespräch erzielte Konsens, mit dem der „wahre und ausreichende Grund der Kirchengemeinschaft“82 herausgestellt wird. 79 A. a. O., 16f, Nr. 20 (3); 17. 80 Vgl. ebd. 81 A. a. O., 17, Nr. 21 a). Der Aspekt einer geschichtlichen Bedingtheit von Aussagen oder Formen wurde bereits in den Schauenburger Gesprächen mit Blick auf die bisher trennenden Differenzlehren der Bekenntnisse angesprochen. Neu waren jedoch die Begriffe „Grund“ und „Ausgestaltung“, die nun zur Interpretation der Unterscheidung in CA VII aufgegriffen wurden. Vgl. hierzu den Wortlaut der vom Theologischen Ausschuss der VELKD im Oktober 1968 „für das Gespräch bekenntnisverschiedener evangelischer Kirchen über Kirchengemeinschaft“ aufgestellten „Leitsätze der VELKD zur Kirchengemeinschaft“, in: LM 8 (1969), 525f. Als Vorlage für die Leitsätze diente der Vortrag „Kirchengemeinschaft nach Augustana VII“ von Wenzel Lohff, den er im Oktober 1968 während der Sitzung des Theologischen Ausschusses der VELKD hielt (gekürzt erschienen unter dem Titel „Grund und Grenze der Kirche. Von der Bedeutung des Augsburgischen Bekenntnisses für das Bemühen von Kirchengemeinschaft im deutschen Protestantismus“, in: EK 3 [1970], 13–17. Wieder abgedruckt in: Lohff, Wenzel, Fundus des Glaubens, Göttingen 1986, 91–106). Die Leitsätze der VELKD fanden schließlich Eingang auch in die „Thesen zur Kirchengemeinschaft“, die aus Gesprächen innerhalb der EKD zwischen lutherischen, reformierten und unierten Theologen in der Zeit von 1968–1970 entstanden. (Die Thesen wurden in der Zeit vom 3. bis 4. Mai 1970 erarbeitet und am 4. Mai 1970 verabschiedet. Ihre Veröffentlichung erfolgte jedoch erst am 1. Juni 1970). Während der Einfluss der Leitsätze auf die Leuenberger Gespräche nur marginal war, so Harding Meyer, wurden die Thesen zumindest für die späteren Beratungen berücksichtigt, die schließlich zum Entwurf der Leuenberger Konkordie führten (vgl. Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzepts „Kirchengemeinschaft“, 221–224; vgl. Lohff, Wenzel, Grund und Grenze der Kirche, 108, Anm. 1; vgl. Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 449f; Lienhard, Marc, Union nicht ausgeschlossen. Zur lutherisch-reformierten Kirchengemeinschaft in Europa, in: MdKI 22 [1971], 82–84; 83; Entschließung der Generalsynode zum Entwurf einer „Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa“ [Leuenberger Konkordie]. Vom 7. Oktober 1971, in: Lutherisches Kirchenamt Hannover [Hg.], Lutherische Generalsynode 1971. Bericht über die sechste Tagung der vierten Generalsynode der VELKD vom 3. Bis 7. Oktober 1971 in Osnabrück, Hamburg 1972, 351f). 82 Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 17, Nr. 21 a).
Die Leuenberger Gespräche und die Skizze einer Konkordie
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Zweitens wird der ausreichende „Grund“, das heißt das begründende Fundament der Kirchengemeinschaft beschrieben. Dies ist die Anerkennung der „ausschließlichen Heilsmittlerschaft Jesu als Mitte des Evangeliums und als einziger Grund und Kanon der Lehre und des Lebens der Kirche“83. Diese Grundlage hat die Funktion eines hermeneutischen Prinzips. Von ihr aus ist die Lehre von der Rechtfertigung zu entfalten und eine „Verständigung über die Wirksamkeit des Wortes und der Sakramente“84 zu erreichen. In einem dritten Absatz wird erneut der geschichtliche Charakter von Kirchengemeinschaft betont.85 So wie diese kein statisches Gebilde ist, ist im Leuenberger Bericht auch der Lehrkonsens in den fortwährenden Wachstums- und Bewährungsprozess von Kirchengemeinschaft hineingenommen: Die durch ihn [sc. Lehrkonsensus] geprüfte und bestätigte Kirchengemeinschaft ist ein lebendiger Prozeß des kritischen Austausches untereinander und mit der jeweiligen gesellschaftlichen Umwelt. Auch die Grundaussagen, auf welchen der Konsensus beruht, müssen in diesem Prozeß einer ständigen Neuinterpretation ausgesetzt und unterzogen werden. Der Lehrkonsensus bestätigt wohl die Kirchengemeinschaft, aber er schließt die theologische Auseinandersetzung untereinander nicht ab.86
Im Anschluss an diese Vorüberlegungen werden drei inhaltliche Forderungen besprochen, die eine zu erstellende „Konkordie“ als gemeinsame Erklärung der reformatorischen Kirchen zur „Herstellung“ von Kirchengemeinschaft erfüllen muss.87 Die Anforderungen betreffen erstens einen Lehrkonsens über die inhaltliche Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums.88 Dieses muss ein gemeinsames Verständnis der Sakramente als leibhaftes Mittel der Verheißung umfassen und gemeinsames Leben und Handeln der Kirchen in der Welt ermöglichen.89 83 A. a. O., 17, Nr. 22 b). Das in CA VII geforderte consentire de doctrina evangelii wird folglich christozentrisch interpretiert. 84 A. a. O., 17, Nr. 22 b). 85 Vgl. Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzepts „Kirchengemeinschaft“, 227. 86 Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 17f, Nr. 23 c). Mit dieser Beschreibung wird deutlich, so die treffende Aussage von Elisabeth Schieffer, „was die späteren Versammlungen in Leuenberg mit dem ‚dynamischen Charakter der Kirchengemeinschaft‘ meinen, in diesen Zusammenhang gehört auch die Verpflichtung zu fortlaufenden Lehrgesprächen“ (Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 267f). Den Konsens beschreibt André Birmelé auch als „Beziehung zwischen zwei Darstellungen, die nicht kirchentrennend sind, obwohl sie gleichzeitig unterschiedliche Darstellungen einer selben Grundwahrheit sind“ (Birmelé, André, Kirchengemeinschaft nach lutherischem Verständnis, 30). Das Lehrgespräch muss diese Verhältnisbestimmung folglich immer neu austarieren. 87 Vgl. Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 18–21. 88 Vgl. a. a. O., 18f, Nr. 25 (1); 18. 89 Vgl. a. a. O., 18f, Nr. 25 (1); 19.
58
Der theologische Dialog im Vorfeld
Zweitens soll verdeutlicht werden, dass die in den Bekenntnisschriften enthaltenen Lehrverurteilungen den Partner heute nicht mehr treffen und aktuelle Differenzen keine kirchentrennende Bedeutung haben. Diese Überlegung zur Aktualität der Verwerfungen des 16. Jahrhunderts entspringt der Einsicht der historischen Bedingtheit kirchlicher Lehre.90 Sie soll nicht zu einer Preisgabe konfessioneller Identität führen. Drittens soll aufgrund der Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums die gegenseitige Gewährung von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft erklärt werden.91 Zum Charakter dieser Kirchengemeinschaft wird abschließend ihre Geschichtlichkeit hervorgehoben – ein Aspekt, der den Verfassern offenbar sehr wichtig war: Kirchengemeinschaft ist mit der Erklärung im vollen Sinne hergestellt. Zudem wird sie verstanden als lebendiger Vollzug, der die Einheit in Christus sichtbar macht und aus dieser vorausgehenden Einheit heraus zu „größtmöglicher Gemeinsamkeit im innerkirchlichen Leben und im Zeugnis und Dienst an der Welt“92 strebt. Dieser Vollzug im Sinne sichtbarer Kirchengemeinschaft wird explizit nicht gebunden an bestimmte organisatorische Formen und Vereinheitlichungen. Die Verwirklichung von Kirchengemeinschaft kann folglich in ganz unterschiedlichen Formen geschehen: „Die besondere Situation, in der die Kirchen in den einzelnen europäischen Ländern leben, wird in dieser Frage ausschlaggebend sein“93. Allerdings wird die Kirchengemeinschaft nicht auf den europäischen Kontext beschränkt. Sie dient dem „Ziel der Einheit der gesamten Kirche Jesu Christi“94.
1.4
Die Formulierung der Leuenberger Konkordie
Der Bericht der Leuenberger Gespräche wurde im Anschluss an die beiden Tagungen im Juni 1970 an die reformatorischen Kirchen in Europa versandt, die im Allgemeinen zustimmend auf die Vorschläge der Arbeitsgruppe eingingen.95 Im April 1971 tagte in Cartigny bei Genf ein vorbereitender Unterausschuss, der ausgehend von zwei Entwürfen, die einerseits von Joachim Staedtke und Marc Lienhard, andererseits von Horst Lahr erarbeitet wurden, zwei Gesamtentwürfe erstellte.96 Ein Revisionsausschuss erarbeitete sodann eine Vorlage für 90 91 92 93 94 95
Vgl. a. a. O., 19f, Nr. 26 (2); 20. Vgl. a. a. O., 20, Nr. 27 (3). A. a. O., 20, Nr. 27 (3). A. a. O., 20, Nr. 28. A. a. O., 21, Nr. 30. 71 Kirchen gaben eine Rückmeldung auf den Bericht. Die Antworten der Kirchen dienten als Grundlage für die Erarbeitung zweier Vorentwürfe einer Konkordie. 96 Der erste Gesamtentwurf in Cartigny bei Genf im April 1971 folgt dem Vorschlag Horst
Die Formulierung der Leuenberger Konkordie
59
Leuenberg, die sogenannte „Vorkonkordie“, auch „Cartigny-Papier“ genannt.97 Die Vorlage, die bereits die vierteilige Struktur der späteren Konkordie aufwies, wurde den europäischen Kirchen zugesandt und diese wurden gebeten, Vertreter für die kommende Vorkonferenz in Leuenberg zu delegieren. Vom 19. bis 24. September 1971 wurde das Dokument auf der sogenannten „Vorversammlung europäischer Kirchen in Leuenberg“98 von 44 Delegierten überarbeitet. Ein erster offizieller Entwurf der Konkordie wurde von allen Teilnehmern der Tagung gebilligt und anschließend den Kirchen zur Stellungnahme übermittelt.99 Das Papier entsprach dabei strukturell der Fassung des Vorentwurfs, die selbst dem Leuenberger Bericht von 1970 glich.100 Sprachlich ergaben sich allerdings Präzisierungen und Kürzungen sowie eine Erweiterung des vierten Teils, der nun die Unterscheidung zwischen der „Herstellung“ und dem „Vollzug“ von Kirchengemeinschaft aufwies.101 Die Kirchen stimmten dem Entwurf zwar überwiegend zu, in der öffentlichen Diskussion wurde jedoch auch Kritik, insbesondere von Seiten konservativer Lutheraner, geübt.102
97 98 99
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102
Lahrs, wurde jedoch noch in Cartigny überarbeitet, vgl. Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 381. Beide Vorentwürfe abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A68–A77 (Lienhard/Staedtke) u. A78–A84 (Lahr). Erster Gesamtentwurf: A85–A91, Zweiter Gesamtentwurf: A92–A100. Vgl. Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971–1973, III. Lohff, Wenzel, Ein Schritt auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft. Bemerkungen zur Leuenberger Konkordie, in: EK 12 (1971), 710–712; 711, auch abgedruckt in: epdD 13 (1972), 47–49; 48. Zum Verlauf der Verhandlungen im September vgl. Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971 bis 1973, V–VIII. X–XIX; Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 397–416. Protokoll und Teilnehmerliste s. Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971 bis 1973, 76–82. Vgl. ferner Lienhard, Marc, Einheit in versöhnter Verschiedenheit. Der schwierige Weg nach Leuenberg, in: Hüffmeier, Wilhelm/Hahn, Udo (Hg.), Evangelisch in Europa. 30 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft, Frankfurt a.M. 2003, 31–66. Die entstandenen Textvarianten zwischen Cartigny-Papier und dem fertiggestellten Entwurf der Konkordie im September 1971 sind ediert in: Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971–1973. Vgl. Lohff, Wenzel, Ein Schritt auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft, 711. Die Begriffe „Herstellung“ von Kirchengemeinschaft und „Vollzug“ wurden später ersetzt durch die Begriffe „Erklärung“ und „Verwirklichung“. Mit dem späteren Begriff der „Erklärung“ wird der Interpretation des Verständnisses von Kirchengemeinschaft ein größerer Raum gegeben. Einen Überblick zu den Stellungnahmen bietet Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 417–543; A158–A184. Zur Kritik vgl. paradigmatisch den Sammelband Asendorf, Ulrich/Künneth, Friedrich Wilhelm (Hg.), Von der wahren Einheit der Kirche; vgl. ferner Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg. Mannermaa war Vorsitzender der Arbeitsgruppe in der lutherischen Kirche Finnlands, die 1973 ihre Ablehnung des Konkordienentwurfs veröffentlichte (Kiviranta, Simo [Hg.], Theologische Grundprobleme im Leuenberger Konkordienentwurf) und zudem an dem o.g. kritischen Sam-
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Der theologische Dialog im Vorfeld
In der Zeit bis zur zweiten Konferenz in Leuenberg tagte zweimal ein Fortsetzungsausschuss, der sich mittels der eingegangenen Voten der Kirchen mit der Überarbeitung des Konkordienentwurfs beschäftigte.103 Seine Vorschläge wurden im März 1973 in Leuenberg bei der abschließenden Revision der Konkordie berücksichtigt. Im Laufe der intensiven Diskussion kam es teilweise zu Neuformulierungen, aber auch zur Wiederaufnahme ursprünglicher Formulierungen des Textentwurfs von 1971 und zu Kompromissformulierungen. Dies führte immer wieder zu einer Gefährdung des gesamten Vorhabens einer Konkordie.104 Die Endfassung des Dokuments erhielt die Zustimmung von 35 der 39 Delegierten. Vier Delegierte enthielten sich ihrer Stimme in der Schlussabstimmung. Am 30. September 1974 hatten bereits 49 der 88 angefragten Kirchen die Konkordie signiert, zwölf weitere kündigten die Unterzeichnung an.105 Am ersten Oktober 1974 trat die mit der Leuenberger Konkordie erklärte Kirchengemeinschaft zwischen den Unterzeichnerkirchen in Kraft.106 In einem Brief an die Kirchen fordert Lukas Vischer dazu auf, „das Ereignis der Konkordie über den Bereich des theologischen Gespräches und der kirchenamtlichen Entscheidung hinauszutragen in die Gemeinden und Gottesdienste“107.
103
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106 107
melband von Asendorf/Künneth beteiligt. Vgl. auch Kap. C 1 der vorliegenden Untersuchung. Die Sitzungen fanden im Dezember 1972 sowie unmittelbar vor der abschließenden Sitzung auf dem Leuenberg im März 1973 statt. Die verschiedenen Versionen und Tischvorlagen sind ediert in: Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971 bis 1973. Einen knappen Überblick zu den Stellungnahmen bietet Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 547–552. Zu den Formulierungsvorschlägen des Fortsetzungsausschusses für die Überarbeitung des Konkordienentwurfs vgl. a. a. O., A122–A157. Vgl. Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971 bis 1973, X–XIX; Zeddies, Helmut, Wie die Leuenberger Konkordie entstand, 13f; Lienhard, Marc, Einheit in versöhnter Verschiedenheit. Der schwierige Weg nach Leuenberg, in: a. a. O., 37–40. Ausgehend von der deutschen Fassung vom 16. März 1973, die als authentische Fassung auch den Kirchen zur Unterzeichnung zugesandt wurde, wurde die Leuenberger Konkordie noch im Jahr 1973 von Mitaurotren der Konkordie ins Englische (Martin H. Cressey) und Französische (Marc Lienhard) übersetzt. Im Oktober 2012 existieren bereits Übersetzungen in insgesamt 16 unterschiedliche Sprachen. Vgl. Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie), Hannover 16. März 1973. Vgl. hierzu Bünker, Michael, Einleitung, in: ders./Friedrich, Martin (Hg.), Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie), Leipzig 2013, 18. Vgl. Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 628. Ebd. mit Verweis auf einen Brief von Lukas Vischer an die Kirchen, 1. 10. 1974, 2.
Zusammenfassung der historischen Entstehungsschritte
1.5
61
Zusammenfassung der historischen Entstehungsschritte
Die Leuenberger Konkordie ist das Ergebnis mehrerer evangelisch-ökumenischer Gesprächsreihen in den Jahren 1955 bis 1973, an denen Delegierte einer Vielzahl reformatorischer Kirchen in Europa teilgenommen haben. Die Gespräche wurden durch unterschiedliche Impulse beeinflusst und konnten auf diverse Ergebnisse von Vor- und Parallelgesprächen rekurrieren. Ein Impuls ging von der Barmer Bekenntnissynode in Halle 1937 aus, die der Herstellung von Abendmahlsgemeinschaft gewidmet war und in deren Folge schließlich die Arnoldshainer Abendmahlsthesen entstanden waren. Ein grundsätzlicher offizieller Anstoß für die Gespräche auf europäischer Ebene ging von dem ökumenischen Appell in Lund 1952 aus, in dessen Folge die ersten lutherisch-reformierten Gespräche in Arnoldshain und auf dem Liebfrauenberg geführt wurden. Bereits dieser Dialog orientierte sich, wie die späteren auch, methodisch an CA VII. Im Unterschied zu diesen ging er jedoch noch von dem Ziel der Abendmahlsgemeinschaft aus. Hierzu machte der lutherisch-reformierte Dialog den Versuch, eine „komplette Aufarbeitung der Lehrkontroversen über das Abendmahl“108 mithilfe des Vergleichs von Lehraussagen lutherischer und reformierter Kirchen aus Europa zu erreichen und einen umfassenden Lehrkonsens zu formulieren. Dieses anfängliche Ziel wurde weder in der ersten noch in der zweiten Gesprächsphase erreicht. In den Schauenburger Gesprächen, die nun auch von den Kirchen autorisiert und von den konfessionellen Weltbünden mitverantwortet wurden, widmeten sich die Teilnehmer mit dem Ziel einer Lehrkonkordie zur Kirchengemeinschaft zwar weiterhin der Aufarbeitung historischer Kontroversen. Die Kirchen kamen jedoch bereits zu einer entscheidenden Einsicht über die geschichtliche Gebundenheit von Bekenntnisaussagen und den Einfluss auch nicht-theologischer Faktoren auf die Kirche. Theologische Thesenreihen verdeutlichten, dass Ökumene und Konfessionalismus keinen Widerspruch darstellten angesichts der Tatsache, dass die in den Bekenntnissen ausgesprochenen gegenseitigen Lehrverurteilungen ihre aktuelle Bedeutung verloren hatten. Die Reflexion säkularer Faktoren wies auf den Aspekt Europa als gemeinsame Herausforderung und zugleich als Chance zur Überwindung der bisherigen Trennungen hin. Die auf den Dialog in Schauenburg folgenden Leuenberger Gespräche, die nun von offiziell Delegierten der Kirchen geführt wurden, schafften schließlich den methodischen Durchbruch. Die Erarbeitung eines Lehrkonsenses konnte auf wichtige Ergebnisse der vorherigen Dialoge rekurrieren. Hinzu kam aber auch eine Reflexion des Modells von Kirchengemeinschaft als Ziel der Gespräche. Dieses wurde bereits längere Zeit im innerdeutschen Gespräch diskutiert und 108 Friedrich, Martin, Kirchengemeinschaft auf Grundlage der Leuenberger Konkordie, 17.
62
Der theologische Dialog im Vorfeld
führte 1970 zu den „Thesen zur Kirchengemeinschaft“, die wichtige Impulse für den Entstehungsprozess der Leuenberger Konkordie lieferten. Von zentraler Bedeutung war hierbei die Interpretation der Unterscheidung zwischen dem zur Einheit der Kirche Notwendigen und dem Nicht-Notwendigen mittels der Auslegung des consentire de doctrina evangelii aus CA VII. Die Gespräche waren somit von ihrem Anfang in Arnoldshain bis zur Fertigstellung der Konkordie methodisch an CA VII orientiert. Mit dem Leuenberger Bericht über Kirchengemeinschaft wurde das Verständnis von Kirchengemeinschaft expliziert als das eines Tatzeugnisses der geglaubten Einheit in Christus sowie einer Gemeinschaft, die nach größtmöglicher Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst strebt. Kirchengemeinschaft hatte also einen geschichtlichen Charakter. Aus diesem Verständnis ergab sich ein erster Anforderungskatalog an eine zu erstellende Konkordie. Dieser enthielt neben der Herausstellung des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums und der Entkräftung der gegenseitigen Lehrverurteilungen auch die Festlegung von kontinuierlichen Lehrgesprächen, die den Wachstums- und Bewährungscharakter der geschichtlichen Kirchengemeinschaft unterstrichen. Der abschließende Text der Leuenberger Konkordie wurde nach zahlreichen Verhandlungen und Revisionen des Wortlauts am 16. März 1973 zur Unterzeichnung durch die Kirchen freigegeben. Mit dem Inkrafttreten am 1. Oktober 1974 erklärten bisher voneinander durch gegenseitige Lehrverurteilungen getrennte reformatorische Kirchen unterschiedlicher Bekenntnistraditionen verbindlich Kirchengemeinschaft untereinander. Auf Basis dieses Konsensdokumentes treten die Kirchen bis heute in einen fortwährenden Dialog miteinander ein und verpflichten sich zur gegenseitigen Anerkennung der Ordination sowie zur Ermöglichung der Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Die enorme Bedeutung der Leuenberger Konkordie liegt darin, dass sich unterschiedliche Kirchen „zum ersten und bisher zum einzigen Male in der Geschichte der neueren ökumenischen Bewegung […] gegenseitig volle Kirchengemeinschaft gewährt und daher eine Trennungssituation überwunden haben“109. Die Konkordie ist vor diesem Hintergrund ein Meilenstein in der Ökumene.
109 Birmelé, André, Leuenberger Konkordie, 150.
2.
Aufbau und inhaltliche Ausrichtung der Leuenberger Konkordie
Die Leuenberger Konkordie ist in vier thematische Abschnitte unterteilt, denen eine Präambel, bestehend aus zwei Artikeln, vorangestellt ist.1 Den vier Abschnitten sind insgesamt 47 Artikel untergeordnet, die mithilfe von Überschriften in Sinnabschnitte gebündelt werden.2 Die Präambel benennt zum einen den Rahmen und zum anderen die Grundlage der Kirchengemeinschaft, die mit der Leuenberger Konkordie erklärt wird. So wird Kirchengemeinschaft erstens eingeordnet in einen Prozess des „Ringens um Wahrheit und Einheit in der Kirche“3. Kirchengemeinschaft ist zwischen den beteiligten Kirchen demzufolge nicht nur zu erklären. Sie ist auch beständig zu verwirklichen und zu bewähren.4 Zweitens nennt die Konkordie als notwendige Voraussetzung zur Erklärung von Kirchengemeinschaft in Rekurs auf CA VII „das gemeinsame Verständnis des Evangeliums“ sowie „die Übereinstimmung […] in der rechten Verwaltung der Sakramente“5, da dies die Mittel der Heilszuwendung Jesu Christi sind. Die auf die Präambel folgenden Ausführungen der Konkordie sind folglich orientiert an dem gemeinsamen „reformatorischen Kriterium“, das christozentrisch interpretiert wird.6 1 Die in der vorliegenden Studie verwendete Fassung ist die 2013 erschienene Neuausgabe der abschließenden deutschen Fassung vom 16. März 1973, mit deren Unterzeichnung die Kirchen verbindlich Kirchengemeinschaft untereinander erklären (Bünker, Michel/Friedrich, Martin [Hg.], Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa [Leuenberger Konkordie], Leipzig 2013). 2 Die Erläuterungen zum Aufbau und Inhalt der Leuenberger Konkordie weichen teilweise von der originalen Struktur des Dokumentes ab, um semantische Zusammenhänge interpretierend hervorzuheben. 3 LK 1, Satz 3. 4 Vgl. LK 1, Satz 2. Vgl. LK 2, Satz 1: Jesus Christus sammelt und sendet die Kirche. Kirche ist also grundsätzlich geschichtlich zu denken. 5 LK 1f. Das „gemeinsame Verständnis des Evangeliums“ dient in LK 1 als zusammenfassende Erläuterung dessen, was in LK 2 in Aufnahme des Kriteriums von CA VII als notwendig zur Einheit beschrieben wird: die „Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und in der rechten Verwaltung der Sakramente“. 6 Das Einheitskriterium, das die notae ecclesiae aufnimmt, findet sich als Gemeinsamkeit in den
64
Aufbau und inhaltliche Ausrichtung der Leuenberger Konkordie
Abschnitt eins („Der Weg zur Gemeinschaft“, Art. 3–5) bietet nicht nur einen historischen Rückblick, sondern vor allem eine knappe Darlegung der methodischen Grundentscheidung der Konkordie, die sich als eigene Auslegung von CA VII lesen lässt. So wird im Unterschied zu dem bisher von den Unterschieden bestimmten Verhältnis der Reformatoren (Art. 3) nun deren gemeinsames Erbe betont (Art. 4f). Aus der Retrospektive entdeckt die Konkordie Gemeinsamkeiten, die von den reformatorischen Kirchen zur Zeit der Reformation noch nicht so deutlich erkannt wurden wie zur Zeit der Konkordie: Die unterschiedlichen reformatorischen Strömungen gingen aus von „einer neuen befreienden und gewißmachenden Erfahrung des Evangeliums“7. Am Evangelium wurde ihnen ein neues Verständnis der Rechtfertigung allein aus Glauben gewiss.8 Diese Gewissheit über das Verständnis des Evangeliums hatte die Qualität einer „erkannte[n] Wahrheit“9, so die Konkordie, und stand in Konflikt mit der Lehre der Papstkirche. In der Folge betonten die Reformatoren, dass alleine das in der Schrift bezeugte Evangelium als Botschaft von der freien Gnade Gottes Maßstab kirchlicher Lehre sein solle. Als weitere Gemeinsamkeit nennt Artikel vier die Einsicht, dass die Reformatoren zwischen dem Wort Gottes und der Gestaltung des Zeugnisses durch den Menschen, die dem Wort Gottes stets unterlegen bleibt und sich an ihm ausrichtet, unterschieden. Handeln und Gestalt der Kirche sollten allein von dem Auftrag her bestimmt sein, das Zeugnis von der bedingungslosen Gnade Gottes in der Welt auszurichten.10 Zugleich bekannten sich die Reformatoren zu den altkirchlichen Symbolen und betonten somit die Kontinuität ihrer Überzeugung mit der alten Kirche.11 Artikel fünf beschreibt sodann die veränderte kirchliche Situation zu Zeiten der Konkordie. Theologische Einsichten und Entwicklungen veranlassten die Kirchen dazu, ihr Zeugnis für die Gegenwart zu aktualisieren.12 Dabei unter-
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grundlegenden Texten der verschiedenen reformatorischen Traditionen wieder: CA VII; Inst. IV.1.9; Confess. Helv. Posterior, 17. LK 4, Satz 2. Vgl. LK 4, Satz 5. LK 4, Satz 3. Vgl. den ähnlichen Wortlaut in BThE 6: „Der Auftrag der Kirche […] besteht darin, an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“. Vgl. hierzu die Nennung der drei altkirchlichen Glaubensbekenntnisse im lutherischen Konkordienbuch und in der Confessio Gallicana V: das Apostolicum, das Nicäno-Konstantinopolitanum und das Athanasianum. Zusätzlich werden in der Confessio Helvetica Posterior XI die Bekenntnisse der Konzilien von Ephesus und Chalcedon aufgenommen. Der Leuenberger Bericht benennt die konkreten Impulse. Hierzu zählen u. a. die pietistische Frömmigkeitsbewegung, das Wiedererstarken des Konfessionalismus im 19. Jahrhundert, die Weltkriege des 20. Jahrhunderts mit den damit verbundenen politischen, ökonomischen und geistesgeschichtlichen Entwicklungen sowie die Herausforderungen durch die Säkularisie-
Aufbau und inhaltliche Ausrichtung der Leuenberger Konkordie
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scheiden sie zwischen dem „grundlegenden Zeugnis der reformatorischen Bekenntnisse“ einerseits und ihren „geschichtlich bedingten Denkformen“13 andererseits. Hierzu tritt später die weitere Unterscheidung zwischen dem für die Einheit Zentralen und dem Nicht-Zentralen hinzu.14 Die Darlegungen aus Abschnitt eins, die Verhältnisbestimmung zwischen dem Wort Gottes und dem menschlichen Zeugnis sowie die inhaltliche Aussage zum Evangelium, aber auch die doppelte Unterscheidung zwischen dem grundlegenden Zeugnis und den geschichtlich bedingten Denkformen der Bekenntnisse sowie dem Zentralen und dem Nicht-Zentralen bilden die methodische Basis für die folgenden Abschnitte der Konkordie. Im zweiten Abschnitt der Konkordie (Art. 6–16) wird das von CA VII bestimmte Kriterium zur Einheit der Kirche eingelöst, indem der Konsens über den Inhalt des Evangeliums sowie daran anknüpfend das Verständnis der kirchlichen Handlungen der Verkündigung und der Sakramentsspendung expliziert wird.15 Hierbei nimmt die Konkordie die gemeinsame Überzeugung der Bekenntnisse über das Verständnis des Evangeliums auf, dass die ausschließliche Heilsmittlerschaft Jesu Christi „Mitte der Schrift“ und die Rechtfertigungsbotschaft sola gratia „Maßstab aller Verkündigung der Kirche“16 sei. Die Konkordie konstatiert zudem, dass dieser Konsens über das Verständnis des Evangeliums auf dem Boden der altkirchlichen Symbole stehe.17 Der reformatorische Konsens ist also innerhalb der einen geschichtlichen Kirche zu verorten und stellt aus reformatorischer Perspektive keinen Bruch mit dieser dar. An gemeinsamen Aussagen über die gottesdienstlichen Handlungen wird der beschriebene Konsens anschließend näher ausgeführt.18 Mit den beiden dargestellten Abschnitten ist bisher eingelöst, was in der Präambel in Rekurs auf CA VII als notwendiges und ausreichendes Kriterium für die Einheit der Kirche benannt wurde: die rechte Lehre des Evangeliums sowie die rechte Verwaltung der Sakramente. Offen bleibt bis zu diesem Punkt hingegen die Frage, wie mit den kirchentrennenden Lehrverurteilungen der Bekenntnisse
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rung. Vgl. Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 11–14, Nr. 6– 12. LK 5, Satz 5. Vgl. LK 37, Satz 3. Die Unterscheidung zwischen Zentralem und nicht-Zentralem reicht noch über das Kriterium von CA VII hinaus, da hiermit der Aspekt der bisher kirchentrennenden Lehraussagen berührt wird. Abweichend vom Rekurs in LK 2 auf den nach CA VII nötigen Konsens „zur wahren Einheit der Kirche“ heißt es nun in LK 6 über den explizierten Konsens: „soweit es für die Begründung einer Kirchengemeinschaft erforderlich ist“ (Herv. v. J.G.). LK 12. Mit der Formulierung „Mitte der Schrift“ wird die Aussage Luthers rezipiert, die Bibelexegese daran zu orientieren „was Christum treibet“ (WA DB 7, 385, 26f; vgl. auch WA 47, 66, 18–24). Vgl. LK 12. Vgl. LK 13–16.
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Aufbau und inhaltliche Ausrichtung der Leuenberger Konkordie
umzugehen ist, da die Unterscheidung zwischen grundlegendem Zeugnis und historisch bedingten Denkformen hierauf noch keine Antwort liefert.19 Diesem Thema widmet sich der dritte Hauptteil der Konkordie, „Die Übereinstimmung angesichts der Lehrverurteilungen der Reformationszeit“20. Hierin werden die Verwerfungsurteile zur Abendmahlslehre, Christologie und Prädestination behandelt.21 Die methodische Unterscheidung zwischen dem grundlegenden Zeugnis und den geschichtlich bedingten Denkformen der Bekenntnisse ermöglicht es der Konkordie, gemeinsame Einsichten zu den Einzellehren zu formulieren. Diese führen zu der Schlussfolgerung, dass die Verwerfungen in den reformatorischen Bekenntnissen den „Stand der Lehre“22 dieser Kirchen nicht betreffen, bzw. nicht mehr nachvollzogen werden können (Art. 23). Zusammenfassend wird betont, dass die Urteile der Bekenntnisse zwar „nicht als unsachgemäß bezeichnet“23 würden, jedoch nicht mehr für die Kirchengemeinschaft hinderlich seien, da ihnen durch die gemeinsame Neuformulierung und die somit veränderte Einsicht der Kirchen der Anspruch auf aktuelle Gültigkeit genommen worden sei. Die weiterhin bestehenden Differenzen auf Ebene kirchlicher Ordnungen und des kirchlichen Lebens werden ebenso als nicht kirchentrennend bezeichnet, wobei in Entsprechung zu Artikel zwei implizit auf die Kriterien aus CA VII rekurriert wird.24 Der vierte Abschnitt bildet den größten Baustein der Konkordie und führt aus, was zu Beginn in Artikel eins als deren Programm beschrieben wurde: die Erklärung und Verwirklichung von Kirchengemeinschaft.25 In einem vorangestellten Artikel wird Kirchengemeinschaft definiert als im gemeinsamen Verständnis des Evangeliums gründende, gegenseitig gewährte „Gemeinschaft an Wort und Sakrament“, die „eine möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und
19 Vgl. LK 5. 20 LK 17–28. 21 Die Entkräftung der Verwerfungsurteile in der Lehrfrage des Abendmahls ist angesichts seiner ehemals spaltenden Wirkung für die evangelischen Kirchen von besonderer Bedeutung. Für die neuen, gemeinsamen Formulierungen in den strittigen Lehrfragen konnte die Konkordie u. a. auf Aussagen aus dem nordamerikanischen Abschlussdokument „Marburg Revisited“ von 1966 zurückgreifen (Empie, Paul C./McCord, James I., Marburg Revisited, auf Deutsch abgedruckt in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung [Hg.], Auf dem Weg, 110–118). Für den Konsens im Abendmahlsverständnis waren die Arnoldshainer Abendmahlsthesen von 1957 von großer Bedeutung. Für den Konsens in der Prädestinationslehre war Karl Barths Neufassung der Prädestinationslehre (KD II/2) entscheidend. 22 LK 20, 26, 27. 23 LK 27, Satz 2. 24 Vgl. LK 28. 25 In der Textfassung von 1985 heißt es fälschlicherweise „Erklärung der Verwirklichung der Kirchengemeinschaft“ anstelle von „Erklärung und Verwirklichung der Kirchengemeinschaft“. Dieser Fehler wird in der Neuauflage von 2013 korrigiert.
Aufbau und inhaltliche Ausrichtung der Leuenberger Konkordie
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Dienst an der Welt“26 erstrebt. Dieses Verständnis von Kirchengemeinschaft führt zu zwei Folgerungen: der Erklärung und dem Auftrag zur Verwirklichung der Kirchengemeinschaft. Indem die Kirchen der Konkordie zustimmen, erklären sie einen Konsens über das gemeinsame Verständnis des Evangeliums und die gegenwärtig nicht mehr aktuellen Lehrverurteilungen. Da somit die Kriterien zur Einheit eingelöst sind, beinhaltet die Erklärung von Kirchengemeinschaft auch die gegenseitige Gewährung von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Diese Erklärung von Kirchengemeinschaft bringt auch die bereits in Artikel zwei anklingende Überzeugung zum Ausdruck, dass die Kirchen zum gemeinsamen Dienst verpflichtet sind.27 Diese Überzeugung wird in der Konkordie nachfolgend erläutert. So wird die Verwirklichung von Kirchengemeinschaft als ein Weg des gemeinsamen Zeugnisses und Dienstes sowie der Vertiefung der Gemeinschaft verstanden.28 Zum einen seien die Kirchen gesendet, das Evangelium möglichst einmütig, das heißt glaubwürdig zu verkündigen und auf Grundlage des Evangeliums auch ihren diakonischen Auftrag in der Welt wahrzunehmen.29 Zum anderen sollen die Kirchen durch theologische Weiterarbeit in Form von kontinuierlichen Lehrgesprächen ihre Grundlage, das gemeinsame Verständnis des Evangeliums, vertiefen und bewähren.30 Dies bedeutet auch, dass der mit der Konkordie erreichte Konsens der steten Überprüfung bedarf.31 In einem Abschnitt zu den organisatorischen Folgerungen wird auffällig defensiv jeglicher Gestaltungsversuch, sowohl rechtlicher als auch organisatorischer oder theologischer Art, dem Kriterium unterworfen, ob er der Kirchengemeinschaft dient und die „lebendige Vielfalt der Verkündigungsweisen, des gottesdienstlichen Lebens, der kirchlichen Ordnung und der diakonischen wie gesellschaftlichen Tätigkeit“32 nicht beeinträchtigt ist. Kirchengemeinschaft bemisst sich folglich nicht an dem Grad der Vereinheitlichung, sondern an dem Ziel der glaubwürdigen Verkündigung des einmütig verstandenen Evangeliums. Abschließend wird die mit der Konkordie erklärte „Kirchengemeinschaft im europäischen Raum“ in den Kontext und Dienst der „ökumenischen Gemein26 LK 29. 27 Kirche wird beschrieben als von Jesus Christus gesammelte und gesendete Gemeinschaft. Kirchengemeinschaft ist also zu verorten in einem eschatologischen Rahmen, der bestimmt wird durch die Einheit der Kirche in Christus (Sammlung) sowie den Verkündigungsauftrag der Kirchen in der Welt (Sendung/Zeugnis und Dienst). Vgl. hierzu die Ausführungen in Kap. A 4.1 der vorliegenden Untersuchung. 28 Vgl. LK 35. 29 Vgl. LK 36 u. 11, Satz 1. 30 Vgl. LK 38. Die Notwendigkeit hierzu ergibt sich aus dem Verständnis des Evangeliums als „lebendiges Wort Gottes“, dessen Bezeugung in den Bekenntnissen der steten Aktualisierung bedarf (LK 5, Satz 6). 31 Vgl. LK 38. 32 LK 45.
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Aufbau und inhaltliche Ausrichtung der Leuenberger Konkordie
schaft aller christlichen Kirchen“33 gestellt. Somit wird betont, dass sich die in der Konkordie konsensuell geeinten reformatorischen Kirchen als Teil der Universalkirche sehen, wie es bereits zu Beginn in Artikel zwei über die allgemeine Definition von Kirche sowie in Artikel vier hervorgehoben wird.34
33 LK 46. 34 Vgl. LK 4, Satz 7: „Dabei haben sie [sc. die Reformatoren] gemeinsam mit der ganzen Christenheit das in den altkirchlichen Symbolen ausgesprochene Bekenntnis zum dreieinigen Gott und der Gott-Menschheit Jesu Christi aufgenommen und neu bekannt“.
3.
Das Konzept von Kirchengemeinschaft der Leuenberger Konkordie – Eine Leitinterpretation in vier Thesen
Die vorliegende detaillierte Interpretation des Einigungsmodells der Konkordie orientiert sich an vier Leitthesen, die von der vorliegenden Untersuchung zum Modell aufgestellt werden. Anhand dieser Thesen werden im Folgenden die zentralen Gedanken zum Konzept der Konkordie skizziert, die im Anschluss detailliert an der Textgrundlage entfaltet werden.1 1. Bereits der ökumenische Appell in Lund 1952 verdeutlicht das theologische Problem und den kirchlichen Auftrag, an den die Leuenberger Konkordie anschließt. In Lund appelliert der ÖRK an die Kirchen, „die Einheit des Volkes Gottes sichtbar zu machen“. Es wird demnach eine Spannung wahrgenommen zwischen der Einheit, die in den Bekenntnissen der Kirchen bezeugt wird, und der sichtbaren Trennung der historischen Kirchen. Bezeugt wird die Einheit, die das Werk Gottes ist; durch dessen Versöhnungswerk in Jesus Christus haben die Christen schon jetzt im Glauben an der Rechtfertigung teil. Diese gegebene Einheit, die Sammlung im Leib Christi, soll sichtbaren Ausdruck im Leben der Kirchen erhalten. Die Kirchen sind gesendet, ihre Trennungen zu überwinden und sich miteinander zu versöhnen. Sie sind darüber hinaus gesendet, das versöhnende Wort Gottes allen Menschen glaubhaft zu bezeugen, damit die Welt glaube (Joh 17,21). Die Sendung zielt folglich auf die Sammlung im Leib. Dieser Auftrag zur Einheit bleibt eine von den Menschen in der Geschichte unerfüllbare Aufgabe, deren Erfüllung erst mit der eschatologischen Vollendung der Schöpfung durch den Schöpfer selbst (Parusie) am Ende der Geschichte geschieht, so die christliche Hoffnung.2 1 Auf explizite Textbezüge wird an dieser Stelle verzichtet, da diese in den darauffolgenden Detailbetrachtungen, mit denen die Leitinterpretation gestützt wird, hergestellt werden. 2 Das Verhältnis zwischen der in Christus vorgegebenen Einheit und dem als eschatologisch zu charakterisierenden Ziel vollkommener Einheit ist stets als ein „noch nicht“ und ein „doch schon“ zu begreifen: Im Glauben haben die Christen bereits Teil an der Einheit in Christus und sind in ihm miteinander geeint. Der Konsens im Glauben, der nur in der je und je vollzogenen Explikation gefunden werden kann, äußert sich über kontextuell gebundene Formen und ist somit zwischen den Kirchen immer wieder neu zu suchen. Ebenso bleiben die Kirchen stets
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Das Konzept von Kirchengemeinschaft
Die erste These zur Interpretation der Konkordie lautet: Die Konkordie verortet sich selbst in einem eschatologischen Rahmen, der geprägt ist durch die Aspekte von Sammlung und Sendung. Die Konkordie nimmt den biblischen Sendungsauftrag der Kirchen im reformatorischen Kontext wahr, indem sie auf eine Einheit der evangelischen Kirchen rekurriert, die sie entdeckt.3 Sie ist somit zu verstehen als eine Sammlung bisher sichtbar voneinander getrennter Kirchen. Zugleich geht von der Konkordie der Sendungsauftrag an die so gesammelten Kirchen aus, über ihre Gemeinschaft hinaus eine größere Gemeinschaft zu erstreben und zu erhalten. Das Verständnis von Kirchengemeinschaft, das mit der Konkordie zum Ausdruck kommt, wird durch die Aspekte von Sammlung und Sendung, Einheit und Vielfalt maßgeblich bestimmt. 2. Um die Sammlung bekenntnisverschiedener Kirchen zu ermöglichen, entwickelt die Konkordie eine Methode. Hierzu rekurriert sie auf eine den reformatorischen Kirchen gemeinsame Einsicht über die Kennzeichen von Kirche und auf den zur Einheit notwendigen Konsens, CA VII. Allerdings bezieht sich die Konkordie auf andere Weise auf den Artikel, als es die Reformatoren im 16. Jahrhundert taten.4 Während das Doppelkriterium aus CA VII des pure docetur und recte administrantur bisher inhaltlich durch CA I bis XXI entfaltet wurde, wird das Kriterium nun mit Blick auf die unterschiedlichen Bekenntnisse der Kirchen angewendet.5 Die bisher einen Konsens zwischen den Kirchen verhindernden Bekenntnisse bleiben in der Konkordie verpflichtend, sie bilden somit die Grundlage zur Einlösung des Kriteriums aus CA VII. Methodisch löst die Konkordie die Spannung zwischen der bleibenden Bekenntnisbindung und den darin enthaltenen unterschiedlichen Glaubensaussagen einerseits und dem einzulösenden Doppelkriterium aus CA VII andererseits mithilfe mehrerer Unterscheidungen. Die zweite These lautet deshalb: Zur Sammlung der reformatorischen Kirchen rekurriert die Konkordie interpretierend auf deren gemeinsame Kriterien zur Einheit der Kirche. Die Konkordie löst die zur Einheit genannten Kriterien ein, indem sie erstens selbst ein hermeneutisches Kriterium im Sinne der Wahrheit des Evangeliums (pure/recte) definiert, an dem sich der zu explizierende Konsens inhaltlich stets hinter ihrem Sendungsauftrag zurück, sodass auch diesbezüglich nicht von innergeschichtlich verwirklichter, vollkommener Einheit gesprochen werden kann. 3 Der Vorgang des Rekurses, der Umkehr zu einer früheren Einheit im Evangelium erinnert an die Umkehrbewegung des Sünders. Vgl. hierzu die Ausführungen in Kap. A 4.2.1 der vorliegenden Untersuchung. 4 Vgl. Dieter Theodor, Kirchengemeinschaft – Eine klärungsbedürftige ökumenische Konzeption, 280f. 5 Vgl. ebd.
Eine Leitinterpretation in vier Thesen
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messen muss. Zweitens unterscheidet die Konkordie zwischen dem notwendigen Konsens im Zentralen und, so ist zu ergänzen, dem Nicht-Zentralen und bestimmt somit den Umfang des Konsenses. Sie interpretiert folglich die in CA VII genannte Unterscheidung zwischen satis est und nec necesse est.6 Drittens differenziert sie die divergierenden Bekenntnisse in sich hinsichtlich des „grundlegenden Zeugnisses“ und der „geschichtlich bedingten Denkformen“7 und bestimmt somit die Art des Konsenses. 3. Mithilfe des beschriebenen Rückgriffs auf die reformatorischen Kriterien vermittelt die Konkordie zwischen den unterschiedlichen Bekenntnissen und den darin enthaltenen Lehrverurteilungen. Von zentraler Bedeutung für das Leuenberger Modell ist die Unterscheidung zwischen dem grundlegenden Zeugnis reformatorischer Bekenntnisse und ihren geschichtlich bedingten Denkformen. Diese von der Konkordie dargelegte Unterscheidung zur Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Bekenntnissen ist Gegenstand einer bis heute andauernden Auseinandersetzung im wissenschaftlichen Diskurs um das ökumenische Modell. Im weiteren Verlauf der vorliegenden Untersuchung wird sich zeigen, dass die Unterscheidung auch als dynamischer Bestandteil des Modells gesehen werden kann, da sie unterschiedlich interpretiert wird.8 Der vorliegende Interpretationsansatz hebt diese Dynamik nicht auf, sondern versteht sich als ein Beitrag zum Diskurs, der die unterschiedlichen Perspektiven miteinander zu verbinden versucht. Die dritte These lautet demnach: Um einen tragfähigen Konsens zwischen den Kirchen zu erreichen, unterscheidet die Konkordie mit Blick auf die verschiedenen Bekenntnisaussagen zwischen deren „grundlegenden Zeugnis“ und deren „geschichtlich bedingten Denkformen“. Diese Differenzierung wird auf zwei verschiedenen, jedoch miteinander im Verhältnis stehenden Ebenen vorgenommen. Der vorliegende Interpretationsansatz geht davon aus, dass mit dieser Unterscheidung erstens eine vertikale Ebene bezeichnet wird, die das Verhältnis zwischen dem Evangelium und der kirchlichen Lehre betrifft.9 Um wahre, das heißt evangeliumsgemäße Lehre zu sein, muss sich die Lehre an ihrem Bezugsgegenstand messen. Die reformatorischen Kirchen sind davon überzeugt, dass das Evangelium die Botschaft von der freien Gnade Gottes ist. Diese den refor6 Vgl. LK 37. Die Konkordie stellt fest, dass die „im Zentralen gewonnene Übereinstimmung“ Kirchengemeinschaft ermöglicht. 7 LK 5, Satz 5. 8 Vgl. hierzu die Interpretation der Kirchenstudie, mit der eine bestimmte Lesart akzentuiert wird, die sich im Verhältnis von opus Dei und opus hominum bzw. im Begriff der „Instrumentalität“ menschlichen Handelns widerspiegelt. Zur unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeit vgl. die ausführliche Betrachtung des ökumenischen Diskurses, Kap. C der vorliegenden Untersuchung. 9 Mit dem Begriff der vertikalen Ebene soll verdeutlicht werden, dass das Evangelium und die menschliche Lehre nicht auf demselben Niveau gleichwertig einander gegenüberstehen.
72
Das Konzept von Kirchengemeinschaft
matorischen Kirchen von Beginn an geschenkte Glaubensgewissheit über die Wahrheit des Evangeliums ist das hermeneutische Regulativ für die kirchliche Lehre. Auf der horizontalen, zwischenkirchlichen Ebene ist es hingegen notwendig, dass die Kirchen zu einem Lehrkonsens gelangen, um einander als wahre Kirche anerkennen zu können. Diesen Lehrkonsens erzielen die Kirchen, indem sie sich an dem in der Schrift bezeugten Evangelium und der gemeinsamen Glaubensgewissheit orientieren. Mithilfe dieser Orientierung formulieren sie Konsense in den zur Begründung von Kirchengemeinschaft notwendigen Lehrfragen. Sie gehen dabei von ihren Bekenntnissen aus, reaktualisieren aber deren Aussagen, die mit Blick auf den Zeugnisgegenstand geschichtlich bedingt, das heißt stets defizitär bleiben, für die Gegenwart. 4. Ausgehend von dieser für die Leuenberger Konkordie fundamentalen Unterscheidung zwischen dem grundlegenden Zeugnis und den geschichtlich bedingten Denkformen wird ein bestimmtes Verständnis von Kirchengemeinschaft verdeutlicht. Zugleich hat dieses Verständnis Konsequenzen für das Modell von Kirchengemeinschaft. Dieses ist nämlich maßgeblich geprägt durch das Verhältnis zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln der Menschen sowie dem Verhältnis von Glaubenseinheit und sichtbarer, geschichtlicher Gemeinschaft:10 Die Entdeckung des „grundlegenden Zeugnisses“, das den unterschiedlichen Bekenntnissen gemeinsam ist, weist auf eine Ebene der Glaubenseinheit der Kirchen hin. Diese Einheit ist nicht primär das Werk menschlicher Explikationsbemühungen in Bezug auf das Evangelium, sondern das Werk von Gottes Selbstoffenbarung. Die Glaubenseinheit wird erneuert im gottesdienstlichen Geschehen im Sinne einer „gemeinsame[n] Teilhabe an dem in Wort und Sakrament gegenwärtigen und wirkenden Christus“11. Im Unterschied zum grundlegenden Zeugnis weisen die „geschichtlich bedingten Denkformen“ auf die stets neu zu suchende Lehrgemeinschaft der Kirchen hin. Das Evangelium wird in unterschiedlichen Ausdrucksformen bezeugt, die geschichtlich und kontextuell gebunden bleiben. Kirchliche Lehre ist folglich niemals identisch mit ihrem Zeugnisgegenstand, sondern bleibt vielmehr bestimmt durch ihren vorläufigen Charakter. Die immer wieder neu zum Ausdruck zu bringende Kirchengemeinschaft als Lehrgemeinschaft bleibt also eine geschichtliche Bewährungsgemeinschaft und ist stets am Evangelium zu reformieren. Die vierte These lautet daher: Ausgehend von der Konsensmethode ist Kirchengemeinschaft reformatorischer Kirchen zu verstehen als proiectum und 10 Die sichtbare Gemeinschaft ist wiederum charakterisiert durch die Aspekte der „geistlichen Gemeinschaft“ und der „Lehrgemeinschaft“. Harding Meyer definiert den Begriff der „geistlichen Gemeinschaft“ in Anlehnung an den Leuenberger Bericht als „volle Gemeinsamkeit an Wort und Sakrament“ (Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzeptes „Kirchengemeinschaft“, 225). 11 Ebd.
Eine Leitinterpretation in vier Thesen
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processus, das heißt als bereits vorausgeworfene Einheit im Glauben und darauf bezogene, fortwährend zu explizierende Gemeinschaft. Kirchengemeinschaft ist eine Glaubensgemeinschaft, deren Einheit bereits jetzt als proiectum, als von Gott Vorausgeworfenes, innerhalb des eschatologischen Rahmens gegeben ist. Kirchengemeinschaft ist zugleich bestimmt als processus, als das Bemühen der Menschen, ihre Einheit im Glauben stets neu zu entdecken und im gemeinsamen Zeugnis angemessen zu formulieren. Dieses Verständnis von Kirchengemeinschaft bewirkt schließlich auf der Modellebene, dass Kirchengemeinschaft nicht nur erklärt werden muss, sondern auch kontinuierlich zu verwirklichen ist: Der Lehrkonsens, der mit der Konkordie zwischen den Kirchen zum Ausdruck gebracht wird, ist zwar ausreichend, um Kirchengemeinschaft zu erklären. Zugleich muss sich jedoch auch dieser Konsens innergeschichtlich mit Blick auf die Sammlung und Sendung immer wieder als Vermittlung zwischen den wandelbaren Lehrakzentuierungen und Lehreinsichten der einzelnen Kirchen neu bewähren. Darüber hinaus zielt dieser Verwirklichungsprozess von Kirchengemeinschaft auch auf die wachsende Einmütigkeit des Zeugnisses in der Welt.
4.
Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut der Leuenberger Konkordie
Die vier leitenden Thesen zum Leuenberger Konzept von Kirchengemeinschaft werden im Folgenden am Wortlaut der Leuenberger Konkordie anhand zentraler Topoi im Detail überprüft.1 Hierzu analysiert die vorliegende Untersuchung die Konkordie auf drei Ebenen. Diese drei Ebenen sind bereits im Proömium des Dokumentes als Programm bzw. leitende Struktur der Konkordie zu erkennen: Die erste Ebene (These 1) wird bestimmt durch die Heilsgeschichte. Diese spannt einen Bogen, innerhalb dessen die Konkordie die Kirche über die zwei Aspekte von Sammlung und Sendung als Heilsgemeinschaft und Zeugnisgemeinschaft verortet.2 Ausgehend von diesem Kirchenverständnis entwickelt die Konkordie auf der zweiten Ebene (These 2 und 3) ein Modell von Kirchengemeinschaft, das zum einen von der Konkordie selbst als spezifisch reformatorisch gedeutet wird.3 Zum anderen deutet die vorliegende Untersuchung das Modell als Spezifikum 1 Das Modell von Kirchengemeinschaft, wie es in der Konkordie entwickelt wird, liegt nicht als offensichtliche und zusammenhängende Schilderung vor, sondern ergibt sich erst aus der Zusammenstellung einzelner Artikeln, die sich gegenseitig erläutern. Folglich greift die folgende Argumentation teilweise auf ausgewählte Passagen im Text der Konkordie vor, um Belege für ein bestimmtes Verständnis zu erbringen. Textfassungen aus dem Entstehungsprozess der Konkordie werden in der Analyse des Gemeinschaftsmodells mitberücksichtigt, soweit dies der Erläuterung dienlich ist. Vgl. den Hinweis in der Neuausgabe auf die sehr knappe Form des finalen Textes. Wie bereits Harding Meyer betont, wird dort ebenfalls angeraten, den „Bericht über Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung“, der im Anschluss an die Leuenberger Gespräche im Juni 1970 an die Kirchen versandt wurde, „für die Interpretation der Konkordie immer mit heranzuziehen“ (Bünker, Michael, Einleitung, in: ders./ Friedrich, Martin [Hg.], Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa [Leuenberger Konkordie], 7, Anm. 4; vgl. Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzepts „Kirchengemeinschaft“, 221). 2 Vgl. LK 2, Satz 1: „Die Kirche ist allein auf Jesus Christus gegründet, der sie durch die Zuwendung seines Heils in der Verkündigung und den Sakramenten sammelt und sendet“. 3 Vgl. LK 2, Satz 2: „Nach reformatorischer Einsicht ist darum zur wahren Einheit der Kirche die Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und in der rechten Verwaltung der Sakramente notwendig und ausreichend“ (Herv. v. J.G.). Die Konkordie versteht sich aber selbst als Beitrag zu der Verpflichtung, „der ökumenischen Gemeinschaft aller christlichen Kirchen zu dienen“ (LK 46).
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
der Konkordie, da der für die Frage nach dem Kriterium kirchlicher Einheit entscheidende Artikel VII aus dem Augsburger Bekenntnis durch die Konkordie interpretierend rezipiert wird und als hermeneutisches Verfahren auf die Situation der konfessionellen Pluralität reformatorischer Kirchen angewandt wird.4 Die dritte Ebene (These 4) ergibt sich aus dem heilsgeschichtlichen Rahmen und der Methode, die in Anknüpfung an CA VII von der Konkordie entwickelt wird. Kirchengemeinschaft wird deshalb in der vorliegenden Untersuchung als Projekt und Prozess verstanden.5
4.1
Kirche als Heils- und Zeugnisgemeinschaft im heilsgeschichtlichen Rahmen
These eins betont, dass die Konkordie sich selbst in einem eschatologischen Rahmen verortet, der geprägt ist durch die Aspekte von Sammlung und Sendung. Diesen Rahmen greift die Konkordie bereits zu Beginn der Entfaltung ihres Modells auf: „Die Kirche ist allein auf Jesus Christus gegründet, der sie durch die Zuwendung seines Heils in der Verkündigung und in den Sakramenten sammelt und sendet“6. Das Modell von Kirchengemeinschaft, wie es die Konkordie entwickelt, geht von einem bestimmten Verständnis von Kirche aus. Diese wird zum einen heilsgeschichtlich verortet im Neuen Bund Gottes mit den Menschen.7 Zum anderen wird die Kirche in Bezug auf ihren Grund in der Heilsgeschichte, Jesus Christus, als Heils- und Zeugnisgemeinschaft charakterisiert. Kirche als Heilsgemeinschaft ist gesammelt in der Teilhabe an der Rechtfertigung in Christus.8 Sie ist zugleich als Zeugnisgemeinschaft in die Welt ausgesandt, um das Evangelium zu verkündigen. In der Rückwendung zum Neuen Testament rezipiert die Konkordie somit implizit ein Verständnis von Kirche, wie es durch Paulus in 1Kor 12,13 beschrieben wird.9 4 Vgl. LK 2, Satz 3: „Von diesen reformatorischen Kriterien leiten die beteiligten Kirchen ihr Verständnis von Kirchengemeinschaft her, das im folgenden dargelegt wird“. 5 Vgl. LK 1: Kirchengemeinschaft ist unter den reformatorischen Kirchen immer schon gegeben als Glaubensgemeinschaft, die von der Konkordie entdeckt wird. Zugleich besteht die Herausforderung an die Kirchen, diese Kirchengemeinschaft in einem kontinuierlichen „Ringen um Wahrheit und Einheit in der Kirche“ (LK 1, Satz 3) und immer wieder neu gemeinsam zum Ausdruck zu bringen. 6 LK 2, Satz 1. 7 Vgl. LK 7 u. LK 2, Satz 1. 8 Die Rechtfertigung ist gebunden an die Gegenwart Jesu Christi in Verkündigung, Taufe und Abendmahl. Durch Christi Gegenwart sind die Christen Glieder an seinem Leib und als solche „in“ ihm gerechtfertigt. Vgl. LK 13 u. LK 15. 9 Vgl. den Hinweis im Leuenberger Bericht im Vorfeld der Konkordie: Kirchengemeinschaft und
Kirche als Heils- und Zeugnisgemeinschaft
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Der übergeordnete heilsgeschichtliche Rahmen von Kirche wird durch die zwei Bundesschlüsse Gottes mit seinem Volk und seine Verheißung definiert: „Das Evangelium ist die Botschaft von Jesus Christus, dem Heil der Welt, in Erfüllung der an das Volk des Alten Bundes ergangenen Verheißung“10. Die Geschichte Gottes mit seinem Volk beginnt mit dem Alten Bund Gottes mit dem Volk Israel. Dieser Bund ist geprägt durch die Gegenüberstellung von sündigem Menschen und unerfüllbarem Gesetz Gottes sowie der eschatologischen Erwartung des Messias. Das Evangelium als der Neue Bund Gottes mit seinem Volk ist aus christlicher Perspektive die „Erfüllung der an das Volk des Alten Bundes ergangenen Verheißung“11. Dieser Neue Bund, das Evangelium als die Botschaft von Jesus Christus, befreit nun diejenigen, die dieser Botschaft vertrauen, von der Anklage des Gesetzes des Alten Bundes.12 Auch mit dem Neuen Bund geht eine eschatologische Erwartung einher. Inhalt dieser Erwartung, die zugleich Gewissheit der Gläubigen ist, ist die Vollendung der Herrschaft Gottes in der Parusie und das Gericht Gottes, vor dem sich die Menschen zu verantworten haben.13 Der befreiende Inhalt des Evangeliums als dem Neuen Bund Gottes mit seinem Volk ist nun nicht mehr die unerfüllbare Forderung nach der Erfüllung des Gesetzes, sondern die Zusage, dass allein der Glaube heilsbedeutsam ist: „Gott ruft durch sein Wort im Heiligen Geist alle Menschen zu Umkehr und Glauben und spricht dem Sünder, der glaubt, seine Gerechtigkeit in Jesus Christus zu“14. Das Evangelium als das Wort Gottes begegnet dem Menschen auf verschiedene Weise. Zunächst wird es „grundlegend bezeugt durch das Wort der Apostel und Propheten in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments“15. Tradiert wird es sodann in Bindung an die Schrift durch die Verkündigung und die Sakramente von Taufe und Abendmahl. Diese Formen der Weitergabe des Evangeliums sind zugleich Formen, in denen Jesus Christus durch den Heiligen Geist vergegenwärtigt wird. Wer vom Ruf der Verheißung des Evangeliums erfasst wird und seiner Botschaft vertraut, für den hat das Evangelium existentielle, das ganze Leben umfassende Bedeutung: Der Sünder, der glaubt, wird um Christi willen gerechtfertigt vor Gott, ihm wird die
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Kirchentrennung. Bericht der lutherisch-reformierten Gespräche in Leuenberg (Schweiz) 1969/70, in: Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen. Auf dem Weg II, Zürich 1971, 8–21; 9. LK 7. LK 7. Zum Gottesvolk-Gedanke vgl. 1Kor 10,1–13. Mit der Erfüllung der eschatologischen Erwartung innerhalb der Geschichte wandelt sich der Charakter der bisherigen Erwartung und an seine Stelle tritt im Neuen Bund eine neue eschatologische Hoffnung. Vgl. LK 10, Satz 2. Vgl. LK 9; 10, Satz 3; 11, Satz 5. LK 10, Satz 1. LK 13, Satz 1.
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
Rechtfertigung in Christus zuteil.16 Er ist „befreit […] zu einem neuen Leben aus Glauben“17, zu einem Leben „in täglicher Umkehr und Erneuerung“18. Dieses Zuteilwerden der Rechtfertigung in Christus ist zugleich die Aufnahme des Einzelnen in die Heilsgemeinschaft, die Berufung in die Gemeinde des Herrn.19 Die Aufnahme in die Heilsgemeinschaft geschieht in der Taufe als einmaliges Geschehen und Berufung „zu einem Leben aus Glauben, zur täglichen Umkehr und Nachfolge“20. Die Heilsgemeinschaft ist folglich geprägt durch ein vorausgeworfenes Element, die bedingungslose Aufnahme in die Heilsgemeinschaft.21 Die Gemeinschaft ist zudem bestimmt durch ein prozesshaftes Element, die tägliche Umkehr und Erneuerung, in welcher der Gläubige zusammen mit der Gemeinde lebt. Die Gemeinde ist die Sammlung derer, denen die Rechtfertigung in Christus zuteil wird, den Gläubigen. Sie feiern gemeinsam das Abendmahl als immer wieder neue Erfahrung der Gabe Gottes und der Teilhabe an der Rechtfertigung in Christus, der Gliedschaft am Leib Christi.22 Das Leben dieser Gemeinschaft der Gläubigen, der Kirche als Teilhabe- bzw. Heilsgemeinschaft, ist gekennzeichnet durch den Lobpreis Gottes, die Leiturgia, und den Dienst am Anderen, die Diakonia – stets in der vorausgreifenden Gewissheit der Parusie. Ausgehend von der Sammlung der Gläubigen als Partizipationsgemeinschaft am Leib Christi werden die von ihm berufenen und „zu einem neuen Leben aus Glauben“23 befreiten Menschen gesendet und stehen in seiner Nachfolge. Mit der Sammlung der Gemeinde durch das Evangelium, die Botschaft von Jesus Christus, ist folglich deren Sendung verbunden. Dabei bildet die Sammlung die Voraussetzung für die Sendung: „Diese Botschaft macht die Christen frei zu verantwortlichem Dienst in der Welt und bereit, in diesem Dienst auch zu lei-
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Vgl. LK 10, Satz 1f u. LK 13, Satz 4. LK 15, Satz 2, vgl. LK 14, Satz 3. LK 10, Satz 3. Vgl. LK 13, Satz 3 u. LK 14, Satz 2f. LK 14, Satz 3. Der Aspekt der Umkehr ist ein Hinweis auf die bleibende Sündhaftigkeit des Menschen, auch wenn er bereits durch die Taufe in die Heilsgemeinschaft Jesu Christi berufen wurde. Die Aufnahme dieses Aspektes kann später ähnlich im Rahmen der ökumenischen Hermeneutik über die formulierte Einsicht in den steten Stückwerkcharakter menschlicher Erkenntnis in Bezug auf das Wort Gottes gesehen werden. 21 Gott schenkt seine Gnade im Voraus, ohne Gegenleistung des Menschen. Insofern wird in der vorliegenden Untersuchung von einem Vorauswurf gesprochen. Dieser Vorauswurf ist der rechtfertigende Glaube. Der Glaube greift jeglichem menschlichen Bemühen um das Wort Gottes voraus. Vgl. Kap. A 4.3.1 der vorliegenden Untersuchung. 22 Vgl. LK 15. 23 LK 14: „Er [Jesus Christus] beruft ihn [sc. den der Sünde und dem Sterben verfallenen Menschen] in der Kraft des Heiligen Geistes in seine Gemeinde und zu einem neuen Leben aus Glauben, zur täglichen Umkehr und Nachfolge“. Vgl. auch LK 15, Satz 2: „Er [sc. Jesus Christus] gewährt uns dadurch Vergebung der Sünden und befreit uns zu einem neuen Leben aus Glauben“.
Kirche als Heils- und Zeugnisgemeinschaft
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den“24. Jesus Christus befreit die Menschen durch sein Verheißungswort „zu einem neuen Leben aus Glauben […] und stärkt […] zum Dienst an den Menschen“25. Die gesammelte Gemeinde ist berufen, das „Evangelium weiterzugeben durch das mündliche Wort der Predigt, durch den Zuspruch an den einzelnen und durch Taufe und Abendmahl“26. Sie ist zur Bezeugung des Evangeliums in der Welt berufen und zum Dienst in der Welt, der zugleich die aktive Übernahme sozialethischer Verantwortung, das Eintreten „für irdische Gerechtigkeit und Frieden zwischen den einzelnen Menschen und unter den Völkern“27 umfasst. Der Sendungsauftrag an die Kirche enthält demnach in der Gemeinschaft, der Koinonia, die Leiturgia als das gottesdienstliche Geschehen, die Diakonia als den Dienst am Nächsten und die Martyria als das Leiden im Dienst.28 Zugleich wird jedoch deutlich, dass die Sendung nicht nur von der Sammlung ausgeht, sondern auch auf diese als ihr Ziel zurückweist – nun jedoch im Sinne einer weiteren, umfassenderen Sammlung: Die Aufgabe der Kirche, das Evangelium durch Verkündigung und Sakramente weiterzugeben, steht vor dem Hintergrund, dass durch das vergegenwärtigende und glaubensstiftende Wirken des Heiligen Geistes den Menschen die Rechtfertigung in Christus zuteil wird und der Herr so seine Gemeinde sammelt.29 Die Sendung der Gläubigen zu Zeugnis und Dienst dient folglich der weiteren Sammlung der Gemeinde und vollzieht dazu eine Rückbewegung zum Evangelium als einheitsstiftendes Moment.30 Sammlung und Sendung sind somit als Geschehen zu verstehen, dass zum einen von der Erkenntnis geleitet wird, „daß Gottes fordernder und gebender Wille die ganze Welt umfaßt“31. Alle Welt soll von der Botschaft des Evangeliums erfahren, in der Jesus Christus „als der Gekreuzigte und Auferstandene, der das Gericht Gottes auf sich genommen und darin die Liebe Gottes zum Sünder erwiesen hat“32 bezeugt wird. Dies bedeutet auch, dass alle Welt, die ganze Vielfalt der Lebenskontexte der Christen, mit dem Ruf des Evangeliums zu Umkehr und 24 25 26 27 28 29 30
LK 11, Satz 1. Vgl. auch LK 2, Satz 1. LK 15, Satz 2 u. 4. LK 13, Satz 2. LK 11, Satz 3. Vgl. LK 11, Satz 1; LK 10, Satz 3 u. LK 13. Vgl. LK 13, Satz 4. Darüber hinaus ist eine Trennung zwischen Sammlung und Sendung nicht möglich, wohl aber eine Unterscheidung. Der Auftrag der Kirche zu Zeugnis und Dienst verweist auf die Sammlung und die Vergrößerung der Gemeinde, welche unter dem Evangelium wiederum nicht nur mit dem gebenden, sondern auch mit dem fordernden Willen Gottes im Evangelium konfrontiert ist. 31 LK 11, Satz 2. 32 LK 9.
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
Nachfolge von der heilsbedeutsamen Einheit der Christen in Christus erfahren soll und die Gemeinde Gottes weiter gesammelt wird.33 Zum anderen ist dieses Geschehen von Sammlung und Sendung nun selbst in dem weitaus größeren Rahmen zu verorten, der auch als heilsgeschichtlicher Rahmen bezeichnet werden kann. Er umfasst den Alten Bund Gottes mit seinem Volk und reicht bis zur gläubigen Gewissheit über das Gericht Gottes als eschatologische Erwartung. So betont die Konkordie in Zusammenhang mit dem Dienst der Christen in der Welt: „Sie tun dies im Vertrauen darauf, daß Gott die Welt erhält, und in Verantwortung vor seinem Gericht“34. In Erwartung der Parusie, der Wiederkunft Jesu Christi, der „als Richter und Retter die Welt zur Vollendung führt“35, und in Verantwortung vor dem Gericht Gottes soll allen Menschen die Rechtfertigungsbotschaft verkündigt werden – es bleibt in Anbetracht des Gerichts Gottes zu ergänzen: damit die Welt glaube.36 Ähnlich formuliert es bereits der Leuenberger Bericht im Vorfeld der Konkordie und grenzt dabei das Ziel der Erfüllung des Zeugenauftrags von dem vermeintlichen, den heilsgeschichtlichen Rahmen ausblendenden Ziel der Selbsterhaltung von Kirche ab: „Diese gegebene Gemeinschaft will in gegenseitigem Dienen der einzelnen Christen wie der Gemeinden untereinander bezeugt werden. […] Ziel dieses Dienstes ist es nicht, die Kirche selbst zu erhalten, sondern sie zur Erfüllung ihres Zeugenauftrages zu befähigen“37. Zusammenfassend wird Kirche als schon immer bereits in Christus gesammelte Gemeinschaft der Gläubigen verstanden sowie als fortwährendes Geschehen der täglichen Umkehr und Nachfolge des Sünders. Kirche ist Heilsgemeinschaft sowie Zeugnis- und Dienstgemeinschaft. Als geistliche Gemeinschaft strebt sie aus sich selbst heraus: Die Gläubigen sind in die Nachfolge Christi berufen, das Evangelium in der Welt zu verkündigen, weil Gottes Wort allen Menschen gilt. Dieser missionarische Auftrag verweist auf die eschatologische Erwartung des Gerichtes Gottes und zielt auf die umfassende Sammlung der Gemeinde Gottes, die im innergeschichtlichen Geschehen der täglichen Umkehr und Nachfolge niemals erreichbare, allumfassende Einheit der Christen.38 33 34 35 36 37
Zum Zusammenhang zwischen Zeugnis und Sammlung vgl. LK 13, Satz 2–4. LK 11, Satz 5. Vgl. ferner LK 10, Satz 3. LK 9. Zur Parusie vgl. LK 9; 10 u. 16; zur Verantwortung vor dem Gericht Gottes vgl. LK 11. Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung, in: Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 8–21; 9. 38 Unterstützt wird dieses Verständnis von Kirche durch die biblische Metapher von der Erbauung des Tempels Gottes (1Kor 3,5–17): So sieht Jürgen Roloff den sachlichen Bezugspunkt der Erbauung des Tempels Gottes in der Kirche Gottes: „Sie ist es letztlich, die dadurch ‚erbaut‘ wird, daß Menschen im Glauben gefestigt, für Christus gewonnen und in die Gemeinschaft der Glaubenden integriert werden“ (Roloff, Jürgen, Die Kirche im Neuen Testament, [Grundrisse zum Neuen Testament 10], Göttingen 1993, 111). So verstanden ist die
Konsensmethode der Konkordie als Interpretation des Augsburgischen Bekenntnisses
4.2
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Die Konsensmethode der Konkordie als Interpretation des Augsburgischen Bekenntnisses, Artikel VII
Die vorherigen Erläuterungen zu These eins verdeutlichen, dass die Leuenberger Konkordie anhand ihrer Aussagen innerhalb des heilsgeschichtlichen Rahmens von Kirche, der durch die Aspekte der Sammlung und Sendung bestimmt ist, zu verorten ist. In diesem Rahmen ist die Konkordie selbst als eine Sammlung zu verstehen, von der zugleich der auf die weitere Sammlung angelegte Sendungsauftrag ausgeht. Zur Sammlung der bislang voneinander getrennten reformatorischen Kirchen entwickelt die Konkordie eine Methode. Sie greift hierzu in einer Umkehrbewegung auf eine den Kirchen gegebene Gemeinsamkeit, einen früheren Moment der Sammlung, zurück. Vor der biblisch fundierten Herausforderung zur Einheit rekurriert die Konkordie auf eine spezifisch reformatorische Gemeinsamkeit, die Kriterien kirchlicher Einheit nach CA VII. Diese Kriterien, so These zwei, interpretiert die Konkordie mit Blick auf die Situation der faktischen Pluralität evangelischer Partikularkirchen. Von besonderer Bedeutung für die Methode der Konkordie ist die Unterscheidung zwischen dem grundlegenden Zeugnis der Bekenntnisse und ihren geschichtlich bedingten Denkformen. Diese Differenzierung, so These drei, wird auf zwei verschiedenen, miteinander in einem Verhältnis stehenden Ebenen vorgenommen.
4.2.1 Der methodische Rahmen: Die Aufnahme der reformatorischen Kriterien durch die Konkordie Bereits in ihrem Vorwort macht die Konkordie auf die Grundlage ihrer Methode und ihres Modells aufmerksam. Für diese Grundlage greift die Konkordie auf eine bereits seit der historischen Formierungsphase des Protestantismus gegebene Gemeinsamkeit der reformatorischen Kirchen zurück, die Kriterien zur Einheit der Kirche nach CA VII. Die Autorität und Legitimität dieser Gemeinsamkeit wird durch den zusätzlichen, knappen Verweis auf das Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen der Tempel Gottes, bestimmt durch das glaubensstiftende Wirken des Heiligen Geistes in Verkündigung, Taufe und Abendmahl (vgl. LK 13). In der Gemeinschaft wirkt der Heilige Geist „in vielfältigen Ämtern und Diensten und im Zeugnis aller Glieder“ (LK 13. Vgl. hierzu die auffällige Analogie aus 1Kor 3,16: „Wißt ihr nicht, daß ihr Tempel Gottes seid und Gottes Geist in euch wohnt?“). Diese Gemeinschaft ist zur Weitergabe des in der Schrift bezeugten Evangeliums sowie zum Dienst an den Menschen berufen (vgl. LK 11 u. LK 15). Das Bild der Kirche, der Gemeinschaft der Gläubigen, als Tempel Gottes, der auf dem Fundament Jesus Christus erbaut ist und innergeschichtlich bis zu seiner Vollendung in der Parusie stets weiter zu bauen ist, unterstützt die Charakterisierung der Kirche nicht nur als Projekt, sondern auch als Prozess, ausgerichtet am Auftrag zu Zeugnis und Dienst sowie letztlich orientiert am Glauben an ein Gericht Gottes (vgl. LK 11 u. 1Kor 3,13–15).
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
Heilsgemeinschaft stiftende Grundgeschehen untermauert, die Heilszuwendung Jesu Christi im gottesdienstlichen Geschehen:39 Weil Kirche allein auf der Heilszuwendung Jesu Christi in der Verkündigung und den Sakramenten gründet, darum ist „nach reformatorischer Einsicht […] zur wahren Einheit der Kirche die Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und in der rechten Verwaltung der Sakramente notwendig und ausreichend“40. Alles andere, so ist gemäß dem Wortlaut in CA VII zu ergänzen, der Konsens in menschlichen Riten, Ausdrucksweisen der eigenen Frömmigkeit etc., ist nicht notwendig zur Einheit, sondern dieser adiaphorisch, also wertneutral zugeordnet.41 Somit werden die Bedingungen kirchlicher Einheit radikal eingeschränkt auf die Übereinstimmung in den gottesdienstlichen Grundhandlungen, an denen Kirche nach evangelischem Verständnis erkannt wird. Die Konkordie nimmt hiermit einen seit dem 16. Jahrhundert bestehenden Konsens zwischen den evangelischen Kirchen auf, der in vergleichbarem Wortlaut in CA VII zu finden ist.42 39 Vgl. LK 2, Satz 1. 40 LK 2, Satz 2, (Herv. v. J.G.). Die LK verortet sich selbst durch den Rekurs auf CA VII und den späteren Rekurs auf die altkirchlichen Bekenntnisse (LK 4, Satz 7) nicht nur in einem geschichtlichen Rahmen von Kirche, der eschatologisch begründet ist. Sie ist überdies auch geistlich einzubetten. So spricht die LK von „reformatorischen Kirchen“. Dieser Terminus, der ohne Karl Barth wohl „kaum denkbar gewesen“ wäre, ist nun keine Beschreibung, sondern vielmehr eine Deutekategorie, da zum Beispiel nicht ohne Weiteres klar ist, wieso die Anglikaner nicht zu den reformatorischen Kirchen gezählt werden (Kretschmar, Georg, Orthodoxe Ekklesiologie und die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie, 21). Kretschmar interpretiert die Deutekategorie, die im Sinne der LK neben Lutheranern, Reformierten und Unierten auch Waldenser und Böhmische Brüder umfasst, nicht ausgehend von einer inhaltlichen, theologisch begründeten Definition. Er bevorzugt die „faktische“ Begründung der Abgrenzung „aus klaren geschichtlichen Gegebenheiten heraus“ (ebd., Herv. v. J.G.). So sei die in Mitteleuropa knapp 200 Jahre alte gemeinsame Theologenausbildung mitverantwortlich für gegenseitige Verstehensmöglichkeiten, die in Verbindung mit den Anglikanern so nicht gegeben gewesen seien. Kretschmar resümiert, „die Leuenberger Konkordie weist auf vorgegebene gewachsene Gemeinsamkeiten zurück“ (ebd.). Auf eine solche vorgegebene gewachsene Gemeinsamkeit verweise letztlich auch die Formel der LK: „Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums“ (LK 29). Die geistliche Einbettung der LK sei demzufolge geschichtlich begründet (vgl. ebd.). 41 Die Konkordie nimmt die Aussage über die Adiaphora erst in Zusammenhang mit der Einlösung der reformatorischen Kriterien im Kontext der Entkräftigung der gegenseitigen Lehrverurteilungen auf: „Zwischen unseren Kirchen bestehen beträchtliche Unterschiede in der Gestaltung des Gottesdienstes, in den Ausprägungen der Frömmigkeit und in den kirchlichen Ordnungen. […] nach dem Neuen Testament und den reformatorischen Kriterien der Kirchengemeinschaft [sic!] [vermögen wir] in diesen Unterschieden keine kirchentrennenden Faktoren zu erblicken“ (LK 28). Mit der Formulierung „ausreichend“ positioniert sich die CA in deutlicher Abgrenzung von der römischen Lehre, die Kirche zusätzlich anhand weiterer Merkmale definiert und folglich weitere Kriterien für die Einheit der Kirche nennt. 42 Der Rekurs auf CA VII wird in der abschließenden Version der LK nicht mehr explizit genannt. Er findet sich jedoch gemeinsam mit einem Verweis auf Calvins Institutio IV.1.9 in zwei unveröffentlichten Versionen im Vorfeld der Konkordie: im zweiten Gesamtentwurf des
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Allerdings geschieht dieser Rekurs auf die reformatorischen Kriterien aus einem geschichtlichen Abstand von knapp 440 Jahren, sodass die Kriterien nun auf eine gänzlich andere Situation der Kirchen angewandt werden, die für das
Unterausschusses in Cartigny vom 23. April 1971 sowie in der ersten, vom Revisionsausschuss erarbeiteten gemeinsamen Vorlage für die LK, der „Vorkonkordie“ aus dem Juni 1971 (Der zweite Gesamtentwurf ist abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A92–A100; A92). Zur Vorkonkordie vgl. Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971 bis 1973, 1. Ein früherer Nachweis der Bezugnahme auf CA VII und Calvins Institutio in der Konkordie findet sich bereits im Vorentwurf zur Konkordie von Joachim Staedkte und Marc Lienhard, abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A68–A77. Gemeinsame Ausgangsversion für alle weiteren Versionen ist jedoch erst der erste Gesamtentwurf in Cartigny vom 22. April 1971. In der Vorkonkordie wird das Konzept von Kirchengemeinschaft folgendermaßen eingeleitet: „Nach gemeinsamer reformatorischer Auffassung ist für die Einheit der Kirchen Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und in der rechten Verwaltung der Sakramente notwendig (CA VII; Inst. IV.1.9). Weil das Evangelium die Kirche begründet, ist Übereinstimmung in seinem Verständnis Grund der Kirchengemeinschaft“ (Cartigny-Papier/Vorkonkordie, Juni 1971, abgedruckt in: Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971 bis 1973, 1–41; 1). Auch die spätere Leuenberger Ekklesiologiestudie nennt CA VII als Grundlage für die Überlegungen zur Kirchengemeinschaft. Dass die Konkordie nur zwei notae ecclesiae nennt, ist auffällig, insofern zwischen Lutheranern und Reformierten lange Zeit Uneinigkeit darüber herrschte, ob nicht neben Wort und Sakramenten die „disciplina“ als dritte nota zu nennen sei. Vgl. hierzu das Regensburger Buch von 1541: Pfeilschifter, Georg (Hg.), Acta Reformationis Catholicae ecclesiam Germaniae concernentia saeculi XVI: Die Reformverhandlungen des deutschen Episkopats von 1520 bis 1570, Bd. 6 (1538–1548), Regensburg 1974, 21– 88; 73, Cap. XVIII: „De vincolo caritatis, quae est tertia ecclesiae nota“. Vgl. Kretschmar, Georg, Orthodoxe Ekklesiologie und die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie, 28f. Zum Augsburger Bekenntnis und zur Interpretation von CA VII liegt eine Vielzahl an Publikationen vor, auf die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht näher eingegangen wird. Zur Quellenedition vgl. Dingel, Irene (Hg.), Die Bekenntnisschriften der EvangelischLutherischen Kirche: Quellen und Materialien, Bd. 1 (Von den altkirchlichen Symbolen bis zu den Katechismen Martin Luthers), vollst. Neued., Göttingen u. a. 2014; vgl. ferner Förstemann, Karl Eduard, Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, 2 Bd., 1833–1835 (Neudr. Halle 1966). Zur Sekundärliteratur vgl. u. a. Brunner, Peter/ Lehmann, Karl, Evangelium, Sakramente, Amt und die Einheit der Kirche: Die ökumenische Tragweite der Confessio Augustana, Freiburg (Brsg.) 1982; Dingel, Irene, Bekenntnis und Geschichte. Funktion und Entwicklung des reformatorischen Bekenntnisses im 16. Jahrhundert, in: Loehr, Johanna (Hg.), Dona Melanchthoniana, (FS Hans Scheible), Stuttgart 2001, 61–81; Dittrich, Bernhard, Das Traditionsverständnis in der Confessio Augustana und in der Confutatio, Leipzig 1983; Fries, Heinrich u. a. (Hg.), Confessio Augustana. Hindernis oder Hilfe?, Regensburg 1979; Gassmann, Günther, Einführung. Das Augsburger Bekenntnis 1530 und heute, in: ders. u. a. (Hg.), Das Augsburger Bekenntnis. Deutsch. 1530– 1980. Revidierter Text, Hannover 61988; Grane, Leif (Hg.), Confessio Augustana, Göttingen 1970; Hauschild, Wolf-Dieter, Corpus Doctrinae und Bekenntnisschriften, in: Brecht, Martin/Schwarz, Reinhard (Hg.), Bekenntnis und Einheit der Kirche. Studien zum Konkordienbuch im Auftrag der Sektion Kirchengeschichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, Stuttgart 1980, 235–252; Koch, Traugott, Das Problem des evangelischen Kirchenverständnisses nach dem Augsburger Bekenntnis, in: Lohse, Bernhard/Pesch, Otto
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
Verständnis der Konkordie zu berücksichtigen ist.43 So ist mit Blick auf CA VII in ihrem historischen Kontext festzustellen, dass die „una sancta ecclesia“ als „congregatio sanctorum“ definiert wird. Es sind somit die einzelnen Gläubigen im Blick, „die miteinander Gemeinschaft haben aufgrund ihrer Teilhabe an Christus, die durch die Heilsmittel, die Evangeliumsverkündigung und die Sakramente, vermittelt ist“44. Im Unterschied hierzu geht es der Konkordie um Einzelkirchen, die einander Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft gewähren.45 Es stehen nun also primär die einzelnen Kirchen miteinander in Gemeinschaft, während in CA VII noch die einzelnen Glaubenden in der una sancta ecclesia in Gemeinschaft stehen. Dieser Wandel wird auch deutlich am veränderten Wortlaut in der Konkordie. So übersetzt die Konkordie die Formulierung „ad veram unitatem ecclesiae“ aus CA VII zunächst als „zur wahren Einheit der Kirche“ (LK 2, Satz 2, Herv. v. J.G.). In Zusammenhang mit der Darlegung des davon hergeleiteten Verständnisses von Kirchengemeinschaft (LK 2, Satz 3) wird später allerdings auf CA VII als die „Kriterien der Kirchengemeinschaft“ Bezug genomHermann (Hg.), Das „Augsburger Bekenntnis“ von 1530 – damals und heute, München 1980, 125–143; Kretschmar, Georg, Der Kirchenartikel in der Confessio Augustana Melanchthons, in: Iserloh, Erwin (Hg.), Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsburger Reichstag und die Einheit der Kirche, (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 118), Münster 1980, 411–439; Lorz, Jürgen (Hg.), Das Augsburgerische Bekenntnis, Göttingen 1980; Maurer, Wilhelm, Historischer Kommentar zur Confessio Augustana, Bd. 1 (Einleitung und Ordnungsfragen), Gütersloh 21979; ders., Historischer Kommentar zur Confessio Augustana, Bd. 2 (Theologische Probleme), Gütersloh 1978; Meyer, Harding, Behindern Amtsbegriff und Kirchenverständnis in der Confessio Augustana ihre Anerkennung durch die katholische Kirche?, in: ders./Schütte, Heinz (Hg.), Confessio Augustana. Hindernis oder Hilfe?, Regensburg 1979, 145–175; Meyer, Harding/Schütte, Heinz, Die Auffassung von Kirche im Augsburgischen Bekenntnis, in: dies. (Hg.), Confessio Augustana. Bekenntnis des einen Glaubens, Frankfurt a.M./Paderborn 1980, 169–197; Moeller, Bernd, Deutschland im Zeitalter der Reformation, (Deutsche Geschichte, Bd. 4), Göttingen 41999; Pannenberg, Wolfhart, Die ökumenische Bedeutung der Confessio Augustana, München 1981; Wenz, Gunther, Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Berlin/New York 1996 (Bd. 1), 1998 (Bd. 2). 43 Vgl. hierzu Dieter, Theodor, Kirchengemeinschaft – Eine klärungsbedürftige ökumenische Konzeption, 279f. Vgl. auch den Hinweis bei Wenzel Lohff auf die Notwendigkeit, im Umgang mit historischen Zeugnissen deren „Sitz im Leben“, die geschichtliche Situation und Ausgangsfrage, zu berücksichtigen: „Eine Überlegung, die heute über Kirchengemeinschaft aufgrund der CA spricht, kann nicht so tun, als seien diese Sätze eben vom Himmel gefallen, sondern hat die seither abgelaufene Geschichte mit zu interpretieren“ (Lohff, Wenzel, Grund und Grenze der Kirche, 99). Lohff macht somit auf zwei Dinge aufmerksam: Zum einen sind historische Zeugnisse mit Blick auf ihre Kontextualität nach ihrem ursprünglichen Sinn zu befragen. Zum anderen können solche Zeugnisse jedoch gerade aufgrund ihrer Geschichtlichkeit nicht für sich beanspruchen, die Wahrheit vollständig erkannt und zum Ausdruck gebracht zu haben, also mit ihrem Zeugnisgegenstand identisch zu sein. 44 Dieter, Theodor, Kirchengemeinschaft – Eine klärungsbedürftige ökumenische Konzeption, 279. 45 Vgl. LK 29.
Konsensmethode der Konkordie als Interpretation des Augsburgischen Bekenntnisses
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men (LK 28, Satz 3, Herv. v. J.G.). Auf diese Ebene der Gemeinschaft von Partikularkirchen bezieht sich das Modell der Konkordie bis zum Schluss.46 Ein weiterer Unterschied zum ursprünglichen Verständnis von CA VII ergibt sich aus dem Anliegen der Konkordie, Kirchengemeinschaft zwischen Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes, das heißt in jeweiliger „Bindung an die sie verpflichtenden Bekenntnisse“47 zu erklären. Die inhaltliche Deutung des in CA VII geforderten Konsenses in der reinen Verkündigung des Evangeliums und der rechten Verwaltung der Sakramente wird im Augsburger Bekenntnis durch die Artikel I bis XXI dargelegt.48 Für die Situation der Leuenberger Konkordie gilt jedoch, dass gerade die unterschiedliche Beurteilung des Verständnisses bestimmter Themen, die in diesen Artikeln inhaltlich entfaltet werden, einen Konsens zwischen den Reformatoren verhinderte und zur Trennung in unterschiedliche protestantische Konfessionen führte:49 „Trotz vieler Gemeinsamkeiten“ war den Reformatoren die Gottesdienstgemeinschaft in der damaligen Situation unmöglich und sie waren „um ihres Glaubens und Gewissens willen […] nicht in der Lage, Trennungen zu vermeiden“50. Die Gegensätze, die einer 46 Vgl. LK 46: „Indem die beteiligten Kirchen unter sich Kirchengemeinschaft erklären und verwirklichen, handeln sie aus der Verpflichtung heraus, der ökumenischen Gemeinschaft aller christlichen Kirchen zu dienen“. 47 LK 30; Vgl. LK 29; 30; 37. 48 Vgl. BSELK, 138f: Dort wird festgestellt, dass die vorausgegangenen 21 Artikel die Summe dessen sind, was gelehrt wird und der Schrift sowie der kirchlichen Lehre entsprechen: „Haec summa est doctrinae, quae in Ecclesiis nostris traditur. Et consentaneam esse iudicamus et Propheticae ac Apostolicae scripturae et Catholicae Ecclesiae, Postremo etiam Romanae Ecclesiae, quaetenus ex probatis scriptoribus nota est“. 49 Vgl. LK 3. Die Konkordie betont hierzu, dass die reformatorischen Väter aufgrund „wesentlicher Unterschiede in der Art des theologischen Denkens“ (LK 3) und kirchlicher Praxis aus Glaubens- und Gewissensgründen Trennungen nicht vermeiden konnten. Trennungen entstanden allerdings nicht nur zwischen den reformatorischen Richtungen, sondern auch – und dies im Gegensatz hierzu auf bisher nicht überwundene Weise – innerhalb des Christentums überhaupt, das heißt zwischen den an Rom orientierten und den reformatorisch gesinnten Gruppen, da letztere, ausgehend von ihrer Lehre der Rechtfertigung, andere Kriterien für die Einheit der Kirche formulierten als die Altgläubigen. 50 LK 3, Satz 1. Der Wortlaut der Konkordie verdeutlicht, dass von einer (in Jesus Christus) stets gegebenen Einheit der Kirche ausgegangen wird, die es angesichts der Trennungen neu zu entdecken gilt. Entsprechend formuliert die Konkordie in Zusammenhang mit der Erklärung von Kirchengemeinschaft, dass sich die Kirchen einander Kirchengemeinschaft „gewähren“ als die gemeinsame Teilhabe an etwas den Kirchen bereits Vorgegebenen, der einen Kirche Jesu Christi (vgl. LK 33 u. 34). Erst mit der Konkordie wird über die nachträgliche gemeinsame Erfüllung der Kriterien für die Einheit der Kirche die Möglichkeit der Gemeinschaft zwischen den bis dahin getrennten reformatorischen Kirchen geschaffen. Kritik an der Formulierung, die Kirchen gewähren sich etwas Vorgegebenes übt Theodor Dieter. Er bezieht sich hierbei auf die späteren Ausführungen von KJC, III.1.2, 69 und argumentiert, dass es beim Gewähren „immer […] darum [geht], dass ein Mensch einem Anderen etwas zukommen lässt, das dieser vorher nicht hatte, aber im Akt des Gewährens erhält“ (Dieter, Theodor, Kirchengemeinschaft – Eine klärungsbedürftige ökumenische Konzeption, 289).
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
Kirchengemeinschaft zwischen den „reformatorischen Vätern“51 und den späteren lutherischen und reformierten Kirchen widersprachen und zu Verwerfungsurteilen in der Formula Concordiae führten, betrafen die Lehre vom Abendmahl, die Christologie sowie die Prädestinationslehre.52 Der Rekurs auf die reformatorischen Kriterien für die Einheit der Kirche erfolgt in der Konkordie also aus einer Situation der Trennung zwischen den reformatorischen Kirchen. Wenn mit der Konkordie trotz einer Bindung an die bislang einander ausschließenden Bekenntnisse Kirchengemeinschaft unter den zustimmenden Kirchen erklärt werden kann, so muss sie erstens eine gemeinsame Deutung dessen bieten, was die reine Verkündigung und die rechte Verwaltung sind. Zweitens muss festgelegt werden, in welchen Lehren ein Konsens zwischen den Kirchen gefunden werden muss. So müssen die Bekenntnisse dieses inhaltliche Verständnis von reiner Verkündigung und rechter Verwaltung zum Ausdruck bringen und die Konkordie muss diesen inhaltlichen Konsens zwischen den Kirchen bestätigen. Darüber hinaus sind die in den Bekenntnissen enthaltenen, gegenseitigen Verurteilungen zu entkräften. Drittens ist die Art des Konsenses zu bestimmen: Um die Kriterien von CA VII in Bindung an die Bekenntnisse einzulösen, entwickelt die Konkordie eine Methode, mittels der die Bekenntnisse in sich differenziert werden und Kirchengemeinschaft erklärt werden kann.53
4.2.2 Die Definition des hermeneutischen Kriteriums für die reine Verkündigung des Evangeliums und die rechte Verwaltung der Sakramente Zur Definition dessen, was nötig ist zur reinen, unverfälschten Verkündigung des Evangeliums und zur rechten Verwaltung der Sakramente, entwickelt die Konkordie weder eine neue Lehraussage noch ein neues gemeinsames Bekenntnis. Vielmehr vollzieht die Konkordie eine Umkehrbewegung zu den gemeinsamen Ausgangspunkten der „Kirchen der Reformation“54. Sie setzt also nicht bei den
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Die Kritik Dieters trifft dabei die unklare Differenzierung zwischen Einheit der Kirche und Kirchengemeinschaft im Sinne Gemeinschaft von Kirchen. LK 3. Vgl. LK 17. Vgl. LK 2, Satz 3: „Von diesen reformatorischen Kriterien leiten die beteiligten Kirchen ihr Verständnis von Kirchengemeinschaft her, das im folgenden dargelegt wird“. LK 4, Satz 1. Vgl. bereits den Titel von Artikel 4: „Gemeinsame Aspekte im Aufbruch der Reformation“. Die Konkordie schließt auch die vorreformatorischen Kirchen der Böhmischen Brüder und der Waldenser mit in das Konzept von Kirchengemeinschaft ein. Deren Gemeinsamkeit mit der Reformation wäre von der LK eigentlich abweichend zu rekonstruieren, da sie bereits vor der Reformation eine sich von der römischen Kirche distanzierende
Konsensmethode der Konkordie als Interpretation des Augsburgischen Bekenntnisses
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Unterschieden und Gegensätzen an, wie sie in den Bekenntnissen festgehalten werden und die „trotz vieler Gemeinsamkeiten“55 zu der Trennung der reformatorischen Strömungen in unterschiedliche Konfessionen führten. Anstelle dessen rekurriert sie auf die Gemeinsamkeiten und erhebt dabei den Anspruch, mit Blick auf die Reformation des 16. Jahrhunderts aus dem historischen Abstand heraus deutlicher zu erkennen, worin die Gemeinsamkeit im Zeugnis der reformatorischen Kirchen lag.56 Sie formuliert hiermit nichts Neues, sie ent-deckt vielmehr das, was schon „im Aufbruch der Reformation“57 gemeinsam war, in der damaligen historischen Situation in seiner Bedeutung für die Einheit jedoch nicht erkannt wurde: die Annahme, dass menschliche Erkenntnis und deren Ausdruck kontextuell gebunden bleiben und somit stets defizitär bzw. reformbedürftig sind. Über die entdeckte Gemeinsamkeit heißt es, dass sie „trotz aller Gegensätze“58 zwischen den reformatorischen Kirchen bestand hatte.59 Da diese Gemeinsamkeit also durch keine Gegensätze relativiert werden konnte, rekurriert die Konkordie somit auf eine Gemeinsamkeit im Zeugnis der Reformatoren, die in Bezug auf die Frage nach der Möglichkeit von Kirchengemeinschaft auf
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Gemeinschaft bildeten, während die reformatorischen Kirchen aus dem 16. Jahrhundert erst mit der Reformation eigene Gemeinschaftswesen entwickelten. LK 3, Satz 1. Vgl. LK 4, Satz 1. Die Konkordie betont die Gemeinsamkeit im Zeugnis der Kirchen. Sie bezieht sich hiermit auf die wesentlichen inhaltlichen Aussagen der unterschiedlichen Bekenntnisse. Vgl. hierzu die spätere Unterscheidung zwischen dem „grundlegenden Zeugnis der reformatorischen Bekenntnisse von ihren geschichtlich bedingten Denkformen“ (LK 5, Satz 5). Mit dem Rekurs auf die entdeckte Gemeinsamkeit werden zwei Dinge deutlich: Erstens vollziehen die Kirchen mit der Konkordie eine Umkehrbewegung zu einem Punkt der Sammlung, einer vorausgehenden Einheit. Die Bewegung erinnert an den Aspekt der Metanoia, der Umkehr des Sünders (vgl. LK 1, Satz 3). Dass die Umkehrbewegung offenbar auch für die Konkordie kein einmaliger Vorgang bleibt und somit ein immer wieder zu vollziehender Akt ist, wird bereits über die zurückhaltende Formulierung der Konkordie offenbar, Gemeinsamkeiten im Zeugnis der Kirchen seien „heute deutlicher zu erkennen“ (LK 4, Satz 1, Herv. v. J.G.). Sie ordnet sich demzufolge in das heilsgeschichtliche Geschehen ein, in dem der gläubige Mensch auch nach seiner in der Taufe begründeten Aufnahme in die Heilsgemeinschaft zum Prozess der täglichen Umkehr und Nachfolge berufen ist. Zweitens wird mit der Betonung, dass sich aus dem geschichtlichen Abstand „heute deutlicher erkennen“ (LK 4, Satz 1) lässt, was als grundlegendes Zeugnis in den Bekenntnissen der Kirchen gemeinsam war, auf die Überzeugung von der historischen Gebundenheit menschlicher Erkenntnis hingewiesen, die für das Konzept der Konkordie von wesentlicher Bedeutung ist. Überschrift zu LK 4. LK 4, Satz 1, Herv. v. J.G. Die Reformation war geprägt von Gegensätzen und Gemeinsamkeiten im Denken der reformatorischen Väter. Neben der Gemeinsamkeit im Kirchenverständnis formulierten die Reformatoren gegenseitige Lehrverurteilungen, die unter anderem Merkmale von Kirche betrafen und somit die gegenseitige Gewährung von Kirchengemeinschaft verhinderten. In der Folge führten diese Gegensätze zur Ausbildung verschiedener reformatorischer Kirchen. Zur Gemeinsamkeit im Kirchenverständnis vgl. LK 2, zu den Gegensätzen vgl. LK 3 sowie die Neuformulierungen in LK 18–26.
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
einer anderen Ebene einzuordnen ist als die Gegensätze in der Lehre. Die Konkordie bezieht sich hierbei auf eine den unterschiedlichen Bekenntnissen gemeinsam zugrunde liegende, identitätsstiftende Gewissheit des Glaubens und auf die vom Evangelium ausgehende geistliche Gemeinschaft.60 Das Kriterium der Wahrheit kirchlicher Lehre ist also „nicht der Konsens als solcher“, sondern die Übereinstimmung kirchlicher Lehre „mit der Lehre des Evangeliums“61, die als Glaubensgewissheit geschenkt wird.62 Die Darlegung dieser grundlegenden, gemeinsamen Gewissheit der reformatorischen Kirchen hat in der Konkordie die Funktion eines hermeneutischen Regulativs für den später zu formulierenden Konsens zwischen den Bekenntnissen.63 Anhand dieser Beschreibung wird verdeutlicht, woran die unterschiedlichen Bekenntnisaussagen zu messen sind, um zu einem Lehrkonsens zu gelangen, der dem Anspruch der reinen Verkündigung und der rechten Verwaltung entsprechen kann. Die Bestimmung des hermeneutischen Regulativs ist von zentraler Bedeutung für die spätere Unterscheidung zwischen dem „grundlegenden Zeugnis“ und den „geschichtlich bedingten Denkformen der Bekenntnisse“64. Sie ist also wichtig für den Umgang mit der konfessionellen Pluralität vor der Herausforderung zur sichtbaren Einheit. Die Eigenschaft der Gemeinsamkeit der reformatorischen Kirchen als hermeneutisches Regulativ ist mit Blick auf drei Aspekte näher zu erläutern. Erstens ist die besondere Eigenschaft, die Qualität der Gemeinsamkeit zu erörtern, die sich aus dem Ursprung der Gemeinsamkeit ergibt. Zweitens ist mit dem hermeneutischen Regulativ eine inhaltliche Einsicht verbunden, die erklärt werden soll. Drittens soll gezeigt werden, dass Ursprung und Inhalt Konsequenzen für die Verhältnisbestimmung zur kirchlichen Lehre haben. 4.2.2.1 Das Evangelium als Ursprung der reformatorischen Glaubensgewissheit Die Gemeinsamkeit im Zeugnis der Kirchen der Reformation, wie sie von der Konkordie geschildert wird, ist wesentlich, das heißt qualitativ bestimmt durch ihren Ursprung. Die Kirchen gehen von dem in der Schrift bezeugten Evangelium 60 Vgl. LK 4. Vgl. auch die Formulierung in Schauenburg. Dort heißt es, dass die reformatorischen Kirchen „im Ansatz zutiefst verwandt“ seien. Vgl. hierzu: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 5. 61 Pannenberg, Wolfhart, Systematische Theologie, Bd. 1, Göttingen 1988, 23. 62 Erst ausgehend von dieser grundlegenden Ebene ist der Konsens kirchlicher Lehre zu lokalisieren, der zur Einlösung des für die Gemeinschaft zwischen unterschiedlichen Kirchen notwendiger consensus de doctrina evangelii ist. Vgl. Pannenberg, Wolfhart, Systematische Theologie, 23. 63 Vgl. LK 4, Satz 4f und darauf über die Aufnahme der „Mitte der Schrift“ und den „Maßstab aller Verkündigung“ bezogen LK 12. 64 LK 5, Satz 5.
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aus.65 Das Evangelium wird in der Konkordie auf zweifache Weise charakterisiert. Es ist zum einen formulierte Tradition und zum anderen pneumatisches Kerygma, also eine Offenbarung oder Verkündigung durch den Heiligen Geist.66 Das Evangelium ist „grundlegend bezeugt durch das Wort der Apostel und Propheten in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments“67. Das Evangelium wird „ursprünglich und rein“68 bezeugt in der Schrift. Auf dieses in der Schrift bezeugte Evangelium, die heilsgeschichtliche Botschaft, beziehen sich menschliche Verkündigung und Lehre. Als formulierte Tradition ist das Evangelium Objekt menschlicher Verkündigung und Lehre sowie Gegenstand hermeneutischer Bemühungen des Menschen. Die hermeneutische Bemühung des Menschen zielt darauf ab, die „ursprüngliche und reine Bezeugung des Evangeliums in der Schrift“69 möglichst unverfälscht zum Ausdruck zu bringen. Die Konkordie betont somit die reformatorische Überzeugung von der unbedingten Autorität der Schrift über kirchliche Lehre und Leben, das sola scriptura.70 Das Evangelium ist jedoch nicht allein Objekt menschlicher Explikationsbemühungen. Als pneumatisches Kerygma, als geistliche Verkündigung, ist es auch Selbstmitteilung Gottes an den Menschen und somit Subjekt der menschlichen Erkenntnis.71 Es ist Christus selbst, die Gestalt gewordene Verheißung Gottes und Inhalt des Evangeliums, der sich selbst und damit das Evangelium vergegenwärtigt.72 Das Evangelium ist Ursprung einer existentiellen Erfahrung, eines Anderswerdens desjenigen, der dem Evangelium begegnet. So heißt es, dass die Kirchen der Reformation in ihrem Zeugnis von einer „neuen befreienden und gewißmachenden Erfahrung des Evangeliums“73 ausgingen. Als eine „Kraft Gottes“ (Röm 1,16) ist das Evangelium das Wort, durch das Gott im Heiligen Geist den Menschen zu Umkehr und Glauben aufruft und den Glaubenden
65 Vgl. LK 4, Satz 4. 66 Vgl. Goppelt, Leonhard, Kirchentrennung und Kirchengemeinschaft nach dem Neuen Testament (Paulus), in: ÖR 19 (1970), 1–11; 6. 67 LK 13, Satz 1. 68 LK 4, Satz 4. 69 LK 4, Satz 4. Vgl. ferner LK 12. 70 Vgl. hierzu die Betonung der Reformierten, die Autorität der Schrift habe Vorrang vor jeder menschlichen Überlieferung (vgl. Lienhard, Marc, Lutherisch-reformierte Kirchengemeinschaft heute, 46; vgl. ferner Jean-Louis Leuba, Um evangelische Freiheit, 296f). 71 Die Konkordie nimmt somit den Bericht in Gal 1,12 auf, in dem das Evangelium Paulus als Offenbarung Jesu Christi zuteil wird, als „verstehendes Erkennen des Gekreuzigten“ (Goppelt, Leonhard, Kirchentrennung und Kirchengemeinschaft nach dem Neuen Testament [Paulus], 6, mit Bezug auf Gal 1,15f). 72 Vgl. LK 5, Satz 6: „die Bekenntnisse [bezeugen] das Evangelium als das lebendige Wort Gottes in Jesus Christus“. 73 LK 4, Satz 2. Das Evangelium bewirkt demnach eine existentielle Erfahrung, die den reformatorischen Kirchen als gemeinsame Erfahrung zugrunde liegt.
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gerecht macht.74 Das Evangelium begegnet dem Menschen in Verkündigung, Taufe und Abendmahl, da in ihnen Jesus Christus durch den Heiligen Geist gegenwärtig ist.75 Beide Eigenschaften des Evangeliums, das Evangelium als formulierte Tradition und als pneumatisches Kerygma, sind zwar voneinander zu unterscheiden, jedoch nicht zu trennen.76 Die Übereinstimmung im Zeugnis der reformatorischen Kirchen in Bezug auf das Evangelium ergibt sich folglich zum einen aus der hermeneutischen Bemühung am Schriftzeugnis um das rechte Verständnis des Evangeliums und dessen angemessene Weiterbezeugung. Zum anderen wird sie bewirkt durch das Evangelium selbst: Den Kirchen der Reformation war in ihrem Zeugnis gemeinsam, dass sie ausgingen „von einer neuen befreienden und gewißmachenden Erfahrung des Evangeliums“, die weiter als „erkannte Wahrheit“77 gedeutet wird.78 Die Gemeinsamkeit im Zeugnis der Kirchen der Refor74 Vgl. LK 10, Satz 1: „Gott ruft durch sein Wort im Heiligen Geist alle Menschen zu Umkehr und Glauben und spricht dem Sünder, der glaubt, seine Gerechtigkeit in Jesus Christus zu“. Vgl. auch LK 14, Satz 3: „Er [sc. Jesus Christus] beruft ihn [den Menschen] in der Kraft des Heiligen Geistes in seine Gemeinde und zu einem Leben aus Glauben, zur täglichen Umkehr und Nachfolge“. Vgl. ferner LK 13, Satz 3: „In der Verkündigung, Taufe und Abendmahl ist Jesus Christus durch den Heiligen Geist gegenwärtig. So wird den Menschen die Rechtfertigung in Christus zuteil, und so sammelt der Herr seine Gemeinde“. Vgl. hierzu Leuba, JeanLouis, Die Union als ökumenisch-theologisches Problem, in: Herbert, Karl (Hg.), Um evangelische Freiheit. Beiträge zum Unionsproblem. aus Anlaß des 150jährigen Bestehens der Nassauischen Union, Herborn 1967, 290–324, 296: „Ausgangspunkt für Luther war nicht die Autorität der Schrift als solche, sondern das hermeneutische Prinzip der Rechtfertigung durch den Glauben, verstanden als ein Schlüssel, der sowohl das Verständnis der Schrift ermöglichte, als auch gerade dadurch die von ihrem Inhalt abgeleitete Schriftautorität nachwies“. 75 Vgl. LK 13, Satz 3. Vgl. auch LK 21, Satz 2: „Im Verheißungswort und Sakrament macht der Heilige Geist und damit Gott selbst uns Jesus als Gekreuzigten und Auferstandenen gegenwärtig“. 76 Zum doppelten Charakter des Evangeliums als Offenbarung des Osterkerygmas und formulierte Tradition vgl. das Referat von Leonhard Goppelt, das im Rahmen der Leuenberger Gespräche 1969 gehalten wurde. Goppelt verknüpft die Aussagen von 1Kor 15,1–8 und Gal 1,15f miteinander (Goppelt, Leonhard, Kirchentrennung und Kirchengemeinschaft nach dem Neuen Testament [Paulus], 6). 77 LK 4, Satz 2. 78 Mit dem Begriff der Erfahrung wird hierbei das Ergebnis des glaubensstiftenden Handelns Gottes angesprochen. Erfahrung und Glaube stehen in der Konkordie also in engem Zusammenhang. Der Begiff des Glaubens hat eine zentrale Bedeutung in der Konkordie. Dies legt nicht nur die Häufigkeit des Begriffs des Glaubens im Wortlaut der Konkordie nahe, sondern auch dessen Verwendung an den Stellen, die für das Konzept von Kirchengemeinschaft entscheidend sind: LK 3, Satz 1; 4, 5; 5, 6; 10, 1; 14, 3; 15, 2; 18, 2; 22, 1; 25, 1; 35, 2. Die Relevanz wird auch daran deutlich, dass der Begriff den konvergierenden Ausgangspunkt im Zeugnis der reformatorischen Kirchen bildet. Ausgehend von der Erfahrung bezeugen die Kirchen die freie Gnade Gottes und bestimmen das Verhältnis zwischen dem Evangelium, der Glaubensgewissheit und der Lehre. Der Zusammenhang zwischen dem Evangelium und der Erfahrung erschließt sich in der Konkordie über die Synopse mehrerer Textstellen: Von Gott
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mation hat demnach ihren Ursprung in der existentiellen Erfahrung, die der Gläubige am Evangelium macht. Diese geschilderte Gemeinsamkeit ist primär charakterisiert als eine vom Heiligen Geist geschenkte, die Wahrheit des Evangeliums antizipierende Gewissheit des Glaubens.79 Erst sekundär, der Form nach, ist sie das Ergebnis menschlicher Reflexions- und Explikationsbemühungen in Bezug auf das Evangelium.80 Hiermit trifft die Konkordie eine zentrale methodische Entscheidung: Sie bestimmt das Kriterium der reinen Verkündigung und der rechten Verwaltung nicht auf der Ebene fixierter Bekenntnisformulierungen, sondern bindet es zurück an das Evangelium selbst als den Ursprung der Glaubensgewissheit und als Autorität über dessen Bezeugung.81 Das Zeugnis der Kirchen hat diesbezüglich hingegen lediglich vermittelnden bzw. referentiellen Charakter. Es ist zwar notwendig als Kommunikationsmittel, da die Einheit im Glauben anders nicht empirisch feststellbar ist. Es ist jedoch nicht Ursache für die Definition des geht „durch sein Wort im Heiligen Geist“ der Ruf an alle Menschen zu Umkehr und Glauben aus (LK 10, Satz 1). Dem Sünder, der glaubt, spricht Gott seine Gerechtigkeit in Jesus Christus zu: „Wer dem Evangelium vertraut, ist um Christi willen gerechtfertigt vor Gott und von der Anklage des Gesetzes befreit“ (LK 10, Satz 2). Dieses Geschehen beschreibt die Konkordie nun mit den Begriffen von Glaube und Erfahrung (vgl. LK 25, Satz 1): Im Glauben, zu dem der Mensch berufen wird, erfährt der Mensch, Glied des Leibes Christi zu sein (vgl. LK 15, Satz 3). Diese Erfahrung ist „neu befreiend und gewißmachend“ (LK 4, Satz 2). 79 Die Wahrheit des Evangeliums wird in der Gewissheit des Glaubens antizipiert, da die Gewissheit noch vor den hermeneutischen Bemühungen am Schriftzeugnis von diesem selbst ausgeht. Das Evangelium vergewissert sich dem Gläubigen selbst, verlangt aber zugleich die sichtbare Bezeugung durch diesen. 80 Vgl. zu dieser Verhältnisbestimmung Wenz, Gunther, Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis, 361f: „Zwar ist der Grund der Einheit der Kirche nicht unmittelbar mit dem kirchlichen Bekenntnis und Lehrzeugnis gleichzusetzen, da das Zeugnis der Kirche von der österlich-pfingstlichen Gewissheit der Selbstbezeugungsfähigkeit des von ihr bezeugten Grundes ihrer Einheit getragen ist und getragen sein muss. Doch kommt das ‚kirchengründende Wort Gottes‘ nicht anders zu Sprache als in, mit und unter kirchlicher Evangeliumsverkündigung in Wort und Sakrament, deren rechten Vollzug Bekenntnis und Lehre der Kirche dienend zugeordnet sind“. André Birmelé bezeichnet das Verständnis des Evangeliums, das später in der Konkordie in einer gemeinsamen Formulierung expliziert wird und den Mittelpunkt der Leuenberger Konkordie bildet (LK 6–12), als Geschenk des im gottesdienstlichen Geschehen verkündigten Wortes Gottes und der Feier der Sakramente (vgl. Birmelé, André, Leuenberger Konkordie, 155). 81 Die Bekenntnisformulierung selbst ist also nicht mit dem pure und recte zu identifizieren: „Die Texte werden weniger als aktuelles Bekenntnis verstanden, sondern eher als Mittel, sich selbst in der geschichtlichen Tradition besser zu verstehen. Die Aussagen des Bekenntnisses sind in weiten Kreisen darum nicht mehr verbindliche Weisung für die Auslegung der Schrift“ (Bericht. Kirchen in Europa auf dem Weg zueinander, in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung [Hg.], Auf dem Weg, 9–30; 15). Eine Bekenntnisaussage kann sich jedoch, gemessen am Evangelium, weiterhin als diesem angemessen erweisen und erhebt in ihrer Entstehungssituation für sich den Anspruch, evangeliumsgemäß zu sein. Vgl. LK 8: „Sein [sc. das Evangelium] rechtes Verständnis haben die reformatorischen Väter in der Lehre von der Rechtfertigung zum Ausdruck gebracht“. Vgl. Kap. A 4.2.4 der vorliegenden Untersuchung.
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hermeneutischen Regulativs.82 Eine „grundsätzliche Verselbständigung des Bekenntnisses gegenüber der Schrift“83 kann also nicht angenommen werden. 4.2.2.2 Die Glaubensgewissheit über das Evangelium Das Zeugnis der reformatorischen Kirchen bezieht sich auf eine existentielle Erfahrung, die am Evangelium gemacht wurde und von der Konkordie als „erkannte Wahrheit“84 bezeichnet wird.85 Dieses Zeugnis orientiert sich am Schriftzeugnis und ist zugleich „je neu vermittelt durch Wort und Sakrament, gewiß gemacht durch den Heiligen Geist, angenommen im Glauben, der dadurch geweckt und gestärkt wird, und freisetzend zu neuem Gehorsam“86. In ihrem Zeugnis bringen die Kirchen diese Erfahrung zum Ausdruck. Die Schilderung in LK 4 bezieht sich auf die gemeinsame Glaubensgewissheit, von der die Zeugnisse der Kirchen ausgingen. Die Darlegung beansprucht folglich, Ausdruck des Glaubensgehorsams zu sein und mit der vom Heiligen Geist gewirkten Gewissheit über das Evangelium dessen reines Verständnis, den Schriftsinn, widerzuspiegeln.87 Dies wird besonders deutlich an der Beschrei82 Vgl. hierzu das Referat von Wilhelm H. Neuser „Die Entstehung des Bekenntnisses im 16. Jahrhundert“ auf der Tagung in Schauenburg 1966, skizziert in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 169–188. Vgl. ferner Sala, Giovanni B., Die ökumenische Einheit im christlichen Glauben – ein differenzierter Konsens?, in: Forum Katholische Theologie 13 (1997), 1–17; 16. Sala unterscheidet das Urteil des Glaubens zur Wahrheit, das durch Gottes Wahrhaftigkeit motiviert sei, vom Urteil des natürlichen Vollzugs der Intentionalität. Deren Grund liege in der „durch eine Reflexion erfaßten Entsprechung zwischen den Daten und der Intelligibilität, die das in Aussicht gestellte Urteil bejahen soll“ (ebd.). 83 Thesen über das Bekenntnis, in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg. Lutherisch-reformierte Kirchengemeinschaft, Zürich 1967, 36–43; 37. 84 LK 4, Satz 3. 85 Vgl. Friederike Nüssel über die reformatorische Grundeinsicht, „dass sich im Evangelium von Jesus Christus Gott selbst als Grund des Heils und darin als Grund des Glaubens bezeugt, so dass Menschen zur Erkenntnis seiner Wahrheit gelangen. […] Die vertiefte Besinnung des Glaubens auf seinen Grund und damit die Reflexion auf das Geschehen der Inkarnation wird wie das unmittelbare Vertrauen auf Gottes Verheißung auf die Selbstmitteiluung Gottes in der Inkarnation zurückgeführt“ (Nüssel, Friederike, Wie ist ökumenischer Konsens evangelisch möglich?, 453). 86 Vorentwurf zur Konkordie, Horst Lahr, abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A78–A84; A78. 87 Georg Kretschmar betont, dass das wirkende Wort Gottes zu Glaube und Verstehen rufe, also mit einem konkreten Inhalt verbunden sei (vgl. Kretschmar, Georg, Orthodoxe Ekklesiologie und die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie, 26). Vgl. auch die Feststellung zum Schriftverständnis in einem Vorentwurf zur Konkordie: „Maßstab für die rechte Auslegung der ganzen Heiligen Schrift ist die Lehre des Apostels Paulus von der Zueignung des Heils an den Menschen in der Rechtfertigung des Sünders durch Gott vor Ihm“ (Vorentwurf zur Konkordie, Horst Lahr, abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A78–A84; A78). Im ersten Gesamtentwurf des Unterausschusses in Cartigny vom 22. 04. 1971 heißt es entsprechend: „Die Botschaft von der Rechtfertigung, wie sie der Apostel
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bung in LK 4, in der der bezeugte Inhalt des Evangeliums an die Attribute der am Evangelium gemachten Erfahrung anknüpft: „Sie gingen aus von einer neuen befreienden und gewißmachenden Erfahrung des Evangeliums“88. Diese Gewissheit aufnehmend heißt es weiter: „Übereinstimmend haben sie die freie und bedingungslose Gnade Gottes im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi für jeden, der dieser Verheißung glaubt, bezeugt“89. Der zentrale Schriftsinn wird folglich mit dem Heilsgeschehen identifiziert: Überspitzt formuliert könnte man sagen: ‚Sola scriptura‘ heißt in der Leuenberger Konkordie ‚sola iustificatio‘. Für die Leuenberger Konkordie ist die Rechtfertigungsbotschaft die ‚Mitte der Schrift‘, und nur was zu dieser Mitte hinführt bzw. sich aus ihr ergibt, ist ‚schriftgemäß‘.90
Die Beschreibung in LK 4 bringt somit eine den Kirchen der Reformation gemeinsame Gewissheit des Glaubens zum Ausdruck. Ursprung der Gewissheit ist das in der Schrift verkündete Evangelium, Inhalt der Gewissheit ist das Evangelium als Botschaft von der freien Gnade Gottes. Diese Gewissheit des Glaubens über das Evangelium in seiner Identität als Botschaft von der freien Gnade Gottes wird im Folgenden weiter definiert als Maßstab bzw. hermeneutisches Regulativ von kirchlicher Lehre und Leben.91
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Paulus umschrieben hat, ist die zentrale und richtungsweisende Kennzeichnung der Heilsbotschaft Gottes für die Menschheit“ (abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A87). LK 4, Satz 2, Herv. v. J.G. LK 4, Satz 5, Herv. v. J.G. Hintzen, Georg, Das Modell der Kirchengemeinschaft, 162. Kritisch fügt Hintzen aus römisch-katholischer Perspektive hinzu: „Allein die Rechtfertigungslehre und das, was als deren Implikat verstanden werden kann, ist für die Leuenberger Konkordie ‚schriftgemäß‘. So wird die Schrift selbst dem Kriterium der Rechtfertigungslehre unterworfen“ (Ebd.). Diese „Gemeinsamkeit des reformatorischen Ansatzes“ beinhaltete ebenso ein „übereinstimmendes Verständnis vom Wesen kirchlicher Gemeinschaft“ (Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung, in: Geiger, Max u. a. [Hg.], Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 8–21; 11). Diese gründet, so das Verständnis, im Wort Gottes, durch das Gott das Heil des Hörenden bewirkt (vgl. LK 13). Das Wort ist also Selbstmitteilung Gottes. Von daher gilt auch für die Verwirklichung von Kirchengemeinschaft, dass dieser gemeinsame Ursprung vergegenwärtigt werden muss. Vgl. Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung in: Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 8–21; 11. Mit Blick auf den zu explizierenden Konsens zwischen den unterschiedlichen Bekenntnissen gilt entsprechend, dass der gemeinsame Bezug auf die eine, im Evangelium offenbare res des Glaubens gewiss werden muss (vgl. Nüssel, Friederike, Wie ist ökumenischer Konsens evangelisch möglich?, 452f).
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4.2.2.3 Das Evangelium von der freien Gnade Gottes als hermeneutisches Regulativ kirchlicher Lehre Infolge der humanistischen Rückbesinnung auf die Quellen gelangten die Reformatoren zu einer neuen Gewissheit über den Inhalt der Schrift. Diese Gewissheit, die aus der Beschäftigung mit dem in der Schrift bezeugten Evangelium resultierte und von diesem selbst ausging, führte zu einer Neubeantwortung der Autoritätenfrage. Denn das so gewonnene, von den Reformatoren bezeugte Verständnis des Evangeliums stand in Konflikt mit der damaligen kirchlichen Tradition. Die sich daran anschließende Verhältnisbestimmung zwischen dem in der Schrift bezeugten, sich dem Glauben vergewissernden Evangelium einerseits und der kirchlichen Lehre andererseits verdeutlicht die Konkordie anhand eines historischen Rückblickes auf den Konflikt der Reformatoren mit der katholischen Kirche.92 Für die Reformatoren führte die wahrgenommene Kontroverse zwischen ihrem Zeugnis vom Evangelium und den „kirchlichen Überlieferungen jener Zeit“93 zu der Einsicht, dass Leben und Lehre der Christen sich nicht an der kirchlichen Tradition, sondern an der „ursprünglichen und reinen Bezeugung des Evangeliums in der Schrift“94 zu messen hatten. Garant für das dem Evangelium angemessene kirchliche Zeugnis war also nicht die Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehrtradition. Vielmehr waren das Evangelium selbst und die von diesem gewirkte Gewissheit des Glaubens über den Inhalt des Evangeliums die Grundlage für das angemessene Zeugnis. Aus Perspektive der Reformatoren und ausgehend von der reformatorischen Glaubensgewissheit erwies sich kirchliche Lehre dann als angemessen in Bezug auf das Evangelium, wenn sie in Bindung an die Schrift dessen soteriologische Mitte, die Botschaft von der freien Gnade Gottes, aufnahm und zum Ausdruck brachte.95 Infolge des bekennenden Eintretens der Reformatoren für diese Überzeugung kam es zur Aufspaltung der katholischen Kirche in die weiter bestehende Kirche römischer Tradition einerseits und die reformatorischen Kirchen andererseits. 92 Vgl. LK 4, Satz 3: „Durch das Eintreten für die erkannte Wahrheit sind die Reformatoren gemeinsam in Gegensatz zu kirchlichen Überlieferungen jener Zeit geraten“. Auffällig ist hierbei die an ein nicht selbst verschuldetes Geschehen erinnernde Formulierung, die Reformatoren seien in Gegensatz geraten. Die Intention einer solchen Formulierung kann darin gesehen werden, den maßgeblichen Charakter des Evangeliums für die kirchliche Lehre hervorzuheben. Maßgeblich für das angemessene Zeugnis vom Evangelium war nicht das kirchliche Dogma, sondern das in der Schrift bezeugte Evangelium. 93 LK 4, Satz 4. 94 LK 4, Satz 5. 95 Vgl. Hintzen, Georg, Das Modell der Kirchengemeinschaft, 160f. Die Beurteilung von Irrlehre mittels des Glaubenszeugnisses lässt sich so auch in 1. Kor 12,10 finden. Vgl. Goppelt, Leonhard, Kirchentrennung und Kirchengemeinschaft nach dem Neuen Testament (Paulus), 8.
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Dabei waren die Reformatoren überzeugt, eine aus der im Glauben gemachten Erfahrung motivierte und an der Schrift orientierte notwendige Korrektur der Lehre der Kirche vorgenommen zu haben.96 Dass es sich aus Perspektive der Reformatoren um eine notwendige Korrektur der Lehre innerhalb der Kirche, nicht um eine Neubegründung von Kirche handelte, verdeutlicht die Konkordie mit der Betonung, dass die Reformatoren „dabei […] gemeinsam mit der ganzen Christenheit das in den altkirchlichen Symbolen ausgesprochene Bekenntnis zum dreieinigen Gott und der Gott-Menschheit Jesu Christi aufgenommen und neu bekannt [haben]“97. Diese abschließende Betonung der Konformität mit den altkirchlichen Symbolen und ihrer Formulierung der Trinitätslehre sowie der Lehre von der Gott-Menschheit Christi dient also zum einen der positiven Verhältnisbestimmung reformatorischer Überzeugung zum gesamtchristlichen Kontext und somit der Unterstreichung von Kontinuität. Die altkirchlichen Symbole als allgemeiner Konsens christlicher Kirchen haben für die geschilderte Gemeinsamkeit reformatorischen Glaubens also die Bedeutung, diese gewissmachende Erfahrung in einer gesamtchristlichen Kontinuität zu verorten. Zum anderen wird so auch der Bereich der Christologie in den reformatorischen Konsens mitaufgenommen, wie er bereits in den altkirchlichen Bekenntnissen ausgesprochen wurde. Somit werden bereits an dieser Stelle neben der Beschreibung des gemeinsamen reformatorischen Glaubens, das Evangelium als Botschaft von der freien Gnade Gottes, auch weiterführende dogmatische Aussagen aufgenommen. Diese stehen nicht in unmittelbarem Verhältnis zur reformatorischen Glaubensgewissheit, sondern gehen dieser Gewissheit im gesamtchristlichen Kontext als allgemeiner Konsens voraus. Mit dieser Beschreibung verdeutlicht die Konkordie ein bestimmtes Verständnis kirchlicher Lehre im Verhältnis zu ihrem Lehrgegenstand, dem in der Schrift bezeugten Evangelium. So wird kirchliche Lehrüberlieferung verstanden als das Ergebnis hermeneutischer Bemühungen am Gegenstand der Schrift. Diese hermeneutischen Bemühungen sind kein einmaliger Vorgang, infolgedessen der Zeugnisgegenstand durch die Lehre verkörpert wird. Vielmehr lässt die geforderte Korrektur katholischer Lehre von Seiten der Reformatoren erkennen, dass die Lehre als das Ergebnis einer hermeneutischen Beschäftigung mit dem in der Schrift bezeugten Evangelium eine prozesshafte Betätigung ist. Lehre ist bestimmt als fortwährendes hermeneutisches Bemühen des Menschen, 96 Deutlich wird hierbei der Rekurs auf die Schrift als notwendige Bewegung des gerechtfertigten Sünders. Die Korrektur kann ebenso auch als Glaubensgehorsam verstanden werden, der vom Evangelium ausgeht und auf das Evangelium ausgerichtet ist. 97 LK 4, Satz 7. Vgl. hierzu auch die Einlösung der hermeneutischen Grundeinsicht und die Entsprechung des neu formulierten Konsenses der reformatorischen Kirchen in LK 12. Vgl. ferner den Anspruch der Konkordie insgesamt, „der ökumenischen Gemeinschaft aller Kirchen zu dienen“ (LK 46).
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den Inhalt der Glaubensgewissheit über die Wahrheit des Evangeliums explikativ einzuholen.98 Dabei ist die kirchliche Lehre und menschliche Erkenntnis immer geschichtlich gebunden, also grundsätzlich reformbedürftig.99 Somit erinnert die Formulierung der Reformatoren an den Prozess der Umkehr des sündigen Menschen und auf Ebene des ökumenischen Dialogs der Kirchen miteinander an die Notwendigkeit eines fortwährenden „Ringens [der Kirchen] um Wahrheit“100. Nicht nur die kirchliche Lehre vom Evangelium, sondern auch „Handeln und Gestalt der Kirche“ sind zurückzubinden an den im Evangelium begründeten Sendungsauftrag der Kirche (Mt 28,18–20) und unterliegen der Einsicht, dass „das Wort des Herrn jeder menschlichen Gestaltung der christlichen Gemeinde überlegen bleibt“101. Auch für die Gestaltung von Kirche bleibt das Evangelium folglich maßgeblich.102 Keine Gestaltung der Gemeinde kann für sich beanspruchen, einzig angemessene Gestalt zur Bezeugung des Evangeliums zu sein. Somit wird das nec necesse est aus CA VII in der Konkordie aufgenommen.103 Diese Verhältnisbestimmung führt weiter zu der Charakterisierung des Evan98 Die vom Evangelium selbst gewirkte Glaubensgewissheit kann innerhalb der Hermeneutik von daher auch als Prämisse mit kriterialer Funktion beschrieben werden, die nötig ist, um sich über einen Gegenstand zu verständigen. 99 Vgl. LK 5, Satz 6. Vgl. Henning Theissen: „Der im Evangelium selbst gelegene Grund kirchlicher Gemeinschaft [ist] der Kirche in keiner Weise direkt zugänglich […] – auch nicht im Wahrheitsanspruch, mit dem eine kirchliche Lehre notwendigerweise auftritt –, sondern nur indirekt, was einen absoluten Wahrheitsanspruch evangelischer Lehre (auch der Lehre vom Grund der Kirche) ausschließt und einen im Diskurs mit abweichenden, u. U. widersprüchlichen Lehrbildungen zu bewährenden Anspruch an seine Stelle setzt“ (Theissen, Henning, Die berufene Zeugin des Kreuzes Christi. Studien zur Grundlegung der evangelischen Theorie der Kirche, Leipzig 2013, 109, mit Bezug auf Eilert Herms). Lehre und Lehrkonsens müssen sich demnach stets an der Schrift bewähren. 100 LK 1, Satz 3: „Dankbar dafür, daß sie [sc. die Signatarkirchen der Konkordie] näher zueinander geführt worden sind, bekennen sie zugleich, daß das Ringen um Wahrheit und Einheit in der Kirche auch mit Schuld und Leid verbunden war und ist“. Hiermit hängt die Überzeugung zusammen, dass das menschliche Bemühen um Explikation des in ihm göttlich gewirkten Glaubens stets qualitativ von diesem als einer Gewissheit unterschieden bleibt. Die biblische Grundlage für die Einsicht in die Reformbedürftigkeit menschlicher Explikation in Bezug auf die im Glauben erfahrene Gewissheit findet sich in 1Kor 13,9: „Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk“. 101 LK 4, Satz 6. Zum Aspekt der Offenheit gegenüber besserer Einsicht vgl. den einleitenden Satz in Artikel 4. Indem beide Bestimmungspunkte von Kirche, sowohl der Aspekt der Sammlung als auch der Aspekt der Sendung über die Formen menschlicher Explikation des Glaubens angesprochen werden, betrifft auch die Verhältnisbestimmung von Glaube und Explikation des Glaubens das ganze Wesen von Kirche. 102 So ist etwa eine Vereinheitlichung in der Gestalt nicht entscheidend für die Einheit der Kirche. Die Gestalt der Kirche muss sich allein am Evangelium als einzig einheitsstiftend orientieren. 103 Einheit der Kirche definiert sich als Teilhabegemeinschaft in der Einheit im Verständnis des Evangeliums, wie es in der Konkordie beschrieben wird. Vgl. LK 28. Auch dort wird zwischen dem notwendigen Konsens in Verkündigung und Sakramenten einerseits und dem nicht notwendigen Konsens in der äußeren Gestalt andererseits unterschieden.
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geliums, wie es in der Gewissheit des Glaubens identifiziert wird, als hermeneutisches Regulativ für kirchliche Lehre und kirchliches Handeln: Kirchliche Lehre ist dann evangeliumsgemäße, das heißt rechte Lehre, wenn sie sich aus der hermeneutischen Bemühung um das in der Schrift bezeugte Evangelium ergibt und die darin enthaltene soteriologische Botschaft zum Ausdruck bringt. Als Ergebnis hermeneutischen Bemühens bleibt die Lehre des Evangeliums bestimmt durch ihren Prozesscharakter. Die Lehre muss diese Botschaft von der Rechtfertigung als lebendiges Wort Gottes aufnehmen, sie also ausgehend vom Glauben „für die jeweilige Verkündigungssituation“104 auslegen. Im Unterschied zur kirchlichen Lehre unterliegt das gemeinsame hermeneutische Regulativ, die Gewissheit, dass das Evangelium als Botschaft von der freien Gnade Gottes Maßstab aller kirchlichen Lehre und kirchlichen Lebens ist, keinem Wandel, da mit diesem Regulativ der Anspruch verbunden ist, das in der Schrift verkündigte Evangelium selbst zu erfassen. Die Auslegung der Schrift hat, entsprechend der herausgestellten Verbindung zwischen dem Evangelium und dem Rahmen von Sammlung und Sendung, zu geschehen mit Blick auf die Sammlung. Folglich ist die Lehre des Evangeliums final ausgerichtet auf die fides iustificans, die Sammlung der Gemeinde als Teilhabegemeinschaft an der Rechtfertigung in Jesus Christus, die im gottesdienstlichen Geschehen zum Ausdruck kommt. Dass die Lehre selbst nicht den Glauben und damit das Heil wirkt, wird deutlich an der Formulierung der Konkordie, die das einigende Wirken dem Heiligen Geist zuspricht: „Im Glauben an die einigende Kraft des Heiligen Geistes richten sie ihr Zeugnis und ihren Dienst gemeinsam aus und bemühen sich um die Stärkung und Vertiefung der gewonnenen Gemeinschaft“105. Die Einheit der Kirche als geistliche, gottesdienstliche Gemeinschaft gründet im rechtfertigenden Glauben, der von der Schrift ausgeht und Kirche als Teilhabegemeinschaft am Heil Christi konstituiert.106 Der gemeinsame Glaube wird expliziert in der Lehre. Deren konkrete
104 Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung, in: Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 8–21; 10f: „Demgemäß beurteilt Paulus die häretischen Erscheinungen nicht einfach, indem er sie an feststehenden Sätzen mißt. Er interpretiert vielmehr, theologisch argumentierend, die soteriologische Mitte des Evangeliums für die jeweilige Verkündigungssituation und deckt damit das Abweichen der Häresie auf. Seine Argumentation überführt nicht juristisch oder rational, sondern durch Erkenntnis des Glaubens“. Vgl. auch LK 5, Satz 6. 105 LK 35, Satz 2. 106 Vgl. die Hinweise auf die nicht notwendige Gleichförmigkeit kirchlicher Lehre und Gestaltung in LK 4, Satz 4 u. 6. Satz 6 weist explizit auf den Auftrag von Kirche und somit auf den übergeordneten Rahmen von Sammlung und Sendung der Kirche hin. Vgl. ferner Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Eine lutherische Perspektive, in: Birmelé, André/Meyer, Harding (Hg.), Grundkonsens – Grunddifferenz, Frankfurt a.M. 1992, 117–131; 118f.
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
Lehrgestalt bleibt jedoch stets dem an die Schrift gebundenen Glaubensinhalt und der Schrift selbst untergeordnet.107
4.2.2.4 Das Verhältnis von Evangelium, Glaubensgewissheit und ihren Explikationsformen – eine Zusammenfassung Unter dem Titel „gemeinsame Aspekte im Aufbruch der Reformation“108 trifft die Konkordie in Artikel vier Aussagen zum Evangelium, zum Glauben und zur menschlichen Explikation des Glaubens. Letzteres, der Aspekt der Explikation, wird beschrieben über die Begriffe Leben und Lehre sowie kirchliches Handeln und Gestalt der Kirche. Alle drei Aspekte, das Evangelium, der Glaube und die Explikation des Glaubens, werden in der Konkordie voneinander unterschieden und miteinander in ein Verhältnis gesetzt. Dabei befinden sich die einzelnen Aspekte in einem lebendigen Verhältnis zueinander und begründen somit den Charakter von Kirchengemeinschaft als vorausgeworfene Einheit und kontinuierliche Aufgabe der Explikation:109 Ausgehend von dem in der Schrift bezeugten Evangelium, dem lebendigen Wort Gottes in Jesus Christus, macht der Mensch im Glauben eine Erfahrung. Diese Erfahrung hat zum einen den Charakter einer persönlichen Begegnung, die existentiell bedeutsam ist und das Individuum in seiner jeweiligen Situation betrifft. Zum anderen hat die Erfahrung Erkenntnisdimension und den Charakter einer Gewissheit des Gläubigen über einen bestimmten Inhalt. Der Gläubige erkennt die Wahrheit des Evangeliums als eine ihm geschenkte, nicht diskursiv erarbeitete Einsicht. Da das Evangelium mit dem Auftrag verbunden ist, bezeugt zu werden, bemüht sich der Gläubige um die explikative Einholung dessen, was Inhalt seines Glaubens ist, der in Bindung an das Evangelium gewirkt wurde. Der Gläubige steht somit einerseits vor der hermeneutischen Aufgabe, das in der Schrift tradierte Evangelium in Lehre und Leben zu bezeugen.110 Lehre und Leben müssen das Evangelium also in intersubjektiv vermittelbarer Form in Bindung an die Schrift bezeugen. Andererseits steht der Gläubige vor der Herausforderung, seine personale Begegnung mit Christus als die Begegnung mit 107 Vgl. Pannenberg, Wolfhart, Systematische Theologie, 25: „Insofern sind Bekenntnis und Dogma in der Tat Zusammenfassungen des zentralen Sachgehalts der Schrift. Mit keiner solchen Zusammenfassung aber ist die Sache der Schrift als Gegenstand des christlichen Glaubens schon erschöpfend ausgesagt. Sie ist mit jeder zusammenfassenden Aussage nur vorläufig bezeichnet. Solange die Auslegung der Schrift weitergeht, sind die Konturen ihrer Sache noch nicht abschließend bestimmt“. 108 Titel zu LK 4. 109 Vgl. die Ausführungen zum Projekt- und Prozesscharakter von Kirchengemeinschaft in Kap. A 4.3.1 der vorliegenden Untersuchung. 110 Vgl. LK 4, Satz 4.
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dem Evangelium als lebendiges Wort Gottes zu bezeugen.111 Diese Begegnung ist geprägt durch den das Subjekt existentiell betreffenden Charakter und die zugleich gegebene Gewissheit über den soteriologischen Inhalt des Evangeliums. Beides, sowohl die hermeneutische Leistung in Bezug auf die Schrift als auch die persönliche Interpretation der personalen Begegnung in Bezug auf das lebendige Wort Gottes, müssen sich miteinander als kompatibel erweisen, wenn sie das eine Evangelium bezeugen wollen. Das Verhältnis zwischen Evangelium, Glaube und Lehre geht also aus von der Begegnung des Menschen mit dem Evangelium in seinem doppelten Charakter. Zugleich ist das Evangelium nicht nur Ursprung des Glaubens und der gläubigen Bezeugung, sondern auch Gegenstand seiner Bezeugung, sodass sich ausgehend vom Evangelium ein fortwährender Prozess hermeneutischer Bemühung des Gläubigen hin zum Evangelium ergibt. Das Evangelium begründet somit das kontinuierliche Streben nach explikativer Einholung der im Glauben schon jetzt erkannten Wahrheit des Evangeliums.112 Diese Bemühung ist immer gebunden an das in der Schrift bezeugte Evangelium und wird getragen von der personalen Begegnung mit Christus, die intersubjektiv vermittelt werden soll.113 Dieses Geschehen eines Vorausgeworfenen und des kontinuierlich Einzuholenden, das durch das tripolare Verhältnis von Evangelium, Glaube und Lehre angestoßen wird, erinnert an den ekklesiologischen Rahmen von Sammlung und Sendung: Die Sammlung von Kirche geschieht durch Jesus Christus, vergegenwärtigt durch den Heiligen Geist im Evangelium als das lebendige Wort Gottes. In Christus haben die Christen Teil an der Rechtfertigung und sind aufgenommen in seine Heilsgemeinschaft.114 Mit der Sammlung geht der Auftrag zur Bezeugung des Evangeliums in Lehre und Leben, die Sendung, einher.115 Dieser Sendungs-
111 Vgl. LK 5, Satz 6. 112 Dass es sich dabei um ein projekthaftes Geschehen handelt, also um ein Bemühen, das als hermeneutische Spirale offen bleibt für bessere Einsichten und adäquatere Ausdrucksformen, wird an verschiedenen Stellen der Konkordie deutlich. So heißt es in LK 4, Satz 1: „Aus dem geschichtlichen Abstand heraus läßt sich heute deutlicher erkennen, was trotz aller Gegensätze den Kirchen der Reformation in ihrem Zeugnis gemeinsam war“ (Herv. v. J.G.). LK 1, Satz 3 betont: „Dankbar dafür, daß sie [sc. die zustimmenden Kirchen] näher zueinander geführt worden sind“. 113 Hierzu formuliert die Konkordie: „Im Glauben an die einigende Kraft des Heiligen Geistes richten sie ihr Zeugnis und ihren Dienst gemeinsam aus und bemühen sich um die Stärkung und Vertiefung der gewonnenen Gemeinschaft“ (LK 35, Satz 2). Zugleich betont die Konkordie die bleibende Bindung an die Schrift: „Das gemeinsame Verständnis des Evangeliums, auf dem die Kirchengemeinschaft beruht, muß weiter vertieft, am Zeugnis der Heiligen Schrift geprüft und ständig aktualisiert werden“ (LK 38). 114 Vgl. LK 2, Satz 1. 115 Vgl. LK 2, Satz 1 u. LK 11, Satz 1.
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auftrag antizipiert somit die Sammlung als Ziel und wird dabei vom Glauben als einer Gewissheit über das Evangelium getragen.116 Grundlegend für den Dialog der Kirchen ist jedoch der Konsens über die Gemeinsamkeit selbst. Die Schilderung der reformatorischen Gemeinsamkeit zu Beginn der Reformation beansprucht selbst auf anderer Ebene als der Ebene historisch variabler, menschlicher Lehre zu liegen.117 Vielmehr geht die Beschreibung von dem Glauben als existentieller Erfahrung aus, die übereinstimmt mit dem Gegenstand des Glaubens, der freien und bedingungslosen Gnade Gottes.118 Die Konfrontation dieser reformatorischen Entdeckung mit der damaligen kirchlichen Frömmigkeitspraxis führt die Reformatoren zu der hermeneutischen Unterscheidung und Verhältnisbestimmung zwischen dem Evangelium, dem Glauben und der Explikation des Glaubens. Diese Unterscheidung hat demnach auch den Charakter einer in direktem Zusammenhang mit der gewissmachenden Erfahrung stehenden Grundüberzeugung, die durch keine menschliche Lehre revidierbar ist. Die Formulierung von beidem, der Glaubensgewissheit und den Folgerungen für das Verhältnis von Explikation des Glaubens und Glaube, haben somit den Charakter eines Metakonsenses oder eines Konsenses reformatorischer Kirchen, der jedem anderen Konsensgesuch als reformatorisches Proprium zugrunde liegen muss.119
116 Vgl. hierzu die Ausführung im Vorentwurf zur Konkordie von Horst Lahr, abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A78–A84; A78: „Maßstab für die rechte Auslegung der ganzen Heiligen Schrift ist die Lehre des Apostels Paulus von der Zueignung des Heils an den Menschen in der Rechtfertigung des Sünders durch Gott vor Ihm – je neu vermittelt durch Wort und Sakrament, gewiß gemacht durch den Heiligen Geist, angenommen im Glauben, der dadurch geweckt und gestärkt wird, und freisetzend zu neuem Gehorsam“. 117 Vgl. LK 4, Satz 1: „was trotz aller Gegensätze den Kirchen der Reformation in ihrem Zeugnis gemeinsam war“. 118 Entsprechend ist auch die Rede von der „erkannten Wahrheit“, für die die Reformatoren eingetreten sind. Somit wird die Übereinstimmung zwischen dem Gegenstand des Glaubens und der von der Konkordie skizzierten Glaubensgewissheit betont. 119 Der Konsens könnte auch als Glaubenskonsens bezeichnet werden, insofern er letztlich von der erkannten Gemeinsamkeit im Zeugnis der Reformatoren ausgeht, das selbst als Glaubenszeugnis beschrieben wird. Da die in der LK skizzierte Glaubensgewissheit aus der Perspektive der LK die reformatorische Grundeinsicht bildet und dabei als geistgewirkte Gewissheit mit dem Legitimitätsanspruch des Evangeliums verknüpft wird, bildet dieser Glaubenskonsens der reformatorischen Kirchen eine Grundlage, hinter die nicht zurückgegangen werden kann.
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4.2.3 Der Umfang des für die Erklärung von Kirchengemeinschaft notwendigen Konsenses Die Konkordie formuliert einen Lehrkonsens zwischen den Kirchen. Dieser Konsens ist auf anderer Ebene einzuordnen als die zuvor beschriebene, von den Kirchen mit der Konkordie entdeckte, das heißt bereits gegebene Gemeinsamkeit. Die gegebene Gemeinsamkeit ist ihrem Charakter nach eine gemeinsame Glaubensgewissheit über eine hermeneutische Grundeinsicht der Kirchen. Sie ist auf einer den unterschiedlichen Lehrexplikationen vorausgehenden Ebene einzuordnen. Mit dieser Gemeinsamkeit in der Glaubensgewissheit wird die Ebene der von Gott gewirkten Glaubenseinheit der Kirchen beschrieben. Im Unterschied hierzu wird nun eine hierauf aufbauende Ebene beschritten: Indem die Konkordie einen Konsens zwischen den Kirchen ausgehend von deren unterschiedlichen Lehren expliziert, betritt sie die Ebene der sichtbaren Gemeinschaft der Kirchen. Die Erklärung von Kirchengemeinschaft in der Konkordie erfolgt demnach auf Grundlage der Glaubenseinheit und ausgehend von den bestehenden Differenzen zwischen den Kirchen.120 Hierzu wird in der Konkordie betont: „Die Konkordie […] stellt eine im Zentralen gewonnene Übereinstimmung dar, die Kirchengemeinschaft zwischen Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes ermöglicht“121. Zur Erklärung von Kirchengemeinschaft zwischen den unterschiedlichen Partikularkirchen wird eine Übereinstimmung „im Zentralen“122 gewonnen. Es ist demnach nicht notwendig, einen Konsens in sämtlichen Differenzen zum Ausdruck zu bringen. Vielmehr orientiert sich der Umfang des zu formulierenden Konsenses in der Konkordie an dem Ziel, die Erklärung von Kirchengemeinschaft zwischen den bleibend unterschiedlichen Kirchen zu ermöglichen. Kirchengemeinschaft bedeutet nach dem Verständnis der Konkordie zunächst die gegenseitige Gewährung von Gemeinschaft an Wort und Sakrament, also die gemeinsame Gottesdienstfeier.123 Darüber hinaus bedeutet Kirchengemeinschaft auch das Erstreben möglichst großer „Gemeinsamkeit in Zeugnis
120 Kirchengemeinschaft ist also auch immer zugleich Glaubenseinheit, aber nicht jede Glaubenseinheit ist bereits erklärte Kirchengemeinschaft. 121 LK 37. 122 Ebd. 123 Vgl. LK 29 u. LK 33. Georg Kretschmar betont, dass die Konkordie mit der Orientierung am gemeinsamen Gottesdienst von der ursprünglichen Fassung von CA VII abweicht, da diese von Haus aus nicht am Gottesdienst orientiert gewesen sei. Erst in der Fassung aus dem Jahr 1559 von Melanchthon werde der gottesdienstliche Bezug durch die Wahl griechischer Worte hergestellt. Vgl. Kretschmar, Georg, Der Kirchenartikel in der Confessio Augustana Melanchthons. Vgl. ferner ders., Orthodoxe Ekklesiologie und die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie, 29f.
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und Dienst an der Welt“124. Das Verständnis von Kirchengemeinschaft im Sinne einer Gemeinschaft zwischen Partikularkirchen ist also zweifach geprägt als Gottesdienstgemeinschaft und Lehrgemeinschaft. Das Ziel des zu formulierenden Konsenses, Kirchengemeinschaft zwischen den Kirchen zu erklären, lässt sich mit Blick auf die Grundlage der Kirchengemeinschaft, die Glaubenseinheit der Kirchen, erläutern: In der Feier des Gottesdienstes bedient sich Gott der menschlichen Zeugnishandlungen der Verkündigung, der Taufe und des Abendmahls. Durch das Handeln Gottes wird den Menschen der Glaube geschenkt und „die Rechtfertigung in Christus zuteil“125. Im gottesdienstlichen Geschehen werden die Menschen folglich von Gott als Glaubenseinheit und Teilhabegemeinschaft am Leib Christi gesammelt.126 In der Gottesdienstgemeinschaft kommt die gemeinsame Teilhabe der Kirchen „an der einen Kirche Jesu Christi“127 zum Ausdruck und zur Wirkung. Der zu formulierende Konsens zur Erklärung von Kirchengemeinschaft zielt also auf die Gottesdienstfeier und die sich darin vollziehende Sammlung der Christen als Glaubenseinheit und Teilhabegemeinschaft. Der Konsens zielt zudem auf das von dieser Gemeinschaft ausgehende gemeinsame glaubwürdige Zeugnis und den gemeinsamen Dienst in der Welt, also auf die Sendung.128 Der zu formulierende Konsens zwischen den Kirchen umfasst demnach all diejenigen Unterschiede zwischen den Kirchen, die bislang eine Gottesdienstgemeinschaft der Kirchen verhinderten, da diese – alle mit demselben Anspruch, die Wahrheit des Evangeliums zum Ausdruck zu bringen – unversöhnt einander gegenüberstanden. Im Unterschied zu den in CA VII genannten Kriterien zur Einheit der Kirche ist folglich mit der Konkordie nicht nur ein Konsens in der Lehre und Verkündigung des Evangeliums sowie in der Verwaltung der Sakramente Taufe und Abendmahl notwendig. Der Konsens zwischen den Kirchen in der Konkordie umfasst zusätzliche Kriterien, obwohl er mit demselben Ziel formuliert wird, wie bereits CA VII.129 So formuliert die Konkordie abweichend vom Wortlaut des Augsburger Bekenntnisses: „Im folgenden beschreiben die beteiligten Kirchen ihr gemeinsames Verständnis des Evangeliums, soweit es für
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LK 29. LK 13, Satz 4. Vgl. LK 13, Satz 2f. LK 34, Satz 2. Wie im Zusammenhang mit den Begriffen von Sammlung und Sendung in Kap. A 4.1 der vorliegenden Untersuchung verdeutlicht wurde, zielt diese Sammlung der Kirchen und ihr Zeugnis in der Welt auf eine weitere, umfassendere Sammlung der Menschen unter dem Wort Gottes als einigendes und den Menschen mit Gott versöhnendes Wort. 129 Der zwischenkirchliche Konsens der Leuenberger Konkordie ist ein Konsens unterschiedlicher Partikularkirchen, der für sich beansprucht, der sichtbaren Gemeinschaft der Kirchen zu dienen.
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die Begründung einer Kirchengemeinschaft erforderlich ist“130. Die Bestimmung des Umfangs des notwendigen Konsenses zur Erklärung von Kirchengemeinschaft, der Übereinstimmung „im Zentralen“131, ist somit nicht nur orientiert an den für die Glaubenseinheit und Teilhabegemeinschaft fundamentalen Elementen, deren sich der Herr im gottesdienstlichen Geschehen glaubensstiftend zur Sammlung seiner Gemeinde bedient.132 Neben dieser soteriologisch bestimmten Komponente orientiert sich der Konsens auch an der konkreten Gesprächskonstellation. Das Gespräch mit dem Ziel der Kirchengemeinschaft im Sinne einer Gottesdienstgemeinschaft muss also nicht nur den Konsens über die Elemente von CA VII zum Ausdruck bringen. Es muss je nach Konstellation der Gesprächspartner auch nach den jeweils unterschiedlichen, möglicherweise zusätzlichen Trennungsfaktoren gefragt werden, die eine Gottesdienstgemeinschaft bislang verhinderten.133 Folglich wird in der Konkordie nicht nur der zwischenkirchliche Konsens über das Verständnis des Evangeliums als Botschaft von der Rechtfertigung, über die Verkündigung des Evangeliums sowie über Taufe und Abendmahl expliziert. Auch die zwischen den reformatorischen Kirchen stehenden, in ihren Bekenntnissen fixierten gegenseitigen Lehrverurteilungen werden besprochen und 130 LK 6, Herv. v. J.G. Dabei wird der Begriff „Einheit der Kirche“ (LK 2) in der Konkordie durch den Begriff der „Kirchengemeinschaft“ interpretiert. Vgl. hierzu die auf LK 2 bezugnehmenden Wortlaute in LK 6 und 28. Zum gemeinsamen Verständnis des Evangeliums vgl. LK 6–16. „Recht“ sind das Verständnis und die Lehre des Evangeliums, wenn sie evangeliumsgemäß sind. Vgl. LK 4, Satz 4. 131 LK 37. 132 Vgl. LK 13–16. 133 Theodor Dieter nennt diesen Aspekt eine „situative Komponente“, die dazu führt, das je nach Gesprächskonstellation „andere Kontroversfragen im Vordergrund stehen und also zum Zentralen gehören“ (Dieter, Theodor, Kirchengemeinschaft – Eine klärungsbedürftige ökumenische Konzeption, 281). Georg Hintzen geht davon aus, dass mit CA VII die „Konkretionen des göttlichen Heilshandelns von ihrer Funktion als Vermittlungsinstanzen der Rechtfertigung her verstanden und so von der Rechtfertigungslehre her legitimiert“ würden. Folglich werde die Rechtfertigungslehre zum „Auswahlkriterium und Legitimationsprinzip“ (Hintzen, Georg, Das Modell der Kirchengemeinschaft, 160f). Dem ist entgegenzusetzen, dass nach dem Modell der Konkordie grundsätzlich alle Differenzen Bestandteil des Konsenses werden können, wenn sie die Gottesdienstgemeinschaft zwischen den im Gespräch befindlichen Kirchen verhindern. Die Rechtfertigungslehre ist also nicht das unmittelbare Auswahlkriterium in der Konkordie. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Schrift, verstanden als Botschaft von der Rechtfertigung, wie es als gemeinsame Glaubensgewissheit der evangelischen Kirchen formuliert wird, in der Konkordie Kriterium der Evangeliumsgemäßheit für den Konsens über die unterschiedlichen, für die Gottesdienstgemeinschaft zu klärenden Differenzen ist. Hierin besteht die spezifisch reformatorische Ansicht, die im weiteren ökumenischen Kontext kritisch gesehen werden kann. Vgl. zum Kriterium für die Angemessenheit des Konsenses: „Die Grundlage einer solchen Kirchengemeinschaft ist es, daß man sich in dem einen Glauben an das Evangelium Jesu Christi vereint weiß. Dafür ist für die reformatorischen Kirchen die gemeinsame Betonung der Rechtfertigungsbotschaft grundlegend“ (Birmelé, André, Leuenberger Konkordie, 155).
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
für den mit der Konkordie explizierten Konsens entkräftet.134 Die Bestimmung der zu behandelnden Topoi wird also zusätzlich gebunden an die Zusammensetzung der Gesprächsteilnehmer. Somit ist grundsätzlich möglich, dass auch andere, kulturell bedingte und geschichtlich variierende Faktoren im Gespräch zur Erklärung von Kirchengemeinschaft berücksichtigt und versöhnt werden müssen, wenn diese trennend, das heißt Gottesdienstgemeinschaft im Sinne der Teilhabegemeinschaft an der Einheit in Christus verhindernd, zwischen den Gesprächsteilnehmern stehen. Grundsätzlich nicht kirchentrennend und von daher nicht notwendig in den Konsens miteinzubeziehen sind die Unterschiede „in der Gestaltung des Gottesdienstes, in den Ausprägungen der Frömmigkeit und in den kirchlichen Ordnungen“135.
4.2.4 Die Unterscheidung zwischen dem grundlegenden Zeugnis und den geschichtlich bedingten Denkformen – Die Art des Konsenses Indem die Konkordie die Kriterien von CA VII einlöst, verdeutlicht sie zugleich, dass das aktuelle Verhältnis der reformatorischen Kirchen zueinander ein anderes ist, als in den vergangenen 440 Jahren. Die Kirchen erlebten in der auf die Reformation folgenden Zeit, dass einst vollzogene Trennungen nicht mehr der kirchlichen Lebenswirklichkeit entsprachen und ihre vermeintliche Statik verloren.136 Scheidungen wurden teilweise obsolet oder vollzogen sich mitunter aufgrund von neuen Gegensätzen „quer durch die Konfessionen“137. Was die 134 So betont die Konkordie, dass die Kirchen „im Verständnis des Evangeliums, wie es in den Teilen II [= das gemeinsame Verständnis des Evangeliums, entsprechend der von CA VII genannten Kriterien] und III [= die Übereinstimmung angesichts der Lehrverurteilungen der Reformationszeit] Ausdruck gefunden hat, überein[stimmen]“ (LK 31). Aufgrund dieser „gewonnenen Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums“ gewähren die Kirchen einander Gemeinschaft an Wort und Sakrament (LK 29 u. LK 1). 135 LK 28, Satz 1. Vgl. hierzu CA VII: „Nec necesse est ubique esse similes traditiones humanas, seu ritus aut cerimonias ab hominibus institutas“. 136 Wie die Theologie der Gegenwart, so war auch die theologische Arbeit der Reformatoren geschichtlich bedingt. Diese Einsicht wird bereits in den Schauenburger Gesprächen formuliert und erscheint anschließend im ersten Gesamtentwurf des Unterausschusses in Cartigny vom 22. 04. 1971, abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A85–A91; A86. Die Einsicht ist wesentlich, um mit den in Kap. A 4.2.4.2 der vorliegenden Untersuchung behandelten, in den Bekenntnissen ausgesprochenen gegenseitigen Lehrverurteilungen umzugehen. 137 LK 5, Satz 2. Vgl. auch LK 5, Satz 1–3. Vgl. die auffällige Nähe zu der Formulierung von Karl Barth im Jahr 1933: „Die ernsthaften Fronten laufen heute wirklich durch die Grenzen der beiden überkommenen Bekenntnisse quer hindurch“ (Barth, Karl, Abschied, in: ders., Vorträge und kleinere Arbeiten 1930–1933, hg. v. Beintker, Michael u. a., Karl Barth-Gesamtausgabe, Abt. III, Zürich 2013, 492–515; 510). In der Konkordie wird deutlich, dass ein Kirchengemeinschaft ermöglichender Konsens zwischen unterschiedlichen Kirchen nicht
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Kirchen also erlebten, war eine Loslösung der kirchlichen Lebenswirklichkeit von der kirchlichen Lehre. Diese Diskrepanz war nun mit Blick auf die Verkündigung in der veränderten geschichtlichen Situation und in Bindung an das Evangelium zu beseitigen.138 Die Kirchen sahen sich aufgrund ihrer Erfahrungen veranlasst, nach der aktuellen Angemessenheit ihrer Trennungen zu fragen. Die Konkordie geht also aus von der Forderung nach einer Neubewertung des Verhältnisses der Kirchen zueinander, die durch die empirische Wahrnehmung von Veränderung motiviert wurde. Diese Neubewertung wird in der Konkordie theologisch reflektiert.139 So wird im Rahmen des biblischen Kirchenverständnisses, das sich durch die Aspekte der Sammlung und Sendung auszeichnet, an die mit der Sendung verknüpfte Aufgabe der Verkündigung erinnert.140 Die Dinge, an denen sich kirchliche Identität misst, sollten neu zur Sprache gebracht werden: „Das biblische Zeugnis wie die reformatorischen Bekenntnisse“141 sollten für die Gegenwart reaktualisiert werden, soweit es zur Erklärung von Kirchengemeinschaft nötig war.142
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allein deren Bekenntnisse, sondern auch die jeweilige, mitunter geschichtlich und kulturell geprägte Identität der Gesprächspartner berücksichtigen muss. Diese geschichtlich und kulturell geprägte Identität kann je nach Zusammensetzung der Gesprächspartner trennende Bedeutung haben, oder aber, wenn ihre Aussagen den Partner nicht treffen, nicht zum Umfang des notwendigen Konsenses zählen. Vgl. Kap. A 4.2.3 der vorliegenden Untersuchung. Vgl. den zweiten Gesamtentwurf des Unterausschusses in Cartigny vom 23. 04. 1971, abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A92–A100; A93. Während mit der Ausbildung voneinander getrennter Kirchtümer eine Diskrepanz zwischen der in den Bekenntnisschriften bezeugten Einheit und der gelebten kirchlichen Gemeinschaft sichtbar wurde (Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung, in: Geiger, Max u. a. [Hg.], Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 8–21; 12, Nr. 9), steht die Konkordie vor einer umgekehrten Situation: So betont der Leuenberger Bericht, mithilfe der Lehrgespräche müsse die Kirchengemeinschaft „prüfen, inwieweit die faktisch gelebte Gemeinschaft im Evangelium gegründet ist. Nur das Miteinander von gelebter Gemeinschaft und von Gemeinschaft im Verständnis des Evangeliums wird der in Christus vorgegebenen Einheit gerecht. Der Weg zur Kirchengemeinschaft führt daher nicht am Lehrgespräch vorbei, sondern er muß dieses als wesentliches Element einschließen“ (a. a. O., 16f, Nr. 20). Diese neue Herausforderung führt in der Konkordie zwangsläufig zu einer neuen Beschäftigung mit den trennenden Bekenntnisaussagen des 16. Jahrhunderts. Vgl. LK 5, Satz 4: „All dies [sc. Erfahrung von neuen Trennungen und Gemeinsamkeiten] veranlaßte die Kirchen in neuer Weise, das biblische Zeugnis wie die reformatorischen Bekenntnisse […] für die Gegenwart zu aktualisieren“. Vgl. hierzu den zweiten Gesamtentwurf des Unterausschusses in Cartigny vom 23. 04. 1971, abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A92–A100; A93: „Die Aufgabe der Verkündigung in neuen geschichtlichen Situationen nötigte sie [sc. die Kirchen der Reformation] zu einem fortgesetzten Bemühen um den Inhalt des Evangeliums und um eine ihm entsprechende Gestaltung des kirchlichen Lebens“. LK 5, Satz 4. Der von der vorliegenden Untersuchung eingeführte Begriff der Reaktualisierung dient der
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Vor dem Hintergrund der Frage nach der Angemessenheit weiterhin nicht erklärter bzw. nur in Einzelfällen gegenseitig gewährter Kirchengemeinschaft reformatorischer Kirchen sowie mit dem Ziel eines Lehrkonsenses zwischen den bekenntnisverschiedenen Kirchen vollzieht die Konkordie folglich eine Umkehrbewegung143: Sie reaktualisiert die Aussagen der Bekenntnisse, stellt sie mit Blick sowohl auf ihre Einzelaussagen als auch auf das Evangelium in ein Verhältnis zueinander und bringt diejenigen Punkte aus ihrer Perspektive neu zum Ausdruck, über die zur Erklärung von Kirchengemeinschaft im Sinne von Gottesdienstgemeinschaft Konsens erzielt werden muss.144 Die theologisch reflektierte Einholung der veränderten kirchlichen Lebenswirklichkeit setzt also bei der Reaktualisierung der kirchlichen Lehre an.145 Dies wiederum setzt eine Entscheidung darüber voraus, woran sich eine solche Erneuerung und der Konsens messen müssen, um tragfähige Grundlage einer Kirchengemeinschaft verschiedener Konfessionskirchen zu sein: Letzten Endes ging es um die Frage des Kriteriums, wie die Wahrheit des Evangeliums heute zu bestimmen ist. Ist es die Konfession einschließlich ihrer Lehre, die irgendwie providentiell verstanden wird? Oder ist es nicht letzten Endes das Evangelium selbst und dessen Autorität, das als Gegenüber auch die Konfessionen in ihrem Sosein in Frage stellen kann und die Kirchen auf neue Wege – ‚semper reformanda‘ – führen kann?146
Die Konkordie entdeckt zwar eine Gemeinsamkeit im Ausgangspunkt der reformatorischen Kirchen. Diese Gemeinsamkeit wurde bereits als Glaubensgewissheit über den zentralen Inhalt des Evangeliums und dessen Eigenschaft als Maßstab menschlicher Lehre, also als hermeneutisches Regulativ beschrieben. Allerdings ist mit der Entdeckung der Gemeinsamkeit noch keine Kirchenge-
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Betonung des Durativen und zu Wiederholenden hinsichtlich der Notwendigkeit, das Evangelium und die Bekenntnisse neu zur Sprache zu bringen. Die Konkordie kann vor diesem Hintergrund auch als Ausdruck der Metanoia, der büßenden Umkehr als Reaktion auf das Angesprochensein durch das Wort Gottes verstanden werden. Vgl. LK 1, Satz 3. Zum Verständnis von Kirchengemeinschaft vgl. LK 29 und Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung, in: Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 8– 21; 14f, Nr. 14. Hierzu ist zu beachten, dass die theologische Reflexion zwar motiviert wurde durch die veränderte kirchliche Lebenswirklichkeit. Allerdings ist die kirchliche Praxis zugleich orientiert an der kirchlichen Lehre als einem fortgesetzten Bemühen um den Inhalt des Evangeliums. Lienhard, Marc, Die Vielheit der Konfessionen und die Einheit der Kirche, in: MdKI 5 (2006), 83–89; 86. Vgl. auch a. a. O., 88: „Wir beschränken uns heute nicht auf die Zeremonien oder die Institutionen. Wir meinen, dass die tragbare Vielfalt auch die Denkformen betrifft, ja sogar die Lehren. So gibt es zum Beispiel bleibende Differenzen zwischen der lutherischen und der reformierten Abendmahlslehre, die gleichwohl nicht kirchentrennend sind, wie es die Leuenberger Konkordie festgestellt hat“.
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meinschaft unter den Kirchen erklärbar, denn diese halten weiterhin an ihren Bekenntnissen fest. Einige der in diesen Bekenntnissen enthaltenen Lehraussagen sind aber gerade der Grund für die bisherige Trennung der Kirchen. Folglich setzt die Suche nach einem tragfähigen, versöhnenden Konsens für eine Kirchengemeinschaft einen differenzierten Umgang mit den Bekenntnissen voraus. Die Konkordie nimmt mit Blick auf die Bekenntnisse eine Differenzierung vor, indem sie zwischen dem „grundlegenden Zeugnis der Bekenntnisse“ und ihren „geschichtlich bedingten Denkformen“147 unterscheidet.148 Diese Unterscheidung ist, so wurde es bereits einleitend zur dritten Leitthese betont, von zentraler Bedeutung für das Leuenberger Modell. Es verwundert folglich nicht, dass sie auch im ökumenischen Diskurs um dieses Modell besondere Aufmerksamkeit erfährt.149 Die Auseinandersetzung über die Unterscheidung ist noch weniger erstaunlich vor dem Hintergrund, dass diese Differenzierung in der Konkordie nicht selbsterklärend ist.150 Es bleibt also zunächst 147 LK 5, Satz 5. 148 Der Anstoß zu dem differenzierten Umgang mit den Bekenntnissen kann bereits in den Schauenburger Gesprächen gefunden werden: „Das Lehrgespräch zwischen ihnen muß darauf achten, inwieweit die von den Bekenntnissen her zwischen den Partnern stehenden Verwerfungen einer bestimmten geschichtlichen Situation entsprachen. Es erscheint möglich, daß in einer neuen historischen Situation ein Bekenntniskonsensus gewonnen wird, ohne die Treue zu den geschichtlich einmal vollzogenen Lehrentscheidungen zu verletzen. Es wäre in diesem Falle festzustellen, daß die historischen Lehrentscheidungen unbeschadet ihrer situationsbedingten Legitimität den gegenwärtigen Stand der Lehre des Partners nicht mehr betreffen“ (Thesen über das Bekenntnis, in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung [Hg.], Auf dem Weg, 36–43; 42f. Herv. v. J.G.). Die Bezeichnung als „Bekenntniskonsens“ ist korrekt zu lesen als „Konsens zwischen den Bekenntnissen“. Das Konsensbemühen der LK konnte auf die Leitsätze der VELKD zur Kirchengemeinschaft zurückgreifen, in denen zwischen dem „Grund“ und der „Ausgestaltung“ unterschieden wurde. Vgl. Leitsätze der VELKD zur Kirchengemeinschaft, 525, Leitsatz 5; vgl. auch Thesen zur Kirchengemeinschaft, Thesen zur Kirchengemeinschaft, abgedruckt in: Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 171–174; 172f. Die Unterscheidung wurde in den Leitsätzen unter Berufung auf CA VII sogar als Bedingung bezeichnet, damit das Gespräch über lutherisch/reformierte Kirchengemeinschaft überhaupt „sinnvoll“ sei (Leitsätze der VELKD zur Kirchengemeinschaft, 525, Leitsatz 5). Michael Beintker nennt die Unterscheidung in der Konkordie treffend „die entscheidende hermeneutische Denkfigur“ (Beintker, Michael, Der Wandel der Denkformen und die Hermeneutik der reformatorischen Bekenntnisse, 153). Mithilfe dieser Unterscheidung war es der Konkordie überhaupt erst möglich, zu einem Konsens zwischen den unterschiedlichen Bekenntnissen in ihrer Verschiedenheit zu finden. 149 Vgl. Kap. C der vorliegenden Untersuchung. Hierzu zählen insbesondere die miteinander verbundenen Themen, die anhand der Begriffe von Grund und Gestalt, opus Dei und opus hominum, fides qua und fides quae erläutert werden. 150 Bereits sprachlich führt die Unterscheidung zu dem berechtigten Einwand, dass „Zeugnis“ und „Denkformen“ nicht klar voneinander zu unterscheiden sind: Jedes Zeugnis besitzt auch eine Denkform, in der es zum Ausdruck kommt. Offenbar möchte die Konkordie jedoch verdeutlichen, dass mit dem Zeugnis etwas Grundlegendes, Dauerhaftes gemeint ist, während eine Denkform wandelbar ist.
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offen, was das Kriterium für die Differenzierung zwischen dem grundlegenden Zeugnis und den geschichtlich bedingten Denkformen mit Blick auf die unterschiedlichen Bekenntnisaussagen ist. Woran orientiert sich also der zu formulierende Konsens und welcher Art ist er folglich? Die Beantwortung der Frage führt zur Bestimmung des tragenden Grundes der Kirchengemeinschaft von unterschiedlichen Konfessionskirchen. Dieser Grund kann demnach in einem zwischen den Lehraussagen jeweils zu formulierenden Lehrkonsens liegen. Dieser Lehrkonsens würde eine gemeinsame inhaltliche Aussage über eine bestimmte Lehrfrage machen.151 Die Differenzierung zwischen „grundlegend“ und „geschichtlich bedingt“152 würde somit auf Lehrebene getroffen mithilfe der Frage, ob neue hermeneutische Erkenntnisse an der Schrift einen Lehrkonsens zwischen den Bekenntnissen ermöglichen. Der Grund der Kirchengemeinschaft kann aber auch auf einer der Lehre vorausgehenden Ebene, dem Evangelium, liegen. Mit dem Konsens würde dann festgestellt, dass die unterschiedlichen Lehraussagen denselben Gegenstand haben.153 Folglich wäre die Differenzierung anhand einer Gegenüberstellung der Bekenntnisaussagen und des Evangeliums vorzunehmen.
151 Diese Lesart ermöglicht die von lutherischer Seite zuweilen betonte Deutung der gemeinsamen Formulierung zum Abendmahlsverständnis in der Konkordie. Diese Formulierung wird dann als Bestätigung der lutherischen Auffassung verstanden. Das würde bedeuten, dass die reformierten Kirchen ihre ursprüngliche Akzentuierung in dieser Lehrfrage zugunsten der lutherischen aufgegeben hätten. Mit dieser Auslegung wird jedoch der Sinn einer Konkordie, die bleibend verschiedene Konfessionen miteinander versöhnt, ad Absurdum geführt. Denn somit würde evoziert, dass das Kriterium der Wahrheit kirchlicher Lehre auf Bekenntnisebene zu lokalisieren ist. Vgl. hierzu den Hinweis zum lutherischen Bekenntnisverständnis bei Leuba, Jean-Louis, Die Union als ökumenisch-theologisches Problem, 299: „Im Luthertum bricht das Bekenntnis unmittelbar in der Schriftmitte auf, und der Bekenntnisakt selbst gilt als Aussage, die die spezifische Wahrheit der Schrift freilegt, welche nunmehr den hermeneutischen Schlüssel, den inhaltlich wahren Kanon, die wahre geistliche Regel liefert, nach der die Schrift zu deuten ist. […]. Gemäß einem solchen Verständnis wird die Schrift in ihrem Wahrheitsgehalt nur dann erkannt, wenn sie in der Gestalt erfaßt wird, die sich durch die Vermittlung Luthers und seiner Glaubensgenossen als die wahre erwiesen hat. Jeder frühere und jeder spätere Bekenntnisakt wird nunmehr an jenem entscheidenden Bekenntnisakt Luthers zu messen sein“. 152 LK 5, Satz 5. 153 Das bedeutet, dass der Wahrheitsanspruch einer Lehraussage an die adaequatio von signum und res, das heißt von Lehre und Evangelium gebunden wird. Die Entsprechung kommt zwar notwendigerweise immer nur im Medium der Lehre zum Ausdruck. Diese beansprucht dann jedoch nicht, selbst der Grund ihrer Wahrheit zu sein. Mit Blick auf das Abendmahlsverständnis würde dies bedeuten, dass nicht die gemeinsame Bestätigung der lutherischen Perspektive die Evangeliumsgemäßheit des Konsenses bewirkt. Vielmehr ist die mit dem Konsens zugleich explizierte Betonung der soteriologischen Bedeutung des Abendmahls Kriterium für die Angemessenheit in Bezug auf das Evangelium. Vgl. hierzu die Ausführungen in Kap. A 4.2.4.2 der vorliegenden Untersuchung.
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Die vorliegende Deutung der von der Konkordie vorgenommenen Unterscheidung geht davon aus, dass die genannten Optionen zur Bestimmung eines tragfähigen Konsenses einander nicht ausschließen. Die dritte Leitthese für die Interpretation des Konzeptes der Leuenberger Konkordie lautete hierzu, dass die Unterscheidung zwischen grundlegendem Zeugnis und geschichtlich bedingten Denkformen mit Blick auf zwei verschiedene, miteinander in einem Verhältnis stehende Ebenen vorgenommen wird. Dies sind eine horizontale, zwischenkirchliche Lehrebene und eine vertikale Bezugsebene der Lehre auf ihren Gegenstand und Ursprung, das Evangelium. Die Unterscheidung wird also vor dem Hintergrund gedeutet, dass die unterschiedlichen Lehraussagen der Kirchen zum einen auf einer horizontalen Ebene in ein Verhältnis zueinander gestellt werden. Die gegenseitige Anerkennung von Kirchen als wahre Kirche ist gebunden an gemeinsame Lehraussagen, an einen explizierten Konsens. Zum anderen müssen sich diese Lehraussagen auf einer vertikalen Ebene, ausgehend von der Einsicht der Reformatoren in den Vorrang der Autorität der Schrift vor menschlicher Lehre, auch am Evangelium messen. Sie müssen sich also als wahr, als evangeliumsgemäß erweisen.154 Dieser Erweis ist nach reformatorischer Auffassung erbracht, so die These der vorliegenden Untersuchung, wenn die Lehraussagen die von der Schrift selbst im Rahmen der hermeneutischen Bemühung um ihren Inhalt gewirkte Glaubensgewissheit über die Wahrheit der Schrift aufnehmen.155 Die so vorgenommene Unterteilung des Konsenses in zwei Ebenen wird durch die Ausführungen des Leuenberger Berichts gestützt. Dieser stellt fest: Die Kirchengemeinschaft ist dann begründet, wenn die ausschließliche Heilsmittlerschaft Jesu als Mitte des Evangeliums und als einziger Grund des Kanons der Lehre und des Lebens der Kirche anerkannt wird. Auf dieser Grundlage muß dann die Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben und von der neuen Geburt entfaltet und in Verbindung 154 Wenn Kirchengemeinschaft erstens nicht nur Gemeinschaft von Kirchen, sondern zugleich Teilhabegemeinschaft sein soll, und zweitens die Autorität der Schrift vor menschlicher Lehre betont, so muss auch diese vertikale Ebene, auf der das Evangelium als kritisches Gegenüber der Konfession ernstgenommen wird, in den Konsens miteinbezogen werden. Vgl. hierzu Leuba, Jean-Louis, Die Union als ökumenisch-theologisches Problem, 302f. 155 Vgl. die Bestimmung des hermeneutischen Regulativs in Kap. A 4.2 der vorliegenden Untersuchung. Vgl. LK 4 u. LK 12. Vgl. auch Birmelé, André, Leuenberger Konkordie, 155: „Die Grundlage einer solchen Kirchengemeinschaft ist es, daß man sich in dem einen Glauben an das Evangelium Jesu Christi vereint weiß. […] Die Grundlage der Kirchengemeinschaft liegt in dem gemeinsamen Verständnis des Evangeliums als Botschaft der Rechtfertigung“. Axt-Piscalar beschreibt den Zusammenhang zwischen Evangelium, Glaube und menschlicher Lehre im Sinne der Explikation des Glaubens folgendermaßen: „Es ist das Evangelium, das kraft des Heiligen Geistes den Glauben zeugt und seine Gewissheit begründet. Die Gewissheit des Glaubens drängt sich ihrem Wesen nach auf ein SichVerstehen und ein Explizieren dieses Sich-Verstehens“ (dies., Theologie – Dogma – Bekenntnis. Überlegungen aus evangelischer Sicht zu ihrer Bedeutung und Funktion, in: ÖR 57 [2008], 3–21; 20).
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
damit auch eine Verständigung über die Wirksamkeit des Wortes und der Sakramente erzielt werden.156
Die Verständigung der Kirchen über die gemeinsame Glaubensgewissheit geschieht in Artikel 4 der Konkordie, während die Entfaltung in Rekurs auf diese Gewissheit in den Artikeln 7–26 vorgenommen wird. 4.2.4.1 Das gemeinsame Verständnis des Evangeliums Die von der Konkordie getroffene Unterscheidung zwischen dem grundlegenden Zeugnis und den geschichtlich bedingten Denkformen wird mit Blick auf die verschiedenen Bekenntnisse getroffen, also im Hinblick auf kirchliche Lehre. Sie setzt somit bei den bislang trennenden Verschiedenheiten zwischen den Kirchen an. Kirchliche Lehre äußert sich immer in bestimmten Denkformen. Diese Denkformen sind wiederum geschichtlich wandelbar, wie auch Sprache und Ausdruck sich in Bezug auf einen identischen bleibenden Gegenstand wandeln können. Beeinflussend für diesen Wandel sind insbesondere veränderte Erkenntnisse über den Lehrgegenstand, die sich im Laufe des hermeneutischen Prozesses ergeben können. Auf einen solchen Wandel weist in der Konkordie Artikel 5 hin. Mit Blick auf die unterschiedlichen Bekenntnisse der Kirchen entdeckt die Konkordie nicht nur eine Pluralität unterschiedlicher und teilweise gegensätzlicher geschichtlich bedingter Denkformen, die nicht mehr den Sprach- und Denkformen der Gegenwart entsprechen. Die Konkordie erkennt in den verschiedenen Lehren auch etwas „Bleibendes und Identisches“157, eine Gemeinsamkeit. Zwar kam in „einer vierhundertjährigen Geschichte“158 dieses Bleibende und Identische in unterschiedlichen, aber nicht widersprüchlichen Denk- und Sprachformen zum Ausdruck. Es bewährte sich jedoch durchgehend als eine bleibende Überzeugung der Kirchen in Bezug auf das Evangelium.159 Das Bleibende und Identische verlor nicht seine Identität, blieb also wesentlich dasselbe. Die Konkordie wählt hierzu den Begriff des „grundlegenden Zeugnisses“160 der Bekenntnisse. Dieses den Kirchen gemeinsame Zeugnis ist das Verständnis des Evangeliums, wie es von den Kirchen in der Lehre von der Rechtfertigung zum Ausdruck gebracht wurde.161 Diesen Konsens über das Verständnis des Evan156 Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung, in: Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 8–21; 17, Nr. 22; Herv. v. J.G. 157 Dieter, Theodor, Kirchengemeinschaft – Eine klärungsbedürftige ökumenische Konzeption, 283. 158 LK 5, Satz 1. 159 Zum Begriff der Überzeugung vgl. LK 12. 160 LK 5, Satz 5. 161 Vgl. LK 7–11. Aus den Vorversionen der Konkordie wird ersichtlich, dass auf die paulinische
Konsensmethode der Konkordie als Interpretation des Augsburgischen Bekenntnisses 111
geliums expliziert die Konkordie in gemeinsamen Lehraussagen.162 Auf der horizontalen, zwischenkirchlichen Ebene, wird also ein in den unterschiedlichen Lehren enthaltener Konsens gefunden, der auch heute noch von den Kirchen bestätigt wird.163 Dieser Konsens erweist sich auch auf der vertikalen Ebene, also im Verhältnis zum Bezugspunkt der Lehre, dem Evangelium, als bleibend gültig, da er nach Auffassung der reformatorischen Kirchen das rechte Verständnis des Evangeliums enthält.164 Die Angemessenheit einer Lehre bzw. von „Gestalten des Glaubenszeugnisses“165 in Bezug auf das Evangelium wird demnach nicht allein auf Lehrebene entschieden.166 Vielmehr wird die Angemessenheit in Anbetracht des Verhältnisses der Lehre zu ihrem Gegenstand bestimmt, ob also die Lehre dem Evangelium angemessen ist, weil sie dessen rechtes Verständnis enthält.167
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Lehre rekurriert wird, wie sie im Augsburger Bekenntnis, Artikel IV und dem Heidelberger Katechismus, Frage 60 aufgenommen wird. In der abschließenden Version entfallen die Hinweise. Vgl. hierzu die Angaben in: Vorentwurf zur Konkordie von Joachim Staedkte und Marc Lienhard, abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A68–A77; A69f; Vorentwurf zur Konkordie von Horst Lahr, abgedruckt in: a. a. O., A78–A84; A78 und Erster Gesamtentwurf des Unterausschusses in Cartigny vom 22. 04. 1971, abgedruckt in: a. a. O., A85–A91; A87. Vgl. LK 9–11. Der Aspekt „geschichtlich bedingter Denkformen“ ist hierbei irrelevant, da die Lehre von der Rechtfertigung, wie sie in den unterschiedlichen Bekenntnissen zum Ausdruck gebracht wird, auch in der Gegenwart noch durch die hermeneutischen Bemühungen an der Schrift bestätigt wird. Vgl. LK 8: „Sein [sc. des Evangeliums] rechtes Verständnis haben die reformatorischen Väter in der Lehre von der Rechtfertigung zum Ausdruck gebracht“. Vgl. Leonhard Goppelt in seiner Auslegung paulinischer Theologie: „Was in einer konkreten Situation gegenüber der Häresie Wahrheit des Evangeliums ist, [kann] nicht aus tradierten Sätzen errechnet, sondern nur als Glaubenserkenntnis bezeugt und bekannt werden“ (Goppelt, Leonhard, Kirchentrennung und Kirchengemeinschaft nach dem Neuen Testament [Paulus], 8). Goppelt war maßgeblich beteiligt an der Entwicklung der Leuenberger Konkordie. Die Auslegung paulinischer Theologie in Bezug auf die Frage, welche Lehre rechte Lehre des Evangeliums sei, findet sich in einem Referat, das Goppelt im Rahmen der Leuenberger Gespräche hielt. Nüssel, Friederike, Wie ist ökumenischer Konsens evangelisch möglich?, 452. Vgl. Lienhard, Marc, Die Vielheit der Konfessionen und die Einheit der Kirche, 86: Die Kirchen bemühen sich „darum zu zeigen, dass wir im menschlichen Lernprozess nicht auf die Autorität der Vorgänger verzichten können, und auf dem Weg des Glaubens schwerlich ohne den Anschluss an eine religiöse Gruppe auskommen, ohne den langen Atem einer Konfession und ohne die Wolke der Zeugen. Es gilt jedoch in reformatorischer Perspektive, die Freiheit des Gewissens und der Glaubensentscheidung zu respektieren“. Vgl. Zweiter Gesamtentwurf des Unterausschusses in Cartigny vom 23. 04. 1971: „Die Aufgabe der Verkündigung in neuen geschichtlichen Situationen nötigte sie [sc. die Kirchen] zu einem fortgesetzten Bemühen um den Inhalt des Evangeliums und um eine ihm entsprechende Gestaltung des kirchlichen Lebens“ (abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A92–A100; A93, Herv. v. J.G.).
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
Aus reformatorischer Perspektive ist das Kriterium hierfür, „ob die soteriologische Mitte des Evangeliums sachgemäß aufgenommen ist“168. Die Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade, allein im Glauben und allein durch Christus ist somit nicht nur „eine für sich stehende und nur individuell zu verstehende Grundüberzeugung, sondern auch der Maßstab jeglichen kirchlichen Lebens, der articulus stantis et cadentis ecclesiae“169. So stellt die Konkordie auch über den explizierten Konsens zwischen den unterschiedlichen Lehraussagen fest: Mit diesem Verständnis des Evangeliums […] nehmen [wir] die gemeinsame Überzeugung der reformatorischen Bekenntnisse auf, daß die ausschließliche Heilsmittlerschaft Jesu Christi die Mitte der Schrift und die Rechtfertigungsbotschaft als die Botschaft von der freien Gnade Gottes Maßstab aller Verkündigung der Kirche ist.170
Mit der Aufnahme der Überzeugung über Mitte und Maßstab rekurriert die Konkordie auf die den Bekenntnissen zugrunde liegende, vom Evangelium selbst ausgehende Glaubensgewissheit über das in der Schrift bezeugte Evangelium von der freien Gnade Gottes als hermeneutisches Regulativ kirchlicher Lehre.171 Das grundlegende Zeugnis, das als Gemeinsamkeit in den Bekenntnissen der Kirchen entdeckt wird, ist folglich die Glaubensgewissheit über das rechte Verständnis des Evangeliums. Diese zentrale Gemeinsamkeit im Verständnis des Evangeliums lag den reformatorischen Kirchen seit ihrer Entstehung zugrunde, 168 Goppelt, Leonhard, Kirchentrennung und Kirchengemeinschaft nach dem Neuen Testament (Paulus), 7, Herv. i. O. Inhaltliches Kriterium der rechten Lehre ist für Paulus dabei „die endgültige und ausschließliche Heilsmittlerschaft des gekreuzigten und auferstandenen Christus, wie sie das Evangelium bezeugt“ (ebd.). Das Kriterium ist nicht zu verwechseln mit einem Minimalanspruch an den Konsens, sondern bildet vielmehr ein die Mitte des Gegenstandes betreffendes Kriterium. 169 Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 195. Vgl. auch Lohff, Wenzel, Die Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa: Leuenberger Konkordie. Eine Einführung mit dem vollen Text, Frankfurt a.M. 1985, 6: „Rechtfertigung im Sinne der Reformation [ist] nicht ein Glaubensartikel neben anderen […], sondern der Inbegriff der der Kirche aufgetragenen Heilsverkündigung“. Mit dieser Feststellung kann dem von mancher Seite aus vorgebrachten Vorwurf entgegnet werden, mit der LK werde lediglich ein „Minimalkonsens“ beschrieben, „der das Bekenntnis verenge und andere Glaubensartikel, zum Beispiel die altkirchlichen Bekenntnisse, ungenügend behandle“ (ebd.). Vgl. ferner Goppelt, Leonhard, Kirchentrennung und Kirchengemeinschaft nach dem Neuen Testament (Paulus), 7. 170 LK 12. 171 Vgl. LK 4, Satz 4f. Vgl. hierzu die Ausführungen in Kap. A 4.2.2 der vorliegenden Untersuchung. „Rechtfertigung“ wird von der Konkordie „nicht als eine besondere Lehre […], sondern als Auslegung des gesamten Heilshandelns in Christus“ verstanden (Lienhard, Marc, Lutherisch-reformierte Kirchengemeinschaft, 75). Vgl. ferner Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung, in: Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 8–21; 17, Nr. 22. b): „Die Kirchengemeinschaft ist dann begründet, wenn die ausschließliche Heilsmittlerschaft Jesu als Mitte des Evangeliums und als einziger Grund und Kanon der Lehre und des Lebens der Kirche anerkannt wird“.
Konsensmethode der Konkordie als Interpretation des Augsburgischen Bekenntnisses 113
so die Konkordie.172 Als gemeinsame Glaubensgewissheit, von der die Bekenntnisse ausgehen, ist sie in diesen zwar enthalten und in unterschiedlicher Form bezeugt. Erst mit der Konkordie jedoch wird die Glaubensgewissheit als Konsens zwischen den Kirchen entdeckt, in ihrer tragenden Bedeutung für die Kirchengemeinschaft bestimmt und gemeinsam zum Ausdruck gebracht. Die Konkordie expliziert demnach etwas, was ihnen bereits vorlag, jedoch bisher von den Kirchen in seiner Bedeutung für ihre Gemeinschaft unentdeckt blieb.
4.2.4.2 Die Entkräftigung der Lehrverurteilungen Von dem gemeinsamen grundlegenden Zeugnis der Bekenntnisse unterscheidet die Konkordie die in den Bekenntnissen enthaltenen, „die Mitte der Heilsbotschaft treffenden“173 Lehrunterschiede, die zu gegenseitigen Verwerfungen in den Bekenntnisschriften und Glaubensbekenntnissen der jeweils anderen Tradition führten.174 Solche Lehrunterschiede bestanden in der Lehre vom Abendmahl, der Christologie und in der Prädestinationslehre. Einerseits herrscht also Übereinstimmung zwischen den unterschiedlichen Bekenntnissen über das grundlegende Verständnis des Evangeliums. Diese Einigkeit wird von der Konkordie auf horizontaler Ebene als Konsens zwischen den verschiedenen Lehrformulierungen der Bekenntnisse expliziert und auf vertikaler Ebene mithilfe der Glaubensgewissheit über das Evangelium als diesem angemessen charakterisiert. Andererseits enthalten die unterschiedlichen Bekenntnisse einander widersprüchliche Aussagen. Diese Aussagen beziehen sich jedoch alle auf denselben Gegenstand, das Evangelium. Die Konkordie wertet diese unterschiedlichen Aussagen, die Gegenstand gegenseitiger Verwerfungen wurden, als „geschicht172 Vgl. hierzu die Formulierung in LK 1, Satz 1: Die Kirchen „stellen aufgrund ihrer Lehrgespräche unter sich das gemeinsame Verständnis des Evangeliums fest“ (Herv. v. J.G.). Die Konvergenz im Verständnis des Evangeliums wird folglich nicht erst hergestellt, sondern bestand bereits, wenn auch unentdeckt. 173 Birmelé, André, Leuenberger Konkordie, 146. 174 Zu den Verwerfungen in den Bekenntnistexten der lutherischen und reformierten Kirchen vgl. Lienhard, Marc, Die Verwerfungen der Irrlehre und das Verhältnis zwischen lutherischen und reformierten Kirchen. Eine Untersuchung zu den Kondemnationen der Bekenntnisse des 16. Jahrhunderts, in: Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der Reformatorischen Kirchen. Auf dem Weg II, Zürich 1971, 69–152. Im Unterschied zu den lutherischen Bekenntnisschriften, die die reformierten Häresien explizit verurteilten, haben die reformierten Kirchen in ihren Glaubensbekenntnissen die lutherischen Lehren lediglich indirekt verworfen (vgl. a. a. O., 90–100). Verworfen wurden in der CA diejenigen, „die nicht die Realpräsenz Christi im Abendmahl in den Elementen bekennen (Art. 10)“ (Birmelé, André, Leuenberger Konkordie, 146). Birmelé konstatiert, dass die Konkordienformel diese Verwerfung erläuternd aufnehme (Epitome und solida declaratio, Art. 7) und die Christologie von Calvin und Zwingli sowie die Prädestinationslehre von Calvin (Epitome und solida declaratio, Art. 8 u. 11) widerlege (vgl. ebd.).
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
lich bedingte Denkformen“175 in Bezug auf das eine Evangelium, indem sie einen Konsens zur jeweils strittigen Lehrfrage formuliert.176 Zu diesen neuen konsensuellen Aussagen gelangt die Konkordie infolge hermeneutischer Einsichten und mithilfe der Akzentuierung des soteriologischen Aspektes in der jeweiligen Lehrfrage. Es werden folglich einzelne konsensuelle Lehraussagen gefunden, die zudem als Implikate des Verständnisses vom Evangelium als Botschaft von der Rechtfertigung charakterisiert werden. Mithilfe der neuen Einsichten und der Konzentration auf den soteriologischen Inhalt des Evangeliums können auf horizontaler Ebene neue gemeinsame Aussagen zu den Lehrfragen getroffen werden, die zudem auf vertikaler Ebene als evangeliumsgemäß charakterisiert sind. Die verurteilten Lehren der Bekenntnisse erweisen sich vor diesem Konsens als heute überholte Perspektiven und inhaltliche Akzentuierungen eines grundlegenden Gegenstandes.177 Deutlich wird dies an den drei Konsensformulierungen zur Abendmahlslehre, Christologie und Prädestinationslehre. Für den Konsens über das Verständnis des Abendmahls konnte die Konkordie auf den Beitrag der Arnoldshainer Abendmahlsthesen von 1957 rekurrieren, deren Grundanliegen aufgenommen wurde.178 Aus lutherischer Perspektive wird hierzu manchmal betont, dass die Konkordie mit ihrem Konsens zur Abendmahlslehre die lutherische Auffassung der Realpräsenz bestätige, während das Verständnis Zwinglis vom Mahl zum Gedenken Christi aufgegeben werde.179 Viel entscheidender als die Feststellung, es handle sich um einen Lehrkonsens zugunsten der lutherischen Auffassung über die Art der Präsenz Christi im Abendmahl, ist jedoch, dass mit dem Konsens 175 LK 5, Satz 5 u. LK 22. 176 Vgl. hierzu Lienhard, Marc, Die Vielheit der Konfessionen und die Einheit der Kirche, 85: „Auf der einen Seite ist die Kontinuität, das bleibend Wahre einer Konfession, wie sie sich vorwiegend in der Lehre bzw. in den Bekenntnissen ausdrückt, festzuhalten; auf der anderen Seite gibt es die offensichtlichen Veränderungen, die sie erfahren hat. […] So sehr die Bekenntnisse des 16. Jahrhunderts die Lehre heute bestimmen, wer könnte absehen von den Bewegungen, die in vier Jahrhunderten die Konfessionen und auch ihre Lehren beeinflusst haben: Pietismus, Aufklärung, Erweckungsbewegungen, die neuzeitliche Exegese, die Konfrontation mit dem Totalitarismus und die Säkularisierung“. 177 Vgl. Lienhard, Marc, Die Verwerfung der Irrlehre und das Verhältnis zwischen lutherischen und reformierten Kirchen, 146: „Deshalb muß die Frage gestellt werden, inwieweit die so angegriffenen Kirchen heute noch als Adressat der Verwerfungen in Betracht kommen. Es könnte ja sein, daß sie sich von der verworfenen Lehre abgewandt hätten oder sie heute so darstellen, z. B. in anderen Kategorien, daß sie von der betreffenden Verwerfung nicht mehr getroffen würden. Wir meinen, weitgehend im Lauf unserer Untersuchung zu solch einem Ergebnis gekommen zu sein“. 178 Vgl. LK 15f u. 18f. 179 Diese lutherische Auffassung betont richtig, dass ein explizierter Konsens zwischen den Lehraussagen, das heißt auf zwischenkirchlicher Ebene gefunden werden muss, der tatsächlich eine Einigung zwischen den Lehren bedeutet. Sie übersieht jedoch nach Ansicht des Verfassers den Sinn der Konkordie.
Konsensmethode der Konkordie als Interpretation des Augsburgischen Bekenntnisses 115
die gemeinsame Grundüberzeugung über das Evangelium aufgenommen wird und den Kirchen als hermeneutischer Schlüssel dient, ihre Kontroverse vor einem anderen Hintergrund zu betrachten. Die strittige Frage bekommt somit eine andere Akzentuierung: Die Verständigung betrifft „weniger die Art der Gegenwart Christi im Brot und Wein“, sondern vielmehr „das Verständnis dessen, was bei der Abendmahlsfeier geschieht“180. Die Konkordie legt die Betonung nun also auf die „soteriologische Ausrichtung der Realpräsenz“181, um Konsens über diese Frage zwischen den Kirchen zu erreichen. Wenn Konsens darüber besteht, „daß Christus sich in den Elementen des Abendmahls denen zum Heil schenkt, die ihn im Glauben empfangen“182, dann sind die früheren Differenzen in der Reflexion über die Art der Gegenwart sekundär.183 Das Evangelium in seinem Verständnis, wie es den Reformatoren als Glaubensgewissheit gegeben ist und als Konsens expliziert wurde, hat somit die Funktion eines hermeneutischen Regulativs für den Umgang mit den zwischen den Kirchen stehenden Differenzen in der Lehre. Ausgehend von der Annäherung bezüglich des Abendmahlsverständnisses konnte auch eine Annäherung im Verständnis der Christologie als dem theologischen Fundament der Rechtfertigungslehre erzielt werden.184 Auch hier legt die Konkordie die Betonung auf das Handeln Gottes, hinter das die Reflexion über die Verbindung zwischen den beiden Naturen Christi zurücktritt.185 Hervorgehoben wird hierzu die Gegenwart Christi als Gekreuzigter und Auferstandener, also nicht nur die „Gegenwart seines Geistes im Sakrament“186. Den Konsens über die Prädestinationslehre expliziert die Konkordie als Implikat der Rechtfertigungslehre, die die Grundpassivität des Menschen anerkennt.187 Hierin wird die calvinistische Auffassung von der doppelten Prädesti-
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Birmelé, André, Leuenberger Konkordie, 153f, Herv. v. J.G. A. a. O., 154. A. a. O., 155. Vgl. hierzu auch Lohff, Wenzel, Die Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa, 6: Rechte Lehre des Evangeliums kommt Lohff zufolge allein dadurch zustande, „daß alle diese Bekenntnissätze sich als Bestandteil des in der Rechtfertigung bezeugten Heilsglaubens erweisen lassen“. Vgl. ferner Stock, Konrad, Einleitung in die Systematische Theologie, Berlin/New York 2011, 230: „Die Leuenberger Konkordie [bezieht] […] die kirchenrechtliche Gültigkeit der verschiedenen konfessionellen Lehrbekenntnisse und deren dogmatische Entfaltung auf die gemeinsame reformatorische Einsicht in das Offenbarungshandeln Gottes des Schöpfers im Christus Jesus durch den Heiligen Geist“. Vgl. LK 21f. Die Konkordie weist einerseits auf die von reformierter Tradition betonte Unversehrtheit von Gottheit und Menschheit Jesu hin. Andererseits weist sie auf die lutherische Betonung der „völligen Personeneinheit“ (LK 22) hin. Birmelé, André, Leuenberger Konkordie, 157. Vgl. LK 24f.
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
nation aufgegeben.188 So wird die Berufung aller Menschen zum Heil in Christus bestätigt, während die Annahme einer definitiven Verwerfung bestimmter Menschen abgelehnt wird. Im Rahmen dieser Reaktualisierung der Bekenntnisaussagen betont die Konkordie, dass sie die Entscheidungen der Reformatoren „ernst nimmt“ und auch die Verwerfungsurteile nicht als „unsachgemäß“189 bezeichnet. So wird den Verurteilungen in den Bekenntnissen eine „situationsbedingte Legitimität“190 zugesprochen. Sie werden nach gegenwärtiger Auffassung jedoch als überholt wahrgenommen: Die veränderte Einsicht im Rahmen der fortwährenden hermeneutischen Beschäftigung mit dem Evangelium und deren Prüfung durch den Glauben führte dazu, dass die Kirchen ihre in den Bekenntnissen gegenseitigen Verurteilungen ausgesetzten Lehren so heute nicht mehr lehren. Die ehemaligen Lehrgegensätze werden infolge der unterschiedlichen Bewegungen seit dem 16. Jahrhundert aus heutiger Perspektive also als überholt gesehen.191 Die Verwerfungen haben aus dem aktualisierten Verständnis des Evangeliums heraus folglich ihren Gegenstand verloren, sodass sie heute nicht mehr nachvollzogen werden können.192 So heißt es: „Wir nehmen die Entscheidung der Väter ernst, können aber heute folgendes gemeinsam dazu sagen“193 (es folgen dann die Aussagen zu den drei ehemaligen Lehrkontroversen). 188 Der Begriff der doppelten Prädestination wurde bereits in der reformierten Tradition, insbesondere von Karl Barth, kritisch gesehen und wurde von daher im Vorfeld weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene in den theologischen Dialogen behandelt. 189 LK 17, Satz 2 u. LK 27, Satz 2. 190 Thesen über das Bekenntnis, in: Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung (Hg.), Auf dem Weg, 36–43; 43. 191 Vgl. den ersten Gesamtentwurf des Unterausschusses in Cartigny vom 22. 04. 1971, Nr. I.1 (abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A85–A91; A86): Die „theologische Arbeit [der Reformatoren] war gleich der unseren geschichtlich bedingt. Der Auftrag, dem sie sich im Ringen um das Zeugnis für die Wahrheit des Evangeliums verpflichtet wußten, die Perspektiven, die sie geltend machten, sind auch für uns noch wichtig. Dennoch können wir sie heute nicht mehr in der Lehr- und Denkweise der Reformationszeit geltend machen“ (Herv. v. J.G.). 192 Vgl. LK 23: „Angesichts dieser Sachlage können wir heute die früheren Verwerfungen nicht nachvollziehen“. Zur Vorgehensweise vgl. LK 5, Satz 6. Dort wird betont, dass die Bekenntnisse selbst den Weg zur „verbindlichen Weiterbezeugung“ des Evangeliums nicht abschließen, sondern ihn eröffnen und dazu auffordern, „ihn in der Freiheit des Glaubens zu gehen“ (Herv. v. J.G.). 193 LK 17, Satz 2. In der aktuellen Ausgabe der Leuenberger Konkordie von 2013 befindet sich ein Druckfehler im Vorwort zu den Aussagen über die einzelnen Lehrverurteilungen. So heißt es dort: „Wir nehmen die Entscheidungen der Väter ernst, könnten aber heute folgendes gemeinsam dazu sagen“ (Herv. v. J.G.). Nicht nur im Vergleich mit den in derselben Ausgabe abgedruckten Übersetzungen ins Englische und Französische, sondern auch im Vergleich mit den Vorversionen der Konkordie und deren abschließender Fassung vom 16. März 1973 müsste der in der Ausgabe von 2013 fälschlich abgedruckte Konjunktiv eigentlich ein Indikativ („können“) sein. Vgl. das Original der Konkordie, Hannover
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Mit der Anerkennung der Feststellungen über die Lehrverurteilungen, das heißt mit der Anerkennung sowohl der neu formulierten Übereinstimmung über den Lehrgegenstand als auch der die Lehrverurteilungen entkräftenden Folgerungen aus der Übereinstimmung, verlieren die Verwerfungen ihre kirchentrennende Bedeutung.194 Zwar gibt es neben den besprochenen Lehrunterschieden zahlreiche weitere divergierende Lehrauffassungen zwischen den Kirchen. Jedoch werden diese Unterschiede nicht als kirchentrennend betrachtet, da sie den Konsens im Verständnis des Evangeliums als Grundlage der Kirchengemeinschaft nicht radikal in Frage stellen würden.195 Zusätzlich zur Betrachtung der in den Bekenntnissen ausgesprochenen Lehrverurteilungen werden die Unterschiede in den Gestaltungen der Gemeinden erwähnt.196 Über die Bedeutung dieser Unterschiede für die Kirchengemeinschaft konstatiert die Konkordie mit Verweis auf das Neue Testament sowie die reformatorischen Kriterien der Kirchengemeinschaft, dass diese Unterschiede keine kirchentrennende Bedeutung haben.197
4.2.4.3 Die Art des Konsenses und die Grundlage der Kirchengemeinschaft (systematisierende Zusammenfassung) In der Konkordie formulieren die reformatorischen Kirchen einen Konsens, der notwendig und ausreichend ist, dass sie Kirchengemeinschaft untereinander erklären können. Dieser Konsens wird unter Beibehaltung der unterschiedlichen Bekenntnisse expliziert. Damit dies möglich ist, entwickelt die Konkordie die Unterscheidung zwischen dem grundlegenden Zeugnis und den geschichtlich bedingten Denkformen der Bekenntnisse. Die Konkordie betont somit, dass es Aussagen gibt, die sich mit Blick auf ihren Inhalt als bleibend gültig erweisen, und andere, die aus heutiger Perspektive geschichtlich bedingt erscheinen. Die ge-
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16. März 1973 sowie Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971 bis 1973. Auch die von der GEKE im Internet zur Verfügung gestellte Version der Konkordie enthält an dieser Stelle einen Fehler, allerdings heißt es dort nicht nur sachlich, sondern auch grammatisch falsch: „könne“, vgl. http://www.leuenberg. net/de/leuenberger-konkordie. Vgl. LK 27. Vgl. Birmelé, André, Leuenberger Konkordie, 158. Vgl. LK 28, Satz 1. Die aufgezählten Gestaltungen der Gemeinden betreffen die Gestaltung des Gottesdienstes, die Ausprägung der Frömmigkeit und die kirchliche Ordnung. Vgl. LK 28. Die Konkordie rekurriert implizit auf 1Kor 12 (vgl. Goppelt, Leonhard, Kirchentrennung und Kirchengemeinschaft nach dem Neuen Testament [Paulus], 4). Zur paulinischen Auffassung von Koinonia heißt es in einem für den Gedankengang der Konkordie maßgeblichen Referat aus dem Jahr 1969: „Er [sc. Paulus] verpflichtet die einzelnen Gemeinden wie die Gesamtkirche zu einer Koinonia, die große Unterschiede in der Lebensform, in der Gestaltung der Gottesdienste und der Gemeindeverfassung wie auch in der Theologie umschließt“ (a. a. O., 3, Herv. i. O.).
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naue Bestimmung des Kriteriums für diese Unterscheidung und somit für die Reaktualisierung der Bekenntnisse insgesamt bleibt in der Konkordie allerdings klärungsbedürftig. Folglich bleibt zunächst auch offen, worauf sich der Konsens zwischen den Kirchen konkret bezieht und welcher Art er ist: Einerseits wird die Trennung zwischen den Kirchen auf Grundlage des Evangeliums überwunden. Andererseits ist es jedoch nötig, für diese Überwindung teilweise neue gemeinsame Lehraussagen zu formulieren, sodass die gemeinsame Lehre eine Art Grundlage zur Versöhnung darstellt. Die Art des Konsenses hat folglich Konsequenzen für die Bestimmung der Grundlage von Kirchengemeinschaft. Die Bestimmung des Konsenses gibt außerdem auch einen Hinweis auf die Interpretation von CA VII durch die Konkordie: Erstens kann sich der notwendige Konsens auf die vom Evangelium selbst gewirkte Gewissheit des Glaubens über die Wahrheit des Evangeliums beziehen.198 Grundlage des Konsenses wäre dann nicht die Lehrebene. Als andere Option kann sich der notwendige Konsens zweitens auf gemeinsame Lehraussagen über zentrale Lehrfragen beziehen. Hiervon unterschieden würden dann nicht-zentrale Lehrfragen, wie Fragen der Kirchenordnung. Die vorangehenden Betrachtungen in der vorliegenden Untersuchung gingen von der Annahme aus, dass sich diese Unklarheit in der Konkordie entschärfen lässt. Hierzu werden die zwei Alternativen, auf die sich der Konsens beziehen kann, auf zwei voneinander zu unterscheidenden, aber miteinander verbundenen Ebenen lokalisiert. Diese Ebenen wurden näher charakterisiert als horizontale, zwischenkirchliche Lehrebene und als vertikale Ebene der Verhältnisbestimmung zwischen der kirchlichen Lehre und dem Evangelium. Auf horizontaler Ebene wird die Unterscheidung zwischen „grundlegend“ und „geschichtlich bedingt“199 anhand von unterschiedlichen Lehraussagen, die zueinander in ein Verhältnis gestellt werden, vorgenommen. Grundlegend sind die inhaltlich kongruenten Aussagen der Bekenntnisse über ihr Verständnis des Evangeliums, wie sie in der Lehre von der Rechtfertigung zum Ausdruck kommen. Dieser Lehrkonsens wird in der Konkordie aufgenommen und gemeinsam formuliert. Geschichtlich bedingt sind diejenigen Aussagen der Bekenntnisse, die dem heutigen Stand der Lehre nicht mehr entsprechen, da die Kirchen in ihrem hermeneutischen Bemühen um den Inhalt der Schrift zu neuen Einsichten gekommen sind.200 Dank der neuen Einsichten können die Kirchen auch in ehemals 198 Gerhard Ebeling spricht in diesem Zusammenhang von der fides iustificans, die vom Evangelium ausgeht. Hiervon unterscheidet er die fides dogmatica. Vgl. Kap. C 1.1.1.1 der vorliegenden Untersuchung. 199 LK 5, Satz 5. 200 Vgl. Lohff, Wenzel, Grund und Grenze der Kirche, 101f: „Wohl aber dringt die historische Reflexion in den Glauben ein und läßt fragen, ob man sich denn so einfach unbefragt einer Autorität des 16. Jahrhunderts verschreiben kann, […] ob nicht die unterschiedlichen Fi-
Konsensmethode der Konkordie als Interpretation des Augsburgischen Bekenntnisses 119
strittigen Lehrfragen zu einer neuen gemeinsamen Lehraussage kommen, mittels deren sie sich gegenseitig als wahre Kirchen anerkennen können. Der Konsens bezieht sich auf horizontaler Ebene also auf eine Unterscheidung auf Lehrebene, die sich am Evangelium als Schriftzeugnis und Gegenstand hermeneutischer Bemühungen orientiert. Auf vertikaler Ebene wird die Unterscheidung anhand des Verhältnisses zwischen den Lehraussagen und dem sich selbst offenbarenden Evangelium, dessen Wahrheit im Glauben erkannt wird, vorgenommen. Der Maßstab zur Bestimmung einer Lehre als grundlegend ist nun, ob sie wahr, also evangeliumsgemäß ist. Das hermeneutische Regulativ hierzu ist die gemeinsame Glaubensgewissheit der Reformatoren, wie sie von der Konkordie im Vorfeld bestimmt wurde. Diese gemeinsame Gewissheit ist nicht das Ergebnis menschlicher hermeneutischer Verstehensbemühungen und unterliegt folglich auch nicht dem geschichtlichen Wandel. Es ist das Verständnis des Evangeliums von der freien Gnade Gottes, wie es den Reformatoren als Glaubensgewissheit von der Schrift offenbart wurde.201 Mit Blick auf die Glaubensgewissheit und somit die soteriologische Mitte des Evangeliums betonend erkennen die Kirchen, dass sich manche ihrer Lehraussagen als geschichtlich bedingte Akzentuierungen in Bezug auf denselben Gegenstand bezeichnen lassen. Auf dieser vertikalen Ebene bezieht sich der Konsens also auf eine Unterscheidung, die auf einer qualitativen Verhältnisbestimmung zwischen der Lehre und ihrem Gegenstand und Ursprung basiert. Die geschilderten Ebenen reflektieren folglich jeweils einen unterschiedlichen Orientierungspunkt des Konsenses. Beide Ebenen sind jedoch miteinander verbunden: Einerseits muss der Konsens zwischen verschiedenen Partikularkirchen eine gegenseitige Anerkennung der Kirchen ermöglichen. Diese Anerkennung ist gebunden an konkrete Lehraussagen der Kirchen. Andererseits sind diese Lehren erstens in ihrem Anspruch zu sehen, Ausdruck der Wahrheit des Evangeliums zu sein, und zweitens in ihrer Eigenschaft, als ein solcher Ausdruck stets perspektivisch und geschichtlich gebunden zu bleiben. Die unterschiedlichen Lehren bleiben also notwendigerweise fortwährend am Evangelium zu prüfen. Sowohl die Schrift als Gegenstand hermeneutischer Bemühungen als auch die gemeinsame Glaubensgewissheit über das Evangelium dienen hierbei als hermeneutisches Regulativ kirchlicher Explikationsbemühungen. xierungen der Bekenntnisse mit einem jeweiligen Defizit an theologischer Information zusammenhängen“. 201 Dass dieser Inhalt nicht gleichzusetzen ist mit Lehre und somit unüberholbar bleibt, bezeichnet Gerhard Ebeling als „Mysterium“ der Reformation (vgl. Ebeling, Gerhard, Die Geschichtlichkeit der Kirche und ihrer Verkündigung als theologisches Problem, Tübingen 1954, 90). Die Leuenberger Konkordie erklärt die Gewissheit über ein existentielles Geschehen (vgl. LK 4, Satz 2).
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
Die Art des Konsenses kann vor diesem Hintergrund folglich als eine zweifach bestimmte charakterisiert werden: Einerseits besteht eine grundlegende Übereinstimmung in der Glaubensgewissheit und in Bezug auf das so verstandene Evangelium als hermeneutisches Regulativ der Lehre. Diese Gemeinsamkeit der Kirchen wird durch den explizierten Konsens zwischen den Kirchen nicht erst hergestellt, sondern lediglich als bereits gegeben aufgedeckt.202 Andererseits wird notwendigerweise ein Konsens formuliert zwischen den unterschiedlichen Lehren der Kirchen, der sich zugleich an der gemeinsamen Glaubensgewissheit orientiert: Die Gemeinsamkeit der Glaubensgewissheit, das heißt das gemeinsame Verständnis des Evangeliums, muss intersubjektiv vermittelbar sein, damit sich die Kirchen gegenseitig anerkennen können.203 Dieser explizierte Konsens zwischen den unterschiedlichen kirchlichen Lehren, mit dem die Übereinstimmung über das Verständnis des Evangeliums festgestellt wird, bleibt jedoch gebunden an die jeweiligen Denk- und Sprachformen. Er unterliegt folglich ebenfalls dem geschichtlichen Wandel und ist „im Blick auf unsere kirchlichtheologische Situation“204 immer wieder neu zu formulieren.205 202 Mit dem Konsens im gemeinsamen Verständnis des Evangeliums wird eine bereits existierende Gemeinsamkeit des Glaubens aufgedeckt. Die Konkordie stellt diese Gemeinsamkeit folglich nicht her, sie entdeckt vielmehr etwas, was verdunkelt, aber doch stets gegeben war. So auch bei Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute, 468: Der Prozess „nimmt vielmehr bereits seinen Ausgang in der konfessorischen Statuierung einer Kirchengemeinschaft, die nicht erst geschaffen, wohl aber entdeckt und dann auch möglichst genau benannt werden musste“. 203 Zum Spannungsverhältnis zwischen der unverfügbaren, offenbarten Glaubensgewissheit, und dem intersubjektiv zu vermittelnden Inhalt des Glaubens vgl. Herms, Eilert, Offenbarung und Erfahrung, in: ders., Offenbarung und Glaube. Zur Bildung des christlichen Lebens, Tübingen 1992, 246–273; 246. Vgl. ferner Schwöbel, Christoph, Gott in Beziehung, 53–129. Herms löst die Spannung zwischen den beiden Begriffen, indem er „Erfahrung“ als ontologischen Begriff fasst und beide Begriffe, Offenbarung und Erfahrung, somit als auf denselben Gegenstand bezogen beschreiben kann. Der Unterschied beider Begriffe ist dann zu verstehen über den Aspekt des „Konstituiertwerdens“ und über dessen inhaltliches Resultat, das „Konstituiertsein“. Vgl. Herms, Eilert, Offenbarung und Erfahrung, 271f. 204 Zweiter Gesamtentwurf des Unterausschusses in Cartigny vom 23. 04. 1971, abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A92–A100; A94. 205 Vgl. die Auffassung über das Verhältnis von kirchlichem Konsens und Evangelium Pannenberg, Wolfhart, Systematische Theologie, 26: „Inhalt und Wahrheit des Dogmas sind also nicht begründet im Konsens der Kirche. Vielmehr bringt erst die Erkenntnis der Sache der Schrift den Konsens über sie hervor. Dabei führt die Gemeinsamkeit der Erkenntnis dann allerdings zur Vergewisserung der intersubjektiven Identität der Sache. Aber der Konsens muß immer wieder erneuert werden, weil die Auslegung der Schrift im Hinblick auf Eigenart und Wahrheit ihrer Sache weitergeht“. Vgl. ferner Stock, Konrad, Einleitung in die Systematische Theologie, 230: „Die Leuenberger Konkordie stellt das Paradigma einer Kirchengemeinschaft in reformatorischer Perspektive dar, weil sie die kirchenrechtliche Gültigkeit der verschiedenen konfessionellen Lehrbekenntnisse und deren dogmatische Entfaltung auf die gemeinsame reformatorische Einsicht in das Offenbarungshandeln Gottes des Schöpfers im Christus Jesus durch den Heiligen Geist bezieht“. Zum Verhältnis
Konsensmethode der Konkordie als Interpretation des Augsburgischen Bekenntnisses 121
Dieser zweifach charakterisierte Konsens, der mit der Konkordie zum Ausdruck kommt, wird häufig auch als Brücke zwischen den Bekenntnissen beschrieben, die selbst kein Bekenntnis ist und folglich auch nicht in Konkurrenz zu diesen steht.206 Die Konkordie betont hingegen selbst, dass sie „die verpflichtende Geltung der Bekenntnisse in den beteiligten Kirchen bestehen [lässt]“207 und sich selbst nicht als neues Bekenntnis versteht.208 Die Lehre der reformatorischen Väter wird in der Konkordie also nicht selbst als Grund der Kirchengemeinschaft in Anspruch genommen.209 Die reformatorischen Lehren sind jedoch jeweilige Ausgangsbasis auf den zwei Seiten der Brücke: Kirchengemeinschaft basiert auf einem Konsens, der zwischen den Lehren der Kirchen vermittelt, indem er deren
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von Lehrkonsens und Wahrheit vgl. ferner Ferber, Rafael, Philosophische Grundbegriffe Eine Einführung, Bd. 1, München 82009, 104: „Nehmen wir gleichwohl an, daß der endgültige Konsens einmal erreicht sei. Dann bleibt immer noch die Frage offen, ob eine Proposition, die den letzten Konsens erreicht hat, auch wahr ist. Denn es könnte ja sein, daß der endgültige Konsens der endgültige Irrtum […] ist. Es ist nämlich logisch möglich, daß eine Proposition falsch ist, auch wenn sie den Konsens aller zukünftigen Forscher erreicht hat. Die finale Zustimmung aller kann so wie die Zustimmung unter den Bedingungen einer ‚idealen Sprechsituation‘ nur eine Folge davon, nicht aber das Kriterium dafür sein, daß eine Proposition oder ein System von Propositionen wahr ist“. Vgl. zur verbreiteten Auffassung, die Leuenberger Konkordie habe eine Brückenfunktion bzw. sei selbst als Brücke zwischen den verschiedenen reformatorischen Bekenntnissen zu verstehen u. a. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 256f. Vgl. ferner den zweiten Gesamtentwurf des Unterausschusses in Cartigny vom 23. 4. 1971 und „Vorkonkordie“, abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A92–A100; A98; A101–A112; A110. Die Feststellung von Gunther Wenz, „der Bekenntnisstand der Signatarkirchen [könne] daher in gewisser Hinsicht als ein einiger beschrieben werden“, trifft vor dem Hintergrund der angewandten Hermeneutik zwar zu, ist aber irreleitend in Bezug auf die Frage nach dem Charakter der Konkordie (Wenz, Gunther, Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis, 360). Diese geschilderte Ungenauigkeit in der Verhältnisbestimmung von Konkordie und Bekenntnis erschien und erscheint auch an anderen Stellen. So wurde die LK auf der Homepage der EKD bislang systematisch unter die Bekenntnisse eingeordnet, vgl. http://www.ekd.de/glauben/bekenntnisse/index.html (letzter Aufruf vom 13. 04. 2016). Dies wurde nun geändert, indem eine Kategorie „Lehrzeugnisse aus dem 20. Jahrhundert“ eingeführt wurde, welche die Barmer Theologische Erklärung, die Stuttgarter Schulderklärung sowie die LK aufnimmt: https://www.ekd.de/Lehrzeugnisse-ausdem-20-Jahrhundert-10792.htm. Ebenso wird die LK in einer Auswahl reformierter Bekenntnisschriften aufgenommen: Ausgabe der Reformierten Bekenntnisschriften: Plasger, Georg/Freudenberg, Matthias (Hg.), Reformierte Bekenntnisschriften, 246–258. Vgl. Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute, 469. LK 37, Satz 1f. Die LK nimmt folglich Rücksicht auf den Umstand, dass die Bekenntnisse zur Rechtsgestalt der Kirchen gehören und einen besonderen Rechtsschutz genießen. Vgl. Scharbau, Friedrich-Otto, Einheit in versöhnter Verschiedenheit. Die theologischen und juristischen Implikationen der Leuenberger Konkordie als Perspektiven evangelischer Ökumene, in: Lutherische Kirche in der Welt 51 (2004), 59–79; 75. Vgl. bestätigend LK 45. Vgl. ferner Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute, 469. Vgl. Theissen, Henning, Die berufene Zeugin des Kreuzes Christi, 108, Anm. 266, dort in Anlehnung an Eilert Herms.
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
Lehraussagen in Orientierung an dem gemeinsamen Verständnis des Evangeliums für die jeweilige Verkündigungssituation auslegt.210 Kirchengemeinschaft wird somit einerseits getragen von der bleibenden Gemeinsamkeit in der Glaubensgewissheit. Die Gemeinschaft ist andererseits zugleich darauf angewiesen, dass diese grundlegende Gemeinsamkeit immer wieder neu, in gemeinsamen, geschichtlich wandelbaren Explikationsformen vermittelt zum Ausdruck kommt. Diese Ausdrucksformen sind sodann Gegenstand der gegenseitigen Anerkennung.211
4.3
Verständnis und Modell von Kirchengemeinschaft
Wie vorangehend dargelegt wurde, formulieren die reformatorischen Kirchen mithilfe der Konkordie als hermeneutischem Verfahren einen Konsens untereinander. Sie erfüllen hiermit die gemeinsamen Kriterien, die von der Konkordie mit Bezug auf CA VII interpretierend zur „Begründung einer Kirchengemeinschaft“212 aufgenommen werden. Die Eigenart des Konsenses hat nun Auswirkungen auf das Verständnis von Kirchengemeinschaft. Kirchengemeinschaft im Verständnis der Konkordie, so die von der vorliegenden Untersuchung formulierte vierte Leitthese zur Interpretation des Konzeptes der Konkordie, wird ausgehend von der Konsensmethode verstanden als Projekt (lat. proiectum) und Prozess (lat. processus), als bereits vorausgeworfene Einheit im Glauben und darauf bezogene, fortwährend zu explizierende Gemeinschaft.213 Sowohl die bereits beschriebene Methode, das Vorgehen der Konkordie zur Vermittlung 210 Vgl. VELKD (Hg.), Unser Glaube. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Gütersloh 62013, 9: „[Die Leuenberger Konkordie] versteht sich nicht als Bekenntnis, sondern will die Grundlage dafür bilden, dass Kirchen unterschiedlichen Bekenntnisstandes untereinander Kirchengemeinschaft erklären und praktizieren können. Möglich ist dies deshalb, weil das entscheidende gemeinschaftsstiftende Moment nicht auf der Ebene des bekenntnismäßigen Konsenses – also auf der Ebene kirchlicher Lehre – verortet wird, sondern im ‚gemeinsamen Verständnis des Evangeliums‘. Dieses Verständnis aber erschließt sich allein dadurch, dass Gott selbst sich in der Kraft des Heiligen Geistes in den Herzen der Menschen bezeugt. Das Verständnis des Evangeliums verdankt sich mithin der Selbstoffenbarung Gottes. Als solche ist und bleibt sie dem menschlichen Bemühen, theologisch zu verstehen, prinzipiell vorgeordnet und kann daher auch noch nicht mit einer bestimmten Gestalt kirchlicher Lehre identifiziert werden“. 211 Vgl. den Wortlaut der LK „Erklärung von Kirchengemeinschaft“ und ebenso die Formulierung, dass das gemeinsame Verständnis des Evangeliums „festgestellt“ wird. Vgl. LK 1, 34 u. a. In manchen früheren Fassungen der LK war hingegen noch von „Herstellung“ von Kirchengemeinschaft die Rede. Vgl. Nr. 4.1. in der 1. Fassung 23. 9. 1971 früh und Endfassung 24. 9. 1971, abgedruckt in: Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie von 1971 bis 1973, 32. 212 LK 6. 213 Zu den lat. Termini vgl. Kap. A 4.3.1 der vorliegenden Untersuchung.
Verständnis und Modell von Kirchengemeinschaft
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zwischen der Verschiedenheit der reformatorischen Kirchen, als auch das damit zusammenhängende Verständnis von Kirchengemeinschaft führen schließlich zu einem bestimmten Modell von Kirchengemeinschaft. Dieses Modell ist gekennzeichnet durch die zwei Aspekte der Erklärung und der Verwirklichung.214 Kirchengemeinschaft, wie sie im Konzept der Leuenberger Konkordie entwickelt wird, beschränkt sich demnach nicht auf einen formalen Akt der Rezeption mit zunächst lediglich formalen Konsequenzen.215 Vielmehr ist in dem Konzept bereits auch ein Leitfaden zur Verwirklichung der erklärten Kirchengemeinschaft angelegt.216 Das Verständnis und das Modell von Kirchengemeinschaft werden im Folgenden detailliert dargelegt.
4.3.1 Die zweifache Bestimmung von Kirchengemeinschaft als proiectum und processus Der Konsens, auf dem die Kirchengemeinschaft basiert, wird in der vorliegenden Untersuchung auf zweifache Weise charakterisiert.217 Diese zweifache Charakterisierung des zugrunde liegenden Konsenses legt nahe, auch das Verständnis der darauf aufbauenden Kirchengemeinschaft in sich differenziert zu betrachten.218 Kirchengemeinschaft ist demnach zum einen bestimmt als eine bereits gegebene Gemeinschaft der Kirchen: Mit Blick auf das Evangelium und von diesem ausgehend ist den unterschiedlichen Kirchen die Glaubensgewissheit als Gemeinsamkeit geschenkt. Diese gemeinsame Gewissheit über die Wahrheit des 214 Vgl. LK 1 u. LK 29. 215 So konstatiert die Konkordie, dass die Kirchen mit ihrer Zustimmung zur Konkordie einander Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft gewähren unter Einschluss der gegenseitigen Anerkennung der Ordination und Ermöglichung der Interzelebration. Diese Zusage der Gewährung von gottesdienstlicher Gemeinschaft impliziert jedoch nicht notwendig dessen tatsächliche gemeinsame Feier. Das eigentliche Implikat einer über die formale Rezeption hinausgehenden Umsetzung ist erst mit der zum Ausdruck gebrachten gemeinsamen Überzeugung gegeben, dass die Kirchen sich vom Herrn zum gemeinsamen Zeugnis und Dienst verpflichtet fühlen. Vgl. LK 29, 33 u. 34. 216 Vgl. LK 35–49. 217 Vgl. Kap. A 4.2.4.1f: Auf der vertikalen Ebene liegt ein den reformatorischen Kirchen bereits gegebener Konsens in der Glaubensgewissheit über das Evangelium vor. Dieser Konsens hat die Funktion eines hermeneutischen Regulativs kirchlicher Lehre. Auf horizontaler Ebene liegt der explizierte Konsens über das Verständnis des Evangeliums. Dieser Konsens ist zwischenkirchlich fortwährend neu zum Ausdruck zu bringen und weiter zu entfalten. 218 Vgl. LK 29: „Kirchengemeinschaft im Sinne dieser Konkordie bedeutet, daß Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes aufgrund der gewonnenen Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums einander Gemeinschaft an Wort und Sakrament gewähren und eine möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst an der Welt erstreben“ (Herv. v. J.G.).
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
Evangeliums geht allen unterschiedlichen Explikationsbemühungen durch kirchliche Lehre voraus. Sie ist folglich nicht menschliches Werk, sondern das Werk Gottes am Menschen. Im Glauben haben die Christen bereits schon jetzt Anteil an der Rechtfertigung in Christus, sie sind Teil seines Leibes und in ihm geeint. Kirchengemeinschaft hat demzufolge den Charakter einer von Gott bereits geschenkten, verborgenen Einheit der Glaubenden im Leib Christi. In Christus, so die gemeinsame Gewissheit, sind die Glaubenden bereits jetzt mit Gott versöhnt. Zum anderen ist Kirchengemeinschaft eine stets zu erneuernde Gemeinschaft: Mit Blick auf das in der Schrift bezeugte und in der Glaubensgewissheit recht erkannte Evangelium bemühen sich die Kirchen, das Evangelium gemeinsam zu bezeugen. Diese Bezeugung ist erstens gekennzeichnet als ein hermeneutischer Prozess an der Schrift. Zweitens ist die Bezeugung orientiert an der vom Evangelium selbst offenbarten Glaubensgewissheit über die Wahrheit der Schrift. Mit ihrem Zeugnis bemühen sich die Kirchen um eine dem Evangelium angemessene Explikation in der Lehre. Dieses Zeugnis, die kirchliche Lehre, ist das Werk des Menschen und bleibt somit stets geschichtlich gebunden. Es dient der intersubjektiven Verständigung über das Verständnis des Evangeliums und die Einheit im Glauben. Kirchengemeinschaft hat demnach auch den Charakter einer sichtbaren, geschichtlichen Gemeinschaft von Partikularkirchen. Diese zweifache Charakterisierung des Verständnisses von Kirchengemeinschaft wird in der vorliegenden Untersuchung aufgenommen durch die Begriffe Projekt und Prozess.219 Kirchengemeinschaft ist einerseits immer getragen von
219 Der Begriff „Projekt“ kann auf unterschiedliche Weise verstanden werden. Im wortwörtlichen Sinn wird mit dem Terminus das lateinische Partizip Perfekt Passiv Neutrum proiectum (= Vorausgeworfenes), zu proiectus „nach vorn geworfen“, von proicere, „vorwärtswerfen“, aufgenommen. Dabei ist mit einem Projekt an eine zeitliche, nicht räumliche Dimension von „nach vorn“ gedacht. Die Etymologie des Begriffs macht auf den im allgemeinen Wortgebrauch üblichen Verwendungszweck aufmerksam, mit dem Begriff ein zielgerichtetes Vorhaben und einen Entwurf zu bezeichnen. Der Begriff ist dann zwar entlehnt aus dem lateinischen proiectum, latinisiert jedoch aus dem französischen projet als Ableitung vom französischen projeter („entwerfen“), das wiederum von lateinisch proiectare („forttreiben“) als Intensivum zu proicere stammt (vgl. Kluge, Friedrich, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin u. a. 242002, 722). In der vorliegenden Untersuchung wird mit dem Projektbegriff abweichend vom allgemeinen Wortgebrauch auf die wortwörtliche Bedeutung des lateinischen Begriffs rekurriert. Die für die Rezeption des Begriffs entscheidende Differenz liegt hierbei darin, dass im Lateinischen mit dem Begriff bereits etwas Fertiges oder in sich Abgeschlossenes nach vorn geworfen wird, etwa als eine bereits vorauseilende Realität. Die andere Bedeutung bezeichnet im Unterschied hierzu ein noch nicht realisiertes Vorhaben, also etwas, was noch keine Realität ist. Mit dem Begriff „Prozess“ wird das lateinische Substantiv processus (das dazugehörige Verb lautet procedere), das heißt der Fortgang, das Vorwärtsschreiten, aufgenommen (vgl. Kluge, Friedrich, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 726). Die Kirchen
Verständnis und Modell von Kirchengemeinschaft
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einer jeglicher menschlichen Explikationsbemühung bereits vorauseilenden, von Gott vorausgeworfenen Einheit. Kirchengemeinschaft gründet in der Einheit der Glaubenden im Leib Christi. Andererseits ist Kirchengemeinschaft ein kontinuierliches Explikations- oder Verwirklichungsgeschehen, ein Prozess gemeinsamer, innergeschichtlicher Einholung dessen, was als projekthafte Einheit durch das Handeln des dreieinigen Gottes bereits vorgegeben ist. Kirchengemeinschaft bedarf der fortwährenden intersubjektiven Vergewisserung und glaubwürdigen Bezeugung der geschenkten Einheit.
4.3.2 Der Aspekt der Erklärung von Kirchengemeinschaft Sowohl die Methode als auch das Verständnis von Kirchengemeinschaft in der Konkordie haben Konsequenzen auf Modellebene. Das Modell von Kirchengemeinschaft wird in der Konkordie bestimmt über die Aspekte der Erklärung und Verwirklichung. Die Folgerungen aus Methode und Verständnis spiegeln sich in der Konkordie folglich in den Begriffen der Erklärung und Verwirklichung von Kirchengemeinschaft.220 Die Erklärung von Kirchengemeinschaft fasst zusammen, was mit der Zustimmung zur Konkordie zum Ausdruck gebracht wird. Dabei erklären reformatorische Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes, das heißt „in der Bindung an die sie verpflichtenden Bekenntnisse oder unter Berücksichtigung ihrer Traditionen“221, Kirchengemeinschaft untereinander. Die Erklärung von Kirchengemeinschaft impliziert folglich nicht die Vereinheitlichung des Bekenntnisstandes. Sie bedeutet jedoch die Entkräftigung ehemals kirchentrennender Bekenntnisaussagen für das gegenwärtige Verhältnis der Kirchen.222 Kirchengemeinschaft wird nun über drei Feststellungen erklärt.223 Erstens stimmen die Kirchen im gemeinsamen Verständnis des Evangeliums überein,
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schreiten in der Geschichte vorwärts, um gemeinsam explikativ dasjenige einzuholen, was ihnen als schon gegeben vorausgeworfen ist. Vgl. LK, Abschnitt IV. Die Aspekte der Erklärung und Verwirklichung von Kirchengemeinschaft entsprechen also nicht dem Verständnis von Kirchengemeinschaft als Projekt und Prozess. Vielmehr ist die Erklärung von Kirchengemeinschaft bereits ein Resultat aus der Einlösung des Konsenses, der das Verständnis von Kirchengemeinschaft impliziert. Die Erklärung von Kirchengemeinschaft ist somit bereits Teil des Prozess-Charakters von Kirchengemeinschaft und nicht etwa mit deren Projekt-Charakter zu identifizieren. LK 30. Vgl. ferner LK 29 u. 37, Satz 1. Vgl. LK 34, Satz 2. Vgl. LK 31–33. Die Feststellungen lassen sich kategorisieren in erstens die Anwendung der entdeckten hermeneutischen Unterscheidung auf die Bekenntnisse. Diese führt zur Umschreibung des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums und zu den gemeinsamen Formulierungen in Bezug auf die Lehrverurteilungen der Bekenntnisse. Zweitens wird unter Beachtung des in der hermeneutischen Unterscheidung zum Tragen kommenden Ver-
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
wie es in der Konkordie ausgeführt wird.224 Hierzu zählen sowohl die Ausführungen zum gemeinsamen Verständnis des Evangeliums als Botschaft von der Rechtfertigung und die Formulierungen zu den kirchlichen Handlungen in Bezug auf das Evangelium als auch die neuen gemeinsamen Aussagen über ehemals strittige Lehrfragen.225 Zweitens erklären die Kirchen ausgehend von diesen neuen Aussagen, dass die einst ausgesprochenen gegenseitigen Verurteilungen nicht den gegenwärtigen Stand der Lehre betreffen und demnach gegenstandslos geworden sind.226 Drittens gewähren die Kirchen als Konsequenz aus dem gemeinsamen Verständnis des Evangeliums einander Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft unter Einschluss der gegenseitigen Anerkennung der Ordination und Ermöglichung der Interzelebration.227 Somit öffnen sich die Kirchen einander auf Basis des herausgestellten gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums als Gottesdienstgemeinschaft.228 Zugleich macht der Begriff der Interzelebration aufmerksam auf das nach wie vor bestehende Bewusstsein der Kirchen für ihre konfessionelle Verschiedenheit.229 Diese bleibende Verschiedenheit wird nun allerdings nicht mehr als Trennungsfaktor zwischen den Kirchen wahrgenommen.230 Aufgrund des erreichten Konsenses in der Konkordie sind die Kirchen überzeugt, gemeinsam „an der einen Kirche Jesu Christi teil[zu]haben“231. Kirchengemeinschaft wird demnach als Partizipationsgemeinschaft beschrieben. Ausgehend von der Erklärung von Kirchengemeinschaft als Teilhabegemein-
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ständnisses von Einheit der Kirche die praktische Folgerung aus den somit eingelösten Kriterien zur Einheit der Kirche beschrieben: Die Gewährung von Gemeinschaft in Wort und Sakrament. Die Erklärung der Kirchengemeinschaft kommt demnach zustande durch die Anwendung eines hermeneutischen Verfahrens auf die verschiedenen Bekenntnisse reformatorischer Kirchen. Vgl. LK 31. Dieser Umgang mit den Lehrverurteilungen der Bekenntnisse ist erst möglich aufgrund der am Evangelium gemachten Erfahrung der reformatorischen Väter. Diese führte zu der hermeneutischen Unterscheidung zwischen dem Wort Gottes und der menschlichen Gestaltung der christlichen Gemeinde. Diese hermeneutische Unterscheidung wurde dann angewendet auf die Bekenntnisse und dort wirksam in Form der Unterscheidung zwischen dem grundlegenden Zeugnis der Bekenntnisse und deren historisch bedingten Denkformen. Vgl. Kap. A 4.2.4 der vorliegenden Untersuchung. Vgl. LK 32. Vgl. LK 33. Zur Gewährung von Kirchengemeinschaft als Konsequenz des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums vgl. LK 1: Das festgestellte gemeinsame Verständnis des Evangeliums ermöglicht die Erklärung und Verwirklichung von Kirchengemeinschaft. So auch LK 29: Ausgehend von der gewonnenen Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums werden die weiteren Aspekte von Kirchengemeinschaft geschildert. Vgl. LK 1f u. LK 29. Vgl. den Hinweis in LK 37, Satz 1 zur bleibenden verpflichtenden Geltung der Bekenntnisse. Vgl. LK 34, Satz 2. Zu dieser Einsicht gelangen die Kirchen aufgrund der bereits beschriebenen Methode, vgl. Kap. A 4.2.4.2 der vorliegenden Untersuchung. LK 34, Satz 3.
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schaft formuliert die Konkordie auch die Überzeugung der Kirchen, „zum gemeinsamen Dienst“232 befreit und verpflichtet zu sein. In der Beschreibung als zum gemeinsamen Dienst verpflichtete Partizipationsgemeinschaft lässt sich demnach ein Miteinander von Teilhabe und Verpflichtung erkennen. Gemeinsam haben die Kirchen Teil an der einen Kirche Jesu Christi in dem Sinne, dass die Christen an der Rechtfertigung in Christus durch den Glauben partizipieren. Dieser Aspekt erinnert an die im Zusammenhang mit dem heilsgeschichtlichen Rahmen erwähnte Sammlung von Kirche.233 Mit der Überzeugung, zum gemeinsamen Dienst befreit und verpflichtet zu sein, wird hingegen der bereits erwähnte Aspekt der Sendung von Kirche aufgenommen. So sehen sich die Kirchen ausgehend von ihrer Gemeinschaft in Christus gesandt zur Bezeugung ihrer Einheit und zum Dienst in der Welt „in Verantwortung vor seinem [sc. Gottes] Gericht“234. Die Erklärung von Kirchengemeinschaft in der Konkordie fügt sich folglich in den übergeordneten, heilgeschichtlichen Rahmen von Sammlung und Sendung, indem sie über die gegenseitige Gewährung von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft die Sammlung in Christus wahrnimmt und somit auch die Voraussetzung für die Nachfolge der Kirchen im gemeinsamen Zeugnis sowie im gemeinsamen Dienst als ethische Verantwortung im Rahmen der Sendung schafft.235 Als zunächst formale Verpflichtung der Kirchen untereinander, die sich aus dem gemeinsamen Verständnis des Evangeliums ergibt, verweist die Erklärung zugleich auf den Aspekt der Verwirklichung, insofern mit ihr eine Vorgabe für die Kirchengemeinschaft gemacht wird. Kirchengemeinschaft, wie sie in der Konkordie erklärt wird, endet somit nicht mit ihrer formalen Erklärung.236 Vielmehr impliziert das Konzept bereits seine Verwirklichung.237 232 Ebd. 233 Vgl. Kap. A 4.1 der vorligenden Untersuchung. 234 LK 11, Satz 5. Vgl. auch LK 29. Beide Aspekte, den Aspekt der Sammlung als Gabe als auch die Sendung als Aufgabe, beschreibt Harding Meyer auch als Spannungsverhältnis zwischen „ökumenischem Indikativ“ und „ökumenischem Imperativ“, vgl. Meyer, Harding, Ökumenische Zielvorstellungen, 18–22. 235 Vgl. LK 29. Die Erklärung von Kirchengemeinschaft ist einerseits bereits Sammlung, insofern sie in der Reaktualisierung von Schrift und Bekenntnissen die Gemeinschaft im Glauben als Konsens formuliert. Andererseits wird der Aspekt der Sammlung jedoch auch als bleibende Aufgabe der Kirche gesehen und betrifft somit den Bereich der Sendung. So formuliert LK 13: „Die Kirche hat die Aufgabe, dieses Evangelium weiterzugeben durch das mündliche Wort der Predigt, durch den Zuspruch an den einzelnen und durch Taufe und Abendmahl. In der Verkündigung, Taufe und Abendmahl ist Jesus Christus durch den Heiligen Geist gegenwärtig. So wird den Menschen die Rechtfertigung in Christus zuteil, und so sammelt der Herr seine Gemeinde“. Entsprechend dieser Sachlage wurde bereits in Kap. A 4.1 der vorliegenden Untersuchung festgestellt, dass der Sendungsauftrag die Sammlung als ihr Ziel antizipiert. 236 Während in der Konkordie allerdings bei der (formalen) Gewährung von Kanzel- und
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
4.3.3 Der Aspekt der Verwirklichung von Kirchengemeinschaft Die Verwirklichung von Kirchengemeinschaft folgt ihrer Erklärung. In der Erklärung von Kirchengemeinschaft wird der übergeordnete Rahmen von Sammlung und Sendung implizit rezipiert.238 Dabei bleiben die Ausführungen zur Erklärung allerdings indikativisch geprägt.239 Es wird also lediglich die gemeinsame Wahrnehmung eines mit der Sammlung verbundenen imperativischen Sendungsauftrages formuliert.240 In Kontrast hierzu nimmt die Konkordie mit dem Abschnitt zur Verwirklichung der Kirchengemeinschaft nun diesen im Konzept von Kirchengemeinschaft bereits enthaltenen Imperativ auf.241 Die Verwirklichung von Kirchengemeinschaft als Implikat ihrer vorausgehenden Erklärung ist folglich geprägt durch den Sendungsauftrag der Kirchen. Kirchengemeinschaft ist somit nicht nur etwas, was untereinander erklärt wird, sondern ein mit dieser Erklärung angestoßener Prozess gemeinsamen Handelns im Sinne dieser Erklärung. Entsprechend formuliert die Konkordie zur Verwirklichung von Kirchengemeinschaft: „Die Kirchengemeinschaft verwirklicht sich im Leben der Kirchen und Gemeinden“242. Diese Verwirklichung geschieht auf der Grundlage des Glaubens: „Im Glauben an die einigende Kraft des Heiligen Geistes richten sie [sc. die Kirchen] ihr Zeugnis und ihren Dienst gemeinsam aus und bemühen sich um die Stärkung und Vertiefung der gewonnenen Gemeinschaft“243. In Anknüpfung daran, dass das gemeinsame Verständnis des Evangeliums Grundlage der Kirchengemein-
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Abendmahlsgemeinschaft stehengeblieben wird, geht die Kirchenstudie knapp 20 Jahre später darüber hinaus. Vgl. Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung, in: Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 8–21; 17: „Nur das Miteinander von gelebter Gemeinschaft und von Gemeinschaft im Verständnis des Evangeliums wird der in Christus vorgegebenen Einheit gerecht“. Vgl. die Ausführungen zur Erklärung von Kirchengemeinschaft in Kap. A 4.3.2 der vorliegenden Untersuchung. Die Feststellung, dass sich die Kirchen einander Gemeinschaft an Wort und Sakrament gewähren, ist primär als logische Konsequenz aus dem gemeinsamen Verständnis des Evangeliums und dem Verständnis von Kirche als Partizipationsgemeinschaft zu sehen. Die Gewährung von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft ist also nicht identisch mit dem Imperativ, sie ist vielmehr dessen konstatierte Folge. Vgl. LK 34: „Die beteiligten Kirchen sind der Überzeugung, daß sie gemeinsam an der einen Kirche Jesu Christi teilhaben und daß der Herr sie zum gemeinsamen Dienst befreit und verpflichtet“ (Herv. v. J.G.). Vgl. hierzu die imperativischen Hinweiswörter, u. a. in LK 36: Die Übernahme gemeinsamer Verantwortung wird verlangt; LK 37: Die Kirchen verpflichten sich zu kontinuierlichen Lehrgesprächen untereinander; LK 38: Das gemeinsame Verständnis des Evangeliums muß weiter vertieft werden; LK 39: Es ist Aufgabe der Kirchen; LK 40: Die Kirchen müssen sich mit den Tendenzen theologischer Polarisierung auseinandersetzen. LK 35, Satz 1. LK 35, Satz 2.
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schaft und Ausdruck des gemeinsamen Glaubens ist, formuliert die Konkordie nun das Vertrauen darauf, dass der Heilige Geist als glaubensstiftende Kraft auch im Verwirklichungsprozess der Kirchengemeinschaft einigend tätig ist.244 Nicht nur Zeugnis und Dienst, sondern auch die Bemühung um Stärkung und Vertiefung der Gemeinschaft geschehen folglich auf Basis der glaubensstiftenden und somit einigenden Kraft Gottes, so die Überzeugung der Konkordie.245 Dieser lebendige Prozess der Verwirklichung von Kirchengemeinschaft wird in der Konkordie inhaltlich durch zwei Aspekte bestimmt, die über die gegenseitige Gewährung von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft hinausgehen. Dies sind erstens das gemeinsame Ausrichten von Zeugnis und Dienst und zweitens die kontinuierliche theologische Weiterarbeit.246 Zwei weitere genannte Aspekte, die organisatorischen Folgerungen und der gesamtökumenische Kontext, werden zwar ebenfalls unter dem Titel der Verwirklichung genannt.247 Allerdings sind sowohl die organisatorischen Folgerungen als auch die ökumenischen Aspekte dem Konzept von Kirchengemeinschaft insgesamt, das heißt der Erklärung und Verwirklichung, erläuternd und als Konsequenzen zugeordnet.248 4.3.3.1 Die Verwirklichung von Kirchengemeinschaft in Zeugnis und Dienst Die mit der Verwirklichung von Kirchengemeinschaft verbundene Forderung nach einer „möglichst große[n] Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst“249, das heißt nach deren gemeinsamer Ausrichtung, geht von zwei Einsichten der Konkordie aus: Erstens betont die Konkordie bereits an früherer Stelle, dass es Aufgabe der Kirche sei, das Evangelium weiterzugeben durch Verkündigung, Taufe und Abendmahl.250 Im Rahmen der Verwirklichung von Kirchengemein244 Die Konkordie beschreibt somit das Gemeinsamkeit stiftende Ereignis in auffälliger Analogie zum als Kirche konstituierend gedeuteten Pfingstereignis. Erneut bewirkt der Heilige Geist, nun in den reformatorischen Vätern, eine Glaubensgewissheit über das Evangelium, ein „Erkennen der Wahrheit“, für die die inspirierten Menschen fortan eintreten. Zum Pfingstereignis vgl. Apg 2,32–36. 245 Diese Vorordnung des Heiligen Geistes, der entsprechend den vorangegangenen Schilderungen als glaubensstiftende Kraft, die in Evangelium und Sakramenten tätig ist, verstanden wird, steht in Einklang mit der hermeneutischen Verhältnisbestimmung zwischen dem Evangelium als Kraft Gottes und Schriftzeugnis, Glaube sowie Lehre und Leben. Vgl. hierzu auch den Hinweis in LK 37, Satz 4: „Die beteiligten Kirchen lassen sich bei der gemeinsamen Ausrichtung von Zeugnis und Dienst von dieser Übereinstimmung [sc. der Konkordie als Ergebnis eines hermeneutischen Verfahrens] leiten und verpflichten sich zu kontinuierlichen Lehrgesprächen untereinander“. 246 Vgl. LK 36–41. 247 Vgl. LK 42–49. 248 Vgl. LK 45f. 249 LK 29. Vgl. hierzu die Ermahnung in 1Kor 1,10, mit einer Stimme zu reden und aneinander festzuhalten „in einem Sinn und einer Meinung“. 250 Vgl. LK 4, Satz 6 u. LK 13.
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
schaft wird dieser Auftrag der Kirchen durch den „ökumenischen Imperativ“251 ergänzt. So heißt es, dass die Verkündigung der unterschiedlichen Kirchen an Glaubwürdigkeit in der Welt gewinnt, wenn die Kirchen „das Evangelium in Einmütigkeit bezeugen“252. Kirchen in der mit der Konkordie erklärten Kirchengemeinschaft erstreben „möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst“253, sie richten „ihr Zeugnis und ihren Dienst gemeinsam aus“254. Im Vordergrund der Verwirklichung von Kirchengemeinschaft steht der Sendungsauftrag der Kirchen. Dieser fordert jedoch nicht die Einheitlichkeit, sondern die Einmütigkeit im Zeugnis ein, wie es bereits über die Methode der Konkordie als zur Einheit der Kirche ausreichend begründet wurde.255 Ziel des einmütigen Zeugnisses der Kirchen ist die Glaubwürdigkeit ihrer Verkündigung. Das Evangelium soll in Verantwortung vor dem Gericht Gottes glaubwürdig verkündigt werden, damit alle Welt nicht nur vom Evangelium erfahre, sondern – als Werk des Heiligen Geistes in Wort und Sakramenten – auch zum Glauben komme und Anteil habe an der Rechtfertigung in Christus.256 Somit zielt der Auftrag der Sendung zur gemeinsamen Ausrichtung, zur Einmütigkeit des Zeugnisses, letztlich auf die Sammlung der Kirche.257 Zweitens wird im Rahmen des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums betont, dass das Evangelium als die Botschaft von der freien Gnade Gottes die Christen „frei [macht] zu verantwortlichem Dienst in der Welt“258. Auch diese Überzeugung wird aufgenommen im Rahmen der Kirchengemeinschaft. So heißt es zum einen, der Herr verpflichte und befreie die Kirchen zum gemeinsamen Dienst.259 Zum anderen wird sachlich entsprechend formuliert, dass das Evangelium die Kirchen zum gemeinsamen Dienst befreie und verbinde.260 Der Auftrag zum gemeinsamen Dienst hat dabei explizit sozialethischen Verpflichtungscharakter und nimmt den Aspekt der diakonia auf. Er verlangt jedoch auch 251 252 253 254 255 256 257
258 259 260
Meyer, Harding, Ökumenische Zielvorstellungen, 20–22. LK 36. LK 29. LK 35, Satz 2. Vgl. auch LK 37, Satz 4. Auch LK 37, Satz 4 betont, dass die Konkordie leitend ist für die gemeinsame Ausrichtung von Zeugnis und Dienst. Vgl. LK 13: „So wird den Menschen die Rechtfertigung in Christus zuteil und so sammelt der Herr seine Gemeinde“. Der Auftrag zur Verwirklichung der erklärten Kirchengemeinschaft und dessen Ziel „möglichst großer Gemeinsamkeit“ lässt Parallelen zur in der vorliegenden Untersuchung beschriebenen Verhältnisbestimmung von Evangelium, Glaube und Lehre zu: So soll nun im Rahmen der Verwirklichung von Kirchengemeinschaft die bezeugte Einheit in Christus, die Teilhabe an der Rechtfertigung in Christus im Glauben, explikativ bzw. gestalterisch so weit wie möglich eingeholt werden, um glaubhaftes Zeugnis zu leisten. LK 11. Vgl. LK 34. Vgl. LK 36.
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die Übernahme gemeinsamer Verantwortung und die Bereitschaft, „in diesem Dienst auch zu leiden“261, nimmt also den Aspekt der martyria auf. Kirche ist folglich nicht nur durch ihre kirchlichen Handlungsvollzüge von Wort und Sakrament geprägt, sondern als Akteur in der politischen und sozialen Umwelt durch Handlungsvollzüge in der Hinwendung zur Welt.262 4.3.3.2 Die Bedeutung der Lehrgespräche Der zweite Aspekt der in der Konkordie verankerten Verwirklichung von Kirchengemeinschaft, die theologische Weiterarbeit, bezieht sich auf das Bemühen der Kirchen um die Stärkung und Vertiefung der Gemeinschaft, die mit der Konkordie erklärt wird.263 Diese Stärkung und Vertiefung geschieht insbesondere in Form von Lehrgesprächen. Diese sind das „kennzeichnende Merkmal“264 der Kirchengemeinschaft als kontinuierliches Geschehen, wie im Folgenden gezeigt wird. Sie dienen dazu, die Grundlage der Kirchengemeinschaft, das gemeinsame Verständnis des Evangeliums, wie es in der Konkordie konsensuell geschildert wird, kontinuierlich und gemeinsam als einheitlichen Grund zur Sprache zu bringen.265 Die Lehrgespräche sind folglich ein Instrument, um die übergeord261 LK 11. 262 Vgl. LK 36: „Als Dienst der Liebe gilt er [sc. der gemeinsame Dienst der Kirchen] dem Menschen mit seinen Nöten und sucht deren Ursachen zu beheben. Die Bemühung um Gerechtigkeit und Frieden in der Welt verlangt von den Kirchen zunehmend die Übernahme gemeinsamer Verantwortung“. Vgl. hierzu auch die Parallelfassung aus der Vorlage zur Konkordie: „Die Botschaft vom Heilswerk Gottes in Jesus Christus setzt die einzelnen Christen und die Kirche frei zu verantwortlichem Dienst an der Welt. Nicht nur durch ihr Reden sondern auch durch ihr Verhalten sollen sie eintreten für irdische Gerechtigkeit und Frieden unter den einzelnen Menschen und unter den Völkern. Dabei haben sie die heutigen gesellschaftlichen Spannungen in der Welt mit auf sich zu nehmen. Das können sie nur, indem sie sich an der Suche nach den angemessenen weltlichen Sachkriterien und an dem Bemühen um deren Anwendung beteiligen“ (Vorlage, Nr. 2.5, in: Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971 bis 1973, 11, Herv. v. J.G.). Zum Zusammenhang von Zeugnis und Dienst vgl. auch den Aufsatz von Dumas, André, Zeugnis und Dienst der Kirche im heutigen Europa, in: Lienhard, Marc (Hg.), Zeugnis und Dienst reformatorischer Kirchen im Europa der Gegenwart. Texte der Konferenz von Sigtuna (10. bis 16. Juni 1976), 53–76. Zum Aspekt der Hinwendung zur Welt vgl. die Betonung der Herausforderungen im europäischen Kontext im Berichtsband zu den Schauenburger Gesprächen, Bericht. Lutherische und Reformierte Kirchen in Europa auf dem Wege zueinander, 15–20. 263 Vgl. LK 35. 264 Bünker, Michael, Der europäische Protestantismus, in: Friedrich, Martin/Luibl, Hans Jürgen (Hg.), Glaubensbildung. Die Weitergabe des Glaubens im europäischen Protestantismus, Leipzig 2012, 19–33, 22. Vgl. auch Koslowski, Jutta, Die Einheit der Kirche in der ökumenischen Diskussion, 172: „Diese Verpflichtung zu weiteren Lehrgesprächen nach Erklärung der Kirchengemeinschaft ist ein Proprium der Leuenberger Konkordie, welche sie in der ökumenischen Diskussion charakterisiert“ (Herv. i. O.). 265 Dies ist auch notwendig im Hinblick auf die sich wandelnden, unterschiedlichen Situationen
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
nete Zielsetzung der Konkordie, die Einheit in Jesus Christus sichtbar zu machen und somit dem Sendungsauftrag nachzukommen. Der Auftrag zur gemeinsamen theologischen Weiterarbeit innerhalb der erklärten Kirchengemeinschaft umfasst vier Aufgabenbereiche. Diese sind erstens die kontinuierliche Vertiefung, Prüfung und Aktualisierung des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums. Zweitens sollen Lehrunterschiede ohne kirchentrennende Bedeutung gemeinsam diskursiv bearbeitet werden. Drittens ist eine Auseinandersetzung mit Tendenzen theologischer Polarisierung gefordert und viertens sollen Häresien abgewehrt werden.266 Die erste der vier genannten Aufgaben der Kirchen besteht darin, das Fundament ihrer Kirchengemeinschaft, den Konsens im Verständnis des Evangeliums, wie er in der Konkordie umschrieben wurde, als gemeinsame Grundlage kontinuierlich hervorzuheben.267 Hierzu formuliert die Konkordie drei Aspekte, die Vertiefung, die Prüfung und die Aktualisierung des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums.268 Alle drei Aspekte stehen in direktem Zusammenhang mit der hermeneutischen Unterscheidung und Verhältnisbestimmung, die in der Konkordie methodisch zum Tragen kommen. So reflektiert die Konkordie mit dem Auftrag zur weiteren Vertiefung des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums das Verhältnis zwischen dem Evangelium und der explikativen Einholung der im Glauben erkannten Wahrheit des Evangeliums: Das menschliche Bemühen um die Bezeugung des Evangeliums und Herausforderungen der reformatorischen Kirchen in Europa, die jeweils eigene Antworten von den Kirchen verlangen. Vgl. Vorlage zur LK, in: Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971 bis 1973, 33, Nr. 4.5f: „Die Kirchengemeinschaft ist ein lebendiger Prozess des kritischen Austausches untereinander angesichts der jeweiligen gesellschaftlichen Umwelt. Sie erfordert ständige Vertiefung, jeweilige Aktualisierung und Überprüfung ihrer Tragfähigkeit. Deshalb verpflichten sich die unterzeichneten [sic!] Kirchen, ihre wechselseitige theologische Beratung und Förderung in der Weise von Lehrgesprächen fortzuführen. Hierbei müssen auch die Grundaussagen, auf denen die Kirchengemeinschaft beruht, ständig neu interpretiert werden. Das gemeinsame Verständnis des Evangeliums, das in ihnen zum Ausdruck kommt, bestätigt zwar die Kirchengemeinschaft, aber es schliesst [sic!] die theologische Auseinandersetzung untereinander nicht ab“. Vgl. ferner den Bericht Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung, in: Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 8–21; 18: „Der Lehrkonsensus bestätigt wohl die Kirchengemeinschaft, aber er schließt die theologische Auseinandersetzung untereinander nicht ab. Nur wenn das Lehrgespräch in diesen weitergehenden Prozess einmündet, kann die Kirchengemeinschaft erhalten werden“ (Herv. v. J.G.). 266 Vgl. LK 38–41. 267 Vgl hierzu die Formulierung im zweiten Gesamtentwurf des Unterausschusses in Cartigny vom 23. 4. 1971, die den Lehrgesprächen die Aufgabe der „kritischen Überprüfung der Tragfähigkeit unserer Konkordie“ zuspricht. Abgedruckt in: Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, A92–A100; A98. Vgl. auch Lienhard, Marc, Die Vielheit der Konfessionen und die Einheit der Kirche, 88. 268 Vgl. LK 38.
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bleibt stets geschichtlich gebunden und bestimmt durch den Stückwerkcharakter kirchlicher Lehre und Lebens in Bezug auf die im Evangelium bezeugte und im Glauben erkannte göttliche Wahrheit.269 Die lehrmäßige Explikation bleibt ein hermeneutisches Bemühen am Gegenstand der Schrift und wird dabei geleitet durch die Glaubensgewissheit.270 Der Appell zur Vertiefung des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums geht jedoch noch über den erreichten Konsens der Konkordie hinaus und nimmt Bezug auf die Vertiefung der gewonnenen Gemeinschaft der Kirchen. So dient die weitere, das heißt das bisherige Maß der Übereinstimmung übersteigende Vertiefung des Verständnisses auch der größeren Gemeinsamkeit und der Stärkung der Einmütigkeit und Glaubwürdigkeit des Zeugnisses.271 Während im Rahmen der Erklärung von Kirchengemeinschaft das gemeinsame Verständnis des Evangeliums in der Konkordie nur soweit geschildert wurde, wie es „für die Begründung einer Kirchengemeinschaft erforderlich ist“272 und somit die Erfüllung der Kriterien zur Einheit der Kirche im Vordergrund stand, wird im Rahmen der Verwirklichung eine inhaltliche Vertiefung im Sinne eines umfangreicheren Konsenses betont.273 Der zweite Aspekt hebt hervor, dass dieser Prozess der weiteren Vertiefung stets am in der Schrift bezeugten Evangelium zu prüfen ist. Somit wird auf die mit der Konkordie beschriebene Diskrepanz zwischen der Bezeugung des Evangeliums in der Schrift und der menschlichen Lehre Bezug genommen. Dabei besagt die Verhältnisbestimmung, dass das Zeugnis der Kirchen, deren Leben und Lehre sich immer an der reinen Bezeugung des Evangeliums in der Schrift zu messen 269 Vgl. LK 4, Satz 4 u. 6: Das Evangelium bleibt souverän über seine Bezeugung durch den Menschen. Es kommt folglich niemals zur Identität zwischen Lehrgegenstand (Wahrheit des Evangeliums) und Lehraussage. Die Einsicht in das Verhältnis zwischen der Sache selbst und dem auf die Sache bezogenen Zeichen lässt sich ebenso im reformatorischen Einheitsverständnis wiederentdecken. So wird Einheit als Teilhabe beschrieben. Kirche als geschichtliche Zeugnis- und Dienstgemeinschaft partizipiert im Glauben an der Rechtfertigung in Jesus Christus. Teilhabe denkt jedoch immer auch Differenz mit, geschichtliche Kirche und die Kirche Jesu Christi sind demnach nicht miteinander kongruent. 270 Vgl. Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Bericht und Reflexion über eine Konsultation und ihr Thema, in: Birmelé, André/Meyer, Harding (Hg.), Grundkonsens – Grunddifferenz, Frankfurt a.M. 1992, 11–55, 37: „Denn in seiner Selbstoffenbarung bleibt Gott zugleich der Transzendente; er gibt sich den Menschen zu erkennen, entzieht sich aber doch ihrer erkenntnismäßigen und sprachlichen Verfügung“. Abweichend von Meyer geht die vorliegende Untersuchung jedoch davon aus, dass die Konkordie die reformatorische Erkenntnis über das Evangelium bereits als die rechte Erkenntnis und Grundlage für den Explikationsprozess hervorhebt. 271 Vgl. LK 29 u. 36, Satz 1. Vgl. hierzu auch den Hinweis in LK 1, Satz 3. Dort wird betont, dass die Kirchen „näher zueinander geführt worden sind“ (Herv. v. J.G.). Erklärte Kirchengemeinschaft leitet dann einen Prozess weiterer Vertiefung auf Basis des bereits erreichten Konsenses ein. 272 LK 6. 273 Vgl. LK 39.
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
habe.274 Die Kirchen in der Kirchengemeinschaft sind demnach aufgefordert zu einem – freilich am ökumenischen Vorgehen der Konkordie orientierten – kontinuierlichen Prozess der Rückbewegung zur Schrift.275 Drittens betont die Konkordie die Notwendigkeit ständiger Aktualisierung des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums. Hintergrund dieser Forderung ist die im Konzept der Konkordie wirksame Erfahrung der Kirchen, dass sich zeitlich gebundene, neue Denkformen entwickeln können, die zu neuen Gegensätzen, aber auch neuen Gemeinsamkeiten führen können. Die Verpflichtung zur Aktualisierung des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums umfasst auch den explizierten Konsens, der als eine Gegebenheit geschichtlicher Art angesehen wird, die stets neu zu bewähren ist.276 Der Aspekt der kontinuierlichen Aktualisierung ist dabei zugleich die Voraussetzung für den ersten Aspekt, die Vertiefung. So hält die Aktualisierung das gemeinsame Verständnis des Evangeliums offen für neue Einsichten und Vertiefungen.277 Die Lehrgespräche dienen jedoch nicht allein dem Zweck, das in der Konkordie konsensuell formulierte gemeinsame Verständnis des Evangeliums als gemeinsame Ermöglichungs- und Verpflichtungsbasis der sichtbaren Kirchengemeinschaft mittels kontinuierlicher Lehrgespräche herauszustellen. Die Konkordie nennt als zweiten Aufgabenbereich der Dialoge auch weitere Felder gemeinsamer theologischer Weiterarbeit. So sei es zum einen die Aufgabe der Kirchen, im Sinne der erstrebten „möglichst großen Gemeinsamkeit in Zeugnis
274 Vgl. LK 4, Satz 4. Vgl. hierzu VELKD (Hg.), Unser Glaube, 11: „Die in den Bekenntnisschriften formulierten Einsichten bilden somit den hermeneutischen Schlüssel, der das Evangelium von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben als die Mitte der Schrift erschließt. […] Mit diesem Selbstverständnis verbindet sich die bleibende Aufgabe, den Wahrheitsanspruch der theologischen Lehrgehalte der Bekenntnisschriften an dem Zeugnis der Heiligen Schrift zu überprüfen“. 275 Diese Rückbewegung wurde bereits früher hervorgehoben und interpretiert im Sinne der kontinuierlichen Metanoia. Die Verknüpfung zwischen dem „Ringen um Wahrheit und Einheit in der Kirche“ mit „Schuld und Leid“ wird bereits im Proömium der Konkordie betont. Vgl. hierzu LK 1, Satz 3. Mit dem Auftrag zur Überprüfung und Aktualisierung des Konsenses im Verständnis des Evangeliums wird nicht das ökumenische Modell als solches in Frage gestellt. Die Reaktualisierung des Konsenses bleibt orientiert an der gemeinsamen, noch vor jeder Lehre stehenden Glaubensgewissheit als hermeneutisches Regulativ, das tragend für das Leuenberger Modell ist. 276 Vgl. hierzu die Aufforderung der Konkordie, das „biblische Zeugnis [sc. die auf die Bibel bezogene Lehre] wie die reformatorischen Bekenntnisse […] für die Gegenwart zu aktualisieren“ (LK 5, Satz 4). Der Vorgang der Aktualisierung ist Voraussetzung dafür, dass auch die Lehrverurteilungen der Bekenntnisse nach ihrer aktuellen Gültigkeit befragt werden können (vgl. LK 17). Vgl. Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzepts „Kirchengemeinschaft“, 227. 277 Vgl. hierzu das reformatorische Prinzip „ecclesia semper reformanda“, das ausgehend von der Unterscheidung zwischen der einen Kirche Jesu Christi und Partikularkirchen sowie der Fallibilität von Kirchen den Aspekt der steten Aktualisierung hervorhebt.
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und Dienst“278 Themen zu bearbeiten, in denen die Kirchen unterschiedliche Akzente setzen, die jedoch keine kirchentrennende Bedeutung haben.279 Um den nicht-kirchentrennenden Charakter dieser Lehrunterschiede zu verdeutlichen und zu bewahren, sollen diese von den Kirchen aufgearbeitet werden, so die Konkordie.280 Zum anderen sollten neu auftretende Probleme, die sich hinsichtlich des Zeugnisses und Dienstes, also der Verkündigung und sozialethischen Handlung sowie der Ordnung und Praxis ergeben, gemeinsam bedacht werden.281 Der dritte Aufgabenbereich fordert die reformatorischen Kirchen dazu auf, sich gemeinsam mit „Tendenzen theologischer Polarisierung“282 auseinanderzusetzen. Der Hintergrund dieses Auftrages war die Situation der 1960er und 1970er Jahren, in denen, so Wilhelm Hüffmeier, eine Gefährdung in zwei Richtungen drohte: Einerseits habe eine Politisierung der Kirche gedroht, andererseits ein „antiaufklärerischer Fundamentalismus“283. Dieser „theologische Pluralismus“ wurde von den an der Konkordie beteiligten Kirchen als Bedrohung ihrer Einheit wahrgenommen, die „qualitativ und quantitativ bei weitem die Lehrdifferenzen übersteigt, die einmal den lutherisch-reformierten Gegensatz begründet haben“284. Schließlich haben die Kirchen viertens den Auftrag, mithilfe ihrer Lehrgespräche die im Glauben erkannte Wahrheit des Evangeliums von häretischen Aussagen abzugrenzen und diesen gegenüber zu bezeugen.285 Mit dem Auftrag zur gemeinsamen theologischen Weiterarbeit als Instrument der Kirchengemeinschaft verfolgt die Konkordie das Ziel, die mit ihr erklärte Kirchengemeinschaft dauerhaft zu bewahren und zu vertiefen. Sie ermöglicht somit, dass die Kirchen ihren im Evangelium begründeten Sendungsauftrag 278 LK 29. 279 Zu diesen Themen theologischer Weiterarbeit gehörten u. a. hermeneutische Fragen im Verständnis von Schrift, Bekenntnis und Kirche, der Taufpraxis, des Amtes und er Ordination etc. 280 Vgl. Birmelé, André, Leuenberger Konkordie, 158. 281 Vgl. LK 39. Vgl. Lohff, Wenzel (Hg.), Die Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa, 6: „Geht es nicht um einen Minimalkonsens, sondern um möglichst große Gemeinschaft, dann muß die im zentralen gewonnene Übereinstimmung sich immer neu bewähren. Deshalb gehört zur Konkordie zentral die Verpflichtung zu kontinuierlichen Lehrgesprächen an immer neuen Themen“. Vgl. hierzu auch LK 37. 282 LK 40. 283 Hüffmeier, Wilhelm, Die Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa (Leuenberger Kirchengemeinschaft) – Grund, Aufgaben und Ziele, in: ders./Ionita, Viorel (Hg.), Konsultation zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Leuenberger Kirchengemeinschaft (LKG) zur Frage der Ekklesiologie, (LT 8), Frankfurt a.M. 2004, 40–47; 45. 284 1. Änderungsvorschlag zum Entwurf zur Konkordie der reformatorischen Kirchen in Europa, abgedruckt in: Neuser, Wilhelm H., Die Entstehung und theologische Formung der Leuenberger Konkordie 1971 bis 1973, 33, Nr. 2c. 285 Vgl. LK 41.
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
gemeinsam und auch im Wandel der Zeit wahrnehmen können. Die Ausführungen zur theologischen Weiterarbeit in der Konkordie legen dabei das Verständnis von Kirchengemeinschaft als Prozess steter Vermittlungsarbeit nahe.286 Diese Vermittlungsarbeit dient der immer wieder zu leistenden Reaktualisierung des gemeinsamen rechten Verständnisses des Evangeliums. Sie beschreibt somit eine stets zu wiederholende Einlösung des Kriteriums zur Begründung der Kirchengemeinschaft.287 Als Auftrag zur Stärkung und Vertiefung der Gemeinschaft geht die gemeinsame theologische Weiterarbeit noch über die bloße Einlösung des Kriteriums hinaus: Kirchengemeinschaft wird beschrieben als Prozess gegenseitiger Annäherung im gemeinsamen Zeugnis und Dienst, nicht jedoch im Sinne einer Einheitlichkeit, sondern im Sinne von Einmütigkeit. Das dynamische oder prozesshafte Element des Leuenberger Modells ist also innerhalb der Kirchengemeinschaft zu verorten. Es ist nicht die Kirchengemeinschaft selbst, die als Prozess über sich hinaus zu einer anderen Form, etwa einer Kirchenunion, drängt. Vielmehr geschieht im Rahmen der Kirchengemeinschaft eine Intensivierung der Gemeinschaft.288 Mit diesem Auftrag zur Vertiefung und Aktualisierung der Gemeinschaft begegnet die Konkordie einer möglichen „Resignation angesichts der bestehenden Diskrepanz zwischen Bekenntnis und menschlich gestalteter Institution“, deren Gefahr in der „Entwirklichung der geglaubten Kirche“289 und somit einer Entkopplung der Kirche von ihrem Grund besteht.290 286 Vgl. Auf dem Weg I, 17f, Nr. 21–23: „Die durch ihn [sc. den Lehrkonsensus] geprüfte und bestätigte Kirchengemeinschaft ist ein lebendiger Prozeß des kritischen Austausches untereinander und mit der jeweiligen gesellschaftlichen Umwelt. Auch die Grundaussagen, auf welchen der Konsensus beruht, müssen in diesem Prozeß einer ständigen Neuinterpretation ausgesetzt und unterzogen werden. Der Lehrkonsensus bestätigt wohl die Kirchengemeinschaft aber er schließt die theologische Auseinandersetzung nicht ab“. 287 Vgl. LK 6 mit Bezug auf LK 2. So, wie die LK eine Rückbewegung zur Schrift und Reformation sowie eine Reaktualisierung der Bekenntnisse vollzieht, um das gemeinsame Verständnis des Evangeliums zu formulieren, zeichnet sich auch die Verwirklichung von Kirchengemeinschaft dadurch aus, dass das erreichte, nämlich das gemeinsame Verständnis des Evangeliums nun immer wieder an der Schrift geprüft werden müsse: Das grundlegende Zeugnis, das Glaubenszeugnis von der Rechtfertigung, müsse immer wieder von möglichen Verdunklungen befreit werden und von geschichtlich bedingten Denkformen unterschieden werden. 288 Vgl. Meyer, Harding, Kirchengemeinschaft als Konzept kirchlicher Einheit, 158. Kirchengemeinschaft ist zu verstehen als gemeinsamer Weg, „verbindliche Lehre des Evangeliums in den Herausforderungen der Gegenwart zu gewinnen“ (Lohff, Wenzel, Die Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa, 6), als „Prozeß des Zusammenwachsens, eine ‚Zeugnis und Dienstgemeinschaft‘“ (a. a. O., 3). 289 Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute, 474. 290 Vgl. hierzu auch Lohff, Wenzel (Hg.), Die Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa, 6: „Anstelle eines kontrovers-theologischen Dialogs tritt die Verständigung innerhalb einer Kirchengemeinschaft über die gemeinsamen Aufgaben. Die Konkordie bedeutet eben deshalb keinen Abschluß, sondern den Beginn eines Weges. Auf diese Weise wird sie viel-
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4.3.4 Konsequenzen aus der Erklärung und Verwirklichung von Kirchengemeinschaft 4.3.4.1 Organisatorische Konsequenzen Die Konkordie spricht im Bereich der Verwirklichung von Kirchengemeinschaft auch den Aspekt rechtlicher und organisatorischer Konsequenzen sowohl für die Einzelkirchen als auch für die Kirchengemeinschaft an. Zunächst wird dabei festgestellt, dass die Unterzeichnung der Konkordie, die gemeinsame Erklärung von Kirchengemeinschaft, im Allgemeinen kirchenrechtliche Regelungen nicht vorwegnimmt.291 Ebenso wird betont, dass die mit der Konkordie ausgesprochene Erklärung von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft sowie die gegenseitige Anerkennung der Ordination im Speziellen geltende Bestimmungen in Bezug auf das kirchliche Amt nicht beeinträchtigen.292 Regelungen in Bezug auf die „Anstellung im Pfarramt, die Ausübung des pfarramtlichen Dienstes und Ordnungen des Gemeindelebens“293 obliegen weiterhin der Kompetenz der einzelnen Kirchen. Allerdings muss die Konkordie bei weiteren kirchenrechtlichen Regelungen berücksichtigt werden.294 In Bezug auf den mit der Erklärung von Kirchengemeinschaft angestoßenen Prozess ihrer Verwirklichung, das gemeinsame Zeugnis und den gemeinsamen Dienst, formuliert die Konkordie, dass die Entscheidung zu organisatorischen Zusammenschlüssen einzelner Kirchen von bestimmten Aspekten abhängig gemacht werden muss.295 So soll grundsätzlich die „lebendige Vielfalt der Verkündigungsweisen, des gottesdienstlichen Lebens, der kirchlichen Ordnung und der diakonischen wie gesellschaftlichen Tätigkeit“ gewährleistet werden, da eine Vereinheitlichung „dem Wesen der […] Kirchengemeinschaft widersprechen“296 würde. Einzig aufgrund des Sachzusammenhanges zwischen Zeugnis und Ordnung könne der Dienst der Kirche rechtliche Zusammenschlüsse nahelegen, so die Konkordie. Dabei müsse jedoch die Entscheidungsfreiheit von Minderheitskirchen stets bewahrt werden. Entgegen des ursprünglichen Appells in
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leicht besser, als eine bloße Wiederholung traditioneller Lehraussagen es könnte, der Verpflichtung gerecht, verbindliche Lehre des Evangeliums in den Herausforderungen der Gegenwart zu gewinnen“. Vgl. LK 42, Satz 1. Vgl. LK 43. LK 43. Vgl. LK 42, Satz 2. Vgl. LK 44. LK 45. Mit der Hervorhebung der Gemeinschaft in der Vielfalt von Verkündigung, gottesdienstlichem Leben und diakonischer Tätigkeit werden die vier Merkmale von Kirche – Koinonia, Martyria, Leiturgia und Diakonia – implizit aufgegriffen. Diese werden erst später in der Ekklesiologiestudie der Leuenberger Kirchengemeinschaft explizit benannt und inhaltlich ausgeführt.
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
Lund, der die Gespräche reformatorischer Kirchen in Europa zuerst anstieß und die Verpflichtung zum Erstreben engerer organischer Einheit der Kirchen betonte, wird mit der Konkordie ein von dem Konzept von Kirchengemeinschaft ausgehendes offeneres Einheitsverständnis verfolgt und somit eine Vereinheitlichung der Kirchen abgelehnt.297 Hinter diesem Verständnis steht das Konzept der Konkordie, in dem Kirchengemeinschaft ausgehend von der gemeinsamen Glaubensgewissheit als hermeneutischer Einsicht getragen wird. Gemäß dieser Einsicht sind „Leben und Lehre an der ursprünglichen und reinen Bezeugung des Evangeliums in der Schrift zu messen“ und „das Wort des Herrn [bleibt] jeder menschlichen Gestaltung der christlichen Gemeinde überlegen“298. Auch Kirchengemeinschaft soll gemeinsam zum Ausdruck kommen. Dabei gilt jedoch, dass jegliche Ausdrucksform in Bezug auf den Zeugnisgegenstand, das Evangelium, stets defizitär und in hohem Maße geschichtlich und kontextuell bedingt ist.299 Folglich muss die Erhaltung einer lebendigen Vielfalt sowohl von Verkündigungsweise als auch von gottesdienstlichen Lebens und kirchlicher Ordnung, das heißt die Offenheit zu deren ständiger Reform und weiteren Vertiefung in Hinblick auf ihren Gegenstand und Ursprung, das Evangelium, einer Vereinheitlichung vorgezogen werden.300 297 Die noch in Lund angestrebte „Organische Einheit“ ist gleichbedeutend mit der Wiedervereinigung von Kirchen. Vgl. Vischer, Lukas (Hg.), Die Einheit der Kirche, 107, Ziff. 43. 298 LK 4, Satz 4 u. 6. 299 Vgl. LK 5. 300 Vgl. LK 45. An dieser Stelle der Konkordie wird die Erhaltung der Vielfalt der Lehrformen im Sinne einer Bekenntnisvielfalt nicht noch einmal betont, sie wurde jedoch bereits zuvor hervorgehoben, vgl. hierzu LK 37. Dem wiederholten Vorwurf an die LK, etwa eine Fortführung der altpreußischen Union zu sein, etwa durch den finnischen Theologen Tuomo Mannermaa, ist entgegenzusetzen, dass die Union die Gleichgültigkeit unterschiedlicher Bekenntnisse in einer Kirche voraussetzt. Das Modell der LK unterscheidet sich von diesem Weg durch die in ihr umgesetzte Bekenntnishermeneutik. Vgl. Hauschildt, Friedrich, Die theologische Bedeutung der Leuenberger Konkordie, 286f; vgl. ferner Meyer, Harding, Ökumenische Zielvorstellungen, 12 u. 127. Ebenso finden sich nicht nur bereits im Vorfeld der Konkordie zu deren Modell Stimmen, die dem Vergleich der LK mit der Union widersprechen, so zum Beispiel Wenzel Lohff vor der Generalsynode der VELKD 1971: „Die Kirchengemeinschaft, die hier erstrebt wird, ist das Gegenteil der Unionen“ (Lohff, Wenzel, Bericht über das lutherisch-reformierte Gespräch, in: Lutherisches Kirchenamt Hannover [Hg.], Lutherische Generalsynode 1971, 68–72; 71). Entscheidend für die Einschätzung Lohffs ist die Auffassung, dass die Unionsbestrebungen keine Lösung für den Umgang mit den unterschiedlichen, teilweise einander widersprechenden Bekenntnissen gefunden haben. Vgl. ders., Grund und Grenze der Kirche, 91 u. 97. Vgl. auch Hauschildt, Friedrich, Die theologische Bedeutung der Leuenberger Konkordie, 286f. Auch nach Inkrafttreten der LK, auf der Konferenz von Sigtuna 1976, wird betont: „Der Vorgang der Leuenberger Konkordie bis hin zu ihrer Rezeption und über diese hinaus ist nicht mit der preußischen Unionsbildung oder der Entstehung anderer Unionskirchen vergleichbar. In dem Konzept der Konkordie liegt nicht das Ziel einer Kirchenvereinigung“ (Lienhard, Marc [Hg.],
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4.3.4.2 Die Bedeutung der gesamtkirchlichen Ökumene Die abschließenden Feststellungen der Konkordie betreffen ökumenische Aspekte und stellen das Konzept von Kirchengemeinschaft in den umfassenden ökumenischen Kontext.301 Aus dem Selbstverständnis der Partikularkirche als defizitärer Existenz im Hinblick auf die vollkommene Einheit in Christus als Zielvorgabe der Kirche wurde mit der Konkordie ein Verständnis von Kirchengemeinschaft vermittelt, das diese im Sinne einer Partizipationsgemeinschaft an der einen Kirche Jesu Christi denkt.302 Diese Gemeinschaft hat die Aufgabe, Zeugnis zu leisten von der ihr zugrunde liegenden Einheit in Christus und die Gemeinschaft zu vertiefen.303 Die im Modell der Konkordie angelegte Kirchengemeinschaft ist also im Rahmen von Sammlung und Sendung zu sehen. Kirchengemeinschaft bedeutet zwar Sammlung und ist als solche nicht zu steigern. Mit der Sammlung ist jedoch immer auch der Sendungs-, das heißt Zeugnisauftrag verbunden. Die Konkordie weist folgerichtig über die mit ihr erklärte Kirchengemeinschaft reformatorischer Kirchen in Europa hinaus auf die anderen Kirchen und Konfessionen.304 Auf Europa bezieht sich das Konzept von Kirchengemeinschaft in der Konkordie, „weil hier die Reformation ihren Ausgang genommen hatte“305. Kirchengemeinschaft, wie sie im Konzept der Konkordie entwickelt wird, geht folglich nicht nur über die konfessionellen Grenzen
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Zeugnis und Dienst reformatorischer Kirchen im Europa der Gegenwart, 159). Ähnlich resümiert auch Reinhard Brandt unter Beachtung der Methode der LK: „Es entspricht genau der reformatorischen Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt der Kirche, daß hier Kirchen einander Kirchengemeinschaft […] gewähren, ohne ihr Bekenntnis und ihre Gestalt aufzugeben. Dies unterscheidet die LK von den Unionen, die es im 19. Jh. in Deutschland gegeben hat“ (Brandt, Reinhard, Art. Einheit der Kirche. II. Dogmatisch, in: RGG4, Bd. 2, 1162–1164; 1163). Vgl. LK 46: „Indem die beteiligten Kirchen unter sich Kirchengemeinschaft erklären und verwirklichen, handeln sie aus der Verpflichtung heraus, der ökumenischen Gemeinschaft aller christlichen Kirchen zu dienen“. Vgl. LK 34: „Die beteiligten Kirchen sind der Überzeugung, daß sie gemeinsam an der einen Kirche Jesu Christi teilhaben“. Vgl. ferner Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute, 475: „An der Ganzheitlichkeit der Koinonia lassen sich ohne gravierende Beschädigungen keine Abstriche machen. Partikularkirchliche Existenz ist per se defizitär“. Demnach denkt Partizipation Differenz immer bereits mit. Vgl. LK 13: „Die Kirche hat die Aufgabe, dieses Evangelium weiterzugeben […] so sammelt der Herr seine Gemeinde“. Vgl. auch LK 34: „Die beteiligten Kirchen sind der Überzeugung, […] daß der Herr sie zum gemeinsamen Dienst befreit und verpflichtet“. Vgl. zum Aspekt der Vertiefung LK 35 u. 38. Vgl. LK 47 u. 49. So auch bei Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute, 475f: „Partikularkirchliche Zufriedenheit widerspricht sowohl dem Grundimpuls der Reformation als auch jeder theologisch begründeten Option für die Kirche. Rechtes Kirchesein kann niemals einfach nur zwischen Gott und uns selbst ausgemacht werden. Es kommt erst in der ergriffenen Wirklichkeit der konfessionsübergreifenden Gemeinschaft, das heißt der über die eigenen Grenzen hinaus gelebten umfassenden Koinonia zum Ziel“. Scharbau, Friedrich-Otto, Einheit in versöhnter Verschiedenheit, 64.
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Erläuterung der Thesen zur Interpretation am Wortlaut
hinaus und zeigt sich diesen gegenüber offen, sondern beinhaltet auch die Überschreitung von nationalen und geographischen Grenzen Europas.306 Trotz dieses umfassenden Anspruchs erhält das Modell selbst unter den evangelischen Kirchen jedoch keinen einheitlichen Zuspruch. Die Begrenztheit des ökumenischen Zuspruchs zeigt sich insbesondere anhand der skandinavischen Kirchen. So verweigerten die Evangelisch-Lutherische Kirche von Schweden und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Finnland die Unterzeichnung der Konkordie. Sie stimmten jedoch der Porvooer Gemeinsamen Feststellung zu.307 Die Evangelisch-Lutherische Volkskirche in Dänemark sowie die Norwegische Kirche unterzeichneten wiederum beide Erklärungen. Die Rezeption der Leuenberger Konkordie durch katholische Theologen ist – entgegen der in der Konkordie betonten Hoffnung, auch auf die ökumenischen Gespräche mit anderen Konfessionen einzuwirken – überschaubar geblieben.308 Die Konkordie begründet bislang lediglich interkonfessionelle Abendmahlsgemeinschaft, nicht jedoch die Grenzen evangelischer Konfessionen überschreitende Gemeinschaft. Die konfessionelle Prägung des ökumenischen Modells wird folglich ausgerechnet an der gesamtökumenischen Wirkung der Konkordie deutlich.309
306 Vgl. LK 47: „Sie [sc. die beteiligten Kirchen] erwarten, daß die Überwindung ihrer bisherigen Trennung sich auf die ihnen konfessionell verwandten Kirchen in Europa und in anderen Kontinenten auswirken wird“. Vgl. auch die – wenn auch zurückhaltend formulierte – Hoffnung in LK 49: „Ebenso hoffen sie, daß die Kirchengemeinschaft der Begegnung und Zusammenarbeit mit Kirchen anderer Konfessionen einen neuen Anstoß geben wird“. Der von verschiedenen Seiten erhobene Vorwurf einer „evangelischen Blockbildung“, die mit der Leuenberger Konkordie intendiert sei, kann in dieser Hinsicht entschärft werden. Vgl. zum Thema evangelischer Blockbildung: Kirchengemeinschaft und Kirchentrennung, in: Geiger, Max u. a. (Hg.), Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen, 8–21; 21; vgl. ferner Birmelé, André, Leuenberger Konkordie, 162. 307 Die Porvooer Gemeinsame Feststellung von 1992 ermöglicht Abendmahlsgemeinschaft durch die gemeinsame Tradition der apostolischen Sukzession, vgl. DwÜ III, 749–777. 308 Vgl. die Angaben bei Houtepen, Anton, Konkordie und Kirchengemeinschaft – Reformatorische Kirchen auf dem Weg zu einer effektiveren Kirchengemeinschaft?, in: Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Kirchengemeinschaft reformatorischer Kirchen im Europa der Gegenwart. Texte der Konferenz von Driebergen/Niederlande (18. bis 24. Februar 1982), Frankfurt a.M. 1993, 77–91; 77. Auch in den Jahren darauf blieb die Leuenberger Konkordie wenig beachtet von katholischen Autoren. Dennoch ist insbesondere dem ökumenischen Konzept eine wichtige Rolle für die bilateralen Dialoge zuzuschreiben. Dies zeigt sich exemplarisch an der Rezeption des Leuenberger Verfahrens im LWB bei der Schilderung der ökumenischen Zielvorstellung der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“, die auch für den Dialog mit der katholischen Kirche leitend ist. 309 Vgl. zum ökumenischen Diskurs über das Leuenberger Modell Kap. C der vorliegenden Untersuchung.
5.
Systematisierende Zusammenfassung zum Leuenberger Konzept von Kirchengemeinschaft
Die Untersuchung zum Konzept von Kirchengemeinschaft in der Leuenberger Konkordie ging von vier Thesen aus. Diese Thesen wurden am Wortlaut der Konkordie begründet. Der Aufbau der Argumentation orientierte sich am Aufbau der Thesen. Die Untersuchung erläuterte die Annahmen zum Verständnis des reformatorischen Ökumenemodells: Erstens wird die Konkordie in einem zugrunde liegenden heilsgeschichtlichen Rahmen verortet, der maßgeblich bestimmt ist durch die Aspekte von Sammlung und Sendung. In der Zueignung von Christi Heil sind die Menschen gesammelt als Heilsgemeinschaft und mit Gott versöhnt. Sie sind zugleich gesendet, Zeugnis zu geben von dieser geglaubten Einheit im Leib Christi, damit die ganze Welt im Glauben mit Gott versöhnt werde. Sammlung und Sendung begründen also einen geschichtlichen Prozess und bedingen einander: Mit der Sammlung ist die Sendung verbunden und die Sendung zielt ihrerseits auf die nun weitere Sammlung. Zweitens ist innerhalb dieses übergeordneten Rahmens von Sammlung und Sendung die Konkordie einzuordnen. Die Konkordie ist zu verstehen als ein Modell der Sammlung. Aus einer Situation der Vielfalt reformatorischer Kirchen, die voneinander getrennt sind, vollziehen diese Kirchen mit der Konkordie eine Rückwärtsbewegung hin zu einem früheren Punkt der Sammlung, der ihnen gemeinsam ist. Die Bewegung gleicht der büßenden Umkehr aus dem Bewusstsein der Kirchen, dass ihre Trennung voneinander Schuld vor Gott ist. Diese Umkehrbewegung zu einem Moment der Sammlung reformatorischer Kirchen wird in der Konkordie vollzogen, indem sie deren gemeinsame Kriterien zur Einheit der Kirche aufnimmt. Diese Kriterien interpretiert die Konkordie nun mit Blick auf die Situation der konfessionellen Vielfalt. Mit dem Ziel sichtbarer Kirchengemeinschaft im Sinne einer Gottesdienstgemeinschaft bleibend konfessionell unterschiedlicher Kirchen bestimmt die Konkordie das in den reformatorischen Kriterien eingeforderte pure und recte, das satis est sowie das consentire neu. Methodisch geht die Konkordie folglich von einer früheren Sammlung aus, die sie in Hinblick auf die Situation der Vielfalt der Bekenntnisse neu zur Geltung bringt.
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Systematisierende Zusammenfassung zum Leuenberger Konzept
Drittens blickt die Konkordie aus der Situation konfessioneller Vielfalt heraus zurück auf den gemeinsamen Ausgangspunkt der Bekenntnisse. Sie entdeckt hierbei eine den Kirchen gegebene Gemeinsamkeit, die auf einer anderen Ebene liegt als die trennenden Lehraussagen der Bekenntnisse. Diese Gemeinsamkeit ist zu verstehen als Gewissheit des Glaubens über die Wahrheit des in der Schrift bezeugten Evangeliums. Diese inhaltliche Einsicht ist das Werk des sich selbst offenbarenden Gottes im Evangelium. Sie geht jeglicher menschlichen Explikationsbemühung in Bindung an die Schrift voraus. Zugleich wird hiermit erkannt, dass nicht die menschliche Lehre, sondern allein das Evangelium Maßstab jeglicher Zeugnisgestalt ist. Die Konkordie entdeckt folglich im Rückblick eine hermeneutisch bedeutsame Gemeinsamkeit der reformatorischen Kirchen: eine Glaubensgewissheit als inhaltliche Erkenntnis und als Erkenntnis über die Verhältnisbestimmung von Evangelium, Glaube und Lehre. Das Kriterium für die reine und rechte Verkündigung des Evangeliums ist demnach nicht die kirchliche Lehre, sondern das Evangelium in seinem zweifachen Charakter als glaubensstiftende Offenbarung und Schriftzeugnis. Sowohl die vom Evangelium gewirkte Glaubensgewissheit über seinen Inhalt als auch das Evangelium als Schriftzeugnis sind hermeneutisches Regulativ für die menschliche Zeugnishandlung. Mit Blick auf die unterschiedlichen Bekenntnisse bestimmt die Konkordie nun den Umfang und die Art des notwendigen Konsenses. Nicht nur über die in CA VII genannten Kriterien der Verkündigung des Evangeliums und der Verwaltung der Sakramente muss Einigkeit herrschen. Auch die in den Bekenntnissen enthaltenen, die Kirchen trennenden Lehrverurteilungen müssen entkräftet werden. Den hierzu notwendigen Konsens zwischen den Kirchen erzielt die Konkordie mithilfe der Unterscheidung der Bekenntnisse in ihr grundlegendes Zeugnis und ihre geschichtlich bedingten Denkformen. Diese Unterscheidung ist der methodische Kern der Leuenberger Konkordie und von zentraler Bedeutung für das Leuenberger Verständnis und Modell von Kirchengemeinschaft. In ihr findet das entdeckte Kriterium für die reine und rechte Verkündigung mit Blick auf die notwendigen Elemente des Konsenses Anwendung. Der Konsens, den die Konkordie hierzu zwischen den Kirchen formuliert, wird in der vorliegenden Interpretation auf zwei Ebenen lokalisiert. Diese zwei Ebenen werden erstens bestimmt durch das hermeneutische Regulativ in der Konkordie und zweitens durch die Konfrontation unterschiedlicher Bekenntnisaussagen. Demnach wird auf einer vertikalen Ebene das Verhältnis zwischen dem Evangelium, das heißt der Glaubensgewissheit und dem Schriftzeugnis einerseits, und der darauf bezogenen kirchlichen Lehre andererseits verortet. Kirchliche Lehre muss sich, um wahr zu sein, an der Gewissheit über die inhaltliche Mitte des Evangeliums orientieren. Zugleich ist kirchliche Lehre das Ergebnis hermeneutischer Bemühungen und muss sich an der Schrift orientie-
Systematisierende Zusammenfassung zum Leuenberger Konzept
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ren. Auf der horizontalen Ebene werden die unterschiedlichen Lehraussagen der Kirchen in ein Verhältnis zueinander gestellt. Um Kirchengemeinschaft erklären zu können, müssen die Kirchen ihre Lehraussagen als wahr anerkennen. Orientiert an der vertikalen Ebene, der Glaubensgewissheit und den auch durch sich wandelnde äußere Faktoren mitbedingten hermeneutischen Einsichten in die Schrift, ist es den Kirchen möglich, zu neuen gemeinsamen Aussagen zu kommen. Diese Aussagen sind zum einen das Ergebnis neuer Einsichten in Zusammenhang mit dem hermeneutischen Bemühen an der Schrift. Zum anderen sind die Aussagen möglich durch eine an der bleibenden Glaubensgewissheit orientierten anderen inhaltlichen Akzentuierung der Lehraussagen. Die Unterscheidung zwischen grundlegend und geschichtlich bedingt geschieht in der Konkordie folglich mit Blick auf das Evangelium. Gemessen an der Glaubensgewissheit über den zentralen Inhalt des Evangeliums und dem Schriftzeugnis selbst als hermeneutischem Regulativ erweisen sich manche Inhalte der Bekenntnisse als grundlegend, also bleibend wahr. Manche Inhalte und grundsätzlich die Ausdrucksformen, in denen sie zur Sprache kommen, erweisen sich hingegen infolge der Prüfung am Evangelium als geschichtlich bedingte Akzentuierungen und aufgrund der neuen gemeinsamen Aussagen als überholt. Viertens lässt sich ausgehend von der Methode der Konkordie ein Verständnis von Kirchengemeinschaft ableiten. Dieses wirkt sich auch auf das Leuenberger Modell von Kirchengemeinschaft aus. Kirchengemeinschaft im Verständnis der Leuenberger Konkordie ist als Projekt und Prozess charakterisiert. Die reformatorischen Kirchen gehen aus von einer geschenkten Gemeinsamkeit im Glauben. Die Kirchengemeinschaft ist folglich einerseits eine durch Gottes Wirken jeglicher Explikationsbemühung vorausgeworfene Einheit der Glaubenden im Leib Christi. Diese geschenkte Einheit im Glauben soll im Rahmen des Sendungs- bzw. Zeugnisauftrags der Kirchen sichtbar zum Ausdruck kommen. Kirchengemeinschaft ist folglich andererseits bestimmt als geschichtliche Gottesdienst- und Lehrgemeinschaft. Sie ist das gemeinsame Bemühen, diese geglaubte Einheit in einem fortwährenden Prozess der Verständigung über das Evangelium zu entdecken und glaubhaft in der Welt zu bezeugen. Für das Modell von Kirchengemeinschaft bedeutet dies, dass Kirchengemeinschaft infolge der Einlösung der reformatorischen Kriterien mit der Konkordie nicht nur erklärt wird. Die Konkordie beauftragt die Kirchen auch zur Verwirklichung der Kirchengemeinschaft. Dies bedeutet, dass der explizierte Konsens zwischen den Kirchen sich fortwährend bewähren muss. Die Kirchen sind zwar durch den Konsens der Konkordie, der in die Erklärung von Kirchengemeinschaft mündet, gesammelt. Diese Sammlung begründet jedoch aufgrund der geschichtlichen Gebundenheit der Kirchen kein statisches Verhältnis der Kirchen zueinander. Es können immer wieder neue Spannungen zwischen ihnen auftreten. Die kontinuierliche Anwendung der Konsensmethode
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Systematisierende Zusammenfassung zum Leuenberger Konzept
als hermeneutisches Verfahren im Umgang mit Verschiedenheiten soll es den Kirchen deshalb ermöglichen, auftretende Differenzen immer wieder gemeinsam am Evangelium zu messen und ihr gemeinsames Zeugnis aus diesem heraus zu erneuern. Überdies ist mit der Verwirklichung auch der Aspekt der Sendung verbunden. Kirchengemeinschaft ist immer auch Zeugnis- und Dienstgemeinschaft in der Welt. Eine möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst und die damit zum Ausdruck kommende Einmütigkeit dienen der Glaubwürdigkeit der Verkündigung und somit auch der weiteren Sammlung, dem Ziel der Sendung.1 Die Konkordie leitet die Kirchen demnach dazu an, ihren Konsens zu intensivieren und zu entfalten, also zu extensivieren. Die Konsensmethode der Konkordie ist also auch zu verstehen als inhaltliches Konzept: Der gefundene Konsens soll einerseits durch bessere Einsichten in einer Lehrfrage aufgrund neuer hermeneutischer Erkenntnisse vertieft werden – im Sinne einer gemeinsamen explikativen Annäherung an den Zeugnisgegenstand. Andererseits wird diese gemeinsame Annäherung erstrebt, indem die Konsensmethode als hermeneutisches Verfahren auch auf weitere Lehrdifferenzen, die nicht kirchentrennend sind, angewandt wird, sodass der zwischenkirchliche Konsens weiter entfaltet wird. Das Modell der Leuenberger Konkordie ist folglich zu verstehen als ein immer wieder anzuwendendes hermeneutisches Verfahren und inhaltliches Konzept zum Denken einer Einheit in der Verschiedenheit der kirchlichen Explikationsformen. Es ist die erklärte Versöhnung und zugleich der Auftrag zu einem wachsenden gemeinsamen Weg dieser Gemeinschaft auf Bewährung.
1 Vgl. LK 29 u. LK 36, Satz 1.
B.
Die Ekklesiologiestudie „Die Kirche Jesu Christi“ – Interpretation und Entfaltung des Leuenberger Modells
Mit der Leuenberger Konkordie wird Kirchengemeinschaft auf Grundlage des gefundenen Konsenses unter den beteiligten Kirchen nicht nur erklärt. Die Erklärung impliziert nach dem Konzept der Konkordie bereits auch die Verwirklichung von Kirchengemeinschaft zwischen den Unterzeichnerkirchen.1 Die vorliegende Untersuchung versteht diese Verwirklichung von Kirchengemeinschaft erstens als fortwährenden hermeneutischen Prozess gemeinsamer explikativer Annäherung an den Zeugnisgegenstand.2 Zweitens wird die Verwirklichung verstanden als ein Prozess inhaltlicher Entfaltung dessen, was im Modell der Konkordie bereits angelegt ist. Dieser Verwirklichungsprozess geschieht in Bindung an das hermeneutische Verfahren der Konkordie.3 Da der Verwirklichungsprozess Teil des Gemeinschaftskonzeptes der Leuenberger Konkordie ist, muss dieser Prozess zur Beantwortung der leitenden Forschungsfrage, was „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ im Sinne der Leuenberger Konkordie bedeutet, berücksichtigt werden. Paradigmatisch für den Verwirklichungsprozess ist die am 9. Mai 1994 in Wien von der vierten Vollversammlung der Leuenberger Kirchengemeinschaft angenommene Ekklesiologiestudie. Die Studie mit dem Titel „Die Kirche Jesu Christi. Der reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über kirchliche Einheit“ wurde von der Vollversammlung ohne Gegenstimme angenommen und 1995 1 Vgl. LK 29. Vgl. auch LK 33 u. 34: Die Erklärung von Kirchengemeinschaft führt zur gegenseitigen Gewährung von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft und beinhaltet die Verpflichtung zum gemeinsamen Dienst. 2 Unter „gemeinsamer explikativer Annäherung“ wird erstens die im Rahmen des hermeneutischen Prozesses gegebene Möglichkeit besserer Erkenntnis, etwa infolge neuer exegetischer Einsichten (vgl. LK 5, Satz 1) verstanden. Zweitens wird hierunter verstanden, dass der gemeinsame Zeugnisgegenstand, das Evangelium, mithilfe des Leuenberer Konzeptes in immer größerer Einmütigkeit von den Kirchen bezeugt wird. 3 Die vorliegende Untersuchung fokussiert als systematisch-theologische Analyse primär die theoretischen Aspekte des Verwirklichungsprozesses der Kirchengemeinschaft. Die praktische Dimension des Verwirklichungsprozesses wird anhand der Kontextualisierung der Kirchenstudie skizziert (vgl. Kap. B 1 der vorliegenden Untersuchung).
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Die Ekklesiologiestudie „Die Kirche Jesu Christi“
veröffentlicht.4 In dieser Studie beschreiben die reformatorischen Kirchen erstmals ihr gemeinsames Verständnis von Kirche und deren Auftrag. Sie erläutern damit den „neuralgischen Punkt“ des ökumenischen Dialogs der Kirchen, der über die Einigung der reformatorischen Kirchen hinausreicht und „an dem das Getrenntsein schmerzlich bewusst wird“5 und der eine weitere Annäherung der Kirchen erschwerte.6 Mit Blick auf den innerevangelischen Dialog wird hiermit ein Thema entfaltet, in dem zwar keine kirchentrennenden Differenzen zu überwinden waren. Es konnte also in der Leuenberger Konkordie bei dem Hinweis auf das Gnaden- und Rechtfertigungsgeschehen im Sinne eines „Konstruktionsprinzip der Ekklesiologie“7 bleiben.8 Dennoch musste sich das reformatorische Kirchenverständnis in den innerevangelischen Lehrgesprächen sowie in den über die innerevangelische Ökumene hinausreichenden Dialogen bewähren.9 Ziel der Kirchenstudie ist es dementsprechend, eine Antwort auf die „Frage nach der Identität und Erkennbarkeit evangelischen Kirchentums“10 zu finden. 4 Die derzeit neueste Ausgabe der bereits 1995 veröffentlichten Studie stammt aus dem Jahr 2012 und dient in der vorliegenden Untersuchung als maßgebliche Quellengrundlage: Bünker, Michael/Friedrich, Martin (Hg.), Die Kirche Jesu Christi. 5 Leipold, Heinrich, Die Leuenberger Kirchenstudie, 73. 6 Vgl. Leipold, Heinrich, Das Modell der Leuenberger Kirchengemeinschaft als Dienst an der Einheit, 113. Vgl. hierzu auch die Hinweise auf die besondere Berücksichtigung der theologischen Kontroversen mit der römisch-katholischen Kirche in den Maßgaben des Lehrgesprächs (vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth [Hg.], Wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst. Reformatorische Kirchen in Europa. Texte der 4. Vollversammlung der Leuenberger Kirchengemeinschaft in Wien, 3. bis 10. Mai 1994, Frankfurt a.M. 1995, 19). Vgl. ferner Hüffmeier, Wilhelm, Einig im Verstehen, zaghaft im Gestalten von Kirchengemeinschaft. Die 4. Vollversammlung der an der Leuenberger Konkordie beteiligten Kirchen 3.–10. Mai 1994, in: Informationes Theologiae Europae 3 (1994), 47–52. 7 Herms, Eilert, Die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie, 20. 8 Vgl. Leipold, Heinrich, Die Leuenberger Kirchenstudie, 73. 9 Während sich in den ersten zwanzig Jahren nach dem Inkrafttreten der Leuenberger Konkordie der Fokus der Kirchen auf der Verwirklichung der erklärten Kirchengemeinschaft innerhalb der Gemeinschaft der involvierten Kirchen richtete, „wendet sich die Leuenberger Gemeinschaft nunmehr mit einem eigenen ökumenischen Einheitsmodell an die am internationalen ökumenischen Dialog insgesamt beteiligten Kirchen“ (Thönissen, Wolfgang, Die Leuenberger Konkordie als ökumenisches Einheitsmodell?, 2). Bereits der Untertitel des Dokumentes Der reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über die kirchliche Einheit weist auf den nunmehr erweiterten Horizont des Lehrgesprächs hin, der „weit über die Selbstverständigung der reformatorischen Kirchen über ihr eigenes Kirchenverständnis hinausgeht“ (Hüffmeier, Wilhelm/Viorel, Ionita, Vorwort der Herausgeber, in: dies., Konsultation zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen [KEK] und der Leuenberger Kirchengemeinschaft [LKG] zur Frage der Ekklesiologie, [LT 8], Frankfurt a.M. 2004, 5f; 5). Gleichwohl hatte bereits die Leuenberger Konkordie den Dienst an der ökumenische Gemeinschaft aller Kirchen als Verpflichtung betont (vgl. LK 46). 10 Hüffmeier, Wilhelm, Erweiterung und Vertiefung. Zum Stand der Arbeit der Leuenberger Kirchengemeinschaft (LKG), in: Informationes theologicae Europae 6 (1997), 11–24; 14.
Interpretation und Entfaltung des Leuenberger Modells
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Es sollen die „ekklesiologischen Grundentscheidungen der Konkordie“ herausgearbeitet werden, um „die Voraussetzungen und die Bedeutung der in der Konkordie erklärten Kirchengemeinschaft weiter zu klären“11. Einerseits rekurrieren die Leuenberger Kirchen mit ihren Überlegungen folglich interpretierend auf die Leuenberger Konkordie. Andererseits weist die Kirchenstudie zugleich über die Konkordie hinaus, indem sie einzelne, in der Konkordie bereits angesprochene Themen weiter entfaltet.12 Die Kirchen explizieren somit erstens nachträglich, was bereits in der Leuenberger Konkordie theoretisch angelegt, jedoch noch nicht inhaltlich eingeholt ist.13 Diese thematische Entfaltung und Vertiefung der in der Konkordie implizit enthaltenen Ekklesiologie ist zweitens die Grundlage für die retrospektive Interpretation des in der Konkordie wirksamen hermeneutischen Verfahrens zur Einigung zwischen bekenntnisverschiedenen Kirchen.14
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Michael Beintker spricht von einer Entfaltung der „impliziten Ekklesiologie“ der Leuenberger Konkordie. Vgl. Beintker, Michael, Evangelische Katholizität. Das Kirchenverständnis der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa, in: Körtner, Ulrich H.J. (Hg.), Kirche – Christus – Kerygma. Profil und Identität evangelischer Kirche(n), NeukirchenVluyn 2009, 81–101; 84. KJC, Geleitwort der Herausgeber, 9–15; 9. Vgl. auch a. a. O., Einleitung, 26–30; 28. Vgl. hierzu KJC, Einführung (zur 1. Auflage 1995), 17–20; 18: „Archimedischer Punkt der Darlegungen [sc. die Darlegungen der KJC] ist die Leuenberger Konkordie (LK) selbst. In ihr sind alle Prinzipien genannt, von denen her reformatorisches Kirchenverständnis so entfaltet werden kann, daß einerseits die Identität der Kirche bewahrt und andererseits auf die Herausforderungen in der Gegenwart eingegangen werden kann. Als die entscheidenden Herausforderungen der Kirchen heute werden im Text die fortbestehenden kirchlichen Trennungen und die Pluralisierung ihrer gesellschaftlichen Kontexte bezeichnet“. Diese Diskrepanz lässt sich damit begründen, dass im Kirchenverständnis zwischen den an der Konkordie beteiligten reformatorischen Kirchen keine kirchentrennende Differenz vorlag, die zur Erklärung von Kirchengemeinschaft überwunden werden musste. Dass auf der praktischen Verwirklichungsebene von Kirchengemeinschaft die Entfaltung des Kirchenverständnisses angegangen wird, lässt sich durch Herausforderungen erklären, die nun von außen an die Kirchengemeinschaft herantreten. Diese Herausforderungen ergaben sich im Laufe des sich wandelnden Kontextes der Leuenberger Kirchengemeinschaft. Vgl. KJC, Einleitung, 26–30. Die Kirchenstudie nennt hierzu zwei Aspekte, die von besonderer Bedeutung sind: Europa und die Ökumene. So ging mit dem wachsenden Europa auch eine zunehmende Pluralisierung unterschiedlicher Bereiche einher, unter anderen des religiösen und des kulturellen. Die Kirchen mussten erst lernen, mit den Herausforderungen der veränderten Kontexte umzugehen. Eine Reflexion über die eigenen Kennzeichen und den eigenen Beitrag in der Gesellschaft wurde von daher umso dringlicher. Aber auch die Entwicklungen in der Ökumene führten zu neuen Herausforderungen. Erst mit dem erweiterten ökumenischen Kontext lag etwa ein Fokus der Betrachtungen auf der Amtsfrage. Entscheidende, in der Kirchenstudie mitbedachte Lehrgesprächsergebnisse sind dabei die TampereThesen sowie die Neuendettelsau-Thesen. Aber auch die ökumenischen Gespräche, die zur „Meissener Gemeinsamen Feststellung“ führten, sowie das sogenannte Lima-Dokument „Taufe, Eucharistie und Amt“ waren von Bedeutung im Erstellungsprozess der Studie. Vgl. hierzu KJC, I.2.5.1.1f, 42–46. Vgl. auch Beintker, Michael, Evangelische Katholizität, 83f. Vgl. hierzu den Aufbau der Kirchenstudie. So wird ausgehend von der Entfaltung der Ek-
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Die Ekklesiologiestudie „Die Kirche Jesu Christi“
Von der Leuenberger Kirchengemeinschaft selbst wird die Kirchenstudie als Lehrgesprächsergebnis zum einen als Text rezipiert, der das evangelische Kirchenverständnis reflektiert.15 Dabei erhebt die Kirchenstudie selbst den Anspruch, in ihrer Tragweite vergleichbar zu sein mit den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils.16 Zum anderen wird die Studie als „maßgebliche Erläuteklesiologie in Kap. I über den pluralistisch geprägten gesellschaftlichen und religiösen Kontext in Kap. II abschließend in Kap. III die Einheit von Kirche und die Einigung von Kirchen besprochen. 15 So stellte der Exekutivausschuss der LKG in einem Gespräch mit dem Präfekten der Glaubenskongregation am 8. Juni 1996 fest, dass im Konsens der Leuenberger Konkordie „alle Elemente enthalten [sind], die für das rechte Verständnis der Kirche, ihres Grundes, ihrer Gestalt und ihrer Bestimmung, ihrer Ämter und Sakramente nötig sind. Sie müssen daraus nur entfaltet werden. Das Kirchendokument zeigt, daß und wie das möglich ist“ (zitiert in: Hüffmeier, Wilhelm, Erweiterung und Vertiefung, 16). 16 Vgl. KJC, Einführung (zur 1. Auflage 1995), 17–20; 17: „Welche Tragweite diese Studie hat, sei durch einen Vergleich mit den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils verdeutlicht“. Was evangelischerseits in einem Dokument beschrieben wird, wird in der römisch-katholischen Kirche in vier Dokumenten behandelt, in der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“, im Ökumenismusdekret „Unitatis redintegratio“, in der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen „Nostra aetate“ sowie in der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“. Nicht nur der damalige Herausgeber der Kirchenstudie, Wilhelm Hüffmeier, vergleicht die Tragweite der Studie zumindest in Bezug auf ihren Inhalt mit den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils. Interessanterweise wird diese Ähnlichkeit auch anhand eines späteren ökumenischen Schriftwechsels zwischen der römisch-katholischen Kirche und einer evangelischen Kirche, der EKD, deutlich. So wurde auf römisch-katholischer Seite in Folge der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ zwischen dem Lutherischen Weltbund und dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen zur nachdrücklichen Erläuterung des römisch-katholischen Selbstverständnisses die Erklärung „Dominus Iesus. Über die Einzigartigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche“ von der Kongregation für die Glaubenslehre am 6. August 2000 veröffentlicht. Mit dieser Erklärung, so die römisch-katholische Perspektive, wird lediglich die Lehre des Zweiten Vatikanums wiedergegeben (vgl. Scheffczyk, Leo, „Unversöhnte Verschiedenheit“. Zum „Votum“ des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland [EKD] „Zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen“, in: Forum katholische Theologie 18 [2002], 47–55; 48). Auf evangelischer Seite wird sodann vom Rat der EKD im Jahr 2001 das Dokument „Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis. Ein Votum zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen“ veröffentlicht. Dieses Votum entstand nicht nur in Reaktion auf die kontroverse Debatte um die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ zwischen dem Lutherischen Weltbund und dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen (GER, abgedruckt in: DwÜ III, 419–437) und reihte sich ein in eine Vielzahl evangelischer Selbstreflexionen dieser Zeit (vgl. u. a. Das Wesen des Christentums in seiner evangelischen Gestalt. Eine Vortragsreihe im Berliner Dom. Mit Beiträgen von Christine Axt-Piscalar, Wolfgang Huber, Eberhard Jüngel, Wolf Krötke und Martin Kruse, Neukirchen-Vluyn 2000; Klaiber, Walter, Gerecht vor Gott. Rechtfertigung in der Bibel und heute, Göttingen 2000; Herms, Eilert, Das Lehramt in den Kirchen der Reformation, in: MdKI 5 [2001], 83–93; Angaben in: Scheffczyk, Leo, Unversöhnte Verschiedenheit, 48, Anm. 5). Auch die Erklärung „Dominus Iesus“ wurde als Herausforderung betrachtet, sich evangelischerseits darüber zu verständigen, „welche Art von Kirchengemeinschaft die evangelischen Kirchen in den ökumenischen Ge-
Interpretation und Entfaltung des Leuenberger Modells
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rung und Weiterentwicklung des Modells von Kirchengemeinschaft, das der Leuenberger Konkordie zugrunde liegt“17, beschrieben. Der Text bildet neben der Leuenberger Konkordie aus Perspektive der Leuenberger Kirchengemeinschaft den „wichtigsten Referenztext“18 der folgenden Lehrgespräche der Kirchengemeinschaft, in denen das theologische Konzept weiter entfaltet und vertieft wird.19 Der Kirchenstudie wird damit sowohl eine für das Miteinander der sprächen und Vereinbarungen anstreben“ (Kirchenamt der EKD [Hg.], Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis. Ein Votum zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen, [EKD-Texte 69], Hannover 2001, 5; vgl. ferner Rainer, Michael J. [Hg.], „Dominus Iesus“. Anstößige Wahrheit oder anstößige Kirche? Dokumente, Hintergründe, Standpunkte und Folgerungen, Münster u. a. 22001). Darüber hinaus sollte mit dem Votum auch „das in den Gliedkirchen der EKD […] diskutierte evangelische Kirchenverständnis einer weiteren Klärung entgegengeführt werden“ (Scheffczyk, Leo, Unversöhnte Verschiedenheit, 48. Vgl. auch Kirchenamt der EKD [Hg.], Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis 5; 11–15). Das Votum versteht sich dabei selbst als authentische Interpretation des Leuenberger Modells, wie es mit der Kirchenstudie entfaltet wird (vgl. a. a. O., 3). Das Votum bringt demnach aus eigener Perspektive nichts wesentlich Anderes zum Ausdruck als das, was bereits mit der Kirchenstudie entfaltet wurde. So wie auf römischkatholischer Seite mit „Dominus Iesus“ zur Erläuterung des eigenen Standpunktes lediglich die Lehre des Zweiten Vatikanums wiedergegeben wird, rezipiert das „Votum“ auf evangelischer Seite zur Erläuterung des eigenen Standpunktes (nach eigener Ansicht) lediglich die Lehre der Kirchenstudie. Folglich wird evangelischerseits der Kirchenstudie in diesem ökumenischen Schriftwechsel ein ähnlicher Status zuerkannt wie katholischerseits den Entscheidungen des Zweiten Vatikanischen Konzils. 17 KJC, Geleitwort der Herausgeber, 9–15; 11. Die Ekklesiologiestudie könnte demzufolge auch als ein Ergebnis der weiteren, über das Konzept der Leuenberger Konkordie hinausgehenden Reflexion über die theologische Identität der Kirchengemeinschaft bezeichnet werden. Wilhelm Hüffmeier bezeichnet die Leuenberger Konkordie in Zusammenhang mit der Ekklesiologiestudie treffend als „produktiven Grundtext“, der zur Entfaltung von in ihrem Konzept angelegten, aber noch nicht explizit behandelten Themen in einem sich zugleich wandelnden Kontext auffordert. Vgl. Hüffmeier, Wilhelm, Erweiterung und Vertiefung, 14. 18 KJC, Geleitwort der Herausgeber, 9–15; 9. 19 Die Beurteilung, dass die Ekklesiologiestudie neben der Leuenberger Konkordie das herausragende Dokument zur verbindlichen Verständigung über die ekklesiologischen Prinzipien darstellt, kann als breiter Konsens angenommen werden. Vgl. hierzu u. a. Beintker, Michael, Evangelische Katholizität, 81; vgl. auch ders., Europa als unabgegoltene Idee, 56. Die Rezeption der Lehrgespräche, die zwischen den Unterzeichnerkirchen der Leuenberger Konkordie geführt wurden, ist obligatorisch für den Eintritt in die Kirchengemeinschaft. Die Kirchenstudie wird in diesem Fall jedoch explizit als Begründung für den Eintritt in die Kirchengemeinschaft herangezogen. Vgl. Leitlinien zur Begründung der Mitgliedschaft in der GEKE, Nr. 5: „Gegenstand der Vereinbarung muss – neben organisatorischen Fragen (Delegiertenzahl, Mitgliedsbeiträge, Teilnahme an Regionalgruppen u. ä.) – immer auch eine Bewertung der nach 1973 durchgeführten Lehrgespräche sein. Deren Ergebnisse sind zwar nicht in gleicher Weise bindend wie die Leuenberger Konkordie, denn sie behandeln Fragen, bei denen verbleibende Differenzen nicht in sich kirchentrennend sind. Aber die teilweise erreichten Übereinstimmungen tragen zur Vertiefung der Kirchengemeinschaft bei“. Zu den kirchenrechtlichen Konsequenzen der Lehrgespräche, die konstitutiv zum Prozess der Vertiefung der Kirchengemeinschaft gehören, vgl. Stiller, Erhard, Rechtliche Aspekte und Konsequenzen der Leuenberger Konkordie, in: ZevKR 40 (1995), 181–216; Munsonius,
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Die Ekklesiologiestudie „Die Kirche Jesu Christi“
Leuenberger Kirchen orientierende Funktion zugeschrieben als auch für den ökumenischen Dialog.20 Die Studie ist also einerseits ausgehend vom Leuenberger Konzept von Kirchengemeinschaft als ein Teil des Verwirklichungsprozesses zu verstehen. Andererseits ist die Kirchenstudie eine gemeinsame nachträgliche Reflexion der Kirchengemeinschaft selbst über das ihr zugrunde liegende Konzept. Mit der Studie, so die Interpretation der vorliegenden Untersuchung, entwerfen die Leuenberger Kirchen ein metakonsensuelles Konzept über ihren Konsens, das heißt über die Konkordie. Die Ekklesiologiestudie wird in der vorliegenden Untersuchung als aussagekräftiges Paradigma konsultiert, um im Rahmen des mit der Konkordie angestoßenen Prozesses von Kirchengemeinschaft die theoretische Entfaltung und Vertiefung dieser Kirchengemeinschaft zu erläutern.21 Der Schwerpunkt der Erläuterung liegt dabei auf der Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie durch die Kirchenstudie.22 Die folgende Analyse der Kirchenstudie ist folgendermaßen gegliedert: Erstens wird die Studie in dem Verwirklichungsprozess von Kirchengemeinschaft, wie er von der Konkordie angestoßen und angeleitet wird, verortet (Kap. B 1). Zweitens werden der Aufbau und die inhaltlichen Schwerpunkte der Kirchenstudie skizziert (Kap. B 2.1). Hieran anschließend wird untersucht, wie die Studie das ekklesiologische Theorem der Leuenberger Konkordie entfaltet (Kap. B 2.2). Diese Entfaltung schildert das Verhältnis des Werkes Gottes und des Handelns Hendrik, Die Erklärung von Kirchengemeinschaft und das Kirchenrecht, in: ZevKR 58 (2013), 78–84. 20 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Versöhnte Verschiedenheit – der Auftrag der evangelischen Kirchen in Europa. Texte der 5. Vollversammlung der LKG in Belfast, 19.–25. Juni 2001, Frankfurt a.M. 2003, 263. Vgl. zum Beschluss vom 9. Mai 1994 epdD 25 (1994), 40: Die beteiligten Kirchen werden gebeten um „Berücksichtigung dieser Aufarbeitung bei ihren ökumenischen Gesprächen und bei ihrer weiteren Arbeit“. Nicht nur von der Leuenberger Kirchengemeinschaft selbst wird die Studie als Beitrag zum ökumenischen Dialog gesehen. Auch im weiteren ökumenischen Kontext, zum Beispiel aus Perspektive der Orthodoxen, wird die Kirchenstudie als „tatsächlich[er] gesamtökumenische[r] Beitrag für die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit“ gewertet. (Larentzakis, Grigorios, Ekklesiologie in der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 91f). 21 Auf die hohe Bedeutung, die dem Lehrgesprächsergebnis auch hinsichtlich seiner Wirkung und Wahrnehmung außerhalb der Leuenberger Kirchengemeinschaft zugesprochen wird, sei hier lediglich verwiesen. Vgl. hierzu die Angaben zu den vielen positiven Rezeptionen in: KJC, Geleitwort der Herausgeber, 9–15; 10–14. Vgl. auch die Ausführungen zum ökumenischen Diskurs in Kap. C 8.2 der vorliegenden Untersuchung. 22 Der in Kapitel zwei der Kirchenstudie behandelte Aspekt der pluralistisch geprägten europäischen Gesellschaft und die damit zusammenhängende Herausforderung zum Dialog mit den Religionen und Weltanschauungen werden in diesem Zusammenhang nicht behandelt, da sie nichts Wesentliches zur Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Konkordie beitragen.
Interpretation und Entfaltung des Leuenberger Modells
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der Menschen mit Blick auf die Ekklesiologie. Sie bildet in der Kirchenstudie die Grundlage der Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Konkordie. Drittens wird die ökumenische Hermeneutik, das Verständnis des Konsenses der Konkordie analysiert (Kap. B 2.3). Kap. B 2.4 fasst die Ergebnisse der Betrachtungen zusammen. Daran anschließend werden fünftens Anfragen an die Interpretation der Kirchenstudie formuliert und eine Gegenüberstellung mit der Interpretation der ökumenischen Hermeneutik durch die vorliegende Untersuchung vorgenommen (Kap. B 2.5).
1.
Kirchengemeinschaft als Verwirklichungsprozess. Eine Kontextualisierung der Ekklesiologiestudie
Die Ekklesiologiestudie entstand erst rund zwanzig Jahre nach der Fertigstellung der Leuenberger Konkordie. Sie ist inmitten eines Prozesses gelebter und sich weiter entfaltender Kirchengemeinschaft zu verorten, der bereits durch unterschiedliche Entwicklungen geprägt war. So wurden innerhalb der Leuenberger Kirchengemeinschaft etwa organisatorische Entscheidungen getroffen, welche der geordneteren Zusammenarbeit dienen sollten. Diese initiierten Gestaltungsprozesse haben Einfluss auf die Sichtbarkeit der Kirchengemeinschaft in der kirchlichen und säkularen Umwelt. Insbesondere die politischen und zivilgesellschaftlichen Transformationsprozesse auf europäischer Ebene wurden von den Kirchen als Herausforderung zu einer sichtbaren Gestaltung ihrer Gemeinschaft gesehen. Außerdem bilden die geschaffenen Strukturen der Gemeinschaft einen Rahmen für die theologischen Lehrgespräche, zu denen auch die Ekklesiologiestudie zählt. Die Lehrgespräche sind das zentrale Instrument der Kirchengemeinschaft, um zum einen die in der Konkordie bereits angelegten Themengebiete zu reflektieren und zu vertiefen. Zum anderen helfen sie der Kirchengemeinschaft, ihr gemeinsames Zeugnis und ihren Dienst auch in einem sich wandelnden Kontext zum Ausdruck zu bringen und auf Grundlage des Evangeliums auf neue Herausforderungen zu antworten.1 Anhand der Dokumentationsbände der vergangenen sieben Vollversammlungen der Unterzeichnerkirchen und der dabei beschlossenen Lehrgespräche und Gestaltungsmaßnahmen wird diese praktische Verwirklichungsdimension von Kirchengemeinschaft im Folgenden in ihren Grundzügen beschrieben.2 1 Vgl. Bünker, Michael, Der europäische Protestantismus, 24f: „Gerade als Lehrgemeinschaft, die sich um die Verständigung der doctrina evangelii im Dialog mit den aktuellen Herausforderungen der Zeit bemüht, zeigt sich der Charakter der GEKE als einer lernenden Organisation“ (Herv. i. O.). 2 Die Kontextualisierung der Ekklesiologiestudie akzentuiert lediglich einige wichtige Aspekte der mehr als vierzigjährigen Entwicklung der Leuenberger Kirchengemeinschaft. Hierzu werden die Entwicklungen erstens aus der Zeitspanne vom Inkrafttreten der Leuenberger
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Kirchengemeinschaft als Verwirklichungsprozess
Hierbei zeigt sich, dass die Ekklesiologiestudie nicht nur durch das Konzept der Konkordie motiviert wurde. Zwei ganz konkrete Entwicklungen im kirchlichen und säkularen Umfeld der Leuenberger Kirchengemeinschaft hatten ebenfalls Einfluss auf die Erarbeitung der Kirchenstudie. Erstens wurde aufgrund der Entwicklungen im ökumenischen Umfeld die Notwendigkeit theologischer Profilierung des Leuenberger Modells gesehen. Zweitens sah sich die Leuenberger Kirchengemeinschaft durch das zusammenwachsende Europa zu einer hörbaren gemeinsamen Stimme herausgefordert.
1.1
Von der Leuenberger Konkordie zur Ekklesiologiestudie
Die Arbeit der Leuenberger Kirchengemeinschaft, in deren Rahmen die Kirchenstudie entstand, konzentrierte sich zu Beginn auf die inhaltliche Arbeit an den Lehrgesprächen, die bereits durch die Konkordie motiviert wurden. Außerdem bestimmten erste organisatorische Entscheidungen die Debatten der Kirchengemeinschaft: Nachdem im Jahr 1973 auf der Delegiertenversammlung auf dem Leuenberg die Leuenberger Konkordie verabschiedet worden war, wurde ein Fortsetzungsausschuss zur Einberufung und Begleitung der theologischen Lehrgespräche der Unterzeichnerkirchen eingesetzt. Diese Lehrgespräche sollten auf Delegiertenversammlungen, den späteren Vollversammlungen, organisiert und koordiniert werden. Zwei Jahre nach Inkrafttreten der Konkordie wurde in Sigtuna (Schweden) 1976 die erste Delegiertenversammlung organisiert, an der Delegierte von über 50 evangelischen Kirchen Europas und Beobachter anderer Konfessionen sowie Vertreter skandinavischer Kirchen teilnahmen.3 Auf der Versammlung wurde ein Koordinierungsausschuss eingesetzt, dessen Aufgabe in der Organisation von Lehrgesprächen in vier Regionen Europas bestand. An diesen Regionalkonsultationen nahmen Delegierte der Kirchen teil.4 Ihre Aufgabe bestand zum einen Konkordie bis zur Entstehung der Kirchenstudie und zweitens von der Verabschiedung der Ekklesiologiestudie auf der vierten Vollversammlung 1994 in Wien bis zur siebten Vollversammlung 2012 in Florenz dargestellt. Eine detaillierte Beschäftigung mit der praktischen Dimension des Verwirklichungsprozesses von Kirchengemeinschaft ist entsprechend der methodologischen Vorüberlegungen der vorliegenden Untersuchung nicht beabsichtigt. 3 Zur Delegiertenversammlung vgl. Lienhard, Marc (Hg.), Zeugnis und Dienst. Die Wahl des Ortes für die erste Versammlung ist bemerkenswert, da die schwedische Kirche damals und bis heute nicht zu den Signatarkirchen der Konkordie zählt. 4 Die Lehrgesprächsarbeit wurde zunächst auf regionale Gruppen verteilt, „die eine engere Nachbarschaft und einen intensiven Austausch ermöglichen“ (Schlussbericht, in: Lienhard, Marc [Hg.], Zeugnis und Dienst, 154). Bei der Bildung der Gruppen wurde eine möglichst breite Mischung zwischen Mehr- und Minderheitskirchen, konfessioneller Traditionen und gesellschaftlicher Situationen angestrebt.
Von der Leuenberger Konkordie zur Ekklesiologiestudie
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darin, traditionelle Lehrgegensätze zu bearbeiten, und zum anderen darin, über aktuelle Fragen und Herausforderungen, die sich für die Kirchen im europäischen Kontext ergaben, zu beraten.5 Die Rezeption solcher Lehrgesprächsergebnisse durch die Unterzeichnerkirchen geschah und geschieht auf weiteren Vollversammlungen, auf denen die Ergebnisse der Lehrgesprächsgruppen diskutiert werden, der Beschluss über ihre allgemeine Rezeption durch die Kirchengemeinschaft gefällt wird und zukünftige Lehrgesprächsthemen festgelegt werden.6 Aus dem Bericht der Versammlung in Sigtuna ist der sogenannte „Bericht der Arbeitsgruppe VII“ hervorzuheben, der außerhalb der Tagesordnung erarbeitet und entgegengenommen wurde.7 Mit diesem Bericht reagierten die der Konkordie zustimmenden Kirchen auf die insbesondere von Vertretern der finnischen Kirche im Plenum aufgeworfenen Fragen zur Interpretation der Leuenberger Konkordie.8 Dabei wurden drei Fragenkomplexe behandelt, erstens die Konsensmethode in der Leuenberger Konkordie, zweitens die Unterscheidung und Zuordnung von wahrer Einheit der Kirche, Kircheneinheit und Kirchengemeinschaft und drittens Kirche und Bekenntnis.9 In diesen Fragenkomplexen 5 So notiert Wenzel Lohff, dass in diesem größeren europäischen Kontext „die traditionellen theologischen Themen eine Wendung genommen [haben], in der gegenwärtige Existenzfragen von Kirche und Welt zur Sprache kommen“ (Lohff, Wenzel, Leuenberg hat sich gelohnt. Nachwirkung der Konkordie, in: LM 19 [1980], 4–5; 5). 6 Vgl. Lohff, Wenzel, Art. Leuenberger Konkordie, in: TRE XXI, 33–36; 35. 7 Vgl. Lienhard, Marc (Hg.), Zeugnis und Dienst, 158–163. 8 Die Fragen der finnischen Vertreter wurden am 10. Juni 1976 vor dem Plenum gestellt. Inhaltlich werden im Wesentlichen diejenigen Kritikpunkte aufgeworfen, die später detailliert von Tuomo Mannermaa entfaltet werden (vgl. Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg). Vgl. hierzu Kap. C 1.1 der vorliegenden Untersuchung. Die finnische Kirche ist bis heute nicht der Leuenberger Kirchengemeinschaft beigetreten und hat lediglich einen „Beobachterstatus“. 9 Vgl. Lienhard, Marc (Hg.), Zeugnis und Dienst, 158. Mit den Themenfeldern der Erläuterungen werden auch Themen der vorliegenden Untersuchung angesprochen. Die Beantwortung der Fragen in Sigtuna hat jedoch nicht zu ihrer abschließenden Klärung geführt (vgl. Kap. C 1.1 der vorliegenden Untersuchung). Zur Methode der Konsensbildung betont der Bericht, dass diese weder mit einer Unionsbildung vergleichbar sei, noch auf eine solche abziele. Aufgabe der Lehrgespräche sei demnach nicht die Schaffung einer „umfassenden Verkündigungsgemeinschaft“, sondern die Vertiefung des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums zwischen den beteiligten Kirchen. Kirchengemeinschaft sei „insofern […] auf eine umfassendere Verkündigungsgemeinschaft hin angelegt“ (a. a. O., 159, Herv. v. J.G.). Ebenso wird festgestellt, dass sich die Arbeit an der Konkordie von Beginn an „methodisch an die innerhalb der EKD geführten lutherisch-reformierten Gespräche (1968–1970) an[lehnte]. Ausgangspunkt waren und sind die Kriterien nach CA VII“ (ebd.). Folglich sei der Vorwurf eines methodischen Bruchs zwischen dem Vorentwurf von 1971 (Cartigny) und dem Entwurf für eine Konkordie (1971) sowie des abschließenden Textes von 1973 unzutreffend (vgl. ebd.). In Bezug auf die Frage zur Einheit und Gemeinschaft konstatiert der Bericht zunächst, dass Trennungen zwischen Kirchen „angesichts der in Christus vorgegebenen und von ihm gewollten Einheit der Kirche ein Skandalon und eine Belastung für die Glaubwürdigkeit des
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Kirchengemeinschaft als Verwirklichungsprozess
wurden Einzelfragen berücksichtigt, die auch auf den folgenden Versammlungen diskutiert wurden. Dies waren die Frage nach einer verbindlichen Interpretation der Leuenberger Konkordie sowie die Frage nach der Funktion der angestrebten Lehrgespräche. Das erste der beiden Lehrgespräche, die von den Kirchen für die weitere Zusammenarbeit in Auftrag gegeben wurden, sollte die Zwei-Reiche-Lehre und die Lehre von der Königsherrschaft Jesu Christi behandeln.10 Das Lehrgespräch bot einen ersten gemeinsamen Ansatz, in der Konkordie implizit enthaltene ekklesiologische Einsichten zu erläutern. So wurden Aussagen über den Grund und Auftrag von Kirche sowie die Eschatologie gemacht.11 Das zweite der seit der Versammlung in Sigtuna geführten Lehrgespräche beschäftigte sich mit dem
Zeugnisses“ (a. a. O., 160) seien. Trennungen müssen also ebenso wie Kirchengemeinschaften vor der Wahrheit verantwortet werden. Die Begriffe „wahre Einheit der Kirche“ sowie „die eine Kirche Jesu Christi“ werden in LK 2 und 34 gebraucht. Sowohl die wahre Einheit als auch die eine Kirche Jesu Christi seien creatura verbi und folglich durch keine Konkordie zu bewirken. Die Konkordie sei jedoch auf die Einheit ausgerichtet und solle „die Voraussetzungen für eine Gemeinschaft im Hören auf das [Einheit bewirkende] Wort schaffen“ (ebd.). Kircheneinheit im Sinne organisatorischer Einheit ist im Konzept der LK nicht angelegt, wird jedoch auch nicht ausgeschlossen. Im Verhältnis zu diesen beiden Erläuterungen wird das Verständnis von Kirchengemeinschaft beschrieben. Diese kann weder die wahre Einheit der Kirche bewirken, noch zielt sie auf eine Kirchenvereinigung. Kirchengemeinschaft wird bestimmt als gegenseitige Gewährung von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft sowie als das Streben nach möglichst großer Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst (LK 29), sie ist „Verkündigungsgemeinschaft im Zentralen“, Gemeinschaft bisher voneinander getrennter Kirchen, gemeinsame Teilhabe an der einen Kirche Jesu Christi und „prozessuale Gemeinschaft“, die auf „Vertiefung und Stärkung der gewonnenen Gemeinschaft angelegt“ ist (Lienhard, Marc [Hg.], Zeugnis und Dienst, 161f). Eine so verstandene Kirchengemeinschaft muss sich stets bewähren anhand der Prüfung des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums am Zeugnis der Heiligen Schrift. Der Bericht klärt auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Konkordie und den Bekenntnissen: „Die Konkordie verweist auf die Bekenntnisse und ist ihnen verpflichtet, die Bekenntnisse verweisen auf das Evangelium und sind diesem verpflichtet. Die Konkordie ist verbindlich, soweit sie bekenntnis- und evangeliumsgemäß ist, die Bekenntnisse sind verbindlich, soweit sie evangeliumsgemäß sind“ (a. a. O., 163). Letzte Instanz bleibt also immer die Heilige Schrift. 10 Dies wurde bereits in der Konkordie als Thema für zukünftige Lehrgespräche genannt, vgl. LK 39, Thema 5. Vgl. Lienhard, Marc (Hg.), Zeugnis und Dienst, 145–148. Das Ergebnis wurde auf der Vollversammlung in Driebergen rezipiert. Vgl. Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Kirchengemeinschaft reformatorischer Kirchen im Europa der Gegenwart. Texte der Konferenz von Driebergen/Niederlande (18. bis 24. Februar 1982), Frankfurt a.M. 1993, 39–51. 11 Entscheidend ist hierbei die Überzeugung, dass der Zeugnisauftrag der Christen in der Welt als Antwort auf das Heil Gottes in Jesus Christus verstanden wird, Gott allein die Verheißung seines kommenden Reiches erfüllt und dem Menschen lediglich eine Mitverantwortung für die Bewahrung und Gestaltung der Welt zugedacht wird, nicht jedoch der Auftrag zur Verwirklichung des Heils des Menschen. Vgl. hierzu Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Kirchengemeinschaft, 39–51.
Von der Leuenberger Konkordie zur Ekklesiologiestudie
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Thema „Amt – Ämter – Dienste – Ordination“, es konnte jedoch erst auf der Vollversammlung 1987 in Straßburg abgeschlossen werden.12 Im Jahr 1981 fand in Driebergen (Niederlande) bereits das zweite, nun „Vollversammlung“ genannte Treffen von Delegierten der Kirchen statt.13 Auf der Vollversammlung wurde unter anderem etwas thematisiert, was die Unterzeichnerkirchen der Konkordie noch lange beschäftigen sollte. So wurden die Lehrgesprächsergebnisse von den Kirchen zwar durchaus zur Kenntnis genommen. Die Rezeption beschränkte sich jedoch vielfach auf die Ebene von Kirchenleitungen und theologischen Expertenkommissionen. Eine Wahrnehmung auf Gemeindeebene oder in der weiteren wissenschaftlichen Öffentlichkeit blieb meist aus.14 Die noch junge Gemeinschaft der Unterzeichnerkirchen stand also vor der Herausforderung, die Rezeption ihrer gegenseitigen theologischen Annäherungen und gemeinsamen Entfaltungen auch in anderen Bereichen zu fördern. Darüber hinaus wurde die Frage nach der Verbindlichkeit der Lehrgesprächsergebnisse sowie dem Verhältnis der Leuenberger Gemeinschaft zur weltweiten Ökumene gestellt.15 Ebenso wurde nach weiteren Möglichkeiten ge12 Vgl. Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Kirchengemeinschaft, 52–76. Seinen vorläufigen Abschluss fand das Lehrgespräch zur Amtsthematik mit den sogenannten Tampere-Thesen von 1986 sowie den Neuendettelsau-Thesen von 1982/86. Vgl. hierzu Birmelé, André, Konkordie und Ökumene. die Leuenberger Kirchengemeinschaft in der gegenwärtigen ökumenischen Situation. Texte der Konferenz von Straßburg (18. bis 24. März 1987), Frankfurt a.M. 1988, 61–77. Das Thema „Amt und Ordination“ wurde ebenfalls bereits in der Konkordie angeregt (vgl. LK 39, Thema 4). Es musste dort jedoch nicht entfaltet werden, insofern es trotz aller Divergenzen zwischen Lutheranern und Reformierten niemals kirchentrennende Wirkung hatte. Beide Seiten ordnen das ordinierte Amt dem Kirche begründenden Wort Gottes unter und erachten es „nicht unmittelbar als Garant für das wahre Sein der Kirche“ (Beintker, Michael, Die Studie „Die Kirche Jesu Christi“ aus evangelischer Sicht, 59). Das Gesprächsthema wurde erneut aufgegriffen in dem 2006 auf der Vollversammlung in Budapest in Auftrag gegebenen Lehrgespräch „Amt, Ordination, Episkopé“. 13 Zur Dokumentation der Vollversammlung von Driebergen vgl. Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Kirchengemeinschaft. 14 Erst mit der späteren Leuenberger Freiheitsschrift wurden gemeindepädagogische Hinweise zu einer besseren Rezeptionslage gegeben. Vgl. hierzu Hüffmeier, Wilhelm (Hg.), Das christliche Zeugnis von der Freiheit. Texte und gemeindepädagogische Zugänge zu den Texten, (LT 5), Frankfurt a.M. 1999, 187–238. Auch der Abdruck einiger Passagen der Leuenberger Konkordie im evangelischen Gesangbuch sollte die gemeinsamen Fortschritte, die auf europäischer Ebene gemacht wurden, der kirchlichen Öffentlichkeit auf Gemeindeebene vermitteln. Hüffmeier und Schwier nennen als Ursache für die mangelhafte Rezeption das Dilemma, einerseits „theologische Probleme des 16. Jahrhunderts mithilfe theologischer Fachsprache […] klären“ zu müssen, andererseits jedoch solche theologischen Texte „auch in der kirchlichen Öffentlichkeit zu vermitteln“ (Hüffmeier, Wilhelm/Schwier, Helmut, Kirchengemeinschaft als Lehrgemeinschaft. Das protestantische Ökumene-Modell der Leuenberger Kirchengemeinschaft, Reader zur EKD Synode 2000. [https://www.ekd.de/interna tional/berichte/2000/oekumene_reader2000_07.html]). 15 Zur Frage der Verbindlichkeit vgl. Vischer, Lukas, Konkordie und Kirchengemeinschaft – Erwartungen fu¨ r die Zukunft, in: Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Kirchengemein-
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Kirchengemeinschaft als Verwirklichungsprozess
sucht, wie die erklärte Kirchengemeinschaft sichtbarer gestaltet werden könnte.16 Für die weitere Lehrgesprächsarbeit wurde angeregt, an dem in Sigtuna in Auftrag gegebenen Thema „Amt und Ordination“ weiterzuarbeiten und dieses insbesondere in ein Verhältnis zur Studie der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung „Eine Taufe – Eine Eucharistie – Ein Amt“, also in den weiteren ökumenischen Kontext zu stellen.17 Überdies sollte an den Themen „Verhältnis von Gesetz und Evangelium“ sowie „Fragen der Taufpraxis“ gearbeitet werden.18 Die Zeit bis zur dritten Vollversammlung in Straßburg 1987 war folglich insbesondere geprägt durch die Arbeit an theologischen Lehrgesprächen. Viele Fragen, etwa die nach einer gemeinsamen Struktur der Kirchengemeinschaft und der Rezeption der Lehrgesprächsergebnisse blieben jedoch noch ungeklärt. Wichtige Klärungen für die Zusammenarbeit innerhalb der Kirchengemeinschaft brachte erst die Vollversammlung in Straßburg.19 So wurde der Name „Leuenberger Kirchengemeinschaft“ als Bezeichnung der Gemeinschaft der Unterzeichnerkirchen seit der Vollversammlung „ohne formellen Beschluss langsam eingebürgert“20. Zudem wurde der Beschluss gefasst, die Struktur der Kirchengemeinschaft zu erweitern.21 Die Vollversammlung wurde institutiona-
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schaft, 92–107; 102–105. Zum Verhältnis zur weltweiten Ökumene vgl. Gassmann, Gu¨ nther, Die Leuenberger Lehrgespräche und der umfassendere ökumenische Dialog – Zur Frage der Kompatibilität von Lehrgesprächen im Rahmen der Arbeit von Glauben und Kirchengemeinschaft, in: Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Ökumene, 112–126. Vgl. ferner: Reformatorische Kirchen und ökumenische Bewegung; epdD 49a (1984), auch abgedruckt in: Geldbach, Erich, Ökumene in Gegensätzen, (BenshH 66), Göttingen 1987; vgl. auch Nussberger, Cornelia (Hg.), Wachsende Kirchengemeinschaft. Gespräche und Vereinbarungen zwischen evangelischen Kirchen in Europa, Bern 1992, 155–167; 165f. So schlug Lukas Vischer etwa die Gründung eines Rates vor, mit welchem die Konkordie personell vertreten werden sollte. Der Vorschlag wurde damals noch abgelehnt, später jedoch realisiert. Vgl. Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Kirchengemeinschaft, 105f. Anton Houtepen sieht die ausbleibenden großen Veränderungen nach Inkrafttreten der Leuenberger Konkordie darin begründet, dass mit der Konkordie etwas beschrieben wurde, was bereits seit längerem Realität war. Vgl. Houtepen, Anton, Konkordie und Kirchengemeinschaft – Reformatorische Kirchen auf dem Weg zu einer effektiveren Kirchengemeinschaft?, 77–80. Vgl. Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Kirchengemeinschaft, 113. Die Studie der Kommission des ÖRK wurde 1982 bekannt als Lima-Erklärung. Vgl. Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Kirchengemeinschaft, 112f. Vgl. zur Konferenz von Straßburg: Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Ökumene. Bünker, Michael, Einleitung, in: Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (2013), 5– 18; 14. Zur Institutionalisierung wurde, wie bereits ähnlich in Driebergen, betont, dass sie nur soweit erforderlich sei, wie sie zur Verwirklichung von Kirchengemeinschaft nötig sei (vgl. zu Driebergen Birmelé, André [Hg.], Konkordie und Kirchengemeinschaft, 112. Zu Straßburg vgl. Birmelé, André [Hg.], Konkordie und Ökumene, 147). Die Leuenberger Konkordie legt hierzu bereits fest, dass organisatorische Folgerungen sich an der Dienlichkeit für gemeinsames Zeugnis und Dienst zu messen haben und dabei die lebendige Vielfalt der Verkündigungsweisen sowie die Minoritätskirchen nicht einschränken dürfen, vgl. LK 44f.
Von der Leuenberger Konkordie zur Ekklesiologiestudie
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lisiert und periodisiert. So regelte nun ein festgelegtes Verfahren die Entsendung von Delegierten auf die von nun an im Abstand von etwa sechs Jahren stattfindenden Vollversammlungen.22 Ebenso wurde der bisherige Koordinierungsausschuss in „Exekutivausschuss“ umbenannt und um drei Personen erweitert. In der Verantwortung des Exekutivausschusses lag es, zwischen den Vollversammlungen „die Verbindung zu den beteiligten Kirchen [zu halten] und […] sich um ein gemeinsames Vorgehen der Kirchen in Fragen von Zeugnis und Dienst“23 zu bemühen. Auch sollte der Exekutivausschuss die Lehrgespräche koordinieren sowie den Dialog mit Nichtunterzeichnerkirchen der Leuenberger Konkordie auswerten.24 Der Ausschuss wurde von nun an durch einen geschäftsführenden Präsidenten repräsentiert und das Amt des vom Exekutivausschuss zu berufenden Sekretärs wurde satzungsmäßig verankert. Von Bedeutung war zudem die Entscheidung, dass die Lehrgesprächsarbeit der Kirchen zukünftig nicht mehr zwingend in festen Regionalgruppen stattfinden sollte, sondern erstmals auch in Projektgruppen organisiert werden konnte.25 Auch der Aspekt der Funktion und Rezeption der Lehrgespräche wurde, wie bereits zuvor in Driebergen, auch auf dieser Vollversammlung ausführlich thematisiert. Diesmal konnte jedoch ein Stellungnahmeverfahren beschlossen werden.26 Die zwei in Driebergen angeregten Lehrgesprächsthemen zu Taufe und Amt, die in der Regionalgruppe Südeuropa erarbeitet wurden, wurden zwar in Thesen aufgenommen, aber zur Weiterbearbeitung für die darauffolgende Vollversammlung empfohlen.27 Die in diesem Zusammenhang entstandenen „Tampere-Thesen“, aber auch die sogenannten „Neuendettelsau-Thesen“ waren ein erstes Ergebnis des innerevangelischen Klärungsprozesses der Amtsfrage. Sie trugen, obwohl die Amtsthematik einige Jahre später noch einmal aufgenommen wurde, maßgeblich dazu bei, dass nun ein ekklesiologisches Thema neu in Auftrag gegeben wurde.28 So zeigte sich auf der Vollversammlung 1987 deutlicher denn je, dass Fragen in Zusammenhang mit dem Amt, der Ordination und der Episkopé zu Fragen „von höchster ökumenischer Bedeutung und Tragweite“29 wurden. Hierfür entscheidend waren zum einen das sogenannte Lima-Doku22 23 24 25 26
Vgl. Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Ökumene, 148. Scharbau, Friedrich-Otto, Einheit in versöhnter Verschiedenheit, 74. Vgl. Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Ökumene, 148. Vgl. a. a. O., 149. Vgl. zu Driebergen: Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Kirchengemeinschaft, 108. Zu Straßburg vgl. ders. (Hg.), Konkordie und Ökumene, 147–149. 27 Vgl. Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Ökumene, 146f. 28 Vgl. Beintker, Michael, Die Studie „Die Kirche Jesu Christi“ aus evangelischer Sicht, 59. Der erste Teil der Tampere-Thesen, das heißt deren theologische Grundaussagen, wurde ungekürzt in dem späteren Ergebnis des neu beschlossenen ekklesiologischen Themas, der Ekklesiologiestudie von 1994, aufgenommen. Vgl. KJC, I.2.5.1.1, 42–45. 29 Beintker, Michael, Die Studie „Die Kirche Jesu Christi“ aus evangelischer Sicht, 59.
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Kirchengemeinschaft als Verwirklichungsprozess
ment von 1982 „Taufe, Eucharistie und Amt“.30 Zum anderen spielten die damals begonnenen Gespräche, die 1988 zur „Meissener Gemeinsamen Feststellung“ der Kirche von England, dem Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR und der Evangelischen Kirche in Deutschland führen sollten, eine große Rolle.31 Darüber hinaus entstand erst in dieser Zeit ein Bewusstsein für die Frage, „welche Rückwirkungen die unterschiedlichen bi- und multilateralen Verhandlungen der konfessionsverschiedenen Kirchen auf die Leuenberger Kirchengemeinschaft haben würden“32. So widmete sich auch eine der Lehrgesprächsgruppen der Reflexion über die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Leuenberger Modell und der weltweiten Ökumene.33 Sie stellte fest, „dass die reformatorischen Kirchen gemeinsame Aussagen über die Bedeutung der Kirche für die Vermittlung des Heils, über die Gestalt der Kirche und die Bedingungen ihrer Verfassung sowie über ihre Ämter“34 machen sollen, weil Fragen der Ek30 Vgl. Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Ökumene, 15–50; 39. Vgl. zum Lima-Dokument: Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK, „Taufe, Eucharistie und Amt“ (1982). Konvergenzerklärungen („Lima-Dokument“), in: DwÜ I, 545–585. 31 Zur Meissener Gemeinsamen Feststellung vgl. DwÜ III, 732–748. 32 Beintker, Michael, Die Studie „Die Kirche Jesu Christi“ aus evangelischer Sicht, 59f. 33 Vgl. die Stellungnahme der Regionalgruppe „Berlin“ in: Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Ökumene, 15–50. 34 Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Ökumene, 15–50; 38. Deutlich wird dies insbesondere am lutherisch/römisch-katholischen Dialog dieser Zeit. Dieser widmete sich bereits seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in einer Studienkommission des Lutherischen Weltbundes und des Vatikans ekklesiologischen Fragen. In drei Phasen fanden hierzu Gespräche statt. Diese führten 1972 zum sogenannten Malta-Bericht „Das Evangelium und die Kirche“, in dem über „die Bedeutung des Evangeliums für die Überlieferung, die Welt, das kirchliche Amt und die Einheit der Kirchen“ reflektiert wurde (Stellungnahme des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes zum Dokument „Die Apostolizität der Kirche“, 1). In der zweiten Phase (1978–1984) erarbeitete die Gemeinsame Römisch-katholisch/Evangelisch-lutherische Kommission die Themen „Eucharistie“ und „kirchliches Amt“. Die Gespräche führten zu insgesamt vier gemeinsamen Dokumenten. Mit dem Dokument „Das Herrenmahl“ (1978) wurden Überlegungen zur Eucharistie formuliert. 1981 erschien der Bericht „Das geistliche Amt in der Kirche“, das sich der Amtsfrage widmete. Die Frage, welches Verständnis kirchlicher Gemeinschaft gemeinsam verfolgt wurde, wurde in den Dokumenten „Wege zur Gemeinschaft“ (1980) und „Einheit vor uns“ (1984) bearbeitet. Die Ergebnisse wurden in Deutschland reserviert aufgenommen. Schließlich wurde die dritte Gesprächsphase 1993 mit dem Dokument „Kirche und Rechtfertigung“ abgeschlossen. In diesem Dokument wurde der Frage nachgegangen, wie „ein Konsens in der Rechtfertigungslehre – auch wenn er differenziert ist – […] sich ekklesiologisch bewähren [kann]“ (Gemeinsame Römisch-katholische/Evangelisch-lutherische Kommission, Kirche und Rechtfertigung. Das Verständnis von Kirche im Licht der Rechtfertigungslehre, Bericht, in: DwÜ III, 317–418; 320). Der darin postulierte Konsens in der Rechtfertigungslehre sollte 1999 mit der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ entfaltet und mit der „Gemeinsamen Offiziellen Feststellung“ samt Annex in Augsburg von beiden Seiten rezipiert werden. Die späteren Gespräche führten 2006 zu dem Dokument „Die Apostolizität der Kirche“ und 2013 zu: Lutherisch/Römisch-katholische Kommission für die Einheit, Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017, Bericht, Leipzig/Paderborn 22013.
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klesiologie in den ökumenischen Gesprächen von wachsender Bedeutung seien. Außerdem hatte sich die Leuenberger Konkordie dem Thema der Ekklesiologie lediglich implizit über die Aufnahme von CA VII als Leitgedanke gewidmet. Folglich wurde es als nötig erachtet, dass die „reformatorischen Kirchen eigenständig auf die Weiterentwicklung der Lehre von der Kirche in diesem ökumenischen Gespräch antworten“ und somit über die bloße „Wiederholung traditioneller Aussagen“35 hinausgehen. Dieser gewandelte ökumenische Kontext und die damit verbundenen neuen ökumenischen Erfahrungen und Verbindungen einzelner Mitgliedskirchen führten zu der Beauftragung eines Lehrgesprächs zu den „Kennzeichen der Kirche als der von Jesus Christus berufenen und gesandten Gemeinschaft – der reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über die kirchliche Einheit“36. Das Ergebnis dieses Lehrgesprächs ist die Ekklesiologiestudie, die 1994 von der Vollversammlung angenommen wurde. Mit dieser Studie hofften die Kirchen, „die auf ekklesiologische bzw. ekklesiologisch relevante Einzelthemen Die Kommentierung des Dokumentes von 2013 durch den Grundlagentext der EKD 2014 (Kirchenamt der EKD [Hg.], Rechtfertigung und Freiheit. 500 Jahre Reformation 2017, Gütersloh 42015), der eher als evangelische Selbstbesinnung zu lesen ist, war wiederum Anlass zu teilweise heftiger Kritik von Seiten der Katholiken. Auch außerhalb des ökumenischen Kontextes entstanden Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema der Ekklesiologie. Vgl. hierzu die Angaben bei Thönissen, Wolfgang, Die Leuenberger Konkordie als ökumenisches Einheitsmodell?, 1, Anm. 1. Dass die Themen „Kirche“ und „Rechtfertigung“ zur Entstehungszeit der Leuenberger Kirchenstudie auch in anderen ökumenischen Gesprächen von zentraler Bedeutung waren und gemeinsam erörtert werden mussten, zeigen weitere Dialogergebnisse aus dieser Zeit. Zentrale Gesprächsgegenstände waren sie u. a. im katholisch-lutherischen Dialog in den USA, dessen Ergebnis „Justification by faith“ 1983 publiziert wurde (in deutscher Übersetzung bei Meyer, Harding/Gassmann, Günther [Hg.], Rechtfertigung im ökumenischen Dialog, [Ökumenische Perspektiven 12], Frankfurt a.M. 1987, 107–199). Der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen in der Bundesrepublik Deutschland verabschiedete 1986 im Rahmen der Überprüfung der Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts die Studie „Die Rechtfertigung des Sünders“ (Lehmann, Karl/Pannenberg, Wolfhart [Hg.], Lehrverurteilungen – kirchentrennend?, Bd. I [Rechtfertigung, Sakramente und Amt im Zeitalter der Reformation und heute], [DiKi 4], Freiburg [Brsg.]/Göttingen 21987, 35–75). 1991 veröffentlichte die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung ein Dokument zum Thema Kirche mit dem Titel „Kirche und Welt. Die Einheit der Kirche und die Erneuerung der menschlichen Gemeinschaft“. Das wechselseitige Verhältnis von Kirche und Rechtfertigung wird thematisiert im Dialogergebnis „Das Heil und die Kirche. Gemeinsame Erklärung der Zweiten Anglikanisch/Römisch-katholischen Internationalen Kommission 1986 (ARCIC II)“, in: DwÜ II, 333–347, im Reformiert/Römisch-katholischen Dialogergebnis von 1990 (Internationaler reformiert/römisch-katholischer Dialog, Zweite Phase 1984–1990, Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis von Kirche, in: DwÜ II, 623–676) und im bereits erwähnten lutherisch-katholischen Dialogergebnis „Kirche und Rechtfertigung“ von 1993. Vgl. Löser, Werner, Die Leuenberger Kirchenstudie aus katholischer Sicht, 262. 35 Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Ökumene, 15–50; 39. 36 A. a. O., 149. Vgl. ferner Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst, 183.
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Kirchengemeinschaft als Verwirklichungsprozess
spezialisierten ökumenischen Dialoge im Horizont der sie tragenden Rahmenlehre zu verstehen“37. Mit dem in der Kirchenstudie entfalteten ökumenischen Einheitsmodell der Leuenberger Konkordie wendet sich die Leuenberger Kirchengemeinschaft explizit auch „an die am internationalen ökumenischen Dialog beteiligten Kirchen“38. Außer dem Lehrgespräch zur Ekklesiologie sollte zudem erstmals ein ethisches Thema, „Das christliche Zeugnis von der Freiheit“39, bearbeitet werden. Neben dem Thema der Ökumene erlangte in der Zeit zwischen den beiden Vollversammlungen von Straßburg 1987 und Wien 1994, in der die Ekklesiologiestudie erarbeitet wurde, noch ein weiterer Aspekt eine immer größere Bedeutung und Aktualität für die Leuenberger Kirchengemeinschaft und ihre Zusammenarbeit: Europa. So führte der Fall des „Eisernen Vorhangs“ zu einer neuen Aktualität des Themas Europa und brachte politische und gesellschaftliche Veränderungen mit sich. Diese waren zur Zeit der dritten Vollversammlung in Straßburg 1987, als die weitere Arbeit beschlossen wurde, noch nicht im Blick. Sie waren aber in der darauf folgenden Arbeit in den Projektgruppen und in der Südeuropagruppe ab 1989 „im Grunde bei allen Themenbereichen zu berücksichtigen“40. Sollte das neue Europa nicht bloßer „Echoraum des Wortes Gottes“, sondern „gestaltfähiger Lebensraum“41 sein, so mussten die evangelischen Kirchen ihrer Verpflichtung zu gemeinsamem Zeugnis und Dienst mehr als bisher Ausdruck geben, um in der Polyphonie der Stimmen in Europa nicht unterzugehen. Dieser Appell, der von der 1992 nach Budapest einberufenen Evangelischen Europäischen Versammlung aus an die Vollversammlung der Leuenberger Kirchengemeinschaft gerichtet wurde, hatte eine evangelische Synode im Sinn, wie sie bereits ganz ähnlich im Frühjahr 1990 von Reinhard Frieling angeregt 37 38 39 40
Beintker, Michael, Die Studie „Die Kirche Jesu Christi“ aus evangelischer Sicht, 60. Thönissen, Wolfgang, Die Leuenberger Konkordie als ökumenisches Einheitsmodell?, 2. Hüffmeier, Wilhelm (Hg.), Das christliche Zeugnis von der Freiheit. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst, 183. Vgl. hierzu KJC, Einleitung, 26–30; 26f und a. a. O., III.2.3, 73f: „Am schwierigsten hat sich bisher das Bemühen um Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst angesichts der Herausforderungen unserer Zeit gestaltet. Dies ist seit 1989 besonders dringend geworden“. Vgl. hierzu und über die europäische Dimension als Rahmen kommentierend Grigorios Larentzakis: „Dies ist richtig damit begründet, dass eben in den letzten Jahren, vor allem nach 1989 die soziopolitischen Umwälzungen in Europa, bzw. in Süd-, Südost- und Osteuropa vollzogen sind, die die Kirchen vor neue Herausforderungen gestellt haben. Tatsächlich wird nun die Frage sehr intensiv gestellt: Welchen Beitrag können die Kirchen dabei leisten, welche Hoffnungen und Erwartungen hegen die Menschen auch bei ihren alltäglichen, gesellschaftlichen Problemen an die Kirchen? Dass dabei die Klarstellung, was und wer die Kirche ist, sinnvoll und notwendig ist, ist evident“ (Larentzakis, Grigorios, Ekklesiologie in der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 92). 41 Luibl, Hans Jürgen, Protestantismus im Übergang: 25 Jahre Leuenberger Konkordie, in: Orientierung 62 (1998), 98–102; 99. Vgl. Jüngel, Eberhard, Das Evangelium und die evangelischen Kirchen Europas, in: epdD 17 (1992), 43–66.
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wurde.42 Der Forderung nach einer sichtbareren Gestalt, nicht jedoch nach einer Synode, schloss sich der Exekutivausschuss der Leuenberger Kirchengemeinschaft anlässlich des 20. Jahrestages der Leuenberger Konkordie im März 1993 an.43 Er empfahl der Vollversammlung in Wien, über eine von ihm vorgelegte konkrete Definition der Funktionen der Vollversammlung abzustimmen und den Exekutivausschuss „in verstärktem Maß zum ständigen Organ der Leuenberger Kirchengemeinschaft“44 werden zu lassen. Wollten die Kirchen Europa mitgestalten, sei es außerdem nötig, die direkte Anknüpfung an die Geschichte sowie an politische wie gesellschaftliche Institutionen zu suchen, um die eigene Mitwirkung an der Gestaltung Europas zu fördern.45 Der Arbeitsumfang der Vollversammlung in Wien 1994 hatte sich somit im Unterschied zur vorherigen Vollversammlung deutlich erweitert. Mit den gewachsenen Ansprüchen an die Gemeinschaft war jedoch gleichzeitig auch der Zuspruch zur Leuenberger Konkordie gestiegen.46 Die Leuenberger Kirchenge-
42 Vgl. Europäische Evangelische Versammlung, Beschluss über die Nacharbeit, in: epdD 17 (1992), 5; vgl. Frieling, Reinhard, Europa und die Kirchen – Plädoyer für eine Europäische Evangelische Synode, in: MdKI 41 (1990), 47–51. Auch Peter Beier und Paolo Ricca sprachen sich für die Schaffung einer europäischen Synode aus. Der Vorschlag wurde allerdings insbesondere von den skandinavischen Unterzeichnerkirchen abgelehnt. Gründe für die Ablehnung sind u. a. die unterschiedlichen kirchlichen Leitungs- und Mitspracheformen. So kennt etwa die Dänische Volkskirche keine synodalen Strukturen. Zur Diskussion des Themenfeldes vgl. Christoph, Joachim E., Interessenvertretung der evangelischen Kirchen bei der Europäischen Union, in: ZevKR 47 (2002), 249–263; 257; Schwier, Helmut, Europäische Präsenz des Protestantismus, Zum Selbstverständnis der Leuenberger Kirchengemeinschaft, in: Evangelische Theologie 60 (2000), 473–478; 477f; Rusterholz, Heinrich, Verbindliche Ökumene! Wegleitende Projektarbeit der Leuenberger Kirchengemeinschaft, in: Informationes theologicae Europae 9 (2000), 153–165; 155–157. 43 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst, 163. 44 A. a. O., 166. 45 Vgl. Luibl, Hans Jürgen, Protestantismus im Übergang, 99. Diese Auffassung vertrat auch Karl Barth bereits 1946 in seinem Vortrag „Die christliche Verkündigung im heutigen Europa“, 11–24. Es muss in diesem Zusammenhang jedoch daran erinnert werden, dass die Leuenberger Kirchengemeinschaft noch vor ihrer verstärkt europäischen Ausrichtung eine über die geographischen Grenzen Europas hinausgehende, bis nach Lateinamerika reichende Gemeinschaft war. 46 So war die Leuenberger Kirchengemeinschaft bis zur Zeit der Vollversammlung in Wien bereits auf 86 Mitgliedskirchen gewachsen. Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, ChristineRuth (Hg.), Wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst, 193. Der Bericht des Sekretariats auf der Vollversammlung 2001 nennt im Rekurs abweichend hiervon 90 Unterzeichnerkirchen. Er scheint sich dabei auf den Stand vom März 1995, wie er im Berichtsband der 4. Vollversammlung abschließend aufgenommen wird, zu beziehen. Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Versöhnte Verschiedenheit, 318.
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meinschaft traf auf wachsende Zustimmung „gerade auch als eine Ebene der theologischen Verständigung im Dialog“47. Die Vollversammlung in Wien nahm drei Lehrgesprächsergebnisse an.48 Zum einen wurden die beiden Beratungsergebnisse der Regionalgruppe Südeuropa „Zur Lehre und Praxis der Taufe“ sowie „Zur Lehre und Praxis des Abendmahls“ angenommen.49 Zum anderen wurde die in Straßburg in Auftrag gegebene Projektgruppenarbeit zum ekklesiologischen Thema „Die Kirche als die von Jesus Christus berufene und gesandte Gemeinschaft – der reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über die kirchliche Einheit“, die Kirchenstudie, angenommen.50 Aus der Lehrgesprächsarbeit zur Frage nach dem „Christlichen Zeugnis von der Freiheit“ gingen zwei Studien hervor. Diese sollten in der Weiterarbeit zum Thema „Gesetz und Evangelium“ aufgenommen werden.51 Ebenso wurde vom Exekutivausschuss ein Dokument über die Bedeutung bilateraler Dialoge und Erklärungen für die Leuenberger Kirchengemeinschaft verabschiedet. So wurde es angesichts der ökumenischen Entwicklungen als notwendig erachtet, dass verschiedene interkonfessionelle Dialoge miteinander kompatibel sein sollten, damit bereits erreichte Ziele nicht „durch eine Unvereinbarkeit mit anderen ökumenischen Gesprächen“52 wieder gefährdet würden. Auch sollten erreichte Erklärungen zur Kirchengemeinschaft zwischen einzelnen Kirchen in der Leuenberger Kirchengemeinschaft bedacht werden und zur Erklärung von Kirchengemeinschaft zwischen den Unterzeichnerkirchen der Konkordie und vor allem der Evangelisch-methodistischen Kirche führen.53 So 47 Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst, 184. 48 Vgl. a. a. O., 258f. 49 Das Beratungsergebnis zum Thema der Taufe sollte, so der Wunsch der Vollversammlung in Straßburg, vor der endgültigen Abstimmung überarbeitet werden und wurde folglich erst in Wien beschlossen. Die Abendmahlsthematik hatte dieselbe Regionalgruppe zwischen den Vollversammlungen von Driebergen und Straßburg selbst gewählt. 50 Die Erstellung der Ekklesiologiestudie fand nach einer Vorbereitungstagung 1989 in Bergkirchen, Deutschland, zunächst während vier Konsultationen der Projektgruppe statt: 1989 in Villigst, Deutschland, 1990 in Driebergen, Niederlande, 1991 in Breklum, Deutschland, und 1992 in Sandbjerg, Dänemark. Eine abschließende Textfassung wurde aufgrund der eingegangenen Stellungnahmen im Dezember 1993 in Sigtuna, Schweden, erarbeitet (vgl. KJC, Vorwort, 24f). 51 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst, 258. 52 Gassmann, Günther, Die Leuenberger Lehrgespräche und der umfassendere ökumenische Dialog, 117. 53 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst, 188f. Ein Impuls zu der Erweiterung der Leuenberger Kirchengemeinschaft um die Methodistische Kirche ging bereits 1992 von der Europäischen Evangelischen Versammlung aus. Dabei wurde auch die Anglikanische Kirche mitbedacht. Mit der Aufnahme der Methodistischen Kirche sollte für alle Unterzeichnerkirchen formal geregelt
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wurden die beteiligten Kirchen gebeten, der Erklärung zur Kirchengemeinschaft mit den Methodisten zuzustimmen.54 Ebenso sollte in Zukunft der Dialog mit der Kirche von England weitergeführt werden und darüber hinaus das Verhältnis zwischen der Kirchengemeinschaft nach dem Verständnis des Porvoo-Dokumentes und dem der Leuenberger Konkordie reflektiert werden.55 Für die weitere Arbeit der Leuenberger Kirchengemeinschaft wurden von der Vollversammlung in Wien drei Lehrgesprächsthemen in Auftrag gegeben: Erstens sollte das Thema „Gesetz und Evangelium“ insbesondere hinsichtlich der Urteilsfindung in ethischen Fragen und unter Berücksichtigung der Studien zur Freiheit weiterbearbeitet werden. Zweitens wurde das Thema „Kirche, Staat und Nation“, insbesondere im Sinne eines Beitrags zur geplanten Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung 1997 aufgenommen werden. Drittens wurde das in der Ekklesiologiestudie noch unzureichend behandelte Thema „Kirche und Israel“ in Auftrag gegeben.56 Die gemeinsame Arbeit sollte in gesamteuropäischen Projektgruppen und in Regionalgruppen wahrgenommen werden. Neben dem Thema der theologischen Weiterarbeit, die sich insbesondere an den ökumenischen Herausforderungen orientierte, widmete sich die Vollversammlung den bereits in den Jahren nach Straßburg dringender werdenden werden, was in vielen der Mitgliedskirchen bereits damals Realität war: die Kirchengemeinschaft mit den Methodisten. 54 Vgl. a. a. O., 259. 55 Das Porvoo-Dokument war – neben der „Meissener Gemeinsamen Feststellung“ – von großer Bedeutung für die Gespräche zwischen der Leuenberger Kirchengemeinschaft und der Kirche von England. Das Porvoo-Dokument war jedoch auch von Bedeutung für das Verhältnis zwischen der Leuenberger Kirchengemeinschaft und den skandinavischen Kirchen, welche die Leuenberger Konkordie bislang nicht unterzeichnet hatten, da „volle Kirchengemeinschaft“ nach dem Verständnis der nordischen Kirchen den Konsens im Amtsverständnis mit einschließt. Die Amtsfrage wurde in der Konkordie jedoch nicht explizit thematisiert. Erst die Tampere- und die Neuendettelsauer Thesen sowie die diese Thesen berücksichtigende Ekklesiologiestudie beschäftigten sich ausdrücklich mit der Amtsfrage und wurden demnach als vielversprechender Anknüpfungspunkt für weitere Gespräche mit den nordischen Kirchen gesehen. Dies sollte sich bereits im Jahr 1999 durch den Beitritt der Kirche von Norwegen bestätigen. Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst, 192f. Vgl. auch a. a. O., 263; vgl. ferner Hüffmeier, Eberhard, Wie viel Verschiedenheit verträgt die Einheit der Kirche? Beobachtungen zu den Gemeinsamen Feststellungen von Meissen und Porvoo – mitsamt einer Erklärung des Exekutivausschusses der Leuenberger Kirchengemeinschaft anlässlich des 25. Jahrestages der Leuenberger Konkordie, in: Informationes Theologiae Europae 8 (1999), 11–25. 56 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst, 262. Vgl. auch KJC (1995), I.3.1, 37, Anm. 3: „Das Verhältnis von Juden und Christen, Israel und der Kirche bedarf weiterer Lehrgespräche zwischen den an der Leuenberger Kirchengemeinschaft beteiligten Kirchen. Es ist deshalb von der Vollversammlung 1994 zu einem der drei neuen Lehrgesprächsthemen bestimmt worden“. In der Ausgabe von 2012 wird diese Anmerkung ersetzt durch den Hinweis auf das Lehrgespräch zu Kirche und Israel, vgl. KJC, I.3.1, 49, Anm. 7.
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Herausforderungen durch Europa nach der Wende. Herausgefordert durch die großen Veränderungen im europäischen Kontext beschloss die Vollversammlung zudem hinsichtlich der Struktur und der weiteren Arbeit der Leuenberger Kirchengemeinschaft, dass Zeugnis und Dienst der Gemeinschaft in Europa deutlich gestärkt werden sollten.57 Hierzu sollte die Vernetzung mit bestehenden regionalen und europäischen Einrichtungen gefördert werden. Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei im gemeinsamen Zeugnis und Dienst den Minderheitskirchen gewidmet werden, da diesen im internationalen Kontext eine zunehmende Marginalisierung drohe.58 Außerdem wurden von der Vollversammlung weitere Präzisierungen hinsichtlich der bestehenden Struktur und der Funktionen des Exekutivausschusses und der Präsidenten vorgenommen, mit dem Ziel, „zu aktuellen und relevanten Fragen der Gestaltung des zusammenwachsenden Europas die Stimme der reformatorischen Kirchen deutlicher als bisher vernehmbar [zu gestalten]“59. Die detaillierte Betrachtung der Entwicklungen seit Inkrafttreten der Leuenberger Konkordie 1974 bis zur Verabschiedung der Ekklesiologiestudie auf der Vollversammlung 1994 macht auf Folgendes aufmerksam: Die Konkordie setzte einen Prozess in Gang, der durch die gemeinsame theologische Weiterarbeit der Unterzeichnerkirchen sowie durch eine Vielzahl organisatorischer Entscheidungen der noch jungen Gemeinschaft geprägt war. Im Vordergrund standen vor allem Fragen, welche die Zusammenarbeit der Kirchen innerhalb der Kirchengemeinschaft betrafen. So wurde etwa über die gemeinsame Struktur und die Rezeption der Lehrgespräche beraten. Die Lehrgespräche orientierten sich an den Themenvorschlägen aus der Konkordie. Erst durch den Wandel im europäischen und ökumenischen Kontext fällte die Gemeinschaft Entscheidungen, die insbesondere ihr Verhältnis zu diesem äußeren Rahmen betrafen.60 So war es seit der Vollversammlung 1994 möglich, dass die Leuenberger Kirchengemeinschaft, vertreten durch ihren Exekutivausschuss, zu aktuellen wichtigen Fragen Stellungnahmen veröffentlichen konnte. Die Stärkung von Zeugnis und Dienst durch eine gemeinsame Stimme in der europäischen Öffentlichkeit wurde mit der Wende 1989 als besonders dringlich erachtet, um einer Marginalisierung der evangelischen Kirchen in einem wachsenden Europa ent57 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst, 197. 58 Vgl. a. a. O., 261. 59 A. a. O., 268. Der Forderung nach einer gesamteuropäischen Synode wurde eine Absage erteilt. Vgl. a. a. O., 191. 60 Vgl. Luibl, Hans Jürgen, Protestantismus im Übergang, 99. Luibl spricht von zwei Fragestellern an die Leuenberger Kirchengemeinschaft, Europa und die Ökumene, das heißt die Frage nach der Mitwirkung der Protestanten am „gemeinsamen Haus Europa“ sowie die Frage der Ökumene nach sichtbaren Zeichen protestantischer Kirche.
Wegpunkte der Kirchengemeinschaft seit der Ekklesiologiestudie
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gegenzusteuern und im demokratischen Prozess der Meinungsbildung mitzuwirken. Die Vielzahl ökumenischer Vereinbarungen, in die auch Mitgliedskirchen der Leuenberger Kirchengemeinschaft involviert waren, verdeutlichte zudem die Notwendigkeit einer gemeinsamen theologischen Selbstverortung im ökumenischen Diskurs. Dabei mussten insbesondere Themen berücksichtigt werden, die im weiteren ökumenischen Rahmen noch kirchentrennende Bedeutung hatten. Die Ekklesiologiestudie entstand somit zu einer Zeit, in der sich Europa in einem tiefgreifenden Wandel befand und die evangelischen Kirchen vor der Herausforderung standen, ihre Stimmen in diesem „neuen“ Europa gemeinsam zu Gehör zu bringen. Auch der ökumenische Kontext führte zu der Frage nach einer Verstärkung des kirchlichen Charakters, nach sichtbaren Zeichen evangelischer Kirche und ihrer Repräsentation, stets konfrontiert mit der damit einhergehenden Gefahr einer institutionellen und organisatorischen Verengung des Protestantismus. 20 Jahre nach Inkrafttreten der Leuenberger Konkordie stand die Leuenberger Kirchengemeinschaft damit vor der Aufgabe, sich im weiteren Prozess der Selbstreflexion in Bindung an ihr Gründungsdokument theologisch genauer zu definieren und ihr Verhältnis zur Welt, ihre Gestalt und ihren Auftrag zu bestimmen, um somit auch ihre ekklesiologische Identität als Kirchengemeinschaft zum Ausdruck zu bringen.
1.2
Zentrale Wegpunkte der Kirchengemeinschaft seit der Ekklesiologiestudie
Die Bedeutung der Ekklesiologiestudie für die weitere Lehrgesprächsarbeit der Kirchen sowie für den ökumenischen Kontext war auf der Vollversammlung 1994 kaum vorhersehbar. Erst in der weiteren Entwicklung der Leuenberger Kirchengemeinschaft zeigt sich die einzigartige Stellung der Kirchenstudie innerhalb der Vielzahl der Lehrgespräche. Anhand der folgenden Betrachtungen soll gezeigt werden, dass durch die ökumenischen Verbindungen der Leuenberger Kirchengemeinschaft die Beantwortung von Fragen dringlich wird, die im interkonfessionellen ökumenischen Dialog von Bedeutung sind. Darüber hinaus muss die Gemeinschaft in diesem Zusammenhang ihr ekklesiologisches Selbstverständnis klären, um in der Ökumene als identifizierbarer Gesprächspartner auftreten zu können.61 Zum anderen soll herausgestellt werden, dass „Europa“ 61 Vgl. hierzu das auf der Vollversammlung in Florenz 2012 in Auftrag gegebene Lehrgespräch zum Thema „Kirchengemeinschaft“ und die diesem Lehrgespräch vorausgehenden Diskussionen, etwa in Arnoldshain 2010 (vgl. zum Lehrgespräch Bünker, Michael/Jaeger, Bernd [Hg.], Frei für die Zukunft. Texte der 7. Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer
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Kirchengemeinschaft als Verwirklichungsprozess
von der Kirchengemeinschaft immer stärker als eine zweifache Herausforderung wahrgenommen wird. Es ist die Herausforderung zum gemeinsamen Zeugnis und Dienst und somit der Anspruch einer Abstraktion von der Vielzahl der Stimmen, um zu einer gemeinsamen Stimme zu gelangen. Mit dieser Herausforderung wird der Charakter der Kirchengemeinschaft als Lehr- und Lerngemeinschaft nun noch deutlicher als bisher erkennbar. „Europa“ ist jedoch auch die umgekehrte Herausforderung an die Gemeinschaft, Strukturen und Wege zu finden, um diese Abstraktionsebene auf die Ebene der einzelnen Mitgliedskirchen zurückzuführen. Sowohl die Frage nach dem ekklesiologischen Selbstverständnis als auch die Frage der Repräsentanz verweisen auf das ungeklärte Thema der Verbindlichkeit der Gemeinschaft und ihrer Äußerungen. Die zu den genannten Aspekten maßgeblichen Entwicklungen werden im Folgenden aufgezeigt. Die weitere Zusammenarbeit der Leuenberger Kirchen kann als ein gemeinsamer Prozess steten Austarierens zwischen der Tendenz zur Kirchwerdung einerseits und lebendiger Differenzökumene andererseits gesehen werden.62 Die Ekklesiologiestudie ist ein besonderer Schritt innerhalb dieses Prozesses. Sie entwickelte sich in der Zeit nach der vierten Vollversammlung neben der Leuenberger Konkordie zu dem bedeutendsten Referenztext der Leuenberger Kirchengemeinschaft, auf den sich sowohl die folgende theologische Weiterarbeit als auch die ökumenischen Dialoge bezogen.63 Die Zeit nach der vierten Vollversammlung in Wien brachte viele Veränderungen mit sich, die insbesondere auf eine größere Sichtbarkeit und Handlungsfähigkeit der Kirchengemeinschaft zielten sowie deren Verbindlichkeit stärken sollten. So wurde die Publikationsarbeit der Kirchengemeinschaft nach der 1993 veröffentlichten dreisprachigen Neuausgabe der Leuenberger Konkordie über eine zweisprachige Publikationsreihe „Leuenberger Texte“ fortgeführt, deren Auftakt die Ekklesiologiestudie bildete. Da die Leuenberger Kirchengemeinschaft bisher keine Rechtsform hatte, gab sich der Exekutivausschuss 1995 eine Geschäftsordnung. Somit sollte ein Mindestmaß an Verbindlichkeit und Handlungsfähigkeit erreicht werden.64 Zudem nahm der Exekutivausschuss,
Kirchen in Europa GEKE in Florenz, Italien, 20. – 26. September 2012, Leipzig 2013, 64–67. Zur Diskussion im Vorfeld vgl. Die GEKE als Gemeinschaft von Kirchen. Dokumentation der Beiträge zur Konsultation der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau mit der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa [GEKE] vom 15. – 19. September 2010 im Martin-Niemöller-Haus, Arnoldshain, epdD 50/51 [2010]). 62 Vgl. Luibl, Hans Jürgen, Protestantismus im Übergang, 101. 63 Zur großen Bedeutung der Ekklesiologiestudie für die Wiederaufnahme ökumenischer Gespräche, insbesondere mit der anglikanischen Kirche sowie der römisch-katholischen Kirche, vgl. Hüffmeier, Wilhelm, Erweiterung und Vertiefung, 14. 64 Bisher hatte die Leuenberger Kirchengemeinschaft keine Rechtsform. Die einzige Verbind-
Wegpunkte der Kirchengemeinschaft seit der Ekklesiologiestudie
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wie es von der Vollversammlung in Wien 1994 beschlossen war, bereits Stellung zu unterschiedlichen kirchlichen und politischen Ereignissen.65 So stimmte er etwa der neu entstandenen Charta Oecumenica im April 2001 zu.66 Somit gab er der ökumenischen Zusammenarbeit der Leuenberger Kirchengemeinschaft eine lichkeit bildete die Leuenberger Konkordie. Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, ChristineRuth (Hg.), Versöhnte Verschiedenheit, 320. 65 Vgl. hierzu die Erklärung des Exekutivausschusses der Leuenberger Kirchengemeinschaft anlässlich des 25. Jahrestages der Verabschiedung der Leuenberger Konkordie: Leuenberg – Meißen – Porvoo. Modelle kirchlicher Einheit aus der Sicht der Leuenberger Konkordie, in: Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Versöhnte Verschiedenheit, 258–267. Vgl. ferner die Ausführungen zum Mandat der Leuenberger Kirchengemeinschaft (a. a. O., 268–273) sowie das Votum für den Entwurf der Charta der Grundrechte der EU, insbesondere für die Verankerung der korporativen Religionsfreiheit im Juni 2000. Vgl. a. a. O., 300. 66 Die Charta Oecumenica ist ein gemeinsam erarbeitetes Dokument der KEK und des Rates der Europäischen Bischofskonferenz (CCEE). Die Charta enthält Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit zwischen den Kirchen in Europa. In Auftrag gegeben wurde sie durch die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung 1997 in Graz. Am 22. April 2001 wurde sie in Straßburg von dem Präsidenten der KEK, Metropolit Jéremie, und vom Präsidenten der CCEE, Kardinal Vlk, unterzeichnet. Zur Charta Oecumenica vgl. u. a. Frieling, Reinhard, Evangelischer Bund und Charta Oecumenica. Leitlinien für die Zusammenarbeit der Kirchen in Europa, in: Amt und Gemeinde 54 (2003), 122–128; ders., Neue Hoffnung auf die Ökumene? Die Charta Oecumenica als Impuls für die Kirchen in Europa, in: Schönemann, Friederike/Massen, Thorsten (Hg.): Prüft alles und das Gute behaltet. Frankfurt a.M. 2004, 17–40; ders., Die Charta Oecumenica als Verpflichtung oder Empfehlung? Ihre Rezeption in Europa, in: US 63 (2008), 11–20; Heider-Rottwilm, Antje, Charta Oecumenica – Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa, in: KJ 2001, Lieferung 1, Gütersloh 2004, 108–132; dies., Europa mitgestalten. Die Charta Oecumenica der Kirchen Europas, in: Dill, Ricarda (Hg.), Im Dienste der Sache. Liber amicorum für Joachim Gaertner, Frankfurt a.M. u. a. 2003, 299–306; Ionita, Viorel/Numico, Sarah (Hg.), Charta Oecumenica. A Text, a Process and a Dream of the Churches in Europe, Geneva 2003; Kappes, Michael, Die „Charta Oecumenica“ und ihre Bedeutung für die ökumenische Arbeit in Deutschland, in: Verantwortete Exegese. Hermeneutische Zugänge, exegetische Studien, systematische Reflexionen, ökumenische Perspektiven, praktische Konkretionen, (FS Franz Georg Untergaßmair), Berlin/Münster 2006, 397–412; Klän, Werner, Zur „Charta Oecumenica“, in: Lutherische Theologie und Kirche 25 (2001), 202–207; Larentzakis, Grigorios, Europa ein menschliches Gesicht geben: einige persönliche Gedanken zur „Charta Oecumenica“ aus der Sicht eines orthodoxen Theologen, in: ÖR 52 (2003), 58–68; Lodberg, Peter, Die Charta Oecumenica als Problem der Rechtstheologie und Kirchenverfassung. Eine dänische Perspektive, in: ZevKR 47 (2002), 197–203; Mey, Peter de, Ecumenism in Europe: the „Charta Oecumenica“, in: In God’s hands. Essays on the Church and ecumenism in honour of Michael A Fahey, S.J., Leuven u. a. 2006, 227–246; Müller, Wolfgang W., Die Charta Oecumenica als Chance für die Christen und Christinnen in Europa?, in: Cath(M) 57 (2003), 1– 12; Noble, Tim u. a. (Hg.), Charting Churches in a Changing Europe: Charta Oecumenica and the Process of Ecumenical Encounter, Rodopi 2006; Numico, Sarah, Die Charta Oecumenica und die aktuelle ökumenische Situation, in: US 58 (2003), 111–118; Pirson, Dietrich, Rechtliche Implikationen der Charta Oecumenica, in: ZevKR 50 (2005), 307–323; Sattler, Dorothea, Charta Oecumenica: Gedanken zur Fortführung ihrer Rezeption nach der Unterzeichnung in Berlin 2003, in: ÖR 53 (2004), 67–81; Voss, Gerhard, Kommentierende Anmerkungen zur Charta Oecumenica der Kirchen in Europa, in: US 56 (2001), 186–207 u.v.m.
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im größeren ökumenischen Kontext anerkannte Orientierung. Die Kooperation mit der Konferenz Europäischer Kirchen wurde verstärkt. Infolgedessen entstand auch die Möglichkeit eines neuen Dialogs mit den orthodoxen Kirchen.67 Die fünfte Vollversammlung in Belfast im Juni 2001 befasste sich schwerpunktmäßig zum einen mit den Ergebnissen der theologischen Weiterarbeit seit der Vollversammlung in Wien und zum anderen mit dem Thema „Zeugnis und Dienst“ und der dabei zu erörternden Frage der Präsenz der Leuenberger Kirchengemeinschaft in Europa – ein Anliegen, das spätestens mit dem Symposium anlässlich des 25jährigen Bestehens der Leuenberger Konkordie 1998 in Straßburg auf der Tagesordnung stand.68 Von den auf der Vollversammlung in Wien in Auftrag gegebenen Lehrgesprächen wurden von der fünften Vollversammlung zwei angenommen. Dies waren das Lehrgesprächsergebnis der Projektgruppe zu den christlich-jüdischen Beziehungen „Kirche und Israel“69 sowie das Ergebnis der Regionalgruppe Süd-Südosteuropa „Kirche, Volk, Staat, Nation“70. Das dritte 67 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Versöhnte Verschiedenheit, 312. Das Gespräch zu den orthodoxen Kirchen war in mehrfacher Weise geboten. Erstens führte die politische Öffnung nach Osten auch zu einer verstärkten Kontaktaufnahme zu den dortigen Kirchen (vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Ionita, Viorel, Bericht über die „Konsultation zur Frage der Ekklesiologie“ der Konferenz Europäischer Kirchen und der Leuenberger Kirchengemeinschaft, in: dies. [Hg.], Konsultation zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen [KEK] und der Leuenberger Kirchengemeinschaft [LKG] zur Frage der Ekklesiologie, [LT 8], Frankfurt a.M. 2004, 141–148; 142). Zweitens verlangte eine engere Zusammenarbeit mit der KEK das ökumenische Gespräch mit den in ihr vertretenen orthodoxen Kirchen. Drittens war das Gespräch mit den orthodoxen Kirchen dringend geboten, da gerade in Kirchen aus postkommunistischen Staaten im Osten Europas das Verhältnis zu den orthodoxen Kirchen belastet war. Vgl. Hoburg, Ralf, Vielfalt der Identitäten: 25 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft, in: DtPfrBl 7 (1998), 412–413; 413. 68 Zur Vollversammlung vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Versöhnte Verschiedenheit. Vgl. auch Vgl. Hoburg, Ralf, Vielfalt der Identitäten, 412: „Ein gesellschaftspolitisches Engagement im zusammenwachsenden Europa und vielleicht der Wille, in Zukunft stärker die Interessen der reformatorischen Kirchen aktiv wahrzunehmen, ist ein neuer Zug der Leuenberger Kirchengemeinschaft“. 69 Vgl. Schwier, Helmut (Hg.), Kirche und Israel. Ein Beitrag der reformatorischen Kirchen Europas zum Verhältnis von Christen und Juden, (LT 6), Frankfurt a.M. 2001. Das Lehrgespräch ist eine Ausführung dessen, was in der Ekklesiologiestudie angesprochen wurde, aber noch nicht weiter entfaltet werden konnte (vgl. Hüffmeier, Wilhelm [Hg.], Die Kirche Jesu Christi. Der reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über die kirchliche Einheit, [LT 1], Frankfurt a.M. 1995, I.3.1, 37, Anm. 3). So wird in der Ekklesiologiestudie in Zusammenhang mit dem Wesen der Kirche von derselben als „Volk Gottes“ gesprochen. Es wird somit die Selbstbezeichnung des Volkes Israel aufgenommen. Dieser Zusammenhang machte eine Erläuterung des Verhältnisses zwischen Kirche und Israel nötig. Das Lehrgespräch klärt darüber auf, „was heute über die Beziehung zwischen Kirche und Israel und die Zusammenarbeit von Christen und Juden auf der Basis der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments und der kirchlichen Lehre gesagt werden kann“ (Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth [Hg.], Versöhnte Verschiedenheit, 388). 70 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm (Hg.), Kirche-Volk-Staat-Nation. Ein Beitrag zu einem schwierigen Verhältnis, (LT 7), Frankfurt a.M. 2002. Das Lehrgespräch wurde motiviert aus den
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in Auftrag gegebene Lehrgespräch zu Gesetz und Evangelium war noch nicht bereit zur Veröffentlichung, wurde jedoch nach der Vollversammlung zum Stellungnahmeverfahren freigegeben. Besondere Bedeutung kam auf der Vollversammlung dem Thema der Stärkung der evangelischen Stimme in Europa zu, mit der „die theologischen und ethischen Aspekte und die humanitären Konsequenzen politischer Entscheidungen aus der Sicht des Evangeliums […] in der europäischen Öffentlichkeit zur Sprache und zu Gehör“71 gebracht werden sollten. So wurde zum einen über die institutionelle Stärkung und Weiterentwicklung der Gestalt der Leuenberger Kirchengemeinschaft beraten, um die Zusammenarbeit der Kirchen untereinander zu fördern und die Verbindlichkeit der Gemeinschaft, ihrer Stellungnahmen und der Lehrgespräche zu erhöhen. Zum anderen wurde erneut der Gedanke einer europäischen Synode geäußert. Als „Weg zu mehr Verbindlichkeit und Stärkung der Gemeinschaft“72 sollte er zwar weiter diskutiert werden, der Exekutivausschuss erteilte jedoch bereits im Vorfeld der Vollversammlung der Forderung nach einer gesamteuropäischen Synode eine Absage. Begründet wurde diese damit, dass zunächst die Beteiligung der einzelnen Kirchen gestärkt und die Gemeinschaft untereinander lebendiger werden solle.73 Um die Sichtbarkeit der Leuenberger Kirchengemeinschaft auf europäischer Ebene nach außen zu verbessern und ihre Vernetzung in der weiteren Ökumene zu fördern, sollte die Kooperation mit der KEK vertieft werden.74 Eine Stärkung von sichtbaren Strukturen sollte mit Blick auf deren Bedeutung für die Zusammenarbeit innerhalb der Kirchengemeinschaft in der weiteren theologischen Arbeit der Kirchen reflektiert werden. Auch die Sichtbarkeit der Gemeinschaft in der europäischen Öffentlichkeit und der internationalen Ökumene sollte dabei berücksichtigt werden. Hierzu wurde das Lehrgespräch „Gestalt und Gestaltung evangelischer Kirchen in einem sich verändernden Europa“ in Auftrag gegeben, um Kriterien der Gestaltung und das Verhältnis von Fragen der Gestaltung zur Verwirklichung und weiteren Vertiefung von Kirchenge-
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Erfahrungen in verschiedenen Regionen Europas nach den politischen Veränderungen von 1989. Es behandelt das theologische Verständnis des Verhältnisses von Kirche, Volk, Staat und Nation und den möglichen Beitrag der protestantischen Kirchen zum Aufbau demokratischer Staatsformen und zum Integrationsprozess Europas (vgl. Hüffmeier, Wilhelm/ Müller, Christine-Ruth [Hg.], Versöhnte Verschiedenheit, 84). Das Lehrgesprächsergebnis führt aus, dass sich kirchliche Identität nicht allein aus dem theologischen Selbstverständnis ergebe, sondern in enger Verbindung auch mit historischen und regionalen Faktoren stehe, die bei der Verständigung zwischen den Kirchen als Identitätsparameter zu berücksichtigen seien. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Versöhnte Verschiedenheit, 385. A. a. O., 14. Vgl. Friedrich, Martin, 30 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft, 75. Vgl. ferner Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Versöhnte Verschiedenheit, 301. Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Versöhnte Verschiedenheit, 386.
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meinschaft zu diskutieren.75 Das Lehrgespräch hat, obwohl es keine vergleichbar große Beachtung findet wie die Ekklesiologiestudie, beträchtliches Bedeutungspotential für die weitere Entwicklung der Kirchengemeinschaft, da hierin die Relevanz der sichtbaren Gestalt der Gemeinschaft und die Wirkung „nichttheologischer“76 Faktoren auf den Gestaltungsprozess der Kirchen reflektiert werden. Das Dialogergebnis kann insofern als wichtige Ergänzung und Präzisierung der Ekklesiologiestudie gesehen werden, deren Fokus auf der Herausstellung der Bedeutung des Handelns Gottes für das Verständnis von Kirchengemeinschaft liegt.77 Das zweite in Auftrag gegebene Lehrgespräch sollte sich mit dem missionarischen Auftrag der Kirchen in Europa, das Evangelium zu verkündigen, befassen. Ebenso sollte überlegt werden, die Bezeichnung der Kirchengemeinschaft zu ändern, um „den Charakter der Leuenberger Kirchengemeinschaft als Gemeinschaft evangelischer Kirchen“ deutlicher zu betonen und somit nach außen hin ein erkennbareres Profil zu schaffen.78 Dieser Gedanke wurde anlässlich des 30jährigen Jubiläums der Konkordie 2003 aufgenommen. „Um der besseren Erkennbarkeit in der europäischen Öffentlichkeit willen“79 wurde der Name der
75 Vgl. a. a. O., 302; 392. Das Thema wurde durch eine Projektgruppe und durch die Regionalgruppe „Süd-Ost-Mittel-Europa“ behandelt. Die Regionalgruppe bedachte in ihrem Gespräch „Kirche gestalten – Zukunft gewinnen“ die regional unterschiedlichen Transformationsprozesse. Sie unterschied sich hierin von der Projektgruppe, in welcher die gesamteuropäischen Herausforderungen im Vordergrund standen. Beide Gespräche hatten die Aufgabe, „einerseits die ‚Wiener Ekklesiologiestudie‘ von 1994 mit ihren grundlegenden Aussagen zur evangelischen Ekklesiologie fortzuschreiben, andererseits die Transformationsprozesse in Europa zu analysieren und aus beidem Konsequenzen für die Gestaltung der Kirchen (insbesondere auf die Gestalt der GEKE) zu ziehen“ (a. a. O., 305). Hierzu sollte auch die ältere Studie zum Thema „Gesetz und Evangelium besonders im Blick auf die Entscheidungsfindung in ethischen Fragen“ beachtet werden. Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 192. 76 „Gestalt und Gestaltung protestantischer Kirchen in einem sich verändernden Europa“, in: Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 43–74; 55f. Der unpräzise Begriff „nicht-theologische“ Faktoren weist auf Einflussfaktoren auf die Gestaltung einer Kirche hin, die nicht „in der Schrift und im Bekenntnis begründet sind“ (a. a. O., 55). Mit ihm wird auf die Bedeutung von „politischen und regionalen Kontexten, von kirchlichen und kulturellen Traditionen, von historischen und kirchengeschichtlichen Zusammenhängen“ (ebd.) für den Gestaltungsprozess einer Kirche aufmerksam gemacht. Es kann also je nach Region unzureichend für die Versöhnung zweier Kirchen sein, einen Konsens lediglich in theologischen Konfliktpunkten zu erreichen. 77 Das Gespräch wird in der vorliegenden Untersuchung nicht im Detail analysiert, da es für das Selbstverständnis der GEKE bislang keinen vergleichbaren Status erlangt hat, wie die Kirchenstudie. Überdies wird das Lehrgesprächsergebnis im ökumenischen Diskurs über das Leuenberger Modell kaum berücksichtigt. 78 Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Versöhnte Verschiedenheit, 387. 79 Beintker, Michael, Europa als unabgegoltene Idee, 69.
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Kirchengemeinschaft geändert in „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ (GEKE).80 Eine verstärkte Gestalt gab sich die Gemeinschaft noch im selben Jahr der Vollversammlung. So wurde die Gemeinschaft nun durch ein dreiköpfiges Präsidium aus „repräsentativen Persönlichkeiten“ stärker personalisiert und das Amt eines nebenamtlichen Pressesprechers eingeführt. Auch im ökumenischen Umfeld war die Leuenberger Kirchengemeinschaft/GEKE weiter aktiv.81 So wurde ein Dialog mit der Europäischen Baptistischen Föderation geführt, von 2002 bis 2008 eine Dialogreihe mit den orthodoxen Kirchen in der KEK und 2004 begann ein Gespräch mit den Anglikanern. Die sechste Vollversammlung der GEKE fand 2006 in Budapest statt. Die Stärkung der gemeinsamen Stimme und der Handlungsfähigkeit der evangelischen Kirchen in Europa stand wie in Belfast auch hier auf der Tagesordnung. Es konnte nun auf die inzwischen erreichten Fortschritte aufgebaut werden. So hatte sich die GEKE in den Diskurs über die zukünftige Ausrichtung der EU eingebracht, indem Präsidium und Exekutivausschuss, aber auch die Südosteuropagruppe Stellungnahmen zu aktuellen Entwicklungen in Europa, etwa zur EU-Verfassung, veröffentlicht hatten.82 Ein Vertreter der GEKE war außerdem in die Kommission „Kirche und Gesellschaft“ der KEK berufen worden, um bei der Vertiefung der Zusammenarbeit in sozialethischen und europapolitischen Fragen behilflich zu sein. Ziel dieser GEKE-Vertretung war es außerdem, die evangelische Stimme in Europa hörbarer zu machen und ein geschlossenes Auftreten der GEKE gegenüber den politischen Institutionen in Europa zu ermöglichen.83 Die Äußerungen der GEKE sollten nicht nur nach außen, sondern auch nach innen für die Mitgliedskirchen verbindlich sein. Dies versuchte man zu erreichen, indem im Prozess der Vertiefung der Kirchengemeinschaft der GEKE der Fokus auf die Gemeindeebene gerichtet wurde. Im Zuge dessen wurde in Budapest das mehrsprachige Gesangbuch „Colours of Grace“ eingeführt, mit dem der Cha80 Die Übersetzungen des Namens unterscheiden sich voneinander hinsichtlich der theologischen Interpretationsmöglichkeit. So wird der Name im Englischen mit Community of Protestant Churches in Europe widergegeben. Im Französischen heißt es hingegen Communion d’Églises Protestantes en Europe. Beide Begriffe, sowohl communion wie auch community, spiegeln sich im deutschen Begriff der Gemeinschaft wider. 81 Im Folgenden wird, soweit es sich um die Beschreibung von Entwicklungen nach der Namensänderung im Jahr 2003 handelt, abkürzend von der GEKE gesprochen, obwohl die bis dahin gebräuchliche Bezeichnung „Leuenberger Kirchengemeinschaft“ nicht aufgegeben, sondern fortan als Zusatz verwendet wurde. 82 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 201. Vgl. hierzu auch den Sammelband zu den sozialethischen Beiträgen: Bünker, Michael u. a., Evangelisch in Europa. Sozialethische Beiträge, (LT 15), Leizig 2013. 83 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 203f; 309. Vgl. auch den Abschlussbericht der Vollversammlung in Belfast: Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth (Hg.), Versöhnte Verschiedenheit, 385.
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rakter der GEKE als „Gottesdienstgemeinschaft“ betont wurde.84 Zugleich wird im Bericht des Präsidiums auf der Vollversammlung 2006 festgehalten, „als gottesdienstliche Gemeinschaft sollte die GEKE auch Lehrgemeinschaft sein“, die sich über ihre Lehrgespräche fortwährend des „theologischen Konsenses“85 vergewissert. Nicht nur auf Gemeindeebene, auch auf regionaler Ebene sollte die Kirchengemeinschaft vertieft werden.86 Um auch auf dieser Ebene zu verbindlicherer Zusammenarbeit zu gelangen, wurde bereits 2004 das Versöhnungsprojekt „Healing of Memories“ zwischen christlichen Kirchen in Rumänien begonnen. Mithilfe des Projektes sollten auch nicht-theologische, aber konfliktträchtige Differenzen zwischen den Kirchen einer Region miteinander versöhnt werden, um die Gemeinschaft zu vertiefen und einen Beitrag zur Versöhnung von Menschen und Völkern in Europa zu leisten.87 Dass der Impuls zur Versöhnung, der von der Leuenberger Konkordie ausgeht, mittlerweile auch über die Grenzen Europas hinausging, zeigte die „Erklärung von Amman“, die im Januar 2006 von Kirchen im Nahen Osten unterzeichnet wurde.88 84 Vgl. Bukowski, Peter u. a. (Hg.), Colours of grace, München 22007. Vgl. auch Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 190. 85 Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 191. Vgl. hierzu die Ausführungen zur Wesenseigenschaft der „Apostolizität“ von Kirche im Lehrgespräch „Gestalt und Gestaltung protestantischer Kirchen in einem sich verändernden Europa“, in: a. a. O., 43–74; 49f: „Nur in einer schriftgemäßen, ‚apostolischen‘ Kirche entsteht Kirche als geistgewirkte Glaubensgemeinschaft mit den ‚Eigenschaften‘ der Einheit, der Heiligkeit und der Katholizität. Die Apostolizität der Kirche ist insofern die Brücke, welche die reformatorischen Kennzeichen der Kirche mit den geistgewirkten ‚Wesenseigenschaften‘ der Kirche verbindet. Sie macht es der Kirche und jeder Kirchengemeinschaft zur Aufgabe, die Bibel in das Zentrum alles ihres Gestaltens zu stellen und im immer neuen Hören auf die Schrift ecclesia semper reformanda zu sein“ (Herv. i. O.). 86 Seit der sechsten Vollversammlung in Budapest erhöhte sich die Anzahl der bestehenden Lehrgesprächsgruppen, die zwischenzeitlich auf zwei gesunken war, wieder auf insgesamt vier bzw. fünf: So kamen zusätzlich zur Südosteuropagruppe (am früheren „Eisernen Vorhang“) und zur Nordwesteuropagruppe (Benelux, Frankreich, Nordwestdeutschland) die Regionalgruppe der fünf GEKE-Mitgliedskirchen am Oberrhein sowie die reaktivierte Gruppe Kopenhagen dazu. Außerdem hatten die GEKE-Kirchen am Rio de la Plata in Südamerika zu Formen regionaler Zusammenarbeit gefunden und halfen somit, die Verwurzelung der Kirchengemeinschaft vor Ort zu stärken. Das Mandat der Regionalgruppen lautete, „durch das regionale Zusammenwachsen der Kirchen die Ausstrahlung der Versöhnungsarbeit zu fördern“ (Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin [Hg.], Gemeinschaft gestalten, 194; 322f). 87 Das auf regionaler Ebene ansetzende Versöhnungsprojekt „Healing of Memories“ wurde seit Oktober 2004 unter Leitung der GEKE durchgeführt. Grundlage des Projektes ist die „interdisziplinäre Erforschung der ekklesiologischen, kulturellen, politischen und ethnischen Grundlagen von Konflikten“. Ziel ist es dabei zu vermitteln, dass im Dialogprozess die Sichtweise und Glaubenswelt Andersdenkender akzeptiert werden muss. Vgl. hierzu Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 316. 88 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 198. Die
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Neben dem Bewusstsein protestantischer Zusammengehörigkeit war es ein Anliegen der Vollversammlung, die seit Belfast laufenden interkonfessionellen Dialoge zu verstärken.89 Diese ökumenischen Gespräche sollten auch weiterhin durch die gemeinsame theologische Arbeit in Lehrgesprächen unterstützt werden.90 Dies wurde insbesondere an den in Auftrag gegebenen Lehrgesprächsthemen deutlich. So sollte das Thema „Amt, Ordination und Episkopé nach evangelischem Verständnis“ als eine der Kernfragen des ökumenischen Gesprächs, auch innerhalb der GEKE, weiter bearbeitet werden.91 Ziel war es dabei, den bisher erreichten Konsens zu vertiefen und zu entfalten, auch unter Berücksichtigung von Dialogergebnissen, an denen GEKE-Kirchen beteiligt waren, darunter insbesondere Meissen, Porvoo und Reuilly. Das Thema „Schrift, Bekenntnis, Kirche“ wurde zum einen vor dem Hintergrund in Auftrag gegeben, der Herausforderung durch fundamentalistische oder literalistische Schriftverständnisse zu begegnen, die sich etwa aus der Konfrontation mit charismatischen Bewegungen und Pfingstkirchen ergab. Zum anderen herrschte auch innerhalb der GEKE ein unterschiedliches Verständnis des Bekenntnisses. Das Gespräch sollte die Frage nach dem Schriftverständnis, der Bekenntnishermeneutik und „Amman-Erklärung“ wurde von der Nilsynode der Evangelisch-Presbyterianischen Kirche in Ägypten, der Synode der Evangelischen Kirche von Iran, der Nationalen Evangelischen Kirche in Kuwait, der Nationalen Evangelischen Union im Libanon, der Evangelischen Nationalsynode von Syrien und Libanon sowie von der Vereinigung der Armenischen Evangelischen Kirchen im Nahen Osten unterzeichnet. Zusammen bilden die Unterzeichnerkirchen den „Fellowship of Middle East Evangelical Churches“ (FMEEC). Vgl. die AmmanErklärung, abgedruckt in: DwÜ IV, 1331–1336. In ihrem Grußwort auf der 7. Vollversammlung in Florenz 2012 machte die Generalsekretärin des FMEEC, Rosangela Jarjour, auf die katastrophale Lage der Kirchen im Nahen Osten aufmerksam, in der sich die Kirchen in Folge des „Arabischen Frühlings“ in den Ländern der Mitgliedskirchen befinden. Bereits 2012 schien die Zukunft der Kirchen in den betroffenen Ländern alles andere als gewiss. Die Situation dürfte sich im Laufe des Syrienkrieges noch weiter verschärft haben. Vgl. Bünker, Michael, Jaeger, Bernd (Hg.), Frei für die Zukunft, 155–160. 89 Im Jahr 2004 gab es eine gemeinsame Erklärung mit der Europäischen Baptistischen Föderation, wenn auch noch keine Erklärung von Kirchengemeinschaft. Mit Orthodoxen und Anglikanern wurden Kontaktgespräche geführt. 90 Auch die Vollversammlung in Budapest nahm Lehrgesprächsergebnisse aus der vergangenen Periode seit Belfast entgegen. So wurde neben dem Lehrgespräch mit dem Titel „Gestalt und Gestaltung protestantischer Kirchen in einem sich verändernden Europa“ und die Projektstudie „Evangelisch evangelisieren – Perspektiven für Kirchen in Europa“ angenommen. Die leitende Frage der Studie war dabei, wie die Botschaft von der Versöhnung Gottes mit den Menschen glaubhaft formuliert werden kann. Ebenso sollte reflektiert werden, „wie eine Kirchengemeinschaft Trägerin der Evangelisierung sein kann“ (Hüffmeier, Wilhelm/ Friedrich, Martin [Hg.], Gemeinschaft gestalten, 191). 91 Innerhalb der GEKE bewies vor allem der Dissens in Bezug auf die Frauenordination die Notwendigkeit eines solchen Gesprächsthemas. Auch die bisher bereits geleistete Arbeit zu dem Themenkomplex in den Thesen von Neuendettelsau, den Tampere-Thesen und der Ekklesiologiestudie konnten lediglich als Etappen auf dem Weg zu einem Konsens gesehen werden. Vgl. a. a. O., 307.
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dem Verhältnis von Botschaft und Kirchesein reflektieren, um so die ekklesiale Qualität der GEKE und ihre Positionierung im ökumenischen Dialog zu stärken. Außer den beiden Lehrgesprächen wurden zudem zahlreiche Projekte zur Bearbeitung angeregt.92 Für die weitere gemeinsame Arbeit wurden strukturelle Veränderungen vereinbart, die der GEKE als „protestantische Stimme in Europa“ in der Ökumene sowie in der Diskussion von europa-, sozial- und religionspolitischen Fragen ein sichtbareres Profil verleihen sollten.93 Ein entscheidender Schritt, der zudem zukünftige juristische Entwicklungsmöglichkeiten erleichtern sollte, war die Verabschiedung eines gemeinsamen Statuts, das die bisher nur „gewohnheitsrechtlich geltende Rechtslage der GEKE“94 schriftlich fixierte. Zudem wurde entschieden, den bisherigen Exekutivausschuss künftig in „Rat“ der GEKE umzubenennen. Es könne zwar keine Synode im ekklesialen Sinne verwirklicht werden, so der Bericht des Präsidiums. Durch den Rat, das Präsidium und die Vollversammlung seien jedoch ähnliche und entwicklungsfähige Strukturen gegeben.95 Die siebte Vollversammlung der GEKE fand im September 2012 in Florenz statt.96 Ähnlich wie bereits auf der sechsten Vollversammlung war die verstärkte Vernetzung und Sichtbarkeit der GEKE erstens im ökumenischen Dialog und zweitens in der europäischen Öffentlichkeit ein bedeutsames Thema in Florenz. Für die ökumenischen Begegnungen, vor allem in den interkonfessionellen Gesprächen der Ratsperiode zwischen Budapest und Florenz war die Ekklesiologiestudie von zentraler Bedeutung, da sie als Ausgangspunkt und Brücke zwischen dem Modell von Kirchengemeinschaft und dem ökumenischen Ge-
92 So sollten die Projekte „Die evangelischen Kirchen vor neuen Herausforderungen sozialer Gerechtigkeit“, „Die Ausbildung zum ordinationsgebundenen Amt in der GEKE“ und „Protestantismus und Bildung“ bearbeitet werden. Außerdem wurde für die zukünftige Arbeit angeregt, die „Verhältnisbestimmung von Mission und Dialog sowohl in innerchristlichen Zusammenhängen als auch im Gegenüber zu anderen Religionen“ zu reflektieren. Dies sollte unter Berücksichtigung der Ekklesiologiestudie geschehen und in Abstimmung mit dem ÖRK, der KEK sowie der neu gegründeten „Fellowship of Middle East Evangelical Churches“ (FMEEC). In der Arbeit der GEKE sollte außerdem die Jugendbeteiligung künftig gestärkt werden. Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 312. 93 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 317. Beachtenswert ist dabei die Betonung der Aussage, dass mit der gewünschten Stärkung der evangelischen Stimme stets gemeint sei, dass das Evangelium eine Stimme in Europa bekommen müsse. Die GEKE sei hingegen lediglich Instrument in der Mission Gottes. Vgl. a. a. O., 319. 94 A. a. O., 16; 321. 95 Vgl. a. a. O., 207. 96 Zur Dokumentation der Vollversammlung vgl. Bünker, Michael/Jaeger, Bernd (Hg.), Frei für die Zukunft.
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spräch diente.97 Seit 2009 wurden die Gespräche, deren Kernthemen stets das Verständnis und die Gestalt von Kirchengemeinschaft war, vom „Fachkreis Ökumene“ der GEKE begleitet. Wichtige Impulse für die ökumenischen Dialoge wurden auch von den in Florenz entgegengenommenen Lehrgesprächsergebnissen erhofft.98 Mit dem Aspekt der Sichtbarkeit und Vernetzung der GEKE in der europäischen Öffentlichkeit befassten sich drei weitere Ergebnisse aus der Zusammenarbeit der GEKE-Kirchen, die Studie „Tretet ein für Gerechtigkeit“99, das Ergebnis aus der Regionalgruppe Südosteuropa „Bleibe in der Zeit – evangelischer Gottesdienst in Süd-Mittel-Osteuropa zwischen Bewahrung und Veränderung“ sowie die Arbeit zu den Reform- und Erneuerungsprozessen in den Mitgliedskirchen der GEKE, „Ecclesia semper reformanda“. Einen Schwerpunkt in der Zusammenarbeit der Kirchen seit der vergangenen Vollversammlung bildeten die öffentlichen Stellungnahmen der GEKE zu politischen, sozialen und ökonomischen Themen in Europa.100 In diesen Arbeitsbereich fällt auch die Orien97 Vgl. a. a. O., 90f. Vgl. auch: KJC, III.4 (Die Leuenberger Konkordie als ökumenisches Einheitsmodell). 98 Vgl. Bünker, Michael, Jaeger, Bernd (Hg.), Frei für die Zukunft, 91. Ein Fortschritt in den ökumenischen Dialogen im Vorfeld von Florenz konnte in den Beziehungen zu den Anglikanern erzielt werden. So wurde ein „Memorandum of Agreement und Commitment“ unterzeichnet, das als Grundlage für den Weg der weiteren ökumenischen Annäherung diene. Wichtige Impulse für die weitere Annäherung wurden insbesondere vom Lehrgesprächsergebnis „Amt, Ordination, Episkopé“ sowie von dem in der folgenden Ratsperiode zu bearbeitenden Lehrgespräch „Kirchengemeinschaft“ erwartet (vgl. a. a. O., 92). Die Gespräche mit der Europäischen Baptistischen Föderation führten 2010 zu einer Kooperationsvereinbarung (u. a. zur gegenseitigen Beteiligung an bestimmten Arbeitsbereichen), sollten jedoch mit dem Ziel einer gegenseitigen Anerkennung der Taufe vertieft werden. Mit den orthodoxen Kirchen wurde im Dialog über die Taufe bereits 2008 ein Durchbruch erzielt, der in der Empfehlung mündete, vor Ort die Taufe gegenseitig anzuerkennen. 2011 konnte zudem eine Verabredung mit der römisch-katholischen Kirche über die Aufnahme einer Konsultationsreihe zum Ökumene-Modell der GEKE getroffen werden. Auch hier sollte die Studie „Die Kirche Jesu Christi“ entscheidender Ausgangspunkt für das Gespräch über Fragen der Ekklesiologie sein (vgl. a. a. O., 94). 99 Vgl. a. a. O., 97f. 100 Ein wichtiger Faktor dabei war die Präsenz der GEKE innerhalb der Kommission für Kirche und Gesellschaft der KEK in Brüssel. So konnten europapolitische und gesellschaftliche Entwicklungen frühzeitig beobachtet und entsprechende Stellungnahmen erarbeitet werden. Vgl. hierzu u. a. die Stellungnahme über die Zukunft des EU-Verfassungsvertrages 2007, das Votum zum „Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs“ 2008, die Stellungnahme anlässlich des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon 2009 sowie die Erklärung zur Finanzund Schuldenkrise 2011 (vgl. Bünker, Michael/Jaeger, Bernd [Hg.], Frei für die Zukunft, 100). Die bisherigen sozialethischen Beiträge wurden (mit einzelnen Ausnahmen) veröffentlicht in: Bünker, Michael u. a., Evangelisch in Europa. Die Einbindung sowohl der GEKE als auch der KEK in den politischen Kontext Europas wird auch anhand von Kooperationsvereinbarungen von Kirchenbünden auf nationalstaatlicher Ebene sichtbar. So regeln zum Beispiel die EKD und der Schweizerische Evangelische Kirchenbund in einem Vertrag
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tierungshilfe zu lebensverkürzenden Maßnahmen und zur Sorge um Sterbende mit dem Titel „Leben hat seine Zeit, Sterben hat seine Zeit“. Diese veröffentlichte der Rat der GEKE auf Grundlage eines Textes des „Fachkreises Ethik“ der GEKE. Sie bezog somit Stellung zu Themen des aktuellen gesellschaftlichen Diskurses und leistete einen wichtigen Beitrag zu einer „evangelischen europäischen Selbstverständigung“101. Ebenso beteiligte sich der Fachkreis Ethik an der Diskussion über Fragen der Menschenrechte, die 2008 von der Russisch-Orthodoxen Kirche in einer Stellungnahme behandelt wurde. Zu diesem Thema veröffentlichte die GEKE die Gegenstellungnahme „Menschenrechte und christliche Moral“ im Jahr 2009. 2011 kam es daraufhin zu einer gemeinsamen Tagung in Kooperation mit der KEK. Dabei zeigte sich insbesondere der Einfluss unterschiedlicher kultureller Kontexte auf die jeweilige Interpretation der Menschenrechte.102 Die von der GEKE vorangetriebene Sichtbarkeit der Kirchengemeinschaft in der Öffentlichkeit beruht allerdings nicht nur auf gemeinsamen Stellungnahmen auf europäischer Ebene, sondern auch auf dem Zeugnis vor Ort und dem regionalen Bezug. So wurde auf der Vollversammlung 2012 zum einen erneut der Aspekt des Gottesdienstes als ein wesentliches Merkmal der Kirchengemeinschaft angesprochen sowie die in vielen der Mitgliedskirchen initiierten Reformund Erneuerungsprozesse.103 Zum anderen wurde die Arbeit in Regionalgruppen weiter gestärkt. So konstituierte sich die Konferenz der Kirchen am Rhein 2008 als Regionalgruppe, zum Zeitpunkt der Vollversammlung war eine Nordgruppe im Entstehen, die insbesondere die Mitgliedskirchen der Porvoo-Gemeinschaft integrieren konnte. Die „Conférence des Eglises protestantes des Pays latin d’Europe“ traf 2012 den Entschluss, sich ebenfalls zu einer Regionalgruppe der vom 1. September 2012 „die Förderung der kirchlichen Gemeinschaft durch […] gemeinsame Beratung über die politische Entwicklung Europas und daraus erwachsende Aufgaben […] im Kontext […] von GEKE und KEK” (Amtsblatt EKD Nr. 11 [2013], 374, § 2, Zusammenarbeit und Gemeinschaft). 101 Bünker, Michael/Jaeger, Bernd (Hg.), Frei für die Zukunft, 98. 102 Vgl. a. a. O., 99. 103 Vgl. a. a. O., 84; 101–104. Interessant ist dabei die Aussage auf der Vollversammlung, dass die GEKE laut Statut lediglich Instrument der Verwirklichung von Kirchengemeinschaft sei. Die Verantwortung für die Verwirklichung liege somit wieder verstärkt bei den Mitgliedskirchen, deren Engagement zur gelebten Kirchengemeinschaft auch auf Gemeindeebene gefordert sei. Damit wird nach einer Vielzahl an juristischen und organisatorischen Veränderungen auf europäischer, gemeinschaftlicher Ebene und den dabei auftauchenden Fragen nach der Verbindlichkeit von Entscheidungen wieder zurückgewiesen auf das, was Kirchengemeinschaft in ihrem theologischen Kern auszeichnet und was bereits nach der ersten Versammlung in Sigtuna 1976 betont wurde: „Entscheidend bleibt im Leben der Kirche immer […] die lebendige Verkündigung des Evangeliums, der alle Formulierungen nur dienen können“ (Lohff, Wenzel, Leuenberg hat sich gelohnt, 5). Vgl. Statut der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) – Leuenberger Kirchengemeinschaft –, in: Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 325–326.
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GEKE zu konstituieren.104 Darüber hinaus wurde bereits im Januar 2012 eine erste Synodalenbegegnungstagung in Bad Boll veranstaltet, um die Kirchengemeinschaft der GEKE-Kirchen auch für Laien der einzelnen Mitgliedskirchen konkreter erfahrbar zu machen. Auch sollten der Dialog der Mitgliedskirchen auf der Laien-Ebene gestärkt und die Kirchen besser miteinander vernetzt werden. In Florenz wurden von der Vollversammlung neben zahlreichen anderen Aufträgen zwei Lehrgesprächsthemen angeregt, die bis zur nächsten Vollversammlung in Basel im Jahr 2018 bearbeitet werden sollen.105 So soll das Lehrgespräch „Kirchengemeinschaft“ in Anknüpfung an die Thematik der Ekklesiologiestudie die Frage bearbeiten, wie Kirchengemeinschaft auf allen Ebenen kirchlichen Lebens weiter vertieft werden kann.106 Das Thema „Pluralität der Religionen in evangelischer Sicht“ soll eine „theologische Klärung der Beziehungen zwischen dem christlichen Glauben und den nichtchristlichen Religionen“107 leisten. Neben den zahlreichen Arbeitsfeldern und Aufträgen für die weitere Zusammenarbeit der Kirchen in der GEKE wurde ebenso betont, dass die ökumenischen Gespräche dort, wo sie bereits aufgenommen wurden, auf Basis des Erreichten weitergeführt werden sollen. Neu hinzugekommen ist der Auftrag zum Dialog mit der römisch-katholischen Kirche sowie zur Kontaktaufnahme mit den Pfingstkirchen und charismatischen Gemeinschaften. Darüber hinaus sollen das Gespräch und die Zusammenarbeit mit Christen mit Migrationshintergrund in Kooperation mit der KEK aufgenommen werden.108 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Prozess der Verwirklichung von Kirchengemeinschaft in der GEKE seit der Wiener Vollversammlung und der Verabschiedung der Ekklesiologiestudie 1994 durch drei Aspekte geprägt wurde. Erstens zeichnete sich die Arbeit der GEKE durchgehend durch eine Vertiefung und weitere Entfaltung des theologischen Konzeptes aus, wie sie bereits in der Leuenberger Konkordie angelegt ist. Die Kirchenstudie, dies wurde sowohl in der Lehrgesprächsarbeit als auch in den ökumenischen Dialogen deutlich, war dabei von großer Bedeutung als Referenztext. Sie bildete zum einen die Ausgangsbasis für die Vertiefung und Entfaltung einzelner Argumentationslinien in den Lehrgesprächstexten „Kirche und Israel“, „Gestalt und Gestaltung evangelischer Kirchen in einem sich verändernden Europa“ sowie „Amt, Ordination, Epi104 Vgl. Bünker, Michael/Jaeger, Bernd (Hg.), Frei für die Zukunft, 114f. 105 So sollen etwa ein „Leuenberg Wörterbuch“ und eine Studie zum Thema „Bildung für Zukunft“ erstellt werden. Der Studienprozess „Theologie der Diaspora“ wurde in Verknüpfung mit dem Thema „Evangelium und Kultur“, „das auch kulturelle Identitäten innerhalb der Kirchen, einschließlich derer von Mehrheits- und Minderheitskirchen beachten sollte“, angeregt (a. a. O., 35). 106 Vgl. a. a. O., 64–67. 107 A. a. O., 68–74; 70, Herv.i.O. 108 Vgl. a. a. O., 33.
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Kirchengemeinschaft als Verwirklichungsprozess
skopé“.109 Zum anderen konnten viele der ökumenischen Dialoge gerade aufgrund der Ausführungen in der Ekklesiologiestudie zu weiteren Annäherungen zwischen den Dialogpartnern führen. Dabei wurde jedoch auch deutlich, dass eine weitere Vertiefung ausgewählter Themen der Kirchenstudie, so etwa der Amtsthematik, notwendig war. Zweitens führte die weitere ökumenische Vernetzung der GEKE in ihren Lehrgesprächen zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit Fragen, die im interkonfessionellen Dialog beantwortet werden mussten. Darüber hinaus wurde im ökumenischen Kontext deutlich, dass das ekklesiologische Selbstverständnis der GEKE geklärt werden muss. Drittens verstärkte die GEKE die Wahrnehmbarkeit der evangelischen Stimme in der europäischen Öffentlichkeit. Dies erreichte sie zum einen über die Kooperation mit der KEK. Zum anderen trugen gemeinsame Stellungnahmen zu politischen und sozialethischen Themen, aber auch organisatorische Erweiterungen und juristische Klärungen zur Stärkung und Profilierung der Stimme der evangelischen Kirchen in Europa bei. Somit betonte die GEKE ihren Charakter als Lehrgemeinschaft. Infolge der stärker werdenden Herausforderung zu einer gemeinsamen Stimme auf europäischer Ebene wurde aber auch die Stärkung des inneren Zusammenhalts und der Verbindlichkeit der Gemeinschaft notwendig. Hierzu wurde seit 2006 der Charakter der Gemeinschaft als Gottesdienstgemeinschaft auf Gemeindeebene nachdrücklich gefördert und die Miteinbeziehung von Laien über erste Synodalenbegegnungstagungen und Jugendkonsultationen gestärkt. Aber auch die regionale Ebene der Gemeinschaft sowie die Versöhnung nicht-theologischer Parameter kirchlicher Identität, wie dies in dem Projekt „Healing of memories“ betrieben wurde, gewannen zunehmend an Bedeutung für die GEKE.
109 Vgl. KJC, Geleitwort der Herausgeber, 9–15; 10.
2.
Die Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie durch die Ekklesiologiestudie
Mit der Kirchenstudie leisten die Kirchen der Leuenberger Kirchengemeinschaft eine thematische Entfaltung und Vertiefung der in der Konkordie implizit enthaltenen Ekklesiologie. Diese Entfaltung und Vertiefung wird mit Blick auf das Verhältnis des Werkes Gottes und des Handelns der Menschen vorgenommen. Die Entfaltung und Vertiefung ist Grundlage für die retrospektivische gemeinsame Interpretation des hermeneutischen Verfahrens der Konkordie in der Studie. Die beteiligten Kirchen akzentuieren mit der Studie folglich ihr gemeinsames Verständnis des im Konzept der Konkordie wirksamen Konsenses. Diese Studie als ein Konsens über den Konsens, das heißt als metakonsensuelles Konzept der Leuenberger Kirchen, ist, so der Ansatz der vorliegenden Untersuchung, ausgehend von dem Konzept der Konkordie zu verstehen. Der Konsens der Kirchenstudie ist ein Teil des von der Konkordie angestoßenen Verwirklichungsprozesses der Kirchengemeinschaft. Die Kirchenstudie fixiert folglich nicht eine Lesart der Konkordie. Die Verständigung akzentuiert vielmehr eine bestimmte Deutung und bietet doch selbst die Möglichkeit unterschiedlicher Lesarten. Sie leitet folglich selbst an zu einem lebendigen Prozess des fortwährenden Dialogs der Kirchen. Auch die Kirchenstudie ist somit selbst Gegenstand der Auseinandersetzung im Verwirklichungsprozess der Leuenberger Kirchengemeinschaft.1 Die Lesart der Konkordie durch die Ekklesiologiestudie, also die Entfaltung des ekklesiologischen Theorems der Konkordie und die darauf aufbauende Interpretation deren ökumenischer Hermeneutik werden im Folgenden dargelegt.
1 Vgl. das Beratungsergebnis der Projektgruppe zum Thema Struktur „Gestalt und Gestaltung protestantischer Kirchen in einem sich verändernden Europa, in: Hüffmeier, Wilhelm/ Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 43–75.
182
Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie
2.1
Aufbau und inhaltliche Schwerpunkte der Ekklesiologiestudie
Die Ekklesiologiestudie wurde in einer Projektgruppe der Leuenberger Kirchengemeinschaft erarbeitet. Bei ihrem Vorgehen orientierte sich diese Gruppe an drei Leitlinien.2 Erstens sollte das Kirchenverständnis „als Konsequenz und Anwendung der reformatorischen Rechtfertigungslehre durchsichtig werden“3. Zweitens sollte sich die Studie primär am lutherisch-reformiert-uniert-waldensischen Dialog orientieren und erst sekundär eine ökumenische Offenheit erstreben. Drittens war es Aufgabe der Studie, die „praktischen Aufgaben der Kirchen vor Ort“4 hinsichtlich des konfessionellen und ökumenischen Miteinanders, aber auch in Konfrontation mit der säkularen, religiösen oder atheistischen Umwelt zu fokussieren. Neben den Herausforderungen durch den sich verändernden ökumenischen Kontext sollten demnach auch Herausforderungen mitbedacht werden, die sich aus dem sich verändernden Kontext einer pluralistischen europäischen Gesellschaft entwickelten. Die Ekklesiologiestudie ist in drei Kapitel gegliedert, die sich inhaltlich an den Vorgaben der drei Leitlinien zur Erarbeitung der Studie orientieren. In einer Einleitung zu den drei Kapiteln skizziert die Studie gegenwärtige Herausforderungen an die Kirchen, gesellschaftliche Erwartungen und die diesbezügliche kirchliche Zusammenarbeit. Als Herausforderungen werden der religiöse und kulturelle Pluralismus im Kontext Europa sowie die ökumenische Situation der weiterhin bestehenden Trennung der Kirchen genannt.5 Diese Herausforde2 Die Leitlinien wurden im Januar 1989 vom Exekutivausschuss festgelegt. Ursprünglich wurden auf der Vollversammlung in Straßburg 1987 weit umfangreichere Empfehlungen für die Erarbeitung der Ekklesiologiestudie gegeben. Bestimmte Themen, wie das Verhältnis der Christenheit zum jüdischen Volk oder „Schrift und Tradition“ wurden von daher separat in späteren Lehrgesprächen behandelt. Vgl. Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Ökumene, 149f. Vgl. auch KJC, Vorwort, 23–25; 24. 3 KJC, Vorwort, 23–25; 24. Den Zusammenhang zwischen Kirche und Rechtfertigung betont André Birmelé bereits vor dem Erscheinen der Kirchenstudie: Nach Birmelé wird Kirche von der Leuenberger Konkordie als „konkret gelebte Rechtfertigung und die Lehre von der Kirche als angewandte Rechtfertigungslehre“ verstanden. Birmelé, André, Die Leuenberger Konkordie: Einheit ohne Strukturen?, in: Meyer, Harding (Hg.), Gemeinsamer Glaube und Strukturen der Gemeinschaft. Erfahrungen – Überlegungen – Perspektiven, (FS Günther Gassmann), Frankfurt a.M. 1991, 11–27; 21. Vgl. auch Birmelé, André, Zwanzig Jahre nach Leuenberg. Die Bedeutung der Leuenberger Konkordie für den Dialog und die Gemeinschaft zwischen den reformatorischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche. Ökumenisches Arbeitsbuch J.-J. Held zu Ehren, in: ÖR.B 65 (1993), 144–166 und Wendebourg, Dorothea, Die innerprotestantische Ökumene. Referat gehalten auf der Europäischen Evangelischen Versammlung, Budapest, 27. 3. 1992, in: epdD 23 (1992), 40–51; 41. 4 KJC, Vorwort, 23–25; 24. 5 Vgl. KJC, Einleitung, 26–30; 26. Keine gesonderte Beachtung findet der Umstand, dass die Kirchen in diesem Kontext zum einen der „Ausbildung massiver Vorurteilsstrukturen im öffentlichen Bewußtsein begegnen“ (Leipold, Heinrich, Die Leuenberger Kirchenstudie, 73f), zum anderen aber auch selbst gefährdet sind durch „unkritische Anpassung an die Normen
Aufbau und inhaltliche Schwerpunkte
183
rungen lassen eine ekklesiologische Selbstbestimmung evangelischer Kirchen notwendig erscheinen: Gegenüber einem veränderten politisch-sozialen-kulturellen Kontext mit teilweise ostentativem Desinteresse gegenüber der Kirche und angesichts des Fortdauerns der Trennung der Kirchen haben sie [sc. die evangelischen Kirchen] deutlich zu machen, was Kirche ist, woran sie erkannt wird und welcher spezifische Beitrag für das gesellschaftliche Leben von ihnen zu erwarten ist.6
Dieser Beitrag ist nur gemeinsam von den Kirchen zu leisten, das heißt in ökumenischer Zusammenarbeit. Im Anschluss an die Benennung der Aufgaben der Kirchen klärt die Studie auf über den theologischen Ausgangspunkt ihrer Ausführungen über das Kirchenverständnis: die reformatorische Rechtfertigungslehre.7 Die Studie knüpft somit an den für das Konzept der Leuenberger Konkordie tragenden Grundgedanken an, das gemeinsame Verständnis des Evangeliums vom rechtfertigenden Handeln Gottes. Die Ausführungen der Studie sind also vor dem übergeordneten Thema des Verhältnisses zwischen dem rechtfertigenden Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen zu reflektieren. Hierzu verwendet die Studie eine der reformatorischen Theologie eigene Unterscheidung „zwischen dem Grund, der Gestalt und der Bestimmung der Kirche“8. Diese Unterscheidung ist zugleich maßgeblich für die Gliederung des ersten Kapitels der Studie, das sich der Beschreibung des Wesens der Kirche als communio sanctorum widmet und als systematisch-theologische Grundlage konzipiert ist. Ausgehend von der reformatorischen Lehre von der Rechtfertigung deutet die Studie die Kirche mithilfe der Aspekte von Grund, Gestalt und Bestimmung. In diesem Zusammenhang werden zudem die primären und sekundären Kennzeichen von Kirche besprochen. Das zweite Kapitel der Studie berücksichtigt den pluralistisch geprägten gesellschaftlichen Kontext von Kirche in der Gegenwart. Dabei wird zum einen der Herausforderung der Gemeinschaft der Glaubenden zu Zeugnis und Dienst in der pluralistischen Gesellschaft besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Er-
des säkularistischen Zeitbewußtseins“ (Pannenberg, Wolfhart, Wahrheit statt Gleichgültigkeit, in: EK 3 [1994], 134). 6 KJC, Einleitung, 26–30; 26. Beide Herausforderungen, Europa und die Ökumene, wurden bereits im Rahmen der Kontextualisierung der Kirchenstudie aufgezeigt (vgl. Kap. B 1.1 der vorliegenden Arbeit). 7 Vgl. KJC, Einleitung, 26–30; 29. 8 KJC, Einleitung, 26–30; 28, Herv. i. O. Die Unterscheidung wird zugleich als Ermöglichung der Leuenberger Kirchengemeinschaft bezeichnet. Sie wird demnach, insofern die Leuenberger Kirchengemeinschaft auf der Zustimmung zur Leuenberger Konkordie beruht, als das Prinzip der Konkordie interpretiert.
184
Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie
kennbar soll der christliche Glaube zum anderen auch im Dialog mit anderen Religionen und Weltanschauungen sein. Die Aspekte der Einheit der Kirche und der Einigung der Kirchen werden im dritten Kapitel betrachtet. Dabei wird, wie es bereits in den Leitlinien für das Lehrgespräch vorgegeben wurde, zunächst das im reformatorischen Kirchenverständnis enthaltene Einheitsverständnis erörtert. Zur Beschreibung der geforderten Übereinstimmung rekurriert die Studie auf den Konsens, der mit der Leuenberger Konkordie zum Ausdruck gebracht wird, und interpretiert diesen als einen „doppelschichtigen Grundkonsens“9. Das Modell der auf diese Weise zum Ausdruck gebrachten Kirchengemeinschaft bezeichnet die Studie mit dem ökumenischen Terminus „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“. Abschließend werden in der Kirchenstudie der verbindliche Charakter der Leuenberger Konkordie, ihr Verhältnis zur weltweiten Ökumene sowie ihre Bedeutung als ökumenisches Einheitsmodell besprochen.
2.2
Die Entfaltung des ekklesiologischen Theorems der Leuenberger Konkordie als Grundlage der Interpretation ihrer ökumenischen Hermeneutik
Für die Entfaltung des ekklesiologischen Theorems der Leuenberger Konkordie und die Interpretation ihrer ökumenischen Hermeneutik sind die Kapitel eins und drei der Kirchenstudie von wesentlicher Bedeutung. Kapitel zwei, das die Herausforderungen durch die pluralistische europäische Gesellschaft skizziert und den Dialog mit den Religionen und Weltanschauungen behandelt, kann für diese Betrachtung unberücksichtigt bleiben.10 Die Kirchenstudie stellt ihre Überlegungen zunächst in eine Tradition.11 Diese beginnt rückwärts betrachtet bei der Leuenberger Kirchengemeinschaft, aus 9 KJC, III.1.3, 69. 10 Zahlreiche Aufsätze widmen sich der Interpretation der Kirchenstudie (vgl. die Angaben in KJC). Dabei orientieren sich die Darstellungen an unterschiedlichen Leitthesen. So interpretiert u. a. André Birmelé die Kirchenstudie unter dem Aspekt der Rechtfertigungslehre (vgl. Birmelé, André, Zur Ekklesiologiestudie der Leuenberger Kirchengemeinschaft). Vgl. ferner Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“; Nüssel, Friederike, Kriterien kirchlicher Einheit nach evangelischem Verständnis; Leipold, Heinrich, Die Leuenberger Kirchenstudie; ders., Einheit auf dem Prüfstand; Frieling, Reinhard, Art. Kirche, in: EStL, Stuttgart 2006, 1128–1139; Hüffmeier, Wilhelm, Die Kirchen im zusammenwachsenden Europa; Hüffmeier, Wilhelm, Das evangelische Ökumene-Modell, in: epdD 21 (1998), 46– 47; Beintker, Michael, Die Studie „Die Kirche Jesu Christi“ aus evangelischer Sicht. 11 Vgl. KJC, Einleitung, 26–30; 28–30. Das Anknüpfen an diese Tradition wird zunächst in der Einleitung auf S. 28f sichtbar. Sie wird jedoch zu Beginn von KJC, I, 31 sowie in KJC, I.2.3, 37 noch weiter ausgeführt.
Die Entfaltung des ekklesiologischen Theorems
185
deren Zusammenarbeit die Studie selbst als Produkt entstanden ist. Die Leuenberger Kirchengemeinschaft wurde mit der Leuenberger Konkordie erklärt. Die Konkordie, so die Studie, basiert im Wesentlichen auf einer Unterscheidung der reformatorischen Theologie zwischen dem Grund, der Gestalt und der Bestimmung von Kirche. Diese Unterscheidung wird allerdings weder in der Leuenberger Konkordie explizit genannt noch in CA VII, auf die sich die Konkordie implizit beruft. Vielmehr ist sie eine Interpretation durch die Ekklesiologiestudie im Rekurs auf die Konkordie, um das Wesen von Kirche nach evangelischem Verständnis zu erläutern. Die Kirchenstudie reicht jedoch über ihren interpretierenden Rekurs auf die reformatorische Theologie hinaus, indem sie in den Aussagen „richtungsweisender Bekenntnistexte der Reformation“12 die Aufnahme von Grundaussagen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses entdeckt.13 Die Aussage des Apostolikums, Kirche sei communio sanctorum, wird sodann verbunden mit den vier Wesenseigenschaften (notae ecclesiae), die dem Nizänokonstantinopolitanum entstammen.14 Die Überlegungen der Ekklesiologiestudie erheben somit den ökumenisch relevanten Anspruch, in einer gedanklichen Tradition zu stehen, die sich vom Nizänokonstantinopolitanum und dem Apostolischen Glaubensbekenntnis über Bekenntnistexte der Reformation bis zur Leuenberger Konkordie erstreckt.15 Sämtliche Aussagen über das Verständnis kirchlicher Identität werden in der Kirchenstudie folglich auf Basis der Leuenberger Konkordie als dem Einigungsdokument reformatorischer Kirchen und in Bindung an die (reformatorisch verstandene) altkirchliche Tradition und das in der Schrift überlieferte Evangelium formuliert.16 Die Überlegungen der Kirchenstudie sind somit als reformatorische Interpretation mit ökumenischem Anspruch zu verstehen.17 12 KJC, I, 31. Gemeint sind in der Studie zitierte Passagen aus den Schmalkaldischen Artikeln von Martin Luther sowie des Heidelberger Katechismus. 13 Vgl. KJC, I, 31. 14 Vgl. KJC, I.2.3, 37. 15 Eine vergleichbare Traditionsbindung beschrieb auch die Leuenberger Konkordie. Vgl. LK 4, Satz 7 u. LK 12. 16 Bibelverweise finden sich insbesondere in Kap. I zum Wesen der Kirche. Vgl. KJC, I.1.3–I.2.1, 33–35; I.2.3, 38; I.3.1, 48f; I.3.3–I.4, 51–56. 17 Von besonderer Bedeutung ist dabei die Verhältnisbestimmung zwischen den Wesenmerkmalen der Kirche („eine, heilige, katholische, apostolische“), den reformatorischen Kennzeichen wahrer Kirche und den Kennzeichen christlichen Lebens. Die in diesem Zusammenhang geleistete Interpretation der vier Wesenseigenschaften der Kirche ist darüber hinaus von Bedeutung für den ökumenischen Dialog, insofern hiermit der Auslegung dieser Attribute durch den 1993 veröffentlichten neuen katholischen Weltkatechismus eine reformatorische Akzentuierung entgegengehalten wird. Vgl. hierzu Katechismus der Katholischen Kirche, München 1993, 242–258, Angabe in: Leipold, Heinrich, Die Leuenberger Kirchenstudie, 77, Anm. 13.
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Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie
Zur Bestimmung des „Wesens der Kirche als Gemeinschaft der Heiligen“, die im Glauben verbunden ist, unterscheidet die Studie zwischen drei Aspekten von Kirche, die sie inhaltlich entfaltet.18 Sie geht erstens aus vom Handeln Gottes als Ursprung und Grund der Kirche (Kap. B 2.2.1 der vorliegenden Untersuchung). Zweitens beschreibt sie die Gestalt der Kirche einerseits als verborgene Kirche, die Gegenstand des Glaubens und das Werk Gottes ist, und andererseits als darauf bezogene sichtbare Kirche, die das Werk der Menschen ist (Kap. B 2.2.2 der vorliegenden Untersuchung). Drittens schildert die Studie die Bestimmung der Kirche: ihren Auftrag zur Bezeugung des Evangeliums in der Welt (Kap. B 2.2.3 der vorliegenden Untersuchung).19 Diese ausgewählten Aspekte der Kirchenstudie werden im Folgenden detaillierter behandelt.
2.2.1 Das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus als der Grund von Kirche Bei ihren Überlegungen zur Ekklesiologie aus reformatorischer Sicht beginnt die Studie mit einer Schilderung des Ursprungs und Grundes von Kirche. Als Ursprung der Kirche wird dabei das rechtfertigende Handeln des dreieinigen Gottes bezeichnet. Somit weist die Studie zugleich „jede menschliche Herkunft einer nur sozial-bestimmten und sozial-erfassten Kirche“20 zurück: [Kirche ist] Geschöpf des zum Glauben rufenden Wortes, durch das Gott den von ihm entfremdeten und ihm widersprechenden Menschen mit sich versöhnt und verbindet, indem er ihn in Christus rechtfertigt und heiligt, ihn im Heiligen Geist erneuert und zu seinem Volk beruft.21
Das Wort Gottes werde den Menschen „maßgeblich verkündigt“22 von der Heiligen Schrift, indem sie das Evangelium von Jesus Christus als dem Menschgewordenen, dem Gekreuzigten und Auferstandenen sowie dem kommenden Richter und Retter bezeugt, so die Studie. Gottes Heilshandeln in Jesus Christus wird als Inhalt des Evangeliums, die Botschaft von der Rechtfertigung verstanden. In seinem Wort, das von der Schrift verkündigt wird, handle der dreieinige 18 Vgl. KJC I, 31. 19 Vgl. die einleitende Erläuterung in der Kirchenstudie, die den Zusammenhang der drei Aspekte vorausgreifend zusammenfasst: „Der Grund der Kirche ist das Handeln Gottes zur Erlösung der Menschen in Jesus Christus. Subjekt dieses Grundgeschehens ist Gott selbst, und folglich ist die Kirche Gegenstand des Glaubens. Weil Kirche Gemeinschaft der Glaubenden ist, gewinnt ihre Gestalt geschichtlich vielfältige Formen. Die eine geglaubte Kirche (Singular) ist in unterschiedlich geprägten Kirchen (Plural) verborgen gegenwärtig. Die Bestimmung der Kirche ist ihr Auftrag, der ganzen Menschheit das Evangelium vom Anbruch des Reiches Gottes in Wort und Tat zu bezeugen“ (KJC, Einleitung, 26–30; 28f). 20 Larentzakis, Grigorios, Ekklesiologie in der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 93. 21 KJC, I.1.1, 32. 22 Ebd. Die Kirchenstudie zitiert hierbei LK 9.
Die Entfaltung des ekklesiologischen Theorems
187
Gott. Er rechtfertige und heilige den Sünder in Jesus Christus im Heiligen Geist. Das rechtfertigende Handeln Gottes ist also nicht nur als Inhalt des Evangeliums sichtbar verkündigt in der Schrift, sondern es ist auch wirksames Handeln Gottes durch den Heiligen Geist am Menschen.23 Im Rekurs auf CA VII konstatiert die Kirchenstudie diesbezüglich, dass Gottes rechtfertigendes Handeln den Menschen in der Bezeugung des Evangeliums in Wort und Sakramenten begegne: „Durch den Heiligen Geist […] wird uns das verkündigte Wort ins Herz geschrieben“24. Das Handeln Gottes am Menschen durch den Heiligen Geist schaffe Vertrauen in das Evangelium als Botschaft von der Rechtfertigung und rechtfertige zugleich in Jesus Christus, heißt es in der Studie.25 Dieses Handeln Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist begründe die Kirche als communio sanctorum und creatura verbi divini. Dabei wird der Begriff der communio sanctorum aus dem Apostolikum von der Kirchenstudie reformatorisch akzentuiert als Gemeinschaft der Glaubenden.26 Sowohl die Konstitution des Glaubens als auch die Konstitution von Gemeinschaft können demnach verstanden werden als zwei Aspekte eines Geschehens, des Handelns des dreieinigen Gottes: Indem Gott das Evangelium von Jesus Christus in Wort und Sakrament dem einzelnen Menschen durch den Heiligen Geist als Wahrheit des Glaubens gewiss macht und ihm so durch den Geist in Jesus Christus Anteil gibt an der Gemeinschaft mit Gottes trinitarischem Leben, ist der Glaubende zugleich in die Gemeinschaft der Glaubenden einbezogen, die ihren Grund in Gottes rechtfertigender Anrede an den Menschen hat.27
Das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus wird den Menschen durch den Heiligen Geist gewiss gemacht und verbindet sie zur Gemeinschaft der Glaubenden, die an der Rechtfertigung in Christus teilhaben, so die Kirchenstudie.28 Insofern wird das Handeln Gottes als Grund und Ursprung von Kirche verstanden. Der Rekurs auf CA VII lässt jedoch bereits erkennen, dass es einen Ort für das Handeln Gottes gibt. Die Gemeinschaft der Glaubenden kann demzufolge er23 Vgl. Herms, Eilert, Gemeinschaft aus der Kraft Gottes, 462–466. 24 KJC, I.1.2, 32. 25 Vgl. KJC, I.1.2, 32f. Hierbei bezieht sich die Studie auf LK 10: „Wer dem Evangelium vertraut, ist um Christi willen gerechtfertigt vor Gott und von der Anklage des Gesetzes befreit“. 26 Vgl. Leipold, Heinrich, Die Leuenberger Kirchenstudie, 74. Der Begriff der communio sanctorum hat die zwei Bedeutungen „Gemeinschaft an den Heilsgaben“ und „Gemeinschaft der Heiligen“. Als dritte Möglichkeit, die in logischer Verknüpfung mit den beiden erstgenannten Übersetzungen steht, überträgt die Studie den Begriff in „Gemeinschaft der Glaubenden“ (congregatio vere credentium): Die Gemeinschaft der durch den Zuspruch der Vergebung Geheiligten bzw. Heiligen ist die Gemeinschaft derer, „die im wahren Glauben Anteil an den Heilsgaben haben“ (Nüssel, Friederike, Kriterien kirchlicher Einheit nach evangelischem Verständnis, 108). Vgl. auch KJC, I.2.3, 37. 27 Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 424, Herv. v. J.G. 28 Vgl. KJC, I.1.3, 33.
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Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie
kannt werden an den sichtbaren Zeichen von Wort und Sakrament, deren sich Gott für sein Heilshandeln am Menschen bedient. Diese Verbindung des Handelns Gottes und des Handelns der Menschen wird im Folgenden anhand der Betrachtungen zur Gestalt von Kirche erläutert.
2.2.2 Die Gestalt von Kirche als Zeugnis ihres Grundes Die Kirchenstudie erläutert die Gestalt von Kirche erstens ausgehend von einer Darlegung ihres biblischen Ausgangspunktes. Hieran anschließend beschreibt sie zweitens ihr Verständnis des Verhältnisses vom Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen. Dieses Verhältnis reflektiert sie drittens in ihren Darlegungen zur Gestalt von Kirche einerseits als das Werk Gottes und andererseits als das Werk des darauf bezogenen Handelns des Menschen. Die Gestalt von Kirche als communio sanctorum ist demnach laut der Studie zweifach bestimmt: Sie ist eine verborgene, in Christus geeinte Gemeinschaft, die Teilhabegemeinschaft der Gläubigen an der Rechtfertigung in Christus. Kirche ist demnach Gegenstand des Glaubens. Kirche ist jedoch auch eine sichtbare Gemeinschaft der Gläubigen an Wort und Sakrament.29 Demnach ist Kirche in einer Pluralität von Gestalten erkennbar. Da es sich bei der geglaubten Kirche und den sichtbaren Kirchen in der Kirchenstudie um zwei Aspekte der Gestalt von Kirche handelt, ist der Begriff der „Gestalt“ nicht mit „Sichtbarkeit“ gleichzusetzen. Er steht nicht in Kontrast zur verborgenen geglaubten Kirche. Vielmehr sind sichtbare, geschichtliche Gestalt und verborgene, geglaubte Kirche als zwei zusammengehörende Implikate des Begriffes der Gestalt zu verstehen. 2.2.2.1 Die Kirche als Leib Christi In ihren Darlegungen zur Gestalt bindet die Studie die Kirche als communio sanctorum zurück an den paulinischen Begriff der Kirche als Leib Christi. Sie fundiert ihre Ekklesiologie somit christologisch: „In ihren geschichtlichen Lebensvollzügen stellt sich die Kirche als Leib Christi dar“30. Die Studie unterscheidet demnach zwischen den geschichtlichen Lebensvollzügen einer Kirche, die hinweisenden Charakter haben, und der geglaubten Gestalt von Kirche als Leib Christi, auf die die Lebensvollzüge verweisen und in der sie ihren Grund haben. Die Verbindung des Verständnisses von Kirche mit dem biblischen Bild 29 Die Kirchenstudie nimmt hier den Wortlaut der Konkordie auf, die nicht von der Gemeinschaft in, sondern an Wort und Sakrament sowie an dem Leib Christi spricht (vgl. LK 15, Satz 3; LK 29). 30 KJC, I.2.1, 35.
Die Entfaltung des ekklesiologischen Theorems
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des Leibes Christi verdeutlicht nun das Verhältnis zwischen den beiden Aspekten von Kirche als einerseits verborgener, geglaubter und andererseits sichtbarer Gemeinschaft: Als verborgene Gemeinschaft der Gläubigen ist die Kirche eine Gemeinschaft von Gliedern am Leib Christi. Die Einheit der Glieder untereinander ist in der Einheit mit Christus begründet. Das sichtbare Leben der Kirche als „Gemeinschaft der Glieder“31 besteht darin, dem Aufbau der Gemeinde Gottes zu dienen. Die Lebensvollzüge der Kirche zielen in ihrem Zeugnis folglich auf eine umfassende Gemeinschaft der Gläubigen.32 Kirche ist der Argumentation der Studie folgend somit in das versöhnende Handeln Gottes am Menschen eingebunden als dienendes Instrument. Hierbei dienen die einzelnen Glieder „gemäß der Verschiedenheit der ihnen von Gott verliehenen Gaben“33. Ihre Einheit gewinnt die Kirche im Verständnis der Ekklesiologiestudie also nicht aus einer Einheitlichkeit der Charismen oder der daraus entspringenden Handlungen. Vielmehr liegt der Grund ihrer Einheit in Christus, der im Geist gegenwärtig und wirkend ist.34 Aufgrund dieser Einsicht werden, so die Studie, „alle Fragen des kirchlichen Lebens seit der neutestamentlichen Zeit am Maßstab dieser Einheit der Verschiedenen beurteilt und entschieden“35. Diese „Einheit der Verschiedenen“ ist auch Maßstab der Darlegungen der Ekklesiologiestudie zur Gestalt der Kirche als communio sanctorum: Die Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, die in einer Vielzahl unterschiedlicher Lebensvollzüge sichtbare Gestalt annimmt, misst sich an ihrer verborgenen, geglaubten Einheit in Christus.36 2.2.2.2 Das Verhältnis zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen Die Überzeugung, dass die Einheit der Kirche nicht an der Einheitlichkeit menschlicher Handlungen gemessen wird, sondern an der darin erkennbaren Einheit in Christus, ist von grundlegender Bedeutung für das evangelische Profil der Ekklesiologiestudie.37 Ausgehend von dieser Einsicht ergeben sich in der 31 Ebd. 32 Vgl. zum Aufbau der Gemeinde Gottes den Begriff der Sammlung. Die Leuenberger Konkordie betont hierzu bereits, dass Kirche als Teilhabegemeinschaft an der Rechtfertigung in Christus gesammelt wird durch die Vergegenwärtigung Jesu Christi durch den Heiligen Geist in Verkündigung, Taufe und Abendmahl. Vgl. LK 13, Satz 3f. 33 KJC, I.2.1, 35. 34 Vgl. ebd. 35 Ebd. 36 Vgl. ebd.; vgl. auch KJC, Einleitung, 26–30; 28: „Weil Kirche Gemeinschaft der Glaubenden ist, gewinnt ihre Gestalt geschichtlich vielfältige Formen. Die eine geglaubte Kirche (Singular) ist in unterschiedlich geprägten Kirchen (Plural) verborgen gegenwärtig“. 37 Vgl. KJC, I.2.2, 36. Vgl. auch die spätere Kritik aus römisch-katholischer Perspektive an der
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Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie
Studie Konsequenzen für die Verhältnisbestimmung zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln der Menschen mit Blick auf die Einheit der Kirche.38 Zur Unterscheidung und Verhältnisbestimmung zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln der Menschen konstatiert die Studie: „Das Handeln der Kirche empfängt seine Orientierung aus der Unterscheidung zwischen dem, was wir vertrauensvoll von Gott erwarten und annehmen dürfen, und dem, was dadurch uns als Zeugnis von der Gnade Gottes in Jesus Christus zu tun aufgegeben ist“39. Das Handeln der Kirche geht der Studie zufolge also aus vom Handeln Gottes und dem damit verbundenen Zeugnisauftrag. Das Werk Gottes bestehe darin, den Menschen zur Gewissheit des Glaubens an die Botschaft von der Rechtfertigung in Jesus Christus zu führen, so die Studie.40 Das Handeln Gottes sei jedoch nicht nur Subjekt seiner Selbstvergewisserung. Es sei als Inhalt des in der Schrift verkündigten Evangeliums zugleich Objekt der Verkündigung. Die Kirche gründet nach diesem Verständnis im Handeln Gottes, sie richtet ihr Handeln aber auch auf das Handeln Gottes aus, indem sie in ihrer sichtbaren Gestalt Zeugnis von ihm gibt: „Das Handeln der Kirche muß von sich wegweisen. Es ist Zeugnis vom rechtfertigenden Handeln des dreieinigen Gottes“41. Maßstab kirchlichen Handelns ist der Studie zufolge das Evangelium vom rechtfertigenden Handeln Gottes. Alles Reden und Handeln der Kirche ist auf Gottes Handeln als ihren Grund zu beziehen und „muss sich […] an ihm als dem einzigen Kriterium ausweisen“42: Das Zeugnis der Kirche ist mit dem Anspruch verbunden, „glaubwürdig, sachgerecht und einladend die Gnade Gottes als Heil der Welt zu bezeugen“43. Glaubwürdig ist die kirchliche Praxis jedoch nicht durch sich selbst, so die Studie. Glaubwürdig sei sie durch ihren Referenzgegenstand, das rechtfertigende Handeln Gottes. Dass es Gottes Werk sei, Glaubensgewissheit zu stiften, wird auch deutlich am Begriff des Instruments. So konstatiert die Studie, zur Stiftung der Gewissheit bediene sich das Handeln Gottes, die Selbstvergegenwärtigung durch den Heiligen Geist, kirchlichen Handelns als Instrument: Das Handeln der Kirche, das sich durch Gottes Handeln begründet und begrenzt weiß, geschieht im Vertrauen darauf, daß Gott sich in der Treue zu seiner Verheißung des
38 39 40 41 42 43
Verhältnisbestimmung zwischen dem opus Dei und dem opus hominum, wie sie die Kirchenstudie vornimmt (Kap. C 1.2.1 der vorliegenden Untersuchung). Vgl. KJC, I.2.2, 36. Ebd. Vgl. Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 424. KJC, I.2.2., 36. Birmelé, André, Zur Ekklesiologie der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 51. KJC, I.2.2, 36.
Die Entfaltung des ekklesiologischen Theorems
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menschlichen Zeugnisses von der Wahrheit des Evangeliums bedient, um Menschen in die Gemeinschaft des Glaubens zu führen.44
Kirchliches Handeln tritt demnach in seinem Charakter als Werkzeug hinter das Handeln Gottes zurück, das Einheit im Sinne der Gemeinschaft des Glaubens stiftet. Gott führt den Menschen in die Gemeinschaft des Glaubens, indem er sich dieses kirchlichen Zeugnisses glaubensstiftend bedient, „wo und wann es Gott gefällt“45. Kirche ist somit zwar Teil des Rechtfertigungsgeschehens und der Ort, an dem Rechtfertigung geschieht, und nicht erst dessen Konsequenz.46 Der Charakter der Instrumentalität von Kirche unterscheidet sich aber von der Instrumentalität Gottes: „Die Kirche ist bestimmt, als Zeugin des Evangeliums in der Welt Instrument Gottes zur Verwirklichung seines universalen Heilswillens zu sein. Sie wird dieser Bestimmung gerecht, indem sie in Christus bleibt, dem unfehlbaren einzigen Instrument des Heils“47. Das Handeln Gottes kann, so betont es die Studie als reformatorische Einsicht, „nicht vom Handeln der Kirche stellvertretend wahrgenommen oder weitergeführt werden“48. Folglich könne den „Institutionen und Traditionen der Kirche […] nicht die Autorität Gottes beigemessen werden“49. Die Einsicht in die alleinige Heilswirksamkeit vom Handeln Gottes hat Konsequenzen für ein Verständnis von christlicher Freiheit sowie die sichtbare Gestalt der Kirche als Zeugnis vom Handeln Gottes, so die Studie: Indem Jesus Christus so an uns handelt, gewährt er zugleich die Erkenntnis, was allein er tut und tun will und was wir daraufhin tun können und sollen. So ist Christuserfahrung zugleich immer Erfahrung der Freiheit und der Verantwortung des Glaubens.50 44 KJC, ebd. 45 Ebd. Vgl. CA V. Die Kirchenstudie macht an dieser Stelle noch keine Angaben darüber, wann das kirchliche Zeugnis „sachgerecht“ ist. Sie beschränkt sich auf die Erläuterung des „glaubwürdigen“. Erst an späterer Stelle wird der Aspekt des Sachgerechten aufgenommen in Zusammenhang mit der Verhältnisbestimmung zwischen den Wesenseigenschaften der geglaubten Kirche und den Kennzeichen wahrer Kirche. Vgl. hierzu KJC, I.2.3 u. I.2.4, 37–41. Vgl. auch Kap. B 2.2.2.5 der vorliegenden Untersuchung. 46 Vgl. Birmelé, André, Zur Ekklesiologie der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 48. Vgl. a. a. O., 49: Das „Handeln Gottes kann in seinem Vollzug an den Menschen nicht ohne die Kirche sein“. Es wird also nicht von einem individualistischen Heilsverständnis ausgegangen. Vielmehr ist das Handeln Gottes immer auch Handeln in der Gemeinschaft. 47 KJC, I.3.2, 49, Herv. v. J.G. Vgl. auch Birmelé, André, Zur Ekklesiologie der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 52: „Die kirchliche Mittlerschaft kann niemals mit der primären Mittlerschaft Jesu Christi auf eine Ebene gestellt werden“. Vgl. ferner Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 423: „Die Einheit der Kirche ist in der Einheit des Handelns Gottes begründet und darum wird es zur notwendigen und hinreichenden Bedingung der Einheit der Kirche, dass sie Gott als den Grund ihrer Einheit authentisch bezeugt und sich so als Instrument des kircheschaffenden Handelns Gottes gebrauchen lässt“. 48 KJC, I.2.2, 36. 49 KJC, I.2.2, 36; vgl. auch Leipold, Heinrich, Die Leuenberger Kirchenstudie, 74. 50 KJC, I.1.3, 33f.
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Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie
Das rechtfertigende Handeln Gottes konstituiert nach diesem Verständnis christliche Freiheit, es konstituiert diese Freiheit aber auch als Freiheit in der Kirche. So seien die Menschen frei, „die Gemeinschaft der Glaubenden, ihre Ordnung und Ämter in der Freiheit des Glaubens zu gestalten“51. Ebenso seien die Menschen durch das Handeln Gottes frei zur Tolerierung von Unterschieden in der Gestaltung kirchlicher Gemeinschaft, sofern diese anderen Gestaltungen ebenfalls Zeugnisgemeinschaften des Evangeliums sind.52 Diese Verhältnisbestimmung zwischen einerseits dem Handeln Gottes als Wirkursache des Glaubens und der Gemeinschaft der Glaubenden und andererseits dem Handeln der Menschen als Instrument des Handelns von Gott wird von den Ausführungen zur Gestalt von Kirche in der Kirchenstudie reflektiert. 2.2.2.3 Die Wesenseigenschaften der geglaubten Kirche als Vorgabe für die sichtbaren Kirchen Die genannte Unterscheidung zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Handeln reflektiert die Kirchenstudie in ihren Betrachtungen zur Gestalt der Kirche. Hierzu betrachtet die Studie zunächst die Eigenschaften der geglaubten Kirche, die das Werk Gottes ist.53 Zu den Eigenschaften der geglaubten Kirche stellt die Kirchenstudie fest: Die Kirche ist die durch den Heiligen Geist durch Wort und Sakrament gegründete Gemeinschaft der Glaubenden. Sie ist kraft ihres Ursprungs durch ‚ursprüngliche‘ oder Wesenseigenschaften gekennzeichnet, die in den Glaubensbekenntnissen der alten Kirche ihren Niederschlag finden. Sie ist in allen Kirchen die eine, heilige, katholische (allumfassende), apostolische Kirche.54
Die vier Eigenschaften der geglaubten Kirche (Einheit, Heiligkeit, Katholizität, Apostolizität), so die Interpretation der Kirchenstudie, sind Vorgabe und zugleich Aufgabe für das Zeugnis der sichtbaren Kirchen.55 Kirchliches Zeugnis in Wort und Tat soll also den vier Wesenseigenschaften der geglaubten Kirche entsprechen, um somit das Handeln Gottes als den einzigen Grund von Kirche unverfälscht erkennbar werden zu lassen.56
51 KJC, I.1.4, 34. 52 Vgl. KJC, I.1.4, 34; vgl. auch Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 425. 53 Das Handeln des Menschen wird in den Betrachtungen zur Gestalt sichtbarer Kirchen reflektiert. Vgl. Kap. B 2.2.2.4 der vorliegenden Untersuchung. 54 KJC, I.2.3, 37. 55 Vgl. KJC, I.2.1 u. I.2.2, 35f. 56 Vgl. KJC, I.2.4, 39. Vgl. Theissen, Henning, Die berufene Zeugin des Kreuzes Christi, 118: Wahre Kirche ist da anzutreffen, „wo der in sich unerkennbare Glaube sich nach außen mitteilt“.
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Anhand der Besprechung der vier Eigenschaften verdeutlicht die Kirchenstudie dieses Verhältnis zwischen dem Werk Gottes und dem darauf bezogenen Zeugnis des Menschen. Die Eigenschaft der Einheit der geglaubten Kirche bezieht sich auf die Einheit ihres Ursprungs, das Handeln des trinitarischen Gottes, so die Studie. Das Werk Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist sei die Grundlage für die sichtbare Gemeinschaft von Kirchen. Die Einheit sei demnach bereits durch das Werk Gottes vorgegeben. Von dieser geglaubten Einheit als der Gabe Gottes sollen die Kirchen „in der Verschiedenheit ihrer geschichtlichen Gestalten sichtbar Zeugnis“57 geben, so die Studie. Auch die Heiligkeit als eine Eigenschaft der geglaubten Kirche gründet der Kirchenstudie zufolge im Handeln Gottes. Ausgehend von seinem Handeln in Christus spreche Gott den Menschen Vergebung zu und heilige sie. Durch dieses Handeln Gottes seien die Menschen zur Gemeinschaft der Heiligen, als Gemeinschaft der gerechtfertigten Sünder, verbunden.58 Dieser Eigenschaft sollen die Christen und die Kirchen in ihrem Leben sichtbare Gestalt geben, indem sie dem Gebot Gottes folgen, so die Studie.59 Da die „Gemeinschaft der von Gott Geheiligten“60 jedoch aus eigener Kraft nicht fähig sei, ihr Leben nach dem Gebot zu gestalten, sei sie geheiligt und „größte Sünderin“61 zugleich. Die Heiligkeit ist dann zu verstehen als Appell zum Schuldbekenntnis und zur steten Umkehr im Gehorsam gegenüber Gottes Gebot.62 Der Kirchenstudie zufolge ist das Wort Gottes das Heil der ganzen Welt. In diesem Wort Gottes hat die Kirche ihren Ursprung, so die Studie. Die geglaubte Kirche als eine von Gott geschaffene Gemeinschaft ist demnach katholisch im Sinne von allumfassend. Sie wird durch menschliche Gemeinschaften nicht begrenzt. In der Kirchenstudie geht mit der Eigenschaft der Katholizität deshalb der Appell an die sichtbaren, vielfach voneinander getrennten Kirchen und Christen, die geglaubte Einheit auch in ihrem Handeln und „in der Gestaltung ihres Lebens erfahrbar zu machen“63. Schließlich ist die geglaubte Kirche der Studie zufolge aufgrund ihres Ursprungs im Wort Gottes apostolisch. Hierzu identifiziert die Studie das Wort Gottes mit dem „ursprüngliche[n], von den Aposteln bezeugte[n] Evangelium,
57 58 59 60 61 62 63
KJC, I.2.3, 37. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Ebd. Ebd. mit Bezug auf WA 34 I, 276, 8–13. Vgl. KJC, I.2.3, 37. KJC, I.2.3, 38. Die Kirchenstudie nennt hierzu explizit die notwendige Überschreitung „nationaler, rassischer, sozialer, kultureller und mit der Geschlechterzughörigkeit gegebener Grenzen“ (KJC, I.2.3, 38). Sie verweist somit kritisch auf die Praxis in unterschiedlichen Kirchen, insbesondere auf die Situation der Apartheid. Vgl. hierzu auch KJC, I.2.5.4, 48.
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wie es uns in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments gegeben ist“64. Die Kirche sei apostolisch, insofern sie ihr Fundament in diesem Evangelium habe. Was das bedeutet, erläutert die Studie im weiteren Verlauf anhand des Begriffs der successio bzw. der Nachfolge genauer. So meint die apostolische Nachfolge in der Lesart der Kirchenstudie nach reformatorischer Überzeugung die stete Rückkehr zum apostolischen Zeugnis, die zur „authentischen und missionarischen Bezeugung des Evangeliums von Jesus Christus“65 verpflichtet. Authentisch ist das Zeugnis kirchlicher Praxis, so die Kirchenstudie, wenn es das die Kirche begründende Wort Gottes als die Christusbotschaft, das Rechtfertigungshandeln Gottes zum Ausdruck bringt.66 Allein das im Heilshandeln Gottes gründende Evangelium ist folglich „Garant für das Bleiben der Kirche in der Wahrheit“67. Zugleich wird somit deutlich, dass die Kirchenstudie die Apostolizität von Kirche dadurch gefährdet sieht, „dass sich die Zeugnispraxis der Kirche von ihrem Ursprung in der apostolischen Überlieferung über Gebühr entfernt oder ihr sogar zuwiderläuft“68. Als eine Hilfe für die authentische Verkündigung des Evangeliums sowie als Voraussetzung für die sachgemäße Führung kirchlicher Ämter nennt die Studie „die immer neue Bemühung um das klare Verständnis der Christusbotschaft in der wissenschaftlichen Theologie“69. Ausgehend von dieser Feststellung verwirkliche sich Apostolizität auf zwei Weisen, als successio fidelium, die Nachfolge im Glauben, sowie als successio ordinis, die Nachfolge im geordneten Amt.70 Successio fidelium und successio ordinis stehen in einem Verhältnis zueinander: Als Nachfolge im Glauben verwirklicht sich die Apostolizität der Kirche überall dort, „wo der Geist Gottes diese
64 65 66 67
KJC, I.2.3, 38. Ebd. Vgl. KJC, I.2.5.4, 47f. Vgl. auch KJC, III.1.2, 69 mit Bezug auf LK 12. Birmelé, André, Zur Ekklesiologie der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 50. Mit Blick auf die reformatorische Tradition lässt sich somit auch die für die Ökumene bedeutsame Beobachtung machen, dass „keine grundsätzliche Neuerung der Amtsstruktur, sondern eine evangeliumsgemäße Reformierung intendiert wurde und dass dies in dem Bestreben und Bewusstsein geschah, die apostolische Sukzession zu wahren“ (Nüssel, Friederike, Kriterien kirchlicher Einheit nach evangelischem Verständnis, 116, Herv. v. J.G.). 68 Beintker, Michael, Die Studie „Die Kirche Jesu Christi“ aus evangelischer Sicht, 68. Besonders deutlich wird die Unzulänglichkeit geschichtlicher Kirche mit Blick auf die Gestalt der geglaubten Kirche am bereits genannten Attribut der Heiligkeit: Hier zeigt sich die reformatorische Überzeugung von der Kirche als „größte Sünderin“. Vgl. KJC, I.2.3, 37. 69 KJC, I.3.3.2, 52. Die „Fakultätstheologie“ der evangelischen Fakultäten ist also in das „ministerium verbi“ einzubeziehen. Vgl. hierzu Herms, Eilert, Das Lehramt in den Kirchen der Reformation, 92. 70 Vgl. KJC, I.2.3, 38. Mit dem „geordneten Amt“ ist zunächst jede bestimmte Ordnung des Verkündigungsamtes in der Kirche gemeint. Die Kirchenstudie nimmt jedoch explizit Bezug auf das bischöfliche Amt, an das in manchen lutherischen Kirchen, insbesondere aber in der römisch-katholischen Kirche, der Gedanke der Apostolizität gebunden wird.
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apostolische Botschaft für Menschen zur Wahrheit macht“71. Hierdurch bedingt wird die Nachfolge im geordneten Amt.72 Die successio ordinis, etwa im bischöflichen Amt, tritt also nicht an die Stelle des Wirkens des Heiligen Geistes durch das apostolische Zeugnis, sondern ist durch sie bedingt: „Die Sukzession der Bischöfe ruht auf der vom Geist Gottes durch die Instrumentalität des apostolischen Zeugnisses gewirkten successio fidelium“73. Mit dieser Deutung vollzieht die Kirchenstudie eine kritische Abgrenzung gegenüber solchen Deutungen von Apostolizität, die diese in der successio ordinis begründet sehen und somit die bischöfliche Traditionstätigkeit als Teil des Offenbarungsprozesses selbst erachten.74 Apostolizität von Kirche werde nach reformatorischem Verständnis also nicht durch die „historische Kontinuität der Sukzession im bischöflichen Amt der Kirche“75 garantiert, so die Studie. Dies bedeutet jedoch auch, dass die historische Sukzession das Bleiben der Kirche im Wort Gottes nicht ausschließt.76 Vielmehr bleibt mit dieser Deutung die Offenbarung Gottes souverän über jegliche menschliche Zeugnishandlung: Gott bedient sich zur Ausführung seines Werkes des menschlichen Zeugnisses, „das die ursprünglich den Aposteln anvertraute und von ihnen verkündigte Botschaft, so wie sie die Schrift bezeugt, zum Inhalt hat“77. Die Kirche ist also apostolisch im Sinne einer successio fidelium, die der Geist Gottes bewirkt, indem er sich der menschlichen Bezeugung des apostolischen Zeugnisses, dem in der Schrift tradierten Evangelium von Jesus Christus, durch die successio ordinis als sein Instrument bedient.78
71 Ebd. 72 Vgl. Barth, Hans-Martin, Dogmatik. Evangelischer Glaube im Kontext der Weltreligionen. Ein Lehrbuch, Gütersloh 32008, 666: „Als ‚apostolisch‘ kann nicht gelten, was irgendwelche kirchlichen Autoritäten irgendwann einmal, und sei es in apostolischer Zeit, fixiert haben, sondern allein, was dem Evangelium entspricht“. 73 Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 426. 74 Die Kirchenstudie signalisiert mit diesem Verständnis zugleich eine Offenheit in der Amtsfrage, die den ökumenischen Dialog, insbesondere mit der anglikanischen Kirche, ermöglicht. Vgl. Leipold, Heinrich, Die Leuenberger Kirchenstudie, 75. 75 KJC, I.2.3, 38. 76 Diese Folgerung wird in der Studie nicht gesondert expliziert, lässt sich aber aus den vorangehenden Formulierungen ableiten (vgl. KJC I.2.3, 38). Die Folgerung ist insbesondere mit Blick auf die Anerkennung anderer Kirchen als Ausdruck der wahren Kirche von Bedeutung. Aus ihrer eigenen Perspektive öffnen sich die reformatorischen Kirchen über die Unabhängigkeit der Apostolizität von einer bestimmten Ausgestaltung des geordneten Amtes für den ökumenischen Dialog. 77 Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 426. 78 Vgl. hierzu Kap. B 2.2.2.4 der vorliegenden Untersuchung.
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2.2.2.4 Die Kennzeichen wahrer Kirche – Maßstab menschlicher Gestaltungsmöglichkeiten Ausgehend von den Betrachtungen zur geglaubten Kirche macht die Kirchenstudie auch Aussagen über die sichtbaren Kirchen, die das Werk der Menschen sind und die anhand bestimmter Kennzeichen als wahres Zeugnis vom Handeln Gottes erkannt werden können. Die geschilderten vier Eigenschaften der geglaubten Kirche, die dem Nizänokonstantinopolitanum entstammen, werden von der Kirchenstudie als vier Vorgaben und Aufgaben der sichtbaren Kirche verstanden: „Die sichtbare Kirche hat […] den Auftrag, in ihrer Gestalt ihr ursprüngliches Wesen zu bezeugen“79. Sichtbare, geschichtliche Gestalt von Kirche soll der Studie zufolge demnach wahrer Ausdruck der einen, heiligen, katholischen (allumfassenden) und apostolischen Kirche sein.80 Um diesen Wesenseigenschaften zu entsprechen, also wahre Kirche zu sein, sei es Aufgabe der kirchlichen Gemeinschaft, „ihre Gestalt stets zu prüfen und sie so [sc. den Wesenseigenschaften entsprechend] zu reformieren (ecclesia semper reformanda)“81. Von der sichtbaren Kirche als wahrer Ausdruck der geglaubten Kirche unterscheidet die Studie die falsche sichtbare Kirche.82 Falsche Kirche sei die sichtbare Kirche dann, wenn sie „das ihr aufgetragene Zeugnis durch Wort und Tat verfälscht“83, wenn sichtbare Kirche also in ihrem Handeln nicht den durch das Handeln Gottes vorgegebenen, zu bezeugenden Wesenseigenschaften der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche entspreche. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn die „Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse“84 zum Ausschluss vom Abendmahl führt. Ein solcher Ausschluss würde dem in den Wesenseigenschaften geglaubter Kirche zum Ausdruck kommenden katholischen Anspruch und Zuspruch des Wortes Gottes widersprechen. Als eine solche Verletzung des Leibes Christi und somit als christologische Häresie würde eine solche kirchliche Praxis den status confessionis begründen.85 Nun sind sichtbare Kirchen und geglaubte Kirche im Verständnis der Kirchenstudie erstens innergeschichtlich niemals identisch. Die Gestalt sichtbarer 79 KJC, I.2.2, 35. 80 Die Kirchenstudie begründet diese Bestimmung der Kirche mit dem biblischen Erwählungsund Verkündigungsauftrag (vgl. KJC, I.3.1, 48). 81 KJC, I.2.4, 39 (Herv. i. O.). 82 Die Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Kirche ist folglich nicht gleichzusetzen mit der Unterscheidung zwischen sichtbarer und geglaubter Kirche. Vgl. KJC, I.2.2, 35 u. I.2.4, 38. 83 KJC, I.2.4, 39. 84 KJC, I.2.5.4, 47f. 85 Vgl. KJC, I.2.5.4, 48. Der status confessionis bzw. der Bekenntnisnotstand würde der Kirchenstudie zufolge in der geschilderten Situation erklärt, weil eine Kirche durch eine solche Handlung – entsprechend der fundamentalen Glaubensüberzeugungen anderer Kirchen – mit dem Evangelium in Widerspruch gerät.
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Kirche als Ausdruck der verborgenen Kirche bleibt stets hinter ihrem geglaubten Ursprung und Gegenstand zurück, sie bleibt also mit Blick auf diesen defizitär. Zweitens entzieht sich die Erfüllung des Zeugnisauftrages, die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche in sichtbarer Gestalt zu bezeugen, dem menschlichen Urteil.86 Es stellt sich also die Frage, woran sich erkennen lässt, „ob eine konkrete erfahrbare Kirche als Glied der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche anzuerkennen ist“87. Hierzu betont die Studie im Sinne reformatorischer Einsichten, dass wahre Kirche keine rein verborgene Kirche ist. Vielmehr lässt sie sich nach reformatorischer Überzeugung an bestimmten Kennzeichen erkennen. Um Klarheit in Bezug auf die unterschiedlichen theologiegeschichtlich entstandenen Interpretationen der sogenannten notae ecclesiae bzw. signa verae ecclesiae zu schaffen, unterscheidet die Ekklesiologiestudie zwischen Kennzeichen der wahren Kirche und Kennzeichen christlichen Lebens.88 In Einklang mit der Leuenberger Konkordie konstatiert die Kirchenstudie hierzu, dass wahre Kirche mit Blick auf die verschiedenen reformatorischen Einsichten überall dort zu erkennen ist, wo eine sichtbare Kirche ihren Ursprung in der reinen Predigt des Evangeliums und in der evangeliumsgemäßen Feier der Sakramente bezeugt.89 Diese Kennzeichen sind zugleich „diejenigen elementaren Züge des sichtbaren Lebens der Kirche […], durch die sich der Ursprung der Kirche [sc. Gottes Gnade] vergegenwärtigt und durch die eine Kirche sich an ihren Ursprung hält“90, der sie zur wahren Kirche macht. An diesen Merkmalen, so die Folgerung der Studie, wird nach reformatorischer Überzeugung erkannt, ob eine sichtbare Kirche als Teil der geglaubten Kirche anzuerkennen ist.91 Mit diesen „klassischen“92 oder „ursprünglichen“93 Kennzeichen der Kirche, der reinen Predigt des Evangeliums und der evangeliumsgemäßen Feier der 86 Vgl. KJC, I.2.4.1, 39. 87 KJC, I.2.4.1, 39. Vgl. auch KJC, III.4, 76. 88 Vgl. KJC, I.2.4.2, 40: „Um der Klarheit willen muß also unterschieden werden zwischen den Kennzeichen des christlichen Lebens und den Kennzeichen der wahren Kirche“. Die Kennzeichen wahrer Kirche werden im theologischen Diskurs sowohl als notae als auch als signa bezeichnet. Eine eindeutige Zuordnung der lateinischen Termini zu den Wesenseigenschaften einerseits und den sichtbaren Kennzeichen andererseits erfolgt also nicht. 89 Vgl. CA VII. Die Studie verbindet somit ihre Interpretation der Aussagen des Nizänokonstantinopolitanums über die Wesenseigenschaften der geglaubten Kirche mit den reformatorisch verstandenen Kennzeichen der Kirche. Vgl. Leipold, Heinrich, Die Leuenberger Kirchenstudie, 75. 90 KJC, I.2.4.1, 39. Die Deutung des Ursprungs der Kirche als Gottes Gnade wird deutlich in KJC, I.2.4.2, 39. 91 Vgl. KJC, I.2.4.1, 39 u. III.4, 76. 92 KJC, I.2.4.1, 39. 93 KJC, I.2.4.3, 41. Die Kennzeichen „Wort und Sakramente“ werden in der Kirchenstudie auch als fundamentale und elementare Kennzeichen der wahren Kirche bezeichnet.
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Sakramente, sind in der Kirchenstudie folglich diejenigen kirchlichen Handlungen gemeint, die notwendig und ausreichend gegeben sein müssen, damit eine Kirche die andere Kirche als Zeugin und Zeugnis des rechtfertigenden Handelns Gottes anerkennen kann. Das Glaubensurteil darüber, ob Kirche wahre Kirche ist, wird erstens ausgehend von der Verheißung, dass Gott sich in Wort und Sakramenten selbst vergegenwärtigt, gesprochen.94 Zweitens wird es ausgehend von der Überzeugung gefällt, dass die Verkündigung des Evangeliums und die Feier der Sakramente die grundlegenden kirchlichen Handlungen in Bezug auf das Werk Gottes sind.95 Das bedeutet, dass nicht die menschliche Zeugnispraxis selbst Kirche zu wahrer Kirche macht. Vielmehr verweist die Zeugnishandlung auf ihren Grund und Inhalt, das Handeln des dreieinigen Gottes. Indem die kirchliche Zeugnishandlung auf das Offenbarungsgeschehen verweist, relativiert sie sich jedoch selbst als Grund der wahren Kirche und tritt als bloßes Instrument hinter diesen zurück.96 Neben diesen elementaren Kennzeichen wahrer Kirche zählt die Kirchenstudie weitere Kennzeichen auf, die von den Reformatoren benannt werden.97 Diese weiteren, von den Reformatoren angegebenen Kennzeichen von Kirche können jedoch, da die genannten beiden bereits als hinreichend (satis est) definiert wurden, „keine Erweiterung oder Vertiefung des grundlegenden Kirchencharakters darstellen“98, so die Studie. Es handle sich dabei vielmehr um „Kennzeichen des christlichen Lebens“.99 Während diese weiteren Kennzeichen 94 Vgl. KJC, I.2.4.1, 39. 95 Vgl. ebd. 96 Vgl. Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 427. Ernst Kinder bezeichnet die Kennzeichen wahrer Kirche von daher auch als „Wirkmittel des kircheschaffenden Handelns Gottes“ (Kinder, Ernst, Der evangelische Glaube und die Kirche. Grundzüge des evangelischlutherischen Kirchenverständnisses, Berlin 1958, 51). 97 In Rekurs auf Luther werden hierzu „das Schlüsselamt (Beichte und Absolution), die Ordnung des Predigtamtes (Bischöfe, Pfarrer etc.), das Gebet, das Leiden um des Evangeliums willen und auch die Befolgung der zweiten Tafel des Dekalogs“ (KJC, I.2.4.2, 39) erwähnt. Ähnlich fasst die Kirchenstudie auch fünf Merkmale von Kirche aus der Confessio Bohemica von 1575 zusammen. Hierzu nennt die Studie zusätzlich zur Verkündigung des Evangeliums und der Darreichung der Sakramente „Kirchenzucht, Kreuz, Bedrängnis um der Wahrheit willen, Gehorsam des Evangeliums und Gesetzes Christi“ (a. a. O., 40) sowie die Bruderliebe. In Rekurs auf die reformierte Tradition betont die Studie schließlich „die Kennzeichen der Kirchenzucht (disciplina) und des Glaubensgehorsam“ (a. a. O., 40, Herv. i. O.). Diese weiteren Kennzeichen beziehen sich auf die christliche Lebensführung, den „Gottesdienst der Christen im Alltag der Welt“ (ebd.). 98 Theissen, Henning, Die berufene Zeugin des Kreuzes Christi, 115. 99 Verkündigungs- und Spendungsamt als „mit Wort und Sakrament zusammenhängende“ Kennzeichen werden sowohl den Kennzeichen der wahren Kirche als auch den Kennzeichen christlichen Lebens zugeordnet. Diese Zuordnung wird weiter ausdifferenziert durch die Verhältnisbestimmung zwischen christlichem Leben und dem Leben der erfahrbaren Kirche: Christliches Leben wird definiert als „das ganze Lebenszeugnis aller Glaubenden“ umfassend (KJC, I.2.4.3, 40). Es schließt somit sowohl die Bezeugung des Evangeliums und die Feier der
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die sichtbare Gestalt von Kirche bestimmen, bleibt die Identifizierbarkeit von Kirche allein an die Kennzeichen wahrer Kirche gebunden: die Predigt des Evangeliums und die Sakramentsfeier als Grundaspekte des Gottesdienstes der Kirche und „Identitätszentrum ihres Lebens“100. 2.2.2.5 Die Differenzierung der Kennzeichen wahrer Kirche mithilfe der Kennzeichen erfahrbarer Kirche Ihr Verständnis von den Kennzeichen wahrer Kirche und das darin reflektierte Verhältnis zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen erläutert die Kirchenstudie noch näher. Hierzu differenziert die Studie die Kennzeichen wahrer Kirche mithilfe einer Betrachtung zum „Zeugnis und Dienst als Kennzeichen der Kirche“101, das heißt der erfahrbaren Kirche.102 Zeugnis und Dienst sind, so die Studie, „die Früchte des Glaubens, zu denen das Evangelium als Kraft Gottes befreit“103. Zeugnis und Dienst von Kirche geschehen demnach ausgehend vom Handeln Gottes und in Bezug auf das Handeln Gottes in Wort und Sakramenten.104 Es sind die sichtbaren Handlungen erfahrbarer Kirche, die zum einen als Befolgung der ersten Tafel der Gebote in den Institutionen des Gottesdienstes und in der Weitergabe des Evangeliums geschehen.105 Zum anderen geschehen Zeugnis und Dienst als Befolgung der zweiten Tafel der Gebote in den Institutionen der Diakonie.106
100 101
102 103 104 105 106
Sakramente als die Kennzeichen erfahrbarer Kirche als auch weitere, die Befolgung der Gebote der zweiten Tafel betreffende Kennzeichen ein. Weil christliches Leben die Kennzeichen erfahrbarer Kirche beinhaltet, ist es grundlegend für die konkrete Gestalt der Kirche (vgl. a. a. O., 40f). Andererseits sind Wort und Sakrament sowie ihre „Pflege und Ausgestaltung“ selbst Grundlage für das christliche Leben, insofern dieses sich nur durch die Sammlung um Wort und Sakrament an seinen Ursprung hält, „durch den es seine Identität und Konkretheit als Leben in der communio sanctorum gewinnt“ (a. a. O., 41, Herv. i.O.). Die fundamentalen Kennzeichen von Kirche sind demnach entscheidend für die Identifizierbarkeit christlichen Lebens: „So wie Wort und Sakramente die ersten, das heißt die ursprünglichen und elementaren Kennzeichen der wahren Kirche sind, so ist die Teilhabe an der erfahrbaren Kirche als dem Ort der Sammlung um das Wort und Sakrament das erste unverwechselbare Kennzeichen des christlichen Lebens“ (ebd.). Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 427; vgl. KJC, I.2.4.3, 41. KJC, I.2.5, 41. Der Titel der Betrachtung lautet vollständig: „‚Zeugnis und Dienst‘ als Kennzeichen der Kirche und des christlichen Lebens“. Da kirchliche Identität jedoch im Verständnis der Kirchenstudie an die Kennzeichen wahrer Kirche gebunden ist, beschränkt sich die vorliegende Darstellung, wie auch die der Kirchenstudie, auf Zeugnis und Dienst als Kennzeichen der Kirche. Vgl. KJC, I.2.5, 42. KJC, I.2.5, 41. Eine detaillierte Analyse des Verständnisses von Zeugnis und Dienst bietet Theissen, Henning, Die berufene Zeugin des Kreuzes Christi, 114–124. Vgl. KJC, I.2.4.1, 39. Vgl. KJC, I.2.5.1, 42. Vgl. KJC, I.2.5.2, 46.
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Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie
Für die Betrachtung von Zeugnis und Dienst als differenzierte Erläuterung der Kennzeichen wahrer Kirche ist es ausreichend, den Aspekt von Zeugnis und Dienst in den Institutionen des Gottesdienstes und der Weitergabe des Evangeliums zu beschreiben: Damit [sc. mit der reinen Predigt des Evangeliums und der einsetzungsgemäßen Feier der Sakramente] haben die Reformatoren diejenigen elementaren Züge des sichtbaren Lebens der Kirche in Anspruch genommen, durch die sich der Ursprung der Kirche vergegenwärtigt und durch die eine Kirche sich an ihren Ursprung hält. Durch ihn ist sie wahre Kirche.107
Diese Institutionen des Gottesdienstes bedürfen, so die Kirchenstudie, „aufgrund des allgemeinen Priestertums der Gläubigen“ einer „Ordnung der Ämter“ bzw. eines „geordneten Amtes“.108 Der Begriff des geordneten Amtes umfasst dabei im Verständnis der Kirchenstudie zunächst die Gesamtheit kirchlicher 107 KJC, I.2.4.1, 39, Herv. v. J.G. 108 Vgl. KJC, I.2.5.1, 42. Entgegen der Darstellung bei André Birmelé ersetzt der in der Ekklesiologiestudie gebrauchte Wortlaut „geordnetes Amt“ nach Ansicht des Verfassers der vorliegenden Untersuchung nicht die aus den sog. Lima-Texten stammende Formulierung „ordiniertes Amt“. Vielmehr spricht die Studie in Bezug auf den Wortlaut der Formulierung von Lima von dem „durch die Ordination übertragenen Amt“. Dieses ist Teil des geordneten Amtes, welches „die Gesamtheit kirchlicher Dienste im Sinne von These 3 der TampereThesen bezeichnet“. Vgl. Birmelé, André, Zur Ekklesiologie der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 53; vgl. KJC, I.2.5.1.2, 46. Das Kennzeichen des geordneten Amtes wird in der Ökumene bis heute intensiv und kontrovers diskutiert. Die Erörterung dieser umfangreichen Diskussion ist nicht Teil der vorliegenden Untersuchung. Die Ausführungen dienen vielmehr dem Zweck, die spezifische Einordnung des Amtes in die Überlegungen zu den Kennzeichen aus Perspektive der Ekklesiologiestudie grob zu skizzieren, um weitere Aussagen über das Verhältnis von Grund und Gestalt von Kirche aus Sicht der Ekklesiologiestudie zu ermöglichen. Die Kirchenstudie entfaltet hierzu Aussagen der Leuenberger Konkordie, die lediglich implizit auf eine bestimmte Zuordnung des Amtes zum für die Einheit der Kirche notwendigen Konsens hinweisen (vgl. LK 33; 43; vgl. KJC, I.2.5.1f, 42–48). Eine nähere Behandlung dieses Topos war für die Leuenberger Konkordie noch nicht von Nöten, da die Reformatoren zwar unterschiedliche Auffassungen über das Amt hatten, dieses jedoch nicht Gegenstand gegenseitiger Lehrverurteilungen war. Die Konkordie begnügt sich von daher mit der Feststellung, dass die gegenseitige Gewährung von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft „die gegenseitige Anerkennung der Ordination und Ermöglichung der Interzelebration“ einschließt (vgl. LK 33). Für die gemeinsamen Aussagen zum Thema Amt und Ordination konnte die Ekklesiologiestudie auf Ergebnisse theologischer Lehrgespräche rekurrieren, die bereits in der Konkordie motiviert wurden (vgl. LK 39). Vgl. hierzu die auf der Vollversammlung 1987 angenommenen Tampere-Thesen, abgedruckt in: Hüffmeier, Wilhelm (Hg.), Zur Lehre und Praxis der Taufe. Sakramente, Amt, Ordination, (LT 2), Frankfurt a.M. 1995. Vgl. auch die ebenfalls auf der Vollversammlung 1987 angenommenen Neuendettelsau-Thesen, a. a. O. Der Themenkomplex wurde später erneut Thema eines theologischen Lehrgesprächs, das auf der Vollversammlung 2012 angenommen wurde. Vgl. hierzu Bünker, Michael/Friedrich, Martin (Hg.), Amt, Ordination, Episkopé und theologische Ausbildung, (LT 13), Leipzig 2013.
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Dienste. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Dienst der öffentlichen Verkündigung des Evangeliums und der Darreichung der Sakramente zu, da dieser grundlegend für die Kirche ist.109 Die Wahrnehmung und Ausgestaltung dieses Amtes in den Kirchen ist kontextuell bedingt vielfältig, richtet sich aber nach dem grundlegenden Auftrag der Kirche. Von daher folgert die Studie, dass die Unterschiede in Wahrnehmung und Ausgestaltung lediglich die sichtbare Gestalt von Kirche, nicht jedoch ihren Grund betreffen und somit die Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament nicht in Frage stellen.110 Für das Amt der öffentlichen Verkündigung gilt der Kirchenstudie zufolge, dass es durch die Ordination übertragen wird.111 Es diene der „ständigen und öffentlichen Verkündigung des Evangeliums“ sowie der „Wahrung der rechten Lehre“112 und ist ein Teil des geordneten Amtes, der Gesamtheit kirchlicher Dienste, so die Studie. Dieses durch die Ordination übertragene Amt wird einerseits als von herausragender Bedeutung erachtet, da es auf einem besonderen Auftrag Christi beruht. Andererseits bleibt es stets auf das allgemeine Priestertum angewiesen, so die Studie.113 Als ein solches, von Gottes Wort konstituiertes und durch Christus eingesetztes Amt stehe es „im Dienst der Rechtfertigung des Sünders“114. Dabei habe es Dienstfunktion in Bezug auf das Wort Gottes als seinen Ursprung und Gegenstand. Zugleich habe es Dienstfunktion für den Glauben, den Gott wirke.115 Aus diesen Beobachtungen folgert die Kirchenstudie, dass das durch Ordination übertragene Amt „zum Sein der Kirche“116 gehöre. Mit dieser Formulierung, die sich vom Begriff des „wahren Seins“ der Kirche abhebt, macht die Studie auf zwei Dinge aufmerksam. Erstens wird hiermit betont, dass das Amt der öffentlichen Verkündigung nötig sei, um wahre Kirche zu erkennen. Gott bediene sich des Amtes als eines ministerium verbi (CA V). Das Amt stehe im Dienst der Verkündigung des Wortes und der Darreichung der Sakramente.117 Zweitens wird
109 110 111 112 113 114 115 116 117
Vgl. KJC, I.2.5.1.2, 45. Vgl. ebd. Vgl. KJC, I.2.5.1.2, 46. KJC, I.2.5.1.1, 43, These 2. Vgl. KJC, I.2.5.1.1, 44, These 2; vgl. auch Neuendettelsau-Thesen (1982/86), I.3.A, abgedruckt in: Hüffmeier, Wilhelm (Hg.), Sakramente, Amt, Ordination, (LT 2), Frankfurt a.M. 1995, 87–93; 88f. KJC, I.2.5.1.2, 46. Vgl. KJC, I.2.2, 36; I.2.5.1.2, 46. KJC, I.2.5.1.1, 43, These 1. Vgl. hierzu auch den gemeinsam von Harding Meyer und Heinz Schütte verantworteten Beitrag „Die Auffassung von Kirche im Augsburgischen Bekenntnis“, in: Meyer, Harding/ Schütte, Heinz (Hg.), Confessio Augustana. Bekenntnis des einen Glaubens, 168–197. Demnach sei im Sinne von CA V das kirchliche Amt von Gott eingesetzt und heilsnotwendig, sofern es Voraussetzung dafür ist, die fides iustificans zu erlangen. Das Amt gehöre in die
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darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Amt, so nötig es zum Sein der Kirche sei, „allein und an sich“ das wahre Sein der Kirche nicht garantiere.118 Vielmehr bleibe es stets auf das allgemeine Priestertum angewiesen und dem Worte Gottes, durch das es konstituiert werde, untergeordnet.119 Es wird demnach auch nicht als „notwendiges Zeichen sichtbarer Einheit“ geltend gemacht.120 Dies erklärt, weshalb die Kirchenstudie mit Blick auf die gegenseitige Anerkennung als wahre Kirche betont, „daß keine einzelne, historisch gewordene Form von Kirchenleitung und Amtsstruktur als Vorbedingung für die Gemeinschaft und für die gegenseitige Anerkennung gelten darf oder kann“121. Die diesbezüglichen Unterschiede betreffen nämlich „nicht den Grund [sc. das Wort Gottes], sondern die Gestalt der Kirche“122. Die Sukzession im historischen Bischofsamt ist nach dem Verständnis der Kirchenstudie also keine conditio sine qua non für die Anerkennung einer Kirche als wahre Kirche. An der Betrachtung wird deutlich, wie die Kirchenstudie die Kennzeichen wahrer Kirche in sich differenziert und somit eine präzise Verhältnisbestimmung des Handelns Gottes als Grund der Kirche und des Handelns des Menschen ermöglicht. So zeigen die Ausführungen der Kirchenstudie, dass Kirche als wahre Kirche erkannt wird aufgrund des die Kirche und das Verkündigungsamt konstituierenden Handelns von Gott. Kirche entspringt dem Handeln Gottes und wird von diesem qualifiziert als wahre Kirche. Zugleich ist die Erkennbarkeit von Kirche gebunden an die sichtbare Handlung des Menschen in Bezug auf die von Gott eingesetzten Zeichen, das Wort und die Sakramente. Das menschliche Handeln im Amt der Verkündigung des Evangeliums und der Darreichung der Sakramente gehört zum Sein der Kirche, es ist jedoch nicht der Grund für ihr wahres Sein. Es ist dem wahren Sein, das göttlichen Ursprung hat, dienend zugeordnet. Wahre Kirche wird demnach in dem Handeln erfahrbarer Kirche erkennbar, ohne dass die kirchliche Handlung wahre Kirche als solche konstituiert: Nur „durch ihn [sc. ihren Ursprung, Gottes Wort] ist sie wahre Kirche“123.
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Wesensbestimmung von Kirche mit hinein. Es werde „der Sache nach in der Predigt des Evangeliums und der Spendung der Sakramente impliziert“ (a. a. O., 189). Vgl. KJC, I.2.5.1.1, 43, These 1. Vgl. KJC, I.2.5.1.1, 43, These 1; S. 44, These 2; I.2.5.1.2, 46. André Birmelé spricht deshalb von der Unterscheidung zwischen „primärer Instrumentalität Gottes und sekundärer Instrumentalität der Kirche“ (Birmelé, André, Zur Ekklesiologie der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 52). „Die kirchliche Mittlerschaft“, so Birmelé, „kann niemals mit der primären Mittlerschaft Jesu Christi auf eine Ebene gestellt werden“ (ebd.). Vgl. Nüssel, Friederike, Kriterien kirchlicher Einheit nach evangelischem Verständnis, 116. KJC, I.2.5.1.1, 45, These 3. Die in der Geschichte der Kirche entstandenen Amts- und Kirchenstrukturen haben demnach nach dem Verständnis der Kirchenstudie nicht denselben Stellenwert und dieselbe Autorität wie in der römisch-katholischen Kirche (vgl. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 215). KJC, I.2.5.1.2, 45. KJC, I.2.4.1, 39.
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2.2.3 Die Bestimmung von Kirche und der Auftrag der Christen Während die vorangegangenen Betrachtungen der Kirchenstudie ausgehend vom Wort Gottes als dem Grund und Ursprung von Kirche die Gestalt geglaubter und sichtbarer Kirche untersuchten, wird im Anschluss, erneut ausgehend vom Wort Gottes, die Bestimmung von Kirche, der Auftrag der Christen sowie deren eschatologische Erwartung beschrieben.124 Mit diesen abschließenden Betrachtungen des ersten Teils stellt die Kirchenstudie ihre Ausführungen zur Gestalt von Kirche, in denen bereits der Aspekt der Bestimmung von Bedeutung war, noch einmal gesondert in einen Zusammenhang mit dem Aspekt der Bestimmung von Kirche.125 Die Aussagen über die Gestalt der Kirche sind folglich zum einen an den Grund der Kirche, das Handeln Gottes, rückgebunden und zum anderen zugleich bezogen auf den mit diesem Handeln Gottes gegebenen Auftrag an die Kirche. Ihrem Wesen nach ist die Gestalt von Kirche also im Handeln Gottes begründet, ihrer Funktion nach richtet sie sich am Auftrag bzw. ihrer Bestimmung aus.126 Zum Grund der Bestimmung von Kirche beschreibt die Studie, dass dieser in der Erwählung der Kirche in Christus durch Gott liegt. Kirche ist erwählt als Volk Gottes, als „die von Christus berufene Gemeinschaft der Glaubenden“127. Diese Erwählung der Kirche begründet der Studie zufolge ihre Aufgabe, die offenbar geworden ist in Jesus Christus.128 Bestimmt ist die Kirche diesem Verständnis nach dazu, Christus als den Grund ihrer Berufung zur Gemeinschaft der Glaubenden zu bezeugen. Sie ist somit dazu beauftragt, das Heilshandeln Gottes in Christus zu verkündigen.129 Zu ihrer Vollendung kommt diese Bestimmung mit der gläubig erwarteten „universalen Offenbarung des Reiches Gottes“130. Somit 124 Die Kirchenstudie entfaltet in diesem Zusammenhang die biblische Grundlage des eschatologischen Rahmens, der bereits im Modell der Konkordie über die Begriffe von Sammlung und Sendung angelegt ist. Zu Sammlung und Sendung vgl. LK 2 u. 13 sowie Kap. A 4.1 der vorliegenden Untersuchung. 125 Der Aspekt der Bestimmung und des Auftrags von Kirche wurde bereits in den vorangehenden Ausführungen immer wieder mitbehandelt. Mit den gesonderten Ausführungen wird nun der übergeordnete eschatologische Rahmen von Kirche deutlich. Dieser erstreckt sich von dem Handeln Gottes als Grund von Kirche über die geschichtliche Existenz von Kirche als Zeugin und Zeugnis ihres Grundes und ihrer Hoffnung bis zum Handeln Gottes als der Zukunft und Vollendung von Kirche, an dem die Bestimmung ausgerichtet ist. 126 Vgl. Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 429. 127 KJC, I.3.1, 49. Der in diesem Zusammenhang von der Kirchenstudie erwähnte Gedanke der Erwählung von Kirche und der Kirche als Volk Gottes steht in engem Zusammenhang mit der alttestamentlichen Erwählung Israels als Volk Gottes. Die nähere Erläuterung dieses Verhältnisses ist nicht Bestandteil der vorliegenden Betrachtungen zur Ekklesiologiestudie. 128 Vgl. KJC, I.3.1, 48f. 129 Vgl. KJC, I.3.1, 48. 130 KJC, I.4, 56.
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wird deutlich, dass im Verständnis der Kirchenstudie die Bestimmung der Kirche zur in Christus versöhnten Einheit letztlich nicht durch das Handeln der Kirche selbst zu ihrer Vollendung kommt: „Vielmehr wird Gott selbst universal als der offenbar sein, der ‚alles in allem‘ ist (1Kor 15,28)“131. Der Verwirklichung des universalen Heilswillens Gottes ist Kirche im Sinne der Studie folglich lediglich als Instrument oder Werkzeug Gottes zugeordnet, als Zeugin des Evangeliums in der Welt. Weil Christus das „unfehlbare einzige Instrument des Heils“132 ist, so die Argumentation der Studie, wird die Kirche ihrer Bestimmung gerecht, Instrument Gottes zur Verwirklichung seines Heilswillens zu sein, indem sie in Christus bleibt. Hierzu muss Kirche, im vorliegenden Fall die reformatorischen Kirchen gemeinsam, in ihrer Praxis von Zeugnis und Dienst deutliches Zeugnis geben. Dies tut sie, indem sie „ihre Identität im Rückbezug auf Jesus Christus mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringt“133. Zugleich muss die Kirche der Weite ihrer Bestimmung, dem universalen Anspruch des Heilswillens, entsprechen und hierzu alle Lebensbereiche einbeziehen.134 Die Kirchenstudie konstatiert, dass der Auftrag der Kirche, der sich aus ihrer Bestimmung ergibt, in einer Vielzahl unterschiedlicher Organisationsformen von Kirche wahrgenommen wird. Es seien jedoch nicht diese „geschichtlich bedingten gesellschaftlichen Lebensformen“135, sondern der im Grund von Kirche begründete Auftrag, der normative Geltung für die kirchliche Praxis besitze. Dieser Auftrag wird in der Studie über vier Aspekte formuliert, mit denen altkirchliche Motive aufgegriffen werden, deren Zusammenstellung jedoch jüngeren Datums ist: leiturgia, martyria, diakonia und koinonia.136 Die Aspekte können als vier Dimensionen des Auftrages gesehen werden. So gehen sie davon aus, dass das ganze Leben der Christen Gottesdienst sein soll im Sinne des „Identitätszentrum[s] des gesamten christlichen Lebens“137:
131 Ebd. Vgl. auch ebd.: „Der Glaube erwartet die universale Offenbarung des Reiches Gottes und nicht die Kirche als Vollendung aller Wege und Werke Gottes“. 132 KJC, I.3.2, 49. Vgl hierzu KJC, I.1.4, 34. Die Glaubensgewissheit, dass allein Gott der Grund des Heils ist, ist zugleich die Grundlage für christliche Freiheit zur Bezeugung des Heilshandelns: „Menschen erkennen, was allein Gott tun kann, und werden dadurch frei, das ihnen Zugemutete zu tun“. 133 Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 429. 134 Vgl. KJC, I.3.2, 49f; I.3.3.1, 51; I.3.3.3, 53 u. I.3.3.4, 55. Vgl. hierzu die zuvor erläuterte Entsprechung kirchlicher Praxis mit den Wesenseigenschaften geglaubter Kirche. KJC, I.2.5.4, 47f. 135 Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 430. 136 Vgl. KJC, I.3.3, 51–55. Die Zusammenstellung der vierfachen Benennung des Auftrags der Kirche ist, so Werner Löser, „wohl im Umkreis des II. Vatikanums entstanden“. In ihnen wird oftmals auch eine „Kurzfassung des Kirchenverständnisses des II. Vatikanums gesehen“ (Löser, Werner, Die Leuenberger Kirchenstudie aus katholischer Sicht, 270). 137 Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 430.
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Leiturgia meint dabei die engere Bedeutung von Gottesdienst, die liturgische Feier in der gottesdienstlichen Gemeinschaft. Die weitere Bedeutung umfasst den „vernünftigen Gottesdienst im Alltag der Welt“138 und wird beschrieben durch die Begriffe der martyria, diakonia und koinonia. Die Kirchenstudie bezeichnet leiturgia als „grundlegend und tragend“ für „das Ganze des vernünftigen Gottesdienstes“139 im Alltag der Welt als Lebenszeugnis des Christen: „Durch die Feier des Gottesdienstes erfahren und bezeugen die Christen den Ursprung und Charakter ihres ganzen Lebens im Glauben“140. Die gottesdienstliche Feier der Verkündigung und des Hörens des Evangeliums sowie der Darreichung und des Empfangs der Sakramente ist der Ort der Umkehr und der Nachfolge, der Sammlung und Sendung. Christen wenden sich um zum rechtfertigenden Handeln Gottes als dem Ursprung ihrer Gemeinschaft. Zugleich werden sie gesendet zur Bezeugung ihres Grundes in der Hoffnung auf die zukünftige Vollendung ihrer Gemeinschaft „in der universalen Realisierung von Gottes Heilshandeln“141. Das Zentrum der Feier des Gottesdienstes ist demnach das rechtfertigende Handeln Gottes, welches das Evangelium begründet. Dieses ist zugleich Grund des Lebens der Christen als „vernünftigem Gottesdienst“142. Die weiteren, in der Kirchenstudie benannten Aufträge der Christen sind also ausgehend vom rechtfertigenden Handeln Gottes und vom Evangelium als ihrem Grund zu sehen. So hält die Kirchenstudie fest, dass „das ganze Leben der Christen“ im Auftrag stehe, „Zeugnis des Evangeliums von der Gnade Gottes in Jesus Christus zu sein“143. Dieser Auftrag zum Zeugnis, der martyria, umfasse auch das öffentliche Bekenntnis zum Evangelium außerhalb der im Gottesdienst versammelten Gemeinde in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit.144 Der Auftrag
138 KJC, I.3.3.1, 51. Mit dem Begriff des „vernünftigen Gottesdienstes“ rekurriert die Studie auf Röm 12,2. Sie verdeutlicht somit, dass es um einen sachgemäßen Gottesdienst im Sinne eines das ganze Leben umfassende Opfer für Gott geht. 139 Ebd. 140 Ebd. 141 Ebd. 142 Vgl. ebd.: „Für das Ganze des vernünftigen Gottesdienstes […] hat die Versammlung der Gemeinde zur Feier des Gottesdienstes eine grundlegende und tragende Bedeutung“. Vgl. hierzu a. a. O., 52: „Weil das Leben der Christen als vernünftiger Gottesdienst seinen Grund im rechtfertigenden Handeln Gottes hat, stehen die Verkündigung und das Hören des Evangeliums als Zusage der biblisch bezeugten Gnade Gottes für die gegenwärtige Gemeinde im Mittelpunkt der Feier des Gottesdienstes“. Die Gottesdienstfeier hat demnach grundlegende und tragende Bedeutung für das Lebenszeugnis der Christen im Alltag, den vernünftigen Gottesdienst, insofern die Gottesdienstfeier der Ort der Vergegenwärtigung des rechtfertigenden Handeln Gottes ist. 143 KJC, I.3.3.2, 52. 144 Die Studie beschreibt hierzu unterschiedliche Institutionen und Gestalten der Weitergabe. Dabei nennt sie die wissenschaftliche Theologie als „Hilfe zur authentischen Verkündigung des Evangeliums“. Wenngleich die wissenschaftliche Theologie im Bereich des Auftrages der
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der Christen umfasse darüber hinaus auch die Diakonie. Dabei sollen die Christen ihren Dienst entsprechend der Universalität des Heils nicht auf die Gemeindeglieder beschränken. Daneben betont die Kirchenstudie in diesem Zusammenhang die Zusammengehörigkeit von Zeugnis und Dienst.145 Schließlich wird in der Studie der Auftrag der Christen zur Gemeinschaft, der koinonia, hervorgehoben. Die Bestimmung der Kirche als Volk Gottes impliziert für das Handeln der Christen der Studie zufolge, dass diese hinarbeiten sollen „auf die der Gemeinschaft mit Gott entsprechende weltliche Gemeinschaft aller Menschen und Geschöpfe“146. Zur Erläuterung geht die Kirchenstudie ein auf das Verhältnis zwischen der Gemeinschaft der Glaubenden, die als versöhnte Gemeinschaft das Werk des Versöhnungshandelns Gottes ist, und den „Formen menschlicher Gemeinschaft“147, die zerbrechlich und gefährdet sind. Als Gemeinschaft der Glaubenden, die im Handeln Gottes begründet liegt, hat diese Gemeinschaft den Auftrag, „das Evangelium als Botschaft der Versöhnung in ihrem eigenen Gemeinschaftsleben und in ihrem Verhältnis zu anderen Gemeinschaften zu bezeugen und zu leben“148. Kirche ist im Verständnis der Studie also berufen zum Zeugnis von der Wiederherstellung der in Jesus Christus zugesagten Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen.149 Ziel des Zeugnisses und der Einladung in die Gemeinschaft der Glaubenden ist die umfassende Gemeinschaft Gottes mit den Menschen.150 Diese Überlegungen zum reformatorischen Kirchenverständnis schließt die Kirchenstudie ab mit einer Beschreibung des jüngsten Gerichts und der Herbeiführung des Reiches Gottes als Horizont der Überlegungen. Die allumfassende versöhnte Gemeinschaft verwirklicht sich, so die in der Studie beschriebene Erwartung des Glaubens, mit der universalen Offenbarung des Reiches Gottes und also durch das Handeln Gottes als „nicht mehr in Frage zu stellende Gemeinschaft mit Gott“151. Die Kirchenstudie hebt somit hervor, dass nicht die Kirche das Ziel des Handelns von Gott in Bezug auf seine Schöpfung sei. Die Überlegungen werden also nicht bestimmt durch eine Vorstellung von einer
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Christen lokalisiert wird, hat sie dabei doch auch Dienstfunktion für die angemessene Praxis der Kirche in Zeugnis und Dienst. Vgl. KJC, I.3.3.2, 52. Vgl. hierzu auch KJC, I.2.5.4, 47. Vgl. KJC, I.3.3.3, 53f. KJC, I.3.2, 50. KJC, I.3.4, 54f. KJC, I.3.4, 55. Schwöbel folgert daraus, dass das Gemeinschaftsleben der Kirche zum einen selbst „Zeugnis für den Beginn der neuen Menschheit in Jesus Christus“ ist und zum anderen somit „stets über sich hinaus [greift]“. (Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 430). In der Gemeinschaft der Kirche lässt sich folglich die Hoffnung des Glaubens, die Versöhnung mit Gott in Jesus Christus, bereits jetzt vorausgreifend erblicken. Vgl. KJC, I.3.4, 55: „Die Gemeinschaft der Christen ist auf dem Weg zur Vollendung der Gemeinschaft Gottes mit seiner Schöpfung“. KJC, I.4, 56.
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ecclesiologia gloria.152 Vielmehr bleibt Kirche nach diesem Verständnis Instrument des Handelns Gottes, dessen Ziel die vollendete Gemeinschaft mit seiner versöhnten Schöpfung ist: Volle sichtbare Einheit ist in einem Sinn der visio beatifica im Reich Gottes vorbehalten, aber ihr Gegenstand ist dann nicht mehr die Kirche, sondern die vollendete Gemeinschaft des trinitarischen Gottes mit seiner versöhnten Schöpfung. Es ist aber zugleich diese eschatologische Ausrichtung auf das Gericht Christi und die vollendete Gemeinschaft des Reiches Gottes, die uns als Kirchen dazu verpflichtet, die uns in Christus schon jetzt gegebene Einheit in der Vertiefung und Befestigung unserer Kirchengemeinschaft als Zeugnis unseres gemeinsamen Glaubens und unserer gemeinsamen Hoffnung wahrnehmbar zu bezeugen.153
Das Handeln Gottes als Versöhnungswerk, das das Evangelium begründet, ist demzufolge im Sinne der Studie nicht nur Grund der Bestimmung von Kirche und des Auftrags der Christen, sondern auch deren Ziel. Im universalen Offenbarungshandeln Gottes gelangt das menschliche Zeugnishandeln an sein Ende, ohne selbst Ursache desselben zu sein.154
2.2.4 Zusammenfassung. Die Unterscheidung von Grund, Gestalt und Bestimmung als ekklesiologische Hauptthese und Basis des hermeneutischen Modells Die Kirchenstudie unterscheidet in ihrer Beschreibung des Wesens bzw. der Eigenart von Kirche drei Aspekte, nämlich Grund, Gestalt und Auftrag oder Bestimmung von Kirche. Sie unternimmt hiermit den Versuch, diese drei Aspekte von Kirche aus dem Kontext des Kirche begründenden Handelns von Gott zu verstehen. Dabei bindet sie die Unterscheidung an den bereits im Modell der Konkordie wesentlichen Artikel VII des Augsburgischen Bekenntnisses zurück.155 Neben dieser wesentlich reformatorischen Prägung der Ekklesiologie und der damit einhergehenden konfessionellen Eingrenzung erhebt die Studie jedoch den Anspruch ökumenischer Anschlussfähigkeit. So wird in den Ausführungen deutlich, dass Elemente katholischer, das heißt gesamtkirchlicher 152 Vgl. Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 431. 153 Ebd. 154 Vgl. das Zitat aus der Vision des neuen Jerusalem in der Kirchenstudie: „Ich sah keinen Tempel darin; denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr Tempel, er und das Lamm“ (Apk 21,22). Vgl. KJC, I.4, 56. 155 Die Studie formuliert somit genuin reformatorische Grundeinsichten und unterstreicht damit zugleich Passagen der Meissener Gemeinsamen Feststellung, „die in ganz ähnlicher Weise von der Kirche im Horizont des Handelns Gottes reden“ (Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 422).
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Tradition bewusst aufgenommen werden, wie dies bereits in der Leuenberger Konkordie der Fall war. Programmatisch sind hierzu der Begriff der communio sanctorum zu nennen, aber auch die vier Attribute geglaubter Kirche, die aus dem Nizänokonstantinopolitanum aufgenommen werden, und schließlich auch die vierfache Benennung des Auftrags der Kirche. Mit dem ersten der drei Aspekte, dem Grund und Ursprung von Kirche, erläutert die Studie das, woraus Kirche lebt. Der Grund der Kirche ist das Handeln Gottes in Jesus Christus zur Erlösung der Menschen. Dieses Handeln Gottes begründet das Evangelium, das in der Bibel, dem apostolischen Zeugnis, verkündigt wird. Das Handeln Gottes als der Ursprung von Kirche wird jedoch nicht nur bezeugt, es ist auch ein sich selbst vergegenwärtigendes Handeln durch die Schrift und deren Verkündigung. Durch sein rechtfertigendes Handeln in Christus hat Gott die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden zu seinem Volk erwählt: Gott führt die Menschen zur Gewissheit des Glaubens über sein Heilswerk. Er versöhnt somit die Menschen mit sich und verbindet sie in Christus zur communio sanctorum, der Gemeinschaft der Glaubenden, „auf dem Weg durch die Zeit zur Vollendung im Reich Gottes“156. Zweitens entfaltet die Kirchenstudie den Aspekt der Gestalt von Kirche als Erläuterung, wie Kirche lebt. Hierzu unterscheidet sie zwischen der Gestalt der geglaubten Kirche und der Gestalt der sichtbaren Kirchen. Die geglaubte Kirche ist das Werk des Wortes Gottes, das sich selbst dem Menschen vergewissert und Glauben stiftet. Es verbindet so Menschen zur Gemeinschaft der Glaubenden. Diese Gemeinschaft der Glaubenden wird mit dem Bild des Leibes Christi verbunden. Somit weist die Studie darauf hin, dass der Grund der Einheit der Gemeinschaft miteinander in der Einheit mit Christus, also im rechtfertigenden Handeln Gottes begründet ist. Die Menschen partizipieren im Glauben an der Rechtfertigung Christi und werden so in Christus mit Gott versöhnt. Diese Gemeinschaft der Glaubenden, die geglaubte Kirche, ist aufgrund ihres Ursprungs im Handeln Gottes gekennzeichnet durch vier Wesenseigenschaften, die bereits im Nizänokonstantinopolitanum benannt werden. So ist die geglaubte Kirche die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, die in der sichtbaren Gestalt der Kirchen bezeugt werden soll. Für die auf das Evangelium bezogenen Handlungen des Menschen gilt, dass sie sachgemäß und glaubwürdig sein sollen. Dies sind sie, wenn sie den Wesenseigenschaften geglaubter Kirche entsprechen und somit ihr Ursprung im rechtfertigenden Handeln Gottes erkennbar wird. Das Handeln des Menschen bleibt dem Handeln Gottes jedoch stets untergeordnet. Demnach bleibt die kirchliche Zeugnisgestalt in Orientierung an ihrem Gegenstand, dem in der Schrift verkündigten Evangelium, stets zu prüfen und zu reformieren. 156 KJC, I.1.1, 32.
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Als ein Werk des Menschen ist die Zeugnisgestalt sichtbarer Kirchen allerdings kontextbedingt vielfältig, sodass auch die Identifizierung der geglaubten Kirche in Gestalt sichtbarer Kirchen strittig sein kann. Von daher definierten die Reformatoren diejenigen Kennzeichen, an denen erkannt werden soll, ob eine Kirche als Teil der einen geglaubten Kirche anzuerkennen ist. Diese Kennzeichen sind die reine Predigt des Evangeliums und die evangeliumsgemäße Darreichung der Sakramente als diejenigen Handlungen, durch die sich Gott durch den Heiligen Geist glaubensstiftend den Menschen vergegenwärtigt und sie somit zur Gemeinschaft der Glaubenden verbindet. Eine sichtbare Kirche wird demnach als wahre Kirche an denjenigen sichtbaren Zeichen erkannt, die Instrumente des einheitsstiftenden Wirkens Gottes sind. Drittens schildert die Studie die Bestimmung der Kirche und den Auftrag der Christen, also wofür Kirche lebt. Dies geschieht unter Berücksichtigung der vom Glauben erwarteten universalen Offenbarung des Reiches Gottes. Der Glaube als das Werk der Selbstvergegenwärtigung Gottes in Bindung an das Evangelium hat somit nicht nur sammelnde bzw. einigende Wirkung. Er hat darüber hinaus auch eine vorweggreifende Eigenschaft. Im Glauben antizipieren die Christen das Ziel ihrer Existenz in der universalen Offenbarung Gottes und der Vollendung der Schöpfung. Die Ekklesiologiestudie expliziert folglich das Verständnis von Kirche ausgehend vom Handeln Gottes – woraus Kirche lebt – und mit Blick auf das Handeln Gottes – wofür Kirche lebt. Kirche als Zeugnisgestalt ihres Grundes wird somit eingeordnet in einen eschatologischen Rahmen. Diese innertheoretische Entfaltung der in der Leuenberger Konkordie implizit enthaltenen Ekklesiologie durch die Kirchenstudie gibt bereits erste Hinweise auf die Interpretation der ökumenischen Hermeneutik des Leuenberger Modells durch die Studie. Hierzu sind insbesondere die Ausführungen zur Gestalt von Kirche von Bedeutung. Die Studie notiert in Rekurs auf CA VII, dass die Anerkennung einer Kirche als Glied der geglaubten Kirche, das heißt als wahre Kirche, nach reformatorischer Überzeugung in Bindung an Erkennungszeichen geschieht, die es ermöglichen zu bestimmen, ob in einer erfahrbaren Kirche die geglaubte Kirche existiert. Die geglaubte Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden ist also keine rein spiritualistische Realität, die sich nicht fassen ließe. Sie findet vielmehr ihren sichtbaren Ausdruck in der gelebten Gottesdienstgemeinschaft der Glaubenden, in der Verkündigung des Wortes und der Feier der Sakramente: „Die geglaubte Kirche ist verwirklicht in der hic et nunc sichtbaren Kirche“157. Dies begründet die Kirchenstudie damit, dass sich der Ursprung der Kirche, das rechtfertigende Handeln Gottes, durch diese Erkennungszeichen
157 Birmelé, André, Zur Ekklesiologie der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 49.
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vergegenwärtigt und Glauben stiftet. Eine konkret erfahrbare Kirche ist wahre Kirche aufgrund des Wirkens Gottes. Die Studie notiert jedoch auch, dass Kirche zur falschen Kirche werden könne, wenn sie das ihr aufgetragene Zeugnis durch Wort und Tat verfälsche. Somit wird der Werkzeugcharakter menschlichen Handelns in Bezug auf das göttliche Handeln betont: Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden ist zwar das Werk von Gottes Handeln, das sich des menschlichen Handelns als seines Instrumentes bedient. Dennoch muss das Handeln der Menschen das Evangelium sachgemäß und glaubwürdig bezeugen, es muss sich als angemessenes Instrument erweisen. Sachgemäß ist das kirchliche Handeln jedoch allein dadurch, dass in ihm das rechtfertigende Handeln Gottes erkennbar wird.158 Hierzu muss die Kirche in ihrer Praxis den Wesenseigenschaften der geglaubten Kirche entsprechen. Dabei gilt, dass die Gestalt der kirchlichen Zeugnispraxis stets dem Wort Gottes untergeordnet und in Bezug auf dieses defizitär, also stets zu reformieren bleibt.159 Somit gehört das menschliche Handeln in Bezug auf das Evangelium und die Sakramente zwar zum Sein der Kirche, so wie auch das ordinierte Amt von der Kirchenstudie zum Sein der Kirche dazugezählt wird. Es zeichnet sich jedoch allein durch seinen Charakter als Instrument aus, um das rechtfertigende Handeln Gottes erkennbar zu machen. Das wahre Sein von Kirche wird folglich letztlich garantiert durch das Handeln Gottes und die primäre Instrumentalität Christi.160 Diese Entfaltung des ekklesiologischen Theorems durch die Kirchenstudie hat Konsequenzen für die Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie. So wird die für die Erklärung von Kirchengemeinschaft nötige gegenseitige Anerkennung als wahrer Ausdruck der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche rückgebunden und begründet im rechtfertigenden Handeln Gottes. Zugleich wird dieses Handeln Gottes in unterschiedlicher Gestalt bezeugt. Dabei wird der menschlichen Zeugnisgestalt und folglich auch den Ordnungsaspekten institutionalisierter Kirche jedoch eine einheitsbegründende Funktion abgesprochen.
158 Das Handeln Gottes begründet das Evangelium als die Botschaft von der Rechtfertigung. Dieses Verständnis des Evangeliums ist auch Inhalt der Glaubensgewissheit. Demnach muss diese Botschaft, wie sie in der Schrift verkündigt wird, Mitte und Maßstab kirchlicher Zeugnispraxis sein, die dann auch als Explikation des Glaubens am Gegenstand der Schrift verstanden werden kann. 159 Vgl. KJC, I.2.4, 39. Vgl. auch Birmelé, André, Zur Ekklesiologie der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 49. 160 Vgl. Birmelé, André, Zur Ekklesiologie der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 52: „Die kirchliche Mittlerschaft kann niemals mit der primären Mittlerschaft Jesu Christi auf eine Ebene gestellt werden“.
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Die Einigung von Kirchen und das Verständnis von Kirchengemeinschaft
Die abschließenden Ausführungen der Kirchenstudie über das reformatorische Einheitsverständnis und die Einigung von Kirchen gehen aus von den Überlegungen über Grund, Gestalt und Bestimmung von Kirche. Auf Basis dieser Entfaltungen der ekklesiologischen Implikate der Leuenberger Konkordie wird die Leuenberger Konsensmethode in der Studie interpretiert.161 Die Interpretation der Methode durch die Studie ist folglich wesentlich geprägt durch den Gedanken vom Handeln Gottes als Grund und Ursprung von Kirche.
2.3.1 Das gemeinsame Kriterium für die Einheit der Kirche Zur Schilderung des Einheitsverständnisses rekurriert die Kirchenstudie auf eine reformatorische Grundüberzeugung, die in den zentralen evangelischen Bekenntnissen des 16. Jahrhunderts zum Ausdruck kommt. Die Einheit der Kirche wird demnach als Gemeinschaft an Wort und Sakrament verstanden.162 Wort und Sakrament sind die Elemente, durch die sich Gott dem Menschen im Glauben offenbart. Die Predigt des Evangeliums und die Feier der Sakramente sind die kirchlichen Handlungen, deren sich Gott als Instrumente bedient, um den Glauben des einzelnen zu begründen und zu erhalten und dem Menschen „die Wirklichkeit seiner Gnade im Glauben zuteil werden zu lassen“163. Dieselben Merkmale sind es auch, die die Gemeinschaft, die communio der Gläubigen in Christus als Einheit der Kirche begründen und erhalten.164 Die Einheit der Kirche wird also ausgehend vom glaubensstiftenden Handeln Gottes am Menschen verstanden.165 Dieses Verständnis von der Einheit der Kirche wurde von den einzelnen reformatorischen Strömungen in Anbindung an altkirchliche Grundüberzeugungen zum Ausdruck gebracht. In dieser Traditionslinie sieht sich nicht nur die Leuenberger Konkordie selbst. Auch die Kirchenstudie weist darauf hin, dass mit der Konkordie auf die reformatorische Grundüberzeugung rekurriert wurde. Die Konkordie formuliert hierzu, dass „zur wahren Einheit der Kirche die Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und in der rechten Verwaltung der Sakramente notwendig und ausreichend“166 sei. Die Kirchenstudie folgert 161 162 163 164 165 166
Vgl. KJC, III.1.4, 70. Vgl. CA VII. So auch im Heidelberger Katechismus, Fragen 54f u. 75f. Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 432. Vgl. auch KJC, III.1.1, 68. Vgl. KJC, III.1.1, 68. Vgl. ebd. LK 2.
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daraus verkürzend, dass die Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums bereits notwendiges und hinreichendes Kriterium für die Einheit der Kirche sei.167 Wenn diese Übereinstimmung vorliegt, so die Studie, können sich Kirchen gegenseitig als wahre Kirche Jesu Christi anerkennen.168 Eine Einigung über das Verständnis der Sakramente ist nur soweit nötig, als diese ausgehend vom gemeinsamen Verständnis des Evangeliums verstanden werden müssen. Die Möglichkeit gegenseitiger Anerkennung als wahre Kirche Jesu Christi ist also einzig abhängig von der Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums. Wenn sich Kirchen gegenseitig als wahre Kirche, das heißt als Teil der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche anerkennen, so begründet dies Kirchengemeinschaft als Gemeinschaft an Wort und Sakrament zwischen den entsprechenden Kirchen.169
2.3.2 Das Handeln Gottes als Ermöglichungsgrund gegenseitiger Anerkennung als wahre Kirche Das Verständnis des für die Einheit der Kirche notwendigen und ausreichenden Konsenses im gemeinsamen Verständnis des Evangeliums und folglich auch die gegenseitige Anerkennung werden von der Kirchenstudie näher erläutert. Hierzu betont die Studie, dass die Einheit der Kirche nicht durch die Kirchen, das heißt durch menschliche Handlungen, hergestellt werde, sondern den Kirchen von Gott bereits gegeben sei. Gott stiftet Kirche als Einheit im Singular.170 Die kirchliche Aktivität in Bezug auf diese vorgegebene Einheit von Gott wird gemäß der Leuenberger Konkordie mit dem Begriff der Gewährung von Gemeinschaft an Wort und Sakrament beschrieben.171 Kirchengemeinschaft zu erklären bedeutet demnach, dass sich die Kirchen „etwas ihnen bereits Vorgegebenes“ gewähren.172 167 168 169 170
Vgl. KJC, III.1.1, 68. Vgl. ebd. Vgl. ebd. u. KJC, III.4, 76. Vgl. hierzu die Ausführungen zur Gestalt der geglaubten Kirche in Kap. B 2.2.2.2 der vorliegenden Untersuchung. 171 Der Begriff der Anerkennung kommt im Wortlaut der Konkordie auffälligerweise lediglich in Zusammenhang mit der Amtsthematik vor und ist Bestandteil der Gewährung: „Sie [sc. die Kirchen] gewähren einander Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Das schließt die gegenseitige Anerkennung der Ordination und die Ermöglichung der Interzelebration ein“ (LK 33). Die gemeinsame Erklärung von Kirchengemeinschaft bedeutet, dass die Kirchen einander Kirchengemeinschaft gewähren. 172 Vgl. KJC, III.1.2, 69. Vgl. hierzu auch die Aufnahme dieser Überzeugung durch die Leitlinien zur Begründung einer Mitgliedschaft in der GEKE, Nr. 1, Satz 2: „Eine Erklärung von Kirchengemeinschaft steht nicht im Belieben der Kirchen, sondern sie ‚gewähren sich etwas ihnen bereits Vorgegebenes (Die Kirche Jesu Christi, 1994 [sic!], III.1.2, S. 56)‘“.
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Diese kirchliche Aktivität wird mithilfe einer analogia relationis, einer Verhältnisentsprechung, erläutert, die von zentraler Bedeutung für das Verständnis von Kirchengemeinschaft in der Kirchenstudie ist.173 So beschreibt die Studie einerseits auf Individualebene das rechtfertigende Handeln Gottes am Individuum. Dieses Handeln Gottes steht im Verhältnis zur menschlichen Handlung des Empfangens. Dieser Relation entspricht andererseits auf kirchlicher Ebene das Verhältnis zwischen dem Handeln Gottes, das die eine Kirche stiftet, und der kirchlichen Aktivität des Empfangens, die zur zwischenkirchlichen Gewährung von Gemeinschaft führt.174 Die Studie denkt Kirche demnach von der Erfahrung der Rechtfertigung des Individuums aus. Was auf gemeinschaftlicher Ebene geschieht, unterscheidet sich nicht grundsätzlich von dem, was auf individueller Ebene geschieht. Dies liegt darin begründet, dass die Kirchenstudie Kirche und deren Gemeinschaft vom Handeln Gottes aus denkt: Das Handeln Gottes ist Ursprung und Gegenstand des rechtfertigenden Glaubens des Individuums. Dementsprechend ist auch das Handeln Gottes Ursprung und Gegenstand der Kirchen als Gemeinschaften von Glaubenden. Diese gewähren einander Gemeinschaft als eine von Gott vorgegebene und ermöglichte Gemeinschaft. Die Gewährung von Gemeinschaft wird folglich verstanden als eine Handlung, die ihren sie begründenden Ursprung nicht in einer kirchlichen, sondern in der göttlichen Handlung hat. Wenn Kirchen untereinander Gemeinschaft gewähren, verweisen sie somit von sich weg auf das Handeln Gottes als dem Ursprung und Grund ihrer Gemeinschaft. Diese Einsicht der Kirchenstudie führt zu der Definition des einzigen Kriteriums für die Ermöglichung einer solchen gegenseitigen Gewährung von Kirchengemeinschaft. Als Kriterium nennt die Studie den Modus des Verweises kirchlicher Lehre auf das Evangelium als der Botschaft vom Handeln Gottes: „Entscheidend ist, wie die jeweiligen Kirchen sich auf die ihnen vorgegebene Wirklichkeit beziehen“175. Das hermeneutische Regulativ für die Bezugnahme, so die Interpretation der vorliegenden Untersuchung, bildet die gemeinsame Glaubensgewissheit im Sinne eines gemeinsamen Vorverständnisses bzw. einer Prämisse mit kriterialer Funktion.176 Eine solche Prämisse mit kriterialer Funk173 Mit der Aufnahme des Begriffs der Analogie, das heißt Verhältnisgleichheit, gibt die Kirchenstudie ein Muster für das Verhältnis zwischen Individuum und Kirche sowie zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen vor. 174 Vgl. KJC, III.1.2, 69. Das Gewähren von Kirchengemeinschaft hat seinen Grund nicht bei den Kirchen selbst. Es ist vielmehr ausgehend von dem Verständnis der geglaubten Kirche als Leib Christi passivisch bzw. als geschuldet zu verstehen. Mit der Gewährung von Kirchengemeinschaft empfangen die Kirchen einander als Geschwister. 175 KJC, III.1.2, 69, Herv. v. J.G. 176 Vgl. hierzu KJC, I.2.2, 36. Die Wendung „Prämisse mit kriterialer Funktion“ wird durch die vorliegende Arbeit eingeführt. Sie kommt nicht im Wortlaut der Kirchenstudie vor. Der
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tion ist den Kirchen gegeben über das Verständnis des Evangeliums, wie es bereits in der Konkordie zum Ausdruck kam: „die ausschließliche Heilsmittlerschaft Jesu Christi [ist] die Mitte der Schrift und die Rechtfertigungsbotschaft als die Botschaft von der freien Gnade Gottes Maßstab aller Verkündigung der Kirche“177. Das Kriterium für die mögliche gegenseitige Gewährung von Kirchengemeinschaft ist also, dass das Evangelium in seiner Identität als Botschaft von der freien Gnade Gottes Maßstab für die Verkündigung der jeweiligen Kirche ist. Wenn das Evangelium in diesem Verständnis Maßstab der kirchlichen Lehre ist, kirchliche Lehre also von sich weg weist auf ihren Gegenstand, das Evangelium, und sich nicht selbst zum Grund für die Kirchengemeinschaft erklärt, dann ist das Zeugnis angemessen und wahr. Bedingung der Wahrheit ist somit die „Selbstunterscheidung des christlichen Zeugnisses von seinem Grund und Gegenstand“178, also nicht der Lehrinhalt selbst.179 Mit dieser Interpretation des Kriteriums für die gegenseitige Gewährung von Kirchengemeinschaft betont die Kirchenstudie, dass nicht das sichtbare Zeichen des Zeugnisses der Ermöglichungsgrund für Kirchengemeinschaft ist. So kann und wird die Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums „in einer legitimen Vielfalt von Lehrgestalten ausgedrückt“180. Vielmehr ist es „das Evangelium selbst“, durch das die Kirchen „in die Lage versetzt [werden], sich gegenseitig Kirchengemeinschaft zu gewähren“181. Die Realisierung der Einheit von Kirche vollzieht sich der Studie zufolge überall dort, wo Gott sich der kirchlichen Zeugnispraxis als seines Instrumentes bedient und es somit als Zeugnis zum Zeichen der vorgegebenen Einheit macht.182
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179
180 181 182
Begriff der Glaubensgewissheit kann auch verstanden werden als nicht hintergehbare Gewissheit über die Wahrheit der Schrift. LK 12. Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 433. Vgl. hierzu auch das für die Kirchenstudie grundlegende Referat von Eilert Herms: „Damit ist diejenige Selbstunterscheidung der Lehre von ihrem Gegenstand ausgesprochen, die Bedingung ihrer Wahrheitsfähigkeit ist“ (Herms, Eilert, Die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie, 22). Somit wird ein Proprium evangelischer Theologie deutlich, das die Authentizität kirchlichen Zeugnisses nicht an die Autorität von Bischöfen bindet. Vielmehr wird hierbei von der „Einsicht in die alleinige Autorität der sich selbst vergegenwärtigenden und im Gewissen bindenden Wahrheit des Evangeliums selbst“ ausgegangen (Herms, Eilert, Kirche in der Gesellschaft, Tübingen 2011, 251). KJC, III.1.4, 71. KJC, III.1.2, 69. Vgl. Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 433.
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2.3.3 Der Charakter der Übereinstimmung als „doppelschichtiger Grundkonsens“ Ausgehend von diesen Betrachtungen interpretiert die Kirchenstudie den in der Leuenberger Konkordie enthaltenen Konsens. Sie deutet somit den Charakter der Übereinstimmung im rechten Verständnis des Evangeliums. Diese Übereinstimmung sei nötig für die mögliche gegenseitige Anerkennung verschiedener Konfessionen als wahre Kirche und für die gegenseitige Gewährung von Gemeinschaft an Wort und Sakrament, so die Kirchenstudie.183 Die Konkordie betonte mit Blick auf die unterschiedlichen Lehrgestalten der beteiligten Konfessionen deren Übereinstimmung im rechten Verständnis des Evangeliums. Dieses sei, so die Konkordie, von den reformatorischen Vätern in der Lehre von der Rechtfertigung zum Ausdruck gebracht worden.184 Dieser von der Leuenberger Konkordie formulierte Konsens, dass das rechte Verständnis des Evangeliums in der Lehre von der Rechtfertigung zum Ausdruck gebracht wurde, wird von der Kirchenstudie als Grundkonsens bezeichnet, der „in sich selbst doppelschichtig“185 sei. Die Studie unterscheidet also mit Blick auf den Konsens zwei Ebenen voneinander. Als eine Ebene des Konsenses wird die gemeinsame Formulierung des rechten Verständnisses des Evangeliums beschrieben, das verstanden wird als „Botschaft vom rechtfertigenden Handeln Gottes in Christus durch den heiligen Geist“186. Die andere Ebene des Konsenses enthält die gemeinsame Überzeugung, dass das so recht verstandene Evangelium, die Rechtfertigungsbotschaft als die Botschaft von der freien Gnade Gottes, Maßstab aller Verkündigung der Kirche sei.187 Mit diesem doppelschichtigen Konsens wird in der Studie also erstens ein bestimmtes Vorverständnis des Evangeliums beschrieben, das zum einen Gewissheit darüber geben soll, was das rechte Verständnis des Evangeliums ist. Zum anderen soll es Gewissheit darüber geben, dass dieses rechte Verständnis in der Lehre von der Rechtfertigung zum Ausdruck kommt und dass diese Lehre in unterschiedlicher Gestalt von den reformatorischen Konfessionen bekannt wird.188 Diese Übereinstimmung wird von den Kirchen gemeinsam formuliert. Mit diesem formulierten Verständnis des Evangeliums als Rechtfertigungsbotschaft, die die Botschaft von der freien Gnade Gottes ist, kommt zweitens eine gemeinsame Überzeugung zum Ausdruck. Diese Überzeugung besteht darin, dass nicht die menschliche Lehre vom Evangelium, sondern das Evangelium 183 184 185 186 187 188
Vgl. KJC, III.1.1, 68; III.1.3, 69. Vgl. LK 8; vgl. KJC, III.1.3, 69. KJC, III.1.3, 69. Ebd. Vgl. KJC, III.1.3, 70. Vgl. KJC, III.1.4, 70f.
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selbst Grund der Gemeinschaft ist – die Gemeinschaft ist vorgegeben durch „das Heilshandeln Gottes für uns Menschen, [durch] die Botschaft von der Rechtfertigung aus Gnade allein“189. Mit der Überzeugung, dass das Evangelium Maßstab der Verkündigung ist, wird also klar, dass die Formulierung der ersten Ebene mit ihrer Aussage zwar das rechte Verständnis des Evangeliums zum Ausdruck bringt. Mit der Aufnahme dieses Verständnisses des Evangeliums als Botschaft von der freien Gnade Gottes negiert die Formulierung jedoch zugleich sich selbst als Grund der Gemeinschaft. Die Formulierung selbst ist also bereits durch ihre Aussage über ihren Gegenstand qualifiziert, selbst nur Hinweis auf ihren Gegenstand zu sein, der alleiniger Grund und Ursprung der Gemeinschaft ist. Die Gemeinschaft wird nicht begründet durch eine gemeinsame Lehrformulierung, sondern durch den einen Gegenstand, auf den die Formulierung verweist: das Evangelium von der freien Gnade Gottes allein. Die gemeinsame Formulierung des rechten Verständnisses hat also lediglich eine Kommunikations- und Hinweisfunktion. Sie ist das Instrument, um die Gemeinschaft ihres gemeinsamen Maßstabes, des Evangeliums als der Botschaft von der Rechtfertigung, zu vergewissern und diese Gemeinschaft nach außen hin sichtbar zu machen. Auf Basis dieses Konsenses können sich die unterschiedlichen Kirchen gegenseitig als wahre Kirche anerkennen.190 Aus diesem Verständnis der für die Gemeinschaft an Wort und Sakrament nötigen Übereinstimmung folgert die Kirchenstudie, dass die Entscheidung über die Legitimität von Vielfalt sich stets an einem Kriterium messen muss: „Kriterium ist das gemeinsame Verständnis des Evangeliums als Rechtfertigungsbotschaft und dessen Anerkennung als entscheidender Maßstab kirchlicher Verkündigung und Ordnung“191. Kirchliche Verkündigung und Ordnung sind, um in einer Kirchengemeinschaft in legitimer Vielfalt gestaltet werden zu können, also stets am Evangelium als dem Ursprung und der Bestimmung von Kirche zu prüfen.192
189 KJC, III.1.2, 69. So wie der Mensch zu seiner Rechtfertigung nichts beitragen kann, er also aus Gnade allein von Gott mit Gott versöhnt wird, so ist auch die Einheit der Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden allein Gabe Gottes an die Kirchen. Vgl. hierzu das Referat von Eilert Herms: „Inhaltlich besagt der verlangte Konsens in der Lehre ‚nur‘, daß nicht eine Gestalt von kirchlicher Lehre, sondern deren gemeinsamer Gegenstand, das Evangelium in seiner Eigenmacht, der ermöglichende und tragende Grund von Kirchengemeinschaft ist“ (Herms, Eilert, Die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie, 22). 190 Vgl. KJC, III.1.1, 68. Vgl. auch Scharbau, Friedrich-Otto, Einheit in versöhnter Verschiedenheit, 71: Die „Erklärung und Gewährung der Kirchengemeinschaft ist notwendige Folge der Anerkennung des nicht verfügbaren Grundes der Kirche und ihrer Einheit“. 191 KJC, III.1.3, 70. 192 Vgl. ebd.
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Somit entsagt die Kirchenstudie einerseits einer dogmatischen Überhöhung und wirkt einer „Selbstverabsolutierung kirchlich-theologischer Lehre“193 entgegen. Nicht die Formulierung des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums, wohl aber das Evangelium selbst ist demnach der eigentliche Grund und Ursprung der Kirchengemeinschaft. Dies ist von Bedeutung, da sonst das menschliche Handeln, die kirchliche Aktivität, zum Maßstab für etwas gemacht würde, was allein dem Handeln Gottes vorbehalten ist. Für die Einheit von Kirche sind die Ordnungsaspekte institutionalisierter Kirche folglich von lediglich geringer Bedeutung.194 Andererseits betont die Studie, dass zur gegenseitigen Anerkennung als wahre Kirche eine lehrmäßige Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums nötig ist.195 Die Kirchenstudie wehrt somit ein spiritualisierendes Kirchenverständnis ab.196 Die Übereinstimmung zwischen unterschiedlichen Kirchen bedarf zur gegenseitigen Anerkennung als wahre Kirche und zur somit begründeten Erklärung von Kirchengemeinschaft immer auch der gemeinsam explizierten Feststellung des Konsenses. Die Forderung etwa nach einer Einheitlichkeit der Lehre oder einer Pluralität von miteinander übereinstimmenden Inhalten wird dabei jedoch zugunsten einer hermeneutisch-regulativen Deutung des zur Einheit nötigen Konsenses zurückgewiesen. Dies trägt zu einer Öffnung des ökumenischen Konzeptes der Konkordie bei.197 Die Studie unter193 Nüssel, Friederike, Kriterien kirchlicher Einheit nach evangelischem Verständnis, 106. 194 Vgl. hierzu die knappen Hinweise in Zusammenhang mit den Kennzeichen der Kirche sowie der notwendigen Entsprechung zwischen Praxis und Ursprung der Kirche, KJC, I.2.4.1, 39 u. I.2.5.4, 47f. 195 Vgl. KJC III.1.4, 71. Vgl. auch Herms, Eilert, Gemeinschaft aus der Kraft Gottes, 466: „Nur im Medium von Lehre konnte es zu der beschriebenen Selbstidentifizierung des christlichen Lebens durch Selbstrelativierung auf seinen Grund kommen, nur im Medium von Lehre kann diese Einsicht heutige Praxis leiten, und nur im Medium von Lehre kann sie weitergegeben werden, um künftiger Praxis zugute zu kommen“. 196 Vgl. Schwöbel, Christoph, „Die Kirche Jesu Christi“, 424f: „Weder darf ein menschliches Werk an die Stelle des göttlichen Wirkens treten, noch darf das Wirken Gottes spiritualistisch missverstanden, insofern seine freie Bindung an das menschliche Zeugnis des Evangeliums missachtet wird“. 197 Diese Öffnung reflektiert die evangelische Perspektive. So ermöglicht der Konsens zumindest von Seiten der Leuenberger Kirchen eine Kirchengemeinschaft auch mit solchen Kirchen, die „‚die apostolisch-sakramentale Struktur‘ der Kirche im Sinne römisch-katholischer oder orthodoxer Prinzipienlehre als zu ihrem Wesen gehörig“ verstehen (KJC, Einführung [zur 1. Auflage 1995], 17–20; 18). Dass das evangelische Verständnis von Kirche und deren Einheitskriterien nicht notwendigerweise übereinstimmt mit dem anderer Kirchen, scheinen die Verfasser der Kirchenstudie bereits im Blick gehabt zu haben: „Wo immer eine Kirche oder kirchliche Gemeinschaft die Kennzeichen der wahren Kirche aufweist, ist sie als Teil der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche anzuerkennen. Das muß unter Umständen auch einseitig geschehen“ (KJC, III.4, 76, Herv. v. J.G., vgl. auch KJC, III.1.4, 71). Eilert Herms betonte entsprechend bereits in seinem Referat in der Projektgruppe „Ekklesiologie“: „Ob das Leuenberger Verständnis von ‚Kirchengemeinschaft‘ auch für die katholische(n) Kirche(n) akzeptabel ist, entscheidet sich dann also grundsätzlich daran, ob
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streicht die ökumenische Anschlussfähigkeit des Konzeptes der Konkordie zudem durch die Identifizierung des Konzeptes von Kirchengemeinschaft mit dem ökumenischen Terminus der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“.198 Kirchengemeinschaft ist danach zu verstehen als eine Einheit, in der die „fundamentale Einheit des Glaubens und der Kirche“199 durch die Verschiedenheiten hinsichtlich der Gestalt der Kirchen, den Strukturen des Amtes sowie der Lehrgestalten nicht in Frage gestellt wird.
2.3.4 Kirchengemeinschaft als vorgegebene Einheit und sich entfaltender Einigungsprozess Um die hohe Bedeutung der in Christus schon gegebenen Einheit der Kirche und der Bemühungen der Kirchen, dieser Einheit zu entsprechen, zu unterstreichen, empfiehlt es sich mit dem Dokument ‚Die Kirche Jesu Christi‘ zwischen Einheit der Kirche und Einigung der Kirchen zu unterscheiden (Kap. III, 1.3).200
Wenn Kirchen einander Kirchengemeinschaft gewähren, so gewähren sie sich damit etwas ihnen bereits von Gott Vorgegebenes, betont die Kirchenstudie. auch aus ihrer Perspektive die Selbstunterscheidung kirchlicher Lehre von ihrem Gegenstand möglich ist und allein jener Gegenstand als Grund von Kirchengemeinschaft in Betracht kommt“ (Herms, Eilert, Die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie, 22). Vgl. zum Dialog mit den anderen Konfessionen u. a. das Gesprächsergebnis des Dialogs mit den Altkatholiken „Kirchengemeinschaft: Voraussetzungen und Folgen“, Kavala 1987, in: DwÜ II, 46–48; für den orthodox/römisch-katholischen Dialog „Glaube, Sakramente und Einheit der Kirche“, Bari 1987, in: DwÜ II, 542–553, (Angaben in: KJC, Einführung [zur 1. Auflage 1995], 17–20; 18, Anm. 1). Vgl. auch die Ergebnisse der neueren, in der Kirchenstudie selbst angeregten Gespräche zwischen Vertretern der orthodoxen sowie altorientalischen Kirchen und der GEKE, zunächst vom 28. November bis 1. Dezember 2002: Hüffmeier, Wilhelm/Ionita, Viorel (Hg.), Konsultation zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Leuenberger Kirchengemeinschaft (LKG) zur Frage der Ekklesiologie. Weitere Gespräche fanden vom 25. bis 27. Juni 2004 und vom 27. bis 30. April 2006 statt: Beintker, Michael u. a. (Hg.), Konsultationen zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), (LT 11), Frankfurt a.M. 2008. 198 Vgl. KJC, III.1.4, 71. Dabei verschweigt die Studie jedoch erstens, dass der Terminus erst nach der Entstehung der Leuenberger Konkordie entstanden ist. Das Konzept von Kirchengemeinschaft wird also mit einem ökumenischen Begriff identifiziert, der jünger ist als das Konzept selbst. Zweitens verschweigt die Studie, dass dieser Begriff mit explizitem Bezug auf das Vorgehen der Konkordie in den ökumenischen Diskurs aufgenommen wurde. Folglich wird mit dem Verweis auf den ökumenischen Terminus letztlich eine ökumenische Weite suggeriert, die sich im ökumenischen Dialog zur Zeit der Konkordie wohl erst noch hätte bewähren müssen. Vgl. zum Begriff der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ Kap. C 2.1 der vorliegenden Untersuchung. 199 Leipold, Heinrich, Die Leuenberger Kirchenstudie, 77. 200 Hüffmeier, Wilhelm, Die Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa (Leuenberger Kirchengemeinschaft) – Grund, Aufgaben und Ziele, 41.
Die Einigung von Kirchen und das Verständnis von Kirchengemeinschaft
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Kirchengemeinschaft ist folglich charakterisiert als eine Gemeinschaft, deren Einheit nicht erst durch den Menschen hergestellt werden muss. Zugleich erklärt die Studie jedoch auch – allerdings lediglich in Bezug auf das Amt und die Kirchenstrukturen –, dass erstens die geschichts- und ortsbedingte Vielfalt der „besondere(n) Gestalt sowie der Strukturen dieses Amtes und der Kirche“ der „steten theologischen Überprüfung am Ursprung und an der Bestimmung der Kirche“201 bedarf. Die jeweils aktuellen Gestaltungsformen des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums im Leben der Kirchen müssen also dem Konsens, der mit der Konkordie formuliert wird, entsprechen.202 Indem die Kirchen eine „möglichst große Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst an der Welt“ erstreben, wie es die Studie in Aufnahme des Wortlautes der Leuenberger Konkordie betont, wird „das gemeinsame Verständnis der Rechtfertigungsbotschaft zum normativen Prinzip für die Kirchengemeinschaft“203. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Vielfalt eine legitime, das heißt die Kirchengemeinschaft nicht verhindernde Vielfalt bleibt. Zweitens versteht die Studie Kirchengemeinschaft als gelebte Gemeinschaft an Wort und Sakrament. In die Folge der Erklärung von Kirchengemeinschaft tritt also auch deren Verwirklichung als ein kontinuierlicher Prozess.204 Die Studie betont entsprechend, dass die Ergebnisse eines ökumenischen Dialoges von den Kirchen rezipiert werden müssten, eine „formelle Rezeption“205 hierbei jedoch nicht ausreiche. Die Rezeption müsse „alle Ebenen des kirchlichen Lebens bestimmen und prägen“206. Die Übereinstimmung im rechten Verständnis des Evangeliums geht also nach der Studie über die bloße Formulierung eines Konsenses hinaus. Sie „umfasst auch die Anwendung dieser Botschaft als Maßstab für alle Bereiche der Theologie und des kirchlichen Lebens“207. Während die Konkordie sich primär dem Umgang mit den Verschiedenheiten der Kirchen widmete, wird mit der Kirchenstudie die Versöhnungshandlung und „gelebte Koinonia“208, wie sie zur damaligen Zeit auch im internationalen öku201 KJC, III.1.3, 70. 202 Das bedeutet im Sinne des zuvor erläuterten Verständnisses des Konsenses, dass nicht eine konkrete Lehrformulierung selbst Maßstab der Gestaltung ist, sondern deren Referenzgegenstand, da mit dem Konsens eine bloße Aussage der Selbstunterscheidung der Lehre von ihrem Gegenstand gemacht wird. 203 Birmelé, André, Zur Ekklesiologie der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 58. Zum Wortlaut der Leuenberger Konkordie vgl. LK 29. Zur Aufnahme des Wortlautes in der Kirchenstudie vgl. KJC, III.1.4, 71. 204 Der Begriff des Prozesses wird von der Kirchenstudie selbst verwendet in KJC, III.2.1, 72. 205 KJC, III.2.1, 72. 206 KJC, III.2.1, 72. 207 Birmelé, André, Zur Ekklesiologie der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 58. 208 Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute, 471. Vgl. zum Aspekt der gelebten Koinonia auch Müller-Römheld, Walter (Hg.), Im Zeichen des Heiligen Geistes. Bericht aus Canberra 1991. Offizieller Bericht der Siebten Vollversammlung des Ökumenischen
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Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie
menischen Dialog diskutiert wurde, stärker akzentuiert. Die Verwirklichung von Kirchengemeinschaft ist demzufolge nach dem Verständnis der Kirchenstudie im Wesentlichen geprägt durch ihren entfaltenden Charakter, den Prozess der Einigung und der gelebten Kirchengemeinschaft.
2.4
Die Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie durch die Ekklesiologiestudie (systematisierende Zusammenfassung)
Die Ekklesiologiestudie ist das Ergebnis der theologischen Zusammenarbeit bekenntnisverschiedener reformatorischer Kirchen in Europa, die auf Basis der Leuenberger Konkordie miteinander in erklärter Kirchengemeinschaft leben. Die Zusammenarbeit der Kirchen ist Bestandteil des im Konzept der Konkordie mitgedachten und angeregten Verwirklichungsprozesses. Folglich ist dieser Prozess zur Beantwortung der leitenden Forschungsfrage der vorliegenden Untersuchung nach dem Leuenberger Gemeinschaftskonzept zu berücksichtigen. Der Verwirklichungsprozess wurde vorangehend geschildert als Prozess der inhaltlichen Einholung des im Konzept der Konkordie Angelegten.209 Rates der Kirchen, 7. bis 20. Februar 1991 in Canberra/Australien, Frankfurt a.M. 1991. Vgl. Institut für Ökumenische Forschung, Communio/Koinonia. Ein neutestamentlich-frühchristlicher Begriff und seine Wiederaufnahme und Bedeutung, in: US 46 (1991), 157–176. Harding Meyer konstatiert zusammenfassend über die ökumenische Methodologie, wie sie im Modell von Kirchengemeinschaft vorkommt: „Der Schwerpunkt lag nicht auf der offiziellen Verwirklichung oder Erklärung von Kirchengemeinschaft, sondern vielmehr auf ‚gelebter Koinonia‘, das heißt auf der Notwendigkeit, dass die Kirchen die erklärte oder wachsende Gemeinschaft wirklich leben, und auf der Art und Weise, wie sie unter konkreten Umständen vor Ort tatsächlich gelebt wird: im gemeinsamen Gebets- und Gottesdienstleben, im gemeinsamen diakonischen, missionarischen und sozialen Einsatz, im gemeinsamen Suchen nach neuen Strukturen des gemeinsamen Lebens und Handelns und im gemeinsamen Überwinden von ‚nicht-theologischen Faktoren‘ der Trennung in Kirche und Gesellschaft, wie rassischen, ethnischen, kulturellen, wirtschaftlichen und anderen Schranken oder Unterschieden“ (Meyer, Harding, „Koinonia/Communio“ und das Verständnis von „Kirchengemeinschaft“ im Luthertum, insbesondere im LWB. Historische und theologische Überlegungen, in: LWB-Dokumentation Nr. 42 [Die Kirche als Gemeinschaft], Genf/Stuttgart 1998, 309–325; 320). Die Aussage Meyers lässt sich in Bezug setzen mit der besonderen Situation der Kirchen in den 1980er Jahren, in denen in Zusammenhang mit der Apartheid-Diskussion deutlich wurde, dass ein theologischer Lehrkonsens noch keine Kirchengemeinschaft im Sinne der gelebten Gottesdienstgemeinschaft garantiert. Der explizierte Konsens bedarf folglich auch seiner Bewährung im Alltag der Kirchen und der Kirchengemeinschaft. Vgl. hierzu auch den Hinweis im Lehrgespräch „Gestalt und Gestaltung protestantischer Kirchen in einem sich verändernden Europa“, in: Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 43–75; 55f. 209 Vgl. Kap. A 5 der vorliegenden Untersuchung.
Die Interpretation der ökumenischen Hermeneutik
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In Bindung an das hermeneutische Verfahren der Konkordie wird Kirchengemeinschaft nach dem Leuenberger Modell in einer theoretischen und in einer praktischen Dimension verwirklicht. Die vorangehende Betrachtung der Kirchenstudie erfolgte mit Blick auf die theoretische Dimension. Die Studie wurde demnach als theoretische Entfaltung und Vertiefung der mit der Konkordie erklärten Kirchengemeinschaft gelesen. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass die Studie die ekklesiologischen Implikate der Konkordie nicht nur theoretisch entfaltet und vertieft, sondern auf Basis dieser Weiterentwicklungen auch das hermeneutische Konzept der Konkordie nachträglich interpretiert. Die Ekklesiologiestudie kann somit als metakonsensuelles Dokument der Mitgliedskirchen über die Leuenberger Konkordie, das heißt als Konsens über den mit der Konkordie formulierten Konsens, verstanden werden.210 Dabei zielt die Interpretation des reformatorischen Konzeptes von Kirchengemeinschaft durch die Kirchenstudie erstens darauf, evangelisches Kirchentum zu profilieren, das heißt erkennbar darzulegen. Zweitens zielt die Studie somit auch auf eine weitere Öffnung des Leuenberger Modells für den ökumenischen Dialog. Beide Ziele sind bereits im Entstehungskontext der Kirchenstudie angelegt. So entstand die Studie in einem Umfeld, das einerseits geprägt war durch die Herausforderung zu mehr Sichtbarkeit in einem wachsenden Europa. Andererseits war das Umfeld geprägt durch die Vielzahl ökumenischer Dialoge, in die auch einzelne Mitgliedskirchen der Leuenberger Kirchengemeinschaft involviert waren. Die wesentlichen Erkenntnisse aus der Analyse der Entfaltung des ekklesiologischen Theorems und der darauf aufbauenden Interpretation des hermeneutischen Verfahrens der Konkordie durch die Kirchenstudie werden folgend zusammengefasst: Die Ausführungen der Ekklesiologiestudie sind maßgeblich geprägt durch die Verhältnisbestimmung zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen. Diese Verhältnisbestimmung dient der vorliegenden Untersuchung von daher als systematischer Interpretationsansatz in Bezug auf die Studie. Be210 Vgl. KJC, Einführung (zur 1. Auflage 1995), 17–20; 17: „Die Einhelligkeit, mit der das Dokument ‚Die Kirche Jesu Christi. Der reformatorische Beitrag zum ökumenischen Dialog über die christliche Einheit‘ in Wien angenommen wurde (einstimmig bei einer Enthaltung), zeigt die konsensstiftende Qualität dieses Textes. Man wird ihn deshalb in Zukunft beim theologischen Nachdenken über die Kirche und in den ökumenischen Gesprächen evangelischer Kirchen in Europa und darüber hinaus nicht mehr übergehen können“. Vgl. hierfür paradigmatisch die grundlegende Orientierung des Lehrgesprächs „Gestalt und Gestaltung protestantischer Kirchen in einem sich verändernden Europa“ an der Kirchenstudie, in: Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 43–75; 47–61. An dem Lehrgesprächsergebnis lässt sich allerdings eine im Vergleich zur Kirchenstudie veränderte Akzentuierung des Verständnisses von Apostolizität erkennen, sodass hierbei eine interpretierende Bezugnahme auf die Ekklesiologiestudie angenommen werden muss.
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Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie
reits zu Beginn der Studie wird diese Bestimmung für die Entfaltung einer Ekklesiologie vorausgeschickt und führt in den Ausführungen der Studie zu der Unterscheidung zwischen dem Grund, der Gestalt und der Bestimmung bzw. dem Auftrag von Kirche.211 Mithilfe dieser Unterscheidung erläutert die Studie also die Verhältnisbestimmung zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln der Menschen in ihrer Bedeutung für das Verständnis von Kirche. Der Grund und Auftrag von Kirche, so die Studie, besteht im Handeln Gottes. Was Kirche zu Kirche macht, ist also den Kirchen nicht frei verfügbar. Vielmehr liegen sowohl der Grund von Kirche als auch ihr Auftrag „außerhalb ihrer selbst“212. Vom Grund empfängt die Kirche den Auftrag für ihr Handeln, das kirchebegründende Wort Gottes in der Welt auszurichten. Die Studie beschreibt die Gestalt von Kirche als zweifach bestimmt. So ist Kirche einerseits eine geistliche, verborgene Gemeinschaft, die im Glauben konstituiert wird und die im Grund von Kirche, im Handeln Gottes wurzelt. Diese allein im Glauben erkennbare Gestalt von Kirche ist durch die vier Wesensmerkmale der Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität ausgezeichnet. Andererseits wird die Kirche von der Studie als leibliche, sichtbare und soziale Wirklichkeit geschildert, die in einer Vielzahl geschichtlicher Gestalten zum Ausdruck kommt. Verborgene und sichtbare Gestalt von Kirche sind nicht miteinander identisch. Um Ausdruck wahrer Kirche zu sein, müssen sich die sichtbaren Kirchen in ihrer Zeugnispraxis an ihrer geistlichen Gestalt messen: „Es ist Aufgabe der kirchlichen Gemeinschaft, ihre Gestalt stets zu prüfen und sie so zu reformieren (ecclesia semper reformanda), daß sie ihren in ihrem Ursprung gegebenen Wesenseigenschaften entspricht“213. Negativ bedeutet dies, dass sichtbare Kirchen zu falschen Kirchen werden können, wenn sie sich von ihrem Grund, Auftrag und ihrer geistlichen Wirklichkeit entfernen. Da die Studie mit dem Begriff der Gestalt von Kirche sowohl das Handeln Gottes als auch das Handeln des Menschen beschreibt, ist die gängige Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt zu undifferenziert, um das Verhältnis zwischen Gotteswerk und Menschenwerk zu erfassen. Die vorliegende Untersuchung weicht von den gängigen Analysen ab, indem sie sich auf den syste211 Vgl. KJC, I.2.2, 36: „Nach der Einsicht der Reformatoren ist es von grundlegender Bedeutung, das Handeln Gottes und das Handeln der Menschen im Leben der Kirche in rechter Weise zu unterscheiden und in Beziehung zueinander zu setzen. Das Handeln der Kirche empfängt seine Orientierung aus der Unterscheidung zwischen dem, was wir vertrauensvoll von Gott erwarten und annehmen dürfen, und dem, was dadurch uns als Zeugnis von der Gnade Gottes in Jesus Christus zu tun aufgegeben ist“. 212 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 48. 213 KJC, I.2.4, 39, Herv. i. O. Vgl. auch Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 48: „Die im Glauben konstituierte, geistliche Gemeinschaft ist in dieser Hinsicht ein im Grund der Kirche verwurzeltes Kriterium der Gestaltung von Kirche und Kirchengemeinschaft“.
Die Interpretation der ökumenischen Hermeneutik
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matischen Ansatz der Studie bezieht, der zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen unterscheidet und dieses in ein Verhältnis zueinander setzt. Diese Verhältnisbestimmung lässt sich auch in der Interpretation des für die Kirchengemeinschaft notwendigen Konsenses durch die Kirchenstudie entdecken.214 Ob nun eine sichtbare Kirche wahrer Ausdruck der verborgenen Kirche ist, lässt sich, so erläutert die Studie in Rekurs auf die gemeinsame reformatorische Überzeugung, an bestimmten Kennzeichen erkennen. Als ausreichende und hinreichende Kennzeichen werden die reine Verkündigung des Evangeliums und die evangeliumsgemäße Darreichung der Sakramente genannt.215 Damit sind diejenigen kirchlichen Handlungen bestimmt, deren sich der Heilige Geist als Instrument bedient, um den Glauben an Jesus Christus in den Menschen zu stiften und somit die Gemeinschaft der Gläubigen zu begründen. Das Handeln des Menschen in Bezug auf das Wort und die Sakramente hat allein Instrumentcharakter. Entscheidend ist, dass das Wort Gottes rein, das heißt unverfälscht zum Ausdruck gebracht wird. Hierzu muss der Studie zufolge die Zeugnisgestalt sichtbarer Kirche, die der Verkündigung und der Feier der Sakramente dient, die Merkmale ihrer geistlichen Wirklichkeit aufweisen (Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität).216 Durch die kirchliche Praxis soll „der Ursprung der Kirche im Rechtfertigungshandeln Gottes bezeugt und erkennbar“217 werden. Von zentraler Bedeutung ist hierbei das Merkmal der Apostolizität, da Verkündigung und Sakrament als „die beiden entscheidenden Kennzeichen der Kirche“218 von der Schrift als apostolisches Zeugnis ausgehen. Sie sind von daher ‚apostolisch‘ geprägt.219 Dieses Merkmal wird von der Kirchenstudie gedeutet im Sinne der notwendigen „stete[n] Rückkehr zum apostolischen Zeugnis [sc. das von den Aposteln bezeugte Evangelium]“ und der Verpflichtung zur „authentischen und missionarischen Bezeugung des Evangeliums“220. Eine Hilfe zur authentischen Verkündigung bietet die „immer neue Bemühung um das klare Verständnis der
214 Vgl. hierzu die Ausführungen weiter unten im selben Kapitel. 215 Vgl. CA VII und Inst. IV.1.8f. 216 Vgl. auch Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 49: „Die sichtbare Kirche und damit auch die Kirchengemeinschaft verschiedenartig gestalteter Kirchen hat dementsprechend in menschlich verantworteten Strukturen und Handlungsweisen zu verdeutlichen, dass ihre der Evangeliumsverkündigung und der Feier der Sakramente zugeordneten Merkmale in der Welt die Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität sind“. 217 KJC, I.2.5.4, 47. 218 Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 49. 219 Vgl. ebd. 220 KJC, I.2.3, 38; vgl. auch KJC, I.2.5.4, 48.
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Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie
Christusbotschaft in der wissenschaftlichen Theologie“221. Dennoch ist die Apostolizität im Verständnis der Kirchenstudie nicht einfach zu verstehen als Menschenwerk: „Apostolisch ist die Kirche kraft ihres Ursprungs. […] Wo der Geist Gottes diese apostolische Botschaft für Menschen zur Wahrheit macht (vgl. Joh 16,13), verwirklicht sich die Apostolizität der Kirche als successio fidelium über die Generationen hinweg“222. Soweit ist also festzustellen, dass Apostolizität einerseits gebunden ist an die authentische, das heißt an der Schrift orientierte Verkündigung. Andererseits wird Apostolizität geschaffen durch den Heiligen Geist als Nachfolge im Glauben. Nun interpretiert die Kirchenstudie in Anlehnung an die Leuenberger Konkordie das zur Einheit notwendige und ausreichende Kriterium, wie es in CA VII formuliert wird. Dabei konzentriert sie den ursprünglich notwendigen Konsens in der reinen Lehre des Evangeliums und in der evangeliumsgemäßen Verwaltung der Sakramente auf die „Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums“223. Die Studie interpretiert den für die Einheit notwendigen Konsens demnach in qualitativer Lesart: Zur Einheit werden nicht mehrere Übereinstimmungen, das heißt der Konsens in der Lehre des Evangeliums, in der Abendmahlslehre und in der Lehre von der Taufe, gefordert. Vielmehr gehen die einzelnen Konsense, so lässt sich die Kirchenstudie verstehen, von einem fundamentalen Konsens im Verständnis des Evangeliums aus, der ausreichend ist zur Einheit.224 Dieses Verständnis des Evangeliums geht von einer gemeinsamen Gewissheit des Glaubens aus, die von Gott gewirkt wird.225 Diese Glaubensgewissheit hat zum Inhalt, dass das Zentrum der Schrift Jesus Christus als alleiniger Mittler des Heils ist und die Verkündigung der Kirche sich an diesem Verständnis der Schrift als Botschaft von der freien Gnade Gottes messen muss.226 Für die zur Kirchengemeinschaft nötige Übereinstimmung ist es nach der Kirchenstudie ausreichend, dass auf diese Glaubensgewissheit gemeinsam verwiesen wird:
221 222 223 224
KJC, I.3.3.2, 52. KJC, I.2.3, 38, Herv. i. O. KJC, III.1.1, 68. Vgl. ebd.; Die Kirchenstudie interpretiert somit die gemeinsamen Aussagen der Leuenberger Konkordie über die Taufe und das Abendmahl (LK 14–16) als Anwendungen des gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums. Aus Perspektive der Studie wird mit den Ausführungen in der Konkordie also weder eine neue gemeinsame Lehre des Abendmahls und der Taufe formuliert, noch wird mit der Konkordie eine bestimmte konfessionelle Interpretation bestätigt. Hierin liegt jedoch, wie die skizzierte Kritik an der Leuenberger Konkordie zeigen wird und wie an der kritischen Diskussion der Kirchenstudie gezeigt wird, der Grund für einen Dissens im ökumenischen Diskurs (vgl. Kap. C 1 der vorliegenden Untersuchung). 225 Vgl. KJC, I.2.2, S. 36 u. KJC, III.1.2, 69. 226 Vgl. LK 12. Mit dieser Aussage wird implizit Bezug genommen auf LK 4, Satz 4–6.
Die Interpretation der ökumenischen Hermeneutik
225
Die Praxis der Kirche wird glaubwürdig, wenn das Leben der Kirche in all seinen Vollzügen Hinweis auf Gott ist. Das Handeln der Kirche, das sich durch Gottes Handeln begründet und begrenzt weiß, geschieht im Vertrauen darauf, daß Gott sich in der Treue zu seiner Verheißung des menschlichen Zeugnisses von der Wahrheit des Evangeliums bedient, um Menschen in die Gemeinschaft des Glaubens zu führen.227
Authentisch, das heißt apostolisch, ist das Zeugnis der Kirchen also durch das Handeln Gottes, das sich des menschlichen Zeugnisses als sein Instrument bedient.228 Ausgehend von dieser Überzeugung, dass die Authentizität der Kirche an das Handeln Gottes gebunden ist, interpretiert die Kirchenstudie die in der Konkordie tragende ökumenische Hermeneutik. Dabei geht sie davon aus, dass den unterschiedlichen Lehrgestalten der Kirchen eine gemeinsame, von Gott gestiftete Glaubensgewissheit über das Evangelium zugrunde liegt. Um authentisches Zeugnis zu sein, muss sich die kirchliche Lehre an der gemeinsamen Glaubensgewissheit im Sinne einer Prämisse mit kriterialer Funktion orientieren. Diese ist sodann das hermeneutische Regulativ für die Bezugnahme kirchlicher Lehre auf das Evangelium als das apostolische Zeugnis. Der zu formulierende Konsens über das gemeinsame Verständnis des Evangeliums bringt in der Lesart der Studie lediglich zum Ausdruck, dass nicht die kirchliche Lehre selbst, sondern ihr Gegenstand und Ursprung, das Evangelium von der freien Gnade Gottes, Grund der Einheit der Kirche ist. Dies verdeutlicht die Kirchenstudie anhand einer Analogie zwischen der Aktivität des Individuums hinsichtlich seiner Rechtfertigung und der kirchlichen Aktivität hinsichtlich ihrer Einheit. Beide Aktivitäten werden verstanden als ein Empfangen. Der zur Einheit der Kirche notwendige und ausreichende Konsens im reinen Verständnis des Evangeliums wird von der Kirchenstudie folglich mithilfe des spezifischen Verständnisses der Apostolizität der Kirche gedeutet: Mit dem formulierten Konsens bringen die Kirchen zum Ausdruck, dass nicht die kirchliche Lehre, sondern Gottes Handeln selbst Grund der Kirche und ihrer Einheit ist – kirchliche Lehre macht somit eine Aussage über ihre Selbstunterscheidung von ihrem Gegenstand.229 Gleichwohl ist es bleibende Aufgabe der Kirchen, dieses Zeugnis in Bindung an das von den Aposteln bezeugte Evangelium und die gemeinsame Glaubensgewissheit stets klar zum Ausdruck zu bringen. Von daher kann die ökumenische Hermeneutik der Leuenberger Konkordie in der Interpretation durch die Kirchenstudie als hermeneutischregulative Konsensmethode beschrieben werden.230 227 KJC, I.2.2, 36. 228 Der zuvor genannte Aspekt der wissenschaftlichen Theologie als Hilfe zur authentischen Verkündigung wird von der Kirchenstudie folglich nicht weiter bedacht. 229 Vgl. KJC, III.1.2, 69. 230 Der Begriff der hermeneutisch-regulativen Konsensmethode ist ein Vorschlag der vorlie-
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Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie
Ebenso wird das Verhältnis zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln der Menschen deutlich an den übrigen Wesenseigenschaften von Kirche, der Einheit, Heiligkeit und Katholizität: So formuliert die Kirchenstudie über die Einheit der Kirche, dass diese nach reformatorischem Verständnis den Kirchen bereits als Werk Gottes vorgegeben sei. Demnach sei sie also kein „durch das Handeln [der Christen und Kirchen] erst noch zu verwirklichendes Ideal“231. Allerdings seien die Kirchen in ihrem Handeln aufgefordert, von dieser Gabe Gottes sichtbar Zeugnis zu geben. Dies leisten sie u. a. in Form eucharistischer Gastbereitschaft.232 Auch die Heiligkeit sei eine Gabe Gottes an die Menschen, so die Studie. Heilig sei die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden durch Christi Vergebung.233 Zugleich müsse die sichtbare Kirche als ecclesia sancta et peccatrix „ihre Heiligkeit im Kampf gegen die ihr zusetzenden Mächte der Sünde […] bewähren“234. Als „größte Sünderin“ sei sie immer wieder dazu veranlasst, ihre Schuld zu bekennen.235 Schließlich wird zur Katholizität der Kirche festgehalten, sie sei begründet durch ihren Ursprung im Wort Gottes. Zugleich sei sie als bleibende Aufgabe der Kirchen zu verstehen. Im gemeinsamen Verständnis des Evangeliums, das Kirchengemeinschaft als „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ ermögliche, haben die Kirchen ihre gemeinsame Grundlage für ihren weiteren Weg zu größerer Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst.236
2.5
Gegenüberstellung der Interpretation der vorliegenden Untersuchung und der Interpretation der Kirchenstudie und Kritik
Im Zuge der Interpretation des ekklesiologischen Theorems der Konkordie und ihrer ökumenischen Hermeneutik verdeutlicht die Kirchenstudie ihr Verständnis von Kirchengemeinschaft. Dieses ist geprägt durch das Spannungsverhältnis zwischen der verborgenen Kirche, die das Werk Gottes ist, und den sichtbaren Gestalten von Kirche, die das Werk der Menschen sind.
231 232 233 234 235 236
genden Untersuchung zur Charakterisierung der Konsensmethode der Leuenberger Konkordie. KJC, I.2.3, 37. Vgl. KJC, I.2.5.4, 47. Vgl. KJC, I.2.3, 37. Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 50f. Vgl. KJC, I.2.3, 37 mit Bezug auf WA 34/I, 276,8–13. Vgl. hierzu auch LK 1, Satz 3: „Dankbar dafür, daß sie näher zueinander geführt worden sind, bekennen sie zugleich, daß das Ringen um Wahrheit und Einheit in der Kirche auch mit Schuld und Leid verbunden war und ist“. Zur Interpretation von Kirchengemeinschaft durch den ökumenischen Begriff der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ vgl. KJC, III.1.4, 71 u. Kap. C 2.1 der vorliegenden Untersuchung.
Gegenüberstellung der Interpretationen
227
Die Erarbeitung der Studie orientierte sich an drei Leitlinien, die vom Exekutivausschuss im Januar 1989 in Straßburg für die Arbeit der Projektgruppe festgelegt wurden.237 Die erste der drei Vorgaben lautete: „Das Kirchenverständnis muß als Konsequenz und Anwendung der reformatorischen Rechtfertigungslehre […] durchsichtig werden“238. Mit dieser Leitlinie wird zugleich eine Verhältnisbestimmung zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen für die ekklesiologischen Ausführungen zugrunde gelegt. In der Kirchenstudie führt dies zu der Betonung, dass die Handlung des Menschen im Verhältnis zum rechtfertigenden Handeln Gottes am Menschen tendenziell passivisch bestimmt ist und im Empfangen besteht.239 Dabei unterscheidet die Studie nicht zwischen der Aktivität auf Ebene des Individuums und auf Ebene der Gemeinschaft. In beiden Fällen besteht die menschliche Aktivität im Empfangen. Dies hat Auswirkungen auf den zur Erklärung von Kirchengemeinschaft notwendigen zwischenkirchlichen Konsens. Mit diesem Konsens bringen die Kirchen in der Studie zum Ausdruck, dass nicht ihre Lehre, sondern der Lehrgegenstand, das Evangelium, Grund der Kirchengemeinschaft ist. Der Prozesscharakter von Kirchengemeinschaft ist der Studie zufolge durch die Notwendigkeit bestimmt, dass die Kirchen in ihrer Verschiedenheit immer wieder gemeinsam auf den Grund ihrer Gemeinschaft verweisen. Offen bleibt in dieser Charakterisierung des Konsenses, welche Relevanz das konkrete kirchliche Zeugnis in Bindung an das von den Aposteln bezeugte Evangelium für die Erklärung von Kirchengemeinschaft noch hat. Wenn mit dem Konsens nicht kirchliche Lehre, sondern ein bloßer Verweis auf den Gegenstand als Grund von Kirchengemeinschaft zum Ausdruck gebracht wird, wird der Aspekt der Apostolizität einseitig reflektiert. Das Verständnis von Apostolizität im Sinne der steten Bemühung, die apostolische Schrift in einem hermeneutischen Prozess in einer konkreten Lehrgestalt angemessenen zum Ausdruck zu bringen, bleibt dann in der Reflexion über die Art des Konsenses unberücksichtig.240 Zu wenig Beachtung findet folglich auch die Überlegung, dass die 237 238 239 240
Vgl. KJC, Vorwort, 23–25; 24. KJC, Vorwort, 23–25; 24, Leitlinie 1. Vgl. KJC, III.1.2, 69. Die Kirchenstudie betont, dass das Wirken Gottes die Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität der Kirche begründet. Wahre Kirche ist die sichtbare Kirche demnach durch das Handeln Gottes (KJC I.2.4.1, 39). Die Radikalität dieser Formulierung wird einzig mit Blick auf die Eigenschaft der Apostolizität gemildert. Hierzu betont die Studie zwar, dass Apostolizität sich als successio fidelium verwirklicht, die wiederum das Werk Gottes ist. Allerdings beschreibt die Studie auch, dass die „stete Rückkehr zum apostolischen Zeugnis“ und die „authentische[n] und missionarische[n] Bezeugung des Evangeliums“ (KJC, I.2.3, 38) Hilfsmittel seien, damit Kirche ihre Eigenschaft der Apostolizität zum Ausdruck bringen könne. Als Hilfe zur authentischen Verkündigung des Evangeliums nennt die Kirchenstudie „die immer neue Bemühung um das klare Verständnis der Christusbotschaft in der wis-
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Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie
Versöhnung von Lehrunterschieden zwischen den Kirchen der gemeinsamen Formulierung eines Lehrkonsenses bedarf. Die gegenseitige Anerkennung als wahre Kirche ist jedoch gebunden an einen konkret definierten Gegenstand der Anerkennung. Die Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Konkordie durch die vorliegende Untersuchung geht davon aus, dass die oben geschilderte Lesart des Konsenses durch die Kirchenstudie lediglich einen Teilaspekt des Gesamtmodells hervorhebt. Die Ausführungen der Studie werden folglich nicht im Widerspruch zu der vorliegenden Interpretation gesehen, sondern als Akzentsetzung innerhalb dieser Deutung. So untersucht die vorliegende Arbeit den Konsens der Konkordie auf zwei unterschiedlichen Ebenen, einer vertikalen und einer horizontalen. Auf der vertikalen Ebene wird das Verhältnis der kirchlichen Lehre zum Evangelium als Selbstoffenbarungshandeln Gottes und Zeugnisgegenstand lokalisiert. Diese Ebene ist entscheidend für die Feststellung, ob eine Lehre evangeliumsgemäß ist. Auf der horizontalen Ebene liegt der zwischenkirchliche Lehrkonsens. Dieser muss in allen Lehrfragen angestrebt werden, die eine gemeinsame Gottesdienstfeier der Kirchen verhindern. Die Kirchenstudie akzentuiert mit ihrer Lesart die vertikale Ebene und betont somit das Kirche-begründende Handeln Gottes nicht nur für die einzelne Kirche, sondern auch für die Gemeinschaft zwischen Kirchen. Sie ignoriert dabei einen wichtigen Aspekt, den die vorliegende Interpretation für essentiell erachtet: Das Evangelium leitet als Grund der Kirche als in der Schrift verkündeter Zeugnisgegenstand auch zu einem hermeneutischen Prozess an, der zu unterschiedlichen kirchlichen Lehren führen kann. Zwischen diesen ist, da die zwischenkirchliche Verständigung an Lehraussagen über das Evangelium gebunden bleibt, in den wandelbaren geschichtlichen Kontexten kontinuierlich ein Konsens zu finden. Der Prozesscharakter von Kirchengemeinschaft ist demnach nicht nur charakterisiert durch den immer wieder notwendigen Verweis auf den primären, da konstitutiven Grund von Kirchengemeinschaft. Der Prozess ist auch zu verstehen als kontinuierlicher hermeneutischer Vorgang, in dem zwischen den unterschiedlichen Lehraussagen, ausgehend von neuen Erkenntnissen und bedingt durch veränderte Kontexte, die gemeinsame Überzeugung über das Evangelium immer wieder in einem Lehrkonsens Ausdruck finden muss. senschaftlichen Theologie“ (KJC, I.3.3.2, 52). Die Bedeutung menschlicher Handlung für die Kirche als wahre Kirche wird in der Kirchenstudie folglich nicht ganz ausgeblendet. Die menschliche Handlung ist jedoch nicht der eigentlich konstitutive Grund dafür, dass Kirche wahre Kirche ist. Im Verständnis des zur Kirchengemeinschaft notwendigen Konsenses scheint der Aspekt von Apostolizität, in dem die menschliche Handlung wahrgenommen wird, allerdings nicht mehr in dieser Differenziertheit berücksichtigt zu werden. In der Interpretation des Konsenses ist die konkrete menschliche Lehre bedeutungslos für die Einheit.
Gegenüberstellung der Interpretationen
229
Die unterschiedlichen Interpretationen des Konsenses durch die Kirchenstudie und durch die vorliegende Arbeit haben Konsequenzen für das Verständnis von Kirchengemeinschaft, die mithilfe des Konsenses erklärt werden soll. So führt die Akzentuierung des göttlichen Handelns als Grund der Kirche und der Kirchengemeinschaft dazu, dass in der Kirchenstudie nicht mehr zwischen einer Gemeinschaft im Glauben und einer Gemeinschaft von Kirchen erkennbar unterschieden wird: Die Kirchenstudie akzentuiert durch ihre Interpretation des Konsenses ein Verständnis von Kirchengemeinschaft als Gemeinschaft im Glauben, sie meint damit jedoch zugleich die Gemeinschaft von Kirchen. Im Vergleich hierzu führt die vorliegende Analyse des Konsensverständnisses der Konkordie zu einem differenzierteren Bild von Kirchengemeinschaft. Diese ist demzufolge Glaubensgemeinschaft, die das Werk Gottes ist. Sie ist jedoch auch eine Gemeinschaft von Kirchen, die gebunden ist an einen von den Kirchen zu formulierenden Konsens zwischen ihren Lehren als explizierende Zeugnishandlung in Bezug auf das Evangelium. Ähnlich wie der Konsens wird von daher auch die Gemeinschaft auf zwei Ebenen wahrgenommen: auf Ebene der von Gott gestifteten Teilhabegemeinschaft am Leib Christi und auf Ebene der von den Menschen zum Ausdruck zu bringenden Gemeinschaft geschichtlicher Kirchen. Das Anliegen der Kirchenstudie, das Kirchenverständnis als Konsequenz und Anwendung reformatorischer Rechtfertigungslehre zu entfalten, führt folglich nicht nur zu einer einseitig akzentuierten Interpretation des in der Konkordie entwickelten hermeneutischen Verfahrens zum Erreichen eines zwischenkirchlichen Konsenses. Auch das in der Konkordie noch ausdifferenzierte Verständnis von Kirchengemeinschaft, wie es die vorliegende Untersuchung darlegt, wird nun sehr weit gefasst. Eine ähnliche Beobachtung, die zugespitzt zur Feststellung einer Inkonsistenz in der Argumentation der Kirchenstudie in Bezug auf die Verhältnisbestimmung zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen führt, kann anhand der zwei im Rahmen der Erarbeitung der Kirchenstudie gehaltenen Referate von Eilert Herms und Georg Kretschmar gemacht werden: Einerseits wird die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass Kirche durch das Handeln Gottes wahre Kirche ist.241 Folglich wird auch der zur Einheit notwendige und ausreichende Konsens im Verständnis des Evangeliums charakterisiert als ein Konsens in der Selbstunterscheidung der Lehre von ihrem Gegenstand. So betont Eilert Herms in seinem Referat im Vorfeld der Studie: „Nicht 241 Vgl. KJC, I.2.4.1, 39: „Damit [sc. mit den Kennzeichen von Kirche nach CA VII] haben die Reformatoren diejenigen elementaren Züge des sichtbaren Lebens der Kirche in Anspruch genommen, durch die sich der Ursprung der Kirche vergegenwärtigt und durch die eine Kirche sich an ihren Ursprung hält. Durch ihn ist sie wahre Kirche“ (Herv. v. J.G.).
230
Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie
eine Gestalt von kirchlicher Lehre, sondern deren gemeinsamer Gegenstand, das Evangelium in seiner Eigenmacht [ist] der ermöglichende und tragende Grund von Kirchengemeinschaft“242. Der menschlichen Lehre entsagt Herms damit jeglichen Anspruch auf Selbstverabsolutierung oder auf begründende Qualität für die Kirchengemeinschaft. Andererseits betont die Kirchenstudie jedoch die Notwendigkeit der Entsprechung kirchlicher Zeugnispraxis mit den vier Wesenseigenschaften von Kirche. So wird etwa am Beispiel des status confessionis deutlich, dass die Ebene kirchlicher Ordnung in der Reflexion über Kirchengemeinschaft nicht vernachlässigt werden darf. Entsprechend betont Georg Kretschmar in seinem Referat, das ebenfalls im Rahmen der Projektgruppe „Ekklesiologie“ gehalten wurde: „Die ganze Geschichte gerade der lutherischen Kirche seit dem Interim bis zur heutigen Rede vom ‚status confessionis‘ zeigt doch, dass beim Leben unter dem Evangelium der Bereich der Ordnung schlechterdings nicht ausgeblendet werden kann“243. Eine reine Hermeneutik der Unterscheidung kirchlicher Lehre von ihrem Gegenstand, das heißt eine Lehre ohne eigene Qualität, scheint demnach nicht ausreichend tragfähig, um zwischenkirchliche Konflikte, die zur Trennung von Kirchen folgen können, konsensuell zu lösen. Eine Ursache für die unterschiedliche Akzentuierung des Status kirchlicher Lehre durch Herms und Kretschmar könnte in der unterschiedlichen Perspektive, aus der auf die Kirchengemeinschaft geblickt wird, liegen: Einerseits wird Kirchengemeinschaft ausgehend vom individuellen Rechtfertigungsgeschehen als Einheit am Leib Christi verstanden. Andererseits wird Kirchengemeinschaft als verschiedene Gemeinschaften von Gläubigen verstanden, die einander notwendigerweise über ihren Glauben in der Lehre Rechenschaft ablegen müssen. So betont Eilert Herms in seinem Referat, die erste Perspektive unterstützend, dass die gegenseitige Gewährung von Kirchengemeinschaft davon ausgeht, dass die einzelnen Kirchen das Evangelium anerkennen als „eigenmächtigen Ermöglichungs- und Verpflichtungsgrund ihres Umgangs mit ihm in Predigt und Sakrament“244. Kraft dessen sei „auch ihr tatsächlicher Umgang mit dem Evangelium in Predigt und Sakramentsverwaltung der rechte […] – das Evangelium selbst zum Zuge kommen lassende [Umgang]; und zwar allseits, übereinstimmend, wie es für Kirchengemeinschaft notwendig und ausreichend ist“245. Das bedeutet, dass Kirchengemeinschaft durch das Evangelium selbst begründet 242 Herms, Eilert, Die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie, 22. 243 Kretschmar, Georg, Orthodoxe Ekklesiologie und die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie, 28f. 244 Herms, Eilert, Die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie, 12. 245 Ebd.
Gegenüberstellung der Interpretationen
231
wird. Kirchengemeinschaft wird dann verstanden als „Einheit der Getauften im Leibe Christi“246. Dies aber, so schreibt Georg Kretschmar, die zweite Perspektive betonend, ist mit dem Leuenberger Modell von Kirchengemeinschaft nicht gemeint. Vielmehr gehe es bei der Kirchengemeinschaft um „church fellowship“: Es geht nicht um die Einheit der Getauften im Leibe Christi, sondern um die Gemeinschaft von ‚Church bodies‘, von Kirchen, die sich wechselseitig anerkennen. Dabei ist also vorausgesetzt: Kirche lebt in Teilkirchen, die wechselseitig Gemeinschaft miteinander haben und ihre neue Gemeinschaft offen halten für das Hinzutreten anderer Kirchen.247
Anhand der skizzierten Kontroverse, die sich im Vorfeld der Ekklesiologiestudie abzeichnete, lässt sich erkennen, dass das Verhältnis des Handelns von Gott und des Handelns der Menschen mit der Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie durch die Ekklesiologiestudie zwar in einer bestimmten Weise akzentuiert wird. So wird der zur Kirchengemeinschaft notwendige Konsens im Handeln Gottes begründet. Diese Akzentuierung führt jedoch andererseits zu dem Problem, dass die Ebene sichtbarer Gemeinschaft von Kirchen ungenügend beachtet wird. Eine weitere Ursache für die besondere Lesart des Konsenses durch die Kirchenstudie lässt sich in den im Vergleich zur Konkordie veränderten äußeren Herausforderungen vermuten, mit denen die Studie konfrontiert war: Die Konkordie stand vor der Herausforderung, einen Konsens zwischen konfessionell unterschiedlichen evangelischen Kirchen in Europa mit unterschiedlichen schrifthermeneutischen Ansätzen zu entwickeln. Dabei lässt die Konkordie, um einen Konsens zu erzielen, einen gewissen Interpretationsspielraum im konkreten Verständnis des hermeneutischen Verfahrens zu. Zwanzig Jahre nach Inkrafttreten der Konkordie steht die Leuenberger Kirchengemeinschaft vor veränderten Herausforderungen. Das seit dem Fall des Eisernen Vorhangs stark vergrößerte Europa und der aufgrund unterschiedlicher neuer ökumenischer Verbindungen der Mitgliedskirchen stark vergrößerte ökumenische Kontext fordern die Leuenberger Kirchengemeinschaft zu einer (evangelischen) Profilierung ihres Konsensmodells heraus. Im Zuge dieser Profilierung akzentuiert die Leuenberger Kirchengemeinschaft die Bedeutung des Handelns von Gott für das Verständnis von Kirche. Diese Akzentuierung wirkt sich in der Folge auch auf die Interpretation des hermeneutischen Verfahrens für den Konsens sowie für das Verständnis von Kirchengemeinschaft aus.
246 Kretschmar, Georg, Orthodoxe Ekklesiologie und die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie, 22. 247 Ebd.
C.
Das Leuenberger Modell von Kirchengemeinschaft im ökumenischen Diskurs
Das in der Leuenberger Konkordie entwickelte ökumenische Modell von Kirchengemeinschaft ist Gegenstand unterschiedlicher ökumenischer Diskurse und Stellungnahmen. Die Aufnahme des Leuenberger Modells in den unterschiedlichen Dialogen ist zum einen der Tatsache geschuldet, dass mit der Leuenberger Konkordie ein ökumenischer Durchbruch erzielt wurde, der bisher einzigartig geblieben ist. Zum anderen kommt dieses unter evangelischen Kirchen erfolgreiche Modell mit einem gesamtökumenischen Geltungsanspruch daher. So ordnet es sich in einen übergeordneten ökumenischen Diskurs ein, der sich mit den Themen der Einheit der Kirche und der Idee von Kirchengemeinschaft beschäftigt. Dieser Diskurs fand nicht nur bereits im Vorfeld der Konkordie innerevangelisch bis in die einzelnen Konfessionen und Gemeinden hinein statt.1 Vielmehr lässt sich das Thema der Kirchengemeinschaft bis heute auch nachverfolgen in den ökumenischen Gesprächen zwischen römisch-katholischer Kirche und den evangelischen Kirchen sowie in anderen Gesprächskonstellationen.2 Die ökumenische Aufmerksamkeit ist dem Leuenberger Modell dem1 Vgl. hierzu die Verweise in Kap. A 1 der vorliegenden Untersuchung. 2 Vgl. hierzu bspw. den lutherisch-katholischen Dialog auf Weltebene. Dabei wurde in den achtziger Jahren lutherisch-katholische Kirchengemeinschaft ausgehend vom Koinonia-Gedanken diskutiert (vgl. „Einheit vor uns“ 1984, in: DwÜ II, 451–506). In den neunziger Jahren erörterten die Kirchen ihr gemeinsames Verständnis von Kirche hinsichtlich der Rechtfertigungslehre (vgl. „Kirche und Rechtfertigung“ 1993, in: DwÜ III, 317–418). Auf deutscher Ebene wurde 1984 das Dokument „Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament“ veröffentlicht (vgl. Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der VELKD, Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament, Paderborn u. a. 1984). Im Jahr 2000 wurde mit dem Dokument „Communio Sanctorum. Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen“ versucht, die Frage in der Ekklesiologie erneut anzugehen. Hierzu wurde „an den Konsens in der Beschreibung des gemeinsamen Zieles erinnert, ‚in der die Kirchen im Verständnis des Evangeliums übereinstimmen, sich gegenseitig als Kirche Jesu Christi anerkennen, uneingeschränkte Gemeinschaft in den Sakramenten haben und wechselseitig die Anerkennung der Ämter, denen Wort und Sakramente anvertraut sind, praktizieren‘“ (Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 1 mit Zitat aus: Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen
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Das Leuenberger Modell von Kirchengemeinschaft im ökumenischen Diskurs
nach spätestens aufgrund ihrer Inanspruchnahme des in der weiteren Ökumene diskutierten zentralen Begriffs der Kirchengemeinschaft geschuldet. Obwohl die Idee der Kirchengemeinschaft die wohl bislang vielversprechendste Leitvorstellung für den ökumenischen Dialog ist, zeigt die nähere Betrachtung, dass mit dem Begriff unterschiedliche, auch konfessionell bedingte Interpretationen verknüpft werden, mit denen wiederum teilweise unterschiedliche methodische Überlegungen verbunden sind.3 Kirchengemeinschaft Kirche Deutschlands, Communio Sanctorum. Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen, Paderborn/Frankfurt a.M. 2000, 128). Auch im internationalen altkatholisch/römisch-katholischen Dialog wurde die Idee von Kirchengemeinschaft diskutiert. Vgl. hierzu: Internationale Römisch-katholische/Altkatholische Dialogkommission, Kirche und Kirchengemeinschaft. Bericht, 2009, in: DwÜ IV, 19–52. Schließlich ist das Thema „Kirchengemeinschaft“ Gegenstand eines Lehrgespräches der GEKE, das auf deren Vollversammlung in Florenz 2012 in Auftrag gegeben wurde. 3 Dabei variieren die Interpretationen sowohl zwischen Kirchen reformatorischer Traditionen als auch zwischen evangelischen Kirchen und römisch-katholischer Kirche. Die Leuenberger Konkordie reiht sich folglich ein in eine Vielzahl an Erklärungen von Kirchengemeinschaft zwischen lutherischen, reformierten und methodistischen sowie anglikanischen Kirchen aus Europa und Nordamerika sowie der Kirchen im Nahen Osten und in Nordafrika, vgl. DwÜ III, 723–834; DwÜ IV, 1331–1336. Zur unterschiedlichen Interpretation im römisch-katholischen/ lutherischen Dialog vgl. paradigmatisch die in Folge der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ von 1999 im September 2000 veröffentlichte Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre: „Dominus Iesus“. Über die Einzigartigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche, (VApS 148), Bonn 2000. Die Erklärung enthält u. a. die für evangelische Leser provokativ erscheinende Formel mit Verweis auf das 2. Vatikanum: „Die kirchlichen Gemeinschaften hingegen, die den gültigen Episkopat und die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben, sind nicht Kirchen im eigentlichen Sinn“ (a. a. O., 23). Vgl. hierauf erwidernd das Votum des Rates der EKD „Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis“ aus dem Jahr 2001, in dem festgestellt wird, dass die Erklärung der Glaubenskongregation über das römisch-katholische Selbstverständnis inkompatibel sei mit dem evangelischen Verständnis von Kirchengemeinschaft, wie es in dem Votum dargelegt werde (vgl. Kirchenamt der EKD [Hg.], Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis, Kap. III.1.3, 13). Die VELKD betont in ihrem Dokument „Ökumene nach evangelisch-lutherischem Verständnis“: „Ziel der Ökumene nach lutherischem Verständnis ist vielmehr die Erklärung und Praktizierung von Kirchengemeinschaft auf der Basis und unter der Voraussetzung der von Gott gewirkten ‚wahren Einigkeit‘ der Kirche, die im gemeinsamen schriftgemäßen Verständnis des Evangeliums gegeben ist“ (VELKD [Hg.], Ökumene nach evangelisch-lutherischem Verständnis. Positionspapier der Kirchenleitung der VELKD, [Texte aus der VELKD 123], Hannover 2004, Ziff. 3.2). Ulrich Kühn trifft den Kern der ganzen ökumenischen Kontroverse, wenn er mit Bezug auf diesen Satz fragt: „Wie verhält sich das ‚gemeinsame schriftgemäße Verständnis des Evangeliums‘, das ja zweifellos das Ergebnis menschlicher Einsicht ist, zu der von Gott gewirkten ‚wahren‘ Einigkeit?“ (Kühn, Ulrich, Zum evangelischkatholischen Dialog. Grundfragen einer ökumenischen Verständigung, [ThLZ 15], Leipzig 2005, 81). Somit wird eine evangelische Zielvorstellung der ökumenischen Bemühungen betont, die sich von der römisch-katholischen Vorstellung einer sichtbaren Einheit unterscheidet. Vgl. die Ausführungen in Kap. C 1.2.2 der vorliegenden Untersuchung. Es ist jedoch zu beachten, dass das Votum der EKD sowie das Dokument der VELKD nicht die gesamtevangelische Haltung spiegeln. Vielmehr besteht ein hochgradiger Pluralismus, selbst innerhalb
Das Leuenberger Modell von Kirchengemeinschaft im ökumenischen Diskurs
235
als gemeinsame ökumenische Zielbestimmung, so zunächst die Bilanz, wird unterschiedlich interpretiert.4 Der Begriff ist von daher gerade als gemeinsame Leitvorstellung im ökumenischen Dialog mit Blick auf seinen vielfältig gedeuteten Inhalt erläuterungsbedürftig. Hierzu lassen sich zumindest aufgrund der in manchen Erklärungen von Kirchengemeinschaft angewandten Methoden Parallelen zwischen den unterschiedlichen Interpretationen erkennen.5 Auch die Interpretation von Kirchengemeinschaft durch das Konzept der Leuenberger Konkordie sowie in der Kirchenstudie „Die Kirche Jesu Christi“ ist keine konfessionsübergreifende Selbstverständlichkeit, über die Einmütigkeit bei den Kirchen besteht. Vielmehr zeigt sich hierin ein spezifisch evangelischer Ansatz, der jedoch mit dem einem gesamtökumenischen Anspruch einhergeht.6 Neben einer Vielzahl positiver Stellungnahmen wird das Leuenberger Modell folglich nicht nur innerevangelisch von denjenigen Kirchen diskutiert und kritisiert, die der Konkordie nicht zugestimmt haben, sondern auch von Kirchen anderer Konfessionen.7 Diese Diskurse lassen sich zum einen innerhalb der evangelischen Traditionen in Form kontroverser Diskussionen um das Leuenberger Modell – sowohl in direktem Bezug auf die Leuenberger Konkordie als auch in Bezug auf deren Interpretation durch die Ekklesiologiestudie der Leu-
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einer Konfession: „Die offizielle Haltung der römisch-katholischen Kirche in Sachen Ökumene steht in erheblicher Spannung zur Haltung und auch der Praxis vieler Theologen, Priester, Laienchristen […]. Im Protestantismus ist, zumal in Deutschland, die ökumenische Frage zu einer innerevangelischen [und auch innerlutherischen, Anm. v. J.G.] Zerreißprobe geworden“ (Kühn, Ulrich, Zum evangelisch-katholischen Dialog, 12f). Dies zeigt sich nicht zuletzt auch an der unterschiedlichen Beurteilung des Leuenberger Modells, die nicht nur mit dessen variabler Interpretation korreliert. Zu den ökumenischen Bemühungen des katholisch-evangelischen Dialogs und dessen unterschiedlicher Beurteilung vgl. a. a. O. Auch die mit dem Begriff der Kirchengemeinschaft verbundene ökumenische Leitvorstellung der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ wird demnach unterschiedlich gedeutet und teilweise mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen verbunden. Vgl. Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 2. So lassen sich etwa auf europäischer Ebene die Leuenberger Konkordie, die Meissener Gemeinsame Feststellung (Kirche von England und EKD) und die Porvooer Gemeinsame Feststellung (britische und irische anglikanische Kirche sowie nordische und baltische lutherische Kirchen) aufgrund der in ihnen angewandten Methode vergleichen. (Vgl. DwÜ III, Teil D „Erklärungen von Kirchengemeinschaft“, 723–834). Der Vergleich der verschiedenen Erklärungen und Feststellungen ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Burkhard Neumann macht diesen Zusammenhang über die unterschiedliche Betonung der Leuenberger Konkordie als „ein Modell der Einheit“ und „ein Modell der Einheit“ deutlich: Die Konkordie ist ein gelebtes Modell der Einheit und muss von daher auch von anderen Konfessionen berücksichtigt werden. Zugleich ist die Konkordie selbst innerreformatorisch lediglich ein Modell der Einheit, das sich in den weiteren ökumenischen Dialog einordnen möchte. Vgl. Neumann, Burkhard, Leuenberg als ökumenisches Modell?, 180. Kritisch äußerten sich über das Leuenberger Modell vor allem lutherische Kirchen. Dies spiegelt sich auch in den Quellen für die folgenden Betrachtungen zur Kritik wider. Vgl. Kap. C 1.1.1.1 und C.1.1.2 der vorliegenden Untersuchung.
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Das Leuenberger Modell von Kirchengemeinschaft im ökumenischen Diskurs
enberger Kirchengemeinschaft – erkennen. Zum anderen werden diese Diskurse konfessionsübergreifend zwischen den evangelischen Kirchen einerseits und andererseits den orthodoxen Kirchen, der römisch-katholischen Kirche, den Anglikanern etc. geführt.8 Die Diskussionen umfassen eine Vielzahl an Einzelthemen, über die ein Konsens zwischen den Gesprächspartnern noch aussteht.9 Im Zentrum der ökumenischen Diskussionen stehen dabei zwei übergeordnete Themenfelder. Erstens wird die für das Modell von Kirchengemeinschaft zentrale Verhältnisbestimmung zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen sowie deren Aufnahme über die Begriffe von „Grund“ und „Gestalt“ der Kirche kontrovers diskutiert.10 Diese Diskussionen betreffen vor allem die Methode des ökumenischen Modells. Zweitens werden das damit verbundene Einheitsverständnis, die ökumenische Zielbestimmung und somit das Modell selbst erörtert.11 8 Hervorzuheben ist an dieser Stelle die im Jahr 2013 begonnene offizielle Konsultation zwischen dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen und der GEKE. Diese Konsultation scheint sowohl angesichts der Vielzahl von Stellungnahmen auch römischkatholischer Theologen zum Leuenberger Modell als auch in Hinblick auf die begrifflichen Überschneidungen in Bezug auf die Interpretation der Methode der Konkordie und der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre angebracht. 9 So werden beispielsweise einzelne Attribute der Wesenseigenschaften von Kirche unterschiedlich gedeutet, insbesondere die Heiligkeit der Kirche und die Apostolizität. Aber auch die Kriterien für die Einheit der Kirche und die Bedeutung von „Sakrament“ und kirchlicher Tradition werden kontrovers beurteilt. 10 Michael Beintker stellt fest, dass mit der Unterscheidung zwischen Grund, Gestalt und Bestimmung die „für die evangelische Theologie konstitutive Grundunterscheidung zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln der Menschen in den Rang des ekklesiologischen Leitprinzips erhoben“ werde (Beintker, Michael, Die Studie „Die Kirche Jesu Christi“ aus evangelischer Sicht, 61). Die Unterscheidung ist folglich aus evangelischer Sicht von wesentlicher Bedeutung für das Verständnis von Kirche und das Modell von Kirchengemeinschaft. 11 Ein Zusammenhang bspw. zwischen dem Amtsverständnis und der Methode wird auch in der Stellungnahme des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes zum Dokument „Die Apostolizität der Kirche“ gesehen: „Insgesamt zeigt sich, dass die Differenzen im Amtsverständnis im unterschiedlichen Kirchenverständnis und – noch grundlegender – in fundamentaltheologischen und hermeneutischen Differenzen begründet sind. Die für die Reformation der Sache nach wichtige Unterscheidung zwischen Gehalt und Gestalt [gemeint ist hiermit CA VII, ‚satis est‘ als „kritische wie konstruktive Grundlegung und Aufgabenstellung für die Ökumene“, Anm. v. J.G.] konnte in diesem Dialog nicht wirklich konsequent durchgeführt werden. […] Die damit verbundenen Unterscheidungen und Zuordnungen von konstitutivem Grund, dem entsprechenden Wesen und der Gestalt der Kirche machen in ihrem dialektischen Verhältnis (hermeneutische Spirale) deutlich: Grund und Gestalt sind bleibend zu unterscheiden, aber nicht zu trennen. Wo Grund, Wesen und Gestalt in eins fallen, gibt es keinen Spielraum für Argumentation und keine ökumenische Öffnung. Wenn eine bestimmte geschichtlich gewachsene Gestalt des Kircheseins für unhintergehbar und notwendig erklärt wird und keine Differenzierung mehr möglich ist zwischen dem, was grundlegend und notwendig zum Kirchesein von Kirche gehört, und dem, was eine mögliche Gestalt von Kirche ist, kommt der Dialog rasch an ein Ende. Die Unterscheidung und Zu-
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Darüber hinaus fällt auf, dass nicht nur der Begriff von Kirchengemeinschaft und dessen Interpretation durch die Konkordie unterschiedlich gedeutet werden. Auch über die nähere Bedeutung der Begriffe, die zur Beschreibung des Leuenberger Modells und der Methode verwendet werden, finden sich unterschiedliche Aussagen im ökumenischen Diskurs.12 Ein möglicher normativer Inhalt der Begriffe wird somit schwer greifbar. Häufig werden sie konfessionell bedingt ausgedeutet. Die damit verbundene begriffliche Unklarheit kann in einem Fall Vergleichbarkeit suggerieren, wo noch Unterschiede feststellbar sind. In einem anderen Fall kann ein Dissens angenommen werden, wo lediglich zwei verschiedenen Perspektiven erläutert werden. Die Unklarheit auf begrifflicher Ebene hat somit auch Folgen für den ökumenischen Dialog. Eine Klärung der Begriffe ist nicht nur notwendig, um die unterschiedlichen konfessionellen Positionen und Lesarten widerzuspiegeln, die bereits in der Betrachtung des ökumenischen Diskurses um das Leuenberger Modell anklingen. Die begriffliche Klärung ist auch unabdingbar für einen Dialog mit möglichst wenigen gegenseitigen Missverständnissen. Im Folgenden werden erstens die wesentlichen Kritikpunkte und Interpretationsansätze in Bezug auf das Modell der Leuenberger Konkordie sowie deren Interpretation durch die Kirchenstudie im ökumenischen Diskurs skizziert (Kap. C 1).13 Zweitens werden diejenigen ökumenischen Begriffe differenziert aufgearbeitet, mit denen die Leuenberger Konkordie und andere Konsensbemühungen im ökumenischen Diskurs nachträglich identifiziert werden und mit denen zentrale kontroverse Punkte aufgenommen werden (Kap. C 2). Anhand dessen können im Anschluss differenzierte Aussagen zur Übertragbarkeit der Begriffe getroffen werden. Dabei wird zum einen die ökumenische Anschlussfähigkeit des Leuenberger Modells unterstrichen und zum anderen das Profil der Konkordie als spezifisch reformatorisches Modell von Kirchengemeinschaft hervorgehoordnung aber von Grund, Wesen und Gestalt eröffnet einen Freiraum und die Möglichkeit, in Begegnung und kritischem Dialog auf die andere Gestalt von Kirchesein zuzugehen und dabei sich selbst auch neu wahrzunehmen und für sich selbst zu lernen, die Gemeinschaft in der Unterschiedenheit zu erkennen, zu einem differenzierten Konsens, einer Einheit in versöhnter Verschiedenheit zu gelangen und Kirchengemeinschaft zu ermöglichen“ (Ökumenischer Studienausschuss der VELKD und des DNK/LWB [Hg.], Stellungnahme des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes zum Dokument „Die Apostolizität der Kirche“, Hannover 2010, Herv. v. J.G.). 12 Die Betrachtung zur begrifflichen Identifizierung ökumenischer Methoden und Modelle wird in Kap. C 2 der vorliegenden Untersuchung behandelt. 13 Neben den kritischen bis hin zu ablehnenden Stellungnahmen gibt es eine Vielzahl positiver Stellungnahmen sowohl zur Leuenberger Konkordie als auch zur Kirchenstudie. Diese positiven Rezeptionen werden im Folgenden nicht gesondert berücksichtigt. Die Gliederung der Analyse der unterschiedlichen Lesarten zur Konkordie und zur Kirchenstudie orientiert sich an dem Vortragsmanuskript von Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?.
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ben.14 Drittens werden die Betrachtungen zum ökumenischen Diskurs und die Analyse des Leuenberger Modells durch die vorliegende Untersuchung einander gegenübergestellt (Kap. C 3).
14 Mit Blick auf die Genese der Leuenberger Konkordie wird an dieser Stelle von einer eingehenden Betrachtung der in der Gesamtökumene diskutierten Einheitsmodelle wie der „organischen Union“ und der „konziliaren Gemeinschaft“ sowie der Einordnung der Leuenberger Konkordie als ökumenisches Modell in diese Reihe der Einheitsmodelle abgesehen: „Die Arbeit an der Leuenberger Konkordie [verlief] offensichtlich unabhängig von dieser Diskussion um die Einheitsmodelle. Der Ausgangspunkt der Überlegungen wird vielmehr genommen aus der geschichtlichen Situation der Kirchen – LK 3–5 – und den in der Augsburgischen Konfession gegebenen Kriterien für die ‚wahre Einheit der Kirche‘ – LK 2“ (Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 675f). Dennoch lassen sich einige Parallelen und Anknüpfungspunkte des ökumenischen Modells der Konkordie und der in der weltweiten ökumenischen Bewegung diskutierten Modelle feststellen. Eine übersichtliche Einordnung des Leuenberger Modells in die Reihe der Einheitsmodelle in der weltweiten ökumenischen Bewegung bieten u. a. Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 644–681; Koslowski, Jutta, Die Einheit der Kirche in der ökumenischen Diskussion.
1.
Kritik am evangelischen Modell von Kirchengemeinschaft
Kirchengemeinschaft ist Konsensgemeinschaft, die im gemeinsamen Verständnis des Evangeliums besteht. Was damit präzise gesagt ist, dürfte eine der interessantesten Fragen evangelischer Ekklesiologie im Kontext der Ökumene sein. Denn der Dissens beginnt ja in der Regel beim Verständnis vom Konsens.1
Die Bemerkung des lutherischen Theologen Gunther Wenz, so legen es auch die Diskussionen um das Modell der Leuenberger Konkordie nahe, benennt eine der großen Herausforderungen der ökumenischen Dialoge insgesamt. Deren gemeinsame Herausforderung besteht darin, Konsens zwischen den am Gespräch beteiligten unterschiedlichen Kirchen zu stiften. Dieser Konsens muss dem Wahrheitsanspruch in Bezug auf das eine Evangelium, der in unterschiedlicher Gestalt zum Ausdruck gebracht wird, genügen. Die konsensstiftende Kraft einer solchen die Verschiedenheit versöhnenden Einigung im Verständnis des Evangeliums hat jedoch bestimmte Grenzen – so zeigt es der ökumenische Diskurs um die Konkordie und ihre weitere Entfaltung. Weder liegt unter allen evangelischen Diskursteilnehmern eine gemeinsame Interpretation des Konsenses vor, noch wird der Konsens, insbesondere im weiteren ökumenischen Umfeld, hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit mit Blick auf die Einheit der Kirche einheitlich beurteilt.
1.1
Zentrale Kritikpunkte am Modell der Leuenberger Konkordie
Bereits der Entwurf der Leuenberger Konkordie von 1972 hat insbesondere unter lutherischen Theologen teils heftige Kritik hervorgerufen, die auch mit der Veröffentlichung der abschließenden Fassung der Konkordie 1974 nicht nach1 Wenz, Gunther, Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis: Zur Leuenberger Konkordie und ihrer Interpretation. 40 Jahre Leuenberger Konkordie, in: US 68 (2013), 60–67; 62.
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Kritik am evangelischen Modell von Kirchengemeinschaft
ließ.2 Den Ausgangspunkt der Kritik bildete dabei das Modell, das vielfach die Sorge um eine allmähliche „vollkommene Integration“ und damit eine „vollkommene Auflösung der lutherischen Kirchen wie auch der reformierten“3 auslöste. Die Konkordie wurde dabei gedeutet als Modell einer Kirchenunion, in der die konfessionellen Grenzen verschmelzen.4 Mit dieser Sorge um den Verlust konfessioneller Identität verbunden war eine grundsätzliche Unsicherheit über die Interpretation von Methode und Modell des Entwurfs der Leuenberger Konkordie. So lautet eine Kritik, die konfessionelle Identität dürfe nicht zugunsten einer Gemeinschaft bei gleichzeitiger Undeutlichkeit der Grundlage und der Ziele aufgegeben werden. Vielmehr sei „die Gefahr der Trennung […] sogar noch größer, wo man ohne innere Einheit eine äußerliche Einheit aufbauen will, als in der Zusammenarbeit, wo die Kirchen die Unterschiede erkennen, aber doch einander als Christen, Schwestern und Brüder, begegnen“5. Der Vorwurf einer Unklarheit der Grundlagen und Ziele begleitete, neben dem Verdacht einer intendierten Union nach dem Vorbild der Preußischen Kirchenunion, die Arbeit an der Konkordie bis zu ihrer endgültigen Fassung von 1973. Im darauf bezogenen ökumenischen Diskurs wird der Vorwurf aus verschiedenen Perspektiven formuliert. Der Direktor für Theologie und ökumenische Beziehungen der Kirche von Schweden, Ragnar Persenius, stellte im Rahmen der Konsultation zwischen den Kirchen der Leuenberger Kirchengemeinschaft und den an der Meissener Gemeinsamen Feststellung (1988) und der Porvooer Gemeinsamen Feststellung (1992) beteiligten Kirchen im Jahr 1995 einige kritische Fragen zur Leuenberger Konkordie und ihrer ökumenischen
2 Vgl. hierzu insbesondere die beiden Sammelbände: Asendorf, Ulrich/Künneth, Friedrich Wilhelm (Hg.), Von der wahren Einheit der Kirche; dies., Leuenberg, Konkordie oder Diskordie?; Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg; Kiviranta, Simo (Hg.), Theologische Grundprobleme im Leuenberger Konkordienentwurf; Klän, Werner/da Silva, Gilberto (Hg.), Die Leuenberger Konkordie im innerlutherischen Streit. 3 Brief des finnischen Missionsdirektors Alpo Hukka, abgedruckt in: Asendorf, Ulrich/ Künneth, Friedrich Wilhelm (Hg.), Von der wahren Einheit der Kirche, 10–14; 10. 4 Bereits der Titel der kritischen Analyse des finnischen Theologen Tuomo Mannermaa, „Von Preußen nach Leuenberg“ verrät, dass die Leuenberger Konkordie in der direkten Traditionslinie der Preußischen Kirchenunion des 19. Jahrhunderts gesehen wird. Dass die Konkordie tatsächlich zumindest entscheidende Impulse von der Unionsbewegung her empfangen hat, lässt sich nicht bestreiten. Über das Verhältnis zu den bestehenden Bekenntnissen formuliert die Konkordie selbst zwar, sie verstehe sich „nicht als ein neues Bekenntnis“ (LK 37). Allerdings wird innerhalb der EKD diskutiert, ob die Konkordie als Grundbekenntnis dienen könne. Somit behält der Grund für die von der Lutherischen Kirche Finnlands seit Beginn verweigerte Unterzeichnung der Konkordie, die Befürchtung einer Fortsetzung der Kirchenunion des 19. Jahrhunderts, seine Aktualität. Vgl. Friedrich, Martin, Kirchengemeinschaft auf Grundlage der Leuenberger Konkordie, 14. 5 Brief des finnischen Missionsdirektors Alpo Hukka, abgedruckt in: Asendorf, Ulrich/ Künneth, Friedrich Wilhelm (Hg.), Von der wahren Einheit der Kirche, 10–14; 14.
Zentrale Kritikpunkte am Modell der Leuenberger Konkordie
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Methode.6 Einleitend fragte er: „Allow me first of all to pose a basic question: does the Leuenberg Agreement contain only one single method?“7 Mit dieser als rhetorische Frage zu deutenden Bemerkung macht der schwedische Lutheraner Persenius auf ein Phänomen aufmerksam, das bis heute wesentlicher Bestandteil des kritischen Diskurses über die Leuenberger Konkordie ist: die Möglichkeit, gleich mehrere Methoden in ein und demselben Modell angewandt zu sehen oder eine Mehrdeutigkeit der in der Konkordie wirksamen ökumenischen Methode.8
1.1.1 Die Mehrdeutigkeit der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie Im ökumenischen Diskurs über die Leuenberger Konkordie lassen sich zwei für die unterschiedlichen Meinungslager repräsentative Interpretationen der Methode erkennen.9 Beide Interpretationen beziehen sich zum einen auf die zen6 Zur Konsultation vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Podmore, Colin (Hg.), Leuenberg, Meissen und Porvoo. 7 Persenius, Ragnar, Critical Questions from a Nordic Lutheran Perspective, 60. 8 Eine Mehrdeutigkeit der Methode legt insbesondere die kritische Analyse des finnischen Theologen Tuomo Mannermaa nahe (vgl. Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg). Diese Ansicht wird auch von vielen anderen, vor allem lutherischen Theologen geteilt. Simo Peura geht sogar von einer „methodischen Ambivalenz“ aus, die darin besteht, dass die Konkordie „zwei verschiedenen Einheitsmodellen folgt“ (Peura, Simo, Leuenberg und die ökumenische Methode der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, 177). Die Kritik an der Leuenberger Konkordie betrifft darüber hinaus einige weitere Themenfelder, auf die in diesem Zusammenhang lediglich hingewiesen wird. Sie sind teilweise auch Gegenstand der Kritik an der späteren Kirchenstudie. Zur den zentralen Kritikpunkten an der Kirchenstudie vgl. Kap. C 1.2 der vorliegenden Untersuchung. 9 Vgl. Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 7–9. Die unterschiedlichen Interpretationen sind bisweilen Gegenstand deutlicher Meinungsverschiedenheiten selbst innerhalb einer Konfession. Vgl. hierzu etwa die Kontroverse zwischen den beiden lutherischen Theologen Theodor Dieter und Eilert Herms: Dieter, Theodor, „Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“. Ein ökumenischer Meilenstein, BThZ 18 (2001), 147–168; 151–154 u. ders., Was ist und zu welchem Ende betreibt man Konsensökumene? (unveröff. Manuskript Februar 2015); Herms, Eilert, „Das gemeinsame Verständnis des Evangeliums“: „Zusatz 2002“, 571–584. Die Interpretation des Leuenberger Modells durch Eilert Herms wird anhand der Kirchenstudie deutlich. Dieter kritisiert diese Lesart von Herms und stellt ihr eine eigene Interpretation der Konkordie entgegen. Dieser Gegenentwurf wird in Zusammenhang mit den Betrachtungen zur Kritik an der Ekklesiologiestudie berücksichtigt (Kap. C 1.2 der vorliegenden Untersuchung). Zur paradigmatischen Skizzierung der zweiten Lesart der Leuenberger Methode wird eine Interpretation André Birmelés aufgenommen. Diese spiegelt nach Ansicht des Verfassers insbesondere aufgrund der Annahme eines hermeneutischen Grundprinzips einen breiteren evangelischen Konsens wider (vgl. hierzu die Diskussion um die GER). Ein solches hermeneutisches Grundprinzip wird von Dieter negiert.
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Kritik am evangelischen Modell von Kirchengemeinschaft
trale Formulierung aus CA VII, die maßgeblich ist für das Leuenberger Modell: „satis est consentire de doctrina evangelii et administratione sacramentorum“. Zum anderen gründen die Interpretationen auf der daraus folgenden, für das Leuenberger Modell grundlegenden Formel des „gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums“ in der Konkordie.10 1.1.1.1 Die Interpretation von CA VII als Unterscheidung zwischen fides iustificans und fides dogmatica und ihre Kritik Eine Auslegungsvariante der in der Konkordie wirksamen Methode lässt sich ausgehend von einer bedeutsamen theologischen Einsicht Gerhard Ebelings aus den 1950er Jahren rekonstruieren.11 Der Grundgedanke dieser Variante findet sich auch in der späteren Interpretation durch Eilert Herms wieder, die maßgeblichen Einfluss auf die interpretatorische Ausrichtung der Ekklesiologiestudie der Leuenberger Kirchengemeinschaft hatte.12 Kirche, so Ebeling, wird durch das Wort Gottes konstituiert.13 Das Verhältnis zwischen dem Wort Gottes und der Kirche beschreibt Ebeling in Abgrenzung vom Menschenwort, dem Gesetz. Er unterscheidet somit zwischen Evangelium und Gesetz in ihrer Bedeutung für die Konstitution der Kirche: [Das Wort Gottes ist eine promissio], das auf uns zukommende Kommen Gottes selbst. Die Kirche lebt von dieser promissio, indem sie sie sich gesagt sein läßt per fidem. Die fides, in der die promissio dei je und je zum Ziel kommt, ist das Geschehen dessen, was Luther im Schluß jenes Zitats als das discernere verbum dei a verbis hominum be-
10 Vgl. hierzu die Feststellung von Gunther Wenz im Eingangszitat zum Kapitel über die Kritik am evangelischen Modell von Kirchengemeinschaft, Kap. C 1 der vorliegenden Untersuchung. 11 Eine sehr detaillierte und kritische Darstellung der Lesart bietet Tuomo Mannermaa. Vgl. hierzu Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg. In seiner Analyse versucht Mannermaa den Nachweis für die Mehrdeutigkeit der Leuenberger Methode zu erbringen. Die Theologie Ebelings hatte mittelbaren Einfluss auf die Arbeit an der Leuenberger Konkordie, insofern Ebeling an den Gesprächen der EKU und VELKD teilhatte, die der Konkordie vorausgingen. In der Theologie von Wenzel Lohff finden sich wesentliche Aspekte der Gedanken Ebelings wieder, die Lohff als Vorsitzender des Theologischen Ausschusses der VELKD nicht nur in die für die Entstehung der Leuenberger Konkordie bedeutsamen deutschen Thesen zur Kirchengemeinschaft (1970) einbrachte (vgl. Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg, 80–88 u. 155f), sondern auch persönlich als Mitverfasser der endgültigen Version der Leuenberger Konkordie einbringen konnte (nicht jedoch bereits als Teilnehmer an den Leuenberger Gesprächen, so Meyer der Darstellung Mannermaas widersprechend [vgl. Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzeptes „Kirchengemeinschaft“, 222]). 12 Vgl. hierzu Kap. C 1.2.1 der vorliegenden Untersuchung. 13 Ebeling, Gerhard, Die kirchentrennende Bedeutung von Lehrdifferenzen, in: ders. (Hg.), Wort und Glaube, Tübingen 31967, 161–191; 168.
Zentrale Kritikpunkte am Modell der Leuenberger Konkordie
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zeichnet. Denn die fides erkennt das Wort Gottes als das, was es in Wahrheit ist, im Unterschied zum Menschenwort: als promissio und nicht als Gesetz.14
Das Wort Gottes, das die Kirche konstituiert, wird bezogen auf sein Korrelat, den Glauben, der nicht anders zu verstehen ist „als so, daß er fides iustificans ist“15. Die Bedeutung der Verkündigung des Wortes Gottes für das Sein der Kirche ist dann zu verstehen ausgehend von ihrer finalen Ausrichtung auf den rechtfertigenden Glauben, den das Wort Gottes selbst wirkt. Es wird also unterschieden „zwischen dem Geschehen des Wortes Gottes einerseits und der Lehre des Wortes Gottes andererseits“16. Die kirchlichen Lehrformulierungen bleiben aber, so Ebeling, stets irrtumsfähig und, so führt Lohff den Gedanken Ebelings fort, auch die Formulierung der Rechtfertigungsbotschaft als die Mitte des Evangeliums und „Grundlage gemeinsamen kirchlichen Handelns“ muss „zu einer neuen, gegenwartsgerechten Gestalt der Lehre führen“17. Diese Einsicht führt Lohff dazu, das Gespräch über Kirchengemeinschaft davon abhängig zu machen, auch die Bekenntnisse lediglich als „geschichtlich bestimmte Glaubenszeugnisse der reformatorischen Väter“18 anzuerkennen: „Wer die Bedeutung der Geschichte völlig ablehnt und mit Bekenntnissätzen ungeschichtlich operiert, mit dem ist ein Gespräch über Kirchengemeinschaft nicht möglich“19. Die Relevanz der Einsicht Lohffs, auch Bekenntnisse seien als geschichtlich bedingte Glaubenszeugnisse zu rezipieren, wird daran deutlich, dass nun in Verbindung mit der Unterscheidung zwischen dem Evangelium und der menschlichen Lehre die zur Erklärung von Kirchengemeinschaft entscheidende Möglichkeit entsteht, die in den Bekenntnissen fixierten gegenseitigen Lehrverurteilungen neu zu bewerten. 14 A. a. O., 171. 15 Ebd. 16 Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 7, Herv. v. J.G. Ebeling gelangt in seinen Ausführungen allerdings später zu der radikalen Feststellung: „Vielmehr genügt zur wahren Einheit der Kirche das faktische consentire, auch ohne daß es zur Explikation des consentire kommt“ (Ebeling, Gerhard, Die kirchentrennende Bedeutung von Lehrdifferenzen, 183). Damit möchte Ebeling allerdings nicht jeglicher Form organisierter Partikularkirche ihre Bedeutung absprechen. Teilweise könnten diese auch für den Dienst an der Einheit der Kirche notwendig sein. Eine konstitutive Notwendigkeit für die vera unitas ecclesiae komme ihnen jedoch nicht zu (vgl. a. a. O., 184f). Gemäßigter formuliert Lohff, der Konsens über die grundlegenden Bedingungen der Gemeinschaft müsse auch ausgesprochen werden. Eine Verschiebung des konstitutiven Grundes von Kirche auf Ebene der menschlichen Lehre ist damit jedoch nicht impliziert, denn die einzige Bedingung der Zugehörigkeit zur kirchlichen Gemeinschaft sei die Annahme der Rechtfertigung, „nicht ein bestimmtes Maß lehrmäßiger Explikation dieses Geschehens, das vielmehr nur Ausdruck dieses Glaubens darstellt“ (Lohff, Wenzel, Grund und Grenze der Kirche, 102). 17 Ebeling, Gerhard, Die kirchentrennende Bedeutung von Lehrdifferenzen, 177; vgl. Lohff, Wenzel, Grund und Grenze der Kirche, 106. 18 Lohff, Wenzel, Grund und Grenze der Kirche, 98. 19 A. a. O., 99.
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Somit ist die Grundlage für das Verständnis von Kirchengemeinschaft geschildert – die Unterscheidung zwischen einerseits dem Geschehen des Wortes Gottes, der übergeschichtlichen Gemeinschaft im Wort, und andererseits der darauf ausgerichteten geschichtlich bedingten menschlichen Denkformen, der geschichtlichen Gemeinschaft auf Ebene der Erkenntnis und Lehraussagen über das „Wort“.20 Den Schwerpunkt der Leuenberger Methode bildet demnach die kategorische Unterscheidung, die bei Wenzel Lohff als Unterscheidung zwischen der fides dogmatica und der fides iustificans aufgenommen wird.21 Mit Blick auf die Interpretation von CA VII liegt, ausgehend von der Deutung, dass docere evangelium in finalem Verhältnis zum nachfolgenden Glauben (consequi fidem) steht, die Akzentuierung auf der fides qua (im Unterschied zur fides quae): Der zur wahren Einheit der Kirche notwendige und ausreichende Konsens in der doctrina evangelii wird so verstanden, „daß die Betonung existentialisierend […] auf den im Subjekt sich vollziehenden Rechtfertigungsglauben übergeht (fides qua)“22. Durch das Wirken Gottes wird Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen konstituiert, deren Einheit im Rechtfertigungsgeschehen begründet ist. Die Bedingung kirchlicher Gemeinschaft ist nach CA VII also einzig „der Konsensus über das, was Kirche und Kirchengemeinschaft begründet“23, die Übereinstimmung in der Lehre des Evangeliums von der Rechtfertigung.24 Es reicht der Konsens über das Rechtfertigungsgeschehen. Nicht notwendig ist hingegen die Übereinstimmung „in allem, was durch Menschen der Gemeinschaft in Ritus, Gottesdienst und auch theologischer Lehre Ausdruck gibt, also auch die Lehrbekenntnisse, sofern sie diesen Ausdruck und nicht den Grund der Kirchengemeinschaft benennen“25. In dieser Auslegung von CA VII wird ausgegangen von einem Schema von Grund und Ausdruck der Gemeinschaft. Es wird unterschieden zwischen einerseits einem „qualitativen aktual-existentiellen Grund“26, das heißt dem rechtfertigenden Glauben, der das satis est bildet, und andererseits seinen ge20 Vgl. Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg, 157. Mannermaa spricht daher auch von einer „zweischichtigen“ Auffassung von Kirchengemeinschaft. Vgl. ebd. 21 Vgl. Lohff, Wenzel, Grund und Grenze der Kirche, 99. Vgl. ferner Mannermaa, Tuomo/ Kiviranta, Simo, Genesis und Struktur, in: Asendorf, Ulrich/Künneth, Friedrich Wilhelm (Hg.), Von der wahren Einheit der Kirche, Berlin 1973, 79–87; 80. 22 A. a. O., 80. Die Autoren kritisieren dabei jedoch, dass die Weise des Übergangs unklar bliebe und eine solche Auslegung von „doctrina evangelii“ von CA V her die restlichen Lehraussagen der Confessio Augustana außer Acht ließe. Vgl. hierzu auch den Vorwurf eines „Minimalkonsenses“ (Kap. C 1.1.2 der vorliegenden Untersuchung). 23 Lohff, Wenzel, Grund und Grenze der Kirche, 100, Herv. i.O. 24 Vgl. ebd. Lohff unterscheidet explizit zwischen der Lehre des Evangeliums von der Rechtfertigung, in der Übereinstimmung herrschen müsse, und der Rechtfertigungslehre. 25 Ebd. 26 Peura, Simo, Leuenberg und die ökumenische Methode der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, 177.
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schichtlich bedingten Ausdrucksformen, das heißt der fides dogmatica, der Lehre, die das nec necesse est bildet. Somit wird der Interpretation von CA VII als einer zur Einheit notwendigen „Lehreinheit im Sinne doktrinärer Übereinstimmung in einer […] Summe von Satzwahrheiten“27 widersprochen.28 Lohff bekräftigt seine methodische Ausgangsposition der Unterscheidung zwischen der fides dogmatica und der fides iustificans mit der Aussage: „wenn diese Unterscheidung [sc. zwischen Grund und Ausdruck] nicht möglich ist, [haben] auch theologische Verhandlungen über Kirchengemeinschaft keine Aussicht“29. Diese Interpretation, die von Wenzel Lohff in die Arbeit an der Konkordie eingebracht wurde, hat auch Konsequenzen für das Verständnis der Aussagen über die Sakramente in der Konkordie. So ist nach Lohff auch hier zu beachten, dass nicht die Lehre von den Sakramenten, sondern die Sakramentsverwaltung der Lehre von der Rechtfertigung entsprechen muss. Somit wird die Sakramentshandlung hinsichtlich ihrer finalen Bedeutung für die soteriologisch relevante Glaubensbildung interpretiert.30 Mannermaa folgert aus den Beobachtungen bei Lohff für das Verständnis der Leuenberger Konkordie: Es ist sehr wahrscheinlich, daß die theologische Methode und die Grundkonzeption von einem Begriff wie des ‚proleptischen Lehrkonsensus‘ bestimmt wird, in dem die Gemeinschaft der Kirchen sich auf das Geschehen der Rechtfertigung gründet. Die Lehrverschiedenheiten sind nur verschiedenartige Interpretationen dieses Geschehens. Die Gemeinschaft in der Rechtfertigung verursacht also eine grundlegende Gemeinschaft. Von dieser grundlegenden Gemeinschaft her sind die Lehrverurteilungen gegenstandslos geworden. Aus diesem Grund ist auch der Inhalt der Kirchengemeinschaft zu verstehen. In der Rechtfertigung besteht schon eine grundlegende Gemeinschaft, aufgrund deren die Kirchengemeinschaft erklärt werden kann. Die Kirchengemeinschaft selbst ist als ein dynamischer Prozeß konzipiert worden, in dem die proleptische Grundgemeinschaft als ein historischer Prozeß sich expliziert und sich vollendet.31
Diese Unterscheidung zwischen dem Evangelium als Grund des Glaubens und der kirchlichen Lehre als dessen Ausdruck findet sich schließlich auch in der für 27 Wenz, Gunther, Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis: Zur Leuenberger Konkordie und ihrer Interpretation, 62. 28 Übereinstimmung ist demnach in den Lehrbekenntnissen nötig, sofern sie den Grund der Kirchengemeinschaft benennen. Aus dieser logischen Weiterführung der Feststellung wird eine Problematik deutlich, die durch die Kritik an der Lesart der Methode aufgenommen wird (vgl. Kap. C 1.1.2 der vorliegenden Untersuchung). 29 Lohff, Wenzel, Grund und Grenze der Kirche, 101. 30 Vgl. a. a. O., 104f. 31 Mannermaa, Tuomo/Kiviranta, Simo, Genesis und Struktur, 84. Der Begriff des proleptischen Lehrkonsenses findet sich zuerst bei Lohff, Wenzel, Grund und Grenze der Kirche, 103. Im Zitat bezieht sich Mannermaa noch auf die Vorkonkordie. Dennoch ist die Aussage grundsätzlich auch für eine Lesart des späteren Entwurfs der Konkordie und für die Konkordie selbst zutreffend, da auch ihnen eine fehlende methodische Konsistenz vorgeworfen wird. Vgl. Mannermaa, Tuomo/Kiviranta, Simo, Genesis und Struktur, 86f.
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die Methode der Konkordie tragenden Unterscheidung zwischen der Botschaft des Evangeliums von der freien Gnade einerseits und der Lehre von der Rechtfertigung, dem rechten Verständnis des Evangeliums, andererseits sowie in der Unterscheidung zwischen dem grundlegenden Zeugnis der Bekenntnisse und deren geschichtlich bedingten Denkformen.32 Dass die Überlegungen Lohffs als hermeneutischer Schlüssel zur Argumentation der Leuenberger Konkordie verstanden werden können, legen nicht nur die Ausführungen Mannermaas nahe.33 So macht Thönissen darauf aufmerksam, dass die Bedeutung der Ausführungen Ebelings (und damit auch derjenigen von Lohff) für das Verständnis der Hermeneutik der Leuenberger Konkordie durch das jüngere Dokument der VELKD „Ökumene nach evangelisch-lutherischem Verständnis“ bestätigt würde34: Es ist eine im lutherischen Bekenntnis selbst ausgesprochene theologische Einsicht, dass bei der Schrift- und Bekenntnisauslegung niemals ‚Sicherheit‘ (securitas) im Sinne personenunabhängiger Objektivität erreicht werden kann, weil alles Verstehen – wie Wahrheitserkenntnis überhaupt – sich nur ereignen kann im Medium hermeneutischer Gewissheit. Diese ist das Ereignis, in dem Personen die Wahrheit eines Textes dadurch ergreifen, dass sie von dieser Wahrheit ergriffen werden. Das ist die Bedingung aller Wahrheitserkenntnis. Dieses unverfügbare Geschehen der Wahrheitserkenntnis durch Wahrheitsgewissheit ist seinerseits zu verstehen als Wirken Gottes, genauer als Werk des Heiligen Geistes am und im Herzen derer, die das Evangelium hören.35
Auch der neuere Text der VELKD bringt die Überzeugung zum Ausdruck, dass zwischen dem Ergriffen-Sein im Glauben durch das Handeln Gottes und der damit gegebenen Wahrheitserkenntnis einerseits und dem stets defizitären, lehrhaft artikulierten Ergebnis hermeneutischer Bemühung an der Schrift andererseits unterschieden wird. Diese Lesart der Konkordie bringt, so Mannermaa, den „qualitativen“ Charakter der Methode zum Ausdruck und somit den ursprünglich bereits der Vorkonkordie eigenen „gedanklichen Gesamtduktus“36, an dem auch die spätere „quantitative Redigierung“37 nichts geändert habe.38 32 Vgl. Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg, 169f. 33 Hiermit ist zugleich nicht ausgeschlossen, dass es auch andere Lesarten der Konkordie gibt, die im Wortlaut des Dokumentes angelegt sind. Es wird jedoch deutlich, dass die skizzierte Lesart bis heute konsensfähig ist, wenn auch nicht univok. 34 Vgl. Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 8. 35 VELKD (Hg.), Ökumene nach evangelisch-lutherischem Verständnis, Ziff. 1 h), Herv. v. J.G. 36 Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg, 122. 37 A. a. O., 120. Mit der qualitativen Lesart der Methode ist die Interpretation von CA VII gemeint, die das satis est und das nec necesse est unterscheidet als einerseits fides iustificans und andererseits fides dogmatica. Demnach werden die geschichtlich bedingten Denkformen des rechtfertigenden Glaubens dem zur Einheit nicht notwendigen Bereich zugeordnet. Die quantitative Lesart der Methode interpretiert CA VII im Sinne einer Unterscheidung zwischen theologischer Grunderkenntnis einerseits und Kirchenordnung andererseits.
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Allerdings birgt diese Lesart ein grundlegendes Problem, das bereits oben angedeutet wurde und zu einer zweiten Lesart der Methode führt.39 So wurde festgestellt, dass zur Einheit der Kirche der Konsens über das Rechtfertigungsgeschehen reiche. Nicht notwendig sei hingegen die Übereinstimmung „in allem, was durch Menschen der Gemeinschaft in Ritus, Gottesdienst und auch theologischer Lehre Ausdruck gibt, also auch die Lehrbekenntnisse, sofern sie diesen Ausdruck und nicht den Grund der Kirchengemeinschaft benennen“40. Es gibt demnach Aussagen der Lehrbekenntnisse, die, weil sie den Grund der Kirchengemeinschaft benennen, notwendig sind für die Einheit. Folglich wird offenbar auf zweifache Weise von der fides dogmatica gesprochen.41 Einerseits benennt sie den Grund der Gemeinschaft und ist somit dem satis est zuzuordnen. Andererseits betrifft sie die Gestalt von Gemeinschaft und ist somit dem nec necesse est zuzuordnen. Somit erscheint die strikte Unterscheidung zwischen fides iustificans und fides dogmatica und deren Zuordnung zum satis est und nec necesse est als logisches Problem.42 Auch Gunther Wenz macht darauf aufmerksam, dass eine solche qualitative Auslegung unberücksichtigt lasse, dass „die Bedeutung von explizierter Lehre für Kirchengemeinschaft für die verantwortliche Wahrnehmung jener unverzichtbar ist. Denn der Konsens […] lässt sich nur im Medium von Lehre artikulieren“43. Ragnar Persenius betont, dass das Evangelium zwar nicht den kirchlichen Mitteln und Ausdrucksweisen untergeordnet werden dürfe. Andererseits werde das Evangelium jedoch immer durch eben diese Mittel vermittelt.44 38 Eine Übersicht zur von Mannermaa angenommenen methodologischen Veränderung durch die Redigierung bietet a. a. O., 170–175. 39 Die Kritik, die aufgrund dieser Problematik geäußert wird, wird an dieser Stelle lediglich angemerkt und im Rahmen der Betrachtung zur Kritik an der Kirchenstudie ausführlicher besprochen (vgl. Kap. C 1.2 der vorliegenden Untersuchung). 40 Lohff, Wenzel, Grund und Grenze der Kirche, 100. 41 Vgl. Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg, 166. 42 Zum Umgang mit dem Problem vgl. die zweite Interpretationsvariante der Methode, Kap. C 1.1.1.2 der vorliegenden Untersuchung sowie die von Eilert Herms vertretene Theorie einer „Selbstunterscheidung“ der Lehre, wie sie in die Interpretation der Konkordie durch die Kirchenstudie eingebracht wurde (vgl. Herms, Eilert, Die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie, 11). 43 Wenz, Gunther, Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis: Zur Leuenberger Konkordie und ihrer Interpretation, 62. 44 Vgl. Persenius, Ragnar, Critical Questions from a Nordic Lutheran Perspective, 61. Vgl. auch die Kritik von Werner Klän, der den „unauflöslichen Zusammenhang der Übereinstimmung im Glauben, Lehren und Bekennen mit dem Vollzug gottesdienstlicher, zumal eucharistischer Gemeinschaft in kirchlicher Verbindlichkeit“ betont (Klän, Werner, Diesseits und jenseits von „Leuenberg“, 156). Vgl. auch a. a. O., 163f: „[Glaube bleibt] nie unartikuliert – unverbindlich, ist […] auch nie nur Gestimmtheit oder Meinung, Überzeugung und Gewissheit eines Subjektes allein, sondern ein Entsprechungsverhalten zu dem ihn, den Glauben, erst ins Dasein rufenden Wort Gottes im Modus der Verheißung. Insofern ist der Glaube unabdingbar
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Die Unterscheidung zwischen Glaube und Lehre, zwischen dem Evangelium als solchem und den Formen seiner Vermittlung in Verkündigung, Taufe und Abendmahl, birgt demnach Schwierigkeiten in sich. Insbesondere eine Marginalisierung jeglicher Ausdrucksgestalt des Glaubens hätte zur Folge, dass Kirchengemeinschaft eine rein verborgene, spirituelle Gemeinschaft im Leib Christi, nicht jedoch eine sichtbare Gemeinschaft einzelner Kirchen wäre.45
1.1.1.2 Die Interpretation von CA VII als Unterscheidung zwischen theologischer Grunderkenntnis und Kirchenordnung Die Interpretation der im Leuenberger Modell wirksamen Hermeneutik hebt deren qualitativen Charakter hervor. Daneben gibt es eine weitere Auslegungsvariante, die zusätzlich den quantitativen Charakter des Konsenses und somit den miteinander zu versöhnenden Differenzen in der Lehre in den Fokus rückt.46 So interpretiert André Birmelé die in der Konkordie angelegte Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt mit Blick auf die Frage nach der kirchentrennenden Bedeutung von Differenzen.47 Demnach ist zu unterscheiden zwischen solchen Verschiedenheiten, die Kirchengemeinschaft zulassen, und solchen, die kirchentrennende Bedeutung haben und somit als illegitime Verschiedenheiten innerhalb einer Kirchengemeinschaft zu werten sind. Für die Kirchengemeinschaft notwendig und ausreichend ist die Übereinstimmung in Wort und Sakrament und die darauf basierende gemeinsame Gottesdienstfeier. Es wird folglich unterschieden zwischen dem consentire de doctrina als Lehrkonsens und der Gemeinschaft in Wort und Sakrament, der gemeinschaftlichen darauf angelegt, zu stimmigen und, in seiner Entsprechung zu dem ihn selbst stiftenden Wort, zu einem diesem verpflichteten und darum auch verpflichtenden Ausdruck zu kommen und diese Verpflichtetheit auch in verpflichtender kirchlicher Gemeinschaft zu leben“. 45 Es kann davon ausgegangen werden, dass Wenzel Lohff eine solche Gefahr auch gesehen hat. So konstatiert er: „Natürlich wird aber die Formulierung der Rechtfertigungsbotschaft als Grundlage gemeinsamen kirchlichen Handelns zu einer neuen, gegenwartsgerechten Gestalt der Lehre führen müssen“ (Lohff, Wenzel, Grund und Grenze der Kirche, 106). Es lässt sich dann jedoch weiter fragen, was die Formulierung der Rechtfertigungsbotschaft von der „gegenwartsgerechten Gestalt der Lehre“ unterscheidet. 46 Vgl. die Annahme Mannermaas, es habe im Entstehungsprozess der Leuenberger Konkordie eine methodologische Verschiebung von einer qualitativen hin zu einer quantitativ geprägten Methodologie gegeben, das finale Dokument weise jedoch keine einheitliche Methode auf. Vgl. Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg, 112f. Offenbar sieht Mannermaa also keine Vereinbarkeit beider methodischer Aspekte. 47 Die Interpretation von André Birmelé findet Zuspruch auch bei anderen mit dem Leuenberger Modell vertrauten Theologen, vgl. u. a. Weber, Friedrich, „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“. 40 Jahre Leuenberger Konkordie, Vortrag für die Theologische Fakultät der Universität Debrecen/Ungarn am 28. November 2013, 5f. (http://www.landeskirche-braun schweig.de/uploads/tx_mitdownload/Vortrag_GEKE_Debrecen.pdf).
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geistlichen Feier, wobei der Lehrkonsens notwendige Vorbedingung für die Kirchengemeinschaft ist: Der Konsens ist und bleibt notwendig. Um zu einem Konsens zu gelangen, bedarf es des genauen theologischen Dialogs über die Grundaussagen des Glaubens und der Überwindung der Lehrverurteilungen, die zum Bruch der Kirchengemeinschaft geführt hatten.48
Dennoch ist der theologische Lehrkonsens selbst nicht der konstitutive Grund der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen. Gemeinschaftsgründend bleibt das „Ereignis des wahren Zuspruchs der Gnade durch Wort und Sakrament“49: Kirche ist nicht die Gemeinde, die das wahre Verständnis von Wort und Sakrament in einem gleichen Wortlaut ‚hat‘, sondern die Gemeinde, in welcher diese Feier recte geschieht. Das Ergebnis des wahren Zuspruchs der Gnade durch Wort und Sakrament ist etwas anderes als ein Lehrkonsens im Verständnis von Wort und Sakrament.50
Birmelé begründet diese Konzentration auf die gemeinsame Gottesdienstfeier damit, dass sie „Ausdruck der Botschaft von der Rechtfertigung“51, dem articulus stantis et cadentis ecclesiae, sei. Mit der Feier von Wort und Sakrament als den Gnadenmitteln komme das zum Ausdruck und zur Geltung, was Kirche begründe: das rechtfertigende Handeln Gottes am Menschen. Aufgrund dieser zentralen Bedeutung habe die gemeinsame Gottesdienstfeier „Folgen für alle anderen Bereiche der Theologie und des kirchlichen Lebens“52. Ausgehend von der gemeinsamen Gottesdienstfeier als das Kirche-begründende Geschehen und dem „Ort, wo die Rechtfertigung geschieht“53, wird Birmelé zufolge der Rahmen der Theologie bestimmt, innerhalb dessen eine legitime, da nicht kirchentrennende Vielfalt herrschen kann. Dies bedeutet im Umkehrschluss: „Wenn die gemeinsame Feier von Wort und Sakrament nicht mehr möglich ist, dann ist der Unterschied, der dies verbietet, nicht mehr legitim, sondern kirchentrennend“54. Nach Birmelé ist demnach erstens die Botschaft von der Rechtfertigung „aufgrund ihres Inhaltes wie in ihrer Funktion als hermeneutisches Prinzip“55 der grundlegende, kirchenkonstitutive Artikel. Diese Funktion als hermeneutisches Prinzip werde erfüllt, „wenn sie [sc. die Botschaft selbst!] die gemeinsame wahre 48 49 50 51 52 53 54 55
Birmelé, André, Kirchengemeinschaft nach lutherischem Verständnis, 30. A. a. O., 32. Ebd. Birmelé, André, Sichtbare Einheit: eine bleibende Aufgabe, 44f. Ebd. A. a. O., 43f. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft nach lutherischem Verständnis, 32. Birmelé, André, Sichtbare Einheit: eine bleibende Aufgabe, 45. Die Beurteilung der Rechtfertigungslehre als hermeneutisches Prinzip wird insbesondere im Dialog mit der römischkatholischen Kirche kontrovers diskutiert. Vgl. hierzu etwa den Diskurs um die GER, Art. 18. Vgl. hierzu die Anmerkung in Kap. C 2.2.1.4 der vorliegenden Untersuchung.
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Feier von Wort und Sakrament ermöglicht“56. Zweitens ist die Möglichkeit der Feier von Wort und Sakrament als Ausdruck der Botschaft von der Rechtfertigung ein hermeneutisches Prinzip, „das immer und überall zum Tragen kommen muss“57 und an dem sich Unterschiede im ökumenischen Miteinander messen lassen müssen. Ausgehend von dieser Einsicht bezieht der von der Konkordie formulierte Konsens Verschiedenheiten zwischen den Kirchen bewusst mit ein: „Nicht der Unterschied als solcher, sondern gegebenenfalls sein trennender Charakter muss überwunden werden“58. Von der Konkordie wird dazu ein Konsens in all jenen kontroversen Fragen formuliert, deren unterschiedliche Beantwortung durch die Kirchen eine gemeinsame Feier bisher verhinderte. Diese in den Bekenntnissen fixierten Lehrverurteilungen haben heute ihren kirchentrennenden Charakter jedoch verloren, weil sie nicht mehr den Stand der Lehre der Kirchen treffen, so die Konkordie. Dazu gehören nicht nur das unterschiedliche Abendmahlsverständnis, sondern auch die Christologie und die Lehre von der doppelten Prädestination. Grundsätzlich kann jedoch jede theologische Frage, die zu unterschiedlichen Auslegungen durch die Kirchen führt, kirchentrennend wirken – wenn der mangelnde Konsens der unterschiedlichen Verständnisse Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft verbietet.59 Der Konsens versteht nach Birmelé also solche Verschiedenheiten als legitime Verschiedenheiten, welche die wahre Feier von Wort und Sakrament nicht verhindern.60 Satis est wird demzufolge bezogen auf die theologischen Grunderkenntnisse, über die für die Gemeinschaft in Wort und Sakrament ein Konsens unerlässlich ist. Das nec necesse est bezieht sich dann auf unterschiedliche Schwerpunkte in der Lehre und der Frömmigkeit sowie auf die Kirchenordnungen.61 Birmelé interpretiert die Konsensmethode der Konkordie also, indem er grundsätzlich von der gemeinsamen Gottesdienstfeier als Ausdruck der Botschaft von der Rechtfertigung und als hermeneutisches Prinzip für die Beurteilung von Unterschieden ausgeht. In allen Fragen, in welchen eine unterschied56 Birmelé, André, Sichtbare Einheit: eine bleibende Aufgabe, 45. Birmelé weist dabei darauf hin, dass die Botschaft selbst die gemeinsame Gottesdienstfeier ermöglicht. Davon unberührt bleibt jedoch die notwendige theologische Übereinkunft. 57 Ebd. Vgl. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft nach lutherischem Verständnis, 32. Vgl. die Grundannahme bei Theissen, Henning, „dass evangelische Kirchenreform vom Gottesdienst als Mittelpunkt kirchlichen Lebens, aber auch als zentraler Äußerung der Kirche im öffentlichen Leben ausgeht“ (Theissen, Henning, Witness and Service to the World, in: NZSTh, 53 [2011], 225–239; 239). 58 Birmelé, André, Sichtbare Einheit: eine bleibende Aufgabe, 46. 59 Birmelé betont damit auch die Bedeutung der kontinuierlichen theologischen Lehrgespräche, die den Kirchen mit der Unterzeichnung der Konkordie aufgegeben sind, um eine erneute Trennung zu verhindern. Vgl. a. a. O., 45. 60 Vgl. ebd. 61 Vgl. a. a. O., 49.
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liche Beantwortung die Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft verhindert, sollen somit theologische Übereinstimmungen gefunden werden. Begründend für Kirchengemeinschaft, so Birmelé, ist jedoch allein die durch die gemeinsame Lehre ermöglichte gemeinsame Gottesdienstfeier: „Wo diese gemeinsame Gottesdienstfeier Wirklichkeit wird, ist der Heilige Geist am Werk und erbaut die eine Kirche“62. Folglich, so Birmelé, ist im Fall der Konkordie auch nicht von einem Minimalkonsens zu sprechen: Gemeinschaft in Wort und Sakrament ist vielmehr „der Ort, der die Einheit gründet und bewahrt“63. Die von Birmelé dargelegte Interpretationsvariante deutet nach Thönissen das Verhältnis zwischen Grund und Gestalt nicht im Sinne einer wesensmäßigen Asymmetrie, sondern im Sinne einer gegenseitigen Zuordnung von Grund und Gestalt.64 Weil diese Zuordnung „auf alle Teilfragen angewendet werden [muss], […] gewinnt aber das mit der Leuenberger Konkordie einhergehende hermeneutische Kriterium zugleich eine ökumenisch offenere Charakteristik“65, so Thönissen. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die Grenzziehung zwischen trennenden Unterschieden und legitimer Vielfalt von den Kirchen teilweise unterschiedlich vorgenommen wird. Dies zeigt sich insbesondere mit Blick auf die Frage nach einem gemeinsamen Amtsverständnis, die besonders auch die sichtbare Gestalt des Amtes umfasst.66 Ausgehend von dieser zweiten Lesart ergibt sich mit Blick auf die erste Lesart folgender Unterschied: Die erste Lesart der Leuenberger Hermeneutik unterscheidet zwischen Grund und Gestalt im Sinne einer Unterscheidung zwischen opus Dei und opus hominum bzw. dem Evangelium und dem Glauben einerseits und dem Bekenntnis und der Lehre andererseits. Die zweite Lesart beachtet zusätzlich den quantitativen Charakter des Modells und beschäftigt sich demzufolge mit der inhaltlichen Darstellung des Konsenses und seiner Umsetzung im Leben der Kirche. Hierzu unterscheidet sie ausgehend von dem Evangelium, der Botschaft von der Rechtfertigung als hermeneutischem Prinzip, sowie von der gemeinsamen Gottesdienstfeier als Ausdruck des Evangeliums erstens zwischen den zentralen, die Gottesdienstfeier betreffenden Lehrfragen und solchen, die nicht zentral sind, da ihre unterschiedliche Beantwortung die gemeinsame Gottesdienstfeier nicht verhindert. Zweitens unterscheidet sie zwischen unter62 63 64 65
A. a. O., 46. A. a. O., 45. Vgl. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft nach lutherischem Verständnis, 32. Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 9. Ebd. Von daher wehrt Birmelé auch den Vorwurf eines mit der Konkordie vermeintlich zum Ausdruck kommenden Minimalkonsenses ab. Die theologischen Lehrgespräche hätten die Funktion, sicherzustellen, dass Lehrunterschiede nicht erneut kirchentrennende Bedeutung erhalten. Vgl. Birmelé, André, Sichtbare Einheit: eine bleibende Aufgabe, 45. 66 Vgl. hierzu die Kritik der Anglikanischen und Orthodoxen Kirchen sowie der römischkatholischen Kirche am Leuenberger Modell. Vgl. ferner die Meissener Gemeinsame Feststellung und die Porvooer Gemeinsame Feststellung.
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schiedlichen theologischen Lehraussagen und ihrer gemeinsam formulierten Grunderkenntnis.67 Die Unterscheidung von Grund und Gestalt wird somit insgesamt auf Lehrebene angewandt, geht jedoch von der Überzeugung der qualitativen Lesart aus, dass das Handeln Gottes, wie es im Evangelium bezeugt wird, die Gemeinschaft begründet und von daher in seiner Identität als Botschaft von der Rechtfertigung als Mitte und Maßstab für die kirchliche Lehre zum Tragen kommen muss.
1.1.2 Weitere Kritikpunkte an der Leuenberger Konkordie Die vorangehende Darlegung zeigt, dass die Methode der Leuenberger Konkordie einen Spielraum für unterschiedliche Interpretationen lässt. Aufgrund dessen ergab sich für manche Kirchen die Frage, welchem konkreten Konsens sie mit der Unterzeichnung der Konkordie zustimmen würden.68 Neben der grundsätzlichen Kritik, dass die Methode der Leuenberger Konkordie unterschiedlich interpretierbar sei, werden weitere Kritikpunkte im ökumenischen Diskurs vorgebracht, die in enger Verbindung mit der Interpretation der Methode und der darin angelegten Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt stehen.69 Die unterschiedlichen Kritikpunkte an der Leuenberger Konkordie ergeben sich in Abhängigkeit davon, von welcher Lesart ausgegangen wird und ob diese dem eigenen Verständnis von Kirche bzw. der eigenen Interpretation von CA VII entspricht. Die schärfste Kritik wurde von Vertretern der finnischen Kirchen vorgebracht. Sie baut auf der von Tuomo Mannermaa
67 Die zweite Lesart wird von daher teilweise auch als „Mitte-Peripherie-Schema“ oder als „inhaltlicher Konsens der zentralsten Lehrfragen“ bezeichnet (Peura, Simo, Leuenberg und die ökumenische Methode der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, 177). Theodor Dieter konstatiert – auch mit Blick auf eine Vergleichbarkeit des methodischen Vorgehens der LK und der GER –, dass „die Unterscheidung von Zentralem und Nichtzentralem […] keine adäquate begriffliche Fassung des Vorgehens“ sei. Vielmehr handele es sich um die unterschiedlichen Entfaltungen in der Lehre und die daraus gewonnenen, gemeinsam formulierten Grundwahrheiten (vgl. Dieter, Theodor, Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, 155). Damit würde jedoch für die Definition von satis est das zugrunde liegende Prinzip der Rechtfertigung als inhaltlicher Bezugsrahmen entweder entfallen. Oder die Rechtfertigungslehre wäre nicht mehr das bestimmende Prinzip für den zur Einheit notwendigen Konsens. Vgl. hierzu die Kontroverse um die GER: Hier war der zentrale Konfliktpunkt die Formulierung, ob die Rechtfertigungslehre das oder lediglich ein Kriterium sei. 68 Zu einer konstruktiven Deutung des Interpretationsspielraumes der Konkordie vgl. die Gegenüberstellung in Kap. C 3 der vorliegenden Untersuchung. 69 Einzelne Aspekte der Kritik finden sich bis heute im Rahmen der Kritik an der Kirchenstudie wieder. Vgl. Kap. C 1.2 der vorliegenden Untersuchung.
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formulierten Grundsatzkritik an der Leuenberger Konkordie auf und wird teilweise auch von Vertretern anderer Kirchen und Konfessionen geteilt.70 Im Wesentlichen werden drei verschiedene Kritikpunkte benannt, denen thematische Unterpunkte zugeordnet werden können.71 Die drei Hauptkritikpunkte machen der Konkordie erstens den Vorwurf, ein „Minimalkonsens“ zu sein. In diesem Zusammenhang stehen die Fragen nach dem Umfang des zur Einheit notwendigen Konsenses, nach dem (notwendigen) Konsens über das Amtsverständnis sowie nach der Funktion der Lehrgespräche. Zweitens werden das Verhältnis der Konkordie zu den Bekenntnissen und die Verbindlichkeit der Konkordie infrage gestellt. Drittens wird das in der Konkordie entwickelte Verständnis von Kirchengemeinschaft und sichtbarer Einheit kritisiert. Damit verbunden steht schließlich die Frage nach der tatsächlichen Offenheit des ökumenischen Modells.72 Die genannten Kritikpunkte werden im Folgenden näher erläutert. Die Kritik, die Konkordie sei ein Minimalkonsens, bezieht sich vor allem auf die Feststellung, dass sie nicht die zur Einheit der Kirche notwendigen Lehrsätze umfasse.73 So fehlen in der Konkordie nicht nur aus Perspektive mancher Lu-
70 Vgl. hierzu die Vorbehalte des theologischen Referenten im kirchlichen Außenamt der Ev.Luth. Kirche in Finnland: Forsberg, Juhani, Luthertum zwischen Leuenberg und Porvoo. Referat auf dem Symposium „Die evangelischen Kirchen im sich vereinigenden Europa“ des Finnland-Instituts in Deutschland, Berlin, am 31.1. und 1. 2. 1997 (Typoskript, 4f), zitiert in: Hüffmeier, Wilhelm, Erweiterung und Vertiefung, 19; vgl. ferner die zwei Sammelbände von Asendorf, Ulrich/Künneth, Friedrich Wilhelm (Hg.), Von der wahren Einheit der Kirche; dies. Leuenberg, Konkordie oder Diskordie? 71 Die vorliegende Skizzierung der Kritik konzentriert sich auf die vom Verfasser der vorliegenden Untersuchung als wesentlich erachteten Kritikpunkte. Eine vollständige Abbildung des ökumenischen Diskurses ist im Rahmen dieser Untersuchung nicht beabsichtigt. 72 Wie die Betrachtung zur Kritik an der Kirchenstudie zeigen wird, werden diese Kritikpunkte aus Sicht einiger Gesprächsteilnehmer auch nicht durch die nachträgliche Explikation des Leuenberger Modells entkräftet. 73 Die Beschreibung als Minimalkonsens findet sich bei Persenius, Ragnar, Critical Questions from a Nordic Lutheran Perspective, 62. Sie wird jedoch auch von vielen anderen Theologen betont. Dabei ist weiter zu differenzieren zwischen der Interpretation als zur Erklärung von Kirchengemeinschaft ausreichendem Minimalkonsens, die zur Begründung weiterer Lehrgespräche im Modell der Konkordie führt und solchen, die den erreichten Konsens für unzureichend halten (vgl. hierzu bspw.: Ratzeburger Thesen zur „Leuenberger Konkordie“, Nr. 2, in: Asendorf, Ulrich/Künneth, Friedrich Wilhelm [Hg.], Von der wahren Einheit der Kirche, 271–280; 276; Kandler, Karl-Hermann, Das ganze Bekenntnis gehört dazu. Die Rolle der Rechtfertigung in den Einheitsgesprächen, in: LM 11 [1972], 145–147). Andere Kritiker bezeichnen den Konsens gar als nichtig. Vgl. Klän, Werner, Diesseits und jenseits von „Leuenberg“, 147: „Aus konkordienlutherischer Sicht ist freilich nach wie vor mit guten Gründen zu bestreiten, dass die Passagen der Leuenberger Konkordie über das heilige Abendmahl überhaupt eine ‚Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums‘ artikulieren“. Vgl. hierzu ferner Kandler, Karl-Hermann, Leuenberg II über das Abendmahl – eine Konkordie?, in: Asendorf, Ulrich/Künneth, Friedrich Wilhelm (Hg.), Leuenberg, Kon-
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theraner, sondern auch aus anglikanischer, orthodoxer und römisch-katholischer Perspektive Aussagen über die Gestalt des Amtes.74 Kritiker, die diesen Konfessionen angehören, bemängeln, die Gestalt des Amtes sei entscheidend für die Weitergabe des Evangeliums.75 Ein gemeinsames Amtsverständnisses gehöre deshalb zu dem für die Einheit der Kirche notwendigen und hinreichenden Konsens, ohne den eine gegenseitige Anerkennung der Kirchen unmöglich sei.76 Darüber hinaus wird etwa aus anglikanischer Sicht die stärker gewichtete Bedeutung der Liturgie und der liturgischen Formen der Ordination betont, die im Modell der Konkordie keine adäquate Beachtung finden.77 Die Interpretation als Minimalkonsens wird häufig mit den in der Konkordie für den Verwirklichungsprozess von Kirchengemeinschaft angelegten theologischen Lehrgesprächen in Verbindung gebracht. Die Konkordie wird dabei verstanden als Anfangspunkt einer Kirchengemeinschaft, die eine größere sichtbare Einheit anstrebt. Diese Deutung steht im Widerspruch zu der gelegentlichen Interpretation der Konkordie als Abschluss. Diese Interpretation bezieht sich darauf, dass die theologischen Lehrgespräche in den einzelnen Signatarkirchen kaum rezipiert werden und somit für die weitere Verständigung in der Kirchengemeinschaft nicht konstitutiv zu sein scheinen.78 Immer wieder diskutiert wurde zweitens das Verhältnis der Konkordie zu den bestehenden Bekenntnissen der evangelischen Kirchen.79 So betont die Konkordie
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kordie oder Diskordie?, Berlin 1974, 77–90; 87; Sasse, Hermann, Ein letztes Wort zu ‚Leuenberg‘. Aus anglikanischer Perspektive sind die geordnete Sukzession im Amt und die Bedeutung des Episkopats essentiell für das Amtsverständnis. Vgl. Hill, Christopher, Critical Questions from an Anglican Perspective, 66f. Mit dieser Auffassung hängt auch das Verständnis der Sichtbarkeit der Einheit zusammen. Vgl. Persenius, Ragnar, Critical Questions from a Nordic Lutheran Perspective, 62f. Vgl. a. a. O., 64. Vgl. Hill, Christopher, Critical Questions from an Anglican Perspective, 66f. Hierauf macht Burkhard Neumann aufmerksam: „Leuenberg versteht sich […] von seiner Zielsetzung her als ein dynamisches Modell von Kirchengemeinschaft, das eine Förderung und Vertiefung der Gemeinschaft hin zu einer größeren Einheit ausdrücklich fordert, weshalb die Lehrgespräche konstitutiv zu diesem Prozess der Vertiefung gehören“ (Neumann, Burkhard, Leuenberg als ökumenisches Modell?, 183). Aber: „Während die Leuenberger Konkordie […] von ihrer Intention her ausdrücklich auf Vertiefung der Kirchengemeinschaft ausgerichtet ist, wird sie faktisch weitgehend als Anerkennung des gegenwärtigen Status quo verstanden, der nicht notwendigerweise auf eine solche Vertiefung angelegt ist“ (ebd., 187). Als Beispiel nennt Neumann die kaum wahrnehmbare Rezeption der „TampereThesen“ zum Amt von 1986 in der Debatte um das Verständnis der Ordination in den Gliedkirchen der EKD. Tuomo Mannermaa führt die Probleme in Bezug auf das Verständnis der Lehrgespräche und das Verhältnis der Konkordie zu den bestehenden Bekenntnissen u. a. auf die redaktionelle Bearbeitung der Konkordie zurück, in der die Vermischung des qualitativen und des quantitativen Modells vorgenommen worden sei (vgl. Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg, 170).
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zwar ausdrücklich, kein Bekenntnis zu sein und die Geltung der bestehenden Bekenntnisse nicht außer Kraft zu setzen. Dennoch wird ausgehend von der Beobachtung, dass die Konkordie nicht nur die hermeneutisch relevante Unterscheidung zwischen dem Verständnis des Evangeliums und den menschlichen Traditionen vornehme, sondern auch Glaubensaussagen enthalte, von Kritikern die Frage aufgeworfen, ob die Konkordie nicht doch einen grundlegenden Bekenntnischarakter habe.80 In Zusammenhang mit diesem Argument steht zum einen der an früherer Stelle der Arbeit bereits genannte Vorwurf, die Konkordie stünde in „linearer Nachfolge der (alt)preußischen Union von 1817/1830“81 und folglich ließen sich 80 Vgl. Persenius, Ragnar, Critical Questions from a Nordic Lutheran Perspective, 62. Vgl ferner Hüffmeier, Wilhelm, Erweiterung und Vertiefung, 19; Peters, Albrecht, Unionistisches Mittelmaß. Kritische Anmerkungen zum Leuenberger Konkordienentwurf, in: Asendorf, Ulrich/Künneth, Friedrich Wilhelm (Hg.), Von der wahren Einheit, 131–167; Klän, Werner, Diesseits und jenseits von „Leuenberg“, 153f; Wenz, Gunther, Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis: Zur Leuenberger Konkordie und ihrer Interpretation, 65f. Mitunter wird sogar die Befürchtung geäußert, die Leuenberger Konkordie löse „die Geltung der Bekenntnisse auf“ (Ratzeburger Thesen zur „Leuenberger Konkordie“, Nr. 1, in: Asendorf, Ulrich/Künneth, Friedrich Wilhelm [Hg.], Von der wahren Einheit der Kirche, 271– 280; 275). 81 Klän, Werner, Diesseits und jenseits von „Leuenberg“, 147. Klän bezieht sich dabei auf die historisch teilweise problematische Analyse von Tuomo Mannermaa, Von Preußen nach Leuenberg. Vgl. auch die neueren Publikationen Werner Kläns: Klän, Werner, Bekenntnis und Sakramentsgemeinschaft – Anfragen an die Tragfähigkeit des Modells der »Leuenberger Konkordie« aus konkordienlutherischer Sicht., in: ders./da Silva, Gilberto (Hg.), Die Leuenberger Konkordie im innerlutherischen Streit, Göttingen 2012, 74–91; Klän, Werner, Konfessionalisierung und Pluralisierung angesichts gemeinsamer Herausforderungen, in: ders./Kampmann, Jürgen (Hg.), Preußische Union, lutherisches Bekenntnis und kirchliche Prägungen. Theologische Ortsbestimmungen im Ringen um Anspruch und Reichweite konfessioneller Bestimmtheit der Kirche, Göttingen 2014, 317–343. Den Vorwurf, die Konkordie habe implizite Unionsabsichten, sieht Hoffmann dadurch bestätigt, dass in der Konkordie keine notwendige Lehreinheit erreicht worden sei und in ihr eine Gleichgültigkeit gegenüber den bestehenden Bekenntnissen zum Ausdruck käme. Vgl. Hoffmann, Gottfried, Lutherische Identität und Leuenberger Konkordie?, 64 und hierzu widersprechend: Hauschildt, Friedrich, Lutherische Identität und Zustimmung zur Leuenberger Konkordie, 56. Vgl. ferner ders., Existenzberechtigung verloren? Die VELKD und die Leuenberger Konkordie, in: ders./Hahn, Udo (Hg.), Bekenntnis und Profil. Auftrag und Aufgaben der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Hannover 2003, 56–60. Die Unterstellung von Unionsabsichten scheint vor allem aus strenger lutherischer Perspektive vorgebracht zu werden, wobei insbesondere die Sorge bestimmend ist, von den in Zusammenhang mit dem Marburger Religionsgespräch bestärkten Verwerfungen abzurücken, die allem Anschein nach ein wesentlicher Identitätsfaktor für manche Lutheraner zu sein scheinen. Auch die leidvollen Erfahrungen im 19. Jahrhundert sind offenbar noch in bleibender Erinnerung. Vgl. hierzu die Angaben zur lutherischen Identität in dem Aufsatz von Hoffmann, Gottfried, Lutherische Identität und Leuenberger Konkordie?, 63. Die Identifizierung der Konkordie als Unionsbekenntnis wird im ökumenischen Diskurs jedoch vielfach zurückgewiesen. Dabei wird insbesondere auf den Wortlaut der Konkordie selbst verwiesen. Vgl. hierzu u. a. Herms, Eilert, Die Leuenberger Konkordie ist kein Unionsbe-
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auch Unionsbestrebungen in ihr entdecken.82 Auch die Unterscheidung der Konkordie zwischen dem „grundlegenden Zeugnis der Bekenntnisse“ und ihren „geschichtlich bedingten Denkformen“, die eine Entkräftung der Lehrverurteilungen für das heutige Miteinander der Kirchen ermöglicht, wird aus Sicht einiger lutherischer Theologen kritisiert. Diese kritisieren, es würde somit unterstellt, dass die Reformatoren, allen voran Luther, die „adäquaten Denkformen für das, was er sagen wollte, nicht gehabt hätte“83, sodass die damaligen Gegensätze der Reformatoren durch heutige und immer wieder durch folgende Begrifflichkeiten gelöst werden könnten. Die lutherischen Theologen argumentieren dagegen, dass die Wahrheitserkenntnis Luthers in Bezug auf das Evangelium bislang einmalig geblieben sei, sodass die Lösung der Konkordie nur eine Lösung an der Oberfläche sein könne: „Die Schwierigkeiten haben ihren Grund vielmehr darin, daß Luther so viel tiefer in die Wahrheit des Evangeliums eingedrungen ist, als spätere Zeiten ihm haben folgen können“84. Zum anderen wird mit Blick auf die in Geltung bleibenden Bekenntnisse die Frage aufgeworfen, welche Verbindlichkeit diese „bei gleichzeitiger Außerkraftsetzung der Verwerfungen“85 noch hätten. Die Frage der Verbindlichkeit wird auch in Bezug auf die Ergebnisse der Lehrgespräche gestellt. So scheint unklar, ob bereits verabschiedete Lehrgesprächsergebnisse bei einem späteren Eintritt in die bestehende Kirchengemeinschaft berücksichtigt werden müssen. Sei dies nicht der Fall, so erscheine das Einheitskonzept statisch. Im Falle einer geforderten Berücksichtigung müsse der Status der Lehrgespräche jedoch geklärt werden, so die Kritik.86 Der dritte Hauptkritikpunkt betrifft den Begriff der Kirchengemeinschaft und das Verständnis von sichtbarer Einheit. Dabei wird kritisiert, das in der Konkordie zum Tragen kommende Verständnis von Kirchengemeinschaft sei zu unpräzise beschrieben und das Verhältnis zwischen Kirchen-, Bekenntnis- und
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kenntnis – Interview mit Prof. Dr. Eilert Herms, (Texte aus der VELKD 111), Hannover 2002, 71–77; 77; vgl. ferner den etwas zurückhaltenderen Beitrag von Friedrich, Martin, Union und Leuenberger Konkordie, in: Amt der UEK (Hg.), Gemeinsam evangelisch: 200 Jahre lutherisch-reformierte Unionen in Deutschland, Hannover 2016, 67–76. Vgl. die Hinweise in Kap. A 4.3.4.1 der vorliegenden Untersuchung. Nygren, Anders, Vorwärts zu Luther – eine Einführung, in: Asendorf, Ulrich/Künneth Friedrich Wilhelm (Hg.), Von der wahren Einheit, 15–17; 16. Ebd. Ratzeburger Thesen zur „Leuenberger Konkordie“, Anmerkungen d), 279f. Vgl. Persenius, Ragnar, Critical Questions from a Nordic Lutheran Perspective, 63. Die 2011 verabschiedeten Leitlinien zur Begründung der Mitgliedschaft in der GEKE regeln, dass „eine Bewertung der seit 1973 durchgeführten Lehrgespräche“ auch Gegenstand der Vereinbarung zum Eintritt in die GEKE sein müsse, auch wenn deren Ergebnisse „nicht in gleicher Weise bindend wie die Leuenberger Konkordie“ seien. Vgl. Leitlinien zur Begründung der Mitgliedschaft in der GEKE, Nr. 5.
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Abendmahlsgemeinschaft bleibe unklar.87 Schließlich fehle auch die Präzisierung, in welchem Verhältnis Kirchengemeinschaft zur sichtbaren Einheit stehe.88 In Zusammenhang mit dem kritisierten Verständnis der Einheit der Kirche werden auch der ökumenische Anspruch und die ökumenische Offenheit der Konkordie gesehen. So nehme die Konkordie den ursprünglichen Anspruch lutherischer Bekenntnisschriften, „im Namen und für die eine heilige christliche (katholische) Kirche zu sprechen“ nicht ernst und ersetze ihn durch einen regionalen und auf „konfessionelle Gruppierungen“89 begrenzten Anspruch. Dies führe zu einem „theologischen Substanzverlust im ökumenischen Dialog“90. Eine damit einhergehende Verengung des ökumenischen Charakters der Konkordie zeigt sich aus orthodoxer Perspektive auch an der Wahl der behandelten Themen. So fänden insbesondere Fragen, „die eng verbunden sind mit den sakramentalen und lehrmäßigen Themen“91, keine Erwähnung. Auf diese in Zusammenhang mit der Konkordie formulierten Kritikpunkte versuchte die Leuenberger Kirchengemeinschaft in ihren Vollversammlungen und Lehrgesprächen gemeinsame Antworten zu finden.92 Manche Fragen treten
87 Vgl. Brunotte, Heinz, Lutheraner und Reformierte, in: Asendorf, Ulrich/Künneth Friedrich Wilhelm (Hg.), Von der wahren Einheit der Kirche, 67–77; 75. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Kritik von Karl-Hermann Kandler, Die Geschichte und die Probleme der Leuenberger Konkordie (2017): http://einigungswerk.org/2017/07/26/die-geschich te-der-leuenberger-konkordie-aus-dem-sommerrundbrief-2017/. 88 Vgl. Karttunen, Tomi, Useful and possible? The Evangelical Lutheran Church of Finland and Membership in the Communion [sic] of the [sic] Protestant Churches in Europe, 4–6 u. 19f (http://sakasti.evl.fi/sakasti.nsf/0/2EEE800EEBB8BA41C225773400279C85/$FILE/Leuen berg-CPCE%20and%20ELCF%20netti.pdf). 89 Ratzeburger Thesen zur „Leuenberger Konkordie“, Nr. 4, 278. 90 Ebd. Vgl. auch die aus orthodoxer Perspektive formulierte Anmerkung des Metropolit Gennadios von Sassima, Die Leuenberger Konkordie – Ein orthodoxer Ansatz, in: Beintker, Michael u. a. (Hg.), Konsultationen zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), (LT 11), Frankfurt a.M. 2008, 145–149; 147: „Die Frage stellt sich daher, wie diese Erklärung in den theologischen Diskussionen umgesetzt werden kann und wie man Mittel und Wege findet, um zu einem besseren Verständnis der bestehenden Unterschiede und noch verbleibenden Hindernisse auf der Suche nach der Einheit zu gelangen. Der Weg ist nicht einfach, weil es scheint, dass sich das gemeinsame Dokument nur auf den historischen und theologischen Hintergrund der verschiedenen Partner der reformatorischen Tradition bezieht und nur sehr wenig auf die anderen Kirchen, die auch an theologischen Dialogen und Gesprächen beteiligt sind“. 91 Sassima, Metropolit Gennadios von, Die Leuenberger Konkordie – Ein orthodoxer Ansatz, 149. Vgl. ebd.: „Wie konnte das Dokument die theologische Interpretation und das theologische Verständnis der Sakramente darstellen, ohne auf Fragen wie das Wesen der Kirche, die trinitarischen oder ekklesiologischen Implikationen für die christologischen und soteriologischen Aspekte der Kirche zu verweisen? Beide Partner sollten diese Frage beantworten. Dem Dokument fehlt die Betonung der christologisch-trinitarischen Beziehung völlig“. 92 So bereits auf der ersten Versammlung der Leuenberger Unterzeichnerkirchen in Sigtuna 1976, aber auch auf späteren Vollversammlungen. Vgl. „Zur Interpretation der Leuenberger
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Kritik am evangelischen Modell von Kirchengemeinschaft
jedoch im Zusammenhang mit der Kirchenstudie erneut in Erscheinung und begleiten die Kirchengemeinschaft bis heute.
1.2
Zentrale Kritikpunkte an der Interpretation des Leuenberger Modells durch die Kirchenstudie
Im Rahmen der Betrachtungen zur Kritik an der Leuenberger Konkordie wurde einleitend darauf hingewiesen, dass sich wesentliche Kritikpunkte auf die ökumenische Methode des Leuenberger Modells beziehen, die aufgrund der mangelnden Eindeutigkeit auf unterschiedliche Weise interpretiert werden kann. Hierzu fragt Ragnar Persenius 1995 aus lutherischer Perspektive, wie bereits einleitend zu Kapitel C.1.1 zitiert: „Allow me first of all to pose a basic question: does the Leuenberg Agreement contain only one single method?“93 Bemerkenswerterweise fügt Persenius seiner kritischen Frage hinzu: Although from 1989 to 1994 I myself participated in the ecclesiological study of the Leuenberg Fellowship which has resulted in the important document ‚The Church of Jesus Christ. The Contribution of the Reformation towards Ecumenical Dialogue on Church Unity‘ I still have not found a definitive answer to this basic question.94
Mit seiner Feststellung bringt der schwedische Theologe zum Ausdruck, dass seiner Ansicht nach der Mangel an Eindeutigkeit der ökumenischen Methode der Leuenberger Konkordie auch nicht mit der zwanzig Jahre später erarbeiteten Interpretation durch die Leuenberger Kirchenstudie aufgehoben wurde. Die Aussage Persenius’ impliziert, dass auch die Ausführungen der Kirchenstudie – als eine von der Leuenberger Kirchengemeinschaft 1994 angenommene nachträgliche Interpretation der in der Leuenberger Konkordie entwickelten ökumenischen Hermeneutik – eine unterschiedliche Interpretation dieser Hermeneutik zulässt. Diese Beobachtung deckt sich mit der Kritik in der kontroversen Diskussion in Bezug auf die von der Ekklesiologiestudie bereitgestellte Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie, die unterschiedlich interpretiert und bewertet wird. Kritik wird dabei innerevangelisch sowie von Seiten anderer Konfessionen geäußert.95 Im Folgenden werden zentrale KritikKonkordie: Bericht der Arbeitsgruppe VII“, in: Lienhard, Marc (Hg.), Zeugnis und Dienst reformatorischer Kirchen im Europa der Gegenwart, 158–163. 93 Persenius, Ragnar, Critical Questions from a Nordic Lutheran Perspective, 60. 94 Ebd. 95 Zur Reaktion der orthodoxen Kirchen auf das Leuenberger Modell merkt der orthodoxe Theologe Ciprian Burlacioiu an, dass durch den 2002 auf Kreta begonnenen Dialog zwar die Aufmerksamkeit seitens der Orthodoxie auf die Leuenberger Konkordie geweckt worden sei, bislang seien jedoch keine offiziellen Stellungnahmen seitens der orthodoxen Kirchen
Kritikpunkte an der Interpretation des Leuenberger Modells durch die Kirchenstudie
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punkte aus römisch-katholischer Perspektive anhand von paradigmatischen Aufsätzen skizziert. Diesen Kritikpunkten werden vereinzelt Stellungnahmen anderer Konfessionen zugeordnet und in ihrer jeweiligen Akzentuierung herausgearbeitet. Im Wesentlichen lassen sich vier thematische Kritikpunkte beschreiben, die von römisch-katholischer Seite aus zur Kirchenstudie angemerkt werden, aber auch von Kirchen anderer Konfessionen in unterschiedlicher Akzentuierung geäußert werden.96 So wird erstens die grundlegende Unterscheidung und Zuordnung von „Grund“ und „Gestalt“ kritisch hinterfragt, welche die Verhältnisbestimmung vom Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen reflektiert. Zweitens werden das damit zusammenhängende Einheitsverständnis und die ökumenische Zielvorstellung, drittens das Amtsverständnis und viertens die ökumenische Offen- oder Geschlossenheit des Leuenberger Modells infrage gestellt. In Bezug auf die Kirchenstudie werden folglich mitunter die gleichen Themenkomplexe kritisch besprochen, die bereits in Zusammenhang mit der Konkordie diskutiert wurden.
abgegeben worden. Von einem Rezeptionsprozess auf kirchlicher Ebene könne deshalb keine Rede sein. Vielmehr beschränke sich die Rezeption auf einzelne orthodoxe Theologen. Vgl. Burlacioiu, Ciprian, Leuenberger Konkordie, Meissener Erklärung und die daraus entstandenen Gemeinschaften, 48f. Zum Dialog zwischen der Leuenberger Kirchengemeinschaft mit den orthodoxen Kirchen vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Ionita, Viorel (Hg.), Konsultation der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Leuenberger Kirchengemeinschaft (LKG) zur Frage der Ekklesiologie; Beintker, Michael u. a. (Hg.), Konsultationen zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE); Beintker, Michael u. a. (Hg.), Taufe im Leben der Kirchen. Dokumentation eines orthodox-evangelischen Dialogs in Europa (Wien), Frankfurt a.M. 2011. Explizit zugestimmt wurde der Kirchenstudie in vielen Punkten von Seiten der Anglikaner. So betont u. a. Martin Davie acht „Points of Agreement“ zwischen der Kirchenstudie einerseits und den für die Anglikaner wichtigen Thirty Nine Articles, des „1982 Helsinki report of the Anglican-Lutheran European Regional Commission“ sowie den drei ökumenischen Erklärungen zwischen Anglikanischen, Lutherischen und Reformierten Kirchen (Meissen-Erklärung, Gemeinsame Erklärung von Porvoo und Gemeinsame Erklärung von Reuilly) andererseits. Vgl. Davie, Martin, The Church of Jesus Christ, 67–70. Zu den Thirty Nine Articles vgl. Toon, Peter, The Articles and Homilies, in: Booty, John E./Sykes, Stephen (Hg.), The Study of Anglicanism, London 1988, 133–143. 96 Die Gliederung in vier thematische Kritikpunkte findet sich auch im Aufsatz von Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?. Eine Übersicht zum römisch-katholischen Konzept von Kirchengemeinschaft als Ausgangspunkt der Kritik bietet Thönissen, Wolfgang, Die Leuenberger Konkordie als ökumenisches Einheitsmodell?, 15–29.
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Kritik am evangelischen Modell von Kirchengemeinschaft
1.2.1 Die Unterscheidung und Zuordnung von Grund und Gestalt Aus römisch-katholischer Perspektive wird angemerkt, dass die Ausführungen der Ekklesiologiestudie mehrere mögliche Interpretationen zulassen.97 Von zentraler Bedeutung sei hierbei die in der Studie tragende Unterscheidung und Zuordnung von Grund und Gestalt, mithilfe derer das evangelische Verständnis von Kirche erläutert wird.98 Zur leichteren Orientierung werden die bereits in Kap. B 2.2 der vorliegenden Untersuchung referierte Unterscheidung (erstens) und Zuordnung (zweitens) an dieser Stelle kurz wiederholt: Die Kirchenstudie unterscheidet erstens zwischen dem Grund und der Gestalt der Kirche. Grund der Kirche ist Jesus Christus, wie er im Evangelium bezeugt wird. Die Kirche als Versammlung aller Gläubigen gründet im Rechtfertigungshandeln Gottes in Jesus Christus. Die Gestalt und Ordnung der Kirche bezeichnet die sichtbare Gemeinschaft der Gläubigen sowie das vom Rechtfertigungshandeln Gottes ausgehende und auf dieses ausgerichtete Handeln der Menschen. Die Studie unterscheidet somit zwischen der Kirche als Gegenstand des Glaubens und den Kirchen in ihren sichtbaren Gestalten. Eine Identifikation der sichtbaren Kirche mit ihrem einzigen Grund, Jesus Christus, wird somit verhindert. Kirche ist damit „bleibend creatura verbi, Geschöpf des Evangeliums“99. Zweitens ordnet die Kirchenstudie die geglaubte Kirche und die sichtbaren Kirchen einander zu. Das Handeln der Kirche und somit das Handeln der gläubigen Christen in der Gemeinschaft soll Zeugnis vom rechtfertigenden Handeln des dreieinigen Gottes sein. Nun betont die Studie jedoch, dass das 97 So Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 10f. Ein „Präzisierungsdefizit“ attestiert Kurt Koch, in: Koch, Kurt, Dass alle eins seien, 59. 98 Vgl. Beintker, Michael, Die Studie „Die Kirche Jesu Christi“ aus evangelischer Sicht, 61: Beintker stellt fest, dass mit der Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt von Kirche die für die reformatorische Theologie konstitutive Verhältnisbestimmung zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen zum ekklesiologischen Leitprinzip werde. Dies erkennt auch der evangelische Theologe Gunther Wenz. Er macht dabei jedoch darauf aufmerksam: „Wie man sich den differenzierten Zusammenhang von Grund und Gestalt über das angesprochene Unterscheidungsgebot und Trennungsverbot hinaus genauer zu denken hat, bleibt hingegen vielfach offen. Hier ist bleibender Diskussionsbedarf gegeben und dies umso mehr, als der Thematik eine Schlüsselstellung für die ekklesiologische Gesamtargumentation zukommt“ (Wenz, Gunther, Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis: Zur Leuenberger Konkordie und ihrer Interpretation, 67, Herv. v. J.G.). Vgl. ferner Weber, Friedrich, 40 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft, 175: „Die Konsultation der GEKE mit dem Vatikan zum Thema Kirchengemeinschaft, die im Februar 2013 begonnen hat, zeigt bereits jetzt, dass die Kirchenstudie Fragen offen gehalten hat. […] Die römisch-katholischen Theologen fragen […] deutlich nach, was ein differenzierter Konsens eigentlich bedeute“. 99 Neumann, Burkhard, Leuenberg als ökumenisches Modell?, 189, Herv. i. O.
Kritikpunkte an der Interpretation des Leuenberger Modells durch die Kirchenstudie
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Handeln der Kirche zugleich auch als Instrument des Handelns Gottes gebraucht werde.100 Das Handeln der Kirche ist also nicht nur als Zeugnis, sondern auch instrumental in das Handeln Gottes einbezogen.101 Die Interpretationen des konkreten Verständnisses der instrumentalen Bedeutung kirchlicher Handlung für das Handeln Gottes, das heißt die Art der Zuordnung des Handelns des Menschen und der Handlung Gottes, differieren allerdings im ökumenischen Diskurs.102 1.2.1.1 Das opus Dei und das opus hominum im Verhältnis „wesensmäßiger Asymmetrie“ Eine erste Interpretationsmöglichkeit, die aus römisch-katholischer Sicht die von der Kirchenstudie wahrscheinlich intendierte Lesart reflektiert, lässt sich ausgehend von den Überlegungen Eilert Herms’, der maßgeblich an der Erstellung der Kirchenstudie beteiligt war, in ihren Grundzügen rekonstruieren. Sie findet sich zudem ähnlich im 2001 veröffentlichten Votum der EKD wieder.103 Dabei 100 Vgl. KJC, I.2.2, 36: „Daß Menschen zu dieser Gewissheit [sc. Gewissheit des Glaubens] geführt werden, bleibt allein das Werk Gottes, für das er das Handeln der Kirche als sein Instrument gebraucht“. Vgl. auch KJC, I.3.2, 49: „Die Kirche ist bestimmt, als Zeugin des Evangeliums in der Welt Instrument Gottes zur Verwirklichung seines universalen Heilswillens zu sein“. 101 Vgl. Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 10. Vgl. auch Zonker, Norbert, ‚Es muss nichts hinzukommen‘. GEKE-Präsident Weber zur Bedeutung der Leuenberger Konkordie, in: KNA–ÖKI 10, (2013), 6–9; 6: „Das Instrument, durch das die Versöhnung der Verschiedenheit erreicht werden soll, sind die theologischen Lehrgespräche. […] Ansonsten vollzieht sich die kirchliche Einheit in der gemeinsamen gottesdienstlichen Feier, denn die GEKE ist eine Gottesdienstgemeinschaft“. 102 Aus orthodoxer Sicht wird die Deutung des gemeinsamen Kriteriums, das gemeinsame Verständnis des Evangeliums als Rechtfertigungsbotschaft, angefragt. Dieses besage nicht, ob es „auch zum Inhalt der Lehre gehört oder nicht. Denn Unterschiede in der Lehre sind nicht gemeinschaftswidrig“ (Larentzakis, Grigorios, Ekklesiologie in der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 106). Das Problem der Mehrdeutigkeit der inhaltlichen Ausdeutung von Grund und Gestalt, wie sie in Zusammenhang mit der Leuenberger Konkordie verdeutlicht wurde, scheint also auch durch die Interpretation der Kirchenstudie noch nicht gelöst. 103 Vgl. Herms, Eilert, Die Ekklesiologie der Leuenberger Konkordie; vgl. hierzu ferner ders., Lehrkonsens und Kirchengemeinschaft, in: ders., Von der Glaubenseinheit zur Kirchengemeinschaft II, 251–268. Das vom Rat der EKD 2001 veröffentlichte Dokument „Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis. Ein Votum zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen“ war ein wesentlicher Grund, dass die Kirchenstudie mittelbar zum Gegenstand von Kritik wurde. (Zur Kontextualisierung des Votums vgl. die Ausführungen in Kap. C der vorliegenden Untersuchung). Das Votum versteht sich – so wurde bereits in Kap. B der vorliegenden Untersuchung angemerkt – selbst als authentische Interpretation des Leuenberger Modells, wie es mit der Kirchenstudie entfaltet wird (vgl. Kirchenamt der EKD [Hg.], Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis, 3). Sowohl innerevangelisch als auch von Seiten anderer Konfessionen wurde der Text jedoch
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Kritik am evangelischen Modell von Kirchengemeinschaft
wird die in der Studie vorgenommene Zuordnung von Grund und Gestalt in großer Ähnlichkeit zur „qualitativen“ Lesart der Methode der Konkordie interpretiert, die zwischen dem Evangelium als dem Grund des Glaubens einerseits und der kirchlichen Lehre und Ordnung als Gestalt andererseits unterscheidet. Die Kirchenstudie akzentuiert folglich eine der skizzierten Lesarten der Konkordie.104 Wie die Konkordie so betont auch die Kirchenstudie, dass der Konsens im Verständnis des Evangeliums die zentrale Voraussetzung für die Erklärung von Kirchengemeinschaft sei. Dieser Konsens wird von Herms näher erläutert. So betont Herms, mit den Ausführungen über das gemeinsame Verständnis des Evangeliums, wie sie in den Artikeln 6–12 der Konkordie vorgenommen werden,
kritisiert – nicht nur für die Weise der Bezugnahme auf das Leuenberger Modell, sondern mitunter auch für die Inanspruchnahme des Leuenberger Modells für die Darlegung eines evangelischen Kirchenverständnisses überhaupt (vgl. hierzu z. B. Hell, Silvia, Kritische Anmerkungen zum EKD-Text „Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis“, in: ÖR 51 [2002], 452–457; 453f. Burkhard Neumann merkt an, mit dem Votum werde die Tatsache, dass es sich bei der Konkordie auf reformatorischer Seite lediglich um ein Modell der Einheit handele, ausgeblendet. Vgl. Neumann, Burkhard, Leuenberg als ökumenisches Modell?, 180). Dabei wird die Interpretation der Kirchenstudie durch das Votum mitunter zum Anlass genommen, das Leuenberger Ökumene-Modell insgesamt zu kritisieren. Diese Kritik soll im Folgenden nicht im Detail referiert werden, da sich bereits in der Diskussion Interpretament und Interpretandum nur schwer voneinander unterscheiden lassen. Offenbar wird davon ausgegangen, dass die Interpretation der Kirchenstudie durch das Votum der EKD legitimerweise als authentisches Verständnis der Studie verstanden werden kann (so etwa bei Koch, Kurt, Kirchengemeinschaft oder Einheit der Kirche, bes. 147–156, und ders., Dass alle eins seien, 58–63). Dass dies jedoch nicht der Fall ist, zeigen schon die vielen innerevangelischen Vetos, auch von solchen Personen, die unmittelbar am Modell der Leuenberger Konkordie beteiligt waren, so zum Beispiel Günther Gassmann. Manche Argumente der Kritik finden sich jedoch auch in der Kritik einzelner Konfessionen an der Kirchenstudie wieder. Zur innerevangelischen Kritik an dem Votum vgl. Gassmann, Günther, Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis – doch teilweise recht provinziell, in: ÖR 51 (2002), 367f; Hasselmann, Niels, Kommentar zum Votum der EKD zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen „Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis“, in: ÖR 51 (2002), 450f; Plathow, Michael, Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis, Zu einem Votum der EKD zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen, (KJ 129 [2002], Lieferung 2), Gütersloh 2005; Schuegraf, Oliver, Notwendige Ordnung in unterschiedlichen Vorstellungen?, in: ÖR 51 (2002), 463–468; Wenz, Gunther, Kirchengemeinschaft nach evangelischem Verständnis; u.v.m. Zur römisch-katholischen Kritik vgl. Kasper, Walter, Kirchengemeinschaft als ökumenischer Leitbegriff; Scheffczyk, Leo, „Unversöhnte Verschiedenheit“. Zum „Votum“ des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) „zum geordneten Miteinander bekenntnisverschiedener Kirchen“, in: Forum katholische Theologie 18, 2002, 47–55; Koch, Kurt, Dass alle ein seien; u.v.m. Angaben tw. auch in: KJC, Geleitwort der Herausgeber, 12, Anm. 7–9. 104 Vgl. Kap. B 2.5 der vorliegenden Untersuchung.
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sei „der Inhalt der heilsentscheidenden Glaubensgewißheit“105 gemeint. Dieser Inhalt, das Evangelium „als das ‚lebendige Wort Gottes‘ selbst, also die biblische Christusbotschaft“106, erschließe sich dem Glauben durch den Heiligen Geist und werde in unterschiedlicher Gestalt in der kirchlichen Lehre aufgenommen. Demnach sei zwischen dem Gegenstand des Glaubens und der Lehre zu unterscheiden: Für den Gegenstandsbezug des Glaubens sei das „im Selbstzeugnis des Glaubens bezeugte opus Dei konstitutiv“107. Es sei ausschließlich das Offenbarungshandeln Gottes selbst, das den Glauben wecke und an sich binde und von dem der Glaube sich selbst begründet wisse.108 Der Gegenstandsbezug der Lehre hingegen werde zwar ebenfalls durch das Handeln Gottes konstituiert, so Herms, allerdings nur mittelbar durch „das Selbstzeugnis des Glaubenden als opus hominis credentis“109. Zwischen dem Werk Gottes, dem Gegenstand des Glaubens einerseits, und dem Werk des Menschen, das sich explikativ auf den Gegenstand des Glaubens bezieht, andererseits, bleibt also eine wesentliche Unterscheidung: Zwar setzt er [sc. der Gegenstandsbezug kirchlicher Lehre] den Gegenstandsbezug des Glaubens voraus und bezieht sich auf ihn, aber vermittelt durch das menschliche Werk des Selbstzeugnisses des Glaubens, und fällt deshalb mit dem in diesem bezeugten Gegenstandsbezug des Glaubens nicht einfach zusammen.110
Herms bezeichnet das Verhältnis zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen von daher auch als „asymmetrisches Kooperationsverhältnis“111. Das Handeln der Menschen hat also lediglich bezeugenden und auf
105 Herms, Eilert, Einigkeit im Fundamentalen, in: ders., Von der Glaubenseinheit zur Kirchengemeinschaft, Marburg 1989, 111–135; 123. 106 Ebd. 107 Herms, Eilert, Lehrkonsens und Kirchengemeinschaft, 257. 108 Vgl. a. a. O., 256f. 259. 109 A. a. O., 257. 110 Ebd. Zu dieser Auffassung findet sich nach Hauschildt die dogmatische Entsprechung in der Charakterisierung des Bekenntnisses als norma normata, eine abgeleitete, stets korrekturfähige Norm von der allein unfehlbaren norma normans. Auf die norma normata, die Reflexion auf den Glauben in der Lehre, wirkt immer auch die Perspektive des Reflektierenden ein. Vgl. Hauschildt, Friedrich, Lutherische Identität und Zustimmung zur Leuenberger Konkordie, 52 und Herms, Eilert, Lehrkonsens und Kirchengemeinschaft, 259. 111 Herms, Eilert, Das evangelische Verständnis von Kirchengemeinschaft, in: ders., Von der Glaubenseinheit zur Kirchengemeinschaft II, 303–316; 307. Der Gedanke wird später im Dokument der VELKD „Ökumene nach evangelisch-lutherischem Verständnis“ mit dem Begriff einer „wesensmäßigen Asymmetrie“ aufgenommen. Vgl. VELKD (Hg.), Ökumene nach evangelisch-lutherischem Verständnis, Ziff. 2.1. Dabei wird der Begriff auf das Verhältnis zwischen einerseits der verborgenen Kirche, die konstituiert wird durch das den Glauben wirkende Handeln Gottes und andererseits dem Glaubenszeugnis vom Handeln Gottes durch die sichtbare Gemeinschaft bezogen. Während das den Glauben wirkende Handeln Gottes für die Konstitution der verborgenen Kirche als der Gemeinschaft der Gläubigen „sowohl notwendige als auch hinreichende Bedingung“ ist, ist das Glaubens-
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das Handeln Gottes hinweisenden, nicht jedoch aus sich selbst wirksamen und Kirchengemeinschaft begründenden Charakter.112 Friedrich Hauschildt fasst zusammen: „Meine Lehre [sc. Glaubenszeugnis] hat nicht dieselbe Dignität wie mein Glaube; denn in meinem Glauben hat sich Gott selbst mir erschlossen, in meiner Lehre bin ich selbst am Werk“113. Diese Einsicht führt dazu, dass auch der zur Einheit nötige Konsens zwischen den unterschiedlichen Gestalten der kirchlichen Lehre, das gemeinsame Verständnis des Evangeliums, kein Lehrkonsens sein kann. Vielmehr wird mit dem Konsens der „Grund und Gegenstand der Glaubensgewißheit, auf den sie [sc. die kirchliche Lehre] rekurriert, im Medium der jeweils in den Unterzeichnerkirchen gültig überlieferten kirchlichen Lehre [bestimmt]“114. Somit werde die kirchliche Lehre nicht entwertet, sondern vielmehr „konkretisiert“115. Diese Konkretisierung bestehe darin, „dass die kirchliche Lehre sich selber als Lehre von ihrem Gegenstand – eben Gottes eigenem lebendigen Wort, durch das er selber sich zum Grund und Gegenstand des Glaubens macht – unterscheidet“116. Der lediglich lehrmäßige, jedoch nicht mit der kirchlichen Lehre auf einer Ebene liegende Konsens gibt also Auskunft „über den Grund der Glaubens- und Kirchengemeinschaft“117, indem er feststellt, dass kirchliche Lehre bleibend unterschieden ist von ihrem Gegenstand. Differenzen der lehrmäßigen Beschreibung des Gegenstandes führen demzufolge nicht zur Aufhebung der Einheit des Gegenstandes.118 Der Konsens beansprucht demnach auch nicht, selbst Grund der Glaubens- und Kirchengemeinschaft zu sein. Es wird somit unterschieden zwischen einerseits dem „exklusive[n] Grund der Glaubensgemeinschaft, der Gemeinschaft in der Kirche und der Gemeinschaft der Kirchen“, das heißt dem „Gegenstand und Grund des Glaubens selbst“, welche die „Selbstvergegenwärtigung des Schöpfers in Christus Jesus durch den
112
113 114 115 116 117 118
zeugnis der sichtbaren Kirche, die Lehre, für die Konstitution des Glaubens „zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung“. Vgl. Herms, Eilert, Lehrkonsens und Kirchengemeinschaft, 260. Vgl. hierzu auch VELKD (Hg.), Ökumene nach evangelisch-lutherischem Verständnis, Ziff. 2.2: „Dass der Glaube ein für den Menschen unverfügbares Werk des Geistes Gottes ist, heißt auch, dass es kein Verfahren dafür und keinen Anspruch darauf gibt, dass die Bezeugung des Evangeliums als äußeres Wort schon als solches Glauben wecken müsste“. Hauschildt, Friedrich, Lutherische Identität und Zustimmung zur Leuenberger Konkordie, 52. Herms, Eilert, Einigkeit im Fundamentalen, in: ders., Von der Glaubenseinheit zur Kirchengemeinschaft, Marburg 1989, 111–135; 124. Ebd. Ebd., Herv. i. O. Herms, Eilert, Lehrkonsens und Kirchengemeinschaft, 260. Vgl. Herms, Eilert, Einigkeit im Fundamentalen, in: ders., Von der Glaubenseinheit zur Kirchengemeinschaft, Marburg 1989, 111–135; 124.
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Heiligen Geist“119 ist. Dem gegenübergestellt werden andererseits „das Bekenntnis des Glaubens zu seinem Grund“ und „die durch dieses Bekenntnis vermittelte kirchliche Lehre“120, die beide nicht Grund der Gemeinschaft sind, sondern lediglich notwendiges Medium. Diese erste Interpretationsmöglichkeit der Kirchenstudie, die mithilfe der Darlegungen Herms’ erörtert wurde, wird im ökumenischen Diskurs aus unterschiedlichen Gründen kritisiert. Dabei kommen naturgemäß erneut auch Kritikpunkte an der ersten Interpretationsvariante der Leuenberger Methode zum Tragen.121 Dabei werden hier die vier zentralen Aspekte der Kritik herausgegriffen, die sich auf die Art der Unterscheidung beziehen, wie sie in der Interpretation durch Herms vorgenommen wird. So wird erstens aus römisch-katholischer Perspektive, aber auch von einigen lutherischen Theologen kritisiert, diese Lesart reflektiere „nicht deutlich genug […], dass dieser Grund der Kirche, nämlich das Evangelium Jesu Christi in seiner ganzen Fülle, nur durch bestimmte konstitutive menschlich-kirchliche ‚Gestalten“ erfahrbar und präsent wird, nämlich eben die Verkündigung des Evangeliums und die Feier der Sakramente“122. Dieser Kritikpunkt ist auf der Annahme begründet, dass die Vergegenwärtigung Christi in Verkündigung und Sakrament stets auf sichtbare und „auf sinnenhafte, menschlich-kirchliche Weise“ geschehe.123 Die konstitutiven Gestalten von Kirche, die Verkündigung des Evangeliums und die Feier der Sakramente, in denen Christus als Grund der Kirche gegenwärtig wird, sind insofern nach dieser Sichtweise dem Grund „wesentlich zugeordnet“124. Auch Kühn gibt zu bedenken, dass die Handlungen der Kirche, „in denen und durch die Gott sein Werk tut“125, für die Kirche grundlegend seien, sodass nicht von ihnen abgesehen werden könne. Neumann betont, dass die Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt zwar berechtigt sei, um „die Differenz zwischen Christus und seiner Kirche“126 zu verdeutlichen, eine Trennung zwischen Grund und Gestalt, wie sie durch das Konsensverständnis anzunehmen
119 Herms, Eilert, Lehrkonsens und Kirchengemeinschaft, 260f. 120 A. a. O., 261. 121 Die Dopplung ergibt sich aus dem engen Zusammenhang zwischen der Interpretation der Unterscheidung von Grund und Gestalt und deren Zuordnung. Die Zuordnung von Grund und Gestalt in der Kirchenstudie nimmt die Betonung der ersten (qualitativen) Lesart der Methode der Leuenberger Konkordie auf. 122 Neumann, Burkhard, Leuenberg als ökumenisches Modell?, 189, Herv. v. J.G. 123 Ebd. Der Vorwurf wurde ebenfalls in Zusammenhang mit der ersten dargestellten Auslegungsvariante der Leuenberger Konkordie geäußert. 124 Neumann, Burkhard, Kirchengemeinschaft aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche, 45. 125 Kühn, Ulrich, Strukturen kirchlicher Einheit, 260. 126 Neumann, Burkhard, Leuenberg als ökumenisches Modell?, 189. Vgl. auch ders., Kirchengemeinschaft aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche, 44f.
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ist, sei jedoch für die sichtbare Kirche nicht möglich.127 Diese Auffassung spiegelt sich in jener erkenntnistheoretischen Einsicht wider, die in der katholischen Theologie zur Überzeugung von der sakramentalen Dimension der Kirche führt, „dass die Kirche gerade in radikaler Abhängigkeit und Unterscheidung von Jesus Christus zugleich in ihren Grundvollzügen […] ‚Zeichen und Werkzeug‘ des Heils ist“128. Gerade die Verbundenheit mit Christus und sein Heilswirken „in, mit und unter“129 der Kirche, so die Kritik an der Interpretation der Kirchenstudie durch Herms, würden aber durch die Betonung der Unterscheidung zwischen dem Handeln Gottes in Christus und dem Handeln des Menschen im kirchlichen Amt nicht deutlich genug bewahrt werden.130 Vielmehr werde das Heil in der Interpretation durch Herms in die unverfügbare Glaubensgewissheit des religiösen Subjektes verschoben und die Kirche verliere ihre Funktion als Heilsvermittlerin.131 Es komme also zu einer „ekklesiologischen Abwertung der institutionellen Momente der Kirche“, da diese nunmehr lediglich „Hinweise auf das im Gewissen stattfindende Heil sind“132. Somit werde aber der Versuch unternommen, so bemerkt Kühn, „die Kirche aus dem kirchengründenden Geschehen von Wort und Sakrament sozusagen herauszuhalten“133. Neben dieser von erkenntnistheoretischen Einsichten ausgehenden Kritik wird zweitens Kritik an der Interpretation der zentralen Formulierung „gemeinsames Verständnis des Evangeliums“ aus der Konkordie geübt. So kritisiert Theodor Dieter, Eilert Herms identifiziere die in der Konkordie zum Tragen kommende Wendung „gemeinsames Verständnis des Evangeliums“, die dort zur Interpretation der satis est Aussage von CA VII dient, nicht als Bezeichnung kirchlicher Lehre. Vielmehr würde in der von Herms ausgehenden Lesart mit dieser Wendung, dem für die Kirchengemeinschaft zentralen Konsens in der Konkordie, der „Gegenstand von Lehre“ bezeichnet.134 Unter der Formel „ge127 Vgl. Neumann, Burkhard, Kirchengemeinschaft aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche, 45. Zur Problematik einer fehlenden Differenzierung zwischen sichtbarer und verborgener Kirche vgl. Kap. C 1.2.2 der vorliegenden Untersuchung. 128 Neumann, Burkhard, Leuenberg als ökumenisches Modell?, 189 mit Verweis auf die Dogmatische Konstitution über die Kirche, (Konzilstexte, deutsch 1), Trier 1966, Nr. 1 (im Folgenden zitiert als Lumen Gentium [= LG] mit darauffolgender Angabe der Nr.). 129 Neumann, Burkhard, Kirchengemeinschaft aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche, 45 mit Bezug auf Kasper, Walter, Communio, 162. 130 Vgl. Neumann, Burkhard, Kirchengemeinschaft aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche, 45. 131 So die Interpretation von Ulrich Kühn, Traktat IX: Ekklesiologie. A) Die Geschichte der Kirche, 460. 132 Ebd. 133 Kühn, Ulrich, Strukturen kirchlicher Einheit, 260, Anm. 36. 134 Vgl. Dieter, Theodor, Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, 151. Vgl. hierzu Herms, Eilert, Lehrkonsens und Kirchengemeinschaft, 260f.
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meinsames Verständnis des Evangeliums“ versteht Herms „Gottes eigenes Offenbarungshandeln“135. Einer solchen Lesart sei jedoch, so Dieter, bereits aufgrund des Textbefundes in der Konkordie zu widersprechen, demzufolge der Begriff „Verständnis“ auf Ebene der Lehre zu lokalisieren sei.136 Auch bedeute diese Auslegung des Konzeptes der Konkordie durch Herms, wie sie durch dessen maßgeblichen Einfluss auch von der Kirchenstudie aufgenommen wird, eine „Fundamentalkritik an der Konsensökumene“137 und trage nicht zur Lösung des ökumenischen Problems bei. Drittens sei, so Gottfried Hoffmann, der Wortlaut in CA VII so zu interpretieren, dass „doctrina evangelii“ als Lehre verstanden werde, die der Schrift direkt entnommen sei und folglich „doctrina divina“ zu nennen sei. Diese „doctrina divina“ stehe den von den Menschen eingerichteten Zeremonien gegenüber.138 Die strikte Unterscheidung zwischen dem selbstoffenbarenden Handeln Gottes und dem Zeugnishandeln des Menschen in der Lehre, wie sie von der Kirchenstudie nahegelegt werde, werde diesem Verständnis von CA VII also nicht gerecht.139 Vielmehr führe die von Herms nahegelegte Zuordnung der Lehre zu den fehlbaren Kirchenordnungen zu dem Problem, dass es eine reine Verkündigung, wie sie für die Einheit der Kirche nach CA VII gefordert wird und deren Lehrgehalt der Schrift entspricht, per definitionem nicht geben könne, so Hoffmann.140
135 Herms, Eilert, Konsensustexte und konfessionelle Identität, 172. 136 Vgl. LK 8: „Sein [sc. des Evangeliums] rechtes Verständnis haben die reformatorischen Väter in der Lehre von der Rechtfertigung zum Ausdruck gebracht“. Das gemeinsame Verständnis des Evangeliums wird in der Konkordie als Grundlage für die Erklärung von Kirchengemeinschaft erachtet (vgl. LK 6). Zum ausführlichen Textbefund vgl. Dieter, Theodor, Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, 151. 137 Dieter, Theodor, Was ist und zu welchem Ende betreibt man Konsensökumene?, 6. 138 Vgl. Hoffmann, Gottfried, Lutherische Identität und Leuenberger Konkordie?, 73. 139 Gegen die mit der Unterscheidung von opus Dei und opus hominum implizierte Interpretation des Augsburger Bekenntnisses und die damit zusammenhängende Zuordnung des Amtsverständnisses zur legitim verschiedenen Gestalt argumentieren Neumann, Burkhard, Kirchengemeinschaft aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche, 44; Kühn, Ulrich, Traktat IX: Ekklesiologie. A) Die Geschichte der Kirche, 453f. Zur Diskussion um das Verständnis der Apostolizität vgl. ferner die Sammelbände Schneider, Theodor/Wenz, Gunther (Hg.), Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge, Bd. 1 (Grundlagen und Grundfragen), (DiKi 12), Freiburg (Brsg.)/Göttingen 2004; Sattler, Dorothea/Wenz, Gunther (Hg.), Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge, Bd. 2 (Ursprünge und Wandlungen), (DiKi 13), Freiburg (Brsg.)/Göttingen 2006, Sattler, Dorothea/Wenz, Gunther (Hg.), Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge, Bd. 3 (Verständigungen und Differenzen), (DiKi 14), Freiburg (Brsg.)/Göttingen 2008. 140 Vgl. Hoffmann, Gottfried, Lutherische Identität und Leuenberger Konkordie?, 74. Hoffmann geht hingegen von der Möglichkeit einer Überlagerung von Schrift und Lehre, von Gegenstand und Zeichen, aus. Die Interpretation des Bekenntnisses als norma normata ist dann so zu verstehen, dass das Bekenntnis als Norm der Schrift unter der Voraussetzung
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Wenn viertens, wie es die Lesart Hauschildts nahelegt, die Einigkeit im Glauben, nicht jedoch in der Lehre, den Grund von Kirchengemeinschaft bilde, so stelle sich die Frage nach dem Inhalt einer solchen Einigkeit. Die bloße Überzeugung, dass die Selbstvergegenwärtigung Gottes Grund der Kirche ist, sei insbesondere mit Blick auf die lutherische Terminologie unzureichend: „Einigkeit im Glauben [heißt] nicht nur, dass man gemeinsam glaubt, sondern auch, dass man in dem einig ist, woran man glaubt – Fides qua und fides quae creditur sind eine Einheit“141. Der Inhalt des Glaubens wiederum werde von der Schrift vorgegeben und könne nicht „auf die bloße Selbstvergegenwärtigung Gottes eingeengt werden“142. Zudem ergebe sich im Falle einer bloßen Aussage der Selbstunterscheidung der Lehre von ihrem Gegenstand die logische Schwierigkeit der Feststellung des Konsenses: „Dass sich […] zwei Lehren von demselben Gegenstand unterscheiden und so auf ihn beziehen, kann nur in der Übereinstimmung der Inhalte dieser Lehren erkannt werden“143. Die beschriebenen Defizite der Interpretation haben Auswirkung auf das Verständnis von Kirchengemeinschaft. So kritisiert Dieter, die Glaubensgemeinschaft, die Gemeinschaft in der Kirche und die Gemeinschaft der Kirchen untereinander würden bei Herms undifferenziert auf einer Ebene lokalisiert.144 Für alle drei Dimensionen der Gemeinschaft ergebe sich nach dieser Lesart ein einziger Grund, nämlich das sich selbst vergegenwärtigende Offenbarungshandeln Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist.145 Während dieser Grund für die Glaubensgemeinschaft zutreffend sei, könne er jedoch nicht für die Kirchengemeinschaft gelten, in der Kirchen unterschiedlichen Bekenntnisstandes sich gegenseitig als wahre Kirche anerkennen, so Dieter.146 So reiche für die gegenseitige Anerkennung eine bloße Aussage darüber, dass Lehre sich von
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entnommen ist, „dass es wirklich möglich ist, etwas aus der Heiligen Schrift zu entnehmen, die Schrift zu verstehen“ (a. a. O., 75). A. a. O., 73, Herv i. O. Ebd. Dieter, Theodor, Was ist und zu welchem Ende betreibt man Konsensökumene?, 11; Herv. i. O. Vgl. ders., Kirchengemeinschaft – Eine klärungsbedürftige ökumenische Konzeption, 286f. Vgl. Dieter, Theodor, Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, 152. Vgl. hierzu Herms, Eilert, Lehrkonsens und Kirchengemeinschaft, 260f. Vgl. Herms, Eilert, Lehrkonsens und Kirchengemeinschaft, 260f. Zum Problem der gegenseitigen Anerkennung und ihren Voraussetzungen vgl. Dieter, Theodor, Was ist und zu welchem Ende betreibt man Konsensökumene?, 11–14. Den Annahmen Dieters ist jedoch zu entgegnen, dass der Begriff der Anerkennung im Wortlaut der Konkordie gar nicht vorkommt. Friedrich konstatiert, dies habe seinen Grund in der Erkenntnis, „dass eine partikulare Kirche nicht aus eigener Autonomie Aussagen über andere Kirchen treffen sollte, sondern sie nur feststellen kann, gemeinsam mit anderen an der einen Kirche zu partizipieren“ (Friedrich, Martin, Kirchengemeinschaft auf Grundlage der Leuenberger Konkordie, 20, Herv. i. O.).
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ihrem Gegenstand unterscheide, nicht aus: „Es kommt vielmehr darauf an zu zeigen, dass sie [sc. die Lehre] ihrem Gegenstand entspricht“147. Dies wiederum könne jedoch nur anhand des Konsenses zwischen den Inhalten der Lehren erkannt werden.148 In der Konkordie lasse sich diese Notwendigkeit an der expliziten Formulierung eines Lehrkonsenses erkennen, die mit Bezug auf die früheren Lehrverurteilungen zu der Feststellung führe, dass die Verwerfungen den gegenwärtigen Stand der Lehre der zustimmenden Kirchen nicht betreffen.149 1.2.1.2 Das opus Dei und das opus hominum im Verhältnis der Unterscheidung und Identität Wolfgang Thönissen macht darauf aufmerksam, dass der Wortlaut der Kirchenstudie auch eine zweite Interpretation ermögliche, wenngleich davon auszugehen sei, dass eine solche Lesart nicht von der Kirchenstudie intendiert war:150 Ist der Auftrag der Bezeugung des Evangeliums aber dergestalt in das Handeln Gottes einbezogen, dass es darin als Zeichen und Werkzeug dienen kann […], würde bestätigt, was die Einleitung der Studie [sc. Leuenberger Kirchenstudie] als Anspruch ausgibt, nämlich eine der Kirchenkonstitution ‚Lumen gentium‘ vergleichbare Verständigung über das Wesen der Kirche zu bieten. Denn auch dort wird herausgestellt, dass die Kirche das Evangelium Jesu Christi zu verkündigen hat. Deshalb und aus keinem anderen Grund ist sie Instrument und Zeichen, das heißt gleichsam Sakrament für die Gemeinschaft Gottes mit den Menschen.151
Thönissen deutet somit die vor allem in der römisch-katholischen Kirche verbreitete Auffassung an, die von der Einbeziehung menschlichen Handelns als Instrument und Zeichen in das Handeln Gottes ausgeht.152 Hierbei wird also 147 Dieter, Theodor, Was ist und zu welchem Ende betreibt man Konsensökumene?, 10. 148 Vgl. a. a. O. 11, Herv. v. J.G. 149 Vgl. Dieter, Theodor, Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, 153. Ausgehend von dieser Lesart lassen sich, so Dieter, sowohl die Methode der LK als auch die Methode der GER als „differenzierter Konsens“ bezeichnen. Zu einem abweichenden Urteil gelangt der finnische Lutheraner Simo Peura. Vgl. Peura, Simo, Leuenberg und die ökumenische Methode der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre. 150 Die von Thönissen angemerkte Interpretationsmöglichkeit wird vom Text der Kirchenstudie nicht ausdrücklich negiert und auch bereits das Referat von Kretschmar im Vorfeld der Studie machte auf gewisse Schwierigkeiten aufmerksam, die mit der durch Herms geprägten Interpretationslinie verbunden sind. 151 Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 10f, Herv. v. J.G. Vgl. hierzu LG 1. 152 Dass diese Auffassung nicht exklusiv römisch-katholisch ist, zeigen u. a. die Ausführungen des lutherischen Theologen Theodor Dieter. So weist Dieter darauf hin, dass die Annahme einer „vollständige Disjunktion von opus Dei und opus hominum – tertium non datur –“ den Sachverhalt zu vereinfacht bestimme. Vielmehr denke auch Luther eine „Wirkeinheit
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nicht nur zwischen Grund und Gestalt bzw. dem Handeln des Menschen und dem Handeln Gottes unterschieden. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass es zusätzlich auch einen Bereich der Identität im Sinne einer Überschneidung oder eines Zusammenfallens gibt, in dem das Handeln des Menschen derart durch das Handeln Gottes in Anspruch genommen wird, dass eine Unterscheidung nicht nur nicht mehr möglich ist, sondern auch nicht angemessen ist.153 Die sichtbare Versammlung der Gläubigen und ihre geistliche Gemeinschaft, die das Werk Gottes sind, bilden nach römisch-katholischem Verständnis eine „komplexe Wirklichkeit“.154 Ausgehend vom römisch-katholischen Verständnis und der erkenntnistheoretischen Kritik macht Burkhard Neumann den Vorschlag einer Differenzierung in Bezug auf die Zuordnung zwischen Grund und Gestalt: Es muss deshalb zwischen dem bleibenden Grund und der variablen Gestalt der Kirche eine Zwischenkategorie eingefügt werden, nämlich die der Grundvollzüge […] der Kirche, in der sich Christus als Herr der Kirche in der Kraft seines Geistes verbindlich
beider [sc. des göttlichen und des menschlichen Tuns], in der das alleinige Subjektsein Gottes nicht exklusiv, sondern inklusiv (das Tun des Verkündigers einschließend) gedacht wird“ (Dieter, Theodor, Was ist und zu welchem Ende betreibt man Konsensökumene?, 4, Herv. i. O.). Dieter rekurriert hierbei auf WA TR 3, 671, 10–12 (Nr. 3868). Er verweist darüber hinaus auf Luthers Disputation „Pro veritate inquirenda et timoratis conscientiis consolandis“ von 1518 (WA 1, 629–633; 631, 9–14) und mahnt eine nähere Beschäftigung mit der Logik des zu den Synkategoremata, also zu Wörtern und Zeichen, die nur in Verbindung mit anderen Wörtern Sinn ergeben, gehörenden „solus“ bei Luther an. (Dieter, Theodor, Was ist und zu welchem Ende betreibt man Konsensökumene?, 4f, Anm 17; vgl. ders., Kirchengemeinschaft – Eine klärungsbedürftige ökumenische Konzeption, 285f). 153 Von einer Wirkeinheit von göttlichem und menschlichem Tun bei bleibender Unterscheidung beider spricht auch Theodor Dieter. Diese Wirkeinheit sei nach Luther so zu verstehen, dass „das alleinige Subjektsein Gottes nicht exklusiv, sondern inklusiv (das Tun des Verkündigers einschließend) gedacht wird“ (Dieter, Theodor, Was ist und zu welchem Ende betreibt man Konsensökumene?, 4, Herv. i. O.). 154 Vgl. LG 8 über das Mysterium Kirche als „Spannungseinheit von sichtbarer und verborgener Kirche“ (Thönissen, Wolfgang, Einheitsverständnis und Einheitsmodell nach katholischer Lehre, in: ders./Hintzen, Georg, Kirchengemeinschaft möglich?, 73–125; 98. Das Mysterium Kirche als eine komplexe Wirklichkeit wird so verstanden: „Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird“ (LG 8). Vgl. ferner Thönissen, Wolfgang, Kirchengemeinschaft als ökumenisches Einheitsmodell?, 168–170; Lüning, Peter, Das ekklesiologische Problem des „Subsistit in“ (LG 8) im heutigen ökumenischen Gespräch, in: Cath(M) 52 (1998), 1–23. Lüning lehnt eine exklusive Deutung des „subsistit“ ab. Vgl. auch Löser, Werner, Die Leuenberger Kirchenstudie aus katholischer Sicht, 272f. Vgl. hierzu ferner die orthodoxe Perspektive, die von einer Identität der geglaubten und sichtbaren Kirche ausgeht, da Kirche sonst „zu einer transkonfessionellen Realität“ werde und die Frage provoziere, wo und worin sie bestehe (Hüffmeier, Wilhelm/ Ionita, Viorel, Bericht über die „Konsultation zur Frage der Ekklesiologie“ der Konferenz Europäischer Kirchen und der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 143).
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vergegenwärtigt, eine Kategorie, die darum zugleich für die bleibende Identität der Kirche durch die Geschichte wie auch für ihre gegenwärtige Einheit steht.155
Mit Blick auf die zweite Lesart der Konkordie würde mit dem Konsens über das satis est eine für die Kirchengemeinschaft konstitutive Lehre bzw. ein den unterschiedlichen Bekenntnissen gemeinsamer Lehrinhalt in Gestalt neuer Lehre zum Ausdruck gebracht werden. Das „gemeinsame Verständnis des Evangeliums“, wie es in der Konkordie als Grundlage für die Kirchengemeinschaft beschrieben wird, wäre dann, dem Vorschlag von Neumann folgend, als gemeinsame Lehrformulierung zu verstehen, die sich als Instrument Gottes bewährt. Die in diesem Sinne vorgenommene Zuordnung von Grund und Gestalt lässt einen Vergleich mit der römisch-katholischen Auffassung erwarten. Beide Interpretationen der Zuordnung von Grund und Gestalt werden laut Thönissen durch den Zusatz in der Kirchenstudie nahegelegt, dass Kirche ihrer Bestimmung gerecht wird „als Zeugin des Evangeliums in der Welt Instrument Gottes zur Verwirklichung seines universalen Heilswillens zu sein, […] indem sie in Christus bleibt, dem unfehlbaren einzigen Instrument des Heils“156. Thönissen resümiert, dass die Interpretation der Kirchenstudie, wie sie auch durch die jüngeren Dokumente der EKD und der VELKD geschieht (und von der Interpretation durch Herms nahegelegt wird), zwar die Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt der Kirche betone, die Zuordnung beider jedoch theologisch ungeklärt bliebe.157 Eine „Klärung der Frage nach der Instrumentalität der Kirche im Heilswerk Christi“158 sei von daher, insbesondere mit Blick auf den ökumenischen Dialog, geboten.
1.2.2 Das Einheitsverständnis – sichtbare Einheit als bleibende Verschiedenheit? Das Ringen um die Einheit oder Gemeinschaft ist entscheidend mitbestimmt durch das Verständnis von Kirche und kirchlicher Einheit, das die Christen und Kirchen aus ihrer jeweiligen Tradition mitbringen. Die traditionsbestimmten Unterschiede im Kirchenverständnis wirken sich unmittelbar auf die Bestimmung des ökumenischen Ziels aus.159
155 Neumann, Burkhard, Kirchengemeinschaft aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche, 45, Herv. i. O. 156 KJC, I.3.2, 49. Vgl. Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 10. 157 Vgl. hierzu das Postulat eines „Präzisierungsdefizits“ von Kurt Koch in Anlehnung an Gunther Wenz: Koch, Kurt, Dass alle eins seien, 59. 158 Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 11. 159 Meyer, Harding, Ökumenische Zielvorstellungen, 12. Vgl. hierzu auch Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft, 284–288. Kasper machte bereits 1987 darauf aufmerksam, dass die Ergebnisse ökumenischer Gespräche nur dann ökumenisch produktiv
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Ein weiterer Kritikpunkt, der mit der Frage nach dem Verhältnis von Grund und Gestalt verbunden ist, betrifft das Einheitsverständnis der Kirchenstudie.160 So betont die Studie den Auftrag und die Bestimmung der Kirchen, von der geglaubten Einheit sichtbar Zeugnis zu geben.161 Eine solche sichtbare Einheit wird von der Kirchenstudie jedoch nicht im Sinne einer äußeren Einheit institutioneller Gegebenheiten verstanden. So heißt es in der Studie ausdrücklich, dass dieses Zeugnis von der Einheit „in der Verschiedenheit ihrer [sc. der Kirchen] geschichtlichen Gestalten“162 gegeben wird. Als einziges Kriterium für die Legitimität der Vielfalt wird das gemeinsame Evangeliumsverständnis genannt, das zugleich Voraussetzung für die „Kirchengemeinschaft als Gemeinschaft an Wort und Sakrament“163 sei. Dieses Einheitsverständnis der Kirchenstudie wird von der Kirchengemeinschaft selbst mit dem ökumenischen Begriff der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ identifiziert.164 Sichtbare Einheit der Kirche wird durch die Kirchenstudie folglich vorwiegend als eine durch „Inhalte“, „vor allem durch die Rechtfertigungslehre, Wort und Sakrament“165, bestimmte Einheit gedeutet.166 Aufgrund eines somit evozierten Widerspruchs zwischen Sichtbarkeit, also Äußerlichkeit, einerseits und Verborgenheit bzw. Inhaltlichkeit andererseits verwundert es kaum, dass der Begriff der „sichtbaren Einheit“ weder von der Leuenberger Konkordie noch von der Kirchenstudie als ökumenische Zielbestimmung wörtlich verwendet wird.167 Beide Dokumente definieren anstelle
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seien, wenn klar sei, „was Kirche ist und was folglich Kirchengemeinschaft und Einheit der Kirche meinen“ (Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft, 286). Vgl. Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 12f. Vgl. KJC, I.2.3, 37. Ebd. KJC, III.1.4, 71. Vgl. ebd. Saarinen, Risto, Sichtbare Einheit und Extrinsezismus, in: Jolkkonen, Jari u. a. (Hg.), Unitas visibilis, Helsinki 2004, 221–229; 224. Vgl. zum Zusammenhang von geglaubter Einheit und sichtbarer Einheit Ingolf U. Dalferth: „Nicht nur ihre Einheit, auch die Sichtbarmachung dieser Einheit ist also Gotteswerk. […] Es ist die Pointe eines evangelischen Verständnisses sichtbarer Einheit, dass die Konstitution der Einheit und das Sichtbarwerden dieser Einheit nicht zwei verschiedene Vorgänge mit Gott und den Glaubenden als verschiedenen Subjekten, sondern ein und derselbe Vorgang sind: Die Einheit der Kirche ist nur dadurch wahrnehmbar, dass wahrgenommen wird, was die eine Kirche konstituiert. […] Die notae unitatis ecclesiae sind keine anderen als die notae ecclesiae, und diese sind nur Kennzeichen der Kirche, weil und insofern sie die Vollzüge sind, anhand derer die Kirche konstituiert wird: die reine Verkündigung des Evangeliums und die evangeliumsgemässe Verwaltung der Sakramente (CA 7)“ (Dalferth, Ingolf U., Sichtbare Einheit und sichtbare Gemeinschaft, in: ders./Oppenheim, Paul [Hg.], Einheit bezeugen – Zehn Jahre nach der Meissener Erklärung. Beiträge zu den theologischen Konferenzen von Springe und Cheltenham zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Kirche von England, Frankfurt a.M. 2003, 327–334; 332, Herv. i. O.). Der Begriff der „sichtbaren Einheit“ wurde bereits von der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung in Edinburgh 1937 erwähnt, allerdings damals noch ohne terminologi-
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dessen als Ziel die „ökumenische Gemeinschaft aller christlichen Kirchen“168. Die ökumenische Gemeinschaft findet ihren Ausdruck in der gegenseitigen Gewährung von Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft sowie im fortwährenden Streben nach einer möglichst großen Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst. Das Einheitsverständnis, wie es mit der Kirchenstudie zum Ausdruck kommt, definiert sich folglich offenbar nicht durch die Einheit von Lehraussagen oder Organisation, sondern lediglich durch das Sichtbarwerden des konstitutiven Grundgeschehens von Kirche in der Möglichkeit gemeinsamer Gottesdienstfeier.169 Die römisch-katholische Kirche teilt diese Interpretation der sichtbaren Einheit als Ziel der ökumenischen Bewegung nicht. Der zentrale Kritikpunkt aus römisch-katholischer Perspektive ist die strenge Unterscheidung von Grund und Gestalt der Kirche, die im evangelischen Verständnis von Einheit zum Ausdruck kommt. Die römisch-katholische Kritik setzt dabei bei der Frage an, ob „man im Grund des Verständnisses von Kirche einig sein [kann], ohne es in der sichtbaren
sche Festlegung. Später wurde in der Neu-Delhi-Einheitsformel von 1961 von der „Sichtbarmachung der Einheit“ gesprochen. Die sichtbare Einheit als Ziel der Ökumene wurde schließlich 1975 auf der Vollversammlung in Nairobi als Ziel der Ökumene beschrieben. Eine eindeutige Definition erfuhr der Begriff jedoch offenbar nicht. Saarinen konstatiert, das Wort sei „eher ein strategischer Begriff, der der Legitimation der konkreten ökumenischen Arbeit dient“, wenngleich das Zweite Vatikanische Konzil diese Legitimation ekklesiologisch festlegte. (Saarinen, Risto, Sichtbare Einheit und Extrinsezismus, 223; vgl. UR 1). Sichtbarkeit sei demnach „zuerst ein funktionaler Legitimationsbegriff, später und sekundär auch eine ekklesiologische Bestimmung“ (a. a. O., 223f) gewesen. Während der Begriff im Rahmen der Leuenberger Einigungsbemühungen von den evangelischen Kirchen gemieden wurde, wurde die äquivoke Wendung der „sichtbaren Einheit“ innerhalb des ÖRK von allen evangelischen Kirchen rezipiert. In anglikanischen bilateralen Verträgen, wie bspw. im Meissen-Vertrag zwischen der Kirche von England und der EKD, dessen Untertitel „Auf dem Weg zu sichtbarer Einheit“ lautet, und auch im Porvoo-Vertrag, wird die sichtbare Einheit betont, deren Zeichen das historische Episkopat sei (zur Meissener Gemeinsamen Feststellung vgl. DwÜ III, 732–748; zur Porvooer Gemeinsamen Feststellung vgl. DwÜ III, 749– 777). In anderen protestantischen Vereinbarungen wird der Ausdruck der sichtbaren Einheit hingegen vermieden. 168 LK 46; KJC, III.3.1, 74f. 169 Vgl. LK 29; 46f. Gänzlich möchte die Leuenberger Kirchengemeinschaft auf den Aspekt der Sichtbarkeit also nicht verzichten. Auch scheint sich das Bedürfnis der Kirchengemeinschaft nach anderen Formen der Sichtbarkeit im Laufe der Zeit zu verändern. So brachten die beteiligten Kirchen auf ihrer vierten Vollversammlung die Erwartung zum Ausdruck, „daß auch die Leuenberger Kirchengemeinschaft selber mehr als bisher sichtbare Gestalt gewinnt“ (Brief der Vollversammlung an die an der Leuenberger Konkordie beteiligten Kirchen, Wien, 10. Mai 1994, in: Wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst, 268, Herv. v. J.G.). André Birmelé konstatiert im Jahr 2004, dass die Frage der Sichtbarkeit der Einheit „eine der bleibenden Aufgaben [ist], welche man vor 30 Jahren nicht so deutlich sah und die die derzeitigen Grenzen dieser Kirchengemeinschaft [sc. Leuenberger Kirchengemeinschaft] zeigt“ (Birmelé, André, Sichtbare Einheit: eine bleibende Aufgabe, 42).
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Ordnung wirklich zu wollen“170. Die Lösung der orthodoxen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche hierzu findet sich in der Überführung von Aspekten der geglaubten Kirche in Elemente der verfassten Kirche. Kirche kann demnach als Heilsinstrument, als Sakrament, begriffen werden, mit welchem der geistige Graben zwischen der Einheit als Werk Gottes und dem Zeugnishandeln des Menschen durch die Überzeugung von der gleichzeitigen Instrumentalität des Handelns der Kirche im Heilswerk Jesu Christi überwunden werden soll.171 Einem solchen Verständnis von Kirche als Sakrament widerspricht freilich die reformatorische Auffassung von Kirche als der größten Sünderin, wie sie in der Kirchenstudie betont wird.172 Wird von der Überführung von Aspekten der geglaubten Kirche in Elemente der verfassten Kirche abgesehen, so das Resümee aus römisch-katholischer Perspektive, „führt die Unterscheidung von Grund und Gestalt zu einer Art platonischer Ordnung, welche die Einheit der Kirche als in Gottes Handeln Vorgegebenes letztlich nur als Idee versteht, der die Realität von lokal, regional, national oder konfessionell unterschiedenen Gemeinden und Kirchen zusammenhanglos gegenübersteht“173. Eine solche Folgerung werde jedoch, so Thönissen, durch die Interpretation der Leuenberger Methode durch die Kirchenstudie, die auch als „Asymmetrie“ zwischen dem Grund und der Gestalt der Kirche bezeichnet werden könne, letztlich nahegelegt.174 Wie bereits angedeutet, wird „sichtbare Einheit“ demnach auf konfessionell unterschiedliche Weise verstanden. Evangelischerseits werden, um eine mögliche Ekklesiozentrik abzuwehren, die „trans-historischen Glaubensgründe und die vor-lehrhaften, existentiellen Inhalte“175 betont, die ihren Ausdruck in der gemeinsamen Gottesdienstfeier finden, nicht jedoch in gemeinsamen Strukturen wie etwa einem einheitlichen Amt in der historischen Sukzession. Aus römischkatholischer Sicht wird die „Suche nach einer sichtbaren Einheit als Verhand170 Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 13. 171 Vgl. Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute, 474. Vgl. auch Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 13. Die evangelische Replik hierauf lautet wiederum, dass die „Überführungen von Aspekten der geglaubten Kirche in zentrale Elemente der verfassten Kirche, die auf diese Weise den Charakter eines Heilsinstrumentes bekommt“, dazu führe, „einzelnen Aspekten der sichtbaren Gestalt der Kirche einen die Kirche begründenden Charakter zuzuschreiben“ (Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute, 474. Vgl. auch LG 1: Zeichen und Werkzeug). In der Folge, so Weinrich, würden solche Aspekte der Gestalt zu exklusiven ekklesiologischen Identitätsmerkmalen. Eine solche heilswirksame Beanspruchung menschlichen Handelns wird von den evangelischen Kirchen jedoch klar abgelehnt. 172 Vgl. KJC, I.2.3, 37. 173 Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 13. 174 Die Wendung der Asymmetrie findet sich im Dokument der VELKD (Hg.), Ökumene nach evangelisch-lutherischem Verständnis, Ziff. 2.1. 175 Saarinen, Risto, Sichtbare Einheit und Extrinsezismus, 225.
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lungsprozess“176 betont, wobei die Sichtbarkeit der Einheit gebunden ist an bestimmte gemeinsame Ordnungen. Die Kritik am Leuenberger Einheitsverständnis spiegelt sich auch in der Deutung des ökumenischen Begriffs der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ wider. So wird dessen Interpretation durch das evangelische Modell vorgeworfen, eine Bewahrung des status quo in Kauf zu nehmen.177 Auch aus evangelischer Perspektive wird dabei „die Gefahr des stillschweigenden Einverständnisses mit der Diskrepanz zwischen Grund und Gestalt bzw. zwischen der vom Bekenntnis annoncierten geglaubten Kirche und der von uns zu gestaltenden geschichtlichen Kirche“178 beobachtet. Eine solche Resignation angesichts der Diskrepanz zwischen der geglaubten Einheit der Kirche und der Vielfalt der verfassten Kirchen und die damit einhergehende Kapitulationsbereitschaft angesichts der „Schuldbeladenheit der sichtbaren Kirche“179 wäre Kritikern zufolge jedoch „vor allem das Eingeständnis einer Entwirklichung der geglaubten Kirche und damit des Grundes der Kirche überhaupt“180. Dass gerade die Frage der sichtbaren Gestalt der Leuenberger Kirchengemeinschaft zwar von Beginn an wahrgenommen wurde, jedoch bis heute eine bleibende Herausforderung für die Kirchengemeinschaft ist, lässt sich sowohl am Wortlaut der Konkordie als auch in der Kirchenstudie und am Wachstumsprozess der Leuenberger Kirchengemeinschaft erkennen. So wird in der Konkordie zwar – je nach Lesart – entweder zwischen einer Ebene der vorausgehenden Glaubensgewissheit einerseits und den darauf bezogenen Lehrgestalten und Kirchenordnungen andererseits oder zwischen einer „Ebene der theologischen Grunderkenntnisse“ und der Ebene der „Kirchenordnung“181 unterschieden. Eine klare Zuordnung der Ebenen findet jedoch nicht statt: „An diesem Punkt 176 Ebd. In den Bestrebungen der orthodoxen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche sieht Saarinen eine damit verbundene „ekklesiozentrische Ökumene“ gegeben, da bei ihnen „das Kirchenverständnis und die Amtslehre eine zentrale Rolle einnehmen“ (a. a. O., 226). Eine Gegenüberstellung des römisch-katholischen Verständnisses von Kirchengemeinschaft im Sinne einer sichtbaren und greifbaren Einheit einerseits und des evangelischen Verständnisses einer bleibenden Pluralität andererseits nimmt auch Burkhard Neumann vor (vgl. Neumann, Burkhard, Kirchengemeinschaft aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche, 38). 177 Vgl. Koch, Kurt, Dass alle eins seien, 60f. Zur unterschiedlichen Interpretation der Konsensformel der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ vgl. Kap. C 2.1.2 der vorliegenden Untersuchung. 178 Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute, 474. 179 Ebd. Vgl. auch den Hinweis bei Beintker, Michael, Evangelische Katholizität, 100. 180 Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute, 474. 181 Birmelé, André, Sichtbare Einheit: eine bleibende Aufgabe, 49. Darüber hinaus stellt Birmelé fest, dass in den Ausführungen der Konkordie zu den „organisatorischen Folgerungen“ nicht zwischen Kirchenordnungen und kirchlicher Organisation, also zwischen Verfassungen und Verwaltung unterschieden wird. (Vgl. a. a. O., 50f).
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Kritik am evangelischen Modell von Kirchengemeinschaft
schweigt die LK. Sie weiß wohl um die Notwendigkeit von Zuordnungen, wie es LK 43 belegt, sie tut jedoch keinen zusätzlichen Schritt“182. Die Kirchenstudie gesteht in Bezug auf die in diesem Zusammenhang stehenden Bemühungen um Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst ein: Die Vollversammlungen der Unterzeichnerkirchen haben die Wichtigkeit dieses Auftrags immer wieder betont, doch ist es bisher weitgehend nicht gelungen, diese Aufgabe in die Tat umzusetzen. Das könnte seinen Grund u. a. in einer gewissen strukturellen Schwäche der Leuenberger Gemeinschaft haben.183
Das Leuenberger Modell nimmt also die Unterscheidung zwischen dem Grund und der Gestalt von Kirche vor, es versäumt jedoch, beide Aspekte einander klar zuzuordnen. Zudem wird durch den auf die theologische Erklärung von Kirchengemeinschaft gelegten Schwerpunkt der Aspekt der sichtbaren Gestalt von Einheit lediglich als zukünftige Aufgabe der Verwirklichung von Kirchengemeinschaft vermerkt. Birmelé resümiert, dass die erkennbare Entwicklung sichtbarer Strukturen der Leuenberger Kirchengemeinschaft im Laufe ihres Verwirklichungsprozesses zu würdigen sei. Diese Entwicklung könne jedoch „nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass der Leuenberger Kirchengemeinschaft ein Defizit anhaftet, welches bereits im Ansatz der LK selbst gegeben ist. Es besteht die Gefahr einer rein spiritualistischen Einheit“184.
1.2.3 Die Zuordnung des Amtes zum Grund oder zur Gestalt Die ekklesiologisch bedeutsame Frage nach dem Amtsverständnis ist eine der zentralen Themen des ökumenischen Dialogs.185 Dabei wird die Stellung und Bedeutung des kirchlichen Amtes von unterschiedlicher konfessioneller Per182 183 184 185
A. a. O., 50. KJC, III.2.3, 74. Birmelé, André, Sichtbare Einheit: eine bleibende Aufgabe, 50. Vgl. hierzu das Lehrgespräch der GEKE: Bünker, Michael/Friedrich, Martin (Hg.), Amt, Ordination, Episkopé und theologische Ausbildung. Vgl. ferner die Vielzahl an Aufsätzen, die sich diesem Thema im ökumenischen Diskurs widmen, u. a. Axt-Piscalar, Christine, Die apostolische Amtssukzession im ekklesiologischen Kontext der Apostolizität der Kirche. Systematisch-theologische Grundlinien in ökumenischer Perspektive, in: Sattler, Dorothea/Wenz, Gunther (Hg.), Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge, Bd. 3 (Verständigungen und Differenzen), Göttingen 2008, 40–52; Barth, Hans-Martin, Rechtfertigung und Amt, in: MdKI 53 (2002), 23–27; Böttigheimer, Christoph, Apostolische Amtssukzession in ökumenischer Perspektive. Zur Frage gegenseitiger Anerkennung der Ämter als Bedingung von Kirchengemeinschaft, in: Cath(M) 51 (1997), 300–314; ders., Ungelöste Amtsfrage? Seit nunmehr 30 Jahren ökumenische Gespräche um das geistliche Amt, in: KNA–ÖKI 45 (2003), 1–7; Dalferth, Ingolf U., Amt und Bischofsamt nach Meißen und Porvoo (I), in: MdKI 5 (1996), 91–96; Teil II in MdKI 6 (1996), 111–118; Frieling, Reinhard, Bischofsamt: „esse“ oder „bene esse“, in: MdKI 1 (2003), 7–11; ders., Amt. Laie –
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spektive aus kritisch hinterfragt.186 So wird aus römisch-katholischer Sicht darauf hingewiesen, dass in der Leuenberger Konkordie einerseits die gegenseitige Anerkennung der Ordination keine Voraussetzung für die Feststellung von Kirchengemeinschaft sei. Andererseits werde die gegenseitige Anerkennung jedoch „in die Erklärung von Kirchengemeinschaft als Folge ihrer Feststellung“187 einbezogen. Die gegenseitige Anerkennung der Ordination wird also von der Feststellung von Kirchengemeinschaft impliziert und ist Teil der Erklärung von Kirchengemeinschaft. Erst die Kirchenstudie äußert sich ausführlicher über das Amtsverständnis. Dabei wird das Amt im Dienst der Wortverkündigung und der Sakramentsverwaltung als ein von Christus eingesetztes Amt beschrieben.188 Als von Gott eingesetzt gehört es zum „Sein“ von Kirche. Aber die „unterschiedlichen Auffassungen im Verständnis des Amtes sowie die Vielfalt der Formen der
Pfarrer – Priester – Bischof – Papst, (BensH 99/Ökumenische Studienhefte 13), Göttingen 2002; Lehmann, Karl, Wer ist Kirche?, Plädoyer für ein erneuertes Laientum, in: Dickel, Frithard/Scholz, Horst (Hg.), Vernünftiger Gottesdienst. Kirche nach der Barmer Theologischen Erklärung, (FS Hans-Gernot Jung), Göttingen 1990, 164–177; Meyer, Harding, Behindern Amtsbegriff und Kirchenverständnis in der Confessio Augustana ihre Anerkennung durch die katholische Kirche?; Pirson, Dietrich, Von der Kirchenleitung, in: Dickel, Frithard/Scholz, Horst (Hg.), Vernünftiger Gottesdienst. Kirche nach der Barmer Theologischen Erklärung, (FS Hans-Gernot Jung), Göttingen 1990, 256–270; Rittner, Reinhard (Hg.), In Christus berufen. Amt und allgemeines Priestertum in lutherischer Perspektive, Hannover 2001; Sattler, Dorothea/Wenz, Gunther (Hg.), Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge; Schütte, Heinz, Amt, Ordination und Sukzession im Verständnis evangelischer und katholischer Exegeten und Dogmatiker der Gegenwart sowie in Dokumenten ökumenischer Gespräche, Düsseldorf 1974; Wendebourg, Dorothea, Das Eine Amt der Einen Kirche, in: Dalferth, Ingolf U./Oppenheim, Paul (Hg.), Einheit bezeugen – Zehn Jahre nach der Meissener Erklärung. Beiträge zu den theologischen Konferenzen von Springe und Cheltenham zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Kirche von England, Frankfurt a.M. 2003, 274–299; Wenz, Gunther, Ekklesiologie und Kirchenverfassung. Das Amtsverständnis von CA V in seiner heutigen Bedeutung, in: Rittner, Reinhard (Hg.), In Christus berufen. Amt und allgemeines Priestertum in lutherischer Perspektive, Hannover 2001, 80–113 u.v.m. 186 Es fällt auf, dass das Thema der Frauenordination in der Kirchenstudie nicht diskutiert wird, obwohl sich eine solche Erörterung mit der Aufnahme der Tampere-Thesen angeboten hätte und das Thema in der Leuenberger Kirchengemeinschaft kontrovers diskutiert wird. Bereits auf der Konferenz von Driebergen 1981 wurde die Auslassung der Frage in der Kirchengemeinschaft kritisiert. Vgl. Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Kirchengemeinschaft, 119. Mit lediglich zwei Sätzen äußern sich die Neuendettelsau-Thesen von 1982/86 zu dem Thema. Vgl. Birmelé, André (Hg.), Konkordie und Ökumene, 76, Abs. 5. Auch im weiteren ökumenischen Dialog ist das Thema der Frauenordination kaum präsent. Der ökumenische Diskurs widmet sich offenbar primär zunächst der Frage nach der ekklesiologischen Bedeutung des Amtes. 187 Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 15. 188 Vgl. KJC, I.2.5.1.1, 43 (= Tampere-Thesen, These 1). Die Tampere-Thesen werden in der Kirchenstudie zitiert.
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Ausgestaltung des Amtes […] betreffen nicht den Grund, sondern die Gestalt der Kirche“189. Es scheint also, als führe auch im Fall der Amtsfrage die strikte Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt zu interpretatorischen Problemen.190 Aus römisch-katholischer Perspektive wird hierzu angefragt, „wie […] sich Grund und Gestalt zueinander [verhalten]? Einzig und allein im Verhältnis fundamentaler Differenz, oder auch im Verhältnis von Identität und Differenz?“191. Dabei geht die römisch-katholische Perspektive davon aus, dass sich das biblische Apostelamt im kirchlichen Bischofsamt fortsetzt. Das Bischofsamt in der apostolischen Sukzession ist demnach eine institutio divina, über die Einigkeit gegeben sein muss, insofern es zu den konstitutiven Grundelementen der Kirche zählt.192 Nicht nur für den evangelisch-katholischen Dialog stellt die Frage des Bischofsamtes in apostolischer Sukzession einen bisher nicht überwundenen Dissens dar.193 Auch für die anglikanische Tradition, einige nordische lutherische Kirchen sowie die orthodoxen Kirchen bereitet die im Hintergrund der Amtsfrage stehende strenge Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt Probleme.194
189 Vgl. KJC, I.2.5.1.2, 45. Burkhard Neumann interpretiert die Ausführungen der Kirchenstudie dahingehend, dass das ordinierte Amt „nicht zum Grund, sondern zur Gestalt von Kirche gehört“ (Neumann, Burkhard, Leuenberg als ökumenisches Modell?, 186). Ausgehend von dieser Deutung erkennt er einen Konflikt mit den Ergebnissen des internationalen lutherisch-katholischen Dialogs, in dem das ordinierte Amt als konstitutiv für die Kirche bezeichnet werde (vgl. ebd. mit Verweis auf: Die Apostolizität der Kirche. Studiendokument der Lutherisch/Römisch-katholischen Kommission für die Einheit, in: DwÜ IV, 527–678; Nr. 273–277). 190 Burkhard Neumann bemerkt hierzu, dass die Bewertung des Amtes in der Konkordie mit einer spezifischen Interpretation von CA VII kohäriere. Diese sei die Voraussetzung für die Unterscheidung von Grund und Gestalt. Von daher ergäbe sich aber die Schwierigkeit der „rechten Einordnung der Frage nach dem Amt“ (Neumann, Burkhard, Leuenberg als ökumenisches Modell?, 189), sobald der reformatorische Kontext verlassen würde. Dies verdeutliche u. a. die katholische Ansicht, dass „eine bestimmte Form des Amtes in diesen Grundvollzügen [sc. die Grundvollzüge der Kirche] impliziert ist“ (ebd.). 191 Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 15, mit Verweis auf Mannermaa, Tuomo, Von Preußen nach Leuenberg, 164, Herv. v. J.G. Eine Identität von Grund und Gestalt ist im Konzept der Konkordie jedoch gerade nicht vorgesehen. Entsprechend betont Friedrich Hauschildt: „Die eigene Lehre gibt aber die Behauptung auf, mit dem Grund des Glaubens identisch zu sein und relativiert sich gegenüber dem Grund des Glaubens. Diese interne Selbstrelativierung und die Anerkennung des Grundes des Glaubens als eines Unverfügbaren ermöglicht Kirchengemeinschaft“ (Hauschildt, Friedrich, Lutherische Identität und Zustimmung zur Leuenberger Konkordie, 53). 192 Vgl. Löser, Werner, Die Leuenberger Kirchenstudie aus katholischer Sicht, 274. 193 Vgl. Kasper, Walter, Kirchengemeinschaft als ökumenischer Leitbegriff, 8. 194 Vgl. Davie, Martin, The Church of Jesus Christ, 72: „[Many Anglicans] would want to go on to say the way in which God uses human beings as His instruments means that the Church can legitimately be said to act whith authority on God’s behalf“. Kirche verkörpert demnach
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So wird hier „die volle Abendmahlsgemeinschaft mitsamt der Interzelebration an die Bischofsgemeinschaft und die Weihen und Ordinationen in der historischen apostolischen Sukzession des bischöflichen Amts geknüpft“195. Die sichtbare Ordnungsgestalt des Amtes hat folglich auch aus dieser Sicht eine für die sichtbare Einheit der Kirche, genauer, für die Apostolizität der Kirche maßgebliche Bedeutung, sodass die Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt mit Blick auf das Amt nicht tragfähig zu sein scheint. Dabei ist die Frage der episkopalen Nachfolge aus Sicht der anglikanischen Kirchen eine „verbleibende Differenz“, die auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft noch zu diskutieren sei.196 Im Gespräch mit den orthodoxen Kirchen hingegen ist die Frage der episkopalen Nachfolge eine Frage von fundamentaler Bedeutung zwischen Kirchen, die ein historisches Episkopat haben, und solchen, die keines haben.197 Für die Leuenberger Kirchengemeinschaft hingegen findet die Sichtbarkeit der Einheit der Kirche ihren angemessenen Ausdruck „in der durch die Konkordie ermöglichten Abendmahlsgemeinschaft, zu der durch die gegenseitige Anerkennung der Ämter auch die Interzelebration gehört“198. Die Kirchenstudie interpretiert
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das Versöhnungshandeln Gottes in Jesus Christus in ihrem eigenen Leben und Handeln. Vgl. ferner Hill, Christopher, Critical Questions from an Anglican Perspective, 67. Hüffmeier, Wilhelm, Erweiterung und Vertiefung, 15. Vgl. Meissener Gemeinsame Feststellung, Nr. VI.17.A(3): „Wir erkennen unsere ordinierten Ämter gegenseitig als von Gott gegeben und als Werkzeuge seiner Gnade an und freuen uns auf die Zeit, wenn sich unsere Kirchen in vollem Einklang befinden werden und damit die volle Austauschbarkeit der Geistlichen möglich sein wird“. Als nächster Schritt wird von den Kirchen daher u. a. vereinbart, „offizielle theologische Gespräche zwischen unseren Kirchen fortzusetzen, zur Rezeption der bereits erreichten theologischen Übereinstimmung und zur Annäherung zu ermutigen und an der Überwindung der zwischen uns noch bestehenden Unterschiede zu arbeiten“ (a. a. O., VI.17.B[3]). Die Unterzeichnerkirchen von Meissen gewähren sich zwar Interkommunion (Nr. VI.17.B[6]), im Unterschied zur Leuenberger Konkordie ist damit jedoch kein Ämtertausch verbunden (Nr. VI.17.A[3]). Die Porvooer Gemeinsame Feststellung von 1992 geht über Meissen hinaus, indem sie einen differenzierenden Konsens über das bischöfliche Amt formuliert. So betrachten die Anglikaner die historische Sukzession zwar als notwendiges Zeichen der Einheit der Kirche, sie allein garantiert jedoch nicht die Apostolizität der Kirche als Ganzes (vgl. Porvooer Gemeinsame Feststellung, Nr. 51). Vgl. auch: Erklärung des Exekutivausschusses der Leuenberger Kirchengemeinschaft anläßlich des 25. Jahrestages der Verabschiedung der Leuenberger Konkordie, Leuenberg – Meissen – Porvoo. Modelle kirchlicher Einheit aus der Sicht der Leuenberger Konkordie; vgl. ferner Schelhas, Johannes, Kirchengemeinschaft als ökumenisches Problem. Die Fortschreibung der Leuenberger Konkordie in interkonfessionellen Erklärungen, in: IKZ „Communio“ 41 (2012), 464–475. Vgl. Tsetsis, Georges, The Leuenberg, Meissen and Porvoo Agreements seen from an Orthodox perspective, 111. Hüffmeier, Wilhelm, Erweiterung und Vertiefung, 15. Vgl. hierzu auch die eine der drei Fragen der Leuenberger Kirchengemeinschaft an den Präfekten der Glaubenskongregation in einem Gespräch vom 8. Juni 1996: „Gehört zu den apostolischen Urdaten nicht auch der Widerspruch von Paulus gegen Petrus in Antiochia und die Einsicht, daß am Ausgang des apostolischen Zeitalters nicht eine Grundform von Kirche steht, sondern, wie Hans von
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hierzu die Eigenschaft der Apostolizität nicht im Sinne einer historischen Sukzession, sondern im Sinne der successio fidelium, die an keine bestimmte Gestalt des Amtes und dessen historischer Nachfolge gebunden ist.199
1.2.4 Die ökumenische Offenheit des Leuenberger Modells Die Leuenberger Konkordie betont in ihren abschließenden Ausführungen das Ziel der „ökumenischen Gemeinschaft aller christlichen Kirchen“.200 Bereits mit der Konkordie wird somit verdeutlicht, dass die evangelischen Kirchen die unter sich erklärte Kirchengemeinschaft und das hierzu wirksame ökumenische Modell der Konkordie im Dienst der weltweiten Ökumene verstehen. Auch die spätere Kirchenstudie unterstreicht, dass die Leuenberger Gemeinschaft „nicht ein ökumenischer Alleingang der an ihr beteiligten Kirchen Europas [ist]“,
Campenhausen betont hat, das Nebeneinander der ‚Vorformen des römisch-katholischen, des griechisch-orthodoxen und des lutherischen Amtsbegriff(s)‘ [Kampenhausen, Hans von, Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht in den ersten drei Jahrhunderten, Tübingen 2 1963, 130] in Rom, Syrien und Kleinasien? Könnten sich daraus Folgerungen für das Konzept der Einheit in Vielfalt und ein kollektives Papstamt geben?“ (Hüffmeier, Wilhelm, Erweiterung und Vertiefung, 17). Die Antwort Kardinal Ratzingers machte derweil deutlich, dass die römisch-katholische Kirche „die im lukanischen Doppelwerk angelegte frühkatholische Linie mit dem Vorrang des Petrus auch in der Heidenmission (Apg. 10; vgl. Apg. 2) für den roten Faden der Heiligen Schrift hält“ (ebd.) und Paulus somit eine lediglich nachgeordnete Bedeutung in dieser Linie zukommt. 199 Damit wird jedoch nicht die sichtbare Gestalt per se als verzichtbar bezeichnet. Es wird vielmehr unterschieden zwischen dem esse und dem bene esse: „Eine Ordnung, die das Leben, die Einheit und die Ausübung der Autorität im kirchlichen Leben regelt […], gehört nicht zum esse, sondern zum bene esse der Kirche. Sie ist also nicht in gleichem Maße notwendig wie das evangeliumsgemäß gefeierte Wort und Sakrament“ (Birmelé, André, Sichtbare Einheit: eine bleibende Aufgabe, 52). Dennoch ist sie unverzichtbar. Vgl. KJC, I.2.5.1.1, 43 (= Tampere-Thesen, These 1); vgl. auch Raem, Heinz-Albert, Leuenberg, Meissen und Porvoo aus römisch-katholischer Sicht, in: Hüffmeier, Wilhelm/Podmore, Colin (Hg.), Leuenberg, Meißen und Porvoo – Konsultation zwischen den Kirchen der Leuenberger Kirchengemeinschaft und den an der Meißener Erklärung und der PorvooErklärung beteiligten Kirchen, (LT 4), Frankfurt a.M. 1996, 107–109; 108. Axt-Piscalar verdeutlicht mit Bezug auf Stellungnahmen der EKD und der VELKD die Bedeutung des kirchlichen Amtes, indem sie das Amt als Dienstamt bezeichnet. Es sei „von seiner Dienstfunktion her zu verstehen im Blick auf den Auftrag der Kirche zur Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung, worin sich das wahre Kirchesein und mithin auch die Einheit der Kirche manifestiert“ (Axt-Piscalar, Christine, Das evangelische Verständnis von Kirche, Amt und Kirchengemeinschaft, in: Thönissen, Wolfgang [Hg.], Unitatis redintegratio. Paderborn/Frankfurt a.M. 2005, 245–260; 249, Herv. i. O.). Vgl. ferner dies., Die Leuenberger Konkordie aus lutherischer Sicht, in: Bünker, Michael/Jaeger, Bernd (Hg.), 1973–2013, 40 Jahre Leuenberger Konkordie, Wien 2014, 169–181; 170–173. 200 LK 46.
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sondern „der gesamten Ökumene auch über die europäischen Grenzen hinaus dienen [möchte]“201. Bereits an den vielseitigen Verflechtungen der beteiligten Kirchen in ökumenische Dialoge lässt sich erkennen, dass das Leuenberger Modell und dessen ökumenischer Ansatz auch über den innerevangelischen ökumenischen Dialog hinaus im weiteren ökumenischen Dialog rezipiert wird. Dabei wird der Leuenberger Konkordie eine große Bedeutung zugesprochen. So stieß der damalige Münchener Erzbischof Joseph Ratzinger das evangelisch-katholische StudienProjekt „Lehrverurteilungen – kirchentrennend“ mit den Worten an: „Der Weg [,] der in der Leuenberger Konkordie […] begonnen worden ist, müßte eine entsprechende Fortsetzung zwischen den reformatorischen Kirchen [sic!] und der römisch-katholischen Kirche finden“202. In der genannten evangelisch-katholischen Studie wird die Leuenberger Konkordie konsequenterweise als Initialzündung bezeichnet – wenn auch lediglich als eine methodische.203 Auf katholischer Seite blieb eine offizielle Rezeption der Studie zwar aus, die Methodik wurde jedoch maßgeblich für die spätere Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999.204 Angesichts des mit der Konkordie „verknüpften Anspruch[s], ein ökumenisch konsensfähiges Modell von Einheit zu enthalten“, wird aus römisch-katholischer Perspektive in der Leuenberger Konkordie zumindest „eine Herausforderung für die römisch-katholische Kirche“205 gesehen. Bei aller konstruktiven Berücksichtigung des Leuenberger Modells im ökumenischen Diskurs lassen sich jedoch auch kritische Fragen in Bezug auf dessen 201 KJC, III.3.1, 74. 202 Aus einem Brief, den Joseph Ratzinger zusammen mit Landesbischof Eduard Lohse im Juni 1981 verfasste, in: Lehmann, Karl/Pannenberg, Wolfhart, Lehrverurteilungen – kirchentrennend?, 178f; 179. 203 Vgl. die Einführung der Herausgeber zur Studie: Lehmann, Karl/Pannenberg, Wolfhart, Lehrverurteilungen – kirchentrennend?, 9–17; 14. Die vorhandenen Differenzen zwischen der Methode der Konkordie und der evangelisch-katholischen Studie wurden dennoch wahrgenommen (vgl. Lindfeld, Tim, Einheit in der Wahrheit. Konfessionelle Denkformen und die Suche nach ökumenischer Hermeneutik, Paderborn 2008, 169f). Für die Verhandlungen selbst attestiert Karl Lehmann dem Modell der Leuenberger Konkordie allerdings eine „erstaunlich geringe“ Bedeutung, auch „im Lauf der Verhandlungen [wurde sie] verhältnismäßig selten beim Namen genannt“ (Lehmann, Karl, Ist der „Schritt zurück“ ein ökumenischer Fortschritt? Die Aufarbeitung der gegenseitigen Lehrverurteilungen der Kirchen. Ertrag und künftige Perspektiven aus katholischer Sicht, in: Hauschild, WolfDieter u. a. [Hg.], Ein Schritt zur Einheit der Kirchen. Können die gegenseitigen Lehrverurteilungen aufgehoben werden?, Regensburg 1987, 127–147; 145). 204 Vgl. hierzu die begriffliche Analyse in Kap. C 2.2 der vorliegenden Untersuchung. 205 Thönissen, Wolfgang, Die Leuenberger Konkordie als ökumenisches Einheitsmodell?, 15. Diese Herausforderung wird umso deutlicher vor der Einsicht, dass „sowohl die im orthodox-katholischen Dialog erzielten Verständigungen wie das aus der Leuenberger Konkordie ersichtliche Verständnis von Kirchengemeinschaft von ihrer Intention her kompatibel sind“ (ebd.). Vgl. auch Neumann, Burkhard, Leuenberg als ökumenisches Modell?, 179.
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tatsächliche ökumenische Offenheit und Anschlussfähigkeit stellen. Aus römisch-katholischer Perspektive etwa wird darauf hingewiesen, dass mit der Konkordie ein Konzept von Kirchengemeinschaft lediglich derjenigen Kirchen entwickelt wurde, die einen gemeinsamen historischen und theologischen Ansatz haben.206 So beziehen sich die Ausführungen der Konkordie auf die innerreformatorischen Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts und haben konsequenterweise ihren methodischen Ausgangspunkt im Einheitsverständnis der Confessio Augustana, Artikel VII.207 Die Konkordie ist demnach, so die römischkatholische Folgerung, als ein Modell von Kirchengemeinschaft, nicht als „das allein maßgebende Modell von Kirchengemeinschaft“208 zu verstehen.
206 Vgl. Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 676: Zielrichtung der Konkordie sei die „Wiederherstellung der unter bestimmten Gegebenheiten zerbrochenen Gemeinschaft von Kirchen, die in ihrer Entstehung historisch und theologisch einen gemeinsamen Ansatz haben“. Burkhard Neumann sieht den konfessionell eingeschränkten Charakter der Konkordie durch deren Ausführungen in LK 1–5 und 46–49 erwiesen: „Von Anfang an hat sich die Leuenberger Konkordie als ein Modell von Kirchengemeinschaft verstanden, das nicht nur faktisch, sondern auch von der Sache her ein Modell auf reformatorischer Basis darstellt und so einen Beitrag zur Förderung der ökumenischen Bemühungen weltweit leisten will“ (Neumann, Burkhard, Modell Leuenberg? Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa [GEKE] – Leuenberger Kirchengemeinschaft, in: Cath[M] 62 [2008], 174–182; 179f, Herv. i. O.). Harding Meyer konstatiert, dass die Anwendung des Konzeptes „Kirchengemeinschaft“ auf andere Partner als reformatorische Kirchen unter der Voraussetzung möglich sei, „daß der Inhalt des erforderlichen Grundkonsenses sich erweitert und die zu entkräftenden Lehrverurteilungen andere sind“ (Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzeptes „Kirchengemeinschaft“, 229). 207 Vgl. Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 16. Vgl. auch Heimbucher, Martin, Bekenntnis und evangelische Freiheit. Die Leuenberger Konkordie aus Sicht der Union Evangelischer Kirchen in der EKD, in: Klän, Werner/da Silva, Gilberto (Hg.), Die Leuenberger Konkordie im innerlutherischen Streit. Internationale Perspektiven aus drei Konfessionen, (OUH Ergänzungsband 9), Göttingen 2012, 92–101; 99: Die Leuenberger Konkordie „ist im Kern eine theologisch begründete Feststellung der Kirchengemeinschaft nach den Kriterien von CA VII“. 208 Neumann, Burkhard, Modell Leuenberg?, 180. Bereits die Vielzahl der in Europa und Nordamerika entstandenen unterschiedlichen Formen von Kirchengemeinschaft unterstreicht diese Feststellung. Einige der Formen nehmen jedoch explizit Bezug auf die Leuenberger Konkordie oder würdigen deren Leistung. Im europäischen Kontext entstand 1988 die Meissener Gemeinsame Feststellung, 1992 die Porvooer Gemeinsame Feststellung, 1997 die Gemeinsame Erklärung zur Kirchengemeinschaft der Methodistischen Kirchen in Europa und der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 2001 die Gemeinsame Erklärung von Reuilly. In Nordamerika entstanden 1997 die „Formula of Agreement“, 1999/2000 die Erklärung „Called to Common Mission“ sowie 2001 die Waterloo-Erklärung „Zur vollen Gemeinschaft berufen“. Vgl. zu den Dokumenten DwÜ III, 732–834. Gegenstand eines Großteils der Erklärungen ist aufgrund der Beteiligung anglikanischer Kirchen die Frage nach dem „historischen Bischofsamt“. Dies ist nicht zuletzt einer der Gründe für das Interesse der römisch-katholischen Kirche an den Dialogen. Vgl. zu den Angaben: Neumann, Burkhard, Modell Leuenberg?, 180.
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Einerseits kann zwar im Vergleich mit anderen Konzepten von Kirchengemeinschaft festgestellt werden, dass mit dem in der Konkordie wirksamen, „den Umfang und die Gestalt von Kirchengemeinschaft generierende[n] Prinzip“209, also der von CA VII in der Lesart der Kirchenstudie geforderten Übereinstimmung, „letztlich derselbe auch mit der Koinonia/Communio-Vorstellung gesetzte Anspruch“210 deutlich wird: Von zentraler Bedeutung ist demnach „allein Jesus Christus in seinem Evangelium“211, der die Menschen zur Gemeinschaft der Glaubenden verbindet und in dieser Gemeinschaft erhält.212 Diese Verbindung zur Gemeinschaft geschieht der Konkordie zufolge durch die Gnadenmittel von Wort, Taufe und Abendmahlsfeier. In der Feier dieser Elemente geschieht die Einbindung der Gläubigen in das rechtfertigende Handeln Gottes. Diese Einbindung ist zugleich Eingliederung in die Kirche.213 Hier findet im Sinne der Konkordie die „lebendige Gegenwart des erhöhten Herrn in seiner Kirche“214 ihren ekklesiologischen Lebenszusammenhang: [Kirche ist demnach] nichts anderes, als die communio derer, die, weil sie an Christus teilhaben, nun auch aneinander teilhaben. Sie ist die communio derer, die in Wahrheit Wort und Sakrament feiern. Die Gnadenmittel, durch welche Gott den Menschen Seine rechtfertigende Gnade schenkt, sind die Mittel, welche die Kirche gründen und erhalten, und es sind auch diese Mittel, die die Einheit der Kirche ausmachen.215
Die Heilszusage und Heilswirklichkeit der Gegenwart Christi sind demnach „konstitutiver Grund und Inbegriff von Kirche“216. Diese Überzeugung ist letztlich der zentrale Gegenstand der ökumenischen Diskussion insgesamt: Notwendige und hinreichende Bedingung für die Kirchengemeinschaft ist „die unter verschiedenen theologischen Topoi debattierte Frage der Heilsgegenwart Jesu Christi in, unter und durch Strukturen menschlicher Gemeinschaft, die den Anspruch erheben, Zeichen und Werkzeug der lebendigen Gegenwart des erhöhten Herrn zu sein“217. Andererseits ist für den Dialog zwischen römisch-katholischer Kirche und der Leuenberger Kirchengemeinschaft vor diesem Hintergrund wesentlich, dass das 209 Thönissen, Wolfgang, Die Leuenberger Konkordie als ökumenisches Einheitsmodell?, 30. 210 Ebd. Vgl. ders., Ein Konzil für ein ökumenisches Zeitalter. Schlüsselthemen des Zweiten Vaticanums, Leizpig/Paderborn 2013, 169: „Die eine Kirche verwirklicht sich in den Teilkirchen ebenso, wie die Teilkirchen sich in der einen Kirche verwirklicht sehen. Nach der Lehre des II. Vaticanums schließt also die in Christus gegebene Einheit der Kirche eine Vielfalt von Orts- oder Teilkirchen nicht aus“. 211 Thönissen, Wolfgang, Die Leuenberger Konkordie als ökumenisches Einheitsmodell?, 30. 212 Vgl. hierzu u. a. LK 2. 213 Vgl. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft nach lutherischem Verständnis, 28, Herv. i.O. 214 Thönissen, Wolfgang, Die Leuenberger Konkordie als ökumenisches Einheitsmodell?, 30. 215 Birmelé, André, Kirchengemeinschaft nach lutherischem Verständnis, 28, Herv. i.O. 216 Thönissen, Wolfgang, Die Leuenberger Konkordie als ökumenisches Einheitsmodell?, 30. 217 A. a. O., 31. Hinter diesen Gegenstand tritt die viel diskutierte Amtsfrage zurück.
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im Modell der Leuenberger Konkordie von CA VII ausgehende zentrale Prinzip der Übereinstimmung im Verständnis des Evangeliums lediglich von der Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt getragen wird. So gibt die Interpretation von CA VII durch die Kirchenstudie nach Thönissen Grund zur Annahme, „die dort getroffene Unterscheidung zwischen dem ‚satis est‘ und dem ‚nec necesse est‘ sei so zu verstehen, dass sich das ‚nec necesse est‘ auf die ganze Ausdrucksgestalt der Kirche erstreckt“218. Der zur Einheit notwendige und ausreichende Konsens im Verständnis des Evangeliums lässt die Möglichkeit, dass sowohl in der Kirchenordnung sowie der liturgischen Form als auch in bestimmten Lehr- und Bekenntnisgegenständen legitime Unterschiede herrschen können. Kirche und Rechtfertigungsgeschehen, wie es vom Evangelium verkündigt wird, werden in der Kirchenstudie demnach nicht miteinander identifiziert, sondern voneinander unterschieden und einander zugeordnet. Wo wahre Feier von Wort und Sakrament ist, da ist nach diesem Verständnis Kirche. Ähnliches gilt für das Amt: Dieses ist laut Kirchenstudie nicht die Vorbedingung für die wahre Sakramentsfeier, sondern die wahre Feier ist das Zeichen dafür, dass das wahre Amt gegeben ist.219 In dieser Interpretation erweist sich das Konzept jedoch als spezifisch reformatorisches Modell, dem ein von der römisch-katholischen Überzeugung abweichendes Kirchenverständnis zugrunde liegt.220 Für den bilateralen Dialog bedeutet dies, dass die gegenseitige Anerkennung als wahre Kirche und die Erklärung von Kirchengemeinschaft an die Voraussetzung gebunden sind, dass nicht nur Konsens über das Verständnis des Evangeliums gefunden wird, sondern auch Konsens über die Unterscheidung zwischen Grund und Gestalt hinsichtlich der Übereinstimmung im Verständnis 218 Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 16. 219 Vgl. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft nach lutherischem Verständnis, 30. 220 Vgl. Kasper, Walter, Katholische Kirche. Wesen – Wirklichkeit – Sendung, Freiburg (Brsg.) u. a. 2011, 434: „Die ökumenischen Dialoge haben inzwischen aber auch immer deutlicher das Grundproblem der Ökumene zum Ausdruck gebracht: Die katholische Kirche, die orthodoxen und die evangelischen Kirchen gehen von einem unterschiedlichen Kirchenverständnis aus, aus dem sich dann ein unterschiedliches Einheitsverständnis und unterschiedliche Vorstellungen darüber ergeben, worin denn das Ziel des ökumenischen Weges bestehen soll. […] Heute wird als Ziel des ökumenischen Weges von allen am ökumenischen Dialog Beteiligten die communio genannt. Das Problem ist freilich, dass unter communio aufgrund der unterschiedlichen ekklesiologischen Grundlagen nicht alle das Gleiche verstehen“. Vgl. ferner Thönissen, Wolfgang, Katholische Einheitsvorstellungen im Gespräch mit reformatorischen Bemühungen um die Einheit, in: Cath(M) 52 (1998), 235–252; 236. Thönissen leitet bereits aus dem vollständigen Titel der Leuenberger Ekklesiologiestudie ab, dass zwischen dem Einheitsverständnis und dem sich daraus ergebenden Modell von Einheit ein unlösbarer Zusammenhang gesehen werden kann und beides, sowohl Einheitsverständnis als auch Einheitsmodell, einen Konsens über das Kirchenverständnis voraussetzten. Dieser Zusammenhang sei jedoch bereits an der Porvooer Gemeinsamen Feststellung von 1992 erkennbar gewesen.
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des Evangeliums besteht. Als eine zentrale Voraussetzung für die ökumenische Anwendbarkeit des Leuenberger Modells ist demnach festzuhalten, dass über die Unterscheidung von Grund und Gestalt, wie sie als hermeneutischer Schlüssel im Leuenberger Modell wirksam ist, Konsens gegeben sein muss.221 Mit dem konkreten Verständnis des Konsenses der Konkordie hängt folglich die ökumenische Anschlussfähigkeit des Modells zusammen. Thönissen betont, dass mit der Unterscheidung von Grund und Gestalt „in katholischer Perspektive und Theologie […] insgesamt die sakramentale Denkstruktur der Theologie zur Diskussion [steht]“222, da die Verhältnisbestimmung von Grund und Gestalt im römisch-katholischen Denken nicht nur von einer Unterscheidung, sondern auch von einem Bereich der Identität ausgehe.223 Die Klärung ekklesiologischer Fragen muss demnach als Voraussetzung für eine Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft gesehen werden, so Thönissen.224 Dies zeigt sich unter anderem auch an der bisherigen Haltung der Kirche von England sowie der schwedischen und finnischen lutherischen Kirchen gegenüber der Leuenberger Kirchengemeinschaft.225 Thönissen resümiert, dass „der kursorische Hinweis, dass dieses 221 So auch das Fazit bei Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 19. 222 Thönissen, Wolfgang, Die Leuenberger Konkordie als ökumenisches Einheitsmodell?, 31. Dahinter sieht Thönissen „die konfessionell bedingte theologische Gesamtkonzeption des Christlichen“, die zur Debatte steht (ders., Katholische Einheitsvorstellungen im Gespräch mit reformatorischen Bemühungen um die Einheit, 237). Dieser Zusammenhang, so Thönissen, sei bereits im Dokument „Kirche und Rechtfertigung“ im Zuge des lutherischkatholischen Dialogs herausgestellt worden: „Ein Konsens in der Rechtfertigungslehre […] muß sich ekklesiologisch bewähren. Alles, was über das Wesen der Kirche, über die Heilsmittel und über das der Kirche gestiftete Amt geglaubt und gelehrt wird, muß im Heilsgeschehen selbst begründet und vom Rechtfertigungsglauben als Empfang und Aneignung des Heilsgeschehens geprägt sein“ (Gemeinsame Römisch-katholische/Evangelisch-lutherische Kommission, Kirche und Rechtfertigung, 13). Zum sakramentalen Kirchenverständnis vgl. u. a. Meyer zu Schlochtern, Josef, Sakrament Kirche. Wirken Gottes im Handeln der Menschen, Freiburg 1992; Miggelbrink, Ralf, Einführung in die Lehre von der Kirche, Darmstadt 2003, 57–70; Pesch, Otto-Hermann, Katholische Dogmatik aus ökumenischer Erfahrung, Bd. 2 (Die Geschichte Gottes mit den Menschen. Ekklesiologie, Sakramentenlehre, Eschatologie), Ostfildern 2010, 71–76; Sattler, Dorothea, Kirche(n), (Grundwissen Theologie), Paderborn 2013, 91–93. Angaben auch in Neumann, Burkhard, Kirchengemeinschaft aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche, 40, Anm. 10. 223 Ein katholisches Modell von Kirchengemeinschaft, das sich „zum an sich offenen Modell der Kirchengemeinschaft auf reformatorischer Seite kompatibel und komplementär verhält“, beschreibt Thönissen in seinem Aufsatz: Katholische Einheitsvorstellungen im Gespräch mit reformatorischen Bemühungen um die Einheit, 250–252, (Zitat: a. a. O., 252). Thönissen konstatiert hierzu, dass das Ziel des ökumenischen Dialogs, die Wiederherstellung von Kirchengemeinschaft, unter der Voraussetzung der Entkräftung der Lehrdifferenzen in Glaube, Verkündigung, Sakramenten und Amt zu erreichen sei (vgl. a. a. O., 251). 224 Vgl. Thönissen, Wolfgang, Kirchengemeinschaft als ökumenisches Einheitsmodell?, 176. 225 Der Grund dafür, dass die genannten Kirchen die Leuenberger Konkordie bisher nicht unterzeichnet haben, liegt insbesondere in der ekklesiologisch bedeutsamen Frage des historischen Bischofamtes. Allerdings wird vom Konferenzbericht über die vierte theolo-
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Modell nicht kompatibel sei mit der römisch-katholischen Vorstellung von der sichtbaren vollen Einheit der Kirchen, […] daher zutreffend [ist]“226. Schließlich ist im Rahmen der Frage nach der ökumenischen Offenheit des Leuenberger Modells noch auf den von orthodoxer Seite aus formulierten Vorwurf einer „eurozentrischen Ausrichtung“227 als Problem in den Ökumene-Bemühungen hinzuweisen. Diese Kritik reicht also noch über den römisch-katholischen Vorwurf hinaus, das Konzept der Konkordie sei auf Kirchen beschränkt, die einen gemeinsamen historischen und theologischen Ansatz haben. So wird aus orthodoxer Perspektive der exklusiv-eurozentrische Charakter der Erklärungen von Leuenberg, Meissen und Porvoo kritisch hervorgehoben. Dieser sei zwar bereits dadurch gewissermaßen vorgegeben, dass die involvierten Kirchen alle auf dem europäischen Kontinent angesiedelt seien und sich mit dem europäischen Kontext auseinanderzusetzen hätten.228 Allerdings berge dieser Europa-Fokus die Gefahr, die Schwesterkirchen auf anderen Kontinenten weiter von ihren Ursprungskirchen zu entfremden. Auf diese Weise regional eingeschränkte Ökumenebemühungen widersprächen dem umfassenden Einheitsverständnis der orthodoxen Kirchen: This alienation, I think, is counterproductive, it creates relational problems, and certainly it embarrasses the Orthodox, who give to the question of Church Unity a global significance and understand to be in dialogue with the entire Christian West (Roman Catholics, Anglicans, Protestants), no matter where this ‚West‘ is geographically located.229
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229
gische Konferenz der Meissener Gemeinsamen Feststellung (Fourth Theological Conference held under the Meissen Agreement) in Cheltenham, 14.–19. März 2001 festgestellt, die Kirche von England „formally considers the Leuenberg Study“. (Conference Report Cheltenham [2001] – ten years on – Ways forward from Meissen, in: Dalferth, Ingolf U./ Oppenheim, Paul [Hg.], Witnessing to Unity: Ten Years after the Meissen Declaration, 513– 517). Thönissen, Wolfgang, Auf dem Weg zur Kirchengemeinschaft?, 16. Vgl. ferner Koch, Kurt, Dass alle eins seien, 60. Burkhard Neumann fordert ausgehend von einer solchen Feststellung, dass die Konkordie nicht als Endpunkt, sondern vielmehr als produktiver Ausgangspunkt für den ökumenischen Dialog gewertet werden solle. Vgl. Neumann, Burkhard, Modell Leuenberg?, 182, These 8. Allerdings wäre hierzu die Interpretation der Leuenberger Hermeneutik im Sinne einer bloßen Selbstunterscheidung der Lehre von ihrem Gegenstand, wie sie durch die Kirchenstudie nahegelegt wird, zugunsten der Interpretation als Lehrkonsens zu überdenken. Tsetsis, Georges, The Leuenberg, Meissen and Porvoo Agreements seen from an Orthodox Perspective, 111. Diese Feststellung ist nur teilweise zutreffend. Die Erklärung von Kirchengemeinschaft durch die Leuenberger Konkordie umfasst auch südamerikanische Kirchen. Diese haben zwar europäische Wurzeln, sie sind jedoch nicht mehr auf dem europäischen Kontinent angesiedelt. Tsetsis, Georges, The Leuenberg, Meissen and Porvoo Agreements seen from an Orthodox Perspective, 111.
Zusammenfassung und Auswertung der Kritik
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Vor diesem ökumenischen Hintergrund erscheint es dem Verfasser geboten, die in der Leuenberger Konkordie abschließend angemerkte Einbettung der europäischen, innerprotestantischen Ökumenebemühungen in den Zusammenhang mit der ökumenischen Gemeinschaft aller christlichen Kirchen weltweit verstärkt hervorzuheben.230
1.3
Zusammenfassung und Auswertung der Kritik
Die Leuenberger Konkordie ist das bisher erfolgreichste Modell von Kirchengemeinschaft, mit dem Kirchengemeinschaft zwischen reformatorischen Kirchen unterschiedlichen Bekenntnisses tatsächlich realisiert wird. Die Betrachtung zum ökumenischen Diskurs über das Modell zeigte, dass sowohl der hermeneutische Ansatz der Konkordie als auch dessen Interpretation durch die Kirchenstudie auch für den weiteren ökumenischen Diskurs relevante Fragen hervorrufen. Dabei erhalten beide Dokumente nicht nur großen Zuspruch. Sie stoßen mitunter auch auf heftige Kritik und Ablehnung. Die Kritik bezieht sich nicht nur auf die Tatsache, dass das Modell der Konkordie unterschiedliche Interpretationen zulässt. Auch die jeweilige Lesart führt zu unterschiedlicher Kritik. Den entscheidenden Ausgangspunkt für die ökumenische Hermeneutik der Leuenberger Konkordie bildet CA VII. Das darin enthaltene Kriterium für die Einheit der Kirche wird in der Konkordie verkürzt aufgenommen als „gemeinsames Verständnis des Evangeliums“231. Notwendig und ausreichend für die Einheit der Kirche und zur Erklärung von Kirchengemeinschaft ist demnach das gemeinsame Verständnis des Evangeliums. Nun zeigt sich, dass dieses Kriterium, das satis est aus CA VII, und hiermit in Zusammenhang stehend auch das nec necesse est, also der Bereich, in dem zur Einheit nicht notwendigerweise eine Übereinstimmung gefunden werden muss, je nach Lesart der Konkordie unterschiedlich interpretiert werden. In der Kirchenstudie wird die Unterscheidung zwischen dem zur Einheit notwendig und ausreichenden Konsens und dem nicht notwendigen mit den Unterscheidungen zwischen dem opus Dei und dem opus hominum sowie Grund und Gestalt in Verbindung gebracht.232 Die Kirchenstudie 230 Vgl. die positive Würdigung dieses Aspektes bei: a. a. O., 111f. Das Verhältnis der auf der Leuenberger Konkordie basierenden GEKE einerseits zum gemeinsamen Zeugnis und Dienst der reformatorischen Kirchen in Europa und andererseits zur weltweiten Ökumene und der Verantwortung in der Welt wäre hierzu noch genauer zu klären. 231 LK 1. Erst LK 2 formuliert differenzierter, zur Einheit sei „die Übereinstimmung in der rechten Lehre des Evangeliums und in der rechten Verwaltung der Sakramente notwendig und ausreichend“. 232 Vgl. hierzu das Zitat von Gunther Wenz zu Beginn von Kap. C 1 der vorliegenden Unter-
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Kritik am evangelischen Modell von Kirchengemeinschaft
akzentuiert eine bestimmte Lesart der Konkordie. Zugleich ermöglichen die Ausführungen der Studie eine weitere Lesart, die zu einer weiteren Interpretation des satis est und des nec necesse est und deren Verhältnisbestimmung führen. Eine erste Auslegungsvariante der Leuenberger Konkordie interpretiert die Unterscheidung in CA VII als eine Unterscheidung zwischen der fides iustificans und der fides dogmatica. Notwendig und ausreichend für die wahre Einheit der Kirche ist nach dieser Lesart allein der rechtfertigende Glaube. CA VII wird folglich als final auf die fides iustificans ausgerichtet interpretiert. Dieser rechtfertigende Glaube ist das Werk Gottes. Für die Einheit der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen ist demnach das Handeln Gottes der einzig konstitutive Grund. Nicht notwendig für die Einheit der Kirche sind dagegen die Einheit der Lehre und des Bekenntnisses sowie die Einheit sämtlicher anderer Werke des menschlichen Handelns. Dass der Konsens über den gemeinsamen Glauben und die Verständigung darüber, dass Übereinstimmung im Glauben besteht, selbst lediglich im Medium der Lehre zum Ausdruck kommen kann, erkennt diese Interpretation auch. Allerdings wird, so die Lesart, mit der Lehre lediglich zum Ausdruck gebracht, dass das Evangelium als Botschaft von der Rechtfertigung einziger Grund der Einheit ist. Somit wird die gemeinsame Aussage auf die fides qua beschränkt. Eine gemeinsame Explikation des Inhaltes des Glaubens, der fides quae, die über die Aussage hinausreicht, dass das Evangelium in seiner Identität als Botschaft von der Rechtfertigung einziger Grund der Kirche ist, muss nicht gefunden werden. Der in CA VII zur Einheit der Kirche eingeforderte Konsens in der doctrina evangelii wird somit gedeutet im Sinne einer notwendigen gemeinsamen Glaubensgewissheit über das Evangelium, da allein das Handeln Gottes die Kirche und ihre Einheit begründet. Die zweite Auslegungsvariante der Konkordie interpretiert die Unterscheidung von CA VII als Unterscheidung zwischen theologischen Grunderkenntnissen einerseits und Kirchenordnung andererseits. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Einheit der Kirche in der Feier von Wort und Sakrament zum Ausdruck kommt. Wort und Sakrament werden dabei verstanden als Gnadenmittel und Ausdruck der Botschaft von der Rechtfertigung, dem Ort des einheitsstiftenden Handelns Gottes. Zu den theologischen Grunderkenntnissen, über die notwendig Übereinstimmung gefunden werden muss, zählen von daher alle Lehraussagen, die eine gemeinsame Gottesdienstfeier bisher verhinderten. Das Kriterium zur Bestimmung des Bereichs der in CA VII definierten notwendigen Übereinstimmung (satis est) ist somit die gemeinsame Gottesdienstfeier als Ort des rechtfertigenden Handelns Gottes. Die trennende, Gottesdienstgemeinschaft zwischen den Kirchen verhindernde Wirkung der Differensuchung. Wenz merkt richtig an, dass der Dissens bereits beim konkreten Verständnis des Konsenses im gemeinsamen Verständnis des Evangeliums beginnt.
Zusammenfassung und Auswertung der Kritik
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zen in der Lehre ist also zu entkräften, damit Kirchengemeinschaft zwischen den Kirchen erklärt werden kann. Zugleich bildet der somit geforderte Konsens in der Lehre nicht den eigentlichen konstitutiven Grund von Kirchengemeinschaft. Letztlich konstitutiv für die Einheit der Kirche bleibt das Handeln Gottes in Verkündigung, Taufe und Abendmahl. Im Unterschied zu diesem Konsens in den theologischen Grunderkenntnissen ist die Übereinstimmung in Dingen, welche die Kirchenordnung betreffen, für die Einheit nicht notwendig. Kontrastierend zur ersten Lesart der Konkordie, die den notwendigen und hinreichenden Konsens auf Ebene einer transhistorischen Glaubensgewissheit verortet, auf den im Medium der Lehre lediglich verwiesen wird, wird mit der zweiten Lesart auf Ausdrucksebene explizit ein die Differenzen in der Lehre berücksichtigender und aufarbeitender Lehrkonsens für die Kirchengemeinschaft eingefordert. Die Bestimmung der aufzuarbeitenden Differenzen richtet sich nach dem Kriterium der gemeinsamen Gottesdienstfeier als dem Ort des rechtfertigenden Handeln Gottes, wie es im Evangelium verkündigt wird. Die Gemeinsamkeit beider Lesarten besteht darin, dass zwischen dem Werk Gottes und dem Werk des Menschen unterschieden und das Werk Gottes als allein konstitutiver Grund der Einheit beschrieben wird. Die von der Leuenberger Kirchengemeinschaft veröffentlichte Kirchenstudie interpretiert die ökumenische Hermeneutik der Konkordie nachträglich und verbindet die Interpretation mit bestimmten ekklesiologischen Überzeugungen. Dabei legen die Ausführungen der Studie und ihre Rezeption im ökumenischen Diskurs eine Lesart nahe, die der ersten Interpretation der Konkordie ähnlich ist.233 Allerdings weist u. a. Wolfgang Thönissen darauf hin, dass der Wortlaut der Studie auch eine davon abweichende Lesart zuließe. Auch die Ausführungen der Kirchenstudie – als eine gemeinsame Interpretation und ekklesiologische Entfaltung der ökumenischen Hermeneutik der Konkordie – bleiben trotz einer erkennbaren Interpretationstendenz folglich mehrdeutig und führen zu keinem einheitlichen Verständnis der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie.234
233 Wie Lohff, so ordnet auch die durch Herms geprägte Interpretation der Kirchenstudie das satis est der fides iustificans und das nec necesse est der fides dogmatica zu und unterscheidet somit zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen, wobei allein das Handeln Gottes konstitutiver Grund der Kirchengemeinschaft ist. 234 Dies ist insofern interessant, da nicht nur die Konkordie, sondern auch die von der LKG/ GEKE verabschiedeten Lehrgespräche von den Mitgliedskirchen zu rezipieren sind. Die Texte scheinen die Interpretationsoffenheit der Konkordie zu rezipieren und zu übernehmen. Gleichzeitig bieten sie jedoch eine Deutungstendenz. So entfalten die Texte gerade aufgrund des mit ihnen gegebenen Interpretationsspielraumes eine konsensstiftende Wirkung, die den dynamischen Wachstums- und Veränderungsprozessen der Kirchengemeinschaft Raum gibt.
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Kritik am evangelischen Modell von Kirchengemeinschaft
Die Kirchenstudie interpretiert den für die Leuenberger Hermeneutik zentralen Artikel VII der Confessio Augustana im Sinne einer Unterscheidung und Zuordnung zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen und ordnet diesen die Eigenschaften „Grund“ und „Gestalt“ von Kirche zu. Nach dem durch Eilert Herms geprägten Verständnis werden in der Kirchenstudie Grund und Gestalt von Kirche so definiert, dass der Grund von Kirche das Handeln Gottes selbst ist. So wird das sich selbst offenbarende, den Glauben weckende Handeln Gottes im Evangelium beschrieben als Gegenstand und Grund des Glaubens. Es konstituiert die Gemeinschaft der Gläubigen und ist Vorgabe für das Handeln der Menschen. Das Handeln der Menschen hingegen wird der Gestalt von Kirche zugeordnet. Gegenstand des menschlichen Werkes, zu dem auch die kirchliche Lehre gezählt wird, ist das Selbstzeugnis des Gläubigen. Folglich steht das Werk des Menschen lediglich in mittelbarer Beziehung zum konstitutiven Grund der Kirche. Diese Zuordnung des Handelns Gottes und des Handelns der Menschen wird mit Blick auf die Einheit der Kirche auch als „asymmetrisches Kooperationsverhältnis“ (Herms) beschrieben. Der zur Einheit der Kirche notwendige Konsens im Verständnis des Evangeliums wird eingelöst durch eine gemeinsame Aussage der Selbstunterscheidung menschlicher Lehre von ihrem Gegenstand, dem im Evangelium von der Rechtfertigung verkündigten Handeln Gottes, als dem einzigen konstitutiven Grund der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen.235 Der Hinweis von Thönissen, die Kirchenstudie bliebe unpräzise in ihren Ausführungen, bezieht sich auf die Zuordnung des Handelns Gottes und des Handelns der Menschen, des Grundes und der Gestalt von Kirche. So betone die Kirchenstudie den Charakter der Instrumentalität des menschlichen Handelns für das Handeln Gottes. Dies aber, so Thönissen, ließe aus katholischer Perspektive erwarten, dass es im Verhältnis zwischen dem Handeln der Menschen und dem Handeln Gottes doch auch einen Bereich der Identität gäbe. Hinter dieser grundsätzlichen Anfrage stehen freilich das römisch-katholische Verständnis der Sakramentalität der Kirche und das spezifische Amtsverständnis.236
235 Vgl. LK 2: „Die Kirche ist allein auf Jesus Christus gegründet, der sie durch die Zuwendung seines Heils in der Verkündigung und in den Sakramenten sammelt und sendet“ (Herv. v. J.G.). 236 Während insgesamt aus evangelischer Perspektive der Sakramentalität der institutionalisierten Kirche widersprochen wird, zeigen die Diskussionen um das Leuenberger Modell, dass die Überzeugungen über das Amt und dessen spezifische Gestalt (Deutung der apostolischen Sukzession) zwischen den evangelischen Kirchen auseinandergehen können. Aufschlussreich hierfür sind insbesondere die gemeinsamen Feststellungen zwischen lutherischen Kirchen und der Anglikanischen Kirche (Porvoo) sowie zwischen der EKD und der Anglikanischen Kirche (Meissen) im Vergleich mit der LK und der Kirchenstudie, welche die apostolische Sukzession als successio fidelium deuten.
Zusammenfassung und Auswertung der Kritik
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Die verschiedenen Auslegungsvarianten der Leuenberger Konkordie sowie die Aufnahme der ersten Lesart durch die Kirchenstudie führen zu unterschiedlichen Kritikpunkten und Fragen, insbesondere römisch-katholischer Theologen.237 Für diese Kritikpunkte und Fragen ist, so zeigt sich bei genauerem Hinsehen, von zentraler Bedeutung, wie das opus Dei und das opus hominum einander mit Blick auf die Kirche und ihre Einheit zugeordnet werden.238 In Abhängigkeit von dieser Zuordnung ergeben sich nicht nur Konsequenzen für die Auffassung von der für die Einheit notwendigen Art des Konsenses, sondern auch für dessen Umfang. Schließlich hat die Zuordnung auch Folgen für die ökumenische Zielvorstellung. Wird von einer bloßen Unterscheidung des opus Dei und des opus hominum ausgegangen, so kann dies hinsichtlich der Art des für die Einheit notwendigen Konsenses zwei Folgen haben. Beide Folgen gehen von dem Handeln Gottes, dem Evangelium, als zentralem Prinzip für die Einheit der Kirche aus. Erstens kann dies, wie es die erste Lesart der Konkordie und die erste, häufigste Lesart der Kirchenstudie nahelegen, bedeuten, dass ein formulierter Lehrkonsens im Sinne der fides quae für die Einheit entbehrlich ist, da der alleinige Grund der Einheit das Handeln Gottes ist. Mit dem Konsens muss somit lediglich eine Aussage der Selbstrelativierung menschlicher Lehre mit Blick auf das kirche- und einheitsbegründende Handeln Gottes getroffen werden, die fides qua. Allerdings geht mit einer solchen Auffassung auch einher, dass nicht mehr zwischen dem exklusiven Grund der Glaubensgemeinschaft, der Gemeinschaft in der Kirche und der Gemeinschaft der Kirchen unterschieden werden kann, da diese nicht an den sichtbaren Lehrkonsens gebunden werden.239 Sowohl für die 237 Die vielen einzelnen Kritikpunkte werden an dieser Stelle nicht detailliert aufgenommen, sondern systematisch zusammengefasst. 238 Theodor Dieter konstatiert, dass die rechte Zuordnung des menschlichen und des göttlichen Handelns und somit die Frage einer Instrumentalität menschlichen Handelns letztlich von der Wahrnehmung aller relevanten Perspektiven abhänge: „Bei der Glauben schaffenden Verkündigung des Evangeliums wie der Spendung der Sakramente [geht es] immer sowohl um das Wirken des Heiligen Geistes (opus Dei) als Subjekt wie um menschliches Tun des Verkündigenden (opus hominum) als Mittel. Während es von der Seite des Menschen, der gerechtfertigt wird, um die vollständige Disjunktion ‚Rechtfertigung allein aus Glauben oder Rechtfertigung aus Werken‘ geht, geht es bei der Rechtfertigung, von der Seite ihrer Hervorbringung von Gott her betrachtet, gerade um ein Ineinander von göttlichem und menschlichem Tun, bei dem freilich Gott der alleinige Akteur ist und doch menschliches Tun als Instrument benutzt. Diese beiden Verhältnisse der Rechtfertigung (von Seiten des zu rechtfertigenden Menschen und von Seiten des rechtfertigenden Gottes) müssen klar unterschieden werden. Wird diese Unterscheidung nicht gemacht und nur eine vollständige Disjunktion von opus Dei und opus hominum – tertium non datur – angenommen, wird der Sachverhalt unterkomplex bestimmt“ (Dieter, Theodor, Was ist und zu welchem Ende betreibt man Konsensökumene?, 4, Herv. i. O.). 239 Anders formuliert bedeutet dies, dass zwar eine Unterscheidung zwischen der sichtbaren Einheit der Kirchen und ihrer Einheit mit Christus vorausgesetzt wird, allerdings führt diese
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Kritik am evangelischen Modell von Kirchengemeinschaft
Glaubensgemeinschaft als auch für die Gemeinschaft von Kirchen gilt dann, dass der hierzu notwendige Konsens eine bloße Aussage der Selbstunterscheidung der Lehre von ihrem Gegenstand ist. Ob hiermit allerdings die Ebene individueller Glaubenserfahrung hin zu einer Gemeinschaft der Glaubenden beschritten werden kann, ist fraglich. So weist Ulrich Kühn darauf hin, dass auch die Einheit der Glieder am Leib Christi als soteriologisches Datum, das „selbst institutionelle Momente wie das Herrenmahl einschließt, ein Mindestmaß sichtbaren Ausdrucks finden muss“240. Die ekklesiologische Einheit sei somit aber als „ein Element der Einheit mit Christus selbst“241 zu verstehen. Zweitens kann es bedeuten, dass im Sinne einer Verständigung zwischen unterschiedlichen Lehren ein Lehrkonsens formuliert werden muss, mit dem eine gemeinsame Aussage über den Inhalt, der in unterschiedlichen Lehrgestalten zum Ausdruck kommt, gemacht wird. Dieser Lehrkonsens hat jedoch selbst keine konstitutive Wirkung für die Einheit, da diese allein dem Handeln Gottes vorbehalten bleibt.242 Wird hingegen zwischen dem opus Dei und dem opus hominum nicht nur unterschieden, sondern auch ein Bereich der Identität angenommen, so bedeutet dies, dass zur Einheit der Kirche notwendigerweise auch Übereinstimmung in bestimmten Lehren zu erzielen ist, die sodann konstitutiven Charakter für die Einheit haben. Auch der Umfang des zur Einheit notwendigen Konsenses wird durch die Verhältnisbestimmung zwischen dem Handeln Gottes und dem menschlichen Handeln festgelegt. So führt die Überzeugung davon, dass allein das Handeln Gottes konstitutiv für die Einheit der Kirche ist, dazu, dass lediglich ein Konsens im Verständnis des Evangeliums als der Botschaft vom rechtfertigenden Handeln Gottes gefunden werden muss. Der Konsens kann sich aber auch auf die Gnadenmittel, das heißt diejenigen sichtbaren Zeichen beziehen, von denen die Verheißung gilt, dass Gott sich ihrer als sein Instrument bedient. Beide Male wird jedoch das zentrale Kriterium bzw. die für den Umfang des notwendigen Konsenses bestimmende Kategorie durch die Lehre von der Rechtfertigung bestimmt. Wird auch dem Handeln des Menschen konstitutive Bedeutung für die
Unterscheidung zu keiner Differenzierung in Bezug auf den nötigen Konsens: In beiden Fällen wird nämlich die Ebene individueller, nicht auf die Ebene einer gemeinsamen Lehre übertragbarer Glaubenserfahrung vorausgesetzt. 240 Kühn, Ulrich, Zum evangelisch-katholischen Dialog, 17, Anm. 26. 241 Ebd. 242 Joachim Track konstatiert hierzu: „Die durch den und im Glauben eröffnete Gemeinschaft mit Jesus Christus stellt den Glaubenden auch in die Gemeinschaft der Glaubenden“. Diese erfordert damit „eine Gemeinschaft gemeinsamen Verstehens“ (Track, Joachim, Überlegungen zur ökumenischen Hermeneutik, in: Härle, Wilfried/Preul, Reiner [Hg.], Ökumene [MJTh 12], Marburg 2000, 33–70; 64).
Zusammenfassung und Auswertung der Kritik
293
Einheit der Kirche zugesprochen, so umfasst der Konsens mindestens das Verständnis des Verkündigungsamtes und seiner Gestalt. In Abhängigkeit von der Verhältnisbestimmung des Handelns Gottes und des menschlichen Handelns ist schließlich auch die ökumenische Zielvorstellung zu sehen. Während Konsens darüber besteht, dass die Wendung der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ eine Leitidee für die ökumenischen Dialoge ist, wird die Formel doch in Abhängigkeit von der genannten Verhältnisbestimmung interpretiert. Der Konsens endet folglich bei der Frage danach, wie die Formel im Detail zu verstehen ist. So führt die Unterscheidung zwischen dem opus Dei und dem opus hominum dazu, dass von einer durch das Handeln Gottes bereits gegebenen Einheit ausgegangen wird. Auf diese wird nun entweder über die Aussage der Selbstunterscheidung der Lehre von ihrem Gegenstand, dem Evangelium, verwiesen oder sie wird in einem Lehrkonsens gemeinsam benannt. „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ ist dann eine Wendung zur Beschreibung der Gegenwart in Bezug auf die Gemeinschaft der Kirchen in der Leuenberger Kirchengemeinschaft. In Bezug auf die Kirchen außerhalb dieser Gemeinschaft ist diese Einheit erst noch zu finden. Wird von einem Bereich der Identität des opus Dei und des opus hominum ausgegangen, wie etwa aus römisch-katholischer Sicht, so ist die Einheit erst noch zu verwirklichen, da der notwendige Konsens insbesondere im Verständnis des Amtes und dessen Gestalt noch aussteht. Die Ausführungen der vorliegenden Untersuchung machen einerseits deutlich, dass das Leuenberger Modell, wie es zuletzt von der Kirchengemeinschaft selbst durch die Kirchenstudie interpretiert wurde, von nichtreformatorischen Kirchen als „dezidiert reformatorisches Modell von Kirchengemeinschaft“243 rezipiert wird, zugleich jedoch kein innerevangelischer Konsens über dessen Verständnis herrscht. Andererseits gehen von dem Modell wichtige Impulse für den ökumenischen Dialog auch über den reformatorischen Kontext hinaus aus, sodass das Modell auch als Ausgangspunkt verstanden werden kann.244 Vielversprechend insbesondere für die offiziellen Gespräche der GEKE mit der römisch-katholischen Kirche, die 2013 aufgenommen wurden, ist dabei der methodische Ansatz, der in Anlehnung an die Methode der Leuenberger Konkordie in der Methode der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zum Tragen kam und ähnlich in der Interpretation der Konkordie durch Birmelé
243 Neumann, Burkhard, Modell Leuenberg?, 182, These 8. 244 Vgl. ebd.: „Leuenberg ist ein dezidiert reformatorisches Modell von Kirchengemeinschaft und kann darum als Einheitsmodell auch nur auf reformatorischer Basis gelingen. Das bedeutet, dass dieses Modell im ökumenischen Dialog als Ausgangspunkt gesehen werden muss, aber nicht als Endpunkt des Dialogs über Kircheneinheit verstanden werden darf“ (Herv. v. J.G.).
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Kritik am evangelischen Modell von Kirchengemeinschaft
vorkommt.245 Dabei wurde, ausgehend von der für den ökumenischen Dialog notwendigen Unterscheidung zwischen einer Sache und ihrem Ausdruck, explizit nach einem die unterschiedlichen Lehraussagen versöhnenden Lehrkonsens gesucht. Eine Ausweitung des zur Einheit notwendigen Konsenses auf weitere Gebiete der kirchlichen Lehre ist ausgehend von dem Modell der Konkordie nicht nur denkbar, sie wird vielmehr durch die Verpflichtung zu kontinuierlichen Lehrgesprächen – auch in aus reformatorischer Sicht nicht kirchentrennenden Lehrfragen – gefordert.246 Eine Herausforderung, die hier jedoch lediglich angedeutet werden kann, ergibt sich derweil sowohl für die reformatorischen Kirchen als auch für die römisch-katholische Kirche hinsichtlich der Unterscheidung zwischen der eschatologischen, von Gott gewirkten Einheit einerseits und der irdischen Einheit der Kirchen andererseits.247 Dabei zeigt sich mit Blick auf die evangelischen Kirchen im Falle einer Überbetonung des Werkes Gottes – im Sinne einer Trennung zwischen dem „Grund und Inhalt des Glaubens und seine[n] Vermittlungsgestalten“248 – die Gefahr einer Spiritualisierung bzw. eines Mystizismus und die Vernachlässigung der Herausforderung zu einer sichtbaren Gestalt der Einheit. Im Falle der Identifikation des Grundes und Inhaltes des Glaubens mit seinen Vermittlungsgestalten, also kirchlicher Lehre, droht hingegen ein biblischer Fundamentalismus und die Überbewertung sichtbarer Einheit.249
245 Hierfür gilt allerdings die Bedingung, dass über die in der Konkordie wirksame Methode Konsens gefunden wird und deren Verhältnis zur Methode der GER gemeinsam expliziert werden kann. Die Interpretation der Methode durch Birmelé ist nicht identisch mit der Methode der GER, da sie lediglich von einem zentralen Kriterium ausgeht, von dem aus sich der Umfang des zu formulierenden Konsenses bestimmt. Vgl. Kap. C 2.2.1.5 der vorliegenden Untersuchung. 246 Vgl. Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzeptes „Kirchengemeinschaft“, 229. 247 Vgl. Neumann, Burkhard, Kirchengemeinschaft aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche, 48f. 248 Thönissen, Wolfgang, Die Problematik von Grund und Gestalt, 122. 249 Vgl. ebd.; vgl. auch Neumann, Burkhard, Kirchengemeinschaft aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche, 48f.
2.
Die begriffliche Identifizierung von Modell und Methode im ökumenischen Diskurs
Die vorangehende Analyse zum ökumenischen Diskurs befasste sich in der kritischen Auseinandersetzung mit der Leuenberger Konkordie und der Kirchenstudie unter besonderer Berücksichtigung der römisch-katholischen Stellungnahmen. Die geschilderten Kritikpunkte am Leuenberger Modell und die damit verbundenen unterschiedlichen Perspektiven werden auch von den Begrifflichkeiten, die im ökumenischen Diskurs über das Leuenberger Modell und dessen Methode verwendet werden, reflektiert. Die folgende differenzierte Analyse widmet sich den zentralen Wendungen im ökumenischen Diskurs um das Leuenberger Modell und berücksichtigt dabei auch den ökumenischen Dialog mit der römisch-katholischen Kirche. Die Untersuchung weist darauf hin, dass die verwendeten Begrifflichkeiten uneinheitlich sind. So werden zum einen mit denselben Begriffen mitunter verschiedene Vorstellungen verknüpft. Zum anderen beziehen sich unterschiedliche Begriffe teilweise gar nicht auf denselben Inhalt, sondern es werden damit unterschiedliche Ebenen oder Aspekte einer Sache akzentuiert. Mithilfe einer differenzierten Betrachtung sollen im Folgenden die unterschiedlichen Deutungsebenen und Vorstellungen, die mit den ökumenischen Begriffen verbunden werden, verdeutlicht werden. Zugleich werden die Zusammenhänge der Begriffe hervorgehoben, um Aussagen zur Übertragbarkeit der Begriffe zu treffen. Somit werden die unterschiedlichen Diskussionen füreinander sprachlich anschlussfähig gemacht und die Übertragbarkeit von Begriffen in Zusammenhang mit dem Leuenberger Modell überprüft. Von zentraler Bedeutung für den ökumenischen Diskurs um das Leuenberger Modell und dessen Methode sind die Begriffe „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“, „Grundkonsens“, die Lesarten des Grundkonsenses „differenzierter Konsens“ sowie „referentieller Konsens“ und der Begriff „Grunddifferenz“. Die Gliederung des Kapitels orientiert sich an den Zusammenhängen der Begriffe. So wird erstens der Begriff der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ als nachträgliche Beschreibung einer ökumenischen Zielvorstellung erörtert, mit der auch das Modell von Kirchengemeinschaft, wie es mit der Leuenberger Kon-
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Die begriffliche Identifizierung von Modell und Methode im ökumenischen Diskurs
kordie entwickelt wird, in Verbindung gebracht wird (Kap. C 2.1).1 Zweitens wird der Begriff des Grundkonsenses analysiert (Kap. C 2.2.1.1). Dabei zeigt sich bereits, dass unterschiedliche Auffassungen darüber vorliegen, welche Lehrfragen von dem zur Einheit nötigen Grundkonsens behandelt werden müssen. Da mit dieser Lesart des Grundkonsenses noch keine Aussagen über die Differenzen zwischen den Kirchen getroffen werden können, wird drittens der Begriff des differenzierten Konsenses behandelt (Kap. C 2.2.1.2). Diesem Begriff wird der referentielle Konsens entgegengestellt, um das evangelische Anliegen des Einheit konstituierenden Handeln Gottes zu betonen (Kap. C 2.2.1.3). Der referentielle Konsens kann jedoch, so die These der vorliegenden Untersuchung, als Aspekt innerhalb des differenzierten Konsenses verstanden werden. Die Unterschiede im Verständnis des differenzierten Konsenses werden in Kap. C 2.2.1.4 skizziert. Abschließend wird der Begriff der Grunddifferenz in seiner unterschiedlichen Lesart dargestellt (Kap. C 2.2.2).
2.1
Das Leuenberger Modell – Kirchengemeinschaft als „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“
Die abseits der ökumenischen Zielvorstellungen einer sogenannten „Rückkehrökumene“ und einer „organischen Union“ wohl populärste „formale Rahmenbestimmung“2 von Kircheneinheit ist gegenwärtig die „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“, die auch als „ökumenisches Nahziel“3 beschrieben wird.4 Das 1 Diskussionspapier der zwei Genfer Konsultationen der Konfessionellen Weltbünde 1974, gekürzt abgedruckt in: Gassmann, Günther/Meyer, Harding, Die Einheit der Kirche, 29–34; 31, §24. Vgl. auch die spätere Identifizierung mit dem Gedanken der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ durch die Leuenberger Kirchengemeinschaft selbst in: KJC, III, 1.4, 71: „Der ökumenische Terminus für diese Form von Kirchengemeinschaft lautet ‚Einheit in versöhnter Verschiedenheit‘“. Auch auf der Vollversammlung 1994 in Wien, auf der die Ekklesiologiestudie angenommen wurde, wird das Modell der Konkordie als „Einheit der Kirchen in versöhnter Verschiedenheit“ bezeichnet, als „ein außerordentlich tragfähiges Modell für die Entwicklung der Kirchengemeinschaft“ (Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth [Hg.], Wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst, 189). 2 Neumann, Burkhard, Leuenberg als ökumenisches Modell?, 181. 3 Böttigheimer, Christoph, Einheit ja, aber welche? Über die Problematik ökumenischer Zielvorstellungen, in: StZ 223, (2005), 24–36; 26. 4 Vgl. Gemeinsame offizielle Feststellung (GOF), in: DwÜ III, 437f, Nr. 2: „Auf Basis des erreichten Konsenses ist insbesondere zu denjenigen Fragen ein weiterer Dialog erforderlich, die in der Gemeinsamen Erklärung selbst (GE, 43) besonders als einer weiteren Klärung bedürftig benannt werden, um zu voller Kirchengemeinschaft, zu einer Einheit in Verschiedenheit zu gelangen, in der verbleibende Unterschiede miteinander ‚versöhnt‘ würden und keine trennende Kraft mehr hätten“. Vgl. auch Axt-Piscalar, Christine, Die Leuenberger Konkordie aus lutherischer Sicht, 169f. Dies. spricht mit Bezug auf das Modell der LK auch von „Einheit in gestalteter Vielfalt“, da es sich nach ihrer Auffassung um eine „Gestaltung von Kirchenge-
Kirchengemeinschaft als „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“
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ökumenische Modell der Leuenberger Konkordie wird nicht nur mit dem älteren Konzept von „Kirchengemeinschaft“ in Verbindung gebracht, sondern auch mit dem ökumenischen Begriff der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“. So wurde zum einen im Jahr 1974 in einem Diskussionspapier über die ökumenische Rolle der konfessionellen Weltbünde die Formel der „versöhnten Verschiedenheit“ mit Verweis auf „das Vorgehen der sogenannten ‚Leuenberger Konkordie‘“5 konzipiert. Zum anderen ist es die Leuenberger Kirchengemeinschaft selbst, die das Modell der Leuenberger Konkordie in ihrer Ekklesiologiestudie 1994 nachträglich als „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ bezeichnet.6 Die ökumenische Formel und der damit verbundene Gedanke sind folglich nicht nur eine „wichtige Orientierungshilfe im gegenwärtigen Prozeß ökumenischen Ringens“7 und werden in verschiedenen ökumenischen Kontexten, auch meinschaft [handelt], innerhalb derer die konfessionellen Unterschiede gewahrt, anerkannt, ja gepflegt werden“ (a. a. O., 174). Vgl. hierzu ferner dies., Pluralität als „Gewinn“ der Reformation, in: Heimbucher, Martin (Hg.), Reformation erinnern. Eine theologische Vertiefung im Horizont der Ökumene, Neukirchen 2013, 88–107; 96–98. Eine ausführliche Betrachtung der Formel und ihrer Einbettung in den ökumenischen Kontext bieten u. a. Meyer, Harding, Einheit in versöhnter Verschiedenheit, 101–119 und Koslowski, Jutta, Die Einheit der Kirche in der ökumenischen Diskussion, 113–162. 5 Diskussionspapier der zwei Genfer Konsultationen der Konfessionellen Weltbünde 1974, gekürzt abgedruckt in: Gassmann, Günther/Meyer, Harding, Die Einheit der Kirche, 29–34; 31, §24. Vgl. ferner Scharbau, Friedrich-Otto, Einheit in versöhnter Verschiedenheit, 66. Während die Formel der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ zu diesem Zeitpunkt neu war, wies der damit verbundene Gedanke einer Einheit in der Verschiedenheit bzw. einer Verschiedenheit in der Einheit Ähnlichkeiten zu älteren katholischen Modellvorstellungen auf, wie zur korporativen Union (zurückgehend zu den Anfängen der Una-Sancta-Bewegung) und zum nachkonziliarischen Konzept der Schwesterkirchen. 6 Vgl. KJC, III.1.4, 71: „Der ökumenische Terminus für diese Form von Kirchengemeinschaft lautet ‚Einheit in versöhnter Verschiedenheit‘. In solcher Einheit leben die durch die Leuenberger Konkordie verbundenen Kirchen“. Vgl. auch Hüffmeier, Wilhelm/Schwier, Helmut, Kirchengemeinschaft als Lehrgemeinschaft: „Die durch Zustimmung zur Konkordie erklärte und weiter zu verwirklichende Kirchengemeinschaft zählt innerhalb der ökumenischen Zielvorstellungen zum Modell gegenseitiger Anerkennung. Für dieses Modell hat sich die ursprünglich innerhalb der konfessionellen Weltbünde herausgebildete Formulierung ‚versöhnte Verschiedenheit‘ als treffendes Etikett angeboten“. Vgl. ferner Meyer, Harding, Ökumenische Zielvorstellungen, 106–111 u. 127–134; Körtner, Ulrich H.J., Versöhnte Verschiedenheit, 69–72. Dass mit dieser Bezeichnung Fragen insbesondere mit Blick auf die weitere Entwicklung der Kirchengemeinschaft verbunden sein können, betont Martin Friedrich: „Nach meiner Auffassung ist die Formel von der ‚Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst‘ noch kennzeichnender für das Modell der GEKE als die Formel ‚Einheit in versöhnter Verschiedenheit‘. Letzteres sagt, wie die Gemeinschaft ist, ersteres dagegen, wozu sie ist“ (Friedrich, Martin, Kirchengemeinschaft auf Grundlage der Leuenberger Konkordie, 20, Herv. i. O.). 7 Hessler, Hans-Wolfgang/Thomas, Gerhard (Bearb.), Daressalam 1977. In Christus eine neue Gemeinschaft: Offizieller Bericht der Sechsten Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes, epdD 18 (1977), 205. So machte sich der Lutherische Weltbund im Jahr 1977 auf der
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Die begriffliche Identifizierung von Modell und Methode im ökumenischen Diskurs
in bilateralen Gesprächen mit der römisch-katholischen Kirche, positiv aufgenommen. Auch die Verknüpfung der Formel mit dem Konzept der Leuenberger Konkordie kennzeichnet diese als für den weiteren ökumenischen Kontext anschlussfähig. Dieser Sachverhalt darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Begriff der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ konfessionell unterschiedlich interpretiert wird.8
2.1.1 Entstehung und Bedeutung des Konzeptes der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ Die Überlegungen zum Konzept der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ gingen aus von der übergeordneten ökumenischen Frage nach dem Verständnis von der Einheit der Kirche.9 Dieses Verständnis wurde von Beginn an in der ökumenischen Bewegung diskutiert und erstmals 1961 auf der Vollversammlung des ÖRK in Neu-Delhi auf eine gemeinsame Formel gebracht.10 Diese Formel, mit der „die verschiedenen Dimensionen und konstitutiven Elemente der gesuchten Vollversammlung das mit der Formel verbundene Konzept der versöhnten Verschiedenheit zwar nicht offiziell zu eigen, er nannte es jedoch „eine wichtige Orientierungshilfe im gegenwärtigen Prozeß ökumenischen Ringens“ (ebd.). Vgl. hierzu Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 39f. Vgl. zum Entstehungskontext der Formel ferner ders., Ökumenische Zielvorstellungen (BenshH 78), 142–147. Auch im von der katholischen Kirche mitverantworteten bilateralen Dialog wurde die Formel zu einer Orientierungshilfe. Vgl. u. a. das Dokument des internationalen Evangelisch-lutherisch/Römisch-katholischen Dialogs „Einheit vor uns“ aus dem Jahr 1984, Nr. 1–48, in: DwÜ II, 451–506; 453–467. Vgl. ferner die GOF. Diese betont, dass der römisch-katholisch/evangelisch-lutherische Dialog zur vollen Kirchengemeinschaft gelangen will, „zu einer Einheit in Verschiedenheit […], in der verbleibende Unterschiede miteinander ‚versöhnt‘ würden und keine kirchentrennende Kraft mehr hätten“ (Lutherischer Weltbund und Katholische Kirche, Gemeinsame Offizielle Feststellung, in: DwÜ III, 437–441; 438). 8 Vgl. Koch, Kurt, Dass alle eins seien, 61. 9 Als noch undifferenziertes Leitmotiv lag die Formel „unity in diversity“ bereits in den konfessionsübergreifend agierenden Studentenbewegungen des 19. Jahrhunderts vor. Vgl. die Angaben in der Einleitung der vorliegenden Untersuchung. 10 Vgl. Vischer, Lukas (Hg.), Die Einheit der Kirche, 159f. Die Formel lautete: „Wir glauben, daß die Einheit, die zugleich Gottes Wille und seine Gabe an seine Kirche ist, sichtbar gemacht wird, indem alle an jedem Ort, die in Jesus Christus getauft sind und ihn als Herrn und Heiland bekennen, durch den Heiligen Geist in eine völlig verpflichtete Gemeinschaft geführt werden, die sich zu dem einen apostolischen Glauben bekennt, das eine Evangelium verkündigt, das eine Brot bricht, sich im gemeinsamen Gebet vereint und ein gemeinsames Leben führt, das sich in Zeugnis und Dienst an alle wendet. Sie sind zugleich vereint mit der gesamtem Christenheit an allen Orten und zu allen Zeiten in der Weise, daß Amt und Glieder von allen anerkannt werden und daß alle gemeinsam so handeln und sprechen können, wie es die gegebene Lage im Hinblick auf die Aufgaben erfordert, zu denen Gott sein Volk ruft“ (Visser ’t Hooft, Willem Adolf [Hg.], Neu-Delhi 1961, 130).
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‚sichtbaren Einheit‘“11 zum Ausdruck gebracht wurden, hatte für die nachfolgende ökumenische Bewegung insgesamt orientierende Kraft – nicht nur für die multilateralen, sondern auch für die seit Ende der 1960er Jahre beginnenden bilateralen interkonfessionellen Dialoge.12 Allerdings bestand trotz der gemeinsamen Orientierung an der Formel von Neu-Delhi bereits zu Beginn eine Differenz zwischen dem in den multilateralen Dialogen vorherrschenden Denken einerseits und dem die bilateralen Gespräche prägenden Denken andererseits. Diese Differenz betraf die Interpretation von „Einheit“ und „Verschiedenheit“. Zwar war man sich schon zu Beginn der ökumenischen Bewegung darüber einig, dass Einheit nicht „Vereinheitlichung“ bedeute und es in der gesuchten Einheit bestimmte „legitime Verschiedenheiten“ gäbe.13 Zu den legitimen Verschiedenheiten zählten nach der damaligen allgemeinen Auffassung der ökumenischen Bewegung jedoch nicht die konfessionellen Unterschiede: „Die Existenz verschiedener Konfessionskirchen als solche erschien als das ökumenische Problem, das es zu überwinden galt“14. In der ökumenischen Diskussion wurde diese Auffassung durch das vom ÖRK favorisierte Modell der „organischen Union“ aufgenommen. Demnach sollte die Einheit der Kirchen durch eine körperschaftliche Vereinigung konfessioneller Kirchen zu einer neuen, transkonfessionellen Identität hergestellt werden. Es handelte sich dabei um ein Modell, das bereits auf der Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung 1937 in Edinburgh vertreten und später dann mit dem Konzept der „konziliaren Gemeinschaft“ verbunden wurde.15 In der bis dahin 11 Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 37. 12 Vgl. Budde, Achim/Schuegraf, Oliver (Hg.), Ökumene retten, 28f: „Die GEKE orientiert ¨ RKsich […] an der Einheitsformel von Neu-Delhi aus dem Jahre 1961. […] Was die O Vollversammlung von 1961 in Neu-Delhi […] sagt, deckt sich in den Grundzügen mit den Aussagen von ‚Unitatis redintegratio‘ (UR 2–4), und auf ihren Schultern steht auch das Konzept der ‚Einheit in versöhnter Verschiedenheit‘“. Vgl. auch Meyer, Harding, Versöhnte Verschiedenheit, Bd. 1, 103f. 13 Vgl. Sasse, Hermann (Hg.), Die Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung. Deutscher amtlicher Bericht über die Weltkonferenz zu Lausanne, 3.–21. August 1927. Im Auftrage des Forschungsausschusses, Berlin 1929, 544f. Vgl. hierzu auch Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 37. 14 Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 37, Herv. i. O. 15 Zu Edinburgh vgl. den Bericht der Weltkonferenz in Edinburgh Nr. 121–126, in: Vischer, Lukas (Hg.), Die Einheit der Kirche, 70. Das Modell der „organischen Union“, das in Verbindung mit dem Modell der „konziliaren Gemeinschaft“ gesehen wurde, ließ zwar gewisse Verschiedenheiten in Abhängigkeit von der Ebene, auf der die Union realisiert wird, zu (vgl. Salamanca-Erklärung als das Ergebnis einer Konsultation der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung zum Thema „Vorstellungen der Einheit und Modelle der Union“ 1973, Kap. V, veröffentlicht in: Groscurth, Reinhard [Hg.], Wandernde Horizonte auf dem Weg zu kirchlicher Einheit, 159–186; 173). Allerdings wurde als notwendige Voraussetzung hierzu die Einheit durch „volle Vereinigung bisher eigenständiger Kirchen zu einer neuen, vereinten Kirche“ am Ort erachtet, also eine Aufgabe der bisherigen konfessionellen Identität (Gass-
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durch multilaterale Dialoge geprägten ökumenischen Bewegung wurde somit insgesamt ein Modell verfolgt, welches zur Preisgabe der konfessionellen Identität führt. Die meisten der konfessionellen Weltbünde teilten diese Vorstellung einer Unvereinbarkeit von Ökumene und Konfession freilich nicht, fanden jedoch bis Ende der 1960er Jahre keine „ihrem Selbstverständnis entsprechendere Form ökumenischen Bemühens“16, das die konfessionellen Identitäten bei aller Suche nach Einheit in einem positiven Sinne zu wahren wusste. Erst zum Ende der 1960er Jahre und mit der veränderten ökumenischen Gesamtsituation durch den als „ökumenische Öffnung“ gewerteten Ausgang des Zweiten Vatikanums wurde insbesondere bei den konfessionellen Weltbünden und bei vielen konfessionsbewussten Kirchen die Hoffnung einer ökumenischen Annäherung geweckt, in der die konfessionellen Identitäten bestehen bleiben könnten. Um diesem Anliegen auf angemessene Weise Rechnung zu tragen, wurden nun bilaterale interkonfessionelle Dialoge geführt.17 Auf eine Formel gebracht wurde die ökumenische Vorstellung einer sichtbaren Einheit der Kirchen im Rahmen zweier Genfer Konsultationen zwischen dem ÖRK und den konfessionellen Weltbünden im Mai und Dezember 1974. Die Konsultationen sollten thematisieren, ob sich eine „gemeinsame Vorstellung von der Gestalt kirchlicher Einheit“18 formulieren lasse, die als Orientierung für die gemeinsamen Einheitsbemühungen dienen könne.19 Im Unterschied zu der Vorstellung einer transkonfessionellen körperschaftlichen Vereinigung betonten die konfessionellen Weltbünde ein Modell, das der „Verschiedenheit der Über-
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mann, Günther, Zukunftsperspektiven kirchlicher Einheit, in: LR 25 [1975], 232; vgl. auch den Bericht der zweiten Phase des Gesprächs: Bericht der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung über „Einheit der Kirche – Das Ziel und der Weg“, in: Müller-Fahrenholz, Geiko [Hg.], Accra 1974. Sitzung der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung. Berichte, Reden, Dokumente, ÖR.B 27 [1975], 61–77; 71). Sowohl der Begriff der „konziliaren Gemeinschaft“ als auch der Begriff der „organischen Union“ und ihr Verhältnis zueinander blieben allerdings im ökumenischen Diskurs uneinheitlich definiert und konnten auch ein Jahr später auf der fünften Vollversammlung des ÖRK 1975 in Nairobi nicht konsensuell geklärt werden (vgl. a. a. O., 66; vgl. auch Schieffer, Elisabeth, Von Schauenburg nach Leuenberg, 656–659). Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 38. Vgl. ebd. Auch die Gespräche im Vorfeld der Leuenberger Konkordie nahmen die Entwicklung im größeren ökumenischen Kontext wahr. Ihre ursprüngliche Motivation lag jedoch nicht erst im Ausgang des Zweiten Vatikanums. Budde, Achim u. a., Rittersaalgespräche, in: ders./Schuegraf, Oliver (Hg.), Ökumene retten. Symposium der Burg Rothenfels und des Forum Studienjahr Jerusalem 12.–14. November 2010, Münster 2012 (JThF; 22), 13–43, 27. Sowohl der LWB als auch der ÖRK bekannten sich zu der Aufgabe, die Mitgliedskirchen zu „vollerer Gemeinschaft“ zu führen (Meyer, Harding, „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ – „konziliare Gemeinschaft“ – „organische Union“, 381).
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zeugungen und Traditionen“20 Raum gewährt. Ziel der Initiative der konfessionellen Weltbünde war dabei eine „Kirchenunion, in der die einzelnen Teilkirchen ihre jeweiligen konfessionellen Eigenheiten und Traditionsbildungen nicht zugunsten eines umfassenden Konsenses und einer Offenheit am Ort preisgeben müssen“21. Die Differenz zwischen den Einheitsvorstellungen bestand dabei im Wesentlichen in einer unterschiedlichen Wertung „des spezifisch konfessionellen Erbes der Kirchen“22. Die Grundidee der konfessionellen Weltbünde, dass Konfession und Ökumene einander nicht widersprechen, ging von Beginn an von der Annahme aus, „dass sich die Wahrheit des einen Glaubens in der Geschichte in einer Vielzahl von Ausdrucksformen äußert“23. Diese Ausdrucksformen seien jedoch nicht frei von Irrtümern, welche die Einheit der Kirche bedrohten, so der Bericht der Weltbünde. Wenn aber die verschiedenen Ausdrucksformen des Glaubens als jeweiliges konfessionelles Erbe „in angemessener Weise in neue geschichtliche Situationen übertragen“24 würden, so behielte das konfessionelle Erbe seine Legitimität. Es galt also, den Unterschied als solchen nicht zu überwinden, sondern vielmehr den Charakter des Unterschiedes zu verändern. Dieser Prozess der Aktualisierung des jeweiligen Erbes sollte zu einer Einheit führen, die von der „Einheitlichkeit des Glaubens und der Kirchenverfassung“ absehen könne, da die Unterschiede „ihren trennenden Charakter verlieren“25. Somit rückt im Unterschied zu der Idee einer „organischen Union“ die konfessionelle Identität in den Bereich legitimer Vielfalt in der Einheit, „die den 20 Diskussionspapier der zwei Genfer Konsultationen der Konfessionellen Weltbünde 1974, gekürzt abgedruckt in: Gassmann, Günther/Meyer, Harding, Die Einheit der Kirche, 29–34; 33, §30. Im Unterschied zum Konzept der „organischen Union“ umfasst der Aspekt der legitimen Verschiedenheit nicht nur kulturelle Unterschiede, sondern auch konfessionelle Unterschiede. 21 Böttigheimer, Christoph, Das Ringen um die Einheit der Kirchen. Chancen und Schwierigkeiten des ökumenischen Modells der „versöhnten Verschiedenheit“, in: StZ 217 (1999), 87–100; 89. Vgl. auch ders., „Differenzierter Konsens“ und „versöhnte Verschiedenheit“. Über die Tradition der Konzentration christlicher Glaubensaussagen, in: Cath(M) 59 (2005), 51–66. 22 Hintzen, Georg, Verwirklichungen kirchlicher Einheit unter reformatorischen Kirchen, 63. 23 Diskussionspapier der zwei Genfer Konsultationen der Konfessionellen Weltbünde 1974, gekürzt abgedruckt in: Gassmann, Günther/Meyer, Harding, Die Einheit der Kirche, 29–34; 33, §30, Herv. v. J.G. Dieses Prinzip der Einheit in der Vielfalt war allerdings keine neue ökumenische Einsicht, „sondern ein genuin christliches Prinzip seit der Frühkirche“ (Larentzakis, Grigorios, Ekklesiologie in der Leuenberger Kirchengemeinschaft, 107f. Vgl. auch: ders., Vielfalt in der Einheit aus der Sicht der orthodoxen Kirche. Versuch einer Selbstdarstellung, in: Ökumenisches Forum 8 [1985], 65–87). 24 Diskussionspapier der zwei Genfer Konsultationen der Konfessionellen Weltbünde 1974, gekürzt abgedruckt in: Gassmann, Günther/Meyer, Harding, Die Einheit der Kirche, 29–34; 33, §30. 25 Ebd.
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Charakter der ‚versöhnten Verschiedenheit‘ besitzt“26. Die ökumenische Formel, mit der von nun an das für die bilateralen interkonfessionellen Gespräche orientierende Einheitsverständnis zum Ausdruck kam, war die „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“.27 Unklar bleibt auf dieser Abstraktionsebene allerdings, wie die Gestalt dieser kirchlichen Einheit näher definiert wird. So ist offen, durch welche Lehrfragen die Wahrheit des einen Glaubens zu bestimmen ist, damit von einer Einheit zwischen den Konfessionen die Rede sein kann. Neben dieser Unklarheit in Bezug auf den Umfang des nötigen Konsenses ist nicht definiert, welcher Art die Übertragung unterschiedlicher Ausdrucksformen „in angemessener Weise“ in neue geschichtliche Situationen ist. Handelt es sich hierbei um neue gemeinsame Formulierungen in Bezug auf die bestehenden Bekenntnisaussagen oder um die ausdrückliche Selbstunterscheidung einer Lehraussage von ihrem Gegenstand?28 Eine Konkretisierung erfährt das Konzept der Weltbünde von 1974 drei Jahre später in einem Vorbereitungspapier für die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes 1977 in Daressalam und dann später im Bericht der Vollversammlung selbst.29 Erläuternd heißt es auf der Vollversammlung in der Erklärung über „Modelle der Einheit“, „die konfessionellen Ausprägungen christlichen Glaubens [besitzen] in ihrer Verschiedenheit einen bleibenden Wert“30. Sie verlören allerdings ihren trennenden Charakter und könnten miteinander versöhnt werden, „wenn sie gemeinsam auf die Mitte der Heilsbotschaft und des christ26 Ebd. 27 Vgl. Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 39. Vgl. auch die ergänzenden Angaben zu der Rezeption des Gedankens in den von der katholischen Kirche mitverantworteten Dialogen in: a. a. O., 39, Anm. 7. Dass man hierbei auf das Vorgehen der Leuenberger Konkordie verwies, lag an der Besonderheit des Leuenberger Modells, dass Kirchen unter Beibehaltung ihres unterschiedlichen Bekenntnisstandes „einander Gemeinschaft an Wort und Sakrament gewähren“ (LK 29f). Die Kirchen bleiben im Modell von Leuenberg weiterhin gebunden an die sie verpflichtenden Bekenntnisse, sodass hiermit ein Konzept von Gemeinschaft entwickelt wurde, das die konfessionellen Verschiedenheiten einzuschließen vermochte. Das Leuenberger Modell teilte folglich nicht die ökumenische Vorstellung einer transkonfessionellen Union, wie sie in Teilen des ÖRK vorherrschte (vgl. Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 40). Während die Leuenberger Konkordie entgegen ihrer sehr knappen Textgestalt allerdings ein deutlich detaillierteres Verständnis von Einheit und Kirchengemeinschaft zu vermitteln vermag, bleibt das Konzept der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ vergleichsweise wenig ausdifferenziert und vermag primär den von den konfessionellen Weltbünden präferierten ökumenischen Leitgedanken einer Kompatibilität von Ökumene und Konfession zu transportieren. 28 Vgl. hierzu die Diskussion um die Interpretation der Kirchenstudie, Kap. C 1.2.1 der vorliegenden Untersuchung. Während Eilert Herms eine Hermeneutik der Selbstunterscheidung vertritt, wird dieser Deutung die stete Lehrförmigkeit jeder Aussage entgegengehalten. 29 Vgl. Ökumenische Beziehungen des Lutherischen Weltbundes. Bericht der Arbeitsgruppe für die Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen bilateralen Dialogen. Unterbreitet anlässlich der Tagung des Exekutivkomitees. Divonne, Februar 1977. 30 Hessler, Hans-Wolfgang/Thomas, Gerhard (Bearb.), Daressalam 1977, 205.
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lichen Glaubens bezogen sind und diese Mitte nicht in Frage stellen“31. Diese Formulierung geht über die erste Skizze der Grundidee hinaus, indem sie erläutert, was hinter der von den Weltbünden 1974 zum Ausdruck gebrachten Formel von der „angemessenen Weise“ der Übertragung steht.32 Angemessen und die bleibende Vielfalt der Ausdrucksformen legitimierend ist die Übertragung der verschiedenen Ausdrucksformen des Glaubens als jeweiliges konfessionelles Erbe in neue geschichtliche Situationen demnach, wenn sie positiv „auf die Mitte der Heilsbotschaft und des christlichen Glaubens bezogen“33 ist. Kirchliche Spaltung reicht gemäß dem Konzept der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ also nicht bis an die „Wurzel“, die Wahrheit des einen Glaubens. Konfessionelle Ausdrucksformen des Glaubens, welche die Wahrheit des einen Glaubens bzw. die Wurzel nicht in Frage stellen, können weiterhin als legitim verschiedene Interpretationen dieser Wahrheit erkannt werden.34 Der Konsens zwischen den Kirchen, der sich an diesem Konzept orientiert, soll, so die Erwartung der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes, zu konkreten Veränderungen im Verhältnis der Kirchen zueinander führen: Einheit und Versöhnung meinen nicht bloße Koexistenz. Es geht um wirkliche kirchliche Gemeinschaft, zu der die Anerkennung der Taufe, die Herstellung eucharistischer Gemeinschaft, die gegenseitige Anerkennung der kirchlichen Ämter und eine verpflichtende Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst als konstitutive Elemente hinzugehören.35
Unklar bleibt folglich weiterhin die Frage, in welchen Lehrfragen zwischen den Kirchen ein Konsens gefunden werden muss, um dieser ekklesiologischen Vorstellung zu genügen. Auch die Art des Konsenses und die inhaltliche Definition 31 Ebd. Vgl. hierzu auch: Scharbau, Friedrich-Otto, Einheit in versöhnter Verschiedenheit, 66. 32 Vgl. das Diskussionspapier der zwei Genfer Konsultationen der Konfessionellen Weltbünde 1974, gekürzt abgedruckt in: Gassmann, Günther/Meyer, Harding, Die Einheit der Kirche, 29–34; 33; §30. 33 Hessler, Hans-Wolfgang/Thomas, Gerhard (Bearb.), Daressalam 1977, 205. 34 Vgl. Böttigheimer, Christoph, Das Ringen um die Einheit der Kirchen, 90f: „Weil die konfessionellen Eigenheiten, sofern sie mit dem gemeinsamen Glaubensfundament in Einklang stehen, für legitim erachtet werden, wird nicht nach einem alle Lehraussagen umfassenden Konsens Ausschau gehalten, sondern nach einer Übereinstimmung in elementaren christlichen Lehrgehalten und einer Überwindung gegenseitiger Lehrverurteilungen“. 35 Hessler, Hans-Wolfgang/Thomas, Gerhard (Bearb.), Daressalam 1977, 205f. Diese Konkretisierung nimmt die bereits 1961 in der Einheitsformel von Neu-Delhi aufgezählten Konstitutiva sichtbarer Einheit der Kirche auf. Vgl. ferner Budde, Achim u. a., Rittersaalgespräch, 29. Der Begriff der (friedlichen) Koexistenz wurde drei Jahre früher, 1974, auf der Vollversammlung von Faith and Order in Ghana in Abgrenzung von dem Konzept der „organischen Union“ geäußert. Vgl. Nelson, J. Robert, Konziliarität – Konziliare Gemeinschaft, 364. Die Bemerkung, die Idee einer „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ gehe über eine bloße Koexistenz hinaus, diente möglicherweise auch dazu, den neuen Gedanken gegenüber möglichen Vorwürfen etwa der intendierten Bewahrung des Status quo zu verteidigen.
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der „Mitte der Heilsbotschaft“ werden nicht konkretisiert. Entsprechend konstatiert der Bericht der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes: „Das Konzept von der ‚versöhnten Verschiedenheit‘ wird nicht den Anspruch erheben, bereits eine detaillierte und endgültige Zielbeschreibung unseres Ringens um die Einheit der Kirche zu sein“36.
2.1.2 Die Mehrdeutigkeit des Konzeptes der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ und seine Kritik Das Konzept der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ erfährt trotz seiner in der Ökumene bis heute großen Popularität als ökumenische Deutekategorie im Umgang mit Verschiedenheit auch vielfältige Kritik.37 Bei der Kritik wird insbesondere auf die fehlende gemeinsame Definition des ekklesiologischen Selbstverständnisses des Konzeptes hingewiesen. Im Leuenberger Modell dient die Formel als Beschreibung einer Gegenwart, die sich stets bewähren muss.38 Kirchengemeinschaft ist in diesem Sinne die Gemeinschaft von Kirchen unterschiedlicher Bekenntnistraditionen, deren Verschiedenheiten und gegenseitige Lehrverurteilungen ihren kirchentrennenden Charakter verloren haben. Eine solche Gemeinschaft ist nicht statisch, sondern als Ausdruck „eines Prozesses der Versöhnung“39 zu verstehen.40
36 Hessler, Hans-Wolfgang/Thomas, Gerhard (Bearb.), Daressalam 1977, 205. Die Aufnahme des Konzeptes als Inspirationsquelle für den Umgang mit Pluralität in Europa durch die Politik geschieht höchstwahrscheinlich aufgrund der Interpretationsoffenheit des Konzeptes und des somit erweiterten Anwendungsbereich. Vgl. die Ausführungen in der Einleitung der vorliegenden Untersuchung. 37 Als „ökumenische Deutekategorie“ lässt sich der Gedanke der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ begreifen, insofern es sich weder um einen normativ definierten Begriff noch um ein ausdifferenziertes ökumenisches Konzept handelt, sondern um eine übergeordnete Bezeichnung einer ökumenischen Einheitsvorstellung und einer Charakterisierung ökumenischer Dialoge und deren Ergebnisse. 38 Das Verständnis der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“, wie es mit der LK zum Ausdruck kommt, wird häufig verkürzt dargestellt als Beschreibung der Gegenwart (vgl. u. a. Koch, Kurt, Dass alle eins seien, 61). Bei genauerem Hinsehen wird jedoch klar, dass Kirchengemeinschaft als Gegenwart und bleibende Aufgabe, also prozesshaftes Geschehen zu verstehen ist (vgl. die Leitthese der vorliegenden Arbeit, ausgeführt in der Einleitung). 39 Parmentier, Elisabeth, Identität und Ökumenekultur, 64. 40 Parmentier verdeutlicht dieses Verständnis anhand der in der Konkordie tragenden Unterscheidung zwischen dem „grundlegenden Zeugnis und den geschichtlich bedingten Denkformen“. Demnach sei zu präzisieren, „dass der Grund kein statisches Prinzip ist, sondern eine lebendige Kraft, ein Ruf und eine immerwährende Herausforderung an die Gestalten, dem Evangelium als Kriterium treuer zu werden“ (ebd). Vgl. auch Bünker, Michael/Jaeger, Bernd (Hg.), Frei für die Zukunft, 96f: „Das ökumenische Leitbild der Einheit in versöhnter Verschiedenheit prägt unsere Kirchengemeinschaft. […] Dieses Leitbild hat
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Aus römisch-katholischer Perspektive hingegen wird mit der Formel „nicht die heutige Situation, sondern das Ziel der ökumenischen Bemühungen“41 zum Ausdruck gebracht. Die gegenseitige Anerkennung als Kirche Jesu Christi ist demnach erst nach Aufarbeitung aller kirchentrennenden Differenzen möglich. Es ist jedoch eine zwischen evangelischen Kirchen und römisch-katholischer Kirche, ja sogar innerhalb der evangelischen Konfessionen, kontrovers diskutierte Frage, „wieviel Einheit in der sichtbaren Ordnung der Kirche notwendig ist, um der Bezeugung der Einheit des Leibes Christi entsprechen zu können, und welche Elemente folglich für die sichtbare Kirchengemeinschaft konstitutiv sind“42. Begründet sieht Kardinal Walter Kasper die Kontroverse in einem unterschiedlichen ekklesiologischen Selbstverständnis: Das katholische Verständnis setzt nicht bei den Unterschieden an, um von ihnen aus Einheit zu erreichen, sondern setzt die Einheit im Rahmen der katholischen Kirchen ihrer teilweisen Communio mit den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften als gegeben voraus, von der aus die volle Communio mit ihnen erreicht werden soll.43
Nach Auffassung der römisch-katholischen Kirche umfasst die Einheit notwendigerweise die „Einheit im einen Glauben, in denselben Sakramenten und dem einen apostolisch begründeten Bischofsamt“44. Nach evangelischer Auffassung gibt es hingegen „keine Verfügung menschlicher Ämter und Strukturen über die Feststellung der Wahrheit“45. Es ist nach dieser Auffassung allein „ein
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sich bewährt, aber es darf uns nicht davon abhalten, zuversichtlich nach Lebensformen einer immer sichtbarer werdenden Einheit zu fragen“. Koch, Kurt, Dass alle eins seien, 61f, Herv. v. J.G. A. a. O., 62; vgl. auch Weber, Friedrich, „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“, 6: „Was für die GEKE legitimer Unterschied ist, verstehen andere als ein noch zu überwindendes Hindernis für die wahre Einheit“. Vgl. ferner Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute, 470f. Kasper, Walter, Wege der Einheit, Perspektiven für die Ökumene, Freiburg 2005, 96. Im Unterschied hierzu führt die evangelischerseits weitgehend vollzogene Unterscheidung zwischen sichtbaren Kirchen und der verborgenen Kirche (und das damit zusammenhängende Amtsverständnis) geradezu notwendig zu dem Ausgangspunkt sichtbarer Verschiedenheit der Kirchen, deren bleibender Auftrag es ist, ihre verborgene Einheit in Zeugnis und Dienst sichtbar zu machen. Barth, Hermann, Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit, in: ZThK 103 (2006), 443– 460; 443, dort zitiert aus dem Typoskript des Festvortrags von Walter Kasper über die Zukunft der Ökumene (8. 12. 2005). Barth, Hermann, Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit, 451. In der Stellungnahme der Kammer für Theologie der EKD vom Jahr 2002 zu „Communio Sanctorum“ heißt es in scharfer Abgrenzung vom katholischen Verständnis der Notwendigkeit des Papstamtes: „Indem die Reformatoren dem Papsttum als dem Inbegriff kirchlicher Autorität vorwarfen, im Widerspruch gegen die Wahrheit des Wortes Gottes zu stehen, stellten sie positiv fest, dass keine Instanz in der Kirche gegen Irrtum gefeit oder gar Garantin der Wahrheit ist, sondern dass das Wort Gottes im Heiligen Geist sich selbst, notfalls auch gegen die kirchlichen Autoritäten, durchsetzt und diese nur seinerseits in der Wahrheit halten kann. Das ist für die
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gewisser Grundkonsens hinsichtlich des Evangeliums und der evangeliumsgemäßen Spendung von Taufe und Abendmahl“46 ausreichend. Die Vision einer kirchlichen Gemeinschaft, die unter anderem eucharistische Gemeinschaft und gegenseitige Anerkennung der Ämter einfordert, lässt demnach entweder das römisch-katholische Verständnis außer Acht oder sie verschiebt die Grundlage von Kirchengemeinschaft auf eine noch allgemeinere Ebene. Diese rückt dann jedoch die unterschiedliche konfessionelle Schrifthermeneutik in den Bereich des legitimen Pluralismus.47 So herrscht kein Konsens zwischen protestantischen Kirchen einerseits und römisch-katholischer Kirche andererseits darüber, was die notwendigen und ausreichenden Kriterien zur Einheit der Kirche sind. Die Vielfalt ist daher, so Walter Kasper, in sich hinsichtlich der Frage nach ihrer Legitimität zu differenzieren: „Man muss darum die legitime Vielfalt in der Bezeugung des einen und selben Glaubens klar und deutlich unterscheiden von der Vielheit einander widersprechender und einander ausschließender Glaubensaussagen, wie wir sie leider im Verhältnis der Konfessionen vorfinden“48. Die Wendung der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ wird folglich in Abhängigkeit vom jeweiligen ekklesiologischen Selbstverständnis unterschiedlich gedeutet. Somit verliert sie jedoch als ökumenisches Konzept, das sich an alle Kirchen richtet, an integrativer Kraft. Die Ursache der Variationen der Begriffsbestimmung befindet sich dort, wo in Abhängigkeit von der jeweiligen Ekklesiologie die konstitutiven Elemente der Einheit zwischen den Kirchen näher bestimmt werden, wo es also um den zur Einheit nötigen Konsens geht. Von dort aus ergeben sich sodann Konsequenzen für die Bestimmung der notwendigen Einheit und legitimen Vielfalt sowohl bezüglich des theologischen Gehalts als auch der sichtbaren Gestalt der Einheit.49 Koch resümiert: „In dieser unterschiedlichen Verwendung der Formel von der ‚versöhnten Verschiedenheit‘
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Reformatoren eine ekklesiologische Grundtatsache“ (Stellungnahme der Kammer für Theologie der EKD zu Communio Sanctorum, 2002, https://www.ekd.de/EKD-Texte/comm unio_sanctorum_2002.html). Barth, Hermann, Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit, 443, dort zitiert aus dem Typoskript des Festvortrags von Walter Kasper über die Zukunft der Ökumene (08. 12. 2005). Gottfried Hoffmann spricht in diesem Fall von der „Preisgabe der bisherigen Identität eines Partners“ (ders., „Versöhnte Verschiedenheit“ – Zur ökumenischen Konzeption des Lutherischen Weltbundes, in: Lutherische Theologie und Kirche 4 [1977], 85–91; 89). Vgl. Kap. C 2.2.2 der vorliegenden Untersuchung. Kasper, Walter, Einheit in versöhnter Verschiedenheit, 14. Ob die Glaubensaussagen wirklich einander widersprechen oder ob sich im Rahmen der Konsensökumene Differenzen ausgehend von einem tiefer liegenden Grundkonsens als legitime Akzentaussagen deuten lassen, bleibt die zentrale Aufgabe des ökumenischen Dialogs. Vgl. Böttigheimer, Christoph, Einheit ja, aber welche?, 26; 34f.
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dürfte der Wurzelgrund zahlreicher ökumenischer Irritationen und Mißverständnisse liegen“50. Doch nicht nur im ökumenischen Dialog mit der römisch-katholischen Kirche kommt es ausgehend von einer unterschiedlichen Deutung der ökumenischen Leitidee zu Missverständnissen. Auch ein gemeinsames Kriterium für die Einheit der Kirche, wie es im Fall der evangelischen Kirchen mit CA VII vorliegt, führt mitunter zu Missverständnissen, da das Kriterium selbst unterschiedlich gedeutet werden kann.51 Schließlich werden auch andere Aspekte der ökumenischen Formel kritisch beurteilt, die nicht zuletzt durch deren Wortlaut evoziert werden. So merkt Wolfhart Pannenberg an, dass der Ausdruck der „versöhnten Verschiedenheit“ nach evangelischer Lesart das Missverständnis provoziere, es ginge letztlich um die Bewahrung des status quo, mit der einzigen Änderung, dass die Kirchen einander nicht mehr ausschlössen.52 Es stellt sich also die Frage, ob die faktische Verschiedenheit und Vielfalt „wirklich auch als Reichtum vermittelt wird oder ob in diesem vermeintlichen Reichtum nicht eher das Differente als das jeweilige Profil festgehalten wird“53. Wird also das Gemeinsame, das die einzelnen Konfessionen übersteigt, ausreichend gepflegt und zum Ausdruck gebracht? Die Frage lässt erkennen, dass Dissens darüber besteht, welcher Teil der ökumenischen Formel stärker gewichtet wird: die Einheit oder die Verschiedenheit.54 Über die Ausrichtung auf eine wachsende Einheit hingegen scheint ausgehend von der Überzeugung, dass „volle Kommunion kirchliche Gemeinschaft bedeutet, die
50 Koch, Kurt, Dass alle eins seien, 61f. 51 Vgl. hierzu den Diskurs über die Interpretation von CA VII durch die Leuenberger Konkordie, Kap. C 1.1.1.1 und C 1.1.1.2 der vorliegenden Untersuchung. 52 Vgl. Pannenberg, Wolfhart, Die Augsburger Konfession und die Einheit der Kirche, in: ÖR 28 (1979), 99–114; 107f; vgl. ferner die kritische Bemerkung im Bericht der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung über „Einheit der Kirche – Das Ziel und der Weg“, in: Müller-Fahrenholz, Geiko (Hg.), Accra 1974. Sitzung der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung. Berichte, Reden, Dokumente, ÖR.B 27 (1975), 61–77; 67. Dort wird die Formel der versöhnten Verschiedenheit verglichen mit der Beschreibung einer „fortgesetzten Koexistenz der voneinander getrennten konfessionellen Gruppen“. 53 Weber, Friedrich, 40 Jahre Leuenberger Kirchengemeinschaft, 164. 54 Vgl. hierzu auch Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute, 471. Weinrich geht von einem sich vollziehenden Wandel in der Ökumene aus, hin zu einer schleichenden Rekonfessionalisierung, sodass sich für die ökumenische Formel eine Verschiebung des Akzentes von der Versöhnung (als Vermittlung in der Verschiedenheit der Kirchen) hin zur Verschiedenheit erkennen lasse. Nach Weinrich deutet diese Akzentverschiebung entweder in Richtung einer Normalisierung, insofern nun die Versöhnung als ausreichend tragfähig gesehen werden könnte, die Verschiedenheiten auch offen zu tragen. Oder aber die Verschiebung deutet hin auf eine „Aufwertung der Eigenheiten“ und wachsende „Relativierung der Koinonia“ (ebd.).
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Die begriffliche Identifizierung von Modell und Methode im ökumenischen Diskurs
dann auch als solche eine bestimmte Gestalt finden muss“55, Konsens zu bestehen.56 Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Verknüpfung von Versöhnung und Verschiedenheit in der ökumenischen Formel. Wilfried Härle sieht hierin die Vermischung von zusammenhanglosen Sachverhalten, insofern Verschiedenheit nicht zwangsläufig der Versöhnung bedürfe. Vielmehr bedürfe die Verschiedenheit zwischen Kirchen einzig „der Bejahung oder Ablehnung“, während der Begriff der Versöhnung auf „schuldhaft gestörte Beziehungen [rekurriere] und […] ihrer Wiederherstellung“57 diene.58 Die Betrachtung zur Mehrdeutigkeit und Kritik an der Formel der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ zeigt, dass mit der Formel unterschiedliche Dialoge und Einheitsvorstellungen sprachlich füreinander anschlussfähig gemacht werden sollen. Zugleich wird bei näherem Hinsehen deutlich, dass die Formel verschiedene, von unterschiedlichen ekklesiologischen Selbstverständnissen ausgehende Deutungen erhält. Demnach bleibt mit der Wendung zunächst offen, wie die versöhnte Verschiedenheit methodisch zu erreichen ist und welche Kriterien hierzu erfüllt werden müssen. Wie die folgenden Betrachtungen zeigen werden, finden sich diese unterschiedlichen Lesarten der Leitidee einer „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ auch in der konkreten Auslegung der dazugehörigen Methode wieder: Die Konsenstheorien bildeten sich erst „im Vollzug des Konsensbemühens der bilateralen interkonfessionellen Dialoge“59 und folgten somit der Konsensbildung im Sinne einer Selbstreflexion. Während also der Gedanke der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ als leitende Einheitsvorstellung der bilateralen Dialoge bereits vorlag, wurde erst einige Zeit später der Versuch unternommen, die Methode des ökumenischen Konsenses zu explizieren, die mit diesem Verständnis von Einheit korrespondierte. Dabei wurde immer deutlicher, dass in dem Konsensbemühen konfessionsübergreifend vor allem eine bestimmte
55 Pannenberg, Wolfhart, Die Augsburger Konfession und die Einheit der Kirche, 108. 56 Diese Ausrichtung wird bereits von der Konkordie zum Ausdruck gebracht (vgl. LK 29). Sie wird auch aus römisch-katholischer Sicht bestätigt. So betont Peter Neuner ebenfalls die Notwendigkeit einer konkreten Gestalt der Versöhnung, die er im gottesdienstlichen Geschehen erblickt (vgl. Budde, Achim u. a., Rittersaalgespräch, 30). 57 Härle, Wilfried, Ökumenische Enttäuschungen, 7. 58 Ebd. Somit verweist Härle auf den Wahrheitsanspruch des Bekenntnisses. Einem solchen Verständnis widerspricht nach Ansicht des Verfassers der vorliegenden Untersuchung die LK aber. So gibt es Trennungen, die in einer Absolutsetzung geschichtlich und kontextuell bedingter Bekenntnisaussagen gründen und von daher mit Schuld vor der vorgegebenen Einheit beladen sind. Vgl. hierzu auch das Schuldbekenntnis und die Notwendigkeit zur Metanoia in LK 1, Satz 3; LK 14, Satz 3. 59 Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 36.
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309
Konsensmethode herangezogen wurde.60 Es zeichnete sich also ab, dass ein bestimmtes methodisches Korrelat für die gemeinsame Einheitsvorstellung der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ gefunden werden konnte.
2.2
Die begriffliche Identifizierung der Methode der Leuenberger Konkordie
Die Suche nach einer der ökumenischen Leitvorstellung adäquaten Methode konnte zum einen auf theologiegeschichtliche Einsichten rekurrieren, die noch hinter das Zeitalter der Konfessionalisierung reichen.61 Zum anderen kam der in 60 Vgl. a. a. O., 41. Die Reflexion über die Methode ging also von einem bestimmten Verständnis von kirchlicher Einheit aus. Die Methodikreflexionen sind folglich zu verstehen als „Selbstreflexion in Folge der faktischen ökumenischen Konsensbildung“ (a. a. O., 36, Herv. v. J.G.) oder als das Konsensbemühen begleitende Gedanken. 61 Der Gedanke eines Grundkonsenses entstand nicht originär im 20. Jahrhundert. Vielmehr wurde mit ihm ein „breites theologiegeschichtliches Gedankengut“ (Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Bericht und Reflexion über eine Konsultation und ihr Thema, 47) aufgenommen, das bis in die frühe Kirche zurückreicht. So brachte Irenäus von Lyon bereits um 180 n. Chr. seine Überzeugung über die Weitergabe der apostolischen Verkündigung zum Ausdruck, dass die christliche Botschaft der Wahrheit (kerygma tes aletheias) ungeachtet der Verschiedenheit der Sprachen und Länder alle Menschen erleuchte, „die gewillt sind, zur Erkenntnis der Wahrheit zu kommen“ (Adversus haereses I.10.2, [übers. v. J.G.], in: Brox, Norbert [Hg.], Adversus haereses/Irenäus von Lyon, Freiburg [Brsg.] 2001. Vgl. Kretschmar, Georg, Grundkonsens. Ein Konzept heutiger ökumenischer Theologie im Spiegel der Erfahrungen der Kirche des Augsburgischen Bekenntnisses, in: Birmelé, André/ Meyer, Harding [Hg.], Grundkonsens – Grunddifferenz, 78–97; 78). Die Botschaft, der für die Kirchengemeinschaft notwendige und ausreichende „Kanon der Wahrheit“, ist demnach formulierbar, zugleich jedoch nicht an eine bestimmte Form gebunden (Zum Kanon der Wahrheit vgl. Adversus haereses I.10.1). Ein Wandel in Bezug auf die Idee eines zur Einheit der Kirche notwendigen und ausreichenden Grundkonsenses ergab sich im Zuge des trinitarischen Streits des vierten Jahrhunderts. So wurde auf dem Konzil von Nizäa als verpflichtender Glaubenskonsens der Kirche nicht mehr wie bisher die apostolische Botschaft, sondern „zunächst das Ergebnis theologischer Überlegung der Konzilsväter“ (Kretschmar, Georg, Grundkonsens, 79) hervorgehoben. Zur Kirchengemeinschaft notwendig und ausreichend war demnach die Zustimmung zu dem in Nizäa explizierten Glaubensbekenntnis, für das selbst zugleich der Anspruch erhoben wurde, unter Wirkung des trinitarischen Gottes zustande gekommen zu sein. Kirchenspaltung war demnach zu überwinden „durch eine Besinnung auf das Fundamentale, das Einigende“ (ebd.), das sich nun durch zwei Eigenschaften auszeichnete: die gemeinsame Formulierung, das öffentliche Zeugnis einerseits und andererseits die Verankerung dieser Formulierung im Heilsgeschehen selbst. Auch für Luther und die Wittenberger Reformatoren gibt es zwei Arten, die Katholizität der Kirche zum Ausdruck zu bringen. Zum einen wird mit den Katechismen das aufgenommen und ausgelegt, was als das Grundlegende geglaubt wird. Zum anderen wird ausgehend von diesem Grundbestand und zu dessen Bewahrung sowie in Abgrenzung von anderen Lehren expliziert, was verbindliche Lehre ist. Es lässt sich folglich eine doppelte Bewegung erkennen, die sich einerseits aus dem Rekurs auf den gemeinsamen Glaubensinhalt ergibt, und andererseits aus der
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der Leitvorstellung der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ verarbeitete Gedanke im Zweiten Vatikanum auf. Indem in diesem Rahmen erstmals von einer „hierarchia veritatum“, einer Hierarchie der Wahrheiten, gesprochen wurde, wurde der ökumenischen Erkenntnis zugestimmt, „daß erst die Konzentration auf die Mitte des neutestamentlichen Zeugnisses von Gottes Heilshandeln in Christus ökumenische Gespräche möglich und sinnvoll“62 mache. Mit dem Versuch, eine der ökumenischen Leitvorstellung angemessene Methode zu entwickeln, war die Aufgabe verbunden, den bestehenden Differenzen zwischen den Kirchen ihre kirchentrennende Bedeutung zu nehmen und somit das vielgestaltige konfessionelle Erbe als bleibend legitim – im Sinne einer Vielzahl der Ausdrucksformen des einen Glaubens – auszuzeichnen. Auf dieser verbindlichen Explikation dessen, was zu diesem zentralen Glaubensinhalt zu lehren ist. Der mit dieser Bewegung verbundene Gedanke eines Grundkonsenses wurde später in der humanistischen Irenik durch ihren bedeutendsten Vertreter, Georg Calixt, erneut zum Ausdruck gebracht (vgl. Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 51. Zu Georg Calixt vgl. Böttigheimer, Christoph, Zwischen Polemik und Irenik. Die Theologie der einen Kirche bei Georg Calixt, Münster 1996. Vgl. ferner ders., Die ökumenische Relevanz der Fundamentalartikellehre, in: ÖR 46 [1997], 312–320). 62 Böttigheimer, Christoph, Grundkonsens statt Wesensdifferenz, 54. Ursprünglich geprägt wurde der Begriff der „Hierarchie der Wahrheiten“ jedoch bereits früher durch Kardinal Yves Congar, der ihn 1946 in einem Vortrag und 1948 in einem Lexikonartikel verwendete. Vgl. die Angaben in: Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 205, Anm. 121 und 122. Im Zweiten Vatikanum findet der Begriff Anwendung im Dekret über den Ökumenismus, vgl. UR 11: „Bei Vergleich der Lehren miteinander soll man nicht vergessen, dass es eine Rangordnung oder ‚Hierarchie‘ der Wahrheiten innerhalb der katholischen Lehre gibt, je nach der verschiedenen Art ihres Zusammenhangs mit dem Fundament des christlichen Glaubens“. Der Text selbst kommentiert den von ihm eingebrachten Begriff nicht weiter. Dennoch wurde der erwähnte Begriff als „große ökumenische Öffnung“ (Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 196) erachtet, da sich die katholische Dogmatik als nicht mehr monolithisch, sondern potentiell offen für den Dialog gab. Über die Nähe des Prinzips der Hierarchie der Wahrheiten zum allgemeinen Grundkonsens-Gedanken besteht zwar Konsens. Es besteht also Übereinstimmung darüber, dass es sich um ein Interpretationsprinzip handelt, das auf den Grund bzw. die Mitte des Glaubens verweist. Die engere inhaltliche Definition sowie die Anwendung des Prinzips der „Hierarchie der Wahrheiten“ werden jedoch kontrovers diskutiert. So spricht Wolfgang Beinert von einem Interpretationsprinzip, das zugleich „die Erstellung eines auch quantitativ umschreibbaren Grundbestandes verpflichtender gemeinchristlicher Bekenntnisinhalte“ (Beinert, Wolfgang, Möglichkeit und Umfang ökumenischer Konsense. Eine historisch-theologische Studie zur „Grundkonsens“-Problematik, in: Birmelé, André/ Meyer, Harding [Hg.], Grundkonsens – Grunddifferenz, 56–77; 69) möglich mache. Walter Kasper entgegnet, dass alle Glaubensinhalte und Offenbarungsaussagen eine verpflichtende „Ganzheit“, ein „organisches Ganzes“ seien (Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft, 269. Vgl. ausführlich zur Diskussion auch Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 205–211). Der katholische Gedanke einer „Hierarchie der Wahrheiten“ wurde anschließend 1972 im „Malta-Bericht“ reflektiert. Der reformatorische Gedanke einer „Mitte des Evangeliums“, wie er in der Leuenberger Konkordie formuliert wird, scheint – zumindest auf den ersten Blick – auf einen ähnlichen Sachverhalt hinzuweisen. Vgl. hierzu Kap. C 2.2.1.1 der vorliegenden Untersuchung.
Die begriffliche Identifizierung der Methode der Leuenberger Konkordie
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Basis sollte eine gegenseitige Anerkennung unterschiedlicher Kirchen als wahre Kirche möglich sein, eine „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“. Konsens und Differenz waren methodisch also miteinander zu verbinden, indem zwischen legitimen und trennenden Unterschieden differenziert wurde und dabei bisher kirchentrennende Unterschiede auf Grundlage eines Konsenses, der auf einer anderen Ebene liegt, in legitime Differenzen umgewandelt wurden.63 Ziel der methodischen Überlegungen war es, dass die Differenzen zum Teil des Konsenses werden, der verstanden wird als „Ausdruck der Einheit, die nicht Einförmigkeit ist“64. Bestimmend für die Erörterung der Konsenstheorie derjenigen Dialoge, die mit der Leitidee der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ verbunden wurden, waren seit Beginn der 1980er Jahre der Begriff des „Grundkonsenses“65, des „differenzierten Konsenses“ als einer Lesart des Grundkonsenses sowie die Annahme einer „Grunddifferenz“.66 Der Begriff des „referentiellen Konsenses“ wurde allein in Bezug auf das Leuenberger Modell geprägt.67 Zur Beschreibung der methodischen Entsprechung zum Konzept der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ konnte sich schließlich der Begriff des „differenzierten Konsenses“ weitgehend durchsetzen.68 Sowohl die Methode der Leuenberger Konkordie als auch die Methode der aus den späteren bilateralen interkonfessionellen Gesprächen zwischen evangelisch-lutherischer Kirche und römisch-katholischer Kirche entstandenen „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ werden mit dem Begriff des „differenzierten Konsenses“ identifiziert.69 63 Vgl. Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Bericht und Reflexion über eine Konsultation und ihr Thema, 15f. Die genaue Definition der „Ebene“, auf der Konsens festgestellt wird bzw. auf die sich der Konsens bezieht, bleibt hier noch offen, ist aber notwendig zu klären. 64 Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 219. 65 Die Kirchenstudie der Leuenberger Kirchengemeinschaft spricht in Bezug auf die Methode der Leuenberger Konkordie von einem „in sich selbst doppelschichtigen Grundkonsens“ (KJC, III.1.3, 69). 66 Vgl. Birmelé, André/Meyer, Harding (Hg.), Grundkonsens – Grunddifferenz, 7; Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 54. Die Begriffe eines „Grundes“ und seiner „Ausgestaltung“ im Umgang mit Lehrkontroversen wurden bereits 1968 in den Arbeiten zu den Thesen zur Kirchengemeinschaft verwendet, die wichtige Impulse für die Leuenberger Konkordie gaben. Die konkreten ökumenischen Begriffe wurden jedoch erst nachträglich zur Interpretation der in der Konkordie entwickelten Methode genutzt. 67 Der referentielle Konsens wird von Christoph Schwöbel dem differenzierten Konsens – auch „propositionaler Konsens“ genannt – entgegengestellt (vgl. Schwöbel, Christoph, Konsens – Differenz – Referenz). 68 Vgl. u. a. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 107. 69 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 197. Die Leuenberger Konkordie wird dort auch als „hermeneutische Inspiration“ für andere Erklärungen zwischen unterschiedlichen Kirchen bezeichnet. Zur begrifflichen Identifizierung vgl. Nüssel, Friederike, Wie ist ökumenischer Konsens evangelisch möglich?, 449; dies., Kriterien
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Die begriffliche Identifizierung von Modell und Methode im ökumenischen Diskurs
Für den ökumenischen Diskurs und die Frage nach einer Vergleichbarkeit der angewandten Methode in ökumenischen Dialogergebnissen erweist sich allerdings die mangelhafte Ausdifferenziertheit der Begriffe als problematisch. Mithilfe der Begriffe können zwar unterschiedliche Dialogergebnisse sprachlich füreinander anschlussfähig gemacht oder aber voneinander abgegrenzt werden. Die Betonung einer Vergleichbarkeit oder Verschiedenheit ist jedoch irreführend und verursacht Missverständnisse, wenn sie auf Grundlage nicht ausreichend differenzierter Begriffe geschieht.70 Im Folgenden werden daher die in Zusammenhang mit der Vorstellung einer „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ stehenden Bezeichnungen der Konsensmethode näher erläutert.
2.2.1 Der Gedanke eines ökumenischen Grundkonsenses In Anknüpfung an die formulierte Zielvorstellung der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ wurde insbesondere in den ökumenischen Diskursen der 1980er und 1990er Jahre der Gedanke eines Grundkonsenses formuliert.71 In Zusammenhang mit der Kommemoration der Confessio Augustana im Jahr 1980 und des Nizänokonstantinopolitanums 1981 brachte der Begriff die damals erneut aufkommende ökumenische Überzeugung zum Ausdruck, dass es zwischen den Konfessionen eine „Übereinstimmung in zentralen Glaubenswahrheiten“72 gebe.73 Die Trennung zwischen den Kirchen sei also „nicht bis in den gemein-
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kirchlicher Einheit, 106. Die Bezeichnung der Methode der Leuenberger Konkordie als „differenzierter Konsens“ ist weit verbreitet. Vgl. u. a. Parmentier, Elisabeth, La Pertinence de la Concorde de Leuenberg, 262; Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 191; Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 257; Weinrich, Michael, Die Leuenberger Konkordie heute, 470. Noch heute, mehr als 40 Jahre nach Inkrafttreten der Konkordie, bestimmen unterschiedliche Beschreibungen die Diskussion um die Methode des reformatorischen Konsenses. Diese unterschiedlichen Charakterisierungen evozieren einen Dissens, dessen Entschärfung auch für das ökumenische Gespräch der Leuenberger Kirchengemeinschaft mit anderen Kirchen förderlich sein kann. Vgl. Kap. C 2.2.1.3 und C 3 der vorliegenden Untersuchung. Die folgenden Ausführungen zum „Grundkonsens“ orientieren sich insbesondere an der umfangreichen Studie des Straßburger Instituts für Ökumenische Forschung, die 1992 in Folge von zwei großen internationalen Konsultationen in den Jahren 1987 und 1989 publiziert wurde: Birmelé, André/Meyer, Harding (Hg.), Grundkonsens – Grunddifferenz. Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Bericht und Reflexion über eine Konsultation und ihr Thema, 30, Anm. 26. Es wurde also nicht nur das Nizänokonstantinopolitanum, sondern auch die Confessio Augustana als Ausdruck „einer Gemeinsamkeit in zentralen christlichen Glaubenswahrheiten“ angesehen, wie aus der Erklärung katholischer und lutherischer Theologen auf Grundlage eines gemeinsamen Kommentars zur Confessio Augustana hervorgeht. Zur Erklärung vgl. Gemeinsame Römisch-katholische/Evangelisch-lutherische Kommission, Alle unter einem Christus. Stellungnahme zum Augsburgischen Bekenntnis, 1980, in: DwÜ I, 323–
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samen Wurzelstock gegangen“74, so die damit verbundene Überzeugung. Das Gemeinsame, der Grundkonsens als ein gemeinsamer „Grundbestand an Glauben und Lehre“75, reiche weiter als das Trennende und gehe den Differenzen voraus, sodass auf dem Fundament des Grundkonsenses die Einigung der Kirchen geschehen könne. Christoph Böttigheimer resümiert rückblickend, „die ökumenische Bewegung als Ganzes“ gründe „in der Annahme eines Grundkonsenses“76. Ein solches, noch undifferenziertes Verständnis des Grundkonsens-Gedankens gewann im ökumenischen Diskurs zwar an Bedeutung. Es erwies sich allerdings noch als unzureichend für den ökumenischen Dialog, um die Art kirchlicher Gemeinschaft unter den konfessionell voneinander getrennten Kirchen zu erlangen, die mit der Vorstellung der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ verbunden wurde.77 Vielmehr wurde deutlich, dass zur Überwindung der Kirchentrennung weitergehende Verständigung nötig war, da die unterschiedlichen Konfessionen nicht nur durch gegenseitige Lehrverurteilungen voneinander getrennt waren, sondern auch ein unterschiedliches Verständnis dessen hatten, in welchen Lehrfragen der für die Einheit der Kirche notwendige Konsens gefunden werden musste (Kap. C 2.2.1.1) und welcher Art dieser Konsens sein musste (Kap. C 2.2.1.2 und Kap. C 2.2.1.3).78 Der Gedanke des Grundkonsenses führt folglich in seiner noch nicht weiter ausdifferenzierten Lesart zu denselben Fragen, die bereits an die leitende Einheitsvorstellung gestellt wurden. Dies führte im ökumenischen Diskurs zu dem Versuch, differenziertere Aussagen über den nötigen Grundkonsens zu machen.
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328; Zum gemeinsamen Kommentar vgl. Meyer, Harding/Schütte, Heinz (Hg.), Confessio Augustana – Bekenntnis des einen Glaubens. Vgl. ferner Meyer, Harding, Konsens und Kirchengemeinschaft. Am Ende der zweiten Phase des Dialogs zwischen römisch-katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund, in: KuD 31 (1985), 174–200; 185f; ders. (Hg.), Das katholisch/lutherische Gespräch über das Augsburger Bekenntnis. Dokumente 1977–1981, LWB-Report 10 (1982). Meyer, Harding/Schütte, Heinz (Hg.), Confessio Augustana – Bekenntnis des einen Glaubens, 27. Vgl. ferner die später entstandene Studie der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung: Gemeinsam den einen Glauben bekennen. Eine ökumenische Auslegung des apostolischen Glaubens, wie er im Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel bekannt wird. Studiendokument von Glauben und Kirchenverfassung, Frankfurt a.M./Paderborn 1991, 11–13; vgl. auch Iserloh, Erwin, 450 Jahre Confessio Augustana. Eine Bilanz, in: Cath(M) 35 (1981), 1–16. Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 52. Böttigheimer, Christoph, Grundkonsens statt Wesensdifferenz, 58. Vgl. Kap. C 2.1.1 der vorliegenden Untersuchung. Genannt wurden in diesem Zusammenhang die Anerkennung der Taufe, die Herstellung eucharistischer Gemeinschaft, die gegenseitige Anerkennung der kirchlichen Ämter und eine verpflichtende Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst. Vgl. hierzu etwa die bei den reformatorischen Kirchen konsensuell zugrunde liegenden Kriterien zur Einheit der Kirche, wie sie in CA VII oder in Inst. IV.1.9 beschrieben werden.
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2.2.1.1 Das Verständnis vom Grundkonsens und seinem Umfang Der Begriff des Grundkonsenses wird von der römisch-katholischen Kirche und den evangelischen – im folgenden Beispiel den evangelisch-lutherischen Kirchen – unterschiedlich interpretiert. Aus römisch-katholischer Perspektive kann das Verständnis des Grundkonsenses ausgehend vom Offenbarungsverständnis in zwei unterschiedliche Lesarten unterteilt werden.79 Eine Lesart, die von der katholischen Theologie als „instruktionstheoretisches Modell“ bezeichnet wird, geht davon aus, dass Offenbarung eine „Offenbarung von einzelnen Wahrheiten und Wirklichkeiten“80 im Plural ist. Eine solche Pluralität von Inhalten oder Glaubensaussagen findet sich zum Beispiel innerhalb eines Bekenntnisses. Bereits die altkirchlichen Bekenntnisse umfassen eine Vielzahl von Glaubensinhalten.81 Eine erste Lesart des Grundkonsenses geht mit Blick auf den Gehalt also davon aus, dass der Grundgehalt des Geglaubten in einer Summe von bestimmten Einzelartikeln gegeben ist. Ein Grundkonsens ist dann zu verstehen als „Übereinstimmung in den meisten und wichtigsten Glaubenswahrheiten“82, von denen die für die Einheit der Kirche nicht konstitutiven Glaubenswahrheiten, die sogenannten Adiaphora (griech. adiáphoros bedeutet „gleichgültig“), zu unterscheiden sind.83 Von dieser Lesart zu unterscheiden ist das Verständnis des Grundkonsenses, das in der katholischen Theologie als „kommunikationstheoretisches Modell“ bezeichnet wird. Dieses geht davon aus, dass Offenbarung zu verstehen ist als „Selbstmitteilung Gottes, in welcher Gott dem Menschen […] sich selber und das Geheimnis seines Willens“84 erschließt. Im Unterschied zum quantitativ ge79 Die Ausführungen hierzu orientieren sich maßgeblich an dem Aufsatz von Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchgengemeinschaft. 80 Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchgengemeinschaft, 268. 81 Vgl. Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Bericht und Reflexion über eine Konsultation und ihr Thema, 31. 82 Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft, 270. 83 Vgl. hierzu den Gedanken des „Fries/Rahner-Plans“ in: Fries, Heinrich/Rahner, Karl, Einigung der Kirchen – reale Möglichkeit, (QD 100), Freiburg (Brsg.) 71986. In der Definition des Grundkonsenses nach Fries und Rahner wurde auffälligerweise der Aspekt der Verschiedenheit ausgelassen. Es konnte somit der Eindruck entstehen, dass es einer Aufarbeitung der Verschiedenheiten angesichts des festgestellten Grundkonsenses nicht bedürfte. Interessant ist hierzu die Formulierung Karl Rahners in der „zweiten These“ des „FriesRahner-Plans“, es sei „eine genügende Glaubenseinheit“, wenn in den Grundwahrheiten Konsens festgestellt werde (a. a. O., 51f). In Bezug auf umstrittene Lehren sei hingegen Urteilsenthaltung geboten (a. a. O., 48f). Der Fries/Rahner-Plan wurde sowohl unter evangelischen als auch unter katholischen Theologen teilweise heftig kritisiert, vgl. u. a. Kühn, Ulrich/ Pesch, Otto-Hermann, Rechtfertigung im Disput: Eine freundliche Antwort an Jörg Baur auf seine Prüfung des Rechtfertigungskapitels in der Studie des Ökumenischen Arbeitskreises Evangelischer und Katholischer Theologen: „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“, Tübingen 1991. 84 Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchgengemeinschaft, 268.
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prägten instruktionstheoretischen Modell gibt es nach dem kommunikationstheoretischen Verständnis nur eine Wahrheit, die Selbstmitteilung Gottes durch Jesus Christus im Heiligen Geist.85 Es wird hierbei zwar ebenfalls von einer Vielzahl von Offenbarungsaussagen ausgegangen, allerdings wird diese Pluralität der Inhalte als zusammenhängendes Ganzes verstanden. Das Zweite Vatikanum formuliert hierzu den Gedanken einer Hierarchie der Wahrheiten als „Prinzip der Interpretation der jeweiligen sogenannten Sekundärwahrheit im Licht der grundlegenden Lehren über die Dreifaltigkeit Gottes und Jesus Christus“86, so Walter Kasper. Die zweite Lesart des Grundkonsenses in Bezug auf den Gehalt versteht den Grundgehalt des Geglaubten also ausgehend von der „Ganzheitlichkeit seines Inhaltes“87. Die Glaubensinhalte werden als Bestandteile oder Glieder eines Ganzen betrachtet. Es wird somit implizit angenommen, dass die einzelnen Inhalte durch einen übergeordneten Aspekt zusammengehalten werden und als einzelne Inhalte auf dieses Übergeordnete verweisen.88 Ausgehend von einem solchen Verständnis kann also gesagt werden: Wer glaubt, dass Gott ist und dass er das Heil des Menschen ist, der glaubt nicht nur einen Teil, sondern implizit den ganzen Glauben. Er steht in einer unsichtbaren Gemeinschaft mit der universalen Kirche, die weiter reicht als ihre institutionellen Grenzen.89
Dieses zweite römisch-katholische Verständnis von Grundkonsens und das evangelische Verständnis sind einander sehr ähnlich. Auch nach evangelischlutherischem Verständnis werden die Glaubensinhalte nach einem Prinzip geordnet. Dieses Ordnungsprinzip ist in Luthers Katechismen der „Rechtfertigungsartikel von Christo“, der auch als ordnende Mitte des Glaubens und Zusammenfassung des gesamten Evangeliums verstanden wird.90 Mit Blick auf 85 Vgl. ebd. 86 Kasper, Walter, Wesen und Ziel des ökumenischen Dialogs, in: Augustin, George/Krämer, Klaus (Hg.), Walter Kasper. Gesammelte Schriften, Bd. 14, 178–198; 194. 87 Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Bericht und Reflexion über eine Konsultation und ihr Thema, 31. 88 Walter Kasper bezeichnet dieses Übergeordnete als „Gott selbst, der sich durch Jesus Christus im Heiligen Geist ein für allemal geoffenbart hat“ (Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft, 269). 89 Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchgengemeinschaft, 271. 90 Vgl. WA 39 I, 205, 20–22. Vgl. auch Pesch, Otto-Hermann, Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin, Mainz 1967, 161–171. Zur Charakterisierung des Artikels von der Rechtfertigung vgl. WA 40 III, 352, 3: „Quia isto articulo stante stat Ecclesia, ruente ruit Ecclesia“. Gemeint ist die Kirche Jesu Christi, nicht die Einzelkirche; vgl. auch WA 39 I, 205, 20–22: „Articulus iustificationis est magister et princeps super omnia doctrinarum genera, et gubernat omnem doctrinam ecclesiam, sine quo mundus est insulsus et merae tenebrae“. Walter Kasper betont, dass dem Rechtfertigungsartikel im reformatorischen Kontext gerade nicht terminologisch, sondern sachlich eine hermeneutische Funktion zukommt: „Das Rechtfertigungsgeschehen [ist] hermeneutisches Prinzip und […] kritischer
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diese Mitte wird der Grundbestand des Glaubens, wie er in den altkirchlichen Bekenntnissen zum Ausdruck gekommen ist, ausgelegt und geordnet.91 Zusätzlich dienen die später entstandenen Bekenntnisschriften in Auseinandersetzung mit den „Altgläubigen“ und den „Schwärmern“ der verbindlichen Definition eines für die Kircheneinheit notwendigen und ausreichenden Grundkonsenses. Auch die Bekenntnisschriften besitzen ihr ordnendes Prinzip in der reformatorisch verstandenen Mitte des Glaubens, dem Rechtfertigungsartikel: Ausgehend von diesem ordnenden Prinzip, das zwischen Notwendigem und nicht-Notwendigem zu unterscheiden ermöglicht, wird in den Bekenntnisschriften zum einen auf übergeordneter Ebene differenziert zwischen „Hauptartikeln des Glaubens“ und Artikeln über die zu ändernden „Missbräuche“.92 Die Unterscheidung zwischen Notwendigem und nicht-Notwendigem wird zum anderen spezifiziert von der in Artikel VII der Confessio Augustana beschriebenen Unterscheidung des für die Einheit der Kirche Notwendigen und nichtNotwendigen.93 Die Anwendung des Rechtfertigungsartikels als hermeneutisches Prinzip führt folglich zu der ekklesiologisch bedeutsamen Bestimmung des Gehalts bzw. Umfangs des Grundkonsenses. In Bezug auf diesen Gehalt ist zur Einheit der Kirche Übereinstimmung notwendig. Der Gehalt des Grundkonsenses umfasst das Verständnis des Evangeliums und dessen Verkündigung in Wort und Sakrament als die „Implikate der Rechtfertigungslehre“ im Sinne von „Vermittlungsinstanzen der Rechtfertigung“94. Somit findet eine Konzentration auf das
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Maßstab des ganzen christlichen Glaubens“ (Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft, 275). Vgl. ferner Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 168–195. Vgl. Kühn, Ulrich, Zum evangelisch-katholischen Dialog, 26. Vgl. insbesondere die betonte Übereinstimmung mit dem Bekenntnis der Alten Kirche in den verschiedenen Bekenntnisschriften. Vgl. Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Bericht und Reflexion über eine Konsultation und ihr Thema, 22. Die Besinnung auf die altkirchlichen Bekenntnisse ist nicht nur für den evangelisch-katholischen Dialog, sondern insbesondere für das Gespräch mit der östlichen Orthodoxie von großer Bedeutung. Prägnanter tritt die Unterscheidung in den Schmalkaldischen Artikeln zutage. Dort werden drei Kategorien voneinander unterschieden. Erstens werden in Anlehnung an die altkirchlichen Symbole die nicht kontroversen trinitarischen und christologischen Artikel knapp rezipiert. Etwas ausführlicher werden zweitens die Kontroversartikel zu Amt und Erlösung beschrieben. Drittens und umfassend werden diejenigen Kontroversartikel skizziert, über deren Inhalt sich in einer Gelehrtendiskussion auseinandergesetzt werden müsse (vgl. BSELK, 814–878). Vgl. hierzu Kretschmar, Georg, Grundkonsens. Ein Konzept heutiger ökumenischer Theologie im Spiegel der Erfahrungen der Kirche des Augsburgischen Bekenntnisses, 86–88. Vgl. auch Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Eine lutherische Perspektive. Hintzen, Georg, Das Modell der Kirchengemeinschaft, 160. Das Verständnis des Evangeliums richtet sich auf die Schrift als grundlegende Bezeugungsinstanz des Evangeliums von der Rechtfertigung aus. Durch Wort und Sakrament erfüllt die Kirche ihre Aufgabe, dieses Evangelium zu tradieren.
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Evangelium von der Rechtfertigung statt, das so verstanden zum „Auswahlkriterium“ und „Legitimationsprinzip“95 für den zur Einheit notwendigen Konsens wird. Das Evangelium darf durch nichts anderes, insbesondere nicht durch menschliche Werke, „verdunkelt“ werden.96 Es geht dabei darum, das Kriterium zur wahren Einheit der Kirche rein zu halten von der Forderung nach Übereinstimmung in etwas, das nicht den Charakter des Heilsnotwendigen hat.97 Menschliche Werke und geschichtliche Verschiedenheiten werden somit nicht aus der Kirche ausgeschlossen, es wird vielmehr unterschieden zwischen dem Göttlichen als dem Heilsnotwendigen und dem Menschlichen, das sich auf dieses Göttliche bezieht. Während eine Ähnlichkeit zwischen dem römisch-katholischen und dem evangelisch-lutherischen Verständnis festgestellt werden konnte, das von einem den Gehalt des Grundkonsenses ordnenden Prinzip ausging, unterscheidet sich die römisch-katholische Überzeugung jedoch von der lutherischen Definition des zur Einheit Notwendigen. Da nach katholischer Auffassung nicht nur von einem Unterschied zwischen dem opus Dei und dem opus hominum auszugehen ist, sondern auch von einem cooperatio-Verhältnis, umfasst der nötige Grundkonsens auch das Amtsverständnis. Folglich wird die Leistung eines Grundkonsenses, der keine Einigung im Verständnis des Amtes umfasst, mit Blick auf die kirchliche Gemeinschaft, wie sie im Rahmen der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ geschildert wurde, konfessionell unterschiedlich beurteilt.98 Allerdings ließe sich das evangelische Verständnis weiter fassen, indem die genannten Implikate der Rechtfertigungslehre in ihrer Bedeutung als Grundelemente des Gottesdienstes verstanden werden. Somit würde – entsprechend der Interpretation von André Birmelé – die Gottesdienstfeier zum Auswahlkriterium der für den Grundkonsens zu klärenden Lehrfragen.99 Diese Entscheidung würde es erlauben, die jeweils für die Einheit zu klärenden Lehrfragen an die konkrete ökumenische Konstellation der Gesprächspartner zu binden. Unklar bleibt mit dem zweiten geschilderten Verständnis von Grundkonsens jedoch noch, wie mit den weiterhin zwischen römisch-katholischer Kirche und reformatorischen Kirchen bestehenden Verschiedenheiten in der Lehrgestalt umzugehen ist. Die bisher geschilderte Lesart des Grundkonsenses scheint unzureichend, um die unterschiedlichen Explikationen in Bezug auf den zentralen 95 Ebd. 96 Vgl. Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Eine lutherische Perspektive, 122. 97 Vgl. ebd. 98 Vgl. hierzu die Diskussion der Annahme einer „Grunddifferenz“ in Kap. C 2.2.2 der vorliegenden Untersuchung. 99 Vgl. Kap. C 1.1.1.2 der vorliegenden Untersuchung.
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Gehalt als legitime Vielfalt zwischen den Kirchen zu akzeptieren.100 Die im Folgenden zu schildernde ausdifferenzierte Form des Grundkonsenses fragt nicht allein nach dem Umfang des Konsenses, sondern berücksichtigt zusätzlich die Unterschiede zwischen den einzelnen Lehraussagen. Als nähere Bezeichnung für diese zweite Art des Grundkonsenses, die Meyer in Unterscheidung von dem „traditionellen Verständnis“ auch als „das neue Verständnis von Grundkonsens“101 bezeichnet, wird der Begriff des „differenzierten Konsenses“ verwendet. 2.2.1.2 Der differenzierte Konsens als eine Form des Grundkonsenses Die gesamte Debatte der endenden 60er und der 70er Jahre um Verständnis von Einheit und Modelle der Einigung, in der es im Kern um Verständnis und Zuordnung von Einheit und Verschiedenheit ging und die definitiv in einem Einheitsverständnis und in Einigungsmodellen resultierte, die Einheit nicht als Einförmigkeit, sondern grundsätzlich als Einheit in der Verschiedenheit sehen, war aufs engste verknüpft mit der sich vollziehenden Konsensbildung in den Dialogen, die eigentlich stets zu ‚differenzierten Konsensen‘ führte.102
Mit dem „differenzierten Konsens“ wurde in den 1980er Jahren ein Begriff in den ökumenischen Kontext eingeführt, mit dem das leitende Einheitsverständnis der Gespräche seit Ende der 1960er Jahre aufgenommen und expliziert werden sollte.103 Der differenzierte Konsens war eine Spezifizierung des Konzeptes eines Grundkonsenses. So bewährte sich der Begriff des Grundkonsenses zwar, um den „weiterhin berechtigten Gedanken von einem schon gegebenen und im Dialog 100 Vgl. Lies, Lothar, Grundkurs ökumenische Theologie. Von der Spaltung zur Versöhnung; Modelle kirchlicher Einheit, Innsbruck u. a. 2005, 226f. 101 Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 53. Vgl. auch Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Eine lutherische Perspektive, 126. 102 Meyer, Harding, Konsens und Kirchengemeinschaft, 183, Anm. 30. 103 Vgl. Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 46: „Im Horizont ihres Verständnisses kirchlicher Einheit als einer Einheit oder Gemeinschaft bleibend bekenntnisverschiedener Kirchen – im Sinne der Konzepte ‚Kirchengemeinschaft‘ oder ‚Einheit in versöhnter Verschiedenheit‘ – mußten die bilateralen Dialoge zu dieser Art von Konsensbildung kommen“ (Herv. i. O.). Der terminologische Ursprung des differenzierten Konsens geht, wie auch schon die Formel der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“, nach Aussage Harding Meyers auf Meyer selbst zurück (vgl. a. a. O., 54f). Dabei legen die Ausführungen Meyers nahe, dass der Begriff bereits Mitte der 1970er Jahre durch Karl Rahners Rede von einer „differenzierten Glaubenseinheit“ (Rahner, Karl, Ist Kircheneinigung dogmatisch möglich?, in: ders., Schriften zur Theologie Bd. XII, Einsiedeln 1975, 547–567; 563) motiviert wurde und dann 1980 in einem Vortrag von Meyer eingeführt wurde. Vgl. Meyer, Harding, Was heißt ‚consentire de doctrina evangelii‘ (CA VII), in: „Ad veram unitatem ecclesiae (CA VII)“. Zwölftes Kirchberger Gespräch der Evangelischen Michaelsbruderschaft 12.–13. März 1980, 24–26. Vgl. auch: Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 54f. Obwohl der Begriff bereits in den 80er Jahren geprägt wurde, wurde er bis Mitte der 1990er Jahre nur von Meyer selbst verwendet. Vgl. Härle, ökumenische Enttäuschungen, 7, Anm. 21. Heute wird der Begriff von vielen Theologen im ökumenischen Diskurs verwendet.
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möglichst zu erweiternden Grundbestand an gemeinsamen Glaubensüberzeugungen“104 wiederzugeben. Er erwies sich jedoch als unzureichend, um auch die „Art und Gestalt der in den Dialogen […] erarbeiteten Übereinstimmungen, die eine Struktur hatten, die Übereinstimmung und Differenz miteinander zu verbinden und ins Verhältnis zu setzen suchte“105, zu reflektieren. Breite Rezeption erfuhr der Begriff des differenzierten Konsenses vor allem mit der Diskussion um die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“.106 Der differenzierte Konsens wurde jedoch auch als nachträgliches Interpretationsschema auf die Methode der Leuenberger Konkordie übertragen und diskutiert. Somit wurde eine Vergleichbarkeit des Verfahrens zur Feststellung von Konsens in den Dialogen angenommen.107 Allzu leicht wurde dabei übersehen, 104 Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 54, Herv. i. O. 105 Ebd., Herv. i. O. 106 Zur Rezeption des Begriffs im Rahmen der GER vgl. u. a. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 10–50. Birmelé selbst verwendet den Begriff zur Interpretation des Konsensgeschehens im Rahmen des lutherisch-katholischen Dialogs, vgl. a. a. O., 105–117. Vgl. auch Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 55–57. Während der Begriff des „differenzierten Konsenses“ zwar nicht in der GER aufgenommen wird, bezeichnen Birmelé, Meyer u. a. die Art des in der GER beschriebenen Konsenses ausdrücklich als differenzierten Konsens. Vgl. Nüssel, Friederike, Kriterien kirchlicher Einheit nach evangelischem Verständnis, 106; vgl. Meyer, Harding, Konsens und Kirchengemeinschaft, 182–183. (Meyer erkennt bereits im sogenannten „Malta-Bericht“, einem wichtigen Gesprächsergebnis im lutherisch-katholischen Dialog aus dem Jahr 1972, zumindest den Gedanken eines „differenzierten Konsenses“, ohne dass der Begriff schon existierte. Vgl. hierzu Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 55). Bereits in der Studie „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ wurde nach Burkhard Neumann die Methode des differenzierten Konsenses angewandt (vgl. Neumann, Burkhard, Leuenberg als ökumenisches Modell?, 183). Dabei wurde der Impuls, der von der Leuenberger Konkordie für die Methode der Studie „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“ ausging, in dieser auch wahrgenommen. Zugleich werden jedoch die Unterschiede in Bezug auf die Leuenberger Methode nicht übersehen (vgl. Lehmann, Karl/Pannenberg, Wolfhart [Hg.], Lehrverurteilungen – kirchentrennend?, 13f. Vgl. auch Lindfeld, Tim, Einheit in der Wahrheit, 169f). Unterstützt wird die Interpretation der GER als „differenzierter Konsens“ durch den Beschluss des Rates des LWB vom 16. Juni 1998, in dem die Verständigung in der Rechtfertigungslehre als „differenzierter Konsens“ bezeichnet wird. Vgl. hierzu den Beschluss des Rates des LWB zur „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ 4/c und „Empfehlungen“ 1/b. Ferner wurde die Methode des differenzierten Konsenses im Anschluss an die GER auch im Verfahren eines weiteren bilateralen Dialogs aufgenommen, vgl. Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Communio Sanctorum, Vorwort, 12. Vgl. hierzu auch Nüssel, Friederike, Wie ist ökumenischer Konsens möglich?, 449–455. 107 Vgl. Oettler, Dietrich, Sauerteig der Einheit. Der Beitrag der Theodramatik Hans Urs von Balthasars für die evangelisch-katholische Ökumene nach der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, Würzburg 2011, 63: „Es ist daher ein und dieselbe Konsensfigur, die in der Vorbereitung der Leuenberger Konkordie leitend war, die bei der Erarbeitung der GER bewusst angewandt und in der Gemeinsamen offiziellen Feststellung zwischen dem Lutherischen Weltbund und der Katholischen Kirche (GOF) katholischerseits anerkannt wurde“. Oettler sieht jedoch auch, dass sich diese Vergleichbarkeit auf die Konsensfigur
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dass der Begriff des differenzierten Konsenses keine normative Bedeutung hat. Der Eindruck einer Vergleichbarkeit bezieht sich demnach auf ein noch nicht ausdifferenziertes Verständnis des Begriffs. So konstatiert Wolfgang Thönissen: Wir fassen zwar heute diese Fragestellung [gemeint ist die mit der theologischen Konzentration auf die soteriologische Frage in der GE verbundene hermeneutische Fragestellung, Anm. v. J.G.] mit dem Hinweis auf einen differenzierten Konsens zusammen. Freilich ist es uns bisher nur bedingt gelungen, auszuloten, was ein differenzierter Konsens meint.108
Obwohl also eine einheitliche Klärung der Bedeutung der Methode im Detail aussteht, lassen sich von den Dialogpartnern gleichermaßen anerkannte allgemeinere Aussagen zum differenzierten Konsens treffen. Allgemein betrachtet ist der differenzierte Konsens eine „Art von Verständigung“, eine Art Grundkonsens.109 Grundsätzlich geht der differenzierte Konsens von der Annahme aus, dass Einheit der Kirche keine uniforme Einheitlichkeit, sondern eine Einheit in Verschiedenheit ist.110 Er strebt somit keinen Universalkonsens an, der sämtliche Verschiedenheiten in Lehre und Praxis ausschließt. Vielmehr widerspricht die Methode des differenzierten Konsenses einem solch monolithischen Konsensverständnis, das entweder die Aufgabe einer Position fordern würde oder einen Kompromiss formuliert.111 Demnach kann es unterschiedliche Lehraussagen in Bezug auf eine Lehrfrage geben, ohne dass diese den in der Lehrfrage festgestellten Konsens aufheben. Die Lehraussagen gleichen mit Blick auf den Konsens unterschiedlichen inhaltlichen Überzeugungen oder Betonungen in Detailfra-
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beschränkt. Hierzu unterscheidet er zwischen der gemeinsamen Methode und dem unterschiedlichen Modell. Diese Kategorie der Unterscheidung scheint nach Ansicht des Verfassers der vorliegenden Untersuchung jedoch noch zu undifferenziert. Das Kernthema des Dissenses ließe sich über eine unterschiedliche Schrifthermeneutik und das daraus resultierende ekklesiologische Selbstverständnis inklusive der Bestimmung der Kriterien zur Einheit genauer fassen. Thönissen, Wolfgang, Die Problematik von Grund und Gestalt, 111; Zu der gleichen Einschätzung gelangt Dieter, Theodor, Kirchengemeinschaft – Eine klärungsbedürftige ökumenische Konzeption, 285. Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Eine lutherische Perspektive, 126. Meyer konstatiert an anderer Stelle, dass Gedanke und Begriff des „differenzierten Konsenses“ sich während des bilateralen interkonfessionellen Dialogs zwischen lutherischen Kirchen und römisch-katholischer Kirche ergaben, die wiederum von dem leitenden Gedanken eines Grundkonsenses ausgingen. Vgl. Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 36. Vgl. Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Communio Sanctorum, Vorwort, 12. Das Dokument der Arbeitsgruppe verfährt nach eigener Auskunft nach der Methode des differenzierten Konsenses. Das Verständnis von der Funktionsweise der Methode wird im Vorwort von Communio Sanctorum durch die Gesprächsteilnehmer gemeinsam skizziert. Vgl. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 107.
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gen. Entsprechend differenziert die Methode zwischen „erreichten Grundübereinstimmungen einerseits und verbleibenden Verschiedenheiten andererseits“112. Der differenzierte Konsens entspricht also der Idee des Grundkonsenses, setzt jedoch einen besonderen Akzent auf die Differenzen.113 Da mit der Methode ein differenziertes Verfahren im Umgang mit Verschiedenheiten beschrieben wird, läge es auf sprachlicher Ebene nahe, anstelle von einem differenzierten Konsens von einem differenzierenden Konsens zu sprechen.114 Strukturell umfasst der differenzierte Konsens jeweils zwei Aussagen der Übereinstimmung in Bezug auf eine strittige Lehrfrage und die Entfaltungen derselben. Erstens wird in Bezug auf die Lehrfrage gemeinsam festgestellt, was als das Grundlegende, das Wesentliche oder die „grundlegende Glaubensüberzeugung“115 definiert wird. Es wird also eine der Lehre inhärente, gemeinsame Glaubensüberzeugung und somit das formuliert, was als „entscheidender Inhalt des biblischen Zeugnisses“116 in Bezug auf die Lehre erachtet wird.117 Zweitens wird über die verbleibenden Differenzen der Entfaltungen gemeinsam ausgesagt, dass und warum sie hinsichtlich der Lehrfrage legitim sind und die formulierte Übereinstimmung im Grundlegenden bzw. Wesentlichen nicht in Frage stellen.118 In Bezug auf gegenseitige Lehrverurteilungen ist mit dem Konsens festzustellen, dass diese keine kirchentrennende Bedeutung mehr haben. Dies ist möglich, da 112 Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Eine lutherische Perspektive, 126. 113 Vgl. Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 54. Walter Kasper macht darauf aufmerksam, dass die Methode des differenzierten Konsenses die bindende Formulierung des gemeinsamen Glaubensbekenntnisses in der Kirche nicht aufhebt. Von der Bekenntnisgemeinschaft unterscheidet er die Communio-Einheit in Verschiedenheit, in der es „bezüglich anderer, weniger zentraler Aspekte des christlichen Glaubens auch unterschiedliche Formulierungen“ (Kasper, Walter, Wesen und Ziel des ökumenischen Dialogs, 194) geben dürfe. 114 Vgl. Thönissen, Wolfgang, Funktionsweisen des ökumenischen Dialogs, in: Bremer, ¨ kumene – u¨ berdacht. Reflexionen und Realita¨ten im Thomas/Wernsmann, Maria (Hg.), O Umbruch, (QD 259), Freiburg (Brsg.) 2014, 76–95; 89. Auch Theodor Dieter spricht von einem differenzierenden Konsens. Vgl. Dieter Theodor, Die reformierte und die lutherische Bekenntnistradition und die Leistungsfähigkeit der Leuenberger Konkordie, 27. 115 Meyer, Harding, Die Prägung einer Formel, 46. Vgl. ferner Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 107. 116 Kühn, Ulrich, Zum evangelisch-katholischen Dialog, 26. Mit dem Rückgriff auf das biblische Zeugnis wird das aus evangelischer Sicht maßgebliche Prinzip sola scriptura angewendet. Kühn spricht an anderer Stelle auch davon, „den jeweils zugrunde liegenden geistlichen Impetus hinter den Begriffssystemen zu entdecken“ (a. a. O., 28). 117 Theodor Dieter bezeichnet diese Formulierung der gemeinsamen, in der Lehre enthaltenen Glaubensüberzeugung auch als Ergebnis einer „Übersetzungsbemühung“ (Dieter, Theodor, Die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, 155). 118 Vgl. Meyer, Harding, Zur Gestalt ökumenischer Konsense, in: Beinert, Wolfgang, u. a. (Hg.), Unterwegs zum einen Glauben, (FS Lothar Ullrich), (EthSt; 74), Leipzig 1997, 621–630; 629. Vgl. auch ders., Die Prägung einer Formel, 55.
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nach der Methode des differenzierten Konsenses mit den Lehrverurteilungen lediglich differierende Ausprägungen des herausgestellten Grundkonsenses zum Ausdruck kommen. Tragfähig für die Einheit ist letztlich die mit dem Grundkonsens erfasste gemeinsame Glaubensüberzeugung bzw. die „letzte theologische Intention einer Lehraussage“119. Mit dem differenzierten Konsens wird nach Ulrich Kühn ein „dogmenhermeneutischer Umgang mit der Lehrtradition“120 vorausgesetzt. Es wird davon ausgegangen, dass voneinander unterschiedliche Lehraussagen in sich differenziert werden können: einerseits in einen implizit enthaltenen Grundkonsens, eine Entsprechung im Bereich der Grundwahrheit, und andererseits in die davon ausgehenden unterschiedlichen Explikationen. Diese Explikationen umfassen unterschiedliche Ausgestaltungen in Lehre, Frömmigkeit und Praxis.121 Ausgehend von der herausgestellten gemeinsamen Überzeugung können sich die Unterschiede als „in ihrer jeweiligen Geschichte und ihrem besonderen Kontext“122 begründet erweisen. Im Falle gegenseitiger Lehrverurteilungen wird davon ausgegangen, dass ihnen der Grundkonsens bisher unentdeckt als gemeinsame Einsicht zugrunde liegt.123 Mithilfe des gemeinsam herausgestellten Konsenses können die strittigen Lehraussagen als legitim vielfältige, das heißt versöhnte Darstellungen der Grundwahrheit und als Teil des Konsenses gelten.124 Der Lehrkonsens dient also als Grundlage, um weiterhin bestehende Lehrdifferenzen als „Unterschiede in der theologischen Akzentsetzung für kompatibel zu erklären“125 oder Lehrverurteilungen als nicht mehr trennend zu kennzeichnen, 119 Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 107. Vgl. Vgl. Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Eine lutherische Perspektive, 117–131. 120 Kühn, Ulrich, Zum evangelisch-katholischen Dialog, 28. Kühn übernimmt den Begriff aus dem Dokument „Lehrverurteilungen – kirchentrennend?“. Mit dem Begriff der Dogmenhermeneutik wird vergleichend auf den Umgang „mit den (unterschiedlichen) Konzeptionen und Aussagen […] die uns im Neuen Testament begegnen“ (ebd.) verwiesen. Vgl. Lehmann, Karl/Pannenberg, Wolfhart (Hg.), Lehrverurteilungen – kirchentrennend?, 23– 25. 121 Es ist also unzureichend, unterschiedliche Lehrausprägungen einzig auf die Unterscheidung zwischen gleicher res und unterschiedlichen verba zurückzuführen. Vielmehr werden durch die unterschiedlichen Lehrausprägungen auch unterschiedliche Aspekte der einen res aufgenommen, die nicht zwangsläufig einander widersprechen. Vgl. Kühn, Ulrich, Zum evangelisch-katholischen Dialog, 26f mit Hinweis auf die verkürzte Darstellung bei Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Bericht und Reflexion über eine Konsultation und ihr Thema, 37f. In der GEKE wird dem Gesichtspunkt der kontextuellen und historisch bedingten Lehrausprägungen durch die Etablierung von Regionalgruppen besondere Aufmerksamkeit gewidmet. 122 Weber, Friedrich, „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“, 6. 123 Vgl. Neuner, Peter, Grundkonsens, Grunddifferenz – Metamorphosen einer ökumenischen Metapher, 27. Vgl. LK 4, Satz 1. 124 Vgl. Meyer, Harding, Konsens und Kirchengemeinschaft, 183. 125 Schwöbel, Christoph, Gottes Ökumene, 460. Vgl. ferner Striet, Magnus, Denkformgenese
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wie es die Leuenberger Konkordie vornimmt. Von daher müssen auch unterschiedliche Bekenntnisschriften nicht abgeändert werden.126 Sind die Differenzen miteinander kompatibel, schließen sie sich also nicht gegenseitig aus, und stehen sie „in logischer und sachlicher Übereinstimmung mit ihrem jeweiligen Grund und Ursprung“127, so liegt ein differenzierter Konsens vor. 2.2.1.3 Der referentielle Konsens – evangelisches Proprium oder Aspekt jedes differenzierten Konsenses? Die Methode des differenzierten Konsenses hat nicht nur Fürsprache, sondern auch Kritik erfahren. Aus evangelischer Perspektive wird kritisiert, dass der differenzierte Konsens die Einigung der Kirchen auf Basis der Kompatibilität der Formulierungen ihrer Lehraussagen erreichen wolle. Somit werde jedoch das menschliche Handeln zum Grund der Einheit erklärt. CA VII lasse sich hingegen so verstehen, dass das Handeln Gottes der Grund der Einheit der Kirchen sei und deren Handeln lediglich referentiellen Charakter habe. Der differenzierte Konsens als eine ökumenische Konsensmethode wird folglich mit dem evangelischen Anliegen konfrontiert, das Handeln Gottes als einheitsstiftenden Grund der Kirche zu betonen. Christoph Schwöbel nennt die Konsensmethode, die den einheitsstiftenden Grund der Kirche akzentuiert, „ökumenische Hermeneutik der Referenz“ und stellt diese der Hermeneutik des Konsenses und der Differenz entgegen.128 Mit und -analyse in der Überlieferungsgeschichte des Glaubens, in: Wagner, Harald (Hg.), Einheit – aber wie? Zur Tragfähigkeit der ökumenischen Formel vom „differenzierten Konsens“ (QD 184), Freiburg (Brsg.) 2000, 59–80; 79: „Wird nun ein differenzierter Konsens in bisher strittigen Fragen festgestellt, dann ist sichergestellt, daß nicht-identische Denkformen, die der geschichtlich-kontingenten Formulierung von Glaubensaussagen zugrunde liegen und diese bestimmen, nicht heterogener Natur, sondern letztlich kompatibel sind, auch wenn es, wegen der Nicht-Identität der Denkformen, zu dann allerdings legitimen Differenzierungen in der konkreten Ausformulierung der Glaubensgestalt kommen kann“. 126 Vgl. Hintzen, Georg, Verwirklichungen kirchlicher Einheit unter reformatorischen Kirchen, 38. 127 Neuner, Peter, Grundkonsens, Grunddifferenz – Metamorphosen einer ökumenischen Metapher, 27. Vgl. hierzu auch die Formulierung in: Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Communio Sanctorum, Vorwort, 12. Vgl. ferner Meyer, Harding, Zur Gestalt ökumenischer Konsense, 626–630. 128 Die folgenden Erläuterungen zum „referentiellen Konsens“ orientieren sich maßgeblich an dem Aufsatz von Schwöbel, Christoph, Konsens – Differenz – Referenz, 168–172. Für einen Paradigmenwechsel von der Konsens- zur Differenzökumene, die geprägt sein soll durch eine „Grundeinstellung des konfessionellen Respekts“, plädierte zuvor u. a. Ulrich Körtner (vgl. Körtner, Ulrich H.J., Wohin steuert die Ökumene?, 38). Vgl. hierzu kritisch: Dieter, Theodor, Was ist und zu welchem Ende betreibt man Konsensökumene?, 11–14. Dieter kritisiert die bei Körtner unklare Unterscheidung zwischen Respekt und der Struktur der für die Konsensökumene wesentlichen Anerkennung. Zur ekklesiologischen Startposition
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der Hermeneutik der Referenz wird in der Analyse des ökumenischen Konsenses der Schwerpunkt auf dem Aspekt der Wahrheitsfähigkeit einer Aussage gelegt. Dies führt schließlich zu der Entfaltung einer Methode der referentiellen ökumenischen Hermeneutik, der Methode des referentiellen Konsenses.129 Ausgangspunkt für die Betrachtungen zur ökumenischen Hermeneutik der Referenz ist bei Schwöbel das Verständnis von Ökumene als Werk des trinitarischen Gottes. Dieses Werk, das Handeln Gottes, das die Gemeinschaft zwischen Gott und Menschen sowie die menschliche Gemeinschaft begründet und vollendet, wird nach diesem Verständnis in der Gemeinschaft der Kirchen bezeugt.130 Die unterschiedlichen und teilweise kontroversen Lehraussagen, Ordnungsgestalten sowie Lebenspraktiken der christlichen Kirchen werden mit Blick auf den mit ihnen verbundenen Anspruch betrachtet, in rechter Weise auf einen gemeinsamen Grund zu verweisen, dessen Ausdrucksgestalten sie sind.131 Dabei unterscheidet Schwöbel zwischen dem gemeinsamen Grund als der Sache, auch als Referenzgröße zu bezeichnen, und den auf die Sache verweisenden Ausdrucksgestalten mit ihren Zeichenhandlungen. Es geht also darum, wie sich ein Ausdruck auf eine Sache bezieht und wie dieser Ausdruck ein wahrer, das heißt angemessener Ausdruck seines Gegenstandes sein kann.132 Im Rahmen theologischer Hermeneutik ist davon auszugehen, so Schwöbel, dass die gemeinsame Referenzgröße unterschiedlicher Lehr- und Glaubensaussagen kein passives Objekt ist, sondern „der lebendige Gott in seiner Selbstvergegenwärtigung“133. Auf dieses Grundgeschehen, die Konstitution des Glaubens mittels der Selbstvergegenwärtigung und die stete Selbstaktualisierung des trinitarischen Gottes in der Geschichte, beziehen sich die Lehraussagen der christlichen Kirchen als Wahrheit.134 Sie tun dies durch die Vermittlungsinstan-
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von Schwöbel vgl. Schwöbel, Christoph, Gott in Beziehung; Offenbarung, Glaube und Gewissheit in der reformatorischen Theologie. Vgl. Schwöbel, Christoph, Konsens – Differenz – Referenz, 171. Vgl. hierzu Schwöbel, Christoph, Gottes Ökumene. Vgl. Schwöbel, Christoph, Konsens – Differenz – Referenz, 168. Vgl. hierzu die Wahrheitstheorie der Korrespondenz, in der Wahrheit als adaequatio rei et intellectus verstanden wird: Schwöbel, Christoph, Art. Wahrheit, in: Fahlbusch, Erwin (Hg.), Taschenlexikon Religion und Theologie, Bd. 5 (S–Z), Göttingen 1983, 283–289. Vgl. ferner Schwöbel, Christoph, Christlicher Glaube im Pluralismus. Studien zu einer Theologie der Kultur, Tübingen 2003, 25–60. Angaben auch in: Schwöbel, Christoph, Konsens – Differenz – Referenz, 163, Anm. 25. A. a. O., 168, Anm. 40. Nach Schwöbel beruht die Konstitution des Glaubens auf der Selbstvergegenwärtigung des trinitarischen Gottes, die er auch als „Selbstmanifestation der immanenten Trinität in der ökonomischen Trinität“ bezeichnet. Gott offenbart sich demnach selbst als dreieiniger Gott in Jesus Christus. Vgl. a. a. O., 169.
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zen des Zeugnisses, Wort und Sakrament. Diese Vermittlungsinstanzen werden zugleich „von Gott als Mittel seiner Selbstvergegenwärtigung“135 gebraucht. Damit die Lehraussagen der Kirchen wahr sein können, müssen sie nach Schwöbel ihrem Glaubensgrund, der Offenbarung der Wahrheit Gottes entsprechen. Der Grund der Entsprechung der Lehraussagen in Bezug auf ihren Gegenstand ist die Offenbarung als die „Selbsterschließung Gottes in der Konstitution des Glaubens“136. Die Selbsterschließung Gottes geht somit jeder Lehraussage voraus und ermöglicht deren Angemessenheit in Bezug auf ihren Gegenstand. Der Ermöglichungsgrund für die Wahrheit einer Lehraussage wird von Schwöbel also im Offenbarungshandeln Gottes gesehen. Im Kontext der ökumenischen Verständigung unterschiedlicher Kirchen und deren Suche nach einem Konsens besteht die Herausforderung darin, dass Differenzen zwischen ihren Lehraussagen, ihrer Gestalt und ihrem Leben zu erkennen sind und sie zugleich den Anspruch erheben, dass ihr Glaube, ihre Lehre, ihre Identität in ein und demselben Ursprung begründet sind.137 Lehre, Gestalt und Leben der Kirche verweisen dabei auf einen Grund, der auf einer anderen Ebene liegt und jeglicher menschlichen Explikation vorausgeht. Für den kirchlichen Dialog ist daher entscheidend, dass dieser Verweischarakter, die Referenzialität stets erkannt wird.138 Diese Vorüberlegungen zu dem die Kirche in ihrem Selbstverständnis prägenden Verweischarakter erläutert Schwöbel anhand des evangelischen Verständnisses vom gottesdienstlichen Geschehen und der kirchlichen Einheit: Im Gottesdienst setzt sich die Kirche als Glaubensgemeinschaft mit ihrem Grund über Wort und Sakrament in Beziehung, um aus diesem heraus als Glaubensgemeinschaft erneuert zu werden. In Wort und Sakrament offenbart sich Gott „durch den Sohn im Geist“139 und stiftet Glauben als Gewissheit über die Wahrheit des Evangeliums. Hieraus empfängt die Kirche ihre Gestalt und ihren Auftrag. Die reformatorische Bestimmung von Kirche wird in CA VII als der Ort bekannt, in dem das Evangelium pure verkündigt bzw. gelehrt wird und die Sakramente recte verwaltet werden. Diese Definition kann demnach in dem Sinne interpretiert werden, so Schwöbel, dass die Zeugnishandlung der Kirche so auf ihren Grund verweist, dass menschliches Zeugnis und menschliche Zei135 136 137 138
Ebd. Ebd. Vgl. Schwöbel, Christoph, Konsens – Differenz – Referenz, 170. Schwöbel weist auf diese Referenzialität anhand des Glaubensbekenntnisses hin. Die im Credo bekannten notae ecclesiae, die Eigenschaften der Kirche, werden, so Schwöbel, „in keiner christlichen Kirche als empirische Aussagen über ihren faktischen Zustand verstanden“ (ebd.). Vielmehr seien sie der Verweis auf den Grund und die Bestimmung von Kirche im Handeln Gottes. Kirche kann demnach daran erkannt werden, „worauf sie als ihren Grund verweist und wie sie diesen Grund angemessen zur Geltung bringt“ (ebd.). 139 Schwöbel, Christoph, Konsens – Differenz – Referenz, 170.
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chenhandlung von Gott als Instrumente seiner freien Selbstvergegenwärtigung durch die Gabe des Heiligen Geistes in Anspruch genommen werden.140 Das heißt, dass die Wahrheit der kirchlichen Lehre davon abhängig ist, dass sie sich bewährt in der Bezeugung des Evangeliums in Wort und Sakrament als den Instrumenten, in denen der Heilige Geist glaubensstiftend tätig wird.141 Die Kriterien für die Einheit der Kirche, das „consentire de doctrina evangelii et de administratione sacramentorum“, wie sie ebenfalls in CA VII genannt werden, können dann interpretiert werden als notwendiger Konsens in der Bezeugung des Evangeliums als „Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben“ (Röm 1,16) und als Konsens in der Darreichung der Sakramente als Zeichen der heilswirksamen Gegenwart Christi.142 Demnach ist die Einheit der Kirche nicht gebunden an eine Einheitlichkeit des Ausdrucks in Bezug auf den Gegenstand. Vielmehr ist die Referenzgröße, das Handeln Gottes, das begründende Moment der Einheit, das es auf angemessene Weise zum Ausdruck zu bringen gilt. Differenzen in Lehre, Gestalt und Leben der Kirchen werden somit ausgehend von ihrem Gegenstandsbezug betrachtet. Auf diesem Weg kann sich herausstellen, dass unterschiedliche Lehraussagen die gleiche Referenzgröße aufweisen. Von dieser entdeckten Übereinstimmung in der Referenz „lassen sich ihre Aussageformen rekonstruieren, auch in ihrer Kompatibilität mit anderen Aussageformen“143. Die Methode des referentiellen Konsenses setzt folglich nicht auf der Ebene einer Kompatibilität der Formulierungen von Lehraussagen an. Vielmehr wird in der konkreten Anwendung der Methode jeder Dialogpartner verpflichtet, die referenzielle Struktur seiner Lehre transparent zu machen für ihre Begründung im Evangelium als dem Fundament des Glaubens, das zugleich den Wahrheitsanspruch der Lehre begründet.144 Außerdem sind die Dialogpartner aufgefordert, den referentiellen Charakter der Lehre des anderen interpretierend zu rekonstruieren, um somit auch deren Wahrheitsanspruch zu verstehen.145 Das reziproke Verständnis der Lehre wird dabei begründet durch deren gemeinsamen Bezugspunkt, „die Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Gottes“146, also das 140 Vgl. a. a. O., 170f. 141 Vgl. Schwöbel, Christoph, „Konsens“, in: RGG4, (I–K), 1610–1613; 1610. CA VII wird folglich interpretiert hinsichtlich einer finalen Ausrichtung auf die fides iustificans. Vgl. hierzu die erste Variante der Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Konkordie, Kap. C 1.1.1.1 der vorliegenden Untersuchung. Vgl. hierzu auch die Interpretation der Konkordie durch die Kirchenstudie, Kap. C 1.2.1.1 der vorliegenden Untersuchung. 142 Vgl. Schwöbel, Christoph, Konsens – Differenz – Referenz, 171. 143 Ebd. 144 Vgl. die Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Konkordie durch die Kirchenstudie, KJC III.1.3, 69f. 145 Vgl. Schwöbel, Christoph, Konsens – Differenz – Referenz, 171. 146 Ebd.
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glaubensstiftende Wirken Gottes durch den Heiligen Geist. Ausgehend von dem Konsens über die Begründung der unterschiedlichen Lehraussagen in dem gemeinsamen Grund können sich die Kirchen gegenseitig als daran partizipierend anerkennen. Mit der Beschreibung des „referentiellen Konsenses“ betont Schwöbel folglich die Notwendigkeit der „Aufdeckung“ gemeinsamer Referenz der unterschiedlichen Lehraussagen, um den zur Einheit notwendigen Konsens feststellen zu können.147 Hiervon unterscheidet er den differenzierten Konsens als einen „propositionalen Konsens“148, der auf Ebene der Formulierungen der Lehraussagen nach deren Vereinbarkeit fragt. Die Intention der Unterscheidung zwischen einem referentiellen und einem propositionalen Konsens kann darin gesehen werden, das evangelische Grundanliegen einer Unterscheidung zwischen dem Kirche begründenden Handeln Gottes und dem dieses bezeugende Handeln des Menschen aufzunehmen. Mit dem referentiellen Konsens wird betont, dass der ökumenische Dialog zur kirchlichen Einheit fundamental auf den Rekurs auf das biblische Zeugnis und das sich selbst offenbarende Handeln Gottes angewiesen ist.149 Miteinander konkurrierende Lehrbildungen werden demnach nicht „einer gemeinsamen Fundamentallehre“150 subordiniert. Vielmehr wird „begrifflich gebundene Lehrbildung als Ausdruck desselben evangelischen Geschehens, also des Geschehens des Evangeliums“151 verstanden. Der Konsens in der kirchlichen Lehre soll also nicht mit dem konstitutiven Grund der Gemeinschaft verwechselt werden, weil nach evangelischem Verständnis menschlichem Handeln keine Wirksamkeit in Bezug auf das Heil zugesprochen werden kann.152 147 Vgl. a. a. O., 153: „Differenzen werden dann erträglich, wenn sie als Differenzen menschlicher Lehrformulierung in Bezug auf ihren gemeinsamen Gegenstand, die Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Gottes, verständlich werden“. 148 Schwöbel, Christoph, Konsens – Differenz – Referenz, 171. 149 Es sei darauf hingewiesen, dass eine solch strenge Unterscheidung zu logischen Problemen führen kann, die hier nicht weiter erörtert werden können. So ist das in der Schrift tradierte Evangelium selbst nicht von menschlicher Mitwirkung zu lösen. Auch die evangelische Überzeugung, dass das rechte Verständnis des Evangeliums in der Lehre von der Rechtfertigung zum Ausdruck gebracht worden sei (LK 8), geht von der Möglichkeit eines Bereiches der Identität aus. 150 Theissen, Henning, Vereint in der Lehre, getrennt im Handeln, in: KuD 59 (2013), 251–271; 271. 151 Ebd. 152 Vgl. hierzu Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchgengemeinschaft, 280f. Kasper konstatiert, dass Konsens im reformatorischen und im katholischen Verständnis jeweils „einen anderen Stellenwert“ besitze. Dieses unterschiedliche Verständnis äußere sich in dem jeweiligen Verhältnis von Evangelium und Kirche. Während nach reformatorischem Verständnis das Evangelium eine kritische Funktion gegenüber der Kirche habe, gehe die katholische Kirche davon aus, dass es einen „inneren Zusammenhang von Schrift, Tradition und Kirche“ gebe. Vgl. a. a. O., 281.
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Es kann jedoch kritisch hinterfragt werden, ob zwischen dem referentiellen und dem propositionalen Konsens tatsächlich ein grundlegender Unterschied zu sehen ist, sodass sie in Widerspruch zueinander stünden.153 Hierzu ist es notwendig, zwischen dem Ausgangspunkt bei Schwöbel, der Wahrheitsfähigkeit einer Aussage durch ihren Sachbezug, und einer Konsensmethode, das heißt einem Weg zur Feststellung von Übereinstimmung zu unterscheiden. So ist es ein notwendiger Selbstanspruch jeder Glaubensaussage, sich in angemessener Weise auf den auch von anderen Glaubensaussagen in Anspruch genommenen Gegenstand zu beziehen. Diese Sachbezogenheit der fundamentalen Aussagen jeder Glaubensgemeinschaft ist zum einen notwendige Voraussetzung dafür, dass eine Kirche sich nicht von ihrem konstitutiven Grund löst. Die gemeinsame Referenz unterschiedlicher Propositionen ist zum anderen überhaupt die Voraussetzung für jedes ökumenische Gespräch.154 Die Gesprächspartner stehen demnach vor der Herausforderung, „sich noch vor der Frage von Konsens oder Dissens in die Position des anderen hinein[zu]versetzen“155. Wird die Bezogenheit auf dieselbe Sache erkannt, so kann nach einer Übereinstimmung zwischen den unterschiedlichen Lehraussagen gesucht werden, die selbst wiederum Bedingung für die gegenseitige Anerkennung als wahre Kirche und Erklärung von Kirchengemeinschaft ist. Dass es sich hierbei um eine gemeinsame Methode, einen gemeinsamen Weg mit Prozesscharakter handelt, macht bereits die Leuenberger Konkordie deutlich.156 Dabei betont sie die evangelische Überzeugung, dass die Lehraussage über den Inhalt des in der Schrift bezeugten Evangeliums stets vorläufig ist und somit einer kontinuierlichen Überprüfung an ihrem Gegenstand bedarf. Mit Blick auf den Zusammenhang zwischen Konsens und Kirchengemeinschaft können nun zwei verschiedene Ebenen voneinander unterschieden werden. Erstens wird im ökumenischen Gespräch vorausgesetzt, dass es eine vorausgehende Einheit im Glauben gibt. Diese Einheit besteht in der Bezogenheit auf dieselbe Sache, das Evangelium von Jesus Christus. Sie ist der projekthaft-vorgegebene, konstitutive Grund jeder Kirchengemeinschaft. Zweitens verlangt diese Einheit auch nach ihrer sichtbaren Explikation, um keine rein verborgene Einheit zu bleiben. Hierzu sind gemeinsame Konsensaussagen nötig, neben denen dann eine legitime Verschiedenheit der Kirchen und deren Lehraussagen 153 Vgl. die Kritik bei Dieter, Theodor, Was ist und zu welchem Ende betreibt man Konsensökumene?, 15f, Anm. 41. 154 Vgl. Slenczka, Reinhard, Kirchengemeinschaft und theologischer Konsens, 178. 155 Schöpsdau, Walter, Die heutige Lage des Dialogs: Konsens-Ökumene vs. Differenz-Ökumene? Eine evangelische Perspektive, in: Ferrario, Fulvio (Hg.), Umstrittene Ökumene. Katholizismus und Protestantismus 50 Jahre nach dem Vatikanum II, (Schriften des Melanchthon-Zentrums in Rom 2), Tübingen 2013, 57–68; 63. 156 Vgl. LK 5, Satz 6; LK 35 u. LK 38.
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Bestand haben kann. Die mittels des Lehrkonsenses erklärte Kirchengemeinschaft bleibt also bestimmt durch ihren stets an der Schrift zu bewährenden, prozesshaften Charakter.157
2.2.1.4 Die mehrdeutige Lesart des differenzierten Konsenses und seine Kritik Der differenzierte Konsens kann als ein bestimmter Modus im Umgang mit Differenzen zwischen Dialogpartnern verstanden werden.158 Vor dem Hintergrund der ökumenischen Zielvorstellung der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ dient der differenzierte Konsens der Vermittlung zwischen unterschiedlichen Lehraussagen kirchlicher Dialogpartner. Dabei kommt bei der Anwendung der Methode des differenzierten Konsenses immer der zweiteilige Aufbau des methodischen Vorgehens zum Tragen. Über den zweiteiligen Aufbau des Konsenses besteht im Diskurs zu dem Thema Übereinstimmung. Bei näherer Betrachtung lassen sich jedoch Differenzen in der Interpretation des Konsenses erkennen. Diese Unterschiede führen zwar nicht zu der Feststellung, dass die Methode für den ökumenischen Dialog unbrauchbar wäre. Sie verdeutlichen jedoch, dass die Anwendung einer Methode in einem ökumenischen Dialog mit unterschiedlichen Vorstellungen verbunden sein kann. Die Unterschiede bestehen in vier miteinander verknüpften Aspekten: die Definition des Bezugsgegenstandes von konsensuellen Lehraussagen, das Kriterium der Angemessenheit einer Aussage über den Bezugsgegenstand, die Frage nach der Vollständigkeit der zur gegenseitigen Anerkennung notwendigen gemeinsamen Aussagen und schließlich die Bedeutung des explizierten Konsenses mit Blick auf die Einheit der Kirche.159 Erstens ist in Bezug auf die gemeinsame Referenzgröße von Lehraussagen zu klären, was als das „‚Grundlegende‘ und ‚Wesentliche‘ […] in einer ‚Aussage der 157 Vgl. Hüffmeier, Wilhelm/Schwier, Helmut, Kirchengemeinschaft als Lehrgemeinschaft: „Es bleibt zu beachten, dass der Friedensschluss zwar durch den Lehrkonsens ermöglicht wurde, dass dieser jedoch nicht den Grund der Kirchengemeinschaft darstellt, sondern auf ihn verweist: auf das Geschehen der Selbstvergegenwärtigung des Evangeliums“. Vgl. Herms, Eilert, Genau hinsehen – konstruktiv reagieren – Klarheit schaffen. Zum Stand der Rezeption der GER nach den Beschlüssen der Bischofskonferenz der VELKD (18.10.97), der Generalsynode der VELKD (22.10.97) und des DNK/LWB (20.11.97), epdD 3 (1998), 1–20; 8; Vgl. ferner: Weymann, Volker, Zu Grund und Weg von Kirchengemeinschaft aus evangelischer Sicht, DtPfrBl 100 (2000) 71–74; 72f. 158 Die Bezeichnung des differenzierten Konsenses als „Modus“ findet sich bei Nüssel, Friederike, Wie ist ökumenischer Konsens evangelisch möglich?, 454. 159 Vgl. Dieter, Theodor, Was ist und zu welchem Ende betreibt man Konsensökumene?, 15f, Anm. 41. Zu einer ausführlicheren Untersuchung der Hintergründe des Verständnisses vom Verhältnis von Lehre und ihrer Referenzgröße vgl. u. a. Thönissen, Wolfgang, Die Problematik von Grund und Gestalt.
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Übereinstimmung‘ festgehalten wird“160. So geht die römisch-katholische Kirche davon aus, dass durch das in apostolischer Sukzession stehende kirchliche Lehramt nichts anderes als das Evangelium tradiert wird. Eine Unterscheidung zwischen kirchlicher Lehrtradition und Evangelium ist nicht gegeben. Das evangelische Verständnis geht hingegen von einer Unterscheidung zwischen der menschlichen Lehre und dem in der Schrift bezeugten Evangelium aus. Die menschliche Tradition ist „norma normata“, abgeleitete Norm aus dem Evangelium, und muss von daher vom Evangelium als einzigem Grund unterschieden werden. Folglich herrscht im ökumenischen Diskurs Uneinigkeit über das Verhältnis von Offenbarung, Erkenntnis und Lehre sowie über die Einbindung vom Grund des Glaubens in eine Überlieferungsgeschichte des Glaubens. Es ist also unklar, worauf sich eine Konsensaussage beziehen muss, um das „Grundlegende“ zum Ausdruck zu bringen. Mit der Bestimmung des Bezugsgegenstandes hängt zweitens die Bedingung für die Angemessenheit und Wahrheitsfähigkeit einer Konsensaussage zusammen. So kann im Rahmen der Konsensbildung gefordert werden, dass über den Bezugsgegenstand eine konkrete Lehraussage formuliert werden soll.161 Die Bezugnahme kann jedoch auch durch den bloßen Verweis auf das in der Lehrformulierung enthaltene Evangeliumsverständnis, wie es nach evangelischer Überzeugung in der Lehre von der Rechtfertigung reflektiert wird, angemessen sein.162 Drittens variiert die Bestimmung der zur gegenseitigen Anerkennung als wahre Kirche und zur Erklärung von Kirchengemeinschaft nötigen gemeinsamen Aussagen, der Umfang des zur Einheit nötigen Grundkonsenses, konfessionsbedingt. Die Grenze zwischen legitimer notwendiger und illegitimer, das heißt kirchentrennender Verschiedenheit wird deshalb unterschiedlich definiert.163 In der römisch-katholischen Kirche ist die Einheit der Kirche an das Evangelium und dessen Verkündigung sowie an die Feier der Sakramente ge160 Schwöbel, Christoph, Konsens – Differenz – Referenz, 154. Vgl. auch ders., Gottes Ökumene, 461. 161 Kritisch äußert sich Schwöbel über einen solchen Lehrkonsens zwischen bisher einander ausschließenden Lehrformulierungen: „Sind die Untersätze eines konsensuell formulierten Obersatzes widersprüchlich, falsifizieren sie die Wahrheit des Obersatzes: Aus einer wahren Prämisse können keine widersprüchlichen Implikationen folgen. Ist dies aber der Fall, dann ist die Wahrheit des Obersatzes kritisch zu untersuchen“ (Schwöbel, Christoph, Konsens – Differenz – Referenz, 162). 162 Vgl. LK 12; vgl. auch KJC III.1.3, 69f. 163 So fragt etwa Axt-Piscalar folgerichtig nach dem legitimen Ausmaß der Vielfalt im römisch-katholischen Konzept von Einheit der Kirche, insofern sich dieses konfessionell voneinander unterscheidet. Vgl. dies., Welche Kircheneinheit wollen wir? Statements zum Vortrag von Kurt Kardinal Koch, in: Pfeiderer, Georg (Hg.), Welche Kircheneinheit wollen wir? Podiumsgespräch mit Kurt Kardinal Koch im Anschluss an seinen Vortrag am 13. November 2015 in der Aula der Universität Basel, in: ThZ 3 (2015), 292–307; 293.
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bunden. Hierzu gehört nach katholischem Verständnis notwendigerweise auch das in apostolischer Sukzession stehende Lehramt, das als Voraussetzung für die eucharistische Gemeinschaft gesehen wird. Zur Anerkennung einer Kirche als wahre Kirche ist von daher nicht nur der Konsens über die nach römisch-katholischem Verständnis wichtigsten Lehren nötig, sondern auch ein Konsens über das Amt in apostolischer Sukzession. Das evangelische Selbstverständnis geht hingegen allein aus vom Evangelium von Jesus Christus, verstanden als Botschaft von der freien Gnade Gottes. Das so verstandene Evangelium wird als hermeneutisches Prinzip verstanden, das ekklesiologische Konsequenzen hat.164 So ist nach evangelischem Verständnis zur Einheit der Kirche Konsens allein in denjenigen kirchlichen Zeugnishandlungen zu erreichen, die Gnadenmittel Gottes sind (CA VII).165 Zwischen römisch-katholischer Kirche und evangelischen Kirchen ist zwar theologischer Konsens etwa über die Rechtfertigungslehre gegeben. Das Verständnis des „Rechtfertigungsgeschehen[s] als hermeneutisches Prinzip und als kritischer Maßstab des ganzen christlichen Glaubens“166 sowie die ekklesiologischen Konsequenzen, die hieraus von den evangelischen Kirchen gezogen werden, teilt die katholische Kirche jedoch nicht.167 164 Vgl. Hintzen, Georg, Das Modell der Kirchengemeinschaft, 160; vgl. auch Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Eine lutherische Perspektive, 122. 165 Allerdings herrscht innerevangelisch Uneinigkeit darüber, ob der Konsens von CA VII auch eine bestimmte Gestalt des kirchlichen Amtes einfordert. Vgl. hierzu ferner den Hinweis des methodistischen Theologen Carter, David, Unity in reconciled diversity. Cop-out or rainbow Church?, in: Theology 2010, 411–420; 416f. Vgl. auch die Haltung der Kirche von England gegenüber der Leuenberger Konkordie. Da die Leuenberger Konkordie konkrete ekklesiologische Konsequenzen hat, indem sie zur Erklärung von Kirchengemeinschaft zwischen den Kirchen führt, müssen die der Konkordie zustimmenden Kirchen in dem Konsens alle zur Erklärung von Kirchengemeinschaft notwendig zu behandelnden Fragen beantwortet sehen. Da die Frage des historischen Bischofsamtes in der Konkordie aber noch ungeklärt bleibt, unterzeichnete die Kirche von England die Erklärung nicht. Vgl. Thönissen, Wolfgang, Kirchengemeinschaft als ökumenisches Einheitsmodell?, 175f. 166 Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchgengemeinschaft, 275. 167 Walter Kasper sieht diesen Unterschied zwischen den Kirchen mit der Frage aufgenommen, „ob und inwiefern die Bedingungslosigkeit der Gnade ein von der Gnade Gottes ermöglichtes und getragenes menschliches Mittun zulässt oder ob die Alleswirksamkeit Gottes eine Alleinwirksamkeit Gottes bedeutet, welche auf Seiten des Menschen nur reine Passivität zulässt“. In der Ekklesiologie stellt sich dann die Frage, „ob und inwiefern innerhalb und unter der Heilsvermittlung durch den erhöhten Herrn im Heiligen Geist eine instrumental zu verstehende Heilsvermittlung durch die Kirche und ihre Ämter denkbar ist“, das heißt „ob und inwiefern die reformatorischerseits herausgestellte Selbstbezeugung und Selbstevidenz der Wahrheit des Evangeliums eine Auslegungskompetenz der Kirche, besonders des kirchlichen Lehramts, zulässt“ (Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchgengemeinschaft, 275–277). Vgl. ferner: Offizielle Stellungnahme des katholisch/evangelischen Comité Mixte Frankreichs, Zum Verhältnis Grundkonsens – Grunddifferenz, 229). Die in diesem Zusammenhang aus evangelischer Perspektive geäußerten kritischen Fragen an die Methode des differenzierten Konsenses können paradigmatisch anhand der Kritik an der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ dargestellt werden: So entzündet
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Viertens kann zum einen auch eine erreichte Übereinstimmung zwischen den Kirchen hinsichtlich ihrer Bedeutung für das gemeinsame Ziel, die Einheit der Kirche, ganz unterschiedlich beurteilt werden. Zum anderen werden bleibende Differenzen zwischen den Kirchen hinsichtlich ihrer kirchentrennenden Bedeutung unterschiedlich bewertet.168 So können bestimmte Differenzen für die eine Kirche von trennender Bedeutung sein, die für die andere Kirche als mit der Kirchengemeinschaft vereinbare Unterschiede erachtet werden.169 Dies bedeutet jedoch auch, dass die Feststellung eines Grundkonsenses im Sinne einer lehrmäßigen Einigung über verschiedene Kontroversfragen nicht zwingend aussich die Kritik an der GER sowie dem hier verwendeten Begriff des differenzierten Konsenses an der Formulierung des Dialogergebnisses, die Rechtfertigungslehre sei „ein unverzichtbares Kriterium“ (GER, Nr. 18, Herv. v. J.G.) zur Einheit der Kirche (vgl. Dangel, Silke, Konfessionelle Identität und ökumenische Prozesse, Berlin/Boston 2014, 75f). Somit wird nicht die Rechtfertigungslehre selbst, sondern die Beurteilung des Rechtfertigungsgeschehens „als hermeneutisches Prinzip und als Maßstab des ganzen christlichen Glaubens“ (Kasper, Walter, Zum gegenwärtigen Stand des ökumenischen Gesprächs zwischen den Reformatorischen Kirchen und der Katholischen Kirche, in: Augustin, George/Krämer, Klaus [Hg.], Walter Kasper. Gesammelte Schriften, Bd. 14, 299–318; 309) als Quelle für den Dissens ausgemacht. Die evangelische Kritik lautet hierzu, dass gerade die reformatorische Überzeugung, mit der Rechtfertigungslehre liege das Kriterium für die Einheit vor, in dem differenzierten Konsens der Gemeinsamen Erklärung nicht adäquat aufgenommen werde. Rechtfertigung sei jedoch nach evangelischem Verständnis „die hermeneutische Kategorie“ (Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 189, mit Bezug auf Gloege, Gerhard, Die Rechtfertigungslehre als hermeneutische Kategorie, in: ders., Gnade für die Welt. Kritik und Krise des Luthertums, Göttingen 1964, 34–54) mit ekklesiologischen Implikationen, insofern das rechtfertigende Handeln Gottes in Jesus Christus Kirche begründe. Christoph schwöbel resümiert, die richtige Verhältnisbestimmung von Gotteswerk und Menschenwerk, in der die reformatorische Sicht des Wesens des christlichen Lebens verdeutlicht sei, bleibe „systematisch unklar“ (Schwöbel, Christoph, Konsens – Differenz – Referenz, 155). Diese Unklarheit, so die Kritik Schwöbels, wirkt weiter im Begriff des differenzierten Konsenses: „Verbirgt sich hinter dem Konsens in Grundwahrheiten mitsamt den tragbaren bleibenden Unterschieden eine systematische Ambivalenz? […] Bietet der differenzierte Konsens Verständigung auf Kosten der Wahrheit?“ (a. a. O., 156). Eberhard Jüngel nennt den Begriff des differenzierten Konsenses im Kontext der GER gar eine „begriffliche Mißgeburt“ (Jüngel, Eberhard, Amica Exegesis einer römischen Note, in: ZThK.B 10 [1998], 252–279, Anm. 15, 257f). 168 Vgl. hierzu die Darlegung und Begründung in: Offizielle Stellungnahme des katholisch/ evangelischen Comité Mixte Frankreichs, Zum Verhältnis Grundkonsens – Grunddifferenz, 223–229. 169 In der offiziellen Stellungnahme des katholisch/evangelischen Comité Mixte Frankreichs wird hierzu konstatiert, dass bei den evangelischen und der katholischen Kirche nicht dieselbe „Hierarchie der Wahrheiten“ vorliege. Vgl. Offizielle Stellungnahme des katholisch/ evangelischen Comité Mixte Frankreichs, Zum Verhältnis Grundkonsens – Grunddifferenz, 223. Ob der Begriff der „Hierarchie der Wahrheiten“ wirklich zutreffend auf die evangelischen Kirchen ist, soll an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. Auffällig ist jedoch, dass der Konsens nach diesem Verständnis zu interpretieren wäre im Sinne eines „Minimalkonsens“, insofern der Konsens auf Basis eines Minimums an miteinander vereinbaren Lehraussagen festgestellt wird.
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reicht, damit verschiedene Kirchen Kirchengemeinschaft untereinander erklären können. Der Begriff des „differenzierten Konsenses“ eignet sich folglich, um den ökumenischen Gedanken einer Verbindung von Grundkonsens und den auf Basis dieses Grundkonsenses weiterhin bestehenden Differenzen zu beschreiben. Aufgrund der unterschiedlichen Interpretation der geschilderten Aspekte werden jedoch auch ökumenische Dialoge, obwohl sie methodologisch die gleiche Struktur aufweisen, unterschiedlich bewertet, da in ihnen mitunter divergente ekklesiologische Selbstverständnisse miteinander konfrontiert werden.170
2.2.2 Der Begriff der Grunddifferenz Die ökumenische Diskussion ist wesentlich geprägt durch das Konzept des Grundkonsenses. Die detaillierte Erörterung zeigte, dass der Begriff unterschiedliche Lesarten ermöglicht. Darüber hinaus wurde deutlich, dass zwar Einigungen zwischen den Kirchen in Einzelfragen gefunden werden können. Die Bedeutung der Einzelfragen für das übergeordnete Ziel, wie es mit der Leitvorstellung einer „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ beschrieben wurde, kann jedoch unterschiedlich beurteilt werden. Folglich werde, so Walter Kasper, „den bisherigen Konsens- und Konvergenzdokumenten vor[geworfen], sie bewegten sich nur an der Oberfläche und im Bereich von Symptomkuren, die eigentlichen, tiefer liegenden Ursachen der Trennung seien von ihnen aber noch gar nicht in den Blick genommen worden“171. Dieser Eindruck führe dazu, dass mitunter nicht mehr das gemeinsam Erreichte, der Konsens zwischen den Kirchen betont werde. Vielmehr würden bleibende Differenzen in Grundentscheidungen betont: Zwar sei in materialen Einzelfragen eine Einigung durchaus möglich, die unterschiedlichen formalen Konfessionsprinzipien führten jedoch dazu, daß wir nicht nur verschiedene inhaltliche Aussagen machen, sondern das Ganze auch dort, wo wir Gleiches sagen, anders sehen. Ja, gerade weil wir das Ganze anders (aliter) sehen, sehen wir auch anderes (alia). Statt von einem Grundkonsens spricht man deshalb oft von einem Grunddissens oder von gegensätzlichen Grundentscheidungen.172
Der Begriff der Grunddifferenz beschreibt also, dass es „unterschiedliche Gesamtkonzeptionen des Christlichen“ gibt, die letztlich die Grundlage der „jeweiligen kontroversen Einzelfrage“173 bilden. Dabei kann die Grunddifferenz inhaltlich konkret bestimmt sein oder auch hermeneutisch auf eine bestimmte 170 171 172 173
Vgl. Jüngel, Eberhard, Um Gottes willen – Klarheit!, in: epdD 46 (1997), 59–65; 64. Kasper, Walter, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft, 265. A. a. O., 98f. Kühn, Ulrich, Zum evangelisch-katholischen Dialog, 29.
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Denkform zurückzuführen sein.174 Im bilateralen Dialog wird eine solche Grunddifferenz meist in der „Bestimmung des Verhältnisses von Göttlichem und Menschlichem im Heilsgeschehen“175 angenommen, die sich dann in den einzelnen Lehrbereichen, wie etwa dem Offenbarungsverständnis, der Christologie oder der Soteriologie, äußert. Diese Wahrnehmung einer Grunddifferenz kann unterschiedlich beurteilt werden und führt zu einer unterschiedlichen Interpretation des Begriffs.176 So kann er erstens verstanden werden als Opposition zum Begriff des Grundkonsenses.177 Eine Grunddifferenz zwischen zwei konfessionell verschiedenen Kirchen wäre dann zu verstehen als unüberwindbare Divergenz, die kirchentrennende Bedeutung hat und Kirchengemeinschaft zwischen den Kirchen verhindert.178 Diese Lesart der Grunddifferenz, die einen unüberwindbaren Unterschied zwischen den Konfessionen betont, war seit Ende des 18. Jahrhunderts bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weit verbreitet und wird bis heute angewandt.179 Insbesondere die teils heftige Kritik an der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ geht von einem solchen Verständnis aus.180 Ökumene wird dabei in Kontrast zu der auf Konsens gegründeten Ökumene verstanden als „konstruktive Toleranz […] des wechselseitigen Respekts“181. Allerdings wird dieser Lesart im ökumenischen Kontext auch widersprochen. So wird sie von 174 Vgl. Pemsel-Maier, Sabine, Art. Grunddissens, in: LThK, Bd. 4, 1071. 175 Kühn, Ulrich, Zum evangelisch-katholischen Dialog, 29. 176 Vgl. Offizielle Stellungnahme des katholisch/evangelischen Comité Mixte Frankreichs, Zum Verhältnis Grundkonsens – Grunddifferenz, 222. Vgl. dazu ausführlicher Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 219–247. 177 Vgl. Schütte, Heinz, Grunddifferenz zwischen evangelischer und katholischer Lehre?, in: Waldenfels, Hans (Hg.), Theologie – Grund und Grenzen, (FS Heimo Dolch), 79–88; Meyer, Harding, Zur Frage katholisch-evangelischer „Grundverschiedenheiten“, in: KNA– ÖKI 4 (1984), 5–9; Neuner, Peter, Der konfessionelle Grundentscheid – Problem für die Ökumene?, in: Stimmen der Zeit 9 (1984), 591–604; Offizielle Stellungnahme des Comité Mixte Frankreichs, Zum Verhältnis Grundkonsens – Grunddifferenz; Birmelé, André/ Meyer, Harding (Hg.), Grundkonsens – Grunddifferenz: Studie des Straßburger Instituts für ökumenische Forschung; Böttigheimer, Christoph, Grundkonsens statt Wesensdifferenz. 178 Vgl. Offizielle Stellungnahme des katholisch/evangelischen Comité Mixte Frankreichs, Zum Verhältnis Grundkonsens – Grunddifferenz, 222. 179 Vgl. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 220. Vgl. auch Kühn, Ulrich, Zum evangelischkatholischen Dialog, 30. 180 Vgl. Kühn, Ulrich, Zum evangelisch-katholischen Dialog, 30. Vgl. die Anmerkungen in Kap. C 2.2.1.4 der vorliegenden Untersuchung. 181 Körtner, Ulrich H.J., Von der Konsensökumene zur Differenzökumene. Krise und Verheißung der ökumenischen Bewegung an der Schwelle zum dritten Jahrtausend, in: KuD 47 (2001), 290–307; 305. Vgl. auch ders., Wohin steuert die Ökumene?, 38. Vgl. hierzu die Kritik Theodor Dieter an der unzureichenden Differenzierung zwischen dem Begriff des Respekts und der Anerkennung, vgl. Dieter, Theordor, Was ist und zu welchem Ende betreibt man Konsensökumene?, 13, Anm. 35.
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Kritikern zum einen als theologisch falsch gewertet, da sie „dem biblischen Zeugnis von der kraft des In–Christo-Seins aller getauften Gläubigen gegebenen Einheit widerspricht“182. Zum anderen wird die Lesart der Grunddifferenz als eine Totalabsage an die Ökumene gewertet: „Wenn sich diese Auffassung [sc. vom Grunddissens] durchsetzt […], dann kann man das Buch der Ökumene schließen, und es ist, als hätte die ökumenische Arbeit überhaupt noch nicht begonnen“183. Ein alternatives Verständnis des Begriffs der Grunddifferenz geht zweitens von einem Grundkonsens aus und blickt von dort aus auf die Differenzen der Kirchen. Die Grunddifferenz betrifft dann eine andere Ebene als der Grundkonsens und tritt somit nicht in ein kontradiktorisches, sondern in ein komparativisches Verhältnis zum Grundkonsens. Dies führt zu einem veränderten Gebrauch des Begriffs, insofern das Attribut „Grund“ in Grundkonsens und Grunddifferenz dann unterschiedliche Bedeutung hat: Im Grundkonsens wird der Grund als Fundament der Kirchengemeinschaft bezeichnet. Inhalt des Grundkonsenses ist das, worauf sich der Glaube wesentlich stützt, der Bezugspunkt des Grundes ist das Evangelium.184 Im Fall der Grunddifferenz ist der Bezugspunkt von „Grund“ nicht das Evangelium und der Glaube, sondern die Differenz.185 So zielt die Feststellung einer Grunddifferenz auf die Kategorisierung einer Differenz, die der gemeinsame Nenner der partikularen Differenzen ist und diesen somit vorausgeht. So soll der Einfluss unterschiedlicher Denktraditionen und kultureller Kontexte sowie historischer Situationen auf die „unterschiedlichen Formulierungen desselben Glaubens“186 nachvollzogen werden. Der Begriff der Grunddifferenz bezieht sich dann auf ein jeweils der Kirche eigenes Denkschema in Bezug auf denselben Gegenstand, von dem aus unterschiedliche Lehren formuliert werden. Die Grunddifferenz bezieht sich auf die Lehraussagen als die 182 Meyer, Harding, Grundkonsens und Kirchengemeinschaft. Bericht und Reflexion über eine Konsultation und ihr Thema, 33; vgl. ders., Konsens und Kirchengemeinschaft, 187. 183 Fries, Heinrich, Trotz allem: Einigung wäre möglich. Eine Bilanz der Ökumene heute, Frankfurt a.M. 1988, 15. 184 Vgl. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 243. Birmelé spricht in Zusammenhang mit dem Inhalt des Grundkonsenses auch von der „lebendigen Mitte“ und dem „Fundament des Glaubens“. Eine nähere Erläuterung der Begriffe wird jedoch nicht gegeben. Meyer sprach in diesem Zusammenhang von der „Intention einer Aussage“ bzw. von dem „Lehrgehalt“. Aus katholischer Perspektive wäre hierbei wohl zu ergänzen, dass die Bezugspunkte das Evangelium und die kirchliche Lehrtradition sind. 185 Leider bleibt die Verhältnisbestimmung zwischen Evangelium und Glaube bei Birmelé unklar, wenn er in der Gegenüberstellung der Begriffe von Grundkonsens und Grunddifferenz konstatiert: „In dem Ausdruck ‚Grundkonsens‘ ist der Bezugspunkt des ‚Grundes‘ das Evangelium. Die Grunddifferenz hat eine andere Absicht. Der Bezugspunkt des ‚Grundes‘ ist nicht der Glaube, sondern die Differenz“ (Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 243). 186 Ebd.
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unterschiedlichen „Interpretationen derselben Grundlage des Glaubens“187, die bedingt werden durch das jeweilige Denkschema, und verhält sich zu diesen auf metadogmatischer Ebene. Das heißt auch, dass die Grunddifferenz nicht tiefer reicht als der Konsens, sondern vielmehr als „Teil des Grundkonsenses“188 zu verstehen ist. Während ein Grundkonsens in Bezug auf das Evangelium und dessen Inhalt, dem „Fundament des Glaubens“189 festgestellt wird, kann demnach zugleich eine Grunddifferenz festgestellt werden, wenn diese im Sinne einer Erklärung der Differenzen bezüglich der Interpretation des Evangeliums verstanden wird.190 Die Feststellung einer Grunddifferenz trifft keine Aussage über die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit zweier konfessioneller Traditionen in der einen Kirche Jesu Christi.191 Auch ist die Grunddifferenz selbst nicht Gegenstand von Lehrverurteilungen, da diese sich immer auf spezifische Ausdrucksformen der Differenz, also bestimmte dogmatische Aussagen, beziehen. Vielmehr dient die Erläuterung der Grunddifferenz dem Zweck, Divergenzen zwischen den christlichen Konfessionen besser zu verstehen.192 Das übergeordnete ökumenische Ziel der Feststellung von Grunddifferenzen ist dementsprechend auch nicht die Überwindung der Unterschiede selbst, 187 Offizielle Stellungnahme des katholisch/evangelischen Comité Mixte Frankreichs, Zum Verhältnis Grundkonsens – Grunddifferenz, 224. In der Veröffentlichung des Comité Mixte wird von „verschiedenen Schemen des Denkens und Verstehens“ (ebd.) als nur unzureichend formulierbare Ursache der Grunddifferenz gesprochen. Auch hier bleibt der Bezugspunkt der unterschiedlichen Lehrformulierungen unklar: So wird einmal von „unterschiedlichen Formulierungen desselben Glaubens“ (ebd., Herv. v. J.G.) gesprochen, und ein anderes Mal von „Interpretationen derselben Grundlage des Glaubens“ (ebd., Herv. v. J.G.). Die unterschiedlichen Aussagen geben Grund zur Annahme, dass in der Stellungnahme zwischen der Grundlage des Glaubens und dem Glauben selbst nicht klar unterschieden wird. 188 Birmelé, André, Sinn und Gefahr der Rede von einer Grunddifferenz, in: ders./Meyer, Harding (Hg.), Grundkonsens – Grunddifferenz, 181–192; 191. 189 Ebd. 190 Birmelé führt die Begriffe des Grundkonsenses und der Grunddifferenz zusammen zum „differenzierten Konsens“, vgl. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 219. 191 Der Begriff der Grunddifferenz ist so verstanden ein neutraler Begriff, der auf metadogmatischer Ebene den grundlegenden Aspekt von Differenzen hervorzuheben versucht, nicht jedoch selbst kirchentrennend ist. Vgl. a. a. O., 238f. 192 Vgl. Offizielle Stellungnahme des katholisch/evangelischen Comité Mixte Frankreichs, Zum Verhältnis Grundkonsens – Grunddifferenz, 222f. Zur Erläuterung nennt Birmelé in seiner Betrachtung zur Kirchengemeinschaft als Beispiel die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Deren Prinzip sei die Unterteilung des Konsenses in zwei Bereiche, einen Bereich, in dem Konsens im Verständnis der Rechtfertigungslehre festgestellt wird und einen Bereich, in dem die Unterschiede der ekklesiologischen Konsequenzen trennenden Charakters sind und noch nicht überwunden sind. Vgl. Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 222. Vgl. auch a. a. O., 240 und die Anmerkung zur GER in Kap. C 2.2.1.4 der vorliegenden Untersuchung.
Zusammenfassung und Auswertung der Betrachtungen
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sondern deren kirchentrennenden Charakters im Sinne einer Kategorisierung in „legitime“, das heißt miteinander vereinbare Unterschiede auf Basis eines auf anderer Ebene liegenden Grundkonsenses.193 Es wird also zum Ausdruck gebracht, dass es trotz der Differenzen „so etwas wie eine gemeinsame christliche Glaubens- und Lebensbasis gibt“194. Der somit intendierte Konsens wird verstanden als „Ausdruck der Einheit, die nicht Einförmigkeit ist“195. Dieses zweite Verständnis einer Grunddifferenz liegt den ökumenischen Bemühungen zugrunde, die in differenzierte Konsense münden. Wesentlich für den differenzierten Konsens ist die Annahme, dass es einen Grundkonsens gibt, der aufgrund unterschiedlicher Denkformen zu unterschiedlichen Akzentuierungen und inhaltlichen Explikationen führen kann.
2.3
Zusammenfassung und Auswertung der Betrachtungen zur begrifflichen Identifikation
Die vorangehende Untersuchung der im Diskurs zum Modell und der Methode der Leuenberger Konkordie verwendeten Begriffe zeigte zum einen, dass die Begriffe in engem Zusammenhang miteinander stehen. Zum anderen hob sie die Bedeutung der Begriffe für die sprachliche Anschlussfähigkeit des Leuenberger Modells im ökumenischen Diskurs hervor. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass zwischen den Konfessionen in Bezug auf die Begriffe unterschiedliche Interpretationen bestehen. Die Analyse der ökumenischen Leitvorstellung der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“, die in den 1970er Jahren in Anknüpfung an das Vorgehen der Leuenberger Konkordie formuliert wurde, zeigte, dass im Sinne dieser Leitvorstellung Ökumene und bleibende konfessionelle Identität miteinander vereinbar sind. Die erstrebte ökumenische Einheit der Kirchen umfasst also eine legitime Pluralität in Bereichen, die für die Einheit nicht konstitutiv sind. Während zwischen den Kirchen Konsens über die Leitidee als solche besteht, herrscht jedoch Uneinigkeit über die nähere Definition von Einheit und Verschiedenheit. Dies spiegelt sich insbesondere in der Untersuchung des methodischen Pendants, dem differenzierten Konsens, wider. Der differenzierte Konsens ist zu 193 Vgl. Offizielle Stellungnahme des katholisch/evangelischen Comité Mixte Frankreichs, Zum Verhältnis Grundkonsens – Grunddifferenz, 222. Vgl. auch Herms, Eilert, Der hermeneutisch-thematische Ansatz, in: ders./Zak, Lubomir [Hg.], Grund und Gegenstand des Glaubens, 341–353; 348f, Herv. i. O. Vgl. ferner Dangel, Silke, Konfessionelle Identität und ökumenische Prozesse, 56–69. 194 Kühn, Ulrich, Zum evangelisch-katholischen Dialog, 35. 195 Birmelé, André, Kirchengemeinschaft, 219. Vgl. auch Neuner, Peter, Grundkonsens, Grunddifferenz – Metamorphosen einer ökumenischen Metapher, 32.
338
Die begriffliche Identifizierung von Modell und Methode im ökumenischen Diskurs
verstehen als diejenige Lesart eines Grundkonsenses, die auch bleibende Differenzen zwischen Dialogpartnern zu berücksichtigen vermag. Es handelt sich dabei um einen dogmenhermeneutischen Weg, mithilfe dessen – ausgehend von einer den unterschiedlichen Lehraussagen inhärenten Übereinstimmung über eine bestimmte strittige Lehrfrage – die verbleibenden Differenzen in der Lehre und ihrem Ausdruck als legitime Pluralität bezeichnet werden können. Die Lehraussagen werden in sich differenziert in eine gemeinsame Grundaussage und davon ausgehende, verschiedene inhaltliche und formale Akzentuierungen in Detailfragen. Die Differenzen können somit als Teil des Konsenses betrachtet werden. Die Perspektive des differenzierten Konsenses richtet sich also auf das opus hominum. Dieses Handeln des Menschen zeichnet sich aus durch seine mitunter trennende Vielfalt, die im Lehrkonsens miteinander versöhnt wird. Beim differenzierten Konsens besteht Einigkeit zwischen den Kirchen über die Struktur des Konsenses. Differenzen ergeben sich jedoch in der Frage nach dem Umfang des zur Einheit nötigen Konsenses, da die Kirchen das Verhältnis zwischen opus Dei und opus hominum unterschiedlich interpretieren. Dies kann zu einer unterschiedlichen Beurteilung der Leistung des erreichten Konsenses zwischen den Kirchen führen. Mit dem Begriff des referentiellen Konsenses wird das evangelische Anliegen zum Ausdruck gebracht, dass der zur Versöhnung nötige Konsens in strittigen Lehraussagen seinen Bezugspunkt nicht in der Lehre, sondern im darin enthaltenen Verweis auf das Evangelium besitzt. Somit wird betont, dass die Einheit der Kirche nicht im Handeln des Menschen, sondern allein im Handeln Gottes begründet ist. Die Perspektive des referentiellen Konsenses richtet sich also auf das einheitsstiftende opus Dei. Das Handeln Gottes begründet die Gemeinschaft der Glaubenden, die selbst nur auf dieses rechtfertigende Handeln Gottes hinweisen kann. Der Gemeinschaft begründende Konsens wird von daher als eine Aussage der fides qua, nicht der fides quae, begriffen. Auf das Anliegen des referentiellen Konsenses kann erwidert werden, dass eine zur gegenseitigen Anerkennung nötige gemeinsame Aussage sich nicht anders formulieren lässt als in Gestalt der fides quae.196 Auf Ebene der Erklärung von Kirchengemeinschaft steht also notwendigerweise die gemeinsame Lehraussage oder Proposition, die allerdings stets unzulänglich in Bezug auf das zugrunde liegende Erkannte bleibt. Das Verständnis des differenzierten Konsenses als „propositionaler Konsens“ und die Annahme eines referentiellen Konsenses stehen demnach nicht notwendig in Gegensatz zueinander. Vielmehr 196 Dies lässt sich so verstehen, dass der Gegenstand, das Evangelium, sich selbst bewahrheitend offenbart als Grund für das glaubende Vertrauen, die Glaubensgewissheit über das Evangelium. Diese Selbstoffenbarung geschieht gebunden an die Schrift und an die Zeugnishandlungen im gottesdienstlichen Geschehen (CA VII), die somit verstanden werden als final ausgerichtet auf die fides iustificans, ohne selbst deren konstitutiver Grund zu sein.
Zusammenfassung und Auswertung der Betrachtungen
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handelt es sich um unterschiedliche Ebenen eines Konsenses – die des Wahrheitskriteriums einer Aussage und die der Methode der Einigung.197 Die Betrachtungen zum Begriff der Grunddifferenz zeigten, dass der Begriff unterschiedlich interpretiert werden kann. In einer Lesart kann mit dem Begriff das Gegenüber eines Grundkonsenses bezeichnet werden, sodass die Annahme einer Grunddifferenz in diesem Fall als Absage an die Ökumene gewertet werden kann. In der ökumenischen Diskussion ist jedoch das Verständnis von Grunddifferenz verbreiteter, dass mit dem Begriff der Einfluss unterschiedlicher Denktraditionen verdeutlicht werden soll, die zu unterschiedlichen Formulierungen desselben Glaubens führen. Die Grunddifferenz bezeichnet dann das jeweilige Denkschema in Bezug auf denselben Gegenstand. Mit dem Begriff werden somit die unterschiedliche hermeneutische Voraussetzung, der historische und kulturelle Einfluss sowie sonstige kontextuelle Faktoren erfasst, die sich auf die spezifische Prägung der Lehraussagen von Kirchen in Bezug auf den Grundkonsens auswirken.198 Aus der differenzierten Betrachtung der Begriffe aus dem ökumenischen Diskurs um die Leuenberger Konkordie lassen sich mehrere abschließende Folgerungen ziehen: Die Begriffe des differenzierten und des referentiellen Konsenses, die zur Identifizierung des Leuenberger Modells dienen, stehen nicht in Widerspruch zueinander. Sie betreffen vielmehr unterschiedliche Aspekte des Konsenses und verschiedene Ebenen von Kirchengemeinschaft. Ausgehend von diesem Verständnis ist der referentielle Konsens darüber hinaus nicht nur Bestandteil des innerreformatorischen Konsenses, sondern auch des bilateralen Konsenses mit der römisch-katholischen Kirche und unterstreicht die ökumenische Anschlussfähigkeit der Leuenberger Konkordie. Zugleich wird mit der 197 Vgl. hierzu den Hinweis auf die unterschiedlichen Ebenen von Kirchengemeinschaft als verborgene Einheit im Leib Christi und sichtbare Gemeinschaft von Kirchen, Kap. A 4.2.4 u. A 4.3.1 der vorliegenden Untersuchung. 198 Ein solches Verständnis findet sich bereits in der Leuenberger Konkordie in Bezug auf die Unterscheidung zwischen dem „grundlegenden Zeugnis“ und der „geschichtlich bedingten Denkformen“. Kirchliche Identität wird folglich als nicht nur durch Dogmen, sondern auch durch Kontext und Geschichte geprägt verstanden, insofern der zur Einheit notwendige Konsens die so beeinflussten Denkformen etc. ebenfalls berücksichtigen muss. Vgl. hierzu Schlink, Edmund, Der kommende Christus und die kirchlichen Traditionen. Beiträge zum Gespräch zwischen den Kirchen, in: ders., Schriften zu Ökumene und Bekenntnis, Bd. 1, hg. v. Engelhardt, Klaus, 10f: „Es muss versucht werden, die fremden Traditionen unter Berücksichtigung ihrer besonderen geschichtlichen Bedingtheiten soweit als irgend möglich als Überlieferung und Entfaltung des apostolischen Christuszeugnisses und darüber hinaus der apostolischen Mahnungen und Anordnungen überhaupt zu verstehen. Dies schließt zugleich die Notwendigkeit ein, die eigene Tradition kritisch daraufhin zu befragen, inwieweit in ihr die apostolische Überlieferung bewahrt und entfaltet oder auch verdunkelt und entstellt worden ist“ (Herv. v. J.G.). Vgl. ferner Heller, Dagmar, Wozu Ökumene? Gedanken zur Zielbestimmung der Ökumene, in: Ekklesia – Oikoumene – Politiki, (FS Metropolit Damaskinos Papandreou), Athen 2007, 257–270.
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Die begriffliche Identifizierung von Modell und Methode im ökumenischen Diskurs
Betonung des referentiellen Charakters des Konsenses das spezifisch evangelische Anliegen betont, zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen zu unterscheiden. Dieses Anliegen lässt sich auch anhand des Umfangs und folglich auch anhand der ekklesiologischen Leistung des zum Ausdruck gebrachten Konsenses zur Einheit der Kirchen erkennen. Die Definition des Umfangs ist zu verstehen als die ekklesiologische Konsequenz aus der Verhältnisbestimmung zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln der Menschen. Mit dem Begriff der Grunddifferenz wird schließlich verdeutlicht, dass die unterschiedlichen lehrhaften Explikationen von Gesprächspartnern nicht als einander ausschließend verstanden werden müssen. Vielmehr kann gezeigt werden, dass die Differenzen sich auf denselben Gegenstand beziehen, aber durch unterschiedliche Hermeneutiken und historische wie kulturelle Gegebenheiten beeinflusst werden. Die wesentliche Voraussetzung für diese Einsicht bleibt die Bereitschaft der Gesprächspartner, auch die eigene Lehre immer wieder selbst zu hinterfragen und ihre konstitutiven Parameter in der Auseinandersetzung mit dem Anderen zu rekonstruieren.199
199 Vgl. Neumann, Burkhard, Kirchengemeinschaft aus der Perspektive der römisch-katholischen Kirche, 49f: „Umso wichtiger ist es, im Sinne eines differenzierten oder differenzierenden Konsenses und einer für den ökumenischen Dialog unerlässlichen Vertrauensbildung deutlich zu machen, inwiefern die legitimen Anliegen des ökumenischen Partners auch in der eigenen Position bewahrt bleiben bei allen weiterhin noch bestehenden Differenzen in konkreten Einzelfragen. So kann deutlich werden, dass die Kirchen gerade im Ringen um die rechte Zuordnung von Einheit und Vielheit auch dort schon miteinander verbunden sind, wo sie diese Zuordnungen unterschiedlich bestimmen – solange sie nur miteinander darum ringen und sich nicht in falscher Selbstzufriedenheit zurückziehen, sondern bereit sind, sich vom ökumenischen Partner immer wieder im besten Sinne in Frage stellen zu lassen. Denn nur so können sie den Weg auf die von Gott für seine Kirche gewollte Einheit in versöhnter Verschiedenheit hin tatsächlich gemeinsam gehen“ (Herv. i. O.).
3.
Gegenüberstellung der Betrachtungen zum ökumenischen Diskurs und der Interpretation durch die vorliegende Untersuchung
Der ökumenische Diskurs um das Leuenberger Modell von Kirchengemeinschaft beschäftigt sich mit dem Konsensverständnis und dem Modell, das in der Konkordie in Rekurs auf CA VII entwickelt und in der Kirchenstudie nachträglich interpretiert wird. Das zentrale Thema des Diskurses ist die Frage, was der Grund, das Fundament von Kirche und Kirchengemeinschaft ist. Es geht also um die Frage, wie die Konkordie den zur Einheit notwendigen und ausreichenden Konsens, das satis est aus CA VII, interpretiert. In Abhängigkeit davon, wie die Deutung des satis est verstanden wird, ergeben sich unterschiedliche Aussagen über die Art und den Umfang des Konsenses sowie die Beurteilung seiner Leistung für die Einheit. Die Interpretation hat schließlich Auswirkungen auf das Verständnis der Leitvorstellung der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“. Die Analyse des ökumenischen Diskurses verdeutlichte, dass das Modell der Leuenberger Konkordie und ihre Methode unterschiedlich interpretiert werden. Die spätere Interpretation der ökumenischen Hermeneutik der Konkordie durch die Leuenberger Kirchenstudie legte zwar eine bestimmte Lesart der Methode nahe. Diese Deutung ist jedoch Gegenstand einer kritischen Auseinandersetzung im weiteren ökumenischen Dialog. Die unterschiedlichen Beurteilungen des Leuenberger Modells werden auch auf begrifflicher Ebene reflektiert. Dabei werden auch Zusammenhänge zwischen den mit den unterschiedlichen Begriffen verbundenen Interpretationen sowie die ökumenische Anschlussfähigkeit der Konkordie deutlich. Die folgende Gegenüberstellung des ökumenischen Diskurses einerseits und der Interpretation des Modells der Leuenberger Konkordie durch die vorliegende Untersuchung andererseits geht von zwei Annahmen aus: Die vorliegende Interpretation erhebt erstens den Anspruch, die unterschiedlichen evangelischen Deutungen der Leuenberger Konkordie in sich zu integrieren. Ausgehend von dieser Lesart werden die erste Interpretationsvariante der Konkordie sowie die vergleichbare Lesart der ökumenischen Hermeneutik durch die Ekklesiologiestudie als Teil des Konsensmodells verstanden.1 Die zweite Interpretationsvari1 Mit der ersten Interpretation der Konkordie ist die im Rahmen der Betrachtung zur Mehr-
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Gegenüberstellung der Betrachtungen
ante ist der Lesart der vorliegenden Untersuchung sehr ähnlich und kann folglich ebenfalls in die vorliegende Interpretation eingegliedert werden. Durch dieses integrierende Verständnis werden die vermeintliche Gegensätzlichkeit der aus evangelischer Perspektive dargelegten Interpretationen und der auf begrifflicher Ebene suggerierte Konflikt entschärft.2 Mit Blick auf den ökumenischen Diskurs, der auch nicht-reformatorische Kirchen umfasst, bestätigt die vorliegende Lesart zwar ein von manchen Kirchen kritisiertes „spezifisch reformatorisches“ Verständnis der Leuenberger Konkordie. Die vorliegende Lesart erhebt jedoch auch den Anspruch, so die zweite Annahme, über die bisherigen Interpretationen der Konkordie hinauszugehen, indem sie die Bedeutung der Lehrgespräche im Modell der Konkordie stärker hervorhebt. Somit betont sie – trotz des reformatorischen Charakters der Konkordie – die ökumenische Anschlussfähigkeit des Modells. Die erste Annahme über die Integration der unterschiedlichen Interpretationen der Konkordie in die von der vorliegenden Untersuchung vorgeschlagene Lesart des Modells wird im Folgenden bestätigend erläutert. Die unterschiedlichen Interpretationen der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie zeichnen sich durch eine unterschiedliche Deutung des für die Kirchengemeinschaft notwendigen Konsenses aus. Die erste Deutung betont die Aussage der fides qua als ausreichenden Konsens für die Kirchengemeinschaft. Mit dem zwischenkirchlichen Konsens wird demnach eine gemeinsame Aussage getroffen, die lediglich referentiellen, verweisenden Charakter hat. Somit richtet diese Interpretation ihren Fokus auf das für die Kirche konstitutive Handeln Gottes. Diese Lesart wird durch die Interpretation der Kirchenstudie unterstützt. Die zweite Deutung geht von den Lehrdifferenzen zwischen den Kirchen aus und fordert Aussagen der fides quae durch den für die Kirchengemeinschaft notwendigen Konsens. Der Fokus dieser Interpretation liegt also zunächst auf dem Handeln der Menschen. Letztlich wird der zu formulierende Lehrkonsens jedoch mit Blick auf das Handeln Gottes eingefordert. So ist es das Ziel des Konsenses, deutigkeit der ökumenischen Hermeneutik der Leuenberger Konkordie geschilderte Interpretation gemeint, die zwischen der fides iustificans und der fides dogmatica unterscheidet. Vgl. Kap. C 1.1.1.1 der vorliegenden Untersuchung. 2 Zur vermeintlichen Gegensätzlichkeit auf begrifflicher Ebene vgl. Kap. C 2.2.1.2 u. C 2.2.1.3 der vorliegenden Arbeit. Die Kritik an der Kirchenstudie, dass deren Verhältnisbestimmung zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen zu einem undifferenzierten Verständnis von Kirchengemeinschaft führe, wurde bereits im Rahmen der Gegenüberstellung in Kap. B 2.5 der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt. Sie wird daher an dieser Stelle nicht erneut behandelt. Die Interpretation der vorliegenden Arbeit reflektiert diesen Kritikpunkt ebenfalls. Sie geht jedoch davon aus, dass das Verständnis von Kirchengemeinschaft in der Kirchenstudie nichts Neues zur Konkordie hinzufügt, sondern vielmehr das Resultat der besonderen Akzentuierung und Perspektive auf die Verhältnisbestimmung des Handelns Gottes und des Menschen ist.
Gegenüberstellung der Betrachtungen
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die gegenseitige Anerkennung der Kirchen als wahre Kirche zu ermöglichen, damit diese gemeinsam Gottesdienst feiern können. Der Lehrkonsens ist also Voraussetzung für die Kirchengemeinschaft. Konstitutiv für die Gemeinschaft bleibt jedoch das Handeln Gottes in der Feier von Wort und Sakrament. Beiden Lesarten gemeinsam ist die Unterscheidung zwischen dem konstitutiven Handeln Gottes und dem darauf bezogenen, zeugnishaften Handeln des Menschen. Die zwei verschiedenen Interpretationszugänge gehen folglich von derselben Grundüberzeugung aus. Sie betonen jedoch, so die Interpretation der vorliegenden Untersuchung, unterschiedliche Perspektiven von Kirchengemeinschaft und dem darin liegenden Verhältnis vom opus Dei und opus hominum: Einerseits richtet sich die Aufmerksamkeit auf das Handeln Gottes, das Kirchengemeinschaft als Gemeinschaft von Glaubenden konstituiert. Andererseits rückt das Handeln der Menschen stärker in den Vordergrund, da dieses zur Erklärung von Kirchengemeinschaft als Gemeinschaft unterschiedlicher Kirchen nötig ist. Beide Perspektiven, so die These der vorliegenden Arbeit, werden von der vorliegenden Interpretation der Konkordie aufgenommen.3 So wird der Konsens auf zwei Ebenen lokalisiert, auf einer vertikalen und einer horizontalen Ebene. Mit der vertikalen Ebene wird das Verhältnis zwischen der menschlichen Lehre und dem Evangelium beschrieben. Das Evangelium als Offenbarung Gottes stiftet die Glaubensgewissheit des Menschen und die Gemeinschaft der Glaubenden. Es ruft auf zur Bezeugung des Glaubens in der Lehre. Die Lehre orientiert sich an dieser Glaubensgewissheit über die Wahrheit des Evangeliums und ist zugleich gebunden an das in der Schrift verkündete Evangelium. Im Unterschied zur Gewissheit des Glaubens ist die Lehre bestimmt als fortwährendes hermeneutisches Bemühen an der Schrift, das zudem stets mitbeeinflusst wird durch geschichtliche Entwicklungen, Einsichten und Denkformen. Mit der horizontalen Ebene wird das Verhältnis zwischen den Kirchen, die jeweils unterschiedliche Lehraussagen treffen, beschrieben. Die Lehraussagen sind jeweils bezogen auf das eine Evangelium, das von den reformatorischen Kirchen als Botschaft von der Rechtfertigung identifiziert wird. Zugleich bleiben die Lehraussagen für sich genommen mit Blick auf das Evangelium defizitär und geschichtlich sowie kontextuell gebunden. Auf horizontaler Ebene stehen die unterschiedlichen Kirchen folglich vor der Aufgabe, einen Lehrkonsens zwischen den unterschiedlichen Lehren zu finden, mit dem das gemeinsame Verständnis des Evangeliums zum Ausdruck kommt. Dieser Konsens setzt voraus, dass die 3 Der Ansatz der vorliegenden Arbeit versucht, die wesentlichen Linien der Diskussion hervorzuheben und zu ordnen. Mit der vermittelnden Interpretation wird beabsichtigt, dem Charakter der Leuenberger Konkordie als ökumenischem Modell zu entsprechen, das seine einheitsstiftende Kraft, so die Annahme, vor allem durch den Interpretationsspielraum, den die Konkordie eröffnet, entfalten kann.
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Gegenüberstellung der Betrachtungen
Lehren in sich differenziert werden können in ihr „grundlegendes Zeugnis“ und ihre „geschichtlich bedingten Denkformen“4. Der Lehrkonsens zwischen bisher einander in ihren Bekenntnissen verurteilenden Kirchen geht also von der Möglichkeit aus, dass sich das Verständnis in bisher strittigen Lehrfragen – im Falle einander widersprechender Lehren – gewandelt haben kann oder – im Falle lediglich unterschiedlicher Lehraussagen – dass die Lehraussagen lediglich unterschiedliche inhaltliche Akzentuierungen in Bezug auf ein grundlegendes gemeinsames Verständnis des Evangeliums darstellen. Die zwei zuvor genannten Interpretationen können, so der Interpretationsvorschlag der vorliegenden Arbeit, in das Konsensverständnis der vorliegenden Arbeit integriert werden. Die unterschiedlichen Deutungen setzen auf unterschiedlichen Ebenen des Konsenses an. So wird mit der Hervorhebung der fides qua die vertikale Ebene betont. Dass mit dieser Lesart allerdings nur ein Teil des Konsensgeschehens erfasst wird, zeigen die weiterhin unversöhnten gegenseitigen Lehrverurteilungen. Die Hervorhebung der fides quae setzt bei der Versöhnung der trennenden Lehraussagen an und blickt somit zunächst auf die horizontale Ebene. Mit der Hervorhebung der fides quae bleibt die vertikale Ebene jedoch nicht außer Acht, da der Lehrkonsens letztlich auf die Gottesdienstgemeinschaft und das darin zur Glaubensgemeinschaft verbindende Handeln Gottes ausgerichtet ist. Die beiden Lesarten der Konkordie schließen demnach einander nicht aus. Sie sind hingegen zu verstehen als unterschiedliche Perspektiven und Akzentuierungen auf verschiedene Ebenen von Kirchengemeinschaft. Diese Beobachtung, dass die unterschiedlichen Lesarten Akzentuierungen im Konsensmodell der Konkordie darstellen und folglich einander nicht ausschließen, wird von einem weiteren Beispiel nahegelegt. So wurde in Kap. B 2.2.2.3 der vorliegenden Untersuchung im Zusammenhang mit den Untersuchungen der Kirchenstudie darauf hingewiesen, dass die Eigenschaft der Apostolizität von Kirche auf zweifache Weise verstanden wird. Zum einen ist sie das Werk Gottes, das die successio fidelium begründet. Durch das Handeln Gottes ist Kirche wahre Kirche.5 Zum anderen ist Apostolizität gebunden an das stete menschliche Bemühen um das schriftgemäße Zeugnis. Das menschliche Handeln begründet zwar nicht die wahre Kirche, es ist jedoch erforderlich für ihre Sichtbarkeit.6 Für den zwischenkirchlichen Konsens, der zur Erklärung von Kirchengemeinschaft benötigt wird, betont die Kirchenstudie allerdings nur den referentiellen Charakter des Konsenses. Die Studie legt somit den Fokus auf das 4 LK 5, Satz 5. 5 Vgl. KJC I.2.4.2, 39. 6 Vgl. die Aussagen der Kirchenstudie über das Amt. Das „ordinierte Amt“ gehört zum Sein der Kirche. Es garantiert „allein und an sich“ jedoch nicht „das wahre Sein der Kirche, sondern bleibt dem Worte Gottes untergeordnet“ (KJC I.2.5.1.1, These 1, 43).
Gegenüberstellung der Betrachtungen
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Handeln Gottes, auf das mit dem Konsens hingewiesen werden soll. Das bedeutet, dass der Aspekt der wahren Kirche betont wird und somit die Forderung aus CA VII nach der reinen und rechten bzw. evangeliumsgemäßen Verkündigung hervorgehoben wird.7 Dieser Aspekt wird in der vorliegenden Interpretation auf der vertikalen Ebene des Konsensmodells verortet. Anhand der Ausführungen zur weiteren Entwicklung der Leuenberger Kirchengemeinschaft wurde darauf hingewiesen, dass das Lehrgespräch „Gestalt und Gestaltung protestantischer Kirchen in einem sich verändernden Europa“8 in der Frage der Apostolizität das schriftgemäße Zeugnis besonders hervorhebt9: Nur in einer schriftgemäßen, ‚apostolischen‘ Kirche entsteht die Kirche als geistgewirkte Glaubensgemeinschaft mit den ‚Eigenschaften‘ der Einheit, der Heiligkeit und der Katholizität. Die Apostolizität der Kirche ist insofern die Brücke, welche die reformatorischen Kennzeichen der Kirche mit den geistgewirkten ‚Wesenseigenschaften‘ der Kirche verbindet.10
Auch im Bericht des Präsidiums der GEKE wird auf der Vollversammlung im Jahr 2006 betont: „Als gottesdienstliche Gemeinschaft sollte die GEKE auch Lehrgemeinschaft sein, um den differenzierten Konsens zu artikulieren“11. Im Unterschied zur Kirchenstudie wird demzufolge nun der Aspekt des Lehrkonsenses im Modell der Konkordie betont. Dieser Aspekt wird in der vorliegenden Interpretation auf der horizontalen Ebene des Konsensmodells verortet. Die unterschiedlichen Akzentuierungen innerhalb des Leuenberger Konsensmodells verdeutlichen in der Lesart der vorliegenden Arbeit den integrativen Charakter dieser Interpretation. Dabei ist das Modell der Konkordie im Sinne der vorliegenden Analyse nicht statisch zu verstehen. Es ermöglicht vielmehr einen lebendigen Prozess der Auseinandersetzung der Kirchengemeinschaft mit ihrer Grundlage, der Leuenberger Konkordie. In Abhängigkeit von der jeweiligen Herausforderung – sei es die Herausforderung zu einer evangelischen Profilierung des Modells im Fall der Kirchenstudie oder sei es die Herausforderung zu der Betonung der sichtbaren Gestalt der Kirchengemeinschaft im Fall des späteren Lehrgesprächs „Gestalt und Gestaltung“ – ermöglicht das Modell unterschiedliche Akzentuierungen des Charakters der Kirchengemeinschaft bei gleichzeitigem Festhalten an deren Grundmodell.
7 Vgl. hierzu die Interpretation des Konsenses als „referentieller Konsens“ in Kap. C 2.2.1.3 der vorliegenden Untersuchung. 8 Vgl. Gestalt und Gestaltung protestantischer Kirchen in einem sich verändernden Europa, in: Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 43–75. 9 Vgl. Kap. B 1.2 der vorliegenden Untersuchung. 10 A. a. O., 49. 11 Bericht des Präsidiums, in: Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 189–213; 191, Herv. v. J.G.
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Gegenüberstellung der Betrachtungen
Die zweite der zu Beginn des vorliegenden Kapitels der Gegenüberstellung aufgestellten Annahmen ging davon aus, dass die vorliegende Arbeit zwar ein im ökumenischen Diskurs von manchen Kirchen kritisiertes „spezifisch reformatorisches“ Verständnis der Leuenberger Konkordie bestätigt. Zugleich wird jedoch auf die ökumenische Anschlussfähigkeit des Modells hingewiesen. Kritisch diskutiert wird vor allem aus römisch-katholischer Perspektive die Verhältnisbestimmung zwischen dem opus Dei und dem opus hominum, die sich aus der Zuordnung von Evangelium, Glauben und Lehre in der Konkordie rekonstruieren lässt.12 Demnach wird, so die vorliegende Lesart, im Glauben als das Werk Gottes zwar schon jetzt die Wahrheit des Evangeliums erkannt. Die Lehre, in der diese Gewissheit zum Ausdruck kommen soll, bleibt als menschliches Werk jedoch stets geschichtlich und kontextuell gebunden und somit defizitär mit Blick auf ihren Gegenstand, das Evangelium. Für die Gemeinschaft von Kirchen bedeutet dies, dass sie einerseits auf das einigende Handeln Gottes vertrauen kann, das dem menschlichen Handeln noch vorausgeht und Kirchengemeinschaft im Sinne einer Glaubensgemeinschaft stiftet. Andererseits muss sich der zur gegenseitigen Anerkennung als wahre Kirche nötige Lehrkonsens zwischen den Kirchen immer wieder bewähren. Kirchliche Lehre und folglich auch der zwischen unterschiedlichen Kirchen vermittelnde Lehrkonsens bleiben somit charakterisiert als semper reformanda. Aufgrund dieser Einsicht wird Kirchengemeinschaft in der vorliegenden Untersuchung als Projekt und als Prozess charakterisiert. Übertragen auf das Verständnis der Formel der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ bedeutet dies, dass die Formel einerseits eine Gegenwartsbeschreibung des Verhältnisses der Unterzeichnerkirchen der Konkordie bietet. Andererseits ist mit dem Begriff eine Beschreibung der bleibenden Aufgabe und des kirchlichen Lebens verbunden. Das geschilderte Verständnis der Verhältnisbestimmung des opus Dei und des opus hominum in der Konkordie ist zwar ein Anlass für Kritik im ökumenischen Diskurs. Dabei darf jedoch die ökumenische Anschlussfähigkeit der Leuenberger Konkordie, wie sie von der vorliegenden Interpretation unterstrichen wird, nicht übersehen werden. So betont die vorliegende Arbeit ausdrücklich auch die im Modell der Konkordie enthaltene Notwendigkeit, den Lehrkonsens zwischen den Kirchen mit dem Ziel möglichst großer Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst nicht nur stetig zu prüfen, sondern auch weiter zu vertiefen und zu entfalten. Im Modell ist demnach bereits angelegt, dass auch andere Lehrfragen im Gespräch zwischen den Kirchen behandelt werden sollen, als die nach reformatorischer
12 Vgl. die römisch-katholische Überzeugung, von einem Bereich sichtbarer Identität zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen ausgehen zu können. Vgl. Kap. C 1.2.1.2 der vorliegenden Untersuchung.
Gegenüberstellung der Betrachtungen
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Einsicht zur Einheit notwendigen.13 Somit geht die vorliegende Interpretation noch über die zwei genannten Lesarten der Konkordie hinaus, da sie den Aspekt der Lehre in seiner Bedeutung für das Verständnis von Kirchengemeinschaft weiter entwickelt. Nach der vorliegenden Lesart setzt die Konsensfindung in der Konkordie einen hermeneutischen Prozess an der Schrift voraus, der nicht nur zu veränderten Akzentuierungen in der Lehrfrage führt, sondern auch zu veränderten Erkenntnissen und somit neuen Lehraussagen. Dieses Verhältnis zwischen dem Evangelium und kirchlicher Lehre ist entscheidend für das hermeneutische Verfahren der Konkordie. Es führt zu der Einsicht, dass die Kirchen kontinuierliche Lehrgespräche untereinander führen müssen, selbst wenn Kirchengemeinschaft bereits mit der Unterzeichnung der Konkordie erklärt ist. Die aus der Verpflichtung zur fortwährenden Kommunikation entstehenden Lehrgespräche dienen in der Kirchengemeinschaft dazu, in einem sich stetig verändernden Kontext immer wieder neu das gemeinsame Verständnis des Evangeliums zu formulieren. Die Dialoge dienen außerdem dazu, diesen Konsens noch über die zur Gottesdienstgemeinschaft notwendigen gemeinsamen Lehraussagen hinaus weiter zu entfalten und zu vertiefen. Kirchengemeinschaft, so wurde es bereits in Zusammenhang mit der ersten Annahme zu Beginn des vorliegenden Kapitels betont, ist also nicht nur eine Gottesdienstgemeinschaft, sondern auch eine Lehr- und Lerngemeinschaft.14 Diese Gemeinschaft strebt nach ihrer Vertiefung und einer möglichst großen Einmütigkeit in Zeugnis und Dienst in der Welt. Diese Betonung des Lehrcharakters von Kirchengemeinschaft verdeutlicht, dass das Modell von Kirchengemeinschaft ökumenisch offener ist, als es die Kritik im ökumenischen Diskurs nahelegt. So ist es nicht nur denkbar, sondern durch das Modell auch gefordert, dass die Lehrgespräche weitere Themenfelder und Fragestellungen der Kirchen behandeln. Somit ist der Weg zu einem breiteren Konsens, der zusätzlich Lehrfragen umfasst, die etwa nach römisch-katholischem Verständnis notwendig zur Einheit sind, bereits theoretisch im Modell angelegt.15 Harding Meyer konstatiert entsprechend, dass die Anwendung des Konzeptes „Kirchengemeinschaft“ auf andere Partner als reformatorische Kirchen unter der Voraussetzung möglich sei, „daß der Inhalt des erforderlichen Grundkonsenses sich erweitert und die zu entkräftenden Lehrverurteilungen 13 Vgl. LK 39 u. 49. 14 Vgl. Bericht des Präsidiums, in: Hüffmeier, Wilhelm/Friedrich, Martin (Hg.), Gemeinschaft gestalten, 189–213; 191. Deutlich wird der Charakter als Lehrgemeinschaft auch an der gemeinsamen Arbeit der Kirchen in der GEKE: „Seit Belfast zeigt sich eine Tendenz, von der Rückbesinnung auf die trennenden Fragen nun zur Konstruktion gemeinsamer Projekte zu gelangen“ (ebd.). Vgl. auch die Betonung von Gottesdienst und Lehrgesprächen als „Lernorte der GEKE“ in: Bünker, Michael, Der europäische Protestantismus, 20–22. 15 Vgl. LK 49.
348
Gegenüberstellung der Betrachtungen
andere sind“16. Solch ein Dialog, der mithilfe der Methode des differenzierten Konsenses auf der zwischenkirchlichen Lehrebene nach der Kompatibilität unterschiedlicher Lehraussagen sucht, läuft allerdings Gefahr lediglich einer Einigung in Einzelfragen zu dienen, ohne Konsequenzen für das Verhältnis der Gesprächspartner zu haben.17 So muss der Konsens neben der Aufarbeitung von gegenseitigen Lehrverurteilungen auch die von den Dialogteilnehmern jeweils definierten Kriterien zur Einheit der Kirche umfassen, um die Erklärung von Kirchengemeinschaft zu ermöglichen. Die Methode der Leuenberger Konkordie, die stark vereinfacht auch als differenzierter Konsens bezeichnet werden kann, liefert jedoch auch neue Impulse für den ökumenischen Diskurs, so die Annahme der vorliegenden Untersuchung. So geht die Methode davon aus, dass kirchliche Identität nicht allein an ihren dogmatischen Entscheidungen zu messen ist. Sie nimmt vielmehr an, dass es weitere Faktoren gibt, die sich auf die kirchliche Identität auswirken können. Hierzu zählen unter anderem kulturelle, geschichtliche und regionale Einflussfaktoren. Diese sind auch im Versöhnungsprozess der Kirchen zu berücksichtigen und bieten die Chance, selbst in Fragen, in denen auf dogmatischer Ebene keine Einigung erzielt werden konnte, eine weitere Annäherung zwischen den Kirchen zu ermöglichen.18 16 Meyer, Harding, Zur Entstehung und Bedeutung des Konzeptes „Kirchengemeinschaft“, 229. 17 Vgl. die angemerkte Kritik am differenzierten Konsens in Zusammenhang mit der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ in Kap. C 2.2.1.4 der vorliegenden Untersuchung. 18 Die Leuenberger Konkordie bezieht geschichtliche und kulturelle Einflussfaktoren auf die kirchliche Identität bereits in ihr Modell mit ein (vgl. LK 5). Allerdings werden diese Aspekte noch nicht weiter entfaltet in ihrer Bedeutung für die Konstruktion kirchlicher Identität. Eine detaillierte Erörterung dieser Bedeutung „nicht-theologischer“ Faktoren, insbesondere hinsichtlich des Versöhnungsprozesses der Kirchen sowie der Vertiefung von Kirchengemeinschaft in der GEKE, steht bislang aus. Die Dringlichkeit einer Behandlung dieser Faktoren wird durch die in der GEKE diskutierte Frage der Verbindlichkeit ihrer Beschlüsse und der tatsächlichen Rezeption von Ergebnissen aus der Zusammenarbeit der Kirchen verdeutlicht. Elisabeth Parmentier, die ehemalige Präsidentin der GEKE, betont hierzu: „Wenn die ökumenischen Beziehungen zwischen den Kirchen wirklich auf lokaler Ebene durchdringen sollen, so müssen ihre Aktionen weit mehr an Tiefe gewinnen als dies bloße Erklärungen und Veranstaltungen und Feiern vermögen. Es geht hier um eine andere, weit ausgreifendere Wirklichkeit als die Theologie, denn das Aufeinandertreffen von Geschichte, Politik, sozialen und wirtschaftlichen Interessen bildet eine äußerst schicksalhafte Konstellation für die Versöhnung“ (Parmentier, Elisabeth, Nachwort – Die Kirchen am Oberrhein – berufen zur Versöhnung, in: Bümlein, Klaus u. a. [Hg.], Kirchengeschichte am Oberrhein – ökumenisch und grenzüberschreitend, Ubstadt-Weiher u. a. 2013, 575–580; 575; vgl. dies., Die „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa“ als Erfahrungsfeld für die weltweite Gemeinschaft lutherischer Kirchen [LWB], in: Jolkkonen, Jari u. a. [Hg.], Unitas Visibilis, Helsinki 2004, 157–173; 166–172). Wichtige Anknüpfungspunkte für eine nähere Beschäftigung mit der Bedeutung nicht-theologischer Faktoren für kirchliche Identität bieten sowohl
Gegenüberstellung der Betrachtungen
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Zusammenfassend ist zur Gegenüberstellung der vorliegenden Interpretation mit den Erkenntnissen aus der Analyse des ökumenischen Diskurses festzuhalten: Die unterschiedlichen evangelischen Lesarten des Leuenberger Modells, die auch in der weiteren Entwicklung der Leuenberger Kirchengemeinschaft/ GEKE bestehen bleiben, werden von der vorliegenden Interpretation im Modell integriert und sind somit als Bestandteile des zum fortwährenden Dialog auffordernden Modells zu verstehen. Die vorliegende Auffassung des Modells unterstreicht auf diese Weise den reformatorischen Charakter der Konkordie und weist somit auf die spezifisch evangelische Lesart der ökumenischen Formel der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ hin. Die vorliegende Interpretation betont jedoch auch die Anschlussfähigkeit der Konkordie für den weiteren ökumenischen Dialog, der auch nicht-reformatorische Kirchen umfasst und hebt die bislang nicht näher reflektierten neuen Impulse, die von der Konkordie für den ökumenischen Diskurs ausgehen können, hervor.
das Programm „Healing of memories“ als auch die teilweise parallel zur Lehrgesprächsarbeit in Projektgruppen geleistete Arbeit in Regionalgruppen der GEKE. Vgl. insbesondere das Lehrgesprächsergebnis: Hüffmeier, Wilhelm (Hg.), Kirche–Volk–Staat–Nation. Ein Beitrag zu einem schwierigen Verhältnis, (LT 7), Frankfurt a.M. 2002. Das in Auftrag gegebene Thema sollte bewusst in der Regionalgruppe Süd- und Osteuropa bearbeitet werden. Es betont die wesentliche Einsicht, dass dogmatische Überlegungen unzureichend seien, um „aus Identitätsverhaftung geborene Widerstände“ zu überwinden (a. a. O., 81). Auch die Konsultation der GEKE mit der Russisch-Orthodoxen Kirche unter Beteiligung der KEK im Jahr 2011 machte auf die Bedeutung kultureller Faktoren für kirchliche Lehraussagen, also Aussagen, an denen die Kirche identifiziert wird, und die folglich im Versöhnungsprozess zu berücksichtigen sind, aufmerksam: „Vor allem zeigte sich auch hier, wie stark die jeweilige Interpretation der Menschenrechte durch die unterschiedlichen kulturellen Kontexte geprägt ist“ (Bericht des Präsidiums, in: Bünker, Michael/Jaeger, Bernd [Hg.], Frei für die Zukunft, 83– 106; 99). Vgl. ferner: Hoburg, Ralf, Vielfalt der Identitäten; Brandes, Dieter (Hg.), Beziehungsgeschichte der christlichen Kirchen in Siebenbürgen, Cluj-Napoca 2006.
Fazit und Ausblick
Die Formel „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ reflektiert den leitenden Gedanken der ökumenischen Bemühungen der Kirchen. Die Kirchen stehen vor der theologischen Herausforderung, zwischen der faktischen Pluralität ihrer Ausdrucksformen und ihrer Bekenntnisse einerseits sowie der von ihnen bezeugten Einheit der Kirche andererseits zu vermitteln. Dieser Herausforderung begegnen sie im Sinne des Konzeptes der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“, wonach die bezeugte Einheit in einer legitimen Vielfalt zum Ausdruck kommen kann. Dabei ist nicht klar, wie die Formel konkret zu interpretieren ist. Ein herausragendes Beispiel zur Erörterung der Leitidee ist das Einigungsmodell reformatorischer Kirchen in Europa, die Leuenberger Konkordie aus dem Jahr 1973. Auf deren Vorgehen wurde bei der Beschreibung der Formel von der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ im Jahr 1974 verwiesen. Die Leuenberger Konkordie ist das bislang erfolgreichste ökumenische Dokument und ein Meilenstein in der Geschichte der Ökumene. Sie führt nicht nur zu konkreten ekklesiologischen Konsequenzen für das Verhältnis ihrer evangelischen Signatarkirchen untereinander, sondern auch für deren Sichtbarkeit als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft in der säkularen Welt. Die Interpretation des Leuenberger Konzeptes und das Verständnis der darin angewandten Methode, so zeigt es sich am ökumenischen Diskurs um das Leuenberger Modell, sind zwischen den Kirchen allerdings umstritten. Dies liegt an der Interpretationsoffenheit der Leuenberger Konkordie, die von manchen evangelischen Kirchen als das Hindernis für eine Unterzeichnung der Konkordie gesehen wird. So lautet die Kritik unter anderem, es bliebe unklar, auf welche ökumenische Hermeneutik und auf welches darin reflektierte Verhältnis zwischen dem Handeln Gottes und dem Handeln des Menschen sich eine Zustimmung zur Konkordie bezöge. Auch das ökumenische Gespräch der Kirchen innerhalb der Leuenberger Kirchengemeinschaft/GEKE ist auf die Identifizierbarkeit ihres Modells und eine damit verbundene Klarheit über die unterschiedlichen Positionen und Verstehensweisen angewiesen, um zu Dialogergebnissen zu gelangen, die von allen Teilnehmern getragen werden. Die Klärung des Modellverständnisses ist darüber
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Fazit und Ausblick
hinaus eine Voraussetzung, um Aussagen zur ökumenischen Anschlussfähigkeit des evangelischen Einigungsmodells treffen zu können und um den Dialog zwischen der Leuenberger Kirchengemeinschaft/GEKE als identifizierbarem Partner und anderen Kirchen zu ermöglichen. Ausgehend von diesen Überlegungen wurde die vorliegende Untersuchung von dem Interesse geleitet, das Verständnis der Formel von der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ anhand des Leuenberger Modells als herausragendes Beispiel dieser Leitidee zu erörtern. Hierzu wurde eingangs die leitende These formuliert, dass sich die unterschiedlichen Interpretationen evangelischer Kirchen in Bezug auf das Leuenberger Modell nicht widersprechen. Vielmehr werden sie in der vorliegenden Untersuchung als einander ergänzende Akzentuierungen und Perspektiven verstanden. Die Vielfalt der Rezeptionen ist nach dieser Lesart bereits in dem ökumenischen Modell angelegt und intendiert. Die Untersuchung des Leuenberger Modells erfolgte in der Arbeit in drei Schritten. Erstens wurde ein eigener Zugang zur Leuenberger Konkordie entwickelt. Hierbei wurde die Konkordie als Grundmodell interpretiert, in dem die kontinuierliche Überprüfung und Vertiefung des erreichten Konsenses sowie dessen weitere Entfaltung bereits angelegt sind. Das Modell von Kirchengemeinschaft denkt demnach bereits seine eigene Realisierung mit. Zweitens wurde die von der Leuenberger Kirchengemeinschaft erarbeitete Kirchenstudie als Paradigma des Verwirklichungsprozesses von Kirchengemeinschaft analysiert. Mit der Ekklesiologiestudie als dem bislang wichtigsten Lehrgespräch der Kirchengemeinschaft wird nicht nur das in der Konkordie enthaltene ekklesiologische Theorem entfaltet. Auch die Methode der Konkordie wird nachträglich durch die Gemeinschaft interpretiert. Diese Interpretation der Konkordie durch die Kirchenstudie wurde dem eigenen Zugang der vorliegenden Untersuchung zum Leuenberger Modell gegenübergestellt. Drittens wurde der ökumenische Diskurs um die Leuenberger Konkordie und die Kirchenstudie untersucht. Hierzu wurden zum einen die unterschiedlichen Interpretationen der Konkordie und die Kritik an ihr erörtert. Zum anderen wurden die Lesarten der Kirchenstudie sowie die Kritik an ihr unter besonderer Berücksichtigung römisch-katholischer Stellungnahmen erläutert. In einer abschließenden Betrachtung wurden der eigene Zugang der vorliegenden Arbeit zur Konkordie und die wesentlichen Ergebnisse der Betrachtungen zum ökumenischen Diskurs einander gegenübergestellt. Der Mehrwert dieser Vorgehensweise besteht in den folgenden Aspekten: Erstens nimmt die vorliegende Untersuchung eine von Grund auf eigene Interpretation der Leuenberger Konkordie vor, die das gesamte Interpretationsspektrum der Leuenberger Konkordie wahrzunehmen versucht. Es wird also weder von der späteren Interpretation der Konkordie durch die Leuenberger Kirchenstudie ausgegangen, noch wird eine der im ökumenischen Diskurs be-
Fazit und Ausblick
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reits existierenden Lesarten zugrunde gelegt. Zweitens werden spätere Interpretationen des Modells, etwa durch die Kirchenstudie, in ein Verhältnis zu diesem Grundmodell gestellt. Somit wird die Perspektivität nachträglicher Interpretationen verdeutlicht und Konflikte, die sich an solchen Lesarten der Konkordie entfachen, entschärft. Überdies wird dem Charakter des Leuenberger Modells entsprochen, indem der in der Konkordie angelegte Verwirklichungsprozess der Kirchengemeinschaft als geschichtliches Geschehen wahrgenommen und vom Grundmodell aus erörtert wird. Dabei überblickt die vorliegende Analyse die bereits mehr als 40 Jahre währende Geschichte der Leuenberger Konkordie und der darauf aufbauenden Kirchengemeinschaft. Somit bietet sie sowohl einen in diesem Umfang bislang einzigartigen historischen Überblick als auch eine Miteinbeziehung dieser Entwicklungsgeschichte in das Verständnis des Modells.1 Schließlich dient die Gegenüberstellung des eigenen Verständnisses der vorliegenden Untersuchung des Leuenberger Modells und des ökumenischen Diskurses über das Modell dazu, einen Beitrag zum innerevangelischen und gesamtökumenischen Einigungsprozess sowie zur ökumenischen Anschlussfähigkeit des Leuenberger Modells zu leisten. Die Untersuchung kommt zu den folgenden zentralen Ergebnissen: Die Interpretationsvielfalt in Bezug auf die Methode der Leuenberger Konkordie ist in dem Einigungsmodell veranlagt. Die vorliegende Interpretation verortet die unterschiedlichen Lesarten der hermeneutischen Methode der Konkordie auf zwei miteinander verbundenen Ebenen. Diese zwei Ebenen sind auch auf Modellebene, im Verständnis von Kirchengemeinschaft, wiederzufinden. Demnach wird Kirchengemeinschaft als Projekt und Prozess verstanden.2 Kirchengemeinschaft ist einerseits eine von Gott „vorausgeworfene“ Einheit der Kirchen im Sinne der Teilhabegemeinschaft der Gläubigen am Leib Christi. Andererseits ist Kirchengemeinschaft ein kontinuierlicher Prozess, in dem die Kirchen diese geglaubte Einheit zum Ausdruck bringen und einen immer wieder zu prüfenden und zu vertiefenden Konsens zwischen ihren unterschiedlichen Lehren artikulieren. Dieses Verständnis von Kirchengemeinschaft integriert die zwei wesent1 Die Relevanz der Miteinbeziehung des Entwicklungsprozesses in die Analyse des Leuenberger Modells als Voraussetzung für die Identifizierung der Leuenberger Kirchengemeinschaft/ GEKE betonen auf der Vollversammlung 1994 auch die damaligen Präsidenten der Leuenberger Kirchengemeinschaft, Pavel Filipi und Friedrich-Otto Scharbau: „Den Schwerpunkt der Leuenberger Arbeit bilden die Lehrgespräche. Sie haben sich als Methode der Konsensbildung nicht nur bei der Entstehung der Konkordie bewährt, sondern auch in der Folgezeit eine Annäherung in vielen Einzelfragen gezeitigt. Sie spielen eine bedeutende Rolle beim Entstehen der inneren Identität der Leuenberger Kirchengemeinschaft“ (Hüffmeier, Wilhelm/Müller, Christine-Ruth [Hg.], Wachsende Gemeinschaft in Zeugnis und Dienst, 185). 2 Mit dem Begriff „Projekt“ wird abweichend von dessen gewöhnlichem Verstandnis die Bedeutung der lateinischen Ursprungsform aufgenommen. Demnach bedeutet proiectum etwas Vorausgeworfenes. Vgl. Kap. A 4.3.1 der vorliegenden Untersuchung.
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lichen, im ökumenischen Diskurs verhandelten Lesarten der Konkordie. Dabei werden die beiden Lesarten den unterschiedlichen Ebenen der Methode zugeordnet und finden sich in dem von der vorliegenden Arbeit entwickelten Verständnis von Kirchengemeinschaft als Projekt und Prozess wieder. Das Modell der Leuenberger Konkordie wird folglich von der vorliegenden Untersuchung als in sich konsistentes Modell wahrgenommen. Es ermöglicht zwar verschiedene Lesarten, diese sind jedoch nur Akzentuierungen innerhalb des Modells und perspektivische Wahrnehmungen, mit denen jeweils unterschiedliche theologische Intentionen verbunden sind. Die im Diskurs über die Leuenberger Konkordie zwei wesentlichen Lesarten werden also der vorliegenden Deutung zufolge nicht als Dissens wahrgenommen, sondern als Ausdruck der unterschiedlichen Betonung von Aspekten im Einigungsmodell. Somit wird einer Fixierung und methodischen Einengung des Methoden- und Modellverständnisses im Sinne einer bestimmten Lesart widersprochen. Diese Offenheit des Modells wird getragen von einer bleibenden gemeinsamen Überzeugung, der Glaubensgewissheit über das Verständnis des Evangeliums als Botschaft von der freien Gnade Gottes und als Maßstab von kirchlicher Lehre und Leben. Diese Gemeinsamkeit ist für die evangelischen Kirchen das identitätsstiftende Zentrum und das hermeneutische Regulativ für den Umgang mit ihrer Vielfalt. Die hierauf basierende Offenheit in Bezug auf Methode und Modell der Leuenberger Konkordie ist zum einen Voraussetzung für einen möglichst großen Konsens der Kirchen. Sie ist eine Bedingung dafür, dass die Kirchen miteinander verbindlich im Dialog bleiben, selbst wenn sich die Einsichten der verschiedenen Dialogteilnehmer – mitunter auch beeinflusst durch die vielfältigen Transformationsprozesse in ihrer gesellschaftlichen und politischen Umwelt – wandeln. Zum anderen bedeutet die Offenheit die stete Herausforderung zur Interpretation des Konsenses in der Konkordie als Grundlage der Kirchengemeinschaft: Der fortwährende Dialog, zu dem die Unterzeichnerkirchen durch die Konkordie verpflichtet sind, geschieht auf Grundlage des Modells der Leuenberger Konkordie. Dieser Dialog, in dem sich der Konsens zwischen den Kirchen immer wieder neu bewähren muss, profitiert von der Möglichkeit, im Rahmen des Leuenberger Modells zwischen unterschiedlichen Extremen vermitteln zu können. Die Leuenberger Konkordie kann im Sinne der vorliegenden Untersuchung demnach auch als Kommunikationsmodell zum Umgang mit Pluralität verstanden werden. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung verdeutlichen, dass die innerevangelische Interpretationsvielfalt in Bezug auf die Leuenberger Konkordie in dem Modell bereits angelegt ist. Das Modell fordert die fortwährende Auseinandersetzung, die den Wandel von Einsichten der Betrachter ermöglicht, ohne zu einem Scheitern der Gemeinschaft zu führen. Auch für die ökumenische Anschlussfähigkeit der Leuenberger Konkordie ist das vorliegende Verständnis
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des Modells von großer Bedeutung, da es von der Möglichkeit wechselnder Akzentuierungen im Konsensverständnis ausgeht. So kann beispielsweise für den Dialog mit der römisch-katholischen Kirche die Bedeutung des Lehrkonsenses und somit der sichtbaren Einheit stärker betont werden, als dies im innerevangelischen Kontext geschieht.3 Die vorliegenden Erkenntnisse wirken sich auch auf das Verständnis der ökumenischen Leitidee der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ aus. Demnach beschreibt dieser leitende Gedanke aus Perspektive der Leuenberger Konkordie einen Umgang mit Pluralität, der ausgehend von einer unumstößlichen gemeinsamen Überzeugung der Gesprächsteilnehmer einen kontinuierlichen Dialog initiiert. Dieses Gespräch findet im Rahmen des Modells der Leuenberger Konkordie statt und ist geprägt von einem steten Prozess des Austarierens zwischen unterschiedlichen, sich wandelnden Einsichten, ohne dass es zu einer einseitigen Fixierung der Perspektiven auf das Modell kommt. Die Formel der „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ ist jedoch nicht nur eine ökumenische Leitidee. Sie wird auch als Inspirationsquelle für den Umgang mit Pluralität in der europäischen Staatengemeinschaft rezipiert. Wenn das am Beispiel des Leuenberger Modells erörterte Verständnis einer „Einheit in der versöhnten Verschiedenheit“ Vorbild für den Integrationsprozess Europas sein soll, wie es der eingangs zitierten Rede José Manuel Durão Barrosos zu entnehmen ist, dann ist die europäische Gemeinschaft mit einer zweifachen Aufgabe konfrontiert. Dabei steht nicht die Frage im Vordergrund, ob in der EU – ähnlich wie im Modell der Konkordie – ein tragender Grundkonsens zwischen den unterschiedlichen Teilnehmern besteht. So wurden gemeinsame Werte und Grundüberzeugungen der europäischen Gemeinschaft 1992 im sogenannten Vertrag von Maastricht, dem Vertrag über die Europäische Union, definiert.4 Im Jahr 2000 wurde darüber hinaus die Europäische Grundrechtecharta veröffentlicht, die durch den Lissaboner Vertrag im Jahr 2009 Teil des „unmittelbar geltende[n] Recht[es] in der Europäischen Union“5 wurde. Problematisch ist vielmehr die Frage, um welche Werte es sich bei den gemeinsamen Werten eigentlich handelt und aus welchem Weltbild sie sich begründen. Auch das Verhältnis der Werte zueinander ist unklar und wird immer wieder kontrovers diskutiert.6 3 Vgl. die Interpretation der Leuenberger Konkordie durch die Kirchenstudie. 4 Zum Vertrag von Maastricht vgl. Lenz, Carl Otto (Hg.), EU-Verträge Kommentar: EUV, AEUV, GRCh, Köln 62013, 1–264. 5 Stratenschulte, Eckard D., Einleitung zu: Die Werteordnung der EU und ihre Grundlage: Eine klare Sache?, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Debatte. Europa kontrovers, Bonn 2010–2015, 172–175; 172, (http://www.bpb.de/internationales/europa/europa-kontro vers/?rl=0.24761913297697902), lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz (by-nc-nd/3.0/ de). Zum Vertrag von Lissabon vgl. Fischer, Klemens, Der Vertrag von Lissabon: Text und Kommentar zum europäischen Reformvertrag, Baden-Baden u. a. 22010. 6 Vgl. die Diskussionsbeiträge von Bernd Posselt, Emine Demirbüken-Wegner, György
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Demzufolge erscheint es für den Dialog über die gemeinsamen Grundüberzeugungen erstens unabdingbar, die unterschiedlichen Begründungsstrukturen der Werte freizulegen, um zweitens die mögliche Anschlussfähigkeit der unterschiedlichen Zugänge zueinander zu erörtern und dies drittens unter weitest möglicher Anerkennung der Eigenständigkeit und Gestaltung der Gemeinschaften im Dialog.7 Die heterogene europäische Gemeinschaft steht somit – so ist ausgehend von der vorliegenden Interpretation des Leuenberger Modells abschließend festzuhalten – vor der Aufgabe, in einem fortwährenden Diskursgeschehen ihre unterschiedlichen Perspektiven miteinander ins Gespräch zu bringen, um deren gegenseitige Anschlussfähigkeit zu erörtern. Es wird damit deutlich, dass es zur Einheit in der versöhnten Verschiedenheit „nicht ausreicht, sich zu den Grundwerten zu bekennen, sondern dass man in der Gesellschaft immer wieder um Auslegungen der Grundfreiheiten ringen muss, um allen Ansprüchen gerecht zu werden bzw. um Kompromisse zu finden, die den verschiedenen Ansprüchen gerecht werden“8. Dieser auf den Konsens ausgerichtete kontinuierliche Diskurs ist auch eine Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft. Eine von Pluralität geprägte Gemeinschaft ist herausgefordert zu einem fortwährenden Ringen um Einheit. Das Vermittlungsmodell reformatorischer Kirchen in Europa – die Leuenberger Konkordie – ist 40 Jahre nach seinem Inkrafttreten noch immer ein herausragendes Beispiel für diesen Prozess.
Dalos und Klaus Buchenau, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Debatte. Europa kontrovers, 176–188. Vgl. ferner den Sammelband: Joas, Hans/Wiegandt, Klaus (Hg.), Die kulturellen Werte Europas, Frankfurt a.M. 42006; vgl. auch Mandry, Christof, Europa als Wertegemeinschaft: Eine theologisch-ethische Studie zum politischen Selbstverständnis der Europäischen Union, Baden-Baden 2009. 7 Axt-Piscalar weist wie der Verf. auf die Bedeutung der LK über die Kirchengrenzen hinaus für den politischen Kontext. Abweichend vom Verf. legt sie einen besonderen Fokus auf der möglichst großen Autonomie der Gesprächsteilnehmer. Vgl. hierzu auch die Umformulierung der ökumenischen Formel „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ in „Einheit in gestalteter Vielfalt“ (dies., Die Leuenberger Konkordie aus lutherischer Sicht, 180f). 8 Stratenschulte, Eckard D., Einleitung zu: Die Werteordnung der EU und ihre Grundlage, 172–175; 174.
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungen richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis in Schwertner, Siegfried, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG), Berlin u. a. 21994 = TRE Abkürzungsverzeichnis 1994. In dem Verzeichnis nicht aufgeführte oder häufig wiederkehrende Abkürzungen werden folgend angegeben: BenshH BSELK BThZ CA Cath(M) CCEE DNK DiKi
Bensheimer Hefte Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche Berliner theologische Zeitschrift Confessio Augustana (Augsburgisches Bekenntnis) Catholica. Münster Rat der Europäischen Bischofskonferenz Deutsches Nationalkomitee Dialog der Kirchen. Veröffentlichungen des ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen DtPfrBl Deutsches Pfarrerblatt DWÜ I–IV Dokumente wachsender Übereinstimmung, Bd. I–IV EK Evangelische Kommentare EKD Evangelische Kirche in Deutschland epdD evangelischer Pressedienst, Dokumentationen EStL Evangelisches Staatslexikon EthSt Erfurter Theologische Studien EvDia Evangelische Diaspora FZPhTh Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie GER Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre GEKE Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa GOF Gemeinsame Offizielle Feststellung IKZ Internationale Kirchliche Zeitschrift JThF Jerusalemer Theologisches Forum JHKGV Jahrbuch der Hessischen Kirchengeschichtlichen Vereinigung KEK Konferenz Europäischer Kirchen KJ Kirchliches Jahrbuch für die evangelische Kirche in Deutschland
358 KJC
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