Physik für Mediziner, Biologen, Pharmazeuten [Reprint 2013 ed.] 9783111682471


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Table of contents :
Einleitung
Mechanik
I. Raum und Zeit
I.1 Physikalische Größen und Einheiten
1.1 Länge als Beispiel
1.2 Basiseinheiten des internationalen Einheitensystems
1.3 Längenmessung
1.4 Zeitmessung
1.5 Winkelmaße
I.2 Bewegungen im Raum
2.1 Geschwindigkeit
2.2 Beschleunigung
2.3 Kreisbewegung
2.4 Berechnung des Weges aus Geschwindigkeit und Beschleunigung
II. Masse und Kraft
II.1 Die träge Masse
II.2 Wirkung von Kräften
2.1 Newton’sche Axiome
2.2 Verschiedene Arten von Kräften
2.3 Dynamometer (Kraft einer gespannten Feder)
2.4 Druck (Kraft auf eine Fläche)
2.5 Statisches und dynamisches Gleichgewicht von Kräften
2.6 Schwerelosigkeit
2.7 Drehmoment
2.8 Impuls und Drehimpuls
2.9 Reibung
III. Arbeit, Energie, Leistung
III.1 Ein Beispiel für den Begriff „Arbeit“
III.2 Energieformen
III.3 Leistung, Wirkung
IV. Erhaltungssätze
IV.1 Energieerhaltungssatz
IV.2 Impulserhaltungssatz
IV.3 Stoß als Beispiel für Energie- und Impulserhaltung
IV.4 Drehimpulserhaltungssatz
V. Mechanische Eigenschaften von Stoffen
V.1 Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen
1.1 Bindungsarten
1.2 Molekulares Bild der Aggregatzustände
1.3 Grenzflächen
V.2 Makroskopische mechanische Eigenschaften von Festkörpern
2.1 Homogene Körper
2.2 Verformung von festen Körpern unter dem Einfluß von Kräften
V.3 Makroskopische mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten
3.1 Hydrostatik
3.2 Hydrodynamik
Mechanische Schwingungen und Wellen
VI. Schwingungen
VI.1 Pendel als mechanisches schwingungsfähiges System
VI.2 Differentialgleichung der ungedämpften Schwingung
VI.3 Gedämpfte Schwingungen
VI.4 Erzwungene Schwingungen
VI.5 Anharmonische Schwingungen
5.1 Überlagerung von harmonischen Schwingungen
5.2 Zerlegung anharmonischer Schwingungen in harmonische Teilschwingungen
5.3 Schwebung
VI.6 Gekoppelte Pendel
6.1 Zwei gekoppelte Pendel
6.2 Übergang von der Pendelkette zu einfachen Eigenschwingungen ausgedehnter Körper
VII. Wellen
VII.1 Ausbreitung von Schwingungen
VII.2 Doppler-Effekt
VII.3 Gedämpfte Wellen
VII.4 Anharmonische Wellen
VII.5 Verhalten von Wellen an der Grenzfläche zwischen verschiedenen Medien
VII.6 Überlagerung von Wellen
VII.7 Stehende Wellen
VII.8 Schallwellen
VII.9 Schallfeldgrößen
VII.10 Schallempfindungen
VII.11 Stimme und Gehör beim Menschen
VII.12 Ultraschall
Wärmelehre
VIII. Wärme und Temperatur
VIII.1 Wärmeenergie
VIII.2 Wärmekapazität, spezifische Wärme
VIII.3 Temperaturskalen
VIII.4 Temperatur-Meßgeräte
4.1 Ausdehnungsthermometer
4.2 Thermoelement
4.3 Widerstandsthermometer
IX. Ideale Gase
IX.1 Zustandsgrößen, Zustandsgieichung
IX.2 Zustandsänderungen
IX.3 Adiabatische Zustandsgieichungen
IX.4 Zustandsgieichung von Gasgemischen
X. Kinetische Gastheorie
X.1 Gasdruck
X.2 Kinetische Energie und Temperatur
X.3 Freiheitsgrade und Gleichverteilungssatz
X.4 Geschwindigkeits-Verteilung
X.5 Volumenarbeit
X.6 Wärmekapazität idealer Gase
XI. Reale Gase, Van der Waals’sche Zustandsgieichung
XII. Hauptsätze der Wärmelehre
XII.1 Innere Energie
XII.2 Der 1. Hauptsatz der Wärmelehre
XII.3 Reversible und irreversible Prozesse
XII.4 Entropie
XII.5 Der 2. Hauptsatz der Wärmelehre
XII.6 Energiebilanz beim lebenden Organismus
XIII. Thermodynamische Eigenschaften von Stoffen
XIII.1 Thermische Ausdehnung
XIII.2 Wärmeübergang, Wärmetransport
XIII.3 Stoffgemische
3.1 Konzentration und Gehalt einer Lösung
3.2 Echte Lösung, kolloidales System
3.3 Henry-Dalton’sches Gesetz
3.4 Hydratation, Solvatation
3.5 Diffusion
3.6 Osmose
3.7 Phasenübergänge
Elektrizitätslehre
XIV. Elektrische und magnetische Größen
XIV.1 Vorbemerkung
XIV.2 Ladung
2.1 Ladungsmenge
2.2 Kraft zwischen elektrischen Ladungen
XIV.3 Spannung
3.1 Definition der Spannung
3.2 Spannungsquellen
XIV.4 Strom
XIV.5 Widerstand, Leitwert
5.1 Leiter, Nichtleiter
5.2 Spezifischer Widerstand, spezifische Leitfähigkeit
5.3 Strom- Spannungs-Kennlinie von Leitern
XIV.6 Netzwerke
6.1 Schaltbilder
6.2 Innenwiderstand einer Spannungsquelle
6.3 Kirchhoff’sche Gesetze des elektrischen Stromes
XIV.7 Elektrostatisches Feld
7.1 Kraftwirkung auf eine Ladung im Feld
7.2 Arbeit und Energie im elektrischen Feld
7.3 Kondensator und Kapazität
7.4 Kräfte auf einen Dipol im Feld
7.5 Materie im Feld
7.6 Energieinhalt des elektrischen Feldes
XIV.8 Magnetfeld
8.1 Feldstärke und magnetische Induktion
8.2 Kräfte auf einen magnetischen Dipol
8.3 InduktionsVorgänge
8.4 Maxwell’sche Gleichungen
8.5 Lorentz-Kraft
8.6 Selbstinduktion
8.7 Energieinhalt des magnetischen Feldes
8.8 Lenz’sche Regel
8.9 Magnetfelder des menschlichen Körpers
XIV.9 Zeitabhängige Spannungen und Ströme
9.1 Ein- und Ausschaltvorgänge
9.2 Sinusförmige Wechselspannungen und Wechselströme
9.3 Dreiphasen-Spannung, Drehstrom
9.4 Nicht-sinusförmige Wechselspannungen, Spannungsimpulse
9.5 Wechselstrom-Kreise
9.6 Resonanz-Schwingkreise
9.7 Elektromagnetische Wellen
9.8 Leistung des elektrischen Stroms
XV. Mikroskopische elektrische Vorgänge
XV.1 Biologische Potentiale
1.1 Entstehung von Spannungen an Grenzflächen
1.2 Summenpotentiale
XV.2 Mechanismen der Stromleitung
2.1 Stromleitung im Vakuum
2.2 Stromleitung in Gasen
2.3 Stromleitung in Elektrolyten
2.4 Stromleitung in Festkörpern
XVI. Elektrische Geräte
XVI.1 Meßgeräte
1.1 Das Drehspul-Meßwerk
1.2 Das Digital-Meßgerät
1.3 Messung von Strom und Spannung
1.4 Elektronenstrahl-Oszillograph
1.5 Ladungsmessung
1.6 Messung von Ohm’schen Widerständen
1.7 Rauschen
XVI.2 Technische elektrische Geräte
2.1 Dynamo-Maschine
2.2 Elektro-Motor
2.3 Transformator
2.4 Sender und Empfänger
Optik
XVII. Optische Strahlung
XVII.1 Einleitung
XVII.2 Lichtmeßgrößen
XVII.3 Strahlungsquellen
XVII.4 Bohr’sches Atommodell
XVII.5 Emission von Licht aus Atomen
XVII.6 Das Emissions-Spektrum des Atoms
XVII.7 Absorption von Licht in Atomen
XVII.8 Emission und Absorption glühender Körper
XVII.9 Wärmestrahlung und Temperaturgleichgewicht
9.1 Emission und Absorption des Schwarzen Körpers
9.2 Strahlungsgesetze
XVII.10 Der Laser
XVII.11 Fluoreszenz, Phosphoreszenz, Lumineszenz
XVIII. Wellenoptik
XVIII.1 Kohärenz von Wellen
XVIII.2 Interferenz von Wellen
2.1 Interferenzfähigkeit
2.2 Interferometrie
2.3 Holographie
XVIII.3 Beugung elektromagnetischer Wellen
3.1 Das Huygens’sche Prinzip
3.2 Beugung an Spalten
3.3 Beugung am Draht
3.4 Das Beugungsgitter
3.5 Beugung an kreisförmigen Blenden (Beugungsunschärfe)
XVIII.4 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen in Materie
4.1 Der Brechungsindex
4.2 Das Absorptionsgesetz
4.3 Der Zusammenhang zwischen Absorption und Dispersion
XVIII.5 Spektralanalyse
5.1 Lambert-Beer’sches Gesetz
5.2 Extinktion kolloidaler Systeme
XVIII.6 Polarisation elektromagnetischer Wellen
6.1 Polarisationszustand
6.2 Erzeugung und Untersuchung von linear polarisiertem Licht
6.3 Optische Aktivität und Faraday-Effekt
XVIII.7 Materiewellen
XIX. Geometrische Optik
XIX.1 Geradlinige Lichtausbreitung
XIX.2 Optische Symbole
XIX.3 Gesetze der Geometrischen Optik
3.1 Reflexion
3.2 Abbildung durch Spiegel
3.3 Brechung
3.4 Intensitäten von gebrochenem und reflektiertem Strahl
3.5 Zerlegung von Licht in seine Spektralfarben mit Hilfe des Prismas
3.6 Totalreflexion
XIX.4 Abbildung mit Linsen
4.1 Abbildung durch brechende Flächen
4.2 Die Abbildungsgleichung für eine brechende Fläche
4.3 Spezialfälle der Abbildungsgleichung
4.4 Die Abbildungsgleichung für eine Linse
4.5 Klassifizierung von Linsen
4.6 Konstruktion von Strahlengängen
4.7 Abbildungsfehler
4.8 Die Abbildungsgleichung für ein System aus zwei Linsen
4.9 Kardinalelemente von dicken Linsen und Linsensystemen
4.10 Die Schärfentiefe (Tiefenschärfe)
4.11 Abbildung im Auge
4.12 Optische Vergrößerung
4.13 Vergrößerung bei Betrachtung mit dem Auge
XX. Einige optische Instrumente
XX.1 Lupe
XX.2 Projektions-Apparate
XX.3 Lichtmikroskop
XX.4 Elektronenmikroskop
XX.5 Das Fernrohr
XX.6 Photometer
XX.7 Strahlungsmeßgeräte
XX.8 Die Kamera
XXI. Ionisierende Strahlung
XXI.1 Atomkerne
1.1 Elementarteilchen
1.2 Aufbau der Atomkerne
XXI.2 Radioaktivität
2.1 Kernumwandlungen
2.2 Natürliche Radionuklide
2.3 Zerfallsgesetz
2.4 Radioaktives Gleichgewicht
2.5 Wechselwirkung energiereicher geladener Teilchen mit Materie
2.6 Wechselwirkung von Neutronen mit Materie
2.7 Strahlungsdetektoren
2.8 Medizinische Anwendung von Radionukliden
2.9 Kernspaltung und Kernfusion
2.10 Künstliche Kernumwandlung
XXI.3 Erzeugung von Röntgenstrahlen
3.1 Bremsstrahlung, charakteristische Strahlung
3.2 Erzeugung ultraharter Röntgenstrahlung durch Teilchenbeschleuniger
3.3 Wechselwirkung von Röntgen- und Gamma Strahlung mit Materie
3.4 Röntgenbildaufnahmen
XXI.4 Dosimetrie
XXII. Regelung und Steuerung
XXIII. Informationsübertragung
Anhang
A.1 Mathematische Beschreibung physikalischer Zusammenhänge
A.2 Fehlerabschätzung
2.1 Größenordnungsmäßige Angabe von Meßfehlern
2.2 Ursachen von Fehlern
2.3 Methoden der Fehlerabschätzung
2.4 Signifikanz-Tests
A.3 Rechnen mit Vektoren
A.4 Das Exponentialgesetz
A.5 Einige mathematische Beziehungen, die im Text verwendet wurden
A.6 Einige Naturkonstanten
A.7 Lernzielkatalog - Kapitelnummern
Register
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Physik für Mediziner, Biologen, Pharmazeuten [Reprint 2013 ed.]
 9783111682471

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de Gruyter Lehrbuch Trautwein · Kreibig · Oberhausen Physik für Mediziner

Alfred Trautwein · Uwe Kreibig Erich Oberhausen

Physik für Mediziner Biologen, Pharmazeuten

w DE

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1977

Professor Dr. Alfred Trautwein, Fachbereich Angewandte Physik der Universität des Saarlandes Dr. Uwe Kreibig, Akad. Oberrat, Fachbereich Physik der Universität des Saarlandes Professor Dr. Dr. Erich Oberhausen, Abteilung für Nuklear-Medizin der Radiologischen Klinik der Universität des Saarlandes

D a s Buch enthält 353 Abbildungen

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen Bibliothek

Trautwein, Alfred Physik für Mediziner, Biologen, Pharmazeuten / Alfred Trautwein ; Uwe Kreibig ; Erich Oberhausen. - 1. Aufl. - Berlin, New York : de Gruyter, 1977. (de-Gruyter-Lehrbuch) ISBN 3-11-004880-9 NE: Kreibig, Uwe: ; Oberhausen, Erich:

© Copyright 1977 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie die Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz: Fotosatz Tutte, Salz weg-Passau. Druck: Karl Gerike, Berlin. Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Buchgewerbe-GmbH, Berlin.

Vorwort

In ihrem klassischen Rahmen befaßte sich die Physik mit Vorgängen in der unbelebten Natur. Heute erstreckt sie sich auf alle Gebiete der Naturwissenschaften und Technik. So ist sie auch zu einer der wesentlichen Grundlagen in der Biologie und Medizin geworden. Dies beruht darauf, daß die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten, die man in der unbelebten Natur beobachten kann, auch für die lebenden Organismen gelten; nur sind sie in der unbelebten Natur meist sehr viel einfacher zu erkennen. Physikalische Gesetze haben es ermöglicht, in Biologie und Medizin über die einfache Beschreibung von Lebensvorgängen hinaus zu ihrem naturwissenschaftlich begründeten Verständnis zu gelangen. Es ist daher notwendig, daß sich Biologen und Mediziner intensiv mit den physikalischen Grundlagen ihrer Wissenschaften beschäftigen. Erster Schritt dazu ist, an einfachen physikalischen Modellen zu lernen, wie man mit naturwissenschaftlichen Methoden arbeitet. Daran schließt sich der schwere Weg an, in der Vielfalt und Komplexität der Vorgänge am lebenden Organismus physikalische Einzelprozesse auszumachen. In diesem Buch haben wir uns bemüht, grundlegende Begriffe und physikalische Zusammenhänge an einfachen Modellen einzuführen. Dadurch bleibt auch ihre mathematische Formulierung überschaubar. Vor dieser sind wir nicht ausgewichen; Physik ist, wie jede Naturwissenschaft, eine quantitative Wissenschaft. Sie begnügt sich nicht damit festzustellen, daß etwas geschieht, sondern untersucht, warum es in einem bestimmten Ausmaß geschieht. Grundlage des Verständnisses ist daher ein eindeutiges, mathematisch formulierbares Begriffssystem. Dieses nimmt besonders im ersten Abschnitt, der Mechanik, einen großen Raum ein. Wir sind der Überzeugung, daß auch der, der die Physik nur als Hilfswissenschaft benötigt, in der Lage sein muß, einfache praktische Probleme, wie sie in seinem Fachgebiet auftreten, selbst durchzurechnen. Ein wesentliches Anliegen war es uns, Grundlagen durch Beispiele aus dem medizinisch-biologischen Bereich zu veranschaulichen. Sie sollen darauf hinweisen, in welch unterschiedlichen Gebieten allgemeine physikalische Gesetzmäßigkeiten realisiert sind. Zur Prüfung seines Verständnisses sollte der Leser sich darin versuchen, andere Beispiele zu finden. Er wird rasch merken, wieviel Freude es machen kann, sich über die Physik klarzuwerden, die hinter Vorgängen des täglichen Lebens stehen wie Radfahren, Kochen, Singen, Tanzen, Fußballspielen, Fotografieren, .Schallplattenspielen usw. Das alles sind Beispiele, die im vorliegenden Buch nicht behandelt werden, deren Erklärung aber in den besprochenen Gesetzmäßigkeiten enthalten ist.

VI

Vorwort

Trotz einiger Gegenargumente haben wir uns entschlossen, im wesentlichen den üblichen Aufbau der Physik in Mechanik, Wärmelehre, Elektrizitätslehre, Optik und Kernphysik beizubehalten, da sonst der Zwang zur Verwendung von physikalischen Größen und Gesetzen an Stellen, wo sie noch nicht exakt eingeführt sind, zu groß geworden wäre. Moderne Erkenntnisse der Quantenphysik und der Relativitätstheorie haben wir in den laufenden Text aufgenommen und nicht in spezielle Kapitel verbannt, als handle es sich dabei um eine andere Physik. Die Stoffauswahl ist auf die Gegenstandskataloge des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen aus den Jahren 1973, 1975 (GKP1) und 1976 (GK1) abgestimmt. Da weitere Neubearbeitungen dieser Kataloge zu erwarten sind, haben wir auf Hinweise im Text verzichtet und diese stattdessen in einem Korrelationsregister im Anhang zusammengefaßt. Das Buch ist für jeden gedacht, der Grundlagenkenntnisse in Physik erwerben will, vornehmlich jedoch für Studierende der Fächer Medizin, Biologie und Pharmazie sowie anderer Fachrichtungen mit biophysikalischen Aspekten. Die ausführliche, abbildungsreiche und großzügige Darstellung macht ein Zusammentragen des Wissens- und Prüfungsstoffes aus verschiedenen Quellen entbehrlich. Zahlreiche Textverweise innerhalb des Buches sollen auch demjenigen Leser den Einstieg in die einzelnen Kapitel ermöglichen, der das Buch nicht kontinuierlich durchliest. Enggedrucktes ist nicht gleichbedeutend mit Entbehrlichem, vielmehr sollten damit Zusatzinformationen vom laufenden Text abgesetzt werden. Das, was man sich als Gerüst an grundlegendem Wissen zur Vorbereitung auf die medizinische oder pharmazeutische Vorprüfung mindestens aneignen sollte, ist im Text durch das Zeichen • und durch Einrücken hervorgehoben. Der Leser wird möglicherweise eine detaillierte Beschreibung von Praktikums· und Rechenaufgaben vermissen. Es ist geplant, in einem weiteren Band repräsentative Aufgaben und Experimente aus dem Praktikum für Mediziner, eine ausführliche Apparatekunde, sowie Rechenbeispiele und Lösungen zusammenzustellen. Für die mühevolle Schreibarbeit der vielen Manuskriptseiten danken wir Frau G.Krieger und Frl. M. Pügner. Die Herren Dipl.-Phys. W. Wildner, Ing. J. Welsch und H. Preßmann haben dankenswerterweise die vielen Abbildungen gezeichnet. Mai 1977

Alfred Trautwein, Uwe Kreibig, Erich Oberhausen

Inhalt

Einleitung

1

Mechanik

I. 1.1

Raum und Zeit Physikalische Größen und Einheiten 1.1 Länge als Beispiel 1.2 Basiseinheiten des internationalen Einheitensystems 1.3 Längenmessung 1.4 Zeitmessung 1.5 Winkelmaße Bewegungen im Raum 2.1 Geschwindigkeit 2.2 Beschleunigung 2.3 Kreisbewegung 2.4 Berechnung des Weges aus Geschwindigkeit und Beschleunigung .

3 3 3 6 8 11 13 14 14 18 19 22

II. II. 1 II.2

Masse und Kraft Die träge Masse Wirkung von Kräften 2.1 Newton'sche Axiome 2.2 Verschiedene Arten von Kräften 2.2.1 Gravitation 2.2.2 Trägheitskraft 2.2.3 Zentrifugal- und Zentripetalkraft 2.3 Dynamometer (Kraft einer gespannten Feder) 2.4 Druck (Kraft auf eine Fläche) 2.5 Statisches und dynamisches Gleichgewicht von Kräften 2.6 Schwerelosigkeit 2.7 Drehmoment 2.7.1 Trägheitsmoment 2.7.2 Kräftepaar 2.7.3 Anwendung auf den Hebel 2.7.4 Schwerpunkt 2.7.5 Die Hebelwaage 2.7.6 Indifferentes, stabiles und labiles Gleichgewicht 2.8 Impuls und Drehimpuls 2.9 Reibung

25 25 28 28 29 30 33 33 34 35 35 36 37 38 38 39 41 43 45 46 48

III. III. 1

Arbeit, Energie, Leistung Ein Beispiel für den Begriff „Arbeit"

52 52

1.2

VIII

Inhalt

111.2 111.3

Energieformen Leistung, Wirkung

53 56

IV. IV. 1 IV.2 IV.3 IV.4

Erhaltungssätze Energieerhaltungssatz Impulserhaltungssatz Stoß als Beispiel für Energie- und Impulserhaltung Drehimpulserhaltungssatz

58 58 61 61 64

V. V. 1

Mechanische Eigenschaften von Stoffen 65 Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen 67 1.1 Bindungsarten 67 1.2 Molekulares Bild der Aggregatzustände 71 1.2.1 Gase 71 1.2.2 Festkörper 71 1.2.3 Thermische Bewegung und Schmelzvorgang 75 1.2.4 Flüssigkeiten 75 1.3 Grenzflächen 76 Makroskopische mechanische Eigenschaften von Festkörpern 79 2.1 Homogene Körper 79 2.2 Verformung von festen Körpern unter dem Einfluß von Kräften . . 80 Makroskopische mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten 84 3.1 Hydrostatik 84 3.1.1 Spezifische Oberflächenenergie (Oberflächenspannung) 84 3.1.2 Druck in Flüssigkeiten 88 3.2 Hydrodynamik 97 3.2.1 Die Kontinuitätsgleichung 97 3.2.2 Zähe Flüssigkeiten 99 3.2.2.1 Viskosität 99 3.2.2.2 Laminare Strömung 103 3.2.2.3 Turbulente Strömung 108 3.2.2.4 Strömungsgesetze und Blutkreislauf 110

V.2

V.3

Mechanische Schwingungen und Wellen VI. VI.l VI.2 VI.3 VI.4 VI.5

VI.6

Schwingungen Pendel als mechanisches schwingungsfahiges System Differentialgleichung der ungedämpften Schwingung Gedämpfte Schwingungen Erzwungene Schwingungen Anharmonische Schwingungen 5.1 Uberlagerung von harmonischen Schwingungen 5.2 Zerlegung anharmonischer Schwingungen in harmonische Teilschwingungen 5.3 Schwebung Gekoppelte Pendel 6.1 Zwei gekoppelte Pendel

113 114 115 119 120 123 124 125 126 127 127

Inhalt

IX

6.2 Übergang von der Pendelkette zu einfachen Eigenschwingungen ausgedehnter Körper VII. VII.l VII.2 VII.3 VII.4 VI 1.5 VII.6 VII.7 VII.8 VII.9 VII. 10 VII. 11 VII. 12

Wellen Ausbreitung von Schwingungen Doppler-Effekt Gedämpfte Wellen Anharmonische Wellen Verhalten von Wellen an der Grenzfläche zwischen verschiedenen Medien Überlagerung von Wellen Stehende Wellen Schallwellen Schallfeldgrößen Schallempfindungen Stimme und Gehör beim Menschen Ultraschall

129 134 134 141 143 145 149 152 153 157 160 163 165 169

Wärmelehre VIII. VIII. 1 VIII.2 VIII.3 VIII.4

Wärme und Temperatur Wärmeenergie Wärmekapazität, spezifische Wärme Temperaturskalen Temperatur-Meßgeräte 4.1 Ausdehnungsthermometer 4.2 Thermoelement 4.3 Widerstandsthermometer

172 172 172 174 175 175 178 179

IX. IX. 1 IX.2 IX.3 IX.4 X. X.l X.2 X.3 X.4 X.5 X.6

Ideale Gase Zustandsgrößen, Zustandsgieichung Zustandsänderungen Adiabatische Zustandsgieichungen Zustandsgieichung von Gasgemischen Kinetische Gastheorie Gasdruck Kinetische Energie und Temperatur Freiheitsgrade und Gleichverteilungssatz Geschwindigkeits-Verteilung Volumenarbeit Wärmekapazität idealer Gase

180 180 181 182 182 184 184 185 186 187 189 190

XI.

Reale Gase, Van der Waals'sche Zustandsgieichung

192

XII. XII. 1 XII.2

Hauptsätze der Wärmelehre Innere Energie Der 1. Hauptsatz der Wärmelehre

195 195 196

x

Inhalt

XII.3 XII.4 XII.5 XII.6

Reversible und irreversible Prozesse Entropie Der 2. Hauptsatz der Wärmelehre Energiebilanz beim lebenden Organismus

196 199 201 202

XIII. XIII. 1 XIII.2 XIII.3

Thermodynamische Eigenschaften von Stoffen Thermische Ausdehnung Wärmeübergang, Wärmetransport Stoffgemische 3.1 Konzentration und Gehalt einer Lösung 3.2 Echte Lösung, kolloidales System 3.3 Henry-Dalton'sches Gesetz 3.4 Hydratation, Solvatation 3.5 Diffusion 3.6 Osmose 3.7 Phasenübergänge 3.7.1 Umwandlungswärmen 3.7.2 Lösungswärmen 3.7.3 Reaktionswärmen 3.7.4 Dampfdruck 3.7.5 Dampfdruckerniedrigung, Siedepunktserhöhung und Gefrierpunktserniedrigung 3.7.6 Koexistenz von Phasen, Phasengleichgewichte

204 204 205 207 208 209 210 210 211 212 215 215 216 217 218 220 222

Elektrizitätslehre XIV. XIV. 1 XIV.2

XIV. 3

XIV.4 XIV. 5

XIV.6

XIV.7

Elektrische und magnetische Größen Vorbemerkung Ladung 2.1 Ladungsmenge 2.2 Kraft zwischen elektrischen Ladungen Spannung 3.1 Definition der Spannung 3.2 Spannungsquellen Strom Widerstand, Leitwert 5.1 Leiter, Nichtleiter 5.2 Spezifischer Widerstand, spezifische Leitfähigkeit 5.3 Strom- Spannungs-Kennlinie von Leitern Netzwerke 6.1 Schaltbilder 6.2 Innenwiderstand einer Spannungsquelle 6.3 KirchhofFsche Gesetze des elektrischen Stromes Elektrostatisches Feld 7.1 Kraftwirkung auf eine Ladung im Feld 7.2 Arbeit und Energie im elektrischen Feld 7.3 Kondensator und Kapazität

224 224 225 225 226 227 227 228 230 232 232 233 234 236 236 237 239 243 243 245 248

Inhalt

XIV.8

XIV.9

XV. XV. 1

XV.2

XVI. XVI. 1

XI 7.4 Kräfte auf einen Dipol im Feld 7.5 Materie im Feld 7.6 Energieinhalt des elektrischen Feldes Magnetfeld 8.1 Feldstärke und magnetische Induktion 8.2 Kräfte auf einen magnetischen Dipol 8.3 Induktionsvorgänge 8.4 Maxwell'sche Gleichungen 8.5 Lorentz-Kraft 8.6 Selbstinduktion 8.7 Energieinhalt des magnetischen Feldes 8.8 Lenz'sche Regel 8.9 Magnetfelder des menschlichen Körpers Zeitabhängige Spannungen und Ströme 9.1 Ein- und Ausschaltvorgänge 9.1.1 Einschalt- und Ausschaltvorgang beim Kondensator 9.1.2 Einschalt- und Ausschaltvorgang bei der Spule 9.2 Sinusförmige Wechselspannungen und Wechselströme 9.3 Dreiphasen-Spannung, Drehstrom 9.4 Nicht-sinusförmige Wechselspannungen, Spannungsimpulse 9.5 Wechselstrom-Kreise 9.5.1 Kapazitiver Widerstand 9.5.2 Induktiver Widerstand 9.5.3 Wechselstromkreise mit Ohm'schem, kapazitivem und induktivem Widerstand 9.6 Resonanz-Schwingkreise 9.7 Elektromagnetische Wellen 9.7.1 Ausbreitungsgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen . . . 9.7.2 Ausbreitungsrichtüng elektromagnetischer Wellen 9.8 Leistung des elektrischen Stroms

250 251 256 258 258 263 264 266 267 269 270 271 271 272 272 272 276 278 280 281 282 282 284

Mikroskopische elektrische Vorgänge Biologische Potentiale 1.1 Entstehung von Spannungen an Grenzflächen 1.2 Summenpotentiale Mechanismen der Stromleitung 2.1 Stromleitung im Vakuum 2.2 Stromleitung in Gasen 2.3 Stromleitung in Elektrolyten 2.4 Stromleitung in Festkörpern

298 298 298 302 303 303 306 308 315

Elektrische Geräte Meßgeräte 1.1 Das Drehspul-Meßwerk 1.2 Das Digital-Meßgerät 1.3 Messung von Strom und Spannung 1.4 Elektronenstrahl-Oszillograph

325 325 326 330 332 334

284 287 289 293 293 294

XII

XVI.2

Inhalt 1.5 Ladungsmessung 1.6 Messung von Ohm'schen Widerständen 1.7 Rauschen Technische elektrische Geräte 2.1 Dynamo-Maschine 2.2 Elektro-Motor 2.3 Transformator 2.4 Sender und Empfanger

339 340 341 342 342 343 344 346

Optik

XVII. XVII. 1 XVII.2 XVII.3 XVII.4 XVII.5 XVII.6 XVII.7 XVII.8 XVII.9

Optische Strahlung Einleitung Lichtmeßgrößen Strahlungsquellen Bohr'sches Atommodell Emission von Licht aus Atomen Das Emissions-Spektrum des Atoms Absorption von Licht in Atomen Emission und Absorption glühender Körper Wärmestrahlung und Temperaturgleichgewicht 9.1 Emission und Absorption des Schwarzen Körpers 9.2 Strahlungsgesetze XVII. 10 Der Laser XVII. 11 Fluoreszenz, Phosphoreszenz, Lumineszenz

350 350 351 354 354 358 360 362 362 364 365 367 370 372

XVIII. Wellenoptik XVIII. 1 Kohärenz von Wellen XVIII.2 Interferenz von Wellen 2.1 Interferenzfahigkeit 2.2 Interferometrie r 2.3 Holographie XVIII.3 Beugung elektromagnetischer Wellen 3.1 Das Huygens'sche Prinzip 3.2 Beugung an Spalten 3.3 Beugung am Draht 3.4 Das Beugungsgitter 3.5 Beugung an kreisförmigen Blenden (Beugungsunschärfe) XVIII.4 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen in Materie 4.1 Der Brechungsindex 4.2 Das Absorptionsgesetz 4.3 Der Zusammenhang zwischen Absorption und Dispersion XVIII.5 Spektralanalyse 5.1 Lambert-Beer'sches Gesetz 5.2 Extinktion kolloidaler Systeme XVIII.6 Polarisation elektromagnetischer Wellen 6.1 Polarisationszustand

373 373 374 374 378 380 382 382 383 388 388 390 393 393 394 397 398 399 400 401 401

Inhalt

XIII

6.2 Erzeugung und Untersuchung von linear polarisiertem Licht 6.3 Optische Aktivität und Faraday-Effekt XVIII.7 Materiewellen

404 410 410

XIX. XIX.1 XIX.2 XIX.3

416 416 418 419 419 420 424 426

Geometrische Optik Geradlinige Lichtausbreitung Optische Symbole Gesetze der Geometrischen Optik 3.1 Reflexion 3.2 Abbildung durch Spiegel 3.3 Brechung 3.4 Intensitäten von gebrochenem und reflektiertem Strahl 3.5 Zerlegung von Licht in seine Spektralfarben mit Hilfe des Prismas 3.6 Totalreflexion Abbildung mit Linsen 4.1 Abbildung durch brechende Flächen 4.2 Die Abbildungsgleichung für eine brechende Fläche 4.3 Spezialfälle der Abbildungsgleichung 4.4 Die Abbildungsgleichung für eine Linse 4.5 Klassifizierung von Linsen 4.6 Konstruktion von Strahlengängen 4.7 Abbildungsfehler 4.8 Die Abbildungsgleichung für ein System aus zwei Linsen 4.9 Kardinalelemente von dicken Linsen und Linsensystemen 4.10 Die Schärfentiefe (Tiefenschärfe) 4.11 Abbildung im Auge 4.12 Optische Vergrößerung 4.13 Vergrößerung bei Betrachtung mit dem Auge

427 428 431 431 433 434 435 437 438 441 446 447 449 450 452 453

XX. XX. 1 XX.2 XX.3 XX.4 XX. 5 XX.6 XX.7 XX.8

Einige optische Instrumente Lupe Projektions-Apparate Lichtmikroskop Elektronenmikroskop Das Fernrohr Photometer Strahlungsmeßgeräte Die Kamera

456 456 457 458 464 468 469 471 473

XXI. XXI. 1

Ionisierende Strahlung Atomkerne 1.1 Elementarteilchen 1.2 Aufbau der Atomkerne Radioaktivität 2.1 Kernumwandlungen 2.2 Natürliche Radionuklide

474 474 474 475 478 478 482

XIX.4

XXI.2

XIV

Inhalt

XXI .4

2.3 Zerfallsgesetz 484 2.4 Radioaktives Gleichgewicht 486 2.5 Wechselwirkung energiereicher geladener Teilchen mit Materie... 488 2.6 Wechselwirkung von Neutronen mit Materie 490 2.7 Strahlungsdetektoren 491 2.8 Medizinische Anwendung von Radionukliden 494 2.9 Kernspaltung und Kernfusion 500 2.10 Künstliche Kernumwandlung 503 Erzeugung von Röntgenstrahlen 504 3.1 Bremsstrahlung, charakteristische Strahlung 504 3.2 Erzeugung ultraharter Röntgenstrahlung durch Teilchenbeschleuniger 507 3.3 Wechselwirkung von Röntgen- und Gamma Strahlung mit Materie 512 3.4 Röntgenbildaufnahmen 516 Dosimetrie 518

XXII.

Regelung und Steuerung

522

XXIII. Informationsübertragung

526

XXI.3

Anhang A.l A.2

A.3 A.4 A.5 A.6 A.7 Register

Mathematische Beschreibung physikalischer Zusammenhänge Fehlerabschätzung 2.1 Größenordnungsmäßige Angabe von Meßfehlern 2.2 Ursachen von Fehlern 2.2.1 Fehler durch die Meßapparatur 2.2.2 Fehler durch das Meßobjekt 2.3 Methoden der Fehlerabschätzung 2.3.1 Meßfehler der Einzelgröße 2.3.2 Fehlerfortpflanzung 2.3.3 Fehler einer Funktion 2.4 Signifikanz-Tests Rechnen mit Vektoren Das Exponentialgesetz Einige mathematische Beziehungen, die im Text verwendet wurden . . Einige Naturkonstanten Lernzielkatalog - Kapitelnummern

528 530 531 532 532 532 533 533 537 538 540 541 544 547 549 550 563

Einleitung

Der Physik liegen zwei Axiome zugrunde: 1. Naturgesetze sind allgemeingültig, d.h. unter gleichartigen Bedingungen bestimmen sie zu jeder Zeit und überall mit gleicher Notwendigkeit das Naturgeschehen. 2. Die Beobachtung liefert allein die Entscheidungskriterien über die Richtigkeit eines Modells zur Beschreibung eines Naturereignisses: das Experiment ist Beweisgrundlage. Dabei wird unter dem Experiment die planmäßige Beobachtung verstanden, bei der alle wesentlichen Einflüsse auf das Geschehen messend kontrolliert werden. Erst durch eindeutige Definition physikalischer Größen wird es möglich, Meßaufgaben zu formulieren, und durch Messungen Gesetzmäßigkeiten aufzudecken. Dazu gehört es, Maßeinheiten festzulegen. Physikalische Gesetze werden im allgemeinen in mathematischer Darstellung formuliert, weil sie die einfachste Beschreibung erlaubt und die Möglichkeit bietet, deduktive Schlußfolgerungen abzuleiten. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß im Vordergrund der physikalischen Erkenntnis die messende Beobachtung von Vorgängen in der Natur steht. Ein wesentlicher Unterschied zwischen einem physikalischen Gesetz und einer mathematischen Formel ist, daß physikalische Größen prinzipiell nicht in derselben Schärfe zu bestimmen sind wie mathematische Größen. Ein Meßpunkt stellt wegen prinzipieller Ungenauigkeiten und Meßfehler nie einen mathematischen Punkt dar. Daran sollte man sich bei der Beurteilung der Präzision mathematischer Formulierungen von physikalischen Gesetzmäßigkeiten erinnern. Die Grenze jedes Gesetzes liegt in der Meßgenauigkeit des jeweils entscheidenden Experiments. Ein Gesetz gilt mit Sicherheit nur für den Bereich der Variablen, innerhalb dessen Experimente durchgeführt wurden. Diese Einschränkung ist in der mathematischen Formulierung eines physikalischen Zusammenhanges meist nicht zu erkennen. Daher ist bei extremen Werten der Variablen Vorsicht geboten. Um in der verwirrenden Vielfalt der Naturerscheinungen allgemeine Gesetzmäßigkeiten überhaupt erkennen zu können, sucht man in der Physik einfache Modelle. Diesem Vorgehen liegt die Vorstellung zugrunde, daß man auch verwickelte Naturvorgänge in eine Reihe von ineinandergreifenden Einzelvorgänge zerlegen kann. Unter verschiedenen, einen Sachverhalt beschreibenden Modellen sollte man - das sagte schon Newton - normalerweise dem einfachsten den Vorzug geben. Zur Vereinfachung enthalten solche Modelle meist idealisierte Annahmen, die in der Natur nur näherungsweise erfüllt sind. (Ein Beispiel ist der Massenpunkt). Berechtigt ist das allerdings nur, wenn man ab-

2

Einleitung

schätzen kann, daß die dadurch entstehenden Abweichungen vom realen Verhalten klein bleiben. Ein aus einem Modell abgeleitetes Gesetz gilt in allen Naturbereichen für Vorgänge, die auf das Modell zurückgeführt werden können. Es ist also zu unterscheiden zwischen dem Modell und der speziellen Realisierung in der Natur. Gerade für denjenigen, der die Physik als Hilfswissenschaft benötigt, ist es wichtig, sich immer wieder klarzumachen, daß hinter jedem physikalischen Gesetz eine Unmenge von Anwendungsbeispielen steht, die dem Gesetz erst seine Bedeutung geben. Für solche Anwendungsbeispiele den Blick zu schärfen, sollte der wesentliche Bestandteil der Physikausbildung für Mediziner und Biologen sein.

Mechanik I.

Raum und Zeit

1.1

Physikalische Größen und Einheiten

1.1

Länge als Beispiel

Zur quantitativen Beschreibung eines Ereignisses ist die zahlenmäßige Angabe der untersuchten physikalischen Größen erforderlich. Solche Größen sind z. B. Länge, Geschwindigkeit oder die elektrische Stromstärke. Sie können stetig oder diskret sein. Ein Beispiel für eine stetige Größe ist die Zeit, eine diskrete Größe ist die Zahl Ν radioaktiver Atome einer Probe, die sich ja stets nur um ganze Zahlen ändern kann. Diese Unterscheidung ist wesentlich, wenn Ν klein ist. Ist Ν dagegen sehr groß, so kann man die Größe näherungsweise als stetig veränderlich ansehen, wie dies beim Gesetz von der radioaktiven Umwandlung, Gl. (XXI.3), geschieht. Stetige Größen haben den Vorteil, daß sie mathematisch leichter zu behandeln (z.B. zu differenzieren oder integrieren) sind. • Eine physikalische Größe ist festgelegt durch Angabe des Zahlenwertes und der Maßeinheit, ζ. B. : Länge 1 = 0,097 (physikal. Größe) = (Zahlenwert)

Meter (m), (Einheit).

(1.1)

Im Laufe der Zeit ist eine Unzahl von Einheiten erfunden worden. Allein für die Länge geht ihre Zahl in die Hunderte. Durch Einführung von Einheitensystemen, in denen geeignete Einheiten zusammengefaßt wurden, hat man versucht, dieses Durcheinander zu beseitigen. • In einem Einheitensystem sind einige physikalische Größen als Grundoder Basisgrößen ausgewählt. Die übrigen Größen, die man als abgeleitete Größen bezeichnet, ergeben sich dann gemäß ihren Definitionsgleichungen als Kombinationen aus diesen Grundgrößen. So ergibt sich ζ. B. die gleichförmige Geschwindigkeit ν als abgeleitete Größe durch die Definitionsgleichung ν = s/t, wobei s die während der Zeit t zurückgelegte Wegstrecke ist, aus den Basisgrößen Länge und Zeit. Diese Beziehung stellt eine Größengleichung dar und legt zugleich die Dimension von ν

I. Raum und Zeit

4

fest, nämlich Länge dividiert durch Zeit. Die Dimension gibt die Zusammensetzung einer Größe aus den Basisgrößen an (Tab. 1.1). Tab. I. Í Die Dimensionen einiger physikalischer Größen Physikalische Größe Dimension' +) Länge Fläche Volumen Geschwindigkeit Beschleunigung Impuls Kraft Energie

Länge

Fermi Angstrom (A) Zoll englische Meile

IO" 1 5 m IO" 1 0 m 0,0254 m 1609,33 m

Kraft

dyn Kilopond

ΙΟ" 5 Ν 9,81 Ν

Druck

physikal. Atmosphäre (atm) techn. Atmosphäre (at) bar Torr (mm Hg-Säule) Zentimeter Wassersäule (cm WS)

101325 Pa 98066,5 Pa 100000 Pa 133,3224 Pa

Masse

Pfund Zentner

0,5 kg 50 kg

Energie

Kalorie (cal) erg eV

4,1868 J 10~ 7 J 1,6· 10" 1 9 J

Leistung

Pferdestärke (Ps)

735,49875 W

Lichtstärke

Hefnerkerze

0,903 cd

Magn. Feldstärke

Oersted (Oe)

98,0665 Pa

Magn. Flußdichte

Gauß (G)

— Am"1 4π 10" 4 Τ

Aktivität einer radioaktiven Substanz

Curie (Ci)

3,7· IO10 s " 1

Äquivalentdogis

Rad (Rem)

0,01 J k g " 1

Ionendosis

Röntgen

2,58 · IO" 4 C kg

Zeit

Minute (min) Stunde (h) mittlerer Sternentag (ds)

1 min = 60 s 1 h = 3600 s 1 d = 86400 s

Übergang zwischen 2 bestimmten Niveaus (den Hyperfeinstrukturniveaus des elektronischen Grundzustandes) des Nuklids 1 3 3 Cs entsprechenden Strahlung. Das Eichnormal ist in der Atomuhr realisiert. 3. Kilogramm (kg) Die Masseneinheit ist bisher nicht auf Naturkonstanten gegründet, sondern auf dem in Sèvres (Frankreich) aufbewahrten KilogrammPrototyp, einem Block einer Pt-Ir-Legierung. Zur Festlegung von Atommassen bezieht man sich auf das Kohlenstoff-Isotop 12 C, mit der Masse 12 m= - r k g , wobei L die Loschmidt'sche Zahl, L = 6,0220 · 1023, ist. L · 103 (Die atomare Masseneinheit u ist der zwölfte Teil der Masse eines Atoms des Nuklids 1 2 C; sie gehört nicht zu den Basiseinheiten des SI, darf jedoch verwendet werden).

8

I. Raum und Zeit

4. Ampere (A) Ein A ist die Stärke eines zeitlich unveränderlichen elektrischen Stromes, der, durch zwei im Vakuum im Abstand 1 m voneinander angeordnete, geradlinige, unendlich lange Leiter von vernachlässigbarem Querschnitt fließend, zwischen diesen Leitern für jeden Abschnitt der Länge 1 m eine Kraft von F = 2 · ΙΟ - 7 Ν hervorrufen würde. 5. Kelvin (K) Ein Festpunkt der Temperaturskala ist der Tripelpunkt des Wassers, bei dem Eis, Wasser und Dampf miteinander im thermischen Gleichgewicht stehen. Seine Temperatur ist auf genau 273,16 Κ festgelegt. Bei 1 Κ Temperatursteigerung dehnt sich ein ideales Gas bei konstantem Druck um 1/273,16 seines Volumens bei der Temperatur des Tripelpunktes des Wassers aus. · IGT5 m 2 der Ober6 fläche eines schwarzen Strahlers bei der Temperatur des bei einem Druck von 1,01325 · 105 N m " 2 (760 Torr) erstarrenden Platins senkrecht zu seiner Oberfläche leuchtet. 6. Candela (cd) Eine cd ist die Lichtstärke, mit der

1971 wurde zu den sechs Basiseinheiten des SI als siebte Basiseinheit das Mol hinzugefügt und folgendermaßen definiert: 7. Das Mol ist die Stoflfmenge eines Systems, das aus ebensoviel Einzelteilchen besteht, wie Atome in 0,012 kg des Kohlenstoffmoleküls 1 2 C enthalten sind. Bei Benutzung des Mol müssen die Einzelteilchen spezifiziert sein; es können Atome, Moleküle, Ionen, Elektronen sowie andere Teilchen sein. Das Einheitenzeichen ist mol. Nach dieser Definition sind also Stoffmenge und Masse als voneinander unabhängige Größen anzusehen, und die von Ostwald stammende Definition des Mol als das Molekulargewicht in Gramm ist damit aufgehoben. In einem Mol sind NA Teilchen enthalten, wobei NA die Avogadro'sche (Loschmidt'sche) Konstante bedeutet: N A = 6,0220 1023 mor 1 . Bezieht man die Masse einer Probe aus einheitlichen Teilchen auf die Stoffmenge, in dem man die Einheit g mol - 1 verwendet, so ist der Zahlen wert gleich dem Zahlenwert der Teilchenmasse in atomaren Masseneinheiten.

1.3

Längenmessung

Eine Längenmessung in einfacher Form ist sicher unter den physikalischen Meßverfahren das anschaulichste. Durch Anlegen eines Maßstabes, der meist in cm und mm unterteilt ist, wird durch direkten Vergleich die interessierende Länge eines Gegenstandes oder die Entfernung zwischen zwei Punkten bestimmt. Diesem Verfahren sind jedoch bezüglich der Größe der zu messenden

1.1 Physikalische Größen und Einheiten

9

Länge Grenzen gesetzt. Bis zu Größen von einigen Metern kann man sich noch dadurch helfen, daß man den Maßstab mehrere Male aneinandersetzt, was aber meistens mit bedeutenden Ungenauigkeiten verbunden ist. Deshalb verwendet man dort entsprechende Bandmeßgeräte. Reichen auch diese nicht mehr aus, werden, wie Tab. 1.6 zeigt, trigonometrische Meßverfahren angewandt, und im astronomischen Bereich dient schließlich als Maß für Entfernungen die Zeit, die Licht braucht um die Strecke zurückzulegen (alte Einheit: Lichtjahr). Noch komplizierter und vielfältiger werden die Meßverfahren bei kleinen Längen. Da Messungen im Bereich von cm und mm sehr oft mit großer Genauigkeit durchgeführt werden müssen, hat man hierfür besondere Geräte (Abb. 1.1) wie Schieblehre und Mikrometer entwickelt. Bei noch kleineren Abmessungen kann der Vergleich zwischen Objekt und Maßstab nach entsprechender Vergrößerung durch Lupe, Lichtmikroskop oder Elektronenmikroskop durchgeführt werden. In diesem Größenbereich zwischen 10" 3 und 10 ~ 10 m liegt der Großteil der Abmessungen, die für Biologie und Medizin interessant sind. Bei technischen Messungen und in der Kristallographie werden auch die Wellenlängen des Lichtes und der Röntgenstrahlen als Maßstäbe benutzt und der Größenvergleich über die Interferenz der Strahlung durchgeführt.

Abb. 1.1

Schieblehre (a) und Schraublehre (b).

Diese Aufzählung zeigt die Vielfalt der Methoden der Längenmessung und weist gleichzeitig auf ein allgemeines Problem der Physik hin: Bei der Durchführung von Meßaufgaben muß man sorgfaltig diejenigen Meßmethoden auswählen, die dem Problem angepaßt sind und die bei möglichst geringem Aufwand die angestrebte Genauigkeit erreichen lassen. Die Relativitätstheorie hat uns gezeigt, daß die Länge einer Strecke keine absolut festliegende Größe ist, sondern ihr Meßwert davon abhängt, ob und wie der Beobachter sich gegenüber dem

10

I. R a u m

J

Ό C

Β

ca

εo

ca ce B •o s ce PQ

b ris

3 ε

c o BO

3 ce J

c

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•a c λ y

au C :ce -1

>O>.

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Λ ivi

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1

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a b £ä c tes Ν o c _

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6

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ώ I

ι

ω •ό c ο

> ω

1

J= ••Ο Κ i

3 Τ3 •α 1— ω 1

Ό m ce Vi < I

ce O

o 00

£ ο

ι •o c co


2000 Pa = 15 mm Hg) verwendet. In Abb. V.29 durchfließt ein

V.3 Makroskopische mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten

99

Wasserstrahl am unteren Ende der Glasröhre einen verengten Querschnitt A 2 (A 2 A^. Entsprechend Gl. (V.23) ist die Austrittsgeschwindigkeit v 2 des Wassers daher größer als seine Einlaufgeschwindigkeit Vi ; ist A 2 klein genug, dann kann nach Gl. (V.24) der Druck p 2 an der Auslauföffnung A 2 kleiner sein als der umgebende Luftdruck p L , und das Wasser saugt Luft an und reißt diese mit sich fort. Abdecken eines Daches Bläst der Wind mit großer Geschwindigkeit über ein Dach hinweg, dann entsteht entsprechend dem Bernoulli'schen Gesetz auf der Dachaußenseite gegenüber dem Dachinnern ein Unterdruck. Der von innen nach außen wirkende größere Druck drückt die Dachplatten vom Dachstuhl weg. (Es ist also nicht so, daß der außen über das Dach fegende Wind die Platten selbst mit sich fortreißt.) ν

Abb. V.30

Strömungsauftrieb an einer Flugzeugtragfläche.

Luft

Strömungsauftrieb an einer Flugzeugtragfläche Durch die besondere, in Abb. V.30 gezeigte Form der Tragfläche wird erreicht, daß die Luft oberhalb des Flügels schneller strömt als unterhalb, sobald das Flugzeug sich bewegt. Erhöhte Strömungsgeschwindigkeit auf der Oberseite des Flügels erzeugt Unterdruck gegenüber dem bei geringerer Strömungsgeschwindigkeit auf die Unterseite einwirkenden Druck. Durch dieses Druckgefälle wird der Flügel und damit das Flugzeug in die Höhe gehoben. 3.2.2

Zähe Flüssigkeiten

3.2.2.1 Viskosität • Verschieben sich Atome oder Moleküle in realen Flüssigkeiten gegeneinander, so versuchen die Nachbarteilchen infolge der Kohäsionskräfte, diese Bewegung zu behindern. Aneinander angrenzende Flüssigkeitsschichten können sich daher nur reibend gegeneinander verschieben. Diese innere Reibung, auch Zähigkeit genannt, unterscheidet reale (zähe) von idealen (reibungsfreien) Flüssigkeiten. Autofahrer wissen, daß bei strenger Kälte das Motoröl so zähflüssig werden kann, daß beim Starten Schwierigkeiten auftreten. Die Zähigkeit ist also temperaturabhängig. Sie steigt bei Flüssigkeiten allgemein mit sinkender Temperatur stark an.

100

V. Mechanische Eigenschaften von Stoffen

Abb. V.31

Zur Definition der Viskosität.

Die Viskosität hängt von der Art und Stärke der Kohäsionskräfte und daher von der Art des Stoffes ab. Wir können sie also durch eine Materialkonstante quantitativ beschreiben. Zu deren Definition betrachten wir das in Abb. V.31 dargestellte Experiment. Wir verschieben eine ebene Platte mit der Fläche A in einer Flüssigkeit parallel zu einer ebenen Wand. Um die Platte mit der konstanten Geschwindigkeit ν im Abstand χ von der Wand zu verschieben, bedarf es einer Kraft, die proportional zur Plattenfläche A und der Geschwindigkeit ν und umgekehrt proportional zum Abstand χ ist: F = η' A—. ν

(V.25)

Sie wirkt entgegen der gleich großen Reibungskraft: F

κ=

R

-

η A —. χ

(V.26)

η beschreibt die Stärke der Reibung. Man nennt η die Viskosität oder den Koeffizienten der inneren Reibung mit der SI-Einheit N s m - 2 . Bei den meisten Flüssigkeiten ist η eine Konstante und hängt weder von der Kraft (bzw. dem Druck) noch von der Geschwindigkeit ab. Solche Flüssigkeiten nennt man Newton'sehe Flüssigkeiten. Suspensionen, also Mischungen kleiner Teilchen wie Erythrozyten mit Flüssigkeiten, folgen dieser Gesetzmäßigkeit nicht und werden als Nicht-Newton'sehe Flüssigkeiten bezeichnet. Die Erklärung für diese Abweichung ist in der Form der Erythrozyten zu finden: Sie gleichen langgestreckten Ellipsoiden und richten sich bei größer werdendem Druck zunehmend parallel zur Strömungsrichtung aus, was die Viskosität des Blutes erniedrigt. Die Viskosität des Blutes wird meist als Relativwert, bezogen auf Wasser derselben Temperatur angegeben. Sie ist etwa vier mal so groß wie diejenige des Wassers (Tab. V.4). Sie hängt von der Zahl der Erythrozyten ab und wird folglich bei denjenigen Krankheiten erhöht sein, bei denen die Zahl der Erythrozyten vermehrt ist. Eine Erhöhung der Viskosität bedeutet eine größere

101

V.3 Makroskopische mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten

innere Reibung und bedingt damit eine höhere Herzleistung, wenn pro Zeiteinheit die gleiche Blutmenge wie im Normfall durch das Gefäßsystem fließen soll. Diese erhöhte Leistung muß vom aktiven Element des Gefäßsystems, dem Herzen, aufgebracht werden. Tab. V.4

Viskosität η einiger Flüssigkeiten

Substanz (bei 20 °C)

Öle

Glyzerin

Blut β Mittelwert

Blut 9 Mittelwert

Äther

Hg

H2O

η (Pa s)

1

0,83

0,0047

0,0044

0,0018

0,0015

0,001

Werden Platte und Wand in Abb. V.31 von der Flüssigkeit benetzt, ist also die Adhäsion größer als die Kohäsion, so haften die an Platte bzw. Wand angrenzenden Flüssigkeitsschichten fest und besitzen die Geschwindigkeit ν bzw. 0. Die dazwischen liegenden Flüssigkeitslamellen nehmen infolge der inneren Reibung Geschwindigkeiten zwischen ν und 0 an, und zwar so, daß die Geschwindigkeitsabnahme quer zur Strömung, das Geschwindigkeitsgefälle dv/dx, zwischen Platte und Wand konstant ist, die Geschwindigkeit selbst also proportional mit der Schichtdicke wächst. Die Reibung erfolgt also nur zwischen den Molekülen in der Flüssigkeit und dies erklärt die Bezeichnung innere Reibung. Ist dagegen die Kohäsion größer als die Adhäsion, dann bewegen sich Flüssigkeitsschichten reibend an der Wand entlang. Diese Reibung zwischen Flüssigkeit und Wand bezeichnen wir als äußere Reibung. Viskoelastizität Viele hochpolymere Stoffe wie Kautschuk zeigen zwei Bereiche verschiedenartiger Elastizität. Bei tiefen Temperaturen, bei denen man Gummi als eingefroren bezeichnen kann, ist er elastisch und sein Elastizitätsmodul ist vergleichbar mit dem von Metallen (IO9 bis IO10 N m - 2 ) . Bei höheren Temperaturen jedoch sind die Werte des Elastizitätsmoduls so gering (106 bis 107 N m " 2 ) wie bei keiner anderen Stoffgruppe. Und schon bei kleinen Belastungen folgen diese Stoffe nicht mehr dem Hooke'schen Gesetz. Man bezeichnet diesen Zustand als gummielastisch oder viskoelastisch. Diese Bezeichnung rührt davon her, daß sich die Verformung aus einem elastischen Anteil und einem u. U. sehr langsam erfolgenden inelastischen Anteil zusammensetzt, der das Material unter Spannung wie eine hochviskose Flüssigkeit fließen läßt (Nachwirkung). Man kann dieses Verhalten durch mechanische Modelle (Abb. V.32a) nachbilden, die sich aus viskosen Elementen, bei denen die zeitliche Ableitung der Verformung der Spannung σ proportional ist, und aus elastischen Elementen wie Spiralfedern zusammensetzen.

102

Abb. V.32

V. Mechanische Eigenschaften von Stoffen

(a) Mechanisches Modell eines viskoelastischen Stoffes, (b) elastische Hysterese.

Im Spannungs-Dehnungs-Diagramm ergibt sich wegen des inelastischen Anteils keine Hooke'sche Gerade (Gl. V.7), sondern eine Hysterese-Kurve. Unter Hysterese versteht man, daß bei Be- und Entlastung verschiedene Kurven durchlaufen werden. Geht die Spannung auf Null zurück, so bleibt eine Verformung übrig, die erst durch eine zusätzliche Druckspannung rückgängig gemacht werden kann. Belastet man einen viskoelastischen Stoff periodisch durch Zug und Druck, indem man ihn z.B. in Schwingungen versetzt, so durchläuft er die in Abb. V.32b gezeigte Kurve. Hierbei ist die zur Verformung aufzuwendende Arbeit (Kurvenstück 0 bis A) größer als die bei Entspannung freiwerdende Arbeit (Kurvenstück von A bis C). Beim Durchlaufen der Hysteresekurve ist also ein der Fläche ACBD entsprechender Betrag an Verformungsenergie verloren gegangen, ζ. B. durch innere Reibung in Wärme umgesetzt worden. Wird das Material zu Schwingungen angeregt, dann geht bei jedem Durchlauf der Hysteresekurve ein solcher Energieanteil verloren. Die Schwingung des Materials verläuft also gedämpft. Die technische Ausnutzung dieses Vorganges ist weit verbreitet (Stoßdämpfer, Antidröhnmittel usw). Der viskoelastische Zustand ist dadurch bedingt, daß die Valenzbindungen der Makromoleküle unbehindert rotieren können. Das bedeutet, daß alle Einstellungen von C-C-Bindungen auf einem Kegelmantel möglich sind, wie in Abb. V.33 für ein einfaches Makromolekül vom Typ des Polyäthylens (CH2)m dargestellt ist. Die Makromoleküle können sich also gegeneinander verschieben und verformen. Da bei niedrigen Temperaturen neben diesen Kovalenz-Bindungskräften noch schwächere Kohäsionskräfte (Van der Waals- oder ionogene Bindungskräfte) auftreten, muß zu deren Überwindung eine bestimmte Temperatur überschritten werden. Daher wird der viskoelastische Zustand nur bei hohen Temperaturen beobachtet. Bei tiefen Tem-

V.3 Makroskopische mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten

103

peraturen sind die Rotationsmöglichkeiten eingefroren, und der Stoff hat normale elastische Eigenschaften.

-'ι

X

\l • A

; (180-OÍ

C4

Abb. V.33 Drehbarkeit von C - C-Bindungen beim Polyäthylen (CH 2 ) m .

3.2.2.2 Laminare Strömung • Strömt eine reale Flüssigkeit durch ein Rohr, dann ist die Strömungsgeschwindigkeit im Rohr-Innern größer als in der Nähe der Wand. Werden dabei infolge ihrer unterschiedlichen Geschwindigkeiten benachbarte Flüssigkeitsschichten parallel zueinander verschoben, so nennen wir diese Strömung schlicht oder laminar. Treten jedoch beim Strömungsvorgang - etwa durch Hindernisse im Rohr - Wirbel auf, so verläuft die Strömung turbulent.

Druckgefálle in einem Rohr Drücken wir mittels eines Kolbens Flüssigkeit aus einem Vorratsgefäß durch ein Rohr mit offener Ausflußöffnung (Abb. V.34), so kann wegen der inneren Reibung die Flüssigkeit nicht beliebig

104

V. Mechanische Eigenschaften von Stoffen

schnell ausfließen: Die Reibung erzeugt einen Strömungswiderstand, und der sich aus Stempeldruck pSt und Schweredruck p s zusammensetzende Druck p, der sich im Vorratsgefaß bis zur Rohröffnung gleichmäßig ausgebreitet hat, nimmt im Rohr allmählich ab. Hat das Rohr konstante Dicke und ist die Strömung laminar, so sinkt, wie in Abb. V.34 gezeichnet, der Druck linear, das Druckgefálle dp/dx ist also konstant. Dies können wir durch die Steighöhe in den eingezeichneten Flüssigkeitsmanometern messen. Jedes Flüssigkeitsvolumen der Länge 1 wird also durch die Druckdifferenz

durch das Rohr gedrückt. Stromstärke-Druck-Abhängigkeit Für das Verständnis des Blutkreislaufs ist die Frage wichtig, wie die durch ein Rohr strömende Flüssigkeitsmenge quantitativ durch Druckänderungen beeinflußt werden kann. • Solange die Strömung im Rohr laminar verläuft, gilt das für die Strömungslehre wichtige Gesetz, das Stromstärke i und Druckdifferenz Α ρ miteinander verknüpft:

(ν 28)

i=4r

·

Die Stromstärke i bezeichnet hier das pro Zeit t durch das Rohr fließende Flüssigkeitsvolumen V: i= — t

mit der SI-Einheit m 3 s~

Abb. V.35 Stromstärke-DruckdiiferenzDiagramm (Wasser ist eine Newton'sche-, Blut dagegen eine Nicht-Newton'sehe Fliisi áigkeit).

Der Faktor R beschreibt den Strömungswiderstand, der durch die Druckdifferenz Α ρ zu überwinden ist, damit es überhaupt zum Stromfluß kommt; R hängt, wie wir noch sehen werden, von der Geometrie des Rohres und von der Art der Flüssigkeit ab. Tragen wir den Zusammenhang zwischen i und

105

V.3 Makroskopische mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten

Δ ρ in ein Diagramm (Abb. V.35) ein, so erhalten wir bei vielen Flüssigkeiten eine Gerade; ihre Steigung ist gleich dem reziproken Strömungswiderstand, 1/R. Flüssigkeiten, bei denen sich ein linearer Zusammenhang zwischen i und Δ ρ ergibt, d.h. der Strömungswiderstand für alle Drucke derselbe ist, sind Newton'sehe Flüssigkeiten (Kap. V.3.2.2.1). Ergibt sich jedoch kein linearer Zusammenhang zwischen i und Δ ρ, so haben wir es mit einer Nicht-Newton'schen Flüssigkeit zu tun; zu diesen zählt beispielsweise das Blut. In derartigen Flüssigkeiten ist die Viskosität η und damit auch der Strömungswiderstand R vom Druck abhängig. D a bei Blut mit zunehmendem Druck der Strömungswiderstand kleiner wird, steigt dort die Stromstärke stärker als proportional mit dem Druck an (siehe hierzu Kap. V.3.2.2.1). Für den gleichermaßen praktisch wichtigen wie einfachen Fall eines zylindrischen Rohres ist der Strömungswiderstand R gegeben durch: R =

π r

mit der SI-Einheit Ν s m - 5 .

(V.29)

1 bezeichnet die Rohrlänge und r den Rohrradius. Damit ergibt sich aus Gl. (V. 28) die folgende Beziehung für die Stromstärke i: π r4 i = ——τ Δρ. 1

(Hagen-Poiseuille'sches Gesetz)

(V.30)

Nach Gl. (V.30) ist also i proportional zur 4. Potenz des Rohrradius und umgekehrt proportional zur Rohrlänge. Die Abhängigkeit von r 4 ist besonders wichtig für die Regelung der Blutzirkulation, wie in Kap. V.3.2.2.4 näher ausgeführt wird. Sedimentation Innere Reibung beeinflußt auch die Bewegung eines Fremdkörpers in ruhenden Flüssigkeiten, wenn dieser Körper von der umgebenden Flüssigkeit benetzt wird. Diese Reibung entsteht dadurch, daß die an dem Körper haftenden Flüssigkeitsteilchen die Geschwindigkeit des Körpers besitzen und damit ein Geschwindigkeitsgefälle in der Flüssigkeit vom Körper weg erzeugen. Fällt ζ. B. eine Kugel in eine viskose Flüssigkeit, so wird sie durch die um die Auftriebskraft F A verminderte Gravitationskraft F s gerade so weit beschleunigt, bis die resultierende Kraft F s — F A durch die Reibungskraft F R kompensiert wird. Mit konstanter Sinkgeschwindigkeit gleitet die Kugel dann kräftefrei weiter. • Die Reibungskraft ist unter Voraussetzung laminarer Strömung, kleiner Sinkgeschwindigkeit und von im Vergleich zum Kugeldurchmesser großem Gefäßdurchmesser gegeben durch das Stokes'sehe Gesetz: FR =



6π ?7 v s r.

(V.31)

Dabei bedeuten r den Radius und ν die Geschwindigkeit der Kugel. Im

106

V. Mechanische Eigenschaften von Stoffen

Gleichgewicht gilt F s - F A + FR = 0, d. h. I π r 3 0Kugel g - I π r 3 ρΡ1ϋ85 g - 6π η v s r = 0,

(V.32)

woraus sich die konstante Sink- oder Sedimentationsgeschwindigkeit vs berechnen läßt: V

S =

2r2

(0Kugel -

(V.33)

ÖFlüss)

'9 η

Die Größen £Kugel bzw. ρΡ1ϋ55 sind die Dichten des Kugelmaterials bzw. der viskosen Flüssigkeit. Aus Gl. (V.33) entnehmen wir, daß die Bestimmung der Sedimentationsgeschwindigkeit Informationen liefern kann über Größe und Dichte sehr kleiner Partikel und auch über die Viskosität von Flüssigkeiten. Da vs proportional zur Beschleunigung g ist, läßt sich unter Zuhilfenahme einer Zentrifuge (siehe Kap. II.2.2.3) die Sedimentationsgeschwindigkeit beträchtlich vergrößern.

Abb. V.36

Blutsenkung.

Praktische Anwendung findet die Sedimentation ζ. B. bei der Blutsenkung. Steht Blut längere Zeit ruhig in einer Küvette, so sedimentieren die Blutkörperchen, bis schließlich farbloses Plasma über einem Bodensatz übrigbleibt. Man beobachtet, in welchem Zeitintervall Δ t während der Sedimentation die Trennfläche zwischen dem farblosen Plasma und dem roten Erythrozyten-PlasmaGemisch zwischen zwei Marken x t und x 2 absinkt (Abb. V.36). Die Sedimentationsgeschwindigkeit ergibt sich nach Gl. (1.7) als Quotient aus Α χ und zlx At: vs = -^γ. Da alle Erythrozyten praktisch dieselbe Form und Größe haben, können wir annehmen, daß das Absinken der Trennfläche die Sedimentation des einzelnen Blutkörperchens beschreibt, die wegen dessen geringer Größe (Durchmesser ca. 5 · 10" 6 m) nur schwer direkt meßbar wäre. Unterschiedliche Sedimentationsgeschwindigkeiten von Blut beruhen auf Formverschiedenheiten der Erythrozyten (Sichelzellenanämie) oder auf Ver-

V.3 Makroskopische mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten

107

änderungen der Eiweißbestandteile des Plasmas, also der Zähigkeit der Flüssigkeit. (Die Normalwerte der Sinkgeschwindigkeit betragen bei Männern 0,8 · 10~6 m s - 1 bis 2 , 5 - K T 6 m s - 1 und bei Frauen 1,7· KT 6 m s - 1 bis 3,4 · 10~6 m s - 1 ) .

μ — δρ=Ρα-Ρβ

1

Abb. V.37 Zu den Kirchhoffschen Gesetzen der Flüssigkeitsströmung: (a) in parallel geschalteten und (b) in hintereinander geschalteten Kapillaren.

Kirchhoff sehe Gesetze der laminaren Flüssigkeitsströmung Verzweigen wir, wie in Abb. V.37a gezeigt, den laminaren Flüssigkeitsstrom i einer Kapillare in zwei Teilströme der Stromstärken i t und i 2 , dann muß die Summe aus ij und i2 den Gesamtstrom i ergeben, da nirgends Flüssigkeit verloren geht: •

i = i 1 + i 2 (1. Kirchhoffsches Gesetz).

(V.34)

Zwischen den Enden A und Β beider Zweigkapillaren herrscht die gleiche Druckdifferenz zip = p A — p B . Wenden wir Gl. (V.28) auf jeden der Zweige an, so können wir die Verteilung der Teilströme auf die beiden Kapillaren ermitteln und erhalten: it = f f

und

i2 = | £ .

(V.35)

Aus Gl. (V. 35) folgt: •

ij ; i 2 = ^ P ; ^ P = R 2 ; R t (2. Kirchhoffsches Gesetz).

(V.36)

Das 2. Kirchhoff sehe Gesetz besagt, daß sich die Stromstärken der Teil-

V. Mechanische Eigenschaften von Stoffen

108

ströme umgekehrt wie die Strömungswiderstände verhalten. Zur Berechnung des effektiven Strömungswiderstandes R e f f zweier parallelgeschalteter Kapillaren addieren wir ^ und i2 der Gl. (V.35) und erhalten mit Gl. (V.28) K1

K2

\K1

K2

/

Keff

und daraus : 1

Reff

1

Ri

+ J-· R2

(V.38)

In Worten: Der reziproke Widerstand (auch Leitwert genannt) einer Kombination von parallelgeschalteten Widerständen ist gleich der Summe der reziproken Einzelwiderstände. Auch für hintereinandergeschaltete Kapillaren (Abb. V.37b) können wir den effektiven Strömungswiderstand berechnen. In dem System kann sich keine Flüssigkeit aufstauen und deshalb fließt in allen Kapillaren derselbe Strom. Wenden wir Gl. (V.28) auf die Strömungswiderstände R l s R 2 und R 3 an, so finden wir iR eff = iR! + iR 2 + iR 3 , da für die Druckabfälle gilt : Δ PAD =

Δ

PAH + ^ PBC + à pCD.

(V.39)

• Bei Hintereinanderschaltung von Kapillaren ist der gesamte Strömungswiderstand also gleich der Summe der Teilwiderstände: R ^ ^ + R j + Ra.

(V.40)

Den vier Gleichungen (V.34), (V.36), (V.38) und (V.40) werden wir bei der elektrischen Stromleitung in Leitersystemen (Kap. XIV.6.3) erneut begegnen. 3.2.2.3 Turbulente Strömung • Die Turbulenz (Verwirbelung einer Strömung) hat ihre Ursache in Unebenheiten, wie Ecken, Kanten, Fremdkörpern usw., die eine laminare Strömung stören. Befindet sich in einem Rohr eine Kante (Abb. V.38), dann wird die Flüssigkeitsschicht, die direkt mit der Kante in Berührung steht (die Grenzschicht), eine kleinere Geschwindigkeit haben, als ihre von der Kante weiter entfernte Nachbarschicht. Die schnellere Schicht rollt dann sozusagen auf der langsameren ab, wobei sich Wirbel bilden. Dies geschieht vor allem bei großen Geschwindigkeitsdifferenzen zwischen den Nachbarschichten, also bei großer

109

V.3 Makroskopische mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten

Abb. V.38 Verwirbelung der Strömung in einem Rohr an einer Kante.

Geschwindigkeit der Strömung. Unterhalb einer kritischen Strömungsgeschwindigkeit vK klingt die Verwirbelung der laminaren Strömung in einiger Entfernung von dem Hindernis wieder ab. Oberhalb dieses kritischen Wertes vK jedoch bewegt sich die turbulente Strömung weiter durch das Rohr, ohne abzuklingen. Beim Einsetzen der Wirbelbildung werden Flüssigkeitselemente zur Drehbewegung angeregt. Die dazu nötige Rotationsenergie wird der kinetischen Energie der laminaren Strömung entzogen. Aufgrund des Energieerhaltungssatzes ist klar, daß dadurch die Strömungsgeschwindigkeit kleiner wird. • Beim Umschlagen der laminaren in turbulente Strömung macht sich das Einsetzen der Turbulenz also durch eine plötzliche, kräftige Erhöhung des Strömungswiderstandes bemerkbar. Die Geschwindigkeit, bei deren Überschreiten laminare in turbulente Strömung umschlägt, läßt sich folgendermaßen berechnen: =

ρr

(V.41)

η : Viskosität der Flüssigkeit, ρ: Dichte der Flüssigkeit, r: Radius des durchströmten Rohres. K: Konstante (die Reynolds'sehe Zahl). Sie ist für die meisten Flüssigkeiten, einschließlich des Blutes, etwa 10" 3 , wenn wir SI-Einheiten in Gl. (V.41) verwenden.

110

V. Mechanische Eigenschaften von Stoffen

3.2.2.4 Strömungsgesetze und Blutkreislauf Der Blutkreislauf des Menschen, wie er in Abb. V.27 skizziert ist, besteht aus zwei hintereinandergeschalteten Teilkreisläufen (Lungen- und Körperkreislauf), mit jeweils einer Pumpe, nämlich einer Herzkammer. Beide Herzkammern müssen vollständig synchron arbeiten und genau gleiches Schlagvolumen haben, damit diese Hintereinanderschaltung möglich ist und im einen oder anderen Kreislauf kein Stau entsteht. Unter sogenannten Ruhebedingungen werden von jeder Herzkammer pro Minute 4 - 5 Liter in die beiden Teilkreisläufe gepumpt (Herzminutenvolumen). Bei etwa 60 Herzschlägen pro Minute entspricht diesem Herzminutenvolumen ein Schlagvolumen von ca. 70 ml. Wegen der rhythmisch erfolgenden Pumpstöße ist der Blutdruck in den großen Gefäßen nicht konstant; er ist am größten während der Austreibung (Systole) und am kleinsten während der erneuten Füllung des Herzens (Diastole). Da der Strömungswiderstand im Lungenkreislauf wesentlich geringer ist als im Körperkreislauf, ist am Ausgang der rechten Herzkammer ein wesentlich geringerer Druck notwendig als am Ausgang der linken Herzkammer, um den gleichen Blutfluß aufrechtzuerhalten. Bei normaler Herzfunktion liegen die Druckwerte in der Arteria pulmonalis zwischen 20 und 10 mm Hg und in der Aorta zwischen 120 und 80 mm Hg. Die Unterschiede im Blutdruck zwischen Systole und Diastole wären noch wesentlich größer, wenn nicht durch die erhebliche Elastizität der großen Gefäße sich diese während der Systole dehnen würden, wodurch eine Speicherwirkung erreicht wird (Windkesselfunktion der Aorta). Da im Körperkreislauf die Blutversorgung der verschiedenen Gewebe parallel geschaltet ist, würde bei einem starren Röhrensystem auf die verschiedenen Gewebe und Körperregionen wegen Gl. (V.34) immer ein konstanter Teil des Gesamtflusses entfallen. Eine optimale Blutversorgung läßt sich jedoch nur erreichen, wenn diese Anteile je nach dem Bedürfnis des Organismus geändert werden können. So muß beispielsweise bei Muskelarbeit die Durchblutung der Muskeln auf Kosten der Verdauungsorgane und des Gehirns gesteigert werden. Eine entsprechende Regelung (Kap. XXII) des Blutkreislaufs wird dadurch erreicht, daß die Gefäßdurchmesser durch die in den Gefäßwänden vorhandene glatte Muskulatur variiert wird. Da nach dem Hagen-Poiseuille' sehen Gesetz der Strömungswiderstand sehr stark vom Rohrradius abhängt er ist der 4. Potenz des Rohrradius umgekehrt proportional - kann bereits durch geringfügige Änderungen des Radius die Stromstärke i sehr wirksam beeinflußt werden. Dadurch lassen sich bei gleicher Gesamtstromstärke die Teilstromstärken durch die einzelnen Organe, je nach deren Bedürfnissen, regulieren. Der Strömungswiderstand ist in den großen Gefäßen nach Gl. (V.29) gering, und aus den KirchhofFsehen Gesetzen folgt, daß damit der Druckabfall nur sehr klein ist. Daher ist der Blutdruck, den man üblicherweise an der Arm-

V.3 Makroskopische mechanische Eigenschaften von Flüssigkeiten

111

arterie mißt, praktisch gleich dem Druck in der Aorta, unmittelbar am Ausgang des Herzens. Wie der Druckabfall über die einzelnen Abschnitte des Kreislaufs verteilt ist, zeigt die Abb. V.39. Druck

in

Torr

ro LJ

oι ol'-

Aorta

groíle

Arterien

arterielle

Verzweigungen

Endarterien

Endvenen venöse

große

Vena

-Arteriolen •Kapillaren Venolen

Verzweigungen

Venen

Cava

Abb. V.39 Druckabfall über die einzelnen Abschnitte des Kreislaufs.

Setzen wir entsprechende Zahlenwerte in Gl. (V.41) ein, so finden wir, daß auch in der Aorta, wo die Fließgeschwindigkeit am größten ist, noch laminare Strömung vorliegt. Turbulente Strömungen und die dabei erzeugten Wirbel sind im Organismus nur vorhanden, wenn es durch pathologische Prozesse zur weitgehenden Einengung einer großen Arterie kommt. Durch Wirbel entstehen Geräusche, die man mit dem Stethoskop hören kann. Bei der Messung des Blutdrucks werden künstlich Wirbel erzeugt. Gemäß Abb. V.40 wird hierbei um den Oberarm eine aufblasbare Manschette gelegt, und der Druck in der Manschette wird mit einem Manometer gemessen. Ist der Druck der Manschette weit größer als der Arteriendruck, so wird die Arterie zusammengepreßt und der Blutfluß unterbunden. Ist der Manschettendruck dagegen geringfügig kleiner als der systolische Arteriendruck, so kann kurzzeitig während der Systole Blut durch die eingeschnürte Stelle der Arterie fließen. Dies ge-

V. Mechanische Eigenschaften von Stoßen

112

schieht mit turbulenter Strömung, weil nach der Bernoulli'sehen Gl. (V.24) in dem eingeschnürten Bereich die Strömungsgeschwindigkeit groß genug ist, um den Wert der kritischen Geschwindigkeit v K (Gl. (V.41)) zu überschreiten. Die durch die Verwirbelung des Blutes entstehenden Geräusche kann man mit einem in der Ellenbeuge aufgesetzten Stethoskop hören. Wird nun sukzessive der Druck in der Manschette erniedrigt, so kann schließlich auch während der Diastole die Ader nicht mehr völlig abgequetscht werden, und es kommt zu einer dauernden turbulenten Strömung mit begleitenden Geräuschen. Bei weiterer Verminderung des Manschettendrucks kann die Arterie nicht mehr genügend eingeengt werden, um turbulente Strömungen zu verursachen, und die Geräusche verschwinden. Den höchsten Druck, bei dem Geräusche wahrgenommen werden, bezeichnen wir als systolischen und den tiefsten als diastolischen Blutdruck. Sie werden meist als Kombination, zum Beispiel 120/80 mmHg (1,60 · 104/1,07 · 104 Pa) angegeben.

Abb. V.40

Blutdruckmessung am Arm.

Mechanische Schwingungen und Wellen Schwingungen und Wellen, d. h. zeitlich bzw. räumlich und zeitlich periodische Vorgänge begegnen uns in allen Bereichen der Physik. Ohne sie kein Schall, kein Licht, keine Wärme; auch Materie besitzt, wie wir heute wissen, Welleneigenschaften. Wo immer sie auch auftreten, haben Schwingungen und Wellen gemeinsam, daß sie auf denselben physikalischen Grundlagen beruhen und daher durch einen einheitlichen mathematischen Formelapparat beschrieben werden können.

VI.

Schwingungen

Schwingungen kennen wir aus der Mechanik (ζ. B. Pendel), aus der Elektrizitätslehre (Schwingkreis), aus der Atomphysik (Molekülschwingungen) und aus der Festkörperphysik (Gitterschwingungen). All diesen Vorgängen ist gemeinsam: • 1. Ein Schwingungsvorgang wiederholt sich zeitlich periodisch. 2. Ein Schwingungsvorgang kommt durch periodische Umwandlung verschiedener Energieformen zustande. Wird ein schwingungsfähiges System einmal von außen angestoßen und schwingt dann ohne weitere Einwirkung äußerer Kräfte weiter, so geschieht dies in einer für das System typischen Frequenz, der Eigenfrequenz. Diese Schwingung nennen wir freie Schwingung, im Unterschied zur erzwungenen Schwingung, die dann entsteht, wenn eine äußere Kraft periodisch auf das System einwirkt und ihm ihre Frequenz aufzwingt. Eine exakt periodische Bewegung ist bei der freien Schwingung nur dann möglich, wenn von der Bewegungsenergie nichts (durch Reibung etwa) verloren geht, d.h. wenn die Schwingung ungedämpft erfolgt. Klingt dagegen die Schwingung mit der Zeit infolge von Energieverlusten ab, ist sie gedämpft, so ist sie streng genommen nicht mehr periodisch; sie wird dennoch als Schwingung {gedämpfte Schwingung) bezeichnet.' Zur Beschreibung einer Schwingung benutzen wir folgende Größen: i. Die Schwingungsdauer Τ ist die Zeit zwischen aufeinanderfolgenden gleichen

114

VI. Schwingungen

Zuständen des Systems (d.h. zwei Zuständen, die durch gleiche momentane Auslenkung und Bewegungsrichtung charakterisiert sind). 2. Die Frequenz ν ist die Zahl der Schwingungen pro Sekunde. Daraus ergibt sich die Schwingungsdauer Τ = —. Oft fügt man den Zahlenfaktor 2 π hinzu ν und verwendet statt der Frequenz die Kreisfrequenz ω = 2 π ν. Die Einheit der Frequenz im SI ist s _ 1 und wird auch mit Hertz bezeichnet. 3. Die momentane Auslenkung A ist diejenige physikalische Größe, die sich periodisch zwischen zwei Extremwerten, den Amplituden A 0 und —A0 verändert (Beispiele : Ausschlag eines Pendels, Druck, elektrische Feldstärke usw.). 4. Die Phase φ ist die den momentanen Schwingungszustand (zur Zeit t) charakterisierende Größe φ = ωί Da sich alle Schwingungszustände nach der Zeit Τ wiederholen, sagen wir, daß alle sich um ganzzahlige Vielfache der Schwingungsdauer Τ unterscheidenden Schwingungszustände in Phase sind, oder gleiche Phase haben. Zählen wir die Zeit vom Beginn der Schwingung an, dann gibt während der ersten Schwingungsdauer die Größe t/T den Teil der Periode an, der bis zur Zeit t durchlaufen worden ist. Die Phase (oder Momentanphase) ergibt sich daraus durch Multiplikation mit dem Winkel 2 π; φ = 2 π t/T = ω t. Neben der Phase werden wir den Begriff Phasendifferenz gebrauchen und ihn in Gl. (VI. 8) kennenlernen.

VI. 1 Pendel als mechanisches schwingungsfähiges System • Zu einem mechanischen schwingungsfahigen System gehört eine schwingungsfähige Masse und eine Kraft, welche die Masse zur Ruhelage zurücktreibt, wenn sie aus dieser ausgelenkt wurde.

ü

0

U

Abb. VI.l Federpendel (m: schwingende Masse, 0: Ruhelage, U: Umkehrpunkt).

Dies kann wie beim Federpendel durch zwei Federn (Abb. VI.l) geschehen, oder aber wie beim Fadenpendel (Schwerependel, Abb. VI.2) durch die Schwerkraft.

115

VI.2 Differentialgleichungen der ungedämpften Schwingung

/ / / / / / / /

ν Abb. VI.2 Fadenpendel (m: schwingende Masse, 1: Fadenlänge, 0: Ruhelage, s: krummlinige Bahnkoordinate).

Eine freie Schwingung wird durch eine einmalig von außen wirkende Kraft eingeleitet, die die Masse m aus ihrer Ruhelage auslenkt. Die hierbei von außen in das System eingebrachte Energie wird als potentielle Energie des Systems gespeichert, sei es durch Deformationsarbeit an der Feder oder durch Hubarbeit am Schwerependel. Läßt man nun beim ausgelenkten Federpendel die Masse m los, so wird sie durch die rücktreibende Feder-Kraft in Richtung zur Ruhelage 0 hin beschleunigt. Mit zunehmender Geschwindigkeit wächst die kinetische Energie der Masse m; beim Durchgang durch die Ruhelage 0 ist sie am größten. Hier sind die beiden Federn entspannt, d. h. in ihnen ist keine Deformationsenergie mehr gespeichert. Schwingt dann die Masse infolge ihrer Trägheit über die Ruhelage hinaus, so werden die Federn erneut deformiert, und dabei wird die Masse durch die rücktreibenden Federkräfte abgebremst. Die kinetische Energie nimmt also wieder ab, und sie ist Null bei der größten Auslenkung, bei der die Masse ihre Bewegungsrichtung umkehrt (Umkehrpunkt U). Dort ist die Deformation der Feder maximal und mit ihr die als Deformationsenergie gespeicherte potentielle Energie. Feder- und Fadenpendel unterscheiden sich dadurch, daß es sich im einen Fall um die kinetische Energie einer geradlinigen und im anderen Fall um die einer Kreisbewegung handelt, und daß die potentielle Energie im einen Fall als Deformationsenergie in der Feder, im anderen Fall durch das Anheben der Masse im Schwerefeld (Hubarbeit) gespeichert wird. • Wir können allgemein mechanische Schwingungen als periodische Umwandlung zwischen kinetischer und potentieller Energie beschreiben (vorausgesetzt, sie erfolgen reibungsfrei).

VI.2 Differentialgleichung der ungedämpften Schwingung Der Energieerhaltungssatz besagt für das Federpendel, daß die Summe aus kinetischer und potentieller Energie konstant ist:

116

VI. Schwingungen

- m ( ^ Y 2 \dtj

+ i DA 2 = konst, 2

(VI. 1)

(siehe Gl. (III.6)). Die variable Größe A beschreibt die momentane Auslenkung der Masse m von der Ruhelage 0 aus gemessen, die zeitliche Ableitung dA/dt ihre momentane Geschwindigkeit. Differenzieren wir Gl. (VII) nach der Zeit, so erhalten wir:

Dividieren wir nun diese Gleichung durch dA/dt, so erhalten wir die • Kräftebilanz des Schwingungvorganges: m ^ 2 + D A = 0, dt

(VI. 3)

wobei D A nach Kap. II.2.4 die Rückstellkraft der Feder ist. Weder Energiesatz noch Kräftebilanz geben direkt Auskunft über die Bewegung A(t) der Pendelmasse, da neben der Variablen A auch deren Ableitungen nach der Zeit in Gl. (Vl.i) und (VI. 3) enthalten sind. Eine Gleichung, die Ableitungen der Variablen enthält, nennt man eine Differentialgleichung. Die spezielle Differentialgleichung t),

(VI.4)

wobei die sinus-Funktion durch ihren periodischen Verlauf den Schwingungscharakter der Bewegung A(t) beschreibt. A 0 ist die Schwingungs-Amplitude und ω die Kreisfrequenz. Diese durch eine sinus-Funktion beschriebene Bewegung ist ein Beispiel für eine einfache ungedämpfte Schwingung; wir bezeichnen sie auch als harmonische Schwingung. Daß Gl. (VI.4) tatsächlich die Lösungsfunktion der Differentialgleichung (VI. 3) ist, sehen wir, wenn wir Gl. (VI.4) in (VI. 3) einsetzen. Dazu müssen wir Gl. (VI.4) zweifach nach t differenzieren: d 2 A = — ω2 Λ W A —τγA0sin( wobei s die Koordinate der von der Pendelmasse durchlaufenen Kreisbahn bedeutet. In diesem Fall ergibt sich die Kreisfrequenz zu ω = j/g/ï, wobei 1 die Fadenlänge und g die Erdbeschleunigung sind. Wichtig ist, daß ω hier im Gegensatz zum Federpendel nicht von der Pendelmasse abhängt. (Dies gilt allerdings nur, wenn die Masse m des Fadenpendels nahezu punktförmig ist).

Auch die trigonometrische Funktion cos (tot) stellt eine Lösungsfunktion der Gl. (VI.3) dar: A(t) = A 0 cos (cot).

(V 1.7)

Differenzieren wir Gl. (VI.7) zweimal nach der Zeit, so erhalten wir d 2 A/dt 2 = = — co2A0cos(cüt), und nach Einsetzen dieses Ausdruckes in Gl. (VI.3) ergibt sich wieder die Bestimmungsgleichung (VI.6) für die Frequenz ω. Welche der beiden Lösungsansätze (Gl. (VI.4) oder (VI.7)) den Bewegungsablauf einer harmonischen Schwingung richtig beschreibt, hängt von der sog. Anfangsbedingung ab. Befindet sich ζ. B. das Pendel zur Zeit t = 0 in der Ruhelage und wird in positiver Richtung ausgelenkt, so stimmt dies mit dem Verhalten der sinus-Funktion (Abb. VI. 3a) überein, die ja ebenfalls bei t = 0 den Wert Null hat; damit ist Gl. (VI.4) die mit der Anfangsbedingung (A = 0, t = 0) verträgliche Lösung. Ist dagegen das Pendel maximal ausgelenkt und wird zur Zeit t = 0 losgelassen, so ist Gl. (VI.7) die richtige Lösungsfunktion, da ja der cosinus zur Zeit t = 0 gerade sein Maximum hat (Anfangsbedingung A = A 0 , t = 0). Neben den beiden Anfangsbedingungen (A = 0, t = 0) und ( A = A 0 , t = 0) sind beliebige weitere Anfangsbedingungen (A; t = 0) möglich. Die passende Lösungsfunktion ist dann: A = A 0 sin(cot — φ0).

(VI.8)

Die Größe φ0 ist ein konstanter Winkel, der die zeitliche Verschiebung der Schwingung gegenüber einer sinusförmigen Bewegung nach Gl. (VI.4) berücksichtigt (Abb. VI.3b). φ0 nennt man die Phasenverschiebung zwischen den

VI. Schwingungen

118

beiden durch Gl. (VI.4) bzw. (VI. 8) beschriebenen Schwingungen oder die Phasenkonstante. Als besonders einfach erweist sich der Fall, bei dem die Phasenverschiebung den Wert-7t/2 annimmt (Abb. VI. 3c):

Abb. VI. 3 Lösungsfunktionen der Schwingungsdifferentialgleichung. Graphisch können wir die Amplitudenfunktion A(t) darstellen, indem wir als Abszisse entweder den Winkel cot oder aber die Zeit t auftragen. Dann ist die Periode der Schwingung entweder gegeben durch den ganzen Winkel 2 π oder aber durch die Schwingungsdauer T.

A = A 0 sin ^FI

Abb. VIII. 1

Gasthermometer.

w Abb. VIII.2 Quecksilberthermometer, (a) Gesamtansicht, (b) Verengung der Kapillare beim Fieberthermometer.

177

VIII.4 Temperatur-Meßgeräte

Die sich dabei für Τ ergebende Temperaturskala ist praktisch mit der thermodynamischen Temperaturskala identisch. Von den Flüssigkeitsthermometern sind die mit Quecksilber (Hg) gefüllten die wichtigsten. An ein Hg-gefülltes Gefäß ist eine Kapillare angeschmolzen, in die hinein das Hg sich bei Erwärmung ausdehnt (Abb. VIII.2a). Die Steighöhe ist ein Maß für die Temperatur. Hg-Thermometer werden von — 38 °C bis etwa +300°C verwendet, und es lassen sich Ablesegenauigkeiten von 0,01 °C erreichen. Daneben verwendet man auch Flüssigkeitsthermometer mit organischen Flüssigkeiten. Im Gegensatz zu Hg sind diese Flüssigkeiten nicht giftig. Einige haben zudem den Vorteil, auch für Temperaturbereiche unter — 38 °C verwendet werden zu können. Die Meßgenauigkeit dieser Thermometer ist mindestens um eine Zehnerpotenz geringer als die der HgThermometer. Stimmt ein Hg-Thermometer bei 0°C und 100°C mit der thermodynamischen Temperaturskala überein, so sind Temperaturanzeigen bei 50 °C um etwa 7 i o ° C zu hoch, weil sich der Ausdehnungskoeffizient (vgl. Kap. XIII. 1 ) des Hg selbst geringfügig mit der Temperatur ändert. Das Fieberthermometer ist ein spezielles Flüssigkeitsthermometer zur Messung der Körpertemperatur. Mit ihm werden Temperaturen in der Nähe der Körpertemperatur (Meßbereich 30-42 °C) bis auf Vio°C g e n au gemessen. Zur besseren Ablesung wird bei diesem Thermometer die maximale Anzeige fixiert, so daß die Ablesung erst nach der Messung zu erfolgen braucht. Dies erreicht man (Abb. VIII.2b) durch eine Verengung am unteren Ende der Kapillare. Bei Erwärmung wird die Flüssigkeit infolge ihrer Volumenausdehnung durch den Engpaß in die Kapillare hineingepreßt. Beim Abkühlen reißt der Flüssigkeitsfaden an dem Engpaß ab; die Flüssigkeitssäule hält so die maximale Temperaturanzeige aufrecht, so daß man die Temperatur ohne Eile ablesen kann. Vor der nächsten Messung muß erst die Flüssigkeit aus der Kapillare herausgeschleudert werden (Herunterschlagen der Anzeige des Thermometers).

Von den auf der Ausdehnung fester Metalle beruhenden Ausdehnungsthermometern ist das Bi-Metall-Thermometer das gebräuchlichste. Der temperaturempfindliche Teil, ein meist spiralenförmig gewickelter Blechstreifen, besteht

Messii Stahl

Abb. VIII.3

Bi-Metall-Thermometer.

178

VIII. Wärme

aus zwei Metallen mit unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten (siehe Kap. XIII. 1), die zusammengelötet oder aufeinander genietet sind (Abb. VIII. 3). Wird das eine Ende des Streifens an einem festen Zapfen gelagert und das andere Ende mit einer drehbaren, mit einem Zeiger versehenen Achse befestigt, dann wird diese und damit der Zeiger bei einer Temperaturänderung gedreht. Die Meßgenauigkeit beträgt etwa 1% des Skalenumfanges. Bi-Metall-Thermometer besitzen wegen ihrer großen wirksamen Oberfläche geringe thermische Trägheit und eignen sich daher vorzüglich zur Messung von Lufttemperaturen. Man benutzt sie zum Beispiel dazu, um bei Erreichen einer bestimmten Temperatur einen elektrischen Kontakt zu öffnen oder zu schließen und so eine automatische Temperaturregelung (bei Etagenheizungen, bei elektrischen Heizkissen, bei Bügeleisen usw.) herzustellen.

4.2

Thermoelement

Berühren zwei verschiedene Metalle Ml und M2 einander, so entsteht eine Kontaktspannung U 1 2 (siehe Kap. XV.1.1). U 1 2 hängt von der Temperatur ab. Ein Thermoelement besteht aus zwei verschiedenen Metalldrähten, die so zusammengelötet sind, daß, wie in Abb. VHI.4 gezeigt, zwei Kontaktstellen Spannungsmeilgerät

Abb. VIII.4

Thermoelement.

entstehen. Sind beide Kontaktstellen auf gleicher Temperatur, dann sind die beiden Kontaktspannungen U 1 2 und U , ! von gleichem Betrag und einander entgegengesetzt, so daß sie sich gegenseitig aufheben: U 1 2 + U 2 1 = 0 . Im Stromkreis existiert keine resultierende Spannungsquelle, und demnach fließt durch das Meßgerät kein Strom. Werden die beiden Lötstellen jedoch auf unterschiedliche Temperaturen tx bzw. t 2 gebracht, dann ist die Summe U 1 2 + U 2 1 von 0 verschieden, und die Summenspannung (Thermospannung) erzeugt in dem Kreis einen Strom, der durch das Meßgerät angezeigt wird. Der Strom ist proportional der Temperaturdifferenz t t — t 2 , falls diese nicht zu groß ist.

VIII.4 Temperatur-Meßgeräte

179

Zur Temperaturmessung hält man eine der beiden Lötstellen auf konstanter Temperatur (z.B. auf t x = 0°C durch Eintauchen in schmelzendes Eis). Die andere Lötstelle wird an die Stelle gebracht, deren Temperatur t 2 zu messen ist. Die Empfindlichkeit gebräuchlicher Thermoelemente liegt bei etwa 10" 5 Volt/Grad, die von Eisen-Konstantan-Elementen bei 5 · 10" 5 Volt/Grad. Die Vorzüge solcher Thermometer sind ihre große Empfindlichkeit, kleine Wärmekapazität und damit schnelle Anzeige, und ihr großer Anwendungsbereich ( —270°C bis 2000 °C). Thermoelemente müssen sorgfältig geeicht werden, da ihre Empfindlichkeit stark temperaturabhängig ist.

4.3

Widerstandsthermometer

Widerstandsthermometer beruhen auf der Änderung des elektrischen Widerstandes R eines elektrischen Leiters mit der Temperatur t. Bei geeigneter Eichung ist der Zahlenwert von R daher ein Maß für die Temperatur. Zur Erhöhung der Meßempfindlichkeit von R und damit von t bedient man sich zumeist der Wheatstone'sehen Brücke (siehe Kap. XVI. 1.6). Häufig verwendet wird das Platin-Widerstandsthermometer. Es ermöglicht so genaue Messungen, daß mit ihm die Temperaturskala zwischen —122,97 °C (SauerstoffSiedepunkt) und 630,5 °C (Antimon-Erstarrungspunkt) festgelegt wird. Seine Reproduzierbarkeit und Genauigkeit beträgt bei sorgfaltiger Messung bis zu 10" 4 Grad. Bei tiefen Temperaturen (bis 1 Kelvin) werden neben Thermoelementen Kohle-Widerstand sthermometer verwendet.

IX.

Ideale Gase

IX. 1 Zustandsgrößen, Zustandsgieichung • Der ideale Gaszustand (das ideale Gas) wird durch zwei Eigenschaften charakterisiert: 1. Der Durchmesser der Atome oder Moleküle ist vernachlässigbar klein gegenüber dem mittleren Abstand zum nächsten Nachbarn. 2. Die Teilchen üben - außer beim Zusammenstoß - keinerlei Wechselwirkung aufeinander aus. Alle Gase nähern sich dem idealen Gaszustand bei hohen Temperaturen und niedrigen Drucken; bei Edelgasen genügen bereits Zimmertemperatur und Atmosphärendruck. Der Zustand einer vorgegebenen Menge eines idealen Gases wird durch Zustandsgrößen oder Zustandsvariable beschrieben, nämlich Temperatur T, Druck ρ und Volumen V. Bei einer gegebenen Gasmenge sind diese thermodynamischen Zustandsgrößen nicht unabhängig voneinander veränderbar, sondern sie sind durch die Zustandsgieichung idealer Gase miteinander verknüpft: ρ V = n RT

(IX. 1)

Hierbei ist η die Zahl der vorhandenen Mole. Die Konstante R, die allgemeine Gaskonstante hat den Zahlenwert: R = 8,31 J m o l - 1 K - 1 .

(IX.2)

Der thermodynamische Zustand eines Gases ist demnach eindeutig bestimmt, wenn außer η und R zwei der Zustandsvariablen bekannt sind. Damit man zur Charakterisierung einer Gasmenge nicht alle drei Größen (Τ, ρ und V) angeben muß, hat man die sogenannten Normalwerte eingeführt. Hierunter versteht man eine Temperatur von 273,15 Κ (0°C) und einen Druck von 101325 Pa (760 Torr; 1 atm). Setzt man Normalwerte voraus, so genügt zur Charakterisierung einer Gasmenge die Angabe des Volumens. Bei Experimenten geht man umgekehrt so vor, daß man das bei einem Druck p t und einer Temperatur T, gemessene Volumen V 1 in ein Volumen V 0 bei dem Druck p 0 und der Temperatur T 0 umrechnet: P i v i _ Po v o . νv - P—i v i T o ~ — ~ î η— ~ Τχ T0 ' ° TlPo * T 0 = 273,15 K,

Po = 101325 Pa

(IX.3)

IX.2 Zustandsänderungen

IX.2

181

Zustandsänderungen

Zu einfachen Beziehungen zwischen zwei Zustandsgrößen gelangt man, wenn bei der Zustandsänderung eines idealen Gases die dritte Zustandsgröße konstant gehalten wird. Bei isothermen Zustandsänderungen bleibt die Temperatur konstant (T = konst. ) und wir erhalten aus Gl. (IX.i) das nach Boyle-Mariotte benannte Gesetz: ρ V = konst.

(IX.4)

Stellt man den Zusammenhang zwischen ρ und V bei konstantem Τ graphisch dar, so erhält man die in Abb. IX. la gezeichneten Hyperbeln, die man als Isothermen der betreifenden Gasmenge bezeichnet.

Abb. IX. 1 (a) Isothermen des idealen Gases, Tj > T 2 > T 3 .

(c) Isochoren des idealen Gases, V! > V 2 > V 3 .

Bei isobaren Zustandsänderungen bleibt der Druck konstant. Folglich ergibt sich aus Gl. (IX.3) V = V 0 T/T 0 , oder mit Gl. (VIII.5): V= V

»(' + l W 5 }

T 2 ).

• Die pro Zeit durch den Querschnitt A hindurchströmende Wärmemenge Q/t ist dem Temperaturgefälle und dem Querschnitt A proportional: ^

=

λ A Cr t - T 2 )

(XIII.3)

λ wird als Wärmeleitzahl, Wärmeleitfähigkeit oder Wärmeleitvermögen bezeichnet, sie ist für das Material des Stabes charakteristisch. Ihre SIEinheit ist J m " 1 s" 1 K" 1 . Schlechte Wärmeleiter sind Luft, Holz, Wasser, Styropor, etc. Besonders gute Wärmeleiter sind die Metalle (Tab. XIII.2). Bei Gasen findet man das überraschende Ergebnis, daß λ vom Druck und damit bei konstanter Temperatur von der Teilchenzahldichte unabhängig ist, wenn der Druck nicht unter 10 P a ( « 10" 1 Torr) sinkt. Unterhalb dieser Tab. XIII.2

Wärmeleitzahlen/inJm"1^11'"1 (von - 1 0 0 bis +100°C)

23,88

Al

(von 0 bis 200 °C)

13,14

Pt

(von - 100 bis + 100°C)

4,06

Ag

Glas

(von 0 bis 100 °C)

0,079

Wasser

(0°C) (100°C)

0,031 0,038

Luft

(0°C) (100 °C)

0,0014 0,0018

XIII. 3 Stoffgemische

207

Grenze wird λ mit abnehmemdem Druck kleiner. Daher werden zur thermischen Isolierung spezielle Gefäße mit doppelten Wänden und evakuiertem Zwischenraum gebaut (Dewar-Gefaß, Thermosflasche). Bei der Wärmeleitung wird die Wärmeenergie von Molekül zu Molekül durch Stöße weitergegeben. Darüber hinaus finden wir in Flüssigkeiten und Gasen eine andere, mit Materietransport gekoppelte Art des Wärmetransports, die Konvektion. Sie beruht auf der thermischen Volumenausdehnung, wodurch die Dichte erwärmter Schichten abnimmt. Diese wärmeren Schichten mit geringerer Dichte erfahren in kälterer Umgebung mit größerer Dichte einen Auftrieb und steigen nach oben, wogegen kalte Schichten im Schwerefeld nach unten sinken. Dadurch kann die in den wärmeren Schichten gespeicherte Wärmeenergie sehr schnell über große Entfernungen transportiert werden. (Zum Beispiel erwärmt sich ein Wasserkessel über einem Holzfeuer wegen der kleinen Wärmeleitzahl von Luft nicht durch Wärmeleitung, sondern im wesentlichen durch Konvektion.) Durch Behinderung der Konvektion läßt sich die Wärmeisolierung wesentlich erhöhen (Wärmeisolation durch Bekleidung). Im allgemeinen tragen alle drei Mechanismen (Wärmestrahlung, -leitung und Konvektion) zum Wärmetransport in einer Heizanordnung (ζ. B. einem Heizkörper in Luft) bei. Zur einfachen Beschreibung des gesamten Vorgangs kann man sich der pauschalen Größe Wärmeübergangszahl a w bedienen. In ihr sind die verschiedenen Arten des Wärmetransportes sowie die geometrischen Verhältnisse der betrachteten Heizanordnung berücksichtigt. a w ist von der Beschaffenheit der Oberflächen und den Strömungsverhältnissen in den beteiligten Medien abhängig. Die Wärmeübergangszahl ist definiert durch ^=awO(T1-T2),

(XIII.4)

wobei O die Oberfläche des Heizkörpers ist. Die SI-Einheit von a w ist J s _ 1 K " 1 m" 2 .

XIII. 3 Stoffgemische Viele feste,flüssigeund gasförmige Stoffe lösen sich in Flüssigkeiten, mit denen sie in Berührung gebracht werden. Die so entstandene Lösung ist gekennzeichnet durch eine vollständige Mischung der Moleküle der gelösten Substanz mit denen des Lösungsmittels. In vielen Fällen sind alle Mischungsverhältnisse möglich. Dies gilt insbesondere für Lösungen von Flüssigkeiten in Wasser. Manche Stoffe dagegen sind nur begrenzt löslich. Lösungen der höchstmöglichen Konzentration des gelösten Stoffes nennen wir gesättigt. Die Sättigungs-

208

XIII. Thermodynamische Eigenschaften von Stoffen

konzentration hängt von der Temperatur der Lösung ab. Der Anteil einer festen Substanz, der nicht in Lösung gegangen ist, bildet den sogenannten Bodenkörper. Das Verständnis von Lösungen und deren Eigenschaften ist für die Medizin von wesentlicher Bedeutung. Kann man doch den Organismus als eine Zusammensetzung verschiedener Flüssigkeitsräume betrachten, wobei das gesamte Stoffwechselsystem durch Eigenschaften der verschiedenen Flüssigkeitsräume und durch den Austausch von gelösten Stoffen zwischen diesen Räumen, dem Vasalraum, Extrazellularraum und Intrazellularraum bestimmt wird.

3.1

Konzentration und Gehalt einer Lösung

Konzentration und Gehalt einer Lösung lassen sich durch verschiedene Größen beschreiben (Tab. XIII.3). Tab. XIII.3

Konzentrations- und Gehaltsangaben von Lösungen.

Meßgröße

Definition

Einheit

Molarität (Stoffmengenkonzentration)

Zahl der Mole eines gelösten Stoffes pro m 3 (oder Liter) Lösung

Molalität

Zahl der Mole eines gelösten Stoffes pro kg Lösungsmittel

mol m~ 3 (oder mol ltr" mol kg"- 1

Massenkonzentration

Masse eines gelösten Stoffes pro m 3 (oder Liter) Lösung

kg m" 3 (oder kg ltr" 1 )

Stoffmengengehalt (Molenbruch)

Zahl der Mole eines gelösten Stoffes pro Zahl der Mole aller in der Lösung vorhandenen Stoffe

1

Massengehalt

Masse eines gelösten Stoffes pro Masse aller in der Lösung vorhandenen Stoffe

1

Volumengehalt

Volumen eines zu lösenden Stoffes pro Gesamtvolumen der Lösung

1

1. Die wichtigste Konzentrationsangabe ist die Molarität oder Stoffmengenkonzentration (SI-Einheit: mol m - 3 ; üblich ist die Einheit mol ltr - 1 ). Eine Lösung ist η-molar, wenn in 1 Liter der Lösung η Mole des gelösten Stoffes vorhanden sind. Die zu lösende Substanz wird also mit dem Lösungsmittel auf 1 Liter aufgefüllt. 2. Eine weitere Konzentrationsangabe ist die Molalität (SI-Einheit: mol kg -1 ). Sie gibt die Anzahl der Mole des gelösten Stoffes in 1 Kilogramm Lösungsmittel an. Bei verdünnten wässrigen Lösungen liefern beide Konzentrationsangaben (Molarität und Molalität) praktisch den gleichen Zahlenwert.

209

XIII.3 Stoífgemische

3. Die Massenkonzentration (SI-Einheit: kg m " 3 ; weitere übliche Einheit kg ltr - 1 ) gibt an, wieviel kg gelösten Stoffes sich in einem m 3 bzw. einem Liter Lösung befinden. 4. Neben diesen Konzentrationsangaben läßt sich eine Lösung auch durch die Größen Stoffmengengehalt, Massengehalt und Volumengehalt charakterisieren. Alle drei Größen sind dimensionslos und können in % angegeben werden. Der Stoffmengengehalt oder Molenbruch ist definiert als das Verhältnis der Anzahl der Mole n¡ des betrachteten gelösten Stoffes i zur Summe der Mole Ν

Ν

( £ n¡) aller Ν in der Lösung vorhandenen Stoffe: η¡/ £ n¡. i=l

Ν

'=1

Der Massengehalt m¡/ £ m¡ gibt an, welche Masse (in kg) einer gelösten Subi=l

stanz i pro kg Lösung enthalten ist. Bei der Mischung verschiedener Flüssigkeiten und bei Gasgemischen wird Ν die Angabe des Volumengehaltes V¡/ £ V¡ einer gelösten Substanz i bevorzugt. i=l

Er ist festgelegt als Verhältnis aus Volumen der i-ten Substanz V¡ vor der Ν

Mischung und dem Gesamtvolumen der Lösung oder des Gemischs V = £ V¡. i=l

Bei Gasen ist die Angabe des Volumengehaltes nur dann sinnvoll, wenn V¡ vorher auf Normalbedingungen (T = 273,15 Κ, ρ = 101325 Pa = 1 atm) umgerechnet wurde. In der Medizin wird der Volumengehalt häufig bei der Analyse der Atemgase benutzt.

3.2

Echte Lösung, kolloidales System

Allgemein unterscheiden wir zwischen echten Lösungen und kolloidalen Systemen (kolloidalen „Lösungen"). Echte Lösungen sind solche, in denen Stoffe mit niedrigem Molekulargewicht molekular gelöst sind. Sie stellen einheitliche, homogene Substanzen dar. Bei ihnen findet keine Entmischung statt, wenn man sie über längere Zeit stehen läßt, sie sind stabil. Sind dagegen in Lösungen größere Bereiche nebeneinander vorhanden, die vorzugsweise aus gelöstem Stoff bzw. Lösungsmittel bestehen, so ist die Lösung nicht mehr als homogen anzusehen. (Der Begriff Lösung sollte hier durch den Begriff System ersetzt werden.) Solche Systeme entstehen, wenn zum Beispiel Makromoleküle (Proteine, etc.) in Lösung gebracht werden oder aber eine „gelöste" Substanz mit niedrigem Molekular- oder Atomgewicht in kleinen Partikeln (die bis etwa 1010 Atome enthalten) in der Lösung schwebt. (Ein Beispiel: Ag-Partikel in argentum colloidale.) Bleiben die Durchmesser der Makromoleküle bzw. Partikel kleiner als « 10" 6 m, so spricht man von kolloidalen Systemen. Kolloidale Partikel sind zu klein, um sie im optischen Mikroskop zu erkennen; allenfalls kann man das von ihnen gestreute Licht sehen (Tyndall-Effekt, Kap. XVIII.5.2).

210

XIII. Thermodynamische Eigenschaften von Stoffen

Beispiele für Kolloide: Aerosol (feste Teilchen in Gas, ζ. B. Rauch) Aerosol (flüssige Teilchen in Gas, ζ. B. Nebel) Sol (Suspension) (feste Teilchen in Flüssigkeit, z. B. Ag in H 2 0 ) Emulsion (flüssige Teilchen in Flüssigkeit, z. B. Milch) Schaum (Gas in Flüssigkeit, z. B. Schlagsahne) Beispiele für Makromoleküle in kolloidalen Systemen: Faserproteine (Keratin), Kugelproteine (Hämoglobin) Kolloidale Systeme, speziell Eiweiße, sind im gesamten biologischen Bereich von großer Bedeutung. So ist der Eiweißgehalt des Blutplasmas wichtig für die Steuerung des Wasseraustauschs in den Blutkapillaren, für die Konstanthaltung des pH-Wertes im Blut, usw. Alle Enzyme und Fermente sind Eiweiße, und auch die immunologischen Eigenschaften des Organismus (Antikörper) sind durch solche Stoffe bedingt.

3.3

Henry-Dalton'sches Gesetz

Gase sind in Flüssigkeiten bis zu einem gewissen Grad löslich (z.B. C 0 2 in Sprudelwasser); ihre Sättigungskonzentration hängt von Temperatur und Druck ab. Sie ist direkt proportional dem Druck des Gases über der Lösung. Dieser Zusammenhang gilt auch, wenn mehrere Gase (zum Beispiel Luft) in einer Flüssigkeit gelöst werden; die Konzentration einer Gaskomponente in der Lösung ist dann proportional ihrem Partialdruck über der Lösung. Beim Durchgang von Blut durch die Lunge nimmt die Konzentration molekularen Sauerstoffs im Blut wegen des erhöhten 0 2 -Partialdruckes in den Lungenalveolen schlagartig zu. Trotzdem würde der Sauerstofftransport im Blut auf der Basis eines in einer Flüssigkeit gelösten Gases bei weitem nicht ausreichen, um den Körper mit genügend Sauerstoff zu versorgen. Durch die chemische Bindung von 0 2 ans Hämeisen im Hämoglobin kann jedoch die Menge des transportierten molekularen Sauerstoffes bis fast auf das Hundertfache der im Serum gelösten Sauerstoffmenge gesteigert werden.

3.4

Hydratation, Solvatation

• Den Lösungsvorgang ionogener Festkörper oder elektrisch polarer Moleküle in Wasser bezeichnet man als Hydratation. Die dabei entstehenden Hydrat-Komplexe (z.B. [Fe (H 2 0) 4 ] + [Fe(H 2 0) 6 ] + + + ) sind gekennzeichnet durch elektrostatische Wechselwirkung zwischen Festkörperionen (z.B. F e + + , Fe + + + ) oder Molekülen einerseits und Wasserdipolen (H 2 0) andererseits. • Wird anstelle des Wassers ein anderes Lösungsmittel verwendet, dessen Moleküle ebenfalls ein elektrisches Dipolmoment besitzen (z.B. Alkohol), spricht man allgemein von Solvatation und Solvat-Komplexen.

XIII.3 Stoffgemische

211

Solvat-Komplexe (Hydrate, Alkoholate usw.) sind umso beständiger, je größer das elektrische Dipolmoment des Lösungsmittels und je kleiner der Abstand ist, bis zu dem sich der Dipol des Lösungsmittelmoleküls dem Ion oder Molekül des zu solvatisierenden Stoffes nähern kann. Die Zahl (Solvatationszahl) der direkt angelagerten Lösungsmitteldipole hängt von Größe und Ladung der Ionen oder Moleküle ab; sie beträgt meist 4,6 oder 8; darüberhinaus können sich weitere Dipole schwächer gebunden anlagern. Da das Solvat durch anziehende elektrostatische Wechselwirkung zwischen gelöstem Stoff und Lösungsmitteldipolen zustande kommt, wird bei der Solvatbildung Solvatationswärme frei; dies ist die Energie, die nötig wäre, um das Ion oder Molekül von seiner Solvathülle wieder zu befreien. • Eiweißstoffe neigen wegen ihrer elektrisch polarisierten Bestandteile zur Solvatation. Dies verhindert ihre gegenseitige Annäherung und damit ihre Ausflockung (Koagulation). Ihre Lösungen sind daher in geeigneten Lösungsmitteln beständig. Kolloidale Metalle neigen dagegen nur wenig zur Solvatbildung. Sie lassen sich jedoch dadurch in beständige Kolloide verwandeln, daß ihnen solvatisierende Stoffe (sogenannte Schutzkolloide wie Gelatine) hinzugefügt werden. Dadurch gelingt es, in der Medizin verwendete Kolloide über längere Zeiträume injektionsfähig zu erhalten.

3.5

Diffusion

Mischt man zwei verschiedene Flüssigkeiten oder Gase miteinander, so geschieht dies hauptsächlich durch Verwirbelungen und Strömungen beim Einfüllvorgang (Mischung durch Konvektion). Überschichten wir die Stoffe vorsichtig, um die Konvektion zu vermeiden, so beobachten wir trotzdem eine mit der Zeit zunehmende Durchmischung; sie kommt durch Diffusion zustande. Infolge der Wärmebewegung und der wiederholten Zusammenstöße der Moleküle untereinander breiten sich die Moleküle beider Substanzen gleichmäßig im ganzen Volumen aus. Höhere Temperatur, d. h. größere Molekulargeschwindigkeit bewirkt eine größere Diffusionsgeschwindigkeit. Der Mischungsvorgang durch Diffusion findet erst ein Ende, wenn sich im gesamten Volumen einheitliche Konzentrationen aller Mischpartner eingestellt haben. • Durch Diffusion geht ein geordneter Zustand in einen ungeordneten über, es handelt sich also um einen irreversiblen Vorgang, der mit Entropieerhöhung verbunden ist. Die Diffusion ähnelt in dieser Hinsicht der Wärmeleitung. Auch die formale Beschreibung der Diffusion durch das Í. FicKsche Gesetz ist derjenigen der Wärmeleitung analog (wir wollen hier infinitesimal kleine Größen verwenden): dm

^

de

212

XIII. Thermodynamische Eigenschaften von Stoffen

Der Massenfluß —— durch die Querschnittsfläche q ist also dem Kondt de zentrationsgradienten —— proportional. Die Proportionalitätskonstante dx D ist der Diffusionskoeffizient mit der SI-Einheit m 2 s _ 1 . Die Diffusion ist bedeutsam für den Austausch von Gasen, Nährstoffen und Schlackstoffen zwischen dem Blut und den verschiedenen Geweben. Der Übergang des Sauerstoffs beispielsweise von den Lungenalveolen bis zur Bindung an das Hämoglobin in den Erythrozyten erfolgt ebenso durch Diffusion wie derjenige in den Blutkapillaren vom Hämoglobin zu den Zellen der verschiedenen Gewebe. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei der Verteilung der Nährstoffe auf die Gewebe und beim Abtransport von C 0 2 zur Lunge und von Schlackstoffen zur Niere. Da die Diffusion ein relativ langsamer Vorgang ist, kann sie für die Versorgung der Gewebe bei erhöhtem Bedarf zur limitierenden Größe werden.

3.6

Osmose

Trennwände, deren Porengröße so beschaffen ist, daß die Moleküle eines Lösungsmittels hindurch diffundieren können, nicht jedoch die Teilchen einer gelösten Substanz, nennen wir semipermeabel (halbdurchlässig). Befinden sich auf den beiden Seiten der semipermeablen Membran in dem in Abb. XIII.2

semipermeable

Membran

Abb. XIII.2

Osmose (c t < c2).

gezeigten Gefäß zwei Lösungen gleicher Art, jedoch mit verschiedenen Konzentrationen des gelösten Stoffes (ct < c 2 ), so stellen wir fest, daß der Flüssigkeitsspiegel im linken Steigrohr sinkt und im rechten entsprechend ansteigt. Der Grund für dieses Verhalten ist, daß das Lösungsmittel zu der Gefäßseite diffundiert, in der sich die Lösung mit der höheren Konzentration befindet. Dadurch wird der Konzentrationsunterschied zwischen beiden Flüssigkeiten verringert. Der Transport des Lösungsmittels durch die Trennwand dauert so lange an, bis der erhöhte hydrostatische Druck auf der rechten Seite ein weiteres Eindringen des Lösungsmittels verhindert. Im Gleichgewicht ist die Differenz der hydrostatischen Drucke auf beiden Seiten entgegengesetzt gleich der

XIII.3 Stoffgemische

213

Differenz der osmotischen Drucke zlposm in den Lösungen links und rechts von der Membran. • Bei geringen Konzentrationen der gelösten Substanz läßt sich der osmotische Druck posm nach dem vant Hoff sehen Gesetz berechnen, das formal mit der Zustandsgieichung idealer Gase übereinstimmt: Posm V

= n R Τ,

(XIII.6)

η ist dabei die Zahl der Mole des im Volumen V gelösten Stoffes. Der osmotische Druck ist also nach Gl. (XIII.6) der Druck, den die gelösten Teilchen auf die für sie undurchlässige Wand ausüben würden, wenn das Lösungsmittel nicht vorhanden wäre und sich die Teilchen wie ein ideales Gas verhalten würden. Ganz wesentlich ist, daß in Gl. (XIII.6) nur die Menge, nicht aber die chemische Natur der gelösten Stoffe eingeht. Sind in einer Lösung mehrere Substanzen mit den Molzahlen n¡ vorhanden, so ergibt sich analog zu Gl. (IX. 11) der osmotische Gesamtdruck pges osm als Summe der Einzeldrucke: P

V = I i i R T . (XIII.7) i In dem in Abb. XIII.2 skizzierten Experiment tragen natürlich nur diejenigen gelösten Stoffe effektiv zur Differenz der osmotischen Drucke (A posm = = Posmts ~ PÖsmS) bei, für welche die eingebaute Membran undurchlässig ist. g M

Der osmotische Druck im Organismus Da in allen Flüssigkeitsräumen des Organismus (Intrazellularraum, Extrazellularraum, Vasalraum) Moleküle und Ionen gelöst sind, ist entsprechend ihren Konzentrationen in diesen Flüssigkeitsräumen ein osmotischer Druck vorhanden. Alle Zellmembranen sind für Wasser und zum Teil auch für gelöste Stoffe permeabel. Im Gleichgewichtszustand hat der osmotische Gesamtdruck in allen Flüssigkeitsräumen den gleichen Wert von 7 · 105 Pa ( % 7 Atmosphären). Dies besagt jedoch nicht, daß in allen Flüssigkeitsräumen die Konzentrationen der verschiedenen Moleküle und Ionen gleich sind, es besagt nur, daß die Summe der Konzentrationen aller gelösten Stoffe, die in Gl. (XIII.7) zum osmotischen Druck beitragen, gleich sind. Einzelne Ionenarten sind in den Flüssigkeitsräumen mit beträchtlich unterschiedlichen Konzentrationen enthalten. So ist im Intrazellularraum die Konzentration des Kaliums etwa 30mal so groß wie im Extrazellularraum, und für Natrium ist das Konzentrationsverhältnis gerade umgekehrt. Wegen der Konstanz des osmotischen Gesamtdrucks im ganzen Körper können seine Auswirkungen am intakten Organismus nicht beobachtet werden; sie lassen sich jedoch eindrucksvoll an einzelnen Zellen, z.B. an Erythrozyten sichtbar machen, die man dem Organismus entnimmt und in Lösungen verschiedener Konzentration bringt. Ist in der Lösung der osmotische Gesamtdruck geringer als in Erythrozyten (hypotone Lösung), so diffundiert zu-

214

XIII. Thermodynamische Eigenschaften von Stoffen

nächst Wasser durch die semipermeablen Zellwände in die Erythrozyten. Ist die Hypotonie genügend groß, so führt das Hineindiffundieren des Wassers zu einer Quellung der Zelle, und falls die Elastizitätsgrenze der Zellmembran überschritten wird, schließlich zum Platzen. Dadurch, daß man feststellt, bei welcher Konzentration der Lösung die Erythrozyten platzen, überprüft man deren osmotische Resistenz, d.h. die Elastizität der Erythrozytenmembran. Bringt man Erythrozyten in eine Lösung, deren osmotischer Gesamtdruck größer ist als der der Blutzellen (hypertone Lösung), so hat dies einen Wasserverlust und damit ein Schrumpfen der Zellen zur Folge. Nur bei gleichem osmotischem Gesamtdruck in Zelle und Lösung (isotone Lösung) findet kein Wassertransport und damit auch keine Formveränderung der Erythrozyten statt. Werden Gewebeproben dem Organismus entnommen und für Experimente im nativen Zustand verwendet, so müssen sie demnach in isotoner Lösung aufbewahrt werden. Bei der Injektion von hypotonen bzw. hypertonen Lösungen in den Organismus kommt es ebenfalls zu Formveränderungen der Organzellen. Um dies zu vermeiden, sollen nur isotone Lösungen injiziert werden. Osmotische Arbeit der Niere Die Niere ist im Organismus das wichtigste Organ zur Konstanthaltung des osmotischen Drucks. Hierbei wird durch die Niere jedoch nicht nur global der osmotische Druck geregelt. Vielmehr erfolgt die Ausscheidung der gelösten Stoffe aus dem Blutplasma selektiv. Es werden diejenigen Stoffe ausgeschieden, die für den Organismus Abfallprodukte darstellen und von den für den Organismus wichtigen Substanzen diejenigen, von denen auf Grund der Nahrungszufuhr eine zu hohe Konzentration im Plasma vorliegt. Bei der Aufbereitung des Urins aus dem Plasma werden insbesondere die Abfallprodukte beträchtlich angereichert, was durch entsprechende osmotische Arbeit der Niere erreicht wird. Am mengenmäßig wichtigsten Abfallprodukt, dem Harnstoff, soll dies erläutert werden. In 11 Plasma sind normalerweise 0,005 mol Harnstoff gelöst. Im Urin dagegen sind es im Mittel 0,33 mol. Bei einer Urinmenge von 1,51 1 pro Tag entspricht also dessen Gehalt an Harnstoff demjenigen von 1001 Plasma. Physikalisch entspricht dies dem folgenden Sachverhalt: Aus 1001 einer 0,005 molaren Harnstofflösung sind 98,5 1 Wasser entgegen dem osmotischen Druck abzupressen. Dazu ist die folgende Volumenarbeit erforderlich:

wosm =

1,5

-

Í pdV

dV V = 0,5 RT (In 1 0 0 - I n 1,5) = 541 Joule = 0,129 kcal.

215

XIII.3 Stoffgemische

3.7

Phasenübergänge

3.7.1

Umwandlungswärmen

Thermodynamische Zustandsänderungen eines Stoffes bewirken, daß sich die Wechselwirkungskräfte seiner Bausteine (Atome, Ionen) ändern. Dies kann zur Folge haben, daß der Stoff von einem Aggregatzustand in einen anderen übergeht (Kap. V.l). Aus diesem Grund verwandelt sich ein Festkörper bei Erwärmung in eine Flüssigkeit und bei weiterer Temperaturerhöhung in ein Gas. (Diese Zustände eines chemisch einheitlichen Stoffes bezeichnet man auch als Phasen eines Stoffes. Zu den genannten können im Festkörper weitere unterschiedliche Phasen hinzukommen, wenn der Festkörper in verschiedenen Kristallstrukturen existieren kann). Führen wir einem Stück Eis einen konstanten Wärmestrom (— = konst. Ì

V*

J

zu und messen wir seine Temperatur, so zeigt sich, daß die Temperatur entsprechend der Erhöhung der inneren Energie des Eises mit der zugeführten Wärmemenge steigt. Bei Erreichen der Schmelztemperatur Tsm, wenn also die Phasenumwandlung von Eis zu Wasser erfolgt, bleibt die Temperatur trotz weiterer Wärmezufuhr konstant (Abb. XIII. 3 und Tab. XIII.4. Sie steigt erst wieder, wenn alles Eis in Wasser umgewandelt ist. Der gleiche Vorgang wird bei Erreichen der Siedetemperatur T si beobachtet.

Verdampfungs-

Abb. XIII.3

Umwandlungswärmen.

• Nach Abb. XIII.3 ist offensichtlich Wärmeenergie erforderlich, um die Phasenübergänge fest -flüssig (Schmelzen) bzw. flüssig - gasförmig (Sieden) zu ermöglichen, ohne daß diese Wärmemengen eine Temperaturerhöhung bewirken. Man nennt diese Wärmemengen, die zur Umwandlung verschiedener Phasen ineinander erforderlich sind, latente Wärmen oder U mwandlungswärmen. Bezogen auf 1 kg Substanz bzw. 1 mol werden sie als spezifische bzw. molare

XIII. Thermodynamische Eigenschaften von Stoffen

216

Umwandlungswärmen bezeichnet. Dazu gehören die spezifische Schmelzwärme und die spezifische Verdampfungswärme. Die als Umwandlungswärmen bezeichneten Energien sind erforderlich, um gegen Bindungskräfte Arbeit zu verrichten, sei es, um beim Schmelzvorgang die Kristallstruktur aufzubrechen oder um bei der Verdampfung die Abstände zwischen den Molekülen genügend zu vergrößern. Tab. XIII.4

Spezifische Umwandlungswärme

in J kg~ 1 von Wasser.

Phasenübergang

q„

fest-flüssig (Schmelzen)

105 5 « 2 8 • 10 5 22,6 · 10

fest-gasförmig (Sublimation bei 0 °C) flüssig-gasförmig (Verdampfen)

3,35 ·

Neben den Umwandlungen fest - flüssig und flüssig - gasförmig ist auch die Phasenumwandlung fest - gasförmig möglich. Diesen Vorgang nennt man Sublimation, die dazu nötige latente Wärme pro kg Substanz die spezifische Sublimationswärme. Als Beispiel sei die Sublimation von festem C 0 2 (Trockeneis) genannt. In Näherung ist die Sublimationswärme gleich der Summe aus Schmelzwärme und Verdampfungswärme, denn zur Sublimation ist sowohl die Zerstörung der Festkörperstruktur als auch die Volumenvergrößerung beim Übergang zum Gaszustand erforderlich. Zu den latenten Wärmen zählt auch die zur Umwandlung verschiedener Kristallstrukturen eines Festkörpers nötige Wärmeenergie (Phasenübergang fest-fest). Beispiele sind die Strukturumwandlungen von Eis bei etwa — 80°C und von Zinn unterhalb der Raumtemperatur (Zinnpest). Senken wir die Temperatur eines Gases, so wird die Kurve der Abb. XIII.3 in umgekehrter Reihenfolge durchlaufen. Die Verdampfungswärme, die als latente Wärme im Gas gespeichert ist, wird wieder an die Umgebung abgegeben, wenn das Gas die Siedetemperatur Tsi erreicht und bei dieser Temperatur zur Flüssigkeit kondensiert. Derselbe Vorgang wiederholt sich, wenn die Schmelztemperatur Tsm erreicht wird und die Flüssigkeit bei dieser Temperatur erstarrt. 3.7.2

Lösungswärmen

Beim Lösen einer festen Substanz in einer Flüssigkeit wird die Gitterstruktur an der Phasengrenzfläche fester Stoff - Flüssigkeit aufgebrochen, und die gelösten Teilchen breiten sich infolge der Wärmebewegung in der Flüssigkeit gleichmäßig aus. Lösen sich im speziellen Fall nur Ionen mit gleichnamiger elektrischer Ladung, dann können rücktreibende Coulombkräfte dem Lö-

XIII.3 Stoffgemische

217

sungsvorgang Einhalt gebieten (vgl. Kap. XIV. 3). Ist zum Lösen Arbeit gegen die Kohäsionskräfte nötig, so wird der Flüssigkeit Energie entzogen, wodurch sich diese abkühlt. Dieser Effekt ist besonders ausgeprägt bei Ammoniumnitrat oder Salmiaksalz. Umgekehrt gibt es Lösungsvorgänge, beispielsweise von Ätznatron oder Calciumchlorid in Wasser, bei denen Wärme entsteht. Dabei wird durch besonders starke Wechselwirkungen zwischen den gelösten Teilchen und den Teilchen des Lösungsmittels mehr Energie frei, als zur Auflösung des Gitters nötig ist. Je nachdem, ob bei der Lösung eines Stoffes insgesamt Wärmeenergie verbraucht oder freigesetzt wird, nennt man die Lösungsreaktion endotherm oder exotherm. Verläuft der Lösungsvorgang endotherm, so wird er mit steigender Temperatur begünstigt, die Sättigungskonzentration des gelösten Stoffes nimmt mit der Temperatur zu. Umgekehrt wird die Löslichkeit eines Stoffes, der sich unter Wärmeabgabe (exotherm) löst, mit zunehmender Temperatur sinken. Je mehr Wärme beim Lösen verbraucht bzw. frei wird, desto stärker wird sich die Löslichkeit bei Variation der Temperatur ändern, desto steiler verlaufen die sog. Löslichkeitskurven (Abb. XIII.4). Die entstehende bzw. verbrauchte Wärme kann entweder auf 1 kg oder i mol der gelösten Substanz bezogen werden. Wir sprechen dann entweder von spezifischer oder molarer Lösungswärme.

Abb. XIII.4

3.7.3

Löslichkeitskurven für NaCl, N H 4 Cl und K N 0 3 in H 2 0 .

Reaktionswärmen

Jede chemische Reaktion besteht darin, daß chemische Bindungen, d.h. Wechselwirkungen zwischen Atomen geändert werden. Diese Wechselwirkungen können bei den Reaktionsprodukten stärker oder schwächer sein als bei den Ausgangsstoffen. Entsprechend wird bei der Reaktion Energie mit der Umgebung ausgetauscht und zwar meist in Form von Wärmeenergie. Sie wird als Bildungswärme oder Wärmetönung der Reaktion bezeichnet, und man unterscheidet zwischen exothermen Prozessen (mit Wärmeentwicklung) und endothermen Prozessen (unter Wärmeaufnahme ablaufende Prozesse). Diese

218

XIII. Thermodynamische Eigenschaften von Stoffen

Bildungswärme läßt sich kalorimetrisch (siehe Kap. VII. 2) bestimmen, und in die Reaktionsformel symbolisch einbeziehen, indem wir z. B. für die exotherme Reaktion von Pb und S schreiben: [Pb] + [S] = [Pb S] + 7,7 · IO3 J, wobei die eckigen Klammern andeuten sollen, daß es sich um jeweils ein Mol fester Substanz handeln soll. Also haben 1 mol festen Bleis und 1 mol festen Schwefels zusammen einen um 7,7 kJ höheren Energieinhalt als 1 mol Pb S. Der 1. Hauptsatz besagt nun, daß die Energiedifferenz immer dieselbe sein muß, wie auch die Reaktion abläuft, ob direkt oder über Zwischenstufen. Man kann also Teilreaktionen kalorimetrisch ausmessen und damit auf komplizierter Reaktionen schließen, die der Messung schwerer zugänglich sind. Ebenso kann man die Wärmetönung von Reaktionen durch Differenzbildung bestimmen. Ein Beispiel: Will man die Bildungswärme einer organischen Verbindung ermitteln, so verbrennt man einmal die Verbindung und dann die Ausgangssubstanzen. Der Unterschied der bei den beiden Verbrennungen freiwerdenden Wärmemenge ist dann gleich der gesuchten Bildungswärme.

3.7.4

Dampfdruck

Ist ein Gefäß teilweise mit einer Flüssigkeit gefüllt und verschlossen, so befinden sich auch in dem Gasraum über der Flüssigkeit Moleküle des flüssigen Stoffes, denn einige Flüssigkeitsmoleküle haben der Boltzmann'sehen Geschwindigkeitsverteilung zufolge Geschwindigkeiten, die ausreichen, um gegen die Oberfläche anzulaufen und diese zu durchdringen, d.h. zu verdampfen. Ihre Zahl hängt nach Gl. (X.6) von der Temperatur der Flüssigkeit ab; sie steigt mit wachsender Temperatur. Da nur die schnellsten Moleküle, deren Translationsenergie sehr viel größer ist als die mittlere thermische Energie, die Flüssigkeit verlassen, kann sich der Rest der Flüssigkeit bei dem Verdampfungsvorgang merklich abkühlen; ihm wird Verdampfungswärme entzogen. Die Abkühlung infolge Verdampfung ist zu spüren, wenn man sich z. B. Äther über die Hand schüttet. Auf demselben Prinzip beruht die örtliche Anästhesierung, z. B. durch Äthylchlorid. Treffen Moleküle aus der Gasphase wieder auf die Flüssigkeitsoberfläche, so können sie dort kondensieren; sie werden also von der Flüssigkeit wieder eingefangen. So stellt sich an der Oberfläche ein dynamisches Gleichgewicht ein, indem ebenso häufig Moleküle aus der Flüssigkeit in den Gasraum gelangen, wie umgekehrt Moleküle aus dem Gas wieder kondensieren. Für H 2 0 bei Raumtemperatur stellt sich dieses Gleichgewicht bei einem Druck des Dampfes über der Flüssigkeit (Sättigungsdampfdruck) von 2400 Pa ( « 18 Torr) ein. Pro Sekunde und m 2 der Oberfläche passieren dann etwa 10 2 6 Moleküle die Oberfläche in Richtung Gas und ebenso

XIII.3 Stoffgemische

219

viele kondensieren. D a aber pro m 2 nur 10 19 Moleküle Platz haben, können wir ausrechnen, daß die Aufenthaltsdauer der Moleküle an der Oberfläche nur etwa 10" 7 s beträgt.

Die Zahl der in einem Gefäß pro Sekunde verdampfenden Moleküle und damit der Sättigungsdampfdruck p s hängen nur von der jeweiligen Temperatur der Flüssigkeit ab, nicht aber vom äußeren Druck. Auch die Anwesenheit anderer Gase läßt den Sättigungsdampfdruck, d.h. den Partialdruck, unbeeinflußt. Wenn die Flüssigkeit schließlich vollständig verdampft ist, entsteht durch weitere Wärmezufuhr sogenannter überhitzter oder ungesättigter Dampf. Befindet sich eine Flüssigkeit in einem offenen Gefäß, so werden die Moleküle in der Gasphase wegdiffundieren und nach und nach wird die gesamte Flüssigkeit verschwinden. • Den Verdampfungsvorgang an der Flüssigkeitsoberfläche unterscheiden wir vom Siedevorgang. Erhöht man die Temperatur einer Flüssigkeit in einem offenen Gefäß, so wird bei einer bestimmten Temperatur ihr Sättigungsdampfdruck gleich dem konstanten Außenluftdruck, und es können sich gegen den auf der Flüssigkeit lastenden Außendruck im Innern der Flüssigkeit Gasblasen bilden. Die Verdampfung von der Oberfläche bezeichnen wir als Verdunsten, und die Verdampfung aus dem ganzen Flüssigkeits-Innern nennen wir Sieden. Die Verdunstung ist besonders bedeutsam für die Regelung der Körpertemperatur. Bei hohen Außentemperaturen, wenn also durch Wärmeleitung und Wärmestrahlung (vgl. Gl. (XIII.3) nicht genügend Energie abgegeben werden kann, kommt es zur Absonderung von Schweiß. Bei dessen Verdunstung wird der Oberfläche des Körpers die entsprechende Verdunstungswärme entzogen, wodurch es zur Abkühlung kommt.

Die Siedetemperatur T si hängt vom Außendruck ab, wobei dieser durch die Differenz von Gesamtdruck im Gasraum und Partialdruck der Flüssigkeit gegeben ist. Ist der Außendruck geringer als 105 Pa ( ~ 1 atm), so siedet Wasser bereits bei Temperaturen unter 100 °C. In der Atmosphäre nimmt der Druck mit der Höhe ab, deshalb sinkt der Siedepunkt von Wasser alle 300 m um etwa 1 °C. Auf der Zugspitze kocht Wasser daher schon bei 90 °C. Andererseits steigt T si , wenn der Außendruck erhöht wird. Dies hat man sich früher z.B. in den Hochdruckdampfmaschinen zunutze gemacht; auch die Wirkung des Schnellkochtopfes beruht darauf, daß man durch größeren Druck den Siedepunkt des Wassers erhöht. In der Atmosphäre stellt sich infolge der Verdunstung aus Gewässern, Erde und Pflanzen ein H 2 0-Partialdruck ein, der geringer ist als der Sättigungsdampfdruck. Der Wasserdampfgehalt, den wir auch als absolute Luftfeuchtigkeit (SI-Einheit kg (H 2 0)/m 3 ) bezeichnen, liegt also unter dem bei der herrschenden Temperatur maximal möglichen Wert; wir können diesen Zustand auch durch die Angabe der relativen Luftfeuchtigkeit charakterisieren, indem wir angeben, wieviel Prozent von der maximal möglichen Luftfeuchtigkeit

220

XIII. Thermodynamische Eigenschaften von Stoffen

die bei der vorgegebenen Temperatur herrschende absolute Luftfeuchtigkeit beträgt. Wie an der Phasengrenze flüssig-gasförmig, so wird auch über einem festen Körper ein Dampfdruck erzeugt, und zwar durch Sublimation. Für den Sättigungs-Sublimationsdruck gilt gleichermaßen, daß er von der Temperatur abhängt; der Sublimationsdruck über einem festen Körper ist normalerweise wesentlich niedriger als der Dampfdruck über einer Flüssigkeit. • Zusammenfassend stellen wir fest: Die Zahl der pro Sekunde aus einer Oberfläche austretenden Moleküle hängt nur von der Temperatur ab, die Zahl der rückkondensierenden jedoch vomDampfdruck. Sorgt man dafür, daß dieser Dampfdruck kleiner ist als der Sättigungsdampfdruck (bzw. Sättigungs-Sublimationsdruck), so wird der flüssige (feste) Stoff solange verdampfen (sublimieren), bis er verschwunden ist. Blasen wir über eine Tasse mit heißem Kaffee, so kühlt er nicht nur durch Konvektion mit der kälteren Atemluft ab, sondern auch weil wir damit den Dampfdruck des verdunstenden Wassers herabsetzen. Technische Anwendung des Verdampfungsvorganges finden wir bei der Salzgewinnung, bei der H 2 0 aus Meerwasser durch Sonneneinstrahlung verdunstet oder Salzsole eingekocht wird. Die Sublimation wird technisch genutzt bei der Gefriertrocknung (Lyophilisation). Hierbei wird eine wasserhaltige Substanz (z.B. Kaffee, Milch, Proteine usw.) gefroren ( — 20 bis — 50 °C), und dann wird durch Vakkumpumpen das sublimierende Wasser abgesaugt, bis die Trockensubstanz übrig bleibt. Vorteil der Gefriertrocknung gegenüber dem Einkochen ist, daß der Vorgang bei tiefen Temperaturen ablaufen kann und dabei wichtige Teile der Substanz unverändert erhalten bleiben (Eiweißgerinnung bei Temperaturen über ca. 40 °C). Die Gefriertrocknung dient auch als Verfahren für die Fixierung von Gewebeschnitten zur lichtmikroskopischen bzw. elektronenmikroskopischen Beobachtung. Wegen der besseren Erhaltung der Zellstruktur wird sie hierfür in zunehmendem Maße angewandt. 3.7.5

Dampfdruckerniedrigung, Siedepunktserhöhung und Gefrierpunktserniedrigung

Lösen wir Salz in Wasser, so ist die Wechselwirkung zwischen gelösten SalzIonen und den Molekülen des Lösungsmittels stärker als diejenige zwischen den Lösungsmittel-Molekülen. Daher muß eine größere Arbeit verrichtet werden, um ein Molekül des Lösungsmittels aus dem Verband der Lösung herauszunehmen als aus dem reinen Lösungsmittel. Bei gleicher Temperatur ist deshalb der Dampfdruck des Lösungsmittels über einer Lösung geringer als über dem reinen Lösungsmittel. Der gelöste Stoff bewirkt also bei festgehaltener Temperatur eine Dampfdruckerniedrigung Δρ des Lösungsmittels. Sie ist proportional zur Konzentration der gelösten Substanz. Da die Flüssig-

221

XIII.3 Stoffgemische

keit bei derjenigen Temperatur siedet, bei der ihr Dampfdruck gleich dem äußeren Luftdruck ist, hat die Erniedrigung des Dampfdruckes eine Siedepunktserhöhung zur Folge (siehe Abb. XIII.5).

Abb. XIII.5 Siedepunktserhöhung zlT5i (im Diagramm stark übertrieben), (i) Dampfdruckkurve des Lösungsmittels, (2) Dampfdruckkurve der Lösung.

Tsi Tsi LösungsLosung mittel

Von Raoult wurde gefunden, daß die Siedepunktserhöhung Δ Tsi bei niedrigen Konzentrationen des gelösten Stoffes zur Molalität der Lösung (Kap. XIII. 3.1) M o i proportional ist:

c

= Tsi> Lösung

^ s i , Lösungsmittel

~-^

C

Mol·

(XIII.8)

Dabei ist A für alle Lösungen desselben Lösungsmittels gleich, unabhängig von der Art des gelösten Stoffes. Bei Wasser als Lösungsmittel ergibt sich für die konstante A der Wert 0,5 Κ mol" 1 . Infolge der starken Wechselwirkungskräfte zwischen Lösungsmittel und gelöstem Stoff ist auch der Gefrierpunkt einer Lösung von dem des Lösungsmittels verschieden, und zwar ist er niedriger; eine Lösung zeigt also eine Gefrierpunktserniedrigung. Wir können uns vorstellen, daß die gelösten Atome als Fremdkörper die Ausbildung der regelmäßigen Gitterstruktur beim Gefrieren behindern, und daß daher die thermische Energie weiter herabgesetzt werden muß, damit dennoch die Kristallisation einsetzt. In sog. Kältemischungen wird dies praktisch ausgenutzt; in konzentrierten wässrigen Kochsalzlösungen liegt der Erstarrungspunkt bei — 20 °C. Kühlt man eine solche Lösung weiter ab, so gefriert zuerst das reine Lösungsmittel. An der Grenzfläche zwischen Lösung und festem Lösungsmittel wirken die gelösten Teilchen mit, Lösungsmittelmoleküle aus dem festen Verband herauszulösen. Hieraus folgt, daß die Schmelzwärme der Lösung geringer sein muß als die des reinen Lösungsmittels. Dies bedeutet wiederum, daß der Schmelzvorgang in der Lösung bei niedrigerer Temperatur als im reinen Lösungsmittel einsetzt. Diese Erniedrigung des Schmelzpunktes (Gefrierpunktes) der Lösung gegenüber dem reinen Lösungsmittel ist nach Raoult wiederum proportional zur Molalität der Lösung:

222

XIII. Thermodynamische Eigenschaften von Stoffen

ΛΤs m = Ts m ,

Lösungsmittel

- τ .s m ,

Lösung

= Κ cMol*

(XIII.9)

Bei Wasser ist Β = 1,86 Κ mol - 1 . Praktisch wenden wir die Gefrierpunktserniedrigung an, wenn wir vereiste Straßen a uftauen, indem wir Salz streuen. 3.7.6

Koexistenz von Phasen, Phasengleichgewichte

Neben der Möglichkeit, daß eine Substanz nur in einem Aggregatzustand bzw. in einer Phase vorhanden ist, gibt es thermodynamische Zustände (d.h. bestimmte Werte von ρ und T), bei denen zwei Phasen im Gleichgewicht nebeneinander vorliegen. • Bei einem bestimmten Wert für Druck und Temperatur schließlich existieren sogar alle drei Aggregatzustände im Gleichgewicht nebeneinanDieser Punkt wird der Tripelpunkt (pT, TT) genannt. Dieses Verhalten läßt sich im p-T-Zustandsdiagramm überschauen. In Abb. XIII.6 ist es für H 2 0 dargestellt. Bei niedriger Temperatur und hohen Drucken

Ττ =273,16 Κ (0.01 °C)

Τκ= 547,3 Κ

Τ

Abb. XIII.6 ρ-Τ-Zustandsdiagramm (Phasendiagramm) von Wasser. (1) Sublimationskurve, (2) Schmelzkurve, (3) Dampfdruckkurve. T P = Tripelpunkt, K P = kritischer Punkt.

liegt Wasser ausschließlich als Eis vor (gestrichelter Bereich), im Bereich mittlerer Drucke und Temperaturen existiert es in der flüssigen Phase (mit Wellenlinien bezeichneter Bereich), bei höheren Temperaturen dagegen nur in der Gasphase (gepunkteter Bereich). Fällt der p-T-Zustand dagegen auf die Kurve (1), die Sublimationskurve, so kann das Eis sublimieren, es ist also mit der gasförmigen Phase im Gleichgewicht. Die Kurve (2), die Schmelzkurve, trennt die Bereiche fester und flüssiger Phase voneinander. Für alle Zustände, die durch p- und T-Werte auf dieser Kurve gekennzeichnet sind, stehen feste und flüssige Phase im Gleichgewicht. Schließlich kann der p-T-Zustand auf die Kurve (3),

XIII.3 Stoffgemische

223

die Dampfdruckkurve, fallen, längs der die flüssige und gasförmige Phase koexistieren. Die Dampfdruckkurve endet beim kritischen Punkt (pK, T K ), den wir bereits bei der Diskussion der realen Gase kennengelernt haben. Im Schnittpunkt der Kurven (1), (2) und (3), dem sogenannten Tripelpunkt, sind alle drei Phasen miteinander im Gleichgewicht. F ü r begrenzte Zeiten können unterschiedliche Phasen auch außerhalb der Koexistenzkurven nebeneinander existieren, ζ. B. wenn man Eiswürfel in ein Glas Wasser von Raumtemperatur wirft. Allerdings befinden sie sich dann nicht mit dem Wasser im thermischen Gleichgewicht; das Eis verschwindet mit der Zeit. Im Zustandsdiagramm ist solch ein Fall nicht enthalten; hier sind nur Gleichgewichtszustände dargestellt.

Die Steigung dp/dT der drei Koexistenzkurven bei einer vorgegebenen Temperatur Τ wird durch die Clausius-Clapeyron sehe Gleichung mit der zugehörigen molaren Umwandlungswärme verknüpft:

Hier bedeuten Va und V b die Volumina, die ein Mol eines Stoffes in den beiden Phasen a und b einnimmt. Auf der Schmelzkurve ist für die Umwandlungswärme qu die Schmelzwärme einzusetzen, auf der Dampfdruckkurve entsprechend die Verdampfungswärme. Nähert man sich auf der Dampfdruckkurve dem kritischen Punkt ( K P in Abb. XIII.6), so geht die Verdampfungswärme gegen Null; zugleich wird der Unterschied der Volumina der flüssigen und der gasförmigen Phase geringer. A m kritischen Punkt haben beide Phasen gleiche Dichte; daher ist oberhalb K P eine Unterscheidung zwischen Gas und Flüssigkeit nicht mehr sinnvoll. Auf eine Eigenheit des p-T-Diagrammes von H 2 0 sei hingewiesen: Die Schmelzkurve (2) ist leicht nach links geneigt. Physikalisch bedeutet dies, daß man aus einem festen Zustand nahe der Kurve durch Kompression in den Bereich der flüssigen Kurve gelangt. Dieses Verhalten hängt mit der Dichteanomalie des Wassers (Kap. XIII. 1) zusammen; durch Übergang in den flüssigen Zustand kann sich bei der Kompression das Volumen verringern. Bei anderen Stoffen wie C 0 2 ist die Schmelzkurve leicht nach rechts geneigt, so daß sich festes C 0 2 bei geeigneter, festgehaltener Temperatur unter Druckerniedrigung verflüssigt oder gar verfestigt (Trockeneisherstellung). Erfolgt der Verdampfungsvorgang an Luft, d. h. bei konstantem Außendruck, so müssen wir beachten, daß der Druck ρ im Phasendiagramm nicht den Außendruck, sondern den Partialdruck des Wasserdampfes angibt. Befinden wir uns auf der Verdampfungskurve bei einem Partialdruck, der kleiner ist als der Außendruck, so erfolgt die Verdampfung nur an der Flüssigkeitsoberfläche, und wir nennen den Vorgang verdunsten. Bei Zunahme der Temperatur steigt der Sättigungsdampfdruck. Erreicht er den Wert des Außendrucks, so kann der Verdampfungsvorgang aus dem gesamten Flüssigkeitsvolumen durch Bildung von Dampfblasen erfolgen, weil jetzt der Dampfdruck in den Gasblasen gleich dem Außendruck ist. Diesen Vorgang haben wir als Sieden kennengelernt.

Elektrizitätslehre XIV. Elektrische und magnetische Größen XIV. 1 Vorbemerkung Mit der Beschreibung elektrischer Phänomene betreten wir kein völlig neuartiges Feld von Naturerscheinungen; vielmehr haben wir die elektrischen Kräfte bereits als die Ursache des atomaren (mikroskopischen) Aufbaues aller Materie kennengelernt und gesehen, daß es - genau genommen - die elektrischen Kräfte sind, die neben der Gravitationskraft die mechanischen und thermischen Eigenschaften der Stoffe bestimmen. Daß wir trotzdem von den elektrischen Ursachen bei den makroskopischen Theorien der Mechanik und Wärme absehen konnten, hat folgenden Grund : Elektrische Ladungen können beiderlei Vorzeichen tragen. Da sich beim Aufbau makroskopischer Stoffe die elektrischen Ladungen beiderlei Vorzeichens gegenseitig kompensieren können - die Summe aller Ladungen dann also gleich Null ist - , sind makroskopische Körper meist elektrisch neutral. Bei ihrer Beschreibung durch makroskopische Größen (Elastizitätsmodul, Viskosität, Wärmeleitung, etc.) können wir daher deren elektrische Ursachen außer acht lassen. Erst zur Erklärung im mikroskopischen Modell müssen diese herangezogen werden. Nur wenn sich in makroskopischen Körpern die elektrischen Ladungen nicht vollständig kompensieren, also ein Ladungsüberschuß eines Vorzeichens besteht, beobachten wir an ihnen makroskopische Wirkungen elektrischer Kräfte. Da diese Ladungsüberschüsse normalerweise äußerst klein sind, erscheinen uns im Alltag die resultierenden elektrischen Kräfte - verglichen etwa mit den Gravitationskräften - nicht in der Stärke, die der Gesamtzahl der Ladungen ohne Berücksichtigung ihrer Vorzeichen entspräche. Ln den folgenden Kapiteln wollen wir uns hauptsächlich mit den makroskopischen Auswirkungen der elektrischen Kräfte, den Spannungen, Strömen, Widerständen etc. befassen. Dabei soll nach der Einführung von Ladung und Spannung die elektrische Stromstärke am Anfang stehen, da diese im Lnternationalen Einheitensystem als Basisgröße verwendet wird.

XIV.2 Ladung

225

XIV. 2 Ladung 2.1

Ladungsmenge

Wie die Gravitationsladung (= schwere Masse), so ist auch die elektrische Ladung eine Eigenschaft der Materie; Träger dieser Ladungen sind die Elementarteilchen (Kap. II.1). Während elektrische Ladung stets an Masse gebunden ist, läßt sich dies nicht allgemein umkehren: Es gibt Elementarteilchen, die Masse jedoch keine elektrische Ladung besitzen (z. B. das Neutron). Die SI-Einheit der elektrischen „Ladungsmenge" („Ladung") ist Coulomb (C); sie ist, wie wir noch sehen werden (Kap. XIV.4), identisch mit der SI-Einheit Ampere Sekunde (A s). Die durch einen Blitz zwischen Wolke und Erde transportierte Ladungsmenge beträgt größenordnungsmäßig i C. • Träger der kleinsten bekannten negativen elektrischen Ladung ist das Elektron, man nennt diese Ladung die negative elektrische Elementarladung. Ihr Zahlenwert in SI-Einheiten: e = 1,602 · IO - 1 9 C. Das positiv geladene Proton trägt ebenfalls eine Elementarladung, jedoch positiven Vorzeichens. Die Kraft zwischen den Ladungen geladener Elementarteilchen ist größer als diejenige zwischen ihren Massen. So ist die elektrische Kraft (CoulombKraft) zwischen zwei Elektronen rund 1042 mal größer als deren Massenanziehungskraft (Gravitationskraft). Die elektrischen Ladungen können im Gegensatz zu Gravitationsladungen unterschiedliche Vorzeichen aufweisen, die elektrischen Wechselwirkungs-Kräfte können also sowohl anziehend als auch abstoßend sein. Als wesentliche Konsequenz aus dieser Tatsache wurde in der Einleitung bereits die Möglichkeit erwähnt, daß elektrische Ladungen, nicht aber Gravitationsladungen sich in ihrer Wirkung kompensieren können. Mit der elektrischen Ladung Q eines Körpers gibt man die Summe aller in ihm enthaltenen Elementarladungen an, wobei bei der Summenbildung die Ladungsvorzeichen zu berücksichtigen sind. In Körpern, die ebenso viele Elektronen wie Protonen aufweisen, kompensieren sich diese Elementarladungen, so daß z. B. jedes Atom nach außen hin elektrisch neutral erscheint. Entzieht man einem Atom eine negative Elementarladung (durch Wegnahme eines Elektrons), so ist der Rest, Kaiion genannt, nach außen hin Träger einer elektrischen Elementarladung. Stellen Z p bzw. Z e die Zahlen positiver bzw. negativer Elementarladungen im Atom dar, so gilt für ein einfach (zweifach, dreifach...) geladenes Kation: Z p - Z e = l , 2 , 3,... Erhält umgekehrt ein Atom ein zusätzliches Elektron und kann es dieses festhalten, so besitzt es negative Überschußladung und wird als Anion bezeichnet.

226

XIV. Elektrische und magnetische Größen

Je nach der Zahl der fehlenden oder überschüssigen Elektronen kann also ein Stoff positiv oder negativ geladen sein. • Ladungen können weder erzeugt noch vernichtet werden, d. h. die Summe aller ladungen in einem abgeschlossenen System ist konstant. Dieses Gesetz wird als Erhaltungssatz für die elektrische Ladung bezeichnet. Kontinuierliche und gequantelte Größen Die physikalischen Größen der klassischen Physik wie Energie oder elektrische Ladung sind makroskopisch betrachtet durchwegs kontinuierlich veräderlich. Dies gilt nicht mehr in der mikroskopischen Welt der Atome bzw. Elementarteilchen. Hier erweisen sich, wie in der Quantentheorie allgemein gezeigt wird, Energie, Drehimpuls, elektrische Ladung usw. als physikalische Größen, die nur in Schritten geändert werden können; sie sind gequantelt. Sie sind diskontinuierlich, und für ihre kleinstmöglichen Mengen ist die Bezeichnung Quant oder Elementar-Quantum eingeführt worden. Das Quant der elektrischen Ladung ist die Elementarladung. Wegen begrenzter Meßgenauigkeiten ist es unmöglich, bei großen Ladungsmengen die diskontinuierliche Änderung durch Zugabe einzelner Elektronen zu messen. Lädt man zum Beispiel eine Kondensatorplatte mit IO10 Elektronen auf, so gibt es keine Meßmethode, die es gestatten würde, die Änderung der Gesamtladung zu messen, wenn ein einzelnes Elektron hinzukommt. Die Ladung erweist sich somit als quasi-kontinuierlich, und wir können im Rahmen der klassischen Elektrizitätslehre die Ladungsmenge Q als stetige Variable ansehen, solange sie sich aus einer großen Anzahl von Elementarladungen zusammensetzt. Entsprechendes gilt übrigens, wie wir später sehen werden, für die Intensität des L.ichtes; sie ist im mikroskopischen Bild proportional der Anzahl von Lichtquanten pro Zeit und Fläche und damit eine diskontinuierliche, im makroskopischen Bild als Lichtenergie pro Zeit und Fläche aber eine kontinuierliche Größe. Ein weiteres Beispiel ist der radioaktive Zerfall. Hier kann sich die Zahl radioaktiver Atome nur in ganzzahligen Schritten ändern; das makroskopische Zerfallsgesetz (Kap. XXI.2.3) jedoch beschreibt den radioaktiven Zerfall als kontinuierlichen Vorgang.

2.2

Kraft zwischen elektrischen Ladungen

Als Kraft zwischen zwei Punktladungen haben wir bereits in Kap. V.l.l die Coulomb-Kraft kennengelernt: •

(XIV. 1) wobei Q, und Q 2 die Ladungsmengen und r den Abstand zwischen beiden Ladungen bedeuten, und die Konstante y den Wert ( 4 π ε 0 ) _ 1 = = 8,987 · IO9 V m C~1 besitzt (ε 0 wird in Gl. XIV.43 definiert werden).

Die Richtung des Kraftvektors F weist längs der Abstandsgeraden. Bei ausgedehnten geladenen Körpern findet man im Prinzip die resultierende Kraft dadurch, daß man alle zwischen den einzelnen Ladungen wirkenden Kräfte vektoriell addiert. Dabei kann, wie wir schon am Beispiel der Dipolkräfte (Kap. V.l.l) gesehen haben, die Abhängigkeit der resultierenden Kraft vom Quadrat des Abstandes verloren gehen; für die Dipolwechselwirkung gilt F ~ 1/r7. Zwei gegeneinander isolierte ebene Platten (Plattenkondensator) mit den Flächen A, die mit der Ladung 4- Q bzw. — Q aufgeladen sind, ziehen sich

XIV. 3 Spannung

227

gegenseitig mit einer resultierenden Kraft an, die unabhängig vom Abstand der Platten ist (Tab. XIV. 1), solange dieser nicht zu groß wird.

Probenform ©«

Γ

·θ

Abstandsabhängigkeit der Kraft

zwei Punktladunger

1

"3

Punktladung vor ebener Metallplatte

F

zwei Dipole

F ~

zwei ebene, gegeneinander isolierte. parallele

F

~ "lì

unabhängig von r

Metallplatten

Tab. XIV. 1 Abstandsabhängigkeit der Kraft zwischen zwei elektrischen Ladungen.

XIV. 3 Spannung In der Mechanik (Kap. V.2.2) haben wir Spannungen, wie die Zugspannung, die Druckspannung und die Oberflächenspannung kennengelernt. In der Elektrizitätslehre begegnet uns der Begriff der Spannung erneut, hat hier jedoch eine andere Bedeutung als in der Mechanik, wie wir in diesem Kapitel sehen werden.

3.1

Definition der Spannung

Zwei mit Ladungen entgegengesetzten Vorzeichens Q t bzw. Q 2 elektrisch geladene Körper sollen sich im Abstand r 0 gegenüberstehen. Verschieben wir nun den einen Körper längs der Strecke r entgegen der zwischen beiden Körpern wirkenden anziehenden Coulomb-Kraft F (Gl. XIV. 1), so muß dazu nach Gl. (III.2) die Verschiebungsarbeit W verrichtet werden: ro + r

w=

J F dr.

(XIV.2)

Γο

Sie wird als potentielle Energie in dem aus den beiden Körpern gebildeten System gespeichert. Losgelassen, werden sich die beiden Körper aufgrund der Coulomb-Kraft wieder aufeinander zu bewegen, wobei die potentielle Energie in kinetische Energie umgewandelt wird. Wollen wir nun den Einfluß der Ladung Q 2 auf die potentielle Energie des

228

XIV. Elektrische und magnetische Größen

Systems betrachten, so führen wir als neue physikalische Größe den Quotienten W/Q t ein: W 1 7Γ = 7Γ



Vi

VI

T

°ÎT -F d — r Í ro

(XIV.3)

W/Qj wird als die elektrische Spannung bezeichnet und charakterisiert den Unterschied zwischen den potentiellen Energien des Systems bei den Abständen r 0 bzw. r 0 + r; daher auch die Bezeichnung Potentialdifferenz. Ihre SI-Einheit ist Joule/Coulomb und wird Volt (V) genannt. Von der elektrischen Spannung leitet sich eine in der Atom- und Kernphysik häufig verwendete Energieeinheit ab: • Verschiebt man nämlich eine elektrische Elementarladung e gegen die Spannung U = i V, so ist dazu die Energie W = 1 V · 1,602 · 10" 19 C = 1,602 · 10" 19 J erforderlich. Diesen Energiebetrag bezeichnet man als 1 Elektronenvolt (auch e-Volt oder e V genannt).

3.2

Spannungsquellen

Galvanische Elemente waren die ersten künstlichen Quellen elektrischer Energie. Ohne sie müßten wir heute unser Auto wie zu Großvaters Zeiten mit der Handkurbel anwerfen. - Das Prinzip eines Galvanischen Elements als Gleichspannungsquelle beruht auf der unterschiedlichen Lösungstension (Löslichkeit) verschiedener Materialien in einem Elektrolyten. Tauchen wir einen Metallstab in eine Flüssigkeit, dann gehen wegen der zwischen den Metallionen und Flüssigkeitsteilchen bestehenden Adhäsionskräfte einzelne positive Metallionen in Lösung (Solvatation, Kap. XIII. 3.4). Die Leitungselektronen bleiben aber im Metallstab zurück. Mit zunehmender Ladungstrennung baut sich daher zwischen dem Inneren des Metalls und der Lösung eine elektrische Spannung auf. Verschiedene Metalle, zum Beispiel Zink (Z) und Kupfer (Cu), besitzen unterschiedliche Lösungstension, das heißt, unterschiedliches Bestreben, in Lösung zu gehen. Aus diesem Grunde ist die Spannung zwischen Zn-Stab und Lösung L, U (Zn, L), verschieden von der zwischen Cu-Stab und Lösung, U (Cu, L). Damit entsteht auch eine Spannung zwischen Zn-Stab und Cu-Stab (Abb. XIV. 1); sie ergibt sich zu U(Zn, Cu) = U(Zn, L) — U(Cu,L).

(XIV.4)

In H 2 0 ist die Lösungstension von Zn und Cu und damit die Spannung U(Zn, Cu) sehr gering. Man kann sie vergrößern durch Zugabe von H 2 S 0 4

XIV.3 Spannung

229

und erhält dadurch einen wesentlich effektiveren Elektrolyten. Die in Abb. XIV. 1 gezeigte Anordnung vermag also als Spannungsquelle zu dienen; man nennt sie ein Galvanisches Element. Wegen der höheren Lösungstension des Zn gegenüber der des Cu ist verständlich, daß das Element seinen negativen Pol beim Zn hat. Diesen nennt man die negative Elektrode {Kathode), den Cu-Stab die positive Elektrode {Anode).

-U(Zn,Cul· Cu

Zn Θ

Θ

Θ

Θ

Θ

Θ

Θ

Θ Θ

"υβηΛ) utcü.L) H2S04

Abb. XIV. 1 Galvanisches Element

(verdünnt)

Der Lösungstension entgegen wirkt zwischen den gelösten Metallionen und der negativen Elektrode eine Coulomb-Kraft; sie ist um so größer, je mehr Ionen in Lösung gehen. Dadurch ist der Auflösung der Metallelektroden - und auch der Ladungstrennung - eine Grenze gesetzt. Im Gleichgewicht stellen sich konstante Spannungen U(Zn, L), U(Cu, L) und U(Zn, Cu) ein. Neben dem [Zn, Cu, H 2 S0 4 ]-Element gibt es eine Vielzahl anderer galvanischer Elemente, zum Beispiel [Pb, P b 0 2 , H 2 S 0 4 ] , [Ag, Au, H N 0 3 ] usw. Das wohl am meisten verwendete Galvanische Element ist die von Taschenlampen her bekannte Trockenbatterie. Ein Einzelelement (eine Zelle) einer solchen Batterie liefert eine Gleichspannung von 1,5 V; ihre Elektroden bestehen aus Zink bzw. Kohlenstoff und liegen in einer feuchten, mit Ammoniumchlorid getränkten Füllmasse. Durch Hintereinanderschalten von η solcher Zellen erhält man Gesamtspannungen vom Betrag η · 1,5 V. Spannungsreihe Ordnet man verschiedene Elektrodenmaterialien nach abnehmender Lösungstension in einer Reihe, so ergibt sich die Voltrfsche Spannungsreihe·. Al

Zn

Fe

Cd

Ni

Pb

Η

Cu

Ag

Hg

Au

Pt

Diese Reihenfolge besagt, daß irgendein Material, wenn man es in eine Elektrolytlösung bringt, gegenüber allen links von ihm stehenden Materialien eine geringere Lösungstension hat und daher die positive Elektrode wird, während es gegenüber allen rechts von ihm stehenden zur negativen Elektrode wird. Die Spannung eines Galvanischen Elements ist daher um so größer, je weiter die beiden Elektrodenmaterialien in der Spannungsreihe voneinander entfernt sind.

230

XIV. Elektrische und magnetische Größen

• Galvanische Elemente liefern Gleichspannung, d. h. zeitlich konstante Spannung. Größenordnungsmäßig liegen die von Galvanischen Elementen erzeugten Spannungen bei 1 V. Dagegen liefert die an das über das ganze Land gezogene elektrische Netz angeschlossene Steckdose zu Hause oder im Labor Wechselspannung, das heißt periodisch mit der Zeit sich ändernde Spannung (Kap. XIV.9.2). Eine Periode dauert hier s, und die Spannung beträgt effektiv 220 V. Wechselspannung wird mit der Dynamomaschine erzeugt (Kap. XVI. 2.1). Auch in biologischen Organismen entstehen Spannungen. Im Prinzip handelt es sich dabei um schwache elektrolytische Elemente in Zellen oder deren Trennwänden (Membranen). Die biologischen Spannungen sind häufig zeitlich nicht konstant; einigermaßen periodisch wiederkehrend sind zum Beispiel die Spannungssignale, die unser Herz beim Kontrahieren liefert, und die in einem Elektrokardiogramm (EKG) aufgezeichnet werden können. Die Größenordnung biologischer Spannungen liegt bei 10 mV (siehe hierzu Kap. XV. 1). Bei elektrischen Fischen (Zitteraal, Zitterrochen, Zitterwels) ist eine Vielzahl biologischer Spannungsquellen hintereinandergeschaltet, so daß sich eine Gesamtspannung bis zu 500 V aufsummiert, und die Tiere dadurch eine gefährliche Waffe erhalten. Metalldraht

ζ Π —

Θ Θ

°o

I o °o

°o° o o o ° ° O o _ o 0 ° o oO o 0 0 o o o 0 o ° ° ° o o o o θ o o °

/

0 0

0

0

v(e~) υ

0

0

° « H

0

Cu 0

0

+

0

ο

θ

®

β

®Θ

ο ° ο ο 0

θ®

β

°

θ

Θ

0

β

0 * 1

θ

θ

©

Ϋ(ΖγΓ,)

ft,

H2S0a

0 ° ο

ο° ° ο ο ο ° Ο Ο 0

0

0

Θ ο

Θ

(verdünnt)

Abb. XIV.2 Elektrischer Strom im Galvanischen Element (Zn —Cu —H 2 S0 4 ): negative Ladungen (Elektronen) fließen durch den Metalldraht und positive Ladungen (Zn + + -Ionen) durch die verdünnte Schwefelsäure vom Zn- zum Cu-Stab.

XIV.4 Strom Verbinden wir Zn- und Cu-Stab, zwischen denen im galvanischen Element der Abb. XIV. 1 die Spannung U (Zn, Cu) liegt, durch einen Metalldraht (Abb.

231

XIV.4 Strom

XIV.2), dann fließen Elektronen, die im Metall frei beweglich sind (siehe hierzu Kap. XV.2.4), vom negativen Zn-Pol zum positiven Cu-Pol, um die Ladungsunterschiede auszugleichen. • Einen Ladungsfluß bezeichnen wir als elektrischen Strom I. Dabei ist die Größe von I gegeben durch die pro Zeit t durch den Leiterquerschnitt hindurchfließende Ladungsmenge Q: I = Q-.

(XIV. 5)

Die Stromstärke I ist eine der sechs Basisgrößen des SI, mit der SI-Einheit Ampere (A). Bei zeitlich veränderlichen Strömen ist der Momentanwert der Stromstärke durch den Differentialquotienten I = dQ/dt definiert. Außer dem Strom im Metalldraht fließt auch in der Lösung ein Strom. Dort sind Ionen die Ladungsträger. Da das Zn eine gegenüber dem Cu größere Lösungstension besitzt, wandern vornehmlich Zn + + -Ionen zur Cu-Elektrode. Wenn ein Z n + + - I o n in Lösung geht, bleiben entsprechend der positiven Ladung des Ions zwei freibewegliche Elektronen im Zn-Stab zurück. Sie bewegen sich unter dem Einfluß der Spannung U (Zn, Cu) durch den Metalldraht zum positiven Cu-Stab. Gelangt nun ein Z n + + - I o n aus der Lösung zum Cu-Stab, so neutralisiert es sich, indem es an der Oberfläche des Cu-Stabes zwei Elektronen aufnimmt. Das neutrale Zn-Atom schlägt sich dann am Cu-Stab nieder. Damit ist ein Zn + + -Ion der Lösung entnommen, und es kann am Zn-Stab ein neues Ion in Lösung gehen, wobei zwei Elektronen zurückbleiben. Dieser Vorgang wiederholt sich, und der Cu-Stab überzieht sich nach und nach mit einer metallischen Zn-Schicht. Das galvanische Element stellt einen geschlossenen Stromkreis dar, wobei die Ladungen durch die unterschiedliche Lösungstension der Zn- und Cu-Ionen gepumpt werden. Das galvanische Element ist also eine Art Ladungspumpe. Die Leistungsfähigkeit eines galvanischen Elementes bei Stromfluß ist dadurch bestimmt, wie schnell Ladungen voneinander getrennt werden, das heißt, wieviele Zn + + -Ionen pro Sekunde in Lösung gehen können; dies hängt zum Beispiel von der Größe der Metallelektroden ab. In der Autobatterie, einem Element mit Pb-PbO-Elektroden, sind deshalb die Elektroden als Platten ausgebildet. Die Leistungsfähigkeit einer biologischen Spannungsquelle ist gegenüber einer solchen Batterie um den Faktor IO5 bis 106 geringer.

Die durch den Draht zum Cu-Stab fließenden Elektronen (Leitungselektronen) können wir mit einem Strommeßgerät, einem Amperemeter, anzeigen. (Über die technische Funktionsweise von Strom- und Spannungsmeßgeräten wird das Kap. XVI. 1 Auskunft geben.) Wird der Strom I durch eine Gleichspannung U hervorgerufen, so behält die Geschwindigkeit ν der Ladungsträger im Draht immer dieselbe Richtung bei. Als Stromrichtung ist vor 200 Jahren einmal mangels besseren Wissens die Flußrichtung der positiven Ladungsträger definiert worden; die Elektronen in einem Metalldraht fließen also stets entgegen der so definierten technischen Stromrichtung. Legen wir an einen Leiter eine Wechselspannung, dann ändern die Leitungselektronen ihre Geschwindigkeit nach Betrag und Richtung, wie es ihnen die

232

XIV. Elektrische und magnetische Größen

zeitlich sich ändernde Spannung U(t) aufzwingt. Entsprechend ändert sich auch die Stromrichtung QVechselstrom).

XIV. 5 Widerstand, Leitwert 5.1

Leiter, Nichtleiter

Alle Stoffe enthalten Ladungsträger in außerordentlicher Menge (Elektronen und Protonen, Ionen). Das elektrische Verhalten der Stoffe hängt jedoch entscheidend davon ab, wie beweglich ihre Ladungsträger sind. • Stoffe mit mehr oder weniger frei beweglichen Ladungsträgern (Elektronen im Metall, Ionen in der Lösung des Galvanischen Elements) bezeichnen wir als Leiter. Stoffe mit nahezu unbeweglichen Ladungsträgern bezeichnen wir als Nichtleiter oder Isolatoren. Beim Porzellan, von dem wir wissen, daß es als Isolator bei Hochspannungsleitungen verwendet wird, sind alle Ladungsträger (Ionen und Elektronen) derart fest an ihre Plätze gebunden, daß nur äußerst große elektrische Kräfte die Bindungskräfte überwinden und die Ladungsträger über größere Entfernungen bewegen könnten. Je nach Zahl und Beweglichkeit der Ladungsträger in einem Stoff gibt es einen weiten Bereich für die Abstufung zwischen den besten Leitern, den Metallen, und dem Grenzfall des idealen Nichtleiters. Die beweglichen Elektronen in einem Leiter würden durch die elektrische Kraft, die beim Anlegen einer Spannung an den Leiter auf sie wirkt (Gl. (XIV.3)), gleichmäßig beschleunigt werden, wenn nicht der Leiter dem Elektronenfluß einen Reibungswiderstand entgegensetzen würde. Dieser Reibungswiderstand rührt zum Beispiel davon her, daß die elektrostatische Anziehung zwischen den positiven Ionen des Leiters und den negativen Leitungselektronen die Bewegung der Elektronen einschränkt, wenn die Ionen nicht streng regelmäßig in einem fehlerfreien Gitter angeordnet sind (ein Fall, den es praktisch nicht gibt). Ist die Reibungskraft ebenso groß wie die beschleunigende elektrische Kraft, so bewegen sich die Elektronen mit konstanter Geschwindigkeit. Der elektrische Widerstand, der ein Maß für diese Reibungskraft ist, dient zum Einordnen eines Stoffes in der Leiter-Nichtleiter-Skala. (Tab. XIV.2 und Kap. XV.2). Die Spannung bewirkt ein Gefalle für den Fluß elektrischer Ladungen; sie erfüllt damit eine Funktion ähnlich der Druckdifferenz bei laminarer Strömung von Flüssigkeiten. Dort ist die Stromstärke proportional der Druckdifferenz (Kap. V.3.2.2.2), die zwischen Rohranfang und -ende liegt. Die Proportionalitätskonstante nannten wir Strömungswiderstand. Ganz analog gilt für den elektrischen Fall:

233

XIV. 5 Widerstand, Leitwert

• Die elektrische Stromstärke I ist proportional der elektrischen Spannung zwischen zwei Stellen eines elektrischen Leiters; die Proportionalitätskonstante bezeichnen wir als elektrischen Widerstand R: (XIV. 6)

U = RI,

wobei die SI-Einheit des Widerstandes, V A - 1 , den Namen Ohm (Ω) trägt. Den Kehrwert von R bezeichnen wir als Leitwert, mit der SIEinheit A V~ 1 = Siemens (S). Wir können Gl. (XIV.6) auch andersherum interpretieren: fließt durch ein Leiterstück mit dem Widerstand R ein Strom I (weil eine Spannungsquelle angeschlossen ist), so fällt an diesem Leiterstück die Spannung U ab (Spannungsabfall). Im folgenden Kapitel beschreiben wir, wie sich Widerstand und Leitwert eines Stoffes aus den Materialeigenschaften bestimmen lassen.

5.2

Spezifischer Widerstand, spezifische Leitfähigkeit

• Der elektrische Widerstand R eines Körpers hängt von seiner Dimensionierung (Länge 1, Querschnitt A) und vom Material, aus dem er besteht, ab: (XIV.7) Die Konstante ρ bezeichnet man als den spezifischen Widerstand (Resistivität) des betreffenden Materials, mit der SI-Einheit Ω m.

Tab. XIV.2

Spezifischer Widerstand ρ und Temperaturkoeffizient α.

Material

ρ(Ωπι) bei 20 °C

Ag Cu Au Al Fe Pt Hg Kohle Konstantan H 2 S0 4 (15%ig) KOH (15%ig) H 2 0 (mehrfach destilliert) Glas, Porzellan Kunststoffe

1,61,7· 2,3· 2,7· 9-1510,8· 95,8· 50-100 50184· 185· «2· > >

10"88 10"8 10"8 10" 10"88 10"8 10" 10"88 10~8 10~ IO'8 1051 10 1013

1

+0,004 +0,004 +0,004 +0,0047 +0,0045 +0,0035 +0,001 -0,0008 0 2sin^o)t+-y·^,

(XIV. 81b)

U 3 = U 0 3 sin ( cot -I- 4π ). Τ

(XIV.81c)

281

XIV.9 Zeitabhängige Spannungen und Ströme

Diese Kombination dreier Spannungen heißt Dreiphasen-Spannung, die zugehörigen Ströme Dreiphasen- oder Drehstrom. Da zur Fortleitung der drei Ströme derselbe Null-Leiter verwendet werden kann, kommt man anstelle von sechs mit insgesamt vier Leitungen aus, nämlich dem Null-Leiter und den drei Phasen. Zwischen jede der Phasen und den Null-Leiter kann ein Verbraucher angeschlossen werden. Falls die zwischen den drei Phasen und dem Null-Leiter angeschalteten Verbraucher gleich groß sind, fließt im Null-Leiter kein Strom. Sind die drei Verbraucher dagegen verschieden, dann fließt auch durch den Null-Leiter ein Strom. Im technischen Dreiphasen-Netz betragen die Effektivwerte der Teilspannungen der drei Phasen gegen den Null-Leiter jeweils 220 V; zwischen je zwei der drei Phasen liegt dann eine Spannung mit dem Effektivwert 380 V. Es ist heute üblich, die Haushalte mit Dreiphasen-Spannung zu versorgen. Im Verteilerkasten, in dem sich Hauptsicherungen und Stromzähler befinden, werden daraus Teilspannungen mit 220 V Effektivspannung entnommen, die dann zu den Wandsteckdosen geführt werden. Stärkere Verbraucher, wie Elektroherd oder Waschmaschine, dagegen werden meist direkt mit dem Drehstrom betrieben.

9.4

Nicht-sinusförmige Wechselspannungen, Spannungsimpulse

Wiederholt sich ein Spannungsverlauf periodisch, so sprechen wir von Wechselspannung, auch wenn die Spannung nicht-sinusförmig ist. Folgen dagegen Spannungsimpulse in unregelmäßiger Folge aufeinander, so nennen wir dies

Spannung U

Spannung U

Zeit t

Τ

"i

Abb. XIV. 38 Nicht-sinusförmige Wechselspannungen: (a) Sägezahnspannung und (b) Rechteckspannung.

b

282

XIV. Elektrische und magnetische Größen

eine Impulsfolge. Beispiele für nicht-sinusförmige Wechselspannungen sind die Sägezahnspannung und die Rechteckspannung (Abb. XIV.38). Biologische Spannungen sind durchweg nicht-sinusförmig, können aber periodisch sein, z.B. das EKG eines ruhenden Menschen, Abb. XIV.39a, und das EKG eines schwer Herzkranken (Abb. XIV. 39b). (In Kap. XV. 1.2 wird erläutert, wie ein EKG zustandekommt.)

Signal

b

Abb. XIV. 39 EKG (a) eines ruhenden gesunden Menschen, (b) eines Herzkranken.

Periodische Spannungsverläufe lassen sich, wie dies in Kap. VI. 5.2 schon für periodische mechanische Bewegungen gezeigt wurde, entsprechend dem Theorem von Fourier als Summe von sinusförmigen Teilspannungen unterschiedlicher Frequenzen darstellen: 00

00

U(t)= £ An sin(ncot) + £ Bncos(ncot). n=0 η=0 9.5

Wechselstrom-Kreise

9.5.1

KapazitiverWiderstand

Legt man eine Gleichspannung an einen Kondensator, so wird er, wie in Kap. XIV.9.1 beschrieben, mit einer Zeitkonstanten τ = RC aufgeladen und baut seine Ladung erst wieder ab, wenn die Gleichspannung abgeschaltet wird. Außer während der Auf- und Entladezeit der Größenordnung τ fließt kein

283

XIV. 9 Zeitabhängige Spannungen und Ströme

Strom: Der Kondensator hat für Gleichstrom einen unendlichen Widerstand. Eine sinusförmige Wechselspannung der Kreisfrequenz ω hingegen bewirkt, daß der Auf- und Entladevorgang sich mit der Frequenz ω dauernd wiederholt, also dauernd Ströme fließen. • Wegen der Zeitverzögerung des Auf- und Entladevorganges mit der Zeitkonstanten τ wirkt der Kondensator auch im Wechselstromkreis als ein Widerstand; seine Größe, der kapazitive Wechselstromwiderstand, ist gegeben durch (XIV. 8 3) o)C Je höher ω und je größer C, desto kleiner ist also R k a p . Bei ω —> 0 (Gleichstrom) dagegen wird R kap unendlich groß. Zwar behindert ein kapazitiver Widerstand den Wechselstromfluß, im Gegensatz zum Ohm'sehen Widerstand wird dabei aber keine Energie verbraucht. Statt dessen wird elektrische Energie im Kondensator nur gespeichert, indem der zufließende Strom ein elektrisches Feld aufbaut. Kehrt aber der Wechselstrom sein Vorzeichen um, so wird das Feld wieder abgebaut, und der Kondensator gibt die gespeicherte Feldenergie (Kap. XIV.7.6) wieder an die Spannungsquelle zurück. Man nennt ihn daher einen Blindwiderstand, um ihn vom Ohm'sehen Wirkwiderstand zu unterscheiden, der elektrische Energie in Wärme umwandelt (siehe Kap. XV.2.4). Beim kapazitiven Widerstand folgt die Spannung am Kondensator U c um eine Phasenkonstante φ = 90° verzögert dem Strom (Gl. (XIV.80)). So hat U c sein Maximum, wenn die Ladung auf den Platten maximal ist, und das ist gerade dann erreicht, wenn der Strom wieder auf Null abgefallen ist. Für die Hochfrequenz- (HF-)Technik ist der Kondensator ein wichtiges Hilfsmittel, um Gleichströme (die durch den Kondensator unterbrochen werden) von überlagerten Wechselspannungen abzukoppeln. Wird eine nicht-sinusförmige Wechselspannung an eine Serienschaltung von Ohm'schem und kapazitivem Widerstand, ein sogenanntes RC-Glied (Abb. XIV.40a), gelegt, so wirkt der Kondensator für die in der Wechselspannung enthaltenen niederfrequenten sinusförmigen Anteile (siehe Gl. (XIV. 83) als größerer Widerstand als für die hochfrequenten Anteile. Die niederfrequenten Anteile werden also stärker geschwächt, die hochfrequenten können leichter passieren. Damit wird die Form des Wechselspannungs-Signals verändert, denn in Gl. (XIV. 82) werden die

c HIHochpass

3

Tiefpass

b

L

Abb. XIV.40 Wechselstromwiderstände: (a) Hochpaß-Filter und (b) Tiefpaß-Filter.

u

~

284

XIV. Elektrische und magnetische Größen

Fourier-Komponenten verschieden stark geändert. Aus diesem Grund werden RC-Glieder auch als Frequenzfilter verwendet, die hochfrequente sinusförmige Anteile von niederfrequenten trennen (Hochpaßfilter).

9.5.2

Induktiver Widerstand

Auch eine aus einem Leiter gewickelte Spule stellt - und zwar zusätzlich zum Ohm'schen Widerstand R der Drahtwicklungen - einen Wechselstromwiderstand dar. Legt man eine Gleichspannung an eine solche Spule, so wird mit der Zeitkonstanten τ = L/R ein Magnetfeld aufgebaut, das erst wieder zusammenbricht, wenn man die Gleichspannung abschaltet. In der Zwischenzeit fließt ein durch R begrenzter Gleichstrom Eine Wechselspannung bewirkt dagegen, daß sich in der Spule ein magnetisches Feld periodisch auf- und abbaut. Die magnetische Feldenergie wird dabei abwechselnd der Spannungsquelle entzogen und ihr wieder zugeführt. Daher stellt, wie der Kondensator, auch die Spule im Wechselstromkreis einen Blindwiderstand dar, man nennt ihn „induktiven Widerstand". Wie im Fall des kapazitiven Widerstandes sind auch hier Strom und Spannung gegeneinander in der Phase verschoben: Im induktiven Widerstand (ohne R) eilt die Spannung dem Strom um φ = 90° voraus. Der zusätzliche Ohm'sche Widerstand bewirkt, daß φ < 90° wird. • Die Größe des induktiven Widerstandes hängt von der Selbst-Induktivität L der Spule ab: Ri„d = R,

U=U„siniot

I = I„sin(cot - f )

Abb. XIV.41 Serienschaltung von Wechselstromwiderständen: (a) Schaltkreis, (b) Abhängigkeit der Wechselstromamplitude I 0 von der Kreisfrequenz ω für zwei verschieden große Ohm'sche Widerstände R = R, bzw. R = R 2 .

Wohl aber ist das Verhältnis der Amplituden U 0 und I 0 konstant, und so wird es verwendet, um den sogenannten Wechselstromwiderstand auch Impedanz genannt, zu definieren: Uo

(XIV.86)

In

Das Problem ist nun, für ein vorgegebenes U 0 den zugehörigen Wert I 0 zu berechnen. Nach der Kirchhoffschen Maschenregel muß die Summe der Spannungsverluste an den hintereinander geschalteten Wechselstromwiderständen (siehe Gl. (XIV.44) und (XIV.66)) gleich sein der Quellenspannung U in der Wechselstromquelle: L 4 ^ + R I + ^ Q = U. dt C

(XIV.87)

Differenzieren wir Gl. (XIV.87) nach der Zeit, so erhalten wir eine • Differentialgleichung zweiter Ordnung für den Strom: Τ

d 2 l

+R

d I

+

1

T -

d U

(XTV8RÌ

Setzen wir U = U 0 sin (cut) und I = I 0 sin (cot — φ) in Gl. (XIV.88) ein, so ergibt sich für den Wechselstromwiderstand nach einiger Rechnung:

In

R I +

I

»

L

" ¿

(XIV. 89)

286

XIV. Elektrische und magnetische Größen

Bei Gleichstrom-Kreisen genügte die Kenntnis des Widerstandes R, um den Strom aus der Spannung berechnen zu können. Bei Wechselstrom-Kreisen hingegen ist außer dem Wechselstromwiderstand auch die Phasenverschiebung wichtig. Auch der Tangens des Phasenwinkels φ kann aus Gl. (XIV. 8 8) berechnet werden: û)L —

tan φ = -

(öC

(XIV.90)

R

Wir können nun Spezialfälle diskutieren: (1) Es sei L = 0 und 1/C = 0. Dann ist R ^ = R und tan φ = φ = 0. (2) Es sei 1/C = 0 und R = 0, d.h. R ^ sei rein induktiv. Dann ist tan φ = oo, d.h. φ = + 9 0 ° ; der Strom ist gegenüber der Spannung also um π/2 verzögert. (3) sei rein kapazitiv, d.h. L = 0, R = 0. Dann ist tan ψ = - oo und φ = - 90°; der Strom eilt der' Spannung um π/2 voraus.

Für den Fall der in Abb. XIV.42a skizzierten Parallelschaltung von Kapazität und Induktivität mit Ohm'schem Widerstand ergibt sich aus entsprechenden Überlegungen: R 2 + (fflL)2 1 R 2 + cüL coC

1 «e

(XIV.9Í)

und tan φ =

fflL — a>C(R + ω L ) R

(XIV.92)

U=U„sincj t R

o hΚ m

R

i nΗd

I=l o sinlcot - y )

Abb. XIV.42 Parallelschaltung von Wechselstromwiderständen: (a) Schaltkreis, (b) Abhängigkeit der Wechselstromamplitude I 0 von der Kreisfrequenz ω.

287

XIV.9 Zeitabhängige Spannungen und Ströme

9.6

Resonanz-Schwingkreise

Im Serienkreis des vorigen Kapitels nimmt der Wechselstromwiderstand der Gl. (XIV.89) bei konstantem Ohm'schem Widerstand R seinen kleinsten Wert an, wenn die Differenz der Blindwiderstände ^coL

ωC

Null wird.

Dies geschieht bei der Resonanzfrequenz (XIV.93) Dann ist nach Gl. (XIV.89) der Wechselstromwiderstand U 0 / I 0 gleich dem Ohm'schen Widerstand R, und nach Gl. (XIV.90) ist der Phasenwinkel zwischen I und U gleich Null. In Abb. XIV.41b ist der Verlauf der Stromamplitude I 0 bei fester Spannungsamplitude U 0 in Abhängigkeit von der Frequenz der angelegten Wechselspannung für zwei verschieden große Ohm'sche Widerstände bei gleicher Kapazität und Induktivität aufgetragen. Wir sehen, daß diese Kurve der Resonanzkurve der erzwungenen mechanischen Schwingung in Abb. VI. 6 ähnelt. Tatsächlich handelt es sich um eine erzwungene elektrische Schwingung', die zugehörige freie Schwingung bei ω — ωτ beobachten wir, wenn wir durch den Schalter S in Abb. XIV.41a die Spannungsquelle abkoppeln und den Spannungsverlauf im Kreis zum Beispiel mit einem Oszillographen verfolgen. Im mathematischen Formalismus der Differentialgleichung Gl. XIV. 8.8 bedeutet dies, daß wir U und dU/dt gleich Null setzen und somit zur Differentialgleichung einer gedämpften Schwingungen gelangen, wie wir sie für mechanische Schwingungen bereits in Kap. VI.3 kennengelernt und gelöst haben. • Bei der freien elektrischen Schwingung werden periodisch zwei verschiedene Energieformen ineinander umgewandelt: Es sind dies die magnetische Feldenergie in der Spule (Kap. XIV. 8.7) und die elektrische Feldenergie im Kondensator (Kap. XIV.7.6); die Schwingung ist jedoch gedämpft, weil der Ohm'sche Widerstand als Wirkwiderstand die Feldenergien zunehmend in Wärme umwandelt. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem periodischen Wechsel zwischen kinetischer und potentieller Energie bei der Schwingung des mechanischen Pendels besteht darin, daß die magnetische Feldenergie durch die Bewegung der Ladungen (Strom) erzeugt wird, während die elektrische Feldenergie des Kondensators eine potentielle (Lage-)Energie der Ladung darstellt.

Man nennt den in Abb. XIV.41a gezeigten Schaltkreis (mit abgekoppelter Spannungsquelle) einen Serien-Schwingkreis. Er besitzt technische Bedeutung als selektives Frequenzfilter. Da er aus einer Kombination von HochpaßFilter und Tiefpaß-Filter (Kap. XIV.9.5) besteht, läßt er im wesentlichen nur Ströme derjenigen Frequenz passieren, bei welcher sich die Wirkungen von

288

XIV. Elektrische und magnetische Größen

Kapazität und Induktivität gegeneinander aufheben, also der Resonanzfrequenz ωΓ (Abb. XIV.41b). Auch bei Parallelschaltung von Spule und Kondensator (Abb. XIV.42a) können elektrische Schwingungen angeregt werden. In diesem ParallelSchwingkreis ist die Resonanzfrequenz ωΓ dieselbe wie beim Serienschwingkreis (Gl. (XIV.93)), vorausgesetzt, R, C und L haben dieselben Werte. Auch hier pendeln elektrische und magnetische Feldenergien. Seine Eigenschaften als Frequenzfilter sind jedoch völlig andere: Wegen der Parallelschaltung können Ströme hoher Frequenz leicht das Hochpaß-Filter des Kondensators passieren; Ströme niedriger Frequenz passieren den Tiefpaß der Induktivität. Dagegen werden Ströme mit Frequenzen nahe der Resonanzfrequenz von beiden Filtern zurückgehalten (Abb. XIV.42b); sie werden herausgefiltert {Sperrkreis). In der Funktechnik dient speziell der Parallel-Schwingkreis zur Erzeugung hochfrequenter elektromagnetischer Schwingungen (Kap. XVI.2.4), wie sie für die Ausstrahlung und den Empfang von Radiowellen erforderlich sind. Erst mit der Rückkopplung (Kap. XXII) ist es möglich, Schwingkreise trotz ihrer Dämpfung zu dauernden Schwingungen anzuregen. Dafür wird dem Kreis ein kleiner Teil seiner Energie entnommen, durch eine Elektronenröhre (Triode, Kap. XV. 2.1) oder einen Transistor (Kap. XV. 2.4) verstärkt und im richtigen Takt wieder zugeführt. Ist die zugeführte Leistung (siehe Kap. XIV.9.8) gleich der Verlustleistung (zu der neben den Ohm'schen Verlusten noch Verluste durch Abstrahlung einer angekoppelten Antenne kommen), so kann die Schwingung beliebig lange aufrechterhalten werden. Der rückgekoppelte Schwingkreis ist somit eines der grundlegenden Bauelemente von Sendern und Empfangern von Radio-, Fernseh-, Mikrowellen usw. (siehe auch Kap. XVI.2.4). In Abb. XIV.43 ist als Beispiel die induktive Rückkopplung dargestellt: Der Schwingkreis Anode Gitter Kathode

(

R

^

Kathoden-

Ξ

heizung

_T

Anodenspannung

Abb. XIV.43

Induktive Kopplung.

289

XIV.9 Zeitabhängige Spannungen und Ströme

beim Betrieb des Schwingkreises durch die Spule LA fließende Wechselstrom erzeugt eine Flußänderung d φ/dt, die in der Spule L G eine Spannung induziert, die zugleich als Gitterspannung der Triode dient. (Die Funktionsweise der Triode ist in Kap. XV. 2.1 beschrieben). Dadurch wird der Anodenstrom gesteuert, so daß die Schwingung im Kreis im richtigen Takt dauernd erneut angeregt wird. Bei zu hoher Induktionsspannung würde allerdings die Schwingung im Kreis immer stärker aufgeschaukelt, und es könnte zu der in Kap, VI.4 besprochenen Resonanzkatastrophe kommen. Daher ist die Induktion der Spule L G zum Beispiel durch einen verschiebbaren Eisenkern so zu verändern, daß der richtige Kopplungsgrad erreicht wird.

9.7

Elektromagnetische Wellen

Durch geeignete Wahl von Kapazität C und Induktivität L lassen sich nach Gl. (XIV.93) im Schwingkreis beliebige Frequenzen erzeugen. Dies kann, wie wir in Kap. XIV.7.3 bzw. XIV.8.7 gesehen haben, durch Verkleinerung der Kondensatorplatten und Vergrößerung ihres Abstandes bzw. durch Verringerung der Windungszahl der Spule erreicht werden. Um Frequenzen größer als etwa 108 Hz zu erhalten, genügt im Prinzip bereits ein Stück leitender Draht, wenn man es durch geeignete Rückkopplung zu Schwingungen anregen kann. Dann sind Kapazität und Induktivität nicht mehr lokalisiert, sondern über den ganzen Draht verteilt. Man kann sich diesen sogenannten Hertz'sehen Dipol, wie in Abb. XIV. 44 angedeutet, aus dem bisher besprochenen Schwingkreis entstanden denken. Elektrische bzw. magnetische Felder, die im Schwingkreis (a) noch auf den Kondensatorzwischenraum bzw. den Spulenraum beschränkt waren, umgeben jetzt den gesamten Dipol, wenn Elektronen im Draht hin- und herfließen. Das elektrische Feld ist am größten,

I r j I ω1 (α)


2 (b)


t — kx); H = H 0 cos( = J U 0 I 0 sin 2 ( E p . Stellt man dann zwei Flächen gleicher Oberflächenbeschaffenheit des Würfels je eine berußte und eine blanke Metallplatte gegenüber, so zeigt sich, daß

366

XVII. Optische Strahlung

die berußte Metallplatte stärker absorbiert und sich erwärmt. Daraus folgt: A r > A p . Die berußten Flächen haben also sowohl ein größeres Emissions- als auch ein größeres Absorptionsvermögen als die blanken Flächen. Hält man nun bei einer dritten Messung der berußten Fläche eine blanke Platte und der polierten Fläche eine geschwärzte Platte gegenüber, so stellt man fest, daß sich beide Platten gleich aufwärmen. Also gilt: E r Ap = Ep A r oder ^ Ar

=

T=100°C

JËE.. Ap

(XVII.20)

T=100°C

T=100°C

Abb. XVII.8 Versuch zum Emissions- und Absorptionsvermögen; a) ungleiche Würfelflächen, gleichartige Metallplatten, b) gleiche Würfelflächen, ungleiche Metallplatten, c) ungleiche Würfelflächen, ungleiche Platten.

Das Verhältnis von Emissions- zu Absorptionsvermögen ist für alle Flächen gleich. Aus dem Versuch folgt weiter, daß Emissions- und Absorptionsvermögen von schwarzen Flächen größer sind als von blanken Flächen. • Man bezeichnet als Schwarzen Körper denjenigen Körper, der das Absorptionsvermögen i besitzt, also alle auffallende Strahlung absorbiert und vollständig in Wärme umwandelt. Viele Stoffe erfüllen in begrenzten Spektralbereichen diese Bedingung in guter Näherung, so z. B. ein berußter Körper, der im Sichtbaren (nicht aber im UV) schwarz ist. Es gibt aber keinen Stoff, dessen Absorptionsvermögen für alle Wellenlängen gleich i ist, der also als absolut schwarzer Körper gelten könnte. Das Absorptionsvermögen 1 besitzt die als Schwarzer Körper wirkende Öffnung eines Hohlkörpers (Abb. XVII.9). Ist die Öffnung genügend klein gegenüber den Dimensionen des Hohlkörpers, so werden durch sie einfallende Lichtstrahlen im Innern so oft hin- und herreflektiert, bis sie schließlich vollständig absorbiert werden. Die Wahrscheinlichkeit, d a ß ein Strahl wieder die Öffnung verläßt, ist verschwindend gering. Das Absorptionsvermögen ist also unabhängig von der Wellenlänge stets 1. Auch bezüglich des Emissionsvermögens ist ein solcher Schwarzer Körper gegenüber anderen Körpern ausgezeichnet: Aus Gl. (XVII.20) sehen wir, daß er wegen A = 1 für alle Wellenlängen das höchstmögliche Emissionsvermögen besitzt. Die aus der Öffnung austretende Temperaturstrahlung ist also gleich der Strahlung eines Schwarzen Körpers, der dieselbe Temperatur hat wie die Innenwände des Hohlraumes. Man bezeichnet diese Strahlung daher auch als Hohlraumstrahlung. Zwar haben derartige Strahlungsquellen keine praktische Bedeutung, sie waren aber von grundsätzlichem Interesse bei der Aufklärung der Strahlungsgesetze.

367

XVII.9 Wärmestrahlung und Temperaturgleichgewicht

9.2

Strahlungsgesetze

1. Kirchhoffsches Strahlungsgesetz

Die in Gl. (XVII.20) gewonnene Bezie-

hung kann man ganz allgemein für beliebige Flächen schreiben:

E1

=

E2

Ä-

Nehmen wir nun an, daß die Platte 2 total geschwärzt ist, so ist A 2 = 1. Das Absorptionsvermögen A j sei λ Momentbild zur Zei t t„

eine Richtung, längs der sich die Elementarwellen gerade löschen, so daß dort die resultierende Welle verschwindet. In den Richtungen a n haben die beiden Teilwellen gerade den Gangunterschied s = n l Die Abb. XVIII. 13 zeigt, daß diese Winkel festgelegt sind durch die (Verstärkungs-) Bedingung: nA = D sina n ,

η = 0,1,2,....

(XVIII.6)

Γ D

L Abb. XVIII. 13 Interferenz am Doppelspalt. Bedingung für den Winkel des ersten Nebenmaximums.

Entsprechend tritt Auslöschung in den Richtungen a m ein, bei denen die Gangunterschiede zwischen den beiden Elementarwellen λ/2, 3/1/2, 5λ/2 ... betragen: ( 2 m - 1)A = Dsina m ,

m =1,2,....

(XVIII.7)

Wir bezeichnen die Maxima und Minima, die zu den Winkeln a n bzw. a m gehören, als Maxima η-ter und Minima m-ter Ordnung. So gehört beispielsweise das ohne Richtungsänderung die Spalte durchlaufende Licht dem Maximum

386

XVIII. Wellenoptik

0-ter Ordnung (Primärstrahl) an. Abb. XVIII. 14 zeigt Anordnung und Ergebnis eines Doppelspalt-Beugungsversuches.

Abb. XVIII. 14 Interferenz am Doppelspalt; a) Schema, (in der Abbildung sind Abbildungslinsen weggelassen; die Striche zeigen die Lagen der Interferenzmaxima); b) Photographie eines Experimentes (d > λ; D > λ). Es sind Interferenzen bis η = 20 erkennbar. Ihnen überlagert ist die Beugungsfigur der beiden Einzelspalte (Gl. XVIII.9).

3. Breiter Einfachspalt (d > 2): Die Fälle 1. und 2. sind einfach überschaubar, weil wir uns damit begnügen können, eine bzw. zwei Elementarwellen stellvertretend für alle anderen zu untersuchen. Komplizierter ist der Fall, wenn der Einzelspalt breiter ist als die Wellenlänge. Dann sind nämlich auch schon beim Einfachspalt Interferenzfiguren wie in Abb. XVIII. 14 zu beobachten. Allerdings gelten hier für die Winkel a n bzw. ocm andere Bedingungen als beim Doppelspalt: (Verstärkung)

(2n + 1) A = d sinoen,

η =1,2,....

(XVIII.8)

Hinzu kommt noch das Maximum 0-ter Ordnung bei α = 0. (Auslöschung)

πιΛ. = d sina m ,

m =1,2,

(XVIII.9)

387

X V I I I . 3 B e u g u n g elektromagnetischer Wellen

1.

2.

3. Nebenmaximum

A 3 21 0 1 234 A b b . X V I I I . 15 Beugung a m weiten Einfachspalt (d > A); (a) Intensitätsverteilung im Beugungsbild (I r e l = Intensität bezogen a u f die Intensität im M a x i m u m ) ; (b) P h o t o g r a p h i e eines Experimentes. ( D u r c h einen photographischen T r i c k wurden die N e b e n m a x i m a in ihrer Intensität stark hervorgehoben.)

XVIII. Wellenoptik

388

Die Intensität der Maxima nimmt mit der Ordnungszahl η sehr schnell ab; schon in den beiden 1. Nebenmaxima sind nurmehr je 4,5% der Intensität des Maximums 0-ter Ordnung enthalten (Abb. XVIII. 15). Aus den Gin. (XVIII.8) und (XVIII.9) können wir ablesen, daß sich die Beugungserscheinungen in immer engeren Winkelbereichen abspielen, wenn die Spaltbreite d zunimmt, und bei Spaltbreiten, die sehr groß sind verglichen mit der Lichtwellenlänge, folgen Maxima und Minima so dicht aufeinander, daß Beugungserscheinungen kaum mehr beobachtbar sind. Normalerweise ist die Spalthöhe h wesentlich größer als d (z. B. h ä 100 d). Daher werden längs des Spaltes in einem großen Bereich Huygens'sche Elementarwellen durchgelassen, und die in Richtung des Spaltes entstehenden Beugungserscheinungen spielen sich bei dicht nebeneinander liegenden Winkeln a n und a m ab, so daß wir sie außer Acht lassen können.

3.3

Beugung am Draht

Nicht nur Spalte erzeugen Beugungsbilder; ersetzen wir die Spaltblende durch einen dünnen Draht der Dicke d, den wir ins Licht halten, so entsteht ebenfalls eine Beugungsfigur, die der am Spalt entstandenen weitgehend entspricht (Abb. XVIII. 16). Allgemein gilt: eine Blende beliebiger Form erzeugt eine ähnliche Beugungsfigur, wie ein undurchsichtiger Gegenstand von der Gestalt der Blendenöffnung.

Abb. XVIII. 16 Beugung am dünnen Draht; Schema (in der Abbildung sind Linsen weggelassen, die Striche zeigen die Lagen der Interferenzmaxima).

3.4

Das Beugungsgitter

Von praktischer Bedeutung für die spektrale Zerlegung von Licht, ist das Beugungsgitter. Es besteht aus einer großen Zahl paralleler Einzelspalte mit gleichen Abständen (der Gitterkonstante g) (Abb. XVIII. 17). Meist ritzt man Furchen in eine Glasplatte, und die Zwischenräume wirken dann als lichtdurchlässige Spalte. Es gibt Gitter mit über 1000 Spalten pro mm. Neben der

389

XVIII.3 Beugung elektromagnetischer Wellen

1. O r d n u n g

0. O r d n u n g

I.Ordnung

Gitter

Linse

Schirm

Abb. XVIII. 17 Beugung am Gitter; (die Gitterkonstante ist im Vergleich zur Linse vergrößert gezeichnet). Die Strahlen geben die Richtungen an, in denen sich die Huygens'sehen Elementarwellen benachbarter Spalte in ihrer Phase um 0 bzw. 2 π unterscheiden. Sie führen zu Intensitätsmaxima auf dem Schirm.

Einzelspaltbeugung entstehen durch das gesamte Gitter Auslöschungen und Verstärkungen wie beim Doppelspalt, jetzt aber aufgrund der Interferenz von Wellen jedes Spaltes mit denen seines nächsten, übernächsten, drittnächsten Nachbarn usw. Je größer der Abstand zwischen den beteiligten Spalten, um so kleiner sind die Winkel a m , unter denen Auslöschung zu beobachten ist. Dazwischen liegen Nebenmaxima, die intensitätsschwach sind, weil bei diesen Winkeln zugleich Wellen weit voneinander entfernt liegender Spalte sich auslöschen; nur unter wenigen Winkeln tragen alle Spalte zu einem Interferenzmaximum bei. Diese liegen bei den Winkeln a n des Doppelspaltes, wenn wir in Gl. (XVIII.6) für D die Gitterkonstante g einsetzen. Dies ist plausibel, da für die nach Gl. (XVIII.6) definierten Winkel αΠ zwischen zwei benachbarten Spalten der Gangunterschied genau η λ, zwischen übernächsten Spalten genau 2ηλ, usw. beträgt. Die Interferenzfigur des Gitters unterscheidet sich von der des Doppelspaltes dadurch, daß die Maxima extrem schmal sind, also extrem schmale helle Streifen entstehen, die durch breite, praktisch dunkle Gebiete getrennt sind (Abb. XVIII. 18a). Fällt Licht mehrerer Wellenlängen auf das Gitter, so liegen auf dem Beobachtungsschirm die zu verschiedenen Wellenlängen gehörenden Interferenzmaxima als schmale farbige Linien räumlich getrennt nebeneinander (Abb. XVIII. 18b), denn aus Gl. (XVIII.6) geht hervor, daß die Maxima gleicher Ordnung für größere Wellenlängen bei größeren Winkeln a n liegen, als für

390

XVIII. Wellenoptik

2.

1.

0.

1.

2.

Ordnung

Abb. XVIII. 18 a) Intensitätsverteilung bei der Beugung durch 2, 4 und 8 Spalte, monochromatisch beleuchtet, (aus Bergmann/Schaefer „Experimentalphysik", de Gruyter 1966); b) Interferenzmaxima eines mit zwei Spektralfarben λ 1 und λ 2 beleuchteten Gitters.

kleinere Wellenlängen (ausgenommen ist davon das Maximum 0-ter Ordnung). Da die Linien sehr schmal sind, lassen sich auch eng benachbarte Wellenlängen trennen {auflösen), mit guten Beugungsgittern bei sichtbarem Licht {λ χ 600 nm) noch Wellen mit Wellenlängenunterschieden von 10" 2 nm. Ein Beugungsgitter ist also ein hervorragendes und einfaches Gerät, um mehrfarbiges Licht in seine Spektralbestandteile zu zerlegen. In kommerziellen Geräten zur Spektralanalyse (Spektralapparaten) hat das Gitter daher das Prisma (Kap. XIX. 3.5) weitgehend verdrängt, denn mit dem Gitter kann man nicht nur die Spektralbestandteile von elektromagnetischen Wellen voneinander trennen, sondern auch die Wellenlängen messen. Dazu ist nach Gl. (XVIII.6) nur nötig, die Gitterkonstante g zu kennen und die Winkel ocn zu bestimmen. Der Aufbau eines Gitter-Spektralapparates wird in Kap. XX. 5 gezeigt.

3.5

Beugung an kreisförmigen Blenden (Beugungsunschärfe)

Beugungserscheinungen sind nicht auf Spalte oder Strichgitter beschränkt; sie sind immer dann zu beobachten, wenn eine Welle auf ein Hindernis fällt, dessen Dimensionen nicht allzu groß sind verglichen mit der Wellenlänge. So beobachten wir auf dem Schirm S hinter der Anordnung der Abb. XVIII. 19a

XVIII.3 Beugung elektromagnetischer Wellen

391

nicht etwa einen Schattenwurf der Blende B, sondern ein System konzentrischer heller und dunkler Ringe, wenn die Öffnung nur klein genug ist (Abb. XVIII. 19b). Dunkle Ringe erscheinen unter den Winkeln yn, die folgender Bedingung genügen: z n A = 2r siny n ,

n = 1,2,3,...,

(XVIII. 10)

wobei z n nun im Gegensatz zur Beugung am Spalt nicht ganzzahlig ist, sondern die Werte 1,22; 2,23; 3,24; 4,24 usw. hat. r ist der Radius der Blendenöffnung.

b

Abb. XVIII. 19 mentes.

Beugung an einer runden Lochblende, (a) Prinzip und (b) Ergebnis eines Experi-

392

XVIII. Wellenoptik

Abb. XVIII. 19c Beugung an einer undurchsichtigen Scheibe gleichen Durchmessers wie in (b). (Durch einen photographischen Trick wurden die Ringe in ihrer Helligkeit stark hervorgehoben).

Auch hier gilt wieder, daß die Beugungsmaxima und -minima umso enger zusammenrücken, je größer die Blende ist. Wie beim Spalt gilt auch für die Lochblende die Umkehrung: Ersetzt man die Blende durch ein scheibenförmiges Hindernis derselben Größe, so bildet sich auch hier ein weitgehend ähnliches Beugungsmuster aus konzentrischen Ringen auf dem Schirm und nicht etwa nur ein nach den Gesetzen der geometrischen Optik zu konstruierender Schatten (Abb. XVIII. 19c). Bei optischen Instrumenten stellen ζ. B. die Linsenhalterungen Lochblenden dar, so daß jede Abbildung notwendigerweise mit einer Beugungsfigur verbunden ist. Durch eine Linse kann also ein Parallel-Lichtstrahl in der Brennebene der Linse (siehe Kap. XIX.4.6) nie exakt in einem Punkt, dem Brennpunkt, gesammelt werden; stets entsteht dort eine Beugungsfigur, die von der begrenzenden Öffnung für das Lichtbündel herrührt und von deren Durchmesser abhängt. Entsprechendes gilt für jede Abbildung eines beliebigen Gegenstandspunktes: • Die Abbildung eines Punktes liefert niemals exakt einen Bildpunkt, sondern stets ein ausgedehntes Beugungsscheibchen. Das Bild wird also infolge der Beugung unscharf (Beugungsunschärfe). Daher erhält man beispielsweise selbst mit den größten astronomischen Fernrohren von entfernten Sternen nicht etwa Bilder, auf denen man Strukturen

393

XVIII.4 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen in Materie

erkennen kann, sondern stets nur deren Beugungsscheibchen. Auch für das Mikroskop, das Fernrohr, die Kamera usw. ist die prinzipielle Grenze bei der Abbildung extrem kleiner Objekte durch die Beugungsunschärfe gegeben. Für die Abbildung im Auge ist die Pupille die beugende Öffnung. Man kann ausrechnen, daß die durch sie auf der Netzhaut entstehenden Beugungsscheibchen einen Durchmesser haben, der vergleichbar mit dem Abstand benachbarter Sehzellen ist. Die Detail-Auflösung des Auges würde also nicht weiter gesteigert werden, wenn die Sehzellen in der Netzhaut dichter lägen.

XVIII.4 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen in Materie Im wesentlichen ist es der elektrische Feldvektor E der elektromagnetischen Welle, der mit den Atomen in Wechselwirkung tritt, sobald die Welle auf Materie trifft. Denn ein hochfrequentes elektrisches Feld vermag die Ladungsverteilung in einem Atom, Molekül oder Festkörper in ähnlicher Weise zu beeinflussen, wie ein statisches elektrisches Feld es tut, wenn man Materie zwischen die Platten eines Kondensators schiebt (Kap. XIV.7.5). Dabei werden die Schwerpunkte von positiver und negativer Ladung in den Atomen gegeneinander verschoben (elektrische Polarisation; Kap. XIV.7.5), und infolge der periodischen Änderung des Feldes werden die Ladungsträger dabei zu erzwungenen Schwingungen (Kap. VI.4) angeregt. Diese Reaktion der Materie hat für die elektromagnetische Welle zweierlei Folgen: Erstens wird die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle geändert, und zweitens wird die Amplitude der Welle in bestimmten Spektralbereichen geschwächt (Absorption). Auf beide Effekte gehen wir im folgenden etwas ausführlicher ein.

4.1

Der Brechungsindex

Im Materie kann sich Licht nicht ungehindert ausbreiten, vielmehr wird die elektromagnetische Welle begleitet von einer Welle von Ladungsverschiebungen in den Atomen, was zu einer Verringerung der Lichtgeschwindigkeit führt. Dies gilt für durchsichtige, d. h. nicht-absorbierende Stoffe; in absorbierenden Stoffen sind die Verhältnisse komplizierter. • Der Einfluß von Materie auf eine elektromagnetische Welle in absorptionsfreien Spektralbereichen läßt sich charakterisieren, indem man das Verhältnis der Lichtgeschwindigkeit cm zu der im materiefreien Raum, c, bildet: — =n.

PCVIII.11)

XVIII. Wellenoptik

394

η heißt Brechungsindex (Brechzahl) des Stoffes und ist eine Zahl, d. h. dimensionslos. Der Grund für diesen Namen wird in Kap. XIX. 3.3 deutlich werden, wenn wir die Brechung von Licht an einer Grenfläche untersuchen. Der Brechungsindex ist in durchsichtigen Stoffen stets größer als 1 ; er hängt zudem von der Frequenz ab, so daß die Ausbreitungsgeschwindigkeit für Wellen verschiedener Frequenzen im Unterschied zum Vakuum nicht mehr dieselbe ist. Einige Zahlenwerte sind in Tabelle XVIII. 1 zusammengestellt. Die Änderung des Brechungsindex mit der Wellenlänge dn/d/l, oder - was im Prinzip gleichbedeutend ist - mit der Frequenz dn/dco - wird Dispersion genannt. Sie steht in direktem Zusammenhang mit der Absorption, weshalb wir in Kap. XVIII.4.3 nochmals auf die Dispersion zurückkommen werden. Tab. XVIII. 1 Brechzahlen η einiger Stoffe bei 20°C für die gelbe Spaktrallinie des Natriums (λ = 589 nm). Stoff

η

Vakuum Luft bei Normaldruck Wasser Diamant Glas

1 1,000272 1,333 2,417 1,5 bis 1,8

In absorbierenden Stoffen (ζ. B. Metallen) treten verwickelte Verhältnisse auf. So kann η kleiner 1 sein und aus Gl. (XVIII. 11) würde folgen, daß c m größer c ist. Man kann aber zeigen, daß dies nicht gegen die Existenz der Grenzgeschwindigkeit (Kap. XIV.9.7.1) verstößt, denn in diesem Falle breitet sich die Strahlungsenergie nicht mehr mit der Geschwindigkeit c m aus.

4.2

Das Absorptionsgesetz

Eine durch ein schwingungsfähiges System laufende Welle, deren Frequenz einer der Eigenfrequenzen des Systems entspricht, erzeugt eine Resonanz. Sie führt zur Absorption von Energie aus der erregenden Welle, wie wir dies schon in Kap. VI.4 bei den mechanischen Schwingungen kennengelernt haben. Bei elektromagnetischen Wellen freilich versagt dieses klassische Modell der erzwungenen Schwingung zur quantitativen Beschreibung der Absorption. Erst die Quantentheorie vermag den Absorptionsvorgang im Innern eines Atomes zu beschreiben und die Lage der Absorptionsbereiche im Spektrum richtig wiederzugeben (Kap. XVII.7; XVII.8). Wie ändert sich nun die elektromagnetische Welle, wenn ihr laufend Lichtquanten entzogen werden, sei es durch Anregung der Elektronen in Atomen, Ionen oder Molekülen, sei es durch Schwingung von Ionen in Molekülen oder im Festkörper, oder auch durch Streuung, indem Strahlung diffus in alle

395

XVIII.4 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen in Materie

Raumrichtungen wieder ausgesandt wird? - Fällt eine Welle auf Materie, so erfolgt die Absorption nicht abrupt, vielmehr wird die Intensität beim Eindringen allmählich verringert. Normalerweise sind in einer Lichtwelle so viele Lichtquanten enthalten, daß die Abnahme praktisch kontinuierlich erfolgt. Experimentell ist nachgewiesen worden, daß die in einer dünnen Schicht am Ort χ des absorbierenden Stoffes absorbierte Strahlungsleistung d Ρ proportional ist der Schichtdicke dx und der Strahlungsleistung der Welle P(x) in dieser Schicht: d P = — Κ P(x) dx,

(XVIII. 12)

wobei Κ eine Proportionalitätskonstante ist, und das negative Vorzeichen daraufhinweist, daß Ρ abnimmt. Wir können auch sagen, daß die prozentuale (oder relative) Abnahme d P / P der Strahlungsleistung in jeder Schicht der Dicke dx desselben Stoffes dieselbe ist (Abb. XVIII.20a). — = — Κ dx.

(XVIII. 13) dx P-dP.

P-dP_

p

'einfallend

— d

durch

_

ix

Abb. XVIII.20 Abnahme der Strahlungsleistung Ρ durch Absorption (a) in einer dünnen Schicht, (b) in einer dicken Schicht, die man sich aus vielen dünnen Schichten zusammengesetzt denken kann.

Ob ein Stoff bei der Frequenz des einfallenden Lichtes stark oder schwach absorbiert, ist durch die Größe der von den Eigenschaften des Stoffes abhängigen Konstante K, der Absorptionskonstante, bestimmt. Wird die durch die Probe laufende Welle auch durch Streuung geschwächt, (ζ. B. bei kolloidalen Systemen; Kap. XVIII.5.2), so wird Κ nicht als Absorptionskonstante sondern als Extinktionskonstan te bezeichnet.

396

XVIII. Wellenoptik

Nehmen wir an, die Strahlung durchläuft eine dicke Schicht des Stoffes. Dann interessiert uns, welcher Bruchteil der Strahlung nach Durchlaufen übrig bleibt. Wir können uns die Probe als ein Paket vieler dünner Schichten vorstellen (Abb. XVIII.20b), für welche je Gl. (XVIII. 13) gilt. An einem Beispiel wollen wir zeigen, was geschieht. In jeder Schicht der Dicke Δ χ sollen 50% der Strahlungsleistung absorbiert werden. Dann ist nach der ersten Schicht von der einfallenden Leistung P 0 noch die Hälfte, P j = j P 0 , nach der zweiten wieder 50% der noch vorhandenen Strahlung, d. h. P 2 = \ Ρ! = \ P 0 , nach der dritten Schicht P 3 = \ P 2 = | P 0 usw. übrig. In Abb. XVIII.21 ist die nach

Abb. XVIII.21 Abnahme der Strahlungsleistung Ρ in einer absorbierenden Schicht gemäß dem Absorptionsgesetz Gl. (XVIII. 14) (K = Absorptionskonstante).

Durchlaufen der Schichten jeweils übrig bleibende Strahlung als Funktion der Schichtdicke χ = η J χ (η = Zahl der durchlaufenden Schichten) aufgetragen. Verbindet man die Punkte durch eine glatte Kurve, so folgt diese einer Exponentialfunktion, und wir sagen, • die Strahlungsleistung nimmt exponentiell mit zunehmender Schichtdicke ab: P(x) = P 0 e _ K x

(XVIII. 14)

oder in anderer Schreibweise: Ρ (χ) = P 0 exp ( - Κ χ).

(XVIII. 15)

(Der exponentielle Zusammenhang zwischen Ρ und χ ist im Anhang hergeleitet.) Gl. (XVIII. 14) kann ebenso für die Intensität, d. h. die Strahlungsleistung pro Querschnittsfläche hergeleitet werden: I(x)=I0e-K*.

XVIII.4 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen in Materie

397

Die Absorptionskonstante eines Stoffes ändert sich mit der Frequenz des einfallenden Lichtes: Κ = Κ (ω). Gase unter niedrigem Druck absorbieren nur in sehr engen Spektralbereichen (Absorptionslinien, siehe Kap. XVII.7); nur dort ist Κ φ 0. Gase unter hohem Druck, Flüssigkeiten und feste Körper dagegen besitzen ausgedehnte Spektralbereiche, in denen sie absorbieren, und diese sind oft von Bereichen getrennt, in denen der Stoff durchsichtig ist, d. h. Κ = 0. Fensterglas etwa absorbiert sowohl im Ultravioletten als auch im Ultraroten und nur im sichtbaren Spektralbereich liegt ein praktisch absorptionsfreies Gebiet. Viele Metalle sind wegen der starken Absorption der Leitungselektronen in keinem Spektralbereich durchsichtig; ihre Absorptionskonstante ist übrigens viel größer als die der besten schwarzen Farbe. Es liegt an dem hohen Anteil reflektierter Strahlung, daß die Metalle dennoch nicht schwarz erscheinen. (K gibt nur Auskunft über die Absorption der in den Stoff" eindringenden Strahlung). Bestimmt man Κ für einen ausgedehnten Spektralbereich, so erhält man das Absorptionsspektrum.

4.3

Der Zusammenhang zwischen Absorption und Dispersion

Absorptionskonstante Κ und Brechungsindex η ändern sich mit der Frequenz ω der einfallenden Strahlung. In Absorptionsbereichen ist Κ (ω) groß, außerhalb davon ist Κ (ω) Null und der Stoff ist durchsichtig. In der Umgebung der Absorptionsbereiche ändert sich aber auch η (ω) stark, d.h. die Dispersion dn/dcu ist besonders groß. Für das einfache Beispiel zweier schmaler Absorptionsbereiche ist dieser Zusammenhang in Abb. XVIII.22 skizziert: Die Dispersion dn/dcü ist besonders ausgeprägt nahe der Absorptionsstelle, wird aber auch außerhalb des Absorptionsbereiches nicht Null. In absorptionsfreien Gebieten wächst η mit der Frequenz, dn/dcu > 0, - man nennt dieses Ver-

Κ(ω),

0 η(ω)ι

0

A ω.

J(Ú

J(Ü

Abb. XVIII.22 Spektren der Absorptionskonstante K(cu) und des Brechungsindex η(ω) eines Stoffes mit 2 Absorptionsbereichen. (Die Dispersion ist besonders ausgeprägt in der Umgebung der Absorptionsbereiche.)

XVIII. Wellenoptik

398

halten normale Dispersion - , während im Absorptionsbereich η mit der Frequenz abnimmt, dn/dco < 0 (anomale Dispersion). Die Tatsache, daß sich η auch in durchsichtigen Bereichen mit der Frequenz ändert, nutzt man ζ. B. aus, um mit Hilfe des Glasprismas Licht in seine Spektralfarben zu zerlegen (Prismen-Spektralapparat, Kap. XIX. 3.5).

XVIII.5 Spektralanalyse Jedes chemische Element ist im gasförmigen Zustand (bei nicht zu hohen Drucken) durch sein Absorptionsspektrum oder Emissionsspektrum eindeutig charakterisiert. Bei chemischen Verbindungen oder bei der Zusammenlagerung gleichartiger Atome (Flüssigkeiten, Festkörper) sind die Spektren nicht in gleichem Maße charakteristisch, da Spektren um so komplizierter werden, je mehr Atome sich in engem Verband befinden und sich gegenseitig beeinflussen. Die Veränderung von Spektren durch gegenseitige Beeinflussung benachbarter Atome können wir ζ. B. beim Na beobachten. Atomares Na ist durch die beiden Spektrallinien im Gelben leicht zu identifizieren, metallisches Na hat dagegen im ganzen sichtbaren Bereich eine uncharakteristische Absorption, die kaum von der anderer Metalle zu unterscheiden ist (Abb. XVIII.23).

Na-Dampf

Na-Metall

-5%

TicoleV] 2,00

2,05

2,10

2.15

2,20

2,25

2,30

Abb. XVIII.23 Absorptionsspektren von (a) atomarem Natrium, (b) festem Natrium.

Auch die Moleküle eines Lösungsmittels beeinflussen die Absorption des gelösten Stoffes, so daß sich die Spektren gelöster Atome von denen isolierter Atome unterscheiden. Dennoch lassen sich viele feste und flüssige Stoffe und Lösungen anhand ihrer Spektren identifizieren. Daher ist die Messung dieser

XVIII.5 Spektralanalyse

399

Spektren in begrenzten Spektralbereichen zu einer wichtigen Analysemethode geworden (Spektralanalyse oder photometrische Analyse). Mit ihrer Hilfe kann nachgewiesen werden, welche Stoffe in einer Probe enthalten sind (iqualitative Analyse) und auch in welcher Konzentration sie enthalten sind (quantitative Analyse). Die Spektralanalyse speziell von Lösungen ist eine Standardmethode in medizinischen Laboratorien geworden. Abb. XVIII.24a zeigt die unterschiedlichen Absorptionsspektren im Sichtbaren von sauerstoffbeladenem und sauerstoffreiem Hämoglobin aus arteriellem bzw. venösem Blut.

5.1

Lambert-Beer'sches Gesetz

Die Absorptionsspektren von Lösungen setzen sich zusammen aus der Absorption der gelösten Stoffe und der des Lösungsmittels. Die Absorptionsbereiche üblicher Lösungsmittel, wie Wasser, Alkohol, Aceton, Benzol usw. liegen außerhalb des Sichtbaren, so daß sie farblos und durchsichtig sind. Die Absorption eines gelösten Stoffes wird im sichtbaren Spektralbereich also nicht von der Absorption des Lösungsmittels überlagert. Ist dagegen auch der gelöste Stoff im Sichtbaren absorptionsfrei, so muß man zur Analyse die Absorptionsbereiche im Ultravioletten oder Infraroten aus-

C [10" 2 mg/cm 3 = 10" 2 kg/m s

a Abb. XVIII.24 (a) Absorptionsspektrum von sauerstoffbeladenem Hämoglobin (durchgezogene Kurve) und sauerstoffreiem Hämoglobin (gestrichelte Kurve). E: Extinktionskonstante; λ: Wellenlänge, (b) Absorption von Blutplasma bei λ = 546 nm in Abhängigkeit von der Konzentration an Paraaminohippursäure, einer Substanz zur Überprüfung der Nierenfunktion. Beachten Sie, daß Κ in logarithmischem Maßstab aufgetragen ist.

400

XVIII. Wellenoptik

messen. Dort liegen aber möglicherweise auch Absorptionsbereiche des Lösungsmittels, so daß man dessen Eigenschaften gesondert prüfen muß. • Für viele verdünnte Lösungen gilt, daß die Absorptionskonstante des gelösten Stoffes seiner Konzentration C proportional ist: K(A) = KS(A)C.

(XVIII. 16)

Mit steigender Konzentration ändert sich also die Absorption, der charakteristische Verlauf mit der Wellenlänge, der in der spezifischen Absorptionskonstante, K s , enthalten ist, bleibt jedoch unverändert. Das Absorptionsgesetz (Gl. (XVIII. 15)) lautet dann Ρ μ, χ) = P 0 (A) e- kg m * und heißt in dieser Form das Lambert-Beer'sehe

(XVIII. 17) Gesetz.

Es ermöglicht die quantitative Bestimmung des gelösten Stoffes, wenn dessen spezifische Absorptionskonstante K s bekannt ist, oder zum Vergleich eine Eichlösung bekannter Konzentration gemessen wird. Gl. (XVIII. 17) gilt z.B. nicht, wenn die Konzentration C von Proteinen in wäßriger Lösung so hoch wird, daß die Hydrathüllen verloren gehen und dadurch die Struktur des Absorptionsspektrums verändert wird. Bei Lösungen mit mehreren absorbierenden Bestandteilen setzt sich die Gesamtabsorption K G aus den Einzelabsorptionen K¡ (i = 1,2, 3,...) zusammen: K G = K , + K 2 + K 3 + . . . = ( K ^ C J + (K S , 2 C 2 ) + (Ks 3C3) + . . . (XVIII. 18) Das Lambert-Beer'sche Gesetz lautet dann: Ρ (λ, χ) = P0 (λ) e - K g ( ; 'x .

(XVIII. 19)

Zur Bestimmung aller Konzentrationen C¡ der gelösten Stoffe müssen Messungen bei mehreren Wellenlängen vorgenommen werden, bei welchen die spezifischen Konstanten K s ¡ bekannt sind. Abb. XVIII. 24b zeigt die Absorption von Blutplasma bei λ = 546 nm in Abhängigkeit von der Konzentration der Paraaminohippursäure. Die Absorption setzt sich zusammen aus der von Paraaminohippursäure und der übrigen im Plasma gelösten Stoffe.

5.2

Extinktion kolloidaler Systeme

Kolloidale Teilchen (wie kolloidale Metalle, gelöste Eiweiße, Fermente oder Toxine) sind, im Gegensatz zu den Molekülen in echten Lösungen, groß genug, daß - auch ohne Absorption Licht an ihnen gestreut wird. Das geschieht im Ultravioletten, wie auch im Sichtbaren und Ultraroten. Kolloidale Systeme sind daher nirgends völlig durchsichtig. Sie zeigen den sog. Tyndall-Ejfekt, eine Leuchterscheinung, die durch das seitlich gestreute Licht zustande kommt

XVIII.6 Polarisation elektromagnetischer Wellen

401

Abb. XVIII.25 Tyndall-Effekt (Streuung von Licht an einem kolloidalen System). Das Licht fallt in Zeichenebene in einen Trog mit Wasser, das durch Mastixteilchen getrübt ist. Durch die Streuung wird das Lichtbündel senkrecht zur Ausbreitungsrichtung sichtbar. Zwei davor gehaltene Polarisatoren zeigen, daß das Streulicht in senkrechter, nicht aber in waagerechter Richtung polarisiert ist (aus Bergmann/Schaefer „Experimentalphysik", de Gruyter 1966).

(Abb. XVIII.25). Er ist einfach zu beobachten, wenn beispielsweise ein gebündelter Lichtstrahl durch mit Wasser verdünnte Milch fallt. Die Intensität I einer einfallenden ebenen Welle nimmt wegen des durch Streuung verschwindenden Anteils mit der Schichtdicke des kolloidalen Systems ebenso ab, wie bei echter Absorption, und wir erhalten für den allgemeinen Fall, daß die Teilchen streuen und absorbieren: I (x) = I 0 e " E \

(XVIII.20)

E ist die Extinktionskonstante und enthält sowohl Absorptions- als auch Streuverluste. Für kolloidale Systeme gilt das Lambert-Beer'sche Gesetz, d. h. E ist proportional zur Konzentration: E = E S C. Die spezifische Extinktionskonstante E s hängt außer von der chemischen Beschaffenheit des gelösten Stoffes auch von der Größe der Teilchen ab. Der durch Streuung verursachte Anteil nimmt mit der Teilchengröße zu. Bei sehr kleinen Teilchen ändert sich die Intensität des Streulichtes sehr stark mit der Wellenlänge: In absorptionsfreien Spektralbereichen ist sie proportional zu 1/λ4. Daher erscheint Tabakrauch bläulich, denn blaues Licht wird wegen der kürzeren Wellenlänge stärker gestreut als rotes. Auch das Blau des Himmels beruht auf diesem Effekt; das an Inhomogenitäten der Atmosphäre, an kleinsten Staubpartikeln, usw. gestreute Licht enthält bevorzugt blaue Anteile. Ohne diese Streuung wäre der Himmel über uns schwarz wie über dem Mond. Im nichtgestreuten Licht bleiben in erster Linie die langwelligen Anteile erhalten, und das ist der Grund, weshalb die Sonne beim Untergang rot erscheint. Wenn die Sonne tief steht, müssen nämlich die Sonnenstrahlen einen besonders langen Weg durch die Atmosphäre zurücklegen. Bei größeren nicht absorbierenden Teilchen verschwindet diese Abhängigkeit von der Wellenlänge: Wassertröpfchen im Nebel erscheinen im Streulicht weiß.

XVIII.6 Polarisation elektromagnetischer Wellen 6.1

Polarisationszustand

Im Gegensatz zur longitudinalen Welle, bei der die Schwingungsrichtung mit der Ausbreitungsrichtung zusammenfällt, sind bei der transversalen Welle

402

XVIII. Wellenoptik

beliebig viele Richtungen für die Schwingung möglich; genauer gesagt: die Schwingungsrichtung kann beliebig innerhalb der Schwingungsebene F liegen, die senkrecht auf der Ausbreitungsrichtung S steht (Abb. XVIII.26). Hier-

Abb. XVIII.26 richtung.

Zwei linear polarisierte transversale Wellen mit unterschiedlicher Polarisations-

aus folgt, daß zur eindeutigen Beschreibung der transversalen Welle die Schwingungsamplitude als Vektor geschrieben werden muß, worauf schon in Kap. VII.1 hingewiesen wurde: (XVIII.21) Weist der Einheitsvektor e in die y-Richtung eines Koordinatensystems (Abb. XVIII.26), so sagen wir: Die Welle ist in y-Richtung polarisiert. Die durch den Vektor e und den Vektor der Ausbreitungsrichtung aufgespannte Ebene nennen wir die Polarisationsebene. Dies gilt ganz allgemein für transversale Wellen. Die elektromagnetische Welle ist transversal bezüglich beider Feldgrößen, die sich räumlich und zeitlich periodisch verändern, dem elektrischen Feld E und dem magnetischen Feld H. Beide Vektoren stehen also senkrecht auf der Ausbreitungsrichtung. Unabhängig davon, wie die Polarisationsrichtung der Welle auch sein mag, ist der Winkel zwischen E und H stets 90°. Zur Angabe der Polarisation müssen wir nun festlegen, ρό die Amplitude A 0 der Gl. (XVIII.21) die elektrische oder die magnetische Feldstärke sein soll. Aus historischen Gründen gibt man als Polarisationsrichtung die Richtung von H 0 , der Amplitude von H, an. Wenn wir also sagen, eine Welle sei in y-Richtung eines Koordinatensystems polarisiert, so meinen wir damit, daß die Richtung des magnetischen Vektors H 0 die y-Richtung ist; der Vektor des elektrischen Feldes E 0 liegt somit in der x-Richtung (Abb. XVIII.27). Die Polarisationsebene wird also durch die Vektoren H 0 und S aufgespannt. In Kap. VII.1 wurde bereits auf die verschiedenen Polarisationsmöglichkeiten hingewiesen: 1. Enthält ein Lichtbündel viele Wellen mit unterschiedlichen Polarisationsrichtungen, so daß keine Richtung besonders ausgezeichnet ist, dann nennen wie es unpolarisiertes oder natürliches Licht.

XVIII.6 Polarisation elektromagnetischer Wellen

403

Abb. XVIII.27 Elektromagnetische Welle, in y-Richtung linear polarisiert.

2. Enthält das Lichtbündel hingegen zu einem Zeitpunkt t nur in einer Richtung e polarisiertes Licht, und bleibt diese Polarisationsrichtung auch für beliebige andere Orte und Zeiten unverändert, so nennen wir dieses Licht linear polarisiert (Abb. XVIII.28).

Abb. XVIII.28 Linear polarisierte elektromagnetische Welle. Die Richtungen der maximalen Amplituden E 0 und H 0 sind zeitlich und räumlich konstant. s

Abb. XVIII.29 Zirkular polarisierte elektromagnetische Welle. E und H laufen mit konstantem Betrag auf einer Spirale um. Eine Umdrehung entspricht einer Wellenlänge. S kennzeichnet die Ausbreitungsrichtung.

3. Daneben gibt es Licht, das zu einem Zeitpunkt t in einer bestimmten Richtung polarisiert ist, diese Richtung sich aber mit der Zeit ändert. Beim zirkulär polarisierten Licht läuft der Polarisationsvektor gleichmäßig in der Schwingungsebene um, wobei der Betrag der Feldstärke konstant bleibt. Während jeder Periode der Welle erfolgt ein Umlauf um 360°. Ist, in Ausbreitungsrich-

404

XVIII. Wellenoptik

tung gesehen, der Umlaufsinn wie beim Zeiger einer Uhr, so nennen wir das Licht rechts-zirkular polarisiert (Abb. XVIII. 29), bei umgekehrtem Umlaufsinn links-zirkular polarisiert. Eine zirkulär polarisierte Welle läßt sich durch Überlagerung von zwei linear polarisierten Wellen derselben Frequenz, Amplitude und Ausbreitungsrichtung erzeugen, die zueinander senkrecht polarisiert sind und zudem eine Phasendifferenz von π/2 aufweisen. Umgekehrt erhält man linear polarisiertes Licht, wenn eine rechts-zirkulare Welle und eine links-zirkulare Welle mit der Phasendifferenz 0 überlagert werden.

4. Das elliptisch polarisierte Licht nimmt eine Zwischenstellung zwischen linear und zirkulär polarisiertem Licht ein, weil hier der Feldvektor wie bei der zirkulären Welle rotiert, sich aber zugleich sein Betrag ähnlich der linear polarisierten Welle periodisch ändert. Die verschiedenen Typen von polarisiertem Licht können wir demnach folgendermaßen zusammenfassen: • Polarisation

Richtung des Feldvektors

Betrag des Feldvektors

elliptisch polarisiertes Licht

ändert sich periodisch (Frequenz v)

ändert sich periodisch

linear polarisiertes Licht zirkulär polarisiertes Licht

unverändert

ändert sich periodisch unverändert

ändert sich periodisch

Unter Polarisation haben wir bisher vollständige Polarisation verstanden. Häufig enthält Licht aber sowohl Anteile polarisierten als auch natürlichen Lichtes; das Licht ist dann teilweise polarisiert. Den Anteil polarisierten Lichtes geben wir mit dem Polarisationsgrad an. Zum Beispiel ist er gleich 50%, wenn ebensoviel polarisiertes wie natürliches Licht in der Welle enthalten ist.

6.2

Erzeugung und Untersuchung von linear polarisiertem Licht

1. Polarisation durch Dichroismus In Kap. XVIII.4.3 wurde gezeigt, daß Absorption und spektraler Verlauf des Brechungsindex miteinander verknüpft sind, und daß in der Nähe einer Absorptionsstelle sich der Brechungsindex besonders stark mit der Wellenlänge ändert. Für isotrope Stoffe - das sind Stoffe, deren Struktur keine ausgeprägte Vorzugsrichtung aufweist, wie ζ. B. eine Flüssigkeit, ein NaCl-Kristall oder Glas - ist die Lage der Absorptionsstellen für Licht, das aus verschiedenen Richtungen einfällt, gleich; und auch der Brechungsindex hat für eine vorgegebene Wellenlänge denselben Wert, gleichgültig, von welcher Seite Licht auf den Stoff fällt. Es gibt aber sogenannte anisotrope Stoffe, ζ. B. spezielles Plastikmaterial, in dem langgestreckte Mole-

XVIII.6 Polarisation elektromagnetischer Wellen

405

kiile in einer Vorzugsrichtung ausgerichtet sind, oder Kristalle, deren Kristallstruktur wie beim Kalkspat oder beim Turmalin eine Vorzugsrichtung hat. Solche Stoffe zeigen unterschiedliches Absorptionsverhalten für Licht aus verschiedener Richtung und mit unterschiedlichem Polarisationszustand. Man nennt diese Stoffe dichroitisch (Abb. XVIII. 30a). Ein Beispiel ist das Polaroid-Filter, bei dem kleine anisotrope Kristallnadeln parallel zueinander in eine Plastikfolie eingebettet sind. Fällt Licht auf eine solche Folie, so absorbieren diese Kristalle bei einer bestimmten Polarisationsrichtung im Sichtbaren, für die dazu senkrechte Polarisationsrichtung S2 dagegen ist der Absorptionsbereich ins Ultraviolette verschoben, und die Folie ist daher für sichtbares Licht dieser Polarisation e 2 durchlässig. Bereich f ü r Polarisationsfilter

η II

1

i

Doppelbrechung

III.

Dichroismus

V

α

\

Ν \

\

s A Absorptionsbereich

1

-

durchsichtig

Abb. XVIII.30 (a) Absorptionsspektrum eines dichroitischen Stoffes für verschieden linear polarisiertes Licht, (b) Spektrum des Brechungsindex eines dichroitischen Stoffes (Doppelbrechung) für verschieden linear polarisiertes Licht. ( ± und II bedeuten, daß das Licht senkrecht bzw. parallel zu einer ausgezeichneten Richtung des dichroitischen Stoffes polarisiert ist).

Dieses Verhalten ermöglicht es, auf einfache Weise aus natürlichem Licht den Anteil einer bestimmten Polarisationsrichtung herauszufiltern. Heute verwendet man als Polarisatoren zur Herstellung linear polarisierten Lichtes meist derartige Polarisationsfilter. Polarisatoren dienen nicht nur zur Erzeugung, sondern auch zum Nachweis polarisierten Lichtes. Man bringt dazu ein weiteres Polarisationsfilter, den Analysator, in ein linear polarisiertes Lichtbündel und dreht es um seine Achse (Abb. XVIII.31). Man findet dabei, daß Licht besonders gut durchgelassen wird (Durchlaßstellung), wenn der Analysator ebenso ausgerichtet ist, wie der

Abb. XVIII.31 Nachweis des Polarisationszustandes von linear polarisiertem Licht, (a) Polarisator und Analysator in Durchlaßstellung, (b) in einer Zwischenstellung und (c) in Sperrstellung.

λ

406

XVIII. Wellenoptik

Polarisator, der das polarisierte Licht erzeugt hat. In der dazu um 90° gedrehten Stellung wird dagegen kein Licht durchgelassen (Sperrstellung). Dies funktioniert nur für linear polarisiertes Licht; zirkulär oder elliptisch polarisiertes Licht läßt sich durch keine Stellung des Analysators auslöschen. An einer Seilwelle kann man sich dies veranschaulichen: Auf dem Seil werde eine linear polarisierte Welle erzeugt. Als Analysator verwenden wir ein Stück Gatterzaun. Ist die Welle senkrecht polarisiert, passiert sie den Analysator, waagerecht polarisierte Wellen dagegen werden durch den Zaun abgefangen (Abb. XVIII.32).

a

b

Abb. XVIII.32 Gartenzaun als Analysator für linear polarisierte Seilwellen, (a) Durchlaßstellung, (b) Sperrstellung.

2. Polarisation durch Doppelbrechung Liegen die Absorptionsbereiche eines dichroitischen Stoffes für alle Polarisationsrichtungen im Ultravioletten, ist also der anisotrope Stoff im Sichtbaren durchsichtig, so weist er dort Unter-

I O.

d.O.

Abb. XVIII. 33 Doppelbrechung an einem Kalkspatkristall. Der ordentliche Strahl (o.) folgt dem Brechungsgesetz (wird also bei senkrechtem Einfall nicht gebrochen), der außerordentliche Strahl (a.o.) folgt dem Brechungsgesetz nicht (wird auch bei senkrechtem Einfall gebrochen).

XVIII.6 Polarisation elektromagnetischer Wellen

407

schiede des Brechungsindex für verschiedene Polarisationsrichtungen auf, denn der Brechungsindex hängt ja ab von der Lage der Absorptionsstellen (Abb. XVIII.30b). Für diejenige Richtung, bei der die Absorptionsstelle näher zum Sichtbaren liegt, ist der Brechungsindex größer als für andere Richtungen. Man nennt durchsichtige Stoffe, deren Brechungsindex von der Richtung und dem Polarisationszustand des einfallenden Lichtes abhängt, doppelbrechend. Bei doppelbrechenden Kristallen kann es vorkommen, daß das Brechungsgesetz (Kap. XIX.3.3) für Wellen bestimmter Polarisationsrichtungen nicht gültig ist. In Abb. XVIII.33 ist gezeigt, daß in einem Kalkspat-Kristall der als außerordentlicher Strahl (a.o.) bezeichnete Lichtstrahl gebrochen wird, obwohl das Licht senkrecht auf die Grenzfläche auffällt. Mit Hilfe der Doppelbrechung aus natürlichem Licht linear-polarisiertes Licht auszufiltern, ist zwar umständlicher als mit Hilfe des Dichroismus, aber es ist ebenfalls möglich. Ein Beispiel ist das Nicol-Prisma aus zwei aufeinandergekitteten Kalkspatprismen (Abb. XVIII. 34).

unpol ar isi e L ι cht

Abb. XVIII.34 Nicol'sches Prisma aus zwei Kalkspatkristallen zur Erzeugung linear polarisierten Lichtes (s. Text).

Der Kitt im Zwischenraum zwischen den beiden Prismen hat einen kleineren Brechungsindex als der Kalkspat. Ein Strahl natürlichen Lichtes wird beim Auftreffen auf das erste Prisma wegen der Doppelbrechung in zwei Teilbündel, den ordentlichen und den außerordentlichen Strahl, aufgespalten, von denen das eine Bündel in der Zeichenebene polarisiert ist, das andere senkrecht dazu. Das letztere wird stärker gebrochen und trifft daher auf die verkittete Grenzfläche so flach auf, daß es dort totalreflektiert (Kap. XIX.3.6) und aus dem Prisma nach oben herausgelenkt wird. Der parallel polarisierte Anteil fällt steiler auf die Kittfläche und geht kaum geschwächt durch sie hindurch. So verläßt das Nicol in Strahlrichtung nur Licht einer Polarisation, das Nicol wirkt also als Polarisationsfilter.

Durch mechanische Kräfte (Spannungen) können nichtkristalline Stoffe, wie Glas, Plexiglas oder Plastikmaterial, doppelbrechend werden (,Spannungsdoppelbrechung), da in Richtung der Kraft im Material eine Vorzugsrichtung entsteht. Aus der Stärke der Doppelbrechung kann man sogar die räumliche Verteilung und Größe der mechanischen Spannungen in solchen Körpern erkennen. Eine praktische Anwendung zeigt Abb. XVIII.35, in der in einer Plexiglasplatte die Kräfteverteilung bei Belastung sichtbar wird. Entsprechende Versuche werden z. B. an aus Plexiglas nachgeformten Hüftgelenken durchgeführt.

408

XVIII. Wellenoptik

Abb. XVIII.35 Spannungsdoppelbrechung an einer Plexiglasplatte; a) Prinzip der experimentellen Anordnung, b) Photographie des Spannungsbildes. In den dunklen Bereichen ist die Polarisationsebene in der Probe in Auslöschstellung gedreht worden. (Für die Aufnahme danken wir Herrn Prof. Dr. H. Ismar.)

3. Erzeugung von polarisiertem Licht bei der Reflexion an einem durchsichtigen Stoff Ein Bündel natürlichen Lichts, das schräg auf eine Glasplatte trifft, hat nach der Reflexion eine deutlich bevorzugte Polarisationsrichtung, und zwar steht E senkrecht zur Einfallsebene. Es ist sogar vollständig polarisiert, wenn der Einfallswinkel gleich dem Brewster'sehen Winkel a B ist, der durch die Bedingung tan ocB = η

(XVIII.22)

festgelegt ist. Bei Wasser (n = 1,33) ist a B = 53°. Zur Deutung dieser Beobachtung können wir uns als Modell vorstellen, daß die Atome in der Oberfläche der reflektierenden Fläche wie kleine elektrische Dipol-Empfangsantennen wirken (Abb. XVIII.36a), die durch das elektrische Feld der einfallenden (also bereits gebrochenen) Welle zu Schwingungen angeregt werden und dadurch zugleich als Sender wirken und wieder Wellen

409

XVIII.6 Polarisation elektromagnetischer Wellen

abstrahlen. Durch Interferenz benachbarter Dipole entstehen sowohl der reflektierte als auch der durchgehende Strahl (Huygens'sches Prinzip, Kap. XVIII.3.1). Von Kap. XIV.9.7 wissen wir, daß eine Dipol-Antenne keine Strahlung in Richtung seiner Achse abstrahlen kann, und daher wird bei demjenigen Einfallswinkel a B , bei dem diese Achse gerade mit der aus dem Reflexionsgesetz (Kap. XIX.3.1) folgenden Richtung des reflektierten Strahles zusammentrifft, keine Strahlung reflektiert. Aus der Abb. XVIII.36 geht hervor, daß dieses (1) nur bei Licht geschieht, dessen elektrischer Vektor E in der Einfallsebene schwingt, und (2) nur wenn reflektierter und gebrochener Strahl senkrecht aufeinander stehen. Das Brechungsgesetz der Gl. (XIX.3) läßt sich für diesen Fall umschreiben in: sina„ sina„ sina„ . ° = η = -— = A t a ñ a nB smß sin(a B + 90°) cosa B

,,, (XVIII.23)

und liefert damit die Bedingung für den Brewster-Winkel, Gl. (XVIII.22).

ν///////////////////ψ·

Abb. XVIII.36 Modell zur Erklärung der Polarisation von Licht bei Reflexion an nicht absorbierenden Stoffen durch Anregung atomarer Dipole, (a) E in Einfallsebene, (b) Ë senkrecht zur Einfallsebene.

Der Anteil der einfallenden Strahlung, dessen E-Vektor senkrecht zur Einfallsebene schwingt, wird hingegen von den Dipolen zurückgestrahlt (Abb. XVIII.36b), und so findet man in dem reflektierten Licht nur diesen Polarisationszustand. Bei der Reflexion an metallischen Stoffen sind die Verhältnisse wesentlich komplizierter: Hier ist das reflektierte Licht nicht linear, sondern im allgemeinen elliptisch polarisiert.

4. Polarisation durch Streuung An kolloidalen oder makromolekularen Suspensionen (Kap. XIII. 3.2) wird Licht gestreut. Dies sieht man sehr schön bei einem Lichtstrahl, der durch Zigarettenrauch oder verdünnte Milch fallt. Verwenden wir natürliches Licht, so sehen wir Streulicht in allen Richtungen (Tyndall-Streuung, Kap. XVIII.5.2). Dieses Streulicht erweist sich je nach Streurichtung als mehr oder weniger polarisiert. Bei sehr kleinen Teilchen beobachten wir, daß speziell senkrecht zur Ausbreitungsrichtung das Licht vollständig linear polarisiert ist, und der elektrische Vektor Ë senkrecht zur Ebene weist, die durch die Richtungen des einfallenden und des gestreuten Lichtes festgelegt ist (Abb. XVIII.37).

410

XVIII. Wellenoptik

Abb. XVIII.37 Polarisation durch Tyndall-Streuung an einem nicht absorbierenden kolloidalen System. Senkrecht zur Einfallsrichtung ist das Licht senkrecht linear polarisiert (siehe auch Abb. XVIII.25).

Zur Erklärung können wir wieder die Strahlungseigenschaften von Dipol-Antennen heranziehen. Fassen wir jetzt das ganze kolloidale Teilchen in der Abb. XVIII.37 als Dipol auf, so schwingt dieser Dipol nur senkrecht zur Ausbreitungsrichtung des einfallenden Lichts, da dieses ja eine transversale Welle ist. Das Teilchen kann also auch nur entsprechend polarisiertes Licht als Streulicht aussenden.

In der atmosphärischen Luft sind stets Inhomogenitäten, wie Dichteschwankungen infolge der Wärmebewegung der Luftmoleküle, Staubteilchen oder Wassertropfen enthalten, die dazu führen, daß das Sonnenlicht gestreut wird (Kap. XVIII.5.2). Hier interessiert uns, daß auch dieses Streulicht (Himmelsblau) mehr oder weniger polarisiert ist. In Richtungen senkrecht zur Richtung der Sonnenstrahlen ist der Polarisationsgrad am größten. Es ist nachgewiesen, daß Bienen mit ihren Facettenaugen diese Polarisation des Himmelslichtes erkennen und zur Orientierung verwenden.

6.3

Optische Aktivität und Faraday-Effekt

Ein weiterer Polarisationseffekt ist bei vielen Substanzen in Lösung (Zucker, Stärke, Weinsäure, Serumalbumin) und auch in einigen Kristallen (Quarz) zu beobachten. Die Moleküle dieser Stoffe haben eine Unsymmetrie, die z.B. beim Zucker durch ein asymmetrisches C-Atom entsteht, dessen 4 Valenzen mit verschiedenen Atomgruppen besetzt sind. Wenn linear polarisiertes Licht durch solche Substanzen fällt, so wird die Polarisationsrichtung um die Strahlachse gedreht (optische Aktivität). Dabei kann die Drehung sowohl im Uhrzeigersinn (Rechtsdrehung), als auch entgegen dem Uhrzeigersinn (Linksdrehung) erfolgen. Bisweilen treten Stoffe gleicher chemischer Konstitution sowohl in rechts- wie auch in linksdrehender Form auf (Quarz, Zucker);

411

XVIII.6 Polarisation elektromagnetischer Wellen

bei Mischung beider Formen in gleicher Konzentration wirkt der Stoff nichtdrehend (razemisch). • Bei Lösungen optisch aktiver Substanzen ist der Drehwinkel α der Konzentration C proportional und es gilt: α = «o C d,

(XVI II. 24)

wobei d die Dicke der Küvette mit der Lösung ist und a 0 (die spezifische Drehung) eine stoffspezifische Konstante. Man braucht also nur die Lösung zwischen einen Polarisator und einen Analysator zu stellen und durch Drehen des Analysators den Drehwinkel α zu messen, der durch die Lösung entsteht, um die Konzentration des gelösten Stoffes zu bestimmen. Apparate zur Konzentrationsbestimmung aus der optischen Drehung werden Polarimeter genannt; in medizinischen Labors werden sie ζ. B. zur Zuckerbestimmung im Harn eingesetzt (Abb. XVIII. 38).

Abb. XVIII.38

Polarimeter zur Messung der optischen Aktivität einer Lösung.

Bei manchen Stoffen (die optisch inaktiv sind), wie ζ. B. Glas oder Schwefelkohlenstoff, kann man durch Anlegen eines magnetischen Feldes künstlich erreichen, daß die Polarisationsebene eines in Feldrichtung einfallenden linear polarisierten Lichtbündels gedreht wird. Der Drehwinkel wächst dabei mit der Stärke des Magnetfeldes. Man nennt diese Erscheinung den FaradayEffekt.

412

XVIII. Wellenoptik

XVIII.7 Materiewellen Einen wesentlichen Fortschritt der modernen Physik brachte die Erkenntnis mit sich, daß bewegte Materie Verhaltensweisen zeigt, die im Rahmen der klassischen Physik völlig unverständlich bleiben und nur zu erklären sind, wenn man der bewegten Materie Welleneigenschaften zuschreibt. Freilich werden diese Eigenschaften erst deutlich, wenn man mit extrem kleinen Massen, d.h. im wesentlichen mit Elementarteilchen, experimentiert, und dies erklärt auch, weshalb sie so lange verborgen blieben. Eine typische Eigenschaft von Wellen ist, daß sie an Hindernissen gebeugt werden. Wir haben in Kap. XVIII. 3 gesehen, daß Wellen durch einen Spalt oder ein Gitter so gebeugt werden, daß eine regelmäßige Beugungsfigur entsteht, vorausgesetzt, die Gitterkonstante ist, verglichen mit der Wellenlänge, nicht zu groß. Einem Elektronenstrahl, der in einer elektrischen Spannung von einigen kV beschleunigt wurde, ist beispielsweise eine Wellenlänge zuzuordnen, die mit etwa 10" 2 nm weit unter der des Lichtes liegt. Also müssen wesentlich kleinere Hindernisse für Beugungsexperimente mit diesen Materiewellen benutzt werden. Dazu bietet sich die regelmäßige Struktur kristalliner Festkörper an (Abb. V.7), die als räumliche Gitter aufgebaut sind. Und tatsächlich wurde beobachtet, daß schnelle Elektronen an Kristallgittern gebeugt werden (Abb. XVIII. 39a), ganz entsprechend der Beugung elektromagnetischer Röntgenwellen gleicher Wellenlänge (Abb. XVIII.39b). Heute ist die Bestimmung von Kristallstrukturen aus der Beugung von Elektronenstrahlen ebenso zur Routine-Methode geworden wie die analoge Untersuchung mit Röntgenstrahlen. Daneben sind Beugungs- und Interferenzeffekte ebenso bei Neutronen und Protonen gefunden worden. Mit Teilcheneigenschaften lassen sich die der Beugung zugrunde liegenden Interferenzen nicht deuten, sondern nur unter der Annahme, daß der Strahl sich ausbreitender Teilchen Welleneigenschaften besitzt. Andererseits gibt es viele Experimente, die deutlich zeigen, daß das Elektron auch als Teilchen anzusehen ist. • Diese merkwürdige Eigenschaft der Materie, bei einem Experiment Teilcheneigenschaften (z.B. den Impuls S = rav) und bei einem anderen Experiment Welleneigenschaften (z.B. die Wellenlänge X) zu besitzen, bezeichnet man als Welle-Teilchen-Dualismus (Kap. XVII. 1). Einen Zusammenhang zwischen beiden Bildern stellte de Broglie mit seinem Vorschlag her, S und λ durch die Beziehung u

1,

λ= - = S mv

(XVIII.25)

zu verknüpfen, wobei λ heute als de Broglie-Wellenlänge der bewegten Teilchen bezeichnet wird. Die Wellenlänge hängt von der Geschwindig-

XVIII.7 Materiewellen

413

Abb. XVIII.39 Beugung von (a) Elektronenstrahlen und (b) Röntgenstrahlen am Kristallgitter von Aluminium; die Wellenlänge der verwendeten Strahlung ist in beiden Fällen gleich (aus K. Atkins Physik, de Gruyter 1974).

414

XVIII. Wellenoptik

keit des Teilchens ab, sie wird um so kürzer, je größer ν ist. h ist die Planck'sche Konstante (Gl. (III. 3)). Welcher Art ist nun diese der Materie zuzuschreibende Welle? Zwar trägt das Elektron eine elektrische Ladung, ebenso wie das Proton, dennoch hat die Welle nichts mit elektromagnetischen Wellen zu tun. (Auch dem elektrisch neutralen Neutron ist eine de Broglie-Wellenlänge zuzuordnen). Vielmehr besteht die physikalische Interpretation einer Materiewelle darin, daß deren Intensität an irgendeinem Ort (die, wie bei jeder Welle, dem Quadrat der Amplitude proportional ist (siehe Kap. VII.l)) die Wahrscheinlichkeit beschreibt, daß sich das Teilchen an diesem Ort aufhält. Wir sprechen daher - schlampig - auch von Wahrscheinlichkeitswellen; schlampig deshalb, weil erst das Quadrat der Wellenamplitude mit der Wahrscheinlichkeit verknüpft ist. Die Amplitude selbst hat keine physikalisch anschauliche Bedeutung; sie kann nicht direkt beobachtet werden. Sie gehorcht jedoch dem mathematischen Formalismus für Wellen, den wir in Kap. VII in seinen Ansätzen kennengelernt haben. Gl. (XVIII.25) gilt ebenso für makroskopische Körper, aber deren de BroglieWellenlänge ist wegen der großen Masse so klein, daß etwaige Beugungserscheinungen jenseits jeder Beobachtbarkeit liegen. Einem 1 kg schweren Brokken, der mit ν = 1 m/s bewegt wird, wäre λ κ, 10" 2 5 nm zuzuschreiben, d.h. der 10~ 2 4 -te Teil eines Atomdurchmessers. Über derartige Größen zu diskutieren, erscheint wenig sinnvoll. Wir können daher bei makroskopischen Körpern getrost weiterhin mit der klassischen Mechanik arbeiten, die ausschließlich den Teilchencharakter der Materie berücksichtigt. Das Unbestimmtheits-Prinzip Eine harmonische Welle mit fester Wellenlänge λ, wie sie durch Gl. (VII.7) beschrieben wird, ist räumlich nicht begrenzt; ein Wellenpaket dagegen, dessen Ausdehnung begrenzt und dessen Ort lokalisierbar ist, entsteht nach dem Fourier-Theorem (Kap. VII.4) erst durch Überlagerung von vielen harmonischen Wellen verschiedener Wellenlängen. Dies gilt auch für Materiewellen und führte zu einer Konsequenz, die für die Quantentheorie grundlegend ist: Nach Gl. (XVIII.25) sind Teilchen mit konstantem Impuls S (und damit festgelegter der Broglie-Wellenlänge λ) an allen Orten des Raumes mit gleicher Wahrscheinlichkeit zu finden, da ihre Wellen unendlich ausgedehnt sind. Sie sind also nicht lokalisierbar, d. h. ihr Ort ist prinzipiell unbestimmt. Umgekehrt können wir einem lokalisierbaren Wellenpaket, d. h. Teilchen, keine einzelne Wellenlänge λ und damit keinen festen Impuls zuschreiben : Je kürzer das Wellenpaket ist, um so breiter ist nach dem Fourier-Theorem der Spektralbereich der harmonischen Wellen, aus denen sich das Wellenpaket zusammensetzt, und auch das Intervall möglicher Impulse. Je besser wir also den Ort eines Teilchens kennen, um so unbestimmter wird der Teilchenimpuls. Diese prinzipielle Grenze für die gleichzeitige Bestimmung von Impuls und Ort eines Teilchens ist quantitativ in der Heisenberg'schen Unbestimmtheitsrelation (Unschärferelation) zusammengefaßt: zlxzISäh,

(XVIII.26a)

wobei Α χ und Δ S die Genauigkeitsintervalle sind, innerhalb derer der Ort χ und der Impuls S experimentell bestimmbar sind. Ein Beispiel: In einem Elektronenmikroskop (Kap. XX.4) haben die Elektronen eine de BroglieWellenlänge von etwa 0,005 nm. Wollen wir die Wellenlänge auf 1% genau bestimmen, so ist die Ortsunschärfe der einzelnen Elektronen Α χ etwa 1 nm (das sind etwa 4 Atomdurchmesser).

XVIII.7 Materiewellen

415

Das Unbestimmtheitsprinzip ist von Bedeutung nur bei Teilchen mit extrem kleinen Massen, wie Elektronen, Neutronen, Protonen usw. Wollen wir Ort und Impuls eines makroskopischen Körpers messen, so liefert die Unschärferelation keine praktische Einschränkung der Meßbarkeit. Die Unschärferelation bezieht sich nicht nur auf die Größen Ort und Impuls, sondern ebenso auf Energie E und Zeit t. Analog zu Gl. (XVIII.26a) kann also formuliert werden: JE¿t£h,

(XVIII.26b)

wobei A E und Δ t die Genauigkeitsintervalle sind, innerhalb derer die Energie E und die Zeit t zugleich experimentell bestimmbar sind. Ein Beispiel: Ist die mittlere Lebensdauer eines angeregten Elektronenzustandes E¡ durch Δ t gegeben, so beschreibt das aus Gl. (XVIII.26b) folgende Energieintervall z l E ~ h / J t die Energieunschärfe des elektronischen Übergangs zwischen E¡ und dem Grundzustand. Die Emissionsspektren von Gasen unter hohem Druck (wie im Innern der Sonne) sind gegenüber den Emissionslinien isolierter Gasatome (wie über der Sonnenoberfläche) stark energieverbreitert, da wegen der häufigen Stöße zwischen den Atomen im hochkomprimierten Gas die elektronischen Übergänge schneller erfolgen als bei der Emission von Atomen unter Normaldruck. Die Stoßverbreiterung von Spektrallinien ist also eine direkte Folge der Unschärferelation zwischen Lebensdauer Δ t und Energieunschärfe A E.

XIX. Geometrische Optik XIX. 1 Geradlinige Lichtausbreitung Der Weg von Laserlicht oder Sonnenlicht, auf Grund des durch Staubpartikel in der Luft verursachten Streulichtes sichtbar, erweist sich unserem Auge oder auch verläßlicheren optischen Instrumenten als völlig geradlinig. Auch aus der Tatsache, daß Gegenstände scharf begrenzte Schatten werfen, können wir auf die geradlinige Ausbreitung von Licht schließen (Abb. XIX. la, b). Man

verwendet deshalb den Lichtweg in der Geodäsie zur Landvermessung mit dem Theodoliten und in der Astronomie zur Angabe von Entfernungen (Einheit Lichtjahr). Geringe Abweichungen von der geraden Bahn, durch die allgemeine Relativitätstheorie für Lichtwege in der Nähe großer astronomischer Massen postuliert, sind ohne praktische Bedeutung. Das erste Grundgesetz der geometrischen Optik ist demnach das • Gesetz der geradlinigen Lichtausbreitung. Wegen dieses Gesetzes kann man die Ausbreitung der elektromagnetischen Welle vereinfacht dadurch beschreiben, daß man das Modell des Lichtstrahls einführt, der die Ausbreitungsrichtung angibt. Den Teil der Optik, dem das Modell des Lichtstrahls zugrunde liegt, nennt man die Geometrische Optik. Geradlinig verläuft ein Lichtstrahl freilich nur im Vakuum und in optisch homogenen Stoffen. An der Grenzfläche zwischen zwei Stoffen dagegen

417

XIX. 1 Geradlinige Lichtausbreitung

kann sich die Ausbreitungsrichtung durch Brechung und Reflexion ändern, und der Lichtstrahl knickt dort ab. Der Lichtstrahl kennzeichnet die Richtung, in die sich die Strahlungsenergie des Lichts ausbreitet; sie wird durch die Richtung des Poynting-Vektors S angegeben (Kap. XIV.7 und XVII.2.1): S = Ë χ H.

(XIX. 1)

Durch diese Beziehung wird die Wellenoptik mit der geometrischen Optik verknüpft, denn aus Gl. (XIX. 1) folgt, daß der Lichtstrahl sowohl auf dem Vektor der elektrischen als auch auf dem der magnetischen Feldstärke senkrecht steht. Das Modell des Lichtstrahls gibt jedoch keine Auskunft über die Intensität des Lichts, d. h. über den Betrag von S. Es ist nicht festgelegt, wieviele Lichtstrahlen ein Lichtbündel charakterisieren. Ein Lichtbündel kann durch den Strahl längs seiner Achse oder auch durch die das Bündel begrenzenden Strahlen gezeichnet werden. Ein Spezialfall der elektromagnetischen Wellen ist die ebene Welle (Abb. XIX.2) ; da Lichtstrahlen stets senkrecht auf der durch die Vektoren E und H aufgespannten Wellenfläche stehen, sind sie in diesem Fall parallel zueinander; man spricht dann von einem Parallel-Lichtbündel. (Nahezu paralleles Licht erhält man z. B. von sehr weit entfernten, im Vergleich zum Abstand kleinen Lichtquellen, beispielsweise von der Sonne.) Vorgänge wie Brechung und Reflexion werden in guter Näherung mit den Gesetzen der geometrischen Optik beschrieben. Im Laufe der Zeit hat sich zur praktischen Berechnung optischer Geräte eine komplizierte und auch mathematisch anspruchsvolle Theorie der geometrischen Optik entwickelt, die wir allerdings nur in ihren elementaren Grundlagen streifen wollen. Da der Lichtstrahl die Wellennatur des Lichts nicht berücksichtigt, versagt dieses Modell bei der Darstellung all jener physikalischen Erscheinungen, die sich auf die Wellennatur des Lichts gründen, zum Beispiel bei der Beugung. • Gültigkeitsbedingung für die geometrische Optik ist, daß Beugungserscheinungen gering sind, und nach Kap. XVIII.3.2 heißt dies, daß der Durchmesser d eines Bündels von Lichtstrahlen überall groß gegen die Wellenlänge des Lichtes λ sein muß (d λ). Das Modell des Lichtstrahls ist auch zum Verständnis der Interferenz unzureichend, denn von den Lichtstrahlen der geometrischen Optik wird angenommen, daß sie unabhängig voneinander sind, sich also überlagern, ohne sich gegenseitig zu beeinflussen (Gesetz der ungestörten Superposition). Das Zustandekommen und die Eigenschaften polarisierten Lichts liegen ebenfalls außerhalb der geometrischen Optik.

418

y /

>

'

Lichtbündel (Strahlenbündel)

V Wellenflächen einer ebenen Welle

Abb. XIX.2

Parallel-Lichtbündel mit Wellenflächen und Wellennormalen (Lichtstrahlen).

XIX. 2 Optische Symbole Um optische Anordnungen übersichtlich skizzieren zu können, ist es sinnvoll, wie für die Schaltkreise in der Elektrizitätslehre Symbole zu benutzen.

1. Optische Achse : 2. Licht-Strahl reell:

virtuell:

3. Sammellinse:

0

4. Prisma:

Δ

5. Gitter:

t

Zerstreuungslinse : I

ι ι I

6. Lichtquelle:

®

7. Gegenstand:

Î

8. Blende:

I I P

9. Polarisator:

^

I

10. Beobachtung mit dem Auge:

>

o

I

XIX. 3 Gesetze der Geometrischen Optik

419

XIX.3 Gesetze der Geometrischen Optik Zusammen mit dem Gesetz der geradlinigen Ausbreitung und dem Gesetz der ungestörten Superposition des Lichts (Kap. XIX. 1) sind Brechungsgesetz und Reflexionsgesetz die grundlegenden Gesetze, die uns im Rahmen der geometrischen Optik beschäftigen werden.

3.1

Reflexion

Zivilisierte Menschen schauen von Zeit zu Zeit in einen Spiegel und machen dabei Gebrauch vom Reflexionsgesetz. Fällt Licht auf die Grenzfläche zwischen zwei Stoffen (z.B. Luft-Glas oder Luft-Metall), so wird dort ein Teil des Lichts reflektiert. Der nicht reflektierte Anteil tritt in den zweiten Stoff ein, wobei er i.A. in einer anderen Richtung verläuft, als der einfallende und reflektierte Strahl; er wird gebrochen. Die Aufteilung des einfallenden Lichts in reflektiertes und gebrochenes Licht ändert sich mit dem Einfallswinkel α (Abb. XIX. 3) und wird bestimmt durch Brechungsindex und Absorptionskoeffizient, die optischen Materialkonstanten der beiden Stoffe. Die Grenzfläche zwischen Glas und Luft reflektiert bei senkrechtem Einfall des Lichtes etwa 4%, ein Metallspiegel dagegen bis zu 98%. Daher sind übliche Spiegel mit Metall (meist mit Aluminium) hinterlegte Glasplatten, wobei das Glas nur als Träger der spiegelnden Metallschicht dient. Einfallslot

Einfallsebene

Grenzfli

Abb. XIX. 3

Zum Reflexionsgesetz.

An rauhen Oberflächen wird das aus einer Richtung einfallende Licht mit verschiedener Intensität in alle möglichen Raumrichtungen reflektiert, es wird streureflektiert oder gestreut. Eine Mattscheibe aus rauhem Glas erscheint daher milchig und undurchsichtig, obgleich das Glasmaterial selbst durchsichtig ist. An einer glatten und ebenen Grenzfläche zwischen zwei verschiedenen Stoffen hingegen ist die Richtung des reflektierten Strahls festgelegt durch die Richtung des einfallenden Strahls, und zwar besagt das Reflexionsgesetz (siehe auch Kap. VII. 5):

420

XIX. Geometrische Optik

• Fällt ein Strahl auf eine ebene Grenzfläche, und bildet er mit dem im Auftreffpunkt Ρ auf der Fläche errichteten Lot, dem Einfallslot den Einfallswinkel α (Abb. XIX. 3), so liegt der reflektierte Strahl in der durch den einfallenden Strahl und das Lot gebildeten Ebene (.Einfallsebene), und der Reflexionswinkel a! zum Lot ist gleich dem Einfallswinkel. In Wirklichkeit ist jede Oberfläche - zumindest in atomaren Größenordnungen - uneben. Als optisch plan oder optisch eben bezeichnet man Flächen, deren Oberflächenrauhigkeit klein, gemessen an der Wellenlänge des Lichts, ist. Häufig wird bei optischen Glasbauteilen die obere Grenze der Unebenheit in Einheiten der mittleren Lichtwellenlänge des sichtbaren Lichts (Amittel = = 550 nm) angegeben: So ist z.B. ein gutes Mikroskopdeckglas auf ¿ mitte i/10 plan.

3.2

Abbildung durch Spiegel

i. Planspiegel Betrachten wir eine Buchseite über einen ebenen Spiegel (Planspiegel), so sehen wir das Schriftbild aufrecht aber seitenverkehrt, so daß wir die gespiegelte Schrift nur schwer lesen können. Wir sehen dabei das Spiegelbild des Buches ebenso weit hinter dem Spiegel, wie das Buch vom Spiegel entfernt ist. Dies ist ein einfaches Beispiel für eine optische Abbildung. • Ein Bild eines Gegenstandspunktes G entsteht bei einer optischen Abbildung, wenn die durch Eigenleuchten oder Streureflexion von G ausgehenden Lichtstrahlen so in ihrer Richtung abgelenkt werden, daß sie im Bildpunkt Β wieder zusammentreffen. Dies erreicht man durch optische Bauelemente, deren Wirkung auf Reflexion oder Brechung beruht. Im allgemeinen haben wir bei optischen Abbildungen zwei verschiedene Arten von Bildern f u unterscheiden: die reellen Bilder, die man, wie ζ. B. bei der Projektion eines Dias, auf einem Schirm auffangen, dort nachzeichnen oder auf einer photographischen Schicht festhalten kann, und die virtuellen Bilder, zu denen das Bild im Planspiegel gehört. Wir nennen diese Bilder virtuell (scheinbar), da sie nicht auf einem Schirm oder auf einem Film aufzufangen sind, sondern erst auf der Netzhaut unseres Auges ein reelles Bild bewirken. Mit Abb. XIX.4 erkennen wir, wie ein virtuelles Bild am Planspiegel entsteht: Eine punktförmige Lichtquelle befinde sich als abzubildender Gegenstand G im Abstand 1 vor dem Spiegel. Wir greifen zwei Lichtstrahlen s t und s 2 heraus. Ohne Spiegel würden sie sich (gestrichelt gezeichnet) ungehindert ausbreiten. Durch den Spiegel werden die Strahlen jedoch nach dem Reflexionsgesetz in die durch s'i und s'j angegebenen Richtungen umgelenkt und fallen bei Betrachtung mit dem Auge auf die Netzhaut. Dort erzeugen sie ein reelles Bild

421

XIX. 3 Gesetze der Geometrischen Optik Netzhaut

Abb. XIX.4 Virtuelles Bild B t des Gegenstandspunktes G bei Reflexion am Planspiegel. Die Augenlinse erzeugt davon ein reelles Bild B 2 auf der Netzhaut.

B 2 , das vom Gehirn als Bildeindruck des virtuellen Bildes B j registriert wird. Β J konstruieren wir dadurch, d a ß wir die reellen (wirklichen) Strahlen s'¡ und s'2' geradlinig rückwärts verlängern, wobei wir die gestrichelten virtuellen (scheinbaren) Strahlen Sj und s'2 erhalten, die sich in B¡ schneiden. Das virtuelle Bild B, liegt im Abstand 1 hinter dem Spiegel. Läge dort der Gegenstand G selbst (allerdings seitenverkehrt), und wäre der Spiegel nicht vorhanden, so würden wir auf der Netzhaut des Auges dasselbe Bild B 2 wahrnehmen. Wir haben in beiden Fällen denselben Bildeindruck, weil wir gewohnt sind, Lichtstrahlen, die auf das Auge auftreffen, als geradlinig anzusehen und zwar unabhängig davon, ob sie zuvor durch Reflexion oder Brechung in ihrer Richtung geändert wurden oder nicht. • Wir können also zusammenfassen: Reelle Bilder entstehen, wenn sich die Lichtstrahlen, die von einem Gegenstandspunkt ausgehen, in einem Punkt, dem zugehörigen Bildpunkt, schneiden; sie können zum Beispiel direkt fotografiert werden. Virtuelle Bilder kommen nicht am Schnittpunkt der wirklichen Strahlen zustande, sondern am Schnittpunkt der durch geradlinige rückwärtige Verlängerung entstehenden virtuellen Strahlen. Sie sind nur wahrnehmbar mittels einer weiteren Abbildung (ζ. B. im Auge). 2. Hohlspiegel Ersetzen wir den Planspiegel durch einen Spiegel, der die F o r m einer Kugelfläche hat, so können wir mit ihm sowohl virtuelle Bilder als auch reelle Bilder

XIX. Geometrische Optik

422

erzeugen. An jedem Auftreffpunkt eines Lichtstrahls auf dem Spiegel gilt wieder das Reflexionsgesetz, wobei wir zur Konstruktion eines reflektierten Strahls (Abb. XIX. 5a, b) die spiegelnde Fläche um diesen Auftreffpunkt herum durch ihre (ebene) Tangentialfläche ersetzen. Abb. XIX. 6 zeigt am Beispiel zweier willkürlich herausgegriffener Strahlen, daß die vom Gegenstand G ausgehenden Lichtstrahlen im Bildpunkt Β vereinigt werden. Wir erhalten somit ein reelles Bild. Solche reellen Bilder entstehen ζ. B. bei astronomischen Spiegelteleskopen (Abb. XIX. 7). Tangentialebene

.Tangentialebene

Lot in Ρ auf die Tangentialebene

Lot in Ρ auf die Tangentialebene

^^^Spiegelf lache

Abb. XIX.5

Reflexion (a) am Konkav- und (b) am Konvex-Spiegel.

Abb. XIX.6 Bildpunkt.

Abbildung am konkaven Hohlspiegel (reelles Bild); G: Gegenstandspunkt; B:

Freilich gilt die einfache Konstruktion der Abb. XIX.6 nur für Strahlen nahe der Symmetrieachse des Spiegels, deren Einfallswinkel klein sind. (In der Abbildung sind diese Bedingungen der Deutlichkeit halber nicht eingehalten.) Leuchtet man größere Bereiche des Hohlspiegels aus, so entsteht anstelle des Bildpunktes Β ein merkwürdiges Gebilde, die sogenannte KaustikFigur, die keinerlei Ähnlichkeit mit dem Gegenstand G mehr aufweist (Abb. XIX.8); der Grund hierfür ist, daß die Abbildungsfehler (Kap. XIX.4.7) bei großen Einfallswinkeln zunehmen.

423

XVIII. 3 Beugung elektromagnetischer Wellen

Parabolischer Hohlspiegel mit Durchbohrung Fangspiegel Okular Ausgleichsmasse Standsäule

Abb. XIX. 7

Astronomisches Spiegelteleskop.

Abb. XIX.8 Durch Sonnenstrahlen (Parallelstrahlenbündel) a m Hohlspiegel mit großer Ö f f n u n g erzeugte Brennfläche (Kaustik-Figur).

Nähern wir den Gegenstand G dem Spiegel genügend, so können wir auch virtuelle Bilder erzeugen (Abb. XIX. 9). Ein solches ist aufrecht und vergrößert, d. h. das Bild ist größer als der Gegenstand. Es sei auch den weiblichen Lesern

Abb. XIX.9

Virtuelles, vergrößertes, aufrechtes Bild am Konkavspiegel (vgl. Abb. XIX.6).

XIX. Geometrische Optik

424

empfohlen, einmal einen Blick in einen Rasierspiegel zu werfen, um ein virtuelles vergrößertes Bild zu sehen. Liegt der Gegenstand sehr weit entfernt, treffen also die Strahlen (näherungsweise) parallel auf den Hohlspiegel (ζ. B. Licht von der Sonne), so werden sie in einem Punkt F, dem Brennpunkt gesammelt (Abb. XIX. 10). Der Abstand des Brennpunktes vom Spiegelscheitel, die Brennweite f, charakterisiert die Abbildungseigenschaften des Hohlspiegels. Aus der Bildkonstruktion mittels des Reflexionsgesetzes ergibt sich, daß dieser Abstand f = r/2 beträgt, wobei r der Krümmungsradius des Hohlspiegels ist. (Es sei nochmals darauf hingewiesen, daß die Abb. XIX. 10 nicht maßstabgerecht ist: Einen gemeinsamen Brennpunkt haben nur sehr eng begrenzte Strahlenbündel nahe der optischen Achse; breite Bündel liefern Kaustik-Figuren wie in Abb. XIX.8).

Abb. XIX. 10

3.3

Brennpunkt F, Brennweite f und Krümmungsradius r eines Konkavspiegels.

Brechung

In Kap. XVIII.4.1 wurde gezeigt, daß die Lichtgeschwindigkeit in einem durchsichtigen Medium, c m , kleiner ist als im Vakuum, c Vak . Um einen quantitativen Zusammenhang zwischen cm und cVak herzustellen, wurde in Gl.

Abb. XIX. 11 Brechungsgesetz : Der Lichtstrahl wird im optisch dichteren Medium zum Lot hin gebrochen (n2 > n^.

XIX. 3 Gesetze der Geometrischen Optik

425

(ΧVIII. 11) eine vom Material abhängige Konstante, der Brechungsindex η eingeführt. Diese Konstante bestimmt - und daher stammt ihr Name - die Brechung des Lichts an der Grenzfläche zwischen zwei verschiedenen Stoffen. Fällt ein Lichtstrahl, wie in Abb. XIX. 11 skizziert, schräg aus dem Medium 1 auf die ebene Grenzfläche zu einem anderen durchsichtigen Stoff (Medium 2), dann tritt er unter Richtungsänderung in das Medium 2 ein, er wird gebrochen. (Zusätzlich entsteht ein reflektierter Strahl.) • Der Winkel a 1 zwischen einfallendem Strahl und Einfallslot und der Winkel a 2 zwischen gebrochenem Strahl und Einfallslot hängen über das Brechungsgesetz mit den Brechungsindices n t und n 2 der beiden Medien zusammen: sino^ sina 2

=

n, nt

Wenn Medium 1 Vakuum oder Luft ist (n = 1; siehe Tabelle XVIII. 1), vereinfacht sich Gl (XIX.2) zu sinoc2

= η,

(XIX. 3)

wobei η der Brechungsindex des Mediums 2 ist. Von zwei Medien wird das mit dem kleineren Brechungsindex als das optisch dünnere, das andere als das optisch dichtere bezeichnet. Dringt Licht also vom optisch dünneren ins optisch dichtere Medium (n2 > nj), so wird der Strahl zum Einfallslot hin gebrochen (Abb. XIX. 11). Läuft das Licht dagegen in umgekehrter Richtung, so wird es vom Einfallslot weg gebrochen (Abb. XIX. 12). In der einfachen Form der Gl. (XIX.2) gilt das Brechungsgesetz nur für nichtabsorbierende, isotrope Stoffe. Bei doppelbrechenden Stoffen z.B. muß die Richtungsabhängigkeit von η berücksichtigt werden. Abb. XVIII. 33 in Kap. XVIII. 6.2 hat gezeigt, daß dann bestimmte Strahlen bei senkrechtem Einfall gebrochen werden können, also nicht mehr Gl. (XIX.2) folgen. Bei absorbierenden Stoffen tritt an die Stelle von η eine komplexe Größe aus Realteil und Imaginärteil.

Abb. XIX. 12 Brechungsgesetz: Der Lichtstrahl wird im optisch dünneren Medium vom Lot weg gebrochen (n2 < n j .

426

XIX. Geometrische Optik

Zur Begründung von Gl. (XIX.2) greifen wir auf die Wellenoptik zurück. Mit Gl. (XVIII. 11) können wir das Brechungsgesetz umschreiben in = ÇL,

(XK.4)

wobei c, und c 2 die Lichtgeschwindigkeiten in den beiden Medien bedeuten. Das Huygens'sche Prinzip (Kap. XVIII.3.1) ermöglicht uns, den Vorgang an der brechenden Fläche im Wellenbild zu beschreiben (Abb. XIX. 13). Es falle eine ebene Welle schräg auf die Grenzfläche vom optisch dünneren zum optisch dichteren Medium. Die zugehörigen parallelen Lichtstrahlen stehen senkrecht auf den Wellenflächen. Wir wählen die Wellenfläche AA' aus. Zur Zeit t = t, ist sie gerade am Ort A auf der brechenden Fläche angelangt; von dort zeichnen wir die weiterlaufenden Huygens'sehen Kugelwellen für Zeiten t > t , . Die Wellenfläche können wir uns nach Huygens durch Überlagerung beliebig vieler gleichphasiger Kugelwellen zusammengesetzt denken, von denen wir hier nur zwei herausgreifen wollen. Der Punkt A' der Wellenfront trifft auf die Grenzfläche zur Zeit t2— 11 + 1 ¡ c.. Erst dann beginnen dort die zugehörigen Kugelwellen loszulaufen. Die Kugelwelle vom Punkt A hingegen hat während des Zeitintervalls t 2 — t j sich um die Strecke 12 zum Punkt Β ausgebreitet. 12 ist kleiner 1,, da im optisch dichteren Medium sich das Licht langsamer ausbreitet. Nun können wir zu den beiden Kugelwellen an den Punkten Β und B' die Wellenfläche und die darauf senkrecht stehenden Lichtstrahlen einzeichnen, und wir sehen, daß wegen der langsameren Ausbreitung im zweiten Medium die Strahlen zum Einfallslot hin gebrochen werden. - Diese Herleitung weist darauf hin, daß zwar die Brechung der Lichtstrahlen an der Grenzfläche erfolgt, tatsächlich aber durch den Unterschied der Volumen-Materialeigenschaften beider Medien, nämlich der verschiedenen Ausbreitungsgeschwindigkeiten, begründet ist.

Einfallslot

I,,

Medium 1 C

C

1 =

v a /

Medium c

Lichtstrahl

3.4

2=

c

vak

n

1

2 / n

2

Abb. XIX. 13 Zur Begründung des Brechungsgesetzes mit dem Huygens'schen Prinzip (siehe Text).

Intensitäten von gebrochenem und reflektiertem Strahl

Die Richtungen von reflektiertem und gebrochenem Strahl werden durch Reflexionsgesetz und Brechungsgesetz festgelegt. Ihre Intensitäten bestimmt neben dem Einfallswinkel - der Brechungsindex. Bei senkrechtem Einfall aus Luft oder Vakuum sind die Verhältnisse am einfachsten: Das Reflexionsvermögen der Gl. (XVII. 17) ist dann für einen durchsichtigen Stoff gegeben durch

427

XIX.3 Gesetze der Geometrischen Optik

R:

(n-1)2 (n+1) 2

und das Transmissionsvermögen durch T =

4n (n+1) 2 ·

Für eine Glasplatte mit η = 1,5 können wir also damit berechnen, daß an jeder Oberfläche 4% reflektiert und 96% durchgelassen werden. 3.5

Zerlegung von Licht in seine Spektralfarben mit Hilfe des Prismas

Die Tatsache, daß der Brechungsindex von der Wellenlänge des Lichtes abhängt (Dispersion; Kap. XVIII.4.1) und damit gemäß Gl. (XEX.3) der Brechungswinkel für verschiedenfarbiges Licht unterschiedlich ist, nützt man aus, um mischfarbiges Licht in seine monochromatischen Bestandteile zu zer-

rot

Abb. XIX. 14 Brechung am Prisma: (a), (b) Strahlengang, (c) Dispersion.

blau

428

XIX. Geometrische Optik

legen. Für diesen Zweck sind durchsichtige Stoffe in Form eines DreikantPrismas besonders geeignet, denn die Lichtstrahlen werden beim Durchlaufen an den beiden den Prismenwinkel φ einschließenden Flächen in gleicher Richtung abgelenkt (Abb. XIX. 14a, b), so daß sich die Unterschiede der Brechungswinkel verschiedenfarbiger Strahlen an den beiden Grenzflächen summieren. Für sichtbares Licht werden Prismen aus Gläsern mit hoher Dispersion (Flintglas) verwendet; für das UV und IR nimmt man Quarz, NaCl, KBr usw., da Glas dort nicht durchsichtig ist. Läßt man auf das Prisma, wie in Abb. XIX. 14c gezeigt, ein Parallelbündel auffallen, so verlassen die Wellen verschiedener Wellenlänge das Prisma unter unterschiedlichen Winkeln ß2. Da der Brechungsindex vom Roten zum Blauen hin zunimmt (normale Dispersion), wird blaues Licht stärker gebrochen als rotes. Ein Prisma sortiert also die verschiedenen Farben in einem Parallelbündel nach verschiedenen Brechungswinkeln. Durch eine geeignete optische Anordnung, den Spektralapparat oder Monochromator - wir werden sie in Kap. XX.6 kennenlernen - kann man aus mischfarbigem Licht jede der enthaltenen Spektralfarben aussondern. Beispielsweise erzeugt ein Prismen-Spektralapparat aus dem Licht einer Glühbirne auf einem Schirm ein in allen Spektralfarben leuchtendes Bild, das Spektrum des Glühlichtes, in dem die verschiedenen Farben in der Reihenfolge rot-orange-gelb-grün-blau-violett nebeneinander liegen. Im Licht des leuchtenden Na-Dampfes sind dagegen nur einige Spektrallinien enthalten, wobei die beiden gelben Linien in ihrer Intensität überwiegen.

3.6

Totalreflexion

Bei Übergang vom optisch dichteren zum dünneren Medium (n 1 > n 2 ) wird nach Gl. (XIX. 2) der Strahl vom Lot weg gebrochen. Vergrößern wir den Einfallswinkel oc j, so wird bei einem bestimmten Wert oct = α τ der Brechungswinkel oc2 = 90° (Abb. XIX. 15). Für diesen Grenzfall gilt:

weil sin 90° = 1. Bei Einfallswinkeln oc' > α τ ist Gl. (XIX.2) nicht mehr zu erfüllen; physikalisch bedeutet dies, daß das Licht nicht mehr in das zweite Medium eintreten kann. Vielmehr wird es vollständig an der Grenzfläche reflektiert ÇTotalreflexion). Dies läßt sich beobachten, wenn man ein leeres Trinkglas in Wasser eintaucht und zunehmend schräger auf die Glaswand schaut. Man sieht dann vor dem Übergang zur Totalreflexion einen farbigen Saum; der Winkel der Totalreflexion hängt wegen der Dispersion (Kap. XVIII.4.1) des Glases und des Wassers geringfügig von der Farbe des Lichtes ab.

XIX. 3 Gesetze der Geometrischen Optik

429

1

n

i

α' - t s ^ . J»

Abb. XIX. 15 Totalreflexion (ocT = Grenzwinkel der Totalreflexion).

srSTi X,

Medium 2 n 2

i 90V I ¡

Jχ ' Χ

• Von der in Kap. XIX. 3.1 besprochenen normalen Reflexion unterscheidet sich die Totalreflexion dadurch, daß alles Licht reflektiert wird, das Reflexionsvermögen also exakt 1 ist, weil kein Anteil des Lichts in das zweite Medium eintreten kann. Daher verwendet man zur Strahlenumlenkung in optischen Instrumenten (Prismenfernstecher, binokulares Mikroskop usw.) anstelle von Metallspiegeln totalreflektierende Glasprismen (Abb. XIX. 16).

N u r im Rahmen der geometrischen Optik nehmen wir an, daß die Lichtstrahlen direkt an der Grenzfläche reflektiert oder totalreflektiert werden. Tatsächlich dringen die Lichtwellen aber bis zu einem Abstand etwa der Lichtwellenlänge in das zweite Medium ein, bevor sie wieder reflektiert werden. Nehmen wir einmal an, das zweite Medium sei Luft. Bringt m a n nun auf etwa den Abstand einer Lichtwellenlänge einen weiteren Stoff an das erste Medium heran, so dringt die Lichtwelle auch noch in das dritte Medium ein. Dadurch wird die Totalreflexion insbesondere in den Spektralbereichen behindert, in denen dieser dritte Stoff absorbiert. Durch Analyse der reflektierten Intensität kann man daher Auskunft über die optischen Eigenschaften des dritten Stoffes erhalten. Diese Methode der behinderten Totalreflexion (attenuated total reflection, ATRMethode) gewinnt neuerdings für die chemische Analyse an Bedeutung.

Flexible Lichtleiter, in denen man die Totalreflexion zur Weiterleitung von Licht ausnutzt, haben interessante Anwendungsmöglichkeiten in der Medizin gebracht. Man kann heute lange, optisch isolierte Glasfasern mit Durchmessern

XIX. Geometrische Optik

430

von nur ΙΟμπι (d.h. etwa 20 Lichtwellenlängen) herstellen und zu Faserbündeln zusammenfassen, indem man Anfang und Ende der Bündel verkittet. Fällt ein Lichtstrahl schräg auf eine dieser Fasern, so wird er im Innern unter ständig wiederholter Totalreflexion im Zick-Zack-Kurs weitergeleitet und tritt schließlich am Faserende wieder aus (Abb. XIX. 17). An und für sich

Abb. XIX. 17

Totalreflexion in einer Glasfaser.

würde zur Totalreflexion die Grenzfläche Glas/Luft ausreichen. Damit aber der Lichtstrahl nicht an den Stellen, wo sich zwei Fasern berühren, die Glasfaser verlassen kann (optischer Kurzschluß), müssen die Glasfasern mit einer Isolierschicht ummantelt sein. Deren Brechungsindex ist wesentlich kleiner als der des Fasermaterials. Solche Faserbündel sind flexibel; sie lassen sich zu Spiralen von einigen cm Durchmesser biegen. Daher können sie zum Ausleuchten schwer zugänglicher Hohlräume (ζ. B. Blase, Verdauungstrakt) verwendet werden. Überdies lassen sich geordnete Bündel herstellen, bei denen die Lage jeder einzelnen Faser an beiden Endflächen des Lichtleiters übereinstimmt. Projiziert man ein Bild auf das eine Ende, so wird es durch den Lichtleiter als Rasterbild ans andere Ende übertragen. Auf diese Weise können selbst kleinste Details bis zur Größenordnung des Faserdurchmessers (ca. 10 μπι) wiedergegeben werden. Man kann zum Beispiel Körperhohlräume durch diese geordneten Lichtleiter beobachten. Das Prinzip eines solchen Lichtleiter-Endoskopes mit Beleuchtungs- und Abbildungs-Lichtleiter zeigt Abb. XIX. 18.

Abb. XIX. 18 Prinzip eines Lichtleiter-Endoskops: A: Lichtquelle, B: Hülle aus ungeordneten Fasern zur Objektbeleuchtung, C: Kern aus geordneten Fasern zur Bildleitung, D: Abbildungsoptik, E: Beobachtungsoptik, F: Betrachteter Gegenstand, G: Hohlraum.

431

XIX.4 Abbildung mit Linsen

XIX.4 Abbildung mit Linsen 4.1

Abbildung durch brechende Flächen

Für die Erzeugung reeller Bilder ist die Abbildung mit Linsen von größerer praktischer Bedeutung als mit Hohlspiegeln; erstens lassen sich die bei der Abbildung auftretenden Bildfehler mit Linsen besser korrigieren als für Hohlspiegel; zweitens liegen bei Linsen reelles Bild und Gegenstand auf verschiedenen Seiten, was für die Konstruktion optischer Geräte, ζ. B. Kameras, vorteilhaft ist. Als Linsenmaterial werden für den sichtbaren Bereich Gläser verwendet, für das UV bzw. IR Quarzglas, Steinsalz, Flußspat, Germanium oder Silizium, (da im UV und IR normales Glas zu stark absorbiert). Zur Abbildung eines Gegenstandspunktes G (Abb. XIX. 19) müssen die von

Medium 1 Brechungsindex

Medium 2 n,

Brechungsindex

n2>n,

/

opt. A c h s e

Abb. XIX. 19

divergentes

konvergentes

Strahlenbündel

Strahlenbündel

Zur Abbildung durch Brechung von Licht an einer Grenzfläche.

dort divergent ausgehenden Lichtstrahlen so konvergent gemacht werden, daß sie sich allesamt in einem Punkt, dem Bildpunkt B, wieder schneiden. Geschieht dies durch Brechung an der Grenzfläche zweier durchsichtiger Medien, wie in Abb. XIX. 19, so müssen dort die Strahlen 1 und 5 stärker gebrochen werden als etwa die Strahlen 2 und 4, während Strahl 3 nicht abgelenkt werden soll. Nach dem Brechungsgesetz ist die Brechung um so stärker, je schräger ein Lichtstrahl auf eine Grenzfläche auftrifft. Berechnet man, wie diese Grenzfläche für den Fall der Abb. XIX. 19 (ein Fall, der beim Auge vorkommt) aus-

432

XIX. Geometrische Optik

sehen müßte, so findet man eine sehr kompliziert gekrümmte Fläche, die jedoch für kleine Öffnungswinkel φ (φ 5°) treffen die Randstrahlen nicht mehr genau im Bildpunkt mit den achsnahen Strahlen zusammen, wodurch der Bildpunkt von einem diffusen Lichthof umgeben wird; ein aus vielen Punkten zusammengesetztes Bild wirkt dadurch unscharf. Diesen Abbildungsfehler nennt man den Öffnungsfehler oder auch sphärischen Fehler. Es besteht aber ein Interesse, den Öffnungswinkel α sehr groß zu machen, denn je größer dieser ist, um so mehr Licht trifft im Bildpunkt zusammen, desto heller wird also das Bild. Um den sphärischen Abbildungsfehler bei lichtstarken Abbildungen zu verringern, müssen anstelle einfacher brechender Flächen komplizierte Systeme, sogenannte Objektive verwendet werden, die bis zu 20 verschiedene brechende Kugelflächen enthalten können. Kugelflächen werden deshalb verwendet, weil sie einfach zu schleifen und zu polieren sind. Erst in neuester Zeit waren Versuche erfolgreich, die eigentlich vom Brechungsgesetz geforderten komplizierten asphärischen Flächen in Massenproduktion herzustellen. Wir können die Punkte Β und G in Abb. XIX. 19 auch vertauschen und uns vorstellen, daß der Gegenstand G im optisch dichteren Medium 2 liege. Um die Lichtstrahlen dann in dem im Medium 1 liegenden Bildpunkt Β zu sammeln, ist eine, vom Gegenstand her gesehen, konkav gekrümmte sphärische Kugelfläche nötig.

433

XIX.4 Abbildung mit Linsen

Der Vorgang der Abbildung ist im Wellenbild besonders anschaulich (Abb. XDC.20): Vom Gegenstandspunkt G gehen Kugelwellen aus und treffen auf die Grenzfläche. Diejenigen Teile der Wellenfläche, die ins Medium 2 eingedrungen sind, laufen dort entsprechend dem größeren Brechungsindex langsamer als die weiter von der optischen Achse entfernten Teile, die noch länger im Medium 1 bleiben. Dadurch kehrt sich die Krümmung der Wellenfläche beim Durchgang durch die sphärische Grenzfläche um, und die Welle läuft als umgekehrte Kugelwelle im Bildpunkt Β zusammen. Die geometrische Optik drückt diesen Vorgang dadurch aus, daß an der Grenzfläche die (senkrecht auf den Wellenflächen stehenden) Lichtstrahlen zum Bildpunkt hin gebrochen werden.

4.2

Die Abbildungsgleichung für eine brechende Fläche

Eine geeignet gekrümmte Grenzfläche zwischen zwei durchsichtigen Stoffen kann also von einem im Medium i gelegenen Gegenstand im Medium 2 ein Bild erzeugen, und umgekehrt. Bei der Abbildung mittels einer sphärisch gekrümmten Grenzfläche besteht eine feste Beziehung zwischen der Lage des Gegenstandes und der des Bildes, die durch die Abbildungsgleichung ausgedrückt wird. Sie gilt allerdings nur für kleine Öffnungswinkel φ, d. h. für Lichtstrahlen, die nahe der optischen Achse verlaufen. Bezeichnen wir, wie in Abb. XIX.21a, den Abstand des Ge-

Luft

n=1

Glas

n=1,6 opt. A c h s e

X,

Β

Abb. XDÍ.21 (a) Zur Herleitung der Abbildungsgleichung für eine Grenzfläche (Gl. (XIX.6)), (b) maßstabgetreuer Strahlengang (φ ι ~ 5°).

434

XIX. Geometrische Optik

genstandspunktes G von der brechenden sphärischen Fläche mit a und den Abstand des Bildpunktes mit b, so gilt die Abbildungsgleichung n

Jk + Jk = a b

2~ni, r

(XIX. 6)

wobei r der Krümmungsradius der Grenzfläche ist. n t und n 2 sind die Brechungsindizes der aneinandergrenzenden Stoffe. Wir definieren den Radius r als negativ, wenn der Krümmungsmittelpunkt der brechenden Fläche auf der Seite des Gegenstandes liegt, als positiv, wenn er auf der anderen Seite liegt. Herleitung Gesucht wird für Abb. (XIX.2la) eine Beziehung zwischen a und b. Wenn diese unabhängig von φι ist, so gilt sie für alle von G ausgehenden Strahlen; dadurch wird Β ein echter Bildpunkt. Es gelten die Winkelbeziehungen: η = φι+φ2;

η = at - a2; β = α2 + φ2.

Für die trigonometrischen Beziehungen tan,2 = ; tanfi = a+u b-u

ζ r-u

machen wir die Näherungen u ~ 0, d. h. r > ζ und d h. r

φ, ~ 5°, φ2 ~ 5° und β ~ 5°,

und erhalten so

Aus den unterstrichenen Gliedern folgt sofort Gl. (XIX.6) für eine shärisch gekrümmte Fläche zwischen zwei Medien. Sie gilt also nur unter den für φ1, φ2 und β gemachten Einschränkungen. Für Strahlen, die unter größeren Winkeln als « 5° einfallen, werden die Näherungen zunehmend schlechter; die Bildweite b wird dann vom Winkel φ ι abhängig, und das bedeutet, daß nicht alle vom Gegenstandspunkt G ausgehenden Strahlen sich in einem Bildpunkt treffen. Dieser Abbildungsfehler ist der Öffnungsfehler.

In den meisten Abbildungen von Lehrbüchern - so auch in unseren Figuren sind der Deutlichkeit halber Lichtstrahlen mit viel größeren Winkeln gezeichnet, für die Gl. (XIX.6) längst nicht mehr gilt. Die maßstabgetreue Abb. XIX.21b soll dies veranschaulichen; sie zeigt ein Lichtbündel mit einem Öffnungswinkel von 5°.

4.3

Spezialfälle der Abbildungsgleichung

1. Fallen parallele Lichtstrahlen auf die brechende Fläche, liegt also der Gegenstand (fast) im Unendlichen (a « oo), dann schneiden sie sich hinter der brechenden Fläche in einem Punkt, den wir bildseitigen Brennpunkt nennen und dessen Bildweite wir als bildseilige Brennweite f bezeichnen. Aus Gl. (XIX.6) folgt für f: 1 f

n =

2~"i n2

1 r

(XIX. 7)

ΧIX.4 Abbildung mit Linsen

435

2. Liegt der Gegenstand so, daß die gebrochenen Strahlen hinter der brechenden Fläche parallel verlaufen, der Bildpunkt also im Unendlichen liegt (b = co), dann heißt der Gegenstandspunkt gegenstandsseitiger Brennpunkt und die Gegenstandsweite die gegenstandsseitige Brennweite f'. Aus Gl. PiIX.6) folgt für f': 1 _ n2 — nt ñ¡

F ~

1

Γ'

(XIX. 8)

Setzen wir die beiden Brennweiten f u n d f' in Gl. (XIX. 6) ein, so erhalten wir nach kurzer Rechnung als weitere Form der Abbildungsgleichung für eine Grenzfläche:

- + I = ί. a b

4.4

(XIX. 9)

Die Abbildungsgleichung für eine Linse

Soll das Bild im selben Medium wie der Gegenstand liegen (normalerweise Luft mit η « 1), so ist eine zweite Begrenzungsfläche des Mediums 2 nötig, die ebenfalls zur Abbildung beiträgt; somit erhalten wir eine Linse. Die zwei Einzelabbildungen an den beiden brechenden Flächen einer Linse der Dicke d, (Abb. XIX.22), nacheinander entsprechend Gl. (XEX.6) durchgerechnet, ergeben als Beziehung zwischen der Gegenstandsweite a und der Bildweite b: 1 n,

i

+

1

(XIX. 10) J_

b

fi

Abb. XEX.22

Zur Herleitung der Abbildungsgleichung einer Linse (Gl. (XIX. 12)).

Dabei ist {[ die gegenstandsseitige Brennweite der ersten brechenden Fläche, und f 2 die bildseitige Brennweite der zweiten brechenden Fläche. Ist die Linse sehr dünn (d » 0), wird daraus: 1 Ί

i +

τ

1 =

Τ ι

-

τ

1 ·

(XIX. 11)

XIX. Geometrische Optik

436

• Die zwei Einzelabbildungen an den beiden brechenden Flächen einer Linse kann man sich ersetzt denken durch einen einzigen BrechungsVorgang, für den gilt—i-

— - 1 . f hat dann die Bedeutung der BrennM h weite der Linse und wir erhalten so die bekannte Linsenformel {Abbildungsgleichung)·.

1 1 =1 a

+

b ~ f"

(XIX. 12)

Aus Gl. (XIX. 7 und 8) finden wir als Zusammenhang mit den Krümmungsradien r 1 und r 2 der beiden Linsenflächen: (XIX. 13) • Wenn Gegenstand und Bild im selben Medium liegen und zudem die Linse sehr dünn ist, läßt sich die Linse also durch eine einheitliche Brennweite f charakterisieren. Das Reziproke, die Größe i/f also, heißt die Brechkraft und erhält in der Ophthalmologie die Einheit Dioptrie (Dptr). Mißt man die Brennweite in Metern, so erhält man die Brechkraft in Dioptrien: 1 Dptr = l m " 1 , Eine Linse mit der Brennweite f = 0,25 m hat demnach eine Brechkraft von 4 Dptr. Bei Gegenständen, die verglichen mit der Brennweite weit entfernt sind, ist die Bildweite nur geringfügig größer als die Brennweite. Daher kann man die Brennweite einer Sammellinse (Brillenglas o.ä.) leicht abschätzen, indem man auf ein Stück Papier ein Bild der weit entfernten Deckenlampe oder eines Fensterkreuzes entwirft. Die Bildweite ist dann ungefähr gleich der Brennweite. Eine zweite Methode zur Abschätzung der Brennweite ist, die Sammellinse als Lupe zu verwenden und sie so lange vom Objekt weg zu verschieben, bis das aufrechte, virtuelle, vergrößerte Bild umschlägt in ein umgekehrtes Bild. Dieser Übergang erfolgt, wenn die Gegenstandsweite gleich der Brennweite ist.

Die Linsenformel, Gl. (XIX. 12), gilt nur, wenn neben der Bedingung d « 0 die im vorigen Kapitel für die Einzelabbildung genannten Voraussetzungen erfüllt sind, d. h. für sehr schmale Lichtbündel. Diese Einschränkungen beziehen sich jedoch nur auf einfache Linsen; mit Hilfe von Linsensystemen (Objektiven) kann man selbst bei extrem großen Öffnungswinkeln von 45° und mehr, wie sie in Mikroskopen üblich sind, einwandfreie Abbildungen erzielen. Im folgenden Kapitel werden wir sehen, daß es möglich ist, auch für solche Linsensysteme Gl. (XIX. 12) anzuwenden. Gl. (XIX. 12) gehört zu den geläufigsten physikalischen Formeln. Tatsächlich ist sie jedoch nur eine Näherungsbeziehung, die zudem so grob ist, daß sie bei einfachen Linsen fast nie mit genügender Genauigkeit gilt. An diesem Beispiel zeigt sich deutlich das Bemühen, in der Physik Zusammenhänge durch einfache mathematische Beziehungen darzustellen, selbst wenn dies nur unter Einbuße von Allgemeingültigkeit und Exaktheit möglich ist. Sie dienen allgemein der übersichtlichen und schnellen Abschätzungen eines Vorganges; ihre quantitative Auswertung ist aber nur berechtigt, wenn gleichzeitig abgeschätzt wird, wie groß der durch die Näherungsannahmen bedingte Fehler ist (siehe Anhang).

437

XIX. 4 Abbildung mit Linsen

In Zeiten ohne Computer boten vereinfachte Formeln oft die einzige Möglichkeit, mit vertretbarem Zeitaufwand zu numerischen Ergebnissen zu gelangen.

4.5

Klassifizierung von Linsen

In Gl. (XIX. 13) genügt es nicht, die Krümmungsradien r t und r 2 dem Betrage nach einzusetzen, vielmehr muß unterschieden werden, ob die Fläche konvex (nach außen) oder konkav (nach innen) gekrümmt ist. • Wir unterscheiden Sammellinsen, bei denen parallel auf die Linse treffende Strahlen in reellen Bildpunkten gesammelt werden, und Zerstreuungslinsen, die parallel auftreffende Strahlen divergent machen, so daß der Brennpunkt virtuell ist. Beide Linsentypen können verschiedene Formen der brechenden Fläche haben (Abb. XIX.23 und XIX.24). Sammellinsen

Abb. XIX.23 Sammellinsen; a) Plan-konvex-Linse, b) Konvex-konkav-Linse, c) Bikonvex-Linse.

1. Sammellinsen: a) plan-konvex (r1 > 0, r 2 = oo), b) konvex-konkav (Meniskus-Linse) ^ > 0, r 2 > 0, r t < r 2 , d.h. die Linse ist in der Mitte dicker als am Rand), c) bikonvex ( ^ > 0, r 2 < 0). 2. Zerstreuungslinsen: a) plan-konkav (r1 < 0, r 2 = oo), b) konkav-konvex (r t > 0, r 2 > 0, τί>τ2, d.h. die Linse ist am Rande dicker als in der Mitte), c) bikonkav ( ^ < 0, r 2 > 0).

438

XIX. Geometrische Optik

Berücksichtigen wir die Vorzeichen der Krümmungsradien, so erhalten wir aus Gl. (XIX. 13) für Sammellinsen positive Brennweiten, f > 0, für Zerstreuungslinsen aber negative Brennweiten, f < 0. Zerstreuungslinsen liefern stets virtuelle Bilder; die Abbildungsgleichung (Gl. (XIX. 12)) besagt, daß bei diesen die Bildweiten b negativ sind. Sammellinsen dagegen können sowohl reelle als auch virtuelle Bilder entwerfen. Für reelle Bilder folgt aus der Abbildungsgleichung, daß b positiv ist. Bei Bikonvex- und Bikonkav-Linsen addieren sich die Beiträge beider Grenzflächen zur Gesamtbrechkraft 1/f; sie haben also unter den verschiedenen Linsenformen die jeweils stärksten Brechkräfte, d.h. die kürzesten Brennweiten. Für Brillengläser bevorzugt man die Formen b, deren Abbildungsfehler gegenüber den Formen c geringer sind.

Abb. XIX.24 Zerstreuungslinsen; a) Plan-konkav-Linse, b) Konkav-konvex-Linse, c) Bikonkav- Linse.

4.6

Konstruktion von Strahlengängen

Jede optische Abbildung läßt sich im Prinzip mit der Abbildungsgleichung berechnen, wenn man sich auf achsnahe Strahlen beschränkt. Übersichtlicher ist, zum Entwurf und zum Verständnis eines optischen Aufbaus den optischen Strahlengang mit den in Kap. XIX.2 zusammengestellten Symbolen heranzuziehen. Um ihn übersichtlich zeichnen zu können, wählt man aus dem gesamten Bündel von Lichtstrahlen nur einige aus. Man zeichnet zur graphischen Konstruktion des Bildes von einem Punkt des Gegenstandes solche Strahlen, deren Verlauf ohne Zuhilfenahme der Abbildungsgleichung oder des Brechungsgesetzes bekannt ist. Ihr Schnittpunkt liefert den zugehörigen Bildpunkt. Diese ausgewählten Strahlen sind für eine Sammellinse (reelles

XIX.4 Abbildung mit Linsen

439

Bild) und für eine Zerstreuungslinse (virtuelles Bild) in Abb. XIX. 25 gezeichnet.

Abb. XIX.25 Konstruktion von Strahlengängen (a) an der Sammellinse und (b) an der Zerstreuungslinse.

Es sind : • 1. Der Parallelstrahl (1), der vom Gegenstandspunkt parallel zur optischen Achse verläuft und daher zu einem Brennpunkt hin gebrochen wird. Bei der Sammellinse ist es der hinter der Linse liegende Brennpunkt; bei der Zerstreuungslinse zeichnet man den virtuellen Strahl zu dem Brennpunkt, der vor der Linse liegt. • 2. Der Brennstrahl (3), der vom Gegenstand durch einen Brennpunkt geht und daher so gebrochen wird, daß er danach parallel zur optischen Achse verläuft. Bei der Sammellinse ist es der vor der Linse liegende, bei der Zerstreuungslinse der hinter der Linse liegende Brennpunkt. • 3. Der Mittelpunktsstrahl (2), der durch den Durchstoßpunkt der optischen Achse mit der Linsenebene verläuft und nicht gebrochen wird. Das reelle Bild liegt auf der dem Gegenstand entgegengesetzten Seite der Linse, das virtuelle Bild hingegen auf derselben Seite wie der Gegenstand.

440

XIX. Geometrische Optik

Die Strahlengänge der Abb. XIX.25 nennt man Abbildende Strahlengänge. Die drei Strahlen sind dabei nützliche Hilfslinien, die allerdings nicht im Bündel der wirklichen Strahlen enthalten sein müssen, welche den Bildpunkt erzeugen. So wird, wenn man eine Kirche knipsen will, der von der Turmspitze ausgehende Parallelstrahl nie auf das vergleichsweise winzige Fotoobjektiv treffen. Anders ist dies beim Bündelstrahlengang. Dieser erfaßt die tatsächlich durch eine vorgegebene Linse verlaufenden Lichtstrahlen und gibt die Begrenzungsstrahlen des Lichtbündels an. Der Querschnitt dieses Bündels ist durch Blendenöffnungen begrenzt, beispielsweise durch die Linsenfassung. Im Gegensatz zum Abbildenden Strahlengang, der Auskunft über die Bildlage gibt, ermöglicht der Bündelstrahlengang Aussagen über die Helligkeit von Bildpunkten, über das Gesichtsfeld und über Abbildungsfehler. Zwei Blenden begrenzen im wesentlichen die tatsächlich durch ein optisches System laufenden Strahlen, die Aperturblende (Abb. XIX.26a) und die Gesichtsfeldblende (Abb. XIX.26b). Die Aperturblende bestimmt den Öffnungswinkel des vom Gegenstand ausgehenden Lichtbündels, und damit die durch das optische Linsensystem übertragene Lichtleistung, d. h. die Bildhelligkeit. (Ein weit geöffnetes Strahlenbündel liefert ein helleres Bild als ein schmales Bündel). Auch für das Auflösungsvermögen optischer Vergrößerungsgeräte ist der Öffnungswinkel, wie wir in Kap. XX. 3 sehen werden, von Bedeutung. Als Gesichtsfeld bezeichnet man diejenige Fläche in der Gegenstandsebene, aus welcher Strahlen durch das abbildende System gelangen. Beim Mikroskop ist beispielsweise das Gesichtsfeld derjenige Objektbereich, den man, ohne das Objekt zu verschieben, überblicken kann. Das Gesichtsfeld ist durch eine schwarze Umrandung begrenzt, die durch die Gesichtsfeldblende (Abb. XIX.26b) entsteht.

α

b

Abb. XIX.26 blende.

Verwendung von Blenden im Strahlengang, (a) Aperturblende, (b) Gesichtsfeld-

Das Abbildungsdiagramm Die vier Abbildungsmöglichkeiten mit Sammelund Zerstreuungslinsen - vergrößert, verkleinert, virtuell oder reell - lassen sich in einem Diagramm zusammenfassen, das wir als graphisches Analogon der Abbildungsgleichung (Gl. (XIX. 12)) auffassen können. Dazu tragen wir, wie in Abb. XIX.27 skizziert, die Gegenstandsweite a gegen die Bildweite b auf. Die Bildweiten auf der positiven Halbachse (b > 0) gehören zu reellen Bildern, die auf der negativen Halbachse (b < 0) dagegen zu virtuellen Bildern. Gegen-

441

XLX.4 Abbildung mit Linsen Bildachse

standsweiten sind normalerweise stets positiv und liegen daher auf der positiven Halbachse. Nun zeichnen wir den Punkt (f, i) ein, wobei f die Brennweite der verwendeten Linse ist. Bei einer Sammellinse ist f positiv und der Punkt liegt im rechten oberen Quadranten, bei einer Zerstreuungslinse liegt er im linken unteren Quadranten, da hier f negativ ist. Wenn nun die Gegenstandsweite a auf der Gegenstandsachse eingezeichnet ist, so findet man die zugehörige Bildweite b, indem man a mit dem Punkt (f, f) durch eine Gerade verbindet und deren Schnittpunkt mit der Bildachse aufsucht. Aus der Konstruktion ergibt sich: Eine Sammellinse kann reelle wie virtuelle Bilder liefern, eine Zerstreuungslinse nur virtuelle Bilder. In Abb. XIX. 27 sind ein reelles Bild einer Sammellinse und ein virtuelles Bild einer Zerstreuungslinse gezeigt. Mit Hilfe der Beziehung b/a = B/G (Gl. (XIX. 18)), wobei Β und G Bild- bzw. Gegenstandsgröße sind, finden wir unmittelbar den Abbildungsmaßstab der Abbildung (Kap. XIX.4.12). Zur Orientierung des Bildes: Reelle Bilder sind stets umgekehrt, d. h. sie stehen auf dem Kopf, wie etwa das Bild im Fotoapparat. Virtuelle Bilder dagegen sind aufrecht, wie ζ. B. das Bild der Lupe.

4.7

Abbildungsfehler

Der Planspiegel ist das einzige fehlerfreie optische Instrument. Bei allen übrigen Geräten gilt, daß der Aufwand zur Korrektur der Bildfehler immer größer wird, je besser die Bildqualität sein soll. Optische Abbildungen mit Linsen sind stets von begrenzter Güte und können durch vielfältige Einflüsse, sogenannte Abbildungsfehler, beeinträchtigt sein. 1. Der öffnungsfehler oder sphärische Fehler Bei Linsen mit sphärisch gekrümmten Flächen gilt, wie wir in Kap. XIX.4.4 gesehen haben, für mäßige und große Öffnungswinkel ( > 5°) die

XIX. Geometrische Optik

442

Abbildungsgleichung (Gl. (XDÍ. 12)) nicht mehr; d. h. nicht alle, von einem Gegenstandspunkt ausgehenden Strahlen werden in einem einzigen Bildpunkt gesammelt. Das Brechungsgesetz ergibt für achsferne Strahlen bei einer Sammellinse einen Bildpunkt, der näher an der Linse liegt als für achsnahe Strahlen (Abb. XIX.28a). Dieser Abbildungsfehler läßt sich verkleinern, indem man die Brechung in mehrere Schritte jeweils geringerer Brechung zerlegt, d. h. Linsensysteme verwendet, so daß schließlich die Einfallswinkel auf die Linsenflächen auch für achsferne Strahlen klein werden. Den einfachsten Fall der Korrektur eines Öffnungsfehlers mit einer auseinandergeschnittenen Bikonvex-Linse zeigt Abb. XIX.28b. Bei gleicher Gesamtbrennweite ist der Öffnungsfehler gegenüber der normalen Bikonvex-Linse erheblich herabgesetzt.

α

b

Abb. XIX. 28 linse.

Öffnungsfehler (a) bei der Sammellinse, (b) bei der aufgeschnittenen Bikonvex-

Auch bei sphärischen Hohlspiegeln tritt der Öffnungsfehler auf; er läßt sich dort nur korrigieren indem man die Spiegel asphärisch macht. Ein Beispiel ist der Parabolspiegel, der parallele Strahlen in einem Punkt sammelt, unabhängig davon, wie breit das Bündel ist, also keine Kaustik (Abb. XIX.8) zeigt. 2. Die Bildfeldwölbung Bei einfachen Linsen liegt das Bild der Gegenstandsebene nicht in einer Ebene, sondern auf einer gekrümmten Bildfläche. Fotografiert man ein solches Bild, so wird es zum Rand hin unscharf, da dort die Bildpunkte nicht mehr in der Ebene der Fotoschicht liegen (Abb. XIX.29). Durch Linsensysteme, die man Aplanate nennt, läßt sich das Bildfeld ebnen. Beim Auge wird dieser Fehler durch die Krümmung der Netzhaut, auf der das Bild entsteht, ausgeglichen.

Fotoplatte

gekrümmte Bildfläche

Abb. XIX.29

Bildfeldwölbung.

3. Der Farbfehler oder chromatische Fehler Er wird durch die Dispersion des Linsenmaterials verursacht, tritt also bei Spiegeln nicht auf. Da der Brechungsindex η von der Wellenlänge des verwendeten Lichts abhängt, hat nach Gl. (XIX. 13) jede Linse für verschiedenfarbiges Licht unter-

443

XIX.4 Abbildung mit Linsen

schiedliche Brennweiten (Abb. XIX.30). Ein Gegenstand, der weißes Licht aussendet, wird also hintereinander liegende Bilder verschiedener Farbe liefern, und auf dem Bildschirm sind daher die Bildkonturen von einem Farbsaum umgeben. Der Farbfehler tritt auch beim Auge auf, weil es aber für Rot und Blau weniger empfindlich ist als für Gelb und Grün, fallen die farbigen Säume in der Regel nicht störend auf. Er kann durch Kombinationen von Sammel- und Zerstreuungslinien aus Linsenmaterial mit unterschiedlicher Dispersion, sogenannte Achromate, vermindert werden.

blau rot

Abb. XIX.30

n

Farbfehler einer Sammellinse.

.-ot

4. Die Verzeichnung Sie beruht nicht auf Linseneigenschaften, sondern kann auftreten, wenn Blenden im Strahlengang angeordnet werden, etwa zur Erhöhung der Schärfentiefe (Kap. XIX.4.10). Liegt die Blende nicht in unmittelbarer Nähe der Linse, sondern zum Gegenstand hin verschoben, so werden weit von der optischen Achse liegende Gegenstandsbereiche mit kleinerem Abbildungsmaßstab abgebildet als achsnahe. Als Folge davon wird ζ. B. ein Quadrat tonnenförmig verzeichnet (Abb. XIX.3 la). Liegt die Blende aber auf der Bildseite der Linse, so ist der Abbildungsmaßstab für achsferne Gegenstandsbereiche größer und ein Quadrat wird kissenförmig verzeichnet (Abb. XIX. 31b).

Gegenstand

Blende

Linse

Bild

r